Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie bitte Platz.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan ({1}) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({2})
und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1890 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
- Drucksachen 17/654, 17/816 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Jan van Aken
Kerstin Müller ({4})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/819 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später
namentlich abstimmen. Die namentliche Abstimmung
wird voraussichtlich gegen 10.30 Uhr oder 10.40 Uhr
stattfinden. Denn die Fraktionen schlagen gemeinsam
vor, für die Aussprache eine Zeit von insgesamt 90 Minuten vorzusehen. Ich nehme an, dass es dazu Einvernehmen gibt. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Rainer Stinner für die FDPFraktion.
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ende Oktober 2001 stimmten 64 Prozent der Deutschen
in der Bundesrepublik Deutschland dafür, dass wir uns
an dem militärischen Einsatz in Afghanistan beteiligen.
Im März 2002, nach den ersten deutschen Verlusten und
Verwundungen von Soldaten, stimmten 66 Prozent der
deutschen Bürger dafür, dass sich die Bundeswehr weiterhin am Afghanistan-Mandat beteiligt.
Es ist also nicht so, meine Damen und Herren, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland gegen den Willen
der deutschen Bevölkerung in Afghanistan engagiert
und beteiligt hat. Nein, sie hat sich ausdrücklich mit Unterstützung der Bevölkerung daran beteiligt.
({0})
Wir wissen alle, dass die Unterstützung der Bevölkerung zurückgegangen ist und dass sich die Situation geändert hat. Das hängt ohne jeden Zweifel auch mit eigenen Fehlern der NATO zusammen. Aber was folgern wir
daraus? Die Minderheit in diesem Haus folgert daraus,
jetzt überstürzt aus Afghanistan abzuziehen, die Afghaninnen und Afghanen allein ihrem Schicksal zu überlassen, einen Flächenbrand zu riskieren und Gefahr für die
Welt heraufzubeschwören. Das ist falsch. Das lehnen wir
ab.
({1})
Die Mehrheit, zu der wir gehören, folgert daraus, dass
wir aus eigenen Fehlern lernen und besser werden müssen. Genau dazu trägt das neue Mandat erheblich bei.
Redetext
({2})
Leider ist der Öffentlichkeit zu wenig bekannt - offensichtlich ist es auch Ihnen nicht bekannt, Herr Ströbele -,
welchen grundsätzlichen Neuanfang wir mit diesem
Mandat machen.
Es war richtig, dass die Bundesregierung den London-Prozess selbst aktiv angestoßen und selbst aktiv betrieben hat. Es war richtig, dass wir uns die Zeit dafür
genommen haben. Denn wir haben erstmals in der
NATO ein gemeinsam definiertes klares Ziel für Afghanistan. Wir haben erstmals in all den acht Jahren in der
NATO eine gemeinsam definierte Strategie als Weg zum
Ziel. Wir haben erstmals das umgesetzt, was wir jahrelang vor uns hergetragen haben. Wir haben erstmals in
Deutschland den vernetzten Ansatz umgesetzt.
({3})
Noch niemals zuvor in all den acht Jahren haben die
beteiligten Ministerien unter Führung des Außenministeriums so intensiv gemeinsam an dem Afghanistan-Mandat gearbeitet, gemeinsam analysiert und gemeinsam
Maßnahmen definiert. Leider wissen zu wenige in
Deutschland, auch im Deutschen Bundestag, welche
Fortschritte und Ergebnisse unser bisheriges Engagement gebracht hat.
Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben neulich
eine sehr eindrucksvolle Präsentation des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes erlebt, in der dargestellt wurde, dass in Afghanistan mit deutscher Hilfe die
Technische Fakultät der Universität Herat aufgebaut
wird, dass dort mittlerweile Tausende von Afghaninnen
und Afghanen ausgebildet werden und dass, oh Wunder,
diese ausgebildeten Studenten nach Abschluss ihres Studiums in Afghanistan eine Arbeitsstelle bekommen. Von
einer solchen Arbeitsplatzperspektive träumt manch
deutscher Student.
({4})
Wir haben dann den Damen und Herren vom DAAD gesagt: Präsentiert das doch auch der Presse! Das ist doch
so wichtig! - Sie haben geantwortet: Wenn wir es der
Presse anbieten, kommt sie nicht; sie hört nicht zu. Offensichtlich gilt hier: Bad news are good news; die guten
Nachrichten werden nicht gehört.
Wir müssen weiterhin den zivilen Aufbau in Afghanistan intensiv unterstützen und bestärken. Dafür brauchen wir weiterhin die Bundeswehr: Sie macht die zivile
Entwicklung erst möglich.
({5})
Unsere Soldaten sollen stolz darauf sein, dass auf
Grundlage ihres Einsatzes, ihres Beitrages dieser Weg
der Entwicklung erst möglich wird. Ich möchte von diesem Platz aus - hoffentlich auch in Ihrem Namen - unseren Soldaten unsere ausdrückliche Anerkennung für ihren gefährlichen, schweren Einsatz in Afghanistan
aussprechen.
({6})
Ich weiß, dass es eine ganz große Mehrheit der Afghanen genauso sieht - einige in diesem Hause mögen es
nicht wahrhaben -: Sie unterstützt den Einsatz der Bundeswehr und will sie dahaben.
({7})
- Die große Mehrheit der Afghanen will das so.
Es geht bei diesem Mandat um vieles; aber um drei
Dinge - das möchte ich deutlich herausstellen - geht es
eben nicht:
Erstens. Es geht nicht um die Alternative „Krieg oder
Frieden“; diese Wahl haben wir in der Weise nicht. Es
geht nur darum, auf welche Art der Konflikt in Afghanistan ausgetragen wird.
({8})
Zweitens. Wollen wir das Land durch einen sofortigen Abzug, den manche wollen - Herr Ströbele, Sie offensichtlich auch -, in unübersehbares Chaos stürzen,
die Region destabilisieren und unsere Sicherheit gefährden, oder setzen wir uns, Herr Ströbele, für ein verantwortbares Abzugsszenario ein? Das ist die Frage. Es
geht nicht um die Frage: Abziehen oder dableiben? Niemand von uns möchte ad infinitum in Afghanistan bleiben. Nein, es geht nur darum, dass wir einen sinnvollen,
geordneten Weg finden, unser militärisches Engagement
zu reduzieren.
({9})
- Frau Enkelmann, dieses Mandat sieht dafür zum ersten
Mal konkrete Maßnahmen vor: Es beschreibt erstmals
den Weg zu einem realistischen Abzugsszenario.
Drittens. Es geht auch nicht um die Alternative „Unterstützung oder Kampfeinsatz“. Wir wissen und akzeptieren - das müssen wir auch öffentlich sagen -, dass es
in Afghanistan um beides geht: um Unterstützung, Vermittlung und Hilfe, aber auch um Kampf. Das müssen
wir der Öffentlichkeit sagen.
({10})
In Afghanistan gibt es zivile Opfer; das ist wahr. Die
große Mehrheit der zivilen Opfer wird aber durch die Taliban verursacht. Auch heute Morgen wieder: Die Opfer,
die wir heute Morgen in Kabul zu beklagen haben, sind
Opfer der Taliban, nicht der NATO oder der Bundeswehr.
({11})
Ich weiß aber - das sage ich deutlich -: Jawohl, auch die
NATO und die Bundeswehr haben zu zivilen Opfern beigetragen. Das bedauern wir außerordentlich. Wir müssen
alles tun, damit die Zahl der Opfer minimiert wird.
Eines ist aber ganz sicher: Die Zahl der zivilen Opfer
in Afghanistan und darüber hinaus, die Qual von Millionen Bürgerinnen und Bürgern, von Männern, Frauen und
Kindern, in Afghanistan würde unendlich viel größer
werden, wenn wir unverantwortlicherweise sofort abziehen würden, wenn wir das Land den Gegnern von Menschenrechten, der Menschenwürde und der Zivilisation
überlassen würden. Deshalb tun wir das nicht; deshalb
unterstützt die FDP-Fraktion den Ansatz der „Übergabe
der Verantwortung“. Wir stellen uns dieser Aufgabe. Die
Fraktion wird heute mit sehr großer Mehrheit dem Mandat zustimmen.
Vielen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das ist kein ganz gewöhnlicher Tag für das Parlament, und das ist keine ganz einfache Entscheidung
auch und gerade für die SPD-Fraktion hier im Deutschen
Bundestag. Wenn ich gleichwohl meiner Fraktion die
Zustimmung zum Mandat empfohlen habe, dann tue
ich dies in der Verantwortung für die Menschen in
Afghanistan; wir stimmen zu, weil wir nach acht Jahren
des Aufenthalts deutscher Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan
({0})
die Weichen für die Beendigung dieses Einsatzes stellen
müssen und auch weil, meine Damen und Herren von
der Linkspartei, die Beendigung eines solchen Einsatzes
vorbereitet werden muss, damit - auch das ist eine Frage
der Sicherheit deutscher Soldaten - kein kopfloser Wettbewerb der Streitkräfte einsetzt,
({1})
die gegenwärtig ihren Dienst in Afghanistan tun.
({2})
Es geht heute um einen Perspektivenwechsel. Es
geht einerseits um die Sicherung des Erreichten, andererseits um die Ertüchtigung der afghanischen Staatlichkeit, aber auch - darauf kommt es mir an - um die Vorbereitung der Beendigung unserer militärischen Präsenz
dort. Weil es darum geht, missverstehen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, die Haltung der
SPD nicht! Das ist kein Vertrauensvorschuss für diese
Regierung. Den haben Sie sich leider in den ersten
120 Tagen Ihrer Amtszeit nicht verdient.
({3})
Gerade weil wir unsere Haltung nicht von Ihren Vorschlägen abhängig machen wollten, haben wir an unseren eigenen Vorstellungen gearbeitet, fußend auf einem
Zehnpunkteplan vom September des vergangenen Jahres, die im Verlaufe der ersten zwei Monate dieses Jahres
mit nationalen und internationalen Experten, mit NGOs,
mit Kirchen und mit vielen anderen diskutiert wurden.
Der Weg, den wir danach beschrieben haben, ist klar:
keine zusätzlichen Kampftruppen, Verdoppelung der finanziellen Mittel für den zivilen Wiederaufbau, deutlich
mehr Anstrengung für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, Übergabe von beruhigten Regionen an
die afghanische Staatlichkeit und parallel dazu ab 2011
Beginn des Abzugs deutscher Soldatinnen und Soldaten
aus Afghanistan. Und wir haben hinzugefügt: In einem
Korridor zwischen 2013 und 2015 soll der militärische
Teil dieses Einsatzes, dieses Engagements zu Ende kommen.
({4})
Wir haben gesehen - das begrüßen wir -, dass viele
dieser Forderungen in dem von der Bundesregierung
vorgelegten Mandatsantrag enthalten sind. Entscheidend
ist für uns, dass der Perspektivenwechsel vom Daueraufenthalt deutscher Streitkräfte in Afghanistan hin zur
Beendigung des Militäreinsatzes im Mandatsantrag
aufgenommen ist. Das sind die entscheidenden Gründe,
weshalb wir nach gründlicher Prüfung diesen Antrag unterstützen können. Es bleiben - das will ich nicht verhehlen - kritische Fragen, viele kritische Fragen. Wir haben sie in der Partei und der Fraktion diskutiert, und wir
haben hart gerungen, bevor wir uns abschließend entschieden haben. Wenn es kritische Stimmen gab - auch
das will ich nicht verhehlen -, dann betrafen sie nicht
Zweifel an denjenigen, die in Afghanistan unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst tun: Polizisten, zivile
Wiederaufbauhelfer, Soldaten und Diplomaten. An denen zweifeln wir nicht. Deshalb danken wir ihnen zunächst einmal an dieser Stelle.
({5})
Die Kritik und die Zweifel, die es gegeben hat und über
die wir diskutiert haben, haben einen anderen Grund. Es
sind Zweifel an der Führungsfähigkeit der Bundesregierung nach einem Dauerstreit, den wir seit 120 Tagen erleben, auch nach Vorgängen, die hier im Parlament
eine Rolle gespielt haben, Herr zu Guttenberg, bei denen
es um völlig unterschiedliche Bewertungen über einen
Einsatz am Kunduz-Fluss ging, und nach manchem
leichtfertigen Gerede, das hier über Krieg oder Nichtkrieg in Afghanistan stattgefunden hat.
Deshalb - ich wiederhole es - ist dies keine leichte
Entscheidung, gerade für uns nicht. Es geht hier nicht
um Leistungen oder Fehlleistungen der Bundesregierung, sondern um die Menschen in Afghanistan und um
unsere Sicherheit. Weil Sie im Kern den Weg eingeschlagen haben, den wir beschrieben haben und für richtig halten, haben Sie in diesem Falle heute unsere Unterstützung. Aber gleichzeitig ist klar: Das ist kein
Freibrief. Das ist ein Mandat für zwölf Monate. Wir werden sehr genau verfolgen, ob Sie die heute gemachten
Zusagen einhalten und im nächsten Jahr, in den nächsten
zwölf Monaten, die Weichen für einen schrittweise erfolgenden Abzug ab 2011 und dann anschließend für eine
Vorbereitung auf die Beendigung des militärischen Einsatzes, wie im Mandat beschrieben, stellen. Diese Abzugsperspektive ist für uns entscheidend.
({6})
Wir sind nicht von allem überzeugt. Wir sagen: Die
Abzugsperspektive ist das Zentrale; deshalb tragen wir
die Erhöhung des Kontingentes mit.
({7})
- Sie sind eben nicht fähig, sich für Prioritäten zu entscheiden. - Wir tragen wegen der Abzugsperspektive die
Erhöhung des Kontingentes mit. Wir sind aber nicht restlos überzeugt - das haben Sie in den Gesprächen gespürt von der Größenordnung der flexiblen Reserve. Deshalb
erwarten wir, dass in den Ausschüssen in jedem Fall eines Einsatzes aus der Reserve ausführlich dargelegt
wird, dass er zeitlich begrenzt und zu vorübergehenden
Zwecken stattfindet und nur unter diesen Voraussetzungen Soldaten in Richtung Afghanistan geschickt werden.
Herr zu Guttenberg, Herr Westerwelle, wir werden
Sie an Ihren Taten messen,
({8})
wenn wir in zwölf Monaten über eine Verlängerung dieses Einsatzes zu entscheiden haben.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlamentarier sollten es dabei für heute nicht bewenden lassen,
sondern das, was in diesem Mandat beschrieben ist und
sich mit unseren Vorstellungen von der Weiterführung
und Beendigung unseres Einsatzes dort verbindet, in den
nächsten zwölf Monaten und darüber hinaus gründlich
und kritisch unter die Lupe nehmen.
({10})
Deshalb ist mein Vorschlag, dass wir aus der Mitte des
Parlaments den Auftrag erteilen, den Afghanistan-Einsatz einer systematischen und regelmäßigen Untersuchung zu unterziehen. Wir von der SPD-Fraktion werden
Ihnen allen dazu einen Vorschlag unterbreiten. Ich würde
mich freuen - das darf ich Ihnen zum Abschluss sagen -,
wenn wir einen solchen Vorschlag der SPD zu einer Untersuchung mit einem gemeinsamen parlamentarischen
Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag unterstützen könnten.
Herzlichen Dank Ihnen allen.
({11})
Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Mandat, das wir heute debattieren, ist das
Ergebnis einer umfassenden Überprüfung und Neuausrichtung unserer Anstrengungen in Afghanistan.
Deutschland wird seine Hilfe für den zivilen Aufbau verdoppeln und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte erheblich verstärken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt dies nachdrücklich; denn nur
so werden wir - vielleicht schon in diesem Jahr - mit
dem Prozess der Übergabe in Verantwortung an die afghanische Regierung beginnen können.
Die Londoner Konferenz vom 28. Januar 2010 hat
den richtigen Strategiewechsel gebracht. Dass dies erreicht wurde, hat allerdings viel damit zu tun, dass die
Bundeskanzlerin im August letzten Jahres diese Konferenz initiiert und das Konzept der Übergabe in Verantwortung geprägt hat. Dafür danken wir ihr nachdrücklich.
({0})
Jetzt ist der Einstieg in eine schrittweise Übergabe der
Verantwortung für Wiederaufbau und Sicherheit in
afghanische Hände schon ab diesem Jahr vereinbart. Dafür wird die internationale Gemeinschaft die zivile Hilfe
verstärken und den Aufbau der afghanischen Sicherheitsorgane forcieren. Gemeinsam mit der afghanischen
Regierung - das ist das Entscheidende - wurden die
Zielmarken gesetzt. Die Zahl der Soldaten und Polizisten soll von derzeit knapp 200 000 auf über 300 000 anwachsen, damit die afghanische Regierung ihr Ziel erreichen kann, bis 2014 selbstständig für Sicherheit in
Afghanistan sorgen zu können. Wir haben in London
also die Grundlage für eine Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten geschaffen. Ja, der Einsatz dauert länger, und er ist schwieriger, als wir zu Beginn, vor gut acht Jahren, gedacht haben. Doch mit der
Umsetzung der Londoner Strategie haben wir die
Chance, in einzelnen Distrikten in unserem Verantwortungsbereich in Nordafghanistan mit der Übergabe der
Verantwortung Anfang 2011 zu beginnen und dann nicht
mehr benötigte Fähigkeiten zu reduzieren. Das ist die
Perspektive für den Beginn des Abzugs.
Beendet werden kann der ISAF-Einsatz, wenn in
Afghanistan eine selbsttragende Stabilität und eine
selbsttragende Sicherheit geschaffen sind, das heißt,
wenn von Afghanistan keine Gefährdung mehr für die
internationale Gemeinschaft ausgeht. Wir würden unseren eigenen Anstrengungen, unserer eigenen Sicherheit
schaden, wenn wir vorzeitig abziehen würden. Afghanistan darf nicht wieder zu einem gescheiterten Staat werden, von dem aus Terroristen gegen uns agieren können.
({1})
Doch unser verstärktes Engagement in Afghanistan
kann nur dann erfolgreich sein, wenn auch die afghanische Regierung ihre Hausaufgaben macht. Sie muss die
in London eingegangenen Verpflichtungen zügig und
mit Nachdruck umsetzen. Wir erwarten, dass sie konsequenter und nachhaltiger als bisher Defizite hinsichtlich
verantwortungsvoller Regierungsführung, Bekämpfung
von Drogen und Korruption sowie Schutz der Menschenrechte angeht. Nur so kann sie das Vertrauen der
afghanischen Bevölkerung in ihre eigene Regierung stärken. Die Einrichtung von Antikorruptionsbehörden in
der Regierung sowie einer Antikorruptionseinheit beim
afghanischen Staatsanwalt sind richtige Maßnahmen.
Doch nun ist auch konkretes Handeln gefragt. Die afghanische Regierung muss ihrer Bevölkerung jetzt beweisen, dass ihre eigene Regierung für spürbare Verbesserungen in ihrem Leben sorgt. In diesem Kontext ist es
nicht hinnehmbar, dass der afghanische Präsident den
Vereinten Nationen das Vorschlagsrecht für die Leitung
der Wahlbeschwerdekommission entzogen hat. Die
Überparteilichkeit der Wahlbeschwerdekommission
muss sichergestellt werden.
({2})
Ein wichtiger, ebenfalls in London vereinbarter Ansatz ist das von der afghanischen Regierung eigenverantwortlich durchgeführte Wiedereingliederungsprogramm, das bereits in der Kritik steht, bevor es
überhaupt erste Ergebnisse zeigen kann. Die Terroristen
von al-Qaida und der Taliban sind zweifellos keine irregeleiteten Idealisten, die durch Dialog von ihrem Weg
abgebracht werden könnten. Sie sind entschlossene Fanatiker, die ihre Gewaltherrschaft wiederherstellen wollen. Es wäre naiv, zu glauben, dass die Extremisten die
Verfassung, die sie heute bekämpfen, jemals anerkennen
werden.
Doch darum geht es in diesem Programm nicht. Wir
wollen die Mitläufer unter den Aufständischen erreichen, die aus rein finanziellen und wirtschaftlichen
Gründen auf der falschen Seite stehen. Ihnen soll die
Chance eröffnet werden, die Waffen niederzulegen, die
Gesetze zu respektieren und am Wiederaufbau mitzuwirken. Es muss aber sichergestellt sein, dass der Mitteleinsatz wirksam, transparent und nachhaltig ist. Es dürfen
keine finanziellen Vorleistungen erfolgen, sondern es
dürfen mit diesen Geldern nur bezahlte Arbeit und Ausbildungen ermöglicht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unseren Verantwortungsbereich im Norden haben wir uns klare Ziele
gesetzt, um eine selbsttragende Sicherheit zu erreichen. In den nächsten vier Jahren sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass unsere militärische Präsenz schrittweise zurückgeführt werden kann. Die
Aufstockung auf 1 400 statt bisher 280 deutsche Kräfte
für die Ausbildung afghanischer Soldaten verdeutlicht
unsere Entschlossenheit dazu. Das gilt auch für die Forcierung unserer Ausbildung von afghanischen Polizisten, von denen wir bis 2012 15 000 einsatzfähig machen
wollen. Je intensiver wir uns diesen Aufgaben jetzt widmen, desto früher können wir mit dem Abzug unserer eigenen Soldaten beginnen. Deshalb stocken wir die Zahl
unserer Soldaten in Afghanistan vorübergehend um
500 Soldaten auf.
Lieber Herr Kollege Steinmeier, um es noch einmal
deutlich zu sagen: Entscheidender Maßstab für die Reduzierung unseres Engagements kann jedoch kein konkretes Abzugsdatum sein, sondern es geht um Wegmarken für die Übergabe der Verantwortung, bei deren
Erreichen ein Reduzierungsschritt erfolgen kann. Eine
schrittweise Reduzierung der militärischen Präsenz ist
zwingend an Fortschritte beim zivilen Aufbau und beim
Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte gekoppelt.
Deshalb investieren wir nicht nur in unsere Ausbildungsbemühungen, sondern verdoppeln auch unsere jährlichen Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan auf
430 Millionen Euro. Zögen wir vorzeitig oder gar überstürzt ab, würden wir das bisher Erreichte verspielen.
Unsere Soldaten und Entwicklungshelfer haben in den
letzten Jahren Großes geleistet und viel erreicht. Ihnen
gebührt unser Dank und unsere Anerkennung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Afghanistan
herrscht ein bewaffneter Konflikt, auch im deutschen
Verantwortungsbereich im Norden. Verteidigungsminister zu Guttenberg hat dies frühzeitig benannt, und
Außenminister Westerwelle hat dies bekräftigt und zur
Position der Bundesregierung gemacht. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen Rechtssicherheit und Klarheit für ihren Einsatz. Die Neubewertung durch die Bundesregierung hat dafür ein eindeutiges politisches Signal
gesetzt.
({3})
Für die Bundesregierung sind für den Einsatz der
Bundeswehr in Afghanistan die Regeln des humanitären Völkerrechts maßgebend und nicht das deutsche
Strafrecht. Die einschlägigen Rechtsnormen aus den
Genfer Abkommen und Zusatzprotokollen, etwa zum
Waffeneinsatz gegen gegnerische Kämpfer, zum Schutz
der Zivilbevölkerung und zur Vermeidung ziviler Opfer,
sind im Einsatz zu beachten. Diesen Anforderungen
müssen auch die nationalen militärischen Einsatzregeln,
Operationspläne und Taschenkarten Rechnung tragen.
Damit findet die Realität in Afghanistan Eingang in die
politische Bewertung. Das ist konsequent und stärkt die
Glaubwürdigkeit der Politik bei den Soldaten im Einsatz.
Aus der Neubewertung der Lage in Afghanistan ergibt sich keine Veränderung der Einsatzgrundlagen der
deutschen Polizisten von Bund und Ländern. Die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom Juni und Dezember 2009, wonach der Einsatz von Polizeibeamten in
Afghanistan nur in einem militärisch gesicherten Umfeld
möglich ist, haben unverändert Bestand.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion
wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, weil
er die Übergabe der Verantwortung in afghanische
Hände befördert und eine Abzugsperspektive für unsere
Soldatinnen und Soldaten eröffnet.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die überwiegende
Mehrheit der SPD-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung ebenfalls zustimmen wird.
({4})
Wir fordern auch die Fraktion der Grünen auf, ihrer politischen Verantwortung nachzukommen und diesem zukunftsfähigen Mandat zuzustimmen, um dem Einsatz
unserer Soldatinnen und Soldaten die breite parlamentarische Legitimation zu geben, die er verdient.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Buchholz
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will heute noch mehr Soldaten nach Afghanistan senden, angeblich, um die Sicherheit dort aufrechtzuerhalten. Sie meint damit aber die militärische
Absicherung der Regierung Karzai. Ich war mit meinem
Fraktionskollegen Jan van Aken vor vier Wochen in
Afghanistan. In jedem Gespräch, das wir mit Afghaninnen und Afghanen führten, spürten wir die Verachtung
für diese Regierung. Das liegt daran, dass sie korrupt ist,
dass in ihr die Warlords der vergangenen Kriege sitzen
und dass es nach acht Jahren keine nennenswerten Verbesserungen der Lage der Bevölkerung gegeben hat.
({0})
Ohne die Unterstützung der NATO-Staaten wäre diese
Regierung nichts.
({1})
Die Bundesregierung sagt, sie wolle die Bevölkerung
schützen. ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal fordert, zivile Opfer zu vermeiden. Aber der Aufstand gegen die Regierung Karzai und die ausländischen Truppen hat eine breite Unterstützung in der afghanischen
Bevölkerung. Die Aufständischen, die Sie bekämpfen,
sind Teil der Bevölkerung. Die Aufständischen sind
auch Zivilisten. Ein Zivilist erscheint den Soldaten als
potenzieller Aufständischer.
({2})
Das heißt, militärische Aufstandsbekämpfung und
Schutz der Bevölkerung sind unvereinbar.
({3})
Der Leiter der Stability Division im ISAF-Hauptquartier erklärte uns, dass das Ziel der Aufstandsbekämpfung eine starke zivile Komponente brauche. Er berief
sich dabei auf die Forderung von McChrystal, dass
40 Prozent der Arbeit von ISAF der Wiederaufbau sein
muss. Aber ob die zivile Komponente nun 20, 40 oder
60 Prozent beträgt: Solange die zivile Hilfe dem Ziel der
militärischen Aufstandsbekämpfung untergeordnet ist,
wird sie niemals in der Lage sein, die Lebensbedingungen der Afghanen zu verbessern.
({4})
Der Krieg wird weitergehen. Weitere Menschen werden getötet werden. Für das vergangene Jahr zählte die
UNO 2 140 unbewaffnete Todesopfer, darunter 346 Kinder, Tendenz steigend. Die Bombardierung der Tanklaster bei Kunduz am 4. September wird leider nicht die
letzte dieser Art bleiben, wenn Sie heute das neue Mandat beschließen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie nicht
bereit sind, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen.
({5})
Wir haben uns in Afghanistan mit Opfern des Bombenangriffs vom 4. September getroffen. Das war für
uns eine Selbstverständlichkeit; denn wir wollten wissen, was die Bombardierung für sie und ihr Leben bedeutet.
Da ist Noor Djan, 26 Jahre alt. Er hat drei Kinder,
seine Frau ist hochschwanger, und sie haben kein Geld.
Er hat bis wenige Tage vor der Bombardierung in einer
Plastikfabrik im Iran gearbeitet, weil er in Afghanistan
nicht genug Geld verdienen kann. Die Explosion hat seinen rechten Arm abgerissen. Im Krankenhaus wurde er
wieder angenäht, aber die Hand ist verloren und der Arm
nicht mehr zu gebrauchen. Er hat ständig Schmerzen,
kann nicht mehr schlafen, und er kann nicht mehr für
seine Familie sorgen. Er sagte uns: Jeden Tag wünsche
ich mir, ich wäre getötet worden. - Was glauben Sie, was
Noor Djan denkt, wenn Sie sagen, Sie wollen seine Sicherheitssituation verbessern?
91 Frauen sind durch den Angriff zu Witwen geworden. Die meisten von ihnen sind nun von Almosen abhängig. Von Almosen lebt auch Leila. Ihre beiden jugendlichen Söhne wurden getötet. Der eine hat sich um
das Feld gekümmert, der andere um die Kuh. Nun muss
sie sehen, wie sie ihre kleinen Töchter über die Runden
bekommt. Was glauben Sie, was diese Frauen davon halten, wenn hier argumentiert wird, dass man den Frauen
in Afghanistan helfen möchte?
Bulbul konnte ihre drei kleinen Enkel nicht davon abhalten, mit den anderen zum Fluss zu laufen. Sie saß mir
mit Tränen in den Augen gegenüber und meinte, dass sie
im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens die Überreste ihrer Enkel gebracht bekommen hat, um sie beerdigen zu können.
Die Begegnung mit den Hinterbliebenen hat mir deutlich gemacht - ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht -:
Deutschland ist an einem Krieg gegen die einfache Bevölkerung in Afghanistan beteiligt.
({6})
Ich spreche jetzt besonders die Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen an: Wenn Sie die Entscheidung über das neue Mandat treffen, denken Sie daran: Wie auch immer Sie den Krieg rechtfertigen, Sie
entscheiden heute über Leben und Tod.
({7})
Ich bitte Sie, unverzüglich die Spruchbänder herunterzunehmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
({0})
Ich schließe alle Kollegen der Fraktion, die dieser Aufforderung nicht gefolgt sind, hiermit vom weiteren Verlauf der Sitzung aus.
({1})
Ich bitte Sie nunmehr, den Plenarsaal zu verlassen.
({2})
Ich fordere Sie jetzt noch einmal auf, den Saal zu verlassen, weil Sie vom weiteren Verlauf dieser Sitzung
ausgeschlossen sind. Ich vermute, dass mindestens die
Parlamentarischen Geschäftsführer eine hinreichende
Kenntnis der Regelungen unserer Geschäftsordnung haben, zumal das bei vergleichbaren Situationen im Ältestenrat immer als hoffentlich ernst gemeinte Positionierung vorgetragen worden ist.
({3})
Ansonsten muss ich auf die weiteren Konsequenzen aufmerksam machen, die sich ergeben, wenn Sie dieser
Aufforderung nicht folgen.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
als Erstes sagen: Es hätte mir bedeutend besser gefallen
- und dies ist keine Kritik am Präsidenten -, wenn wir
nicht in dieser Situation gelandet wären, den weiteren
Teil der Debatte ohne eine Fraktion führen zu müssen.
Ich glaube, dass es dem Thema angemessen gewesen
wäre, in dieser Situation nicht zu landen,
({0})
weil ich eben auch der Fraktion der Linken am Ende
doch zutraue, bei dem Thema mit ihrer Entscheidung zu
ringen.
({1})
- Solange ich hier bin, werde ich von allen über
600 MdBs immer denken, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst ist.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht
um die zivile Aufbau- und Abzugsperspektive für die
nächsten Jahre für Afghanistan. Ich sage Ihnen hier:
Meine Fraktion wird dem Mandat mehrheitlich nicht zustimmen.
({3})
Ich will Ihnen erklären, warum: auf alle Fälle aufgrund eines Mangels an Führung, aufgrund eines Mangels an Systematik. Wir haben als grüne Fraktion hier
wiederholt den Antrag gestellt, den bisherigen Einsatz
zu evaluieren. Ich freue mich, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank Steinmeier, diesen Vorschlag hier
jetzt auch gemacht hat. Ich glaube, dass man nach solchen Einsätzen eine Evaluierung, eine von Dritten gemachte Analyse braucht, die folgende Fragen beantwortet: Was hat funktioniert? Wo sind eigentlich Mängel?
Vielleicht kommen wir jetzt dahin.
Zu dem Inhalt der Vorlage, über die wir heute abzustimmen haben, will ich einige Worte sagen: Wir alle haben darauf gewartet, dass es endlich eine Aufbau- und
Abzugsperspektive gibt. Wir haben durchaus sehnsüchtig auf die Londoner Konferenz gewartet, wo es lange
Zeit eine, ich sage es einmal so, schlechte Vorbereitung
gab. Wir haben darauf gehofft, dass das, was es an neuer
Strategie seitens der USA mit dem neuen US-Präsidenten und an neuer Prioritätensetzung, zumindest verbal, in
der Regierungserklärung von Hamid Karzai gab, auch
eine europäische und deutsche Handschrift bekommt.
Ich muss Ihnen allerdings sagen: Die Bewertung des
Kurses, den Sie uns hier vorlegen, ist bei uns mindestens
ambivalent. Ja, es gibt einige positive Entwicklungen
vor Ort. Die positive Entwicklung mag auch sein, dass
die Haushaltsmittel für die zivile Hilfe aufgestockt werden sollen. Aber ich sehe es noch nicht. Ich sehe das Wie
noch nicht. Wir freuen uns, dass es bei vielem Schatten
auch an manchen Stellen Licht gibt, dass es verstärkte
Bemühungen um regionale Lösungen geben soll und
dass es diese Verständigung auf eine Aufbau- und Abzugsperspektive gibt. Aber die bloßen verbalen Aussagen und Zusagen haben faktisch noch nichts verändert.
Allein das Rezept „mehr Geld“ reicht nicht.
({4})
Jetzt wäre entscheidend, zu einer besseren Verwendung der Mittel und einer ordentlichen Koordinierung zu
kommen. Aber das, was Sie bisher vorlegen, ist anspruchslos. Es stellt sich die Frage, wie eine Ausbildung
mit dem Ziel, auf 134 000 afghanische Polizisten aufzustocken, überhaupt vonstatten gehen soll. Da ist ein großes Loch. Es gibt auch Fragen zur Selbstverpflichtung
der afghanischen Partner: Wie soll eigentlich der Versöhnungskurs gestaltet werden? Niemand will behaupten, dass jemand freiwillig aus der Situation der Schwäche verhandelt, aber wo sind eigentlich die roten Linien
in dieser Verhandlungssituation aufgezeigt? Ich sehe sie
nicht. Wo wurde durch die internationalen Staaten gegenüber der afghanischen Regierung ausreichend klar
festgelegt, dass die Geltung der universellen Menschen2188
rechte, insbesondere der Rechte der Frauen, absolute
Priorität hat? Das ist nirgendwo festgelegt.
({5})
Wo ist das Konzept für die Aufstockung der finanziellen Mittel auf 430 Millionen Euro? Wo ist eigentlich
der Inhalt dazu? Solche Mittelsteigerungen verlangen
doch, dass es strukturelle und personelle Vorsorge gibt,
damit die Mittel zielgerichtet bei den Menschen ankommen und es nicht nur mehr Korruption gibt. Wo ist eigentlich die Sicherstellung, dass es in Zukunft bei der öffentlichen Auftragsvergabe korrekt zugeht, dass die
Soldaten und Polizisten Afghanistans tatsächlich ihren
Lohn bekommen und dass die Mittel nicht durch Korruption versickern? Wo ist auch nur der Hauch eines Ansatzes, dies systematisch zu bearbeiten? Ich sehe ihn
nicht.
Wenn ich auf das Auswärtige Amt und das BMZ
schaue, dann sehe ich, dass von Herrn Niebel viel von
vernetzter Sicherheit geredet wird; ich bezeichne es einmal so, um nett zu sein. Aber wo ist eigentlich das vernetzte Konzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und des Auswärtigen Amtes? Nicht
einmal das haben Sie hingekriegt. Sie reden über regionale Entwicklung, über landwirtschaftliche Entwicklung. Auf alle Fragen, die wir gestellt haben, wie eine
solche Art landwirtschaftlicher Entwicklung eigentlich
funktionieren soll, haben wir null Antwort bekommen.
Mit welchen internationalen Fachleuten und Organisationen haben Sie sich zusammengesetzt, um über den
Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, landwirtschaftlicher
Ausbildung, Verarbeitung, Lagerung und Hygiene auch
nur ansatzweise zu sprechen? Nichts, meine Damen und
Herren.
Ich komme zur Polizeiausbildung. Sie rühmen sich
einer größeren Ausbildungstätigkeit, und am Ende sind
es faktisch nur 80 zusätzliche Soldaten.
({6})
- Entschuldigung, danke. Der Innenminister hört zu.
({7})
80 zusätzliche Polizisten.
Herr Westerwelle hat der Kanzlerin versprochen, hier
vom bewaffneten Konflikt zu reden, aber wo ist jetzt eigentlich die Antwort auf die Frage, die die Deutsche
Polizeigewerkschaft stellt? Sie fragt: Wenn es ein bewaffneter Konflikt ist, was ist an der Stelle eigentlich die
Rechtsgrundlage für die Tätigkeit von Polizeibeamten?
Auch dort ist ein großes Loch. Wo ist Ihre Antwort? Sie
wollen von uns, dass wir 850 Soldaten mehr, 500 für die
Ausbildung und 350 in Reserve, nach Afghanistan schicken, dass wir Ihnen dafür ein Mandat geben. Unsere
Frage lautet immer noch: Könnte man nicht mehr umschichten, zum Beispiel bei den Tornados? Das könnte
einiges an Personal bringen. Unsere Frage ist auch: Warum sollen wir Ihnen eigentlich eine Reserve von
350 Soldaten zugestehen und für was? Hatten wir diese
Reserve nicht schon einmal im Mandat für die Durchführung von Wahlen, und stecken sie da nicht immer
noch drin? Meine Damen und Herren, Sie schweigen bei
der Frage: Kommen noch AWACS-Einsätze und damit
300 weitere Soldaten hinzu? Ich kann Ihnen sagen: Damit wäre ich mit meinen Fragen noch nicht am Ende.
Das Partnering-Konzept zwischen den internationalen
Soldaten, also auch den deutschen, und den afghanischen Soldaten erhöht die Gefahr für die deutschen Soldaten, die vor Ort im Einsatz sind. Sie haben angesichts
der gestiegenen Gefahr weder hier noch irgendwo anders
bisher gesagt, wie dieses Partnering-Konzept eigentlich
konkret aussehen soll. Sie erwarten von uns, dass wir
Vertrauen in die Arbeit des Bundeskanzleramtes, des
Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums
haben. Aber nach diesen Vorlagen und den Vorfällen am
Kunduz-Fluss können wir dieses Vertrauen nicht aufbringen.
({8})
Die Aufstockung des Bundeswehrkontingents wird von
uns mehrheitlich als nicht akzeptabel bezeichnet.
Ich sage Ihnen in aller Ruhe: Dieses Mandat zeigt,
dass der verantwortliche Außenminister seine Zeit in
den letzten Wochen falsch verbracht hat.
({9})
Herr Westerwelle, ich sage Ihnen: Statt für innenpolitische Kracher zu sorgen, wäre hier Ihr diplomatisches
Aufgabenfeld gewesen.
({10})
Wenn wir alle überzeugt sind, dass es hier um internationale Sicherheit geht, dass wir verhindern müssen, dass
dieser große Raum wieder zum Ausbildungsfeld für den
Terrorismus wird, und wenn es uns darum geht, den
Afghaninnen und Afghanen dabei zu helfen, einen demokratischen Staat aufzubauen, dann sage ich Ihnen:
Die letzten Wochen hätten für Sie Zeiten sein müssen, in
denen Sie 80 Stunden in der Woche an diesem Thema arbeiten und nicht an anderen Themen.
Ich will Ihnen sagen, was noch fehlt: Es wäre zum
Beispiel Ihre Aufgabe und die Aufgabe der Diplomaten
gewesen, eine regionale Sicherheitsstrategie für den gesamten großen Raum zu entwickeln. Da ist eine Konferenz in Istanbul, von anderen initiiert. Wo sind Ihre Aktivitäten? Wir bräuchten jetzt einen Beschluss des UNSicherheitsrates, der von Deutschland mit initiiert werden und die deutsche Handschrift tragen müsste, in dem
eine quasiöffentliche, offizielle Aufforderung an die
afghanische Regierung formuliert würde, in Afghanistan
mit zu verhandeln, damit klar ist, dass auch die USA,
Russland und andere diese Verhandlungen tragen.
({11})
Wir bräuchten einen Beschluss des Sicherheitsrates,
der erlaubt, Personen von der Terrorliste herunterzunehmen; das ist Voraussetzung für solche Verhandlungen
und Gespräche. Wir bräuchten die Erklärung der NATO,
Afghanistans und Pakistans, dass man tatsächlich die Sicherheit der Demobilisierten, derer, die überlaufen, gaRenate Künast
rantiert, während der Verhandlungen und nach möglicherweise erfolgreichen Verhandlungen. Wir bräuchten
eine Debatte über eine legale Partei für die Taliban - das
heißt ja „Schüler“, nicht „gewalttätig“ -, damit sie am
politischen Prozess teilnehmen können. Wir bräuchten
die Definition eines neutralen Ortes für die Verhandlungen. Wir bräuchten den Entwurf eines Rückkehrerprogramms. Nichts von alledem haben Sie, Herr Außenminister, und Sie, Frau Merkel, vorgelegt.
({12})
Ich sage an dieser Stelle - mein letzter Satz -: In diesem Mandat finden sich einige schöne Worte. Der zivile
Teil ist darin aber überhaupt nicht erwähnt. Herr
Westerwelle hat uns hier einmal erzählt, nach London
würde er nicht fahren, wenn dies faktisch nur eine Truppenstellerkonferenz ist. Was legen Sie uns heute vor? Ich
komme mir hier und heute faktisch wie auf einer Truppenstellerkonferenz vor,
({13})
weil Sie uns heute nur das vorlegen; alles andere, meine
Damen und Herren, sind Worte. Taten sehen wir noch
nicht, weder was die konkrete Umsetzung und die Vorlage des zivilen Teils angeht noch auf der Ebene der Diplomatie. Mit Ihrer Vorlage machen Sie es den Mitgliedern dieses Hauses extrem schwer, mit Ja zu stimmen.
({14})
Wir schätzen und respektieren die Arbeit der Entwicklungshelfer, der internationalen Organisationen, der
Polizisten und der Soldaten; denn die setzen dort ihr Leben ein. Wir haben die Bereitschaft - ich will sie hier erklären -, ernsthaft an Konzepten zu arbeiten, mit denen
man das umsetzen kann. Aber diesem Mandat werden
wir mehrheitlich nicht zustimmen.
({15})
Der Kollege Ströbele hat um eine Kurzintervention
gebeten.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich fühle mich in dieser Situation hier und heute und jetzt mehr und mehr unwohl. Wir diskutieren hier ein ernstes Thema, nämlich
die Kriegführung Deutschlands in Afghanistan. Wir wissen, dass der Deutsche Bundestag eine Entscheidung gegen die riesengroße Mehrheit der Bevölkerung fällen
wird. Gegen die ganz große Mehrheit der Bevölkerung
werden wieder Bundeswehrsoldaten für ein Jahr in den
Krieg nach Afghanistan geschickt.
Eine Fraktion im Deutschen Bundestag stellt sich
hierhin und hält Schilder hoch, auf denen die Namen der
Opfer der Bombardierung vom 4. September vergangenen Jahres stehen. Sie hat nicht randaliert, sie war auch
nicht laut, sondern sie hat Schilder hochgehalten, auf denen die Namen der Personen, die dort Opfer gewesen
sind, zu lesen sind.
({0})
Ich selber war mit den Kollegen in Afghanistan. Auch
ich habe mit den Überlebenden und den Angehörigen
der Opfer geredet. Ich stelle mir vor, in Afghanistan wird
sich herumsprechen - das steht dann vielleicht in der
Zeitung -, dass im Deutschen Bundestag Abgeordnete,
die Schilder mit Namen der Personen, die auf deutschen
Befehl hin getötet worden sind, hochgehalten haben, aus
dem Saal geworfen worden sind.
Ich möchte das nicht.
({1})
Ich finde, es wäre ein völlig falsches Signal nach Afghanistan und in die Welt, wie wir mit den Opfern von
Krieg, für den wir, die Abgeordneten und Deutschland,
verantwortlich sind, umgehen.
({2})
Deshalb, Herr Präsident, bitte ich Sie, Ihre Entscheidung
zu überprüfen. Ich möchte anregen, dass sich die Fraktionen überlegen, ob wir weiter ohne die Fraktion der
Linken diskutieren, ob wir diesen Punkt der Diskussion
aus unserer Debatte heraushalten wollen, wobei wir davon ausgehen, dass das, was sie getan hat, keinerlei
nachhaltige Störung der Parlamentssitzung gewesen ist
und wahrscheinlich dem Willen und dem Wunsch einer
großen Mehrheit in dieser Bevölkerung sehr nahekommt.
({3})
Herr Präsident, so weiter zu verhandeln, halte ich für unwürdig.
Herr Kollege Ströbele, ich hätte diese Wortmeldung
nach den Usancen des Hauses nicht zulassen müssen.
Ich habe sie zugelassen, weil ich die Ernsthaftigkeit Ihres Motivs anerkenne und ich die Situation natürlich
auch alles andere als routinehaft empfinde. Aber ich mache Sie auf drei Dinge aufmerksam.
Erstens. Wir haben unter allen Fraktionen des Hauses
- unter allen Fraktionen - völliges Einvernehmen in der
Einschätzung der Frage, dass Demonstrationen im Plenarsaal mit der Ordnung des Hauses unvereinbar sind.
({0})
Zweitens. Wir haben bei mehreren vergleichbaren
Vorgängen wiederholt die Erklärung der Fraktionsführung der Linken im Ältestenrat zu Protokoll genommen,
dass diese Aktionen von der Fraktionsführung weder ge2190
Präsident Dr. Norbert Lammert
plant noch in Kenntnis der Fraktionsführung durchgeführt worden seien.
Drittens. Ich habe mit Zustimmung aller Mitglieder
des Ältestenrates bei einem dieser letzten Vorgänge angekündigt, dass ich im Wiederholungsfall die entsprechenden Kollegen von der Sitzung ausschließen werde.
Das Vorgehen ist unter Berücksichtigung unserer Geschäftsordnung und der Übereinkunft aller Fraktionen
des Hauses alternativlos.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass
niemand angesichts der Ereignisse ein besonders gutes
Gefühl hat.
Ich hätte mir an dieser Stelle von den Kollegen der
Fraktion Die Linke dann aber auch gewünscht, dass sie
auch auf die zahlreichen Todesopfer hingewiesen hätten,
die Selbstmordanschläge der Taliban auf belebten Basaren, auf Marktplätzen, in Schulen, in Hotels und auf den
Straßen gefordert haben.
({0})
Ich empfinde es als einen unsäglichen Vorgang, wenn,
obwohl alle rechtsstaatlichen Instrumente - inklusive der
parlamentarischen Instrumente - zur Aufklärung der
Vorgänge am Kunduz-Fluss in Angriff genommen worden sind, hier versucht wird, den Eindruck zu erwecken,
als würden deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort
mal eben Zivilisten umbringen, weil sie nichts anderes
zu tun hätten.
Ich muss sagen: Die verantwortungsvolle Arbeit der
Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen, in die wir sie
hineinschicken, kann ich an dieser Stelle nur mit Bewunderung, mit Respekt und mit Hochachtung zur Kenntnis
nehmen. Ich würde mir wünschen, dass dies durch solche Aktionen nicht ständig konterkariert wird.
({1})
Frau Kollegin Künast, eigentlich sollte man nach acht
Jahren Debatte über die Mandatierung von Auslandseinsätzen voraussetzen können, dass klar ist, dass im Deutschen Bundestag keine Truppenstellerkonferenz stattfindet, sondern dass der Deutsche Bundestag, wenn er über
ein Mandat zur Entsendung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in einen Auslandseinsatz diskutiert
und dieses Mandat verabschiedet, eine Aufgabe wahrnimmt, die ihm das Parlamentsbeteiligungsgesetz zugewiesen hat. Wir tun zurzeit mit der Umsteuerung in
diesem Mandat nichts anderes, als die falschen Weichenstellungen seinerzeit auf der Petersberg-Konferenz
- auch von Außenminister Fischer unterstützt - zu korrigieren.
({2})
Wenn Sie den Text des Mandates genau lesen, insbesondere die Erläuterung, müssten Sie doch froh darüber
sein, dass wesentliche Dinge, die in der Vergangenheit
anders waren, heute in die richtige Richtung laufen: Verdoppelung der Anstrengungen für den zivilen Wiederaufbau, Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte,
eine Perspektive für den Abzug der Bundeswehr.
Herr Kollege Steinmeier, ich möchte Ihnen und Ihrer
Fraktion an dieser Stelle dafür danken, dass Sie dieses
Mandat mittragen und damit zeigen, dass innerhalb dieses Parlamentes ein breiter Konsens besteht. Vieles, was
Sie zu dieser Debatte beigetragen haben, findet sich in
dem Mandat. Sie beweisen dadurch - auch für Ihre Partei -, dass Sie dabei sind, wenn es darum geht, dass der
Deutsche Bundestag unseren Soldatinnen und Soldaten
für ihren gefährlichen Einsatz breite Rückendeckung
gibt.
({3})
Diese Rückendeckung ist genau das, was die Soldatinnen und Soldaten, aber auch ihre Familien erwarten können.
Wir schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in einen sehr gefährlichen Einsatz. Der Bundesverteidigungsminister hat zu Recht in der Öffentlichkeit darauf
hingewiesen, dass die Situation für unsere Soldatinnen
und Soldaten gefährlich wird. Deswegen kommt es darauf an, wie die Führung der Bundeswehr, wie der Generalinspekteur die Feinplanung für den Einsatz vornimmt.
Auch bin ich froh, meine Damen und Herren, dass wir
hier keinen über ein gesundes Maß hinausgehenden Aufwuchs der deutschen Truppen auf den Weg bringen. Wir
haben versucht, innerhalb des bestehenden Kontingentes
durch vernünftige Umschichtungen dazu beizutragen,
dass die Bundeswehr ihren Auftrag bei der Ausbildung
der afghanischen Sicherheitskräfte erfüllen kann. Sie
wird ihn erfüllen, wenn wir ihr die Rückendeckung nicht
verweigern. Dazu gehört, dass die Bundeswehr das richtige Material, die richtige Ausrüstung bekommt. Unsere
Soldatinnen und Soldaten brauchen Aufklärung vor Ort.
Eines ist besonders wichtig - das ist der Appell meiner
Fraktion an die Bundesregierung -: dass wir hier im Parlament über die Fortschritte beim Aufbau der Strukturen
in den Ministerien und in der Regierung unterrichtet
werden.
Die afghanische Armee wird ein Wehrpflichtmodell
einführen. Sie wird entsprechende Ausrüstung brauchen.
Die Soldaten müssen entsprechend untergebracht werden. All das sind Punkte, die wir abarbeiten müssen. InElke Hoff
sofern ist es richtig, auch hier im Parlament die Frage zu
stellen: Was haben wir erreicht? Ich bin dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dankbar dafür, dass er die von uns in der Vergangenheit immer geforderte signifikante Erhöhung der
Entwicklungsmittel umgesetzt hat, damit in Afghanistan
erfolgreiche Projekte fortgesetzt werden können.
({4})
Tun wir doch nicht so, als wäre vor Ort nichts passiert. Frau Künast, Sie haben die Frage nach landwirtschaftlichen Projekten gestellt. Wenn Sie nach Jalalabad
fahren, werden Sie hören, wie begeistert die Afghaninnen und Afghanen von dem Projekt sind, das die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit im
Forstbereich auf den Weg gebracht hat. Wir haben diese
Fähigkeiten und die entsprechenden Kapazitäten. Es ist
unsere Aufgabe, die notwendigen Mittel bereitzustellen.
Das haben wir getan. Insofern bin ich sehr froh, dass mit
der Vorlage dieses Antrags ein Richtungswechsel bei
dem Mandat stattgefunden hat, dass wir eine Abzugsperspektive haben und dass die afghanische Regierung sehr
wohl weiß, dass sie auch ihren Beitrag leisten muss.
Ich wünsche den Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und den Entwicklungshelfern viel Glück sowie
eine gesunde und vor allen Dingen glückliche Heimkehr.
Ganz herzlichen Dank.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Strässer
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist man in dieser Situation etwas ratlos, wie es
jetzt weitergehen soll. Ich hatte mich ein Stück weit darauf vorbereitet, auch mit den Kolleginnen und Kollegen
darüber zu diskutieren, die aus Gründen dieser Debatte
fernbleiben, die für mich falsch sind. Ich war und bin
sehr froh darüber, dass diese Debatte nun mit der Gesellschaft geführt wird und sich nicht immer nur von den
Themen der Mandatierung des Bundeswehreinsatzes ableitet. Meines Erachtens waren wir dort auf einem guten
Weg, auch in unserer Partei.
Frau Kollegin Hoff, dass wir uns mehrheitlich dazu
entschieden haben, diesem Mandat zuzustimmen, hat natürlich etwas damit zu tun, dass vieles von dem, was der
frühere Außenminister und der jetzige Fraktionsvorsitzende der SPD in den letzten Monaten entwickelt hat,
aufgenommen worden ist. Das macht es uns leichter.
Deshalb können wir diesem Mandat letztendlich guten
Gewissens zustimmen.
({0})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Mir ist
es nahegegangen, in diesem Raum die Schilder mit den
Opfernamen zu sehen. Eines ist doch ganz klar: Niemand von uns will solche Bilder wie nach dem KunduzVorfall sehen. Es ist gut und richtig, dass wir darüber in
diesem Hohen Hause in einer Aktuellen Stunde vernünftig und sachlich diskutiert haben; daran kann es keinen
Zweifel geben. Wenn dort Fehler gemacht worden sind
und unschuldige Zivilisten getötet worden sind, ist das
nicht hinnehmbar. Das ist völlig klar.
({1})
Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt erwähnen.
Wir wollen nicht nur diese Bilder nicht mehr sehen. Entschuldigung, Herr Kollege Ströbele; mir ist es von meinem Menschenbild her letztendlich egal, wer die Opfer
getötet hat. Für mich ist jedes Opfer einer solchen Auseinandersetzung eines zu viel. Ich persönlich - das gilt
sicherlich für uns alle - möchte auch keine Bilder mehr
von vollgepfropften Stadien mit vergewaltigten und gesteinigten Frauen sehen. Wir wollen auch keine Bilder
mehr von Taliban sehen, die auf den Straßen ihre politischen Gegner aufhängen. Das wollen wir auch nicht
mehr sehen!
({2})
Deshalb plädiere ich dafür - wir haben es uns an dieser
Stelle nicht leicht gemacht -, genau hinzuschauen, was
in dem Antrag steht, und zu prüfen, wie wir letztendlich
damit umgehen.
Wir haben in der Tat Fortschritte zu verzeichnen. Deshalb finde ich die Debatte etwas müßig, die in der Gesellschaft geführt wird, nach dem Motto: Warum beschließt ihr eigentlich schon wieder ein neues Mandat? Wir haben im Dezember 2009 mit großer Mehrheit ein
Mandat beschlossen. Kaum drei Monate später wollen
wir schon wieder ein neues Mandat beschließen. Ich
glaube, dass der Grund, warum wir das tun, auf zwei
Ebenen gut, richtig und nachvollziehbar ist. Man kann
nicht so tun, als hätte es die Afghanistan-Konferenz in
London nicht gegeben. Sie hat stattgefunden. Deutschland ist nach wie vor Bestandteil der internationalen
Staatengemeinschaft, die sich dort massiv engagiert.
Deshalb ist es vernünftig, aufgrund der Ergebnisse der
Londoner Konferenz hier erneut über dieses Mandat zu
diskutieren.
Etwas anderes finde ich genauso wichtig; auch darüber sollten wir uns im Klaren sein. Ich finde es auch
wichtig, dass es in unserer Gesellschaft eine neue und intensive Diskussion über Sinn und Zweck unseres Engagements in Afghanistan gibt. Ich will hier ganz ausdrücklich - ich tue das, obwohl ich weiß, dass das jetzt
vielleicht nicht mehr ganz angemessen ist - den Beitrag
der ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Frau
Käßmann, erwähnen, weil ich finde, dass sie damit die
Diskussion über unser Engagement in Afghanistan und
darüber hinaus in die richtige Richtung gelenkt hat. Ich
sage Danke dafür, dass das so geschehen ist.
({3})
Es wird aber auch der Versuch unternommen, bestimmte Gruppen dieser Gesellschaft - seien es die Kir2192
chen, seien es Gruppen aus der Nichtregierungsszene
und der Entwicklungshilfeszene - als Kronzeugen zu
missbrauchen. Das war eigentlich das, was ich den Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei auf den Weg
geben wollte. Man muss genau lesen und sich die
Grundlagen anschauen, beispielsweise die Denkschrift
der Evangelischen Kirche „Aus Gottes Frieden leben für gerechten Frieden sorgen“. Wenn man sich das genau
anschaut, dann erkennt man, dass die Evangelische Kirche - Frau Käßmann und andere - den Einsatz militärischer Mittel nicht grundsätzlich ablehnt, wenn es darum
geht, Freiheitsrechte, Grundrechte und andere Dinge
durchzusetzen.
({4})
Ich sage ganz klar und deutlich: Der von Ihnen beschriebene Ansatz ist nicht der derjenigen, die hier permanent
als Kronzeugen für einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan missbraucht werden.
({5})
Ich möchte noch eine andere Entwicklung darstellen.
Sie wurde noch nicht angesprochen, aber das wäre wahrscheinlich noch geschehen. Die Organisationen, die vor
Ort in Afghanistan aktiv sind und in Deutschland unter
dem Dach von VENRO zusammengefasst werden, haben sich Ende letzten Jahres zusammengesetzt - der
stellvertretende Vorsitzende, Herr Lieser, war auch auf
unserer Parteikonferenz - und haben sich dazu geäußert,
was in Afghanistan nötig ist. Sie haben eben nicht den
sofortigen Abzug der Bundeswehr gefordert, sondern sie
haben gesagt: Wir brauchen eine Exit-Strategie und einen Strategiewechsel hin zu mehr zivilem Wiederaufbau
und zu einem stärkeren Aufbau staatlicher Institutionen. Genau das versuchen wir mit der Unterstützung dieses
Antrages auf den Weg zu bringen.
({6})
An dieser Stelle zitiere ich Theo Riedke. Ich weiß
nicht, ob Sie ihn kennen. Er ist ein Mitarbeiter der Welthungerhilfe, der seit Mitte der 90er-Jahre in Afghanistan
arbeitet. Er sagt - Sie können das auf seiner Website
nachlesen -: Wir wissen, dass der internationale Einsatz,
auch der militärische, im Moment notwendig ist. Er sagt
auch - damit möchte ich auch Minister Niebel ansprechen -: Wir als Nichtregierungsorganisation, die wir an
dieser Stelle Erfahrungen haben, verzichten auf militärische Begleitung; wir wollen sie nicht. Herr Niebel, was
mir auch Probleme bereitet, ist Ihre Festlegung - das
habe ich wörtlich gehört -, dass vom BMZ in Zukunft
nur noch solche Nichtregierungsorganisationen bedacht
werden, die sich zu einer Kooperation mit der Bundeswehr bereit erklären. Das ist aus meiner Sicht eine Verkennung der Aufgabe dieser Organisationen. Das wird
mit uns nicht zu machen sein.
({7})
Ich komme zum Schluss. Herr Riedke, den ich zitiert
habe, sagt - das können Sie nachlesen; mir liegt das Zitat
vor -:
Ein sofortiger Abzug aller internationalen Militärs
hätte aber ein absolutes Chaos und das Zurückfallen
in den Bürgerkrieg zur Folge.
Das wollen wir nicht. Wir unterstützen dieses Mandat,
weil damit eine Ausstiegsperspektive verbunden ist.
Herr Außenminister, ich wünschte mir, dass Sie sich
dieser Verantwortung stellten - wir werden das überprüfen - und sich mehr um Ihr Amt kümmerten, damit wir
diese Perspektive Wirklichkeit werden lassen, statt viele
und, wie ich finde, unzutreffende Äußerungen zur Innenpolitik zu machen.
Herzlichen Dank.
({8})
Jürgen Hardt ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte vorab kurz auf das eingehen, was eben passiert
ist. Ich fand es persönlich sehr schmerzhaft, in welcher
Art und Weise hier die zivilen Opfer des AfghanistanEinsatzes, die wir alle beklagen, von der Kollegin
Buchholz und der Linken in der innenpolitischen Debatte instrumentalisiert worden sind.
({0})
Ich finde es sehr gut, dass wir einen Bundestagspräsidenten haben, der sich konsequent an die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hält, auch wenn es ihm
sichtlich unangenehm gewesen ist. Dafür herzlichen
Dank.
({1})
In der Regierungserklärung vom 27. Januar hat die
Bundeskanzlerin für die Afghanistan-Konferenz in
London die Entwicklung einer Strategie zur Übergabe in
Verantwortung als deutsches Ziel benannt. Die Konferenz hat dies als Leitidee übernommen, und der heute
zur Abstimmung stehende Antrag der Bundesregierung
auf Fortführung des deutschen ISAF-Mandats in veränderter Form folgt genau dem Konzept „Übergabe in Verantwortung“.
Ziel ist, dass die afghanische Regierung innerhalb der
nächsten fünf Jahre mit ihren nationalen Sicherheitskräften in der Lage ist, schrittweise Verantwortung im
gesamten Land zu übernehmen. Damit bieten die
Beschlüsse von London eine große Chance für Afghanistan. Sie nehmen auch die Regierung Karzai voll in die
Pflicht, ihre eigenen Anstrengungen zu erhöhen und zu
selbsttragenden Strukturen zu kommen. Der Aufbau von
loyalen Streitkräften und Polizeikräften, aber auch einer
verlässlichen Verwaltung und von durchgängig rechtsstaatlichen Strukturen ist eine große Herausforderung.
({2})
Die Bekämpfung von Korruption und Drogenhandel ist
eine Herkulesaufgabe. Das alles geht nur mit massiver,
intensiver internationaler Hilfe. Die Londoner Konferenz hat genau diese Hilfe auf den Weg gebracht.
Deutschland wird dazu seinen unverzichtbaren Beitrag
leisten.
Am Erfolg in Afghanistan haben wir alle größtes Interesse. Von der Befriedung des Landes hängt viel ab, auch
der Frieden in der gesamten Region und darüber hinaus
ebenso der Frieden in der gesamten Welt. Meines Erachtens muss man dies auch klipp und klar so sagen, damit
die Menschen in Deutschland vielleicht wieder einen
besseren Zugang zur Unterstützung dieses Einsatzes finden; denn es geht hier wirklich um die Zukunft des Weltfriedens.
Die Neufassung des Mandats wird den deutschen Beitrag zielorientierter, ziviler und effizienter machen.
„Übergabe in Verantwortung“ bedeutet, dass die afghanische Regierung mit ihren Kräften in fünf Jahren die
volle Verantwortung tragen kann. Ich merke aber auch
an: Das bedeutet nicht automatisch, dass zivile oder militärische Unterstützung in jedweder Form zu diesem
Zeitpunkt endet. Aber das muss man dann entscheiden,
wenn es so weit ist.
Zur Zielorientierung des Mandats: In London ist festgelegt worden, dass die afghanische Regierung
306 000 Polizei- und militärische Sicherheitskräfte
braucht. Ich hielte es für gut, wenn die deutsche Regierung in naher Zukunft Meilensteine festlegte, an denen
wir überprüfen können, ob das, was wir zukünftig bei
der Ausbildung leisten, trägt. Ich fände es schön, wenn
der Afghanistan-Einsatz im Blick auf das Ziel
306 000 ausgebildeter afghanischer Sicherheitskräfte ein
Stück weit überprüfbar wäre und wir prüfen könnten, ob
wir möglicherweise auf dem Weg dorthin Korrekturen
vornehmen müssen, und wenn wir die Qualität unserer
Arbeit mit der anderer Nationen vergleichen könnten.
Der deutsche Beitrag wird ziviler, nicht nur durch
die Verdopplung der Mittel für die Entwicklungshilfe,
sondern auch durch den neuen, klaren Schwerpunkt auf
Ausbildung und Schutz.
({3})
1 400 deutsche Soldatinnen und Soldaten, 1 100 mehr
als bisher, werden vornehmlich mit Ausbildungs- und
Schutzaufgaben betraut. Die vorgesehene Anpassung der
Mandatsobergrenze um 850 auf 5 350 deutsche Soldaten
bedeutet also, dass sich das Gewicht stark in Richtung
Ausbildung verlagert. Von einer weiteren „Martialisierung“ unseres Einsatzes in Afghanistan kann also keine
Rede sein.
({4})
Der deutsche Beitrag im Norden des Landes wird außerdem noch effizienter. Das ist nur möglich, weil die
Vereinigten Staaten von Amerika bereit sind, uns entsprechend stark zu unterstützen. Durch die Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten wird die Mobilität in
der Fläche entscheidend verbessert. Die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten wird durch die Bereitstellung von MedEvac-Hubschraubern nochmals deutlich
erhöht. Es ist zukünftig besser möglich, gemeinsam mit
der Afghan National Army in Gebieten, in denen man
vorübergehend eine Befriedung erreicht hat, dauerhaft
Frieden herzustellen, weil man in der Fläche besser operieren kann. Bei den militärischen Operationen muss der
Schutz der Zivilbevölkerung an oberster Stelle stehen;
denn wir können die Herzen der afghanischen Menschen
nur gewinnen, wenn wir zivile Opfer vermeiden.
({5})
Der Afghanistan-Einsatz zeigt, dass die Amerikaner
auch im 21. Jahrhundert den größten und verlässlichsten
Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit leisten.
Das Kommando in der Nordregion bleibt aber bei einem
deutschen General. Ich sehe das auch als Zeichen der
Anerkennung bisher erbrachter guter deutscher Leistungen im Rahmen des ISAF-Mandats in Afghanistan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
das Mandat heute eine Zustimmung erfahren wird, die
weit über die Grenzen der Regierungskoalition hinausgeht. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten, die einen
schweren Job machen - vielleicht den schwierigsten,
den wir Staatsdienern in Deutschland zumuten -, und für
die zivilen Bediensteten im Einsatz eine gute Rückendeckung.
Es gibt breiten Konsens über die Unvermeidbarkeit
des deutschen Engagements in Afghanistan. Ein sofortiger Abzug der deutschen und alliierten Truppen aus
Afghanistan würde das Land mit einem Schlag in Terror
und Anarchie zurückwerfen. Es wäre eine gewissen- und
verantwortungslose Haltung, jetzt aus Afghanistan herauszugehen.
Der Entschließungsantrag der Grünen kann, obwohl
er sich sehr differenziert und verantwortungsvoll mit der
in Rede stehenden Frage auseinandersetzt, die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion leider nicht finden. Ich
nenne nur wenige Punkte. Zum einen sind wir der Meinung, dass es ohne eine maßvolle Erhöhung der Mandatsobergrenze nicht geht. Zum anderen vertreten wir
die Auffassung, dass insbesondere die Aufklärungstornados, die wir bereitstellen, einen wichtigen Beitrag der
Deutschen für andere alliierte Partner zur Erstellung eines gemeinsamen Lagebildes darstellen. Es wäre genau
der falsche Weg, an dieser Stelle zurückzugehen. Deswegen werden wir dem Antrag der Grünen nicht zustimmen.
Das hier präsentierte neu gefasste Afghanistan-Mandat ist ein konsistenter Beitrag Deutschlands im Rahmen
der Neuorientierung in der internationalen Afghanistan-Politik. Militärische und zivile Komponenten greifen
klug ineinander. Es gibt eine bessere Möglichkeit der Erfolgsmessung und eine größere Chance auf Erfolg.
Wir wünschen allen Beteiligten in der Bundeswehr
und den zivilen Unterstützern in Afghanistan alles Gute,
eine glückliche Hand und eine glückliche Heimkehr.
Danke schön.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Florian Hahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Dezember letzten Jahres haben wir zum
letzten Mal über die Verlängerung des ISAF-Mandats in
Afghanistan abgestimmt. Wir waren uns damals über die
Regierungsfraktionen hinweg mehrheitlich einig, dass
die Schaffung selbsttragender Sicherheit und funktionstüchtiger Strukturen in Afghanistan nur durch einen vernetzten Ansatz von sicherheitspolitischen, diplomatischen und - das ist ganz entscheidend - auch
entwicklungspolitischen Maßnahmen zu erzielen ist.
Von daher begrüße ich es außerordentlich, dass es der
christlich-liberalen Bundesregierung gelungen ist, dieses
Konzept maßgeblich bei der Konferenz in London einfließen zu lassen. Dem werden wir heute mit dieser Debatte und dem zu fassenden Beschluss gerecht.
Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban ist der afghanische Staat derzeit noch nicht in der Lage, selbst für die
Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Der Prozess der
Staatswerdung geht nicht von heute auf morgen. Gerade
angesichts der afghanischen Geschichte wird hierfür ein
langer Atem benötigt. Der Beginn des Engagements am
Hindukusch war im Jahre 2001. Die Londoner Afghanistan-Konferenz am 28. Januar dieses Jahres stellt eine
Fortführung und zugleich einen neuen Ansatz unter dem
Leitgedanken „Übergabe in Verantwortung“ dar. Die
Neuausrichtung des militärischen Beitrags, aber vor allem die Erhöhung der Zahl der zivilen Einsatzkräfte sind
hierfür die Basis.
Die militärische Neuausrichtung steht zwar häufig
im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, ist jedoch nur
ein unterstützendes Element. Vielmehr liegt der neuen
Strategie die Erkenntnis zugrunde - hier zitiere ich den
neuen Generalinspekteur Wieker -,
dass dauerhafte, selbsttragende Stabilität nur mit einem „vernetzten Ansatz“ ziviler und - wo nötig militärischer Mittel erreicht werden kann.
Von daher ist es absolut unabdingbar, dass für den zivilen Aufbau im Etat des BMZ mit nun 430 Millionen
Euro pro Jahr fast doppelt so viele Mittel eingesetzt werden wie bisher.
Im Gegensatz zur gelegentlichen öffentlichen Wahrnehmung hat die Aufbauhilfe bisher durchaus gute
Früchte getragen. Diese Fortschritte sind für viele Afghanen spürbar. So hat die Bundesregierung über das nationale Bildungsprogramm zum Bau von rund 2 000 Schulen
beigetragen. Dadurch sind circa 11 000 neue Unterrichtsräume für rund 25 000 Lehrkräfte und etwa
500 000 Schüler entstanden. Landesweit gehen aktuell
6,5 Millionen Kinder zur Schule. Davon sind 35 Prozent
Mädchen, fünfmal mehr als zu Zeiten der Taliban.
({0})
Seit 2006 konnten über 750 000 Patienten, darunter besonders viele Mütter und Säuglinge, behandelt werden.
Allein mit deutscher Hilfe wurden im Norden Afghanistans über 600 Kilometer Straße und zahlreiche Brücken
gebaut.
Über 70 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan sind
daher aktuell der Meinung, dass sich ihre Lebensverhältnisse in den letzten zwölf Monaten enorm verbessert haben. Ein großer Teil ihrer Hoffnung richtet sich weiterhin auf die Unterstützung aus Deutschland. Dennoch
müssen wir uns bewusst machen, dass die erzielten Fortschritte für eine Übergabe in Verantwortung noch lange
nicht ausreichen. Wir haben uns daher zum Ziel gesetzt,
dass im Norden Afghanistans bis 2014 60 Prozent aller
Kinder eine Schule besuchen sollen und 50 Prozent der
Menschen Zugang zu Trinkwasser haben. Außerdem
wollen wir weitere 700 Kilometer Straßen bauen.
Durch den ambitionierten Aufwuchs von afghanischen
Sicherheitskräften und eine dauerhaft erhöhte Präsenz in
der Fläche kann die Rückkehr der Aufständischen langfristig verhindert werden, und der Bevölkerung wird
spürbar das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Durch die
Aufstockung der Zahl der polizeilichen Ausbilder um
mehr als 60 Prozent bis Mitte 2010 wird dies flankiert.
Jährlich sollen nun 5 000 Polizisten sowie 500 afghanische Polizeilehrer bis 2012 ausgebildet werden.
Bei dieser neuen Ausrichtung dürfen wir die bevorstehenden Parlamentswahlen nicht aus den Augen verlieren, die voraussichtlich im September dieses Jahres
stattfinden werden. Es ist wichtig, dass diese Wahlen einen Mindeststandard an Demokratie erfüllen. Wir erinnern uns: Bei den Parlamentswahlen 2005 wurden gravierende Fehler gemacht. Damals haben sich ganze
Stammesgruppen um das tatsächliche Wahlergebnis betrogen gefühlt, zum Beispiel in der Region Wardak. Das
führte letztlich dazu, dass bestimmte Gruppen für die Taliban wieder empfänglich wurden. Die nächsten Wahlen
stellen deshalb ein Risiko, aber auch eine große Chance
für uns dar, unserem Ziel der Übergabe in Verantwortung merklich näher zu kommen. Dass Afghanistan zum
Zeitpunkt der Übergabe keine Westminster-Demokratie
sein wird, ist uns allen klar. Jedoch wollen wir zumindest ein Mindestmaß an Demokratie erreichen. Unser
Ziel muss insgesamt sein, den Menschen in Afghanistan
etwas zu hinterlassen, das so wertvoll ist, dass sie es erhalten und darauf aufbauen wollen. Dabei wollen wir
auch in unserem Interesse helfen. „Wer abzieht, holt die
Taliban heran“, wie Joschka Fischer im Dezember letzFlorian Hahn
ten Jahres in der Süddeutschen Zeitung zu Recht geschrieben hat.
Auch ich fühle mich aufgrund der Ereignisse am Beginn dieser Debatte nicht wohl. Was die Linke heute hier
aufgeführt hat, ist erstens ein unerträglicher parteipolitischer Missbrauch der Opfer vom 4. September
({1})
und verhöhnt zweitens die Opfer von Terrorismus und
Unterdrückung sowie die Opfer derer, die sich wie unsere Bundeswehr für die Freiheit und Menschenrechte
der Menschen in Afghanistan einsetzen.
({2})
Der Einsatz unserer Bundeswehr, der Polizei, Diplomaten und Entwicklungshelfer ist weiterhin notwendig.
Ich möchte all denen danken und wünsche ihnen und den
Völkern in Afghanistan alles Gute, Gesundheit und Gottes Segen.
({3})
Ich habe vorhin versäumt, dem Kollegen Jürgen
Hardt zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag zu
gratulieren. Ich hole das besonders gerne nach, zumal
ihm das nicht häufig zu erlebende Kunststück gelungen
ist, bei seiner ersten Rede mit der knapp bemessenen
Zeit nicht nur auszukommen, sondern sie zu unterbieten.
Daraus leite ich ohne Rechtsanspruch eine virtuelle Gutschrift für eine spätere Debatte her.
({0})
Jetzt hat das Wort der Kollege Lars Klingbeil für die
SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! In der vergangenen Woche habe ich in
Munster, meiner Heimatstadt, einem der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland, ein bewegendes Gespräch mit einer jungen Mutter geführt. Wir Abgeordnete waren es, die ihren Mann Anfang des Jahres in den
Einsatz nach Afghanistan geschickt haben. Ich habe natürlich gespürt, dass es ihr am liebsten wäre, wenn ihr
Mann zu Hause bei der Familie wäre; aber diesen Anspruch hat sie gar nicht formuliert. Sie hat mir etwas anderes mit auf den Weg gegeben. Sie sagte deutlich, dass
sie von uns Politikern erwartet, dass wir keine parteipolitischen Spiele auf dem Rücken der Soldaten austragen.
Sie hat mir deutlich gemacht, dass sie von uns mehr Offenheit und Klarheit erwartet. Vor allem hat sie mir auf
den Weg mitgegeben, dass sie sich von uns endlich den
Mut wünscht, in der Öffentlichkeit für eine breite Zustimmung zum Afghanistan-Mandat zu sorgen. Genau
das ist unsere Aufgabe, der wir hier im Parlament nachzugehen haben.
({0})
Ich werde dem Mandat heute zustimmen. Ich tue das
in der Überzeugung, dass wir in Afghanistan Verantwortung tragen. Ich tue das aber auch in dem Wissen, dass
wir in unserem bisherigen Engagement Fehler gemacht
haben. Vor allem tue ich das verbunden mit der Aufforderung an alle Fraktionen hier im Bundestag: Lassen Sie
uns endlich anfangen, eine breite, öffentliche Debatte
über unser Engagement in Afghanistan zu führen! Das
ist unsere Aufgabe als Abgeordnete.
({1})
Es gibt Gründe, die dafür sprechen, diesem Mandat
zuzustimmen. Gleichwohl weiß ich aber auch: Es gibt
Gründe, die gegen dieses Mandat sprechen. Ich glaube,
niemand macht sich hier die Entscheidung leicht. Es ist
aber am schlimmsten, wenn wir eine Entscheidung treffen, ohne dass wir eine gesellschaftliche Diskussion geführt haben. Wenn wir uns wegducken, taktieren, andere
Meinungen ausschließen und nicht den Mut haben, endlich den Menschen die Gründe für den Einsatz zu erklären, dann werden wir dieses Mandat auf eine parlamentarische Mehrheit stellen können, aber niemals auf eine
gesellschaftliche. Genau darum muss es uns aber gehen:
eine gesellschaftliche Mehrheit. Es ist vor allem Aufgabe der Regierung, den Menschen zu erklären, warum
wir in Afghanistan sind und welches der künftige Weg
ist. Bei allem Respekt: In dieser Hinsicht hat die Regierung ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. Wenn es
notwendig war, klare und ehrliche Worte zu sprechen,
haben Sie sich weggeduckt. Als es darum ging, den
Menschen zu erklären, wie die neue Afghanistan-Strategie aussieht, waren Sie von der Regierung nicht bemerkbar. Da hätte ich mir etwas anderes gewünscht.
({2})
Die Erfolge in Afghanistan, egal ob in der Bildung, in
der medizinischen Versorgung, beim Aufbau von Infrastruktur oder in der wirtschaftlichen Entwicklung, sind
heute schon vielfach angesprochen worden. In vielen
Bereichen ist das Land vorangekommen. Wir sollten
diese Entwicklung nicht kleinreden. Zugleich warne ich
aber davor, Fehlentwicklungen auszublenden. Zur Wahrheit gehört auch: Wir müssen zugeben, dass wir in den
letzten Jahren so manche Gegebenheit in Afghanistan
unterschätzt haben. Die verschlechterte Sicherheitslage
stellt uns vor neue Herausforderungen. Die Heterogenität des Landes muss uns dazu bringen, differenzierte Ansätze für die Region zu finden. Auch müssen wir die
Afghanen viel stärker in unser Engagement einbeziehen
und ihre Anliegen auf Augenhöhe ernst nehmen. Wenn
wir das machen, dann kommen wir in Afghanistan auf
einen vernünftigen Weg.
({3})
Ja, es gibt Probleme und Fehlentwicklungen. Deswegen gab es und gibt es in meiner Fraktion Bedenken. Ge2196
nau deswegen haben wir in den vergangenen Wochen
und Monaten nach Lösungen für diese Probleme gesucht
und höchst ernsthaft über die richtigen Antworten diskutiert. Dann lese ich in einer offiziellen Pressemitteilung
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 22. Januar dieses Jahres unter der Überschrift „Afghanistan - SPD
schlägt sich in die Büsche“:
Mit Überschallgeschwindigkeit wirft die SPD ihre
staatspolitische Verantwortung über Bord. Gestern
noch hat die SPD Deutschland am Hindukusch verteidigt - heute kann es mit dem Abzug gar nicht
schnell genug gehen.
({4})
Liebe Kollegen von der CDU, einmal davon abgesehen, dass ich solche Pressemitteilungen höchst peinlich
finde,
({5})
frage ich mich: Was für einen Verantwortungsbegriff haben Sie eigentlich? Verantwortung heißt doch nicht, einer überforderten Regierung hinterherzulaufen. Verantwortung heißt, die richtigen Fragen zu stellen und die
richtigen Lösungen zu suchen. Das ist die Verantwortung, die wir Sozialdemokraten in den letzten Monaten
wahrgenommen haben.
({6})
Ich frage: Herr Westerwelle, Frau Merkel, wo waren Sie
eigentlich in den letzten Monaten, als in diesem Land
über Afghanistan diskutiert wurde? Wo sind Sie eigentlich jetzt, da dieses Hohe Haus über Afghanistan diskutiert? Es war die SPD, die in den letzten Monaten Verantwortung übernommen hat, während Sie versucht
haben, Ihre innenpolitischen Probleme zu lösen.
({7})
Die Regierung hat versucht, die Mandatsverlängerung in
Hinterzimmern durchzudrücken. Unmittelbar vor der
Afghanistan-Konferenz wird uns ein Papier vorgelegt.
Unmittelbar nach der Afghanistan-Konferenz wird im
Eiltempo ein neues Mandat hier durch das Parlament gejagt. Öffentliche Debatte? Fehlanzeige. Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft? Fehlanzeige. So sieht verantwortungsvolles Handeln einer Regierung nicht aus.
({8})
Ich bin stolz darauf, dass sich meine Partei in den
letzten Wochen dieser Debatte gestellt hat. Wir haben
unsere Mitglieder befragt, wir haben Experten angehört
und auf Veranstaltungen mit Bürgern diskutiert. Wir haben viel Zuspruch dafür bekommen, dass wir die Diskussion angestoßen haben. Ich weiß von vielen meiner
Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion, dass sie es
sich heute nicht leicht machen. Wir hätten das Mandat
einfach ablehnen können. Stattdessen ducken wir uns
nicht weg. Wir stellen uns den kritischen Fragen, und
wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst.
Sie, die Regierung, setzen, statt eine ehrliche Bilanz
zu ziehen und statt neue Strategien für Afghanistan zu
diskutieren, auf Copy and Paste. Wir Sozialdemokraten
waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Charakter
des Einsatzes nicht verändern, und wir wollen keine zusätzlichen Offensivkräfte im Mandat. - Sie als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir
wollen die Mittel für zivile Aufgaben verdoppeln. - Sie
als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen eine Verstärkung bei der Ausbildung
afghanischer Sicherheitskräfte. - Sie sind gefolgt. Wir
waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Beginn des
Abzugs. - Sie sind gefolgt. Dieses Mandat trägt nicht die
Handschrift der Regierung. Wenn es eine Handschrift
trägt, dann die der SPD.
({9})
Weil maßgebliche Forderungen meiner Regierung - Entschuldigung -, meiner Partei
({10})
- ich bin immer schon ein paar Jahre weiter ({11})
aufgegriffen wurden, werde ich zustimmen, werden
große Teile meiner Fraktion zustimmen. Wir Sozialdemokraten wollen den Weg weiter prägen. Wir werden
zustimmen, aber ich sage Ihnen deutlich: Nicht wegen
Westerwelle und Merkel, sondern trotz Westerwelle und
Merkel werden wir zustimmen.
({12})
Einer Sache können Sie sich sicher sein: Die Debatte
über Afghanistan ist heute nicht zu Ende. Sie fängt heute
erst richtig an.
Vielen Dank für das Zuhören.
({13})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Herr Kollege
Klingbeil, aller Abschied ist schwer. Die Presseerklärung vom 22. Januar hat bestimmt dazu beigetragen,
dass Sie von der Überschallgeschwindigkeit, mit der Sie
sich von der bisherigen Politik verabschieden wollten,
die Kurve zur Rückkehr zu einer vernünftigen Afghanistan-Politik gefunden haben.
({0})
Heute haben wir intensiv über den ISAF-Einsatz debattiert. Heute jährt sich aber auch der erste islamistische
Terroranschlag auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Sechs Menschen starben, über 1 000 Menschen
wurden verletzt. Das war der Bombenanschlag auf das
World Trade Center vom 26. Februar 1993. Weitere Anschläge haben in London, in Madrid und in New York
stattgefunden. Der 11. September 2001 ist die Zäsur, die
auch uns nach Afghanistan gebracht hat. Deshalb verlangt die heutige Entscheidung erhebliche Ernsthaftigkeit. Ziel ist doch, dass wir einen dauerhaften Frieden in
Afghanistan und Sicherheit für das afghanische Volk erreichen. „Friede ist niemals durch Koexistenz, sondern
nur in Kooperation“, sagte Karl Jaspers, unser deutscher
Philosoph. Diese Kooperation brauchen wir zwischen
Soldaten, Polizisten, zivilen Wiederaufbauhelfern und
der afghanischen Bevölkerung. Diese Kooperation brauchen wir im Bündnis mit den über 40 Mitgliedstaaten
und Nationen, die sich am Afghanistan-Einsatz beteiligen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika befähigen uns
im Norden von Afghanistan zu unserem Strategiewechsel. Ich erinnere nur an die Unterstützung in der Polizeiausbildung und - das ist ganz wichtig - bei den Hubschraubern.
({1})
Kooperation ist genauso wichtig innerhalb Afghanistans. Es geht um die Volksstämme, um die Gruppierungen, um die ehemaligen Warlords und um kooperationsbereite Taliban. Die Kernfrage ist doch: Wo sehen wir
als Parlament in den nächsten fünf Jahren Afghanistan?
Wie sehen wir die Entwicklung der weiteren Region?
Wir müssen den Blick auch auf Zentralasien, auf Pakistan und Indien und deren schwieriges Verhältnis, auf
Iran, China und Russland richten. Dies ist die größte sicherheitspolitische Herausforderung unserer Zeit. Dazu
brauchen wir ein verantwortungsbewusstes Krisenmanagement; denn wir werden nicht nur aus Afghanistan,
sondern auch aus anderen Krisenregionen unserer Welt
sehr genau beobachtet. Es wird betrachtet, wie wir diese
Verantwortung wahrnehmen. Mit unserer heutigen Entscheidung stellen wir in Afghanistan die Weichen für die
Glaubwürdigkeit unserer westlichen Wertegemeinschaft.
Ich teile einen Ansatz der Grünen: All das, was wir in
Afghanistan anbieten - auch mein Vorredner, Herr
Klingbeil, hat das angesprochen; das ist auch die Position der Union -, muss dem landestypischen afghanischen Charakter entsprechen. Wir müssen die Eigenständigkeit stärken; auch Frau Hoff hat dies vorhin
angesprochen.
Unser heutiges Mandat stellt damit die Weichen in die
richtige Richtung. Wir stehen mit unserer Verantwortung
an der Seite der gewählten afghanischen Regierung. Wir
wollen die Übergabe in Verantwortung. Aber dazu müssen wir als Parlament auch die Region betrachten. Wir
müssen Brisanz durch Kooperation ersetzen, ganz im
Jaspers’schen Sinne.
({2})
Dazu brauchen wir eine klare Perspektive. Nur so bleiben wir glaubwürdig. Das darf sich nicht auf den detaillierten Einsatz - Tornado hier, OMLT, das Operational
Mentoring and Liaison Team, da - beschränken. Wir
müssen deutlich machen, dass wir vor einer strategischen Herausforderung stehen. Von uns als Parlament
wird eine strategische Leistung erwartet. Nur so setzen
wir unseren Anspruch „Bundeswehr gleich Parlamentsarmee“ glaubwürdig um. Das sind wir auch unseren Soldaten schuldig.
Wie können wir - das ist die Kernfrage - die Nachbarn Afghanistans nachhaltig in eine solche Strategie
einbeziehen? Hier geht es besonders um unsere außenund sicherheitspolitische Verantwortung. Das sind die
wahren strategischen Fragen, Frau Künast. Was würde
denn passieren, wenn wir unseren Einsatz, unseren
Schwung abschwächen würden?
Wir alle sind heute in diesem Haus Zeugen eines bedauerlichen Erlebens. Wir tragen die Last und nicht die
Lust der Verantwortung. Schon gar nicht leisten wir uns
den Luxus, wie dies eine Fraktion tut, uns aus der Verantwortung zu ziehen. Das möchte ich hier ganz besonders betonen.
({3})
Zur strategischen Perspektive. Es ist wichtig, dass
wir in Afghanistan und darum herum strategische Partner aufbauen. Wir müssen Übergabe in Verantwortung
auch in der Region leisten. Wer sind - das müssen wir
klären - mögliche verantwortungsbewusste Partner?
Wie können diese Partner wirksam unterstützt werden?
Es geht um die politische, wirtschaftliche, soziale, aber
auch militärische Stabilität in dieser Region. Der afghanische Islam zeichnete sich früher durch sprichwörtliche
Toleranz aus. Wir brauchen den verstärkten Dialog der
Religionsgemeinschaften. Wir müssen auch die verständlichen afghanischen Befindlichkeiten in Sachen
russischer Beteiligung ernst nehmen, gleichwohl wir
wissen und schätzen, wie sehr die Russen unseren Einsatz im Hintergrund unterstützen.
Über die heutige Entscheidung hinaus treffen wir in
voller Absicht und bewusst eine Weichenstellung für unsere westliche Gemeinschaft. Denn es geht um die
Frage: Wie gehen wir künftig mit Konflikten und Krisenregionen um? Unsere Entscheidung wird daran gemessen werden.
Es heißt jetzt also Partner suchen, Afghanistan selbstständig machen und so rasch wie möglich Verantwortung übertragen. Das mag Kosten, Aufwendungen verursachen; aber die Stabilisierung der Region muss uns
teuer sein. Der Nutzen wird auf lange Sicht größer, und
der Preis wird es wert sein.
({4})
Die Herausforderungen werden wir mit strategischem
Weitblick bewältigen. Dazu brauchen wir als Parlament
auch regelmäßige Informationen. Wir sind uns sicher,
dass die Bundesregierung sie uns regelmäßig gibt.
Lassen Sie uns mit unserer Zustimmung zum Afghanistan-Mandat über die Parteigrenzen hinweg ein deutliches Zeichen der Verbundenheit mit unseren Soldatinnen
und Soldaten, den Polizisten und den zivilen Wiederaufbauhelferinnen und -helfern setzen. Lassen Sie uns aber
auch Gedanken machen über ein deutlich sichtbares Zeichen dieser Verbundenheit. Darüber könnten wir in der
nächsten Zeit diskutieren. Lassen Sie uns heute ein klares Zeichen für entschiedenes Handeln und ein Zeichen
der Geschlossenheit unseres hohen und verantwortungsbewussten Hauses geben.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich
noch einige Hinweise zur Abstimmungslage machen und
Sie um Zustimmung zu einem Vorschlag zur Abweichung von der Geschäftsordnung bitten. Vielleicht können Sie dafür noch einen Augenblick Platz nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will, vor allem
zur Verdeutlichung der geschäftsordnungsrechtlichen
Zusammenhänge für die interessierte Öffentlichkeit,
noch einmal auf die einschlägigen Bestimmungen unserer Geschäftsordnung hinweisen: Nach § 38 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages kann der
Präsident wegen gröblicher Verletzung der Ordnung ein
Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem
Saal verweisen. Ein Mitglied des Bundestages kann bis
zu 30 Sitzungstage ausgeschlossen werden. Davon habe
ich vorhin Gebrauch gemacht.
Ich weise noch einmal auf das Protokoll der von mir
vorhin ohne Datum zitierten Sitzung des Ältestenrates
vom 26. März 2009 hin, in der es um einen sehr vergleichbaren Vorgang ging und wo wir uns über die gemeinsame Handhabung solcher Situationen verständigt
haben. Ich habe da ausdrücklich auf die Geschäftsordnungslage verwiesen und mich vergewissern wollen, ob
es eine gemeinsame Auffassung im Ältestenrat über die
Interpretation dieser Bestimmungen gebe. Nach dem
Protokoll - ich zitiere … vergewissert sich der Präsident abschließend, ob
der Ältestenrat seine Auffassung teile, dass Vorgänge wie der heutige einen groben Verstoß gegen
die parlamentarischen Sitten darstellen. Im Ältestenrat besteht diesbezüglich Einvernehmen. Dem
stimmt auf Nachfrage des Präsidenten auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die
Linke zu.
Ich entnehme einer Agenturmeldung vor wenigen
Minuten mit Blick auf die Situation, die hier gerade im
Plenum stattgefunden hat: Mit der Aktion habe die Linke
dagegen protestieren wollen, dass es bislang vonseiten
der Bundesregierung keine offizielle Entschuldigung bei
den Angehörigen der Opfer des Luftschlages gebe, sagte
Dagmar Enkelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion. „Den Genossen sei bewusst gewesen, dass sie mit der Aktion gegen die Geschäftsordnung
des Bundestages verstoßen würden. ‚Aber manchmal
muss man auch solche Wege gehen‘, sagte Enkelmann.
Den Verweis durch Lammert halte sie für ‚überzogen‘.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bundestag hat es in allen Legislaturperioden - völlig unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen - immer einen
Konsens darüber gegeben, dass die Regeln dieses Hauses ausnahmslos für alle gelten.
({0})
Wir haben die Unverzichtbarkeit der strikten Einhaltung
dieser Regeln auch im Bewusstsein der historischen Erfahrung für unabdingbar gehalten,
({1})
dass ein deutsches Parlament an dem leichtfertigen Umgang mit den selbstgesetzten Regeln bereits einmal gescheitert ist.
Nun muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen: Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
lässt keine Differenzierung zwischen dem Ausschluss
von der Sitzung und dem Ausschluss von Abstimmungen zu. Gleichwohl möchte ich Ihnen das aus, wie Sie
hoffentlich nachvollziehen können, naheliegenden Gründen empfehlen, was nach § 126 der gleichen Geschäftsordnung möglich ist, wenn es der Deutsche Bundestag
mit Zweidrittelmehrheit beschließt. Nach § 126 unserer
Geschäftsordnung sind
Abweichungen von den Vorschriften dieser Geschäftsordnung … im einzelnen Fall mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages [möglich], wenn die Bestimmungen des
Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen.
Ich empfehle Ihnen auch nach Rücksprache mit den
Fraktionsführungen aller im Bundestag jetzt anwesenden
Fraktionen, dass wir von dieser Möglichkeit Gebrauch
machen, die Sitzung für zehn Minuten unterbrechen und
anschließend eine Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt durchführen, an der auch die von der heutigen Sitzung ausgeschlossenen Mitglieder teilnehmen
können.
Ich darf Sie fragen, ob Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist das mit überwältigender Mehrheit beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten und
rufe dann die Abstimmung auf.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 17/816 zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung
der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/654
anzunehmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Mir liegt zu diesem Antrag eine ganze Reihe von na-
mentlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor, die wir wie üblich dem Protokoll beifü-
gen.1)
Bevor ich die namentliche Abstimmung, die dazu be-
antragt ist, eröffne, weise ich darauf hin, dass im An-
schluss an die namentliche Abstimmung noch über den
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/818 abzustimmen ist und nach
der vorhin vom Plenum getroffenen Geschäftsordnungs-
entscheidung an diesen beiden Abstimmungen alle Kol-
leginnen und Kollegen des Hauses teilnehmen können.
Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, weise
ich noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass für die
dann folgenden Tagesordnungspunkte die an der Aktion
beteiligten Mitglieder ausgeschlossen sind. Es gibt nicht
einen Ausschluss einer Fraktion, sondern beteiligter
Kolleginnen und Kollegen.
Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-
ten, die vorgesehenen Plätze an den Abstimmungsurnen
einzunehmen und mir ein Signal zu geben, wann wir mit
der Abstimmung beginnen können.
Hier vorne links vor dem Präsidium fehlt noch ein
Schriftführer. - Sind die Plätze an den Urnen jetzt alle
besetzt? - Es fehlt immer noch ein Schriftführer aus den
Reihen der Opposition vorne links vom Präsidium.
Alle Urnen sind jetzt ordnungsgemäß mit Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführern von Mehrheit und Minder-
heit des Hauses besetzt.
Ich eröffne damit die Abstimmung.
Ist noch ein Kollege im Saal anwesend, der seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Auszäh-
lung später, während des nächsten Tagesordnungspunk-
tes, bekannt.2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/818. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit der
Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Ich bitte um Entschuldigung für die kurze Unterbre-
chung und setze die Sitzung fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
10 Jahre EEG - Auf dem besten Weg zu einer
ökologischen und sozialen Energiewende
- Drucksache 17/778 -
1) Anlagen 2 bis 6
2) Ergebnis Seite 2201 C
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erneuerbare Energie ausbauen statt Atomkraft verlängern
- Drucksache 17/799 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort als erster Redner hat der Kollege Hermann Scheer von der SPD-Fraktion. - Bitte schön, Herr Scheer.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zehn
Jahren hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der
SPD, der Fraktionen der Grünen und der PDS sowie mit
einigen Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet. Dieses Gesetz ist
in der Tat das erfolgreichste Gesetz zur Mobilisierung
erneuerbarer Energien in der ganzen Welt geworden.
Über 45 Länder haben dieses Gesetz inzwischen übernommen, weil sie sehen: Es ist der schnellste Weg zur
Mobilisierung erneuerbarer Energien, der denkbar ist,
und allen anderen Politikansätzen überlegen; daran
kommt niemand mehr vorbei. Das hat uns in eine federführende Position gebracht, nicht nur bei der Einführung, sondern auch bei der Entwicklung und der industriellen Produktion erneuerbarer Energietechniken.
Dieses Gesetz muss weitergeführt werden. Es muss
nahtlos weitergeführt werden können. Es hat eine unselige Entwicklung überwunden, die hier und andernorts
lange Zeit vorherrschte. Es gab pausenlos Stop-and-goProgramme, die es unmöglich gemacht haben, dass auf
diesem Gebiet eine industrielle Entwicklung stattfinden
konnte.
Dieses Gesetz wurde aber immer infrage gestellt - es
wird auch heute noch infrage gestellt -, weil es den herkömmlichen energiewirtschaftlichen Strukturen und den
dahinterstehenden Interessen widerspricht. Es ist die
Einleitung eines Strukturwandels, der unabdingbar ist
und der selbstverständlich kein Win-win-Konzept darstellen kann. Wir machen uns etwas vor, wenn das behauptet wird; denn der Strukturwandel in der Energieversorgung, der historisch ansteht, ist zwangsläufig ein
Strukturwandel von einer überwiegend zentralisierten
Energieversorgung, vor allem im Strombereich, um den
es hier geht, hin zu einer dezentralen Energiebereitstellung. Das hängt mit der Natur der Energiequellen zusammen. Es ist ein Strukturwandel weg von einem
Brennstoffmarkt hin zu einem Technologiemarkt; denn
bei erneuerbaren Energien, außer bei der Bioenergie,
werden alle Brennstoffe kostenlos von der Natur bereitgestellt.
Es ist klar, dass das Ziel, den Ausbau der erneuerbaren Energien bis hin zur Vollversorgung zu ermöglichen, bedeutet, dass der Brennstoffmarkt allmählich verschwinden und irgendwann nicht mehr vorhanden sein
wird. Ansonsten brauchte man mit der Förderung der erneuerbaren Energien gar nicht erst anzufangen, wenn es
gleichzeitig darum ginge, das Öl-, Gas-, Kohle- oder
Urangeschäft in der Weltwirtschaft aufrechtzuerhalten.
Das ist das Prinzip.
Woher kommen die Infragestellungen? Worüber wird
heute und wahrscheinlich auch in den nächsten Wochen
debattiert? Die Frage ist: Entspricht dieses Vorgehen
Marktprinzipien oder nicht? Es gibt bestimmte, sehr
oberflächliche Marktvorstellungen, die dem Erneuerbare-Energien-Gesetz immer wieder entgegengestellt
werden, die aber einer näheren Betrachtung nicht standhalten. Marktprinzip heißt, an allererster Stelle Marktgleichheit zu ermöglichen. Marktgleichheit kann nicht
bestehen, wenn es über viele Jahrzehnte hinweg durch
gesetzliche Privilegien wie durch viele Milliarden an
Subventionen zu einer hochkonzentrierten, herkömmlichen Energiewirtschaft gekommen ist und wenn dann im
Zuge der Liberalisierung gesagt wird: Jetzt können die
hochgepäppelten Energieunternehmen in ihrer erworbenen und über Jahrzehnte hinweg politisch gestützten
Stellung so weitermachen wie bisher; gleichzeitig sollen
neue Energietechnologien dagegen antreten. Das heißt,
es gab und gibt noch immer nicht die Situation von
Marktgleichheit.
Wenn es aber aus zwingenden ökologischen und weiteren gesellschaftlichen Überlegungen politisches Ziel
ist, auf die erneuerbaren Energien umzusteigen, dann
muss ein Ausgleich gegenüber der hochkonzentrierten
und hochprivilegierten Situation herkömmlicher Energieversorgung geschaffen werden. Dann bedarf es zur
Herstellung von Marktgleichheit einer gesonderten Privilegierung erneuerbarer Energien. Das drückt das Gesetz aus.
({0})
Das Gesetz heißt nicht zufällig „Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien“. Das ist der eigentliche
Sinn des Gesetzes. Es ist nicht marktwidrig, sondern es
schafft überhaupt erst die Voraussetzungen, dass künftig
tatsächlich von einem Energiemarkt geredet werden
kann. Es wird auch dazu führen, dass es statt weniger
Anbieter sehr viele Produzenten und Anbieter geben
wird. Markt heißt nicht wenige Anbieter oder gar nur ein
Monopolist mit Millionen Kunden, sondern Markt heißt
möglichst viele Anbieter. Deswegen ist das ErneuerbareEnergien-Gesetz mit all dem, was es bewirkt hat, ein
Weg zur tatsächlichen Schaffung von Energiemarktbedingungen in der Gesellschaft. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der in der Debatte nicht vergessen werden
darf.
({1})
Deswegen ist es falsch, im Zusammenhang mit der
Einspeisevergütung das Wort „Subvention“ in den
Mund zu nehmen. Dieses Wort kommt manchem allzu
schnell über die Lippen. In einigen Fällen wird es leichtfertig verwendet; in der Regel ist es vorwurfsvoll gedacht.
Die Einspeisevergütungen, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert, sind aber keine Subvention.
Wenn Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes
vom März 2001 zum deutschen Erneuerbare-EnergienGesetz lesen, erkennen Sie, dass der Europäische Gerichtshof den Faden aufgenommen hat, der bei der Begründung, Erstellung und Abfassung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes im Vordergrund stand. Zunächst trifft
der Subventionsbegriff der EU auf das ErneuerbareEnergien-Gesetz nicht zu. Unter einer Subvention im
EU-Sinne wird nämlich direkte oder indirekte staatliche
Hilfe verstanden. Die gibt es bei der Einspeisevergütung
des EEG nicht; denn die öffentlichen Kassen sind gar
nicht involviert.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, der viel tiefer
geht: Bei der garantierten Einspeisevergütung handelt es
sich um eine Kaufpflicht, die - mit gewissen Ausnahmen bei Großverbrauchern - alle Stromkunden betrifft.
Eine Kaufpflicht kann nur begründet werden, wenn ein
zwingendes öffentliches Interesse erkennbar ist. Keiner
bestreitet mehr, dass es ein öffentliches Interesse an einer Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare
Energien gibt. Das öffentliche Interesse ist also eindeutig
gegeben. Dieses öffentliche Interesse wird durch die
Kaufpflicht umgesetzt. Wenn in Deutschland heute
16 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien
gedeckt werden, heißt das, dass schon heute praktisch jeder einzelne Stromkunde in Deutschland zu 16 Prozent
Ökostrom bezieht; das ist eine automatische Folge der
Kaufpflicht.
Kaufpflichten im öffentlichen Interesse gibt es zuhauf: Denken Sie nur an die Haftpflichtversicherung, die
abschließen muss, wer Auto fahren will. Niemand darf
ohne Haftpflichtversicherung Auto fahren. Niemand
käme auf die Idee, das eine Subventionierung der Haftpflichtversicherer zu nennen. Es gibt ein öffentliches Interesse daran, dass jeder eine Haftpflichtversicherung
hat: dass sich niemand seiner Verantwortung für Schäden, die er verursacht hat, entzieht. Dasselbe gilt für
Hausversicherungen und viele andere Sachen.
({2})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit!
Vor dem Hintergrund der Philosophie dieses Gesetzes
und seiner Wirkungen, die historisch genannt werden
dürfen, bitte ich darum, diese Debatte mit den richtigen
Begriffen und mit den richtigen Inhalten zu führen, vor
allem wenn es darum geht, dieses lernende Gesetz, das
ständig weiterentwickelt wird und werden muss, so zu
gestalten, dass der Erfolg dieses Gesetzes nicht gefährdet wird. Letztlich geht es darum, dass Deutschland seinen Energiebedarf so schnell wie möglich vollständig
aus erneuerbaren Energien deckt.
({0})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich Ihnen
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt
geben: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt
429, mit Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 46. Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 429
nein: 111
enthalten: 46
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dr. Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder ({7})
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Nadine Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({12})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({14})
Anita Schäfer ({15})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({16})
Patrick Schnieder
Dr. Kristina Schröder
({17})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Lothar Binding ({24})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({26})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil ({28})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Frank Hofmann ({29})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({31})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({32})
Michael Roth ({33})
Marlene Rupprecht
({34})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({35})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({36})
Silvia Schmidt ({37})
Ulla Schmidt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Olaf Scholz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({40})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({41})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({42})
Michael Link ({43})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Petra Müller ({44})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({45})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({46})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Heiko Staffeldt
Carl-Ludwig Thiele
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({47})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({48})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({49})
Cornelia Behm
Priska Hinz ({50})
Tom Koenigs
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({51})
Manfred Kolbe
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Klaus Barthel
Dr. Peter Danckert
Michael Groß
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wolfgang Gunkel
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({52})
Josip Juratovic
Daniela Kolbe ({53})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Sönke Rix
Werner Schieder ({54})
Dr. Carsten Sieling
Dr. Marlies Volkmer
Waltraud Wolff
({55})
FDP
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({56})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Katja Dörner
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Dr. Anton Hofreiter
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Monika Lazar
Agnes Malczak
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Enthaltung
SPD
Bärbel Bas
Dr. Bärbel Kofler
Burkhard Lischka
Gerold Reichenbach
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({57})
Sonja Steffen
FDP
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({58})
Heinz-Peter Haustein
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({59})
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Ulrike Höfken
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Katja Keul
Oliver Krischer
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({60})
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({61})
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({62})
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
({63})
Als nächster Redner hat nun der Kollege Dr. Michael
Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({64})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Kollege Scheer, es ist schon sehr mutig, eine Stromeinspeisevergütung mit einer Haftpflichtversicherung zu
vergleichen. Das ist eigenartig und passt nicht zusammen.
Sie wissen genau, dass jeder Arbeitsplatz in der Solarwirtschaft mittlerweile mit rund 153 000 Euro gefördert
wird; diese Förderung ist ungefähr doppelt so hoch, wie
die Förderung bei den Arbeitsplätzen in der Kohlenförderung war. Die Förderung der Solarwirtschaft mag
von einigen befürwortet werden. Richtig ist sie aber
nicht. Wenn die Unternehmen in Deutschland dafür aufkommen müssen, kommt das auch beim Verbraucher,
bei den Bürgerinnen und Bürgern, an.
Als Präsident von EUROSOLAR sind Sie, Herr
Scheer, der größte Lobbyist der Solarwirtschaft. Wenn
man Herrn Kelbers Website betrachtet, erfährt man, dass
er in den letzten drei Jahren 90 000 Euro aus der Solarwirtschaft für die SPD in Bonn eingeworben hat. Das ist
in Ordnung, und man kann es verstehen. Darauf muss
man in diesem Hohen Haus aber gelegentlich hinweisen
dürfen.
Ich bin froh, dass wir mittlerweile in erneuerbare
Energien eingestiegen sind. Diese Aussage wird Sie bei
mir verwundern. Ich halte es aber für richtig.
({0})
Ich bin auch froh, dass wir beim Stromverbrauch mittlerweile einen Anteil erneuerbarer Energien von
16,1 Prozent erreicht haben. Die einzelnen Anteile für
das Jahr 2008 sehen so aus: Windenergie 6,6 Prozent,
Wasserkraft 3,5 Prozent, Fotovoltaik - darin liegt meiner
Meinung nach der Knick, weil die Subventionen, die wir
dafür aufwenden, zu hoch sind - 0,7 Prozent, Biogas
1,3 Prozent, Klärgas 0,2 Prozent und Deponiegas ebenfalls 0,2 Prozent.
Es ist aber nun einmal leider so, dass der Wind nicht
immer bläst und die Sonne nicht immer scheint.
({1})
Die Grünen können so viel Wind machen, wie sie wollen sie bewegen damit keine einzige Windmühle.
({2})
Wir haben den 26. Dezember letzten Jahres und den
6. Januar dieses Jahres erlebt. Diese zwei Tage will ich
Ihnen einmal schildern. Am 6. Januar dieses Jahres hatten wir eine sogenannte inversive Wetterlage. Daher sind
von den 25 000 Megawatt, die zur Verfügung stehen, nur
ganze 300 Megawatt aus den Windanlagen herausgekommen, also nur 1,2 Prozent. Wir hatten an diesem
Tage aber einen Strombedarf von über 70 000 Megawatt.
Herr Solarpräsident, an diesem Tag kam so gut wie keine
Sonne auf der Erde an. Es hat nämlich fast den gesamten
Tag über geschneit. Auch mit geringen Physikkenntnissen weiß man, dass die Solarzellen dann nicht allzu viel
Strom liefern.
({3})
Das zeigt, dass wir neben der erneuerbaren Energie
zusätzlich weitere Energien brauchen, um die Ausfälle
an solchen Tagen zu kompensieren. Das Ganze nennt
man Grundlast. Die Sicherung der Grundlast erfolgt
zum Großteil aus zwei Energiebereichen: erstens aus der
Kernenergie, die zu 46 Prozent zur Grundlast beiträgt,
und zweitens aus fossilen Energien, also Steinkohle,
Braunkohle etc., mit 44 Prozent. Eine geringe Rolle
spielt mit 10 Prozent noch das Laufwasser, dessen Nutzung in Deutschland aufgrund der geografischen Situation aber leider nicht wesentlich ausbaubar ist, auch
wenn wir das gern machen würden.
({4})
- Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie zuhörten. Sie könnten
sogar noch etwas lernen. Das ist bei Grünen allerdings
schwierig.
({5})
Wir wissen, dass wir diese Grundlast nach wie vor benötigen. Daher müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir denn vorangehen wollen. Grundlast bedeutet: Wir brauchen sichere Energie für den Fall, dass
die Erneuerbaren aufgrund der physikalischen Bedingungen nicht zur Verfügung stehen können. Für diese
Fälle gibt es nur die gerade erwähnten Alternativen.
Deswegen bin ich der Meinung, dass wir es uns nicht
leisten können, gute, sichere, funktionsfähige Kernkraftwerke abzuschalten,
({6})
weil wir nämlich nur daraus CO2-neutral Energie gewinnen können. Frau Höhn, CO2-neutral; das ist mir wichtig. Wir wollen nämlich unsere ehrgeizigen Klimaziele
erreichen. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken.
({7})
Wenn wir Kernkraftwerke voreilig abschalten würden, bedeutete das doch nichts anderes, als dass wir dann
Steinkohle, Braunkohle oder andere fossile Energieträger verwenden müssten, um die Grundlast abzusichern.
Das muss doch eigentlich sehr einleuchtend sein.
({8})
- Gut; wir wollen das gerne im Parlament weiter diskutieren.
Deswegen brauchen wir einen vernünftigen und dynamischen Energiemix, der sich aus diesen gesamten
Energieträgern zusammensetzt. In dem Moment, in dem
uns andere CO2-freie Energieträger zur Verfügung stehen, die die Grundlast sichern, kann man mit mir selbstverständlich auch über das Abschalten von Kernkraftwerken sprechen.
Bis dahin hat die Kernenergie aber eine Brückenfunktion; denn in dem Moment, in dem sie länger läuft, generiert sie Geld. Dieses Geld können wir in Speichertechnologien stecken, die wir dringend benötigen.
Daneben brauchen wir auch Übertragungsleitungen.
Beispielsweise sind für die Gewinnung von Strom in
Offshorewindparks in der Nordsee vernünftige Übertragungsleitungen erforderlich. Es darf nicht sein, dass jedes Planfeststellungsverfahren für eine Hochspannungsleitung von Nord nach Süd zehn Jahre dauert; denn wenn
wir es so handhaben, nutzen wir die Chance, die uns Offshorewindparks bieten, nicht oder zumindest nicht in genügender Weise.
Eines kann jedenfalls nicht funktionieren: Wir dürfen
in Deutschland die Energie nicht so verteuern, dass wir
am Ende des Tages Industrien vertreiben. Ich möchte
nach wie vor, dass Deutschland ein Industrieland
bleibt.
({9})
Ich möchte hier weiterhin die Aluminiumindustrie haben, ich möchte hier die Zinkfabrikation haben, und ich
möchte hier die Papierindustrie, die Stahlproduktion etc.
haben. Das alles gehört zum Industriestandort Deutschland. Diejenigen, die mir sagen: „Das alles ist egal, und
wenn die Preise steigen, dann ist das gut so“, haben dabei völlig übersehen, dass das zu einer Deindustrialisierung unseres Standortes führt. Das ist nicht mein
Deutschland, und das ist auch nicht mein Deutschlandbild.
({10})
Es kann nicht funktionieren, dass dieselben Demonstranten, die gegen die Kernkraft auftreten, natürlich
auch gegen die Endlagerung demonstrieren. Nebenbei:
Das ist auch ein Bereich, den ich mit den Windfall Profits finanzieren möchte, den die Energiebetreiber durch
die Kernkraft erzielen.
({11})
- Liebe Frau Höhn, in diesem Fall hat gerade Ihre Fraktion, die den Umweltminister bzw. die Umweltministerin
viele Jahre lang gestellt hat, völlig versagt. Sie - rote
und grüne Minister - haben sich elf Jahre lang nicht ein
einziges Mal darum gekümmert, eine vernünftige Endlagerung sicherzustellen. Es ist doch Ihre Schuld, dass wir
bis heute noch keine Lösung gefunden haben.
({12})
Was haben Sie denn in den elf Jahren gemacht, in denen
Sie dieses Ministeramt innehatten?
Es kann nicht sein, dass Sie gegen die Kernkraft demonstrieren, gleichzeitig aber auch gegen die Endlagerung sind. Auch sagen die Grünen: Wir sind selbstverständlich gegen neue, moderne Kohlekraftwerke
- Stichwort Ensdorf, Stichwort Mainz -, und wir sind
natürlich auch gegen CCS. Carbon Capture and Storage
darf es schon gar nicht geben, weil das niemand in seinem Land unter seinen Füßen liegen haben will. Wir
wollen das nicht in den Boden verpressen. Wir sind auch
gegen Übertragungsleitungen von Nord nach Süd. Eine
Hochspannungsgleichstromübertragungsleitung darf
also nicht gebaut werden - Stichwort: Elektrosmog usw.
Ihre Grünen stehen da und sagen: Das kommt überhaupt nicht infrage. Ja, was wollen Sie denn? Wenn Sie
das alles nicht wollen, dann muss mir irgendwann einmal jemand erzählen, was Sie wollen.
({13})
- Ja, aber ich sage Ihnen doch gerade: Sie können die erneuerbare Energie nicht ins Land bringen.
({14})
Es nützt uns doch nichts, wenn sie nicht im Land ist.
Ich möchte Folgendes erreichen:
Erstens möchte ich, dass Sie sich aufregen; das ist mir
gelungen.
Zweitens möchte ich, dass Sie erkennen, dass wir
ohne eine vernünftige Brückentechnologie keine Chance
haben, in die Situation zu kommen, in die wir kommen
müssen, damit wir in Deutschland verlässlich preisgünstigen Strom für die Verbraucher, für die Bürgerinnen und
Bürger, zur Verfügung haben und damit die Unternehmen bezahlbaren Strom erhalten, um ihre Produktion
aufrechtzuerhalten und den Industriestand Deutschland
insgesamt erhalten zu können.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Entschuldigung, Herr Fell, ich habe übersehen, dass
das Wort zu einer Kurzintervention gewünscht wird. Sie
sprechen dann danach.
Ich gebe Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das
Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Fuchs, für diese Mischung in Ihrem Redebeitrag aus Uninformiertheit und Vorurteilen hätten
Sie viele Antworten verdient. Ich beschränke mich im
Sinne der Geschäftsordnung aber natürlich auf den
Punkt, mit dem Sie mich angesprochen haben.
Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass
Sie hier erneut bestätigt haben, dass ich im Gegensatz zu
allen 239 anwesenden oder nicht anwesenden Abgeordneten der CDU/CSU meinen SPD-Kreisverband dazu
verpflichtet habe, weit über jedes gesetzliche Maß hinaus jegliche Wahlkampfspende an die Partei sofort,
ohne Höhenbeschränkung, mit voller Namensnennung
und mit Zweckbindung zu veröffentlichen. Das tut kein
Einziger Ihrer Abgeordneten.
({0})
- Herr Kollege Fuchs, passen Sie jetzt auf. - Das tut vor
allem auch Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher und früherer Koordinator für Energiepolitik nicht, der ein Energieberatungsunternehmen hat und bis heute nicht veröffentlichen will, mit wem er Beratungsverträge zu
welchen Konditionen abgeschlossen hat. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Ihnen und mir.
Vielen Dank.
({1})
Zur Erwiderung Kollege Fuchs.
Herr Kollege Kelber, ich kann jetzt nicht beurteilen,
welches Energieberatungsunternehmen der Kollege
Pfeiffer hat.
({0})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es ist für mich selbstverständlich, dass ich das, was ich tue, auch klar und
deutlich mache, und ich erwarte das von Ihnen genauso.
Wenn das bei Ihnen vorbildlich geschieht, dann gratuliere ich Ihnen dazu. Damit liegen wir auf der gleichen
Wellenlänge.
Auf der anderen Seite sollten Sie aber auch wissen:
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. - Sie singen das
Lied der Solarindustrie.
({1})
Jetzt hat der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Fuchs, lassen Sie mich ganz kurz auf Ihre
Einlassungen eingehen. Wenn Sie die Argumente von
Herrn Scheer nicht verstehen, so ist mir das klar: Wer
nur in den Denkstrukturen der großen alten Atom- und
Energiekonzerne denkt, kann das nicht verstehen. Sie
vertreten deren Interessen.
({0})
Wenn Sie deren Plattitüden noch weiter treiben, in einem
zukünftigen Energiesystem mit erneuerbaren Energien
brauche man Grundlast, so müssen Sie endlich einmal
lernen, zum Beispiel von Herrn Rohrig, an den der hier
in Deutschland höchstdotierte Umweltpreis vergeben
wurde und der den Nachweis erbracht hat, dass vollständige, hundertprozentige Vollversorgung mit erneuerbaren Energien und Speichertechnologien möglich ist ohne Grundlast.
({1})
Wenn Sie das immer noch nicht hören wollen, dann
stelle ich nur noch fest: Sie beleidigen die deutschen Ingenieure, die die Lösungen längst auf den Weg gebracht
und realisiert haben. Diese Kraftwerke, die Vollversorgung rund um die Uhr gewährleisten, gibt es bereits.
({2})
Aber ich will gar nicht so sehr auf Ihre Falschbehauptungen eingehen; das raubt mir die Zeit, denn es gibt viel
Wichtigeres zu sagen.
Ein neues Kapitel der industriellen Weltgeschichte ist
vor zehn Jahren in diesem Hohen Hause aufgeschlagen
worden. Damals, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit und auch von den Medien, wurde das Solarzeitalter hier eingeläutet. Mit einem mutigen Beschluss hat
die rot-grüne Bundestagsmehrheit das ErneuerbareEnergien-Gesetz auf den Weg gebracht, übrigens ohne
Regierungsentwurf. Auch dies war ein Höhepunkt in der
deutschen Parlamentsgeschichte; denn nach dem Grundgesetz ist das Parlament für die Gesetze verantwortlich,
nicht die Regierung.
({3})
Diese Geburtsurkunde der erneuerbaren Energien wurde
gegen massive Widerstände aus den Energiekonzernen
und gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP in diesem Hause ausgestellt.
Das EEG hat trotz massiver Anfeindungen ein grünes
Wirtschaftswunder entfacht, welches weder Wirtschaftsanalysten und Energiekonzerne noch Union oder
Liberale je für möglich gehalten hatten. 30 000 Jobs gab
es 1998 in dieser Branche; bis heute ist ihre Zahl auf
300 000 gestiegen. Keine andere Wirtschaftsbranche hat
eine solche Erfolgsgeschichte in den letzten zehn Jahren
zu verzeichnen.
({4})
Unser Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien bis
2010 auf 12,5 Prozent verdoppeln zu wollen, wurde damals auch von Ihnen als völlig unrealistisch abgetan.
Ende 2009 wurden aber schon über 16 Prozent erreicht.
Damit, Herr Röttgen, ist klar der Beweis erbracht: Erneuerbare Energien können viel schneller wachsen, als
von Ihnen selbst und von der Allgemeinheit angenommen wird.
Für Klimaschutz und Energiesicherheit bringen die
erneuerbaren Energien ebenfalls die entscheidende Lösung: Mit über 50 Millionen Tonnen jährlicher CO2-Einsparung hat das EEG wie keine andere politische Maßnahme den Klimaschutz befördert. Die Vermeidung von
Kosten in Höhe von über 5 Milliarden Euro - Herr
Fuchs, hören Sie sich das genau an - für den Zukauf von
fossilen und atomaren Brennstoffen überwiegt bei weitem die Mehrkosten der erneuerbaren Energien, die den
Stromkunden mit weniger als 5 Prozent der Strompreise
belasten. Wo ist da das ökonomische Problem?
({5})
Gerade die Fotovoltaik zeigt doch die Effektivität des
Gesetzes auf: Von 14 Megawatt im Jahre 1999 stieg die
neu installierte Leistung auf 3 000 Megawatt im letzten
Jahr, und das bei halbierten Kosten. Welche andere Industriegeschichte dieser Art können Sie vorzeigen?
Aber das EEG ist auch eine internationale Erfolgsgeschichte. Etwa 50 Länder haben ähnliche Gesetze verabschiedet. Fast alle europäischen Länder gehören dazu;
Indien, Südafrika, Brasilien, mit Ontario die stärkste kanadische Wirtschaftsregion und auch Vermont in den
USA haben ein EEG eingeführt. Sie alle haben die
Chancen erkannt, die das EEG für Klimaschutz, für wirtschaftliche und technologische Entwicklung, für die Sicherung der Energieversorgung, für lokalen Umweltschutz, für Beschäftigung und für Armutsbekämpfung
bietet.
Erfreulich ist, dass nach dieser internationalen Erfolgsgeschichte dann endlich auch Union und FDP nicht
mehr an den grandiosen Erfolgen und Chancen des EEG
vorbeikommen. Neun Jahre nach dessen Verabschiedung
hat die FDP endlich die Kurve zur Unterstützung geschafft, die Union immerhin drei Jahre früher.
Herr Umweltminister Röttgen - er ist leider nicht da -,
die erneuerbaren Energien und das EEG in den Mittelpunkt der Agenda zu rücken, wie Sie dies tun, ist völlig
richtig und okay. Aber vor zehn Jahren haben Sie persönlich im Bundestag das EEG abgelehnt. Von Weitblick
zeugt das nicht; Ihr damaliges Abstimmungsverhalten ist
eher eine grandiose Fehleinschätzung, und dieser unterliegen Sie heute weiterhin.
({6})
Noch immer haben Sie nicht verstanden, wie schnell erneuerbare Energien wachsen können. Sie sind mit Ihrer
Fraktion, wie Herr Fuchs gerade aufgezeigt hat, Lichtjahre von der Weitsicht der damaligen Koalition entfernt.
({7})
Ich komme zur Bezahlbarkeit.
Sie kritisieren Millionengewinne der Solarbranche.
Das ist für Sie die Begründung, die Erfolgsgeschichte
der deutschen Solarbranche jetzt zu beenden. Aber Milliardengewinne der Atom- und Kohlekonzerne interessieren Sie nicht.
({8})
Der Bund der Energieverbraucher hat gerade aufgezeigt,
dass die großen Stromkonzerne in den letzten drei Jahren
durch unentwegte Strompreiserhöhungen jährlich
6 Milliarden Euro Zusatzgewinne gescheffelt haben. Das
ist wesentlich mehr als die Umlage auf den Strompreis
durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Aber Sie von
Union und FDP kümmern sich nicht um diese Milliardengewinne der Konzerne,
({9})
die mit Atommüll und Klimazerstörung die Gesellschaft
in immer größere Probleme stürzen, und regen sich nur
über Millionengewinne von Solarunternehmen auf.
Es wäre an der Zeit, dass Sie endlich eine Energieversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bis
2030 in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen.
({10})
Diese Denkweise und dieses Vorgehen entsprächen der
damaligen mutigen Aktion der rot-grünen Bundestagsabgeordneten in diesem Parlament.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
jetzt eine gute Viertelstunde Debatte zu diesem Thema
hinter uns, und ich habe gedacht, ich bin im falschen
Film; denn wir führen hier die Debatten der 90er-Jahre.
({0})
Die deutsche Bevölkerung will aber keine historische
Betrachtung, sondern sie will eindeutig die Frage geklärt
wissen, wie es mit den erneuerbaren Energien weitergeht. Darüber will ich reden. Die Frage ist nicht, ob wir
erneuerbare Energien fördern, sondern sie lautet, wie wir
sie fördern. Darüber müssen wir diskutieren.
({1})
Ich möchte auf das verweisen, was diese Koalition im
Koalitionsvertrag vereinbart hat. Wir haben vereinbart,
dass wir den Weg in das regenerative Zeitalter beschreiten wollen. Wir haben vereinbart, dass die fossilen Energien Schritt für Schritt durch alternative Energien ersetzt
werden sollen, bis wir irgendwann tatsächlich zu einer
vollständig CO2-neutralen Energieversorgung kommen.
Das ist die Leitlinie unserer Politik. In diesem Sinne haben wir vereinbart - das ist wichtig für die künftige
Energieversorgung, für das Energiekonzept -, den Einspeisevorrang erneuerbarer Energien unbegrenzt und
ungedeckelt fortzuführen. Deshalb entbehrt das Gezetere
über die Politik dieser Koalition, beispielsweise darüber,
dass Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängert und
Kohlekraftwerke nicht verboten, sondern in einem intelligenten Energiemix gehalten werden, jeder Grundlage.
({2})
Wenn die erneuerbaren Energien den vollständigen Einspeisevorrang haben, dann können die anderen Energien
das Netz nicht verstopfen. Wenn die erneuerbaren Energien in das Netz hineindrängen, dann werden die ande2208
ren Stück für Stück hinausgedrängt. Das ist auch für die
Energieversorger klar. Daran werden wir auch dann
nicht rütteln, wenn aus wirtschaftlichen Gründen möglicherweise einmal ein Kohlekraftwerk abgeschaltet werden muss, weil die Erneuerbaren in das Netz hineinkommen. Das ist die klare Leitlinie unserer Politik.
Wir glauben, dass es wichtig ist, das Vertrauen in das
Erneuerbare-Energien-Gesetz zu stärken. Deshalb haben
wir als erste Maßnahme im Umweltbereich des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die rückwirkenden Eingriffe, die die alte Regierung unter Minister Gabriel bei
den Biogasanlagen vorgenommen hat, zurückgenommen. Denn das war nicht nur eine Maßnahme für die entsprechenden Anlagen. Vielmehr hat Ihre Politik der
rückwirkenden Eingriffe dazu geführt, dass die erneuerbaren Energien schlechtere Finanzierungsbedingungen
hatten, weil die Banken nicht mehr geglaubt haben, dass
das EEG Vertrauensschutz gewährt. Die FDP und diese
Koalition werden dafür sorgen, dass Vertrauensschutz im
EEG Vorrang vor allen weiteren Überlegungen hat.
({3})
Zudem haben wir bei der Reform der Solarförderung
sichergestellt, dass nicht rückwirkend in Investitionen
eingegriffen wird. Deshalb haben wir in der Koalition
Übergangsbestimmungen vereinbart. Diese Verlässlichkeit war unser Kernanliegen in der weiteren Beratung.
Wir als FDP und als Koalition sagen aber auch: Es
kann nicht sein, dass wir mit dem EEG Traumrenditen
für Anleger garantieren.
({4})
Deshalb ist es richtig, Frau Höhn, dass wir, wenn die
Preise für Solaranlagen fallen, die Rendite an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben. Denn
die Stromkunden - das sind auch die Familien mit vielen
Kindern - zahlen die Renditen für die Anleger. Deshalb
ist es richtig, dass die Solarförderung zurückgeführt
wird.
({5})
Wir glauben, dass dieser Schritt die Solarförderung
langfristig gesellschaftlich akzeptabel hält und deshalb
ein Beitrag dazu ist, dass die Fotovoltaik in Deutschland
langfristig noch größere Chancen hat als heute. Deshalb
haben wir vereinbart, den Ausbaukorridor zu erweitern,
und wir werden beispielsweise auch den Eigenverbrauch
von dezentral verbrauchtem Strom durch Solaranlagen
besser fördern als bisher.
Insofern sage ich Ihnen ganz klar: Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten. Wir wollen
Überförderungen zurückführen. Aber wir wollen auch
die Solarbranche und die anderen erneuerbaren Energien
in Deutschland dynamisch ausbauen. Das ist die Leitlinie dieser Reform, und es wird die Leitlinie der Reform
sein, die wir mit einer großen Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2012 weiterverfolgen
werden.
Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Wir werden das
EEG an manchen Stellen ökologischer machen.
({6})
Denn es gibt auch in der Subventionierung der erneuerbaren Energien ökologische Fehlsteuerungen. Beispielsweise macht es keinen Sinn, wenn wir die Nutzung
nachwachsender Rohstoffe bei der Biomasseverstromung besser stellen als die Nutzung von Abfällen. Wir
wollen, dass vorrangig Abfälle und erst dann nachwachsende Rohstoffe genutzt werden; denn diese brauchen
wir auch für andere Verwendungen als für die Verstromung.
({7})
Diese Koalition hat darüber hinaus auch klargemacht:
Wenn wir Blockheizkraftwerke beispielsweise mit
Palmöl betreiben, wie es viele Stadtwerke tun, dann wollen wir, dass dieses Palmöl nachhaltig angebaut worden
ist. Deshalb werden wir die Zertifizierungen des Anbaus
dieser Biomasse stärker und klarer reglementieren, damit für unseren Ökostrom nicht die Regenwälder abgeholzt werden.
({8})
Meine Damen und Herren, wir werden das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiterentwickeln. Wir wollen damit die Förderung erneuerbarer Energien im Inland voranbringen, aber wir werden auch über die Grenze
hinausschauen. Denn Solarstrom beispielsweise kann
nicht nur durch Fotovoltaik auf deutschen Dächern produziert werden, sondern auch auf dem Weg, dass wir in
Kooperation beispielsweise mit den nordafrikanischen
Staaten große solarthermische Kraftwerke bauen. Diese
Kraftwerke werden notwendig sein, um Solarkraft in
großen Mengen in unseren Energiemix einzubringen.
Wir als FDP wollen das voranbringen. Ich freue mich,
dass wir in der Koalition genau diesen Weg gehen werden.
Vielen Dank.
({9})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Hermann Scheer das Wort.
Herr Kollege Kauch, Sie haben eben wieder den Begriff „Subventionierung“ benutzt. Ich muss nicht von
Ihnen erwarten, dass Sie alles sofort verstehen, was ich
gesagt habe. Aber wie kommen Sie eigentlich dazu, diesen Begriff permanent in diesem Zusammenhang zu verDr. Hermann Scheer
wenden, und das auch noch im Namen der Verbraucher?
Wenn die Verbraucher - also alle Bürger; es gibt keinen
Unterschied zwischen Bürgern und Verbrauchern - etwas subventionieren, dann ist es die herkömmliche
Energieversorgung, die ihre tatsächlichen Umwelt- bzw.
Sozialschäden nicht bezahlen muss. Das muss dann die
Gesellschaft auf ihre Schultern nehmen. Das ist Subventionierung, nichts anderes.
({0})
Wenn wir schon Subventionen abschaffen wollen und
Sie das Thema so oft in den Mund nehmen, dann müssen
wir doch erwarten, dass Sie es jetzt auch angehen, die
immer noch laufende Subventionierung der Atomenergie in Form der Steuerbefreiung und steuerfreien Rückstellungen, die über 30 Milliarden Euro ausmachen, zu
beenden.
({1})
Die werden dort angesammelt; damit wird systematisch
monopolisiert. Damit werden andere Unternehmen aufgekauft, und dann soll die öffentliche Hand 4 Milliarden
Euro zahlen, um den ganzen Atomdreck wieder aus Asse
herauszuholen. Das ist Subventionierung.
({2})
Wir müssen in dieser Debatte einmal die Stühle zurechtrücken, damit wir endlich klar durch den Nebel sehen,
worauf es wirklich ankommt und wer hier zulasten der
Gesellschaft welche Energieform betreibt.
({3})
Zur Erwiderung Kollege Kauch.
Lieber Kollege Scheer, Sie sind oft im Ausland unterwegs und haben deshalb vielleicht nicht so ganz mitbekommen, was diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag
beschlossen hat.
({0})
Diese Koalition hat nämlich beispielsweise beschlossen,
die Energieversorger an den Kosten im Zusammenhang
mit der Asse zu beteiligen. Das ist im Koalitionsvertrag
längst festgehalten; dafür brauchen wir überhaupt nicht
Ihren Antrieb.
Ansonsten habe ich den Eindruck - das muss ich
deutlich sagen -, dass Sie penetrant versuchen, die Debatten von vor zehn Jahren zu wiederholen.
({1})
Dieses Haus ist geschlossen für das EEG; das ist klar.
Diese Koalition hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt. Sie müssen nicht ständig erklären, warum das so
wichtig ist. Wir müssen vielmehr Folgendes tun:
Erstens. Wir wollen die erneuerbaren Energien zur
Regelversorgung in diesem Land machen. Die erneuerbaren Energien sollen unsere Energieversorgung dauerhaft absichern.
Zweitens. Wir brauchen Übergangsszenarien, die dazu
beitragen, dass wir unsere Klimaschutzziele - Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent - erreichen.
Drittens. Es kann uns nicht egal sein, was die Bürgerinnen und Bürger dafür bezahlen.
({2})
Wir stehen dafür ein, dass sie nur so viel bezahlen, wie
es notwendig ist, um diese Ziele zu erreichen. Wenn Ihnen das Geld der Bürgerinnen und Bürger egal ist,
({3})
dann ist das nicht unsere Politik.
({4})
Es kommt für die Leute nicht darauf an, ob das Geld
über den Bundeshaushalt oder über die Stromrechnung
hereinkommt; denn am Schluss müssen sie - das sind
die Verbraucherinnen und Verbraucher - es aus ihrer Tasche bezahlen. Ob Sie das nun „Subvention“ nennen
oder nicht: Wir stehen zu dieser Subvention; wir stehen
dazu, dass diese Energien gefördert werden. Das kann
aber nicht um jeden Preis geschehen. Auch hier müssen
Maß und Effizienz die Regel für die weitere Förderung
sein.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
führen eine hochemotionale Debatte zu einer Thematik,
bei der in diesem Haus eigentlich große Einigkeit besteht.
({0})
- Lieber Kollege Fell, jedenfalls habe ich unsere Debatten über das EEG in der letzten Legislaturperiode so in
Erinnerung.
({1})
Wenn man schaut, was eigentlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, dann erkennt man, dass man
dies als gemeinsame Grundlage für unsere weiteren Diskussionen in diesem Haus nutzen kann: 2-Grad-Ziel,
Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz, Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent, Weg in das regenerative Zeitalter, was bedeutet,
dass Deutschland seinen Wohlstand weiter in diesem Zukunftsfeld erarbeiten will, der dann hier, insbesondere
im Bereich der Sozialsysteme, zu verteilen ist. Im Koalitionsvertrag führen wir weiter aus:
Ziel ist es, dass die erneuerbaren Energien den
Hauptanteil an der Energieversorgung übernehmen.
Auf diesem Weg werden in einem dynamischen
Energiemix die konventionellen Energieträger kontinuierlich durch alternative Energien ersetzt.
Auch das ist Konsens.
({2})
All das muss unter Beachtung des Zieldreiecks aus
Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit verfolgt werden.
Wenn man die Versorgungssicherheit betrachtet, kann
man die Augen nicht davor verschließen, dass wir in hohem Maße importabhängig sind.
({3})
Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass
viele unserer energetischen Ressourcen aus Ländern
kommen, in denen keine politische Sicherheit besteht,
und dass natürliche Ressourcen endlich sind.
Man muss einfach sehen, dass die Frage der Wirtschaftlichkeit mit Standortfaktoren für die Industrie zu
tun hat, sich aber auch mehr und mehr zu einer sozialen
Frage für die Verbraucher entwickelt. Wir werden das erleben, wenn wir die Wärmekostenabrechnung für diesen
Winter erhalten. Wenn die Preise heute auf dem Niveau
von 2008 wären, dann wäre das ein großes Problem. Wir
müssen deshalb erkennen, dass eine Fortschreibung des
Status quo unseres Energiemixes mitnichten die Probleme lösen kann, die wir angehen müssen, und zwar mit
aller Kraft.
({4})
Bezüglich des Klimaschutzes und bezüglich der Umweltverträglichkeit hat die Vorgängerregierung mit den
Meseberger Beschlüssen und dem IKEP-Programm
wichtige Schritte in die richtige Richtung getan. Dieses
Programm werden wir in dieser Legislatur überprüfen,
und wir werden es an der einen oder anderen Stelle nachjustieren.
Wenn wir auf das wichtigste Instrument im Bereich
der Meseberger Beschlüsse, des IKEP, schauen, nämlich
auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz, dessen Geburtstag wir heute feiern, dann sehen wir, dass auch dieses Gesetz nicht vom Himmel gefallen ist, sondern dass
es eine Vorgängerregelung gab, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz.
({5})
- Das Stromeinspeisungsgesetz haben wir nie abgelehnt.
Das ist auf unserem Mist gewachsen, lieber Herr Fell.
({6})
Dieses hat zum ersten Mal die Abnahme- und Vergütungspflicht von Strom aus erneuerbaren Energien vorgesehen.
({7})
- Ich will Sie doch gerade loben. Nun hören Sie doch
zu!
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 hat dann
feste Vergütungssätze, einen Mindestvergütungszeitraum von 20 Jahren und den Einspeisungsvorrang vorgesehen. An dem Einspeisungsvorrang haben alle Nachfolgeregierungen festgehalten. Daher stimmt das, was Herr
Kauch eben zu den Verstopfungsproblemen, die es allgemein geben soll, gesagt hat. Solange wir den Einspeisungsvorrang für erneuerbare Energien haben, ist das
Problem nicht, ob Strom aus Kohle, Kernenergie oder
anderen Ressourcen gewonnen wird, sondern ob wir es
schaffen, die Netze quantitativ und qualitativ auszubauen.
({8})
Diesen Netzausbau werden wir nur mit dem Einverständnis der Bürgerinnen und Bürger vor Ort erreichen.
({9})
Ich bitte zur Lösung dieses Problems um die Unterstützung der Opposition.
Die Novelle von 2004 hat das EEG weiterentwickelt.
Es hat als wichtiges Element der Innovation die Degression für die Vergütungssätze eingeführt, sodass Jahr für
Jahr immer etwas weniger für erneuerbare Energien gezahlt wird, die auf der gleichen Technologie beruhen.
Das hat einen unglaublichen Innovationsdruck ausgelöst, was ausgesprochen gut war. Darüber hinaus haben
wir eine Härtefallregelung für die energieintensive Industrie eingeführt, was ganz wichtig ist, um den IndusDr. Maria Flachsbarth
triestandort Deutschland weiter wettbewerbsfähig zu erhalten.
Mit der Novelle von 2009 haben wir Wert auf das Repowering, auf die Offshore-Windkraft und die Verbesserung der Netzintegration gelegt. Wir haben also den
Gedanken der Nutzung erneuerbarer Energien kontinuierlich weiterentwickelt, was durch eine breite Mehrheit des ganzen Hauses mitgetragen wurde. Dieser Hinweis hilft vielleicht, die Schärfe aus der Diskussion zu
nehmen.
({10})
Inzwischen beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien
am Endenergieverbrauch 10 Prozent. Davon sind - es ist
wichtig, auch das einmal festzustellen - 70 Prozent Bioenergie, also nachwachsende Rohstoffe. Die nachwachsenden Rohstoffe sind, um es so auszudrücken, von den
unendlichen Energieträgern die endlichsten. Deshalb
müssen wir uns auch auf andere Ressourcen konzentrieren. Das ist ein Grund dafür, warum wir bei der Novelle
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2009 den Wind, Repowering und Offshore-Windkraft, so sehr in den Vordergrund gestellt haben. Der Anteil am Stromverbrauch
- Kollege Fuchs hat es eben gesagt - beträgt 16 Prozent,
davon beträgt der Strom aus Windkraft ungefähr 44 Prozent, jeweils ein Viertel kommt aus Wasser und Biomasse.
In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig, die
Branchen zu nennen. Ich darf darauf hinweisen, dass inzwischen 280 000 Arbeitsplätze an den erneuerbaren
Energien hängen, insbesondere in strukturschwachen
Regionen Norddeutschlands; ich darf das als Niedersächsin sagen. Das ist sicherlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Man muss sich natürlich ansehen, was das alles kostet. Es kostet den Privatverbraucher im laufenden Jahr
circa 2 Cent pro Kilowattstunde und damit 0,9 Cent
mehr als im Jahr 2009. Das sind ungefähr 6 Prozent der
Kosten für eine Kilowattstunde. Für einen Musterhaushalt, der 3 500 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, sind
das circa 3,25 Euro pro Monat. Wenn man das zusammenrechnet, dann kommt man auf mehrere Milliarden
Euro in einem bestimmten Zeitraum, aber letztendlich
wird der Verbraucher mit dieser Summe belastet.
Auf internationaler Ebene ist das EEG ein Erfolgsprojekt. In fast über 50 Staaten wird es kopiert.
Wir haben gerade im Ausschuss über die IRENA diskutiert, eine internationale Organisation, die auf Initiative Deutschlands gegründet wurde und die helfen soll,
die Idee der erneuerbaren Energien weltweit durchzusetzen. Das IRENA-Sekretariat wird in Abu Dhabi eingerichtet, das Innovationszentrum in Bonn. Die EU wird
jetzt als weiterer wichtiger Partner beitreten. Das Ganze
wird zur Stärkung der Idee der Erneuerbaren auch international beitragen.
Das Umfeld des EEG ist zu betrachten. Herr Kauch
hat die Nachhaltigkeitsverordnung genannt, die natürlich
sehr notwendig ist, damit wir nicht unter dem Mäntelchen des Klimaschutzes unverträgliche Maßnahmen etablieren.
Der Ausgleichsmechanismus ist wichtig. Dies haben
wir gemeinsam in der letzten Legislatur geregelt, indem
wir gesagt haben: Es darf keine physische Wälzung, sondern nur noch eine finanzielle Wälzung geben. Dies
führt jetzt aber dazu, dass nur die großen Energieversorger Grünen Strom an den Börsen vertreiben dürfen und
wir dadurch nur Grauen Strom im Angebot haben.
Ich möchte gemeinsam mit meiner Fraktion - das
steht nicht im Koalitionsvertrag - eine Initiative zum
Beispiel für die Einführung einer Marktprämie ergreifen,
die optional sein soll. Anlagenbetreiber sollen sich im
Rahmen von mittelständischen Strukturen zusammenschließen dürfen und Hilfen bekommen, damit es wirtschaftlich sein wird, zum Beispiel an der Börse in Leipzig Grünen Strom direkt zu vermarkten. Diese Idee soll
dazu führen, dass die Betreiber der Erneuerbaren stärker
an den Markt herangeführt und mehr und mehr von der
Förderung entwöhnt werden, die sie im Rahmen des
EEG noch benötigen.
({11})
Auf das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat Kollege Kauch bereits hingewiesen.
Wichtig ist es, Sicherheit für private Investitionen zu
gewährleisten; denn die privaten Investoren sind es, die
den Ausbau der Erneuerbaren maßgeblich vorantreiben.
Von daher brauchen wir ganz besonders in diesem Bereich Investitionssicherheit.
Die Weiterentwicklung des EEG im Bereich der Fotovoltaik haben wir jetzt in Angriff genommen. Ich finde,
der Vorschlag, den das Bundeskabinett wohl in der
nächsten Woche verabschieden wird, ist sehr ausgewogen. Wir haben einen Zielkorridor festgelegt, der verdoppelt wurde. Ein Zubau von 3 Gigawatt pro Jahr ist
vorgesehen. Wir wollen besonders den Eigenverbrauch
fördern. Planungssicherheit ist durch entsprechende
Übergangsfristen gewährleistet.
Insgesamt müssen wir die Akzeptanz für die Erneuerbaren erhalten. Wir können auf Dauer nicht erklären,
warum für 5 Prozent des durch Erneuerbare im Bereich
Fotovoltaik erzeugten Stroms 50 Prozent der Umlage
bezahlt werden. Deshalb müssen wir im Rahmen der
Förderbedingungen vernünftige Maßnahmen ergreifen.
Wir können auch nicht erklären, warum auf besten
Ackerbauböden riesige Freiflächen-Solaranlagen entstehen sollen. Dafür gibt es andere Standorte. Konversionsflächen und Brachflächen sollten wir dazu nutzen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg in das
regenerative Zeitalter wird nur gelingen, wenn wir uns
gemeinsam den qualitativen und quantitativen Ausbau
der Netze auf die Fahnen schreiben und die Weiterentwicklung der Speichertechnologien ganz oben auf unserer Agenda steht. Das heißt, wir brauchen Innovationen
im Bereich der E-Mobilität. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Batterietechnologie, aber auch eine
Weiterentwicklung der Speicherkraftwerke.
Herr Kollege Fell, Sie haben eben gesagt: Wir können
die Erneuerbaren verstetigen.
({13})
Jawohl, das können wir machen. Aber wir dürfen nicht
vergessen, dass zum Beispiel ein Pumpspeicherkraftwerk wie das in Goldisthal nach heutigen Maßgaben und
nach im Bereich des Naturschutzes geltenden Gesetzen
sehr schwierig - um nicht zu sagen: fast überhaupt nicht zu realisieren ist.
({14})
Es gibt genauso wie beim Ausbau der Netze immer wieder Widerstände in der Bevölkerung vor Ort. Wenn wir
den Weg in das regenerative Zeitalter gehen wollen,
dann muss es unser gemeinsames Anliegen sein, vor Ort
für unser Ziel zu werben und die technologischen Voraussetzungen für dieses gemeinsame Ziel zu schaffen.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Übrigens, ich heiße nicht Wolf Hempelmann - so hab
ich Sie verstanden, Herr Präsident -, sondern Rolf
Hempelmann. Aber als Wolf macht es mir besonderen
Spaß, auf den Fuchs loszugehen. - Ich sehe, der Kollege
Fuchs hat es gemerkt.
Herr Fuchs, wir haben von Ihnen in der Tat - Sie haben es gesagt - eine Menge gelernt, insbesondere, dass
der Wind nicht immer bläst. Ich möchte darauf aufmerksam machen - man stellt das fest, wenn man genauer
hinschaut, etwa in Richtung Frankreich -, dass auch dort
die Kernkraftwerke nicht immer laufen, vor allen Dingen nicht immer auf Volllast. Im Sommer wurde ihre
Leistung einmal bis auf 20 Prozent heruntergefahren.
Auch im Winter musste sie deutlich gedrosselt werden.
Strom wurde importiert, insbesondere aus Deutschland.
Durch Windenergie erzeugter Strom hatte daran einen
großen Anteil.
({0})
Insofern sollte man hier tatsächlich etwas differenzierter
vortragen. Mein Dank gilt ausdrücklich Maria
Flachsbarth, auch wenn ich ihr nicht in jedem Punkt zustimme. Sie hat hier eine sehr differenzierte Darstellung
des Sachverhalts gegeben.
({1})
Zehn Jahre EEG. Warum war das EEG so erfolgreich?
Es war deswegen erfolgreich, weil wir drei Dinge gemacht haben: Erstens. Wir haben für den Einspeisevorrang gesorgt. Offenbar sind sich heute alle einig, dass
das notwendig war. Damals war das sehr umstritten.
Zweitens. Wir haben für feste Vergütungssätze gesorgt,
was eine entsprechende Planbarkeit für die Akteure
brachte und den Boom letztlich auch ausgelöst hat. Drittens. Wir haben von Anfang an für klar definierte Degressionssätze, also für Minderungen der Vergütungen,
gesorgt, sodass ein Anreiz für Effizienzsteigerung und
für Innovation gesetzt war.
Das Ganze ging einher mit angekündigten Überprüfungen. Nach entsprechenden Abständen gab es da, wo
es möglich war, weitere Absenkungen von Vergütungen.
Was jetzt passiert, ist, jedenfalls nach unserem Eindruck, eher das Verlassen dieses verlässlichen Pfades.
Was im Zusammenhang mit der Fotovoltaik angekündigt
worden ist - von vornherein werden Größenordnungen
für Absenkungen genannt -, ist äußerst problematisch.
Wir versperren uns nicht der Diskussion. Wir versperren
uns nicht möglichen Absenkungen - wir haben das auch
deutlich gesagt -; aber wir wollen, dass das auf der Basis
einer klaren Analyse und sehr verantwortlich passiert.
Wir wollen nämlich, dass der Prozess der Effizienzsteigerung weitergeht, und wir wollen keinen Bruch, der
nach unserer Einschätzung jetzt drohen könnte und den
es zu vermeiden gilt.
({2})
Es gibt einen weiteren Punkt, der in etwa zeitgleich
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz entschieden
wurde und der ebenfalls erheblichen Einfluss hatte auf
den Erfolg der erneuerbaren Energien: den Kernenergieausstieg. Der Ausstieg aus der Kernenergie und damit
die klare Perspektive, dass bestimmte Strommengen aus
dem Markt und auch aus den Netzen verschwinden, hat
den Erneuerbaren eine Perspektive gegeben, die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst denkbar gemacht hat. Dass jetzt über den Ausstieg aus dem Ausstieg geredet wird, hat nicht nur die Vertreter der
erneuerbaren Energien auf den Plan gebracht, sondern
auch viele andere, insbesondere neue, kleinere oder mittelgroße Akteure, die sagen: Das hat erhebliche Konsequenzen, insbesondere für den Wettbewerb.
Warum ist das wichtig? Wenn es Konsequenzen für
den Wettbewerb gibt, wenn erneuerbare Energien gegen
abgeschriebene Kernkraftwerke also kaum ankommen
können, dann ist der Weg, von dem Maria Flachsbarth zu
Recht gesagt hat, dass wir ihn in Zukunft gehen müssen
- ein Stück Loslösung vom EEG, ein Stück hin zur
Direktvermarktung -, natürlich erheblich erschwert. Wir
bitten Sie, darüber noch einmal nachzudenken. Das sind
keine Einwände, die ausschließlich von den Vertretern
der Erneuerbaren, also rein interessegeleitet, gemacht
werden; vielmehr werden sie sehr viel breiter vorgetragen. Sie sollten das ernst nehmen.
Es gab einen weiteren Punkt, der für den Erfolg des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes bzw. der erneuerbaren
Energien sehr wichtig war: die sogenannte Exportinitiative Erneuerbare Energien. Wir haben damals gesagt:
Wir wollen die Unternehmen frühzeitig instand setzen
und motivieren, ihre Erfolgschancen nicht nur auf dem
deutschen Markt, sondern auch außerhalb zu suchen.
Mittlerweile ist es so, dass ein großer Anteil der Erneuerbaren, die in diesem Lande produziert werden, in den
Export gehen. Das bindet hier Wertschöpfung und Arbeitsplätze und tut damit dem Standort Deutschland insgesamt sehr gut.
({3})
Diese Exporterfolgsgeschichte hatte auch etwas damit
zu tun, dass wir nicht nur Technologie exportiert haben,
sondern auch - das ist ja heute hier schon angeklungen das Gesetz selbst. Über 40 Länder haben es in mehr oder
weniger identischer Form übernommen. Erst das hat
dazu geführt, dass die entsprechenden Märkte entstanden und der Technologieexport möglich wurde.
Wenn wir jetzt hier in Deutschland den Pfad der Verlässlichkeit bei der Organisation eines Effizienzprozesses verlassen, wenn wir jetzt Brüche riskieren, dann
führt das natürlich auch dazu, dass wir die Exportchancen für erneuerbare Energien gefährden; denn wir können nicht ausschließen, dass das auch Einfluss auf die
Gesetzgebung in anderen Märkten hat. Auch darüber
sollten Sie einmal nachdenken. Ich jedenfalls bin der
festen Überzeugung, dass diese Zusammenhänge auch
Ihnen einleuchten müssten.
Ein letzter Punkt: Sie stellen sich auch heute wieder
ein wenig als Robin Hood dar, als Rächer der Enterbten,
also der Verbraucher und der Mieter, die insbesondere
die erneuerbaren Energien über höhere, im Strompreis
versteckte Vergütungssätze bezahlen müssen. Die Bundesagentur hat Ihnen eigentlich den richtigen Pfad gewiesen. Sie hat vor wenigen Tagen deutlich gemacht,
dass die Preissteigerungen, etwa die Anfang dieses Jahres um durchschnittlich 6,2 Prozent - das entspricht einer Größenordnung von 1,2 bis 1,3 Cent pro Kilowattstunde -, mitnichten mit dem Aufwuchs bei den
erneuerbaren Energien zu begründen sind, wie es die
Konzerne gemacht haben.
({4})
Durch den Aufwuchs ließe sich nur etwa eine Erhöhung
um 0,2 Cent rechtfertigen. Deswegen sind das Argument, für mehr Wettbewerb zu sorgen, und das Argument, Vorsicht bei der Verlängerung der Laufzeiten für
Kernkraftwerke walten zu lassen, so wichtig. Sie können
sehr viel mehr für die Verbraucher tun, wenn Sie für
mehr Wettbewerb sorgen, wenn Sie nicht, wie Sie es derzeit vorhaben, die bisherigen Strukturen durch eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke zementieren.
Wenn Sie also Ihren Ankündigungen gerecht werden
wollen, dann überlegen Sie sich, was Sie bei der Fotovoltaik und bei der Kernenergie tun wollen. Im Augenblick sind Sie bei beiden Themen auf dem falschen Pfad.
({5})
Das Wort hat der Kollege Klaus Breil von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre EEG - wir erinnern uns aber heute auch
an das Stromeinspeisungsgesetz, das unser liberaler Bundeswirtschaftsminister Dr. Helmut Haussmann schon
zehn Jahre zuvor unterschrieben hatte und das zuerst die
Abnahme und die Vergütung von erneuerbaren Energien
festlegte.
({0})
Allerdings rechneten wir 1990 mit Mehrkosten von
rund 50 Millionen DM pro Jahr, also mit keinem wesentlichen Einfluss auf die Strompreise. Seit Inkrafttreten
des EEG sind inzwischen aber Vergütungen in Höhe von
insgesamt über 48 Milliarden Euro ausgezahlt worden.
Gleichwohl hat sich die FDP auf ihrem Parteitag 2009 in
Hannover klar zum EEG bekannt. Und der FDP sind die
Weiterentwicklung des Maschinen- und Anlagenbaus im
Bereich der erneuerbaren Energien und die Realisierung
der sich daraus ergebenden Exportpotenziale sehr wichtig.
({1})
In ihrem Antrag fordert die SPD den Zuschnitt des
EEG als langfristig angelegtes Instrument der Technologieförderung. Die Grünen wiederum wollen das EEG
kosteneffizient gestalten und zugleich Innovationskraft,
Investitionssicherheit und Vertrauensschutz erhalten.
Genau das sind auch unsere Zielauffassungen.
({2})
Bestes Beispiel dafür ist die jetzt neu konzipierte Eigenverbrauchsförderung. Damit wird zielgenauer Innovationsdruck aufgebaut, um geeignete Energiespeicher zu
entwickeln. So können auch die Netze entlastet werden.
({3})
Schon in diesem Jahr werden wir für sämtliche erneuerbare Energien Vergütungskosten von insgesamt rund
12,3 Milliarden Euro haben. Für den Verbraucher bedeutet das Kosten in Höhe von über 8,2 Milliarden Euro.
Das sind durchschnittlich 100 Euro pro Kopf der Bevölkerung, das entspricht 400 Euro für eine vierköpfige Familie pro Jahr. Im nächsten Jahr dürften die Gesamtkosten auf über 10 Milliarden Euro steigen. Allein für den
Solarstrom, der nur etwa 1 Prozent der primären Stromversorgung ausmachen wird, muss der Verbraucher mit
etwa 3,4 Milliarden Euro mehr als 40 Prozent der EEGGesamtkosten aus eigener Tasche auf den Tisch legen.
Diese von mir aufgeführten Kosten bedeuten allerdings
keinesfalls, dass die FDP das EEG infrage stellt. Vielmehr will ich gezielt darauf hinweisen, wie enorm wichtig es ist, die notwendige Förderung für den Verbraucher
so kostengünstig wie nur irgend möglich zu gestalten.
({4})
Zusammenfassend müssen wir uns über folgende Tatsache im Klaren sein: Das Fördern von erneuerbarer
Energie hin zur Marktreife ist - wenn man es richtig dosiert - sinnvoll, ein Durchfüttern durch Überförderung
ist es aber nicht.
({5})
Ein Zuviel macht den deutschen Markt träge und verschwendet das Geld der Verbraucher.
Letzten Endes wird sich am Beispiel der EEG-Förderung die Ernsthaftigkeit unserer Zielsetzung messen lassen. Wenn zum Beispiel Windstrom nur noch so viel
kostet wie fossiler Strom, dann hat sich die Einspeisevergütung durch das EEG erledigt. Dann braucht man
nur noch den Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien im oligopolisierten Markt wettbewerbsfähig zu halten.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden heute über zehn Jahre EEG. Zu Beginn muss man
eines feststellen: Die Verabschiedung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes war eine Sternstunde für den Bundestag und für die Energiepolitik in Deutschland.
({0})
Sie war nämlich der Ausgangspunkt für einen unglaublichen Boom. In Deutschland wird mittlerweile dreimal so
viel Ökostrom hergestellt wie vor zehn Jahren. Mittlerweile haben wir in diesem Bereich fast 300 000 Arbeitsplätze. Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien
liegt inzwischen bei 16 Prozent. Das sind hervorragende
Zahlen. An diese gute Entwicklung muss immer wieder
erinnert werden.
({1})
Diese Erfolgsgeschichte ist von Sozialdemokraten
und Grünen auf den Weg gebracht worden. Laut Protokoll gab es damals bei der Abstimmung 217 Neinstimmen: von der CDU, von der CSU und von der FDP. Herr
Kauch, ich sage das insbesondere deshalb, weil ich an
die Vergangenheit erinnern möchte; denn wer aus der
Vergangenheit nicht lernt, wird in der Zukunft falsche
Entscheidungen treffen. Deshalb sage ich: Sie haben damals falsch entschieden.
({2})
Die Neinsager standen auf der falschen Seite der Geschichte.
({3})
Nun stehen die Neinsager von damals davor, wieder
einen historischen Fehler zu machen, wie sie ihn damals
mit ihrem Nein begangen haben; denn jetzt stehen sie
vor der Entscheidung, wie sie mit der Atomkraft umgehen. Ich sage Ihnen: Die Neinsager von damals setzen
heute auf die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Das ist ebenso ein historischer Fehler, wie damals
gegen das EEG zu stimmen.
({4})
Warum? Die Laufzeitenverlängerungen werden den
Ausbau der erneuerbaren Energien massiv behindern.
Das, was Sie entscheiden, ist keine Brücke; denn Sie entscheiden sich dafür, eine Mauer aufzurichten, gegen die
die erneuerbaren Energien fahren werden. Sie entscheiden sich gegen eine Brücke und für den Stopp des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
({5})
Im Gegensatz zu Herrn Fuchs hat der Bundesumweltminister das verstanden. Die entscheidende Antwort auf
die Ausführungen von Herrn Fuchs ist ein Zitat des Bundesumweltministers, der in der Frankfurter Rundschau
vom 19. Februar - es ist also noch nicht lange her - gesagt hat: „Viel Atomstrom und viel Ökostrom“ passen
„als ökonomische Konzepte nicht zusammen“. Er führt
weiter aus:
Windkraft und Solarenergie müssen durch flexible
und schnell regelbare … Kraftwerke ergänzt werden, nicht durch große Kernkraft-Blöcke.
Recht hat der Bundesumweltminister mit dieser Aussage.
({6})
Ich frage mich nur, warum der Bundesumweltminister und die Bundesregierung, wenn sie die Zusammenhänge denn verstanden haben, daraus nicht auch
Konsequenzen ziehen. Ich frage mich, warum der Bundesumweltminister trotzdem für Laufzeitverlängerungen
von großen, unflexiblen Kraftwerksblöcken ist, nämlich
von Atomkraftwerken. Ich sage: Wer zu dieser Erkenntnis gekommen ist, muss auch die Konsequenz daraus
ziehen und darf nicht für Laufzeitverlängerungen von
großen, unflexiblen und daher nicht mit Ökostrom zusammenpassenden Atomkraftwerken sein.
({7})
Es geht aber auch noch um etwas völlig anderes. Herr
Fuchs und Herr Kauch, Sie sagen, dass die Preise für die
Verbraucher bezahlbar sein müssen. Ich sage Ihnen: Gerade dadurch, dass wir keinen Wettbewerb auf den Energiemärkten haben, dadurch, dass die vier großen Anbieter quasi ein Monopol haben, werden die Preise nach
oben getrieben. Allein dadurch, dass die CO2-Zertifikate
eingepreist wurden, haben die Unternehmen einen zusätzlichen Gewinn von 5 Milliarden Euro pro Jahr machen können. Das ging zulasten der Verbraucher. Wer
die Preise für Verbraucher reduzieren will, muss mehr
Wettbewerb in den Markt bringen und deshalb für mehr
Strom aus erneuerbaren Energien eintreten. Das ist der
Punkt.
({8})
Ihre Pläne - mit Atomkraft - bedeuten mehr Atommüll, mehr Unfallrisiken und mehr Gewinne für die
Großunternehmer und sind deshalb schlecht, und zwar
auch für die Verbraucher.
Frau Kollegin Höhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kauch?
Sicher.
Bitte schön, Herr Kauch.
Liebe Frau Höhn, Sie legen Wert darauf, dass wir hier
über die historische Wahrheit sprechen.
({0})
Sie haben darauf hingewiesen, dass die Energiekonzerne
Windfall-Profits, also Mitnahmeeffekte durch den Emissionshandel erzielt haben. Stimmen Sie mir zu, dass das
Gesetz, auf dem diese Mitnahmeeffekte beruhen, durch
Umweltminister Trittin von den Grünen und die rotgrüne Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde?
({1})
Lieber Herr Kauch, ich habe eben gesagt: Wenn man
heute die richtigen Entscheidungen fällen will, muss
man sehen, was man in der Vergangenheit falsch gemacht hat.
({0})
Ich fand schon damals, dass man sofort auf Auktionierung hätte setzen können. Das war gesellschaftlich aber
nicht durchsetzbar. Deshalb musste die damalige Bundesregierung so handeln.
({1})
Im Nachhinein sehen Sie, wie falsch das war. Anders
als Sie haben wir daraus gelernt und sofort gesagt: Wir
wollen die Auktionierung der CO2-Zertifikate. Anders
als Sie haben wir aus der Geschichte gelernt. Sie lernen
nicht aus der Geschichte. Sie haben damals gegen das
EEG gestimmt und bauen mit der Laufzeitverlängerung
für Atomkraftwerke jetzt eine Mauer für die erneuerbaren Energien auf. Das ist der Unterschied, Herr Kauch.
({2})
- Ja. Sie wäre trotzdem richtig gewesen. Inhaltlich wäre
das richtig gewesen. Das ist gar keine Frage.
({3})
Ich sage noch eines - darüber ist hier bisher nicht diskutiert worden -: Der entscheidende Punkt ist, dass wir
damals mit dem Atomkonsens einen schweren Konflikt
innerhalb der Gesellschaft endlich beendet haben. Die
schwarz-gelbe Koalition reißt diese Gräben wieder auf.
Ich sage Ihnen: Sie verunsichern damit auch die Investoren. Eines müssen Sie wissen: Wenn Sie jetzt Laufzeitverlängerungen beschließen und realisieren, dann werden wir das wieder ändern, sobald wir die Möglichkeit
dazu haben.
({4})
Das heißt: Es gibt keinerlei Planungssicherheit für die
Investoren. Das müssen Sie wissen.
Das heißt: An dem Punkt Laufzeitverlängerung werden wir Widerstand leisten. Sobald wir können, werden
wir das wieder ändern. Der Energiemarkt verträgt keine
Unsicherheit. Durch Ihre Entscheidung sorgen Sie aber
genau dafür. Deshalb sage ich: Keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, sondern Ausbau der erneuerbaren Energien und Ausbau der Energieeffizienz. Das ist
der richtige Weg und nicht die Laufzeitverlängerung für
Atomkraftwerke.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Frau Höhn, ich hätte mir gewünscht, dass wir hier
gemeinsam über die Frage diskutieren, wie man die erneuerbaren Energien auf ihrem positiven Weg begleiten
kann, und weniger eine Art Vaterschaftsprozess in Gang
setzen, bei dem es darum geht, zu entscheiden, wer nun
der Vater der Förderung ist.
({0})
Insofern bin ich der SPD ausgesprochen dankbar dafür,
dass sie in ihrem Antrag immerhin ausgeführt hat, dass
das Stromeinspeisungsgesetz Basis des EEG war. In dem
Zuge muss man deutlich sagen, dass es überhaupt keine
Chance gibt, die CDU/CSU mit denjenigen in eine Ecke
zu stellen, die das Thema erneuerbare Energien nicht voranbringen wollen.
({1})
Das können Sie historisch bis zurück in das Jahr 1983
fundieren, als die Regierung Kohl die ersten Versuche
zur Nutzung der Windkraft unterstützt hat. Sie können
das weiterverfolgen über das Stromeinspeisungsgesetz
bis hin zu dem, was wir gemeinsam in der Großen Koalition gemacht haben. Das Marktanreizprogramm, liebe
Kollegin Höhn, ist in der Großen Koalition ganz anders
mit Mitteln ausgestattet gewesen als in der Zeit, als die
Grünen an der Regierung waren: Im Jahr 2005 waren es
rund 130 Millionen Euro, im Jahr 2009 waren es rund
500 Millionen Euro, also fast das Vierfache. Ich bitte,
zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht nur Sie allein Umweltpolitik und die Förderung erneuerbarer Energie können.
({2})
Wir setzen das konsequent fort. Wir haben in unserem
Koalitionsvertrag ganz präzise formuliert, dass wir einen
dynamischen Energiemix wollen, bei dem die erneuerbaren Energien gefördert aufwachsen und die konventionellen sukzessive ersetzen. Es geht um die Frage: Was
ersetzt wann, wo und zu welchem Zeitpunkt? Ich sage
Ihnen ganz offen: Sie argumentieren zu Recht, wenn es
um die Bedeutung der erneuerbaren Energien für den
Strompreis geht, mit dem Merit-Order-Effekt. Aber
wenn man sich dies dann genauer anschaut, dann muss
klar sein, dass bei Aufwachsen der erneuerbaren Energien und unter der Voraussetzung einer Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke natürlich zunächst die Kohle
herausfällt. Das ist unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes wünschenswert; sonst werden wir - das kann
ich hier deutlich sagen - unsere Klimaziele nicht erreichen.
({3})
Nun will ich auf die Diskussion, die wir jetzt über die
Kernenergie hatten, nicht zu ausführlich eingehen, sondern zunächst einmal möchte ich deutlich sagen, worin
wir die Bedeutung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
sehen. Wir halten es für ein wichtiges und zentrales Mittelstandsfördergesetz. Denn ohne die Vorschriften im
EEG, ohne den Anspruch, einspeisen zu dürfen und eine
Vergütung zu bekommen, würden der Mittelstand und
auch die kommunalen Energieversorger in dem Oligopolmarkt, der zudem noch von natürlichen Monopolen
in Form der Netze geprägt ist, keine Chance haben, in
den Markt zu kommen. Deshalb werden wir das EEG als
Mittelstandsschutzgesetz erhalten und verteidigen.
({4})
Es ist - auch das ist angesprochen worden - ein zentrales Technologiefördergesetz. Daher - da gebe ich dem
Kollegen Scheer ausdrücklich recht - handelt es sich
nicht um Subventionen, auch nicht der Definition nach.
({5})
Ich sage Ihnen auch: Wir werden das noch schmerzlich
merken. An der Tatsache, dass die Solarbranche in China
im klassischen Sinne subventioniert wird, können wir
nichts ändern. Wir können mit dem EEG an der Stelle
auch nicht gegensteuern. Denn letztendlich ist das etwas,
was marktlich gelöst werden muss. Das EEG wird uns
nicht davor bewahren, dass uns die asiatische Konkurrenz hier massiv ins Kontor schlagen wird und dass unsere Unternehmen in der Solarbranche mit einer solchen
unfair geförderten Konkurrenz zu kämpfen haben werden.
({6})
Dieses Problem werden auch höhere Fördersätze nicht
lösen, weil die Renditen dann an anderer Stelle abgeschöpft werden. Auch das muss man in dieser Deutlichkeit sagen.
Jetzt trage ich Ihnen etwas zum Thema Fotovoltaik
vor. Es geht darum:
… die Degression bei der Fotovoltaik so weiter zu
entwickeln, dass einerseits Anreize für noch stärkere Kostensenkungen entstehen und andererseits
die Wirtschaftlichkeit beim Betrieb von Solaranlagen weiter gewährleistet wird …
Ein verstärkter Ausbau der PV führe über Skaleneffekte
und die Einführung neuer Technologien zu Kostensenkungen, die an den Markt weitergegeben werden können
und damit die Kosten je erzeugter Kilowattstunde Solarstrom absenken können. - Das ist nicht von mir, sondern
- Kollege Fell wird es wissen - aus Ihrem Antrag. Genau das tun wir. Wir passen die Dinge einer marktlichen
Entwicklung an.
({7})
Wir tun das, Kollege Hempelmann, wohlüberlegt und
abgewogen.
Ich kann die Branche nur auffordern, das, was wir in
diesem Bereich tun, weiterhin positiv zu begleiten, so
wie sie es auch am Anfang der Diskussion getan hat, und
zu sagen: Jawohl, wir sind auf einem guten Weg, es gibt
Kostensenkungspotenziale, und die angekündigte Netzparität, die dazu führen wird, dass der Strom vom Dach
einmal genauso viel kostet wie der Strom aus der Steckdose, ist ein erreichbares Etappenziel. - Ich hoffe, dass
die Branche diesen Prozess weiterhin positiv begleiten
und sagen wird: Wir wollen etwas tun, damit dieses
Thema nicht sozusagen dauerhaft am Tropf hängt. Wir
wollen als erstes Etappenziel zumindest dafür sorgen,
dass sich der Eigenverbrauch rechnet.
({8})
Erstens. Wir müssen zusichern, dass wir maximalen
Vertrauensschutz gewähren. Wir müssen denjenigen, die
im Vertrauen auf das Inkrafttreten des Gesetzes zum
1. Januar 2009 Geld in die Hand genommen und investiert haben, zusichern, dass sie ihre Arbeit unter den damals geltenden Konditionen beenden können.
({9})
Zweitens. Rot-Grün hat seinerzeit auch das Ackerland
in das EEG aufgenommen. Weil Rot-Grün damals vor
dem Naturschutz Angst hatte, hat man gesagt: Lasst uns
die besten Ackerlandflächen verwenden. So können wir
eine Debatte mit dem Naturschutz vermeiden. - Wenn
wir diese Entscheidung - auch wohlüberlegt und mit
Blick auf die Akzeptanz - heute korrigieren, dann können wir auch geeignete Alternativen präsentieren. Wir
meinen, dass man auf sinnvolle Art und Weise Fotovoltaikanlagen bauen kann, die die nötige Akzeptanz
finden; auch das halte ich für sehr wichtig.
({10})
Drittens. Das Ziel, den Eigenverbrauch auszubauen,
ist entscheidend; einen entsprechenden Vorschlag haben
wir von der CSU schon im Januar dieses Jahres gemacht.
Ich glaube, dass das ein Weg ist, um Verwerfungen in
der Branche auszugleichen.
Ich möchte klarstellen: Die Union ist beim Ausbau
der erneuerbaren Energien kein Hemmnis. Außerdem
möchte ich betonen: Die Kernenergie ist es auch nicht.
Sie ist es deshalb nicht, weil es einen Einspeisevorrang
gibt, an dem wir nicht rütteln werden und der klipp und
klar geregelt ist. Die Kernenergie ist kein Hemmnis, weil
wir die Kostenersparnis, die die Laufzeitverlängerungen
zur Folge haben werden - das ist unstrittig -, verwenden
werden, um den Ausbau der erneuerbaren Energien gegenzufinanzieren. Insbesondere ist die Kernenergie auch
deshalb kein Hemmnis, weil wir bereit sind, die Zusatzgewinne abzuschöpfen und sie dafür zu verwenden, bei
der Entwicklung der erneuerbaren Energien, ganz besonders mit Blick auf die Forschung, einen Schub auszulösen.
({11})
Ich bitte Sie, noch einmal ernsthaft zu überlegen, ob
der Energiemix, den wir vorschlagen, nicht doch sinnvoll ist. Wir haben formuliert: Die Kernenergie ist eine
Brücke in einen neuen Energiemix. Ich möchte hinzufügen: eine Brücke in einen Energiemix, den wir heute
vermutlich noch gar nicht kennen. Ich bin nach wie vor
guter Dinge, dass es zusätzlich zu dem, was wir heute im
Energiebereich tun, in Zukunft noch die eine oder andere
Erfindung und Entwicklung geben wird, die uns deutlich
voranbringen. Nur so können wir das Energieproblem
dieser Republik und darüber hinaus auch das international wachsende Energieproblem lösen.
Vielen herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Becker von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will eines vorwegschicken: Als die SPD die Überlegung angestellt
hat, zum zehnjährigen EEG-Jubiläum eine Veranstaltung
durchzuführen, waren wir noch in der Großen Koalition;
es gab also einen entsprechenden Vorlauf. Wir hätten damals nicht erahnen können, dass hier und heute über die
Verlängerung der Laufzeiten und das Abschmelzen der
Vergütungssätze für Fotovoltaik diskutiert wird. Wir
sind der festen Überzeugung: Beides - das gilt besonders
für die Kombination von beidem - wird dem Ausbau erneuerbarer Energien schaden.
({0})
Dass ich diese Feststellung gerade am heutigen Tag treffen muss, ist sehr bedauerlich.
Ich muss sagen: Ich habe in unserer gemeinsamen Regierungszeit, die Herr Nüßlein und Frau Dr. Flachsbarth
angesprochen haben, durchaus den Eindruck gehabt,
dass die Union die Kurve gekriegt hat.
({1})
Da Sie sich darüber wundern, welche Diskussionen
heute aufgegriffen werden, will ich Ihnen sagen, was
mich verwundert: Sie können doch nicht einen Jubeltag
zum Ausbau der erneuerbaren Energien damit beginnen,
indem Sie hier Herrn Fuchs eine derartige Rede halten
lassen. Dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass
Ihnen der Wind derartig ins Gesicht bläst.
({2})
- Das sollen Sie auch. Ich bin Ihnen für Ihre Rede dankbar; denn endlich wird deutlich, wie die Stimmungslage
in der Union ist. Es gibt zwar einige Feigenblätter, Herr
Nüßlein und Frau Flachsbarth, aber Sie haben gesagt,
wohin die Reise im Endeffekt gehen soll.
({3})
Eine weitere Feststellung. Ich komme zurück zum eigentlichen Ereignis: zehn Jahre EEG. Ich spare mir die
ganzen Zahlen. Jeder kann anhand der Zahlen den Erfolg
des EEG erkennen. Ich möchte vorweg meinen Dank
äußern. Wenn man ein Jubiläum von zehn Jahren zu fei2218
ern hat, dann kann man auch Danke sagen. Danke zunächst denen, die hier im Parlament dieses Parlamentsgesetz gemacht haben: Hermann Scheer und Dietmar
Schütz aufseiten der SPD, Hans-Josef Fell und die Kollegin Hustedt, die diesem Haus jetzt nicht mehr angehört, aufseiten der Grünen, aber auch durchaus wackere
Leute aus den Reihen der CSU, die es schon damals gab,
nämlich Josef Göppel, der den Mut hatte, zu sagen: Ja,
ich stimme diesem Gesetz zu. Ein Mann mit Weitblick!
Ich hoffe, dass er heute nicht wieder genauso in der Minderheit ist wie damals.
({4})
Der Dank gilt aber vor allen Dingen auch den Menschen, die den gesetzlichen Rahmen - mehr konnte der
Bundestag nicht setzen - angenommen haben, die investiert und geforscht haben, die als Unternehmer Geld in
die Hand genommen und gesagt haben: „Ja, das ist ein
Markt der Zukunft“, die Arbeitsplätze geschaffen haben,
aber auch denen, die gesagt haben: Ich möchte erneuerbare Energie bei mir zu Hause erzeugen, auf meinem
Hof oder wo auch immer. Sie alle haben diese Erfolgsgeschichte mitgeschrieben. Ich möchte natürlich auch denen danken - das muss man auch sagen -, die durch ihre
EEG-Umlage über den Strompreis die Finanzierung der
Vergütungssätze möglich machen: die Bürgerinnen und
Bürger, die Verbraucher.
({5})
- Ich danke natürlich auch dem Handwerk.
({6})
- Aber nicht absichtlich, lieber Jens Koeppen.
Es wird immer über den Strompreis diskutiert. Forsa
hat im Dezember 2009 eine Umfrage gemacht: 95 Prozent der Deutschen unterstützen den verstärkten Ausbau
der erneuerbaren Energien. Dann kam die spannende
Frage: Soll die Förderung gekürzt werden oder nicht,
ist es uns das wert? Sie werden es nicht glauben: Selbst
aufseiten der FDP haben 71 Prozent der Befragten gesagt: Nein, wir sind uns dieser besonderen Verantwortung bewusst. Es ist unsere Auffassung, die Förderung
soll nicht gekürzt werden. Bei der Union war die Zustimmung mit 73 Prozent sogar noch etwas höher.
An dieser Stelle sollten Sie ein bisschen stärker auf Ihre
Wählerinnen und Wähler hören. Es würde der Branche
wirklich helfen. Sie sagen immer - ich wollte gar nicht so
viel über Solarenergie sprechen, das werden wir sicherlich
in der nächsten oder übernächsten Sitzungswoche ohnehin noch tun -, Sie wollen für den Verbraucher den Strompreis senken. Das BMU hat eine Berechnung vorgelegt,
wie sich denn die vorgesehenen Kürzungsschritte auf einen Privathaushalt auswirken. Dabei kommt es im Jahr
2030 - das ist das Langfristszenario, das Sie ansetzen bei einem durchschnittlichen Haushalt zu einer sensationellen Strompreisreduzierung um 29 Cent im Monat.
Herzlichen Glückwunsch, dass Sie dafür bereit sind, die
Existenz einer ganzen Branche aufs Spiel zu setzen.
({7})
Wir haben im Gegenzug - Rolf Hempelmann hat es
gesagt, und auch ich erkläre es noch einmal - nie gesagt:
Wir sind gegen eine Absenkung. Wir haben gesagt: Es
gibt ein Potenzial in diesem Markt. Wir wollen, dass dieses Potenzial für alle plausibel und nachvollziehbar ermittelt wird. Von daher sage ich noch einmal deutlich:
Wir werden darauf beharren, dass die entsprechenden
Sachverständigen zusammenkommen und uns vorrechnen, welche Absenkung vertretbar ist, ohne dass die
Branche größeren Schaden nimmt, als sie ohnehin nehmen wird. Dass es eine Marktbereinigung geben wird,
darüber sind wir uns völlig einig. Aber helfen Sie doch
bitte schön mit, 50 000 Menschen, die in diesem Land
im Bereich der Fotovoltaik oder einem ähnlichen Handwerk arbeiten, eine Chance zu geben, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch das
BMWi. Wir stehen sicherlich nicht im Verdacht, dass wir
das BMWi in irgendeiner Art und Weise beeinflusst haben.
Sie wollen doch auch, dass die heimische PV-Industrie ihren technologischen Vorsprung sichert und damit
wettbewerbsfähig bleibt. Dafür muss man ihr aber einen
gewissen Zeitraum gewähren. Man kann die Förderung
nicht binnen eines Jahres um 35 Prozent kürzen. Ich bitte
Sie: Helfen Sie, den Beginn zu verschieben und die vorgesehenen Zeiträume zu verlängern! Das würde die Folgen abmildern. Lassen Sie uns gemeinsam und nachvollziehbar einen Satz festlegen, den die Branche verkraften
kann. Wir sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, den Arbeitsplatzaspekt zu bedenken.
Unser Antrag anlässlich zehn Jahre EEG hat heute
leider keine Rolle gespielt. Deswegen will ich zum
Schluss sagen: Wir haben den Anlass zehn Jahre EEG
genutzt, festzustellen: Viel Gutes ist erreicht, und wir
sind auf einem guten Weg. Entscheidend ist aber, dass
wir die Erfolge, die das EEG im Strombereich gebracht
hat, zum Ansporn nehmen, jetzt auch in den anderen
Sektoren, in denen wir von den Zielen weit entfernt sind,
ähnlich engagiert und erfolgreich zu arbeiten.
Ich will an dieser Stelle die Bedeutung des Wärmebereiches herausstellen: Über 50 Prozent des Energieverbrauchs entfallen auf den Wärmebereich. Die angepeilten Ziele im Wärmebereich, liebe Kolleginnen und
Kollegen aller Fraktionen, werden wir mit den vorhandenen Instrumenten nicht erreichen; wir werden diese
Potenziale nicht heben. Ich bitte, den Schwerpunkt der
Diskussion - abseits der Diskussion über Kernenergie
versus PV - auf Wärme und Energieeffizienz zu legen.
Wir brauchen für den Wärmebereich schnellstmöglich
eine ambitionierte Gesetzgebung; ansonsten werden wir
unsere Ziele bei weitem nicht erreichen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Meierhofer von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sieht, wie die älteren Kolleginnen und Kollegen aus der guten alten Zeit erzählen, bekommt man das
Gefühl, man sieht eine History-Sendung von Guido
Knopp.
({0})
Natürlich kann man an Sternstunden erinnern, und
wir sind uns einig, dass das EEG gute Effekte hatte. Die
FDP hat sich dem auf meine Anregung hin angeschlossen. Das EEG hatte aber auch negative Effekte. Auch auf
diese sollten wir eingehen. Wir dürfen, wenn wir überlegen, wie wir uns die Zukunft vorstellen, nicht verklären,
was in der Vergangenheit passiert ist; das halte ich für
das Entscheidende.
({1})
Es hat mir gut gefallen, Herrn Scheer heute einmal zu
hören. Er ist ja, wie man regelmäßig hört, einer der Väter
des EEG. Ich habe ihn in der täglichen Arbeit des Umweltausschusses in den letzten vier Jahren lediglich einmal - bei einer Sitzung zu IRENA - zu dieser Thematik
reden hören. Ich fände es wichtig, dass sich diejenigen,
die hier anklagen oder versuchen, Zwietracht zwischen
den Parteien zu säen, auch an der Arbeit beteiligen.
Dann kann man über das, was man will, reden.
({2})
Der Koalition geht es darum, das EEG weiterzuentwickeln. Der Vorwurf, wir machten die Branche kaputt,
ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall: Nur dadurch, dass
wir helfen, effizienter zu werden, können wir diese
Technologien nach vorne bringen, können wir dafür sorgen, dass die Innovationen vorangetrieben werden. Innovationen entstehen nicht, wenn die Firmen weiter ohne
Anstrengungen mit zweistelligen Renditen rechnen können. Das kann im Übrigen nicht der Sinn der Förderung
erneuerbarer Energien sein.
({3})
Ich sage Ihnen auch, warum. Es ist nicht so, dass ich
denen, die in diesen Bereich investieren, die Rendite
nicht gönnen würde. Es ist vielmehr so, dass man feststellen muss, dass es Menschen gibt, die den erneuerbaren Energien kritischer gegenüberstehen als noch vor
zwei oder drei Jahren. Das kann nicht unser Ziel sein.
Unser Ziel muss sein, dass die Nutzung der erneuerbaren
Energien maximal ausgebaut wird. Dies wird dann erreicht, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher das
Gefühl haben, dass mit ihrem Geld vernünftig umgegangen wird. Dieser Gedanke ist in den letzten Jahren in den
Hintergrund getreten.
({4})
In dem Antrag der Grünen habe ich ein paar Punkte
gefunden, die mir nicht logisch erscheinen. Einen
möchte ich gleich ansprechen: Frau Höhn hat gesagt,
dass große Grundlastkraftwerke und dezentrale Lösungen für die Gewinnung erneuerbarer Energien
nicht zusammenpassten.
({5})
Die Netze verstopften. Wir verhinderten den Ausbau der
Nutzung der erneuerbaren Energien, wenn deren Einspeisung nicht flexibel genug geregelt werden könne.
Herr Kauch hat darauf hingewiesen, dass sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Einspeisevorgang
bezieht. So ist es. Alles andere müssen die Energieversorger entscheiden. Es ist doch nicht unsere Aufgabe,
dafür zu sorgen, dass mit jedem Energieträger an jeder
Stelle zu jedem Zeitpunkt effizient Energie erzeugt werden kann. Zu entscheiden, wo wann wie Energie erzeugt
wird, ist Aufgabe der Energieversorger. Es gibt genügend Ideen - übrigens auch für Kohle und Kernkraft -,
wie man sich schneller und flexibler der Last anpassen
kann.
({6})
Wenn Sie gegen Großkraftwerke sind, dann müssen Sie
gegen Offshore-Windparks sein, und dann müssen Sie
gegen große zentrale Anlagen wie Desertec sein. Bei
solchen Anlagen sind Sie mindestens so unflexibel, wie
Sie es uns zu sein vorwerfen. Aber das eine sind eben
Wind und Fotovoltaik, während das andere Kohle und
Kernkraft sind. Pauschal das eine für gut, das andere
aber für schlecht zu halten, ist inhaltlich bestimmt nicht
fundiert.
({7})
Sie sprechen von Rechtssicherheit und weisen darauf
hin, dass wir den Menschen hier Vertrauensschutz geben
müssen. Ja, das müssen wir. Vertrauensschutz bedeutet
aber doch nicht, dass man überfördert. Wir dürfen nicht
überfördern, weil wir damit auch die Akzeptanz in der
Bevölkerung - das ist mein zentraler Punkt - aufs Spiel
setzen.
Wir müssen bei der Windkraft in Zukunft das Repowering verstärken.
({8})
Wir müssen Kleinigkeiten verbessern und beispielsweise
darauf hinwirken, im Rahmen der Befeuerungspflicht
Transponder einzusetzen. Diese kleinen Verbesserungen
können zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen.
Wir müssen dazu kommen, dass wir zum Beispiel den
Anteil der Fotovoltaik am Gewerbesteueraufkommen
genauso vor Ort verteilen können, wie es auch bei der
Windkraft der Fall ist. Diejenigen, die den Nachteil erleiden, sollen auch die Vorteile haben.
({9})
Dies muss bei der nächsten großen Novelle geschehen. Das muss das EEG in Zukunft leisten. Es geht nicht
darum, darzustellen, was man in den letzten Jahren Tolles geleistet hat, sondern darum, in der Zukunft Erfolge
zu erreichen.
Auch bei der Geothermie müssen wir aktiv werden.
Ist es nicht so, dass es beispielsweise in Wiesbaden Probleme gibt, weil die Menschen Angst haben, infolge der
Nutzung von Geothermie könnten Mauern einstürzen?
Dort müssen wir aufklären. Wir müssen einen Geothermie-Atlas erarbeiten, entsprechende geologische Untersuchungen durchführen und beispielsweise die Konkurrenzen mit CCS auflösen.
({10})
Diese Aufgabe ist von uns zu lösen. Das müssen wir in
der Zukunft leisten. Man darf nicht versuchen, die anderen zu diskreditieren und zu erklären, wie toll man in der
Vergangenheit war. Damit kommen Sie bestimmt nicht
weiter. Dadurch wird nur die Akzeptanz verkleinert.
Vielen Dank.
({11})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat nun die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, heute als letzte Rednerin den Sack zumachen zu
können; denn wir sind hier, um das EEG zu würdigen.
Deutlicher, als wir es im Koalitionsvertrag getan haben,
kann man das EEG gar nicht würdigen. Es bleibt für uns
das Schlüsselinstrument für den erfolgreichen weiteren
Ausbau der erneuerbaren Energien.
({0})
Damit ist und bleibt es auch das Schlüsselinstrument für
die Erreichung unserer zentralen Klimaziele und zum
Umstieg von der CO2-basierten Energieversorgung in
das Zeitalter der erneuerbaren Energien.
({1})
Die Erfolge des EEG können sich sehen lassen. Der
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung beträgt heute bereits 16 Prozent. Mit den erneuerbaren Energien haben wir allein im Jahr 2007 - dafür liegen gesicherte Zahlen vor - rund 100 Millionen Tonnen
Treibhausgase in CO2-Äquivalenten eingespart. Anlagen
und Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien sind ein deutscher Exportschlager. Im
Bereich der erneuerbaren Energien sind auch Tausende
Arbeitsplätze entstanden.
Insoweit sind zehn Jahre Erneuerbare-Energien-Gesetz in der Tat ein Anlass, diese Erfolge noch einmal
deutlich zu machen. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass das EEG zwar seit zehn Jahren unter diesem
Namen existiert, dass allerdings die Union und die FDP
mit dem Stromeinspeisegesetz den gleichen Ansatz zur
Förderung der erneuerbaren Energien bereits im Jahr
1990 eingeführt haben.
({2})
Meine Damen und Herren, nichts ist so gut, als dass
man es nicht noch verbessern könnte. Das trifft auch auf
das EEG zu. Ein Erfolgskriterium für politische Steuerungsinstrumente ist sicher die Effektivität. Ein noch
wichtigeres ist allerdings die Effizienz. Bei der Effizienz, also dem Erreichen der Ziele mit möglichst geringem finanziellen Aufwand, gibt es Defizite, die wir beseitigen müssen.
Das Hauptproblem im EEG lässt sich sehr einfach
darstellen. Die Verbraucher zahlen für die Entwicklung
der Fotovoltaik derzeit unnötig viel Geld. Genau deshalb haben wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart,
in diesem Bereich der erneuerbaren Energien kurzfristig
Anpassungen der Förderung vorzunehmen. Bei dieser
Anpassung gibt es zwei zentrale Vorgaben: erstens die
Entlastung der Bürger von unnötig hoher Einspeisevergütung und zweitens die Sicherung der Entwicklungsbedingungen für die Branche. Beiden Vorgaben gleichzeitig zu entsprechen, ist nicht einfach. Wir sind hier aber
auf einem guten Weg.
Meine Damen und Herren, allen, die sich in der Diskussion gern schnell auf die Seite der Anlagenhersteller
schlagen und meinen, mit möglichst großzügiger Vergütung würde viel erreicht, will ich ganz deutlich sagen:
Die hohe Förderung der Fotovoltaik in Deutschland hat
dazu geführt, dass im Jahre 2009 die Hälfte der hier installierten Module importiert war. Der Umfang der Produktion von Modulen im Inland ist im gleichen Jahr
kaum noch gewachsen. Die hohe Einspeisevergütung hat
also dazu geführt, dass die Innovationsdynamik der Hersteller in Deutschland deutlich nachgelassen hat. Ausländische Anbieter, zum Beispiel aus China, können
wachsende Marktanteile für ihre billigeren Solarpaneele
verbuchen.
Wir wollen dem Bereich erneuerbare Energien Entwicklungschancen geben. Wir sind dazu bereit, die
Marktdurchdringung zu unterstützen. Ungerechtfertigt
hohe Dauersubventionen - Herr Scheer, ob sie nun Subventionen heißen oder nicht, ist egal; Kosten für die Bürger sind das allemal - helfen aber niemandem.
({3})
Wer dem Bereich Fotovoltaik wirklich helfen will,
wer die notwendigen Innovationen anstoßen will, wer
die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Paneelhersteller sichern will, wer Arbeitsplätze in diesem Bereich erhalten und schaffen will und wer das EEG auch
weiterhin als Steuerungsinstrument für die Entwicklung
der erneuerbaren Energien behalten will, der muss die
Einspeisevergütung so ausgestalten, dass eine wirtschaftliche Motivation für Effizienzsteigerungen bewirkt
wird, und der muss mit notwendigen Änderungen
gleichzeitig dafür sorgen, dass die Akzeptanz des EEG
insgesamt und auch die Akzeptanz der erneuerbaren
Energien insgesamt bei den Verbrauchern erhalten bleiben. Nur derjenige, der sich verändert und auf Entwicklungen reagiert, wird erfolgreich bleiben. Das gilt auch
hinsichtlich des EEG.
Nicht nur ein effizientes EEG ist eine Voraussetzung
für den Ausbau erneuerbarer Energien. Um die Erneuerbaren wie geplant zu einer entscheidenden Säule der
Energieversorgung zu entwickeln, muss eine Integration in das Stromversorgungssystem erfolgen. Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit der Energiebereitstellung für Bürger und Unternehmen bleiben dafür
Grundsätze.
Genau aufgrund dieser beiden Grundsätze ist es erforderlich, dass wir den heutigen Energiemix so entwickeln, dass bestehende Vorteile von Energieträgern
wie Kohle, Kernenergie und Gas für die Integration der
Erneuerbaren genutzt werden. Diese Vorteile sind: vergleichsweise günstige Preise, Grundlastfähigkeit und die
Möglichkeit zur Bereitstellung von Regelenergie.
Insoweit unterstützen wir die Entwicklung der erneuerbaren Energien mit unserem aktuellen Energiemix.
Diese Unterstützung der erneuerbaren Energien ist auch
bis auf Weiteres noch erforderlich, zumindest so lange,
bis es für die erneuerbaren Energien ein angemessenes
Preisniveau gibt und bis durch Speichertechnologien, die
eine Speicherung in ausreichendem Umfang sicherstellen, ein dauerhaft verlässliches Stromangebot aus Erneuerbaren ermöglicht wird. Das richte ich ganz besonders
an die Adresse von Herrn Fell.
({4})
Insoweit ist das Ausspielen von Kohlestrom und
Kernenergie gegen die Erneuerbaren nicht nur sachlich
falsch, sondern auch ein durchsichtiges ideologisch motiviertes Manöver, um bis auf Weiteres wichtige Energieträger in Deutschland zu diskreditieren. Durch den Versuch, Kernenergie und Kohle gegen die erneuerbaren
Energien auszuspielen, wird der Entwicklung der erneuerbaren Energien nicht geholfen, sondern geschadet.
Man gibt den erneuerbaren Energien damit eine Rolle in
der Energieversorgung, die bis heute noch nicht ausgefüllt werden kann. Man kann „leider“ dahinter sagen,
aber es funktioniert halt noch nicht.
In unserer Verantwortung liegen Klimaschutzverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit. Das sind unsere Maßstäbe für die Energieversorgung. Anhand dieser Maßstäbe wird zu entscheiden sein,
welcher Energieträger welche Rolle im Energiemix
Deutschlands haben muss. Ich sage Ihnen schon heute:
Es wird nur gemeinsam mit der Kohle und nur mit der
Kernenergie funktionieren.
Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, Ihre Anträge sind weniger ein Beitrag für die Entwicklung der erneuerbaren Energien, Ihr wahres Ziel ist
vielmehr der Angriff auf andere Energieträger. Genau
deshalb lehnen wir die Anträge ab.
({5})
Wer einmal mehr Ideologie vor Sachverstand setzt,
der vernichtet wirtschaftliches Vermögen, gefährdet den
Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze,
({6})
macht Deutschland zu einem politisch erpressbaren
Energieimporteur und gefährdet den sozialen Frieden,
weil die daraus resultierenden Kostensteigerungen letztlich durch die Bürger getragen werden müssen. Der Umbau der Energieversorgung, die Veränderung des Energiemix, muss ein evolutionärer Prozess sein. Genau diese
evolutionäre Entwicklung wird durch das in Arbeit befindliche Energiekonzept der Bundesregierung erreicht.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/778 und 17/799 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 2008 ({1})
- Drucksachen 16/12200, 17/591 Nr. 1.6, 17/713 Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer ({2})
Christoph Schnurr
Paul Schäfer ({3})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Redezeit des Wehrbeauftragten nicht einbezogen ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Reinhold
Robbe.
Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen
Bundestages:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Bevor ich gleich zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt kommen werde, nämlich
zum Jahresbericht für das Jahr 2008, gestatten Sie mir
bitte einige wenige Bemerkungen zu einem aktuellen
Thema, das insbesondere in dieser Woche den Verteidigungsausschuss, aber auch die gesamte Öffentlichkeit
unseres Landes beschäftigt hat. Ich meine damit die
Schilderungen eines ehemaligen Rekruten aus der Bundeswehr - genauer gesagt, aus dem Bundeswehrstandort
Mittenwald - über, wie ich es bewerte, geschmacklose
Rituale, die nicht nur gegen das Prinzip der Inneren Führung verstoßen, sondern auch straf- und dienstrechtliche
Auswirkungen haben können.
Nach dieser Eingabe des ehemaligen Obergefreiten,
der heute gar nicht mehr in der Bundeswehr ist, der ausgeschieden ist, haben sich weitere ehemalige und aktive
Soldaten an mich gewandt. Bis zum heutigen Tage, bis
dato, liegen mir insgesamt 93 Zuschriften zu diesem
Themenbereich vor. Dabei handelt es sich vorrangig um
Meinungsäußerungen und Schilderungen eigener Erlebnisse in früheren Jahren und - zum Teil sehr weit zurückgehend - auch aus früheren Jahrzehnten.
Als Zwischenergebnis, meine sehr verehrten Damen
und Herren, kann ich heute an dieser Stelle Folgendes
feststellen: Die zuständigen Disziplinarvorgesetzten haben, insbesondere auf der Bataillons- und auf der Brigadeebene, unmittelbar gehandelt, nachdem ich beim
Gebirgsjägerbataillon 233 in Mittenwald um Prüfung der
Vorgänge gebeten hatte. Für ein Resümee oder für
grundsätzliche Aussagen ist es allerdings heute noch zu
früh, weil diese Überprüfungen noch nicht abgeschlossen sind. Sie gestalten sich zum Teil auch sehr schwierig,
insbesondere wenn die Vorfälle Jahre oder sogar Jahrzehnte zurückliegen. Es wird auch nur teilweise gelingen, die in den Zuschriften beschriebenen Vorkommnisse ähnlicher und anderer Art ganz aufzuklären. Je
länger sie zurückliegen, desto schwieriger wird es sein,
Sachverhalte und beteiligte Personen zu ermitteln.
Mit Sorge nehme ich allerdings zur Kenntnis, dass
sich die beschriebenen Rituale offensichtlich im Laufe
von etlichen Jahren abseits von öffentlicher Wahrnehmung entwickelt haben und erst heute eher zufällig,
durch die Zuschrift eines einzelnen Soldaten, bekannt
wurden. Äußerst bedenklich erscheint mir die Tatsache,
dass Vorgesetzte von den Ritualen wussten und die gefährlichen Geschmacklosigkeiten entweder duldeten
oder einfach darüber hinwegsahen. Beides wäre aus meiner Sicht zumindest inakzeptabel.
Trotz der beschriebenen Vorkommnisse wäre es jetzt
aber vollkommen falsch - ich betone dies ausdrücklich -,
die gesamte Bundeswehr einem Generalverdacht auszusetzen. Dafür besteht überhaupt kein Grund. Unsere Soldatinnen und Soldaten in allen Teilstreitkräften bewähren sich im Truppenalltag und im Einsatzland. Ich sage
das besonders vor dem Hintergrund der heutigen Debatte
über den ISAF-Einsatz in Afghanistan. Unsere Soldaten
müssen sich auch im internationalen Vergleich nicht verstecken. Gerade deshalb ist es wichtig, die Vorkommnisse so schnell und gründlich wie möglich aufzuklären
und danach die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Eines gebe ich allerdings zu bedenken: Die in einer
sogenannten Zentralen Dienstvorschrift ausführlich beschriebenen Grundsätze der Inneren Führung dürfen
nicht nur auf dem Papier stehen. Die Soldaten müssen
auch danach leben und vor allen Dingen handeln. Es bedarf dringender als je zuvor der Prüfung, ob neben allen
sach- und funktionsbezogenen Ausbildungsgebieten
noch genügend Raum für jene für das Vertrauen und den
inneren Zustand so wichtigen Fragen bleibt, die ich unter
folgenden Stichworten zusammenfassen möchte: Sozialisierung, fürsorgliche Dienstaufsicht, Kommunikation
untereinander und Fragen der Menschenführung. Auch
in diesem Jahr deuten die Eingaben, die Erkenntnisse anlässlich der Bearbeitung und die Äußerungen in vielen
Begegnungen mit unseren Soldatinnen und Soldaten auf
erheblichen Handlungsbedarf in diesem Bereich hin.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich vor dem Hintergrund der beschränkten Zeit noch
einige ganz wenige Aspekte meines Jahresberichtes
2008 im Lichte der Stellungnahme des Verteidigungsministeriums näher beleuchten.
Stichwort Auslandseinsätze: Das Ministerium widerspricht nach meiner Einschätzung in keinem wesentlichen Punkte den von mir beschriebenen Defiziten. Es
fehlen jedoch beim Zulauf geschützter Fahrzeuge - ein
sehr wichtiger Punkt -, bei der Vorausbildung, insbesondere der Fahrerausbildung sowie der Sprachausbildung,
konkrete Zusagen in Bezug auf eine zügige Abhilfe. Da
muss nachgebessert werden, damit gerade mit Blick auf
das, was im Moment an Strukturveränderungen bezüglich des Einsatzes in Afghanistan stattfindet, alles getan
wird, was auch für den Schutz der Soldatinnen und Soldaten absolut notwendig ist. Dies gilt insbesondere für
meine Kritik bezüglich der Telekommunikationseinrichtungen, die ich Jahr für Jahr in meine Berichte aufnehmen musste. Die in Aussicht genommene Ausschreibung mit dem Ziel einer Verbesserung für Soldatinnen
und Soldaten kommt einfach nicht voran. Auch hier
wäre ich sehr dankbar, wenn pragmatisch entschieden
würde, wohin man will und wer das in Zukunft verantwortlich machen soll.
Stichwort Führung und Ausbildung: Nach meiner
Auffassung ist meine Kritik an Unzulänglichkeiten der
Ausstattung ebenso wie die Kritik am hohen Administrationsaufwand in der Stellungnahme des Ministeriums
nicht widerlegt. Damit die Vorgesetzten sich wirklich der
Führungsaufgabe widmen können, bedarf es einer Analyse der bürokratischen Aufgaben nach Nutzen und Aufwand. Das muss ganz klar durchdekliniert werden.
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe
Stichwort Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Bundeswehr: Ich bin dankbar, dass das
Ministerium ausdrücklich meine Einschätzung der Bedeutung des demografischen Wandels und der damit verbundenen weiteren Verschärfung des Wettbewerbs um
qualifiziertes Personal teilt. Hierzu sind Konzepte entwickelt worden, die jetzt allerdings mit Leben erfüllt
werden müssen.
Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Dienst: Es
genügt nicht, die Bedeutung der Thematik in Absichtserklärungen verbal hervorzuheben. Das Thema ist zu
wichtig, als dass es nur in Konzepten und Papieren gepriesen werden kann. In Sachen Kinderbetreuung ist
ebenso mehr zu veranlassen wie bei Teilzeit und bei Telearbeitsplätzen.
Stichwort Wehrpflicht: Ich denke, dass meine Ausführungen unter dem Stichwort „Sinnvolle Dienstgestaltung“ und die aktive Inangriffnahme des Problems Gammeldienst entgegen der Stellungnahme durchaus einen
hohen Stellenwert haben und bei der bevorstehenden
Debatte über die Verkürzung des Wehrdienstes eine noch
größere Bedeutung erfahren sollten.
Stichwort Sanitätsdienst: Der Sanitätsdienst kann mit
Fug und Recht als das, wie ich finde, größte Sorgenkind
angesehen werden, sowohl was die truppenärztliche Versorgung als auch was die Bundeswehrkrankenhäuser betrifft. Erste Maßnahmen sind ergriffen, um dem Ärztemangel zu begegnen, was aber zugleich auch zu großem
Unmut bei den Sanitätsoffizieren insgesamt geführt hat.
Hinsichtlich der Bundeswehrkrankenhäuser bestätigt
das Ministerium die Engpässe, die zu Einschränkungen
in der Leistungserbringung führen. Das Ministerium bestätigt auch, dass die zunehmend problematische Besetzungslage die regionalen Sanitätseinrichtungen vor sehr
harte Belastungsproben stellt.
Sehr kritisch sehe ich nach wie vor die Behandlung
der PTBS-Erkrankten, also posttraumatischen Belastungsstörungen ausgesetzten Soldaten, und hier im Besonderen die Umsetzung der Forderung des Bundestages
nach Schaffung eines Traumazentrums, das seinen Namen wirklich verdient. Zu nennen sind hier zudem die
personellen Vakanzen bei den Fachärzten für Psychiatrie, die nach meiner Einschätzung nicht durch die Zusammenarbeit mit zivilen Behandlungseinrichtungen
ausreichend kompensiert werden können.
Lassen Sie mich ganz aktuell dazu sagen, ohne dass
ich öffentlich Geheimnisse preisgebe, dass sich der Verteidigungsausschuss in seiner jüngsten Sitzung sehr ausführlich mit der optimalen Versorgung der PTBS-erkrankten Soldaten beschäftigt hat. Nach meiner
unmaßgeblichen Einschätzung sind wir hier auf einem
guten Weg. Ich darf mich ganz herzlich für die diesbezügliche Unterstützung bedanken.
Letztes Stichwort Infrastruktur: Es sind zweifellos
Fortschritte bei der Sanierung gemacht worden, aber
- das bestätigt auch das Ministerium - die Verfahrensabläufe, namentlich die personellen Knappheiten bei den
Landesbaubehörden, verhindern das wirklich Notwendige. Hier muss vernünftig zusammengewirkt werden,
damit wir insgesamt weiterkommen.
Ich könnte noch viel mehr sagen, auch zum Thema
Pendlerunterkünfte, und viele andere Stichpunkte nennen. Ich bitte um Nachsicht, dass das aus Zeitgründen an
dieser Stelle nicht möglich ist.
Lassen Sie mich aber abschließend eines sagen: Ich
will an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten - einige sind heute als Zuhörer anwesend - ganz herzlich für
ihren schweren und, wie ich finde, auch sehr anspruchsvollen und gefahrvollen Dienst danken.
({4})
Meine guten Wünsche begleiten alle im Einsatz verwundeten Soldaten. Mein ganz besonderes Mitgefühl
gehört den Familien und Kameraden der gefallenen Soldaten sowie der verunglückten oder auf andere Weise
ums Leben gekommenen Soldaten und Bundeswehrangehörigen.
Dank sage ich zu guter Letzt auch allen Mitgliedern
des Verteidigungsausschusses und dem Bundesminister
der Verteidigung, der militärischen und politischen Bundeswehrführung für das vertrauensvolle Zusammenwirken. Nicht zuletzt will ich auch meinen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ganz herzlich für die ausgezeichnete
Unterstützung danken.
Ich darf mich ganz besonders beim Präsidenten dafür
bedanken, dass er mir gestattet hat, eine Minute länger
zu reden, als ich eigentlich durfte.
Herzlichen Dank.
({5})
Das war gar nicht meine Absicht, aber ich denke, es
ist trotzdem in Ordnung.
Das Wort hat nun Kollegin Anita Schäfer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr
geehrter Herr Wehrbeauftragter! Meldungen über Vorkommnisse wie in Mittenwald verdecken in der öffentlichen Wahrnehmung leider etwas den Blick auf die
wichtige Alltagsarbeit des Wehrbeauftragten, obwohl
letztere viel mehr Soldaten betrifft. Auch 2008 machten
Probleme des dienstlichen Umgangs und Personalangelegenheiten erneut einen großen Teil der Eingaben aus,
ohne dass die Einzelfälle ein großes mediales Echo erfuhren. Dies hat sich über die bisher 50 Berichte hinweg
wenig geändert.
Es geht in diesen Berichten daher zumeist um Dinge,
die nicht primär materieller Natur sind. Die Klagen über
die materielle Ausstattung der Truppe fallen nach meinem Eindruck gerade in den letzten Jahresberichten ge2224
Anita Schäfer ({0})
ringer aus. Es lassen sich also durchaus positive Trends
ablesen. Teilweise haben hier bereits die in der letzten
Legislaturperiode eingeleiteten Maßnahmen gegriffen.
Es besteht aber noch kein Anlass, sich zurückzulehnen.
Beispielsweise ist der Mangel an geschützten Fahrzeugen in Afghanistan geringer geworden. Derzeit sind
dort fast 1 000 geschützte Fahrzeuge im Einsatz. Wenn
wir jetzt aber die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung umsetzen, wenn mehr Soldaten häufiger
außerhalb der Feldlager eingesetzt werden, dann muss
auch die Ausstattung daran angepasst werden. Wir von
der Koalition werden die notwendigen Maßnahmen weiterführen und vollständig umsetzen, sowohl in den entsprechenden Ausschüssen als auch - da bin ich mir ganz
sicher - in den Ministerien. Allein in diesem Jahr werden rund 180 neue geschützte Fahrzeuge zulaufen, natürlich auch, um Ausfälle zu ersetzen.
Es nützt übrigens nichts, wenn Löcher gestopft werden und sich dadurch das nächste auftut. Ein Beispiel
dafür sind die im Bericht monierten Defizite bei den
Übungen mit Handwaffen. Mittlerweile ist gerade die
Schießausbildung den Einsatzerfordernissen angepasst
worden. Das heißt dann allerdings auch, dass man für
ausreichend Munition sorgen muss. Ich bin sicher, dass
die Bundesregierung unserem gerade beschlossenen Antrag nachkommen wird, eine angemessene Bevorratung
mit Munition und anderen Verbrauchsgütern sicherzustellen.
Das vielleicht am eindringlichsten beschriebene Problemfeld im Jahresbericht 2008 betrifft den Sanitätsdienst. Die dortige schwierige Situation haben bereits
die vorhergehenden Berichte immer wieder hervorgehoben. Dabei geht es einerseits um die Personallage und
andererseits um die strukturellen Bedingungen dieser
Truppengattung, die mit am stärksten durch Einsätze belastet ist. Beide Bereiche sind natürlich miteinander verbunden. Ziel muss sein, den Sanitätsdienst attraktiver
und zugleich effektiver zu gestalten.
({1})
Es freut mich, dass diese Aufgabe mittlerweile zielgerichtet angegangen wurde. Wir haben bereits einige
Maßnahmen eingeleitet. Dazu gehören die Verstärkung
der Personalwerbung, die Aufstockung der Zahl der Medizinstudienplätze für die Bundeswehr, eine bessere klinische Ausbildung durch ein Tutoren- und Mentorensystem, die frühere Weiterbildung zum Facharzt und eine
größere Flexibilität bei der Stellenbesetzung, wenn Elternzeit in Anspruch genommen wird. Diese größere
Flexibilität gilt ebenso für die Gewinnung von Zeitarbeitspersonal und künftig auch für die Teilzeitbeschäftigung.
Wichtig ist zudem die Verbesserung der materiellen
Attraktivität im Vergleich zum zivilen Arbeitsmarkt. Die
monatliche Stellenzulage von 600 Euro für Fach- und
Rettungsmediziner konnte da nur erste Hilfe sein. Wir
wollen eine dauerhafte Besserstellung bei den Einkünften, auch für Bereitschaftsdienste und Privatbehandlungen.
Auf der Strukturseite streben wir eine Zentralisierung
der Führung der Bundeswehrkrankenhäuser an. Vorhandene Ressourcen müssen effektiv genutzt werden. Das
betrifft übrigens nicht nur den Sanitätsdienst. Wir müssen einmal überprüfen, wie sich die Balance zwischen
Kopf und Gliedern in der gesamten Bundeswehr in den
letzten zehn oder zwölf Jahren entwickelt hat. Deswegen
wollen wir schnellstmöglich die im Koalitionsvertrag
vereinbarte Strukturkommission einsetzen, damit bereits
bis Ende dieses Jahres Eckpunkte einer neuen Organisationsstruktur vorliegen. Wir erwarten mit Interesse die
Empfehlungen, die die Kommission hierzu aussprechen
wird.
Der Wehrbeauftragte hat eben auf die erneute Steigerung der Zahl der Fälle von Posttraumatischer Belastungsstörung wie auch von anderen einsatzbedingten
psychischen Erkrankungen hingewiesen. Im Jahr 2009
hat sich die Zahl der Fälle von PTBS - Posttraumatischer
Belastungsstörung - gegenüber dem Berichtsjahr 2008
nochmals erhöht, von 226 auf 418. Dies ist natürlich
zum Teil auf den sensibleren Umgang mit der Problematik in der Truppe zurückzuführen, aber auch auf die bessere Aufklärung der Soldaten und ihre erhöhte Behandlungsbereitschaft.
Die Bedeutung von angemessenen Möglichkeiten der
Diagnose und Behandlung wurde erkannt. Allerdings
befinden sich die entsprechenden Kapazitäten noch im
Aufwuchs, sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch
im Rahmen des Psychosozialen Netzwerkes. Wir brauchen insbesondere eine Institution, in der die Kompetenz
zur Behandlung von PTBS auf nationaler Ebene gebündelt wird. Die Einrichtung eines solchen Traumazentrums hat für die Koalition höchste Priorität. Auch dafür
muss es natürlich die notwendigen Mittel geben. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir alle gemeinsam am Mittwoch im Verteidigungsausschuss dieses Vorhaben fraktionsübergreifend unterstützt haben. Herzlichen Dank
dafür.
({2})
Demnächst schon steht die Veröffentlichung des Berichts für 2009 an. Ich sehe ihm mit Interesse, aber auch
mit etwas größerer Sorge als sonst entgegen. Dabei
denke ich besonders an einen Punkt, den ich schon in der
ersten Beratung hervorgehoben habe, nämlich den
Wunsch der Soldaten nach mehr Ansehen und Unterstützung in der Gesellschaft.
({3})
Nicht, dass an der Bundeswehr und ihren Soldaten keine
Kritik geübt werden dürfte - das will keiner; damit beschäftigen schließlich auch wir uns jedes Mal, wenn wir
den Bericht des Wehrbeauftragten behandeln -, aber
bitte auf der Grundlage von Fakten und nicht wegen der
Auflage oder aus politischem Kalkül. Bei vielen Soldaten entsteht aber genau dieser Eindruck. Das ist mir in
Gesprächen in der letzten Zeit immer wieder deutlich geworden. Das kann für die Stimmung in der Truppe nicht
gut sein. Deswegen hoffe ich, dass sich der öffentliche
Anita Schäfer ({4})
Umgang mit den Leistungen unserer Soldaten im Einsatz
zum Positiven entwickelt.
({5})
Ich wünsche mir, dass der Bericht des Wehrbeauftragten
für das nächste Jahr dieses feststellen kann und dass die
Soldaten mit der Wertschätzung zufrieden sind, die sie
dann erfahren. Das wäre eine wirklich gute Nachricht.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Karin Evers-Meyer für die SPDFraktion.
Herr Präsident! Herr Wehrbeauftragter! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Bundeswehr hat sich
zu einer Einsatzarmee entwickelt, und diese Entwicklung spiegelt sich im 50. Jahresbericht des Wehrbeauftragten wider. Ich danke Reinhold Robbe, dass er mit
großer Sorgfalt und sehr anschaulich dargestellt hat, vor
welchen Herausforderungen die Truppe derzeit steht.
Das Jahr 2008, auf das sich dieser Bericht bezieht, war
für die Bundeswehr von drei großen Herausforderungen
geprägt. Da ist zum einen die Transformation der Streitkräfte im Inland, die nach wie vor viel Einsatz und Fingerspitzengefühl erfordert. Zum anderen steigen die Anforderungen an die Bundeswehr als Arbeitgeber. Mehr
und mehr sieht sich die Bundeswehr gefordert, als attraktiver Arbeitgeber um geeignetes Personal zu werben.
Schließlich, drittens, war 2008 ein Berichtsjahr, in dem
die Zahl und die Intensität der Auslandseinsätze nochmals ausgeweitet wurden.
Insgesamt waren es 6 600 Soldatinnen und Soldaten,
die der Bundestag 2008 in Auslandseinsätze entsandt
hat. Dazu zählten neben den großen Kontingenten wie
dem ISAF-Einsatz in Afghanistan mit rund 4 500 Soldatinnen und Soldaten auch kleinere Missionen, die wir
manchmal ein wenig aus unserem Bewusstsein verdrängen, etwa im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina. Es
gab 2008 noch ein Novum, als sich die Bundeswehr im
Rahmen von „Atalanta“ mit bis zu 1 400 Soldatinnen
und Soldaten an einer rein EU-geführten Operation beteiligte.
Wenn man die Truppe im Einsatz besucht, so wie es
auch der Wehrbeauftragte regelmäßig macht, dann lernt
man die große Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und
Soldaten kennen. Man spürt aber auch den Druck und
die ständige Anspannung, denen diese Frauen und Männer tagtäglich ausgesetzt sind. Wir, die Mitglieder des
Deutschen Bundestages, können auf die Arbeit unserer
Parlamentsarmee stolz sein. Das sollten wir auch in der
Öffentlichkeit noch deutlicher machen.
({0})
Als Auftraggeber der Bundeswehr macht sich niemand von uns die Entscheidung über die gefährlichen
und anspruchsvollen Einsätze der Bundeswehr im Ausland leicht. Umso mehr müssen uns auch die im Jahresbericht 2008 geäußerten Beschwerden aus der Truppe
bedenklich stimmen; denn diese Beschwerden beziehen
sich zu einem großen Teil auf Defizite bei der Planung
und Durchführung der Einsätze. Im Bericht findet man
zahlreiche Darstellungen von Soldatinnen und Soldaten,
die monieren, dass sie zu spät oder nur unzureichend
über ihre anstehenden Auslandseinsätze informiert worden sind. Man liest dort auch von kurios anmutenden
Anordnungen im Einsatz selbst wie dem „Obergrenzenurlaub“ beim ISAF-Kontingent. Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch darauf, planbar und verlässlich über ihre Einsatzverwendung informiert und
während der Einsätze gut betreut zu werden. Es ist gut,
dass der Wehrbeauftragte dieses berechtigte Anliegen in
seinen Bericht aufnimmt. Wir fordern das Verteidigungsministerium nachdrücklich auf, diese oftmals vermeidbaren Missstände bei Einsätzen im Ausland abzustellen.
Die Betreuung darf am Ende des Einsatzes natürlich
nicht aufhören. Ich glaube, dass Deutschland - ich weiß
das auch aus meiner Arbeit in der letzten Legislaturperiode - nach wie vor nicht ausreichend auf die Versorgung von vor allem psychisch verletzten Soldatinnen
und Soldaten eingerichtet ist, deren Zahl spürbar gestiegen ist. Der Wehrbeauftragte bemängelt in seinem Bericht, dass es immer noch viel zu wenige Anlaufstellen
für die Betroffenen gibt. Damit das ganz klar ist: Wir
werden es nicht zulassen, dass hier irgendetwas weggedeckelt oder gar stigmatisiert wird, was vielleicht nicht
zum Bild des unverletzlichen Soldaten passt. Die Bundeswehr benötigt mehr Fachpersonal, um psychische Erkrankungen besser behandeln zu können. Darüber hinaus muss in der Truppe offensiv über psychische
Störungen infolge von Einsätzen aufgeklärt werden. Das
erwarte ich von einer Armee, die transparent sein will
und sich dem Leitbild der Inneren Führung verpflichtet
sieht.
Noch ein Wort zur Transformation und zur Attraktivität der Bundeswehr. Die Transformation der Bundeswehr war im Berichtsjahr Anlass zu vielen Beschwerden. Bemängelt wurde eine deutlich schlechtere
Betreuung von Soldatinnen und Soldaten, vor allem bei
der sanitätsdienstlichen Versorgung in den Heimatstandorten. Hinzu kommen für viele Beschäftigte der Bundeswehr Unannehmlichkeiten wie sehr lange Anfahrtswege
aufgrund heimatferner Verwendung und eine unzureichende Infrastruktur. Was ich da gesehen habe, möchte
keiner von uns erleben. Wer in seinem Wahlkreis Kasernen hat und diese kennt, der kann sicherlich in diesem
Punkt nicht widersprechen. Gerade viele westdeutsche
Kasernen entsprechen nicht mehr dem heutigen Standard.
Das verstärkt die Frustration bei vielen Soldatinnen
und Soldaten, die sich dadurch von ihrem Dienstherrn
nicht ausreichend gewürdigt sehen. Das wirkt natürlich
auch demotivierend auf Soldatinnen und Soldaten und
hat eine unmittelbare Wirkung nach außen. Wer glaubt,
dass unter solchen Bedingungen dringend benötigte
Fachkräfte für die Bundeswehr gewonnen werden können, irrt ganz gewaltig.
Zur Attraktivität. Die Bundeswehr steht im Wettbewerb um gutes und motiviertes Personal. Der demografische Wandel - das wissen wir alle - wird diese Situation
verschärfen. Deswegen ist es für die Einsatzfähigkeit der
Armee essenziell, als attraktiver und verlässlicher Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Zu Recht weist
der Wehrbeauftragte in seinem Bericht für das Jahr 2008
auf einige besonders problematische Punkte hin. Ich
greife hier nur die Gestaltung der Wehrpflicht heraus.
Dem Bericht können wir entnehmen, dass der Wehrdienst von vielen jungen Männern immer noch als sinnlos und langweilig empfunden wird. Natürlich soll die
Wehrdienstzeit nicht ein ständiges Abenteuer bieten. Die
Bundeswehr muss sich aber mehr als bisher bemühen,
diesen Pflichteinsatz junger Menschen so zu gestalten,
dass die Zeit bei der Armee nicht als Verschwendung,
sondern als Bereicherung der persönlichen Laufbahn
empfunden wird. Das ist der Weg, um motiviertes Personal zu gewinnen.
Um dieses Personal zu halten, darf natürlich später
nicht nachgelassen werden. Es ist besorgniserregend, zu
lesen, dass allein 2008 rund 100 Ärzte die Bundeswehr
verlassen haben. Gut qualifizierte Mediziner werden
zurzeit überall in der Republik dringend gesucht und entsprechend gut bezahlt. Wenn die Bundeswehr schon bei
der Bezahlung nicht mithalten kann, dann dürfen aber
nicht noch mangelnde Planungssicherheit und geringe
persönliche Entwicklungsmöglichkeiten hinzukommen.
Wehrdienst und Sanitätsdienst, das sind nur zwei Beispiele für das, was auf die Bundeswehr und natürlich
auch auf die Politik zukommt. Die Bundeswehr muss
sich dem Wettbewerb ums Personal stellen. Erfolg wird
sie nur haben, wenn sie ein attraktiver und vor allen Dingen verlässlicher Arbeitgeber sein will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke
dem Wehrbeauftragten Reinhold Robbe und seinem
Team noch einmal sehr herzlich für seinen Bericht und
die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem
Parlament. Wir akzeptieren, dass Sie für das Verteidigungsministerium und natürlich auch für uns Parlamentarier ein ums andere Mal ein unbequemer Mahner sind.
Deshalb sind Sie in der Truppe ein zu Recht sehr respektierter Ansprechpartner, auf dessen gewissenhafte Arbeit
sich die Soldatinnen und Soldaten verlassen können.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Christoph Schnurr für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter Robbe! Das Interesse am Amt des Wehrbeauftragten ist groß. Wenn
selbst ausländische Delegationen Ihnen einen Besuch
abstatten, ist das ein Zeichen für die Wertschätzung dieses Amtes und sicherlich auch Ihrer Person. In diesem
Interesse spiegelt sich auch die Qualität wider. National
wird der Dank durch die Soldaten bekundet, deren Eingaben sich Herr Robbe in den letzten knapp fünf Jahren
verpflichtet hat. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im In- und im Ausland fanden stets ein offenes
Ohr. Ihnen, Herr Robbe, und Ihren Mitarbeitern sei an
dieser Stelle seitens der FDP-Fraktion noch einmal ausdrücklich Dank ausgesprochen.
({0})
Sie haben dafür gesorgt, dass der Bundestag der Fürsorgepflicht gegenüber seinen Soldatinnen und Soldaten
besser nachkommen kann. In einigen Tagen werden Sie
den 51. Bericht vorlegen. Er wird in diesem Hause, im
Bundesministerium der Verteidigung, aber auch in der
breiten Öffentlichkeit bereits mit Spannung erwartet. Ich
gehe davon aus, dass einige Punkte im 51. Bericht bereits bekannte Probleme sind. Gerade diese Mängel müssen mit besonderem Engagement abgestellt werden. Ich
bin mir sehr sicher, dass das Ministerium unter Minister
zu Guttenberg alles in seiner Macht Stehende tun wird,
um die Situation in den Streitkräften zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern.
({1})
Doch auch wir, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
sind aufgerufen, uns als Parlamentarier mit all unserer
Kraft für die Soldaten einzusetzen; denn sie sind es, die
von uns, dem Parlament, den Auftrag erhalten, die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten.
Ein Thema zieht sich durch den Bericht wie ein roter
Faden: Die Berufsunzufriedenheit innerhalb der Truppe
ist zu hoch. In persönlichen Gesprächen mit unseren Soldaten musste ich in erschreckender Weise feststellen,
dass viele - meiner Einschätzung nach zu viele - Soldaten ihren eigenen Kindern davon abraten würden, zur
Bundeswehr zu gehen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Mitgliederbefragung des Deutschen
Bundeswehr-Verbandes zur Berufszufriedenheit. Insbesondere die Gruppe der Ärzte und Piloten wird uns in
Zukunft beschäftigen. Auch wenn das Ministerium bereits den Handlungsbedarf erkannt hat und erste Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet wurden, bedarf es weiterer Anstrengungen.
({2})
Die Bundeswehr muss als attraktiver Arbeitgeber
wahrgenommen werden. Das Beförderungs- und Besoldungssystem bedarf einer Überprüfung. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss vorangetrieben werden.
Hierbei sind insbesondere weitere Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu schaffen, und die Versetzungshäufigkeiten sind zu reduzieren. Zudem müssen sich Arbeitsund Unterkunftsbedingungen in den Kasernen weiter
verbessern. Ich bin mir sicher, dass wir auch das in ZuChristoph Schnurr
kunft vorantreiben werden. Die ersten Anträge dazu sind
schon verfasst worden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich über den
Bereich der Ausrüstung sprechen. Mit großer Erleichterung habe ich festgestellt, dass unseren Soldaten im Einsatz endlich einheitlich eine überarbeitete Sanitätsausstattung zugeführt wurde. Diese wird den Umständen
gerecht und ist auf einem hohen Stand der Entwicklung.
Genauso verhält es sich mit der Einführung neuer Einsatzfahrzeuge. Die Bundeswehr braucht und verdient die
beste Ausrüstung, um unserem Auftrag gerecht zu werden.
({3})
Es müssen aber auch nicht immer Millionen Euro investiert werden, um die Zufriedenheit innerhalb der
Truppe zu steigern. Oft, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, reicht eine ehrliche Beurteilung der
Lage. Außenminister Guido Westerwelle hat mit seiner
Einschätzung, dass es sich in Afghanistan um einen
nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, das
richtige Zeichen gesetzt. Hierfür bedanke ich mich bei
der Bundesregierung ausdrücklich.
({4})
Es geht also auch um Kommunikation. Kommunikation
ist das, was ankommt. Die Ziele müssen von der Regierung über das Ministerium bis hin zu jedem einzelnen
Soldaten so dargestellt werden, dass sie nachvollziehbar
sind. Selbiges gilt selbstverständlich auch für unsere
Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren, unsere Fürsorgepflicht gilt
unseren Soldaten nicht nur vor und während der Auslandseinsätze, sondern auch danach. Die gestiegene Anzahl von traumatisierten Soldaten macht die Notwendigkeit zur Errichtung eines Traumazentrums deutlich. Es
ist ausdrücklich zu begrüßen und sehr erfreulich, dass
dieses Vorhaben auf parteiübergreifende Zustimmung in
diesem Hause trifft. Dies dient der Sache und ist ein Zeichen in die Truppe hinein, aber sicherlich auch ein Zeichen Richtung Bundesregierung. Wir bitten Sie, dies
auch entsprechend umzusetzen.
({5})
Ein klares Signal stellt auch der heute mit großer
Mehrheit gefasste Beschluss zum ISAF-Mandat dar. Der
Einsatz in Afghanistan steht im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass unsere Soldaten auch auf dem Balkan, am Horn von Afrika
und anderswo ihren Dienst verrichten. Diese Einsätze
sind genauso wichtig und ebenso von uns, dem Bundestag, verabschiedet worden. Auch die dort eingesetzten
Soldaten benötigen unsere Unterstützung, die breite Zustimmung im Parlament und auch in der Bevölkerung.
({6})
Herr Präsident, ich komme zum Ende, möchte jedoch
an dieser Stelle noch etwas zu einem Punkt sagen, der
bereits angesprochen worden ist. Angesichts der Diskussionen in den vergangenen Tagen und Wochen scheint es
mir notwendig, in aller Kürze zwei Dinge herauszustellen:
Erstens. In unserer vom Leitbild der Inneren Führung
geprägten Bundeswehr haben entwürdigende Rituale
und Mutproben keinen Platz. Diese Vorfälle müssen natürlich aufgeklärt werden, und es muss alles daran gesetzt werden, solche künftig zu vermeiden.
({7})
Zweitens. Die Vorkommnisse in Mittenwald sind bedauerlich. Aber an dieser Stelle muss auch zur Sprache
gebracht werden, dass diese Vorfälle nicht repräsentativ
für die gesamte Bundeswehr sind und nicht den Alltag in
den Streitkräften widerspiegeln.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit, bedanke mich bei allen aktiven Soldatinnen und Soldaten sowie den Angehörigen
der Reserve für ihren Dienst und bitte um Annahme der
Beschlussempfehlung.
Vielen Dank.
({8})
Kollege Schnurr, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten
Wünsche!
({0})
Das Wort hat nun Omid Nouripour für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben
Sie mir zuallererst, nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern in dieser aktuellen Debatte gerade Ihnen,
Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern für die gründliche und umfassende Arbeit
zu danken, die Sie auch in diesem Jahr geleistet haben.
Herr Robbe, mit dem Bericht, den Sie vorgelegt haben,
und mit der Qualität und Tiefe Ihrer Arbeit erfüllen Sie
von Jahr zu Jahr immer wieder den Begriff der Parlamentsarmee mit Leben. Dafür einen herzlichen Dank.
Ich teile deshalb die weitsichtige und, wie ich finde,
auch weise Einschätzung des Kollegen Polenz, CDU/
CSU, dass Sie, Herr Robbe, eine weitere Amtszeit verdient haben, und zwar nicht nur, weil Sie dieses Amt so
gut ausfüllen, sondern auch aufgrund Ihrer Persönlichkeit. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Sie in diesem
Hause über Lagergrenzen hinweg großen Respekt genießen. Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, warum Sie
diese Arbeit beenden sollten. Deshalb möchte ich an die
Kolleginnen und Kollegen der FDP appellieren, gerade
in diesen für die Bundeswehr so unruhigen Zeiten auf
Kontinuität und Kompetenz zu setzen und nicht auf ein
Parteibuch.
({0})
Verehrter Herr Robbe, Sie haben es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, Probleme anzureißen, und
zwar auf eine Art und Weise, dass auch über Lösungen
nachgedacht worden ist. Ich will in diesem Zusammenhang auch eine Anregung geben. Es macht vielleicht
Sinn, weil sich die Gesellschaft und auch die Bundeswehr so verändert haben, darüber nachzudenken, ob man
nicht in den Bericht ein Unterkapitel zu dem Thema
„Mitglieder der Truppe mit Migrationshintergrund“ aufnimmt. Hier könnte man die Probleme aufzeigen, die das
mit sich bringt, und auch die Probleme, mit denen sie
während ihrer Dienstzeit konfrontiert werden. Es wäre
möglicherweise eine Bereicherung für Ihren Bericht und
eine Vertiefung der Erkenntnisse.
Es gibt eine Reihe von Stichpunkten, zu denen Sie
eine Debatte angestoßen haben, zum Beispiel zum
Thema Familie und Beruf. Es ist schon viel passiert,
auch wenn man festhalten muss, dass wir noch lange
nicht am Ende der Fahnenstange sind. Auch die Behebung der Mängel bei der Ausrüstung beim IdZ ist Ihr
Verdienst.
Natürlich müssen wir auch über das Thema Fahrzeuge sprechen. Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie Sie es - wenn es
wirklich so kommt, wie wir alle befürchten - der Truppe
erklären wollen, dass bei der Ausbildung Dingos, vor allem Dingos II, fehlen, während gleichzeitig in einem
Haushalt, der nicht größer wird, für einen A400M Milliarden ausgegeben werden können. Ich bin gespannt,
wie Sie dieses Problem aus dem Weg räumen wollen.
Stichwort Innere Führung - damit befinden wir uns in
der aktuellen Debatte -: Ich will unterstreichen, wenn
wir uns die Vorfälle vor Augen führen, dann muss klar
sein, dass wir uns nicht mit dem Zustand der gesamten
Bundeswehr befassen. Davon kann keine Rede sein.
Aber gerade wenn wir wollen, dass nicht über die gesamte Truppe öffentlich der Stab gebrochen wird, müssen wir jeden Einzelfall konsequent verfolgen und ihm
nachgehen.
Rituale gibt es nicht nur in der Bundeswehr, sondern
auch im zivilen Leben. Einführungsrituale gibt es auch
außerhalb der Truppe, das ist keine Frage. Und natürlich
ist die Bundeswehr ein Spiegel der Gesellschaft. Deshalb sind die Forderungen, man müsse der gesamten
Truppe den Alkoholgenuss verbieten, Quatsch. Das
macht überhaupt keinen Sinn. Wenn man aber diese Vorfälle ernst nehmen will, dann hilft es auch nicht, wenn
Herr Kollege van Essen darauf hinweist, das seien halt
alte militärische Traditionen. Das ist nicht die Art und
Weise, wie man mit diesen Vorfällen umgehen sollte. Ich
will im Übrigen darauf hinweisen, dass alte militärische
Rituale nicht immer nur positive Assoziationen in unserer Gesellschaft hervorrufen. Keine Frage: Es gibt Bereiche, bei deren Bewertung es um Geschmacksfragen
geht. Aber wenn ein Exalkoholiker dazu genötigt wird,
Alkohol zu trinken, dann ist das keine Geschmacklosigkeit, sondern Körperverletzung. Damit muss man entsprechend umgehen.
Unsere Bundeswehr ist eine besondere Institution. Sie
ist inhärent hierarchisch aufgebaut. Genau deswegen ist
die Dienstaufsicht so wichtig. Genau deswegen ist es
wichtig, dass Kommandeure gewährleisten können, dass
jede einzelne Soldatin, jeder einzelne Soldat vor solchen
Ausuferungen, wie wir sie kennen, geschützt wird. Vor
allem muss es innerhalb der Verbände Räume geben - es
muss nicht so weit kommen, dass man sich an den Wehrbeauftragten wendet -, in denen man sich mit einem solchem Fehlverhalten auseinandersetzen kann. Wir dürfen
nicht vergessen: Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Aber ein ausgebildeter Infanterist hat
natürlich einen anderen Aktionsradius. Er stellt bei Fehlverhalten eine ganz andere Gefahr dar als ein Zivilist.
Das ist im Übrigen auch der Grund, warum die Gesellschaft so sensibel auf dieses Thema reagiert.
Es sind strukturelle Herausforderungen, mit denen
wir uns als Parlament auseinandersetzen müssen. Dafür
haben Sie sehr viele herausragende Anregungen gegeben, Herr Beauftragter. Möge das so weitergehen. Denn
ein Staatsbürger in Uniform ist ein Staatsbürger mit
Pflichten, mit Rechten, aber auch mit Würde.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Kossendey.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat dem
Parlament am 26. März 2009 seinen Jahresbericht 2008
- über ihn sprechen wir heute - vorgelegt. Sie haben alle
übereinstimmend festgestellt, dass es sich dabei um einen Mängelbericht und nicht um einen Zustandsbericht
der Bundeswehr handelt. Er zeigt individuelles Fehlverhalten bei Vorgesetzten auf, und er zeigt auch andere Defizite bei der Bundeswehr auf.
Lieber Reinhold Robbe, wir danken für diesen Bericht. Sie haben durch die Wahrnehmung Ihrer Aufgaben
nach § 1 des Wehrbeauftragtengesetzes als Hilfsorgan
des Deutschen Bundestages uns bei der Ausübung der
parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr erneut einen guten Dienst erwiesen. Der von Ihnen vorgelegte
Bericht ist für unsere Arbeit - die Arbeit des Parlamentes, aber auch des Ministeriums - wertvoll.
Lassen Sie mich eines sagen: Ihre Erkenntnisse decken sich im Wesentlichen mit dem vielschichtigen Bild,
das die Leitung des Bundesministeriums von der Bundeswehr hat. Trotz der unbestreitbar vorhandenen Mängel möchte ich aber festhalten, dass unsere Bundeswehr
in der Lage ist, die Aufträge, die ihr die Regierung und
das Parlament geben, voll und ganz zu erfüllen. Das ist
das Verdienst all der Frauen und Männer, die in der Bundeswehr ihren Dienst tun. Dafür sollten wir ihnen Dank
und Anerkennung zollen.
Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist, glaube
ich, aber auch Anlass, um - über die Einzelereignisse hinaus - Ursachen, Anlässe und Tendenzen zu betrachten
und zu bewerten und daraus gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. In einem relativ hohen Anteil der Eingaben wird Kritik an der geltenden Rechts- und Verordnungslage geübt und nicht etwa an der mangelnden
Einhaltung der Prinzipien der Inneren Führung oder einer mangelnden Beachtung der Grundrechte durch militärische Vorgesetzte. Mich stimmt bedenklich, dass sich
nicht mehr alle Soldatinnen und Soldaten bei Problemen
oder Missständen an ihre eigenen Vorgesetzten wenden,
um durch Meldung oder Wehrbeschwerde eine Änderung zu erreichen.
({0})
Das kennen wir alle. Vielfach erreichen die Abgeordneten Briefe von Soldaten. Vielfach erreichen mich auch
direkt Briefe aus der Truppe. Ich denke, wir sollten darauf achten, dass wir da gegensteuern. Ich glaube, das
offensichtlich nicht überall vorhandene Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen muss wiederhergestellt werden. Möglicherweise ist dieser Aspekt auch
durch das Selbstverständnis des Wehrbeauftragten, der
sich mitunter als Kummerkasten für die Soldatinnen und
Soldaten darstellt, befördert worden.
Auf zwei Aspekte des vorgelegten Berichtes möchte
ich näher eingehen - sie betreffen die Bundeswehr als
Armee im Einsatz -:
Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Gerade wir Politiker müssen
sehr viel sensibler in die Gesellschaft hineinwirken. Deswegen danke ich Frau Schäfer und Frau Evers-Meyer
dafür, dass sie das hier so deutlich für uns eingefordert
haben.
Zum anderen sollten wir, lieber Kollege Nouripour,
nicht immer nur auf die Ausrüstung der Bundeswehr
achten, zumindest wenn wir über den Bericht des Wehrbeauftragten sprechen. Das sind Dinge, die wir im Ausschuss zu behandeln haben. Dort sollten wir das auch
tun.
Die im Jahresbericht 2008 des Wehrbeauftragten angesprochenen Verstöße gegen die Innere Führung werden im Augenblick unter dem Stichwort „Mittenwald“
diskutiert. Wir sollten das tun, selbstverständlich, ohne
Beschönigung und ohne Übertreibung. Es gilt das Wort
des Ministers: Wir wollen aufklären, abstellen und Konsequenzen ziehen. Jeder Vorfall in dieser Richtung ist einer zu viel. Ich bin Herrn Robbe ausgesprochen dankbar
dafür, dass er deutlich gemacht hat, dass die Bundeswehr
deswegen nicht unter Generalverdacht steht. Ich glaube,
es wäre sehr schwierig, das so in der Öffentlichkeit darzustellen, und würde den Soldaten auch sehr wehtun.
Wir müssen darauf setzen, den Soldatinnen und Soldaten in ihrer Ausbildung das ethische, aber auch das
moralische Rüstzeug zu vermitteln, das notwendig ist,
dass solche Auswüchse bereits im Keim erstickt werden.
Ich habe volles Vertrauen in die Vorgesetzten und in die
Kommandeure vor Ort. Sie werden das aufklären, und
sie werden das abstellen.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen - das ist angesprochen worden -, dass die Bundeswehr ein Teil unserer Gesellschaft ist. Unsere Wehrpflichtigen und unsere
Zeitsoldaten werden in dieser Gesellschaft sozialisiert.
Sie kommen mit vielfältigen Erfahrungen zu uns. Deshalb ist die Bundeswehr von gesellschaftlichen Entwicklungen natürlich nicht ausgenommen. Dazu gehören die
Fernsehshows, die wir jeden Tag sehen dürfen und die
Geschmacklosigkeiten geradezu salonfähig machen,
aber auch ein bisweilen unter Jugendlichen exzessiver
Alkoholkonsum, über den im Fernsehen manchmal in
ekelerregender Weise berichtet wird. All das geht an der
Bundeswehr natürlich nicht spurlos vorüber.
({1})
Das darf uns aber nicht als Entschuldigung dienen, wenn
es darum geht, diese Dinge in der Bundeswehr zur
Kenntnis zu nehmen und abzustellen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Das Amt des
Wehrbeauftragten genießt das Vertrauen der Soldatinnen
und Soldaten. Es hat maßgeblich zu der mehr als 50-jährigen Erfolgsgeschichte der Bundeswehr beigetragen.
Für das Parlament ist und bleibt es ein unverzichtbares
Hilfsorgan zur Kontrolle unserer Streitkräfte, gerade
wenn es darum geht, die Grundrechte und die Prinzipien
der Inneren Führung in der Bundeswehr einzuhalten.
Das Bundesministerium der Verteidigung wird viele Anregungen des Berichtes 2008 aufgreifen und in seine
weitere Arbeit einbeziehen.
Ich bedanke mich.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 2008 des
Wehrbeauftragten, Drucksachen 16/12200 und 17/713.
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Stimmenthaltung
der Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Klaus Ernst, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Datenschutz für Beschäftigte stärken
- Drucksache 17/779 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Abgeord-
neten sind übereingekommen, ihre Reden zu Protokoll
zu geben. Es handelt sich um die Reden der Kollegen
Michael Frieser, Josip Juratovic, Gisela Piltz, Beate
Müller-Gemmeke und Gitta Connemann.1)
Damit kann ich die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/779 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 6
auf:
22 Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck ({1}),
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht
- Drucksache 17/542 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger
Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Staatsangehörigkeitsrechts
- Drucksache 17/773 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Memet Kilic von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entschei-
dungen zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer die
Politik aufgefordert, möglichst viele dauerhaft in
Deutschland lebende Bürger in das Wahlrecht einzube-
ziehen. Daraus ergibt sich, dass der Erwerb der deut-
schen Staatsangehörigkeit erleichtert werden muss.
Der Bundestag hat im Jahr 1999 das Staatsangehörig-
keitsgesetz novelliert. Die wesentliche Novellierung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes betraf die Kinderstaatsan-
1) Anlage 7
gehörigkeit. Danach erhalten Einwandererkinder unter
bestimmten Voraussetzungen per Geburt die deutsche
Staatsbürgerschaft, damit sie in ihrem Geburtsland nicht
als Ausländer, sondern als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufwachsen. Die Grünen waren bei dieser Novelle, bei dieser Jahrhundertreform Vorreiter.
Heute stimmen wir glücklicherweise alle darin überein, dass der Erhalt der Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Rechte und Pflichten Voraussetzung
für eine erfolgreiche Integration von Immigranten ist.
Die heute geltende Bestimmung sieht vor, dass sich
diese Kinder im Alter von 18 bis 23 Jahren für eine ihrer
Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen. Von dieser
Regelung sind aktuell die 18- und 19-Jährigen betroffen.
Diesen jungen Menschen wird die Staatsbürgerschaft
also nur unter Vorbehalt gewährt, und sie wird ihnen unter Umständen wieder vollends entzogen. Damit werden
sie zu Bürgerinnen und Bürgern minderen Rechts. Die
jungen Menschen, die wie viele andere Jugendliche auch
mit zwei Staatsangehörigkeiten aufgewachsen sind, werden in die schwierige Lage gebracht, sich zwischen ihren
beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden.
Die Optionsregelung ist willkürlich und wird im
Laufe der Zeit immer willkürlicher, weil neben Jugendlichen aus binationalen Familien auch die Jugendlichen
aus der Europäischen Union und aus der Schweiz praktisch von dem Optionszwang ausgenommen sind. Während EU-Bürger seit dem 28. August 2007 unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, sind die
Optionskinder zur Aufgabe einer ihrer Staatsangehörigkeiten gezwungen. Diese Ungleichbehandlung widerspricht dem gesunden Menschenverstand und ist für niemanden nachvollziehbar.
({0})
In unserer globalen Gesellschaft ist die Mehrstaatigkeit in absehbarer Zeit keine Ausnahme mehr, sondern
die Regel. Für die meisten europäischen Staaten stellt
die Mehrstaatigkeit überhaupt kein Problem dar. Diese
rechtliche Diskriminierung verletzt das Interesse der Betroffenen. Sie verletzt auch das Interesse unseres Landes;
denn sie widerspricht dem Integrationsgedanken.
({1})
Es spricht viel dafür, dass der Optionszwang vor dem
Bundesverfassungsgericht rechtlich unhaltbar ist. Deswegen appelliere ich an alle meine Kolleginnen und Kollegen: Lasst uns diesen Optionszwang aufheben! Er ist
weder verhältnismäßig noch effektiv, sondern Unsinn.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Ingo Wellenreuther für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über zwei Gesetzentwürfe, einen der Grünen und einen der SPD, zur
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch Streichung der sogenannten Optionspflicht.
Die Optionspflicht beinhaltet - das wurde angesprochen -, dass sich ein Kind mit Eintritt der Volljährigkeit
bis zum 23. Lebensjahr entscheiden muss, ob es die
deutsche Staatsangehörigkeit, die es seit der Änderung
des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 1999 durch Geburt in Deutschland erworben hat, oder die ausländische
Staatsbürgerschaft eines seiner Elternteile, die es durch
Abstammung erworben hat, behalten will. Falls es sich
in diesen fünf Jahren nicht entscheidet, geht die deutsche
Staatsbürgerschaft automatisch verloren.
Die Grünen wollten diese Optionspflicht schon damals nicht. Die SPD will sie erst neuerdings nicht
({0})
und bestätigt damit eindrucksvoll die Berechtigung des
Vorwurfs, Herr Veit, sie habe die Bevölkerung 1999 getäuscht, den Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatlichkeit im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht schon
damals brechen und die Doppelstaatlichkeit durch die
Hintertür einführen wollen.
({1})
Die Union hat damals gegen die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes gestimmt, mit der die Möglichkeit eingeführt wurde, außer durch Abstammung und
Einbürgerung auch durch Geburt in Deutschland die
deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, falls sich zumindest ein ausländischer Elternteil als Inhaber eines unbefristeten Aufenthaltsrechts seit mindestens acht Jahren
rechtmäßig in Deutschland aufhält.
Für uns war damals und schon immer klar, dass Integration allein durch die Verleihung eines deutschen Passes, wie die Antragsteller meinen, nicht gefördert oder
bewirkt werden kann. Nach unserer Auffassung gehört
zu einer erfolgreichen Integration nämlich viel mehr. Integration findet im Kindergarten, in der Schule, in Vereinen, in der Wohnungsumgebung und mit Freunden statt;
hier entscheidet sich der Erfolg der Integration. Dazu gehört auch das Vertrautmachen mit den zentralen Werten
und Normen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Wir haben bei diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen Thema seit dem Regierungswechsel 2005 unsererseits die richtigen Weichenstellungen vorgenommen.
Wir haben seit 2005 Integrationskurse, Sprachlehrgänge
und Orientierungs- und Alphabetisierungskurse für Migranten intensiviert, weil wir erkannt haben, dass
Sprachförderung an erster Stelle stehen muss.
({2})
- Eben, Herr Veit; vielen Dank. - Die Beherrschung der
deutschen Sprache ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bildung, für eine erfolgreiche Ausbildung, für
das Erreichen einer Lehrstelle und das Ergreifen eines
Berufes.
({3})
Außerdem haben wir uns mit Programmen des Familienministeriums speziell um Schulverweigerer gekümmert. Wir haben Initiativen gestartet, die zusätzliche
Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund schaffen. Wir haben eine verbesserte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse auf den Weg gebracht. All das waren Maßnahmen, die wir seit dem
Regierungswechsel 2005 intensiv betrieben haben.
({4})
Das Thema Integration hat für uns eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Das hat sich auch daran gezeigt,
dass die Bundeskanzlerin extra das Amt einer Integrationsbeauftragten im Kanzleramt geschaffen hat, um
dem Thema Integration höchsten Stellenwert zu verleihen.
({5})
Wir haben im Jahre 2007 einen Integrationsplan geschaffen, mit dem wir in einem Gesamtkonzept auf eine
echte Partnerschaft mit den Migranten gesetzt haben.
Und der damalige Innenminister Schäuble hat 2006 die
Deutsche Islam-Konferenz ins Leben gerufen und den
direkten Dialog mit den Muslimen begonnen.
({6})
- Ich komme zum Thema.
({7})
Das zeigt: Integration entscheidet sich im konkreten
Zusammenleben und nicht formal durch eine doppelte
Staatsangehörigkeit.
({8})
Für uns steht der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses
und nicht am Anfang.
({9})
- Nein, Herr Wieland. Integration ist eine Sache des
Kopfes und des Herzens und darf nicht nur auf dem Papier stehen.
({10})
Von dem seit dem Jahre 2000 geltenden neuen Staatsangehörigkeitsgesetz sind Kinder erfasst, die nach dem
1. Januar 2000 geboren wurden, und Kinder, die am
1. Januar 2000 noch nicht zehn Jahre alt waren, aber von
der Möglichkeit Gebrauch machten, auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben.
Für die ersten dieser insgesamt 50 000 Kinder - es
sind ungefähr 3 300 - begann mit ihrer Volljährigkeit ab
dem Jahre 2008 die Optionspflicht. Deshalb kommen die
heute zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe zur Unzeit,
nämlich viel zu früh,
({11})
weil noch viel zu wenige Erfahrungen mit der praktischen Anwendung der Optionspflicht vorliegen. Derzeit
- das wissen auch Sie - werden erste Erfahrungen mit
dem Optionsverfahren gesammelt. Gemäß dem Koalitionsvertrag wird von der Bundesregierung geprüft, ob
in verfahrensrechtlicher, aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht Verbesserungsbedarf besteht.
({12})
Wenn diese Erkenntnisse vorliegen, werden wir uns gemeinsam noch einmal Gedanken über das Staatsangehörigkeitsrecht insgesamt machen müssen.
Eines steht aber fest, unabhängig von diesen Ergebnissen: Die Optionspflicht isoliert abzuschaffen, kommt
für uns nicht infrage.
({13})
SPD und Grüne haben aber ausgesprochen, worauf es ihnen wirklich ankommt: Sie wollen das Prinzip der generellen unbegrenzten Doppelstaatlichkeit. Das ist mit uns
nicht zu machen. Es sollte zur Identität und zur Persönlichkeit eines Menschen gehören, dass er sich einem
Land, seiner Kultur und seiner Werteordnung zugehörig
fühlt. Natürlich kann man aus verschiedenen Gründen
Verbindungen zu unterschiedlichen Ländern haben.
Aber in staatsbürgerlicher Hinsicht sollte es die Zugehörigkeit nur zu einem Land geben.
({14})
- Nein, das ist nicht lächerlich, sondern das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass Pflichtenkollisionen
und Loyalitätskonflikte gegen Mehrstaatlichkeit sprechen. Genau diese Gründe hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich herausgestellt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nouripour?
Nein, ich bin gleich am Schluss, Herr Präsident.
({0})
Auch wenn es in der Praxis zahlreiche Ausnahmen im
Staatsangehörigkeitsrecht aufgrund von gesetzlichen Regelungen bzw. Härtefällen gibt, bleibt das Festhalten am
Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit aus
den genannten Gründen richtig. Deshalb lehnen wir von
der Union die Anträge der SPD und der Bündnisgrünen
ab.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nun Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Fast könnte man Sie hier alle namentlich begrüßen, so wie die Reihen gerade nicht besetzt
sind. Trotzdem vielen Dank für das Interesse.
({0})
- Auch an sie hat sich meine Kritik gerichtet, keine
Frage. - Herr Kollege Wellenreuther, zunächst einmal
haben Sie natürlich recht, dass sich die CDU/CSU-Fraktion nach dem Motto „Learning by doing“ - dafür bin
ich nach wie vor dankbar; das sage ich ohne jeden zynischen Unterton - in Zeiten der Großen Koalition zu ganz
wesentlichen Teilen in der Tat zur Integrationspolitik bekannt hat und einiges Richtige und Gute, insbesondere
auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechtes, mitgemacht hat.
Das sollte so bleiben. Deswegen laden wir Sie heute
ein, unseren Vorstellungen zu folgen, wenn es um die generelle Abschaffung des Verbots doppelter Staatsbürgerschaft in unserem Staatsangehörigkeitsrecht geht. Unser
Antrag ist umfassender als der der Grünen. Während
sich die Grünen nur isoliert der Frage der Optionspflicht
zuwenden, wollen wir dieses Problem in unserem Staatsbürgerschaftsrecht insgesamt regeln.
Das, Herr Kollege Wellenreuther - jetzt kommt allerdings der entschiedene Widerspruch -, wollen wir nicht
erst seit heute, sondern das wollten wir bereits 1998/99.
Sie können die Protokolle von damals nachlesen.
({1})
Ich verweise auch gerne auf meine Rede vom Juli 2009,
in der ich diese historischen Zusammenhänge noch einmal dargelegt habe. Wir wollen diese Abschaffung des
Verbots nicht erst heute. Im Gegenteil: Wir wollten sie
immer. Wir mussten damals diesen Kompromiss maRüdiger Veit
chen. Wir haben ihn immer als einen nicht guten Kompromiss angesehen, sondern als einen ersten Schritt auf
dem Weg in die richtige Richtung aufgefasst.
({2})
So bleibt das. In der Konsequenz dessen stehe ich heute
vor Ihnen und sage: Wir haben einen umfassenden Gesetzentwurf gemacht, der sich mit dem Problem befasst.
Zur Frage der Optionspflicht hat der Kollege Kilic
schon einiges Richtige gesagt. Er hat - das möchte ich
ausdrücklich hervorheben - erklärt: Es muss auch unter
integrationspolitischen Gesichtspunkten ein Interesse
daran bestehen, dass die Wohnbevölkerung möglichst
identisch mit den insgesamt in Deutschland lebenden
Bürgern mit Wahlrecht ist. Das kann ich nur unterstreichen. Insofern ist der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft nicht erst ein Abschluss der Integration, sondern ein wichtiger Zwischenschritt einer vollständigen
Integration.
({3})
Wenn Sie generell Probleme mit der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft haben, dann ist es manchmal
nicht ganz schlecht, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen. Diesen kleinen Exkurs kann ich mir
nicht verkneifen. Das Abstammungsprinzip in unserem
Staatsangehörigkeitsrecht geht nicht nur auf die Fassung
des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913
zurück, sondern es geht schon auf das Jahr 1842 zurück.
Schon damals waren die Preußen etwas großzügiger und
keineswegs ethnisch geprägt, sodass auch preußische
Polen oder Juden generell Staatsbürger werden konnten.
({4})
1913 hat man dieses Recht, durchaus ohne ethnischen
Beigeschmack, übernommen. Die ethnische - ich füge
hinzu: rassistische - Aufladung des Staatsbürgerschaftsrechtes war dem Dritten Reich vorbehalten. Daran muss
man einmal erinnern, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
Dass man das beibehalten hat, hatte einen aus der damaligen Betrachtungsweise durchaus nachvollziehbaren
Grund: Man wollte sowohl die ostdeutsche Bevölkerung
als auch die Spätaussiedler nicht ausgrenzen.
Spätestens seit 1989/90 liegen die Dinge anders. Vor
diesem Hintergrund gibt es keinen vernünftigen Grund
mehr, sich generell gegen die Hinnahme der doppelten
Staatsbürgerschaft auszusprechen.
Es gab einen einzigen Grund - das will ich hier sagen -,
der vielleicht zu früheren Zeiten dafür gesprochen haben
könnte, die alte Rechtslage beizubehalten: die Möglichkeit, dass im Zusammenhang mit der Ableistung von
Wehrpflicht ein Loyalitätskonflikt entsteht. Aber auch
hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese Betrachtungsweise längst überholt. Ich empfehle einen Blick in
die Unterlagen - das bildet -: 1997 wurde ein europäisches Abkommen zum Staatsangehörigkeitsrecht abgeschlossen - es wurde in Deutschland allerdings erst 2004
ratifiziert -, mit dem klargestellt wurde: Wer seine
Wehrpflicht in einem der betroffenen Staaten abgeleistet
hat, hat seiner Wehrpflicht damit genügt. Ein Loyalitätskonflikt kann also nicht mehr entstehen.
({5})
Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Grund mehr, gegen die doppelte Staatsangehörigkeit zu sein.
Es gibt hingegen sehr viele Gründe, dafür zu sein.
Schauen wir uns die Zahl der Einbürgerungen an: Wir
hatten im Jahr 2000 mit über 180 000 Einbürgerungen
einen Gipfel. Mittlerweile sind wir wieder bei rund
80 000 Einbürgerungen im Jahr angelangt. Es ist nicht
erstrebenswert, dass das so bleibt. Von daher muss unser
aller Interesse sein, dass die Zahl wieder steigt.
Wir müssen den betroffenen Migrantinnen und Migranten, die sich in Deutschland dauerhaft aufhalten
wollen bzw. aufhalten, ein entsprechendes Angebot machen. Dem trägt unser Gesetzentwurf Rechnung, indem
wir sagen: Eine doppelte Staatsbürgerschaft bzw. Mehrfachstaatsbürgerschaft kann generell hingenommen werden. Sie wird es übrigens schon bei der bestehenden
Rechtslage in 53 Prozent der Fälle.
Wir wollen die Anspruchsvoraussetzungen für den
Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit senken. Es
soll in Zukunft ausreichen, wenn sich die Betreffenden
sieben Jahre in Deutschland aufgehalten haben. Unter bestimmten Voraussetzungen der Privilegierung - ich nenne
beispielhaft: Hochschulabschluss, Abschluss einer
Lehre, Erwerb der Hochschulreife in Deutschland - soll
die Frist auf sechs Jahre verkürzt werden können. Nach
diesem Zeitraum sollen die Betreffenden Anspruch auf
den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft haben,
ohne dass sie die andere Staatsbürgerschaft aufgeben
müssten. Ich halte diesen Ansatz für gut und richtig.
({6})
Wir sollten bei dieser Gelegenheit noch an ein paar
anderen Ecken Feinschliff anbringen. Das betrifft zum
Beispiel die Anrechnung von Duldungs- und Gestattungszeiten bei der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts,
die Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist.
Wir sollten großzügige Härtefallregelungen vorsehen
für Kinder und Jugendliche sowie für Personen über
60 Jahre, die vielleicht nicht mehr ohne Weiteres in der
Lage sind, entsprechende Sprachkenntnisse zu erwerben.
Wir wollen übrigens die Ausnahmeregelung, die bis
2007 gegolten hat, wieder einführen, wonach die Einbürgerung von Jugendlichen und Heranwachsenden eben
nicht davon abhängig gemacht wird, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen.
Kurzum - ich wiederhole das gerne noch einmal -: Es
gibt nach meiner Überzeugung - übrigens nach unveränderter Überzeugung der gesamten SPD-Fraktion, und
das seit 1998, Herr Kollege Wellenreuther - nur Gründe,
die dafür sprechen, die doppelte Staatsbürgerschaft oder
Mehrfachstaatsbürgerschaft zuzulassen. Wir wollen die
Voraussetzungen verbessern und günstige Regelungen
treffen, damit diejenigen, die sich als Staatsbürger auf
Dauer an unserem Staatswesen beteiligen wollen, das
auch können. Wir richten die Aufforderung, unserem
Gesetzentwurf zuzustimmen, an alle hier im Haus vertretenen Fraktionen und Parteien.
Ich darf zum Schluss darauf aufmerksam machen,
dass wir mit diesem Gesetzentwurf auch ein sehr ärgerliches Problem, das Problem des § 25 Staatsangehörigkeitsgesetz, bei dieser Gelegenheit mit erledigen können.
Sie wissen, dass es früher üblich war - ich habe das auch
im Juli letzten Jahres gesagt -, dass jeder türkische
Staatsbürger, der die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollte, zum Konsulat ging. Dort sagte man ihm:
Komm wieder, wenn du die deutsche Staatsangehörigkeit
hast; dann bekommst du auch die türkische zurück. - Dies
funktionierte nach dem § 25 des neuen Rechts nicht
mehr. Das gab viel Ärger und führte zu Rechtsunsicherheit, etwa zu der Frage, ob die Betroffenen als deutsche
Staatsbürger noch wählen dürfen oder nicht. Das kann
man bei dieser Gelegenheit ebenfalls korrigieren. Dafür
gibt es in der Zukunft keinen vernünftigen Hinderungsgrund mehr.
Wir sollten uns also hier gemeinsam auf den Weg machen. Der Wegfall des Optionsmodells ist die zwangsläufige Voraussetzung. Daher ist unser Anliegen umfassender und konsequenter. Wir bitten Sie alle, natürlich
auch die Antragsteller von Bündnis 90/Die Grünen, sehr
herzlich um Zustimmung.
({7})
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen fordern einmal mehr die Abschaffung des Optionsmodells.
({0})
Erst vor kurzem haben wir wieder entsprechende Anträge von Linken und Grünen im Bundestag beraten.
Durch ständige Neuaufgüsse wird kalter Kaffee auch
nicht wärmer.
({1})
Freilich ermöglicht dieses Vorgehen einer offenbar ratlosen Opposition, dass ich hier die Kontinuität der FDPPosition auch beim Rollenwechsel in die Regierung darlegen kann.
({2})
Wir bleiben dabei: Wir Liberalen haben dieses Modell
seinerzeit vorgeschlagen, um den Unionsparteien den
Weg zu einer Öffnung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts in Richtung auf das Jus Soli zu ermöglichen.
Die ideologische Sturheit auf beiden Seiten aufzubrechen, war damals der entscheidende Erfolg der FDP, insbesondere von Dr. Max Stadler, der damals für uns die
Verhandlungen führte.
({3})
Nach wie vor hat es keinen Sinn, ein Gesetz zu ändern, über dessen Wirkung es praktisch noch keine verwertbaren Daten gibt.
({4})
Es ist sinnvoll, erst einmal Erfahrungsberichte darüber
abzuwarten, wie sich diese Regelung auswirkt,
({5})
und danach die rechtlichen Anpassungsmöglichkeiten zu
prüfen. So ist es übrigens auch im Koalitionsvertrag vorgesehen. Für diese Opposition spielen Sachfragen aber
offensichtlich keine Rolle.
({6})
Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschen
ist es nach Auffassung der Grünen nicht zumutbar, sich
bei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit
zu entscheiden. Die Grünen nennen dies auch konsequent Optionszwang.
({7})
Als linke Partei tun sich die Grünen mit der Wahlfreiheit, also der Kompetenz des Individuums, sich entscheiden zu dürfen,
({8})
offenbar schwer.
({9})
Die Grünen machen nun bezeichnenderweise nicht den
Vorschlag, dass alle, die bislang die Wahlfreiheit haben,
zukünftig ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit haben sollen und die ihres Herkunftslandes aufgeben müssen - nein.
({10})
Anders als Kinder deutscher Eltern sollen die Betreffenden durch Doppelstaatsangehörigkeit privilegiert werden. Die Grünen frohlocken über die Abschaffung des
Abstammungsprinzips bei der Staatsangehörigkeit, wollen es aber gleichzeitig bei Zugewanderten beibehalten.
Hartfrid Wolff ({11})
Ihnen sollen neben der deutschen Staatsangehörigkeit
noch weitere Staatsangehörigkeiten offenstehen. Das ist
aus meiner Sicht inkonsequent.
({12})
Integration in die deutsche Gesellschaft kann unter
anderem dadurch gelingen, dass man sich zu gleichen
Rechten und Pflichten wie die anderen Staatsbürger in
die deutsche Gesellschaft integriert und dazu steht. Doppelstaatsangehörigkeit erschwert - jedenfalls in Teilen die Integration, nämlich dann, wenn Migranten mit Doppelstaatsangehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne
politisch, aber auch rechtlich zwei Staaten gleichzeitig
angehören. Migrantenschicksale zeigen oft, dass genau
dies eben nicht möglich ist. Wer weder ganz hier sein
noch ganz dort bleiben will, ist nirgendwo als gleichberechtigter Mitbürger in unserer Gesellschaft akzeptiert,
ganz unabhängig vom formalrechtlichen Status.
Die Grünen tun so, als ob Migration allein eine geografische Standortveränderung wäre - und damit basta!
Das ist gefährlicher Unfug.
({13})
Jeder, der sich mit Migration auseinandersetzt, weiß,
dass dazu mehr gehört, als sich einfach nur von A nach
B zu bewegen.
({14})
Gerade im Hinblick auf individuelle Freiheitsrechte
- lieber Herr Wieland, hören Sie einmal zu - wie die negative Religionsfreiheit, Emanzipation, Frauenrechte
oder demokratische Kultur würde ich mir wünschen,
dass die Grünen hier ihre sonst so demonstrativ zur
Schau gestellte Fortschrittlichkeit auch zur Unterstützung der Integration nachdrücklich einforderten.
({15})
- Machen Sie sich keine Gedanken. Ich rede jetzt zu
Ende.
({16})
Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen
der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls
die Akzeptanz von Migranten. Das ist kontraproduktiv,
sowohl für den Erfolg der Integration als auch für etwaige weitere Anpassungen des Staatsangehörigkeitsrechts.
Wir brauchen eine vernünftige, zusammenhängende und
klare Steuerung von Zuwanderung und Offenheit von
beiden Seiten.
({17})
Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn, das Beherrschen der
deutschen Sprache und die Einhaltung der Werte des
Grundgesetzes ein Muss. Mit diesen Werten wollen wir
für die deutsche Staatsangehörigkeit werben und sie
nicht abwerten.
Dass die SPD nach ihrer Abwahl aus der Regierung
dabei mitmacht und sich von eigenen Ergebnissen während ihrer Regierungszeit in geradezu rasanter Eile abwendet, haben wir in den letzten Wochen zu oft erlebt,
um noch wirklich erstaunt zu sein.
({18})
Die deutsche Sozialdemokratie hat ihren inneren Kompass völlig verloren; die FDP hält dagegen Kurs, auch in
der Regierungsverantwortung. Wir stellen uns der Herausforderung eines Neuanfangs in der Integrationspolitik und wollen eine neue Kultur des Willkommens, aber
auf der Basis von Gleichberechtigung und fairem Miteinander.
({19})
Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist in zweierlei Hinsicht ein Paradoxon: Zum einen ist der Titel des
Gesetzentwurfs paradox, da dort die Rede vom Optionszwang ist. Einer Option wohnt schon vom Grundsatz her
die Möglichkeit inne, aus verschiedenen Alternativen
auszuwählen.
({0})
Deswegen muss die Option immer ein Privileg für Personen sein, das anderen Personen, die diese Wahlmöglichkeit nicht haben, nicht zusteht. Zum anderen ist dieser Gesetzentwurf paradox, weil das Gesetz - darauf ist
schon hingewiesen worden - gerade von den Fraktionen
verabschiedet wurde, die jetzt die Aufhebung des Optionszwangs fordern,
({1})
Stephan Mayer ({2})
nämlich von der roten und der grünen Bundestagsfraktion.
({3})
1999 ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Mehrheit von
Rot-Grün hier im Bundestag geändert worden. Jetzt fordern Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie hier 1999
noch vollen Herzens befürwortet und unterstützt haben,
nämlich die Aufhebung des Optionsmodells.
({4})
Natürlich gibt es Aspekte, die für das Optionsmodell
sprechen, und es gibt Aspekte, die dagegen sprechen.
({5})
Die christlich-liberale Koalition ist aus mehreren Gründen von der Wirksamkeit des jetzigen Optionsmodells
nicht überzeugt. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Optionsmodell einer
Überprüfung zu unterziehen und es zu evaluieren. Daraus jetzt aber die Schlussfolgerung zu ziehen, dass wir
das Optionsmodell zugunsten einer dauerhaften doppelten Staatsangehörigkeit abschaffen werden, ist schlichtweg falsch und unzutreffend.
({6})
Wir halten am Grundsatz fest, dass die Mehrstaatigkeit
grundsätzlich abzulehnen ist.
({7})
Abgesehen von den Fällen, dass jemand aufgrund des
Jus Sanguinis bereits bei der Geburt zwei oder mehrere
Staatsangehörigkeiten erhält, darf Mehrstaatigkeit immer nur die absolute Ausnahme sein.
Um eines klarzumachen: Es geht hier nicht um
Deutschtümelei und auch nicht darum, die deutsche
Staatsangehörigkeit über die Staatsangehörigkeiten anderer Länder zu stellen.
({8})
Es geht einzig und allein darum, klarzumachen, dass
eine Staatsangehörigkeit nicht nur Rechte, sondern natürlich genauso Pflichten beinhaltet.
({9})
Eine dieser Obliegenheiten ist nun einmal, dass sie
Loyalität und ein grundsätzliches Bekenntnis gegenüber
dem betreffenden Staat sowie auch gegenüber dem betreffenden Staatsvolk bedeutet.
({10})
Dieses Loyalitätsband - so möchte ich es nennen - kann
vom Grundsatz her nun einmal nur zu einem Staat bestehen.
Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kilic?
Selbstverständlich, sehr gerne.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Stimmen Sie mir zu,
dass alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowie die
Schweizer seit dem 28. August 2007 unter Beibehaltung
ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit als Doppelstaatler
eingebürgert werden können?
Ich stimme Ihnen zu, dass es diese Regelung gibt. Sie
haben aber richtigerweise darauf hingewiesen - so ehrlich waren Sie -, dass diese Regelung die Gegenseitigkeit beinhaltet. Diese Regelung gilt also nur dann für in
Deutschland lebende EU-Ausländer, wenn das entsprechende EU-Land es auch Deutschen erlaubt, neben der
deutschen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit
dieses Landes zu erhalten. Dies ändert aber nichts daran,
dass der Grundsatz der Mehrstaatigkeit immer die absolute Ausnahme darstellen muss.
({0})
Es kann nicht sein, dass man im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts Rosinenpickerei betreibt. Es kann
nicht sein, dass ich das Erbrecht des einen Staates und
das Wehrrecht des anderen Staates - vielleicht weil es
dort günstiger ist - und am besten, wenn es um das
Wahlrecht geht, sogar beide Staatsangehörigkeiten in
Anspruch nehme.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Kilic?
Selbstverständlich, sehr gerne.
Stimmen Sie mir zu, Herr Kollege, dass seit dem
Jahre 2008 52 Prozent aller Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit erfolgt sind?
({0})
- Nein, es ist aber Fakt, dass die Mehrstaatigkeit zur Regel wird, nicht zur Ausnahme. So ist die Welt. Im internationalen Privatrecht zum Beispiel geht man damit seit
Jahrhunderten wunderbar um. Das ist kein Problem.
({1})
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege, dass Sie auf
diesen Punkt hinweisen. Das erspart mir, diese Zahlen
während meiner Redezeit darzulegen.
Wir hatten in den letzten zehn Jahren in Deutschland
jedes Jahr zwischen 94 000 und 186 000 Einbürgerungen zu verzeichnen.
({0})
Ungefähr 55 Prozent davon sind so erfolgt, dass die alte
Staatsangehörigkeit beibehalten werden konnte.
({1})
Diese Zahlen sind für mich ein ganz klarer Beleg dafür,
dass es uns nicht darum geht, die deutsche Staatsangehörigkeit nur einigen wenigen zuzugestehen. Vielmehr
geht es darum, unter bestimmten Voraussetzungen die
deutsche Staatsangehörigkeit zu erteilen.
Sie sprechen jetzt von Einbürgerungen. Der Gesetzentwurf befasst sich aber im Unterschied dazu mit der
Abschaffung des Optionsmodells, also mit der Erteilung
der deutschen Staatsangehörigkeit von Geburt an. Ich
stimme Ihnen durchaus zu, dass die Erteilung der deutschen Staatsangehörigkeit am Ende eines erfolgreichen
Integrationsprozesses vielleicht sogar angebracht sein
kann.
({2})
Sehr geehrter Kollege, ich bin aber nicht Ihrer Auffassung, dass die Erteilung der Staatsangehörigkeit der
erste Schritt hin zu einer guten Integration ist. Die Erteilung der Staatsangehörigkeit kann immer nur am Ende
eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen.
Auf Folgendes ist schon hingewiesen worden: In der
rot-grünen Bundesregierung ist viel von Integration geredet worden. Tatsächlich gehandelt worden ist bei der
Integration in den letzten vier Jahren, unter Regierungsbeteiligung der CDU/CSU.
({3})
Wir haben das Thema Integration auf die Tagesordnung
gebracht.
({4})
Es ist viel passiert. Das Amt eines Integrationsbeauftragten der Bundesregierung ist geschaffen worden. Ein Integrationsplan ist erstellt worden. Mehrere Integrationsgipfel haben stattgefunden. Endlich sind finanzielle
Mittel zur Verfügung gestellt worden, um Sprachangebote bzw. Sprachkurse tatsächlich stattfinden zu lassen.
In diesem Zusammenhang muss uns allen eines klar
sein: Nur das Ausgeben eines Personalausweises bedeutet noch nicht, dass jemand ordentlich und gut in die
deutsche Gesellschaft integriert ist.
({5})
Erst dann, wenn er über profunde Deutschkenntnisse
verfügt, hat er die Voraussetzungen, sich erfolgreich in
der deutschen Gesellschaft zu etablieren, sowohl beruflich als auch privat.
({6})
Wir haben in den letzten vier Jahren tatsächlich etwas
für Integration gemacht. Sie wollen diese erfolgreichen
Bemühungen mit Ihrem Gesetzentwurf lediglich verschleiern, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Um es klarzumachen: Wir lassen uns von Ihrem Gesetzentwurf nicht von unserem Weg abbringen. Wir werden weiterhin daran festhalten: Integration ist ein ganz
entscheidendes innenpolitisches Thema unserer Zeit.
({8})
Es geht um tatsächliche Integration. Es geht darum, die
Vereine und Verbände vor Ort zu unterstützen und zu
fördern, damit sie Personen mit Migrationshintergrund
Angebote unterbreiten. Es geht darum, die notwendigen
finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sich
jemand, der nach Deutschland kommt und noch nicht
über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, die deutsche Sprache aneignen kann. Es geht auch darum, in der
Schule erfolgreiche Integration stattfinden zu lassen. Wir
wollen dafür mehr tun und nicht plakativ der Abschaffung des sogenannten Optionszwangs das Wort reden.
({9})
Abgesehen davon ist es für Ihren Gesetzentwurf, den Sie
heute in der ersten Lesung einbringen, viel zu früh. Dieser Gesetzentwurf kommt zur absoluten Unzeit, schon
Stephan Mayer ({10})
deshalb, weil es überhaupt keine verlässlichen, keine
profunden Erfahrungen mit dem Optionsmodell gibt.
({11})
Die ersten jungen Leute sind im Jahr 2008 angeschrieben worden, als sie das 18. Lebensjahr erreicht haben. Ihnen steht jetzt eine fünfjährige Bedenkzeit zu. Ich
glaube, ein Zeitraum von fünf Jahren ist ausreichend, um
sich darüber klar zu werden, zu welchem Staat und auch
- das sage ich ganz offen - zu welcher Kulturgemeinschaft und Wertegemeinschaft man die engeren inneren
Bindungen hat, und sich bis spätestens zum Erreichen
des 23. Lebensjahres für eine der beiden Staatsangehörigkeiten verlässlich zu entscheiden.
({12})
Ich habe mir das Schreiben, das den Personen zugeht,
die von dieser Option Gebrauch machen können, genau
angesehen. Dieses Schreiben umfasst zwei Seiten. Es ist
plausibel und sehr verständlich formuliert. Es wird ein
Beratungstermin angeboten. Ich glaube, dass die richtigen Voraussetzungen geboten werden, um dem Optionsmodell zum Durchbruch zu verhelfen. Ich sage aber auch
ganz offen - darauf habe ich eingangs hingewiesen -: Es
gibt Defizite und gewisse Nachteile im Optionsmodell.
Wir wollen das Optionsmodell nüchtern und verlässlich
evaluieren, uns dafür so viel Zeit nehmen, wie notwendig ist,
({13})
und dann die Defizite abschaffen.
Zuallerletzt sage ich: Ein ganz wichtiger Punkt wäre
meines Erachtens, dass man gerade im Bereich der
Schule noch mehr Aufklärungsarbeit und Informationsarbeit leistet, um die jungen Leute profund darüber zu
informieren, welche Pflichten und Rechte mit einer
Staatsangehörigkeit verbunden sind. Dies wäre gerade
im Bereich der Bildungsarbeit ein lohnenswerter und
wertvoller Ansatz.
In diesem Sinne ist dem Gesetzentwurf, der heute in
erster Lesung beraten wurde, mit vollem Herzen eine
Absage zu erteilen.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/542 und 17/773 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Bevor ich die heutige Sitzung schließe, weise ich auf
Folgendes hin: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
bezüglich ihrer Abstimmung über die Entschließung zur
Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum
Jahresbericht des Wehrbeauftragten eine Korrektur vorgenommen. Sie stimmt dieser Entschließung zu. Das
will ich hiermit zu Protokoll gegeben haben.
Damit sind wir nun wirklich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 3. März 2010, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.