Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Sie darüber unterrichten, dass interfraktionell vereinbart worden ist, vor der Befragung der Bundesregierung als Zusatzpunkt eine vereinbarte Debatte mit dem Titel
„Konsequenzen für Deutschland aus der internationalen
Internetüberwachung“ aufzurufen.
Darüber hinaus soll die Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2012 - Einzelplan 20 auf Drucksache 17/13640 dem Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 3 auf:
Vereinbarte Debatte
Konsequenzen für Deutschland aus der internationalen Internetüberwachung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen, wobei
die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen jeweils zehn Minuten erhalten sollen. - Ich höre
auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Hans-Peter Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Schutz der Privatsphäre ist Ausfluss der
Grundrechte unserer Verfassung. Deswegen ist der „gläserne Bürger“ mit unserem Verfassungsverständnis in
diesem Lande nicht zu vereinbaren. Staatliches Handeln,
das Handeln aller Behörden, auch der Sicherheitsbehörden, auch der Nachrichtendienste, muss sich streng an
Gesetz und Recht halten. Und: Diese Behörden werden
vom Parlament und von den Gremien, die dazu vom Parlament eingesetzt worden sind, kontrolliert. Die Aufregung in Deutschland über Presseberichte, wonach die
USA und auch die Briten angeblich flächendeckend,
pauschal Inhalte von Kommunikation speichern, analysieren und ausspähen - und das Hand in Hand mit den
Internetunternehmen -, ist deswegen sehr verständlich.
Hieraus ergeben sich Fragen.
({0})
Die erste und wichtigste Frage an die Amerikaner und
an die Briten ist natürlich: Was ist dran an diesen Presseberichten? Wir hatten zunächst nur Meldungen, die in
der Presse rauf- und runterdiskutiert wurden. Wir haben
nun erste öffentliche Stellungnahmen vom Chef der
NSA und aus Großbritannien vom Koordinator der Geheimdienste erhalten, in denen sie darauf hinweisen,
dass diese Presseberichte zumindest so, wie sie geschrieben sind, nicht zutreffen. Wir haben inzwischen auch
Antworten der deutschen Niederlassungen von Internetunternehmen erhalten, in denen sie uns darauf hinweisen, dass es nach ihrer Kenntnis niemals ein flächendeckendes Abgreifen oder einen flächendeckenden Zugriff
auf ihre Daten gegeben hat. Dass es Einzelanfragen im
Rahmen der vorgesehenen Gesetze und des Rechts gegeben hat, steht außer Frage. Aber das ist auch normal,
glaube ich.
Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren:
Ganz unabhängig davon, was die Aufklärung und Beantwortung all dieser Fragen ergeben wird: Richtig ist, dass
wir immer um die Balance von Freiheit und Sicherheit
ringen müssen. Es gilt dabei der Satz: Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit. Wenn die Menschen Angst haben
müssen, dass sie in der U-Bahn in die Luft gesprengt
werden, wenn die Menschen Angst haben müssen, dass
ihre Häuser ausgeräumt werden, während sie im Urlaub
sind, wenn sie Angst haben müssen, dass ihre Kinder auf
dem Weg zur Schule entführt werden,
({1})
dann ist die Freiheit bedroht. Deswegen braucht Freiheit
auch Sicherheit.
Es kommt aber auf die richtige Balance an. Richtige
Balance heißt: Man darf das Sicherheitsstreben nicht so
weit überziehen, dass die Freiheit Schaden nimmt.
({2})
Unsere Sicherheit, meine sehr verehrten Damen und
Herren, ist bedroht. Sie ist bedroht durch organisierte
Kriminalität, sie ist bedroht durch internationalen Terrorismus. Ich darf meinen Kollegen, den Innenminister aus
Frankreich, der der sozialistischen Partei angehört, zitieren, der noch im Mai gesagt hat: Es gibt ein weltumspannendes Netz an Terrorismus, das uns bedroht, das uns
nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland
und in ganz Europa bedroht.
({3})
Das ist ein Faktum, an dem keiner vorbeikann.
Deutschland ist glücklicherweise in den letzten Jahren von großen Anschlägen verschont geblieben. Wir
verdanken das unter anderem auch den Hinweisen unserer amerikanischen Freunde. Ich will nur an die Sauerland-Gruppe erinnern, die rechtzeitig dingfest gemacht
wurde, noch bevor sie großen Schaden anrichten konnte.
Diese Zusammenarbeit zwischen den deutschen Sicherheitsbehörden, denen unserer europäischen Nachbarn
und Partner sowie den Sicherheitsbehörden der USA bildet die Grundlage der Sicherheit, die wir in den letzten
Jahren erreicht haben; dadurch wurde Gott sei Dank bisher verhindert, dass es in Deutschland einen Anschlag
mit vielen Toten gegeben hat, wie das in anderen Ländern der Fall war.
Aber, meine Damen und Herren: Es muss immer sichergestellt werden - das hat die Bundeskanzlerin,
glaube ich, beim Besuch des amerikanischen Präsidenten gesagt -, dass auch die Zusammenarbeit zwischen
den Nachrichtendiensten auf Recht und Gesetz beruht,
und vor allem, dass alles verhältnismäßig ist. Das heißt,
dass das Ziel, das man erreichen will - Sicherheit -, mit
dem Eingriff in die Privatsphäre vereinbar ist. Man muss
hier die richtige Balance finden.
Ich möchte Ihnen einmal unser gemeinsames europäisches Rechtsverständnis hierzu darlegen:
Erstens. Nach europäischem Recht ist es zulässig,
dass Verbindungsdaten von Kommunikation - keine Inhalte! - flächendeckend zwischen sechs Monaten und
zwei Jahren gespeichert werden.
({4})
Wir brauchen diese Speicherung, um durch Zugriff auf
die Daten Netzwerke von Terroristen und Extremisten
ausmachen zu können.
({5})
Zweitens. Entscheidend ist nicht diese Speicherung,
sondern die Frage, wer Zugriff auf die Daten hat.
({6})
In Bezug auf die Frage, wer Zugriff auf diese Daten hat,
hat das Bundesverfassungsgericht - Sie haben das eben
richtig eingeworfen - genaue restriktive Vorgaben gemacht.
({7})
An diese restriktiven Vorgaben müssen sich selbstverständlich auch der Gesetzgeber und in der Folge die Behörden halten.
Drittens. Man darf auf Kommunikationsinhalte zugreifen, aber nur wenn es eine richterliche Anordnung
bzw. eine Anordnung der G-10-Kommission, einer
demokratisch von diesem Parlament bestimmten Kommission, gibt. Dann darf man auch auf die Inhalte der
Kommunikation von organisierten Kriminellen, von
Rauschgifthändlern, von Waffenhändlern und von Terroristen zugreifen. Das alles ist möglich.
({8})
Meine Damen und Herren, ich weiß oder gehe davon
aus, dass auch unsere amerikanischen Freunde ein ähnliches Rechtsverständnis haben und sich ihre Gesetze an
diesem Rechtsverständnis orientieren.
({9})
- Ich habe bisher keine Hinweise, die daran zweifeln lassen, dass das Rechtsverständnis einer der ältesten Demokratien der Welt dem Rechtsverständnis ähnelt, das wir
in Europa haben.
({10})
- Da darf man in der Tat Beifall klatschen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es mag
sein, dass wir bei der Frage der Quantität der zu erhebenden Daten unterschiedliche Auffassungen haben. Ja, das
ist richtig; aber wichtig ist, dass sich Behörden, Sicherheitsdienste - wer auch immer! - in den USA, in Europa, in Deutschland stets an Recht und Gesetz zu halten
haben und - das ist das Entscheidende ({11})
unser Parlament - Sie alle - sowie die Parlamente in
Großbritannien und in den USA, deren Abgeordnete von
den Bürgern demokratisch gewählt sind, kontrollieren,
was die Geheimdienste machen. Das ist eine Tatsache,
an der auch Sie nicht vorbeikommen.
({12})
- Liebe Frau Künast, was ist denn das hier wieder für
eine Hybris? Wollen Sie einer der ältesten Demokratien
erzählen, wie sie ihre Behörden kontrollieren muss?
({13})
Selbstverständlich hat der amerikanische Kongress ein
eigenes Interesse, die eigenen Behörden zu kontrollieren; das ist doch ganz selbstverständlich. Die brauchen
doch Ihre Belehrungen nicht.
Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zur
schlechten Nachricht.
Herr Innenminister, ich unterbreche Sie ungern. Der
Abgeordnete Ströbele würde Ihnen gerne eine Frage
stellen. Das würde wiederum Ihre Redezeit verlängern.
({0})
Ja, bitte, Herr Ströbele! Dabei wäre ich fast fertig gewesen.
({0})
Also, auf geht’s!
Herr Minister Friedrich, können Sie den Deutschen
Bundestag und die Öffentlichkeit einmal darüber aufklären, über was Sie überhaupt reden?
({0})
Wissen Sie als Minister für Verfassung und Verfassungsschutz, wissen die Bundesregierung und die Kanzlerin
nach dem Gespräch mit Obama überhaupt, wie viele Daten über Deutschland, von Deutschland, von Deutschen
abgegriffen, gespeichert und verwertet worden sind?
Wenn nicht, über was reden Sie hier eigentlich?
({1})
Wie können Sie sagen, man halte sich in den USA oder
in Deutschland an Gesetz und Recht, wenn Sie gar nicht
wissen, was die gemacht haben? Sagen Sie uns das doch
einmal.
Herr Ströbele, bisher stammen alle Angaben zu der
Frage, in welcher Quantität und welcher Qualität dort etwas gemacht wird, aus irgendwelchen Presseveröffentlichungen, deren Inhalt von den Zuständigen in den USA
bestritten wird; sie sagen in öffentlichen Äußerungen:
Wir halten uns an Recht und Gesetz. ({0})
Das ist das Faktum. Ich habe Ihnen jetzt erklärt, was unser Rechtsverständnis ist, was unsere Rechtslage ist und
was für ein Rechtsverständnis und welche parlamentarische Kontrolle - wir glauben, dass sie die auch durchführen - wir von unseren Partnern und Freunden erwarten.
({1})
Wir haben Fragen gestellt. Die Fragen sind, wie gesagt, von den Internetunternehmen beantwortet worden.
Sie sagen klipp und klar: Wir haben nicht flächendeckend Daten zur Verfügung gestellt. ({2})
Das ist das Gegenteil von dem, was in der Presse steht.
({3})
Auch die Zuständigen in Washington haben erklärt: Das,
was dort steht, ist so nicht zutreffend; wir halten uns an
Recht und Gesetz. - Es handelt sich dort um eine
Rechtsordnung, von der ich glaube, dass sie unserer ähnlich, mit unserer vergleichbar ist; ich habe jedenfalls
keine anderen Hinweise.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt kommt
die wirklich schlechte Nachricht: All das, was man der
NSA unterstellt, ist offensichtlich technisch möglich,
und alles, was technisch möglich ist, ist auch durch die
organisierte Kriminalität und durch Terroristen nutzbar,
({4})
nur mit dem Unterschied, dass sie nicht von Parlamenten
kontrolliert werden und sich nicht an Gesetze halten.
Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir unsere Daten, unsere Leitungen, unsere Netze, unsere Infrastruktur widerstandsfähig machen. Darüber rede ich hier seit Monaten. Wir müssen dafür sorgen, dass Spionage und
Sabotage in den Netzen nicht vorkommen können.
({5})
Deswegen, meine Damen und Herren, habe ich ein IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht, das genau das
verhindern soll, nämlich dass kritische Infrastruktur in
Deutschland zum Schaden des ganzen Landes beschädigt und sabotiert werden kann. Wir hatten die ersten
Sachverständigenanhörungen dazu, die sehr positiv verliefen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz muss spätestens nächstes Jahr im Gesetzblatt stehen.
Da bitte ich Sie alle, soweit Sie dann noch hier sind, um
Ihre Unterstützung.
({6})
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Thomas Oppermann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, ich bin einigermaßen
schockiert, dass Sie sich ein, zwei Wochen nach Bekanntwerden dieser Vorfälle
({0})
immer noch völlig ahnungslos präsentieren und ganz offenkundig nicht das richtige Problembewusstsein für
diese Frage entwickelt haben.
({1})
Wenn das, was Edward Snowden berichtet hat, zutrifft, wenn US-Geheimdienste beliebigen Zugriff nicht
nur auf die Verbindungsdaten, sondern auch auf die
Kommunikationsinhalte über die US-amerikanischen
Internetfirmen wie Google, Apple, Facebook, Skype
usw. haben, wenn es zutrifft, dass britische Dienste
200 transatlantische Glasfaserverbindungen überwachen und Informationen aus diesen speichern können,
wenn die Verbindungsdaten und sogar die Inhalte von
Millionen Telefongesprächen, E-Mails und Videos überwacht und gespeichert werden, dann ist das der umfassendste Eingriff in die Grundrechte deutscher Staatsbürger, den wir bisher erlebt haben.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat in diesem Zusammenhang
festgestellt, das Internet sei Neuland. Das mag sie so
sehen. Aber was kein Neuland ist, ist unsere Verfassung.
Das Grundgesetz schützt die informationelle Selbstbestimmung, das Grundgesetz garantiert das Fernmeldegeheimnis, und das Bundesverfassungsgericht hat aus
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Grundrecht
auf die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet.
({3})
Über allem steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Das bedeutet: Der schrankenlose Zugriff von Nachrichtendiensten auf die privaten Informationen von Bürgerinnen und Bürgern ist eindeutig illegal und verfassungswidrig.
({4})
Das ist jedenfalls nach deutschem Recht so. Gleichwohl
haben Sie als Bundesregierung die Pflicht, gegenüber
der britischen und der amerikanischen Regierung zu intervenieren und die Rechte deutscher Staatsbürger zu
schützen.
({5})
Herr Friedrich, ich will Ihnen gar nicht persönlich
zum Vorwurf machen, dass Sie das alles nicht wussten.
({6})
Aber ich finde es unerträglich, dass der deutsche Innenminister von solchen Sachverhalten aus der Zeitung
erfährt. Ich finde es schwer erträglich, dass unsere Nachrichtendienste nicht wissen, was da passiert; und die
Kanzlerin ist auch noch ahnungslos. Dabei geht es hier
ja nicht um Cyberangriffe aus Russland oder China - in
solchen Fällen hätte ich das noch gelten lassen -,
({7})
sondern es geht um Grundrechtseingriffe durch die
Dienste befreundeter Staaten.
Großbritannien ist Mitglied der Europäischen Union,
({8})
und mit den Amerikanern zusammen sind wir in der
NATO verbunden. Wir verteidigen ein gemeinsames
Wertesystem, und dazu gehören auch die Freiheitsrechte
der Bürgerinnen und Bürger.
({9})
Wir werden mit unseren Verbündeten darüber reden
müssen, wie die Freiheitsrechte eingehalten werden können.
Klar ist natürlich: Wir brauchen auch funktionierende
Nachrichtendienste, die uns rechtzeitig vor Anschlägen
warnen und schützen. Aber Nachrichtendienste sind an
Gesetz und Recht, an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.
({10})
Das Sammeln von Informationen über terroristische
Anschläge rechtfertigt keine Totalüberwachung der Bürgerinnen und Bürger.
({11})
Ende der Woche tagt der Europäische Rat. Ich habe
die klare Erwartung, dass die Bundeskanzlerin die mit
dem britischen Spähprogramm verbundene Problematik
anspricht, und zwar so klar, dass es auch Konsequenzen
hat.
Herr Friedrich, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
von Ihnen erwarte ich mehr, als nur einen Brief an die
Botschaft zu schicken
({12})
und abzuwarten, welche Antwort Sie bekommen,
({13})
sowie ein bisschen öffentliche Besorgnis und Empörung
zu zeigen. Das reicht natürlich nicht. Wir erwarten, dass
Sie sich mit Ihren Amtskollegen an einen Tisch setzen
und die Rechtslage und die Faktenlage aufarbeiten,
damit wir präzise Informationen über das erhalten, was
da passiert. Das ist Ihre Aufgabe.
({14})
Wir wollen wissen: Wie umfassend und intensiv wird in
die Grundrechte deutscher Staatsbürger eingegriffen?
Auf welcher Rechtsgrundlage geschieht das? Welche
Schutzvorkehrungen gibt es? Und wie können wir zu
vergleichbaren Rechtsvorschriften kommen?
Nicht nur private Bürgerinnen und Bürger, sondern
auch die mittelständischen Unternehmen in Deutschland
machen sich große Sorgen. Sie haben zu Recht Angst
vor Wirtschaftsspionage. Dadurch gehen diesen Unternehmen Milliardenwerte verloren. Ihre Investitionen in
Forschung und Entwicklung werden entwertet. Wenn
schon befreundete Nachrichtendienste es so leicht
haben, wer schützt unsere elektronische Kommunikation
dann vor weniger freundlich gesinnten Zeitgenossen?
({15})
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat gestern den Hinweis gegeben, die Bürgerinnen und Bürger
sollten europäische Clouds nutzen.
({16})
Gibt es die überhaupt in ausreichender Anzahl? Es gibt
eine riesige Nachfrage nach sicherer elektronischer
Kommunikation. Wir müssen die Rahmenbedingungen
so setzen, dass diese Nachfrage befriedigt werden kann.
Wenn Sie jetzt von einem Internetsicherheitsgesetz
sprechen, frage ich mich: Wo ist denn der Gesetzentwurf?
({17})
Ich habe eben nach der Drucksache gesucht. Herr Bundesinnenminister, die Wahlperiode ist fast vorbei. Sie
hatten vier Jahre Zeit. Diesen Gesetzentwurf haben Sie
Ihren Innenministerkollegen auf den Tisch gelegt, aber
Sie haben sich gegenüber der FDP nicht durchsetzen
können. Dieser Gesetzentwurf ist nicht einmal in den
Bundestag eingebracht worden, und dies ist bekanntlich
die letzte reguläre Sitzungswoche in dieser Legislaturperiode.
({18})
Wenn Sie jetzt damit kommen, dann ist das ein Armutszeugnis. Damit gestehen Sie ein, dass Sie hier nicht
rechtzeitig gehandelt haben. Wir brauchen eine europäische Cybersicherheitsstrategie. Dafür müssen Sie Rahmenbedingungen setzen, rechtliche und ökonomische!
Wir müssen die Daten und Informationen in unserer
Kommunikation besser schützen können.
Vor allen Dingen brauchen wir, meine Damen und
Herren - dies soll meine letzte Bemerkung sein -, europäische Sicherheitsstandards. Dazu gehört auch, dass die
EU-Datenschutzrichtlinie dringend überarbeitet wird.
Diese Regierung hat das verhindert, weil sich Frau
Leutheusser-Schnarrenberger und Herr Friedrich darüber
nicht einigen konnten.
({19})
Das Internet ist global,
({20})
und die Angriffe aus dem Internet sind auch global. Der
Schutz vor solchen Angriffen ist national, und der
Datenschutz ist auch national. Das ist absurd. Das müssen wir überwinden. Wir müssen eine europäische
Cybersicherheitsstrategie und einen europäischen Datenschutzstandard entwickeln, der uns in die Lage versetzt,
den Datenschutz international, auch gegenüber den
Vereinigten Staaten, durchzusetzen. Daran hätten Sie arbeiten müssen. Vier Jahre lang haben Sie nichts davon
getan.
({21})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Jimmy
Schulz das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Da diese Debatte auch im Internet übertragen
wird, grüße ich natürlich auch die Zuhörerinnen und Zuhörer an den Überwachungsgeräten.
({0})
Ich bin entsetzt und überrascht über die, die überrascht sind, wissen wir doch vieles von dem, was wir gehört haben, schon seit einiger Zeit:
({1})
2001 gab es die Debatte über Echelon im Europäischen
Parlament, 2001 gab es den Patriot Act und den Foreign
Intelligence Surveillance Act - FISA -, und seit über
einem Jahr ist bekannt, dass das Datenzentrum in Utah
von der NSA gebaut wird. In einem Artikel in Telepolis
stand dazu vor über einem Jahr, das
„Utah Data Center“ sei das letzte Stück eines
komplexen Systems, das in den letzten zehn Jahren
entwickelt wurde und fast alles können soll, was
sich ein Geheimdienst nur wünschen kann. Es soll
die gesamte Kommunikation, die über Satelliten,
Überseekabel oder zentrale US-Switches der großen Telekomanbieter läuft, abfangen, speichern,
entschlüsseln und analysieren.
Sie sehen: Vieles war bekannt. Auf der DEFCON,
dem größten Hackerkongress der Welt, sagte der NSAChef Keith Alexander: We don’t spy on everyone of
you. - Das lässt zugleich aber auch großen Interpretationsspielraum, wen er ausspioniert.
({2})
- Ich war dort.
({3})
Was bedeuten diese Informationen, wenn sie stimmen?
Das ist die größte anlasslose Massenbespitzelung von
- wahrscheinlich - deutschen Bürgerinnen und Bürgern
und der deutschen Wirtschaft; ein solches Ausmaß hätten
wir uns nicht vorstellen können. Das ist eine eklatante
Verletzung der Freiheitsrechte, unserer Datenschutzregelungen, unserer informationellen Selbstbestimmung und
nicht zuletzt von Art. 10 des Grundgesetzes, dem Fernmelde- und Kommunikationsgeheimnis.
({4})
Wir Deutsche sind zu Recht sensibel. Deutsche
Unrechtsstaaten haben auch in Deutschland im letzten
Jahrhundert ihre Bürgerinnen und Bürger perfide ausspioniert. Das, was jetzt passiert, schürt das Misstrauen
in staatliche Gewalt und stellt für viele Bürgerinnen und
Bürger infrage, was wir denn da tun.
({5})
Aufklärung und Transparenz über diese Programme auf
allen Kanälen sind nötig.
({6})
Darum bemüht sich die Bundesregierung,
({7})
die Briefe geschrieben hat und auf Antworten wartet.
({8})
Wir wollen keine inhaltlichen Details, aber wir wollen
wissen: Auf welcher Rechtsgrundlage passieren diese
Dinge?
({9})
Welche Daten werden abgegriffen? In welchem Umfang
geschieht dies? Sind Deutsche davon betroffen?
({10})
Und: Wie werden diese Daten abgesaugt? Diese Transparenz gefährdet übrigens nicht unsere Sicherheit, sondern sie ist für eine entwickelte Demokratie zwingend
erforderlich. Unter Freunden haben wir ein Recht darauf,
das zu erfahren.
({11})
Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden? Wir
brauchen klare internationale Regeln. Wir brauchen eine
Debatte darüber, und zwar auch international, was wir
akzeptieren wollen und was nicht. Die Datenschutzdebatte muss national, europäisch und natürlich auch international geführt werden.
({12})
Wir brauchen eine bessere Kontrolle und Transparenz
der Geheimdienste; das haben wir in unserem Positionspapier schon vor geraumer Zeit gefordert.
Aber wir in Deutschland sollten auch darüber nachdenken, wie wir selbst mit Plänen zur anlasslosen Datenspeicherung umgehen wollen. Auch wenn es hier im
Hause möglicherweise eine Mehrheit für eine anlasslose
Speicherung aller Kommunikationsdaten gäbe, die breite
Öffentlichkeit - das hat diese Debatte gezeigt - will das
nicht.
({13})
Nicht nur deswegen sollten wir die Pläne für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung endlich über Bord werfen.
({14})
Denn dies wäre der Einstieg in viel Schlimmeres, und
nicht alles, was technisch möglich ist, nicht alles, was
technisch machbar ist, ist auch gesellschaftlich tolerabel.
({15})
Wir können uns aber schon jetzt vor den Schnüffelstaaten schützen; das gilt übrigens nicht nur für Staaten.
Wir können Achtsamkeit und ein Bewusstsein dafür, was
man denn da gerade selber macht, fördern. Eine E-Mail
ist - das muss jeder wissen - so offen wie eine Postkarte.
Lassen Sie die Daten im deutschen Rechtsraum. Verschlüsseln Sie Ihre Daten. Nutzen Sie sichere Clouddienste. Nutzen Sie sichere Software und Betriebssysteme.
({16})
Verbessern wir deutsche Kompetenzen in Forschung und
Industrie. Lassen Sie uns im Bildungssystem das Bewusstsein hierfür schärfen.
Doch ein Gutes hat die Sache. Jetzt, da wir wissen,
dass man Skype abhören kann, benötigen wir weder
Staatstrojaner noch Quellen-TKÜ. Das Geld sollten wir
besser in den Schutz investieren. Das BSI kann da wertvolle Hilfe leisten.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
reden hier über zwei Skandale. Der eine besteht darin,
dass Großbritannien und die USA seit Jahren großangelegte Überwachungsangriffe und damit Angriffe auf die
Persönlichkeitsrechte unbescholtener Bürgerinnen und
Bürger in aller Welt durchführen.
({0})
Der andere Skandal besteht darin, dass die Bundesregierung ihre Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger vor
diesen Angriffen zu schützen, sträflich vernachlässigt
hat.
({1})
Herr Innenminister, Sie haben hier heute voll an der
Sache vorbei argumentiert. Offensichtlich haben Sie
auch nicht die richtigen Informationen. Wir wissen aus
dem Innenausschuss, dass von den USA noch gar nichts
beantwortet wurde.
({2})
Statt tatsächlich Aufklärung herbeizuführen, haben Sie
beispielsweise in der letzten Woche in einem Interview
gesagt, dass Sie sich die harsche Kritik an unseren Partnern verbitten.
({3})
Dazu kann ich nur so viel sagen: Wieso Partner? Die Geheimdienste der USA und Großbritanniens können nicht
unsere Partner sein, nicht Partner der Bürgerinnen und
Bürger in Deutschland und schon gar der auf der ganzen
Welt - ganz im Gegenteil.
Der Präsident Venezuelas Maduro hat zum Beispiel
Folgendes dazu gesagt: „Was würde passieren, wenn die
Welt erführe, dass Venezuela spioniert? Sicherlich würde
der UN-Sicherheitsrat einberufen werden.“ Ich füge
hinzu: Sicherlich würden die USA nicht mit Drohungen
geizen. Empörend ist nicht nur die Heuchelei der USA,
empörend ist auch, dass die Bundesregierung die Grundwerte unserer Verfassung faktisch kampflos preisgibt.
Letzte Woche war US-Präsident Obama da. Die Bundeskanzlerin hatte nur lauter warme Worte für ihn - Küsschen hier, Küsschen da.
({4})
Stattdessen hätte sie ihm lieber einmal klipp und klar
und in aller Öffentlichkeit sagen sollen, was wir davon
halten, dass Bürger und Bürgerinnen hier überwacht
werden, und dass er gefälligst Schluss damit zu machen
hat, uns auszuspionieren.
({5})
Die Bundesregierung behauptet, sie habe von den
Überwachungsprogrammen nichts gewusst. Wer soll das
glauben? Wenn Sie tatsächlich nichts gewusst haben,
wozu haben Sie eigentlich Ihre Geheimdienste, die deutschen?
({6})
Ist nicht Spionageabwehr eine Aufgabe des Verfassungsschutzes und des BND?
({7})
Das wäre ein weiterer Beweis dafür, dass diese Geheimdienste nichts, aber auch gar nichts zu unserer Sicherheit
beitragen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass Sie sehr
wohl gewusst haben, was da läuft.
Der frühere BND-Chef beispielsweise, Herr Wieck,
sagte gestern im Deutschlandfunk, ein solches Vorgehen
sei - ich zitiere - „das natürliche, tägliche Brot von Geheimdiensten“, auch des BND; er setzt nämlich darauf,
von den erschnüffelten Erkenntnissen etwas abzukriegen. So wie der BND sich nicht scheut, Aussagen zu
verwerten, die erpresst wurden - zum Beispiel, wie wir
wissen, in Folterknästen wie Guantánamo -, will er auch
illegal abgefangene E-Mails verwerten. Wenn der BND
nicht genauso schnüffelt, dann nicht, weil er Skrupel davor hätte, sondern weil ihm schlicht und einfach die Ressourcen dazu fehlen - zum Glück, kann man da nur
sagen.
({8})
Aber wir wissen auch, dass der BND mit einem Millionenprogramm aufrüsten will, um es seinem großen Bruder gleichzutun. Die Linke erwartet, dass die zuständigen Ausschüsse hier keine Zusagen machen und keinen
Cent dafür freigeben.
({9})
Meine Damen und Herren, wir erleben in diesen Tagen, dass die westliche Welt, die sich selbst so arrogant
die „freie“ Welt nennt, sich als Raum der Überwachung,
der Verletzung der Intimsphäre und des Unrechts entpuppt. Ich weiß nicht, ob Verhandlungen über Datenschutzabkommen weiterhelfen. Was nottut, sind auf jeden Fall Schutzprogramme, um die Überwachung zu
verhindern oder wenigstens ihren Preis massiv hochzutreiben.
Die Linke erwartet von der Bundesregierung klare
Ansagen: Was wollen Sie tun, um die Überwachungsangriffe aus den USA und Großbritannien auf unsere
Grundwerte abzuwehren?
Noch etwas: Je mehr sich herausstellt, dass die westlichen Geheimdienste sich einen Dreck um die Demokratie scheren, desto mehr verdienen jene Anerkennung, die
tatsächlich für Freiheitsrechte kämpfen. Ich rede von
Leuten wie den Aktiven von WikiLeaks, von Bradley
Manning, der seit Jahren in einem US-Militärknast
schmort, und von Edward Snowden. Snowden hat die
Schnüffelpraxis der USA und der Geheimdienste aufgedeckt. Für dieses Verdienst droht ihm nun schwerste Verfolgung durch die US-Behörden. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn wir alle ihm sagen würden: Du bist hier
willkommen. - Edward Snowden verdient unsere Solidarität und unser Asyl.
Ich danke Ihnen.
({10})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Renate Künast das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Ihre Rede hier wäre selbst einem Erstsemester in den Rechtswissenschaften komisch aufgestoßen.
({0})
Da geben Sie zum Besten, dass die Exekutive an Recht
und Gesetz gebunden ist. Ja, und dann, Herr Minister?
An welches Recht, an welches Gesetz, was sind die Regeln, und halten Sie sich daran? Das sind doch die Fragen.
({1})
Es geht um Millionen von Verbindungsdaten, es geht
um Inhalte, es geht um umfassende Eingriffe. Aber Sie
sind nicht einmal in der Lage, hier darzustellen, wie umfassend die Eingriffe sind, was alles ausspioniert wird geht es um Wirtschaftsspionage bis hin zum Terrorismus, um den gesamten Privatverkehr all derer, die hier
oben auf der Tribüne sitzen oder gerade im Livestream
zuschauen? - und was mit diesen Daten passiert. Kein
Wort haben Sie dazu gesagt. Aber Sie haben einmal den
Eid geleistet, unser aller Rechte in Deutschland zu wahren. Wo bleiben Ihre entsprechenden Aktivitäten?
({2})
Sie erzählen uns hier wieder, dass Freiheit und Sicherheit zusammengehörten und es Freiheit ohne Sicherheit
nicht gebe. Auf diesem Parkett könnte ich jetzt auch
herumtänzeln.
({3})
Wir sind doch längst weiter. Wir wissen, dass es in diesem Spannungsverhältnis eine Balance zu finden gilt.
Wir kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen, wie diese Balance aussehen sollte. Außerdem geht
es hier um einen realen Fall. Auch deshalb ist uns mit einer Erstsemestervorlesung in Philosophie nicht gedient.
({4})
Im konkreten Fall werden wir alle zu gläsernen Bürgern: Anlasslos und schwellenlos wird vermutlich alles
gesammelt, was sich gerade aktuell im Netz tut. Das,
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ist kein Albtraum,
kein Hollywoodfilm, sondern es ist offenbar Realität.
({5})
Jeder muss sich Sorgen machen. Sie haben allgemein
philosophiert; aber was sagen Sie eigentlich konkret zum
Fall Snowden? Wie kann es eigentlich sein, dass ein
Land jemanden, der lediglich sagt, was er arbeitet, zum
meistgesuchten Menschen der Welt macht? Dazu kam
von Ihnen kein Wort.
Es kam auch kein Wort von Ihnen dazu, wie die britische Regierung mit den Fragen, die die Bundesregierung
gestellt hat, umgeht. Einer Tickermeldung nach ist die
britische Regierung nicht gewillt, die Fragen der Bundesregierung zu beantworten. Stattdessen empfehle London der Bundesregierung als geeigneten Kanal bzw.
geeignete Ebene für bilaterale Gespräche die Nachrichtendienste selbst. Und das lassen Sie sich gefallen, Herr
Friedrich? Wir alle werden in unserer Kommunikation
ausgespäht - als wären wir alle Schwerverbrecher, Terroristen oder Wirtschaftsspione -, und nun sollen wir damit zufrieden sein, wenn sich die Geheimdienste in als
klassifiziert eingestuften Gesprächen darüber austauschen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
({6})
Ich hätte erwartet, dass Sie Ihre Stimme erheben und an
dieser Stelle klar sagen: Der Schnüffelskandal ist kein
bilaterales Problem zwischen uns und den USA oder
zwischen uns und Großbritannien, sondern hier gilt internationales Recht.
Im Hinblick auf Großbritannien muss man doch auch
darauf hinweisen, dass europäisches Recht einzuhalten
ist.
({7})
Die Rechtsgrundlagen der Europäischen Union - schon
die Binnenmarktregeln, nicht erst die Grundrechtecharta,
die Großbritannien ja nicht unterzeichnet hat - besagen,
dass wir alle das Recht haben, dass unsere persönlichen
Daten geschützt werden. Deshalb ist dieser Schnüffelskandal kein bilaterales Problem, sondern dieses
Thema gehört - das haben wir in unserem Antrag geschrieben - auf die Tagesordnung des Europäischen Rates in dieser Woche.
({8})
Wer so tut, als könnte man dieses Thema irgendwie
bilateral bzw. in Gesprächen der Geheimdienste miteinander klären, der will nicht ernsthaft aufklären und unsere Rechte verteidigen, Herr Friedrich. Dieses Thema
muss aber auf die Tagesordnung des Europäischen Rates
kommen. Wir wollen wissen, was passiert ist und passiert. Wir wollen laut sagen, was rechtlich nicht geht.
Wir wollen, dass diese Bundesregierung prüft, welche
rechtlichen Schritte gegenüber den USA bzw. Großbritannien eingeleitet werden können, zum Beispiel ein
Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung und
Verletzung des europäischen Rechts. Das muss ganz klar
angesprochen werden.
({9})
Dazu kam von Ihnen kein Wort. Ich sage Ihnen: Wenn
diese Schnüffelprogramme jetzt nicht politisch und
rechtlich zurückgewiesen werden, wenn wir unser Recht
jetzt nicht verteidigen, dann sind die Verfassungsrechte
der westlichen Demokratien das Papier, auf dem sie geschrieben stehen, am Ende nicht wert.
Wozu ist eine Regierung eigentlich da? Die Aufgabe
einer Regierung ist es, Gesetze zu machen, die Ausführung zu kontrollieren und unser aller Rechte zu vertreten, meine Damen und Herren. Es ist schön, Herr Schulz,
dass Sie die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt haben;
aber dann erwarte ich von der FDP auch, dass sie an dieser Stelle genauso klar sagt: Dieser Schnüffelskandal
muss auf die Tagesordnung des Europäischen Rates, und
wir müssen prüfen, ob gegen Großbritannien ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden kann.
({10})
Recht, meine Damen und Herren, soll und darf nicht
nur auf dem Papier stehen, sondern muss auch in der
Realität praktiziert werden. Deshalb sage ich Ihnen an
dieser Stelle ganz klar: Die Aufgabe der Bundesregierung ist zuerst, unsere Rechte hier und heute zu verteidigen. Dann, lieber Thomas Oppermann, kann man über
europäische Datenschutzrichtlinien und über eine europäische Cyberstrategie reden. Das ist immer richtig;
denn nur so können wir das Recht auf Datenschutz, das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, tatsächlich
verteidigen. Aber als Allererstes wollen wir wissen, was
war, und wir wollen, dass endlich das europäische Recht
eingehalten wird.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Grosse-Brömer für
die Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Künast, am besten war Ihre Passage mit
dem „Herumtänzeln“.
({0})
Sie selber sind um das Thema herumgetänzelt. Ihr Vorwurf, der Minister sei unkonkret gewesen, war völlig abwegig.
({1})
Natürlich sind wir - welch eine Binsenweisheit - nicht
alle Terroristen. Wir alle werden aber auch nicht ständig
überwacht.
({2})
Das ist genauso richtig.
Wer sich mit dem Thema ernsthaft und sachlich auseinandersetzt, wird sich doch um die Kernfragen dieser
Problematik kümmern, nämlich um Prism und um Tempora, und die Fragen stellen, die das Ministerium eben
schon gestellt hat.
({3})
Nur tun Sie doch nicht so, als hätte es irgendeinen
Rechtsverstoß deutscher Ministerien oder gar des deutschen Innenministeriums gegeben. Das ist doch völlig
abwegig, und darum geht es hier auch gar nicht. Wo ist
denn der Rechtsverstoß des Ministers? Sie suggerieren
hier immer, es gebe eine permanente Kontrolle
({4})
und irgendwelche Fehler von deutschen Ministern. Darum geht es hier gar nicht.
({5})
Hier geht es um eine Überwachung - darüber kann man
nachdenken - und um eine Bundesregierung, die unverzüglich, schnell und besonnen gehandelt und sich um
Aufklärung bemüht hat. Das ist die Wahrheit.
({6})
- Das gefällt Ihnen nicht; aber es ist die Aufgabe der Regierung, genau das zu tun, was sie getan hat.
({7})
Im Übrigen können wir noch einmal nachfragen.
Nicht nur die Kanzlerin hat sich mit Herrn Obama unterhalten. Was hat Herr Steinbrück - der amerikanische
Präsident musste lernen, dass er nicht „Steinberg“ heißt;
aber das hat er irgendwann mitbekommen - denn bei seinen Gesprächen herausgefunden? Er hat doch bestimmt
mit dem Präsidenten auch über Prism geredet.
({8})
Deswegen habe ich mich schon gewundert, dass Sie
diese Debatte überhaupt mit beantragt haben. Eigentlich
müsste angesichts der diplomatischen Fähigkeiten Ihres
Kanzlerkandidaten schon alles klar sein.
({9})
Um das ganz klar zu sagen: Ich wäre ein Stück weit
vorsichtig mit schnellen, voreiligen Schlussfolgerungen.
Was Deutschland anbelangt, ist eines richtig: Wir haben
klare gesetzliche Grundlagen für das, was wir hier tun.
Wenn andere die nicht einhalten, wird in der Tat nachgefragt,
({10})
und dann tritt man in einen kritischen Dialog ein. Das alles fordern natürlich auch wir als Union.
({11})
Niemand kann angesichts dieser Meldungen zufrieden sein, die da in den Zeitungen - im Guardian oder
sonst wo - standen,
({12})
und niemand kann angesichts der Aussagen von Herrn
Snowden beruhigt sein und sagen: Da wird schon nichts
dran sein. - Nein, vollständige Aufklärung ist hier gefragt. Keine Frage. Die findet aber auch statt.
({13})
Jedenfalls wird die Bundesregierung genau das tun, was
sie schon am Anfang gemacht hat.
({14})
Sie wird Fragenkataloge erstellen und gerade befreundete Staaten und Nachbarn konkret auffordern, hier vernünftig Auskunft zu geben.
Ich will Ihnen - gerade weil Deutschland nicht zuletzt
wegen seiner historischen Erfahrungen eine wehrhafte
Demokratie ist - sagen: Natürlich müssen wir Bedrohungen der Sicherheit der Menschen in unserem Land abwenden. Darum geht es doch im Zweifel auch. Deswegen brauchen wir Nachrichtendienste. Tun Sie doch
nicht immer so, als wäre die Ausspähung das einzige Interesse. Hier geht es konkret um den Schutz der Menschen in Deutschland. Auch das ist im Übrigen eine verfassungsrechtlich verankerte Aufgabe.
({15})
Deswegen gilt es, genau das zu tun, was der Minister gesagt hat, nämlich die passende Balance zu finden: Das
eine tun, ohne das andere zu lassen. Darum geht es.
({16})
Natürlich hatte der Bundesinnenminister recht, als er
vor einigen Tagen in einem Interview sagte:
Es kann ja nicht sein, dass die Verbrecher technologisch aufrüsten, immer effizienter das Netz nutzen und wir als Staat dem nichts entgegensetzen können.
({17})
Weiter stellte er fest, man müsse dafür Sorge tragen,
dass wir Kontrollverluste über die Kommunikation
von Kriminellen durch neue rechtliche und technologische Mittel ausgleichen.
({18})
Natürlich ist das die Aufgabe; seien wir doch einmal
ehrlich. Es geht doch nicht nur um eine Ausspähung,
sondern es ist doch auch die Aufgabe des Staates, sich
genau darum zu kümmern. Ich möchte Sie hören - dann
würden Sie sich als Erste melden -, wenn in Deutschland ein terroristischer Anschlag stattfinden würde:
({19})
Dann würde bei Ihnen nicht mehr die Empörung über
das Ausspähen an erster Stelle stehen, sondern die Empörung darüber, dass der Staat zu wenig zum Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger gehandelt hat. Das wäre
dann der nächste Vorwurf. Insofern geht es in der Tat um
die richtige Balance.
Wir wollen keinen Überwachungsstaat, und wir haben
auch keinen Überwachungsstaat. Wir haben eindeutige
Rechtsgrundlagen für Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation. Es gibt die Polizeigesetze
der Länder und die Strafprozessordnung. Wir haben das
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, das G-10-Gesetz.
({20})
All das bildet in Deutschland das rechtliche Gerüst, um
eben blinde und unverhältnismäßige Ausforschung zu
verhindern. Es gibt strenge Regeln, an die wir uns halten. Deswegen besteht in Deutschland aus meiner Sicht
auch die richtige Balance zwischen dem Schutz der inneren Sicherheit, dem Recht auf Privatsphäre und dem
Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Im Übrigen haben wir heute noch eine Sitzung des
Parlamentarischen Kontrollgremiums.
({21})
Da werden natürlich weiterhin Fragen gestellt, weil wir
in Deutschland glücklicherweise eine parlamentarische
Kontrolle haben. Herr Ströbele, Sie freuen sich schon
wieder auf die Sitzung. Sie haben doch bestimmt schon
wieder etliche Fragen vorbereitet.
({22})
Das ist auch gut so. All das funktioniert in Deutschland.
Deswegen treffen wir uns gerade in diesem Gremium.
({23})
Viele Kollegen, die schon länger als ich in diesem
Gremium sind, finden im Übrigen sogar, dass die parlamentarische Kontrolle in den USA hervorragend ausgestaltet ist. Das, was Sie hier teilweise kritisieren, haben
Sie an anderer Stelle also schon als blendendes, gutes
Vorbild gelobt.
Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Nein, er hat ja schon eine Zwischenfrage gestellt. Wir
sind mit diesem Punkt ja auch gleich durch, und ich
treffe ihn dann im Parlamentarischen Kontrollgremium.
Dort kann er mir die Frage auch direkt stellen. Das dauert ja nicht mehr lange; das ist in zwei Stunden der Fall.
({0})
Wir haben gegenüber den USA sogar noch den Vorteil, dass das Parlamentarische Kontrollgremium den
Bundestag jeweils informiert. Deswegen ist auch die
notwendige Transparenz hergestellt.
Ich bin mit Ihnen der Auffassung: Das, was wir gelesen haben, muss hinterfragt und aufgeklärt werden. Im
Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
müssen wir einen kritischen bilateralen Dialog mit denjenigen führen, die all das angeblich durchgeführt haben.
Das wird stattfinden. Das ist Aufgabe der Bundesregierung, und diese Aufgabe erfüllt sie hervorragend.
({1})
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind in einer Debatte, die weit über das hinausgeht,
was in Zeitschriften und durch den Whistleblower
Snowden im Einzelnen benannt wurde.
Herr Minister, Sie haben zu Beginn völlig zu Recht
gesagt, dass es natürlich eine Pflicht eines jeden Staates
ist, für Sicherheit zu sorgen. Ohne Frage! Wer könnte
dem widersprechen? Das gilt aber für jeden Staat, auch
für Diktaturen und Unterdrückungsstaaten. Im Unterschied dazu ist es doch die Leistung des neuzeitlichen
Verfassungsstaates, dass Sicherheit unter der Bedingung
der Freiheit gewährleistet wird. Diese Freiheitsrechte
wurden durch die Programme, die jetzt bekannt geworden sind, natürlich angegriffen und verletzt. Deshalb
darf man das nicht lapidar abtun.
({0})
Wir reden hier also über unser Selbstverständnis als
westliche Wertegemeinschaft. Insofern würde ich mir
mehr erwarten als Briefe von subalternen Beamten, die
noch nicht einmal Ihre Unterschrift tragen, Herr Minister, mit dem Inhalt, doch bitte einmal ein paar Fragen zu
beantworten. Ich würde mir mehr erwarten als diplomatische, abgestanzte Formulierungen der Kanzlerin in
einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem US-Präsidenten, und ich würde mir auch anderes erwarten als, so
wird es in der Presse zitiert, Brandbriefe von Ihnen, Frau
Justizministerin.
Ein anderer Stil und ein anderer Druck sind notwendig. Ein Thema, das Bürgerrechte so weitgehend berührt, ist Chefsache und muss im Europäischen Rat natürlich - hier haben die Grünen völlig recht - an
prominenter Stelle und nicht irgendwo behandelt werden.
({1})
Im Übrigen verstehe ich wie so oft in dieser Wahlperiode auch die Aufgabenteilung zwischen dem Justizund dem Innenministerium nicht. Herr Friedrich, sprechen Sie jetzt für die Bundesregierung und agiert Frau
Leutheusser-Schnarrenberger außerdem autonom?
({2})
Schreibt sie eigenständig Briefe oder, Frau LeutheusserSchnarrenberger, trauen Sie dem Innenminister nicht zu,
dass er das richtig macht? Gehören Sie vielleicht einer
anderen Bundesregierung an?
({3})
Die Schere geht hier jedenfalls sehr weit auseinander.
Hier schreibt eine Ministerin, dort lässt ein Minister
schreiben. Antworten gibt es im Übrigen in beiden Fällen nicht. So viel zum Aufklärungswillen!
({4})
Wir haben also - das müssen wir hinnehmen - noch
keine sicheren Erkenntnisse durch die Behörden der
USA und Großbritanniens. Gar keine Erkenntnisse gibt
es aufgrund offizieller Stellungnahmen. Hier kann alleine die Bundesregierung für Abhilfe sorgen. Das kann
nicht das Parlament. Dazu gehört eben der nötige Druck
und nicht ein pflichtschuldiges Nachfragen, damit man
das halt mal gemacht hat, vielleicht sogar mit dem Hinweis darauf - Herr Ströbele, wir kennen das ja -: Na ja,
vermutlich bekommen wir keine Antwort, aber das ist
dann halt so. Weiter im Gefecht!
({5})
Das geht eben nicht, sondern es geht darum, dass ein
großer Teil unserer Bevölkerung, nicht nur die kritische
Öffentlichkeit, durch solche Meldungen unglaublich verunsichert ist und das Gefühl hat: Jetzt ist Big Brother
wirklich überall; diese Überwachung geschieht sogar
durch ausländische Staaten, mit denen wir angeblich befreundet sind.
Ein anderer Kernpunkt in der Debatte ist folgender:
Wenn wir Teil einer Wertegemeinschaft sind und wenn
wir gemeinsame Ziele, auch bei der Verbrechens- und
Terrorbekämpfung, verfolgen, dann kann es doch nicht
sein, dass Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik
Deutschland durch diese Maßnahmen per se wie potenzielle Gefährder behandelt werden.
({6})
Mich stört diese fehlende Klarheit auch deshalb, weil
ich sehe, wie sehr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in unseren Diensten unter den Diskussionen leiden.
Nicht die Beamten beim Verfassungsschutz oder beim
BND oder beim MAD sind als Täter anzusehen. Nein,
sie berichten immer, wie es so schön heißt, an die Bedarfsträger. Bedarfsträger sind der Bundestag und die
Bundesregierung. Sie geben die Richtlinien vor. In diesen Richtlinien müssen wir klarmachen, was wir wollen
und was nicht geht. Wir dürfen nicht den einzelnen Beamten prügeln, während es tatsächlich um Fehlhandlungen einer Bundesregierung geht.
({7})
Ich sage das vor dem Hintergrund einer verqueren
Vermischung - da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Bundesinnenminister -: Alles, was der BND plant, wird zumindest als heikel angesehen. Ich teile diese Sichtweise ausdrücklich nicht. Ich sage Ihnen sehr offen und direkt: Ich
will, dass unser Bundesnachrichtendienst besser wird,
aber nicht deshalb, um uns oder um Bürger beliebiger
anderer, gar noch befreundeter Staaten auszuspähen
- das will ich nicht -, sondern weil wir eine Riesenlücke
in der Cyberabwehr haben. Wir erleben tagtäglich im Internet eine Vielzahl von Angriffen auf Deutschland und
wissen sie kaum zu erfassen, geschweige denn zu bekämpfen. Da muss unser Bundesnachrichtendienst besser werden. Dafür muss Geld in die Hand genommen
werden.
Michael Hartmann ({8})
({9})
Die Debatte wird natürlich noch eine Weile weitergehen. Man darf auch gespannt sein, welche Volten sie
noch schlägt. Klar ist: Wir brauchen eine Bundesregierung, die das Thema zur Chefsache macht, zur Beruhigung unserer Bürger und zur Aufklärung dieser
Angriffe. Wir brauchen klare gemeinsame Regeln mindestens innerhalb der Europäischen Union, eigentlich
sogar zwischen den westlichen Staaten.
Ich habe mir einmal erlaubt, ins Stockholmer Programm zu sehen. Darin wird die ganze Sicherheitszusammenarbeit innerhalb Europas definiert. Dort heißt es
wunderschön:
Die Grundprinzipien wie Zweckgebundenheit, Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Verarbeitung, zeitlich begrenzte Speicherung, Sicherheit
und Vertraulichkeit sowie die Achtung der Rechte
des Einzelnen, eine Kontrolle durch unabhängige
nationale Aufsichtsbehörden und der Zugang zu einem wirksamen Rechtschutz müssen gewährleistet
werden und ein umfassendes Schutzkonzept muss
ausgearbeitet werden.
Prima! Machen Sie das! Erinnern Sie die Briten und die
Amerikaner daran, dass auch sie diesen Werten verpflichtet sind. Klären wir doch bitte darüber auf, dass
Länder wie China und Russland, die - ausgerechnet! derzeit Krokodilstränen wegen der großen und schrecklichen Überwachung weinen, die angeblich der Westen
vornimmt, die wahren Gegner sind. Da müssen wir für
Klarheit sorgen.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! O tempora, o mores! Für all die, die nicht Latein
lernen mussten: Oh ihr Zeiten, oh ihr Sitten! - Dieser altbekannte Ausspruch, der sonst eher von älteren, gesetzteren Herrschaften vielleicht gegenüber der sich nicht so
gut benehmenden Jugend benutzt wird, bekommt vor
dem Hintergrund der aktuellen Debatte und sicherlich
auch vor dem Hintergrund so mancher Äußerung hier
eine völlig neue Bedeutung.
Tempora und Prism: Diese beiden Begriffe führen uns
deutlich vor Augen, was heute technisch geht, und vor
allen Dingen, dass das, was heute technisch geht, leider
auch viel zu oft gemacht wird. Wir sind uns - das ist in
dieser Debatte deutlich geworden - immerhin fast alle
einig, dass diese ausufernde Überwachung unverhältnismäßig ist; denn es geht in der Mehrheit um unbescholtene Bürger. Mit wenigen Ausnahmen sind wir der Auffassung, dass es so nicht weitergehen kann und darf und
dass wir das nicht hinnehmen können.
Manche Äußerungen sind aber erstaunlich. Warum
echauffiert sich die EU-Kommissarin Reding öffentlich
über Prism, während die EU die Vorratsdatenspeicherung weiter forciert? Das macht übrigens nicht nur die
EU, sondern mindestens auch die SPD, von der heute ja
ein bisschen was anderes zu hören ist. Ich finde, das
passt nicht zusammen.
({0})
Wer die Vorratsdatenspeicherung propagiert, kann nicht
glaubwürdig gegen die anlasslose Speicherung an anderer Stelle auftreten.
({1})
Auf der letzten Justizministerkonferenz im Saarland
im Juni 2013 - das ist nicht wirklich lange her - hat die
Mehrheit der rot-grün regierten Länder, nämlich NRW,
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die Bundesjustizministerin aufgefordert, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung endlich einzuführen.
({2})
Meine Damen und Herren insbesondere von der SPD,
wenn Sie klüger geworden sind, dann würde das uns als
Liberale freuen. Aber dann sagen Sie es hier auch. Denn
die Vorratsdatenspeicherung ist nicht dasselbe. Darüber
sind wir uns einig. Das ist keine Frage. Aber es geht bei
der Vorratsdatenspeicherung genauso um eine anlasslose
Speicherung von Daten von Menschen, die telefonieren,
E-Mails austauschen und SMS schicken, und zwar ein
halbes Jahr lang. Das ist ein Anfang. Wir als Liberale
versuchen, das zu verhindern,
({3})
und wir rufen Sie auf, uns dabei zu helfen. Darüber würden wir uns freuen.
({4})
Das Spiel „Gute Daten, schlechte Daten“, das hier
manche spielen, ist aus meiner Sicht ein Schlag ins Gesicht der Menschen in Europa. Anlasslose Rundumüberwachung durch die NSA ist nicht besser als die der Briten, und die Vorratsdatenspeicherung stellt die Menschen
aus meiner Sicht unter einen Generalverdacht. Deshalb
freuen wir uns, wie gesagt, über Unterstützung.
Grandios finde ich in diesem Zusammenhang aber
auch das Interview von Herrn Oppermann, der jetzt leider nicht mehr anwesend sein kann.
({5})
Er hat am 25. Juni, also diese Woche, als beide Skandale
schon bekannt waren, der RP Online ein Interview gegeben. Darin sagte er:
Otto Schily hat eine historische Leistung vollbracht: Er hat gezeigt, dass die Bürger nicht auf
Freiheit verzichten müssen, wenn der Staat zum
Schutz vor Terroristen drastische Maßnahmen ergreifen muss.
Höre ich Gelächter? Ich verstehe das.
({6})
Er hat Freiheit und Sicherheit zum Ausgleich gebracht, und das bekommt diese Bundesregierung
nicht hin.
Meine Damen und Herren, Otto Schily hat die sogenannten Otto-Kataloge I und II durch dieses Parlament
gebracht.
({7})
- Mit den Grünen gemeinsam, genau. - Das hat mit der
Balance von Sicherheit und Freiheit nichts mehr zu tun.
({8})
Meine Damen und Herren, Otto Schily hat am Parlament und an allem vorbei die Onlinedurchsuchung installiert.
({9})
Das hat mit der Balance von Freiheit und Sicherheit
nichts zu tun.
Er hat auch gesagt: „Die Terroristen sollten aber wissen: Wenn ihr den Tod so liebt, könnt ihr ihn haben.“
Von daher glaube ich: Wer sich auf Herrn Schily beruft
und Otto meint statt Konrad, der unserer Partei angehört,
muss sich ernsthaft fragen: Was ist das für ein zukünftiger - wenn wir alles verhindern können, dann hoffentlich das - Innenminister für dieses Land?
({10})
- Frau Künast, so verunglückt wie Sie kann ich gar nicht
reden.
({11})
Es ist ja noch schlimmer. Das geht noch weiter: Derselbe Herr Oppermann, der hier großartig Konsequenzen
gefordert hat, wurde gefragt: Was kann man tun, wenn
die Briten einen ausspähen? - Kurzform: Frau Merkel
muss es richten.
Meine Damen und Herren, wenn das Ihr Programm
ist, dann ist das die beste Wahlhilfe für unsere Koalition.
Das zeigt doch, dass Sie selber nicht wissen, was Sie tun
sollen.
({12})
Wir als Liberale fordern als Konsequenz, dass wir uns
in Brüssel endlich verstärkt dafür einsetzen, dass das Datenschutz-Rahmenabkommen endlich geschlossen wird.
({13})
Mein Fraktionsvorsitzender hat zu Recht die Kanzlerin
aufgefordert, gegenüber dem britischen Premier Klartext
zu fordern.
({14})
Wir brauchen Aufklärung, und wir brauchen effektive
und schnelle Maßnahmen. Mit ausweichenden Antworten darf man sich nicht mehr zufriedengeben. Denn damit haben Sie leider völlig recht, Herr Kollege: Wenn
man so mit Freunden umgeht, dann will ich nicht wissen, was Feinde erwartet.
Wir erwarten als Liberale von der Bundesregierung,
dass sie eine Taskforce einrichtet. Sie muss Experten aus
den verschiedenen Ressorts einsetzen, um penibel aufzuklären, was passiert ist.
({15})
Wenn das, was der Bundesdatenschutzbeauftragte
heute ins Spiel gebracht hat, möglich ist, nämlich ein
Zusatzprotokoll auf UN-Ebene, dann hoffe ich, dass die
Bundesregierung das wohlwollend prüft.
({16})
Auch die Landesdatenschutzbeauftragten müssen Unternehmen prüfen und sich darum kümmern, was möglicherweise direkt an die Amerikaner oder auch an die
Briten herausgegeben worden ist.
Aber eines möchte ich noch sagen, weil hier immer
darauf hingewiesen wird, dass im Internet Verbrechen
verabredet werden: Das ist selbstverständlich richtig.
Früher passierte das am Telefon, auf der Parkbank oder
wo auch immer. Aber das Internet wird überwiegend von
rechtschaffenen, ehrlichen und ganz „normalen“ Menschen genutzt, die dort ihr Leben sozusagen offenlegen
und leben. Das Internet hat das Leben vieler Menschen
durchweg leichter gemacht. Ohne das Internet gäbe es
Wissensvermittlung in vielen Ländern überhaupt nicht.
Das müssen wir schützen.
({17})
Es geht nicht darum, nur das Schlechte zu sehen. Wir
müssen auch das Gute sehen; denn das Gute überwiegt
das Schlechte. Herr Innenminister, denken Sie bitte daGisela Piltz
ran: Man schützt die Freiheit nicht, indem man sie aufgibt.
({18})
Das weiß niemand so gut wie die Liberalen. Wir hoffen,
dass nicht nur wir das so sehen.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn ich in ihre E-Mails oder in das Telefon ihrer
Frau hineinsehen wollte, müsste ich nur die abgefangenen Daten aufrufen. Ich kann ihre E-Mails,
Passwörter, Gesprächsdaten, Kreditkarteninformationen bekommen.
So hat es Edward Snowden, der Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, gesagt. Ich danke ihm im Namen der
ganzen Fraktion Die Linke sowie vieler weiterer Bürgerinnen und Bürger für seine Ehrlichkeit; denn nur deswegen können wir diese Debatte führen.
({0})
Er hat es ermöglicht, dass einer der größten Einbrüche in
die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern nicht nur
in Deutschland, sondern in vielen Ländern der Welt bekannt und damit diskutierbar geworden ist. Dieses Verdienst wird auch nicht dadurch geschmälert, dass Russland, wo sich Snowden im Moment mutmaßlich
aufhalten dürfte, nun wirklich nicht als Paradies für Bürgerrechte und Datenschutz gilt. Statt darüber zu lästern,
wäre es umso sinnvoller gewesen, ihm hier in der Bundesrepublik Deutschland Asyl zu gewähren.
({1})
Das, Herr Friedrich, geht ganz einfach. § 22 des Aufenthaltsgesetzes bietet dafür die Möglichkeit:
Eine Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, wenn das
Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen
der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat.
Mit so einer Entscheidung hätte unsere Regierung deutlich gemacht, dass wir als eigenständiger und selbstbewusster Partner der Vereinigten Staaten nicht bereit sind,
jeden Irrsinn zu tolerieren oder zu decken, der im Terrorwahn angerichtet wird.
({2})
Es betrifft ja auch die politischen Interessen unseres
Landes, die hier gewahrt werden müssen. Herr Friedrich,
Sie haben eben zu Recht gesagt, der gläserne Bürger sei
mit unserer Verfassung nicht zu vereinbaren. Aber dann
kneifen Sie die Augen vor dem zu, was hier passiert. Sie
glauben doch nicht wirklich, dass die Washington Post
oder der Guardian ungeprüft irgendwelchen Unsinn veröffentlichen. Prism ist nicht irgendein Ding aus dem von
Angela neu entdeckten Neuland, sondern ein Datensammelprogramm ungeahnten Ausmaßes. Wer sehen will,
kann sehen.
Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Seit 2007 sammeln die Sicherheitsbehörden Ihre Daten bei Microsoft,
seit 2008 bei Yahoo, seit 2009 bei Google und Facebook,
seit 2010 bei YouTube, seit 2011 bei Skype und AOL sowie seit 2012 bei Apple. Wenn ich hier in die Reihen
schaue, sehe ich, dass wieder viele Kollegen mit ihren
mobilen Geräten beschäftigt sind. - Sie fühlen sich zu
Recht ertappt, Herr Hartmann. Wissen wir denn eigentlich noch, wer alles mit welchen Informationen betroffen
ist, die wir hier jeden Tag austauschen? Wenn mir zuvor
jemand so etwas erzählt hätte, hätte ich das in das Reich
der Verschwörungstheorien verwiesen. Aber es ist bittere Realität. Das dürfen wir nicht akzeptieren.
({3})
Um es einmal in Zahlen auszudrücken: Facebook
hatte im letzten Jahr 26 Millionen Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland, AOL immerhin 5 Millionen und
YouTube 4,3 Millionen Zugriffe aus Deutschland pro
Tag. Auf deren Daten, Profile und auf die Spuren ihres
Nutzerverhaltens hat die NSA Zugriff. Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 in seinem Volkszählungsurteil
formuliert:
Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine
diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer
was wann und bei welcher Gelegenheit über sie
weiß.
Wissen wir das noch? Wissen Sie, wer was wann über
Sie weiß? Oder ist es Ihnen oder uns allen inzwischen
egal?
Alles, was der Bundesregierung dazu einfällt, sind
Ausflüchte und Briefe. Herr Grosse-Brömer will einen
kritischen Dialog führen. Da bricht ein Bündnispartner
in unsere Wohnung ein und stiehlt sensibelste Daten,
aber es gibt noch nicht einmal einen Protest. Aus meiner
Sicht gibt es hierfür keine Rechtfertigung, sondern der
Botschafter der Vereinigten Staaten müsste einbestellt
werden. Es müsste eine umfassende Erklärung verlangt
und erwartet werden, dass diese Praxis sofort beendet
wird.
({4})
Herr Friedrich hat hier gesagt: Es gibt keine Freiheit
ohne Sicherheit. - Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten und immerhin Gründer
des US Postal Service, also in gewisser Weise eines der
Vorvorvorvorvorläufer des Internets, sagte: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am
Ende beides verlieren.
({5})
Wenn das passiert, dann haben die Terroristen gewonnen. Daran dürfen wir alle kein Interesse haben.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Konstantin von Notz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Piltz, das war eben die letzte schwarz-gelbe Rede zur Innenpolitik hier in der 17. Wahlperiode,
({0})
und sie war, da Sie die Rede an den Bundesinnenminister adressiert haben, ein Dokument des Scheiterns der
Innenpolitik in den letzten Jahren.
({1})
Die Debatte hier und heute spiegelt insgesamt aufs
Traurigste wider, warum diese Bundesregierung im Bereich des Datenschutzes überhaupt nichts auf die Reihe
bringt bzw. gebracht hat. Sie verstehen schlicht das Ausmaß der Probleme nicht. Sie haben nicht verstanden, was
es bedeutet, wenn im Internet durch Geheimdienste und
bestimmte Konzerne der grundrechtlich verbriefte Datenschutz erodiert. Sie haben nicht verstanden, was es
bedeutet, wenn sich jegliche Datensicherheit sowohl für
Menschen, aber eben auch für Unternehmen und Behörden in sicherheitspolitisches Wohlgefallen auflöst.
Sie müssen endlich erkennen: Staatliche Überwachungsprogramme wie Prism und Tempora rühren an
den Kern unserer Verfassung, an den Kern unseres
Rechtsstaats. Sie lassen die über Jahrzehnte erkämpften
Standards ins Leere laufen, sie höhlen aus, was nicht
ausgehöhlt werden darf, und deswegen müssen sie gestoppt werden.
({2})
Was macht die Bundesregierung, Frau Piltz,
({3})
angesichts dieser durch einen Whistleblower aufgedeckten Tatsache? Sie vernebelt, sie verschleppt, sie bleibt
schlicht untätig. Die Bundeskanzlerin sprach angesichts
von Tempora, der massenhaften anlass- und schwellenlosen Überwachung aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, von der richtigen Balance zwischen Sicherheit und Unbeschwertheit im Netz. Unbeschwertheit im
Netz - man fasst es nicht. Für wen es hier nicht um den
Grundrechtsschutz, um die Privatsphäre, um die Vertraulichkeit der Kommunikation und um die Sicherheit von
Staats- und Betriebsgeheimnissen geht, für den ist nicht
nur das Internet Neuland.
({4})
Dass Frau Merkel diese wirklich gravierenden Vorgänge nicht einmal beim kommenden EU-Gipfel thematisieren will und auf bilaterale Vorgänge verweist, ist absurd. Gleichzeitig passt es aber ins Bild; denn diese
Bundesregierung mit Frau Merkel an der Spitze ist eine
Regierung der Datenschutzversager. Alle Ihre im Koalitionsvertrag großspurig angekündigten Projekte sind erbärmlich gefloppt, Sie haben alles an die Wand gefahren
bzw. sabotiert, Herr Innenminister. Das alles ist ein Armutszeugnis.
({5})
Jetzt kommen mit Prism und Tempora zwei Programme ans Tageslicht, die Sie, Herr Friedrich, auch
jetzt, nach Tagen und Wochen, noch nicht einmal korrekt
einordnen können. In der Anhörung des Unterausschusses „Neue Medien“ am Montag hat die Unionsfraktion
nicht eine einzige Frage gestellt. Während verschiedene
Minister in all ihrer Hilflosigkeit offene Briefe schreiben
wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sehen Sie offenbar noch nicht einmal irgendeinen Aufklärungsbedarf in
diesem Ausschuss. Das ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten.
Kollege von Notz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Blumenthal?
Immer gerne. Die Schleswig-Holsteiner sind mir besonders lieb.
Genau so ist das, lieber Herr Kollege von Notz, und
vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Ich möchte Sie Folgendes fragen: Sie haben gerade
aus Sicht der Grünen ein Loblied auf die Grundrechte
gesungen. Für wie belastbar und glaubhaft halten Sie das
eigentlich, da es doch erstens die Grünen waren, die
Seit’ an Seit’ mit Otto Schily teilweise die stärksten
Grundrechtseinschränkungen im Nachkriegsdeutschland mitgetragen haben, und es zweitens die Grünen waren, die, wie Frau Piltz schon ausgeführt hat, vor zwei
Wochen im Rahmen der Justizministerkonferenz der
Bundesländer mit ihrer ach so kraftvollen rot-grünen Gestaltungsmehrheit die Forderung nach einer massenhaften anlasslosen Vorratsdatenspeicherung bestärkt haben?
Für wie belastbar und valide halten Sie das vor dem Hintergrund der Ausführungen, die Sie gerade gemacht haben?
({0})
Für sehr valide und sehr belastbar, Herr Kollege
Blumenthal.
Ich will Sie daran erinnern, dass die Situation nach
dem 11. September 2001 tatsächlich sehr schwierig war.
Sie waren ja damals in der Opposition, Frau Piltz. Sie erinnern sich an das Klima in diesem Land.
({0})
Wir haben schlimmste Bestrebungen unseres damaligen
Koalitionspartners verhindert. Wir haben viele Maßnahmen zeitlich befristet.
({1})
Bezüglich der Justizministerkonferenz darf ich Ihnen
sagen: Da Sie ein erfahrener Parlamentarier sind, wissen
Sie, dass es nach dem Ressortprinzip geht. Das heißt, wir
können nur da die Abstimmung mitbestimmen, wo wir
das entsprechende Ressort leiten. Da, wo die Grünen
mitregieren, wurde gegen die Vorratsdatenspeicherung
gestimmt.
({2})
Insofern kann ich Sie sehr beruhigen: Wählen Sie
Grün, und die Vorratsdatenspeicherung wird nicht kommen.
({3})
- Vielen Dank, Herr Blumenthal.
Sie haben sich bisher hinter Briefen und Fragenkatalogen versteckt. Antworten auf Briefe und auf Fragenkataloge und Reaktionen auf die intensiven Gespräche der
Kanzlerin mit dem amerikanischen Präsidenten sucht
man vergebens. Die Grundrechte der Bundesbürgerinnen
und Bundesbürger, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen und Firmen dieses Landes und
die Kommunikation von Abgeordneten, von Ministerien,
von Journalistinnen und Journalisten, all das ist nicht nur
bedroht, sondern es wird auch - heute wissen wir es systematisch verletzt. Sie, meine Damen und Herren von
CDU/CSU und FDP, tun nicht nur nichts, Sie haben
noch nicht einmal eine konkrete Meinung zu diesem
Thema.
Die Welt schrieb gestern:
Zwei Minister, eine Regierung, keine Haltung zum
Ausspähen.
Die Welt hat recht: Sie haben einfach keine Haltung
zu diesem Thema. Angesichts der massiven Vertrauenskrise in einem der sensibelsten Bereiche unserer Demokratie ist das skandalös, Frau Piltz.
({4})
Ich sage ganz klar: Uns geht es hier nicht um den erhobenen Zeigefinger gegenüber anderen Ländern. Der
Verdacht, der im Raum steht - auch gegen die deutschen
Dienste, Herr Minister Friedrich -, ist doch folgender:
Verschiedene Geheimdienste spionieren unter der Verletzung der dortigen Verfassungsrechte die Bürgerinnen
und Bürger anderer Länder aus. Später setzen sich alle
an einen Tisch und geben quasi im Ringtausch die Daten
bzw. die Erkenntnisse, natürlich ohne genaue Quellenangabe, weiter. Das wäre - ich sage bewusst: es wäre - ein
systematisch organisierter Verfassungsbruch.
Ich frage Sie: Was haben Sie bisher zur Aufklärung
dieser nicht allzu fern liegenden Vermutung unternommen? Nichts haben Sie unternommen! Sie haben das
Ausmaß und die Relevanz des Offenbargewordenen
noch nicht einmal begriffen. Noch nicht einmal die Hilferufe der Wirtschaft nehmen Sie wahr. Die dortige Verunsicherung ist enorm. All Ihre IT-Gipfel, Cloudüberlegungen stehen zur Disposition, Herr Friedrich. Dabei hat
das BMI in dieser Legislaturperiode doch kaum ein Wort
so inflationär gebraucht wie das der „Cybersicherheit“.
Ihr Konzept aber hat auf der Integrität der Seekabel aufgebaut.
Jetzt stellen Sie erstaunt fest: Es gibt eine Meta Deep
Packet Inspection an diesen Kabeln, und Sie schaffen es
nicht einmal, den eigens für weitaus unbedeutendere
Fälle installierten Cyber-Sicherheitsrat einzuberufen.
Von heute auf morgen stehen, Herr Friedrich, all die
halbgaren IT-Projekte dieser Bundesregierung - alles
Projekte, bei denen Sie sich bewusst gegen die hohen
Datenschutzstandards entschieden haben - praktisch vor
dem Aus. Nicht nur deswegen ist es überfällig, dass Sie
hier endlich adäquat regieren und ein einziges Mal in
dieser Wahlperiode etwas für den Datenschutz, für den
Grundrechtsschutz der Menschen in diesem Land tun.
Dazu fordern wir Sie auf.
Ganz herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Das war nun viel Lamento von einigen Oppositionsrednern über die Fragen: Was hat die Bundesregierung getan? War sie energisch, kämpferisch genug
gegenüber den Regierungen der Vereinigten Staaten von
Amerika und Großbritanniens? - Als wäre das das
Thema!
Lassen Sie mich zum Thema kommen. Ich glaube
- das ist mit allem Ernst und in aller Nachdenklichkeit
zu sagen -, dass wir uns am Beginn einer ganz tiefgreifenden Krise des Vertrauens in die Kommunikation via
Internet befinden. Das ist, glaube ich, das eigentliche
Thema: eine tiefgehende Krise des Vertrauens aller Menschen in die Kommunikation im Internet. Deswegen
stellt sich die Frage: Wie kann man die Vertrauenskrise
abwenden?
({0})
In Deutschland, einem Rechtsstaat, den wir uns so eingerichtet haben, zu dem wir uns bekennen, auf den wir
stolz sind, können wir differenzieren. Wir haben gelernt,
zu differenzieren. Es gibt Daten, die man schützen muss,
weil sie dem privaten Lebensumfeld angehören - der
Staat darf sie nicht ausspähen -, und es gibt Daten, die
man nutzen muss, um Terrorismus, um Kriminalität zu
bekämpfen.
({1})
Beides gibt es. Wir haben gelernt, zwischen diesen und
jenen Daten zu differenzieren. Dafür haben wir Gesetze,
haben das Bundesverfassungsgericht und die Rechtsprechung desselben. Diese Gesetze werden eingehalten.
({2})
Wir haben Transparenz. Lesen Sie das in der Bundestagsdrucksache nach. Wir haben sie heute morgen im Innenausschuss kurz behandelt. Da steht drin, wie der
Bundesnachrichtendienst im Rahmen der G-10-Kommission und des Parlamentarischen Kontrollgremiums
mit diesen Gesetzen umgeht: Was macht er bei der strategischen Aufklärung? Was macht er nicht? Das ist auch
gut so.
Was nun die Amerikaner und die Engländer machen,
wird zu klären sein. In dieser Stunde, in der wir hier debattieren, ist der Vertreter der amerikanischen Regierung
mit dem Vertreter aus dem Kanzleramt zusammen. Er ist
auch zuständig, nicht der Bundesinnenminister, der von
Ihnen permanent krampfhaft angegriffen wird.
({3})
Es ist zu klären, was die Amerikaner und die Engländer
gemacht haben und wie wir die Daten der Deutschen
schützen können. Darum wird es gehen.
Natürlich kann die Bundesregierung in den USA fragen: Was habt ihr mit unseren Daten gemacht? Sie kann
auch in Peking oder in Moskau fragen. Das kann man alles machen.
({4})
Man kann sogar versuchen, zu klären, wie viel Hacking,
wie viel Phishing, wie viel Wirtschaftsspionage und wie
viel Betrug es im Internet gibt. Das kann man alles fragen - auch wenn man manchmal nicht weiß, wen man
fragen soll. Wir ahnen, dass es im Internet ein ungeheures Dunkelfeld an Rechtswidrigkeit, an Kriminalität, an
Ausforschung und an Datenmissbrauch gibt. Der eigentliche Kern des Themas ist die Vertrauenskrise, die allen
langsam bewusst wird.
({5})
Die eigentliche Frage an uns Staatsvertreter, an uns
Gesetzgeber ist: Welche Aufgabe hat der Staat? Der
Staat muss durch den Gesetzgeber technisch und mit seinen Forschungsmöglichkeiten dafür sorgen, dass es einen Bereich der vertraulichen, sicheren Kommunikation
für die Bereiche gibt, die uns wichtig sind, für die Organisation der Gesellschaft, für die kritische Infrastruktur,
für die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser etc.
({6})
Der Staat muss für eine sichere Kommunikation sorgen.
Sie muss abhörsicher sein, vor wem auch immer, auch
vor den USA, den Engländern, den Chinesen oder den
Russen. Das ist wichtig.
Der Staat hat die Aufgabe, für IT-Sicherheit made in
Germany zu sorgen. Das erwarten alle Menschen, vielleicht auch das Ausland, von ihm. Es gibt einen ungeheuren Bedarf, der mit zunehmendem Problembewusstsein wächst. In wenigen Jahren werden wir zeigen, ob
wir etwas liefern können.
({7})
Ein Zweites. Wir sollten dem Bürger nicht vorgaukeln, dass er, wenn er sich selbst entäußert, sein Privates
im Internet preisgibt, vor Ausspähung sicher sei. Das
müssen wir vor allen Dingen den jungen Menschen sagen, die Facebook, Twitter und alles mögliche benutzen so wie wir zum Teil auch. Wir müssen ihnen sagen, dass
das, was sie ins Netz stellen, für immer im Netz bleibt,
und es keinen digitalen Radiergummi gibt. Das wäre
eine Illusion. Das müssen wir den Menschen sagen.
Kollege Uhl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen von Notz?
Ja, Herr von Notz. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Zwischenfrage stellen darf. Ich schätze auch die nachdenkliche
Art in Ihrer Rede. Sie sagen jetzt, dass sich die Menschen klarmachen müssen, dass sie, wenn sie etwas Privates im Internet schreiben, nicht sicher sein können. Ist
das nicht unser Problem, dass sich unser ganzer Kommunikationsverkehr geändert hat, dass man das, was
man früher in Briefen geschrieben hat - heute schreibt
nur noch die Bundesjustizministerin Briefe -,
({0})
heutzutage in E-Mails schreibt?
Stimmen Sie mir nicht zu, dass es ein Problem für den
Schutz der Grundrechte der Bundesbürgerinnen und
Bundesbürger ist, wenn die Rechtsverletzungen, die
deutsche Dienste im Inland nicht begehen können, von
ausländischen Diensten begangen werden und die Ergebnisse dann über die Bande den deutschen Diensten
zugespielt werden, der Grundrechteschutz also leerläuft?
Das sind zwei Fragen, Herr von Notz. Heute Morgen
ist im Innenausschuss - das sollten wir hier auch berichten - gesagt worden, dass die Daten von Deutschen, die
auf rechtswidrige Art und Weise im Ausland gesammelt
wurden, nicht wieder zurückgespielt und von unseren
Nachrichtendiensten genutzt werden. Deswegen sollten
Sie diesen Sachverhalt in einer öffentlichen Sitzung richtig darstellen.
Das Zweite ist - das ist mir wichtig -: Wie gehen wir
mit der Vertrauenskrise im Internet und der Jugend um?
Ich glaube, wir haben eine Aufklärungsverpflichtung.
Wir müssen vor allem den jungen Menschen, aber auch
den älteren - jedem Internetnutzer - sagen: Deine Daten
im Netz sind absolut unsicher. - Wir sollten ihnen auch
nicht vorgaukeln, wir könnten Paragrafen produzieren,
die sie sicher machen. Das ist eine Illusion. Sie sollten
keine Illusionen verkaufen, Herr von Notz, auch nicht im
Wahlkampf.
({0})
Das sollten Sie nicht tun. Sie sollten den Menschen ehrlich sagen, dass das Internet eine wunderbare Chance zur
weltweiten Information und Kommunikation ist, aber
auch gefährlich sein kann. Bitte sagen Sie ihnen auch,
dass es gefährlich sein kann und dass Daten immer im
Netz bleiben, wenn man sie einmal ins Netz gestellt hat,
und dass man nicht weiß, wer die Daten heruntergeladen
hat, bevor man sie gelöscht hat. Sagen Sie es den Menschen. Tun Sie nicht so, als könnten Sie, wenn Sie die
politische Macht hätten, das Internet weltweit für den
deutschen Wähler sicher machen. Es ist ein Unfug, so etwas zu verbreiten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen: Wir brauchen Sicherheit im Netz, und
zwar für den Bereich, der für unsere Gesellschaft und für
unseren Staat wichtig ist. Wenn der Staat kommuniziert,
muss dies sicher sein. Wenn wir kritische Infrastrukturen
aufrechterhalten wollen, müssen sie sicher sein vor
Hacking, vor Angriffen und vor Spionage. Unsere Unternehmen müssen vor Wirtschaftsspionage sicher sein.
Sie haben das Problembewusstsein noch nicht. Sicherheit kostet Geld. Sie haben sich bisher geweigert, Geld
für die sichere Kommunikation in ihren Unternehmen
auszugeben. Dafür ist diese Diskussion sehr hilfreich.
Bei dem ganzen Schaden, den wir haben, gibt es auch einen Nutzen. Die Menschen fangen jetzt an, darüber
nachzudenken, wie wir Sicherheit in der IT-Kommunikation herstellen können, wo wir sie auf jeden Fall brauchen und wo wir gefährlich leben, wenn wir uns ins Netz
begeben.
Vielen herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Lars Klingbeil für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Uhl, das, was Sie gesagt haben, war sehr moderat. Herzlichen Dank! Nachdem
Prism bekannt wurde, habe ich eigentlich damit gerechnet, dass manche in der Union schon die Bestellzettel
ausfüllen und sagen: Wir wollen das auch. - Ich glaube,
es ist gut, wenn wir an dieser Stelle im Parlament moderat diskutieren und uns fragen: Was sollen wir tun? Was
können wir tun? Was muss getan werden, um für Vertrauen und Sicherheit zu sorgen?
In der Enquete-Kommission „Internet und digitale
Gesellschaft“ haben wir viele Stunden damit verbracht,
über die Chancen des Internets zu diskutieren. Dabei
ging es um mehr Beteiligung, um mehr Transparenz und
die Stärkung von Demokratie. Wenn man sich den 2 000
Seiten langen Abschlussbericht anschaut, kann man an
vielen Stellen die Hoffnung sehen, dass es in der Politik
dadurch besser wird, dass sich viele Menschen über das
Internet beteiligen. Wir haben aber auch die Gefahren
von Kontrolle, von Überwachung, auch von Totalüberwachung, die mit dem Internet möglich sind, kritisch
diskutiert. Als wir dann von Prism, von Tempora erfahren haben, waren wir schockiert, obwohl wir wussten,
dass es so etwas geben kann. Wenn man dann aber das
erste Mal den Namen und den Umfang in der Zeitung
und im Fernsehen sieht, dann ist man schockiert. Eigentlich hätte man es wissen müssen. Noch einmal: Es ist
gut, dass wir heute darüber diskutieren. Aus dem Parlament muss ein klares Signal kommen, dass wir Parlamentarier verlangen, dass endlich alle Fakten auf den
Tisch gelegt werden, dass wir Transparenz bekommen,
dass es dann um Aufklärung geht, dass es um Schutz
geht und darum, das Vertrauen der Menschen in die
Kommunikation wiederherzustellen. Die zentrale Frage,
die wir Parlamentarier uns stellen müssen, ist: Wie viel
darf der Staat unternehmen? Welche Maßnahmen darf
der Staat ergreifen, um die Bürgerinnen und Bürger zu
schützen? Darf er massive und intransparente Eingriffe
in das Grundrecht vornehmen? Ich sage: Nein. Das darf
nicht der Fall sein. Der Rechtsstaat muss die Bürgerinnen und Bürger vor einem übermächtigen und alles kontrollierenden Staat schützen.
({0})
Ich sage: Der Rechtsstaat muss auch diejenigen, die
politische Macht haben, kontrollieren und deren Wirkung einschränken. Das darf nicht nur national, sondern
muss auch global gelten. Wir brauchen eine globale
Rechtsstaatlichkeit; das hat die Diskussion der letzten
Wochen gezeigt. Hier hätte ich mir klare Worte der
schwarz-gelben Bundesregierung gewünscht.
({1})
Wir haben heute auch viel über die Vergangenheit diskutiert. Ja, es sind auch Sachen unternommen worden,
die aus heutiger Perspektive vielleicht nicht richtig erscheinen. Wir Parlamentarier wissen doch aber - egal ob
Opposition oder Regierung -, dass es ein ständiges Ringen um die Fragen Freiheit und Sicherheit ist. Das ist
doch eine Sache, mit der wir uns jeden Tag auseinandersetzen. Deswegen sollten es oftmals nicht die einfachen
Antworten sein, die wir geben.
Ich möchte folgendes Zitat anführen: „Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein“.
Das war der Ausspruch von Jens Stoltenberg nach den
furchtbaren Anschlägen in Oslo und auf Utøya. Wir alle
hätten vielleicht sogar Verständnis gehabt, wenn in Norwegen anders reagiert worden wäre. Man hat den Feinden der Demokratie aber mehr Demokratie, mehr Transparenz und mehr Freiheit entgegengesetzt. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich denke, so manches Mal
sollte das auch unsere Antwort sein, wenn es darum
geht, die Demokratie zu verteidigen.
({2})
Ich sage: Wir dürfen unsere Demokratie nicht auf
Kosten unserer demokratischen Grundwerte verteidigen.
Wenn das passiert, sind wir auf dem falschen Weg.
Ich möchte zu den Ereignissen der letzten Tage einige
konkrete Anmerkungen machen: Herr Minister, wir haben im Unterausschuss „Neue Medien“ über Prism und
Tempora diskutiert. Aus Ihrem Haus waren Vertreter anwesend, die ich gefragt habe, ob sie denn über Prism Bescheid wussten. Die Antwort war: Nein, wir wussten
über Prism nicht Bescheid. - Ich habe dann gefragt: War
denn bekannt, dass Maßnahmen der Überwachung und
auch der Totalüberwachung stattfinden? - Da war die
Antwort: Ja, wir haben so etwas vermutet. - Als ich
dann gefragt habe: „Was hat man in den letzten Monaten
unternommen?“, war die Antwort: nichts. - Da frage ich
mich schon: Warum wird diese schwarz-gelbe Bundesregierung eigentlich erst dann aktiv, wenn ein Informant
Informationen an die Öffentlichkeit gibt, obwohl man
doch gewusst hat, dass es solche Programme gibt? Warum hat sich diese Bundesregierung nicht darum gekümmert, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu
schützen?
({3})
Ich sage Ihnen: Ich bin dankbar, dass die Kanzlerin so
offen ist und sagt, dass das Internet für sie Neuland ist.
Ich mag schließlich auch keine Politiker, die behaupten,
sie hätten von allem Ahnung. Aber man kann doch mit
dieser Begründung nicht bagatellisieren, was da in den
letzten Jahren passiert ist.
({4})
Man kann doch nicht sagen, dass das Internet ein bürgerrechtsfreier Raum sein darf, nur weil man keine Ahnung
hat. Da sage ich: Dann muss die Kanzlerin jemanden fragen, der sich damit auskennt.
({5})
Ein paar davon gibt es schließlich auch in der Regierungskoalition.
Dann wird gesagt, die Kanzlerin habe mit Obama einen Dialog vereinbart, der neben dem Treffen stattfinden
soll.
({6})
Diesbezüglich haben wir im Unterausschuss „Neue Medien“ gefragt: Was hat es denn mit diesem Dialog auf
sich? - Das konnten die Vertreter Ihres Hauses nicht sagen. Da wurde gesagt: Es wird jetzt erst einmal von denjenigen, die dabei waren, eine Protokollnotiz angefertigt. Ich kann Ihnen sagen, was das Ziel dieses Dialogs ist:
Das Ziel wird es sein, über den 22. September 2013
hinauszukommen. Wir sehen doch heute schon, dass
diese Koalition überhaupt keine abgestimmte Position
hat, wenn es darum geht, mit den amerikanischen und
englischen Partnern zu diskutieren und auch einmal Tacheles zu reden. Wir brauchen eine Regierung, die handelt.
({7})
Wir haben große Erwartungen an den Europäischen
Rat; das ist angesprochen worden. Herr Minister, wir haben auch über das IT-Sicherheitsgesetz gesprochen. Ich
will hier einmal in aller Deutlichkeit sagen: Dass ich Sie
auffordern muss, endlich aktiv zu werden, und dass ich
Sie auffordern muss, endlich für Sicherheit, für Recht
und für Ordnung zu sorgen, ist für mich schon eines der
Highlights dieser Legislaturperiode. Sie haben in dieser
Legislaturperiode und in dieser Koalition nichts gemacht, um die IT-Sicherheit zu stärken. Sie haben nicht
dafür gesorgt, dass auch Bedrohungen im Cyberraum
endlich angegangen werden.
({8})
Sehr geehrte Damen und Herren, die ganze Diskussion lässt mich zu einem Zwischenfazit kommen: Erstens. Wir brauchen für globale Kommunikation auch
globale Regeln. Zweitens. Wir brauchen endlich eine
Regierung, die sich kümmert. Diese schwarz-gelbe Regierung tut es nicht. Ich hoffe, dass das Ganze am
22. September 2013 ein Ende hat.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({9})
Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Klingbeil, ich nennen Ihnen
zwei Beispiele dafür, wie diese Regierung im Gegensatz
Armin Schuster ({0})
zur früheren rot-grünen Regierung arbeitet: Wir haben
den Amerikanern bei den Verhandlungen über das
SWIFT-Abkommen beim Thema der Übermittlung sensibler Bankdaten jedenfalls deutlich mehr abgerungen
als Sie; denn Sie haben einen Blankoscheck ausgestellt.
({1})
Ich habe auch den Eindruck, dass die Amerikaner im Zusammenhang mit PNR, mit Fluggastdaten, gelernt haben, wie man bei uns mit Daten umgeht.
Ich habe mir noch einmal die wichtigsten Daten zu
Gemüte geführt - vielleicht muss man sich in die Situation der Amerikaner und der Briten hineindenken -:
({2})
Am 11. September 2001 gab es die Anschläge auf das
World Trade Center und das Pentagon, 2002 den Anschlag in Djerba, 2004 die Anschläge in Madrid und am
7. Juli 2005 die furchtbaren Anschläge in London. Wir
in der westlichen Welt haben in diesen Jahren richtigerweise - in Deutschland mit den Otto-Katalogen - die
Antiterrorgesetze verschärft. Der Schmerz in den hauptsächlich von den Anschlägen betroffenen Ländern wie
den USA oder Großbritannien sitzt immer noch tief.
Wir können von Glück reden, dass es uns nicht getroffen hat. Vielleicht ist es uns auch deshalb wesentlich
leichter gefallen, unsere Sicherheitsgesetze, wie in dieser
Legislaturperiode, pflichtgemäß zu evaluieren und die
Wirkung der Grundrechtseingriffe kritisch zu überprüfen. Wir haben die Geltung unserer Gesetze verlängert,
aber eben auch die Regelungen eingeschränkt.
({3})
Deutschland beantwortet regelmäßig die Frage, ob der
angestrebte Nutzen für die innere Sicherheit in einem
vertretbaren Verhältnis dazu steht, wie stark wir in Bürgerrechte eingreifen.
Wie steht es in den USA oder Großbritannien um solche Abwägungen? Sowohl die hohe Emotionalisierung
durch Terroranschläge wie auch die Erfolge der vergangenen Jahre in der Terrorbekämpfung könnten - könnten! - aus meiner Sicht eine Ursache dafür sein, dass es
hier infolge geringerer Kontrollen zu Übertreibungen gekommen ist. Was stimmt, werden wir hier und heute
nicht klären können; aber wir können wahrscheinlich
von zwei Szenarien ausgehen: Das eine Szenario ist,
dass unsere Bündnispartner nach ihrem geltenden Recht
gehandelt haben. Dann wäre die Frage zu stellen, ob das
geltende Recht und dessen Anwendung einer rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen, wie es bei uns üblich ist.
Nach allem, was wir jetzt wissen, sind diese Aktionen
wahrscheinlich nicht mit unserem Rechtsverständnis in
Einklang zu bringen. Es geht um unsere Bürger; aber es
könnte in den USA eben legal sein. Vom zweiten Szenario, das ich schlimmer fände, gehe ich nicht aus, nämlich
dass die USA oder Großbritannien gegen ihr eigenes
Recht verstoßen haben. Ich sehe im Moment keinen Anlass, das zu glauben.
In beiden Fällen besteht aus deutscher Sicht Bedarf an
diplomatischen Gesprächen. Dem kommt die Bundesregierung nach; wer heute Morgen im Innenausschuss war,
weiß das. Es geht nicht nur um Schreiben und Fragenkataloge; hier wurde schnell im Sinne einer Sachverhaltsaufklärung gehandelt. Ich persönlich würde mir allerdings auch wünschen, dass die Europäische Union sich
ebenfalls dieses Themas annimmt; das stärkt unsere
Position.
({4})
Es ist möglich, Sicherheit und Freiheit gleichermaßen
in der Balance zu halten. Wir gewährleisten das für unsere Bürger. Insofern erwarten wir es natürlich auch von
unseren Bündnispartnern. Sollten die Rechte deutscher
Staatsbürger hier verletzt worden sein oder gar fortgesetzt verletzt werden, brauchen wir eine lückenlose Aufklärung. Wir wollen wissen, ob das, was dort geschieht,
diplomatisch verhandelbar ist. Denn wir sprechen hier
nicht mit Chinesen oder Russen, sondern mit deutschen
Bündnispartnern.
Ich halte es aber, meine Damen und Herren, für wenig
hilfreich, wenn die entsprechenden Verhandlungen der
Regierung durch eine überbordende politische Entrüstungspolemik, wie sie die öffentliche Debatte derzeit
bestimmt, konterkariert werden. „Albtraum“, „Skandal“,
„Katastrophe“ - solche Fatalisierungen schaffen
schlechte Voraussetzungen für erfolgreiche Verhandlungen mit Partnern.
({5})
Wir in der Bundesrepublik hatten beim Thema innere
Sicherheit bisher Glück; noch ist kein Anschlagsplan
aufgegangen. Wir profitieren immer noch von den Leistungen unserer Partner. Deshalb schließe ich mich nicht
denen an, die Fragen der inneren Sicherheit, Herr
Dr. von Notz, immer wieder nur unter Datenschutzaspekten diskutieren. Das ist einäugig. Sie ziehen sich
hinsichtlich der rot-grünen Regierungszeit auf das Ressortprinzip zurück und sagen, dass Sie nichts machen
konnten. Es wäre aber mannhaft gewesen, wenn Sie in
Baden-Württemberg versucht hätten, endlich einmal den
Innenminister zu stellen, um zu beweisen, dass Sie mehr
können, als den Ritter der Bürgerrechte zu geben.
({6})
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich
bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit den Fragen
der inneren Sicherheit mit der gleichen Akribie widmet
wie den Fragen des Datenschutzes. Es gibt nur eine
Fraktion in diesem Haus, die das macht, und das sind
wir.
({7})
Der Blick aller anderen Fraktionen ist in irgendeiner
Form einseitig, der der CDU/CSU nicht.
({8})
Armin Schuster ({9})
Dass die Bereiche Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung in
einen Topf geworfen werden, finde ich nicht seriös. Bei
der Vorratsdatenspeicherung geht es um Verkehrsdaten,
liebe Frau Piltz; bei den Spähaktionen sprechen wir über
ganz andere Dinge.
({10})
Ich behaupte sogar das Gegenteil: Diese Debatte bietet
Anlass, gerade über die Vorratsdatenspeicherung zu
sprechen, eine verfassungsmäßig in höchstem Maße seriöse Maßnahme, die richterlich abgesichert ist.
({11})
Fazit: Wir haben das richtige Personal, um mit unseren Partnern diplomatisch zu verhandeln. Wir haben
Minister und einen Kanzleramtschef, die das können.
({12})
Wir haben eine Bundeskanzlerin, die sich um diese
schwierigen Fragen kümmert. Das können Sie sich nur
wünschen.
({13})
Wir werden die Probleme lösen.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer aus der
Unionsfraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es kann uns nicht egal
sein, dass die Enthüllungen über die geheimdienstlichen
Internetüberwachungsprogramme Prism und Tempora
unsere Bürgerinnen und Bürger enorm beunruhigen und
verunsichern. Bisher hat diese Debatte nicht zu mehr
Aufklärung beitragen können. Momentan gibt es noch
sehr viele Fragen, aber nur sehr wenige Antworten.
Die Bundesregierung hat zwei umfangreiche Fragenkataloge an die US-Regierung und an die britische Regierung geschickt. Die US-Regierung hat noch nicht geantwortet; die britische Regierung hat offenbar - wie
man den Agenturmeldungen heute entnehmen kann auf die dreizehn Fragen mit drei Zeilen geantwortet. Mit
Verlaub: Das ist schon etwas dürftig. Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass der britische
Premierminister David Cameron, wenn er die Bundeskanzlerin am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel
trifft, die Gelegenheit nutzt, etwas mehr dazu zu sagen.
({0})
Wir müssen festhalten: Es ist noch sehr viel unklar.
({1})
Der Konjunktiv überwiegt; wir können nur sehr wenige
Aussagen im Indikativ feststellen. Es gilt deshalb, die
Priorität zunächst auf die Aufklärung des Sachverhalts
zu setzen.
({2})
Aus meiner Sicht muss das in erster Linie angestrebt
werden. Des Weiteren geht es darum, die Frage zu stellen, auf welcher Rechtsgrundlage diese Programme ausgeführt wurden und ob gegen geltendes nationales Recht
verstoßen wurde, möglicherweise auch gegen internationales Recht.
Ich möchte unserer Bundeskanzlerin sehr herzlich dafür danken,
({3})
dass sie dieses Thema anlässlich des Besuches des USPräsidenten in der vergangenen Woche offen und eindringlich angesprochen hat.
({4})
Wer die gemeinsame Pressekonferenz verfolgt hat, hat
erkannt, dass es US-Präsident Obama nicht ganz gelegen
kam, dass dieses Thema in Deutschland mittlerweile
eine derart hohe Bedeutung hat. Er hat sehr umfangreich
und faktenreich repliziert. Das reicht natürlich noch
nicht aus; aber ich glaube, dass wir nicht so weit gekommen wären, wenn unsere Bundeskanzlerin nicht so intensiv auf Antworten gedrungen hätte.
Wir sollten uns wirklich vor Vorverurteilungen hüten.
Ich kann uns auch von einer vorschnellen Skandalisierung nur abraten. Ich bin der Bundesregierung und insbesondere dem Bundesinnenminister sehr dankbar, dass
er auf europäischer Ebene darauf gedrungen hat, dass
eine EU-US-Expertengruppe eingerichtet und in den
nächsten Wochen eine Fact-Finding-Mission durchgeführt wird. Ich persönlich kann nicht ganz nachvollziehen - das sage ich ganz offen -, dass sowohl die britische Regierung als auch die französische Regierung der
Meinung waren, dass es dieses Expertengremiums auf
europäischer Ebene nicht bedarf, weil die nationale Sicherheit ausschließlich in der nationalen Kompetenz
liegt. Ich glaube, gerade die europäische Ebene und die
EU-Kommission sind hier aufgefordert, mit den USAmerikanern in einen Dialog einzutreten.
Aber lassen Sie mich auch Folgendes feststellen: Es
liegt in der Natur der Sache, dass Geheimdienste geheim
arbeiten. Wer jetzt hier ein großes Petitum für mehr
Transparenz und Offenheit vorbringt, der verkennt, dass
Stephan Mayer ({5})
es in der Natur der Sache liegt, dass Geheimdienste nicht
alles offenbaren können, was ihnen zugetragen wird
bzw. worüber sie sich mit ihren Partnerorganisationen
austauschen. Aus meiner Sicht ist aber entscheidend,
dass sich alle Geheimdienste, insbesondere die Geheimdienste der westlichen Welt, an geltendes nationales
Recht halten - darauf sollten wir drängen - und dass sie
einer demokratischen Kontrolle unterliegen.
Ich glaube aber auch, dass wir immer wieder darauf
hinweisen müssen, dass uns insbesondere von den britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten in den
vergangenen Jahren wichtige und wertvolle Informationen zuteilwurden,
({6})
die entscheidend mit dazu beigetragen haben, dass Terroranschläge in Europa und auch Terroranschläge in
Deutschland verhindert werden konnten.
({7})
Kollege Mayer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ströbele?
Selbstverständlich. Sehr gerne.
Herr Kollege Mayer, ich kann es langsam nicht mehr
hören. Ich glaube, Sie sind der Dritte oder Vierte, der
sagt, dass wir all das, was die Nachrichtendienste machen, kontrollieren sollen. Können Sie mir und den vielen anwesenden Kollegen aus dem Parlamentarischen
Kontrollgremium, die sich heute Abend wieder treffen,
um zu kontrollieren, sagen, wie wir das machen sollen,
wenn wir keinerlei Informationen bekommen, wenn wir
keine Antworten bekommen? Wie sollen wir kontrollieren, wenn wir nicht wissen, was wir kontrollieren sollen?
Wie sollen wir feststellen, ob das Vorgehen rechtmäßig
war, ob die deutschen Rechtsregeln eingehalten worden
sind, ob die europäischen Rechtsregeln eingehalten worden sind, ob die US-amerikanischen Rechtsregeln eingehalten worden sind, wenn wir überhaupt nicht wissen,
worüber wir reden?
Sie müssen doch mit dem Innenminister und den anderen Ministern in der Bundesregierung dafür sorgen,
dass diese Informationen beschafft werden. Es gibt Telefone. Oder haben sie Angst, dass sie abgehört werden?
Ich weiß es nicht. Jedenfalls sollten Sie alle Mittel nutzen, um uns, den Deutschen Bundestag und die zur Kontrolle vorgesehenen Gremien, so zu informieren, dass
wir darüber urteilen können und dass wir aufpassen und
kontrollieren können.
({0})
Lieber Herr Kollege Ströbele, Sie sind seit mehreren
Legislaturperioden Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums und verfügen insofern über wesentlich
mehr Herrschaftswissen als ich, der ich nicht Mitglied
dieses erlauchten Gremiums bin.
({0})
Wie Sie diese Kontrollfunktion ausüben bzw. vollziehen,
das obliegt, glaube ich, Ihnen. Ich bin der festen Überzeugung, dass in den letzten Jahren die Möglichkeiten,
auch die rechtlichen Möglichkeiten, zur parlamentarischen Kontrolle im Hinblick auf unsere Geheimdienste
deutlich verbessert und ausgeweitet wurden.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass heute
noch eine Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums stattfinden wird. Ich bin mir sehr sicher, auch
wenn ich nicht dabei sein werde, dass Sie die Möglichkeit nutzen werden, sehr viele Fragen zu stellen. Das ist
auch Ihr gutes parlamentarisches Recht. Das verstehe ich
unter einer effektiven und ordnungsgemäßen parlamentarischen Kontrolle von westlichen Geheimdiensten. Ich
bin mir sicher, dass es sowohl in Großbritannien als auch
in den USA ebenfalls eine parlamentarische Kontrolle
der Geheimdienste gibt. Aber man muss natürlich festhalten, dass es nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages ist, die britischen oder amerikanischen Geheimdienste zu kontrollieren.
({1})
Aber es ist Ihre Aufgabe, zu kontrollieren. Das erwarte ich von Ihnen als Mitglied des Parlamentarischen
Kontrollgremiums. Vielleicht darf ich Sie in der Hinsicht
zusätzlich motivieren, heute die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung zu fragen, welche Informationen sie von den Partnerorganisationen in den USA
und in Großbritannien erhalten haben. Ich bin mir sicher,
dass momentan noch nicht alles auf dem Tisch liegt.
Deswegen richte ich mein Petitum an die US-Amerikaner und die Briten, ihrer Bringschuld nachzukommen
und die Partnerorganisationen auf deutscher Seite entsprechend umfangreich zu informieren.
Ich bin der Meinung, dass es wichtig wäre, insbesondere um die große Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung aufzugreifen und möglichst auch aus der Welt
zu schaffen, dass die britische und die amerikanische
Regierung in Bezug auf ihre Öffentlichkeitsarbeit etwas
freigiebiger kommunizieren als bisher. Ich habe schon
darauf hingewiesen: Geheimdienste arbeiten geheim.
({2})
Es kann nicht alles auf dem Marktplatz der Weltöffentlichkeit dargeboten werden, aber diese enorme Verunsicherung unter den Verbraucherinnen und Verbrauchern
muss meines Erachtens ernst genommen werden. Ich
glaube, dass es wichtig ist, dass hier in absehbarer Zeit
Stephan Mayer ({3})
für mehr Klarheit gesorgt wird, nicht zuletzt, weil wir
die Vorratsdatenspeicherung meiner Meinung nach auch
in Deutschland brauchen. Jetzt gibt es mit Sicherheit einen großen Aufschrei seitens der Opposition. Weil ich
der Auffassung bin, dass wir die Umsetzung der EURichtlinie in deutsches Recht benötigen, finde ich es
richtig und wichtig, klarzumachen, dass die Vorratsdatenspeicherung, also die reine Speicherung von Verbindungsdaten, nichts mit dem Vorgehen der amerikanischen und britischen Geheimdienste zu tun hat, das jetzt
offenkundig wurde.
({4})
Hier geht es offenbar nicht um die Speicherung und um
das Abgreifen von Verbindungsdaten, sondern um das
massenhafte Speichern von Inhalten von Telefongesprächen und E-Mails.
({5})
Dass ich dem mit großer Skepsis gegenüberstehe,
möchte ich an dieser Stelle deutlich machen.
Umso wichtiger ist es meines Erachtens, dass wir uns
auf gleiche Standards beim Datenschutz einigen, und
zwar nicht nur in Europa. Ich bin der Meinung, dass man
hier auch die USA einbeziehen sollte. Natürlich steht es
uns nicht an, die Werthaltigkeit amerikanischen Rechts
zu evaluieren; aber ich bin der Meinung, dass die Amerikaner gut daran tun würden, sich europäische Datenschutzstandards einmal genauer anzusehen. Der Eingriff
in die Privatsphäre, der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt, glaube ich, nicht erst
dann vor, wenn die Daten benutzt werden, wenn die Daten verwertet werden, sondern der Eingriff liegt schon
dann vor, wenn die Speicherung erfolgt.
({6})
Es wäre mein großer Wunsch, dass die Amerikaner einmal den Blick über den großen Teich richten und sich etwas stärker an den schon sehr hohen europäischen und
noch höheren deutschen Datenschutzstandards orientieren.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das
IT-Sicherheitsgesetz wird kommen. Es ist dringend notwendig, dass wir unsere kritischen Infrastrukturen besser
schützen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies eine
der prioritären Aufgaben sein wird, die die Innenpolitik
in der christlich-liberalen Koalition in der nächsten Legislaturperiode sehr schnell angehen und dann auch sehr
schnell umsetzen wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung
Frau Dr. Johanna Wanka. - Bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben heute im Kabinett den Bericht zur
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Bundesregierung verabschiedet. Bildung für nachhaltige
Entwicklung ist ein zentrales Thema, das die gesamte
Gesellschaft und auch die unterschiedlichen Ebenen,
also die Kommunen, die Länder und die Bundesregierung, betrifft. Bei diesem Bericht wird sehr deutlich,
dass es ein Querschnittsthema ist. Wir haben auch eine
Zulieferung von der Kultusministerkonferenz. Innerhalb
der Bundesregierung ist das BMBF federführend für diesen Bericht und diese Tätigkeit.
Ich möchte zu Beginn einige Beispiele nennen, um zu
illustrieren, was sich getan hat, ob das wirklich Effekte
hat und ob das funktionieren kann. Ein Projekt, das ich
sehr interessant finde, hat im letzten Jahr das BMBF gemeinsam mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung
durchgeführt. Dort wurde ein Wettbewerb ausgelobt, um
lokale Bildungs- und Kompetenznetzwerke für Nachhaltigkeit zu fördern. Der Wettbewerb hatte eine sehr große
Resonanz. Es gab 180 Bewerber. 31 Gewinner wurden
ausgewählt. Diese werden seit September letzten Jahres
ein Jahr lang in ihren Netzwerkaktivitäten gefördert.
Über Netzwerke wird oft gesprochen; wichtig ist
aber, dass man einen Anschub hat und dass so etwas
selbstorganisierend funktioniert. Im Rahmen dieser Projekte wird zum Beispiel das Projekt „KlimawerkstattBauwagen“ in Bayreuth gefördert. Im Rahmen dieses
Projekts baut eine Grundschule mit verschiedenen Partnern einen Bauwagen um. Dies ist ein innovatives Lernprojekt, bei dem es um eine Klimawerkstatt und anderes
geht.
Ein anderes Projekt hat den provokanten Titel „Plastiktüte? - Nein danke!“. Bei diesem Projekt setzen sich
Kinder und Jugendliche in Kursen mit dem Erdölprodukt
Kunststoff auseinander. Das ist für jemanden wie mich,
der aus der Polymerchemie kommt, ein besonders interessantes Projekt. Hier werden unterschiedliche Ansätze
und Aktivitäten gebündelt, und vorhandenes Wissen
wird zusammengeführt. Dieser Wettbewerb ist jetzt einmal gelaufen. Eine neue Runde soll es Ende 2014 geben.
Wichtig ist, dass man über das Thema „Bildung für
nachhaltige Entwicklung“ qualifiziert nachdenkt und
dies ebenso vermittelt. Wie in vielen Bereichen besteht
hier Forschungsbedarf. Das BMBF fördert dies mit einem, wie ich finde, großangelegten Forschungsprogramm mit jährlich 500 000 Euro, bei dem es um KomBundesministerin Dr. Johanna Wanka
petenzen und die Vermittlung von Kompetenzen geht.
Bei einem Projekt, das zum Beispiel gefördert wird, wird
ein Kompetenzmodell für nachhaltiges Wirtschaften
kaufmännischer Auszubildender wissenschaftlich erarbeitet. Kaufmännische Auszubildende, das ist eine große
Kategorie.
Im Rahmen dieser Forschungsprojekte wird aber auch
untersucht: Wie kann man die Gründung von Netzwerken, die der Vermittlung von Bildung für nachhaltige
Entwicklung dienen, anregen? Vor allen Dingen: Wie
kann man dafür sorgen, dass sich die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur in einzelnen Modellen wiederfinden, sondern auch eine Breitenwirkung entfalten?
Ganz besonders erfolgreich im Bereich der Bildung
für nachhaltige Entwicklung ist die Zusammenarbeit mit
dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, von dem auch die Anregung zu dem eben beschriebenen Wettbewerb kam.
Wichtig ist auch, wie Deutschland im internationalen
Bereich dasteht. Hier verläuft die Kooperation vorbildlich, insbesondere die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Im Rahmen der UN-Dekade „Bildung für
eine nachhaltige Entwicklung“ fördert das BMBF mit
jährlich 450 000 Euro die Deutsche UNESCO-Kommission in Bonn. Wir unterstützen ein Internetportal und
fördern Publikationen. Außerdem fördern wir die Forschung zur Evaluierung der Wirksamkeit dieser Dekade
und zur Unterstützung von Maßnahmen.
International wird das, was Deutschland im Bereich
der Bildung für nachhaltige Entwicklung macht, als sehr
gut und erfolgreich eingeschätzt. Ich denke, dass die
Bundesregierung durch die bereitgestellten Gelder und
durch ihre Programme Impulse gegeben und Entwicklungen angestoßen hat. Wir haben vor, zum Ende dieser
UN-Dekade im nächsten Jahr eine nationale Abschlusskonferenz durchzuführen. Auf dieser Konferenz soll zusammengetragen werden: Welche Maßnahmen haben
sich bewährt, und welche sollten weitergeführt werden?
Dann soll überlegt werden: Wie setzt man das weiter
um? Nach dieser Dekade soll nämlich nicht Schluss sein.
Die Überlegung geht vielmehr dahin, so etwas kontinuierlich zu verankern.
Wenn Sie sich den Bericht insgesamt ansehen, stellen
Sie fest, dass viel erreicht wurde, auch in den Ländern.
Für fast alle Bereiche der formalen Bildungsinstitutionen
existieren Richtlinien und Empfehlungen zur Umsetzung
der Bildung für nachhaltige Entwicklung, und es gibt
sehr viele gute Praxisbeispiele. Aber natürlich ist noch
eine Menge zu tun. Vor allen Dingen stellt man immer
wieder fest, dass es gefährlich ist, nur temporär zu fördern. Vielmehr muss aus der Förderung eine nachhaltige
- an dieser Stelle eine wirklich nachhaltige - Entwicklung ableitbar sein.
Hinzu kommen solch einfache Dinge wie die Anregung des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung, der die Frage aufgeworfen hat: Wie ist die
Situation im Hinblick auf die Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien? Dies
wird geprüft und in entsprechenden Weiterbildungsangeboten berücksichtigt.
Insgesamt kann man sagen, dass dieses Thema auch
für unseren Umgang mit den Klimazielen außerordentlich wichtig ist, dass die UN-Dekade viel angestoßen
hat, dass die Bundesregierung dieses Thema aktiv aufgegriffen hat und dass man gemeinsam mit den Ländern
eine Menge erreicht hat.
Danke.
Danke, Frau Ministerin. - Die erste Frage stellt die
Kollegin Rosemarie Hein.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Sie werden mir recht
geben, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung nur erfolgreich sein wird, wenn Bildung selbst nachhaltig ist.
Darum interessiert mich, wie ein bestimmter Gedanke
aus dem Bericht von 2009 aufgegriffen worden ist und
welche Konsequenzen daraus gezogen wurden. Ich
meine folgenden Satz, zitiert aus der Einschätzung der
damaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen:
Eine Schule für alle macht ein Umdenken in unserem Bildungssystem erforderlich.
Im Ergänzungsbericht wird davon gesprochen, dass Rahmenbedingungen für die Bildung für nachhaltige Entwicklung geschaffen werden sollen.
Ich frage Sie: Inwiefern werden an dieser Stelle Rahmenbedingungen geschaffen, und welche sind es?
Was das Thema „Eine Schule für alle“ angeht - das
war ja Ihr Eingangscredo -, denke ich, dass Inklusion in
den nächsten Jahren ein großes, zentrales Thema sein
wird,
({0})
ein Thema, das natürlich in sehr starkem Maße im Bildungs- und Schulbereich, aber nicht nur dort, sondern
auch für die gesamte Gesellschaft, also auch und gerade
für die berufliche Bildung, eine Rolle spielt.
({1})
Vor über einer Woche haben wir eine nationale Konferenz zu diesem Thema durchgeführt, mit über 400 Akteuren aus den unterschiedlichsten Feldern.
({2})
Dort wurde über die Fragen diskutiert: Welche Anforderungen gibt es? Brauchen wir zuerst einen Umbau der
Schulen? Brauchen wir die entsprechende Technik? Wie
machen wir die Kinder fit, damit sie das verstehen können?
Diese Konferenz war eine gemeinsame Veranstaltung
von Kultusministerkonferenz, Arbeitsministerium und
Bildungsministerium. Das zeigt, dass Bund und Länder
verstehen, dass es sich hier um eine gemeinsame Aufgabe handelt. Es gibt in diesem Bereich keine einfache
Lösung. Stattdessen braucht es viele Schritte. Sie haben
danach gefragt, was sich in diesem Bereich getan hat.
Viele Beispiele dafür, was sich getan hat, finden Sie in
dem Bericht der Bundesregierung.
Danke schön. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Kai Gehring.
Herzlichen Dank. - Der Bericht der Bundesregierung
zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, kurz:
BNE-Bericht, ist sicherlich sehr wichtig. Wir hätten es
aber auch angemessen gefunden, wenn Sie die Studie
„Education at a Glance“ von der OECD oder die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks heute im Kabinett beraten hätten.
({0})
Die in diesen Studien aufgeführten Erkenntnisse sind
nämlich sehr durchwachsen, bisweilen alarmierend.
Ich möchte jetzt zum Thema der Regierungsbefragung kommen und Sie fragen: Welche ganz konkreten
Vorüberlegungen und Planungen hat die Bundesregierung für das Vorhaben eines Weltaktionsprogramms,
über das ja im internationalen Rahmen intensiv diskutiert wird? Welche Perspektiven sehen Sie für eine Verstetigung dieser Maßnahmen in Deutschland nach Ende
der UN-Dekade 2014?
Sie haben recht: Der Exekutivrat der UNESCO hat
sich dafür ausgesprochen, dass man als Ergebnis ein
Weltaktionsprogramm erarbeitet und ausruft. Wie ich
vorhin erwähnt habe, überlegen wir gemeinsam mit der
Deutschen UNESCO-Kommission, zu diesem Thema im
nächsten Jahr eine große Abschlusskonferenz hier in
Deutschland durchzuführen. Auf dieser Konferenz sollen dann konkrete Handlungsempfehlungen gegeben
werden.
Ich halte allerdings nichts davon, im laufenden Verfahren schon festzulegen, welche Maßnahmen verstetigt
werden sollen. Es ist auf jeden Fall klar, dass wir in diesem Bereich weiterhin Geld und Ideen einbringen werden. Wenn wir in diesem Bereich national erfolgreich
sind, haben wir auch genügend Motivation. Wir stehen
in der vordersten Linie, wenn es darum geht, diese Maßnahmen zu verstetigen.
Die Kollegin Ulla Burchardt stellt die nächste Frage.
Im Interesse der Nachhaltigkeit, Frau Ministerin,
leiste ich gern einen Beitrag zur Weiterbildung für Nachhaltigkeit. Es ist gut, wenn das Ministerium an dieser
Stelle tätig wird. Die roten, langen Linien hat allerdings
der Deutsche Bundestag gezeichnet. Ich finde, es wäre
angemessen, wenn die Bundesregierung dies, um die
Kontinuität deutlich zu machen, in ihren Berichten einmal entsprechend festhalten würde.
Für alle, die später gekommen sind, will ich noch einmal kurz skizzieren, dass wir hier nicht über Ergebnisse
einer einmal gewählten Regierung sprechen. Das Ganze
hat vielmehr eine lange Vorgeschichte: Als Ergebnis einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist
der Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung eingerichtet
worden, und die Bundesregierung hat eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, mit der sich auch der Staatssekretärsausschuss befasst hat. Zu den Fortschrittsberichten, die die Bundesregierung erstellt, gehört auch der
Bericht der Bundesregierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Dies - inklusive der Weltdekade
der UN - sind Initiativen, die auf den Deutschen Bundestag zurückgehen. Wir haben - interfraktionell, wie es
bei diesem Thema üblich ist - Vorschläge zur Fortsetzung dieses Programms inklusive des Weltaktionsprogramms gemacht.
Ich komme damit zu meiner Frage. Der Staatssekretärsausschuss hat festgestellt, dass es bislang noch nicht
ausreichend gelungen ist, Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen zu verankern. Das
lässt sich sicherlich nicht mit Modellprojekten organisieren. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung, dieses Thema strukturell anzugehen? Welche Verknüpfungen sehen Sie zwischen dem Thema Nachhaltigkeit und
der anhaltend auseinandergehenden Schere zwischen
Bildungsarmut und Bildungsreichtum in Deutschland,
und was sind die Ursachen dafür?
Vielen Dank für die Belehrung oder die ergänzende
Erklärung am Anfang. Ich denke, wenn Sie den Bericht
der Bundesregierung lesen,
({0})
dann finden Sie die Initiativen des Bundestages wie zum
Beispiel den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige
Entwicklung darin sehr wohl gewürdigt. Es wird auch
darauf verwiesen, dass der Bericht - ich habe das erwähnt - auf Initiative des Parlaments und anderer entstanden ist. Die Vorgeschichte kennen Sie selbstverständlich besser, als ich sie kennen kann.
Sie sind davon ausgegangen, dass man Bildung für
nachhaltige Entwicklung nicht mit Modellprojekten realisieren könne. Ich finde, Sie unterschätzen die Bedeutung von Modellprojekten. Manche Dinge kann man
nicht planerisch von oben durchsetzen, sondern man
muss überlegen - das ist ganz wichtig, wie ich mehrfach
betont habe -, wie man dieses Thema strukturell verankern kann.
„Strukturell verankern“ heißt, dass man auf gewisse
Institutionen zurückgreift. Eine flächendeckende strukturelle Verankerung ist uns zum Beispiel im Bereich der
Kitas - beispielsweise mit dem „Haus der kleinen Forscher“ - gelungen. Wenn Sie in den entsprechenden
Büchern blättern, werden Sie ganz dezidiert ausgeführt
finden, wie man Nachhaltigkeit kleinen Kindern näherbringen kann. Dabei geht es um das Ausschalten der
Lampen und um anderes. Auch in den Schulen - Sie
wissen, für Bildung sind die Länder zuständig - ist eine
strukturelle Verankerung in sehr starkem Maße vorhanden.
Wir dürfen uns aber nicht auf Schulen und Kitas sowie ähnliche Einrichtungen beschränken und dafür Planungen durchführen, sondern wir müssen überlegen:
Wie kann die gesamte Zivilgesellschaft eingebunden
werden? Das muss dann auch weit über die Schule hinaus funktionieren. Deshalb denke ich, dass Forschung
in diesem Bereich wichtig ist. Ich sprach vorhin von einer jährlichen Förderung in Höhe von 500 000 Euro. Es
muss darüber hinaus überlegt werden: Was sind denn effektive Strukturen, für die wir Geld ausgeben sollten?
Modellprojekte sind aus meiner Sicht sinnvoll, um einen erfolgreichen Weg flächendeckend zu erproben. In
dem Bericht wird deutlich, wo entsprechende Impulse
gegeben werden. Es geht in vielen Rahmenrichtlinien
und Empfehlungen um Bildung für nachhaltige Entwicklung. Das war vor 10 oder 15 Jahren überhaupt nicht der
Fall.
Bevor ich dem nächsten Kollegen das Wort gebe,
weise ich darauf hin, dass wir uns darauf verständigt haben, dass in diesem Teil der Befragung die Fragen eine
Minute in Anspruch nehmen sollen und, daraus folgend,
dann auch die Antworten. Um das ein wenig zu unterstützen, geben wir ein optisches Signal. Wenn dieses Signal auf Rot umspringt, ist die Minute definitiv zu Ende.
Ich bitte alle folgenden Kolleginnen und Kollegen, sich
daran zu halten.
Die nächste Frage stellt der Kollege Philipp
Murmann.
Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren Bericht und
die Erwähnung der verschiedenen Projekte. Sie haben
schon gesagt, dass das eine Querschnittsaufgabe ist, die
sich im Grunde durch unsere gesamte Gesellschaft zieht.
Meine Frage dazu: Wie kann man denn - Sie hatten eben
schon begonnen, das zu erwähnen - auch die regionale
Verankerung der Bildung in Bezug auf nachhaltige Entwicklung weiter stärken? Das könnte zum Beispiel dadurch geschehen, dass das Thema nachhaltige Entwicklung in die Curricula der Universitäten aufgenommen
wird. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen
Bund und Ländern insbesondere in dem Bereich „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“?
Ich glaube, dass es in Bezug auf das Thema Bildung
für eine nachhaltige Entwicklung hier im Parlament eine
große Einigkeit gibt. Das ist auch bei den Ländern der
Fall. Daher kann man sagen, dass jetzt in den Empfehlungen und auch in den Curricula eine entsprechende
Verankerung zu finden ist. Die flächendeckende Umsetzung lässt aber noch zu wünschen übrig. Das ist ein
Grund, warum wir über die Dekade hinaus gerne ein
Weltaktionsprogramm unterstützen, von dem wir uns einiges versprechen.
Die nächste Frage kommt von Valerie Wilms.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, nachhaltige Entwicklung betrifft nicht nur den Themenbereich
Bildung. Sie haben das eben anhand der „Plastiktüte? Nein, danke!“-Aktionen schon sehr schön dargestellt.
Dabei geht es um Dinge, die ich selber letzte Woche in
einem anderen Zusammenhang durchgeführt habe. Damit kann man den Menschen das Thema Nachhaltigkeit
nahebringen.
Wir haben aber auch eine Nachhaltigkeitsstrategie.
Die Kollegin Burchardt hat das eben schon sehr ausführlich dargestellt. Insofern muss ich das nicht alles wiederholen. Es kommt dabei auch ein bisschen darauf an, dass
wir nicht nur über den Rat für Nachhaltige Entwicklung
aktiv werden. Es gibt ja auch einen Parlamentarischen
Beirat, in dem der Kollege Murmann Mitglied ist. Meine
Frage lautet: Auf welchen Feldern gibt es im Zuge der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eine konkrete Zusammenarbeit Ihres Ministeriums mit anderen Bundesministerien?
Ich hatte bereits festgestellt, dass der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung besonders effektiv arbeitet, und in dem Zusammenhang ein Projekt
erwähnt. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie, die
wir natürlich nicht nur auf die Bildung beschränken, erfolgt zum Beispiel eine gute Zusammenarbeit mit der neben mir sitzenden Nachbarin, also mit dem Umweltministerium. Wir haben direkte Forschungsstränge und
-linien, welche in allererster Linie Forschung für nachhaltige Entwicklung befördern. Das ist auch mit entsprechenden Fördersummen versehen. Es handelt sich um
Programme, die bundesweit wahrgenommen werden.
Das ist aber ein Thema, bei dem wir uns immer noch
vor jeder Ausschreibung genötigt sehen, zu überlegen,
wie eine entsprechende Verankerung erfolgen kann. Genauso ist es im Bereich Energie. Dort versuchen wir mit
der Forschungsplattform, gerade diesen Aspekt gemeinsam und ein Stück weit koordinierend zu verfolgen.
Der nächste Fragesteller ist Oliver Kaczmarek.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
fand die Beschreibung der Projekte am Beginn Ihrer
Ausführungen ganz interessant. Mir ist nur noch nicht
klar, welche Rolle der Bund bei der Umsetzung - vor allen Dingen bei der administrativen Umsetzung - der
Maßnahmen hinsichtlich Bildung für eine nachhaltige
Entwicklung einnehmen will. Sind Sie eine koordinierende Instanz? Wie koordinieren Sie, und welches Ressort ist federführend beim Thema Bildung für eine nachhaltige Entwicklung?
Wie erwähnt: Federführend innerhalb der Bundesregierung ist das BMBF. Wir nehmen unsere Funktion
wahr, indem wir entsprechende Gelder für die Bewältigung der administrativen Aufgaben bei der Umsetzung
der Dekade zur Verfügung stellen und Wettbewerbe initiieren. Hier wird der Bund direkt aktiv.
Ein ganz anderes Beispiel dafür, wo nachhaltige Entwicklung genauso wichtig ist, ist das Programm „Kultur
macht stark - Bündnisse für Bildung“. Mithilfe der Verbände verankern wir dort Dinge lokal, und zwar flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland. Wir schaffen dort wirklich nachhaltige Strukturen; denn sie
funktionieren auch dann, wenn es keinerlei Fördermechanismen mehr gibt.
Uwe Schummer ist der nächste Fragesteller.
Frau Ministerin, es gibt spannende Initiativen, die
sich auf die Beziehung von Schülern zu Firmen gründen
und die dazu beitragen, den Schülern Ökologie und
nachhaltige Ökonomie näherzubringen. Wie bewerten
Sie diese Initiativen, und besteht in Gesprächen mit den
Ländern die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dies später
auch in die Berufsorientierung mit einfließen zu lassen?
Nachhaltigkeit ist vor allem auch eine Kulturfrage.
Wie kann Nachhaltigkeit gelebt werden, und wie können
die Kulturelemente der verschiedenen Projekte in dieses
Gesamtkonzept mit einfließen?
Zum Gesamtkonzept sage ich noch einmal: Es gibt
keinen Masterplan von oben, sondern es geht darum, Impulse zu setzen und anzuregen.
Es ist wirklich eine Kulturfrage, und es wird sich nur
langsam die Erkenntnis durchsetzen, dass uns Nachhaltigkeit im täglichen Leben beschäftigen muss. Wenn wir
einen Kühlschrank kaufen, dann schauen wir auf den
Verbrauch, aber es gibt viele andere Bereiche, in denen
dieses Thema überhaupt noch nicht präsent ist. Deswegen gehört alles, was wir auch in den Volkshochschulen
oder im Weiterbildungsbereich in dieser Richtung anbieten, dazu.
Hinsichtlich der Kooperation mit den Ländern setze
ich sehr auf das Gespräch, wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass zuerst immer nach Geld gefragt wird.
Ich denke aber, dass wir auf eine große Bereitschaft der
Länder zur Kooperation setzen können, wenn es um
Schulen und nachhaltige Entwicklung geht.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Kai Gehring.
Vielen Dank. - Nachhaltigkeit hat ja auch viel mit
vernetztem Denken und Wissenstransfer zu tun. Wie
wollen die Bundesregierung und ganz konkret das
BMBF die Ergebnisse des Abschlussberichtes der Enquete-Kommission des Parlaments „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung berücksichtigen und die Empfehlungen
in Ihrem Hause auch umsetzen?
An dieser Stelle darf ich mich wiederholen: Wir tragen alle Informationen zu den Projekten zusammen, die
gelaufen sind und bei denen es eine Evaluierung oder
auch Empfehlungen gab - auch die Enquete-Kommission und andere haben sich zu Projekten geäußert -, und
diskutieren sie. Darauf aufbauend, wollen wir dann im
nächsten Jahr planen, was nach dieser Dekade geschieht.
Die einzelnen Empfehlungen werden sehr unterschiedlich zu bewerten sein: Manches ist sofort umsetzbar, anderes ist mit Geld verbunden bzw. liegt nicht in unserer
Kompetenz.
Herr Brase.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, es
geht um Bildung für nachhaltige Entwicklung. Sehen Sie
die Chance, Aspekte und Inhalte des Berichts, die uns
noch nicht vorliegen, für die Zukunft auch in den circa
360 Ausbildungsordnungen ein Stück weit mit zu verankern? Da wir die Bildung für nachhaltige Entwicklung
stärken wollen, wäre es vielleicht sinnvoll, zu überlegen,
so etwas auch im Bereich der dualen Ausbildung, die für
unser Land - und mittlerweile nicht nur für unser Land ganz wichtig ist, zu verankern.
Kurze Antwort: Ja! Längere Antwort: Ich hatte schon
das Beispiel genannt, dass im Rahmen der Ausbildung
für kaufmännische Berufe ein entsprechendes Forschungsprojekt ins Leben gerufen wurde. Dabei stellen
sich die Fragen: Was müsste in dem Curriculum für
diese Berufsausbildung stehen? Was muss vermittelt
werden? Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für die
Überarbeitung der anderen Ausbildungsverordnungen
notwendig. Dies ist zum Teil schon in Form von Empfehlungen geschehen. Aber die Antwort auf Ihre Frage
ist eindeutig Ja.
({0})
Herr Kaczmarek, bitte.
Frau Ministerin, es war zu lesen, dass Sie sich im Kabinett auch mit dem Bundeshaushalt 2014 beschäftigt
haben. Meine Frage: Können Sie Auskunft darüber geben, inwieweit Sie in Ihrem Ressort Mittel für Bildung
für nachhaltige Entwicklung bereitstellen und wie sich
der Etatansatz gegenüber 2013 verändern wird?
Es ist nicht so - das wissen auch Sie natürlich -, dass
es einen Etatansatz „Nachhaltigkeit“ gibt, sondern es ist
so, dass wir das Thema Nachhaltigkeit an den unterschiedlichsten Stellen finden. Ich glaube, wir werden in
nächster Zeit das Thema in unseren Programmen noch
viel stärker verankern, als das bisher geschehen ist. Es ist
also mit einem Aufwuchs der Mittel zu rechnen.
Frau Hein.
Danke schön. - Frau Ministerin, Sie haben vorhin den
ressortübergreifenden Charakter des Themas betont. Den
sehe auch ich. Deshalb wage ich, Sie nach etwas zu fragen, das in Ihrem Hause allerdings nicht verantwortet
wird. Im Bildungs- und Teilhabepaket werden, wie wir
jetzt wissen, die Mittel im Bereich Lernförderung nur
von etwa 4 Prozent der Berechtigten abgefragt und die
Mittel im Bereich Teilhabe am kulturellen Leben von
nicht einmal 20 Prozent. Ich möchte gerne von Ihnen
wissen, inwiefern Sie denn als Mitglied der Bundesregierung darüber nachdenken, die Nachhaltigkeit dieses
Paketes zu erhöhen.
Obwohl es im politischen Diskurs verständlich ist,
halte ich es generell für schlecht, wenn bei Programmen,
die gerade anlaufen - das gilt zum Beispiel für unser
Deutschlandstipendium -, schon nach kurzer Zeit gesagt
wird: Dieses Programm erreicht nicht diejenigen, für die
es gemacht wird. Das ist schrecklich. - So ähnlich war
es beim Bildungs- und Teilhabepaket. Wir haben gesehen, wie schnell sich die Akzeptanz für dieses Programm von einem Jahr zum anderen verbessert hat. Es
wird jetzt stärker angenommen, als anfangs vermutet.
Sie haben gefragt, inwieweit man gerade in dem Bereich Lernförderung - das ist ein zentrales Thema - etwas tun kann. Wie kann man das mangelnde Interesse
von manchen Eltern an Bildung etwa durch staatliche
Maßnahmen oder durch Förderung in den Kitas oder in
den Schulen ausgleichen? Wie kann man entsprechende
Maßnahmen implementieren?
Die Bündnisse für Bildung sind zwar nicht nur für
Kinder, aber auch für Kinder gedacht und sollen im
Laufe der Zeit dazu führen, dass die Eltern auf Wunsch
der Kinder stärker die Möglichkeiten dieser Bündnisse
nutzen. In den Kitas kann das Interesse der Kinder an
Kultur geweckt werden oder es kann eine musische Begabung der Kinder erkannt werden. Gleiches gilt auch
für Aktionen, die wir vonseiten des Bundes, verstärkt
durch einige Länder, durchführen, wie etwa das Programm „Lesestart“. Diese Maßnahme dient dazu, Eltern
- wir erreichen etwa 70 Prozent - zu vermitteln, was sie
durch Vorlesen erreichen können. Aber natürlich können
wir sie nicht zwingen. Ich denke, an dieser Stelle ist sehr
viel Werbung notwendig.
Es gibt eine Reihe von Programmen, wie die eben von
mir genannten, die die Förderung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes verstärken.
Frau Burchardt, bitte.
Im letzten Jahr der Wissenschaften - das war das Wissenschaftsjahr der Nachhaltigkeit - hat der Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ ein
viel beachtetes Gutachten vorgelegt, in dem gefordert
wird, Wissenschaft und Forschung so aufzustellen, dass
sie größere Unterstützungsleistungen als bisher bezüglich der Nachhaltigkeit erbringen. Welche Folgerungen
hat die Bundesregierung daraus für ihre Forschungspolitik und insbesondere für die von Ihnen angesprochene
Forschung zu Bildung für nachhaltige Entwicklung gezogen?
Wir haben diesen Aspekt „Forschung für nachhaltige
Entwicklung“ in einigen Programmen direkt verankert,
also nicht nur einen Forschungsauftrag vergeben oder einen Wettbewerb ausgeschrieben. Wissenschaftler haben
Effekte untersucht, Empfehlungen erarbeitet und sich
auch mit folgenden Fragen befasst: Wie kann ein konkretes Curriculum erarbeitet werden? Welche Maßnahmen sind sinnvoll und welche nicht?
Ich denke, man kann das, was in dem Bericht enthalten ist, noch ergänzen. Ich bin gerne bereit, eine Auflistung der vielen Programme, die speziell diesen Aspekt
betonen, zur Verfügung zu stellen. Ihre Zahl ist in den
letzten Jahren ganz eindeutig gestiegen. Für den Zeitraum ab 2005 könnte ich das gut dokumentieren.
Es lässt sich auch weiter zurückführen.
Aber ich würde es gerne so dokumentieren, dass man
den Vergleich hat.
Und wir würden es gerne haben, dass nur eine Minute
gefragt und nur eine Minute geantwortet wird. - Jetzt ist
Herr Gerdes an der Reihe.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wir sprechen viel über Nachhaltigkeit. Ich möchte von Ihnen
aber auch etwas mit Blick auf die Zukunft hören. Mittels
welcher Fördermaßnahmen strebt die Bundesregierung
eine Stärkung der Bildung für nachhaltige Entwicklung
in der Bildungsforschung an? Gibt es bereits Pläne für
konkrete Projekte oder Fördermaßnahmen und, wenn ja,
welche?
Ja, es gibt 500 000 Euro jährlich seit 2012 für dieses
spezielle Thema Forschung im Bereich Bildung für
nachhaltige Entwicklung.
Dann jetzt noch Herr Gehring zu diesem Komplex.
Ich würde gerne die Frage stellen, inwieweit Sie Bildung für nachhaltige Entwicklung im vorschulischen
Bereich in der Elementarpädagogik in den Kindertagesstätten fördern. Im Fortschrittsbericht zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie wird massiv kritisiert, dass wir
darüber nur sehr wenige Erkenntnisse haben und aufgrund fehlender Untersuchungsstandards zu wenig erfasst wird. Teilen Sie diese Kritik? Wie wollen Sie diesem Forschungsdefizit begegnen?
Bildungsforschung ist der Bereich, in dem der Bund
aktiv werden kann und dies auch tut. Die Frage, ob ich
die Kritik teile, würde ich nicht pauschal mit Ja oder
Nein beantworten. Denn ich glaube, die Wissenschaftler
haben es verdient, dass man sich differenziert mit ihren
Empfehlungen auseinandersetzt. Es gibt auch konträre
Ansichten.
Was den Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung anbetrifft, habe ich vorhin ein Beispiel genannt:
das „Haus der kleinen Forscher“. Dies ist für mich ein
grandioses Projekt, weil es kein Modellprojekt ist und
flächendeckend funktioniert. Dabei geht es ganz stark
um nachhaltige Entwicklung. Kürzlich fand der Tag der
kleinen Forscher statt. Das ist ein Beispiel. Ansonsten
sind alle anderen Dinge in dem Bericht erwähnt.
Ich beende zunächst diesen Themenbereich und frage,
ob es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung gibt. - Das ist nicht der Fall. Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? - Das ist auch nicht der
Fall. Dann schließe ich diesen Tagesordnungspunkt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/14063, 17/14097 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf Drucksache 17/14097 auf.
Hier geht es um den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf
Brauksiepe bereit.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Abgeordneten
Angelika Krüger-Leißner auf:
Was hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
im Rahmen seiner Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit ({0}) unternommen, um die vermittlungspolitischen Schwerpunkte der BA dahin gehend zu gestalten, dass eine erfolgreiche Vermittlung möglichst aller
Arbeitsuchenden gewährleistet ist, und welche Rolle hat dabei
die Finanzausstattung der BA gespielt?
Bitte schön, Herr Brauksiepe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Verwaltungsrat der
Bundesagentur für Arbeit überwacht nach § 373 Abs. 1
des Dritten Buches Sozialgesetzbuch den Vorstand. Die
Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und damit auch
des Verwaltungsrats der BA üben ihre Tätigkeit gemäß
§ 371 Abs. 6 Satz 1 SGB III ehrenamtlich aus und sind
daher nicht an Weisungen, auch nicht von den sie vorschlagenden Stellen, gebunden.
Insgesamt stehen im Haushalt der BA für Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung im laufenden Jahr
mehr Mittel zur Verfügung, als im vergangenen Jahr verausgabt worden sind. Für dieses Jahr stehen 10,68 Milliarden Euro zur Verfügung nach einem Ist von 8,98 Milliarden Euro im letzten Jahr.
Die BA setzt diese Mittel zielgerichtet ein. Sie hat mit
maßgeblicher Unterstützung des Verwaltungsrates Programme und Maßnahmen zur gezielten Förderung derjenigen Kunden entwickelt und ausgeweitet, die besonders
von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht sind und für die die
Standardmaßnahmen der Arbeitsvermittlung durch die
Agenturen für Arbeit nicht genügend Unterstützung bieten.
Bereits im Jahr 2012 hat die BA an Pilotstandorten erfolgreich mit der intensivierten Betreuung von Arbeitsuchenden mit komplexen Handlungsbedarfen begonnen.
Diese sogenannte interne ganzheitliche Integrationsberatung wird seit dem Frühjahr 2013 flächendeckend bundesweit eingeführt.
Die in der Fragestellung unterstellte Benachteiligung
von Arbeitslosen mit komplexen Handlungsbedarfen widerspricht den gesetzlichen Regelungen. Die BA ist
gesetzlich verpflichtet, sicherzustellen, dass Ausbildungssuchende und Arbeitslose, deren berufliche Eingliederung voraussichtlich erschwert sein wird, eine verstärkte vermittlerische Unterstützung erhalten.
Zur Erfüllung dieses gesetzlichen Auftrags hat die
BA das sogenannte Vierphasenmodell der Integrationsarbeit erstellt. Das Vierphasenmodell beschreibt die
Schritte des Integrationsprozesses und bildet einen bundesweiten Referenzprozess. Die Gesamtbetrachtung von
Stärken- und Potenzialanalyse bildet die Grundlage für
die individuelle Einschätzung der Integrationsprognose
für die Kunden. Durch das Vierphasenmodell wird eine
systematische und qualitative Aufgabenerledigung sichergestellt. Für die operative Arbeit der Arbeitsvermittler der BA gibt es verbindliche Vorgaben zu Reaktionszeiten und Terminvergabe.
Aus gegebenem Anlass weise ich gerne darauf hin,
dass wir verabredet haben, dass wir bei der ersten Frage
zwei Minuten antworten und uns bei den jeweils weiteren Nachfragen eine Minute für die Frage und eine Minute für die Antwort Zeit lassen können.
Frau Krüger-Leißner, möchten Sie noch eine Nachfrage stellen? - Bitte schön.
Wir haben übrigens heute im Ausschuss diese Frage
zweimal gestellt. Sie steht im Zusammenhang mit den
Ergebnissen des Bundesrechnungshofberichts, der im
Spiegel veröffentlicht wurde. Es gibt sehr wohl große
Kritik an der Arbeitsvermittlung. Festgestellt wurde,
dass nicht alle Arbeitsuchenden gleichermaßen vermittelt wurden, dass Kunden ausgegrenzt werden und dass
es Verschiebungen vom SGB III in das SGB II gibt. Deshalb habe ich diese Frage gestellt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ein Teil des Verwaltungsrates der BA.
Ich möchte wissen: Haben Sie über die Probleme, die
seit November bekannt sind, gesprochen? Was ist neu
vereinbart worden, um dem gesetzlichen Auftrag nachkommen zu können?
Frau Kollegin, es gibt, mit Verlaub, keinen Bundesrechnungshofbericht, sondern eine Prüfungsmitteilung
des Bundesrechnungshofes an das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit. Es gibt auf dem üblichen verwaltungsinternen Weg
dazu Stellungnahmen, unter anderem meines Hauses.
Diese werden, wie ich Ihnen schon im Ausschuss erläutert habe, in den abschließenden Bericht des Bundesrechnungshofes einfließen, der dann dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zugeleitet werden
wird.
Selbstverständlich befasst sich auch der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit mit diesen Themen.
Selbstverständlich beteiligen sich die auf Vorschlag der
Bundesregierung dorthin entsandten Mitglieder aktiv daran. Das heißt aber nicht, dass die Bundesregierung Teil
des Verwaltungsrates ist. Der Verwaltungsrat ist Teil der
Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit. Dort
werden solche Themen selbstverständlich besprochen.
Die Bundesregierung führt die Rechtsaufsicht über
die Bundesagentur für Arbeit, das heißt die Rechtsaufsicht über den Vorstand. Gäbe es Hinweise darauf, dass
vom Vorstand aus gezielt Maßnahmen veranlasst würden, die dazu führten, dass Menschen um ihre Rechte gebracht würden, dann wäre das Gegenstand rechtsaufsichtlichen Handelns. Wenn vor Ort einmal Fehler
passieren - auch dort arbeiten schließlich nur Menschen -, dann ist das kein Fall für die Rechtsaufsicht.
Sie haben eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.
Es ist zum Teil auch eine Feststellung. - Das sind zum
Teil die gleichen ausweichenden Antworten, die wir bereits im Ausschuss bekommen haben. Herr Weise hat
heute im Ausschuss zugegeben, dass Fehler gemacht
worden sind. Ich wüsste gerne, welchen Einfluss Sie auf
das weitere Verfahren nehmen, um gemäß Ihrem gesetzlichen Auftrag Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden.
Bislang habe ich dazu wieder nichts gehört.
Frau Kollegin, wie Sie wissen und wie ich gerne wiederhole, haben wir in Deutschland eine Rekordbeschäftigung und eine Arbeitslosenquote zu verzeichnen, die so
niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr ist. Das ist das
Ergebnis einer großen Gemeinschaftsleistung. Dazu tragen der Deutsche Bundestag mit seinen Gesetzen, die
Bundesregierung mit ihren Verordnungen und die Bundesagentur für Arbeit mit ihren Maßnahmen bei, die sie
in Eigenverantwortung im Rahmen von Recht und Gesetz ergreift. So ist die Rechtslage.
Wir alle sind sehr interessiert daran, die bestehenden
Probleme zu erkennen und zu lösen. Das macht jeder im
Rahmen seines Verantwortungsbereichs. Hier geht es um
den Verantwortungsbereich der Bundesagentur für Arbeit.
Die Bundesregierung ist sicher, dass die Bundesagentur für Arbeit ihrer Verantwortung gerecht wird, wobei
ich noch einmal betone: Wir haben keinen abschließenden Bericht des Bundesrechnungshofes, sondern es gibt
einen Prüfungsvermerk. Der Bundesrechnungshof selber
hat mitgeteilt - die Aussage ist zur Veröffentlichung freigegeben -, dass die Bundesagentur für Arbeit ihm ihre
Überlegungen zur Weiterentwicklung des Zielsystems
bereits vorgestellt hat und dass diese Überlegungen
grundsätzlich positiv aufgenommen worden sind.
Vielen Dank.
Ich rufe nun die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/14063 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter
Bartels auf:
Verantwortliche welcher Ebenen des Bundesministeriums
der Verteidigung ({0}) waren an der Aushandlung des
Memorandum of Understanding zur „Stückzahlanpassung für
Unterstützungshubschrauber Tiger und NATO-Helikopter
NH90“ ({1}) beteiligt?
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Bartels, ich darf Ihnen auf Ihre Frage folgende Antwort
geben: Die Gespräche zur Aushandlung des Memorandum of Understanding, also der grundsätzlichen Regelungsvereinbarung, wurden im Verantwortungsbereich
des für Rüstung zuständigen Staatssekretärs geführt.
Über den Gesamtzeitraum der Verhandlungen haben
fachlich Zuständige des Bundesministeriums der Verteidigung wie auch des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr ebenfalls
Gespräche geführt. Die Schlussverhandlung über die
Stückzahlanpassung erfolgte am 15. März 2013 durch
den für Rüstungsfragen zuständigen Staatssekretär in
Anwesenheit des Bundesministers der Verteidigung.
Herr Bartels, Sie haben eine Nachfrage. Bitte.
Meine erste Nachfrage lautet: Nach meinem Kenntnisstand hat es zwei Verhandlungsrunden gegeben, auf
der einen Seite Thomas Enders von EADS und auf der
anderen Seite Bundesminister de Maizière. Können Sie,
Herr Staatssekretär, das bestätigen?
Das kann ich nicht bestätigen. Ich kann bestätigen,
dass es - die genaue Zahl kann ich nicht nennen; die
müsste ich nachreichen, soweit sie von Relevanz für die
Auskunft ist - Gespräche zwischen dem Vorstandsvorsitzenden der EADS, Tom Enders, und dem Bundesminister der Verteidigung gegeben hat. Die Verhandlungen bis hin zum 15. März wurden vom Staatssekretär für
Rüstung, Herrn Staatssekretär Beemelmans, geführt.
Auf der anderen Seite - das rein nachrichtlich; das
müsste ich noch verifizieren - war grundsätzlich Lutz
Bertling, der damalige Vorstandsvorsitzende von Eurocopter, zu finden.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank. - Die zweite Nachfrage bezieht sich auf
das Kompensationsgeschäft innerhalb dieses Hubschrauberdeals, der eine Reduzierung bei den 202 Hubschraubern, die ursprünglich in Auftrag gegeben wurden, um 45 Hubschrauber, die jetzt nicht abgenommen
werden, vorsieht. Von denen, die jetzt abgenommen werden, sollen 18 Hubschrauber für die Marine verwendet
werden. Sind diese Hubschrauber bewaffnet?
Lieber Herr Kollege, Sie sprechen von 202 Hubschraubern. Ich habe noch die Zahl 212 in Erinnerung. Moment! Da habe ich mich getäuscht. Das sind die
212 Tiger-Hubschrauber, die noch Rudolf Scharping bestellt hatte und die von Peter Struck dann auf 80 reduziert worden sind. Entschuldigung, das war jetzt ein
Missverständnis. Sie meinen beide, NH90 und Tiger, in
der Konfiguration, die Peter Struck vereinbart hatte.
({0})
- Genau. 122 NH90-Hubschrauber und 80 sogenannte
Unterstützungshubschrauber Tiger.
Die 18 Marinehubschrauber MH90 sind nicht aus der
gleichen Serie, aber aus dem gleichen Programm und haben eine spezielle Marinetauglichkeit. Der MH90 ist ein
Hubschrauber, der an die Notwendigkeiten der Marine
- ich nenne als Beispiel das Radar - angepasst wird. Er
wird in beschränktem Rahmen über Bekämpfungsmöglichkeiten verfügen.
Ich gehe davon aus - ohne dass ich Ihnen das jetzt bestätigen kann; eventuell konnten Sie es schon im Verteidigungsausschuss eruieren; ich werde Ihnen eine eindeutige Antwort nachliefern -, dass er zumindest
Möglichkeiten zur Bewaffnung hat.
Habe ich jetzt die beiden Nachfragen beantwortet,
oder habe ich eine versteckte zusätzliche halbe Nachfrage übersehen, Herr Kollege?
Es gibt ja nur zwei Nachfragen. Eine halbe Nachfrage
gibt es nicht.
({0})
Frau Präsidentin, wir sind am Ende der Legislaturperiode, und ich wollte im Sinne einer gewissen immer
noch bestehenden parlamentarischen Großzügigkeit
- auch eine halbe Nachfrage beantworten.
({0})
Das ist schön, Herr Bartels.
Ich rufe die Frage 2, ebenfalls des Kollegen Bartels,
auf:
Gibt es Verzögerungen oder zeichnen sich Hindernisse ab,
die zu Verzögerungen führen können, beim geplanten und
vom Bundesministerium der Verteidigung angewiesenen Outsourcing von 2 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
Wehrverwaltung mit ihren Bundeswehraufgaben in die Geschäftsbereiche des Bundesministeriums der Finanzen bzw.
des Bundesministeriums des Innern?
Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Die Verlagerung der Aufgaben bei der Personalabrechnung der Bundeswehr in die Geschäftsbereiche des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums
der Finanzen wird wie geplant zum 1. Juli 2013, also
zum kommenden Montag, realisiert. Die wesentlichen
organisatorischen und sonstigen Vorbereitungen konnten
erfolgreich abgeschlossen werden.
Aber auch nach dem Verlagerungszeitpunkt werden
noch Arbeiten durchzuführen sein. Das liegt auch daran,
dass die Zustimmung der örtlichen Personalvertretungen
zu den einzelnen Personalmaßnahmen bisher noch aussteht. Infolgedessen kann das Personal nicht zum 1. Juli
2013 in die Geschäftsbereiche der aufnehmenden Ressorts abgeordnet oder versetzt werden. Diese Personen
werden deshalb bis zum Abschluss dieser Verfahren als
Beschäftigte der Bundeswehrverwaltung die aufnehmenden Behörden in ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützen. Absicht ist es, noch in dieser Woche, tunlichst vor
dem 1. Juli 2013, eine entsprechende Vereinbarung zwischen den betroffenen Ressorts zu zeichnen.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Bartels. Bitte schön.
Auf welcher Rechtsgrundlage werden die abzuordnenden Kollegen, die zwar nicht abgeordnet werden
können, von den aufnehmenden Dienststellen aber aufgenommen werden, diese in der Wahrnehmung ihrer
Aufgaben unterstützen? Was ist also die Rechtsgrundlage?
Ich denke, auf der Grundlage einer Ressortvereinbarung, die unbenommen lässt, dass der rechtliche Status
der Betreffenden so ist, wie er gegenwärtig ist, vorbehaltlich der entsprechenden Maßnahmen, durch die die
Mitwirkung der Personalvertretungen gewährleistet ist.
Erst wenn dies der Fall ist, kann das Ganze realisiert
werden. Was vorher geschieht, ist keine Abordnung,
sondern eine Zusammenarbeit zwischen Bundesressorts
bei bestimmten Aufgaben. Es ist eine nicht ganz ungewöhnliche Vorstellung, dass sich zwei Bundesressorts in
ihrer Aufgabenerfüllung durchaus unterstützen können.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte sehr.
Wessen Weisungen sind diese nicht abgeordneten
Kollegen, die die aufnehmenden Ressorts bei ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützen, unterworfen? Wer gibt
ihnen also Weisungen, der Bundesminister der Verteidigung und seine Beauftragten oder der Innenminister?
Frau Präsidentin, gestatten Sie mir ausnahmsweise,
eine Frage zu qualifizieren: Dies ist eine sehr spannende
Frage. Ich werde mich bemühen, sie in einer Nachreichung auf Grundlage dessen, was in der Vereinbarung
festgeschrieben ist, zu beantworten.
Wir sind bei der Frage 3 des Kollegen Gerdes:
Wie hoch sind die Baukosten, die die Bundeswehr für die
geplante Feuerwache auf dem Munitionsdepot der Bundeswehr in Dorsten-Wulfen veranschlagt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Die Kosten für den Bau der Feuerwache auf dem Munitionsdepot der Bundeswehr in Dorsten-Wulfen sind mit
3,687 Millionen Euro geplant.
Herr Gerdes, haben Sie eine Nachfrage? - Das ist
nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 4, ebenfalls des Kollegen
Gerdes:
Stimmt es, wie in der WAZ vom 7. Juni 2013 berichtet,
dass das planende Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz
und Dienstleistungen der Bundeswehr nicht über eine kosteneinsparende Zusammenarbeit vor Ort nachgedacht hat, obwohl sich die zivile Feuerwache in direkter Nachbarschaft
zum Munitionsdepot befindet, und besteht die Möglichkeit zu
einer militärisch-zivilen Kooperation, zumal der Bau der Feuerwache auf dem Militärgelände erst 2014 beginnen soll?
Herr Kollege, Ihre zweite Frage beschäftigt sich mit
der Möglichkeit einer Kooperation. Hierzu muss ich
nochmals etwas Bewertendes sagen: Ich habe Verständnis dafür, wenn man vor Ort sagt: Mensch, hier wird eine
Feuerwehr gebaut, und ihr baut auch eine. Kann man das
nicht gemeinsam machen? - So verstehe ich die Inten31850
tion einer sehr pragmatischen und durchaus naheliegenden Überlegung, die jeder anstellen wird, der in politischer und kommunalpolitischer Verantwortung steht.
Trotzdem muss ich die Frage wie folgt beantworten:
Von der Regelungs- und Vollzugszuständigkeit im Bereich des abwehrenden Brandschutzes her ist klar, dass
die Bundeswehr im Rahmen ihres Auftrags den bundeswehreigenen Brandschutz leisten muss. Das ist immer
dann der Fall, wenn es gilt, militärspezifische Gefahren
im Bereich des Brandschutzes abzuwehren. Im Rahmen
dieser Zuständigkeit hat die Bundeswehr Regelungen in
Bezug auf den Brandschutz im eigenen Geschäftsbereich
zu treffen. Das hat sie getan. Deswegen hat sie auch
Bundeswehr-Feuerwehren aufgestellt. Wenn Verwaltungsgebäude der Bundeswehr irgendwo in einer Stadt
stehen, unterliegen die natürlich nicht diesem Brandschutz - es sei denn, bundeswehrspezifische Notwendigkeiten der Gefahrenabwehr stehen dem entgegen.
Im Munitionsdepot in Dorsten-Wulfen ist diese Zuständigkeit wegen des speziellen militärischen Gefahrenpotenzials gegeben. Aufgrund dieses Auftrags ist die
unmittelbare Unterbringung der Feuerwache im MunDepot notwendig.
Kooperationen sind grundsätzlich erwünscht. Es gibt
auch gemeinsame Übungen. Im Rahmen der Amtshilfe
beteiligt sich die Bundeswehr-Feuerwehr selbstverständlich auch an Hilfseinsätzen im zivilen Umfeld, kann sich
aber in dieser konkreten Situation wegen der Unmittelbarkeit bzw. der Nähe zu einem möglichen Gefahrenherd leider nicht auf eine Kooperation einlassen.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Gerdes? - Das ist
nicht der Fall.
Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Keul werden schriftlich beantwortet.
Dann sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues
steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 7 der Kollegin Humme wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Humme:
Hält die Bundesregierung Maßnahmen für erforderlich
und, wenn ja, welche, um den Effekt, dass die Entlastungen
von Paaren durch das Ehegattensplitting, die zum großen Teil
bei Familien im oberen Einkommensbereich anfallen, und unabhängig davon, ob Kinder in der Ehe leben oder nicht, zu
verringern?
Frau Kollegin Humme, ich beantworte die Frage
gern. Das Ehegattensplitting kommt vorwiegend Familien zugute. Etwa 90 Prozent des Splittingvolumens entfällt auf Ehepaare, die aktuell Kinder haben oder die
Kinder hatten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist dies keine beliebig veränderbare
Steuervergünstigung, sondern eine an dem Schutzgebot
des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten orientierte,
sachgerechte Besteuerung. Dieses Verfahren berücksichtigt die gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen der
Partner im Rahmen der Ehe, und es dient auch - so sagt
das Bundesverfassungsgericht - der hervorgehobenen
Gewährleistung der Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf
die persönliche und wirtschaftliche Lebensführung und
ist in diesem Sinne Ausdruck der Gleichwertigkeit von
Familienarbeit und Erwerbstätigkeit.
In seinem jüngsten Beschluss vom 7. Mai 2013 - das
ist noch nicht ganz so lange her - hält das Bundesverfassungsgericht dies noch einmal fest. Ich erlaube mir, dies
wörtlich zu zitieren. Dort heißt es:
Art. 6 Abs. 1 GG garantiert den Eheleuten eine
Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher
Einwirkung entzogen ist …
Es heißt weiter:
Der Gesetzgeber muss daher Regelungen vermeiden, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der
Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe
einzugreifen …
Schließlich stellt das Bundesverfassungsgericht fest, es
habe schon früher hervorgehoben, dass in diesem Bereich auch die Entscheidung darüber fällt,
ob ein Ehepartner sich ausschließlich dem Haushalt
und der Erziehung der Kinder widmen oder beruflich tätig sein und eigenes Einkommen erwerben
will. Der besondere verfassungsrechtliche Schutz
von Ehe und Familie erstreckt sich
- so heißt es dort auf die „Alleinverdienerehe“ daher ebenso wie auf
die „Doppelverdienerehe“ … und schließt es aus,
dass Ehegatten zu einer bestimmten Gestaltung ihrer Ehe gedrängt werden.
Vor diesem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sieht die Bundesregierung keine
Möglichkeit, das Splittingverfahren bei der Zusammenveranlagung der Ehegatten grundlegend zu modifizieren.
Frau Kollegin, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Schönen Dank, Herr Kollege. - Ich denke, Sie haben
gerade darstellen wollen, dass das Ehegattensplitting
dazu führt, dass man in der Familie die Wahlfreiheit hat,
die Arbeit aufzuteilen. Aber die Bundesregierung hat in
einem Evaluationsmodul zur Förderung und zum Wohlergehen von Kindern wieder einmal festgestellt, dass das
Ehegattensplitting in seiner derzeitigen Form negative
Auswirkungen auf das Arbeitsangebot für Mütter und
auf die Bildungsangebote für Kinder hat. Das ist eine
Feststellung aus den Untersuchungen der Bundesregierung. Wie passt das zu den Äußerungen, die Sie gerade
gemacht haben?
Sie zitieren einen Satz aus einer sehr umfangreichen
Untersuchung, die insgesamt 3 500 Seiten umfasst. In
dieser Untersuchung wird mit bestimmten Hypothesen
gearbeitet, die überprüft werden. Dies sind aber keine
Aussagen im Hinblick auf verfassungsrechtliche und
politische Zusammenhänge.
Diese Expertise, die Sie zum Teil sicherlich kennen,
enthält im Übrigen Feststellungen von Fachleuten aus
unterschiedlichen Disziplinen. Diese Fachleute machen
aber nicht die Politik. Die Politik wird vom Parlament
und von der Bundesregierung gemacht. Letztendlich entscheidet die Bevölkerung, welche Politik sie möchte.
Frau Humme, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
sehr.
Es ist richtig: Die Fachleute beraten natürlich die
Politik und haben umfangreiche Untersuchungen gemacht. Sie sagen selber, das Werk ist über 3 000 Seiten
lang. In diesem wurden viele Erkenntnisse, gerade zum
Ehegattensplitting, hervorgehoben, zum Beispiel auch
die Tatsache, dass die Familienförderung, die Sie in Ihrer
ersten Antwort angesprochen haben, sehr unsozial ist,
weil mittlerweile 30 Prozent der Kinder in Familienzusammenhängen ohne Trauschein wohnen. Sehen Sie
nicht auch, dass hier ein soziales Ungleichgewicht bei
der Familienförderung geschaffen wird?
Sie haben ursprünglich eine Frage zum Ehegattensplitting gestellt. Dazu gibt es klare Regelungen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - wir legen auch
sonst großen Wert auf die Urteile des Verfassungsgerichts - lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Der
Gesetzgeber hat nicht das Recht, in die Lebensgestaltung
einzugreifen. Das hat er den Ehepaaren zu überlassen.
Natürlich ist es so, dass es für Kinder, die außerhalb
der Ehe geboren werden, Regelungen geben muss. Die
gibt es auch. Es gibt ein ganzes Netz familienpolitischer
Leistungen. Für den einen oder anderen wird es dadurch
auch unübersichtlich. Diese Regelungen führen aber
dazu, dass man auf sehr unterschiedliche Lebenssituationen eingehen kann.
Ich will einen entscheidenden Punkt nennen: Es ist
ganz klar, dass zum Beispiel das Kindergeld von großer
Wichtigkeit ist, nicht zuletzt für Geringverdienerpaare.
In diesem Bereich ist es wichtig. Da hilft auch nicht der
Ausbau der Kinderbetreuung. Wenn jemand wenig Geld
verdient und Kinder hat und Sie sagen: „Wir bauen die
U-3-Betreuung weiter aus“, dann hat er davon nichts.
Dort ist schlichtweg Geld gefragt. Das haben wir in dieser Vielfalt in den gesetzlichen Regelungen berücksichtigt.
Die Fragen 9 und 10 der Kollegin Caren Marks werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Crone auf:
Warum hat die Bundesregierung erst vier Jahre nach Beginn der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen bzw. erst am Ende der Legislaturperiode Ergebnisse
präsentiert und politische Schlussfolgerungen vorgestellt,
auch vor dem Hintergrund, dass sie in ihren Schlussfolgerungen selbst angibt, die „Gesamtevaluation … resultiert aus dem
gemeinsamen Interesse, öffentliche Mittel intelligent“ einsetzen zu wollen ({0})?
Frau Kollegin, Sie fragen danach, weshalb erst vier
Jahre nach Beginn der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen bzw. am Ende der Legislaturperiode Ergebnisse präsentiert werden. Dazu muss ich
zunächst einmal sagen, dass die Gesamtevaluation dieser
Leistungen 2009 als ein vierjähriges Forschungsprojekt
angelegt war. Insofern ist das offenkundig.
Es ist auch gesagt worden, dass die Erkenntnisse aufeinander aufbauen. Erst bei Abschluss ergibt sich ein
Gesamtbild. Das Konzept der Gesamtevaluation sieht
vor, dass sich die Module ergänzen, methodisch wie inhaltlich. Schlussfolgerungen konnten daher erst gegen
Ende des Prozesses gezogen werden. Das ist logischerweise am Ende der Legislaturperiode.
Wir haben seit 2012 die sehr umfänglichen Einzelstudien nach ihrer Fertigstellung Schritt für Schritt veröffentlicht. Gegenwärtig werden noch zwei Studien abgeschlossen, sodass uns dann das Gesamtpaket vorliegt.
Die Ministerin hat sich zusammen mit dem Finanzminister in der letzten Woche dazu detailliert geäußert.
Frau Crone, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
danke für die Beantwortung meiner Frage. Ich habe
trotzdem noch eine Nachfrage. Wie Sie eben gesagt haben, liegen bereits Teilstudien vor. Das gilt zum Beispiel
für die Teilstudie zur Kinderbetreuung, die schon 2011
fertiggestellt wurde. Warum ist diese erst im April 2013
auf der Website veröffentlicht worden?
Es ist so: Wenn wissenschaftliche Studien in Auftrag
gegeben werden, dann werden diese natürlich vom
Ministerium bewertet, bearbeitet und teilweise mit den
Wissenschaftlern aufbereitet, damit sie überhaupt lesbar
werden. Sonst führt das zu dem Problem, dass der eine
oder andere einzelne Sätze aus wissenschaftlichen Mo31852
dulen herausliest und glaubt, das sei bereits das Ergebnis
der Evaluation.
Deswegen sagen wir: Es muss ein Zusammenhang
hergestellt werden. Das haben wir Schritt für Schritt getan. Wir haben einige Erkenntnisse, die für uns wichtig
waren, bereits in unserer Familienpolitik genutzt. Wir
haben sowohl die Freibeträge als auch das Kindergeld
erhöht. Wir haben außerdem etwas für Mehrkinderfamilien getan, weil wir wissen, dass für diese Familien etwa
das Kindergeld von großer Bedeutung ist. Ihnen hilft
kein Betreuungsplatz, sondern ihnen hilft konkret das
Kindergeld, also Geld, das ausgezahlt wird. Insofern
sind diese Studien natürlich bereits in die praktische
Politik eingeflossen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, die Ergebnisse der Studien sind bereits in Ihre Politik eingeflossen. Eine vorläufige Bewertung ist im Fachausschuss
aber leider noch überhaupt nicht zur Sprache gekommen. Warum haben Sie diese vorläufige Bewertung in
der 17. Legislaturperiode noch nicht in den Fachausschuss gegeben, damit auch die Fachpolitikerinnen und
Fachpolitiker darüber diskutieren können?
Frau Kollegin, wir diskutieren diese Zusammenhänge
und auch andere Fragen im Fachausschuss regelmäßig.
Was der Fachausschuss letztlich diskutiert, entscheidet
er selbst. Das entscheidet nicht die Bundesregierung.
Wir kommen zur Frage 12, ebenfalls von der Kollegin
Crone:
Plant die Bundesregierung, entsprechende Expertisen der
Gesamtevaluation in die Weiterentwicklung bestehender familien- und ehebezogener Leistungen einzubeziehen, und,
wenn ja, welche konkreten Maßnahmen zur Weiterentwicklung plant sie aufgrund der Empfehlungen in den Expertisen?
Hier geht es auch um die Expertisen der Gesamtevaluation zur Weiterentwicklung bestehender familienund ehebezogener Leistungen. Wenn wir Änderungen
gesetzlicher Regelungen vorhaben, dann beziehen wir
natürlich wissenschaftliche Erkenntnisse ein, prüfen
diese und entscheiden dann, was zu tun ist. Ich sage hier
noch einmal: Erkenntnisse der Wissenschaftler auf der
Grundlage von Hypothesen führen nicht automatisch zu
politischen Entscheidungen. Politische Entscheidungen
fällt das vom deutschen Volk gewählte Parlament, und
diese setzt die Bundesregierung um.
Haben Sie dazu eine Nachfrage, Frau Crone? - Bitte.
Herr Staatssekretär, wer hat denn konkret welche
Empfehlungen gegeben?
Wir haben dazu einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Ich könnte ihn Ihnen im Einzelnen vortragen. Ich
habe ihn auch dabei. Ich glaube, Sie haben ihn aber
auch; alle Ausschussmitglieder haben ihn bekommen.
Daraus geht hervor, zu welchen Aspekten was vorgetragen wurde. Wir haben zum Beispiel gesagt, dass wir bestimmte Ziele der Familienpolitik vorgegeben haben und
nicht nur ein Ziel. Die Erhöhung der Erwerbstätigkeit
bzw. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nur ein
Punkt. Ein anderer Punkt ist die Wahlfreiheit. Ein weiterer Punkt ist das Wohlergehen der Kinder.
Man muss im Gesamtzusammenhang sehen, ob die
Regelungen, die die Familienpolitik betreffen, gezielt
ansetzen. Das Familienministerium und das Finanzministerium sind im Rahmen ihrer Bewertung zu dem
Ergebnis gekommen, dass die Leistungen im Prinzip
sehr gezielt ansetzen und auch sinnvoll sind. Es ist von
daher nachvollziehbar - das schlägt sich in den Programmen der politischen Parteien nieder -, dass man gerade
in der Familienpolitik einen Schwerpunkt setzt und sagt:
Wir stellen uns diese und jene Weiterentwicklung vor.
Haben Sie noch eine Nachfrage? - Das ist nicht der
Fall.
Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Dagmar Ziegler
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter, die Fragen 17 und 18 des Kollegen Uwe
Beckmeyer sowie die Fragen 19 und 20 des Kollegen Dr.
Ilja Seifert werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Fragen 21 und 22 der Kollegin Sylvia KottingUhl, die Fragen 23 und 24 des Kollegen Dr. Jürgen
Koppelin sowie die Fragen 25 und 26 des Kollegen
Hans-Josef Fell werden schriftlich beantwortet.
Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Dr. Hermann Ott
entfallen wegen Nichtanwesenheit des Fragestellers. Es
wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Die Frage 29 des Kollegen Kai Gehring wird schriftlich beantwortet. Die Frage 30, ebenfalls des Kollegen
Kai Gehring, wurde zurückgezogen. Die Frage 31 des
Kollegen Klaus Hagemann sowie die Frage 32 des Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto steht für
die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 33 des Kollegen Krischer wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 34 des Kollegen Ostendorff auf:
Wann und mit welchem Ergebnis haben Gespräche zwischen dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie über den Stopp von Hermesbürgschaften für Tierhaltungsanlagen stattgefunden?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Ostendorff, Ihre Frage möchte ich für die Bundesregierung wie folgt beantworten: Die Bundesregierung verständigte sich im November 2012 darauf, sich auf internationaler Ebene für höhere Tierschutzstandards im
Bereich der Vergabe von Exportkreditgarantien einzusetzen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Thematik daraufhin im Januar 2013 in enger Abstimmung mit
dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz im zuständigen Gremium der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, auf die Tagesordnung gesetzt und sie
mit den anderen OECD-Staaten diskutiert. Auf Initiative
der Bundesregierung fand darüber hinaus im Mai 2013
ein Sondertreffen des OECD-Gremiums zu dieser Thematik statt. Zusätzlich findet eine enge Abstimmung mit
dem BMZ statt, das die Überarbeitung der einschlägigen
Weltbankstandards fachlich betreut.
Herr Ostendorff, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir müssen
hier, glaube ich, die zeitlichen Abläufe sehr genau klären. Ministerin Aigner hatte auf die Anfrage der Grünenfraktion vom 15. August 2012 hin in Absprache mit dem
Wirtschaftsministerium erklärt, dass sie in Zukunft derartige Geschäfte verhindern will. Bleiben wir beim ersten Fall: Am 10. September 2012, also einen Monat später, gab es dann eine weitere Hermesbürgschaft, dieses
Mal für eine Tierfabrik in der Türkei. Hat Frau Aigner in
dem einen Monat keinen Kontakt mit der Verteilstelle im
Bundeswirtschaftsministerium aufgenommen, nachdem
sie das zuvor Genannte im August verkündet hat?
Lieber Herr Ostendorff, ich habe Ihnen doch eben
schon erklärt, dass das Vorgehen der Bundesregierung
folgendermaßen ist, und zwar in Übereinstimmung mit
Frau Aigner und dem Ministerium: Die gesamte Bundesregierung ist sich einig, dass wir Exportkreditgarantien
auf der Grundlage der allgemein geltenden OECD-Umweltrichtlinien vergeben, uns aber auch dafür einsetzen
sollten, dass die entsprechenden OECD-Leitlinien im
Sinne des Tierschutzes verbessert werden. In diesem
Prozess befinden wir uns.
Es kann aber umgekehrt nicht sein - ich hoffe auf Ihr
Verständnis -, dass wir deutsche Exporteure in eine Situation der Wettbewerbsverzerrung bringen, indem wir
ihnen, obwohl die Standards der OECD eingehalten
sind, Exportkreditgarantien verweigern und stattdessen
Exporteure beispielsweise aus China und Russland zum
Zuge kommen. Das kann niemandem nutzen; denn damit würde auch dem Tierschutz nicht gedient.
Haben Sie eine zweite Nachfrage, Herr Ostendorff?
Ich habe eine zweite Nachfrage.
Bitte sehr.
Gestatten Sie einen kurzen Satz der Kommentierung:
Hier geht es nicht um OECD-Standards, sondern um den
Export von Tierhaltungsanlagen, die in der EU verboten
sind. - Das zur Kommentierung.
Zweite Frage. Gehen wir im zeitlichen Ablauf weiter
voran. Sie sagen, dass sich da etwas tut. Wir stehen aber
in diesen Tagen vor der erneuten Freigabe von Hermesbürgschaften für die Ukraine durch Ihr Ministerium. Die
Bürgschaften sind noch nicht freigegeben, aber Sie sind
dabei, sie freizugeben; es steht unmittelbar bevor. Sie
sollen an den Akteur in der Ukraine gehen, der uns
schon seit mehreren Monaten beschäftigt: die Firma
Avangardco, die nun 8 Millionen Hühnerlegebatterien
gebaut hat, unterstützt mit Hermesbürgschaften. Diese
Firma soll jetzt, wenn die Informationen richtig sind, erneut Hermesbürgschaften erhalten, und zwar für den Bau
einer ersten Biogasanlage mit einer installierten Leistung
von 20 Megawatt; geplant sind weitere zehn Biogasanlagen an diesem Standort. Empfänger ist die Firma Avis,
eine mehrheitliche Tochter der Firma Avangardco.
Es handelt sich hier doch offensichtlich wiederum um
die Förderung des Ausbaus dieser Tierfabrik, die sehr im
Fokus von Presse, Funk und Fernsehen steht, mit deutschen Steuergeldern. Daher frage ich: Hat es denn wenigstens in diesem Fall, der jetzt bevorsteht, eine Intervention von Ministerin Aigner gegeben? Ist Ihnen das
bekannt?
Herr Kollege Ostendorff, zu einzelnen Exportanträgen von Firmen nimmt die Bundesregierung keine Stellung. Deswegen kann ich nur allgemein sagen: Es liegt
ein Exportkreditantrag bezüglich eines ukrainischen Unternehmens vor. Die Bundesregierung hat klargemacht,
dass dieser Antrag nur dann positiv beschieden werden
kann, wenn die ukrainischen Tierschutzstandards eingehalten und angabegemäß sogar übererfüllt werden. Ohne
die Erfüllung dieser Voraussetzung gibt es keine Exportkreditgarantien. Darüber hinaus erfolgt entsprechend
den OECD-Umweltleitlinien ein Abgleich mit internationalen Referenzstandards. Das heißt, Ihre Bewertung,
Herr Kollege, dass es inakzeptable und nach europäischen Maßstäben nicht genehmigungsfähige Anlagen
gebe, kann ich so nicht bestätigen.
Lieber Herr Kollege Ostendorff, wir haben Kenntnis
von einem Fall - ich sage jetzt nicht, von welchem; er
bezog sich auf die Ukraine -, bei dem es konkurrierende
Anbieter aus Russland und China gibt. Wenn wir es mit
dem Thema Tierschutz ernst meinen, dann müssen wir
uns die Frage stellen: Wäre irgendetwas erreicht, wenn
wir, obwohl die OECD-Umweltleitlinien eingehalten
werden, deutschen Exportunternehmen Exportkreditgarantien verweigern, sodass dann ein chinesisches oder
russisches Exportunternehmen zum Zuge kommt? Ich
glaube, lieber Herr Kollege, das kann auch nicht in Ihrem Sinne sein.
Auch die Kollegin Kurth hat eine Frage zu diesem
Thema.
Ihre Antwort veranlasst mich zu einer Nachfrage:
Sind Sie der Meinung, dass geltendes europäisches
Recht auch für die Bundesrepublik bindend ist?
Frau Kollegin, selbstverständlich ist es bindend. Europäisches Recht gilt innerhalb seines Anwendungsbereichs. Aber es gibt in Europa und weltweit den allgemein geltenden Grundsatz, dass bei der Vergabe von
Exportkreditgarantien die OECD-Leitlinien gelten.
Diese Leitlinien werden von uns peinlichst genau eingehalten, in manchen Fällen sogar übererfüllt. Darum geht
es hier.
({0})
Vielen Dank, Frau Kurth.
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Kilic auf:
Wie viel Pfefferspray des Typs „American Style NATO
Super-Paralisant CS-Gas Silliarde“, produziert von der Firma
Elitex in Berlin, wurde nach Kenntnis der Bundesregierung an
welche Behörden bzw. privaten Unternehmen in den letzten
drei Jahren in die Türkei verkauft?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Kilic, ich kann Ihnen mitteilen: Bei dem von Ihnen erwähnten Produkt „American Style NATO Super-Paralisant“ - ist das so richtig ausgesprochen? ({0})
- thank you very much - handelt es sich um ein CSReizstoffspray - und nicht, wie von Ihnen erwähnt, um
ein Pfefferspray -, dessen Export gemäß der Anti-FolterVerordnung der Genehmigungspflicht unterliegt. Genehmigungsanträge für die Lieferung dieses Reizstoffes an
die Türkei sind bislang nicht gestellt worden; das ist der
Bundesregierung nicht bekannt.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Kilic.
Vielen Dank. - Hat die Bundesregierung Kenntnisse
davon, dass das von der türkischen Polizei gegenüber
Demonstranten benutzte Reizgas zum Teil aus der Bundesrepublik Deutschland stammt? Wir wissen, dass
Deutschland bereits genehmigungspflichtige chemische
Stoffe in die Türkei geliefert hat.
Ihre Frage zielt darauf ab, ob bei den aktuellen Einsätzen, die von der Bundesregierung, wie Sie wissen, als
unverhältnismäßig kritisiert wurden, gewisse Stoffe eingesetzt wurden. Darüber gibt es keine Erkenntnisse. Ich
kann Ihnen nur sagen, dass in den Jahren 2010 und 2011
vier Genehmigungen zur Ausfuhr von CS-Reizgas, nicht
von Pfefferspray, erteilt worden sind. Ob es sich um die
Stoffe handelt, die jetzt so in die Kritik geraten sind, das
entzieht sich allerdings meiner Erkenntnis. Von daher
kann ich Ihre Frage nicht präzise beantworten.
Herr Kilic, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
schön.
Sind die Stoffe, die die Bundesrepublik Deutschland
schon geliefert hat, geeignet, um sie Wasserwerfern oder
Wasserkanonen beizumischen, um dann die Demonstranten damit zu besprühen?
Lieber Herr Kollege Kilic, um Ihnen eine präzise Antwort geben zu können, liefere ich Ihnen das schriftlich
nach. Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich könnte hier
nur Vermutungen äußern, aber darum geht es in der Fragestunde nicht. Das bekommen Sie von mir.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Kilic auf:
Wird die Bundesregierung angesichts der antidemokratischen Übergriffe der türkischen Polizei auf die Demonstranten ihre Ausfuhrgenehmigung hinsichtlich des CS-Gases widerrufen und, wenn nein, warum nicht?
Bitte schön.
Ich habe Ihnen gesagt, dass wir Reizgase, Ausbringungsgeräte und entsprechende Munition als Rüstungsgüter einer Ausfuhrgenehmigungspflicht unterwerfen.
In diesem Fall stellt sich die Frage des Widerrufs von
Ausfuhrgenehmigungen nach der Anti-Folter-Verordnung durch die Bundesregierung nicht, da keine entsprechenden, noch gültigen Ausfuhrgenehmigungen existieren. Sie können nur dann eine Ausfuhrgenehmigung
widerrufen, wenn deren Gültigkeit noch besteht. Es gibt
aber keine bestehenden Ausfuhrgenehmigungen, weder
für CS-Reizgas noch für Pfefferspray.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kilic?
Gibt es andere chemische Stoffe, die von der Polizei
bei Demonstrationen eingesetzt werden können, für die
von der Bundesregierung eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde?
Nein, das ist mir nicht bekannt. Ich sage das mit dem
kleinen Vorbehalt: Sollte mir durch meine Rückfrage etwas anderes bekannt werden, teile ich Ihnen das schriftlich mit.
CS-Reizgase und Pfefferspray sind Stoffe, die bei solchen Einsätzen weltweit verwendet werden. Ich kann
Ihnen versichern, dass es keine solchen Ausfuhrgenehmigungen gibt - jedenfalls bezogen auf die letzten
Jahren -, deren Gültigkeit noch besteht. Deswegen
glaube ich, dass ich diese Frage guten Gewissens mit
Nein beantworten kann. Aber sollte sich bei mir eine
neue Erkenntnis ergeben, werde ich Ihnen das nachliefern.
({0})
Die Fragen 37 und 38 der Abgeordneten
Zimmermann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Hinsichtlich der Frage 39 des Kollegen Hellmich, der
nicht anwesend ist, wird verfahren, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist.
Die Fragen 40 und 41 der Abgeordneten GöringEckardt, die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Troost, die
Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Dr. Mützenich, die
Fragen 45 und 46 der Abgeordneten Dağdelen und die
Frage 47 des Abgeordneten Hagemann werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten
Reichenbach, die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten
Ströbele, die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten von
Notz sowie die Frage 54 der Abgeordneten Steinbach
werden schriftlich beantwortet.
Wir sind beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht vertretungsweise der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole
Schröder bereit, der eigentlich zum BMI gehört.
Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Kolbe auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, entsprechend der Forderung des Präsidenten des Bundesgerichtshofes, Klaus
Tolksdorf ({0}), die Außenstelle des Bundesgerichtshofes in Leipzig zu schließen?
Die Frage kann ich klar mit Nein beantworten. Der
Vorschlag der Unabhängigen Föderalismuskommission
vom 27. Mai 1992, den 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig anzusiedeln, ist Teil eines umfassenden und in sich stimmigen Plans, um Sitze von
Behörden und Gerichten des Bundes auf einzelne neue
Länder zu verteilen. Im Verantwortungsbereich des Bundesministeriums der Justiz gehören dazu auch die Errichtung einer Dienststelle des Generalbundesanwalts in
Leipzig, die Verlegung des Sitzes des Bundesverwaltungsgerichts nach Leipzig sowie der Umzug einer
Dienststelle des Deutschen Patent- und Markenamtes
nach Jena. All diese Sitzentscheidungen hat das Bundesministerium der Justiz sehr engagiert und erfolgreich
umgesetzt. An ihnen ist schon deshalb festzuhalten, weil
andernfalls das ausgewogene Gesamtkonzept der Föderalismuskommission beeinträchtigt würde.
Herr Kolbe, haben Sie eine Nachfrage? - Das ist nicht
der Fall.
Dann rufe ich die Frage 56 des Kollegen Kolbe auf:
Wie stellt sich die Umsetzung des Beschlusses der Unabhängigen Föderalismuskommission der 12. Legislaturperiode
von 1993 dar, dass neue Senate des Bundesgerichtshofes in
Leipzig ihren Sitz nehmen?
Die Unabhängige Föderalismuskommission hat in ihrem Beschluss vom 27. Mai 1992 neben der Sitzentscheidung zum 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
auch festgelegt, dass neue Zivilsenate des Gerichtshofs
in Karlsruhe angesiedelt werden und dafür jeweils ein
bestehender Strafsenat von Karlsruhe nach Leipzig verlegt wird.
Diese sogenannte Rutschklausel ist bisher nicht zur
Anwendung gelangt, weil seit dem Beschluss der Föderalismuskommission keine zusätzlichen Senate beim
Bundesgerichtshof gebildet worden sind. Die Klausel ist
aber im Bundeshaushaltsplan stets bekräftigt worden,
und zwar in der Vorbemerkung zum Kapitel 0703, Bundesgerichtshof, des Einzelplans 07. Die Rutschklausel
ist ein gewollter Bestandteil des Gesamtkonzepts der Föderalismuskommission zur Verteilung von Behörden und
Gerichten des Bundes auf einzelne neue Länder. An ihr
ist deshalb ebenfalls festzuhalten.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Kolbe? - Das haben
Sie nicht. - Vielen Dank.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter bereit.
Ich rufe die Frage 57 der Abgeordneten Cornelia
Behm auf:
Wann wird die Bundesregierung die Ergebnisse der Arbeitsgruppe SBZ-Enteignungen - SBZ: Sowjetische Besatzungszone -, die entsprechend dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP prüfen sollte, ob es im Hinblick
auf die Enteignungen in der SBZ von 1945 bis 1949 noch
Möglichkeiten gibt, Grundstücke, die sich im Eigentum der
öffentlichen Hand befinden, den Betroffenen zum bevorzugten Erwerb anzubieten, und deren Arbeit nach Aussage des
Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der
Finanzen, Steffen Kampeter, in der Antwort auf meine mündliche Frage 33, Plenarprotokoll 17/210, Seite 25582 „in
dieser Legislaturperiode zweifelsohne abgeschlossen“ wird,
vorlegen, und was sind die Planungen der Bundesregierung
im Hinblick auf die Umsetzungen möglicher Empfehlungen
dieses Berichtes?
Frau Abgeordnete, ich verweise auf meine von Ihnen
zitierte Antwort auf die mündliche Frage 33, in der ich
ausgeführt habe, dass die Arbeitsgruppe zwischenzeitlich einen Redaktionsentwurf ihres Arbeitsberichts verfasst hat und dass der Abstimmungsprozess hierüber
noch nicht abgeschlossen ist. Die Bundesregierung
strebt an, nach Ende des Abstimmungsprozesses die
Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorzulegen und die Mitglieder des Deutschen Bundestages umfassend, das heißt
in angemessener Form, zu unterrichten.
Frau Behm, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Ich würde gerne wissen, welchen Zeitplan Sie für den
Abschluss dieser Abstimmung haben angesichts der Tatsache, dass wir in dieser Legislaturperiode nach dieser
Woche keine ordentliche Sitzung des Parlaments mehr
haben, sondern nur noch eine Sondersitzung im September. Das heißt, wird es noch in dieser Woche zu einem
Abschluss gebracht und öffentlich gemacht werden? Ich
frage mich schon, wann die Maßnahmen, die sich möglicherweise aus dem Bericht und aus seiner Auswertung
ableiten, umgesetzt werden sollen. Schließlich haben Sie
das ja für diese Legislaturperiode verabredet.
Frau Kollegin, es stimmt, dass wir angestrebt haben,
das in dieser Legislaturperiode vorzulegen. Die Arbeitsgruppe hatte sich, nachdem erste Ergebnisse vorlagen,
zu weiteren, in der Sache aufwendigen Prüfungen entschlossen. Nunmehr geht es, wie gesagt, um die Abstimmung des Berichts innerhalb der Bundesregierung. Es
kann derzeit nicht vorhergesagt werden, wann dieser
Prozess abgeschlossen ist. Meine optimistische Schätzung, die Sie ja in Ihrer Frage zitiert haben, dass dies
zweifelsohne in dieser Legislaturperiode sein wird,
würde ich jetzt nicht wiederholen; ich will aber nicht
ausschließen, dass es uns noch gelingen wird.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Das wäre dann ja ein außerordentlich erfreuliches Ergebnis. Daran möchte ich die Bitte knüpfen, dass wir
Abgeordnete, soweit wir uns dafür interessieren, diesen
bisher vorliegenden Bericht, auch wenn er noch nicht
abschließend bewertet ist, zur Kenntnis bekommen, sodass wir uns ein eigenes Urteil bilden können.
Meine Nachfrage bezieht sich darauf, welche Maßnahmen folgen. Warum haben Sie eigentlich nicht bis
zum Abschluss dieser Prüfung ein Moratorium für den
Verkauf in Rede stehender Flächen bzw. Objekte erlassen, oder haben Sie das noch vor?
Die Bundesregierung wird den Bericht gerne, allerdings erst nach Abschluss des internen Abstimmungsprozesses innerhalb der Bundesregierung, allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages zur Verfügung stellen.
Da es sich bisher um eine nicht abgestimmte Position
handelt, kann ich Ihnen auch keinerlei Auskünfte geben,
welche Schlussfolgerungen verbindlich von der Bundesregierung aus einem dann möglicherweise abgeschlossenen Bericht gezogen werden können. Die Dinge sind
- darauf verwies ich bereits - noch im Fluss.
({0})
Die Fragen 58 und 59 des Kollegen Dr. Schick, die
Fragen 60 und 61 der Kollegin Dr. Höll, die Fragen 62
und 63 des Kollegen Schwartze sowie die Frage 64 der
Kollegin Dr. Tackmann werden schriftlich beantwortet.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Sie können auch gerne zum nächsten Geschäftsbereich übergehen, aber ich habe noch eine Frage zu beantworten, Frau Präsidentin,
Nein, auf keinen Fall.
- und der Kollege da hinten schmunzelt mich so an.
Was soll ich denn jetzt machen, außer antworten?
Wir alle freuen uns auf Ihre Antwort.
Ich rufe die Frage 65 des Kollegen Lenkert auf:
Durch wen erfolgte die Festlegung, dass der Vertrag mit
der Kali und Salz AG über die Fusion der west- und ostdeutschen Kaliindustrie aus dem Jahr 1993 geheim abgeschlossen
wurde, und wie lang ist die Geheimhaltungsfrist?
Der Staatssekretär Kampeter antwortet darauf sehr
gerne.
Sehr gerne, Frau Präsidentin, zumal diese Frage ja,
glaube ich, auch Ihre Heimatregion betrifft. - Herr
Kollege, im Vertrag mit der Kali und Salz AG wurde
eine Vertraulichkeitsklausel vereinbart; das ist ja auch
allgemein bekannt. Diese ist zeitlich nicht befristet und
entspricht in etwa den Verschwiegenheitsklauseln, die
auch bei anderen größeren Privatisierungsvorgängen aus
Gründen der Geschäftsgeheimniswahrung vereinbart
worden sind.
Möchten Sie nachfragen? - Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
die Kali und Salz AG fordert aufgrund dieses Staatsvertrages 2 Milliarden Euro zusätzlich zur Sanierung der
Altbergbaugebiete in Thüringen. Der Freistaat Thüringen und das Landesparlament in Thüringen sind nicht in
der Lage, die entsprechenden Bedingungen im Staatsvertrag einzusehen, weil er ja als vertraulich eingestuft
worden ist, sollen aber aufgrund eines Vertrages, den sie
nicht einsehen können, 25 Prozent eines Jahreshaushalts
des Freistaates Thüringen für die Kali und Salz AG
bereitstellen, sozusagen blind. Damit würden sie ihrer
Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler nicht gerecht werden. Ich frage Sie: Wie soll der Freistaat Thüringen einschätzen, ob die Forderungen von Kali und
Salz berechtigt sind?
Herr Kollege, Sie sprechen einen Sachverhalt an, den
die Bundesregierung nur mittelbar bewerten kann, und
zwar insofern, als es Wünsche vonseiten der thüringischen Politik gibt, dass beispielsweise Dritte oder möglicherweise der Bund hier Kosten übernehmen sollen. Ich
kann Ihnen sagen - wir haben ja heute den Bundeshaushalt 2014 und die mittelfristige Finanzplanung des
Bundes bis 2017 beschlossen -: Für die Übernahme
solcher Kosten haben wir keine haushaltsrechtlichen
Voraussetzungen geschaffen. Darüber hinaus kann ich
als Vertreter der Bundesregierung keine Bewertungen
abgeben, für die die thüringische Landesregierung respektive die Kolleginnen und Kollegen des thüringischen Landtages zuständig sind.
Eine zweite Nachfrage? - Bitte schön, Herr Lenkert.
Ich stelle die Frage jetzt noch einmal, und ich möchte
es konkret von Ihnen wissen. Habe ich Sie gerade richtig
verstanden? Die thüringische Landesregierung und das
Thüringer Parlament bekommen den Vertrag nicht zu sehen, weil der Vertragspartner Bundesrepublik Deutschland mit Kali und Salz vereinbart hat, dass der Vertrag
vertraulich ist. Sie erklären aber, dass Sie nicht in der
Lage sind, der Thüringer Landesregierung überhaupt die
Möglichkeit zu geben, einen Vertrag zu erfüllen, den sie
nicht kennt. Das heißt, in Thüringen muss man sich jetzt
auf die Angaben von Kali und Salz verlassen.
Um das auch fürs Publikum einmal deutlich zu machen: Sie schließen einen Vertrag ab, zum Beispiel mit
einer Handwerksfirma, die Ihr Haus baut. Diesen Vertrag
sehen Sie nicht. Jedes Mal, wenn diese Handwerksfirma
zu Ihnen kommt und fordert, Sie müssten einen Nachschlag zahlen, dann zahlen Sie einfach. - Das fordern
Sie, wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, vom
Thüringer Landtag. Das kann doch - ich sage es einmal
ganz offen - nicht Ihr Ernst sein.
Herr Kollege, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass
nicht die Bundesrepublik Deutschland der Vertragspartner der Kali und Salz AG ist und dass die Bundesregierung deswegen auch im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflichten keinen Einfluss nehmen kann. Dass es
einen Diskussionsprozess mit dieser Firma gibt, ist,
glaube ich, öffentlich bekannt.
Jetzt kommen wir zur Frage 66 des Kollegen Lenkert:
Wann läuft die Geheimhaltungsfrist zu Regierungsdokumenten und anderen Unterlagen im Zusammenhang mit der
Privatisierung und der Übernahme der ostdeutschen Kaliindustrie durch die Kali und Salz AG ab, und wann kann die
Öffentlichkeit alles oder Teile der Dokumentation einsehen?
Herr Kollege, die Privatisierungsvorgänge der Treuhandanstalt, heute BvS, unterliegen nicht der Geheimhaltung. Das gilt auch, insoweit das BMF im Rahmen
der Rechts- und Fachaufsicht tätig geworden ist. Die von
der Treuhand abgeschlossenen Verträge können bereits
heute eingesehen bzw. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wenn Rechte Dritter nicht betroffen sind
oder aber diese der Veröffentlichung zustimmen.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Kampeter, Sie haben eben schon
ausgeführt, dass die Kali und Salz AG dem nicht zustimmen wird.
Meine Frage: Wer ist Rechtsnachfolger der Treuhandanstalt? Ist es das Bundesfinanzministerium?
Herr Kollege, Rechtsnachfolger der Treuhandanstalt
ist die BvS.
Im Übrigen habe ich auch nicht verkündet, dass die
Kali und Salz AG etwas macht, sondern ich habe darauf
hingewiesen, dass die Kali und Salz AG im vorliegenden
Fall den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geltend gemacht hat; ich war hier nicht tätig für das
Unternehmen.
Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.
Für die Aufsicht der BvS ist das Bundesfinanzministerium zuständig. Sie sind also sozusagen Vertragspartner, und die Unterlagen liegen Ihnen vor; sie müssen Ihnen vorliegen. Deswegen frage ich Sie: Inwieweit ist es
aus Ihrer Sicht möglich, dass - unter Wahrung des
Schutzes der Betriebsgeheimnisse von K + S - Abgeordnete des Freistaates Thüringen bzw. Mitglieder der Landesregierung des Freistaates Thüringen Einblick in die
entsprechenden Unterlagen bekommen, damit sie ihrer
Treuhandpflicht für Steuergelder nachkommen können?
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung nicht Vertragspartner von Kali und Salz ist, bin aber
gerne bereit, das noch einmal dahin gehend zu präzisieren, dass unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
nach vom BGH aufgestellten Grundsätzen jede Tatsache
zu verstehen ist, die im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb steht, nicht offenkundig ist
- das heißt, nur einem begrenzten Personenkreis bekannt
ist -, nach dem bekundeten Willen des Unternehmers geheim gehalten werden soll und den Gegenstand eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses des Unternehmers
bildet.
Ich gehe davon aus, dass von allen Beteiligten lediglich solche Geschäftsgeheimnisse als schützenswert betrachtet werden, die diesen BGH-Grundsätzen entsprechen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Wir kommen zu den Fragen 67 und 68 der Kollegin
Schmidt. Die Kollegin ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 69 des Kollegen Troost wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 70 der Kollegin Cornelia
Behm:
Welche Ergebnisse hat die Untersuchung der auf Dokumente, die der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ({0}) vorgelegt wurden, gestützten Vorwürfe, dass der
deutsch geflaggte Supertrawler „Jan Maria“ große Mengen
essbaren Fisches über Bord gegeben hat, um Platz für höherpreisigen Fisch zu schaffen ({1}), durch die BLE erbracht, und welches Strafmaß
wurde gegen die Betreiber der „Jan Maria“ gegebenenfalls
nach Feststellung der Richtigkeit dieser Vorwürfe ausgesprochen?
Bitte schön, Herr Bleser.
Sehr verehrte Frau Kollegin Behm, die Bundesanstalt
für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, hat die vorgelegten Dokumente geprüft und die Datenlage im Zusammenspiel mit Zeugenaussagen als ausreichend bewertet,
um ein Ermittlungsverfahren wegen Zuwiderhandlung
gegen das Seefischereigesetz und dessen Durchführungsverordnung einzuleiten. Im Rahmen dieses derzeit
laufenden Ermittlungsverfahrens werden weitere Datenquellen geprüft und weitere Zeugenaussagen eingeholt.
Der Vorwurf bezieht sich auf das Verbot des Highgradings sowie auf unvollständige bzw. falsche Angaben im
Logbuch. Die Darstellung des Betroffenen zu diesen
Vorwürfen steht allerdings noch aus. Da es sich um ein
laufendes Verfahren handelt, können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussagen über die Höhe eines möglichen Strafmaßes gemacht werden.
Frau Behm, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Sie können also noch nicht angeben,
mit wie vielen Punkten dieses Vergehen - wenn es denn
nachgewiesen wird - nach dem Punktekatalog in § 13
Seefischereigesetz geahndet wird?
Ich würde gern wissen, wie das Ministerium in Zukunft damit umzugehen gedenkt, dass - wie durch diese
Dokumente, die Ihnen vorliegen, belegt wird - auf den
Fischereischiffen ganz offensichtlich nebeneinander ein
internes und ein offizielles Logbuch geführt werden.
Frau Kollegin Behm, es handelt sich hier um ein laufendes Verfahren, das ein entsprechendes Verhalten unseres Ministeriums zur Folge hat: Wir dürfen da nicht
eingreifen. Es ist, wie gesagt, ein Ermittlungsverfahren
wegen Zuwiderhandlung gegen das Seefischereigesetz
in Gang gesetzt worden. Über den Ausgang des Verfahrens kann ich, weil die Ermittlungen noch laufen, nichts
sagen; sein Ausgang ist auch nicht vorherzusehen.
Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.
Es ist natürlich vollkommen verständlich, dass Sie
sich zu einem schwebenden Verfahren nicht äußern wollen. Mich interessiert nur Folgendes - es handelt sich
hier um einen Einzelfall, der überprüft wird -: Werden
vielleicht in Zukunft die Überwachung und Kontrolle
der Fischereischiffe insgesamt derart gestaltet sein, dass
solche Vorkommnisse unterbunden werden können,
sprich: dass Widersprüche zwischen internem und offiziellem Logbuch aufgeklärt werden können?
Frau Kollegin Behm, das ist in der Tat der Fall. Mit
der EU-Fischereireform wird die Kontrolle nicht nur auf
die Anlandung fokussiert, sondern gerade auch auf das
entsprechend wünschenswerte Verhalten auf hoher See.
Da wird die Überwachung in Zukunft natürlich verstärkt
werden.
({0})
Die Frage 71 der Kollegin Dr. Tackmann wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und auch
am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 27. Juni 2013,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.