Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/26/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie bitte Platz. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({1}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({2}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksachen 17/654, 17/816 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Jan van Aken Kerstin Müller ({4}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/819 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Die namentliche Abstimmung wird voraussichtlich gegen 10.30 Uhr oder 10.40 Uhr stattfinden. Denn die Fraktionen schlagen gemeinsam vor, für die Aussprache eine Zeit von insgesamt 90 Minuten vorzusehen. Ich nehme an, dass es dazu Einvernehmen gibt. - Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Rainer Stinner für die FDPFraktion. ({6})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende Oktober 2001 stimmten 64 Prozent der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland dafür, dass wir uns an dem militärischen Einsatz in Afghanistan beteiligen. Im März 2002, nach den ersten deutschen Verlusten und Verwundungen von Soldaten, stimmten 66 Prozent der deutschen Bürger dafür, dass sich die Bundeswehr weiterhin am Afghanistan-Mandat beteiligt. Es ist also nicht so, meine Damen und Herren, dass sich die Bundesrepublik Deutschland gegen den Willen der deutschen Bevölkerung in Afghanistan engagiert und beteiligt hat. Nein, sie hat sich ausdrücklich mit Unterstützung der Bevölkerung daran beteiligt. ({0}) Wir wissen alle, dass die Unterstützung der Bevölkerung zurückgegangen ist und dass sich die Situation geändert hat. Das hängt ohne jeden Zweifel auch mit eigenen Fehlern der NATO zusammen. Aber was folgern wir daraus? Die Minderheit in diesem Haus folgert daraus, jetzt überstürzt aus Afghanistan abzuziehen, die Afghaninnen und Afghanen allein ihrem Schicksal zu überlassen, einen Flächenbrand zu riskieren und Gefahr für die Welt heraufzubeschwören. Das ist falsch. Das lehnen wir ab. ({1}) Die Mehrheit, zu der wir gehören, folgert daraus, dass wir aus eigenen Fehlern lernen und besser werden müssen. Genau dazu trägt das neue Mandat erheblich bei. Redetext ({2}) Leider ist der Öffentlichkeit zu wenig bekannt - offensichtlich ist es auch Ihnen nicht bekannt, Herr Ströbele -, welchen grundsätzlichen Neuanfang wir mit diesem Mandat machen. Es war richtig, dass die Bundesregierung den London-Prozess selbst aktiv angestoßen und selbst aktiv betrieben hat. Es war richtig, dass wir uns die Zeit dafür genommen haben. Denn wir haben erstmals in der NATO ein gemeinsam definiertes klares Ziel für Afghanistan. Wir haben erstmals in all den acht Jahren in der NATO eine gemeinsam definierte Strategie als Weg zum Ziel. Wir haben erstmals das umgesetzt, was wir jahrelang vor uns hergetragen haben. Wir haben erstmals in Deutschland den vernetzten Ansatz umgesetzt. ({3}) Noch niemals zuvor in all den acht Jahren haben die beteiligten Ministerien unter Führung des Außenministeriums so intensiv gemeinsam an dem Afghanistan-Mandat gearbeitet, gemeinsam analysiert und gemeinsam Maßnahmen definiert. Leider wissen zu wenige in Deutschland, auch im Deutschen Bundestag, welche Fortschritte und Ergebnisse unser bisheriges Engagement gebracht hat. Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben neulich eine sehr eindrucksvolle Präsentation des Deutschen Akademischen Austauschdienstes erlebt, in der dargestellt wurde, dass in Afghanistan mit deutscher Hilfe die Technische Fakultät der Universität Herat aufgebaut wird, dass dort mittlerweile Tausende von Afghaninnen und Afghanen ausgebildet werden und dass, oh Wunder, diese ausgebildeten Studenten nach Abschluss ihres Studiums in Afghanistan eine Arbeitsstelle bekommen. Von einer solchen Arbeitsplatzperspektive träumt manch deutscher Student. ({4}) Wir haben dann den Damen und Herren vom DAAD gesagt: Präsentiert das doch auch der Presse! Das ist doch so wichtig! - Sie haben geantwortet: Wenn wir es der Presse anbieten, kommt sie nicht; sie hört nicht zu. Offensichtlich gilt hier: Bad news are good news; die guten Nachrichten werden nicht gehört. Wir müssen weiterhin den zivilen Aufbau in Afghanistan intensiv unterstützen und bestärken. Dafür brauchen wir weiterhin die Bundeswehr: Sie macht die zivile Entwicklung erst möglich. ({5}) Unsere Soldaten sollen stolz darauf sein, dass auf Grundlage ihres Einsatzes, ihres Beitrages dieser Weg der Entwicklung erst möglich wird. Ich möchte von diesem Platz aus - hoffentlich auch in Ihrem Namen - unseren Soldaten unsere ausdrückliche Anerkennung für ihren gefährlichen, schweren Einsatz in Afghanistan aussprechen. ({6}) Ich weiß, dass es eine ganz große Mehrheit der Afghanen genauso sieht - einige in diesem Hause mögen es nicht wahrhaben -: Sie unterstützt den Einsatz der Bundeswehr und will sie dahaben. ({7}) - Die große Mehrheit der Afghanen will das so. Es geht bei diesem Mandat um vieles; aber um drei Dinge - das möchte ich deutlich herausstellen - geht es eben nicht: Erstens. Es geht nicht um die Alternative „Krieg oder Frieden“; diese Wahl haben wir in der Weise nicht. Es geht nur darum, auf welche Art der Konflikt in Afghanistan ausgetragen wird. ({8}) Zweitens. Wollen wir das Land durch einen sofortigen Abzug, den manche wollen - Herr Ströbele, Sie offensichtlich auch -, in unübersehbares Chaos stürzen, die Region destabilisieren und unsere Sicherheit gefährden, oder setzen wir uns, Herr Ströbele, für ein verantwortbares Abzugsszenario ein? Das ist die Frage. Es geht nicht um die Frage: Abziehen oder dableiben? Niemand von uns möchte ad infinitum in Afghanistan bleiben. Nein, es geht nur darum, dass wir einen sinnvollen, geordneten Weg finden, unser militärisches Engagement zu reduzieren. ({9}) - Frau Enkelmann, dieses Mandat sieht dafür zum ersten Mal konkrete Maßnahmen vor: Es beschreibt erstmals den Weg zu einem realistischen Abzugsszenario. Drittens. Es geht auch nicht um die Alternative „Unterstützung oder Kampfeinsatz“. Wir wissen und akzeptieren - das müssen wir auch öffentlich sagen -, dass es in Afghanistan um beides geht: um Unterstützung, Vermittlung und Hilfe, aber auch um Kampf. Das müssen wir der Öffentlichkeit sagen. ({10}) In Afghanistan gibt es zivile Opfer; das ist wahr. Die große Mehrheit der zivilen Opfer wird aber durch die Taliban verursacht. Auch heute Morgen wieder: Die Opfer, die wir heute Morgen in Kabul zu beklagen haben, sind Opfer der Taliban, nicht der NATO oder der Bundeswehr. ({11}) Ich weiß aber - das sage ich deutlich -: Jawohl, auch die NATO und die Bundeswehr haben zu zivilen Opfern beigetragen. Das bedauern wir außerordentlich. Wir müssen alles tun, damit die Zahl der Opfer minimiert wird. Eines ist aber ganz sicher: Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan und darüber hinaus, die Qual von Millionen Bürgerinnen und Bürgern, von Männern, Frauen und Kindern, in Afghanistan würde unendlich viel größer werden, wenn wir unverantwortlicherweise sofort abziehen würden, wenn wir das Land den Gegnern von Menschenrechten, der Menschenwürde und der Zivilisation überlassen würden. Deshalb tun wir das nicht; deshalb unterstützt die FDP-Fraktion den Ansatz der „Übergabe der Verantwortung“. Wir stellen uns dieser Aufgabe. Die Fraktion wird heute mit sehr großer Mehrheit dem Mandat zustimmen. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist kein ganz gewöhnlicher Tag für das Parlament, und das ist keine ganz einfache Entscheidung auch und gerade für die SPD-Fraktion hier im Deutschen Bundestag. Wenn ich gleichwohl meiner Fraktion die Zustimmung zum Mandat empfohlen habe, dann tue ich dies in der Verantwortung für die Menschen in Afghanistan; wir stimmen zu, weil wir nach acht Jahren des Aufenthalts deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ({0}) die Weichen für die Beendigung dieses Einsatzes stellen müssen und auch weil, meine Damen und Herren von der Linkspartei, die Beendigung eines solchen Einsatzes vorbereitet werden muss, damit - auch das ist eine Frage der Sicherheit deutscher Soldaten - kein kopfloser Wettbewerb der Streitkräfte einsetzt, ({1}) die gegenwärtig ihren Dienst in Afghanistan tun. ({2}) Es geht heute um einen Perspektivenwechsel. Es geht einerseits um die Sicherung des Erreichten, andererseits um die Ertüchtigung der afghanischen Staatlichkeit, aber auch - darauf kommt es mir an - um die Vorbereitung der Beendigung unserer militärischen Präsenz dort. Weil es darum geht, missverstehen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, die Haltung der SPD nicht! Das ist kein Vertrauensvorschuss für diese Regierung. Den haben Sie sich leider in den ersten 120 Tagen Ihrer Amtszeit nicht verdient. ({3}) Gerade weil wir unsere Haltung nicht von Ihren Vorschlägen abhängig machen wollten, haben wir an unseren eigenen Vorstellungen gearbeitet, fußend auf einem Zehnpunkteplan vom September des vergangenen Jahres, die im Verlaufe der ersten zwei Monate dieses Jahres mit nationalen und internationalen Experten, mit NGOs, mit Kirchen und mit vielen anderen diskutiert wurden. Der Weg, den wir danach beschrieben haben, ist klar: keine zusätzlichen Kampftruppen, Verdoppelung der finanziellen Mittel für den zivilen Wiederaufbau, deutlich mehr Anstrengung für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, Übergabe von beruhigten Regionen an die afghanische Staatlichkeit und parallel dazu ab 2011 Beginn des Abzugs deutscher Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan. Und wir haben hinzugefügt: In einem Korridor zwischen 2013 und 2015 soll der militärische Teil dieses Einsatzes, dieses Engagements zu Ende kommen. ({4}) Wir haben gesehen - das begrüßen wir -, dass viele dieser Forderungen in dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandatsantrag enthalten sind. Entscheidend ist für uns, dass der Perspektivenwechsel vom Daueraufenthalt deutscher Streitkräfte in Afghanistan hin zur Beendigung des Militäreinsatzes im Mandatsantrag aufgenommen ist. Das sind die entscheidenden Gründe, weshalb wir nach gründlicher Prüfung diesen Antrag unterstützen können. Es bleiben - das will ich nicht verhehlen - kritische Fragen, viele kritische Fragen. Wir haben sie in der Partei und der Fraktion diskutiert, und wir haben hart gerungen, bevor wir uns abschließend entschieden haben. Wenn es kritische Stimmen gab - auch das will ich nicht verhehlen -, dann betrafen sie nicht Zweifel an denjenigen, die in Afghanistan unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst tun: Polizisten, zivile Wiederaufbauhelfer, Soldaten und Diplomaten. An denen zweifeln wir nicht. Deshalb danken wir ihnen zunächst einmal an dieser Stelle. ({5}) Die Kritik und die Zweifel, die es gegeben hat und über die wir diskutiert haben, haben einen anderen Grund. Es sind Zweifel an der Führungsfähigkeit der Bundesregierung nach einem Dauerstreit, den wir seit 120 Tagen erleben, auch nach Vorgängen, die hier im Parlament eine Rolle gespielt haben, Herr zu Guttenberg, bei denen es um völlig unterschiedliche Bewertungen über einen Einsatz am Kunduz-Fluss ging, und nach manchem leichtfertigen Gerede, das hier über Krieg oder Nichtkrieg in Afghanistan stattgefunden hat. Deshalb - ich wiederhole es - ist dies keine leichte Entscheidung, gerade für uns nicht. Es geht hier nicht um Leistungen oder Fehlleistungen der Bundesregierung, sondern um die Menschen in Afghanistan und um unsere Sicherheit. Weil Sie im Kern den Weg eingeschlagen haben, den wir beschrieben haben und für richtig halten, haben Sie in diesem Falle heute unsere Unterstützung. Aber gleichzeitig ist klar: Das ist kein Freibrief. Das ist ein Mandat für zwölf Monate. Wir werden sehr genau verfolgen, ob Sie die heute gemachten Zusagen einhalten und im nächsten Jahr, in den nächsten zwölf Monaten, die Weichen für einen schrittweise erfolgenden Abzug ab 2011 und dann anschließend für eine Vorbereitung auf die Beendigung des militärischen Einsatzes, wie im Mandat beschrieben, stellen. Diese Abzugsperspektive ist für uns entscheidend. ({6}) Wir sind nicht von allem überzeugt. Wir sagen: Die Abzugsperspektive ist das Zentrale; deshalb tragen wir die Erhöhung des Kontingentes mit. ({7}) - Sie sind eben nicht fähig, sich für Prioritäten zu entscheiden. - Wir tragen wegen der Abzugsperspektive die Erhöhung des Kontingentes mit. Wir sind aber nicht restlos überzeugt - das haben Sie in den Gesprächen gespürt von der Größenordnung der flexiblen Reserve. Deshalb erwarten wir, dass in den Ausschüssen in jedem Fall eines Einsatzes aus der Reserve ausführlich dargelegt wird, dass er zeitlich begrenzt und zu vorübergehenden Zwecken stattfindet und nur unter diesen Voraussetzungen Soldaten in Richtung Afghanistan geschickt werden. Herr zu Guttenberg, Herr Westerwelle, wir werden Sie an Ihren Taten messen, ({8}) wenn wir in zwölf Monaten über eine Verlängerung dieses Einsatzes zu entscheiden haben. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlamentarier sollten es dabei für heute nicht bewenden lassen, sondern das, was in diesem Mandat beschrieben ist und sich mit unseren Vorstellungen von der Weiterführung und Beendigung unseres Einsatzes dort verbindet, in den nächsten zwölf Monaten und darüber hinaus gründlich und kritisch unter die Lupe nehmen. ({10}) Deshalb ist mein Vorschlag, dass wir aus der Mitte des Parlaments den Auftrag erteilen, den Afghanistan-Einsatz einer systematischen und regelmäßigen Untersuchung zu unterziehen. Wir von der SPD-Fraktion werden Ihnen allen dazu einen Vorschlag unterbreiten. Ich würde mich freuen - das darf ich Ihnen zum Abschluss sagen -, wenn wir einen solchen Vorschlag der SPD zu einer Untersuchung mit einem gemeinsamen parlamentarischen Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag unterstützen könnten. Herzlichen Dank Ihnen allen. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Mandat, das wir heute debattieren, ist das Ergebnis einer umfassenden Überprüfung und Neuausrichtung unserer Anstrengungen in Afghanistan. Deutschland wird seine Hilfe für den zivilen Aufbau verdoppeln und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte erheblich verstärken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt dies nachdrücklich; denn nur so werden wir - vielleicht schon in diesem Jahr - mit dem Prozess der Übergabe in Verantwortung an die afghanische Regierung beginnen können. Die Londoner Konferenz vom 28. Januar 2010 hat den richtigen Strategiewechsel gebracht. Dass dies erreicht wurde, hat allerdings viel damit zu tun, dass die Bundeskanzlerin im August letzten Jahres diese Konferenz initiiert und das Konzept der Übergabe in Verantwortung geprägt hat. Dafür danken wir ihr nachdrücklich. ({0}) Jetzt ist der Einstieg in eine schrittweise Übergabe der Verantwortung für Wiederaufbau und Sicherheit in afghanische Hände schon ab diesem Jahr vereinbart. Dafür wird die internationale Gemeinschaft die zivile Hilfe verstärken und den Aufbau der afghanischen Sicherheitsorgane forcieren. Gemeinsam mit der afghanischen Regierung - das ist das Entscheidende - wurden die Zielmarken gesetzt. Die Zahl der Soldaten und Polizisten soll von derzeit knapp 200 000 auf über 300 000 anwachsen, damit die afghanische Regierung ihr Ziel erreichen kann, bis 2014 selbstständig für Sicherheit in Afghanistan sorgen zu können. Wir haben in London also die Grundlage für eine Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten geschaffen. Ja, der Einsatz dauert länger, und er ist schwieriger, als wir zu Beginn, vor gut acht Jahren, gedacht haben. Doch mit der Umsetzung der Londoner Strategie haben wir die Chance, in einzelnen Distrikten in unserem Verantwortungsbereich in Nordafghanistan mit der Übergabe der Verantwortung Anfang 2011 zu beginnen und dann nicht mehr benötigte Fähigkeiten zu reduzieren. Das ist die Perspektive für den Beginn des Abzugs. Beendet werden kann der ISAF-Einsatz, wenn in Afghanistan eine selbsttragende Stabilität und eine selbsttragende Sicherheit geschaffen sind, das heißt, wenn von Afghanistan keine Gefährdung mehr für die internationale Gemeinschaft ausgeht. Wir würden unseren eigenen Anstrengungen, unserer eigenen Sicherheit schaden, wenn wir vorzeitig abziehen würden. Afghanistan darf nicht wieder zu einem gescheiterten Staat werden, von dem aus Terroristen gegen uns agieren können. ({1}) Doch unser verstärktes Engagement in Afghanistan kann nur dann erfolgreich sein, wenn auch die afghanische Regierung ihre Hausaufgaben macht. Sie muss die in London eingegangenen Verpflichtungen zügig und mit Nachdruck umsetzen. Wir erwarten, dass sie konsequenter und nachhaltiger als bisher Defizite hinsichtlich verantwortungsvoller Regierungsführung, Bekämpfung von Drogen und Korruption sowie Schutz der Menschenrechte angeht. Nur so kann sie das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in ihre eigene Regierung stärken. Die Einrichtung von Antikorruptionsbehörden in der Regierung sowie einer Antikorruptionseinheit beim afghanischen Staatsanwalt sind richtige Maßnahmen. Doch nun ist auch konkretes Handeln gefragt. Die afghanische Regierung muss ihrer Bevölkerung jetzt beweisen, dass ihre eigene Regierung für spürbare Verbesserungen in ihrem Leben sorgt. In diesem Kontext ist es nicht hinnehmbar, dass der afghanische Präsident den Vereinten Nationen das Vorschlagsrecht für die Leitung der Wahlbeschwerdekommission entzogen hat. Die Überparteilichkeit der Wahlbeschwerdekommission muss sichergestellt werden. ({2}) Ein wichtiger, ebenfalls in London vereinbarter Ansatz ist das von der afghanischen Regierung eigenverantwortlich durchgeführte Wiedereingliederungsprogramm, das bereits in der Kritik steht, bevor es überhaupt erste Ergebnisse zeigen kann. Die Terroristen von al-Qaida und der Taliban sind zweifellos keine irregeleiteten Idealisten, die durch Dialog von ihrem Weg abgebracht werden könnten. Sie sind entschlossene Fanatiker, die ihre Gewaltherrschaft wiederherstellen wollen. Es wäre naiv, zu glauben, dass die Extremisten die Verfassung, die sie heute bekämpfen, jemals anerkennen werden. Doch darum geht es in diesem Programm nicht. Wir wollen die Mitläufer unter den Aufständischen erreichen, die aus rein finanziellen und wirtschaftlichen Gründen auf der falschen Seite stehen. Ihnen soll die Chance eröffnet werden, die Waffen niederzulegen, die Gesetze zu respektieren und am Wiederaufbau mitzuwirken. Es muss aber sichergestellt sein, dass der Mitteleinsatz wirksam, transparent und nachhaltig ist. Es dürfen keine finanziellen Vorleistungen erfolgen, sondern es dürfen mit diesen Geldern nur bezahlte Arbeit und Ausbildungen ermöglicht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unseren Verantwortungsbereich im Norden haben wir uns klare Ziele gesetzt, um eine selbsttragende Sicherheit zu erreichen. In den nächsten vier Jahren sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass unsere militärische Präsenz schrittweise zurückgeführt werden kann. Die Aufstockung auf 1 400 statt bisher 280 deutsche Kräfte für die Ausbildung afghanischer Soldaten verdeutlicht unsere Entschlossenheit dazu. Das gilt auch für die Forcierung unserer Ausbildung von afghanischen Polizisten, von denen wir bis 2012 15 000 einsatzfähig machen wollen. Je intensiver wir uns diesen Aufgaben jetzt widmen, desto früher können wir mit dem Abzug unserer eigenen Soldaten beginnen. Deshalb stocken wir die Zahl unserer Soldaten in Afghanistan vorübergehend um 500 Soldaten auf. Lieber Herr Kollege Steinmeier, um es noch einmal deutlich zu sagen: Entscheidender Maßstab für die Reduzierung unseres Engagements kann jedoch kein konkretes Abzugsdatum sein, sondern es geht um Wegmarken für die Übergabe der Verantwortung, bei deren Erreichen ein Reduzierungsschritt erfolgen kann. Eine schrittweise Reduzierung der militärischen Präsenz ist zwingend an Fortschritte beim zivilen Aufbau und beim Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte gekoppelt. Deshalb investieren wir nicht nur in unsere Ausbildungsbemühungen, sondern verdoppeln auch unsere jährlichen Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan auf 430 Millionen Euro. Zögen wir vorzeitig oder gar überstürzt ab, würden wir das bisher Erreichte verspielen. Unsere Soldaten und Entwicklungshelfer haben in den letzten Jahren Großes geleistet und viel erreicht. Ihnen gebührt unser Dank und unsere Anerkennung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Afghanistan herrscht ein bewaffneter Konflikt, auch im deutschen Verantwortungsbereich im Norden. Verteidigungsminister zu Guttenberg hat dies frühzeitig benannt, und Außenminister Westerwelle hat dies bekräftigt und zur Position der Bundesregierung gemacht. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen Rechtssicherheit und Klarheit für ihren Einsatz. Die Neubewertung durch die Bundesregierung hat dafür ein eindeutiges politisches Signal gesetzt. ({3}) Für die Bundesregierung sind für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan die Regeln des humanitären Völkerrechts maßgebend und nicht das deutsche Strafrecht. Die einschlägigen Rechtsnormen aus den Genfer Abkommen und Zusatzprotokollen, etwa zum Waffeneinsatz gegen gegnerische Kämpfer, zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Vermeidung ziviler Opfer, sind im Einsatz zu beachten. Diesen Anforderungen müssen auch die nationalen militärischen Einsatzregeln, Operationspläne und Taschenkarten Rechnung tragen. Damit findet die Realität in Afghanistan Eingang in die politische Bewertung. Das ist konsequent und stärkt die Glaubwürdigkeit der Politik bei den Soldaten im Einsatz. Aus der Neubewertung der Lage in Afghanistan ergibt sich keine Veränderung der Einsatzgrundlagen der deutschen Polizisten von Bund und Ländern. Die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom Juni und Dezember 2009, wonach der Einsatz von Polizeibeamten in Afghanistan nur in einem militärisch gesicherten Umfeld möglich ist, haben unverändert Bestand. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, weil er die Übergabe der Verantwortung in afghanische Hände befördert und eine Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten eröffnet. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die überwiegende Mehrheit der SPD-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung ebenfalls zustimmen wird. ({4}) Wir fordern auch die Fraktion der Grünen auf, ihrer politischen Verantwortung nachzukommen und diesem zukunftsfähigen Mandat zuzustimmen, um dem Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten die breite parlamentarische Legitimation zu geben, die er verdient. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will heute noch mehr Soldaten nach Afghanistan senden, angeblich, um die Sicherheit dort aufrechtzuerhalten. Sie meint damit aber die militärische Absicherung der Regierung Karzai. Ich war mit meinem Fraktionskollegen Jan van Aken vor vier Wochen in Afghanistan. In jedem Gespräch, das wir mit Afghaninnen und Afghanen führten, spürten wir die Verachtung für diese Regierung. Das liegt daran, dass sie korrupt ist, dass in ihr die Warlords der vergangenen Kriege sitzen und dass es nach acht Jahren keine nennenswerten Verbesserungen der Lage der Bevölkerung gegeben hat. ({0}) Ohne die Unterstützung der NATO-Staaten wäre diese Regierung nichts. ({1}) Die Bundesregierung sagt, sie wolle die Bevölkerung schützen. ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal fordert, zivile Opfer zu vermeiden. Aber der Aufstand gegen die Regierung Karzai und die ausländischen Truppen hat eine breite Unterstützung in der afghanischen Bevölkerung. Die Aufständischen, die Sie bekämpfen, sind Teil der Bevölkerung. Die Aufständischen sind auch Zivilisten. Ein Zivilist erscheint den Soldaten als potenzieller Aufständischer. ({2}) Das heißt, militärische Aufstandsbekämpfung und Schutz der Bevölkerung sind unvereinbar. ({3}) Der Leiter der Stability Division im ISAF-Hauptquartier erklärte uns, dass das Ziel der Aufstandsbekämpfung eine starke zivile Komponente brauche. Er berief sich dabei auf die Forderung von McChrystal, dass 40 Prozent der Arbeit von ISAF der Wiederaufbau sein muss. Aber ob die zivile Komponente nun 20, 40 oder 60 Prozent beträgt: Solange die zivile Hilfe dem Ziel der militärischen Aufstandsbekämpfung untergeordnet ist, wird sie niemals in der Lage sein, die Lebensbedingungen der Afghanen zu verbessern. ({4}) Der Krieg wird weitergehen. Weitere Menschen werden getötet werden. Für das vergangene Jahr zählte die UNO 2 140 unbewaffnete Todesopfer, darunter 346 Kinder, Tendenz steigend. Die Bombardierung der Tanklaster bei Kunduz am 4. September wird leider nicht die letzte dieser Art bleiben, wenn Sie heute das neue Mandat beschließen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie nicht bereit sind, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen. ({5}) Wir haben uns in Afghanistan mit Opfern des Bombenangriffs vom 4. September getroffen. Das war für uns eine Selbstverständlichkeit; denn wir wollten wissen, was die Bombardierung für sie und ihr Leben bedeutet. Da ist Noor Djan, 26 Jahre alt. Er hat drei Kinder, seine Frau ist hochschwanger, und sie haben kein Geld. Er hat bis wenige Tage vor der Bombardierung in einer Plastikfabrik im Iran gearbeitet, weil er in Afghanistan nicht genug Geld verdienen kann. Die Explosion hat seinen rechten Arm abgerissen. Im Krankenhaus wurde er wieder angenäht, aber die Hand ist verloren und der Arm nicht mehr zu gebrauchen. Er hat ständig Schmerzen, kann nicht mehr schlafen, und er kann nicht mehr für seine Familie sorgen. Er sagte uns: Jeden Tag wünsche ich mir, ich wäre getötet worden. - Was glauben Sie, was Noor Djan denkt, wenn Sie sagen, Sie wollen seine Sicherheitssituation verbessern? 91 Frauen sind durch den Angriff zu Witwen geworden. Die meisten von ihnen sind nun von Almosen abhängig. Von Almosen lebt auch Leila. Ihre beiden jugendlichen Söhne wurden getötet. Der eine hat sich um das Feld gekümmert, der andere um die Kuh. Nun muss sie sehen, wie sie ihre kleinen Töchter über die Runden bekommt. Was glauben Sie, was diese Frauen davon halten, wenn hier argumentiert wird, dass man den Frauen in Afghanistan helfen möchte? Bulbul konnte ihre drei kleinen Enkel nicht davon abhalten, mit den anderen zum Fluss zu laufen. Sie saß mir mit Tränen in den Augen gegenüber und meinte, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens die Überreste ihrer Enkel gebracht bekommen hat, um sie beerdigen zu können. Die Begegnung mit den Hinterbliebenen hat mir deutlich gemacht - ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht -: Deutschland ist an einem Krieg gegen die einfache Bevölkerung in Afghanistan beteiligt. ({6}) Ich spreche jetzt besonders die Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen an: Wenn Sie die Entscheidung über das neue Mandat treffen, denken Sie daran: Wie auch immer Sie den Krieg rechtfertigen, Sie entscheiden heute über Leben und Tod. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte Sie, unverzüglich die Spruchbänder herunterzunehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert ({0}) Ich schließe alle Kollegen der Fraktion, die dieser Aufforderung nicht gefolgt sind, hiermit vom weiteren Verlauf der Sitzung aus. ({1}) Ich bitte Sie nunmehr, den Plenarsaal zu verlassen. ({2}) Ich fordere Sie jetzt noch einmal auf, den Saal zu verlassen, weil Sie vom weiteren Verlauf dieser Sitzung ausgeschlossen sind. Ich vermute, dass mindestens die Parlamentarischen Geschäftsführer eine hinreichende Kenntnis der Regelungen unserer Geschäftsordnung haben, zumal das bei vergleichbaren Situationen im Ältestenrat immer als hoffentlich ernst gemeinte Positionierung vorgetragen worden ist. ({3}) Ansonsten muss ich auf die weiteren Konsequenzen aufmerksam machen, die sich ergeben, wenn Sie dieser Aufforderung nicht folgen. ({4}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will als Erstes sagen: Es hätte mir bedeutend besser gefallen - und dies ist keine Kritik am Präsidenten -, wenn wir nicht in dieser Situation gelandet wären, den weiteren Teil der Debatte ohne eine Fraktion führen zu müssen. Ich glaube, dass es dem Thema angemessen gewesen wäre, in dieser Situation nicht zu landen, ({0}) weil ich eben auch der Fraktion der Linken am Ende doch zutraue, bei dem Thema mit ihrer Entscheidung zu ringen. ({1}) - Solange ich hier bin, werde ich von allen über 600 MdBs immer denken, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst ist. ({2}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um die zivile Aufbau- und Abzugsperspektive für die nächsten Jahre für Afghanistan. Ich sage Ihnen hier: Meine Fraktion wird dem Mandat mehrheitlich nicht zustimmen. ({3}) Ich will Ihnen erklären, warum: auf alle Fälle aufgrund eines Mangels an Führung, aufgrund eines Mangels an Systematik. Wir haben als grüne Fraktion hier wiederholt den Antrag gestellt, den bisherigen Einsatz zu evaluieren. Ich freue mich, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank Steinmeier, diesen Vorschlag hier jetzt auch gemacht hat. Ich glaube, dass man nach solchen Einsätzen eine Evaluierung, eine von Dritten gemachte Analyse braucht, die folgende Fragen beantwortet: Was hat funktioniert? Wo sind eigentlich Mängel? Vielleicht kommen wir jetzt dahin. Zu dem Inhalt der Vorlage, über die wir heute abzustimmen haben, will ich einige Worte sagen: Wir alle haben darauf gewartet, dass es endlich eine Aufbau- und Abzugsperspektive gibt. Wir haben durchaus sehnsüchtig auf die Londoner Konferenz gewartet, wo es lange Zeit eine, ich sage es einmal so, schlechte Vorbereitung gab. Wir haben darauf gehofft, dass das, was es an neuer Strategie seitens der USA mit dem neuen US-Präsidenten und an neuer Prioritätensetzung, zumindest verbal, in der Regierungserklärung von Hamid Karzai gab, auch eine europäische und deutsche Handschrift bekommt. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Die Bewertung des Kurses, den Sie uns hier vorlegen, ist bei uns mindestens ambivalent. Ja, es gibt einige positive Entwicklungen vor Ort. Die positive Entwicklung mag auch sein, dass die Haushaltsmittel für die zivile Hilfe aufgestockt werden sollen. Aber ich sehe es noch nicht. Ich sehe das Wie noch nicht. Wir freuen uns, dass es bei vielem Schatten auch an manchen Stellen Licht gibt, dass es verstärkte Bemühungen um regionale Lösungen geben soll und dass es diese Verständigung auf eine Aufbau- und Abzugsperspektive gibt. Aber die bloßen verbalen Aussagen und Zusagen haben faktisch noch nichts verändert. Allein das Rezept „mehr Geld“ reicht nicht. ({4}) Jetzt wäre entscheidend, zu einer besseren Verwendung der Mittel und einer ordentlichen Koordinierung zu kommen. Aber das, was Sie bisher vorlegen, ist anspruchslos. Es stellt sich die Frage, wie eine Ausbildung mit dem Ziel, auf 134 000 afghanische Polizisten aufzustocken, überhaupt vonstatten gehen soll. Da ist ein großes Loch. Es gibt auch Fragen zur Selbstverpflichtung der afghanischen Partner: Wie soll eigentlich der Versöhnungskurs gestaltet werden? Niemand will behaupten, dass jemand freiwillig aus der Situation der Schwäche verhandelt, aber wo sind eigentlich die roten Linien in dieser Verhandlungssituation aufgezeigt? Ich sehe sie nicht. Wo wurde durch die internationalen Staaten gegenüber der afghanischen Regierung ausreichend klar festgelegt, dass die Geltung der universellen Menschen2188 rechte, insbesondere der Rechte der Frauen, absolute Priorität hat? Das ist nirgendwo festgelegt. ({5}) Wo ist das Konzept für die Aufstockung der finanziellen Mittel auf 430 Millionen Euro? Wo ist eigentlich der Inhalt dazu? Solche Mittelsteigerungen verlangen doch, dass es strukturelle und personelle Vorsorge gibt, damit die Mittel zielgerichtet bei den Menschen ankommen und es nicht nur mehr Korruption gibt. Wo ist eigentlich die Sicherstellung, dass es in Zukunft bei der öffentlichen Auftragsvergabe korrekt zugeht, dass die Soldaten und Polizisten Afghanistans tatsächlich ihren Lohn bekommen und dass die Mittel nicht durch Korruption versickern? Wo ist auch nur der Hauch eines Ansatzes, dies systematisch zu bearbeiten? Ich sehe ihn nicht. Wenn ich auf das Auswärtige Amt und das BMZ schaue, dann sehe ich, dass von Herrn Niebel viel von vernetzter Sicherheit geredet wird; ich bezeichne es einmal so, um nett zu sein. Aber wo ist eigentlich das vernetzte Konzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und des Auswärtigen Amtes? Nicht einmal das haben Sie hingekriegt. Sie reden über regionale Entwicklung, über landwirtschaftliche Entwicklung. Auf alle Fragen, die wir gestellt haben, wie eine solche Art landwirtschaftlicher Entwicklung eigentlich funktionieren soll, haben wir null Antwort bekommen. Mit welchen internationalen Fachleuten und Organisationen haben Sie sich zusammengesetzt, um über den Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, landwirtschaftlicher Ausbildung, Verarbeitung, Lagerung und Hygiene auch nur ansatzweise zu sprechen? Nichts, meine Damen und Herren. Ich komme zur Polizeiausbildung. Sie rühmen sich einer größeren Ausbildungstätigkeit, und am Ende sind es faktisch nur 80 zusätzliche Soldaten. ({6}) - Entschuldigung, danke. Der Innenminister hört zu. ({7}) 80 zusätzliche Polizisten. Herr Westerwelle hat der Kanzlerin versprochen, hier vom bewaffneten Konflikt zu reden, aber wo ist jetzt eigentlich die Antwort auf die Frage, die die Deutsche Polizeigewerkschaft stellt? Sie fragt: Wenn es ein bewaffneter Konflikt ist, was ist an der Stelle eigentlich die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit von Polizeibeamten? Auch dort ist ein großes Loch. Wo ist Ihre Antwort? Sie wollen von uns, dass wir 850 Soldaten mehr, 500 für die Ausbildung und 350 in Reserve, nach Afghanistan schicken, dass wir Ihnen dafür ein Mandat geben. Unsere Frage lautet immer noch: Könnte man nicht mehr umschichten, zum Beispiel bei den Tornados? Das könnte einiges an Personal bringen. Unsere Frage ist auch: Warum sollen wir Ihnen eigentlich eine Reserve von 350 Soldaten zugestehen und für was? Hatten wir diese Reserve nicht schon einmal im Mandat für die Durchführung von Wahlen, und stecken sie da nicht immer noch drin? Meine Damen und Herren, Sie schweigen bei der Frage: Kommen noch AWACS-Einsätze und damit 300 weitere Soldaten hinzu? Ich kann Ihnen sagen: Damit wäre ich mit meinen Fragen noch nicht am Ende. Das Partnering-Konzept zwischen den internationalen Soldaten, also auch den deutschen, und den afghanischen Soldaten erhöht die Gefahr für die deutschen Soldaten, die vor Ort im Einsatz sind. Sie haben angesichts der gestiegenen Gefahr weder hier noch irgendwo anders bisher gesagt, wie dieses Partnering-Konzept eigentlich konkret aussehen soll. Sie erwarten von uns, dass wir Vertrauen in die Arbeit des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums haben. Aber nach diesen Vorlagen und den Vorfällen am Kunduz-Fluss können wir dieses Vertrauen nicht aufbringen. ({8}) Die Aufstockung des Bundeswehrkontingents wird von uns mehrheitlich als nicht akzeptabel bezeichnet. Ich sage Ihnen in aller Ruhe: Dieses Mandat zeigt, dass der verantwortliche Außenminister seine Zeit in den letzten Wochen falsch verbracht hat. ({9}) Herr Westerwelle, ich sage Ihnen: Statt für innenpolitische Kracher zu sorgen, wäre hier Ihr diplomatisches Aufgabenfeld gewesen. ({10}) Wenn wir alle überzeugt sind, dass es hier um internationale Sicherheit geht, dass wir verhindern müssen, dass dieser große Raum wieder zum Ausbildungsfeld für den Terrorismus wird, und wenn es uns darum geht, den Afghaninnen und Afghanen dabei zu helfen, einen demokratischen Staat aufzubauen, dann sage ich Ihnen: Die letzten Wochen hätten für Sie Zeiten sein müssen, in denen Sie 80 Stunden in der Woche an diesem Thema arbeiten und nicht an anderen Themen. Ich will Ihnen sagen, was noch fehlt: Es wäre zum Beispiel Ihre Aufgabe und die Aufgabe der Diplomaten gewesen, eine regionale Sicherheitsstrategie für den gesamten großen Raum zu entwickeln. Da ist eine Konferenz in Istanbul, von anderen initiiert. Wo sind Ihre Aktivitäten? Wir bräuchten jetzt einen Beschluss des UNSicherheitsrates, der von Deutschland mit initiiert werden und die deutsche Handschrift tragen müsste, in dem eine quasiöffentliche, offizielle Aufforderung an die afghanische Regierung formuliert würde, in Afghanistan mit zu verhandeln, damit klar ist, dass auch die USA, Russland und andere diese Verhandlungen tragen. ({11}) Wir bräuchten einen Beschluss des Sicherheitsrates, der erlaubt, Personen von der Terrorliste herunterzunehmen; das ist Voraussetzung für solche Verhandlungen und Gespräche. Wir bräuchten die Erklärung der NATO, Afghanistans und Pakistans, dass man tatsächlich die Sicherheit der Demobilisierten, derer, die überlaufen, gaRenate Künast rantiert, während der Verhandlungen und nach möglicherweise erfolgreichen Verhandlungen. Wir bräuchten eine Debatte über eine legale Partei für die Taliban - das heißt ja „Schüler“, nicht „gewalttätig“ -, damit sie am politischen Prozess teilnehmen können. Wir bräuchten die Definition eines neutralen Ortes für die Verhandlungen. Wir bräuchten den Entwurf eines Rückkehrerprogramms. Nichts von alledem haben Sie, Herr Außenminister, und Sie, Frau Merkel, vorgelegt. ({12}) Ich sage an dieser Stelle - mein letzter Satz -: In diesem Mandat finden sich einige schöne Worte. Der zivile Teil ist darin aber überhaupt nicht erwähnt. Herr Westerwelle hat uns hier einmal erzählt, nach London würde er nicht fahren, wenn dies faktisch nur eine Truppenstellerkonferenz ist. Was legen Sie uns heute vor? Ich komme mir hier und heute faktisch wie auf einer Truppenstellerkonferenz vor, ({13}) weil Sie uns heute nur das vorlegen; alles andere, meine Damen und Herren, sind Worte. Taten sehen wir noch nicht, weder was die konkrete Umsetzung und die Vorlage des zivilen Teils angeht noch auf der Ebene der Diplomatie. Mit Ihrer Vorlage machen Sie es den Mitgliedern dieses Hauses extrem schwer, mit Ja zu stimmen. ({14}) Wir schätzen und respektieren die Arbeit der Entwicklungshelfer, der internationalen Organisationen, der Polizisten und der Soldaten; denn die setzen dort ihr Leben ein. Wir haben die Bereitschaft - ich will sie hier erklären -, ernsthaft an Konzepten zu arbeiten, mit denen man das umsetzen kann. Aber diesem Mandat werden wir mehrheitlich nicht zustimmen. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Ströbele hat um eine Kurzintervention gebeten.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich fühle mich in dieser Situation hier und heute und jetzt mehr und mehr unwohl. Wir diskutieren hier ein ernstes Thema, nämlich die Kriegführung Deutschlands in Afghanistan. Wir wissen, dass der Deutsche Bundestag eine Entscheidung gegen die riesengroße Mehrheit der Bevölkerung fällen wird. Gegen die ganz große Mehrheit der Bevölkerung werden wieder Bundeswehrsoldaten für ein Jahr in den Krieg nach Afghanistan geschickt. Eine Fraktion im Deutschen Bundestag stellt sich hierhin und hält Schilder hoch, auf denen die Namen der Opfer der Bombardierung vom 4. September vergangenen Jahres stehen. Sie hat nicht randaliert, sie war auch nicht laut, sondern sie hat Schilder hochgehalten, auf denen die Namen der Personen, die dort Opfer gewesen sind, zu lesen sind. ({0}) Ich selber war mit den Kollegen in Afghanistan. Auch ich habe mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer geredet. Ich stelle mir vor, in Afghanistan wird sich herumsprechen - das steht dann vielleicht in der Zeitung -, dass im Deutschen Bundestag Abgeordnete, die Schilder mit Namen der Personen, die auf deutschen Befehl hin getötet worden sind, hochgehalten haben, aus dem Saal geworfen worden sind. Ich möchte das nicht. ({1}) Ich finde, es wäre ein völlig falsches Signal nach Afghanistan und in die Welt, wie wir mit den Opfern von Krieg, für den wir, die Abgeordneten und Deutschland, verantwortlich sind, umgehen. ({2}) Deshalb, Herr Präsident, bitte ich Sie, Ihre Entscheidung zu überprüfen. Ich möchte anregen, dass sich die Fraktionen überlegen, ob wir weiter ohne die Fraktion der Linken diskutieren, ob wir diesen Punkt der Diskussion aus unserer Debatte heraushalten wollen, wobei wir davon ausgehen, dass das, was sie getan hat, keinerlei nachhaltige Störung der Parlamentssitzung gewesen ist und wahrscheinlich dem Willen und dem Wunsch einer großen Mehrheit in dieser Bevölkerung sehr nahekommt. ({3}) Herr Präsident, so weiter zu verhandeln, halte ich für unwürdig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ströbele, ich hätte diese Wortmeldung nach den Usancen des Hauses nicht zulassen müssen. Ich habe sie zugelassen, weil ich die Ernsthaftigkeit Ihres Motivs anerkenne und ich die Situation natürlich auch alles andere als routinehaft empfinde. Aber ich mache Sie auf drei Dinge aufmerksam. Erstens. Wir haben unter allen Fraktionen des Hauses - unter allen Fraktionen - völliges Einvernehmen in der Einschätzung der Frage, dass Demonstrationen im Plenarsaal mit der Ordnung des Hauses unvereinbar sind. ({0}) Zweitens. Wir haben bei mehreren vergleichbaren Vorgängen wiederholt die Erklärung der Fraktionsführung der Linken im Ältestenrat zu Protokoll genommen, dass diese Aktionen von der Fraktionsführung weder ge2190 Präsident Dr. Norbert Lammert plant noch in Kenntnis der Fraktionsführung durchgeführt worden seien. Drittens. Ich habe mit Zustimmung aller Mitglieder des Ältestenrates bei einem dieser letzten Vorgänge angekündigt, dass ich im Wiederholungsfall die entsprechenden Kollegen von der Sitzung ausschließen werde. Das Vorgehen ist unter Berücksichtigung unserer Geschäftsordnung und der Übereinkunft aller Fraktionen des Hauses alternativlos. ({1}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion. ({2})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass niemand angesichts der Ereignisse ein besonders gutes Gefühl hat. Ich hätte mir an dieser Stelle von den Kollegen der Fraktion Die Linke dann aber auch gewünscht, dass sie auch auf die zahlreichen Todesopfer hingewiesen hätten, die Selbstmordanschläge der Taliban auf belebten Basaren, auf Marktplätzen, in Schulen, in Hotels und auf den Straßen gefordert haben. ({0}) Ich empfinde es als einen unsäglichen Vorgang, wenn, obwohl alle rechtsstaatlichen Instrumente - inklusive der parlamentarischen Instrumente - zur Aufklärung der Vorgänge am Kunduz-Fluss in Angriff genommen worden sind, hier versucht wird, den Eindruck zu erwecken, als würden deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort mal eben Zivilisten umbringen, weil sie nichts anderes zu tun hätten. Ich muss sagen: Die verantwortungsvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen, in die wir sie hineinschicken, kann ich an dieser Stelle nur mit Bewunderung, mit Respekt und mit Hochachtung zur Kenntnis nehmen. Ich würde mir wünschen, dass dies durch solche Aktionen nicht ständig konterkariert wird. ({1}) Frau Kollegin Künast, eigentlich sollte man nach acht Jahren Debatte über die Mandatierung von Auslandseinsätzen voraussetzen können, dass klar ist, dass im Deutschen Bundestag keine Truppenstellerkonferenz stattfindet, sondern dass der Deutsche Bundestag, wenn er über ein Mandat zur Entsendung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in einen Auslandseinsatz diskutiert und dieses Mandat verabschiedet, eine Aufgabe wahrnimmt, die ihm das Parlamentsbeteiligungsgesetz zugewiesen hat. Wir tun zurzeit mit der Umsteuerung in diesem Mandat nichts anderes, als die falschen Weichenstellungen seinerzeit auf der Petersberg-Konferenz - auch von Außenminister Fischer unterstützt - zu korrigieren. ({2}) Wenn Sie den Text des Mandates genau lesen, insbesondere die Erläuterung, müssten Sie doch froh darüber sein, dass wesentliche Dinge, die in der Vergangenheit anders waren, heute in die richtige Richtung laufen: Verdoppelung der Anstrengungen für den zivilen Wiederaufbau, Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, eine Perspektive für den Abzug der Bundeswehr. Herr Kollege Steinmeier, ich möchte Ihnen und Ihrer Fraktion an dieser Stelle dafür danken, dass Sie dieses Mandat mittragen und damit zeigen, dass innerhalb dieses Parlamentes ein breiter Konsens besteht. Vieles, was Sie zu dieser Debatte beigetragen haben, findet sich in dem Mandat. Sie beweisen dadurch - auch für Ihre Partei -, dass Sie dabei sind, wenn es darum geht, dass der Deutsche Bundestag unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren gefährlichen Einsatz breite Rückendeckung gibt. ({3}) Diese Rückendeckung ist genau das, was die Soldatinnen und Soldaten, aber auch ihre Familien erwarten können. Wir schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in einen sehr gefährlichen Einsatz. Der Bundesverteidigungsminister hat zu Recht in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, dass die Situation für unsere Soldatinnen und Soldaten gefährlich wird. Deswegen kommt es darauf an, wie die Führung der Bundeswehr, wie der Generalinspekteur die Feinplanung für den Einsatz vornimmt. Auch bin ich froh, meine Damen und Herren, dass wir hier keinen über ein gesundes Maß hinausgehenden Aufwuchs der deutschen Truppen auf den Weg bringen. Wir haben versucht, innerhalb des bestehenden Kontingentes durch vernünftige Umschichtungen dazu beizutragen, dass die Bundeswehr ihren Auftrag bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte erfüllen kann. Sie wird ihn erfüllen, wenn wir ihr die Rückendeckung nicht verweigern. Dazu gehört, dass die Bundeswehr das richtige Material, die richtige Ausrüstung bekommt. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen Aufklärung vor Ort. Eines ist besonders wichtig - das ist der Appell meiner Fraktion an die Bundesregierung -: dass wir hier im Parlament über die Fortschritte beim Aufbau der Strukturen in den Ministerien und in der Regierung unterrichtet werden. Die afghanische Armee wird ein Wehrpflichtmodell einführen. Sie wird entsprechende Ausrüstung brauchen. Die Soldaten müssen entsprechend untergebracht werden. All das sind Punkte, die wir abarbeiten müssen. InElke Hoff sofern ist es richtig, auch hier im Parlament die Frage zu stellen: Was haben wir erreicht? Ich bin dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dankbar dafür, dass er die von uns in der Vergangenheit immer geforderte signifikante Erhöhung der Entwicklungsmittel umgesetzt hat, damit in Afghanistan erfolgreiche Projekte fortgesetzt werden können. ({4}) Tun wir doch nicht so, als wäre vor Ort nichts passiert. Frau Künast, Sie haben die Frage nach landwirtschaftlichen Projekten gestellt. Wenn Sie nach Jalalabad fahren, werden Sie hören, wie begeistert die Afghaninnen und Afghanen von dem Projekt sind, das die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit im Forstbereich auf den Weg gebracht hat. Wir haben diese Fähigkeiten und die entsprechenden Kapazitäten. Es ist unsere Aufgabe, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Das haben wir getan. Insofern bin ich sehr froh, dass mit der Vorlage dieses Antrags ein Richtungswechsel bei dem Mandat stattgefunden hat, dass wir eine Abzugsperspektive haben und dass die afghanische Regierung sehr wohl weiß, dass sie auch ihren Beitrag leisten muss. Ich wünsche den Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und den Entwicklungshelfern viel Glück sowie eine gesunde und vor allen Dingen glückliche Heimkehr. Ganz herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist man in dieser Situation etwas ratlos, wie es jetzt weitergehen soll. Ich hatte mich ein Stück weit darauf vorbereitet, auch mit den Kolleginnen und Kollegen darüber zu diskutieren, die aus Gründen dieser Debatte fernbleiben, die für mich falsch sind. Ich war und bin sehr froh darüber, dass diese Debatte nun mit der Gesellschaft geführt wird und sich nicht immer nur von den Themen der Mandatierung des Bundeswehreinsatzes ableitet. Meines Erachtens waren wir dort auf einem guten Weg, auch in unserer Partei. Frau Kollegin Hoff, dass wir uns mehrheitlich dazu entschieden haben, diesem Mandat zuzustimmen, hat natürlich etwas damit zu tun, dass vieles von dem, was der frühere Außenminister und der jetzige Fraktionsvorsitzende der SPD in den letzten Monaten entwickelt hat, aufgenommen worden ist. Das macht es uns leichter. Deshalb können wir diesem Mandat letztendlich guten Gewissens zustimmen. ({0}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Mir ist es nahegegangen, in diesem Raum die Schilder mit den Opfernamen zu sehen. Eines ist doch ganz klar: Niemand von uns will solche Bilder wie nach dem KunduzVorfall sehen. Es ist gut und richtig, dass wir darüber in diesem Hohen Hause in einer Aktuellen Stunde vernünftig und sachlich diskutiert haben; daran kann es keinen Zweifel geben. Wenn dort Fehler gemacht worden sind und unschuldige Zivilisten getötet worden sind, ist das nicht hinnehmbar. Das ist völlig klar. ({1}) Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt erwähnen. Wir wollen nicht nur diese Bilder nicht mehr sehen. Entschuldigung, Herr Kollege Ströbele; mir ist es von meinem Menschenbild her letztendlich egal, wer die Opfer getötet hat. Für mich ist jedes Opfer einer solchen Auseinandersetzung eines zu viel. Ich persönlich - das gilt sicherlich für uns alle - möchte auch keine Bilder mehr von vollgepfropften Stadien mit vergewaltigten und gesteinigten Frauen sehen. Wir wollen auch keine Bilder mehr von Taliban sehen, die auf den Straßen ihre politischen Gegner aufhängen. Das wollen wir auch nicht mehr sehen! ({2}) Deshalb plädiere ich dafür - wir haben es uns an dieser Stelle nicht leicht gemacht -, genau hinzuschauen, was in dem Antrag steht, und zu prüfen, wie wir letztendlich damit umgehen. Wir haben in der Tat Fortschritte zu verzeichnen. Deshalb finde ich die Debatte etwas müßig, die in der Gesellschaft geführt wird, nach dem Motto: Warum beschließt ihr eigentlich schon wieder ein neues Mandat? Wir haben im Dezember 2009 mit großer Mehrheit ein Mandat beschlossen. Kaum drei Monate später wollen wir schon wieder ein neues Mandat beschließen. Ich glaube, dass der Grund, warum wir das tun, auf zwei Ebenen gut, richtig und nachvollziehbar ist. Man kann nicht so tun, als hätte es die Afghanistan-Konferenz in London nicht gegeben. Sie hat stattgefunden. Deutschland ist nach wie vor Bestandteil der internationalen Staatengemeinschaft, die sich dort massiv engagiert. Deshalb ist es vernünftig, aufgrund der Ergebnisse der Londoner Konferenz hier erneut über dieses Mandat zu diskutieren. Etwas anderes finde ich genauso wichtig; auch darüber sollten wir uns im Klaren sein. Ich finde es auch wichtig, dass es in unserer Gesellschaft eine neue und intensive Diskussion über Sinn und Zweck unseres Engagements in Afghanistan gibt. Ich will hier ganz ausdrücklich - ich tue das, obwohl ich weiß, dass das jetzt vielleicht nicht mehr ganz angemessen ist - den Beitrag der ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Frau Käßmann, erwähnen, weil ich finde, dass sie damit die Diskussion über unser Engagement in Afghanistan und darüber hinaus in die richtige Richtung gelenkt hat. Ich sage Danke dafür, dass das so geschehen ist. ({3}) Es wird aber auch der Versuch unternommen, bestimmte Gruppen dieser Gesellschaft - seien es die Kir2192 chen, seien es Gruppen aus der Nichtregierungsszene und der Entwicklungshilfeszene - als Kronzeugen zu missbrauchen. Das war eigentlich das, was ich den Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei auf den Weg geben wollte. Man muss genau lesen und sich die Grundlagen anschauen, beispielsweise die Denkschrift der Evangelischen Kirche „Aus Gottes Frieden leben für gerechten Frieden sorgen“. Wenn man sich das genau anschaut, dann erkennt man, dass die Evangelische Kirche - Frau Käßmann und andere - den Einsatz militärischer Mittel nicht grundsätzlich ablehnt, wenn es darum geht, Freiheitsrechte, Grundrechte und andere Dinge durchzusetzen. ({4}) Ich sage ganz klar und deutlich: Der von Ihnen beschriebene Ansatz ist nicht der derjenigen, die hier permanent als Kronzeugen für einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan missbraucht werden. ({5}) Ich möchte noch eine andere Entwicklung darstellen. Sie wurde noch nicht angesprochen, aber das wäre wahrscheinlich noch geschehen. Die Organisationen, die vor Ort in Afghanistan aktiv sind und in Deutschland unter dem Dach von VENRO zusammengefasst werden, haben sich Ende letzten Jahres zusammengesetzt - der stellvertretende Vorsitzende, Herr Lieser, war auch auf unserer Parteikonferenz - und haben sich dazu geäußert, was in Afghanistan nötig ist. Sie haben eben nicht den sofortigen Abzug der Bundeswehr gefordert, sondern sie haben gesagt: Wir brauchen eine Exit-Strategie und einen Strategiewechsel hin zu mehr zivilem Wiederaufbau und zu einem stärkeren Aufbau staatlicher Institutionen. Genau das versuchen wir mit der Unterstützung dieses Antrages auf den Weg zu bringen. ({6}) An dieser Stelle zitiere ich Theo Riedke. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Er ist ein Mitarbeiter der Welthungerhilfe, der seit Mitte der 90er-Jahre in Afghanistan arbeitet. Er sagt - Sie können das auf seiner Website nachlesen -: Wir wissen, dass der internationale Einsatz, auch der militärische, im Moment notwendig ist. Er sagt auch - damit möchte ich auch Minister Niebel ansprechen -: Wir als Nichtregierungsorganisation, die wir an dieser Stelle Erfahrungen haben, verzichten auf militärische Begleitung; wir wollen sie nicht. Herr Niebel, was mir auch Probleme bereitet, ist Ihre Festlegung - das habe ich wörtlich gehört -, dass vom BMZ in Zukunft nur noch solche Nichtregierungsorganisationen bedacht werden, die sich zu einer Kooperation mit der Bundeswehr bereit erklären. Das ist aus meiner Sicht eine Verkennung der Aufgabe dieser Organisationen. Das wird mit uns nicht zu machen sein. ({7}) Ich komme zum Schluss. Herr Riedke, den ich zitiert habe, sagt - das können Sie nachlesen; mir liegt das Zitat vor -: Ein sofortiger Abzug aller internationalen Militärs hätte aber ein absolutes Chaos und das Zurückfallen in den Bürgerkrieg zur Folge. Das wollen wir nicht. Wir unterstützen dieses Mandat, weil damit eine Ausstiegsperspektive verbunden ist. Herr Außenminister, ich wünschte mir, dass Sie sich dieser Verantwortung stellten - wir werden das überprüfen - und sich mehr um Ihr Amt kümmerten, damit wir diese Perspektive Wirklichkeit werden lassen, statt viele und, wie ich finde, unzutreffende Äußerungen zur Innenpolitik zu machen. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jürgen Hardt ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab kurz auf das eingehen, was eben passiert ist. Ich fand es persönlich sehr schmerzhaft, in welcher Art und Weise hier die zivilen Opfer des AfghanistanEinsatzes, die wir alle beklagen, von der Kollegin Buchholz und der Linken in der innenpolitischen Debatte instrumentalisiert worden sind. ({0}) Ich finde es sehr gut, dass wir einen Bundestagspräsidenten haben, der sich konsequent an die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hält, auch wenn es ihm sichtlich unangenehm gewesen ist. Dafür herzlichen Dank. ({1}) In der Regierungserklärung vom 27. Januar hat die Bundeskanzlerin für die Afghanistan-Konferenz in London die Entwicklung einer Strategie zur Übergabe in Verantwortung als deutsches Ziel benannt. Die Konferenz hat dies als Leitidee übernommen, und der heute zur Abstimmung stehende Antrag der Bundesregierung auf Fortführung des deutschen ISAF-Mandats in veränderter Form folgt genau dem Konzept „Übergabe in Verantwortung“. Ziel ist, dass die afghanische Regierung innerhalb der nächsten fünf Jahre mit ihren nationalen Sicherheitskräften in der Lage ist, schrittweise Verantwortung im gesamten Land zu übernehmen. Damit bieten die Beschlüsse von London eine große Chance für Afghanistan. Sie nehmen auch die Regierung Karzai voll in die Pflicht, ihre eigenen Anstrengungen zu erhöhen und zu selbsttragenden Strukturen zu kommen. Der Aufbau von loyalen Streitkräften und Polizeikräften, aber auch einer verlässlichen Verwaltung und von durchgängig rechtsstaatlichen Strukturen ist eine große Herausforderung. ({2}) Die Bekämpfung von Korruption und Drogenhandel ist eine Herkulesaufgabe. Das alles geht nur mit massiver, intensiver internationaler Hilfe. Die Londoner Konferenz hat genau diese Hilfe auf den Weg gebracht. Deutschland wird dazu seinen unverzichtbaren Beitrag leisten. Am Erfolg in Afghanistan haben wir alle größtes Interesse. Von der Befriedung des Landes hängt viel ab, auch der Frieden in der gesamten Region und darüber hinaus ebenso der Frieden in der gesamten Welt. Meines Erachtens muss man dies auch klipp und klar so sagen, damit die Menschen in Deutschland vielleicht wieder einen besseren Zugang zur Unterstützung dieses Einsatzes finden; denn es geht hier wirklich um die Zukunft des Weltfriedens. Die Neufassung des Mandats wird den deutschen Beitrag zielorientierter, ziviler und effizienter machen. „Übergabe in Verantwortung“ bedeutet, dass die afghanische Regierung mit ihren Kräften in fünf Jahren die volle Verantwortung tragen kann. Ich merke aber auch an: Das bedeutet nicht automatisch, dass zivile oder militärische Unterstützung in jedweder Form zu diesem Zeitpunkt endet. Aber das muss man dann entscheiden, wenn es so weit ist. Zur Zielorientierung des Mandats: In London ist festgelegt worden, dass die afghanische Regierung 306 000 Polizei- und militärische Sicherheitskräfte braucht. Ich hielte es für gut, wenn die deutsche Regierung in naher Zukunft Meilensteine festlegte, an denen wir überprüfen können, ob das, was wir zukünftig bei der Ausbildung leisten, trägt. Ich fände es schön, wenn der Afghanistan-Einsatz im Blick auf das Ziel 306 000 ausgebildeter afghanischer Sicherheitskräfte ein Stück weit überprüfbar wäre und wir prüfen könnten, ob wir möglicherweise auf dem Weg dorthin Korrekturen vornehmen müssen, und wenn wir die Qualität unserer Arbeit mit der anderer Nationen vergleichen könnten. Der deutsche Beitrag wird ziviler, nicht nur durch die Verdopplung der Mittel für die Entwicklungshilfe, sondern auch durch den neuen, klaren Schwerpunkt auf Ausbildung und Schutz. ({3}) 1 400 deutsche Soldatinnen und Soldaten, 1 100 mehr als bisher, werden vornehmlich mit Ausbildungs- und Schutzaufgaben betraut. Die vorgesehene Anpassung der Mandatsobergrenze um 850 auf 5 350 deutsche Soldaten bedeutet also, dass sich das Gewicht stark in Richtung Ausbildung verlagert. Von einer weiteren „Martialisierung“ unseres Einsatzes in Afghanistan kann also keine Rede sein. ({4}) Der deutsche Beitrag im Norden des Landes wird außerdem noch effizienter. Das ist nur möglich, weil die Vereinigten Staaten von Amerika bereit sind, uns entsprechend stark zu unterstützen. Durch die Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten wird die Mobilität in der Fläche entscheidend verbessert. Die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten wird durch die Bereitstellung von MedEvac-Hubschraubern nochmals deutlich erhöht. Es ist zukünftig besser möglich, gemeinsam mit der Afghan National Army in Gebieten, in denen man vorübergehend eine Befriedung erreicht hat, dauerhaft Frieden herzustellen, weil man in der Fläche besser operieren kann. Bei den militärischen Operationen muss der Schutz der Zivilbevölkerung an oberster Stelle stehen; denn wir können die Herzen der afghanischen Menschen nur gewinnen, wenn wir zivile Opfer vermeiden. ({5}) Der Afghanistan-Einsatz zeigt, dass die Amerikaner auch im 21. Jahrhundert den größten und verlässlichsten Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit leisten. Das Kommando in der Nordregion bleibt aber bei einem deutschen General. Ich sehe das auch als Zeichen der Anerkennung bisher erbrachter guter deutscher Leistungen im Rahmen des ISAF-Mandats in Afghanistan. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass das Mandat heute eine Zustimmung erfahren wird, die weit über die Grenzen der Regierungskoalition hinausgeht. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten, die einen schweren Job machen - vielleicht den schwierigsten, den wir Staatsdienern in Deutschland zumuten -, und für die zivilen Bediensteten im Einsatz eine gute Rückendeckung. Es gibt breiten Konsens über die Unvermeidbarkeit des deutschen Engagements in Afghanistan. Ein sofortiger Abzug der deutschen und alliierten Truppen aus Afghanistan würde das Land mit einem Schlag in Terror und Anarchie zurückwerfen. Es wäre eine gewissen- und verantwortungslose Haltung, jetzt aus Afghanistan herauszugehen. Der Entschließungsantrag der Grünen kann, obwohl er sich sehr differenziert und verantwortungsvoll mit der in Rede stehenden Frage auseinandersetzt, die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion leider nicht finden. Ich nenne nur wenige Punkte. Zum einen sind wir der Meinung, dass es ohne eine maßvolle Erhöhung der Mandatsobergrenze nicht geht. Zum anderen vertreten wir die Auffassung, dass insbesondere die Aufklärungstornados, die wir bereitstellen, einen wichtigen Beitrag der Deutschen für andere alliierte Partner zur Erstellung eines gemeinsamen Lagebildes darstellen. Es wäre genau der falsche Weg, an dieser Stelle zurückzugehen. Deswegen werden wir dem Antrag der Grünen nicht zustimmen. Das hier präsentierte neu gefasste Afghanistan-Mandat ist ein konsistenter Beitrag Deutschlands im Rahmen der Neuorientierung in der internationalen Afghanistan-Politik. Militärische und zivile Komponenten greifen klug ineinander. Es gibt eine bessere Möglichkeit der Erfolgsmessung und eine größere Chance auf Erfolg. Wir wünschen allen Beteiligten in der Bundeswehr und den zivilen Unterstützern in Afghanistan alles Gute, eine glückliche Hand und eine glückliche Heimkehr. Danke schön. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Dezember letzten Jahres haben wir zum letzten Mal über die Verlängerung des ISAF-Mandats in Afghanistan abgestimmt. Wir waren uns damals über die Regierungsfraktionen hinweg mehrheitlich einig, dass die Schaffung selbsttragender Sicherheit und funktionstüchtiger Strukturen in Afghanistan nur durch einen vernetzten Ansatz von sicherheitspolitischen, diplomatischen und - das ist ganz entscheidend - auch entwicklungspolitischen Maßnahmen zu erzielen ist. Von daher begrüße ich es außerordentlich, dass es der christlich-liberalen Bundesregierung gelungen ist, dieses Konzept maßgeblich bei der Konferenz in London einfließen zu lassen. Dem werden wir heute mit dieser Debatte und dem zu fassenden Beschluss gerecht. Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban ist der afghanische Staat derzeit noch nicht in der Lage, selbst für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Der Prozess der Staatswerdung geht nicht von heute auf morgen. Gerade angesichts der afghanischen Geschichte wird hierfür ein langer Atem benötigt. Der Beginn des Engagements am Hindukusch war im Jahre 2001. Die Londoner Afghanistan-Konferenz am 28. Januar dieses Jahres stellt eine Fortführung und zugleich einen neuen Ansatz unter dem Leitgedanken „Übergabe in Verantwortung“ dar. Die Neuausrichtung des militärischen Beitrags, aber vor allem die Erhöhung der Zahl der zivilen Einsatzkräfte sind hierfür die Basis. Die militärische Neuausrichtung steht zwar häufig im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, ist jedoch nur ein unterstützendes Element. Vielmehr liegt der neuen Strategie die Erkenntnis zugrunde - hier zitiere ich den neuen Generalinspekteur Wieker -, dass dauerhafte, selbsttragende Stabilität nur mit einem „vernetzten Ansatz“ ziviler und - wo nötig militärischer Mittel erreicht werden kann. Von daher ist es absolut unabdingbar, dass für den zivilen Aufbau im Etat des BMZ mit nun 430 Millionen Euro pro Jahr fast doppelt so viele Mittel eingesetzt werden wie bisher. Im Gegensatz zur gelegentlichen öffentlichen Wahrnehmung hat die Aufbauhilfe bisher durchaus gute Früchte getragen. Diese Fortschritte sind für viele Afghanen spürbar. So hat die Bundesregierung über das nationale Bildungsprogramm zum Bau von rund 2 000 Schulen beigetragen. Dadurch sind circa 11 000 neue Unterrichtsräume für rund 25 000 Lehrkräfte und etwa 500 000 Schüler entstanden. Landesweit gehen aktuell 6,5 Millionen Kinder zur Schule. Davon sind 35 Prozent Mädchen, fünfmal mehr als zu Zeiten der Taliban. ({0}) Seit 2006 konnten über 750 000 Patienten, darunter besonders viele Mütter und Säuglinge, behandelt werden. Allein mit deutscher Hilfe wurden im Norden Afghanistans über 600 Kilometer Straße und zahlreiche Brücken gebaut. Über 70 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan sind daher aktuell der Meinung, dass sich ihre Lebensverhältnisse in den letzten zwölf Monaten enorm verbessert haben. Ein großer Teil ihrer Hoffnung richtet sich weiterhin auf die Unterstützung aus Deutschland. Dennoch müssen wir uns bewusst machen, dass die erzielten Fortschritte für eine Übergabe in Verantwortung noch lange nicht ausreichen. Wir haben uns daher zum Ziel gesetzt, dass im Norden Afghanistans bis 2014 60 Prozent aller Kinder eine Schule besuchen sollen und 50 Prozent der Menschen Zugang zu Trinkwasser haben. Außerdem wollen wir weitere 700 Kilometer Straßen bauen. Durch den ambitionierten Aufwuchs von afghanischen Sicherheitskräften und eine dauerhaft erhöhte Präsenz in der Fläche kann die Rückkehr der Aufständischen langfristig verhindert werden, und der Bevölkerung wird spürbar das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Durch die Aufstockung der Zahl der polizeilichen Ausbilder um mehr als 60 Prozent bis Mitte 2010 wird dies flankiert. Jährlich sollen nun 5 000 Polizisten sowie 500 afghanische Polizeilehrer bis 2012 ausgebildet werden. Bei dieser neuen Ausrichtung dürfen wir die bevorstehenden Parlamentswahlen nicht aus den Augen verlieren, die voraussichtlich im September dieses Jahres stattfinden werden. Es ist wichtig, dass diese Wahlen einen Mindeststandard an Demokratie erfüllen. Wir erinnern uns: Bei den Parlamentswahlen 2005 wurden gravierende Fehler gemacht. Damals haben sich ganze Stammesgruppen um das tatsächliche Wahlergebnis betrogen gefühlt, zum Beispiel in der Region Wardak. Das führte letztlich dazu, dass bestimmte Gruppen für die Taliban wieder empfänglich wurden. Die nächsten Wahlen stellen deshalb ein Risiko, aber auch eine große Chance für uns dar, unserem Ziel der Übergabe in Verantwortung merklich näher zu kommen. Dass Afghanistan zum Zeitpunkt der Übergabe keine Westminster-Demokratie sein wird, ist uns allen klar. Jedoch wollen wir zumindest ein Mindestmaß an Demokratie erreichen. Unser Ziel muss insgesamt sein, den Menschen in Afghanistan etwas zu hinterlassen, das so wertvoll ist, dass sie es erhalten und darauf aufbauen wollen. Dabei wollen wir auch in unserem Interesse helfen. „Wer abzieht, holt die Taliban heran“, wie Joschka Fischer im Dezember letzFlorian Hahn ten Jahres in der Süddeutschen Zeitung zu Recht geschrieben hat. Auch ich fühle mich aufgrund der Ereignisse am Beginn dieser Debatte nicht wohl. Was die Linke heute hier aufgeführt hat, ist erstens ein unerträglicher parteipolitischer Missbrauch der Opfer vom 4. September ({1}) und verhöhnt zweitens die Opfer von Terrorismus und Unterdrückung sowie die Opfer derer, die sich wie unsere Bundeswehr für die Freiheit und Menschenrechte der Menschen in Afghanistan einsetzen. ({2}) Der Einsatz unserer Bundeswehr, der Polizei, Diplomaten und Entwicklungshelfer ist weiterhin notwendig. Ich möchte all denen danken und wünsche ihnen und den Völkern in Afghanistan alles Gute, Gesundheit und Gottes Segen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich habe vorhin versäumt, dem Kollegen Jürgen Hardt zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag zu gratulieren. Ich hole das besonders gerne nach, zumal ihm das nicht häufig zu erlebende Kunststück gelungen ist, bei seiner ersten Rede mit der knapp bemessenen Zeit nicht nur auszukommen, sondern sie zu unterbieten. Daraus leite ich ohne Rechtsanspruch eine virtuelle Gutschrift für eine spätere Debatte her. ({0}) Jetzt hat das Wort der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion. ({1})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der vergangenen Woche habe ich in Munster, meiner Heimatstadt, einem der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland, ein bewegendes Gespräch mit einer jungen Mutter geführt. Wir Abgeordnete waren es, die ihren Mann Anfang des Jahres in den Einsatz nach Afghanistan geschickt haben. Ich habe natürlich gespürt, dass es ihr am liebsten wäre, wenn ihr Mann zu Hause bei der Familie wäre; aber diesen Anspruch hat sie gar nicht formuliert. Sie hat mir etwas anderes mit auf den Weg gegeben. Sie sagte deutlich, dass sie von uns Politikern erwartet, dass wir keine parteipolitischen Spiele auf dem Rücken der Soldaten austragen. Sie hat mir deutlich gemacht, dass sie von uns mehr Offenheit und Klarheit erwartet. Vor allem hat sie mir auf den Weg mitgegeben, dass sie sich von uns endlich den Mut wünscht, in der Öffentlichkeit für eine breite Zustimmung zum Afghanistan-Mandat zu sorgen. Genau das ist unsere Aufgabe, der wir hier im Parlament nachzugehen haben. ({0}) Ich werde dem Mandat heute zustimmen. Ich tue das in der Überzeugung, dass wir in Afghanistan Verantwortung tragen. Ich tue das aber auch in dem Wissen, dass wir in unserem bisherigen Engagement Fehler gemacht haben. Vor allem tue ich das verbunden mit der Aufforderung an alle Fraktionen hier im Bundestag: Lassen Sie uns endlich anfangen, eine breite, öffentliche Debatte über unser Engagement in Afghanistan zu führen! Das ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. ({1}) Es gibt Gründe, die dafür sprechen, diesem Mandat zuzustimmen. Gleichwohl weiß ich aber auch: Es gibt Gründe, die gegen dieses Mandat sprechen. Ich glaube, niemand macht sich hier die Entscheidung leicht. Es ist aber am schlimmsten, wenn wir eine Entscheidung treffen, ohne dass wir eine gesellschaftliche Diskussion geführt haben. Wenn wir uns wegducken, taktieren, andere Meinungen ausschließen und nicht den Mut haben, endlich den Menschen die Gründe für den Einsatz zu erklären, dann werden wir dieses Mandat auf eine parlamentarische Mehrheit stellen können, aber niemals auf eine gesellschaftliche. Genau darum muss es uns aber gehen: eine gesellschaftliche Mehrheit. Es ist vor allem Aufgabe der Regierung, den Menschen zu erklären, warum wir in Afghanistan sind und welches der künftige Weg ist. Bei allem Respekt: In dieser Hinsicht hat die Regierung ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. Wenn es notwendig war, klare und ehrliche Worte zu sprechen, haben Sie sich weggeduckt. Als es darum ging, den Menschen zu erklären, wie die neue Afghanistan-Strategie aussieht, waren Sie von der Regierung nicht bemerkbar. Da hätte ich mir etwas anderes gewünscht. ({2}) Die Erfolge in Afghanistan, egal ob in der Bildung, in der medizinischen Versorgung, beim Aufbau von Infrastruktur oder in der wirtschaftlichen Entwicklung, sind heute schon vielfach angesprochen worden. In vielen Bereichen ist das Land vorangekommen. Wir sollten diese Entwicklung nicht kleinreden. Zugleich warne ich aber davor, Fehlentwicklungen auszublenden. Zur Wahrheit gehört auch: Wir müssen zugeben, dass wir in den letzten Jahren so manche Gegebenheit in Afghanistan unterschätzt haben. Die verschlechterte Sicherheitslage stellt uns vor neue Herausforderungen. Die Heterogenität des Landes muss uns dazu bringen, differenzierte Ansätze für die Region zu finden. Auch müssen wir die Afghanen viel stärker in unser Engagement einbeziehen und ihre Anliegen auf Augenhöhe ernst nehmen. Wenn wir das machen, dann kommen wir in Afghanistan auf einen vernünftigen Weg. ({3}) Ja, es gibt Probleme und Fehlentwicklungen. Deswegen gab es und gibt es in meiner Fraktion Bedenken. Ge2196 nau deswegen haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten nach Lösungen für diese Probleme gesucht und höchst ernsthaft über die richtigen Antworten diskutiert. Dann lese ich in einer offiziellen Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 22. Januar dieses Jahres unter der Überschrift „Afghanistan - SPD schlägt sich in die Büsche“: Mit Überschallgeschwindigkeit wirft die SPD ihre staatspolitische Verantwortung über Bord. Gestern noch hat die SPD Deutschland am Hindukusch verteidigt - heute kann es mit dem Abzug gar nicht schnell genug gehen. ({4}) Liebe Kollegen von der CDU, einmal davon abgesehen, dass ich solche Pressemitteilungen höchst peinlich finde, ({5}) frage ich mich: Was für einen Verantwortungsbegriff haben Sie eigentlich? Verantwortung heißt doch nicht, einer überforderten Regierung hinterherzulaufen. Verantwortung heißt, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Lösungen zu suchen. Das ist die Verantwortung, die wir Sozialdemokraten in den letzten Monaten wahrgenommen haben. ({6}) Ich frage: Herr Westerwelle, Frau Merkel, wo waren Sie eigentlich in den letzten Monaten, als in diesem Land über Afghanistan diskutiert wurde? Wo sind Sie eigentlich jetzt, da dieses Hohe Haus über Afghanistan diskutiert? Es war die SPD, die in den letzten Monaten Verantwortung übernommen hat, während Sie versucht haben, Ihre innenpolitischen Probleme zu lösen. ({7}) Die Regierung hat versucht, die Mandatsverlängerung in Hinterzimmern durchzudrücken. Unmittelbar vor der Afghanistan-Konferenz wird uns ein Papier vorgelegt. Unmittelbar nach der Afghanistan-Konferenz wird im Eiltempo ein neues Mandat hier durch das Parlament gejagt. Öffentliche Debatte? Fehlanzeige. Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft? Fehlanzeige. So sieht verantwortungsvolles Handeln einer Regierung nicht aus. ({8}) Ich bin stolz darauf, dass sich meine Partei in den letzten Wochen dieser Debatte gestellt hat. Wir haben unsere Mitglieder befragt, wir haben Experten angehört und auf Veranstaltungen mit Bürgern diskutiert. Wir haben viel Zuspruch dafür bekommen, dass wir die Diskussion angestoßen haben. Ich weiß von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion, dass sie es sich heute nicht leicht machen. Wir hätten das Mandat einfach ablehnen können. Stattdessen ducken wir uns nicht weg. Wir stellen uns den kritischen Fragen, und wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst. Sie, die Regierung, setzen, statt eine ehrliche Bilanz zu ziehen und statt neue Strategien für Afghanistan zu diskutieren, auf Copy and Paste. Wir Sozialdemokraten waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Charakter des Einsatzes nicht verändern, und wir wollen keine zusätzlichen Offensivkräfte im Mandat. - Sie als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen die Mittel für zivile Aufgaben verdoppeln. - Sie als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen eine Verstärkung bei der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. - Sie sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Beginn des Abzugs. - Sie sind gefolgt. Dieses Mandat trägt nicht die Handschrift der Regierung. Wenn es eine Handschrift trägt, dann die der SPD. ({9}) Weil maßgebliche Forderungen meiner Regierung - Entschuldigung -, meiner Partei ({10}) - ich bin immer schon ein paar Jahre weiter ({11}) aufgegriffen wurden, werde ich zustimmen, werden große Teile meiner Fraktion zustimmen. Wir Sozialdemokraten wollen den Weg weiter prägen. Wir werden zustimmen, aber ich sage Ihnen deutlich: Nicht wegen Westerwelle und Merkel, sondern trotz Westerwelle und Merkel werden wir zustimmen. ({12}) Einer Sache können Sie sich sicher sein: Die Debatte über Afghanistan ist heute nicht zu Ende. Sie fängt heute erst richtig an. Vielen Dank für das Zuhören. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Herr Kollege Klingbeil, aller Abschied ist schwer. Die Presseerklärung vom 22. Januar hat bestimmt dazu beigetragen, dass Sie von der Überschallgeschwindigkeit, mit der Sie sich von der bisherigen Politik verabschieden wollten, die Kurve zur Rückkehr zu einer vernünftigen Afghanistan-Politik gefunden haben. ({0}) Heute haben wir intensiv über den ISAF-Einsatz debattiert. Heute jährt sich aber auch der erste islamistische Terroranschlag auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Sechs Menschen starben, über 1 000 Menschen wurden verletzt. Das war der Bombenanschlag auf das World Trade Center vom 26. Februar 1993. Weitere Anschläge haben in London, in Madrid und in New York stattgefunden. Der 11. September 2001 ist die Zäsur, die auch uns nach Afghanistan gebracht hat. Deshalb verlangt die heutige Entscheidung erhebliche Ernsthaftigkeit. Ziel ist doch, dass wir einen dauerhaften Frieden in Afghanistan und Sicherheit für das afghanische Volk erreichen. „Friede ist niemals durch Koexistenz, sondern nur in Kooperation“, sagte Karl Jaspers, unser deutscher Philosoph. Diese Kooperation brauchen wir zwischen Soldaten, Polizisten, zivilen Wiederaufbauhelfern und der afghanischen Bevölkerung. Diese Kooperation brauchen wir im Bündnis mit den über 40 Mitgliedstaaten und Nationen, die sich am Afghanistan-Einsatz beteiligen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika befähigen uns im Norden von Afghanistan zu unserem Strategiewechsel. Ich erinnere nur an die Unterstützung in der Polizeiausbildung und - das ist ganz wichtig - bei den Hubschraubern. ({1}) Kooperation ist genauso wichtig innerhalb Afghanistans. Es geht um die Volksstämme, um die Gruppierungen, um die ehemaligen Warlords und um kooperationsbereite Taliban. Die Kernfrage ist doch: Wo sehen wir als Parlament in den nächsten fünf Jahren Afghanistan? Wie sehen wir die Entwicklung der weiteren Region? Wir müssen den Blick auch auf Zentralasien, auf Pakistan und Indien und deren schwieriges Verhältnis, auf Iran, China und Russland richten. Dies ist die größte sicherheitspolitische Herausforderung unserer Zeit. Dazu brauchen wir ein verantwortungsbewusstes Krisenmanagement; denn wir werden nicht nur aus Afghanistan, sondern auch aus anderen Krisenregionen unserer Welt sehr genau beobachtet. Es wird betrachtet, wie wir diese Verantwortung wahrnehmen. Mit unserer heutigen Entscheidung stellen wir in Afghanistan die Weichen für die Glaubwürdigkeit unserer westlichen Wertegemeinschaft. Ich teile einen Ansatz der Grünen: All das, was wir in Afghanistan anbieten - auch mein Vorredner, Herr Klingbeil, hat das angesprochen; das ist auch die Position der Union -, muss dem landestypischen afghanischen Charakter entsprechen. Wir müssen die Eigenständigkeit stärken; auch Frau Hoff hat dies vorhin angesprochen. Unser heutiges Mandat stellt damit die Weichen in die richtige Richtung. Wir stehen mit unserer Verantwortung an der Seite der gewählten afghanischen Regierung. Wir wollen die Übergabe in Verantwortung. Aber dazu müssen wir als Parlament auch die Region betrachten. Wir müssen Brisanz durch Kooperation ersetzen, ganz im Jaspers’schen Sinne. ({2}) Dazu brauchen wir eine klare Perspektive. Nur so bleiben wir glaubwürdig. Das darf sich nicht auf den detaillierten Einsatz - Tornado hier, OMLT, das Operational Mentoring and Liaison Team, da - beschränken. Wir müssen deutlich machen, dass wir vor einer strategischen Herausforderung stehen. Von uns als Parlament wird eine strategische Leistung erwartet. Nur so setzen wir unseren Anspruch „Bundeswehr gleich Parlamentsarmee“ glaubwürdig um. Das sind wir auch unseren Soldaten schuldig. Wie können wir - das ist die Kernfrage - die Nachbarn Afghanistans nachhaltig in eine solche Strategie einbeziehen? Hier geht es besonders um unsere außenund sicherheitspolitische Verantwortung. Das sind die wahren strategischen Fragen, Frau Künast. Was würde denn passieren, wenn wir unseren Einsatz, unseren Schwung abschwächen würden? Wir alle sind heute in diesem Haus Zeugen eines bedauerlichen Erlebens. Wir tragen die Last und nicht die Lust der Verantwortung. Schon gar nicht leisten wir uns den Luxus, wie dies eine Fraktion tut, uns aus der Verantwortung zu ziehen. Das möchte ich hier ganz besonders betonen. ({3}) Zur strategischen Perspektive. Es ist wichtig, dass wir in Afghanistan und darum herum strategische Partner aufbauen. Wir müssen Übergabe in Verantwortung auch in der Region leisten. Wer sind - das müssen wir klären - mögliche verantwortungsbewusste Partner? Wie können diese Partner wirksam unterstützt werden? Es geht um die politische, wirtschaftliche, soziale, aber auch militärische Stabilität in dieser Region. Der afghanische Islam zeichnete sich früher durch sprichwörtliche Toleranz aus. Wir brauchen den verstärkten Dialog der Religionsgemeinschaften. Wir müssen auch die verständlichen afghanischen Befindlichkeiten in Sachen russischer Beteiligung ernst nehmen, gleichwohl wir wissen und schätzen, wie sehr die Russen unseren Einsatz im Hintergrund unterstützen. Über die heutige Entscheidung hinaus treffen wir in voller Absicht und bewusst eine Weichenstellung für unsere westliche Gemeinschaft. Denn es geht um die Frage: Wie gehen wir künftig mit Konflikten und Krisenregionen um? Unsere Entscheidung wird daran gemessen werden. Es heißt jetzt also Partner suchen, Afghanistan selbstständig machen und so rasch wie möglich Verantwortung übertragen. Das mag Kosten, Aufwendungen verursachen; aber die Stabilisierung der Region muss uns teuer sein. Der Nutzen wird auf lange Sicht größer, und der Preis wird es wert sein. ({4}) Die Herausforderungen werden wir mit strategischem Weitblick bewältigen. Dazu brauchen wir als Parlament auch regelmäßige Informationen. Wir sind uns sicher, dass die Bundesregierung sie uns regelmäßig gibt. Lassen Sie uns mit unserer Zustimmung zum Afghanistan-Mandat über die Parteigrenzen hinweg ein deutliches Zeichen der Verbundenheit mit unseren Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und den zivilen Wiederaufbauhelferinnen und -helfern setzen. Lassen Sie uns aber auch Gedanken machen über ein deutlich sichtbares Zeichen dieser Verbundenheit. Darüber könnten wir in der nächsten Zeit diskutieren. Lassen Sie uns heute ein klares Zeichen für entschiedenes Handeln und ein Zeichen der Geschlossenheit unseres hohen und verantwortungsbewussten Hauses geben. Ich danke Ihnen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich noch einige Hinweise zur Abstimmungslage machen und Sie um Zustimmung zu einem Vorschlag zur Abweichung von der Geschäftsordnung bitten. Vielleicht können Sie dafür noch einen Augenblick Platz nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will, vor allem zur Verdeutlichung der geschäftsordnungsrechtlichen Zusammenhänge für die interessierte Öffentlichkeit, noch einmal auf die einschlägigen Bestimmungen unserer Geschäftsordnung hinweisen: Nach § 38 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages kann der Präsident wegen gröblicher Verletzung der Ordnung ein Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen. Ein Mitglied des Bundestages kann bis zu 30 Sitzungstage ausgeschlossen werden. Davon habe ich vorhin Gebrauch gemacht. Ich weise noch einmal auf das Protokoll der von mir vorhin ohne Datum zitierten Sitzung des Ältestenrates vom 26. März 2009 hin, in der es um einen sehr vergleichbaren Vorgang ging und wo wir uns über die gemeinsame Handhabung solcher Situationen verständigt haben. Ich habe da ausdrücklich auf die Geschäftsordnungslage verwiesen und mich vergewissern wollen, ob es eine gemeinsame Auffassung im Ältestenrat über die Interpretation dieser Bestimmungen gebe. Nach dem Protokoll - ich zitiere … vergewissert sich der Präsident abschließend, ob der Ältestenrat seine Auffassung teile, dass Vorgänge wie der heutige einen groben Verstoß gegen die parlamentarischen Sitten darstellen. Im Ältestenrat besteht diesbezüglich Einvernehmen. Dem stimmt auf Nachfrage des Präsidenten auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke zu. Ich entnehme einer Agenturmeldung vor wenigen Minuten mit Blick auf die Situation, die hier gerade im Plenum stattgefunden hat: Mit der Aktion habe die Linke dagegen protestieren wollen, dass es bislang vonseiten der Bundesregierung keine offizielle Entschuldigung bei den Angehörigen der Opfer des Luftschlages gebe, sagte Dagmar Enkelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion. „Den Genossen sei bewusst gewesen, dass sie mit der Aktion gegen die Geschäftsordnung des Bundestages verstoßen würden. ‚Aber manchmal muss man auch solche Wege gehen‘, sagte Enkelmann. Den Verweis durch Lammert halte sie für ‚überzogen‘.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bundestag hat es in allen Legislaturperioden - völlig unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen - immer einen Konsens darüber gegeben, dass die Regeln dieses Hauses ausnahmslos für alle gelten. ({0}) Wir haben die Unverzichtbarkeit der strikten Einhaltung dieser Regeln auch im Bewusstsein der historischen Erfahrung für unabdingbar gehalten, ({1}) dass ein deutsches Parlament an dem leichtfertigen Umgang mit den selbstgesetzten Regeln bereits einmal gescheitert ist. Nun muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen: Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages lässt keine Differenzierung zwischen dem Ausschluss von der Sitzung und dem Ausschluss von Abstimmungen zu. Gleichwohl möchte ich Ihnen das aus, wie Sie hoffentlich nachvollziehen können, naheliegenden Gründen empfehlen, was nach § 126 der gleichen Geschäftsordnung möglich ist, wenn es der Deutsche Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschließt. Nach § 126 unserer Geschäftsordnung sind Abweichungen von den Vorschriften dieser Geschäftsordnung … im einzelnen Fall mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages [möglich], wenn die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen. Ich empfehle Ihnen auch nach Rücksprache mit den Fraktionsführungen aller im Bundestag jetzt anwesenden Fraktionen, dass wir von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, die Sitzung für zehn Minuten unterbrechen und anschließend eine Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt durchführen, an der auch die von der heutigen Sitzung ausgeschlossenen Mitglieder teilnehmen können. Ich darf Sie fragen, ob Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist das mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten und rufe dann die Abstimmung auf. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/816 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/654 anzunehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert Mir liegt zu diesem Antrag eine ganze Reihe von na- mentlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung vor, die wir wie üblich dem Protokoll beifü- gen.1) Bevor ich die namentliche Abstimmung, die dazu be- antragt ist, eröffne, weise ich darauf hin, dass im An- schluss an die namentliche Abstimmung noch über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/818 abzustimmen ist und nach der vorhin vom Plenum getroffenen Geschäftsordnungs- entscheidung an diesen beiden Abstimmungen alle Kol- leginnen und Kollegen des Hauses teilnehmen können. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, weise ich noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass für die dann folgenden Tagesordnungspunkte die an der Aktion beteiligten Mitglieder ausgeschlossen sind. Es gibt nicht einen Ausschluss einer Fraktion, sondern beteiligter Kolleginnen und Kollegen. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit- ten, die vorgesehenen Plätze an den Abstimmungsurnen einzunehmen und mir ein Signal zu geben, wann wir mit der Abstimmung beginnen können. Hier vorne links vor dem Präsidium fehlt noch ein Schriftführer. - Sind die Plätze an den Urnen jetzt alle besetzt? - Es fehlt immer noch ein Schriftführer aus den Reihen der Opposition vorne links vom Präsidium. Alle Urnen sind jetzt ordnungsgemäß mit Schriftfüh- rerinnen und Schriftführern von Mehrheit und Minder- heit des Hauses besetzt. Ich eröffne damit die Abstimmung. Ist noch ein Kollege im Saal anwesend, der seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Auszäh- lung später, während des nächsten Tagesordnungspunk- tes, bekannt.2) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/818. Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit des Hauses abgelehnt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte um Entschuldigung für die kurze Unterbre- chung und setze die Sitzung fort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD 10 Jahre EEG - Auf dem besten Weg zu einer ökologischen und sozialen Energiewende - Drucksache 17/778 - 1) Anlagen 2 bis 6 2) Ergebnis Seite 2201 C Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erneuerbare Energie ausbauen statt Atomkraft verlängern - Drucksache 17/799 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort als erster Redner hat der Kollege Hermann Scheer von der SPD-Fraktion. - Bitte schön, Herr Scheer. ({2})

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zehn Jahren hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der SPD, der Fraktionen der Grünen und der PDS sowie mit einigen Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet. Dieses Gesetz ist in der Tat das erfolgreichste Gesetz zur Mobilisierung erneuerbarer Energien in der ganzen Welt geworden. Über 45 Länder haben dieses Gesetz inzwischen übernommen, weil sie sehen: Es ist der schnellste Weg zur Mobilisierung erneuerbarer Energien, der denkbar ist, und allen anderen Politikansätzen überlegen; daran kommt niemand mehr vorbei. Das hat uns in eine federführende Position gebracht, nicht nur bei der Einführung, sondern auch bei der Entwicklung und der industriellen Produktion erneuerbarer Energietechniken. Dieses Gesetz muss weitergeführt werden. Es muss nahtlos weitergeführt werden können. Es hat eine unselige Entwicklung überwunden, die hier und andernorts lange Zeit vorherrschte. Es gab pausenlos Stop-and-goProgramme, die es unmöglich gemacht haben, dass auf diesem Gebiet eine industrielle Entwicklung stattfinden konnte. Dieses Gesetz wurde aber immer infrage gestellt - es wird auch heute noch infrage gestellt -, weil es den herkömmlichen energiewirtschaftlichen Strukturen und den dahinterstehenden Interessen widerspricht. Es ist die Einleitung eines Strukturwandels, der unabdingbar ist und der selbstverständlich kein Win-win-Konzept darstellen kann. Wir machen uns etwas vor, wenn das behauptet wird; denn der Strukturwandel in der Energieversorgung, der historisch ansteht, ist zwangsläufig ein Strukturwandel von einer überwiegend zentralisierten Energieversorgung, vor allem im Strombereich, um den es hier geht, hin zu einer dezentralen Energiebereitstellung. Das hängt mit der Natur der Energiequellen zusammen. Es ist ein Strukturwandel weg von einem Brennstoffmarkt hin zu einem Technologiemarkt; denn bei erneuerbaren Energien, außer bei der Bioenergie, werden alle Brennstoffe kostenlos von der Natur bereitgestellt. Es ist klar, dass das Ziel, den Ausbau der erneuerbaren Energien bis hin zur Vollversorgung zu ermöglichen, bedeutet, dass der Brennstoffmarkt allmählich verschwinden und irgendwann nicht mehr vorhanden sein wird. Ansonsten brauchte man mit der Förderung der erneuerbaren Energien gar nicht erst anzufangen, wenn es gleichzeitig darum ginge, das Öl-, Gas-, Kohle- oder Urangeschäft in der Weltwirtschaft aufrechtzuerhalten. Das ist das Prinzip. Woher kommen die Infragestellungen? Worüber wird heute und wahrscheinlich auch in den nächsten Wochen debattiert? Die Frage ist: Entspricht dieses Vorgehen Marktprinzipien oder nicht? Es gibt bestimmte, sehr oberflächliche Marktvorstellungen, die dem Erneuerbare-Energien-Gesetz immer wieder entgegengestellt werden, die aber einer näheren Betrachtung nicht standhalten. Marktprinzip heißt, an allererster Stelle Marktgleichheit zu ermöglichen. Marktgleichheit kann nicht bestehen, wenn es über viele Jahrzehnte hinweg durch gesetzliche Privilegien wie durch viele Milliarden an Subventionen zu einer hochkonzentrierten, herkömmlichen Energiewirtschaft gekommen ist und wenn dann im Zuge der Liberalisierung gesagt wird: Jetzt können die hochgepäppelten Energieunternehmen in ihrer erworbenen und über Jahrzehnte hinweg politisch gestützten Stellung so weitermachen wie bisher; gleichzeitig sollen neue Energietechnologien dagegen antreten. Das heißt, es gab und gibt noch immer nicht die Situation von Marktgleichheit. Wenn es aber aus zwingenden ökologischen und weiteren gesellschaftlichen Überlegungen politisches Ziel ist, auf die erneuerbaren Energien umzusteigen, dann muss ein Ausgleich gegenüber der hochkonzentrierten und hochprivilegierten Situation herkömmlicher Energieversorgung geschaffen werden. Dann bedarf es zur Herstellung von Marktgleichheit einer gesonderten Privilegierung erneuerbarer Energien. Das drückt das Gesetz aus. ({0}) Das Gesetz heißt nicht zufällig „Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien“. Das ist der eigentliche Sinn des Gesetzes. Es ist nicht marktwidrig, sondern es schafft überhaupt erst die Voraussetzungen, dass künftig tatsächlich von einem Energiemarkt geredet werden kann. Es wird auch dazu führen, dass es statt weniger Anbieter sehr viele Produzenten und Anbieter geben wird. Markt heißt nicht wenige Anbieter oder gar nur ein Monopolist mit Millionen Kunden, sondern Markt heißt möglichst viele Anbieter. Deswegen ist das ErneuerbareEnergien-Gesetz mit all dem, was es bewirkt hat, ein Weg zur tatsächlichen Schaffung von Energiemarktbedingungen in der Gesellschaft. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der in der Debatte nicht vergessen werden darf. ({1}) Deswegen ist es falsch, im Zusammenhang mit der Einspeisevergütung das Wort „Subvention“ in den Mund zu nehmen. Dieses Wort kommt manchem allzu schnell über die Lippen. In einigen Fällen wird es leichtfertig verwendet; in der Regel ist es vorwurfsvoll gedacht. Die Einspeisevergütungen, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert, sind aber keine Subvention. Wenn Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom März 2001 zum deutschen Erneuerbare-EnergienGesetz lesen, erkennen Sie, dass der Europäische Gerichtshof den Faden aufgenommen hat, der bei der Begründung, Erstellung und Abfassung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes im Vordergrund stand. Zunächst trifft der Subventionsbegriff der EU auf das ErneuerbareEnergien-Gesetz nicht zu. Unter einer Subvention im EU-Sinne wird nämlich direkte oder indirekte staatliche Hilfe verstanden. Die gibt es bei der Einspeisevergütung des EEG nicht; denn die öffentlichen Kassen sind gar nicht involviert. Es gibt aber noch einen anderen Grund, der viel tiefer geht: Bei der garantierten Einspeisevergütung handelt es sich um eine Kaufpflicht, die - mit gewissen Ausnahmen bei Großverbrauchern - alle Stromkunden betrifft. Eine Kaufpflicht kann nur begründet werden, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse erkennbar ist. Keiner bestreitet mehr, dass es ein öffentliches Interesse an einer Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien gibt. Das öffentliche Interesse ist also eindeutig gegeben. Dieses öffentliche Interesse wird durch die Kaufpflicht umgesetzt. Wenn in Deutschland heute 16 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, heißt das, dass schon heute praktisch jeder einzelne Stromkunde in Deutschland zu 16 Prozent Ökostrom bezieht; das ist eine automatische Folge der Kaufpflicht. Kaufpflichten im öffentlichen Interesse gibt es zuhauf: Denken Sie nur an die Haftpflichtversicherung, die abschließen muss, wer Auto fahren will. Niemand darf ohne Haftpflichtversicherung Auto fahren. Niemand käme auf die Idee, das eine Subventionierung der Haftpflichtversicherer zu nennen. Es gibt ein öffentliches Interesse daran, dass jeder eine Haftpflichtversicherung hat: dass sich niemand seiner Verantwortung für Schäden, die er verursacht hat, entzieht. Dasselbe gilt für Hausversicherungen und viele andere Sachen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit!

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vor dem Hintergrund der Philosophie dieses Gesetzes und seiner Wirkungen, die historisch genannt werden dürfen, bitte ich darum, diese Debatte mit den richtigen Begriffen und mit den richtigen Inhalten zu führen, vor allem wenn es darum geht, dieses lernende Gesetz, das ständig weiterentwickelt wird und werden muss, so zu gestalten, dass der Erfolg dieses Gesetzes nicht gefährdet wird. Letztlich geht es darum, dass Deutschland seinen Energiebedarf so schnell wie möglich vollständig aus erneuerbaren Energien deckt. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 429, mit Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 46. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 429 nein: 111 enthalten: 46 Ja CDU/CSU Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({7}) Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({9}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({10}) Nadine Müller ({11}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({12}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({14}) Anita Schäfer ({15}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({16}) Patrick Schnieder Dr. Kristina Schröder ({17}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Johannes Selle Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Thomas Silberhorn Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Lothar Binding ({24}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({26}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil ({28}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Frank Hofmann ({29}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({31}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({32}) Michael Roth ({33}) Marlene Rupprecht ({34}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({35}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({36}) Silvia Schmidt ({37}) Ulla Schmidt ({38}) Carsten Schneider ({39}) Olaf Scholz Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({40}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Sebastian Körber Patrick Kurth ({41}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({42}) Michael Link ({43}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Petra Müller ({44}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({45}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({46}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Heiko Staffeldt Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({47}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({48}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({49}) Cornelia Behm Priska Hinz ({50}) Tom Koenigs Krista Sager Manuel Sarrazin Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({51}) Manfred Kolbe SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Dr. Peter Danckert Michael Groß Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({52}) Josip Juratovic Daniela Kolbe ({53}) Dr. Wilhelm Priesmeier Sönke Rix Werner Schieder ({54}) Dr. Carsten Sieling Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff ({55}) FDP Dr. h. c. Jürgen Koppelin DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Konstantin Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({56}) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Katja Dörner Bettina Herlitzius Winfried Hermann Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Anna Klein-Schmeink Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Monika Lazar Agnes Malczak Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Hermann Ott Lisa Paus Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Enthaltung SPD Bärbel Bas Dr. Bärbel Kofler Burkhard Lischka Gerold Reichenbach Ottmar Schreiner Swen Schulz ({57}) Sonja Steffen FDP Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({58}) Heinz-Peter Haustein BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({59}) Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Ulrike Höfken Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Oliver Krischer Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({60}) Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({61}) Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({62}) Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler ({63}) Als nächster Redner hat nun der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({64})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Scheer, es ist schon sehr mutig, eine Stromeinspeisevergütung mit einer Haftpflichtversicherung zu vergleichen. Das ist eigenartig und passt nicht zusammen. Sie wissen genau, dass jeder Arbeitsplatz in der Solarwirtschaft mittlerweile mit rund 153 000 Euro gefördert wird; diese Förderung ist ungefähr doppelt so hoch, wie die Förderung bei den Arbeitsplätzen in der Kohlenförderung war. Die Förderung der Solarwirtschaft mag von einigen befürwortet werden. Richtig ist sie aber nicht. Wenn die Unternehmen in Deutschland dafür aufkommen müssen, kommt das auch beim Verbraucher, bei den Bürgerinnen und Bürgern, an. Als Präsident von EUROSOLAR sind Sie, Herr Scheer, der größte Lobbyist der Solarwirtschaft. Wenn man Herrn Kelbers Website betrachtet, erfährt man, dass er in den letzten drei Jahren 90 000 Euro aus der Solarwirtschaft für die SPD in Bonn eingeworben hat. Das ist in Ordnung, und man kann es verstehen. Darauf muss man in diesem Hohen Haus aber gelegentlich hinweisen dürfen. Ich bin froh, dass wir mittlerweile in erneuerbare Energien eingestiegen sind. Diese Aussage wird Sie bei mir verwundern. Ich halte es aber für richtig. ({0}) Ich bin auch froh, dass wir beim Stromverbrauch mittlerweile einen Anteil erneuerbarer Energien von 16,1 Prozent erreicht haben. Die einzelnen Anteile für das Jahr 2008 sehen so aus: Windenergie 6,6 Prozent, Wasserkraft 3,5 Prozent, Fotovoltaik - darin liegt meiner Meinung nach der Knick, weil die Subventionen, die wir dafür aufwenden, zu hoch sind - 0,7 Prozent, Biogas 1,3 Prozent, Klärgas 0,2 Prozent und Deponiegas ebenfalls 0,2 Prozent. Es ist aber nun einmal leider so, dass der Wind nicht immer bläst und die Sonne nicht immer scheint. ({1}) Die Grünen können so viel Wind machen, wie sie wollen sie bewegen damit keine einzige Windmühle. ({2}) Wir haben den 26. Dezember letzten Jahres und den 6. Januar dieses Jahres erlebt. Diese zwei Tage will ich Ihnen einmal schildern. Am 6. Januar dieses Jahres hatten wir eine sogenannte inversive Wetterlage. Daher sind von den 25 000 Megawatt, die zur Verfügung stehen, nur ganze 300 Megawatt aus den Windanlagen herausgekommen, also nur 1,2 Prozent. Wir hatten an diesem Tage aber einen Strombedarf von über 70 000 Megawatt. Herr Solarpräsident, an diesem Tag kam so gut wie keine Sonne auf der Erde an. Es hat nämlich fast den gesamten Tag über geschneit. Auch mit geringen Physikkenntnissen weiß man, dass die Solarzellen dann nicht allzu viel Strom liefern. ({3}) Das zeigt, dass wir neben der erneuerbaren Energie zusätzlich weitere Energien brauchen, um die Ausfälle an solchen Tagen zu kompensieren. Das Ganze nennt man Grundlast. Die Sicherung der Grundlast erfolgt zum Großteil aus zwei Energiebereichen: erstens aus der Kernenergie, die zu 46 Prozent zur Grundlast beiträgt, und zweitens aus fossilen Energien, also Steinkohle, Braunkohle etc., mit 44 Prozent. Eine geringe Rolle spielt mit 10 Prozent noch das Laufwasser, dessen Nutzung in Deutschland aufgrund der geografischen Situation aber leider nicht wesentlich ausbaubar ist, auch wenn wir das gern machen würden. ({4}) - Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie zuhörten. Sie könnten sogar noch etwas lernen. Das ist bei Grünen allerdings schwierig. ({5}) Wir wissen, dass wir diese Grundlast nach wie vor benötigen. Daher müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir denn vorangehen wollen. Grundlast bedeutet: Wir brauchen sichere Energie für den Fall, dass die Erneuerbaren aufgrund der physikalischen Bedingungen nicht zur Verfügung stehen können. Für diese Fälle gibt es nur die gerade erwähnten Alternativen. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir es uns nicht leisten können, gute, sichere, funktionsfähige Kernkraftwerke abzuschalten, ({6}) weil wir nämlich nur daraus CO2-neutral Energie gewinnen können. Frau Höhn, CO2-neutral; das ist mir wichtig. Wir wollen nämlich unsere ehrgeizigen Klimaziele erreichen. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({7}) Wenn wir Kernkraftwerke voreilig abschalten würden, bedeutete das doch nichts anderes, als dass wir dann Steinkohle, Braunkohle oder andere fossile Energieträger verwenden müssten, um die Grundlast abzusichern. Das muss doch eigentlich sehr einleuchtend sein. ({8}) - Gut; wir wollen das gerne im Parlament weiter diskutieren. Deswegen brauchen wir einen vernünftigen und dynamischen Energiemix, der sich aus diesen gesamten Energieträgern zusammensetzt. In dem Moment, in dem uns andere CO2-freie Energieträger zur Verfügung stehen, die die Grundlast sichern, kann man mit mir selbstverständlich auch über das Abschalten von Kernkraftwerken sprechen. Bis dahin hat die Kernenergie aber eine Brückenfunktion; denn in dem Moment, in dem sie länger läuft, generiert sie Geld. Dieses Geld können wir in Speichertechnologien stecken, die wir dringend benötigen. Daneben brauchen wir auch Übertragungsleitungen. Beispielsweise sind für die Gewinnung von Strom in Offshorewindparks in der Nordsee vernünftige Übertragungsleitungen erforderlich. Es darf nicht sein, dass jedes Planfeststellungsverfahren für eine Hochspannungsleitung von Nord nach Süd zehn Jahre dauert; denn wenn wir es so handhaben, nutzen wir die Chance, die uns Offshorewindparks bieten, nicht oder zumindest nicht in genügender Weise. Eines kann jedenfalls nicht funktionieren: Wir dürfen in Deutschland die Energie nicht so verteuern, dass wir am Ende des Tages Industrien vertreiben. Ich möchte nach wie vor, dass Deutschland ein Industrieland bleibt. ({9}) Ich möchte hier weiterhin die Aluminiumindustrie haben, ich möchte hier die Zinkfabrikation haben, und ich möchte hier die Papierindustrie, die Stahlproduktion etc. haben. Das alles gehört zum Industriestandort Deutschland. Diejenigen, die mir sagen: „Das alles ist egal, und wenn die Preise steigen, dann ist das gut so“, haben dabei völlig übersehen, dass das zu einer Deindustrialisierung unseres Standortes führt. Das ist nicht mein Deutschland, und das ist auch nicht mein Deutschlandbild. ({10}) Es kann nicht funktionieren, dass dieselben Demonstranten, die gegen die Kernkraft auftreten, natürlich auch gegen die Endlagerung demonstrieren. Nebenbei: Das ist auch ein Bereich, den ich mit den Windfall Profits finanzieren möchte, den die Energiebetreiber durch die Kernkraft erzielen. ({11}) - Liebe Frau Höhn, in diesem Fall hat gerade Ihre Fraktion, die den Umweltminister bzw. die Umweltministerin viele Jahre lang gestellt hat, völlig versagt. Sie - rote und grüne Minister - haben sich elf Jahre lang nicht ein einziges Mal darum gekümmert, eine vernünftige Endlagerung sicherzustellen. Es ist doch Ihre Schuld, dass wir bis heute noch keine Lösung gefunden haben. ({12}) Was haben Sie denn in den elf Jahren gemacht, in denen Sie dieses Ministeramt innehatten? Es kann nicht sein, dass Sie gegen die Kernkraft demonstrieren, gleichzeitig aber auch gegen die Endlagerung sind. Auch sagen die Grünen: Wir sind selbstverständlich gegen neue, moderne Kohlekraftwerke - Stichwort Ensdorf, Stichwort Mainz -, und wir sind natürlich auch gegen CCS. Carbon Capture and Storage darf es schon gar nicht geben, weil das niemand in seinem Land unter seinen Füßen liegen haben will. Wir wollen das nicht in den Boden verpressen. Wir sind auch gegen Übertragungsleitungen von Nord nach Süd. Eine Hochspannungsgleichstromübertragungsleitung darf also nicht gebaut werden - Stichwort: Elektrosmog usw. Ihre Grünen stehen da und sagen: Das kommt überhaupt nicht infrage. Ja, was wollen Sie denn? Wenn Sie das alles nicht wollen, dann muss mir irgendwann einmal jemand erzählen, was Sie wollen. ({13}) - Ja, aber ich sage Ihnen doch gerade: Sie können die erneuerbare Energie nicht ins Land bringen. ({14}) Es nützt uns doch nichts, wenn sie nicht im Land ist. Ich möchte Folgendes erreichen: Erstens möchte ich, dass Sie sich aufregen; das ist mir gelungen. Zweitens möchte ich, dass Sie erkennen, dass wir ohne eine vernünftige Brückentechnologie keine Chance haben, in die Situation zu kommen, in die wir kommen müssen, damit wir in Deutschland verlässlich preisgünstigen Strom für die Verbraucher, für die Bürgerinnen und Bürger, zur Verfügung haben und damit die Unternehmen bezahlbaren Strom erhalten, um ihre Produktion aufrechtzuerhalten und den Industriestand Deutschland insgesamt erhalten zu können. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) - Entschuldigung, Herr Fell, ich habe übersehen, dass das Wort zu einer Kurzintervention gewünscht wird. Sie sprechen dann danach. Ich gebe Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das Wort zu einer Kurzintervention.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchs, für diese Mischung in Ihrem Redebeitrag aus Uninformiertheit und Vorurteilen hätten Sie viele Antworten verdient. Ich beschränke mich im Sinne der Geschäftsordnung aber natürlich auf den Punkt, mit dem Sie mich angesprochen haben. Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie hier erneut bestätigt haben, dass ich im Gegensatz zu allen 239 anwesenden oder nicht anwesenden Abgeordneten der CDU/CSU meinen SPD-Kreisverband dazu verpflichtet habe, weit über jedes gesetzliche Maß hinaus jegliche Wahlkampfspende an die Partei sofort, ohne Höhenbeschränkung, mit voller Namensnennung und mit Zweckbindung zu veröffentlichen. Das tut kein Einziger Ihrer Abgeordneten. ({0}) - Herr Kollege Fuchs, passen Sie jetzt auf. - Das tut vor allem auch Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher und früherer Koordinator für Energiepolitik nicht, der ein Energieberatungsunternehmen hat und bis heute nicht veröffentlichen will, mit wem er Beratungsverträge zu welchen Konditionen abgeschlossen hat. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Ihnen und mir. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Kollege Fuchs.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kelber, ich kann jetzt nicht beurteilen, welches Energieberatungsunternehmen der Kollege Pfeiffer hat. ({0}) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es ist für mich selbstverständlich, dass ich das, was ich tue, auch klar und deutlich mache, und ich erwarte das von Ihnen genauso. Wenn das bei Ihnen vorbildlich geschieht, dann gratuliere ich Ihnen dazu. Damit liegen wir auf der gleichen Wellenlänge. Auf der anderen Seite sollten Sie aber auch wissen: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. - Sie singen das Lied der Solarindustrie. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Fuchs, lassen Sie mich ganz kurz auf Ihre Einlassungen eingehen. Wenn Sie die Argumente von Herrn Scheer nicht verstehen, so ist mir das klar: Wer nur in den Denkstrukturen der großen alten Atom- und Energiekonzerne denkt, kann das nicht verstehen. Sie vertreten deren Interessen. ({0}) Wenn Sie deren Plattitüden noch weiter treiben, in einem zukünftigen Energiesystem mit erneuerbaren Energien brauche man Grundlast, so müssen Sie endlich einmal lernen, zum Beispiel von Herrn Rohrig, an den der hier in Deutschland höchstdotierte Umweltpreis vergeben wurde und der den Nachweis erbracht hat, dass vollständige, hundertprozentige Vollversorgung mit erneuerbaren Energien und Speichertechnologien möglich ist ohne Grundlast. ({1}) Wenn Sie das immer noch nicht hören wollen, dann stelle ich nur noch fest: Sie beleidigen die deutschen Ingenieure, die die Lösungen längst auf den Weg gebracht und realisiert haben. Diese Kraftwerke, die Vollversorgung rund um die Uhr gewährleisten, gibt es bereits. ({2}) Aber ich will gar nicht so sehr auf Ihre Falschbehauptungen eingehen; das raubt mir die Zeit, denn es gibt viel Wichtigeres zu sagen. Ein neues Kapitel der industriellen Weltgeschichte ist vor zehn Jahren in diesem Hohen Hause aufgeschlagen worden. Damals, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit und auch von den Medien, wurde das Solarzeitalter hier eingeläutet. Mit einem mutigen Beschluss hat die rot-grüne Bundestagsmehrheit das ErneuerbareEnergien-Gesetz auf den Weg gebracht, übrigens ohne Regierungsentwurf. Auch dies war ein Höhepunkt in der deutschen Parlamentsgeschichte; denn nach dem Grundgesetz ist das Parlament für die Gesetze verantwortlich, nicht die Regierung. ({3}) Diese Geburtsurkunde der erneuerbaren Energien wurde gegen massive Widerstände aus den Energiekonzernen und gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP in diesem Hause ausgestellt. Das EEG hat trotz massiver Anfeindungen ein grünes Wirtschaftswunder entfacht, welches weder Wirtschaftsanalysten und Energiekonzerne noch Union oder Liberale je für möglich gehalten hatten. 30 000 Jobs gab es 1998 in dieser Branche; bis heute ist ihre Zahl auf 300 000 gestiegen. Keine andere Wirtschaftsbranche hat eine solche Erfolgsgeschichte in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen. ({4}) Unser Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 auf 12,5 Prozent verdoppeln zu wollen, wurde damals auch von Ihnen als völlig unrealistisch abgetan. Ende 2009 wurden aber schon über 16 Prozent erreicht. Damit, Herr Röttgen, ist klar der Beweis erbracht: Erneuerbare Energien können viel schneller wachsen, als von Ihnen selbst und von der Allgemeinheit angenommen wird. Für Klimaschutz und Energiesicherheit bringen die erneuerbaren Energien ebenfalls die entscheidende Lösung: Mit über 50 Millionen Tonnen jährlicher CO2-Einsparung hat das EEG wie keine andere politische Maßnahme den Klimaschutz befördert. Die Vermeidung von Kosten in Höhe von über 5 Milliarden Euro - Herr Fuchs, hören Sie sich das genau an - für den Zukauf von fossilen und atomaren Brennstoffen überwiegt bei weitem die Mehrkosten der erneuerbaren Energien, die den Stromkunden mit weniger als 5 Prozent der Strompreise belasten. Wo ist da das ökonomische Problem? ({5}) Gerade die Fotovoltaik zeigt doch die Effektivität des Gesetzes auf: Von 14 Megawatt im Jahre 1999 stieg die neu installierte Leistung auf 3 000 Megawatt im letzten Jahr, und das bei halbierten Kosten. Welche andere Industriegeschichte dieser Art können Sie vorzeigen? Aber das EEG ist auch eine internationale Erfolgsgeschichte. Etwa 50 Länder haben ähnliche Gesetze verabschiedet. Fast alle europäischen Länder gehören dazu; Indien, Südafrika, Brasilien, mit Ontario die stärkste kanadische Wirtschaftsregion und auch Vermont in den USA haben ein EEG eingeführt. Sie alle haben die Chancen erkannt, die das EEG für Klimaschutz, für wirtschaftliche und technologische Entwicklung, für die Sicherung der Energieversorgung, für lokalen Umweltschutz, für Beschäftigung und für Armutsbekämpfung bietet. Erfreulich ist, dass nach dieser internationalen Erfolgsgeschichte dann endlich auch Union und FDP nicht mehr an den grandiosen Erfolgen und Chancen des EEG vorbeikommen. Neun Jahre nach dessen Verabschiedung hat die FDP endlich die Kurve zur Unterstützung geschafft, die Union immerhin drei Jahre früher. Herr Umweltminister Röttgen - er ist leider nicht da -, die erneuerbaren Energien und das EEG in den Mittelpunkt der Agenda zu rücken, wie Sie dies tun, ist völlig richtig und okay. Aber vor zehn Jahren haben Sie persönlich im Bundestag das EEG abgelehnt. Von Weitblick zeugt das nicht; Ihr damaliges Abstimmungsverhalten ist eher eine grandiose Fehleinschätzung, und dieser unterliegen Sie heute weiterhin. ({6}) Noch immer haben Sie nicht verstanden, wie schnell erneuerbare Energien wachsen können. Sie sind mit Ihrer Fraktion, wie Herr Fuchs gerade aufgezeigt hat, Lichtjahre von der Weitsicht der damaligen Koalition entfernt. ({7}) Ich komme zur Bezahlbarkeit. Sie kritisieren Millionengewinne der Solarbranche. Das ist für Sie die Begründung, die Erfolgsgeschichte der deutschen Solarbranche jetzt zu beenden. Aber Milliardengewinne der Atom- und Kohlekonzerne interessieren Sie nicht. ({8}) Der Bund der Energieverbraucher hat gerade aufgezeigt, dass die großen Stromkonzerne in den letzten drei Jahren durch unentwegte Strompreiserhöhungen jährlich 6 Milliarden Euro Zusatzgewinne gescheffelt haben. Das ist wesentlich mehr als die Umlage auf den Strompreis durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Aber Sie von Union und FDP kümmern sich nicht um diese Milliardengewinne der Konzerne, ({9}) die mit Atommüll und Klimazerstörung die Gesellschaft in immer größere Probleme stürzen, und regen sich nur über Millionengewinne von Solarunternehmen auf. Es wäre an der Zeit, dass Sie endlich eine Energieversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bis 2030 in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen. ({10}) Diese Denkweise und dieses Vorgehen entsprächen der damaligen mutigen Aktion der rot-grünen Bundestagsabgeordneten in diesem Parlament. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt eine gute Viertelstunde Debatte zu diesem Thema hinter uns, und ich habe gedacht, ich bin im falschen Film; denn wir führen hier die Debatten der 90er-Jahre. ({0}) Die deutsche Bevölkerung will aber keine historische Betrachtung, sondern sie will eindeutig die Frage geklärt wissen, wie es mit den erneuerbaren Energien weitergeht. Darüber will ich reden. Die Frage ist nicht, ob wir erneuerbare Energien fördern, sondern sie lautet, wie wir sie fördern. Darüber müssen wir diskutieren. ({1}) Ich möchte auf das verweisen, was diese Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Wir haben vereinbart, dass wir den Weg in das regenerative Zeitalter beschreiten wollen. Wir haben vereinbart, dass die fossilen Energien Schritt für Schritt durch alternative Energien ersetzt werden sollen, bis wir irgendwann tatsächlich zu einer vollständig CO2-neutralen Energieversorgung kommen. Das ist die Leitlinie unserer Politik. In diesem Sinne haben wir vereinbart - das ist wichtig für die künftige Energieversorgung, für das Energiekonzept -, den Einspeisevorrang erneuerbarer Energien unbegrenzt und ungedeckelt fortzuführen. Deshalb entbehrt das Gezetere über die Politik dieser Koalition, beispielsweise darüber, dass Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängert und Kohlekraftwerke nicht verboten, sondern in einem intelligenten Energiemix gehalten werden, jeder Grundlage. ({2}) Wenn die erneuerbaren Energien den vollständigen Einspeisevorrang haben, dann können die anderen Energien das Netz nicht verstopfen. Wenn die erneuerbaren Energien in das Netz hineindrängen, dann werden die ande2208 ren Stück für Stück hinausgedrängt. Das ist auch für die Energieversorger klar. Daran werden wir auch dann nicht rütteln, wenn aus wirtschaftlichen Gründen möglicherweise einmal ein Kohlekraftwerk abgeschaltet werden muss, weil die Erneuerbaren in das Netz hineinkommen. Das ist die klare Leitlinie unserer Politik. Wir glauben, dass es wichtig ist, das Vertrauen in das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu stärken. Deshalb haben wir als erste Maßnahme im Umweltbereich des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die rückwirkenden Eingriffe, die die alte Regierung unter Minister Gabriel bei den Biogasanlagen vorgenommen hat, zurückgenommen. Denn das war nicht nur eine Maßnahme für die entsprechenden Anlagen. Vielmehr hat Ihre Politik der rückwirkenden Eingriffe dazu geführt, dass die erneuerbaren Energien schlechtere Finanzierungsbedingungen hatten, weil die Banken nicht mehr geglaubt haben, dass das EEG Vertrauensschutz gewährt. Die FDP und diese Koalition werden dafür sorgen, dass Vertrauensschutz im EEG Vorrang vor allen weiteren Überlegungen hat. ({3}) Zudem haben wir bei der Reform der Solarförderung sichergestellt, dass nicht rückwirkend in Investitionen eingegriffen wird. Deshalb haben wir in der Koalition Übergangsbestimmungen vereinbart. Diese Verlässlichkeit war unser Kernanliegen in der weiteren Beratung. Wir als FDP und als Koalition sagen aber auch: Es kann nicht sein, dass wir mit dem EEG Traumrenditen für Anleger garantieren. ({4}) Deshalb ist es richtig, Frau Höhn, dass wir, wenn die Preise für Solaranlagen fallen, die Rendite an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben. Denn die Stromkunden - das sind auch die Familien mit vielen Kindern - zahlen die Renditen für die Anleger. Deshalb ist es richtig, dass die Solarförderung zurückgeführt wird. ({5}) Wir glauben, dass dieser Schritt die Solarförderung langfristig gesellschaftlich akzeptabel hält und deshalb ein Beitrag dazu ist, dass die Fotovoltaik in Deutschland langfristig noch größere Chancen hat als heute. Deshalb haben wir vereinbart, den Ausbaukorridor zu erweitern, und wir werden beispielsweise auch den Eigenverbrauch von dezentral verbrauchtem Strom durch Solaranlagen besser fördern als bisher. Insofern sage ich Ihnen ganz klar: Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten. Wir wollen Überförderungen zurückführen. Aber wir wollen auch die Solarbranche und die anderen erneuerbaren Energien in Deutschland dynamisch ausbauen. Das ist die Leitlinie dieser Reform, und es wird die Leitlinie der Reform sein, die wir mit einer großen Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2012 weiterverfolgen werden. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Wir werden das EEG an manchen Stellen ökologischer machen. ({6}) Denn es gibt auch in der Subventionierung der erneuerbaren Energien ökologische Fehlsteuerungen. Beispielsweise macht es keinen Sinn, wenn wir die Nutzung nachwachsender Rohstoffe bei der Biomasseverstromung besser stellen als die Nutzung von Abfällen. Wir wollen, dass vorrangig Abfälle und erst dann nachwachsende Rohstoffe genutzt werden; denn diese brauchen wir auch für andere Verwendungen als für die Verstromung. ({7}) Diese Koalition hat darüber hinaus auch klargemacht: Wenn wir Blockheizkraftwerke beispielsweise mit Palmöl betreiben, wie es viele Stadtwerke tun, dann wollen wir, dass dieses Palmöl nachhaltig angebaut worden ist. Deshalb werden wir die Zertifizierungen des Anbaus dieser Biomasse stärker und klarer reglementieren, damit für unseren Ökostrom nicht die Regenwälder abgeholzt werden. ({8}) Meine Damen und Herren, wir werden das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiterentwickeln. Wir wollen damit die Förderung erneuerbarer Energien im Inland voranbringen, aber wir werden auch über die Grenze hinausschauen. Denn Solarstrom beispielsweise kann nicht nur durch Fotovoltaik auf deutschen Dächern produziert werden, sondern auch auf dem Weg, dass wir in Kooperation beispielsweise mit den nordafrikanischen Staaten große solarthermische Kraftwerke bauen. Diese Kraftwerke werden notwendig sein, um Solarkraft in großen Mengen in unseren Energiemix einzubringen. Wir als FDP wollen das voranbringen. Ich freue mich, dass wir in der Koalition genau diesen Weg gehen werden. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Hermann Scheer das Wort.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kauch, Sie haben eben wieder den Begriff „Subventionierung“ benutzt. Ich muss nicht von Ihnen erwarten, dass Sie alles sofort verstehen, was ich gesagt habe. Aber wie kommen Sie eigentlich dazu, diesen Begriff permanent in diesem Zusammenhang zu verDr. Hermann Scheer wenden, und das auch noch im Namen der Verbraucher? Wenn die Verbraucher - also alle Bürger; es gibt keinen Unterschied zwischen Bürgern und Verbrauchern - etwas subventionieren, dann ist es die herkömmliche Energieversorgung, die ihre tatsächlichen Umwelt- bzw. Sozialschäden nicht bezahlen muss. Das muss dann die Gesellschaft auf ihre Schultern nehmen. Das ist Subventionierung, nichts anderes. ({0}) Wenn wir schon Subventionen abschaffen wollen und Sie das Thema so oft in den Mund nehmen, dann müssen wir doch erwarten, dass Sie es jetzt auch angehen, die immer noch laufende Subventionierung der Atomenergie in Form der Steuerbefreiung und steuerfreien Rückstellungen, die über 30 Milliarden Euro ausmachen, zu beenden. ({1}) Die werden dort angesammelt; damit wird systematisch monopolisiert. Damit werden andere Unternehmen aufgekauft, und dann soll die öffentliche Hand 4 Milliarden Euro zahlen, um den ganzen Atomdreck wieder aus Asse herauszuholen. Das ist Subventionierung. ({2}) Wir müssen in dieser Debatte einmal die Stühle zurechtrücken, damit wir endlich klar durch den Nebel sehen, worauf es wirklich ankommt und wer hier zulasten der Gesellschaft welche Energieform betreibt. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Kollege Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Scheer, Sie sind oft im Ausland unterwegs und haben deshalb vielleicht nicht so ganz mitbekommen, was diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen hat. ({0}) Diese Koalition hat nämlich beispielsweise beschlossen, die Energieversorger an den Kosten im Zusammenhang mit der Asse zu beteiligen. Das ist im Koalitionsvertrag längst festgehalten; dafür brauchen wir überhaupt nicht Ihren Antrieb. Ansonsten habe ich den Eindruck - das muss ich deutlich sagen -, dass Sie penetrant versuchen, die Debatten von vor zehn Jahren zu wiederholen. ({1}) Dieses Haus ist geschlossen für das EEG; das ist klar. Diese Koalition hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt. Sie müssen nicht ständig erklären, warum das so wichtig ist. Wir müssen vielmehr Folgendes tun: Erstens. Wir wollen die erneuerbaren Energien zur Regelversorgung in diesem Land machen. Die erneuerbaren Energien sollen unsere Energieversorgung dauerhaft absichern. Zweitens. Wir brauchen Übergangsszenarien, die dazu beitragen, dass wir unsere Klimaschutzziele - Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent - erreichen. Drittens. Es kann uns nicht egal sein, was die Bürgerinnen und Bürger dafür bezahlen. ({2}) Wir stehen dafür ein, dass sie nur so viel bezahlen, wie es notwendig ist, um diese Ziele zu erreichen. Wenn Ihnen das Geld der Bürgerinnen und Bürger egal ist, ({3}) dann ist das nicht unsere Politik. ({4}) Es kommt für die Leute nicht darauf an, ob das Geld über den Bundeshaushalt oder über die Stromrechnung hereinkommt; denn am Schluss müssen sie - das sind die Verbraucherinnen und Verbraucher - es aus ihrer Tasche bezahlen. Ob Sie das nun „Subvention“ nennen oder nicht: Wir stehen zu dieser Subvention; wir stehen dazu, dass diese Energien gefördert werden. Das kann aber nicht um jeden Preis geschehen. Auch hier müssen Maß und Effizienz die Regel für die weitere Förderung sein. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen eine hochemotionale Debatte zu einer Thematik, bei der in diesem Haus eigentlich große Einigkeit besteht. ({0}) - Lieber Kollege Fell, jedenfalls habe ich unsere Debatten über das EEG in der letzten Legislaturperiode so in Erinnerung. ({1}) Wenn man schaut, was eigentlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, dann erkennt man, dass man dies als gemeinsame Grundlage für unsere weiteren Diskussionen in diesem Haus nutzen kann: 2-Grad-Ziel, Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz, Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent, Weg in das regenerative Zeitalter, was bedeutet, dass Deutschland seinen Wohlstand weiter in diesem Zukunftsfeld erarbeiten will, der dann hier, insbesondere im Bereich der Sozialsysteme, zu verteilen ist. Im Koalitionsvertrag führen wir weiter aus: Ziel ist es, dass die erneuerbaren Energien den Hauptanteil an der Energieversorgung übernehmen. Auf diesem Weg werden in einem dynamischen Energiemix die konventionellen Energieträger kontinuierlich durch alternative Energien ersetzt. Auch das ist Konsens. ({2}) All das muss unter Beachtung des Zieldreiecks aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit verfolgt werden. Wenn man die Versorgungssicherheit betrachtet, kann man die Augen nicht davor verschließen, dass wir in hohem Maße importabhängig sind. ({3}) Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass viele unserer energetischen Ressourcen aus Ländern kommen, in denen keine politische Sicherheit besteht, und dass natürliche Ressourcen endlich sind. Man muss einfach sehen, dass die Frage der Wirtschaftlichkeit mit Standortfaktoren für die Industrie zu tun hat, sich aber auch mehr und mehr zu einer sozialen Frage für die Verbraucher entwickelt. Wir werden das erleben, wenn wir die Wärmekostenabrechnung für diesen Winter erhalten. Wenn die Preise heute auf dem Niveau von 2008 wären, dann wäre das ein großes Problem. Wir müssen deshalb erkennen, dass eine Fortschreibung des Status quo unseres Energiemixes mitnichten die Probleme lösen kann, die wir angehen müssen, und zwar mit aller Kraft. ({4}) Bezüglich des Klimaschutzes und bezüglich der Umweltverträglichkeit hat die Vorgängerregierung mit den Meseberger Beschlüssen und dem IKEP-Programm wichtige Schritte in die richtige Richtung getan. Dieses Programm werden wir in dieser Legislatur überprüfen, und wir werden es an der einen oder anderen Stelle nachjustieren. Wenn wir auf das wichtigste Instrument im Bereich der Meseberger Beschlüsse, des IKEP, schauen, nämlich auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz, dessen Geburtstag wir heute feiern, dann sehen wir, dass auch dieses Gesetz nicht vom Himmel gefallen ist, sondern dass es eine Vorgängerregelung gab, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz. ({5}) - Das Stromeinspeisungsgesetz haben wir nie abgelehnt. Das ist auf unserem Mist gewachsen, lieber Herr Fell. ({6}) Dieses hat zum ersten Mal die Abnahme- und Vergütungspflicht von Strom aus erneuerbaren Energien vorgesehen. ({7}) - Ich will Sie doch gerade loben. Nun hören Sie doch zu! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 hat dann feste Vergütungssätze, einen Mindestvergütungszeitraum von 20 Jahren und den Einspeisungsvorrang vorgesehen. An dem Einspeisungsvorrang haben alle Nachfolgeregierungen festgehalten. Daher stimmt das, was Herr Kauch eben zu den Verstopfungsproblemen, die es allgemein geben soll, gesagt hat. Solange wir den Einspeisungsvorrang für erneuerbare Energien haben, ist das Problem nicht, ob Strom aus Kohle, Kernenergie oder anderen Ressourcen gewonnen wird, sondern ob wir es schaffen, die Netze quantitativ und qualitativ auszubauen. ({8}) Diesen Netzausbau werden wir nur mit dem Einverständnis der Bürgerinnen und Bürger vor Ort erreichen. ({9}) Ich bitte zur Lösung dieses Problems um die Unterstützung der Opposition. Die Novelle von 2004 hat das EEG weiterentwickelt. Es hat als wichtiges Element der Innovation die Degression für die Vergütungssätze eingeführt, sodass Jahr für Jahr immer etwas weniger für erneuerbare Energien gezahlt wird, die auf der gleichen Technologie beruhen. Das hat einen unglaublichen Innovationsdruck ausgelöst, was ausgesprochen gut war. Darüber hinaus haben wir eine Härtefallregelung für die energieintensive Industrie eingeführt, was ganz wichtig ist, um den IndusDr. Maria Flachsbarth triestandort Deutschland weiter wettbewerbsfähig zu erhalten. Mit der Novelle von 2009 haben wir Wert auf das Repowering, auf die Offshore-Windkraft und die Verbesserung der Netzintegration gelegt. Wir haben also den Gedanken der Nutzung erneuerbarer Energien kontinuierlich weiterentwickelt, was durch eine breite Mehrheit des ganzen Hauses mitgetragen wurde. Dieser Hinweis hilft vielleicht, die Schärfe aus der Diskussion zu nehmen. ({10}) Inzwischen beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch 10 Prozent. Davon sind - es ist wichtig, auch das einmal festzustellen - 70 Prozent Bioenergie, also nachwachsende Rohstoffe. Die nachwachsenden Rohstoffe sind, um es so auszudrücken, von den unendlichen Energieträgern die endlichsten. Deshalb müssen wir uns auch auf andere Ressourcen konzentrieren. Das ist ein Grund dafür, warum wir bei der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2009 den Wind, Repowering und Offshore-Windkraft, so sehr in den Vordergrund gestellt haben. Der Anteil am Stromverbrauch - Kollege Fuchs hat es eben gesagt - beträgt 16 Prozent, davon beträgt der Strom aus Windkraft ungefähr 44 Prozent, jeweils ein Viertel kommt aus Wasser und Biomasse. In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig, die Branchen zu nennen. Ich darf darauf hinweisen, dass inzwischen 280 000 Arbeitsplätze an den erneuerbaren Energien hängen, insbesondere in strukturschwachen Regionen Norddeutschlands; ich darf das als Niedersächsin sagen. Das ist sicherlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Man muss sich natürlich ansehen, was das alles kostet. Es kostet den Privatverbraucher im laufenden Jahr circa 2 Cent pro Kilowattstunde und damit 0,9 Cent mehr als im Jahr 2009. Das sind ungefähr 6 Prozent der Kosten für eine Kilowattstunde. Für einen Musterhaushalt, der 3 500 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, sind das circa 3,25 Euro pro Monat. Wenn man das zusammenrechnet, dann kommt man auf mehrere Milliarden Euro in einem bestimmten Zeitraum, aber letztendlich wird der Verbraucher mit dieser Summe belastet. Auf internationaler Ebene ist das EEG ein Erfolgsprojekt. In fast über 50 Staaten wird es kopiert. Wir haben gerade im Ausschuss über die IRENA diskutiert, eine internationale Organisation, die auf Initiative Deutschlands gegründet wurde und die helfen soll, die Idee der erneuerbaren Energien weltweit durchzusetzen. Das IRENA-Sekretariat wird in Abu Dhabi eingerichtet, das Innovationszentrum in Bonn. Die EU wird jetzt als weiterer wichtiger Partner beitreten. Das Ganze wird zur Stärkung der Idee der Erneuerbaren auch international beitragen. Das Umfeld des EEG ist zu betrachten. Herr Kauch hat die Nachhaltigkeitsverordnung genannt, die natürlich sehr notwendig ist, damit wir nicht unter dem Mäntelchen des Klimaschutzes unverträgliche Maßnahmen etablieren. Der Ausgleichsmechanismus ist wichtig. Dies haben wir gemeinsam in der letzten Legislatur geregelt, indem wir gesagt haben: Es darf keine physische Wälzung, sondern nur noch eine finanzielle Wälzung geben. Dies führt jetzt aber dazu, dass nur die großen Energieversorger Grünen Strom an den Börsen vertreiben dürfen und wir dadurch nur Grauen Strom im Angebot haben. Ich möchte gemeinsam mit meiner Fraktion - das steht nicht im Koalitionsvertrag - eine Initiative zum Beispiel für die Einführung einer Marktprämie ergreifen, die optional sein soll. Anlagenbetreiber sollen sich im Rahmen von mittelständischen Strukturen zusammenschließen dürfen und Hilfen bekommen, damit es wirtschaftlich sein wird, zum Beispiel an der Börse in Leipzig Grünen Strom direkt zu vermarkten. Diese Idee soll dazu führen, dass die Betreiber der Erneuerbaren stärker an den Markt herangeführt und mehr und mehr von der Förderung entwöhnt werden, die sie im Rahmen des EEG noch benötigen. ({11}) Auf das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat Kollege Kauch bereits hingewiesen. Wichtig ist es, Sicherheit für private Investitionen zu gewährleisten; denn die privaten Investoren sind es, die den Ausbau der Erneuerbaren maßgeblich vorantreiben. Von daher brauchen wir ganz besonders in diesem Bereich Investitionssicherheit. Die Weiterentwicklung des EEG im Bereich der Fotovoltaik haben wir jetzt in Angriff genommen. Ich finde, der Vorschlag, den das Bundeskabinett wohl in der nächsten Woche verabschieden wird, ist sehr ausgewogen. Wir haben einen Zielkorridor festgelegt, der verdoppelt wurde. Ein Zubau von 3 Gigawatt pro Jahr ist vorgesehen. Wir wollen besonders den Eigenverbrauch fördern. Planungssicherheit ist durch entsprechende Übergangsfristen gewährleistet. Insgesamt müssen wir die Akzeptanz für die Erneuerbaren erhalten. Wir können auf Dauer nicht erklären, warum für 5 Prozent des durch Erneuerbare im Bereich Fotovoltaik erzeugten Stroms 50 Prozent der Umlage bezahlt werden. Deshalb müssen wir im Rahmen der Förderbedingungen vernünftige Maßnahmen ergreifen. Wir können auch nicht erklären, warum auf besten Ackerbauböden riesige Freiflächen-Solaranlagen entstehen sollen. Dafür gibt es andere Standorte. Konversionsflächen und Brachflächen sollten wir dazu nutzen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg in das regenerative Zeitalter wird nur gelingen, wenn wir uns gemeinsam den qualitativen und quantitativen Ausbau der Netze auf die Fahnen schreiben und die Weiterentwicklung der Speichertechnologien ganz oben auf unserer Agenda steht. Das heißt, wir brauchen Innovationen im Bereich der E-Mobilität. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Batterietechnologie, aber auch eine Weiterentwicklung der Speicherkraftwerke. Herr Kollege Fell, Sie haben eben gesagt: Wir können die Erneuerbaren verstetigen. ({13}) Jawohl, das können wir machen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass zum Beispiel ein Pumpspeicherkraftwerk wie das in Goldisthal nach heutigen Maßgaben und nach im Bereich des Naturschutzes geltenden Gesetzen sehr schwierig - um nicht zu sagen: fast überhaupt nicht zu realisieren ist. ({14}) Es gibt genauso wie beim Ausbau der Netze immer wieder Widerstände in der Bevölkerung vor Ort. Wenn wir den Weg in das regenerative Zeitalter gehen wollen, dann muss es unser gemeinsames Anliegen sein, vor Ort für unser Ziel zu werben und die technologischen Voraussetzungen für dieses gemeinsame Ziel zu schaffen. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von der SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Übrigens, ich heiße nicht Wolf Hempelmann - so hab ich Sie verstanden, Herr Präsident -, sondern Rolf Hempelmann. Aber als Wolf macht es mir besonderen Spaß, auf den Fuchs loszugehen. - Ich sehe, der Kollege Fuchs hat es gemerkt. Herr Fuchs, wir haben von Ihnen in der Tat - Sie haben es gesagt - eine Menge gelernt, insbesondere, dass der Wind nicht immer bläst. Ich möchte darauf aufmerksam machen - man stellt das fest, wenn man genauer hinschaut, etwa in Richtung Frankreich -, dass auch dort die Kernkraftwerke nicht immer laufen, vor allen Dingen nicht immer auf Volllast. Im Sommer wurde ihre Leistung einmal bis auf 20 Prozent heruntergefahren. Auch im Winter musste sie deutlich gedrosselt werden. Strom wurde importiert, insbesondere aus Deutschland. Durch Windenergie erzeugter Strom hatte daran einen großen Anteil. ({0}) Insofern sollte man hier tatsächlich etwas differenzierter vortragen. Mein Dank gilt ausdrücklich Maria Flachsbarth, auch wenn ich ihr nicht in jedem Punkt zustimme. Sie hat hier eine sehr differenzierte Darstellung des Sachverhalts gegeben. ({1}) Zehn Jahre EEG. Warum war das EEG so erfolgreich? Es war deswegen erfolgreich, weil wir drei Dinge gemacht haben: Erstens. Wir haben für den Einspeisevorrang gesorgt. Offenbar sind sich heute alle einig, dass das notwendig war. Damals war das sehr umstritten. Zweitens. Wir haben für feste Vergütungssätze gesorgt, was eine entsprechende Planbarkeit für die Akteure brachte und den Boom letztlich auch ausgelöst hat. Drittens. Wir haben von Anfang an für klar definierte Degressionssätze, also für Minderungen der Vergütungen, gesorgt, sodass ein Anreiz für Effizienzsteigerung und für Innovation gesetzt war. Das Ganze ging einher mit angekündigten Überprüfungen. Nach entsprechenden Abständen gab es da, wo es möglich war, weitere Absenkungen von Vergütungen. Was jetzt passiert, ist, jedenfalls nach unserem Eindruck, eher das Verlassen dieses verlässlichen Pfades. Was im Zusammenhang mit der Fotovoltaik angekündigt worden ist - von vornherein werden Größenordnungen für Absenkungen genannt -, ist äußerst problematisch. Wir versperren uns nicht der Diskussion. Wir versperren uns nicht möglichen Absenkungen - wir haben das auch deutlich gesagt -; aber wir wollen, dass das auf der Basis einer klaren Analyse und sehr verantwortlich passiert. Wir wollen nämlich, dass der Prozess der Effizienzsteigerung weitergeht, und wir wollen keinen Bruch, der nach unserer Einschätzung jetzt drohen könnte und den es zu vermeiden gilt. ({2}) Es gibt einen weiteren Punkt, der in etwa zeitgleich mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz entschieden wurde und der ebenfalls erheblichen Einfluss hatte auf den Erfolg der erneuerbaren Energien: den Kernenergieausstieg. Der Ausstieg aus der Kernenergie und damit die klare Perspektive, dass bestimmte Strommengen aus dem Markt und auch aus den Netzen verschwinden, hat den Erneuerbaren eine Perspektive gegeben, die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst denkbar gemacht hat. Dass jetzt über den Ausstieg aus dem Ausstieg geredet wird, hat nicht nur die Vertreter der erneuerbaren Energien auf den Plan gebracht, sondern auch viele andere, insbesondere neue, kleinere oder mittelgroße Akteure, die sagen: Das hat erhebliche Konsequenzen, insbesondere für den Wettbewerb. Warum ist das wichtig? Wenn es Konsequenzen für den Wettbewerb gibt, wenn erneuerbare Energien gegen abgeschriebene Kernkraftwerke also kaum ankommen können, dann ist der Weg, von dem Maria Flachsbarth zu Recht gesagt hat, dass wir ihn in Zukunft gehen müssen - ein Stück Loslösung vom EEG, ein Stück hin zur Direktvermarktung -, natürlich erheblich erschwert. Wir bitten Sie, darüber noch einmal nachzudenken. Das sind keine Einwände, die ausschließlich von den Vertretern der Erneuerbaren, also rein interessegeleitet, gemacht werden; vielmehr werden sie sehr viel breiter vorgetragen. Sie sollten das ernst nehmen. Es gab einen weiteren Punkt, der für den Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes bzw. der erneuerbaren Energien sehr wichtig war: die sogenannte Exportinitiative Erneuerbare Energien. Wir haben damals gesagt: Wir wollen die Unternehmen frühzeitig instand setzen und motivieren, ihre Erfolgschancen nicht nur auf dem deutschen Markt, sondern auch außerhalb zu suchen. Mittlerweile ist es so, dass ein großer Anteil der Erneuerbaren, die in diesem Lande produziert werden, in den Export gehen. Das bindet hier Wertschöpfung und Arbeitsplätze und tut damit dem Standort Deutschland insgesamt sehr gut. ({3}) Diese Exporterfolgsgeschichte hatte auch etwas damit zu tun, dass wir nicht nur Technologie exportiert haben, sondern auch - das ist ja heute hier schon angeklungen das Gesetz selbst. Über 40 Länder haben es in mehr oder weniger identischer Form übernommen. Erst das hat dazu geführt, dass die entsprechenden Märkte entstanden und der Technologieexport möglich wurde. Wenn wir jetzt hier in Deutschland den Pfad der Verlässlichkeit bei der Organisation eines Effizienzprozesses verlassen, wenn wir jetzt Brüche riskieren, dann führt das natürlich auch dazu, dass wir die Exportchancen für erneuerbare Energien gefährden; denn wir können nicht ausschließen, dass das auch Einfluss auf die Gesetzgebung in anderen Märkten hat. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken. Ich jedenfalls bin der festen Überzeugung, dass diese Zusammenhänge auch Ihnen einleuchten müssten. Ein letzter Punkt: Sie stellen sich auch heute wieder ein wenig als Robin Hood dar, als Rächer der Enterbten, also der Verbraucher und der Mieter, die insbesondere die erneuerbaren Energien über höhere, im Strompreis versteckte Vergütungssätze bezahlen müssen. Die Bundesagentur hat Ihnen eigentlich den richtigen Pfad gewiesen. Sie hat vor wenigen Tagen deutlich gemacht, dass die Preissteigerungen, etwa die Anfang dieses Jahres um durchschnittlich 6,2 Prozent - das entspricht einer Größenordnung von 1,2 bis 1,3 Cent pro Kilowattstunde -, mitnichten mit dem Aufwuchs bei den erneuerbaren Energien zu begründen sind, wie es die Konzerne gemacht haben. ({4}) Durch den Aufwuchs ließe sich nur etwa eine Erhöhung um 0,2 Cent rechtfertigen. Deswegen sind das Argument, für mehr Wettbewerb zu sorgen, und das Argument, Vorsicht bei der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke walten zu lassen, so wichtig. Sie können sehr viel mehr für die Verbraucher tun, wenn Sie für mehr Wettbewerb sorgen, wenn Sie nicht, wie Sie es derzeit vorhaben, die bisherigen Strukturen durch eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke zementieren. Wenn Sie also Ihren Ankündigungen gerecht werden wollen, dann überlegen Sie sich, was Sie bei der Fotovoltaik und bei der Kernenergie tun wollen. Im Augenblick sind Sie bei beiden Themen auf dem falschen Pfad. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaus Breil von der FDPFraktion. ({0})

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre EEG - wir erinnern uns aber heute auch an das Stromeinspeisungsgesetz, das unser liberaler Bundeswirtschaftsminister Dr. Helmut Haussmann schon zehn Jahre zuvor unterschrieben hatte und das zuerst die Abnahme und die Vergütung von erneuerbaren Energien festlegte. ({0}) Allerdings rechneten wir 1990 mit Mehrkosten von rund 50 Millionen DM pro Jahr, also mit keinem wesentlichen Einfluss auf die Strompreise. Seit Inkrafttreten des EEG sind inzwischen aber Vergütungen in Höhe von insgesamt über 48 Milliarden Euro ausgezahlt worden. Gleichwohl hat sich die FDP auf ihrem Parteitag 2009 in Hannover klar zum EEG bekannt. Und der FDP sind die Weiterentwicklung des Maschinen- und Anlagenbaus im Bereich der erneuerbaren Energien und die Realisierung der sich daraus ergebenden Exportpotenziale sehr wichtig. ({1}) In ihrem Antrag fordert die SPD den Zuschnitt des EEG als langfristig angelegtes Instrument der Technologieförderung. Die Grünen wiederum wollen das EEG kosteneffizient gestalten und zugleich Innovationskraft, Investitionssicherheit und Vertrauensschutz erhalten. Genau das sind auch unsere Zielauffassungen. ({2}) Bestes Beispiel dafür ist die jetzt neu konzipierte Eigenverbrauchsförderung. Damit wird zielgenauer Innovationsdruck aufgebaut, um geeignete Energiespeicher zu entwickeln. So können auch die Netze entlastet werden. ({3}) Schon in diesem Jahr werden wir für sämtliche erneuerbare Energien Vergütungskosten von insgesamt rund 12,3 Milliarden Euro haben. Für den Verbraucher bedeutet das Kosten in Höhe von über 8,2 Milliarden Euro. Das sind durchschnittlich 100 Euro pro Kopf der Bevölkerung, das entspricht 400 Euro für eine vierköpfige Familie pro Jahr. Im nächsten Jahr dürften die Gesamtkosten auf über 10 Milliarden Euro steigen. Allein für den Solarstrom, der nur etwa 1 Prozent der primären Stromversorgung ausmachen wird, muss der Verbraucher mit etwa 3,4 Milliarden Euro mehr als 40 Prozent der EEGGesamtkosten aus eigener Tasche auf den Tisch legen. Diese von mir aufgeführten Kosten bedeuten allerdings keinesfalls, dass die FDP das EEG infrage stellt. Vielmehr will ich gezielt darauf hinweisen, wie enorm wichtig es ist, die notwendige Förderung für den Verbraucher so kostengünstig wie nur irgend möglich zu gestalten. ({4}) Zusammenfassend müssen wir uns über folgende Tatsache im Klaren sein: Das Fördern von erneuerbarer Energie hin zur Marktreife ist - wenn man es richtig dosiert - sinnvoll, ein Durchfüttern durch Überförderung ist es aber nicht. ({5}) Ein Zuviel macht den deutschen Markt träge und verschwendet das Geld der Verbraucher. Letzten Endes wird sich am Beispiel der EEG-Förderung die Ernsthaftigkeit unserer Zielsetzung messen lassen. Wenn zum Beispiel Windstrom nur noch so viel kostet wie fossiler Strom, dann hat sich die Einspeisevergütung durch das EEG erledigt. Dann braucht man nur noch den Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien im oligopolisierten Markt wettbewerbsfähig zu halten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über zehn Jahre EEG. Zu Beginn muss man eines feststellen: Die Verabschiedung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes war eine Sternstunde für den Bundestag und für die Energiepolitik in Deutschland. ({0}) Sie war nämlich der Ausgangspunkt für einen unglaublichen Boom. In Deutschland wird mittlerweile dreimal so viel Ökostrom hergestellt wie vor zehn Jahren. Mittlerweile haben wir in diesem Bereich fast 300 000 Arbeitsplätze. Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien liegt inzwischen bei 16 Prozent. Das sind hervorragende Zahlen. An diese gute Entwicklung muss immer wieder erinnert werden. ({1}) Diese Erfolgsgeschichte ist von Sozialdemokraten und Grünen auf den Weg gebracht worden. Laut Protokoll gab es damals bei der Abstimmung 217 Neinstimmen: von der CDU, von der CSU und von der FDP. Herr Kauch, ich sage das insbesondere deshalb, weil ich an die Vergangenheit erinnern möchte; denn wer aus der Vergangenheit nicht lernt, wird in der Zukunft falsche Entscheidungen treffen. Deshalb sage ich: Sie haben damals falsch entschieden. ({2}) Die Neinsager standen auf der falschen Seite der Geschichte. ({3}) Nun stehen die Neinsager von damals davor, wieder einen historischen Fehler zu machen, wie sie ihn damals mit ihrem Nein begangen haben; denn jetzt stehen sie vor der Entscheidung, wie sie mit der Atomkraft umgehen. Ich sage Ihnen: Die Neinsager von damals setzen heute auf die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Das ist ebenso ein historischer Fehler, wie damals gegen das EEG zu stimmen. ({4}) Warum? Die Laufzeitenverlängerungen werden den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv behindern. Das, was Sie entscheiden, ist keine Brücke; denn Sie entscheiden sich dafür, eine Mauer aufzurichten, gegen die die erneuerbaren Energien fahren werden. Sie entscheiden sich gegen eine Brücke und für den Stopp des Ausbaus der erneuerbaren Energien. ({5}) Im Gegensatz zu Herrn Fuchs hat der Bundesumweltminister das verstanden. Die entscheidende Antwort auf die Ausführungen von Herrn Fuchs ist ein Zitat des Bundesumweltministers, der in der Frankfurter Rundschau vom 19. Februar - es ist also noch nicht lange her - gesagt hat: „Viel Atomstrom und viel Ökostrom“ passen „als ökonomische Konzepte nicht zusammen“. Er führt weiter aus: Windkraft und Solarenergie müssen durch flexible und schnell regelbare … Kraftwerke ergänzt werden, nicht durch große Kernkraft-Blöcke. Recht hat der Bundesumweltminister mit dieser Aussage. ({6}) Ich frage mich nur, warum der Bundesumweltminister und die Bundesregierung, wenn sie die Zusammenhänge denn verstanden haben, daraus nicht auch Konsequenzen ziehen. Ich frage mich, warum der Bundesumweltminister trotzdem für Laufzeitverlängerungen von großen, unflexiblen Kraftwerksblöcken ist, nämlich von Atomkraftwerken. Ich sage: Wer zu dieser Erkenntnis gekommen ist, muss auch die Konsequenz daraus ziehen und darf nicht für Laufzeitverlängerungen von großen, unflexiblen und daher nicht mit Ökostrom zusammenpassenden Atomkraftwerken sein. ({7}) Es geht aber auch noch um etwas völlig anderes. Herr Fuchs und Herr Kauch, Sie sagen, dass die Preise für die Verbraucher bezahlbar sein müssen. Ich sage Ihnen: Gerade dadurch, dass wir keinen Wettbewerb auf den Energiemärkten haben, dadurch, dass die vier großen Anbieter quasi ein Monopol haben, werden die Preise nach oben getrieben. Allein dadurch, dass die CO2-Zertifikate eingepreist wurden, haben die Unternehmen einen zusätzlichen Gewinn von 5 Milliarden Euro pro Jahr machen können. Das ging zulasten der Verbraucher. Wer die Preise für Verbraucher reduzieren will, muss mehr Wettbewerb in den Markt bringen und deshalb für mehr Strom aus erneuerbaren Energien eintreten. Das ist der Punkt. ({8}) Ihre Pläne - mit Atomkraft - bedeuten mehr Atommüll, mehr Unfallrisiken und mehr Gewinne für die Großunternehmer und sind deshalb schlecht, und zwar auch für die Verbraucher.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sicher.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Höhn, Sie legen Wert darauf, dass wir hier über die historische Wahrheit sprechen. ({0}) Sie haben darauf hingewiesen, dass die Energiekonzerne Windfall-Profits, also Mitnahmeeffekte durch den Emissionshandel erzielt haben. Stimmen Sie mir zu, dass das Gesetz, auf dem diese Mitnahmeeffekte beruhen, durch Umweltminister Trittin von den Grünen und die rotgrüne Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde? ({1})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kauch, ich habe eben gesagt: Wenn man heute die richtigen Entscheidungen fällen will, muss man sehen, was man in der Vergangenheit falsch gemacht hat. ({0}) Ich fand schon damals, dass man sofort auf Auktionierung hätte setzen können. Das war gesellschaftlich aber nicht durchsetzbar. Deshalb musste die damalige Bundesregierung so handeln. ({1}) Im Nachhinein sehen Sie, wie falsch das war. Anders als Sie haben wir daraus gelernt und sofort gesagt: Wir wollen die Auktionierung der CO2-Zertifikate. Anders als Sie haben wir aus der Geschichte gelernt. Sie lernen nicht aus der Geschichte. Sie haben damals gegen das EEG gestimmt und bauen mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke jetzt eine Mauer für die erneuerbaren Energien auf. Das ist der Unterschied, Herr Kauch. ({2}) - Ja. Sie wäre trotzdem richtig gewesen. Inhaltlich wäre das richtig gewesen. Das ist gar keine Frage. ({3}) Ich sage noch eines - darüber ist hier bisher nicht diskutiert worden -: Der entscheidende Punkt ist, dass wir damals mit dem Atomkonsens einen schweren Konflikt innerhalb der Gesellschaft endlich beendet haben. Die schwarz-gelbe Koalition reißt diese Gräben wieder auf. Ich sage Ihnen: Sie verunsichern damit auch die Investoren. Eines müssen Sie wissen: Wenn Sie jetzt Laufzeitverlängerungen beschließen und realisieren, dann werden wir das wieder ändern, sobald wir die Möglichkeit dazu haben. ({4}) Das heißt: Es gibt keinerlei Planungssicherheit für die Investoren. Das müssen Sie wissen. Das heißt: An dem Punkt Laufzeitverlängerung werden wir Widerstand leisten. Sobald wir können, werden wir das wieder ändern. Der Energiemarkt verträgt keine Unsicherheit. Durch Ihre Entscheidung sorgen Sie aber genau dafür. Deshalb sage ich: Keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, sondern Ausbau der erneuerbaren Energien und Ausbau der Energieeffizienz. Das ist der richtige Weg und nicht die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Höhn, ich hätte mir gewünscht, dass wir hier gemeinsam über die Frage diskutieren, wie man die erneuerbaren Energien auf ihrem positiven Weg begleiten kann, und weniger eine Art Vaterschaftsprozess in Gang setzen, bei dem es darum geht, zu entscheiden, wer nun der Vater der Förderung ist. ({0}) Insofern bin ich der SPD ausgesprochen dankbar dafür, dass sie in ihrem Antrag immerhin ausgeführt hat, dass das Stromeinspeisungsgesetz Basis des EEG war. In dem Zuge muss man deutlich sagen, dass es überhaupt keine Chance gibt, die CDU/CSU mit denjenigen in eine Ecke zu stellen, die das Thema erneuerbare Energien nicht voranbringen wollen. ({1}) Das können Sie historisch bis zurück in das Jahr 1983 fundieren, als die Regierung Kohl die ersten Versuche zur Nutzung der Windkraft unterstützt hat. Sie können das weiterverfolgen über das Stromeinspeisungsgesetz bis hin zu dem, was wir gemeinsam in der Großen Koalition gemacht haben. Das Marktanreizprogramm, liebe Kollegin Höhn, ist in der Großen Koalition ganz anders mit Mitteln ausgestattet gewesen als in der Zeit, als die Grünen an der Regierung waren: Im Jahr 2005 waren es rund 130 Millionen Euro, im Jahr 2009 waren es rund 500 Millionen Euro, also fast das Vierfache. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht nur Sie allein Umweltpolitik und die Förderung erneuerbarer Energie können. ({2}) Wir setzen das konsequent fort. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag ganz präzise formuliert, dass wir einen dynamischen Energiemix wollen, bei dem die erneuerbaren Energien gefördert aufwachsen und die konventionellen sukzessive ersetzen. Es geht um die Frage: Was ersetzt wann, wo und zu welchem Zeitpunkt? Ich sage Ihnen ganz offen: Sie argumentieren zu Recht, wenn es um die Bedeutung der erneuerbaren Energien für den Strompreis geht, mit dem Merit-Order-Effekt. Aber wenn man sich dies dann genauer anschaut, dann muss klar sein, dass bei Aufwachsen der erneuerbaren Energien und unter der Voraussetzung einer Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke natürlich zunächst die Kohle herausfällt. Das ist unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes wünschenswert; sonst werden wir - das kann ich hier deutlich sagen - unsere Klimaziele nicht erreichen. ({3}) Nun will ich auf die Diskussion, die wir jetzt über die Kernenergie hatten, nicht zu ausführlich eingehen, sondern zunächst einmal möchte ich deutlich sagen, worin wir die Bedeutung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sehen. Wir halten es für ein wichtiges und zentrales Mittelstandsfördergesetz. Denn ohne die Vorschriften im EEG, ohne den Anspruch, einspeisen zu dürfen und eine Vergütung zu bekommen, würden der Mittelstand und auch die kommunalen Energieversorger in dem Oligopolmarkt, der zudem noch von natürlichen Monopolen in Form der Netze geprägt ist, keine Chance haben, in den Markt zu kommen. Deshalb werden wir das EEG als Mittelstandsschutzgesetz erhalten und verteidigen. ({4}) Es ist - auch das ist angesprochen worden - ein zentrales Technologiefördergesetz. Daher - da gebe ich dem Kollegen Scheer ausdrücklich recht - handelt es sich nicht um Subventionen, auch nicht der Definition nach. ({5}) Ich sage Ihnen auch: Wir werden das noch schmerzlich merken. An der Tatsache, dass die Solarbranche in China im klassischen Sinne subventioniert wird, können wir nichts ändern. Wir können mit dem EEG an der Stelle auch nicht gegensteuern. Denn letztendlich ist das etwas, was marktlich gelöst werden muss. Das EEG wird uns nicht davor bewahren, dass uns die asiatische Konkurrenz hier massiv ins Kontor schlagen wird und dass unsere Unternehmen in der Solarbranche mit einer solchen unfair geförderten Konkurrenz zu kämpfen haben werden. ({6}) Dieses Problem werden auch höhere Fördersätze nicht lösen, weil die Renditen dann an anderer Stelle abgeschöpft werden. Auch das muss man in dieser Deutlichkeit sagen. Jetzt trage ich Ihnen etwas zum Thema Fotovoltaik vor. Es geht darum: … die Degression bei der Fotovoltaik so weiter zu entwickeln, dass einerseits Anreize für noch stärkere Kostensenkungen entstehen und andererseits die Wirtschaftlichkeit beim Betrieb von Solaranlagen weiter gewährleistet wird … Ein verstärkter Ausbau der PV führe über Skaleneffekte und die Einführung neuer Technologien zu Kostensenkungen, die an den Markt weitergegeben werden können und damit die Kosten je erzeugter Kilowattstunde Solarstrom absenken können. - Das ist nicht von mir, sondern - Kollege Fell wird es wissen - aus Ihrem Antrag. Genau das tun wir. Wir passen die Dinge einer marktlichen Entwicklung an. ({7}) Wir tun das, Kollege Hempelmann, wohlüberlegt und abgewogen. Ich kann die Branche nur auffordern, das, was wir in diesem Bereich tun, weiterhin positiv zu begleiten, so wie sie es auch am Anfang der Diskussion getan hat, und zu sagen: Jawohl, wir sind auf einem guten Weg, es gibt Kostensenkungspotenziale, und die angekündigte Netzparität, die dazu führen wird, dass der Strom vom Dach einmal genauso viel kostet wie der Strom aus der Steckdose, ist ein erreichbares Etappenziel. - Ich hoffe, dass die Branche diesen Prozess weiterhin positiv begleiten und sagen wird: Wir wollen etwas tun, damit dieses Thema nicht sozusagen dauerhaft am Tropf hängt. Wir wollen als erstes Etappenziel zumindest dafür sorgen, dass sich der Eigenverbrauch rechnet. ({8}) Erstens. Wir müssen zusichern, dass wir maximalen Vertrauensschutz gewähren. Wir müssen denjenigen, die im Vertrauen auf das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2009 Geld in die Hand genommen und investiert haben, zusichern, dass sie ihre Arbeit unter den damals geltenden Konditionen beenden können. ({9}) Zweitens. Rot-Grün hat seinerzeit auch das Ackerland in das EEG aufgenommen. Weil Rot-Grün damals vor dem Naturschutz Angst hatte, hat man gesagt: Lasst uns die besten Ackerlandflächen verwenden. So können wir eine Debatte mit dem Naturschutz vermeiden. - Wenn wir diese Entscheidung - auch wohlüberlegt und mit Blick auf die Akzeptanz - heute korrigieren, dann können wir auch geeignete Alternativen präsentieren. Wir meinen, dass man auf sinnvolle Art und Weise Fotovoltaikanlagen bauen kann, die die nötige Akzeptanz finden; auch das halte ich für sehr wichtig. ({10}) Drittens. Das Ziel, den Eigenverbrauch auszubauen, ist entscheidend; einen entsprechenden Vorschlag haben wir von der CSU schon im Januar dieses Jahres gemacht. Ich glaube, dass das ein Weg ist, um Verwerfungen in der Branche auszugleichen. Ich möchte klarstellen: Die Union ist beim Ausbau der erneuerbaren Energien kein Hemmnis. Außerdem möchte ich betonen: Die Kernenergie ist es auch nicht. Sie ist es deshalb nicht, weil es einen Einspeisevorrang gibt, an dem wir nicht rütteln werden und der klipp und klar geregelt ist. Die Kernenergie ist kein Hemmnis, weil wir die Kostenersparnis, die die Laufzeitverlängerungen zur Folge haben werden - das ist unstrittig -, verwenden werden, um den Ausbau der erneuerbaren Energien gegenzufinanzieren. Insbesondere ist die Kernenergie auch deshalb kein Hemmnis, weil wir bereit sind, die Zusatzgewinne abzuschöpfen und sie dafür zu verwenden, bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien, ganz besonders mit Blick auf die Forschung, einen Schub auszulösen. ({11}) Ich bitte Sie, noch einmal ernsthaft zu überlegen, ob der Energiemix, den wir vorschlagen, nicht doch sinnvoll ist. Wir haben formuliert: Die Kernenergie ist eine Brücke in einen neuen Energiemix. Ich möchte hinzufügen: eine Brücke in einen Energiemix, den wir heute vermutlich noch gar nicht kennen. Ich bin nach wie vor guter Dinge, dass es zusätzlich zu dem, was wir heute im Energiebereich tun, in Zukunft noch die eine oder andere Erfindung und Entwicklung geben wird, die uns deutlich voranbringen. Nur so können wir das Energieproblem dieser Republik und darüber hinaus auch das international wachsende Energieproblem lösen. Vielen herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Becker von der SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will eines vorwegschicken: Als die SPD die Überlegung angestellt hat, zum zehnjährigen EEG-Jubiläum eine Veranstaltung durchzuführen, waren wir noch in der Großen Koalition; es gab also einen entsprechenden Vorlauf. Wir hätten damals nicht erahnen können, dass hier und heute über die Verlängerung der Laufzeiten und das Abschmelzen der Vergütungssätze für Fotovoltaik diskutiert wird. Wir sind der festen Überzeugung: Beides - das gilt besonders für die Kombination von beidem - wird dem Ausbau erneuerbarer Energien schaden. ({0}) Dass ich diese Feststellung gerade am heutigen Tag treffen muss, ist sehr bedauerlich. Ich muss sagen: Ich habe in unserer gemeinsamen Regierungszeit, die Herr Nüßlein und Frau Dr. Flachsbarth angesprochen haben, durchaus den Eindruck gehabt, dass die Union die Kurve gekriegt hat. ({1}) Da Sie sich darüber wundern, welche Diskussionen heute aufgegriffen werden, will ich Ihnen sagen, was mich verwundert: Sie können doch nicht einen Jubeltag zum Ausbau der erneuerbaren Energien damit beginnen, indem Sie hier Herrn Fuchs eine derartige Rede halten lassen. Dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass Ihnen der Wind derartig ins Gesicht bläst. ({2}) - Das sollen Sie auch. Ich bin Ihnen für Ihre Rede dankbar; denn endlich wird deutlich, wie die Stimmungslage in der Union ist. Es gibt zwar einige Feigenblätter, Herr Nüßlein und Frau Flachsbarth, aber Sie haben gesagt, wohin die Reise im Endeffekt gehen soll. ({3}) Eine weitere Feststellung. Ich komme zurück zum eigentlichen Ereignis: zehn Jahre EEG. Ich spare mir die ganzen Zahlen. Jeder kann anhand der Zahlen den Erfolg des EEG erkennen. Ich möchte vorweg meinen Dank äußern. Wenn man ein Jubiläum von zehn Jahren zu fei2218 ern hat, dann kann man auch Danke sagen. Danke zunächst denen, die hier im Parlament dieses Parlamentsgesetz gemacht haben: Hermann Scheer und Dietmar Schütz aufseiten der SPD, Hans-Josef Fell und die Kollegin Hustedt, die diesem Haus jetzt nicht mehr angehört, aufseiten der Grünen, aber auch durchaus wackere Leute aus den Reihen der CSU, die es schon damals gab, nämlich Josef Göppel, der den Mut hatte, zu sagen: Ja, ich stimme diesem Gesetz zu. Ein Mann mit Weitblick! Ich hoffe, dass er heute nicht wieder genauso in der Minderheit ist wie damals. ({4}) Der Dank gilt aber vor allen Dingen auch den Menschen, die den gesetzlichen Rahmen - mehr konnte der Bundestag nicht setzen - angenommen haben, die investiert und geforscht haben, die als Unternehmer Geld in die Hand genommen und gesagt haben: „Ja, das ist ein Markt der Zukunft“, die Arbeitsplätze geschaffen haben, aber auch denen, die gesagt haben: Ich möchte erneuerbare Energie bei mir zu Hause erzeugen, auf meinem Hof oder wo auch immer. Sie alle haben diese Erfolgsgeschichte mitgeschrieben. Ich möchte natürlich auch denen danken - das muss man auch sagen -, die durch ihre EEG-Umlage über den Strompreis die Finanzierung der Vergütungssätze möglich machen: die Bürgerinnen und Bürger, die Verbraucher. ({5}) - Ich danke natürlich auch dem Handwerk. ({6}) - Aber nicht absichtlich, lieber Jens Koeppen. Es wird immer über den Strompreis diskutiert. Forsa hat im Dezember 2009 eine Umfrage gemacht: 95 Prozent der Deutschen unterstützen den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien. Dann kam die spannende Frage: Soll die Förderung gekürzt werden oder nicht, ist es uns das wert? Sie werden es nicht glauben: Selbst aufseiten der FDP haben 71 Prozent der Befragten gesagt: Nein, wir sind uns dieser besonderen Verantwortung bewusst. Es ist unsere Auffassung, die Förderung soll nicht gekürzt werden. Bei der Union war die Zustimmung mit 73 Prozent sogar noch etwas höher. An dieser Stelle sollten Sie ein bisschen stärker auf Ihre Wählerinnen und Wähler hören. Es würde der Branche wirklich helfen. Sie sagen immer - ich wollte gar nicht so viel über Solarenergie sprechen, das werden wir sicherlich in der nächsten oder übernächsten Sitzungswoche ohnehin noch tun -, Sie wollen für den Verbraucher den Strompreis senken. Das BMU hat eine Berechnung vorgelegt, wie sich denn die vorgesehenen Kürzungsschritte auf einen Privathaushalt auswirken. Dabei kommt es im Jahr 2030 - das ist das Langfristszenario, das Sie ansetzen bei einem durchschnittlichen Haushalt zu einer sensationellen Strompreisreduzierung um 29 Cent im Monat. Herzlichen Glückwunsch, dass Sie dafür bereit sind, die Existenz einer ganzen Branche aufs Spiel zu setzen. ({7}) Wir haben im Gegenzug - Rolf Hempelmann hat es gesagt, und auch ich erkläre es noch einmal - nie gesagt: Wir sind gegen eine Absenkung. Wir haben gesagt: Es gibt ein Potenzial in diesem Markt. Wir wollen, dass dieses Potenzial für alle plausibel und nachvollziehbar ermittelt wird. Von daher sage ich noch einmal deutlich: Wir werden darauf beharren, dass die entsprechenden Sachverständigen zusammenkommen und uns vorrechnen, welche Absenkung vertretbar ist, ohne dass die Branche größeren Schaden nimmt, als sie ohnehin nehmen wird. Dass es eine Marktbereinigung geben wird, darüber sind wir uns völlig einig. Aber helfen Sie doch bitte schön mit, 50 000 Menschen, die in diesem Land im Bereich der Fotovoltaik oder einem ähnlichen Handwerk arbeiten, eine Chance zu geben, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch das BMWi. Wir stehen sicherlich nicht im Verdacht, dass wir das BMWi in irgendeiner Art und Weise beeinflusst haben. Sie wollen doch auch, dass die heimische PV-Industrie ihren technologischen Vorsprung sichert und damit wettbewerbsfähig bleibt. Dafür muss man ihr aber einen gewissen Zeitraum gewähren. Man kann die Förderung nicht binnen eines Jahres um 35 Prozent kürzen. Ich bitte Sie: Helfen Sie, den Beginn zu verschieben und die vorgesehenen Zeiträume zu verlängern! Das würde die Folgen abmildern. Lassen Sie uns gemeinsam und nachvollziehbar einen Satz festlegen, den die Branche verkraften kann. Wir sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, den Arbeitsplatzaspekt zu bedenken. Unser Antrag anlässlich zehn Jahre EEG hat heute leider keine Rolle gespielt. Deswegen will ich zum Schluss sagen: Wir haben den Anlass zehn Jahre EEG genutzt, festzustellen: Viel Gutes ist erreicht, und wir sind auf einem guten Weg. Entscheidend ist aber, dass wir die Erfolge, die das EEG im Strombereich gebracht hat, zum Ansporn nehmen, jetzt auch in den anderen Sektoren, in denen wir von den Zielen weit entfernt sind, ähnlich engagiert und erfolgreich zu arbeiten. Ich will an dieser Stelle die Bedeutung des Wärmebereiches herausstellen: Über 50 Prozent des Energieverbrauchs entfallen auf den Wärmebereich. Die angepeilten Ziele im Wärmebereich, liebe Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, werden wir mit den vorhandenen Instrumenten nicht erreichen; wir werden diese Potenziale nicht heben. Ich bitte, den Schwerpunkt der Diskussion - abseits der Diskussion über Kernenergie versus PV - auf Wärme und Energieeffizienz zu legen. Wir brauchen für den Wärmebereich schnellstmöglich eine ambitionierte Gesetzgebung; ansonsten werden wir unsere Ziele bei weitem nicht erreichen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Meierhofer von der FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sieht, wie die älteren Kolleginnen und Kollegen aus der guten alten Zeit erzählen, bekommt man das Gefühl, man sieht eine History-Sendung von Guido Knopp. ({0}) Natürlich kann man an Sternstunden erinnern, und wir sind uns einig, dass das EEG gute Effekte hatte. Die FDP hat sich dem auf meine Anregung hin angeschlossen. Das EEG hatte aber auch negative Effekte. Auch auf diese sollten wir eingehen. Wir dürfen, wenn wir überlegen, wie wir uns die Zukunft vorstellen, nicht verklären, was in der Vergangenheit passiert ist; das halte ich für das Entscheidende. ({1}) Es hat mir gut gefallen, Herrn Scheer heute einmal zu hören. Er ist ja, wie man regelmäßig hört, einer der Väter des EEG. Ich habe ihn in der täglichen Arbeit des Umweltausschusses in den letzten vier Jahren lediglich einmal - bei einer Sitzung zu IRENA - zu dieser Thematik reden hören. Ich fände es wichtig, dass sich diejenigen, die hier anklagen oder versuchen, Zwietracht zwischen den Parteien zu säen, auch an der Arbeit beteiligen. Dann kann man über das, was man will, reden. ({2}) Der Koalition geht es darum, das EEG weiterzuentwickeln. Der Vorwurf, wir machten die Branche kaputt, ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall: Nur dadurch, dass wir helfen, effizienter zu werden, können wir diese Technologien nach vorne bringen, können wir dafür sorgen, dass die Innovationen vorangetrieben werden. Innovationen entstehen nicht, wenn die Firmen weiter ohne Anstrengungen mit zweistelligen Renditen rechnen können. Das kann im Übrigen nicht der Sinn der Förderung erneuerbarer Energien sein. ({3}) Ich sage Ihnen auch, warum. Es ist nicht so, dass ich denen, die in diesen Bereich investieren, die Rendite nicht gönnen würde. Es ist vielmehr so, dass man feststellen muss, dass es Menschen gibt, die den erneuerbaren Energien kritischer gegenüberstehen als noch vor zwei oder drei Jahren. Das kann nicht unser Ziel sein. Unser Ziel muss sein, dass die Nutzung der erneuerbaren Energien maximal ausgebaut wird. Dies wird dann erreicht, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher das Gefühl haben, dass mit ihrem Geld vernünftig umgegangen wird. Dieser Gedanke ist in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. ({4}) In dem Antrag der Grünen habe ich ein paar Punkte gefunden, die mir nicht logisch erscheinen. Einen möchte ich gleich ansprechen: Frau Höhn hat gesagt, dass große Grundlastkraftwerke und dezentrale Lösungen für die Gewinnung erneuerbarer Energien nicht zusammenpassten. ({5}) Die Netze verstopften. Wir verhinderten den Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien, wenn deren Einspeisung nicht flexibel genug geregelt werden könne. Herr Kauch hat darauf hingewiesen, dass sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Einspeisevorgang bezieht. So ist es. Alles andere müssen die Energieversorger entscheiden. Es ist doch nicht unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass mit jedem Energieträger an jeder Stelle zu jedem Zeitpunkt effizient Energie erzeugt werden kann. Zu entscheiden, wo wann wie Energie erzeugt wird, ist Aufgabe der Energieversorger. Es gibt genügend Ideen - übrigens auch für Kohle und Kernkraft -, wie man sich schneller und flexibler der Last anpassen kann. ({6}) Wenn Sie gegen Großkraftwerke sind, dann müssen Sie gegen Offshore-Windparks sein, und dann müssen Sie gegen große zentrale Anlagen wie Desertec sein. Bei solchen Anlagen sind Sie mindestens so unflexibel, wie Sie es uns zu sein vorwerfen. Aber das eine sind eben Wind und Fotovoltaik, während das andere Kohle und Kernkraft sind. Pauschal das eine für gut, das andere aber für schlecht zu halten, ist inhaltlich bestimmt nicht fundiert. ({7}) Sie sprechen von Rechtssicherheit und weisen darauf hin, dass wir den Menschen hier Vertrauensschutz geben müssen. Ja, das müssen wir. Vertrauensschutz bedeutet aber doch nicht, dass man überfördert. Wir dürfen nicht überfördern, weil wir damit auch die Akzeptanz in der Bevölkerung - das ist mein zentraler Punkt - aufs Spiel setzen. Wir müssen bei der Windkraft in Zukunft das Repowering verstärken. ({8}) Wir müssen Kleinigkeiten verbessern und beispielsweise darauf hinwirken, im Rahmen der Befeuerungspflicht Transponder einzusetzen. Diese kleinen Verbesserungen können zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen. Wir müssen dazu kommen, dass wir zum Beispiel den Anteil der Fotovoltaik am Gewerbesteueraufkommen genauso vor Ort verteilen können, wie es auch bei der Windkraft der Fall ist. Diejenigen, die den Nachteil erleiden, sollen auch die Vorteile haben. ({9}) Dies muss bei der nächsten großen Novelle geschehen. Das muss das EEG in Zukunft leisten. Es geht nicht darum, darzustellen, was man in den letzten Jahren Tolles geleistet hat, sondern darum, in der Zukunft Erfolge zu erreichen. Auch bei der Geothermie müssen wir aktiv werden. Ist es nicht so, dass es beispielsweise in Wiesbaden Probleme gibt, weil die Menschen Angst haben, infolge der Nutzung von Geothermie könnten Mauern einstürzen? Dort müssen wir aufklären. Wir müssen einen Geothermie-Atlas erarbeiten, entsprechende geologische Untersuchungen durchführen und beispielsweise die Konkurrenzen mit CCS auflösen. ({10}) Diese Aufgabe ist von uns zu lösen. Das müssen wir in der Zukunft leisten. Man darf nicht versuchen, die anderen zu diskreditieren und zu erklären, wie toll man in der Vergangenheit war. Damit kommen Sie bestimmt nicht weiter. Dadurch wird nur die Akzeptanz verkleinert. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, heute als letzte Rednerin den Sack zumachen zu können; denn wir sind hier, um das EEG zu würdigen. Deutlicher, als wir es im Koalitionsvertrag getan haben, kann man das EEG gar nicht würdigen. Es bleibt für uns das Schlüsselinstrument für den erfolgreichen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. ({0}) Damit ist und bleibt es auch das Schlüsselinstrument für die Erreichung unserer zentralen Klimaziele und zum Umstieg von der CO2-basierten Energieversorgung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. ({1}) Die Erfolge des EEG können sich sehen lassen. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung beträgt heute bereits 16 Prozent. Mit den erneuerbaren Energien haben wir allein im Jahr 2007 - dafür liegen gesicherte Zahlen vor - rund 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in CO2-Äquivalenten eingespart. Anlagen und Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien sind ein deutscher Exportschlager. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind auch Tausende Arbeitsplätze entstanden. Insoweit sind zehn Jahre Erneuerbare-Energien-Gesetz in der Tat ein Anlass, diese Erfolge noch einmal deutlich zu machen. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass das EEG zwar seit zehn Jahren unter diesem Namen existiert, dass allerdings die Union und die FDP mit dem Stromeinspeisegesetz den gleichen Ansatz zur Förderung der erneuerbaren Energien bereits im Jahr 1990 eingeführt haben. ({2}) Meine Damen und Herren, nichts ist so gut, als dass man es nicht noch verbessern könnte. Das trifft auch auf das EEG zu. Ein Erfolgskriterium für politische Steuerungsinstrumente ist sicher die Effektivität. Ein noch wichtigeres ist allerdings die Effizienz. Bei der Effizienz, also dem Erreichen der Ziele mit möglichst geringem finanziellen Aufwand, gibt es Defizite, die wir beseitigen müssen. Das Hauptproblem im EEG lässt sich sehr einfach darstellen. Die Verbraucher zahlen für die Entwicklung der Fotovoltaik derzeit unnötig viel Geld. Genau deshalb haben wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, in diesem Bereich der erneuerbaren Energien kurzfristig Anpassungen der Förderung vorzunehmen. Bei dieser Anpassung gibt es zwei zentrale Vorgaben: erstens die Entlastung der Bürger von unnötig hoher Einspeisevergütung und zweitens die Sicherung der Entwicklungsbedingungen für die Branche. Beiden Vorgaben gleichzeitig zu entsprechen, ist nicht einfach. Wir sind hier aber auf einem guten Weg. Meine Damen und Herren, allen, die sich in der Diskussion gern schnell auf die Seite der Anlagenhersteller schlagen und meinen, mit möglichst großzügiger Vergütung würde viel erreicht, will ich ganz deutlich sagen: Die hohe Förderung der Fotovoltaik in Deutschland hat dazu geführt, dass im Jahre 2009 die Hälfte der hier installierten Module importiert war. Der Umfang der Produktion von Modulen im Inland ist im gleichen Jahr kaum noch gewachsen. Die hohe Einspeisevergütung hat also dazu geführt, dass die Innovationsdynamik der Hersteller in Deutschland deutlich nachgelassen hat. Ausländische Anbieter, zum Beispiel aus China, können wachsende Marktanteile für ihre billigeren Solarpaneele verbuchen. Wir wollen dem Bereich erneuerbare Energien Entwicklungschancen geben. Wir sind dazu bereit, die Marktdurchdringung zu unterstützen. Ungerechtfertigt hohe Dauersubventionen - Herr Scheer, ob sie nun Subventionen heißen oder nicht, ist egal; Kosten für die Bürger sind das allemal - helfen aber niemandem. ({3}) Wer dem Bereich Fotovoltaik wirklich helfen will, wer die notwendigen Innovationen anstoßen will, wer die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Paneelhersteller sichern will, wer Arbeitsplätze in diesem Bereich erhalten und schaffen will und wer das EEG auch weiterhin als Steuerungsinstrument für die Entwicklung der erneuerbaren Energien behalten will, der muss die Einspeisevergütung so ausgestalten, dass eine wirtschaftliche Motivation für Effizienzsteigerungen bewirkt wird, und der muss mit notwendigen Änderungen gleichzeitig dafür sorgen, dass die Akzeptanz des EEG insgesamt und auch die Akzeptanz der erneuerbaren Energien insgesamt bei den Verbrauchern erhalten bleiben. Nur derjenige, der sich verändert und auf Entwicklungen reagiert, wird erfolgreich bleiben. Das gilt auch hinsichtlich des EEG. Nicht nur ein effizientes EEG ist eine Voraussetzung für den Ausbau erneuerbarer Energien. Um die Erneuerbaren wie geplant zu einer entscheidenden Säule der Energieversorgung zu entwickeln, muss eine Integration in das Stromversorgungssystem erfolgen. Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit der Energiebereitstellung für Bürger und Unternehmen bleiben dafür Grundsätze. Genau aufgrund dieser beiden Grundsätze ist es erforderlich, dass wir den heutigen Energiemix so entwickeln, dass bestehende Vorteile von Energieträgern wie Kohle, Kernenergie und Gas für die Integration der Erneuerbaren genutzt werden. Diese Vorteile sind: vergleichsweise günstige Preise, Grundlastfähigkeit und die Möglichkeit zur Bereitstellung von Regelenergie. Insoweit unterstützen wir die Entwicklung der erneuerbaren Energien mit unserem aktuellen Energiemix. Diese Unterstützung der erneuerbaren Energien ist auch bis auf Weiteres noch erforderlich, zumindest so lange, bis es für die erneuerbaren Energien ein angemessenes Preisniveau gibt und bis durch Speichertechnologien, die eine Speicherung in ausreichendem Umfang sicherstellen, ein dauerhaft verlässliches Stromangebot aus Erneuerbaren ermöglicht wird. Das richte ich ganz besonders an die Adresse von Herrn Fell. ({4}) Insoweit ist das Ausspielen von Kohlestrom und Kernenergie gegen die Erneuerbaren nicht nur sachlich falsch, sondern auch ein durchsichtiges ideologisch motiviertes Manöver, um bis auf Weiteres wichtige Energieträger in Deutschland zu diskreditieren. Durch den Versuch, Kernenergie und Kohle gegen die erneuerbaren Energien auszuspielen, wird der Entwicklung der erneuerbaren Energien nicht geholfen, sondern geschadet. Man gibt den erneuerbaren Energien damit eine Rolle in der Energieversorgung, die bis heute noch nicht ausgefüllt werden kann. Man kann „leider“ dahinter sagen, aber es funktioniert halt noch nicht. In unserer Verantwortung liegen Klimaschutzverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit. Das sind unsere Maßstäbe für die Energieversorgung. Anhand dieser Maßstäbe wird zu entscheiden sein, welcher Energieträger welche Rolle im Energiemix Deutschlands haben muss. Ich sage Ihnen schon heute: Es wird nur gemeinsam mit der Kohle und nur mit der Kernenergie funktionieren. Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, Ihre Anträge sind weniger ein Beitrag für die Entwicklung der erneuerbaren Energien, Ihr wahres Ziel ist vielmehr der Angriff auf andere Energieträger. Genau deshalb lehnen wir die Anträge ab. ({5}) Wer einmal mehr Ideologie vor Sachverstand setzt, der vernichtet wirtschaftliches Vermögen, gefährdet den Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze, ({6}) macht Deutschland zu einem politisch erpressbaren Energieimporteur und gefährdet den sozialen Frieden, weil die daraus resultierenden Kostensteigerungen letztlich durch die Bürger getragen werden müssen. Der Umbau der Energieversorgung, die Veränderung des Energiemix, muss ein evolutionärer Prozess sein. Genau diese evolutionäre Entwicklung wird durch das in Arbeit befindliche Energiekonzept der Bundesregierung erreicht. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/778 und 17/799 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2008 ({1}) - Drucksachen 16/12200, 17/591 Nr. 1.6, 17/713 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer ({2}) Christoph Schnurr Paul Schäfer ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Redezeit des Wehrbeauftragten nicht einbezogen ist. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Reinhold Robbe. Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich gleich zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt kommen werde, nämlich zum Jahresbericht für das Jahr 2008, gestatten Sie mir bitte einige wenige Bemerkungen zu einem aktuellen Thema, das insbesondere in dieser Woche den Verteidigungsausschuss, aber auch die gesamte Öffentlichkeit unseres Landes beschäftigt hat. Ich meine damit die Schilderungen eines ehemaligen Rekruten aus der Bundeswehr - genauer gesagt, aus dem Bundeswehrstandort Mittenwald - über, wie ich es bewerte, geschmacklose Rituale, die nicht nur gegen das Prinzip der Inneren Führung verstoßen, sondern auch straf- und dienstrechtliche Auswirkungen haben können. Nach dieser Eingabe des ehemaligen Obergefreiten, der heute gar nicht mehr in der Bundeswehr ist, der ausgeschieden ist, haben sich weitere ehemalige und aktive Soldaten an mich gewandt. Bis zum heutigen Tage, bis dato, liegen mir insgesamt 93 Zuschriften zu diesem Themenbereich vor. Dabei handelt es sich vorrangig um Meinungsäußerungen und Schilderungen eigener Erlebnisse in früheren Jahren und - zum Teil sehr weit zurückgehend - auch aus früheren Jahrzehnten. Als Zwischenergebnis, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich heute an dieser Stelle Folgendes feststellen: Die zuständigen Disziplinarvorgesetzten haben, insbesondere auf der Bataillons- und auf der Brigadeebene, unmittelbar gehandelt, nachdem ich beim Gebirgsjägerbataillon 233 in Mittenwald um Prüfung der Vorgänge gebeten hatte. Für ein Resümee oder für grundsätzliche Aussagen ist es allerdings heute noch zu früh, weil diese Überprüfungen noch nicht abgeschlossen sind. Sie gestalten sich zum Teil auch sehr schwierig, insbesondere wenn die Vorfälle Jahre oder sogar Jahrzehnte zurückliegen. Es wird auch nur teilweise gelingen, die in den Zuschriften beschriebenen Vorkommnisse ähnlicher und anderer Art ganz aufzuklären. Je länger sie zurückliegen, desto schwieriger wird es sein, Sachverhalte und beteiligte Personen zu ermitteln. Mit Sorge nehme ich allerdings zur Kenntnis, dass sich die beschriebenen Rituale offensichtlich im Laufe von etlichen Jahren abseits von öffentlicher Wahrnehmung entwickelt haben und erst heute eher zufällig, durch die Zuschrift eines einzelnen Soldaten, bekannt wurden. Äußerst bedenklich erscheint mir die Tatsache, dass Vorgesetzte von den Ritualen wussten und die gefährlichen Geschmacklosigkeiten entweder duldeten oder einfach darüber hinwegsahen. Beides wäre aus meiner Sicht zumindest inakzeptabel. Trotz der beschriebenen Vorkommnisse wäre es jetzt aber vollkommen falsch - ich betone dies ausdrücklich -, die gesamte Bundeswehr einem Generalverdacht auszusetzen. Dafür besteht überhaupt kein Grund. Unsere Soldatinnen und Soldaten in allen Teilstreitkräften bewähren sich im Truppenalltag und im Einsatzland. Ich sage das besonders vor dem Hintergrund der heutigen Debatte über den ISAF-Einsatz in Afghanistan. Unsere Soldaten müssen sich auch im internationalen Vergleich nicht verstecken. Gerade deshalb ist es wichtig, die Vorkommnisse so schnell und gründlich wie möglich aufzuklären und danach die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Eines gebe ich allerdings zu bedenken: Die in einer sogenannten Zentralen Dienstvorschrift ausführlich beschriebenen Grundsätze der Inneren Führung dürfen nicht nur auf dem Papier stehen. Die Soldaten müssen auch danach leben und vor allen Dingen handeln. Es bedarf dringender als je zuvor der Prüfung, ob neben allen sach- und funktionsbezogenen Ausbildungsgebieten noch genügend Raum für jene für das Vertrauen und den inneren Zustand so wichtigen Fragen bleibt, die ich unter folgenden Stichworten zusammenfassen möchte: Sozialisierung, fürsorgliche Dienstaufsicht, Kommunikation untereinander und Fragen der Menschenführung. Auch in diesem Jahr deuten die Eingaben, die Erkenntnisse anlässlich der Bearbeitung und die Äußerungen in vielen Begegnungen mit unseren Soldatinnen und Soldaten auf erheblichen Handlungsbedarf in diesem Bereich hin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich vor dem Hintergrund der beschränkten Zeit noch einige ganz wenige Aspekte meines Jahresberichtes 2008 im Lichte der Stellungnahme des Verteidigungsministeriums näher beleuchten. Stichwort Auslandseinsätze: Das Ministerium widerspricht nach meiner Einschätzung in keinem wesentlichen Punkte den von mir beschriebenen Defiziten. Es fehlen jedoch beim Zulauf geschützter Fahrzeuge - ein sehr wichtiger Punkt -, bei der Vorausbildung, insbesondere der Fahrerausbildung sowie der Sprachausbildung, konkrete Zusagen in Bezug auf eine zügige Abhilfe. Da muss nachgebessert werden, damit gerade mit Blick auf das, was im Moment an Strukturveränderungen bezüglich des Einsatzes in Afghanistan stattfindet, alles getan wird, was auch für den Schutz der Soldatinnen und Soldaten absolut notwendig ist. Dies gilt insbesondere für meine Kritik bezüglich der Telekommunikationseinrichtungen, die ich Jahr für Jahr in meine Berichte aufnehmen musste. Die in Aussicht genommene Ausschreibung mit dem Ziel einer Verbesserung für Soldatinnen und Soldaten kommt einfach nicht voran. Auch hier wäre ich sehr dankbar, wenn pragmatisch entschieden würde, wohin man will und wer das in Zukunft verantwortlich machen soll. Stichwort Führung und Ausbildung: Nach meiner Auffassung ist meine Kritik an Unzulänglichkeiten der Ausstattung ebenso wie die Kritik am hohen Administrationsaufwand in der Stellungnahme des Ministeriums nicht widerlegt. Damit die Vorgesetzten sich wirklich der Führungsaufgabe widmen können, bedarf es einer Analyse der bürokratischen Aufgaben nach Nutzen und Aufwand. Das muss ganz klar durchdekliniert werden. Wehrbeauftragter Reinhold Robbe Stichwort Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Bundeswehr: Ich bin dankbar, dass das Ministerium ausdrücklich meine Einschätzung der Bedeutung des demografischen Wandels und der damit verbundenen weiteren Verschärfung des Wettbewerbs um qualifiziertes Personal teilt. Hierzu sind Konzepte entwickelt worden, die jetzt allerdings mit Leben erfüllt werden müssen. Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Dienst: Es genügt nicht, die Bedeutung der Thematik in Absichtserklärungen verbal hervorzuheben. Das Thema ist zu wichtig, als dass es nur in Konzepten und Papieren gepriesen werden kann. In Sachen Kinderbetreuung ist ebenso mehr zu veranlassen wie bei Teilzeit und bei Telearbeitsplätzen. Stichwort Wehrpflicht: Ich denke, dass meine Ausführungen unter dem Stichwort „Sinnvolle Dienstgestaltung“ und die aktive Inangriffnahme des Problems Gammeldienst entgegen der Stellungnahme durchaus einen hohen Stellenwert haben und bei der bevorstehenden Debatte über die Verkürzung des Wehrdienstes eine noch größere Bedeutung erfahren sollten. Stichwort Sanitätsdienst: Der Sanitätsdienst kann mit Fug und Recht als das, wie ich finde, größte Sorgenkind angesehen werden, sowohl was die truppenärztliche Versorgung als auch was die Bundeswehrkrankenhäuser betrifft. Erste Maßnahmen sind ergriffen, um dem Ärztemangel zu begegnen, was aber zugleich auch zu großem Unmut bei den Sanitätsoffizieren insgesamt geführt hat. Hinsichtlich der Bundeswehrkrankenhäuser bestätigt das Ministerium die Engpässe, die zu Einschränkungen in der Leistungserbringung führen. Das Ministerium bestätigt auch, dass die zunehmend problematische Besetzungslage die regionalen Sanitätseinrichtungen vor sehr harte Belastungsproben stellt. Sehr kritisch sehe ich nach wie vor die Behandlung der PTBS-Erkrankten, also posttraumatischen Belastungsstörungen ausgesetzten Soldaten, und hier im Besonderen die Umsetzung der Forderung des Bundestages nach Schaffung eines Traumazentrums, das seinen Namen wirklich verdient. Zu nennen sind hier zudem die personellen Vakanzen bei den Fachärzten für Psychiatrie, die nach meiner Einschätzung nicht durch die Zusammenarbeit mit zivilen Behandlungseinrichtungen ausreichend kompensiert werden können. Lassen Sie mich ganz aktuell dazu sagen, ohne dass ich öffentlich Geheimnisse preisgebe, dass sich der Verteidigungsausschuss in seiner jüngsten Sitzung sehr ausführlich mit der optimalen Versorgung der PTBS-erkrankten Soldaten beschäftigt hat. Nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung sind wir hier auf einem guten Weg. Ich darf mich ganz herzlich für die diesbezügliche Unterstützung bedanken. Letztes Stichwort Infrastruktur: Es sind zweifellos Fortschritte bei der Sanierung gemacht worden, aber - das bestätigt auch das Ministerium - die Verfahrensabläufe, namentlich die personellen Knappheiten bei den Landesbaubehörden, verhindern das wirklich Notwendige. Hier muss vernünftig zusammengewirkt werden, damit wir insgesamt weiterkommen. Ich könnte noch viel mehr sagen, auch zum Thema Pendlerunterkünfte, und viele andere Stichpunkte nennen. Ich bitte um Nachsicht, dass das aus Zeitgründen an dieser Stelle nicht möglich ist. Lassen Sie mich aber abschließend eines sagen: Ich will an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten - einige sind heute als Zuhörer anwesend - ganz herzlich für ihren schweren und, wie ich finde, auch sehr anspruchsvollen und gefahrvollen Dienst danken. ({4}) Meine guten Wünsche begleiten alle im Einsatz verwundeten Soldaten. Mein ganz besonderes Mitgefühl gehört den Familien und Kameraden der gefallenen Soldaten sowie der verunglückten oder auf andere Weise ums Leben gekommenen Soldaten und Bundeswehrangehörigen. Dank sage ich zu guter Letzt auch allen Mitgliedern des Verteidigungsausschusses und dem Bundesminister der Verteidigung, der militärischen und politischen Bundeswehrführung für das vertrauensvolle Zusammenwirken. Nicht zuletzt will ich auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für die ausgezeichnete Unterstützung danken. Ich darf mich ganz besonders beim Präsidenten dafür bedanken, dass er mir gestattet hat, eine Minute länger zu reden, als ich eigentlich durfte. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das war gar nicht meine Absicht, aber ich denke, es ist trotzdem in Ordnung. Das Wort hat nun Kollegin Anita Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Meldungen über Vorkommnisse wie in Mittenwald verdecken in der öffentlichen Wahrnehmung leider etwas den Blick auf die wichtige Alltagsarbeit des Wehrbeauftragten, obwohl letztere viel mehr Soldaten betrifft. Auch 2008 machten Probleme des dienstlichen Umgangs und Personalangelegenheiten erneut einen großen Teil der Eingaben aus, ohne dass die Einzelfälle ein großes mediales Echo erfuhren. Dies hat sich über die bisher 50 Berichte hinweg wenig geändert. Es geht in diesen Berichten daher zumeist um Dinge, die nicht primär materieller Natur sind. Die Klagen über die materielle Ausstattung der Truppe fallen nach meinem Eindruck gerade in den letzten Jahresberichten ge2224 Anita Schäfer ({0}) ringer aus. Es lassen sich also durchaus positive Trends ablesen. Teilweise haben hier bereits die in der letzten Legislaturperiode eingeleiteten Maßnahmen gegriffen. Es besteht aber noch kein Anlass, sich zurückzulehnen. Beispielsweise ist der Mangel an geschützten Fahrzeugen in Afghanistan geringer geworden. Derzeit sind dort fast 1 000 geschützte Fahrzeuge im Einsatz. Wenn wir jetzt aber die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung umsetzen, wenn mehr Soldaten häufiger außerhalb der Feldlager eingesetzt werden, dann muss auch die Ausstattung daran angepasst werden. Wir von der Koalition werden die notwendigen Maßnahmen weiterführen und vollständig umsetzen, sowohl in den entsprechenden Ausschüssen als auch - da bin ich mir ganz sicher - in den Ministerien. Allein in diesem Jahr werden rund 180 neue geschützte Fahrzeuge zulaufen, natürlich auch, um Ausfälle zu ersetzen. Es nützt übrigens nichts, wenn Löcher gestopft werden und sich dadurch das nächste auftut. Ein Beispiel dafür sind die im Bericht monierten Defizite bei den Übungen mit Handwaffen. Mittlerweile ist gerade die Schießausbildung den Einsatzerfordernissen angepasst worden. Das heißt dann allerdings auch, dass man für ausreichend Munition sorgen muss. Ich bin sicher, dass die Bundesregierung unserem gerade beschlossenen Antrag nachkommen wird, eine angemessene Bevorratung mit Munition und anderen Verbrauchsgütern sicherzustellen. Das vielleicht am eindringlichsten beschriebene Problemfeld im Jahresbericht 2008 betrifft den Sanitätsdienst. Die dortige schwierige Situation haben bereits die vorhergehenden Berichte immer wieder hervorgehoben. Dabei geht es einerseits um die Personallage und andererseits um die strukturellen Bedingungen dieser Truppengattung, die mit am stärksten durch Einsätze belastet ist. Beide Bereiche sind natürlich miteinander verbunden. Ziel muss sein, den Sanitätsdienst attraktiver und zugleich effektiver zu gestalten. ({1}) Es freut mich, dass diese Aufgabe mittlerweile zielgerichtet angegangen wurde. Wir haben bereits einige Maßnahmen eingeleitet. Dazu gehören die Verstärkung der Personalwerbung, die Aufstockung der Zahl der Medizinstudienplätze für die Bundeswehr, eine bessere klinische Ausbildung durch ein Tutoren- und Mentorensystem, die frühere Weiterbildung zum Facharzt und eine größere Flexibilität bei der Stellenbesetzung, wenn Elternzeit in Anspruch genommen wird. Diese größere Flexibilität gilt ebenso für die Gewinnung von Zeitarbeitspersonal und künftig auch für die Teilzeitbeschäftigung. Wichtig ist zudem die Verbesserung der materiellen Attraktivität im Vergleich zum zivilen Arbeitsmarkt. Die monatliche Stellenzulage von 600 Euro für Fach- und Rettungsmediziner konnte da nur erste Hilfe sein. Wir wollen eine dauerhafte Besserstellung bei den Einkünften, auch für Bereitschaftsdienste und Privatbehandlungen. Auf der Strukturseite streben wir eine Zentralisierung der Führung der Bundeswehrkrankenhäuser an. Vorhandene Ressourcen müssen effektiv genutzt werden. Das betrifft übrigens nicht nur den Sanitätsdienst. Wir müssen einmal überprüfen, wie sich die Balance zwischen Kopf und Gliedern in der gesamten Bundeswehr in den letzten zehn oder zwölf Jahren entwickelt hat. Deswegen wollen wir schnellstmöglich die im Koalitionsvertrag vereinbarte Strukturkommission einsetzen, damit bereits bis Ende dieses Jahres Eckpunkte einer neuen Organisationsstruktur vorliegen. Wir erwarten mit Interesse die Empfehlungen, die die Kommission hierzu aussprechen wird. Der Wehrbeauftragte hat eben auf die erneute Steigerung der Zahl der Fälle von Posttraumatischer Belastungsstörung wie auch von anderen einsatzbedingten psychischen Erkrankungen hingewiesen. Im Jahr 2009 hat sich die Zahl der Fälle von PTBS - Posttraumatischer Belastungsstörung - gegenüber dem Berichtsjahr 2008 nochmals erhöht, von 226 auf 418. Dies ist natürlich zum Teil auf den sensibleren Umgang mit der Problematik in der Truppe zurückzuführen, aber auch auf die bessere Aufklärung der Soldaten und ihre erhöhte Behandlungsbereitschaft. Die Bedeutung von angemessenen Möglichkeiten der Diagnose und Behandlung wurde erkannt. Allerdings befinden sich die entsprechenden Kapazitäten noch im Aufwuchs, sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch im Rahmen des Psychosozialen Netzwerkes. Wir brauchen insbesondere eine Institution, in der die Kompetenz zur Behandlung von PTBS auf nationaler Ebene gebündelt wird. Die Einrichtung eines solchen Traumazentrums hat für die Koalition höchste Priorität. Auch dafür muss es natürlich die notwendigen Mittel geben. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir alle gemeinsam am Mittwoch im Verteidigungsausschuss dieses Vorhaben fraktionsübergreifend unterstützt haben. Herzlichen Dank dafür. ({2}) Demnächst schon steht die Veröffentlichung des Berichts für 2009 an. Ich sehe ihm mit Interesse, aber auch mit etwas größerer Sorge als sonst entgegen. Dabei denke ich besonders an einen Punkt, den ich schon in der ersten Beratung hervorgehoben habe, nämlich den Wunsch der Soldaten nach mehr Ansehen und Unterstützung in der Gesellschaft. ({3}) Nicht, dass an der Bundeswehr und ihren Soldaten keine Kritik geübt werden dürfte - das will keiner; damit beschäftigen schließlich auch wir uns jedes Mal, wenn wir den Bericht des Wehrbeauftragten behandeln -, aber bitte auf der Grundlage von Fakten und nicht wegen der Auflage oder aus politischem Kalkül. Bei vielen Soldaten entsteht aber genau dieser Eindruck. Das ist mir in Gesprächen in der letzten Zeit immer wieder deutlich geworden. Das kann für die Stimmung in der Truppe nicht gut sein. Deswegen hoffe ich, dass sich der öffentliche Anita Schäfer ({4}) Umgang mit den Leistungen unserer Soldaten im Einsatz zum Positiven entwickelt. ({5}) Ich wünsche mir, dass der Bericht des Wehrbeauftragten für das nächste Jahr dieses feststellen kann und dass die Soldaten mit der Wertschätzung zufrieden sind, die sie dann erfahren. Das wäre eine wirklich gute Nachricht. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Karin Evers-Meyer für die SPDFraktion.

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Herr Wehrbeauftragter! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundeswehr hat sich zu einer Einsatzarmee entwickelt, und diese Entwicklung spiegelt sich im 50. Jahresbericht des Wehrbeauftragten wider. Ich danke Reinhold Robbe, dass er mit großer Sorgfalt und sehr anschaulich dargestellt hat, vor welchen Herausforderungen die Truppe derzeit steht. Das Jahr 2008, auf das sich dieser Bericht bezieht, war für die Bundeswehr von drei großen Herausforderungen geprägt. Da ist zum einen die Transformation der Streitkräfte im Inland, die nach wie vor viel Einsatz und Fingerspitzengefühl erfordert. Zum anderen steigen die Anforderungen an die Bundeswehr als Arbeitgeber. Mehr und mehr sieht sich die Bundeswehr gefordert, als attraktiver Arbeitgeber um geeignetes Personal zu werben. Schließlich, drittens, war 2008 ein Berichtsjahr, in dem die Zahl und die Intensität der Auslandseinsätze nochmals ausgeweitet wurden. Insgesamt waren es 6 600 Soldatinnen und Soldaten, die der Bundestag 2008 in Auslandseinsätze entsandt hat. Dazu zählten neben den großen Kontingenten wie dem ISAF-Einsatz in Afghanistan mit rund 4 500 Soldatinnen und Soldaten auch kleinere Missionen, die wir manchmal ein wenig aus unserem Bewusstsein verdrängen, etwa im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina. Es gab 2008 noch ein Novum, als sich die Bundeswehr im Rahmen von „Atalanta“ mit bis zu 1 400 Soldatinnen und Soldaten an einer rein EU-geführten Operation beteiligte. Wenn man die Truppe im Einsatz besucht, so wie es auch der Wehrbeauftragte regelmäßig macht, dann lernt man die große Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten kennen. Man spürt aber auch den Druck und die ständige Anspannung, denen diese Frauen und Männer tagtäglich ausgesetzt sind. Wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, können auf die Arbeit unserer Parlamentsarmee stolz sein. Das sollten wir auch in der Öffentlichkeit noch deutlicher machen. ({0}) Als Auftraggeber der Bundeswehr macht sich niemand von uns die Entscheidung über die gefährlichen und anspruchsvollen Einsätze der Bundeswehr im Ausland leicht. Umso mehr müssen uns auch die im Jahresbericht 2008 geäußerten Beschwerden aus der Truppe bedenklich stimmen; denn diese Beschwerden beziehen sich zu einem großen Teil auf Defizite bei der Planung und Durchführung der Einsätze. Im Bericht findet man zahlreiche Darstellungen von Soldatinnen und Soldaten, die monieren, dass sie zu spät oder nur unzureichend über ihre anstehenden Auslandseinsätze informiert worden sind. Man liest dort auch von kurios anmutenden Anordnungen im Einsatz selbst wie dem „Obergrenzenurlaub“ beim ISAF-Kontingent. Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch darauf, planbar und verlässlich über ihre Einsatzverwendung informiert und während der Einsätze gut betreut zu werden. Es ist gut, dass der Wehrbeauftragte dieses berechtigte Anliegen in seinen Bericht aufnimmt. Wir fordern das Verteidigungsministerium nachdrücklich auf, diese oftmals vermeidbaren Missstände bei Einsätzen im Ausland abzustellen. Die Betreuung darf am Ende des Einsatzes natürlich nicht aufhören. Ich glaube, dass Deutschland - ich weiß das auch aus meiner Arbeit in der letzten Legislaturperiode - nach wie vor nicht ausreichend auf die Versorgung von vor allem psychisch verletzten Soldatinnen und Soldaten eingerichtet ist, deren Zahl spürbar gestiegen ist. Der Wehrbeauftragte bemängelt in seinem Bericht, dass es immer noch viel zu wenige Anlaufstellen für die Betroffenen gibt. Damit das ganz klar ist: Wir werden es nicht zulassen, dass hier irgendetwas weggedeckelt oder gar stigmatisiert wird, was vielleicht nicht zum Bild des unverletzlichen Soldaten passt. Die Bundeswehr benötigt mehr Fachpersonal, um psychische Erkrankungen besser behandeln zu können. Darüber hinaus muss in der Truppe offensiv über psychische Störungen infolge von Einsätzen aufgeklärt werden. Das erwarte ich von einer Armee, die transparent sein will und sich dem Leitbild der Inneren Führung verpflichtet sieht. Noch ein Wort zur Transformation und zur Attraktivität der Bundeswehr. Die Transformation der Bundeswehr war im Berichtsjahr Anlass zu vielen Beschwerden. Bemängelt wurde eine deutlich schlechtere Betreuung von Soldatinnen und Soldaten, vor allem bei der sanitätsdienstlichen Versorgung in den Heimatstandorten. Hinzu kommen für viele Beschäftigte der Bundeswehr Unannehmlichkeiten wie sehr lange Anfahrtswege aufgrund heimatferner Verwendung und eine unzureichende Infrastruktur. Was ich da gesehen habe, möchte keiner von uns erleben. Wer in seinem Wahlkreis Kasernen hat und diese kennt, der kann sicherlich in diesem Punkt nicht widersprechen. Gerade viele westdeutsche Kasernen entsprechen nicht mehr dem heutigen Standard. Das verstärkt die Frustration bei vielen Soldatinnen und Soldaten, die sich dadurch von ihrem Dienstherrn nicht ausreichend gewürdigt sehen. Das wirkt natürlich auch demotivierend auf Soldatinnen und Soldaten und hat eine unmittelbare Wirkung nach außen. Wer glaubt, dass unter solchen Bedingungen dringend benötigte Fachkräfte für die Bundeswehr gewonnen werden können, irrt ganz gewaltig. Zur Attraktivität. Die Bundeswehr steht im Wettbewerb um gutes und motiviertes Personal. Der demografische Wandel - das wissen wir alle - wird diese Situation verschärfen. Deswegen ist es für die Einsatzfähigkeit der Armee essenziell, als attraktiver und verlässlicher Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Zu Recht weist der Wehrbeauftragte in seinem Bericht für das Jahr 2008 auf einige besonders problematische Punkte hin. Ich greife hier nur die Gestaltung der Wehrpflicht heraus. Dem Bericht können wir entnehmen, dass der Wehrdienst von vielen jungen Männern immer noch als sinnlos und langweilig empfunden wird. Natürlich soll die Wehrdienstzeit nicht ein ständiges Abenteuer bieten. Die Bundeswehr muss sich aber mehr als bisher bemühen, diesen Pflichteinsatz junger Menschen so zu gestalten, dass die Zeit bei der Armee nicht als Verschwendung, sondern als Bereicherung der persönlichen Laufbahn empfunden wird. Das ist der Weg, um motiviertes Personal zu gewinnen. Um dieses Personal zu halten, darf natürlich später nicht nachgelassen werden. Es ist besorgniserregend, zu lesen, dass allein 2008 rund 100 Ärzte die Bundeswehr verlassen haben. Gut qualifizierte Mediziner werden zurzeit überall in der Republik dringend gesucht und entsprechend gut bezahlt. Wenn die Bundeswehr schon bei der Bezahlung nicht mithalten kann, dann dürfen aber nicht noch mangelnde Planungssicherheit und geringe persönliche Entwicklungsmöglichkeiten hinzukommen. Wehrdienst und Sanitätsdienst, das sind nur zwei Beispiele für das, was auf die Bundeswehr und natürlich auch auf die Politik zukommt. Die Bundeswehr muss sich dem Wettbewerb ums Personal stellen. Erfolg wird sie nur haben, wenn sie ein attraktiver und vor allen Dingen verlässlicher Arbeitgeber sein will. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke dem Wehrbeauftragten Reinhold Robbe und seinem Team noch einmal sehr herzlich für seinen Bericht und die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Parlament. Wir akzeptieren, dass Sie für das Verteidigungsministerium und natürlich auch für uns Parlamentarier ein ums andere Mal ein unbequemer Mahner sind. Deshalb sind Sie in der Truppe ein zu Recht sehr respektierter Ansprechpartner, auf dessen gewissenhafte Arbeit sich die Soldatinnen und Soldaten verlassen können. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Christoph Schnurr für die FDPFraktion. ({0})

Christoph Schnurr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004147, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter Robbe! Das Interesse am Amt des Wehrbeauftragten ist groß. Wenn selbst ausländische Delegationen Ihnen einen Besuch abstatten, ist das ein Zeichen für die Wertschätzung dieses Amtes und sicherlich auch Ihrer Person. In diesem Interesse spiegelt sich auch die Qualität wider. National wird der Dank durch die Soldaten bekundet, deren Eingaben sich Herr Robbe in den letzten knapp fünf Jahren verpflichtet hat. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im In- und im Ausland fanden stets ein offenes Ohr. Ihnen, Herr Robbe, und Ihren Mitarbeitern sei an dieser Stelle seitens der FDP-Fraktion noch einmal ausdrücklich Dank ausgesprochen. ({0}) Sie haben dafür gesorgt, dass der Bundestag der Fürsorgepflicht gegenüber seinen Soldatinnen und Soldaten besser nachkommen kann. In einigen Tagen werden Sie den 51. Bericht vorlegen. Er wird in diesem Hause, im Bundesministerium der Verteidigung, aber auch in der breiten Öffentlichkeit bereits mit Spannung erwartet. Ich gehe davon aus, dass einige Punkte im 51. Bericht bereits bekannte Probleme sind. Gerade diese Mängel müssen mit besonderem Engagement abgestellt werden. Ich bin mir sehr sicher, dass das Ministerium unter Minister zu Guttenberg alles in seiner Macht Stehende tun wird, um die Situation in den Streitkräften zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern. ({1}) Doch auch wir, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind aufgerufen, uns als Parlamentarier mit all unserer Kraft für die Soldaten einzusetzen; denn sie sind es, die von uns, dem Parlament, den Auftrag erhalten, die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten. Ein Thema zieht sich durch den Bericht wie ein roter Faden: Die Berufsunzufriedenheit innerhalb der Truppe ist zu hoch. In persönlichen Gesprächen mit unseren Soldaten musste ich in erschreckender Weise feststellen, dass viele - meiner Einschätzung nach zu viele - Soldaten ihren eigenen Kindern davon abraten würden, zur Bundeswehr zu gehen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Mitgliederbefragung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes zur Berufszufriedenheit. Insbesondere die Gruppe der Ärzte und Piloten wird uns in Zukunft beschäftigen. Auch wenn das Ministerium bereits den Handlungsbedarf erkannt hat und erste Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet wurden, bedarf es weiterer Anstrengungen. ({2}) Die Bundeswehr muss als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden. Das Beförderungs- und Besoldungssystem bedarf einer Überprüfung. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss vorangetrieben werden. Hierbei sind insbesondere weitere Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu schaffen, und die Versetzungshäufigkeiten sind zu reduzieren. Zudem müssen sich Arbeitsund Unterkunftsbedingungen in den Kasernen weiter verbessern. Ich bin mir sicher, dass wir auch das in ZuChristoph Schnurr kunft vorantreiben werden. Die ersten Anträge dazu sind schon verfasst worden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich über den Bereich der Ausrüstung sprechen. Mit großer Erleichterung habe ich festgestellt, dass unseren Soldaten im Einsatz endlich einheitlich eine überarbeitete Sanitätsausstattung zugeführt wurde. Diese wird den Umständen gerecht und ist auf einem hohen Stand der Entwicklung. Genauso verhält es sich mit der Einführung neuer Einsatzfahrzeuge. Die Bundeswehr braucht und verdient die beste Ausrüstung, um unserem Auftrag gerecht zu werden. ({3}) Es müssen aber auch nicht immer Millionen Euro investiert werden, um die Zufriedenheit innerhalb der Truppe zu steigern. Oft, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, reicht eine ehrliche Beurteilung der Lage. Außenminister Guido Westerwelle hat mit seiner Einschätzung, dass es sich in Afghanistan um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, das richtige Zeichen gesetzt. Hierfür bedanke ich mich bei der Bundesregierung ausdrücklich. ({4}) Es geht also auch um Kommunikation. Kommunikation ist das, was ankommt. Die Ziele müssen von der Regierung über das Ministerium bis hin zu jedem einzelnen Soldaten so dargestellt werden, dass sie nachvollziehbar sind. Selbiges gilt selbstverständlich auch für unsere Bürgerinnen und Bürger. Meine Damen und Herren, unsere Fürsorgepflicht gilt unseren Soldaten nicht nur vor und während der Auslandseinsätze, sondern auch danach. Die gestiegene Anzahl von traumatisierten Soldaten macht die Notwendigkeit zur Errichtung eines Traumazentrums deutlich. Es ist ausdrücklich zu begrüßen und sehr erfreulich, dass dieses Vorhaben auf parteiübergreifende Zustimmung in diesem Hause trifft. Dies dient der Sache und ist ein Zeichen in die Truppe hinein, aber sicherlich auch ein Zeichen Richtung Bundesregierung. Wir bitten Sie, dies auch entsprechend umzusetzen. ({5}) Ein klares Signal stellt auch der heute mit großer Mehrheit gefasste Beschluss zum ISAF-Mandat dar. Der Einsatz in Afghanistan steht im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass unsere Soldaten auch auf dem Balkan, am Horn von Afrika und anderswo ihren Dienst verrichten. Diese Einsätze sind genauso wichtig und ebenso von uns, dem Bundestag, verabschiedet worden. Auch die dort eingesetzten Soldaten benötigen unsere Unterstützung, die breite Zustimmung im Parlament und auch in der Bevölkerung. ({6}) Herr Präsident, ich komme zum Ende, möchte jedoch an dieser Stelle noch etwas zu einem Punkt sagen, der bereits angesprochen worden ist. Angesichts der Diskussionen in den vergangenen Tagen und Wochen scheint es mir notwendig, in aller Kürze zwei Dinge herauszustellen: Erstens. In unserer vom Leitbild der Inneren Führung geprägten Bundeswehr haben entwürdigende Rituale und Mutproben keinen Platz. Diese Vorfälle müssen natürlich aufgeklärt werden, und es muss alles daran gesetzt werden, solche künftig zu vermeiden. ({7}) Zweitens. Die Vorkommnisse in Mittenwald sind bedauerlich. Aber an dieser Stelle muss auch zur Sprache gebracht werden, dass diese Vorfälle nicht repräsentativ für die gesamte Bundeswehr sind und nicht den Alltag in den Streitkräften widerspiegeln. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, bedanke mich bei allen aktiven Soldatinnen und Soldaten sowie den Angehörigen der Reserve für ihren Dienst und bitte um Annahme der Beschlussempfehlung. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schnurr, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche! ({0}) Das Wort hat nun Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zuallererst, nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern in dieser aktuellen Debatte gerade Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gründliche und umfassende Arbeit zu danken, die Sie auch in diesem Jahr geleistet haben. Herr Robbe, mit dem Bericht, den Sie vorgelegt haben, und mit der Qualität und Tiefe Ihrer Arbeit erfüllen Sie von Jahr zu Jahr immer wieder den Begriff der Parlamentsarmee mit Leben. Dafür einen herzlichen Dank. Ich teile deshalb die weitsichtige und, wie ich finde, auch weise Einschätzung des Kollegen Polenz, CDU/ CSU, dass Sie, Herr Robbe, eine weitere Amtszeit verdient haben, und zwar nicht nur, weil Sie dieses Amt so gut ausfüllen, sondern auch aufgrund Ihrer Persönlichkeit. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Sie in diesem Hause über Lagergrenzen hinweg großen Respekt genießen. Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, warum Sie diese Arbeit beenden sollten. Deshalb möchte ich an die Kolleginnen und Kollegen der FDP appellieren, gerade in diesen für die Bundeswehr so unruhigen Zeiten auf Kontinuität und Kompetenz zu setzen und nicht auf ein Parteibuch. ({0}) Verehrter Herr Robbe, Sie haben es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, Probleme anzureißen, und zwar auf eine Art und Weise, dass auch über Lösungen nachgedacht worden ist. Ich will in diesem Zusammenhang auch eine Anregung geben. Es macht vielleicht Sinn, weil sich die Gesellschaft und auch die Bundeswehr so verändert haben, darüber nachzudenken, ob man nicht in den Bericht ein Unterkapitel zu dem Thema „Mitglieder der Truppe mit Migrationshintergrund“ aufnimmt. Hier könnte man die Probleme aufzeigen, die das mit sich bringt, und auch die Probleme, mit denen sie während ihrer Dienstzeit konfrontiert werden. Es wäre möglicherweise eine Bereicherung für Ihren Bericht und eine Vertiefung der Erkenntnisse. Es gibt eine Reihe von Stichpunkten, zu denen Sie eine Debatte angestoßen haben, zum Beispiel zum Thema Familie und Beruf. Es ist schon viel passiert, auch wenn man festhalten muss, dass wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange sind. Auch die Behebung der Mängel bei der Ausrüstung beim IdZ ist Ihr Verdienst. Natürlich müssen wir auch über das Thema Fahrzeuge sprechen. Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie Sie es - wenn es wirklich so kommt, wie wir alle befürchten - der Truppe erklären wollen, dass bei der Ausbildung Dingos, vor allem Dingos II, fehlen, während gleichzeitig in einem Haushalt, der nicht größer wird, für einen A400M Milliarden ausgegeben werden können. Ich bin gespannt, wie Sie dieses Problem aus dem Weg räumen wollen. Stichwort Innere Führung - damit befinden wir uns in der aktuellen Debatte -: Ich will unterstreichen, wenn wir uns die Vorfälle vor Augen führen, dann muss klar sein, dass wir uns nicht mit dem Zustand der gesamten Bundeswehr befassen. Davon kann keine Rede sein. Aber gerade wenn wir wollen, dass nicht über die gesamte Truppe öffentlich der Stab gebrochen wird, müssen wir jeden Einzelfall konsequent verfolgen und ihm nachgehen. Rituale gibt es nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch im zivilen Leben. Einführungsrituale gibt es auch außerhalb der Truppe, das ist keine Frage. Und natürlich ist die Bundeswehr ein Spiegel der Gesellschaft. Deshalb sind die Forderungen, man müsse der gesamten Truppe den Alkoholgenuss verbieten, Quatsch. Das macht überhaupt keinen Sinn. Wenn man aber diese Vorfälle ernst nehmen will, dann hilft es auch nicht, wenn Herr Kollege van Essen darauf hinweist, das seien halt alte militärische Traditionen. Das ist nicht die Art und Weise, wie man mit diesen Vorfällen umgehen sollte. Ich will im Übrigen darauf hinweisen, dass alte militärische Rituale nicht immer nur positive Assoziationen in unserer Gesellschaft hervorrufen. Keine Frage: Es gibt Bereiche, bei deren Bewertung es um Geschmacksfragen geht. Aber wenn ein Exalkoholiker dazu genötigt wird, Alkohol zu trinken, dann ist das keine Geschmacklosigkeit, sondern Körperverletzung. Damit muss man entsprechend umgehen. Unsere Bundeswehr ist eine besondere Institution. Sie ist inhärent hierarchisch aufgebaut. Genau deswegen ist die Dienstaufsicht so wichtig. Genau deswegen ist es wichtig, dass Kommandeure gewährleisten können, dass jede einzelne Soldatin, jeder einzelne Soldat vor solchen Ausuferungen, wie wir sie kennen, geschützt wird. Vor allem muss es innerhalb der Verbände Räume geben - es muss nicht so weit kommen, dass man sich an den Wehrbeauftragten wendet -, in denen man sich mit einem solchem Fehlverhalten auseinandersetzen kann. Wir dürfen nicht vergessen: Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Aber ein ausgebildeter Infanterist hat natürlich einen anderen Aktionsradius. Er stellt bei Fehlverhalten eine ganz andere Gefahr dar als ein Zivilist. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum die Gesellschaft so sensibel auf dieses Thema reagiert. Es sind strukturelle Herausforderungen, mit denen wir uns als Parlament auseinandersetzen müssen. Dafür haben Sie sehr viele herausragende Anregungen gegeben, Herr Beauftragter. Möge das so weitergehen. Denn ein Staatsbürger in Uniform ist ein Staatsbürger mit Pflichten, mit Rechten, aber auch mit Würde. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey.

Thomas Kossendey (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001188

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat dem Parlament am 26. März 2009 seinen Jahresbericht 2008 - über ihn sprechen wir heute - vorgelegt. Sie haben alle übereinstimmend festgestellt, dass es sich dabei um einen Mängelbericht und nicht um einen Zustandsbericht der Bundeswehr handelt. Er zeigt individuelles Fehlverhalten bei Vorgesetzten auf, und er zeigt auch andere Defizite bei der Bundeswehr auf. Lieber Reinhold Robbe, wir danken für diesen Bericht. Sie haben durch die Wahrnehmung Ihrer Aufgaben nach § 1 des Wehrbeauftragtengesetzes als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages uns bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr erneut einen guten Dienst erwiesen. Der von Ihnen vorgelegte Bericht ist für unsere Arbeit - die Arbeit des Parlamentes, aber auch des Ministeriums - wertvoll. Lassen Sie mich eines sagen: Ihre Erkenntnisse decken sich im Wesentlichen mit dem vielschichtigen Bild, das die Leitung des Bundesministeriums von der Bundeswehr hat. Trotz der unbestreitbar vorhandenen Mängel möchte ich aber festhalten, dass unsere Bundeswehr in der Lage ist, die Aufträge, die ihr die Regierung und das Parlament geben, voll und ganz zu erfüllen. Das ist das Verdienst all der Frauen und Männer, die in der Bundeswehr ihren Dienst tun. Dafür sollten wir ihnen Dank und Anerkennung zollen. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist, glaube ich, aber auch Anlass, um - über die Einzelereignisse hinaus - Ursachen, Anlässe und Tendenzen zu betrachten und zu bewerten und daraus gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. In einem relativ hohen Anteil der Eingaben wird Kritik an der geltenden Rechts- und Verordnungslage geübt und nicht etwa an der mangelnden Einhaltung der Prinzipien der Inneren Führung oder einer mangelnden Beachtung der Grundrechte durch militärische Vorgesetzte. Mich stimmt bedenklich, dass sich nicht mehr alle Soldatinnen und Soldaten bei Problemen oder Missständen an ihre eigenen Vorgesetzten wenden, um durch Meldung oder Wehrbeschwerde eine Änderung zu erreichen. ({0}) Das kennen wir alle. Vielfach erreichen die Abgeordneten Briefe von Soldaten. Vielfach erreichen mich auch direkt Briefe aus der Truppe. Ich denke, wir sollten darauf achten, dass wir da gegensteuern. Ich glaube, das offensichtlich nicht überall vorhandene Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen muss wiederhergestellt werden. Möglicherweise ist dieser Aspekt auch durch das Selbstverständnis des Wehrbeauftragten, der sich mitunter als Kummerkasten für die Soldatinnen und Soldaten darstellt, befördert worden. Auf zwei Aspekte des vorgelegten Berichtes möchte ich näher eingehen - sie betreffen die Bundeswehr als Armee im Einsatz -: Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Gerade wir Politiker müssen sehr viel sensibler in die Gesellschaft hineinwirken. Deswegen danke ich Frau Schäfer und Frau Evers-Meyer dafür, dass sie das hier so deutlich für uns eingefordert haben. Zum anderen sollten wir, lieber Kollege Nouripour, nicht immer nur auf die Ausrüstung der Bundeswehr achten, zumindest wenn wir über den Bericht des Wehrbeauftragten sprechen. Das sind Dinge, die wir im Ausschuss zu behandeln haben. Dort sollten wir das auch tun. Die im Jahresbericht 2008 des Wehrbeauftragten angesprochenen Verstöße gegen die Innere Führung werden im Augenblick unter dem Stichwort „Mittenwald“ diskutiert. Wir sollten das tun, selbstverständlich, ohne Beschönigung und ohne Übertreibung. Es gilt das Wort des Ministers: Wir wollen aufklären, abstellen und Konsequenzen ziehen. Jeder Vorfall in dieser Richtung ist einer zu viel. Ich bin Herrn Robbe ausgesprochen dankbar dafür, dass er deutlich gemacht hat, dass die Bundeswehr deswegen nicht unter Generalverdacht steht. Ich glaube, es wäre sehr schwierig, das so in der Öffentlichkeit darzustellen, und würde den Soldaten auch sehr wehtun. Wir müssen darauf setzen, den Soldatinnen und Soldaten in ihrer Ausbildung das ethische, aber auch das moralische Rüstzeug zu vermitteln, das notwendig ist, dass solche Auswüchse bereits im Keim erstickt werden. Ich habe volles Vertrauen in die Vorgesetzten und in die Kommandeure vor Ort. Sie werden das aufklären, und sie werden das abstellen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen - das ist angesprochen worden -, dass die Bundeswehr ein Teil unserer Gesellschaft ist. Unsere Wehrpflichtigen und unsere Zeitsoldaten werden in dieser Gesellschaft sozialisiert. Sie kommen mit vielfältigen Erfahrungen zu uns. Deshalb ist die Bundeswehr von gesellschaftlichen Entwicklungen natürlich nicht ausgenommen. Dazu gehören die Fernsehshows, die wir jeden Tag sehen dürfen und die Geschmacklosigkeiten geradezu salonfähig machen, aber auch ein bisweilen unter Jugendlichen exzessiver Alkoholkonsum, über den im Fernsehen manchmal in ekelerregender Weise berichtet wird. All das geht an der Bundeswehr natürlich nicht spurlos vorüber. ({1}) Das darf uns aber nicht als Entschuldigung dienen, wenn es darum geht, diese Dinge in der Bundeswehr zur Kenntnis zu nehmen und abzustellen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Das Amt des Wehrbeauftragten genießt das Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten. Es hat maßgeblich zu der mehr als 50-jährigen Erfolgsgeschichte der Bundeswehr beigetragen. Für das Parlament ist und bleibt es ein unverzichtbares Hilfsorgan zur Kontrolle unserer Streitkräfte, gerade wenn es darum geht, die Grundrechte und die Prinzipien der Inneren Führung in der Bundeswehr einzuhalten. Das Bundesministerium der Verteidigung wird viele Anregungen des Berichtes 2008 aufgreifen und in seine weitere Arbeit einbeziehen. Ich bedanke mich. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 2008 des Wehrbeauftragten, Drucksachen 16/12200 und 17/713. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Stimmenthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Klaus Ernst, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Datenschutz für Beschäftigte stärken - Drucksache 17/779 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Abgeord- neten sind übereingekommen, ihre Reden zu Protokoll zu geben. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Michael Frieser, Josip Juratovic, Gisela Piltz, Beate Müller-Gemmeke und Gitta Connemann.1) Damit kann ich die Aussprache schließen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/779 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 22 Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht - Drucksache 17/542 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts - Drucksache 17/773 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Memet Kilic von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({4})

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entschei- dungen zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer die Politik aufgefordert, möglichst viele dauerhaft in Deutschland lebende Bürger in das Wahlrecht einzube- ziehen. Daraus ergibt sich, dass der Erwerb der deut- schen Staatsangehörigkeit erleichtert werden muss. Der Bundestag hat im Jahr 1999 das Staatsangehörig- keitsgesetz novelliert. Die wesentliche Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes betraf die Kinderstaatsan- 1) Anlage 7 gehörigkeit. Danach erhalten Einwandererkinder unter bestimmten Voraussetzungen per Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft, damit sie in ihrem Geburtsland nicht als Ausländer, sondern als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufwachsen. Die Grünen waren bei dieser Novelle, bei dieser Jahrhundertreform Vorreiter. Heute stimmen wir glücklicherweise alle darin überein, dass der Erhalt der Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Rechte und Pflichten Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration von Immigranten ist. Die heute geltende Bestimmung sieht vor, dass sich diese Kinder im Alter von 18 bis 23 Jahren für eine ihrer Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen. Von dieser Regelung sind aktuell die 18- und 19-Jährigen betroffen. Diesen jungen Menschen wird die Staatsbürgerschaft also nur unter Vorbehalt gewährt, und sie wird ihnen unter Umständen wieder vollends entzogen. Damit werden sie zu Bürgerinnen und Bürgern minderen Rechts. Die jungen Menschen, die wie viele andere Jugendliche auch mit zwei Staatsangehörigkeiten aufgewachsen sind, werden in die schwierige Lage gebracht, sich zwischen ihren beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Die Optionsregelung ist willkürlich und wird im Laufe der Zeit immer willkürlicher, weil neben Jugendlichen aus binationalen Familien auch die Jugendlichen aus der Europäischen Union und aus der Schweiz praktisch von dem Optionszwang ausgenommen sind. Während EU-Bürger seit dem 28. August 2007 unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, sind die Optionskinder zur Aufgabe einer ihrer Staatsangehörigkeiten gezwungen. Diese Ungleichbehandlung widerspricht dem gesunden Menschenverstand und ist für niemanden nachvollziehbar. ({0}) In unserer globalen Gesellschaft ist die Mehrstaatigkeit in absehbarer Zeit keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Für die meisten europäischen Staaten stellt die Mehrstaatigkeit überhaupt kein Problem dar. Diese rechtliche Diskriminierung verletzt das Interesse der Betroffenen. Sie verletzt auch das Interesse unseres Landes; denn sie widerspricht dem Integrationsgedanken. ({1}) Es spricht viel dafür, dass der Optionszwang vor dem Bundesverfassungsgericht rechtlich unhaltbar ist. Deswegen appelliere ich an alle meine Kolleginnen und Kollegen: Lasst uns diesen Optionszwang aufheben! Er ist weder verhältnismäßig noch effektiv, sondern Unsinn. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ingo Wellenreuther für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über zwei Gesetzentwürfe, einen der Grünen und einen der SPD, zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch Streichung der sogenannten Optionspflicht. Die Optionspflicht beinhaltet - das wurde angesprochen -, dass sich ein Kind mit Eintritt der Volljährigkeit bis zum 23. Lebensjahr entscheiden muss, ob es die deutsche Staatsangehörigkeit, die es seit der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 1999 durch Geburt in Deutschland erworben hat, oder die ausländische Staatsbürgerschaft eines seiner Elternteile, die es durch Abstammung erworben hat, behalten will. Falls es sich in diesen fünf Jahren nicht entscheidet, geht die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch verloren. Die Grünen wollten diese Optionspflicht schon damals nicht. Die SPD will sie erst neuerdings nicht ({0}) und bestätigt damit eindrucksvoll die Berechtigung des Vorwurfs, Herr Veit, sie habe die Bevölkerung 1999 getäuscht, den Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatlichkeit im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht schon damals brechen und die Doppelstaatlichkeit durch die Hintertür einführen wollen. ({1}) Die Union hat damals gegen die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes gestimmt, mit der die Möglichkeit eingeführt wurde, außer durch Abstammung und Einbürgerung auch durch Geburt in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, falls sich zumindest ein ausländischer Elternteil als Inhaber eines unbefristeten Aufenthaltsrechts seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält. Für uns war damals und schon immer klar, dass Integration allein durch die Verleihung eines deutschen Passes, wie die Antragsteller meinen, nicht gefördert oder bewirkt werden kann. Nach unserer Auffassung gehört zu einer erfolgreichen Integration nämlich viel mehr. Integration findet im Kindergarten, in der Schule, in Vereinen, in der Wohnungsumgebung und mit Freunden statt; hier entscheidet sich der Erfolg der Integration. Dazu gehört auch das Vertrautmachen mit den zentralen Werten und Normen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wir haben bei diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen Thema seit dem Regierungswechsel 2005 unsererseits die richtigen Weichenstellungen vorgenommen. Wir haben seit 2005 Integrationskurse, Sprachlehrgänge und Orientierungs- und Alphabetisierungskurse für Migranten intensiviert, weil wir erkannt haben, dass Sprachförderung an erster Stelle stehen muss. ({2}) - Eben, Herr Veit; vielen Dank. - Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bildung, für eine erfolgreiche Ausbildung, für das Erreichen einer Lehrstelle und das Ergreifen eines Berufes. ({3}) Außerdem haben wir uns mit Programmen des Familienministeriums speziell um Schulverweigerer gekümmert. Wir haben Initiativen gestartet, die zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund schaffen. Wir haben eine verbesserte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse auf den Weg gebracht. All das waren Maßnahmen, die wir seit dem Regierungswechsel 2005 intensiv betrieben haben. ({4}) Das Thema Integration hat für uns eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Das hat sich auch daran gezeigt, dass die Bundeskanzlerin extra das Amt einer Integrationsbeauftragten im Kanzleramt geschaffen hat, um dem Thema Integration höchsten Stellenwert zu verleihen. ({5}) Wir haben im Jahre 2007 einen Integrationsplan geschaffen, mit dem wir in einem Gesamtkonzept auf eine echte Partnerschaft mit den Migranten gesetzt haben. Und der damalige Innenminister Schäuble hat 2006 die Deutsche Islam-Konferenz ins Leben gerufen und den direkten Dialog mit den Muslimen begonnen. ({6}) - Ich komme zum Thema. ({7}) Das zeigt: Integration entscheidet sich im konkreten Zusammenleben und nicht formal durch eine doppelte Staatsangehörigkeit. ({8}) Für uns steht der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses und nicht am Anfang. ({9}) - Nein, Herr Wieland. Integration ist eine Sache des Kopfes und des Herzens und darf nicht nur auf dem Papier stehen. ({10}) Von dem seit dem Jahre 2000 geltenden neuen Staatsangehörigkeitsgesetz sind Kinder erfasst, die nach dem 1. Januar 2000 geboren wurden, und Kinder, die am 1. Januar 2000 noch nicht zehn Jahre alt waren, aber von der Möglichkeit Gebrauch machten, auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Für die ersten dieser insgesamt 50 000 Kinder - es sind ungefähr 3 300 - begann mit ihrer Volljährigkeit ab dem Jahre 2008 die Optionspflicht. Deshalb kommen die heute zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe zur Unzeit, nämlich viel zu früh, ({11}) weil noch viel zu wenige Erfahrungen mit der praktischen Anwendung der Optionspflicht vorliegen. Derzeit - das wissen auch Sie - werden erste Erfahrungen mit dem Optionsverfahren gesammelt. Gemäß dem Koalitionsvertrag wird von der Bundesregierung geprüft, ob in verfahrensrechtlicher, aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht Verbesserungsbedarf besteht. ({12}) Wenn diese Erkenntnisse vorliegen, werden wir uns gemeinsam noch einmal Gedanken über das Staatsangehörigkeitsrecht insgesamt machen müssen. Eines steht aber fest, unabhängig von diesen Ergebnissen: Die Optionspflicht isoliert abzuschaffen, kommt für uns nicht infrage. ({13}) SPD und Grüne haben aber ausgesprochen, worauf es ihnen wirklich ankommt: Sie wollen das Prinzip der generellen unbegrenzten Doppelstaatlichkeit. Das ist mit uns nicht zu machen. Es sollte zur Identität und zur Persönlichkeit eines Menschen gehören, dass er sich einem Land, seiner Kultur und seiner Werteordnung zugehörig fühlt. Natürlich kann man aus verschiedenen Gründen Verbindungen zu unterschiedlichen Ländern haben. Aber in staatsbürgerlicher Hinsicht sollte es die Zugehörigkeit nur zu einem Land geben. ({14}) - Nein, das ist nicht lächerlich, sondern das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass Pflichtenkollisionen und Loyalitätskonflikte gegen Mehrstaatlichkeit sprechen. Genau diese Gründe hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich herausgestellt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour?

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich bin gleich am Schluss, Herr Präsident. ({0}) Auch wenn es in der Praxis zahlreiche Ausnahmen im Staatsangehörigkeitsrecht aufgrund von gesetzlichen Regelungen bzw. Härtefällen gibt, bleibt das Festhalten am Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit aus den genannten Gründen richtig. Deshalb lehnen wir von der Union die Anträge der SPD und der Bündnisgrünen ab. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Fast könnte man Sie hier alle namentlich begrüßen, so wie die Reihen gerade nicht besetzt sind. Trotzdem vielen Dank für das Interesse. ({0}) - Auch an sie hat sich meine Kritik gerichtet, keine Frage. - Herr Kollege Wellenreuther, zunächst einmal haben Sie natürlich recht, dass sich die CDU/CSU-Fraktion nach dem Motto „Learning by doing“ - dafür bin ich nach wie vor dankbar; das sage ich ohne jeden zynischen Unterton - in Zeiten der Großen Koalition zu ganz wesentlichen Teilen in der Tat zur Integrationspolitik bekannt hat und einiges Richtige und Gute, insbesondere auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechtes, mitgemacht hat. Das sollte so bleiben. Deswegen laden wir Sie heute ein, unseren Vorstellungen zu folgen, wenn es um die generelle Abschaffung des Verbots doppelter Staatsbürgerschaft in unserem Staatsangehörigkeitsrecht geht. Unser Antrag ist umfassender als der der Grünen. Während sich die Grünen nur isoliert der Frage der Optionspflicht zuwenden, wollen wir dieses Problem in unserem Staatsbürgerschaftsrecht insgesamt regeln. Das, Herr Kollege Wellenreuther - jetzt kommt allerdings der entschiedene Widerspruch -, wollen wir nicht erst seit heute, sondern das wollten wir bereits 1998/99. Sie können die Protokolle von damals nachlesen. ({1}) Ich verweise auch gerne auf meine Rede vom Juli 2009, in der ich diese historischen Zusammenhänge noch einmal dargelegt habe. Wir wollen diese Abschaffung des Verbots nicht erst heute. Im Gegenteil: Wir wollten sie immer. Wir mussten damals diesen Kompromiss maRüdiger Veit chen. Wir haben ihn immer als einen nicht guten Kompromiss angesehen, sondern als einen ersten Schritt auf dem Weg in die richtige Richtung aufgefasst. ({2}) So bleibt das. In der Konsequenz dessen stehe ich heute vor Ihnen und sage: Wir haben einen umfassenden Gesetzentwurf gemacht, der sich mit dem Problem befasst. Zur Frage der Optionspflicht hat der Kollege Kilic schon einiges Richtige gesagt. Er hat - das möchte ich ausdrücklich hervorheben - erklärt: Es muss auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten ein Interesse daran bestehen, dass die Wohnbevölkerung möglichst identisch mit den insgesamt in Deutschland lebenden Bürgern mit Wahlrecht ist. Das kann ich nur unterstreichen. Insofern ist der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft nicht erst ein Abschluss der Integration, sondern ein wichtiger Zwischenschritt einer vollständigen Integration. ({3}) Wenn Sie generell Probleme mit der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft haben, dann ist es manchmal nicht ganz schlecht, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen. Diesen kleinen Exkurs kann ich mir nicht verkneifen. Das Abstammungsprinzip in unserem Staatsangehörigkeitsrecht geht nicht nur auf die Fassung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 zurück, sondern es geht schon auf das Jahr 1842 zurück. Schon damals waren die Preußen etwas großzügiger und keineswegs ethnisch geprägt, sodass auch preußische Polen oder Juden generell Staatsbürger werden konnten. ({4}) 1913 hat man dieses Recht, durchaus ohne ethnischen Beigeschmack, übernommen. Die ethnische - ich füge hinzu: rassistische - Aufladung des Staatsbürgerschaftsrechtes war dem Dritten Reich vorbehalten. Daran muss man einmal erinnern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dass man das beibehalten hat, hatte einen aus der damaligen Betrachtungsweise durchaus nachvollziehbaren Grund: Man wollte sowohl die ostdeutsche Bevölkerung als auch die Spätaussiedler nicht ausgrenzen. Spätestens seit 1989/90 liegen die Dinge anders. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen vernünftigen Grund mehr, sich generell gegen die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft auszusprechen. Es gab einen einzigen Grund - das will ich hier sagen -, der vielleicht zu früheren Zeiten dafür gesprochen haben könnte, die alte Rechtslage beizubehalten: die Möglichkeit, dass im Zusammenhang mit der Ableistung von Wehrpflicht ein Loyalitätskonflikt entsteht. Aber auch hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese Betrachtungsweise längst überholt. Ich empfehle einen Blick in die Unterlagen - das bildet -: 1997 wurde ein europäisches Abkommen zum Staatsangehörigkeitsrecht abgeschlossen - es wurde in Deutschland allerdings erst 2004 ratifiziert -, mit dem klargestellt wurde: Wer seine Wehrpflicht in einem der betroffenen Staaten abgeleistet hat, hat seiner Wehrpflicht damit genügt. Ein Loyalitätskonflikt kann also nicht mehr entstehen. ({5}) Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Grund mehr, gegen die doppelte Staatsangehörigkeit zu sein. Es gibt hingegen sehr viele Gründe, dafür zu sein. Schauen wir uns die Zahl der Einbürgerungen an: Wir hatten im Jahr 2000 mit über 180 000 Einbürgerungen einen Gipfel. Mittlerweile sind wir wieder bei rund 80 000 Einbürgerungen im Jahr angelangt. Es ist nicht erstrebenswert, dass das so bleibt. Von daher muss unser aller Interesse sein, dass die Zahl wieder steigt. Wir müssen den betroffenen Migrantinnen und Migranten, die sich in Deutschland dauerhaft aufhalten wollen bzw. aufhalten, ein entsprechendes Angebot machen. Dem trägt unser Gesetzentwurf Rechnung, indem wir sagen: Eine doppelte Staatsbürgerschaft bzw. Mehrfachstaatsbürgerschaft kann generell hingenommen werden. Sie wird es übrigens schon bei der bestehenden Rechtslage in 53 Prozent der Fälle. Wir wollen die Anspruchsvoraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit senken. Es soll in Zukunft ausreichen, wenn sich die Betreffenden sieben Jahre in Deutschland aufgehalten haben. Unter bestimmten Voraussetzungen der Privilegierung - ich nenne beispielhaft: Hochschulabschluss, Abschluss einer Lehre, Erwerb der Hochschulreife in Deutschland - soll die Frist auf sechs Jahre verkürzt werden können. Nach diesem Zeitraum sollen die Betreffenden Anspruch auf den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft haben, ohne dass sie die andere Staatsbürgerschaft aufgeben müssten. Ich halte diesen Ansatz für gut und richtig. ({6}) Wir sollten bei dieser Gelegenheit noch an ein paar anderen Ecken Feinschliff anbringen. Das betrifft zum Beispiel die Anrechnung von Duldungs- und Gestattungszeiten bei der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist. Wir sollten großzügige Härtefallregelungen vorsehen für Kinder und Jugendliche sowie für Personen über 60 Jahre, die vielleicht nicht mehr ohne Weiteres in der Lage sind, entsprechende Sprachkenntnisse zu erwerben. Wir wollen übrigens die Ausnahmeregelung, die bis 2007 gegolten hat, wieder einführen, wonach die Einbürgerung von Jugendlichen und Heranwachsenden eben nicht davon abhängig gemacht wird, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Kurzum - ich wiederhole das gerne noch einmal -: Es gibt nach meiner Überzeugung - übrigens nach unveränderter Überzeugung der gesamten SPD-Fraktion, und das seit 1998, Herr Kollege Wellenreuther - nur Gründe, die dafür sprechen, die doppelte Staatsbürgerschaft oder Mehrfachstaatsbürgerschaft zuzulassen. Wir wollen die Voraussetzungen verbessern und günstige Regelungen treffen, damit diejenigen, die sich als Staatsbürger auf Dauer an unserem Staatswesen beteiligen wollen, das auch können. Wir richten die Aufforderung, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, an alle hier im Haus vertretenen Fraktionen und Parteien. Ich darf zum Schluss darauf aufmerksam machen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf auch ein sehr ärgerliches Problem, das Problem des § 25 Staatsangehörigkeitsgesetz, bei dieser Gelegenheit mit erledigen können. Sie wissen, dass es früher üblich war - ich habe das auch im Juli letzten Jahres gesagt -, dass jeder türkische Staatsbürger, der die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollte, zum Konsulat ging. Dort sagte man ihm: Komm wieder, wenn du die deutsche Staatsangehörigkeit hast; dann bekommst du auch die türkische zurück. - Dies funktionierte nach dem § 25 des neuen Rechts nicht mehr. Das gab viel Ärger und führte zu Rechtsunsicherheit, etwa zu der Frage, ob die Betroffenen als deutsche Staatsbürger noch wählen dürfen oder nicht. Das kann man bei dieser Gelegenheit ebenfalls korrigieren. Dafür gibt es in der Zukunft keinen vernünftigen Hinderungsgrund mehr. Wir sollten uns also hier gemeinsam auf den Weg machen. Der Wegfall des Optionsmodells ist die zwangsläufige Voraussetzung. Daher ist unser Anliegen umfassender und konsequenter. Wir bitten Sie alle, natürlich auch die Antragsteller von Bündnis 90/Die Grünen, sehr herzlich um Zustimmung. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen fordern einmal mehr die Abschaffung des Optionsmodells. ({0}) Erst vor kurzem haben wir wieder entsprechende Anträge von Linken und Grünen im Bundestag beraten. Durch ständige Neuaufgüsse wird kalter Kaffee auch nicht wärmer. ({1}) Freilich ermöglicht dieses Vorgehen einer offenbar ratlosen Opposition, dass ich hier die Kontinuität der FDPPosition auch beim Rollenwechsel in die Regierung darlegen kann. ({2}) Wir bleiben dabei: Wir Liberalen haben dieses Modell seinerzeit vorgeschlagen, um den Unionsparteien den Weg zu einer Öffnung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts in Richtung auf das Jus Soli zu ermöglichen. Die ideologische Sturheit auf beiden Seiten aufzubrechen, war damals der entscheidende Erfolg der FDP, insbesondere von Dr. Max Stadler, der damals für uns die Verhandlungen führte. ({3}) Nach wie vor hat es keinen Sinn, ein Gesetz zu ändern, über dessen Wirkung es praktisch noch keine verwertbaren Daten gibt. ({4}) Es ist sinnvoll, erst einmal Erfahrungsberichte darüber abzuwarten, wie sich diese Regelung auswirkt, ({5}) und danach die rechtlichen Anpassungsmöglichkeiten zu prüfen. So ist es übrigens auch im Koalitionsvertrag vorgesehen. Für diese Opposition spielen Sachfragen aber offensichtlich keine Rolle. ({6}) Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschen ist es nach Auffassung der Grünen nicht zumutbar, sich bei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Die Grünen nennen dies auch konsequent Optionszwang. ({7}) Als linke Partei tun sich die Grünen mit der Wahlfreiheit, also der Kompetenz des Individuums, sich entscheiden zu dürfen, ({8}) offenbar schwer. ({9}) Die Grünen machen nun bezeichnenderweise nicht den Vorschlag, dass alle, die bislang die Wahlfreiheit haben, zukünftig ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit haben sollen und die ihres Herkunftslandes aufgeben müssen - nein. ({10}) Anders als Kinder deutscher Eltern sollen die Betreffenden durch Doppelstaatsangehörigkeit privilegiert werden. Die Grünen frohlocken über die Abschaffung des Abstammungsprinzips bei der Staatsangehörigkeit, wollen es aber gleichzeitig bei Zugewanderten beibehalten. Hartfrid Wolff ({11}) Ihnen sollen neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch weitere Staatsangehörigkeiten offenstehen. Das ist aus meiner Sicht inkonsequent. ({12}) Integration in die deutsche Gesellschaft kann unter anderem dadurch gelingen, dass man sich zu gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen Staatsbürger in die deutsche Gesellschaft integriert und dazu steht. Doppelstaatsangehörigkeit erschwert - jedenfalls in Teilen die Integration, nämlich dann, wenn Migranten mit Doppelstaatsangehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne politisch, aber auch rechtlich zwei Staaten gleichzeitig angehören. Migrantenschicksale zeigen oft, dass genau dies eben nicht möglich ist. Wer weder ganz hier sein noch ganz dort bleiben will, ist nirgendwo als gleichberechtigter Mitbürger in unserer Gesellschaft akzeptiert, ganz unabhängig vom formalrechtlichen Status. Die Grünen tun so, als ob Migration allein eine geografische Standortveränderung wäre - und damit basta! Das ist gefährlicher Unfug. ({13}) Jeder, der sich mit Migration auseinandersetzt, weiß, dass dazu mehr gehört, als sich einfach nur von A nach B zu bewegen. ({14}) Gerade im Hinblick auf individuelle Freiheitsrechte - lieber Herr Wieland, hören Sie einmal zu - wie die negative Religionsfreiheit, Emanzipation, Frauenrechte oder demokratische Kultur würde ich mir wünschen, dass die Grünen hier ihre sonst so demonstrativ zur Schau gestellte Fortschrittlichkeit auch zur Unterstützung der Integration nachdrücklich einforderten. ({15}) - Machen Sie sich keine Gedanken. Ich rede jetzt zu Ende. ({16}) Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls die Akzeptanz von Migranten. Das ist kontraproduktiv, sowohl für den Erfolg der Integration als auch für etwaige weitere Anpassungen des Staatsangehörigkeitsrechts. Wir brauchen eine vernünftige, zusammenhängende und klare Steuerung von Zuwanderung und Offenheit von beiden Seiten. ({17}) Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn, das Beherrschen der deutschen Sprache und die Einhaltung der Werte des Grundgesetzes ein Muss. Mit diesen Werten wollen wir für die deutsche Staatsangehörigkeit werben und sie nicht abwerten. Dass die SPD nach ihrer Abwahl aus der Regierung dabei mitmacht und sich von eigenen Ergebnissen während ihrer Regierungszeit in geradezu rasanter Eile abwendet, haben wir in den letzten Wochen zu oft erlebt, um noch wirklich erstaunt zu sein. ({18}) Die deutsche Sozialdemokratie hat ihren inneren Kompass völlig verloren; die FDP hält dagegen Kurs, auch in der Regierungsverantwortung. Wir stellen uns der Herausforderung eines Neuanfangs in der Integrationspolitik und wollen eine neue Kultur des Willkommens, aber auf der Basis von Gleichberechtigung und fairem Miteinander. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist in zweierlei Hinsicht ein Paradoxon: Zum einen ist der Titel des Gesetzentwurfs paradox, da dort die Rede vom Optionszwang ist. Einer Option wohnt schon vom Grundsatz her die Möglichkeit inne, aus verschiedenen Alternativen auszuwählen. ({0}) Deswegen muss die Option immer ein Privileg für Personen sein, das anderen Personen, die diese Wahlmöglichkeit nicht haben, nicht zusteht. Zum anderen ist dieser Gesetzentwurf paradox, weil das Gesetz - darauf ist schon hingewiesen worden - gerade von den Fraktionen verabschiedet wurde, die jetzt die Aufhebung des Optionszwangs fordern, ({1}) Stephan Mayer ({2}) nämlich von der roten und der grünen Bundestagsfraktion. ({3}) 1999 ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Mehrheit von Rot-Grün hier im Bundestag geändert worden. Jetzt fordern Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie hier 1999 noch vollen Herzens befürwortet und unterstützt haben, nämlich die Aufhebung des Optionsmodells. ({4}) Natürlich gibt es Aspekte, die für das Optionsmodell sprechen, und es gibt Aspekte, die dagegen sprechen. ({5}) Die christlich-liberale Koalition ist aus mehreren Gründen von der Wirksamkeit des jetzigen Optionsmodells nicht überzeugt. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Optionsmodell einer Überprüfung zu unterziehen und es zu evaluieren. Daraus jetzt aber die Schlussfolgerung zu ziehen, dass wir das Optionsmodell zugunsten einer dauerhaften doppelten Staatsangehörigkeit abschaffen werden, ist schlichtweg falsch und unzutreffend. ({6}) Wir halten am Grundsatz fest, dass die Mehrstaatigkeit grundsätzlich abzulehnen ist. ({7}) Abgesehen von den Fällen, dass jemand aufgrund des Jus Sanguinis bereits bei der Geburt zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten erhält, darf Mehrstaatigkeit immer nur die absolute Ausnahme sein. Um eines klarzumachen: Es geht hier nicht um Deutschtümelei und auch nicht darum, die deutsche Staatsangehörigkeit über die Staatsangehörigkeiten anderer Länder zu stellen. ({8}) Es geht einzig und allein darum, klarzumachen, dass eine Staatsangehörigkeit nicht nur Rechte, sondern natürlich genauso Pflichten beinhaltet. ({9}) Eine dieser Obliegenheiten ist nun einmal, dass sie Loyalität und ein grundsätzliches Bekenntnis gegenüber dem betreffenden Staat sowie auch gegenüber dem betreffenden Staatsvolk bedeutet. ({10}) Dieses Loyalitätsband - so möchte ich es nennen - kann vom Grundsatz her nun einmal nur zu einem Staat bestehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kilic?

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, sehr gerne. ({0})

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Stimmen Sie mir zu, dass alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowie die Schweizer seit dem 28. August 2007 unter Beibehaltung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit als Doppelstaatler eingebürgert werden können?

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stimme Ihnen zu, dass es diese Regelung gibt. Sie haben aber richtigerweise darauf hingewiesen - so ehrlich waren Sie -, dass diese Regelung die Gegenseitigkeit beinhaltet. Diese Regelung gilt also nur dann für in Deutschland lebende EU-Ausländer, wenn das entsprechende EU-Land es auch Deutschen erlaubt, neben der deutschen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit dieses Landes zu erhalten. Dies ändert aber nichts daran, dass der Grundsatz der Mehrstaatigkeit immer die absolute Ausnahme darstellen muss. ({0}) Es kann nicht sein, dass man im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts Rosinenpickerei betreibt. Es kann nicht sein, dass ich das Erbrecht des einen Staates und das Wehrrecht des anderen Staates - vielleicht weil es dort günstiger ist - und am besten, wenn es um das Wahlrecht geht, sogar beide Staatsangehörigkeiten in Anspruch nehme. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Kilic?

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, sehr gerne.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie mir zu, Herr Kollege, dass seit dem Jahre 2008 52 Prozent aller Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit erfolgt sind? ({0}) - Nein, es ist aber Fakt, dass die Mehrstaatigkeit zur Regel wird, nicht zur Ausnahme. So ist die Welt. Im internationalen Privatrecht zum Beispiel geht man damit seit Jahrhunderten wunderbar um. Das ist kein Problem. ({1})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege, dass Sie auf diesen Punkt hinweisen. Das erspart mir, diese Zahlen während meiner Redezeit darzulegen. Wir hatten in den letzten zehn Jahren in Deutschland jedes Jahr zwischen 94 000 und 186 000 Einbürgerungen zu verzeichnen. ({0}) Ungefähr 55 Prozent davon sind so erfolgt, dass die alte Staatsangehörigkeit beibehalten werden konnte. ({1}) Diese Zahlen sind für mich ein ganz klarer Beleg dafür, dass es uns nicht darum geht, die deutsche Staatsangehörigkeit nur einigen wenigen zuzugestehen. Vielmehr geht es darum, unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit zu erteilen. Sie sprechen jetzt von Einbürgerungen. Der Gesetzentwurf befasst sich aber im Unterschied dazu mit der Abschaffung des Optionsmodells, also mit der Erteilung der deutschen Staatsangehörigkeit von Geburt an. Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass die Erteilung der deutschen Staatsangehörigkeit am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses vielleicht sogar angebracht sein kann. ({2}) Sehr geehrter Kollege, ich bin aber nicht Ihrer Auffassung, dass die Erteilung der Staatsangehörigkeit der erste Schritt hin zu einer guten Integration ist. Die Erteilung der Staatsangehörigkeit kann immer nur am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen. Auf Folgendes ist schon hingewiesen worden: In der rot-grünen Bundesregierung ist viel von Integration geredet worden. Tatsächlich gehandelt worden ist bei der Integration in den letzten vier Jahren, unter Regierungsbeteiligung der CDU/CSU. ({3}) Wir haben das Thema Integration auf die Tagesordnung gebracht. ({4}) Es ist viel passiert. Das Amt eines Integrationsbeauftragten der Bundesregierung ist geschaffen worden. Ein Integrationsplan ist erstellt worden. Mehrere Integrationsgipfel haben stattgefunden. Endlich sind finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt worden, um Sprachangebote bzw. Sprachkurse tatsächlich stattfinden zu lassen. In diesem Zusammenhang muss uns allen eines klar sein: Nur das Ausgeben eines Personalausweises bedeutet noch nicht, dass jemand ordentlich und gut in die deutsche Gesellschaft integriert ist. ({5}) Erst dann, wenn er über profunde Deutschkenntnisse verfügt, hat er die Voraussetzungen, sich erfolgreich in der deutschen Gesellschaft zu etablieren, sowohl beruflich als auch privat. ({6}) Wir haben in den letzten vier Jahren tatsächlich etwas für Integration gemacht. Sie wollen diese erfolgreichen Bemühungen mit Ihrem Gesetzentwurf lediglich verschleiern, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Um es klarzumachen: Wir lassen uns von Ihrem Gesetzentwurf nicht von unserem Weg abbringen. Wir werden weiterhin daran festhalten: Integration ist ein ganz entscheidendes innenpolitisches Thema unserer Zeit. ({8}) Es geht um tatsächliche Integration. Es geht darum, die Vereine und Verbände vor Ort zu unterstützen und zu fördern, damit sie Personen mit Migrationshintergrund Angebote unterbreiten. Es geht darum, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sich jemand, der nach Deutschland kommt und noch nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, die deutsche Sprache aneignen kann. Es geht auch darum, in der Schule erfolgreiche Integration stattfinden zu lassen. Wir wollen dafür mehr tun und nicht plakativ der Abschaffung des sogenannten Optionszwangs das Wort reden. ({9}) Abgesehen davon ist es für Ihren Gesetzentwurf, den Sie heute in der ersten Lesung einbringen, viel zu früh. Dieser Gesetzentwurf kommt zur absoluten Unzeit, schon Stephan Mayer ({10}) deshalb, weil es überhaupt keine verlässlichen, keine profunden Erfahrungen mit dem Optionsmodell gibt. ({11}) Die ersten jungen Leute sind im Jahr 2008 angeschrieben worden, als sie das 18. Lebensjahr erreicht haben. Ihnen steht jetzt eine fünfjährige Bedenkzeit zu. Ich glaube, ein Zeitraum von fünf Jahren ist ausreichend, um sich darüber klar zu werden, zu welchem Staat und auch - das sage ich ganz offen - zu welcher Kulturgemeinschaft und Wertegemeinschaft man die engeren inneren Bindungen hat, und sich bis spätestens zum Erreichen des 23. Lebensjahres für eine der beiden Staatsangehörigkeiten verlässlich zu entscheiden. ({12}) Ich habe mir das Schreiben, das den Personen zugeht, die von dieser Option Gebrauch machen können, genau angesehen. Dieses Schreiben umfasst zwei Seiten. Es ist plausibel und sehr verständlich formuliert. Es wird ein Beratungstermin angeboten. Ich glaube, dass die richtigen Voraussetzungen geboten werden, um dem Optionsmodell zum Durchbruch zu verhelfen. Ich sage aber auch ganz offen - darauf habe ich eingangs hingewiesen -: Es gibt Defizite und gewisse Nachteile im Optionsmodell. Wir wollen das Optionsmodell nüchtern und verlässlich evaluieren, uns dafür so viel Zeit nehmen, wie notwendig ist, ({13}) und dann die Defizite abschaffen. Zuallerletzt sage ich: Ein ganz wichtiger Punkt wäre meines Erachtens, dass man gerade im Bereich der Schule noch mehr Aufklärungsarbeit und Informationsarbeit leistet, um die jungen Leute profund darüber zu informieren, welche Pflichten und Rechte mit einer Staatsangehörigkeit verbunden sind. Dies wäre gerade im Bereich der Bildungsarbeit ein lohnenswerter und wertvoller Ansatz. In diesem Sinne ist dem Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung beraten wurde, mit vollem Herzen eine Absage zu erteilen. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/542 und 17/773 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor ich die heutige Sitzung schließe, weise ich auf Folgendes hin: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bezüglich ihrer Abstimmung über die Entschließung zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten eine Korrektur vorgenommen. Sie stimmt dieser Entschließung zu. Das will ich hiermit zu Protokoll gegeben haben. Damit sind wir nun wirklich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 3. März 2010, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.