Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
({0})
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor wir in die heutige Tagesordnung eintreten,
möchte ich dem Kollegen Christian Ströbele in absentia nachträglich zu seinem 74. Geburtstag und der Kollegin Helga Daub zu ihrem gestrigen 71. Geburtstag gratulieren. Alle guten Wünsche im Namen des ganzen
Hauses!
({1})
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
CDU/CSU und FDP:
Aktuelle Situation in der Türkei({2})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Grünlanderhalt ist Klimaschutz
- Drucksachen 17/11028, 17/13148 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Johannes Röring-
Dr. Wilhelm Priesmeier-
Dr. Christel Happach-Kasan-
Alexander Süßmair-
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren-
Ergänzung zu TOP 69
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
Bekämpfung von Steuerstraftaten
- Drucksache 17/13664 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({4})-
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Spahn, Stefanie Vogelsang, Michael GrosseBrömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Dr. Marlies Volkmer, Dr. FrankWalter Steinmeier, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Heinz
Lanfermann, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Dr. Martina Bunge,
Kathrin Vogler, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie
der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
System der Organtransplantation in Deutschland nachhaltig stärken: Konsequenzen aus
den Manipulationen an Patientendaten in
deutschen Transplantationskliniken
- Drucksache 17/13897 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit ({5})Rechtsausschuss
ZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne AusspracheErgänzung zu TOP 70
Präsident Dr. Norbert Lammert
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Hacker, Rainer Arnold, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Konversion gestalten - Kommunen stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konversion - Zwischen Verwertungsdruck
und nachhaltigen Konzepten
- Drucksachen 17/9060, 17/9405, 17/10001 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BrackmannJohannes KahrsOtto FrickeRoland ClausDr. Tobias Lindner
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:
Haltung der Bundesregierung zu Plänen des
CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zur Einführung einer Pkw-Maut nur für Ausländer
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière
- Drucksache 17/13899 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({7}),
Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den angekündigten Vorschlägen der EUKommission zur Bankenrestrukturierung und
-abwicklung
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Bankenunion beschleunigen statt bremsen Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden
- Drucksache 17/13908 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur
Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute
auf die Europäische Zentralbank ({9}) in der Fassung vom 16. April 2013Ratsdok. 7776/1/13 REV 1
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Kontrollrechte des Europäischen Parlaments
bei EZB-Bankenaufsicht stärken
- Drucksache 17/13909 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur
Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute
auf die Europäische Zentralbank ({11}) in der Fassung vom 16. April 2013Ratsdok. 7776/1/13 REV 1
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
SSM-Verordnung zustimmen, keine innerstaatliche Präjudizwirkung schaffen
- Drucksache 17/13910 ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt ({13}), Siegmund Ehrmann,
Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen
und Männern auch im Kunst-, Kultur- und
Medienbereich
- Drucksachen 17/13478, 17/13954 Berichterstattung:Abgeordnete Monika GrüttersUlla Schmidt ({14})Reiner DeutschmannDr. Lukrezia JochimsenAgnes Krumwiede
ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista
Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen
- Drucksachen 17/6130, 17/10880
Abgeordnete Dorothee BärUlla Schmidt ({0})Reiner DeutschmannDr. Rosemarie HeinAgnes Krumwiede
ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einvernehmensherstellung von Bundestag und
Bundesregierung zum Antrag der Republik
Lettland, der dritten Stufe der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion beizutreten
und den Euro als Umlaufwährung einzuführen
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. mit § 9
des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 17/13887 ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Armuts- und Reichtumsberichterstattung verbessern - Lebenslagen umfassend abbilden
- Drucksache 17/13911 ZP 14 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu der
Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Tätigkeitsbericht 2009 und 2010 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit- 23. Tätigkeitsbericht - Drucksachen 17/5200, 17/13936 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({2})-
Gerold Reichenbach-
Gisela Piltz-
Jan Korte-
ZP 15a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden
in der Krankenversicherung
- Drucksache 17/13079 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung
- Drucksache 17/13402 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({3})
- Drucksache 17/13947 Berichterstattung:Abgeordneter Heinz Lanfermann
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13959 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Alois Karl-
Ewald Schurer-
Otto Fricke-
Michael Leutert-
Katja Dörner
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Keine überhöhten Säumniszuschläge bei
Beitragsschulden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Harald Weinberg, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Privat Versicherte solidarisch versichern Private Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin SengerSchäfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Versorgung der privat Versicherten im Basistarif sicherstellen
- Drucksachen 17/12069, 17/10119, 17/5524,
17/13947 Berichterstattung:Abgeordneter Heinz Lanfermann
ZP 16 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013
- Drucksache 17/13870 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({6})Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 17 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe
im Einkommensteuerrecht
- Drucksache 17/13871 31262
Finanzausschuss ({0})Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 18 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({1}), Lisa Paus, Kai Gehring, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013
zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht
- Drucksache 17/13872 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({2})Rechtsausschuss ({3})Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOFederführung strittig
ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({4}), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Recht auf Eheschließung für Personen
gleichen Geschlechts einführen
- Drucksache 17/13912 ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({5}), Lisa Paus, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2013 und vom 7. Mai
2013 zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Adoptionsund Einkommensteuerrecht umsetzen
- Drucksache 17/13913 ZP 21 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
zu der Empfehlung für einen Beschluss des
Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme
von Verhandlungen über ein umfassendes
Handels- und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen
Union und den Vereinigten Staaten von Amerika
KOM({6}) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union
Die Verhandlungen mit den USA zu einem
transatlantischen Handels- und Investitions-
abkommen konsequent an europäischen Stan-
dards ausrichten
- Drucksache 17/13904 -
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 18 d, 23, 25, 52 und 62
werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in
der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderun-
gen des Ablaufs.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? -
Das sieht so aus. Dann haben wir das hiermit so be-
schlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister des Innern
Gelebte nationale Solidarität - 60 Jahre Bun-
desvertriebenengesetz
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
60 Jahre Bundesvertriebenengesetz - Erin-
nern an die Opfer von Vertreibung
- Drucksache 17/13883 -
c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
- Drucksache 17/10511 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7})
- Drucksache 17/13937 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({8})-
Rüdiger Veit-
Serkan Tören-
Ulla Jelpke-
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in
den Jahren 2011 und 2012
- Drucksache 17/13777 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien ({9})Auswärtiger Ausschuss InnenausschussAusschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. Ich habe den Eindruck,
dass Sie auch damit einverstanden sind. - Das ist der
Fall. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-Peter
Friedrich.
({10})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor 60 Jahren, im Juni 1953, trat das Gesetz
über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in Kraft. Dieses sogenannte Bundesvertriebenengesetz kam nach langen und intensiven Beratungen zustande; denn es griff in viele Lebensbereiche und in viele
politische Zuständigkeiten - Wirtschaft, Landwirtschaft,
Wohnungsbau, um nur einige zu nennen - ein. Das Gesetz baute auf den Erfahrungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre auf und sollte die Grundlage der Integration
von Millionen von Menschen werden. Es ist bis heute
ein Dokument für gelebte nationale Solidarität in
Deutschland.
Von den 16 Millionen Deutschen, die bei Kriegsende
in den deutschen Ostgebieten und in den ost- und südosteuropäischen Staaten lebten, wurden fast 12 Millionen
aus ihrer Heimat vertrieben. 2 Millionen fanden auf der
Flucht, bei Vertreibung oder Deportation den Tod. Die
traumatischen Erlebnisse der Vertreibung waren damals
allgegenwärtig - umso mehr, als sich das Leid auch danach fortsetzte. Denn der Zufluchtsort, die neu gegründete Bundesrepublik, war ebenfalls von Elend, Hunger
und Zerstörung gezeichnet. Jeder hatte mit sich selbst zu
tun, und nur wenige hatten freie Kapazitäten, sich um die
Flüchtlinge zu kümmern. Am Ende aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, setzte sich die mitmenschliche Solidarität, die christliche Nächstenliebe und der gemeinsame Wille, Zukunft zu gestalten, durch. Dem
nationalen Zusammenhalt in dieser schweren Zeit gilt
unser Respekt.
({0})
Der Anteil aller Flüchtlinge an der Einwohnerzahl des
Bundesgebietes betrug damals 20 Prozent. Das heißt, jeder Fünfte war ein Vertriebener. Es galt, mehrere Millionen Menschen sozial und wirtschaftlich einzugliedern.
Sie brauchten schnelle Hilfe, Kleidung und natürlich
Essen. Sie brauchten Wohnungen, Arbeit und die Möglichkeit, sich eine Existenz zu gründen. Deutschland war
damals auf sich allein gestellt; denn die Hilfe aus dem
Ausland ließ lange auf sich warten.
Vor Ort - in den Dörfern, Städten und Gemeinden wurden die Herausforderungen angenommen und bewältigt. Die Regierungen der Bundesländer hatten die große
nationale Aufgabe begriffen. So hat etwa der Freistaat
Bayern die Sudetendeutschen als seinen vierten Stamm
aufgenommen, und bis heute ist dort an vielen Stellen
und Orten die Handschrift der Sudetendeutschen erkennbar.
({1})
Meine Damen und Herren, mit anderen zu teilen, die
in Not sind, baut auf einem geistigen Fundament und einem Menschenbild auf, das Bundeskanzler Konrad
Adenauer zum Ausdruck brachte, indem er sagte: Im
Mittelpunkt allen Strebens und Handelns bleibt der
Mensch und seine Freiheit. - Die zweite Erkenntnis:
Eine Nation ist eine Solidargemeinschaft, eine Schicksalsgemeinschaft, eine Familie - in guten wie in schlechten Zeiten. Im Bundesvertriebenengesetz wurden deshalb auch zwei Grundsätze formuliert, nämlich erstens:
Vertriebene sind voll gleichberechtigte Staatsbürger der
Bundesrepublik Deutschland. Zweitens: Notwendige
Hilfe gibt es so lange, bis die Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben erfolgt ist. Das heißt, niemand sollte bevorzugt werden; aber es sollte sichergestellt werden, dass alle die gleichen Möglichkeiten und
die gleichen Bedingungen für einen Neuanfang haben.
Nicht die Umverteilung war das Ziel, sondern Ziel war
es, jedem Menschen die Chance zu geben, sich selbst zu
entwickeln, sich einzubringen und teilzuhaben.
Das Bundesvertriebenengesetz gab Antwort auf die
drängenden Fragen. Es half dabei, die faire Verteilung
der Vertriebenen auf alle Bundesländer zu vollenden, es
linderte die Wohnungsnot. Mit besonderen Wohnungsbauprogrammen wurden 264 000 Wohnungen für umgesiedelte Vertriebene geschaffen. Für die Aussiedler
wurden in den Folgejahren über 20 Sonderwohnbauprogramme in Milliardenhöhe aufgelegt. Bis 1968 wurden
knapp 2 Millionen Menschen mit Wohnraum versorgt.
Ein weiteres drängendes Problem war die Landwirtschaft. Die Bauern hatten in besonderer Weise unter ihrer sozialen Deklassierung zu leiden. Früher selbstständige Bauern, die von Haus und Hof vertrieben worden
waren, waren nun gezwungen, sich als Landarbeiter zu
verdingen. Mit der Eingliederung der vertriebenen Landwirte galt es, für diese Menschen einen tiefen Einschnitt
in ihrem Leben, ihrem Selbstverständnis und auch ihrem
Selbstbewusstsein zu bewältigen. Gleichzeitig musste
die Ernährung der Bevölkerung sichergestellt werden.
Mit dem Bundesvertriebenengesetz schuf die Bundesregierung die Voraussetzung, dass viele vertriebene Bauern auch in ihrer neuen Heimat ihrem Beruf nachgehen
konnten. Mehrere Milliarden D-Mark hat die Bundesrepublik in den Jahren 1949 bis 1959 dafür ausgegeben.
Es wurde 100 000 Bauernfamilien geholfen. Dahinter
stand auch die Erkenntnis, dass ein Land nicht allein auf
seine Industrieproduktion setzen kann, sondern dass die
Ernährung der eigenen Bevölkerung durch landwirtschaftliche Urproduktion sichergestellt werden muss ein Grundsatz, meine Damen und Herren, der auch heute
noch gilt und den man ab und zu in Erinnerung rufen
muss.
({2})
Eine weitere wichtige Erkenntnis lag dem Bundesvertriebenengesetz zugrunde: Freiheit des Einzelnen setzt
voraus, dass er sich eine materielle Grundlage schaffen
kann, die ihm im Leben Entscheidungsfreiheit und Gestaltungsfreiheit gibt. Das Bekenntnis zum Eigentum,
zur Förderung der Eigentumsbildung war ein wichtiges
Signal. Die Regelung, dass Vertriebene wegen früherer
Schulden nicht mehr in Anspruch genommen werden
durften, war wichtig; denn damit wurden sie in die Lage
versetzt, wieder Eigentum zu erwerben und damit unabhängig und frei ihr Leben zu gestalten.
Ebenso freiheitsfördernd wirkten die Hilfen bei der
wirtschaftlichen Eingliederung. Die Arbeitslosigkeit war
im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung wesent31264
lich höher. Das Gesetz sah deswegen die Förderung von
Existenzgründungen vor. Damit wurden Anreize für
Kreativität und Innovation gesetzt, eine entscheidende
Weichenstellung für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung, die Deutschland in der Folge so erfolgreich machen sollte.
Die Idee der Freiheit ist die Grundlage für Hilfe zur
Selbsthilfe und war eine Triebfeder für das deutsche
Wirtschaftswunder. Die Vertriebenen brachten gute
handwerkliche Fähigkeiten und industrielles Know-how
mit. Von der Glaskunst über die Textilherstellung bis hin
zum Instrumentenbau reichte die Vielfalt erfolgreichen
unternehmerischen Wirkens der Vertriebenen in der
neuen Heimat.
All diese Vergünstigungen und Hilfen nach dem Bundesvertriebenengesetz galten auch für den zunehmenden
Strom von Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone. Die Regierung Adenauer hat damit auf die
aktuelle Entwicklung im Osten Deutschlands reagiert.
Übrigens, das Thema Vertreibung wurde in der DDR
schlichtweg totgeschwiegen.
({3})
Nachdem die Vertriebenen dort angekommen waren und
alles verloren hatten, wurde ihnen durch die Zuordnung
der Begriffe „Umsiedler“ und „Neubürger“ klargemacht,
dass ihre Sicht der Dinge nicht gefragt war. Die Begriffe
„Flüchtlinge“, „Vertriebene“, „Heimatlose“ waren verboten. Durch staatliche Anordnung gab es sie nicht. Die
Heimatvertriebenen hatten im politischen Geschehen
keine Stimme, kein Gesicht und in der DDR keinen Platz
zur Erinnerung und zur Aufarbeitung ihres Schicksals.
Was politisch nicht gewollt war, sollte auch nicht stattfinden, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Menschen.
Auf die kam es nicht an in der DDR. Dort stand nicht der
Mensch im Mittelpunkt, sondern die Ideologie.
({4})
In der Bundesrepublik wurden die Vertriebenenorganisationen von Anfang an politisch eingebunden. Es war
erklärtes Ziel der Regierung Adenauer, den Organisationen eine Stimme zu geben und ihnen die Mitgestaltung
zu ermöglichen. Die Rolle der Landsmannschaften und
ihrer Dachorganisation, des Bundes der Vertriebenen,
während der Aufbaujahre und des Kalten Krieges können wir nicht hoch genug einschätzen.
Die Vertriebenen haben Deutschland nicht nur materiell wieder aufgebaut, sondern sie haben auch an der
geistig-moralischen Grundlage unserer Freiheitsordnung
mitgewirkt. Für sie bedeutete Integration nicht, Ansprüche zu stellen, sondern anzupacken, mitzuhelfen, dass
die neue Heimat Bundesrepublik Deutschland eine gute
Zukunft hat.
Trotz des erlittenen Unrechts und der Trauer um die
verlorene Heimat sind sie nicht bitter und unversöhnlich
geworden, sondern haben eine große Geste des Friedens
ausgesandt. In der Charta der Heimatvertriebenen von
1950 heißt es:
Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und
Zwang leben können.
Diese Haltung verdient größten Respekt: kein Rachegedanke, sondern Versöhnungsbereitschaft. Welch eine unglaubliche menschliche Leistung!
({5})
Auf dieser Grundlage haben sich die Vertriebenen der
Aussöhnung und der Verständigung verpflichtet. Sie haben diese Verpflichtung ernst genommen und Brücken
gebaut, nach Osten, in die alte Heimat, und das lange
bevor staatliche Politik diesen Weg gehen konnte. In
schwierigen Zeiten haben sie den Weg für Verständigung
und Versöhnung offengehalten und waren dadurch Vorreiter auch der europäischen Einigung. Denn sie haben
früher als andere begriffen, dass es eine gute Zukunft aller Mitgliedstaaten und Bürger Europas nur auf der Basis
des Bekenntnisses zu gemeinsamen Werten geben kann.
Das Bundesvertriebenengesetz wurde immer wieder
an die aktuellen Entwicklungen angepasst, stets getragen
von dem Gedanken der Solidarität mit unseren Landsleuten. Ging es zunächst um eine rasche Eingliederung
der Vertriebenen und Flüchtlinge, trat später mehr und
mehr die Aufnahme von deutschstämmigen Aussiedlern
und ihren Angehörigen im damaligen Ostblock in den
Vordergrund. Sie kamen nach Deutschland, weil sie wegen ihres Deutschseins diskriminiert wurden. Die Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion waren jahrzehntelang kollektiven Strafmaßnahmen ausgesetzt und
systematisch entwurzelt worden.
Im Zeitraum 1950 bis 1988 kamen insgesamt über
1,6 Millionen Aussiedler einschließlich ihrer Angehörigen zu uns. Die starke Zunahme der Zahl der Aussiedler
Ende der 80er-Jahre war Zeichen des grundlegenden
politischen Wandels in den Staaten des Warschauer
Pakts.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat als
Folge des starken Zustroms der Aussiedler das Amt des
Aussiedlerbeauftragten beim Bundesminister des Innern
geschaffen. In der Folgezeit kümmerte sich der damalige
Aussiedlerbeauftragte Horst Waffenschmidt um die Koordinierung der Aussiedlerpolitik der Bundesregierung
und übernahm den Vorsitz im Vertriebenenrat. Er wurde
zu einem wichtigen und engen Ansprechpartner der Aussiedlerorganisationen und gab wichtige politische Impulse für die Vertriebenengesetzgebung.
Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir im Bundesministerium des Innern mit Christoph
Bergner einen Mann,
({6})
der sich in besonderer Weise kompetent und mit Herz
der Sache der Vertriebenen und der Aussiedler, aber
auch der deutschen Minderheiten im Ausland verpflichtet weiß.
({7})
Die Schaffung des Amts des Aussiedlerbeauftragten
war außerordentlich weitsichtig. Das zeigte sich 1990,
als 400 000 Aussiedler einschließlich ihrer Angehörigen
nach Deutschland kamen. Bis zum Ende des Jahrzehnts
waren es dann jährlich durchschnittlich weitere
180 000 Aussiedler.
Dieser Ansturm brachte große organisatorische und
finanzielle Herausforderungen für Bund, Länder und
Kommunen mit sich. Wie in den Nachkriegsjahren
stellte sich zunächst die Frage, wie die Aussiedler im
Bundesgebiet verteilt werden sollten und wie sie vor Ort
untergebracht werden könnten. Aufnahmelager wurden
eingerichtet. Im Zentrum stand wieder - einmal mehr das Grenzdurchgangslager Friedland. Wieder wurde die
Glocke von Friedland zum Symbol der Freiheit, und sie
ist es geblieben bis zum heutigen Tag. Und wieder war
der Bundesgesetzgeber gefragt, Regelungen zu finden,
die den Aufnahmekapazitäten gerecht wurden. Dies gelang der Regierung Kohl 1990 mit dem Aussiedleraufnahmegesetz, mit dem erstmals ein öffentliches Aufnahmeverfahren eingeführt wurde.
Das Festhalten am Solidaritätsgedanken war allerdings nicht immer unumstritten. Eine besondere Zuspitzung der Diskussion erfolgte mit dem Spätaussiedlerstatusgesetz von 2001. Danach wurden die Spätaussiedler
zum Nachweis gezwungen, dass ihre Deutschkenntnisse
auf familiärer Vermittlung beruhen. Dies führte natürlich
in der Praxis zu großen Schwierigkeiten und hatte auch
Auswirkungen auf die Familien. Viele wurden getrennt.
Dramatische Auswirkungen hatte das 2005 verabschiedete Zuwanderungsgesetz. Es erschwerte die Mitaussiedlung von Ehegatten und Abkömmlingen der
Spätaussiedler beträchtlich.
In den letzten Jahren konnte jedoch wieder an die
Politik der nationalen Solidarität angeknüpft werden.
({8})
Es wurden viele Maßnahmen verabschiedet, die die Integration von Spätaussiedlern und ihren Angehörigen unterstützten. Das betrifft die Anerkennung von Prüfungen
und erworbenen Befähigungsnachweisen. Das betrifft
spezielle Fördermaßnahmen, die die Deutschkenntnisse
der Spätaussiedler und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt haben.
60 Jahre nach Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes kann man hinsichtlich der Integration unserer
deutschen Landsleute von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Die Weichenstellung der Adenauer-Regierung war
richtig. Man hat den Vertriebenen eine neue Heimat gegeben und anerkannt, dass ihre alte Heimat ein untrennbarer Teil deutscher Geschichte und Kultur bleibt.
({9})
Die Kultur und die Traditionen der deutschen Ostgebiete
sind Teil unseres deutschen Selbstverständnisses, und
auch daran mahnt und erinnert uns das Bundesvertriebenengesetz. Bund und Länder haben sich damals mit großer Überzeugung dazu verpflichtet, Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa wachzuhalten im Bewusstsein unserer Nation. Das reiche kulturelle Erbe, das die Deutschen aus ihrer jahrhundertealten Geschichte im östlichen Europa mitbrachten, ist für
unsere Nation von herausragender Bedeutung. Ob Musik, ob Malerei, ob Architektur, Philosophie oder Wissenschaft und Forschung, der Beitrag des schöpferischen
Geistes der Deutschen in den ehemaligen Ostgebieten
hat unsere Nation und ihre Entwicklung mitgeprägt.
({10})
Die Bundesregierung fördert heute über den Beauftragten für Kultur und Medien Museen, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, die sich dem deutschen Kulturerbe im östlichen Europa widmen. Ziel ist es, den
Zugang zum kulturellen Erbe der Deutschen im östlichen Europa zu erhalten und seine zukunftsweisende Bedeutung sichtbar zu machen.
Breiten Raum nimmt aber auch die Zusammenarbeit
mit Gruppen der Vertriebenen und Aussiedler ein, die
sich für den Erhalt des Kulturerbes einsetzen und sich
gemeinsam mit ausländischen Partnern engagieren. Alle
Aktivitäten stehen im Zeichen der Kooperation mit den
Partnerorganisationen in den Regionen und wenden sich
verstärkt auch an die junge Generation.
Das Bundesvertriebenengesetz hat in den letzten
sechs Jahrzehnten Geschichte geschrieben, auf die es
aufzubauen gilt. Wichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Mit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
hat die Erinnerung an das Schicksal der Millionen Vertriebenen eine zusätzliche Kraft bekommen. Es geht um
unser gemeinsames Erbe. Dieses Erbe müssen wir unseren Nachfolgegenerationen vermitteln; denn Kultur und
Geschichte der Vertriebenen gehören zu unserer Identität.
Dass wir das sagen können, verdanken wir auch der
Leidenschaft und der Hartnäckigkeit der Vertriebenen,
die immer darauf gedrängt haben, dass ihre Herkunft,
ihre Tradition, ihre Bindung auch heute noch in unserem
Land lebendig sind. Die Vertriebenen, denen unermessliches Leid widerfahren ist, dürfen sich unserer Solidarität, unserer Anerkennung und des nationalen Gedenkens
sicher sein.
Vielen Dank.
({11})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ja, Herr Bundesinnenminister, in dem
Punkt stimme ich Ihnen unumwunden zu - alle Sozialdemokraten tun dies -: Die Integration der Vertriebenen
und Spätaussiedler ist eine großartige Erfolgsgeschichte
der vergangenen Jahrzehnte, an der ganz viele der Zugewanderten genauso wie der Stammbevölkerung hier in
Deutschland beteiligt waren. Anders, als Sie den Eindruck erweckt haben, wenn ich das der Vollständigkeit
halber sagen darf, war das eben auch nicht nur eine Geschichte, an der Christdemokraten beteiligt waren - Sie
haben nämlich nur die Namen von Christdemokraten genannt -, sondern auch Sozialdemokraten.
({0})
Ich nenne nur Wenzel Jaksch, der in Hessen die Aufgabe hatte, sich der Belange der Vertriebenen anzunehmen und hervorragende Leistungen erbracht hat, später
dann auch Präsident des Bundes der Vertriebenen wurde.
Ich nenne aber auch Heinrich Albertz, der im Jahre 1948
in Niedersachsen das Amt des zuständigen Ministers innehatte. Ich darf auch an unsere Kollegen Hans-Peter
Kemper und Jochen Welt erinnern, die in früheren Zeiten
das Amt des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung innehatten.
({1})
Zu den kulturpolitischen Gegebenheiten und zu Ihrer
Regierungserklärung wird nachher der Kollege Ernst
Dieter Rossmann reden. Ich will mich mit den anderen
Vorlagen befassen, die heute hier zur Debatte stehen.
Das Bundesvertriebenenrecht verlangt für die Aufnahme von Ehegatten von Spätaussiedlern oder von ihren Abkömmlingen Grundkenntnisse der deutschen
Sprache vor der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet.
Dies hat in der Verwaltungspraxis der vergangenen Jahre
zu einer ganzen Reihe von - jedenfalls in dieser Form sicher nicht beabsichtigten Härten geführt. Konsequenterweise hatte daher der Bundesrat vorgeschlagen, von
diesem Erfordernis der Sprachkompetenz jedenfalls
dann abzusehen, wenn der Ehegatte oder Abkömmlinge
aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen
Krankheit oder in einem vergleichbaren Fall nicht in der
Lage sind, Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu
erwerben. Die Bundesregierung hatte die Formulierung
„oder in einem vergleichbaren Fall“ für zu unbestimmt
und zu vage gehalten. Daher haben die Koalitionsfraktionen in ihrem Änderungsantrag diese fünf Wörter nicht
übernommen. Das ist unseres Erachtens falsch, weil man
nicht sämtliche denkbaren Fallkonstellationen vorhersehen kann, die aus nachvollziehbaren humanitären Gründen eigentlich verlangen, dass eine Familie eben nicht
auseinandergerissen wird.
Die Einfügung dieser fünf Wörter mit Bezug auf Ehegatten von Ausländern in das Aufenthaltsgesetz, wie sie
auch in dem im Ausschuss behandelten Änderungsantrag der Linken vorgeschlagen wird, wäre ebenso konsequent und geboten gewesen. Wir werden trotzdem dem
Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen; dem Änderungsantrag der Linken hatten wir zugestimmt.
Ich setze im Übrigen als bekannt voraus, dass unsere
grundsätzliche Kritik am Erfordernis des vorherigen
Spracherwerbs von nachzugswilligen Ehegatten, also
schon im Herkunftsland, unverändert fortbesteht. Aber
kleine Verbesserungen im Sinne einer Härtefallregelung
sind bzw. wären natürlich besser als nichts.
({2})
Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass die Koalitionsfraktionen durch die nunmehr vorgeschlagene
Neuregelung offenbar wiederum eine Ungleichbehandlung von minderjährigen Kindern produzieren; denn die
minderjährigen Kinder der Spätaussiedler werden vom
Erfordernis der Sprachkompetenz generell befreit, während es bei den minderjährigen Kindern von Ausländern,
bei den 16- und 17-jährigen Kindern, gemäß § 32 Abs. 2
des Aufenthaltsgesetzes nach wie vor einer positiven Integrationsprognose bzw. des Vorhandenseins eines gültigen Aufenthaltstitels beider Eltern bzw. des allein personensorgeberechtigten Elternteils bedarf.
Insgesamt aber - das ist das für uns politisch Entscheidende - bejahen natürlich gerade wir Sozialdemokraten alle Regelungen, die humanitäre Härten beseitigen und das Zusammenbleiben der Familien fördern.
Dies gilt für Spätaussiedler genauso wie für Ausländer.
({3})
Nicht zustimmen können wir allerdings dem Antrag
der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „60 Jahre Bundesvertriebenengesetz - Erinnern an die Opfer von Vertreibung“. Abgesehen davon, dass dieser Antrag erst von
Dienstagabend stammt und der Titel dreimal geändert
worden ist - aber das ist Ihre Verantwortung -, bleibt er
weit hinter dem zurück, was heute geboten wäre.
Er bezieht sich im Übrigen ausdrücklich auf einen
Antrag von Ihnen zum 60. Jahrestag der Charta der deutschen Heimatvertriebenen auf der Bundestagsdrucksache 17/4193 vom 15. Dezember 2010, über den am
10. Februar 2011 hier im Bundestag debattiert wurde.
Dazu hat Wolfgang Thierse, wie ich finde, richtigerweise abschließend gesagt - ich zitiere aus dem Protokoll -:
Unsere, der Deutschen Sensibilität für die Leiden
und Opfer von Vertreibung und Flucht resultiert
nicht nur und nicht zuerst daraus, dass Deutsche
selbst Opfer gewesen sind, sondern daraus, dass
Deutsche andere zu Opfern gemacht haben. Daraus,
aus dieser doppelten bitteren Erfahrung, resultiert
unsere dauerhafte moralische Verpflichtung.
Genau diesen entscheidenden Punkt verfehlte schon
Ihr Antrag von damals. Der heute vorliegende Antrag ist
ein bisschen besser; das will ich gern einräumen.
({4})
Ich möchte Wolfgang Thierse ergänzen durch ein Zitat aus einer Rede unseres ehemaligen BundespräsidenRüdiger Veit
ten Johannes Rau, die er beim Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen im Jahr 2003, also vor nunmehr
zehn Jahren, gehalten hat:
Überall im deutschen Machtbereich sind ethnische
Minderheiten und ganze Völker verfolgt, versklavt
und vertrieben worden, sobald man sie in die Gewalt bekam: So wurden aus dem westlichen Polen
gleich nach der Besetzung binnen Monaten weit
mehr als eine Million polnische Bürger deportiert,
um Platz für Deutsche zu schaffen. Und das sollte ja
nur der Anfang sein: Die Pläne für die Vertreibung
von Millionen Polen und Russen lagen bereit. Im
„Generalplan Ost“ und im „Generalsiedlungsplan
Ost“ kalkulierte die SS allein mit mehr als dreißig
Millionen russischen Opfern dieser Landnahme. In
der Vernichtung der europäischen Juden erreichte
diese rassistische und ethnokratische Politik ihre
schrecklichste Form. Götz Aly hat Recht: Der Holocaust gehört „mitten hinein“ in die historische
Konstellation, der am Ende auch die deutschen Vertriebenen zum Opfer fielen.
({5})
Zu Ihrem Antrag von vorgestern, wie erwähnt, muss
ich sagen: Er enthält genau wie der frühere Antrag eine
Reihe von Formulierungen in einer, wie ich meine, vielleicht doch zu volkstümelnden und rückwärtsgewandten
Schattierung. Er enthält im Übrigen aber auch Forderungen, die vielleicht noch in das Entstehungsjahr des Bundesvertriebenengesetzes gepasst hätten, keinesfalls aber
in einen Antrag des Jahres 2013. Allen Ernstes sollen
wir uns, so Ihr Antrag, neben der rechtlichen auch für
eine gesellschaftliche Anerkennung des Schicksals der
deutschen Heimatvertriebenen aussprechen.
Angesichts der von uns allen - auch ich habe das getan - beschriebenen erfolgreichen Integration von mehr
als 12 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen
und von mehr als 3 Millionen Spätaussiedlern kann
diese Forderung zum heutigen Tage nur als absurd bezeichnet werden und übrigens in der gesamten Bevölkerung nur Kopfschütteln auslösen.
({6})
Andererseits stehen in Ihrem Text aber auch einige
richtige Passagen, von denen ich mir wünschen würde,
dass Sie sie in ihren wohlklingenden Formulierungen
weiter denken und umsetzen würden. Beispielsweise
heißt es:
Von übergeordneter Bedeutung ist die Versöhnung
und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des
Nationalsozialismus und der von Deutschland ausgehenden Aggressionskriege.
Wenn dies aber richtig ist, wäre zum Beispiel eine besondere Sensibilität auch gegenüber der von Deutschland seinerzeit verfolgten Bevölkerungsgruppe der
Roma angebracht und gerade ihr eine besondere Achtung und Toleranz zu schenken.
({7})
Aber was erleben wir? Exakt zeitgleich mit der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten und
verfolgten Sinti und Roma am Südeingang des Reichstages mussten wir uns im Innenausschuss - dies war ebenfalls um 11 Uhr - im gegenüberliegenden Paul-LöbeHaus anhören, warum das CSU-geführte Innenministerium aus Gründen der Bekämpfung von Armutszuwanderung aus Serbien und Mazedonien stammende Roma
im Schnellverfahren ausweisen und abschieben möchte.
Kurzerhand will das Innenministerium dann auch noch
die nicht erwerbstätigen EU-Bürger aus Bulgarien und
Rumänien loswerden, obwohl dies nun einem der fundamentalen Grundsätze, nämlich dem der Freizügigkeit, in
der Europäischen Union widerspricht.
Natürlich, meine sehr verehrten Damen und Herren,
verkennen auch wir nicht die besonderen Belastungen in
einigen wenigen deutschen Großstädten, in denen sich
überdurchschnittlich viele von ihnen aufhalten. Auch
hier handelt es sich vielfach um Roma. Der Bundesinnenminister sollte aber besser den betroffenen Kommunen durch finanzielle Unterstützung bei der Versorgung
dieser Bevölkerungsgruppe helfen, anstatt den Anschein
eines politischen Aktionismus zu geben, und dies zu
Lasten einer Bevölkerungsgruppe, die in fast ganz Europa Diskriminierungen ausgesetzt ist und der gegenüber
gerade Deutschland eine historisch begründete Verantwortung wahrnehmen sollte.
({8})
Nun noch ein weiteres von mir begrüßtes Zitat aus Ihrem Antrag:
Wir nehmen das 60-jährige Jubiläum des BVFG
zum Anlass, uns dafür einzusetzen, dass Vertreibung weltweit geächtet wird. Noch immer werden
oder sind Menschen gezwungen, ihre Heimat zu
verlassen. Der jüngste Report des UN-Flüchtlingskommissariats zu Flucht und Vertreibung beziffert,
dass Ende 2011 insgesamt 42,5 Millionen Menschen von Flucht und Vertreibung betroffen waren,
viele von ihnen innerhalb ihres Heimatlandes.
Wenn Sie sich mit solchen Fragestellungen und Feststellungen selbst ernst nehmen, dann müssten Sie sich
- damit meine ich die Koalitionsfraktionen genau wie
diese Bundesregierung - in der ersten Reihe derjenigen
befinden, die im Zuge einer europaweiten Verantwortungsteilung bereit sind, in Deutschland mehr Flüchtlinge aufzunehmen,
({9})
anstatt sie nach den von Ihnen hartnäckig verteidigten
und überkommenen Grundsätzen der sogenannten Dublin-II-Verordnung in den Mittelmeeranrainerstaaten,
({10})
die mit der Aufnahme und der Verfahren allein schon
wegen der Größe des Problems völlig überfordert sind,
dahinvegetieren zu lassen.
({11})
Herr Kollege Veit, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Grindel?
Ja.
Herr Kollege Veit, Sie reden jetzt vier Fünftel Ihrer
Redezeit in dieser Debatte nicht über Vertriebene, sondern über Ausländer, über Flüchtlinge, über andere Themen. Darf ich das so interpretieren, dass Sie in Wahrheit
das Schicksal der Vertriebenen und der Aussiedler nicht
interessiert?
Dann haben Sie nicht zugehört, lieber Herr Grindel.
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass der Kollege
Rossmann etwas zur kulturpolitischen Seite sagen wird.
Sie haben recht und insoweit richtig zugehört, dass ich
mich vier Fünftel meiner Rede mit Vertriebenen- und
Flüchtlingsfragen beschäftige. Das wird auch so bleiben.
Ich lehne mich dabei an Formulierungen Ihres Antrages
an. Ich wüsste nicht, was Sie daran stören sollte.
({0})
Der Kollege Beck würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Bitte schön.
Vor dem Hintergrund der Intervention von Herrn
Grindel: Können Sie mir bestätigen, dass der vorliegende Antrag der Koalition ausdrücklich vorschlägt, den
internationalen Weltflüchtlingstag um das Gedenken an
die Opfer von Flucht und Vertreibung zu erweitern, dass
in diesem Zusammenhang - genau wie Sie in Ihrer Rede der Antrag auf den jüngsten Report des UN-Flüchtlingskommissariats hinweist, der auf 42,5 Millionen Flüchtlinge verweist, und Sie insofern in der Tonlage Ihrer
Rede zum Gegenstand der Debatte gesprochen haben
und Herr Grindel vielleicht etwas ewiggestrig ist?
({0})
Herr Kollege Beck, ich kann das nicht nur bestätigen,
sondern möchte in Bezug auf diese Zwischenfrage dankend sagen: In der Tat ist das das Phänomen, mit dem
wir es zu tun haben. In diesem Antrag stehen wohlklingende Worte gegenüber allen Vertriebenen und Flüchtlingen bis in die heutige Zeit. Was wir aber vermissen
- darauf komme ich noch zu sprechen -, sind die Taten.
Da muss offenbar nachgearbeitet werden, auch beim
Kollegen Grindel.
({0})
Denn - jetzt wende ich mich noch einmal an Sie, Herr
Grindel, aber nicht nur an Sie -: Ich sprach davon, dass
wir nach Dublin II zu einer europäischen Verantwortungsteilung kommen müssen. Das Gleiche gilt auch für
das sogenannte Resettlement von Flüchtlingen, die aus
ihren Herkunftsländern fliehen mussten, um Leib und
Leben zu retten. Durch die fürchterlichen Gräuel, die
derzeit den Menschen im syrischen Bürgerkrieg zugefügt werden, sind nicht nur Europa und die ganze Welt,
sondern auch wir dringend aufgefordert, Hilfe zu leisten.
Der wohl in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung stehende gemeinsame Antrag aller Fraktionen und die auch von Ihnen, Herr Innenminister
Friedrich, betriebene Übernahme und Aufnahme von
5 000 Flüchtlingen aus Syrien sind natürlich, das verkenne ich nicht, ein anerkennenswerter Beitrag. Wir unterstützen Sie, Herr Minister, bei Ihren Bemühungen, auf
europäischer Ebene hier zu einer weiterführenden und
nachhaltigen Lösung zu kommen. Es ist aber eben nur
ein kleiner Schritt auf dem im Prinzip richtigen Weg.
Lassen Sie mich zum Schluss gedanklich in die Situation von vor über 60 Jahren in das Nachkriegsdeutschland zurückgehen. Als ich 1986 in Gießen Landrat
wurde, gehörte es von da an auch zu meinen Aufgaben,
Ehe- und Altersjubiläen wahrzunehmen und den Leuten
zu gratulieren. Dort habe ich dann gelegentlich sowohl
unter den ebenfalls anwesenden Gratulanten als auch unter den Jubilaren frühere Bürgermeister der damals noch
sehr kleinen Städte und Gemeinden getroffen. Diese haben mir berichtet, wie es unmittelbar nach dem Zweiten
Weltkrieg, war.
Unsere Kreisbevölkerung ist schlagartig um ein Drittel gewachsen. Diese kommunalen Kollegen mussten
damals von Haus zu Haus gehen und schauen, wo und in
welcher Weise dort noch Flüchtlinge untergebracht werden konnten, indem die anderen Menschen in ihren Häusern zusammenrücken. Man kann davon sprechen, dass
das eine Art Requirierung war. Sie haben sich damit
nicht unbedingt nur Freunde gemacht.
In der damaligen Zeit war aber nicht nur Wohnraum
knapp. Es gab auch nicht genügend gut bezahlte Arbeit.
Es gab nicht einmal für alle genügend zu essen. Diese
Ressourcen mussten, wie ich bereits dargelegt habe,
durch eine wesentlich größere Anzahl von Bewohnerinnen und Bewohnern geteilt werden.
Da wir heute über einen ganz anderen wirtschaftlichen Background und über eine ganz andere InfrastrukRüdiger Veit
tur verfügen, kann man sagen: Wenn das damals in dieser Größenordnung und bei dieser Notlage möglich war,
dann sollte das uns auch heute, so finde ich jedenfalls,
im Hinblick auf eine viel kleinere Zahl von Flüchtlingen
möglich sein, auch wenn sie nicht deutscher Volkszugehörigkeit sind.
Auch - ich betone ausdrücklich: auch - dieser Aufgabe müssen wir uns im Jahre 2013 stellen. Wir brauchen nicht nur wohlklingende Worte, wie in Ihrem Antrag, sondern wir brauchen Taten. Dazu fordere ich Sie
an diesem Gedenktag nachdrücklich auf.
Vielen Dank.
({1})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Serkan
Tören das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Veit, eines muss man einfach festhalten: Sie haben
in Ihrer Rede im Wesentlichen am Thema vorbei gesprochen und Dinge miteinander verglichen, die in keiner
Weise zu vergleichen sind.
({0})
In diesem Jahr wird das Bundesvertriebenengesetz
60 Jahre alt. Mit dem Bundesvertriebenengesetz stellte
die damals noch junge Bundesrepublik die Weichen für
die Aufnahme und erfolgreiche Integration von 12 Millionen deutschen Flüchtlingen aus den östlichen Teilen
Europas, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik kamen. Das Bundesvertriebenengesetz war
auch die rechtliche Grundlage für die Aufnahme von
4,5 Millionen Spätaussiedlern. Diese kamen nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik. Auch die Spätaussiedler haben wir im wiedervereinigten Deutschland
im Großen und Ganzen gut integriert.
Meine Damen und Herren, das Bundesvertriebenengesetz ist - so kann man sicherlich aus heutiger Sicht sagen - einer der Gründe, warum es der Bundesrepublik
nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich so schnell
wieder gut ging. Millionen von Menschen kamen, wenn
auch nicht ganz freiwillig, in die junge Bundesrepublik,
sind damals schnell integriert worden und haben erfolgreich am Wiederaufbau Deutschlands mitgearbeitet. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass der
Grund für die Vertreibung und das Leid von vielen Millionen Menschen gerade in Osteuropa in der deutschen
Geschichte gesucht werden muss. Ohne das Dritte Reich
wäre uns Europäern viel erspart geblieben.
Wie bereits ausgeführt, war die Integration von
12 Millionen Flüchtlingen ein voller Erfolg. Allerdings
ist dieses Kapitel der deutschen Geschichte bis heute
nicht abgeschlossen. Noch immer gibt es gerade in den
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion Deutschstämmige. Diese haben ein Recht, in die Bundesrepublik
überzusiedeln. Bei dieser Gruppe von Deutschstämmigen gibt es aber immer wieder Fallkonstellationen, die
von der aktuellen Gesetzeslage nicht erfasst sind. Eine
Übersiedlung nach Deutschland wäre in vielen Fällen
ausgeschlossen. Dies führt gerade für Familien immer
wieder zu nicht hinnehmbaren Härten. Daher hat der
Bundesrat einen Vorschlag zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vorgelegt. Diesem Vorschlag will
die christlich-liberale Koalition in weiten Teilen folgen.
Ziel der nun vorliegenden Gesetzesänderung ist es,
unter sehr engen Voraussetzungen das Erfordernis der
Kenntnis der deutschen Sprache zu streichen. Dies soll
aber nur in den Fällen greifen, in denen der Betroffene
aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht in der
Lage ist, Deutsch zu sprechen. Die weiter gehenden Forderungen des Bundesrates, auch sogenannte vergleichbare Fälle zu berücksichtigen, lehnen wir als zu ungenau
ab. Damit würde der Tatbestand mit unabsehbaren Folgen erweitert.
Daneben wird mit der geplanten Gesetzesänderung
davon abgesehen, dass der notwendige Erwerb der deutschen Sprache nur im familiären Rahmen erfolgen darf.
Mit der vorgesehenen Änderung berücksichtigen wir,
dass in vielen Familien die deutsche Sprache aus politischen Gründen oft nur rudimentär verwendet wurde.
Wer sich in solchen Fällen aktiv um seine kulturellen
Wurzeln bemüht und außerhalb der Familie Deutsch gelernt hat, soll dadurch aus unserer Sicht keinen Nachteil
erleiden. Diese Personen sollen die Möglichkeit haben,
bei entsprechenden Deutschkenntnissen in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln.
Im Zusammenhang mit dieser sinnvollen Gesetzesänderung wurde vonseiten der Opposition auch gestern im
Innenausschuss wieder die Forderung erhoben, bei jeglichem Familiennachzug auf die Kenntnis der deutschen
Sprache zu verzichten. Meine Damen und Herren, sicherlich ist die Pflicht zum Nachweis zumindest einfachster Kenntnisse der deutschen Sprache ein Hindernis
für jeden, der nach Deutschland kommen will. Auch ist
es richtig, dass Spätaussiedler und nachziehende Familienmitglieder von hier lebenden Ausländern oder eingebürgerten Deutschen unterschiedlich behandelt werden.
Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass wir hier
ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen miteinander vergleichen.
Im Fall der Spätaussiedler reden wir von Menschen,
die ihre deutschen Wurzeln nach dem Zweiten Weltkrieg
verleugnen mussten bzw. verleugnet haben, um keinerlei
Nachteile in ihrem Leben zu erleiden. Damit ist kulturelles Erbe und somit auch Kenntnis der deutschen Sprache
verloren gegangen. Bei diesen Menschen ist sehr oft die
gesamte Verwandtschaft in die Bundesrepublik übergesiedelt. Daher bestehen oft keinerlei familiäre Bindungen mehr in den Ländern, in denen die Spätaussiedler
bisher lebten. Ich frage Sie daher alle: Wollen wir diese
familiären Strukturen bewusst zerstören?
Im Fall des Familiennachzugs bei hier lebenden Ausländern oder eingebürgerten Deutschen geht es um eine
Gruppe von Menschen, die sich bewusst dafür entschieden hat, eine familiäre Verbindung nach Deutschland
aufzubauen. Das kann man natürlich nicht miteinander
vergleichen. Die für Ausländer geltenden Bestimmungen
des Aufenthaltsgesetzes und die Bestimmungen und Anspruchsgrundlagen des Bundesvertriebenengesetzes sind
völlig unterschiedlich und können dementsprechend
nicht miteinander verglichen werden.
({1})
Diese Koalition ist sich ihrer Verantwortung bewusst,
die sich aus unserer Geschichte ergibt. Daher waren die
vergangenen vier Jahre auch für die Spätaussiedler und
ihre Familien gut.
Meine Damen und Herren, gerade unter Berücksichtigung unserer Geschichte und des Schicksals der Heimatvertriebenen ist uns Deutschen bewusst, welches
menschliche Leid mit Vertreibung verbunden ist. Gerade
daher sollte es uns allen ein besonderes Anliegen sein,
weltweit jegliche Art von Vertreibung zu ächten. Der
christlich-liberalen Koalition ist es daher besonders
wichtig, den schon heute jährlich am 20. Juni stattfindenden Weltflüchtlingstag weiterzuentwickeln. Aus unserer Sicht wäre es richtig, diesen Tag auf der Ebene der
Vereinten Nationen um das Gedenken an die Opfer von
Vertreibung zu erweitern.
({2})
Dieser 20. Juni sollte für uns alle immer wieder ein Ansporn sein, uns gegen die Vertreibung von Menschen
einzusetzen.
Vielen Dank.
({3})
Ulla Jelpke erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Erinnern an Unrecht, das Menschen im Zusammenhang mit
dem Zweiten Weltkrieg widerfahren ist, hat sich die
Linke noch niemals widersetzt, wohl aber dem Versuch,
historische Verantwortlichkeiten zu verwischen und die
Schuld Nazideutschlands am Weltkrieg und seinen Folgen zu relativieren.
({0})
Ja, es war eine große Leistung, Millionen Menschen,
die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren
hatten, zu integrieren. Das geschah übrigens nicht nur in
der BRD, wie der Koalitionsantrag suggeriert,
({1})
sondern auch in der DDR. Die Leistungen von Flüchtlingen, Ausgesiedelten und den Bewohnern der beiden
deutschen Staaten verdienen unseren Respekt.
({2})
Hunderttausende von Deutschen sind nach dem Krieg
zu Besuch in ihre alten Heimatstädte gefahren und insbesondere im westlichen Polen Menschen begegnet, die ihrerseits aus dem östlichen Polen vertrieben worden waren. Sie haben das größtenteils ohne Revanchegefühle
getan, was von der polnischen Bevölkerung sehr anerkannt worden ist.
Es ist aber wichtig, zwischen der Masse der Vertriebenen und denen, die sich als ihre Fürsprecher ausgeben
- da meine ich vor allen Dingen den Bund der Vertriebenen - zu unterscheiden.
({3})
Denn eine Bereitschaft zu einem freundschaftlichen und
respektvollen Verhältnis zu den Menschen in Osteuropa
kann man dem Bund der Vertriebenen nun wirklich nicht
nachsagen. Im Gegenteil: Es ist außerordentlich bedauerlich, dass es diesem Verein von Berufsvertriebenen
gelungen ist, sich als Repräsentant von Millionen Menschen zu inszenieren und dafür Jahr für Jahr Steuergelder in Millionenhöhe zu kassieren.
({4})
Der BdV hat, anstatt zu versöhnen - auch das muss
deutlich gesagt werden -, bei unseren europäischen
Nachbarn immer wieder Wunden aufgerissen, die deutsche Kriegsschuld geleugnet und die Nachkriegsordnung
angefochten. Zum Beispiel die Verbandschefin Erika
Steinbach hat 1991 hier im Bundestag gegen die OderNeiße-Linie gestimmt und damit gegen die polnische
Grenze.
({5})
Es ist das zweifelhafte Verdienst des BdV, eine revanchistische Parallelgesellschaft geschaffen zu haben und
weiterhin am Leben zu halten.
({6})
Schon die Charta der Heimatvertriebenen aus dem
Jahre 1950 ist einzig ein Dokument des Revanchismus.
Es heißt darin allen Ernstes bis heute - das muss man
sich einmal klarmachen -, die Heimatvertriebenen seien
die - das ist ein Zitat - „vom Leid dieser Zeit am
schwersten Betroffenen“.
({7})
Damit werden die Opfer des Raub- und Vernichtungskrieges der Wehrmacht und des Holocaust auf unglaubliche Weise verschwiegen und verharmlost.
({8})
Das ist ein Zeichen für die Linie des BdV: Naziverbrechen zwar nicht direkt zu leugnen, aber sie immer
wieder zu relativieren. Doch es ist nun einmal die historische Wahrheit: Die Aussiedlung der Deutschen aus den
Staaten Osteuropas war eine unmittelbare Folge der Verbrechen des Zweiten Weltkrieges.
Weiter heißt es in der Charta - ich zitiere -: „Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung.“
({9})
Dieser Satz musste damals, fünf Jahre, nachdem die
Rote Armee den Besatzungsterror der Deutschen in Osteuropa beendet hatte, den Betroffenen als blanker Zynismus erscheinen. Schließlich handelte es sich bei den vielen Unterzeichnern, die hier großzügig auf Rache
verzichteten, um ehemalige Nazifunktionäre.
({10})
11 von 13 der damaligen Vorstandsmitglieder des BdV
waren Mitglieder der NSDAP oder der SS gewesen:
Vom SS-Obersturmbannführer bis zum Gauleiter war alles vertreten. Frau Steinbach hat diese Vorhalte noch im
letzten Jahr lakonisch mit den Worten zurückgewiesen
- ich zitiere -: „Männer mit zuvor gesammelter organisatorischer Erfahrung“ wurden gebraucht.
({11})
Solange der BdV Massenmörder und ihre Helfershelfer
derart verharmlost, verdient er keinen einzigen Cent
Steuergeld.
({12})
Vor fünf Jahren sprachen Sie, Frau Steinbach, anlässlich Ihres Tages der Heimat von - ich zitiere - „vorsätzlich geplanten und systematischen Vernichtungsaktionen“, die nach dem Krieg an den Deutschen begangen
worden seien. Im Nachkriegsjugoslawien sahen Sie einen „Völkermord“ an Deutschen in sogenannten „Todeslagern“ und „Vernichtungslagern“. Sie wissen ganz genau, was Sie damit tun: Sie setzen das zweifellos harte
Schicksal, das viele Deutsche in Osteuropa erfahren haben, mit den Verbrechen gleich, die Deutsche in Osteuropa angerichtet haben. Sie setzen die Aussiedlung der
Deutschen mit der Ermordung der europäischen Juden
durch das NS-Regime gleich. Ich sage: Wer eine solche
Gleichsetzung vornimmt, der betreibt Geschichtsrevisionismus, der relativiert die Naziverbrechen, und dem
muss man entschieden in die Parade fahren.
({13})
Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt,
dem Erinnern an Unrecht werde sich die Linke nicht widersetzen. Nun herrscht in Deutschland kein Mangel an
Erinnerung - an Denkmälern, biografischen Werken
usw. - zum Thema Vertreibung, auch wenn das der BdVLobby immer noch nicht genug ist; tatsächlich aber hat
sie ihre eigene revisionistische Sicht schon lange etabliert. Aber wenn man über Vertreibung redet, muss man
auch über die deutschen Verbrechen in Osteuropa reden
und darüber, welche politische Funktion deutsche Minderheiten vor dem Krieg hatten, beispielsweise im Sudetenland, wo sie sich zum großen Teil offen gegen die
tschechische Demokratie gestellt haben.
({14})
Die befreiten Völker in Osteuropa wollten diesen Hebel
zur Zerschlagung ihrer Staaten neutralisieren. An diese
historischen Zusammenhänge muss erinnert werden,
sonst verdreht man die Geschichte und die politischen
Verantwortlichkeiten. Aus genau diesem Grund darf die
Erinnerung an die Nachkriegsereignisse nicht dem Bund
der Vertriebenen überlassen werden.
({15})
Nun will die Koalition den Weltflüchtlingstag um das
Gedenken an Heimatvertriebene erweitern. Ich halte das,
ehrlich gesagt, für keine gute Idee; denn wer den Tag des
Flüchtlings ernst nimmt, hat schon bisher an diesem Tag
ohnehin aller Menschen gedacht, die vor Gewalt und unmenschlicher Behandlung fliehen mussten oder müssen.
Aber ganz offenbar passt es den Vertriebenenfunktionären nicht, sich gemein zu machen mit dem Somali, der
vor Gewalt und Hunger flieht, oder der Kurdin, die vor
Staatsterror und Unterdrückung flieht. Sie wollen einen
deutschen Gedenktag für deutsche Kriegsopfer.
Ich habe keinen Zweifel, was passiert, wenn Sie den
20. Juni um das spezielle Gedenken an die Heimatvertriebenen erweitern. Dann wird in Deutschland nämlich
nur noch an die Heimatvertriebenen erinnert, und das
kann ja wohl nicht sein.
({16})
Statt dem BdV seinen eigenen Feiertag zu schenken, will
die Linke, dass der 20. Juni ein Tag der weltweiten Solidarität mit Flüchtlingen bleibt, auch mit Vertriebenen,
das ist selbstverständlich. Deswegen lehnen wir diesen
Antrag der Koalition ab.
({17})
Ich komme nun zum letzten Punkt, zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes. Grundsätzlich ist unsere Haltung: Es
wäre endlich an der Zeit, das Bundesvertriebenengesetz
abzuschaffen und seine Einwanderungsregelung in den
Katalog des Aufenthaltsgesetzes zu überführen. Die
Linke ist sehr für liberalisierte Zuwanderung. Aber wir
sehen überhaupt nicht ein, dass dies nur für sogenannte
Volksdeutsche gelten soll.
({18})
Die Koalition und mehr noch der Bundesrat zeigen
jetzt endlich eine gewisse Bereitschaft, den Familiennachzug von Spätaussiedlern zu erleichtern. Wir sind dafür. Das ist nämlich im Interesse der Menschen, und das
wird von der Linken begrüßt. Der Bundesrat unternimmt
einen Schritt in die richtige Richtung, indem er einen
Härtekatalog von Fällen vorstellt, in denen auf den
Nachweis deutscher Sprachkenntnisse verzichtet werden
soll. Wir halten einen solchen Nachweis ohnehin für unangemessen. Die deutsche Sprache lernt man am besten
in Deutschland.
({19})
Aber was macht die Koalition? Sie will mit einem
Änderungsantrag die Vorschläge des Bundesrates teilweise wieder zurücknehmen und die Regelungen verschärfen. Alter, Lernschwäche, Bildungsferne und
andere Härten will sie nicht als Ausnahmegründe anerkennen, die einen Verzicht auf den Sprachnachweis begründen. Im Klartext heißt das, dass diesen Personengruppen verwehrt wird, zu ihren bereits in Deutschland
lebenden Verwandten zu ziehen. Das ist ganz klar familienfeindlich und inhuman. Deshalb werden wir uns bei
diesem Gesetzentwurf auch nur enthalten.
Wir haben stattdessen einen eigenen Änderungsantrag
zum Vorschlag der Regierungskoalition in den Innenausschuss eingebracht. Dort schlagen wir vor, diese Erleichterung für alle ins Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Es
geht hier, wie gesagt, um Spätaussiedler, aber es geht
nicht nur um sie, sondern es geht auch um Migranten. Es
ist überhaupt nicht einzusehen, warum diese Sprachhürden für viele Menschen aus anderen Ländern existieren
müssen.
Generell empfiehlt die Linke: Lassen Sie uns die im
Vergleich zu Nichtdeutschen großzügigen Zuwanderungsbestimmungen des Vertriebenengesetzes in den allgemeinen Regelungsbereich der Zuwanderung überführen. Gleiches Recht für alle, auch im Bereich der
Zuwanderung, statt völkisch motivierter Privilegierung.
Ich danke Ihnen.
({20})
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
begehen heute in dieser Sitzung ein besonderes Ereignis.
Wir erinnern nämlich an eine großartige Erfolgsgeschichte in den letzten 60 Jahren. Mit dem Bundesvertriebenengesetz, das vor 60 Jahren im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, haben wir die Grundlagen
dafür gelegt, dass 14 Millionen Menschen, die aus ganz
Europa vertrieben wurden, im Nachkriegsdeutschland
eine neue Heimat finden konnten. Das war eine riesige
Aufgabe, eine gewaltige Herausforderung.
Die Vertriebenen waren nicht überall und immer willkommen. Auch das gehört zur ganzen Wahrheit. Das
Land war zerbombt, es war zerstört, und jeder hatte genügend damit zu tun, sich seine Existenzgrundlage wieder aufzubauen. Dann kommen 14 Millionen Menschen
hinzu, die auch Heimat, Unterkunft und Chancen suchen.
Ich rede heute deshalb, weil ich aus einer Familie
komme, deren Eltern Vertriebene waren. Meine Eltern
als Deutsche im ehemaligen Jugoslawien kamen auf einer langen Reise nach Deutschland. Ich selbst habe mich
nie als Vertriebenen bezeichnet, weil ich 1949 in Hoffenheim auf die Welt kam. Aber ich habe, als ich in die
Schule kam, sehr wohl gemerkt, dass ich nicht von Anfang an dazugehört habe.
Welche Konsequenz hat man daraus ziehen können?
Wie wurde das Ganze dann zu dieser großen Erfolgsgeschichte? Indem wir, die Kinder von Vertriebenen, die
selber auch als Vertriebene bezeichnet wurden, uns völlig darüber im Klaren waren, dass wir selbst unseren
Beitrag leisten müssen, um in diese neue Heimat, in
diese Gesellschaft hineinzuwachsen, dass wir nicht erwarten konnten, dass diejenigen, die schon immer in diesem Land gelebt haben, ausschließlich sagen würden:
Herzlich willkommen! Die Integration ist nur geglückt,
weil die einen es wollten und die anderen alles darangesetzt haben, in dieser Gesellschaft heimisch zu werden.
({0})
Das ist ein Aspekt dieser Erfolgsgeschichte, von dem
wir auch für die heutige Zeit etwas lernen können. Ohne
den starken Willen, in diese Gesellschaft hineinzuwachsen, einen Beitrag zur Entwicklung dieser Gesellschaft
zu leisten, wäre auch mit dem Bundesvertriebenengesetz
die Integration nicht gelungen.
Die Vertriebenen haben über ihr Leid relativ wenig
gesprochen.
({1})
- Seien Sie jetzt einmal ganz schön friedlich.
({2})
Wahrscheinlich sind Sie gar nicht betroffen. Aber ich
spreche als einer, der das alles miterlebt hat. Das wird
auch einmal zulässig sein.
Ich kann dazu nur sagen: Die Väter haben über das,
was sie im Krieg erlebt haben, in der Regel nicht gesprochen. Das hat im Übrigen dazu geführt, dass Ende der
60er-Jahre eine intensive Diskussion begonnen hat. Dieser Teil der Diskussion der sogenannten 68er-Jahre war
auch völlig berechtigt, weil wir wissen wollten, was damals geschehen war.
Aber unsere Mütter haben davon gesprochen. Meine
Mutter hat immer erzählt, dass für sie das Dritte Reich
und die Nationalsozialisten das Unglück ihres Lebens
waren. Denn sie hat sich in Jugoslawien wohlgefühlt, sie
wollte gar nicht woandershin. Sie hat immer gesagt:
Wenn die Nazis nicht gekommen wären, hätten wir ein
anderes Leben führen können.
({3})
Sie hat uns, den Kindern, gesagt: Ihr müsst alles daransetzen, dass so etwas in diesem Land nicht noch einmal
passieren kann. Das war die Botschaft von Vertriebenen
aus ganz Europa.
({4})
Natürlich hat Vertreibung stattgefunden. Immer in der
Geschichte hat es Vertreibung gegeben. Aber wenn man
die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, des Nationalsozialismus, unseres Deutschlands anschaut, sieht man,
dass natürlich - da hat Kollege Veit recht - die Vertreibung damit begonnen hat, dass zunächst einmal die Juden aus ihrer Heimat vertrieben und dann in den Tod geschickt wurden. Das war der erste Akt von Vertreibung
in dieser unglaublichen Verbrechergeschichte des nationalsozialistischen Regimes. Das war Unrecht in höchstem Maße.
Aber es war auch mit viel Leid für die Vertriebenen
verbunden. Meine Mutter hatte mit dem Nationalsozialismus überhaupt nichts am Hut. Sie hat das alles verachtet. Dennoch war sie Leidtragende. Sie hat nicht nur darunter gelitten, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben
wurde, sondern auch darunter, dass sie über ihr Leid
nicht sprechen konnte, ohne dass man ihr den Vorwurf,
der mit der Sache gar nichts zu tun hatte, gemacht hat,
dass sie das Leid von Juden und all das, was im Dritten
Reich passiert ist, relativieren wollte. Die allermeisten
Vertriebenen waren sich bewusst, wie ich am Beispiel
meiner Mutter sagen kann, was Ausgangspunkt ihres
Dramas war. Dessen waren sich alle bewusst. Dass man
ihnen aber verwehrt hat, auch über ihr individuelles Leid
zu sprechen, hat sie ein zweites Mal vertrieben.
({5})
Ich zitiere:
Die politische Linke hat in der Vergangenheit, das
läßt sich leider nicht bestreiten, zeitweise über die
Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache
Leid, das den Vertriebenen zugefügt wurde, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus
Ängstlichkeit vor dem Vorwurf, als Revanchist gescholten zu werden, oder sei es in dem Irrglauben,
durch Verschweigen und Verdrängen eher den Weg
zu einem Ausgleich mit unseren Nachbarn im Osten zu erreichen. Dieses Verhalten war Ausdruck
von Mutlosigkeit und Zaghaftigkeit.
Bundesinnenminister Otto Schily am 29. Mai 1999.
Ähnlich formuliert es Günter Grass in seiner bemerkenswerten Novelle Im Krebsgang in gleicher Richtung.
({6})
- Wissen Sie, ich will Ihnen einmal eines sagen: Es geht
nicht an, dass die Grünen glauben, allein den moralischen Anspruch gepachtet zu haben, zu wissen, was man
sagen darf und was nicht.
({7})
Ich bin das jetzt langsam leid. Ich lasse mir von Ihnen
keine Vorwürfe machen. Ich weiß, was der Ausgangspunkt der Vertreibung war: das verbrecherische nationalsozialistische Regime. Aber Leid von Menschen ist nicht
teilbar, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({8})
Wir haben mit dem Bundesvertriebenengesetz nach
dem Krieg die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass
eine Integration der Vertriebenen stattfinden konnte. Wir
vergessen nicht die Verbrechen, die Deutsche an Juden
begangen haben und die im Namen der Deutschen an Juden verübt wurden. Deshalb gehört die Union als einzige
Partei, vielleicht noch zusammen mit der FDP, zu denen,
die unverbrüchlich zu Israel stehen und die Sicherheit Israels als Teil unserer Staatsräson begreifen.
({9})
Wenn ich so manche Diskussionen erlebe, kann ich nur
sagen - ich will das niemandem abstreiten; aber bei uns
ist das so -: Wir wissen um die Verantwortung, die aus
unserer Geschichte erwächst.
({10})
Wir blicken auch nicht zurück, sondern wir sagen:
Diejenigen, die Deutsche sind, sich der deutschen Sprache auch weiterhin gewidmet haben, sollen auch in Zukunft nach Deutschland kommen können - unter ganz
genauen, festen Regeln. Ich akzeptiere selbstverständlich und bin sehr dafür - gerade weil ich für verfolgte
Christen in der ganzen Welt eintrete -, dass wir Menschen, die in Bedrängnis sind, die verfolgt werden, die
vor Bürgerkriegen fliehen, in Deutschland aufnehmen.
Der Bundesinnenminister hat da auch klare Zusagen gemacht: beispielsweise dass wir weitere 5 000 Menschen
aus Syrien aufnehmen. Aber genauso, wie ich dafür eintrete, dass Asylbewerber nach Deutschland kommen
dürfen, trete ich dafür ein, dass auch diejenigen, die
Deutsche sind und noch im Ausland leben, nach
Deutschland kommen dürfen. Da gibt es keine Unterteilung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({11})
Das Bundesvertriebenengesetz ist eine großartige Erfolgsgeschichte. Als jemand, der eigentlich bei armen
Eltern aufgewachsen ist, muss ich sagen: Ich bin diesem
Land außerordentlich dankbar. Meine Eltern, vor allem
meine Mutter, haben mir immer gesagt: Wir werden
euch nie Reichtum geben oder ein Vermögen übergeben
können; aber wir können euch Erziehung und Bildung
mitgeben, und dann könnt ihr aus eigener Kraft etwas
leisten.
Nicht allein aus eigener Kraft, sondern auch dank der
Solidarität der Deutschen haben die Vertriebenen es geschafft. Beides zusammen - die Solidarität derjenigen,
die schon immer hier gelebt haben, und der Wille der
Vertriebenen, zu dieser Gemeinschaft zu gehören - hat
dazu geführt, dass die Integration der Vertriebenen im
Nachkriegsdeutschland eine großartige Erfolgsgeschichte wurde.
({12})
Wie Sie sehen, ist der nächste Redner Volker Beck für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der selten vor Beginn einer Rede im Deutschen Bundestag so viel Beifall
hat entgegennehmen können.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Kauder, ich finde, Sie haben in diese Debatte unnötige Schärfe gebracht.
({0})
Wir sind uns einig in diesem Haus: Vertreibung ist ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit; das ist im deutschen Völkerstrafgesetzbuch ausdrücklich so festgehalten. Viele Opfer von Vertreibung verlieren nicht nur Hab
und Gut und Wohnsitz, sondern werden oftmals auch
Opfer schrecklicher Gewalttaten. So war das auch bei
der Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen östlichen Reichsgebieten. So war es bei der Vertreibung der
Deutschen aus dem Sudetenland, das zur Tschechoslowakei gehörte, und auch aus anderen osteuropäischen
Staaten. Das dürfen wir nicht vergessen. Daran müssen
wir uns auch erinnern, aber wir müssen uns erinnern im
Kontext der Geschichte.
Der Vertreibung ging eben der verbrecherische Angriffskrieg der Nazis gegen die Völker Europas voraus.
Es gingen ein Holocaust an den Juden und ein Völkermord an den Sinti und Roma in Europa voraus. All dies
gehört zum Kontext. Es gehört auch zum Kontext, dass
zu dem Zeitpunkt, als die Deutschen aus den heute zu
Polen gehörenden Gebieten vertrieben wurden, im Osten
Polens von den Sowjets Polen aus ihrem Land vertrieben
wurden, die dann dort siedelten, wo vorher Deutsche gelebt haben. Auch das gehört zu der Tragödie, die mit
dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist.
({1})
Ich sage das hier - Frau Kollegin, ich weiß nicht, wo
Sie und Ihre Familien herkommen - als Kind einer sudetendeutschen Familie und einer österreichischen Offiziersfamilie, die am Ende jedes Weltkrieges im letzten
Jahrhundert vertrieben wurden, also zweimal, und zweimal in ihrem Leben alles verloren haben. Trotzdem darf
man nicht darüber hinwegreden, was dem vorausgegangen ist.
Herr Kauder, Sie haben eben Ihre Familiengeschichte
geschildert. Es gibt aber auch Familiengeschichten von
Vertriebenen, die zeigen, dass nicht alle Vertriebenen im
Herzen und im Geiste Widerstandskämpfer oder Gegner
des Nationalsozialismus gewesen sind. Ich habe viel im
Keller meiner Mutter gefunden - das gehörte nicht zum
Narrativ der Geschichte, weil man es nicht erzählen
wollte, weil man dabei nicht gut aussah -, zwar keine
Mitgliedsbücher der NSDAP, aber der Sudetendeutschen
Partei. Nicht alle Sudetendeutschen waren ausgemachte
Nazis. Aber was haben sie damals gemacht? - Sie haben
beim Einmarsch Hitlers gejubelt und haben die ausgestreckte Hand der Tschechen und der Slowaken in der
Vielvölkerrepublik Tschechoslowakei abgewiesen. Auch
das gehört zu der komplizierten Geschichte dazu. Das
erklärt zwar nicht die Verbrechen, aber das erklärt zunächst die Akzeptanz der Vertreibung in der Tschechoslowakei, weil sich die Deutschen eben vorher nicht
dazu bereitgefunden haben, Teil dieser Republik zu werden und an einem friedlichen Miteinander der drei bzw.
vier Völker, wenn man die Roma dazunimmt, in der
Tschechoslowakei mitzuwirken.
({2})
Wenn wir heute der Vertreibung gedenken, dann können wir nicht darüber hinwegsehen, dass gegenwärtig in
der Welt 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind,
vertrieben sind, im Sudan, in Syrien, in vielen Ländern
Afrikas und Asiens. Auch das gehört dazu.
({3})
Wenn wir wirklich Empathie für die deutschen Vertriebenen haben, dann kann diese Empathie nicht bei anderen Vertriebenen in der Jetztzeit aufhören. Dann müssen
wir heute Einsatz für das Recht von Flüchtlingen und
Vertriebenen zeigen und unsere Verantwortung übernehmen.
({4})
Kurz zu einigen konkreten Punkten in Ihrem Antrag.
Sie schlagen vor - das begrüße ich -, den 20. Juni auch
zum Anlass zu nehmen, deutscher Vertriebener und Vertreibung zu gedenken. Das ist ein Vorschlag, den ich vor
längerer Zeit gemacht habe. Ich bin froh, dass sich dieser
in der Koalition gegen den Vorschlag von Frau
Steinbach durchgesetzt hat, ausgerechnet den 5. August
hierfür zu nehmen, den Tag, als die Charta der VertriebeVolker Beck ({5})
nen, auf die Frau Jelpke schon Bezug genommen hat,
verabschiedet wurde.
Diese Charta war wirklich eine Charta der Nichtanerkennung des geschichtlichen Kontexts, des Verdrehens
von Geschichte, der Selbststilisierung nur als Opfer und
nicht auch als Täter, und das bei einer langen Liste von
Unterschriften von NSDAP-Funktionären, SS-Generälen und Sturmbannführern. Dass wir uns heute von diesem Tag als Bezugspunkt für die Erinnerung an das Unrecht der Vertreibung verabschieden, ist ein gutes Signal.
({6})
Dennoch darf der 20. Juni nicht nur ein Tag zur Erinnerung an die deutschen Heimatvertriebenen sein, sondern er muss ein Tag sein, der ein Appell gegen das Unrecht von Vertreibung und für die Solidarität mit allen
Flüchtlingen und Vertriebenen ist, seien sie deutsch oder
anderer Provenienz oder Nationalität.
({7})
Ich möchte noch zwei konkrete Punkte ansprechen.
Nachher diskutieren wir über die Nachzugsregelung für
die Angehörigen von Vertriebenen. Ich finde es richtig,
dass eine Härtefallklausel bei den Sprachvoraussetzungen geschaffen werden soll, ich finde es aber völlig unplausibel, dass wir das im Aufenthaltsgesetz gegenüber
Ausländern nicht machen. Ich will Ihnen nahelegen: Das
führt am Ende zur Inländerdiskriminierung. Wenn ein
Deutscher hier aus Berlin in der Türkei eine Frau kennenlernt und heiratet, sie aber noch kein Wort Deutsch
spricht, während er gut türkisch spricht - vielleicht hat er
sogar dort unten gearbeitet und hat sie dabei kennengelernt -, dürfte er mit dieser seiner Frau aus der Türkei
nicht hierher nach Deutschland kommen, bevor sie nicht
die deutschen Sprachvoraussetzungen erfüllt. Wäre er
Spätaussiedler und käme er mit seiner Frau aus Russland
und sie wäre Russin und spräche kein Sterbenswörtchen
Deutsch, dann könnte er sie nach dieser Härtefallklausel
unter Umständen mitbringen. Das ist Inländerdiskriminierung. Das ist absurd. Lassen Sie uns das deshalb auch
im Aufenthaltsgesetz entsprechend regeln.
({8})
Ich möchte noch einen anderen Punkt der Gleichstellung hier ansprechen: das Fremdrentengesetz.
Herr Kollege Beck, darf Ihnen Herr Kollege Bergner
eine Zwischenfrage stellen?
Ja. Wenn ich meinen letzten Gedanken dann auch
noch unterbringen kann, will ich das gerne tun.
Bitte schön.
Herr Kollege Beck, wir haben auch im Innenausschuss darüber gesprochen. Ich will nur vermeiden, dass
Sie jetzt von falschen Voraussetzungen ausgehen. Die
Linke fordert in ihrem Antrag, dass die unscharfe
Formulierung des Bundesratsantrags „in vergleichbaren
Fällen“ ins Aufenthaltsrecht übernommen wird. Der
Vorschlag der Koalition ersetzt aber gerade diese unscharfe Formulierung - und zwar aus rechtlichen Gründen - durch konkrete Sachverhalte, die wiederum nur in
den Kontext des Vertriebenenrechts eingebracht werden
können, und es entsteht ausdrücklich nicht die Situation,
die Sie hier zu schildern versuchten, dass automatisch
jemand, der als Spätaussiedler aus den Staaten der früheren Sowjetunion kommt, keinen Sprachnachweis erbringen muss.
Könnte es sein - das ist meine Frage -, dass Sie die
Antragstellungslage nicht richtig durchschaut haben?
({0})
Das kann selbstverständlich nicht sein. Ich habe den
Änderungsantrag, der von Herrn Uhl und dem Kollegen
der FDP unterschrieben wurde, vorhin aufmerksam gelesen. Ich habe ihn auch dabei, aber nicht hier am Rednerpult, sondern er liegt an meinem Platz. Ich habe darauf
aufmerksam gemacht, dass eine Härtefallklausel eingeführt werden soll, gemäß der in bestimmten Konstellationen auf die Sprachvoraussetzung beim Ehegattennachzug - ich halte sie ohnehin für Quatsch; aber sie ist nun
einmal Recht - verzichtet werden kann - nicht einmal
Grundkenntnisse müssen sie haben -, sodass Spätaussiedler ihre nichtdeutschen Ehegattinnen und Kinder mit einreisen lassen könnten. - So soll es geregelt werden.
Mein Punkt war: Warum soll es eine Härtefallklausel
bei Spätaussiedlern geben, die mit Russen oder Weißrussen oder Ukrainern oder - was weiß ich - mit Usbeken
verheiratet sind? Warum soll die Härtefallklausel für
diese gelten, aber für Deutsche, die mit einer Türkin verheiratet sind und aus der Türkei hier zu uns nach
Deutschland einreisen wollen, in keinem Fall?
({0})
Das ist unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. Das benachteiligt deutsche Staatsbürger in bestimmten Konstellationen gegenüber einreisenden Spätaussiedlern, und das ist meines Erachtens rechtlich nicht
haltbar und politisch tatsächlich nicht sinnvoll.
({1})
Nein, nein. Sie machen jetzt bitte nicht mehr darauf
aufmerksam, weil der Kollege Beck schon lange seine
Redezeit überschritten hat und ich nur wegen unserer
Präsident Dr. Norbert Lammert
sprichwörtlich privilegierten Verbindung Ihre Zusatzfrage zugelassen habe.
Ich möchte nur noch einen Satz sagen. Wir haben im
Fremdrentengesetz die Rentenansprüche für Spätaussiedler so geregelt, dass diese durch die Einreise nach
Deutschland keine Nachteile haben. Die gleiche Regelung sollten wir für jüdische Kontingentflüchtlinge
treffen, die zu uns gekommen sind und heute oft
Grundsicherung im Alter erhalten, weil ihre Rentenversicherungszeiten in ihrer ehemaligen Heimat nicht anerkannt werden.
Ich glaube, das sind zwei parallele Fälle, und es gehört auch zum Thema Vertreibung und Flucht,
({0})
dass wir die Integration gegenüber jüdischen Kontingentflüchtlingen genauso ernst nehmen wie gegenüber deutschstämmigen Spätaussiedlern.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Kurth für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit persönlichen Familienerinnerungen beginnen, nämlich mit meinen eigenen.
Ich wurde in der DDR geboren, Frau Jelpke. Ihre Einlassungen dazu sind immer wieder interessant. Ich persönlich muss sagen, dass ich als Kind, das in der DDR
zur Schule gegangen ist, mit dem Thema Vertreibung
überhaupt nichts zu tun hatte. Ich kannte das gar nicht;
ich wusste überhaupt nichts davon. Ich war persönlich
nicht tangiert - dachte ich jedenfalls. Es wurde keine
Wissensvermittlung betrieben. Ich hatte zwar einen
Onkel, der wohl in der Tschechoslowakei, wie sie damals noch hieß, geboren war. Ich freute mich, dass er so
gut Deutsch konnte, wusste aber nicht, dass er tatsächlich Deutscher ist und welche Hintergründe das hat.
Ganz interessant ist, dass meine Großeltern ab und zu
von ihrem Dorf wenige Kilometer östlich der Oder sprachen. Kam ich also aus Polen? - Nun, diese Frage wurde
nicht thematisiert.
Ich muss sagen: Es ist ein bisschen beklemmend, zu
wissen, dass von meiner eigenen Familie - meine Großeltern standen während des gesamten Dritten Reiches als
Bauernfamilie auf dem Feld und wurden eigentlich nur
wenige Kilometer vertrieben -, die zu Beginn des Jahres
1945 noch aus fünf Familienangehörigen bestand, wenige Wochen später nur noch meine Großmutter und ihre
Mutter lebten. Ist es nicht beklemmend, zu wissen, dass
es unterlassen worden ist - auch staatlich reglementiert -,
zu fragen: „Warum? Woher? Wieso? Weshalb?“, und offen darüber zu sprechen - mit allem, was dazugehört,
zum Beispiel den Ursachen?
Warum haben wir nicht darüber gesprochen? Warum
fehlte mir das Wissen? Ich ahnte ja nicht, was dahinterstand. In der DDR war im Staatsbürgerkundeunterricht,
im Geschichtsunterricht, im Gesellschaftsunterricht oder
sonst wo nicht ein einziges Wort dazu zu vernehmen ({0})
nicht, weil es in der DDR-Bildungspolitik verschwiegen
worden ist, wie woanders möglicherweise, sondern weil
es schlichtweg untersagt war, Kenntnisse zu vermitteln.
({1})
Auch gesellschaftlich war das Thema Vertreibung
nicht etwa ein Tabuthema, wie das möglicherweise in
der Bundesrepublik in den 50er-Jahren gewesen sein
könnte, nein, es war in der DDR zum Teil bei Strafe verboten, sich zu dem Thema Vertreibung auszulassen. Die
SED hatte spätestens in den 50er-Jahren die Losung ausgegeben bzw. die klare Ansage gemacht:
Wer sich jetzt noch als Vertriebener bekennt, macht
sich der Volksverhetzung schuldig.
Diejenigen, die nach der Vertreibung im sowjetisch
besetzten Teil Deutschlands landeten, wurden, wenn sie
dazu sprachen, gewissermaßen als Staatsfeinde, Revanchisten oder Volksverhetzer bestraft. Das ging so weit,
dass sie nicht einmal „Vertriebene“ heißen durften
- Herr Minister, Sie haben es angesprochen -, sondern
verharmlosend „Umsiedler“ genannt worden sind.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung nach
1990 zeigt, dass in der DDR diese Wunde, die man dort
mit aller Kraft zu überdecken versuchte, nicht geschlossen oder gar geheilt wurde; denn das Vertriebenenwesen
entwickelte sich dann auch in der ehemaligen DDR. Ich
will damit sagen: Dieses Vertreibungsumdeuteln im östlichen Teil Deutschlands, dieses staatlich verordnete
Schweigen, dieses Geschichtsverdrehen, diese Unaufrichtigkeit des Staates, diese Unehrlichkeit gegenüber
der eigenen Geschichte, diese Falschheit auch gegenüber
den östlichen Nachbarn stand im Gegensatz zu dem, was
in der Bundesrepublik gemacht worden ist:
({2})
nämlich ein Bundesvertriebenengesetz, das 60 Jahre
lang dazu beitrug, die Erinnerung aufrechtzuerhalten.
Ich sage ganz deutlich: Darauf kann und soll Deutschland auch stolz sein. Das ist ein guter Schritt gewesen.
({3})
- Wer von den Nazis im Vertriebenenverband spricht
und kein Wort darüber verliert, dass er Stasi-Leuten zu
Patrick Kurth ({4})
ihrer hervorragenden Geschichte gratuliert, der braucht
sich hier in der Debatte überhaupt nicht zu melden und
kann sich setzen - am besten in die letzte Reihe.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will vor allen Dingen
nach vorne schauen. Auch mit dem Bundesvertriebenengesetz muss man nach vorne schauen. Vor allen Dingen
geht es um die Zukunft. Flucht und Vertreibung - auch
die deutsche Flucht und Vertreibung - sind eben kein
einmaliger Akt in der Geschichte. Das ist auch noch
nicht abgeschlossen. Es gab bzw. gibt seit hundert Jahren
überall auf der Welt - in Europa, auch in Deutschland Vertreibungen. Sie haben seither auch nicht aufgehört.
Mali, Darfur und Syrien sind ganz aktuelle Themen, die
auch uns in besonderer Weise betreffen. Deswegen ist
staatlich verordnetes Totschweigen oder Ähnliches an
dieser Stelle nicht geeignet, weil wir an anderer Stelle
natürlich eine klare Auffassung haben müssen.
Ich will abschließend vier Punkte nennen, auf die es
uns in der FDP, aber auch in der Koalition ankommt:
Erstens. Nie wieder dürfen Menschen ihrer Heimat
beraubt oder vertrieben werden - nirgendwo auf der
Welt. Nie wieder darf es Kollektivstrafen geben, weil es
auch keine Kollektivschuld gibt. Nie wieder darf das
passieren.
Zweitens. Nirgendwo darf die Vertreibung der Deutschen möglicherweise als Blaupause dienen oder vielleicht sogar als Rechtfertigung herangezogen werden,
wenn es um Vertreibungen in anderen Ländern auch in
aktueller Zeit geht. Das geht auf keinen Fall.
Drittens. Nie wieder darf das Unrecht der Vertreibung
von Menschen durch staatliche Stellen oder gesellschaftlichen Druck tabuisiert oder verschwiegen werden. Niemals wieder darf das offene Ansprechen von Flucht und
Vertreibung bestraft werden.
({6})
Viertens. Nie wieder darf es dazu kommen - ({7})
Nie wieder darf es dazu kommen, dass wie bei mir - ({8})
- Wieso hören Sie eigentlich auf zu reden, wenn ich Ihnen zuhöre, fangen aber an zu reden, wenn ich spreche?
Was ist denn das für eine Unhöflichkeit? Das ist eine
Garstigkeit hier im Hause! Das kann ja wohl nicht wahr
sein!
({9})
Also, letzter Punkt: Nie wieder darf es dazu kommen,
dass wie bei mir bewusst Wissen nicht vermittelt und
ganz bewusst Unwissen verbreitet wurde. Ziel war, so
viel wie möglich im Unklaren zu lassen.
Wir stehen hier vor einer großen Herausforderung.
Viele junge Leute bzw. Jugendliche haben keinen blassen Schimmer, wie man mit Vertreibung umgeht. Das
gesamte Haus steht hier vor einer großen Herausforderung; diese zu meistern ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({10})
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Ernst
Dieter Rossmann das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Volkmar Gabert, der große sozialdemokratische bayerische Politiker und Präsident der Seliger-Gemeinde der
Sudetendeutschen, hat uns in diesem Zusammenhang
gemahnt, zum „Dialog über emotionale Gegensätze hinweg fähig zu sein“. Daran sollten wir uns, glaube ich,
auch in dieser Debatte orientieren.
Ich will Ihnen hier als Schleswig-Holsteinischer Abgeordneter zwei Zugänge zu dieser Frage - wir zollen
60 Jahren Bundesvertriebenengesetz ausdrücklich hohen
Respekt - vortragen.
Zunächst einmal aus dem Blick eines SchleswigHolsteiners. Schleswig-Holstein ist ein kleines Land, in
dem nach dem Krieg 50 Prozent der Menschen Vertriebene und Flüchtlinge aus Ostpreußen waren. Zugleich
befand sich in diesem Land der Kriegsverbrecher
Dönitz. 1955 setzten dann - damals war Kai-Uwe von
Hassel Ministerpräsident Schleswig-Holsteins; später
war er hier Parlamentspräsident - Konrad Adenauer und
der dänische Außenminister Hansen in den BonnKopenhagener Erklärungen ein erstes sichtbares Zeichen
für Aufarbeitung, Versöhnung und Anerkennung von
Minderheitenrechten. Schließlich ist Schleswig-Holstein
ein Bundesland, in dem drei der vier autochthonen
Minderheiten in Deutschland eine Heimstatt und Anerkennung gefunden haben. Dort wird jetzt auch mit einem
europäischen Institut in Flensburg ganz direkt darauf
abgehoben, zu untersuchen: Was heißt Respekt vor
Verschiedenheit und Minderheitenrechten im Europa der
Zukunft? - Das ist der eine Blickwinkel.
Ich komme zum anderen Blickwinkel. Herr Kauder,
ich möchte Ihnen - Sie haben hier Ihre Biografie vorgetragen - von der Biografie einer Person berichten, in deren Familie es keine Vertreibung gab. 1956/57 war ich
fünf bzw. sechs Jahre alt. Man merkte in zunehmendem
Maße, was eigentlich in der Nachbarschaft geschah. Es
gab da den Tischler Juderjahn aus Elbing, ein ungemein
fleißiger Handwerker. Das war seine Verbindung in die
Heimat. Da gab es den Bauern Schmidt aus einem ganz
kleinen ostpreußischen Ort, der mit seinem Rollwagen
jeden Tag 15 Kilometer hin und her fuhr, um irgendwo
zu melken. Natürlich gingen sie alle zu den Treffen der
Heimatvertriebenen. Sie kamen dorthin, weil sie sich mit
früheren Bekannten, mit Freunden treffen und mit ihnen
sprechen konnten. Sie waren nicht unbedingt deshalb
dort hingegangen, weil sie politische Kampfreden erwarteten und hören wollten. Ich habe deshalb den Tischler
Juderjahn und den Bauern Schmidt angesprochen, weil
sie etwas hatten, was sie auch vermitteln konnten, was
leider viele andere nicht hatten: Sie hatten die Fähigkeit,
zu trauern. Das war ihre große Leistung. Für diese Fähigkeit zollen wir diesen Menschen Respekt, in ihrem
persönlichen Erleben, aber auch in ihrem politischen Erleben, das sie eingebracht haben.
({0})
Den Grund für die Trauer - er wurde schon deutlich dargestellt - will ich nicht wiederholen. Aber ich will Ihnen,
Herr Kauder, eine kleine Bitte vortragen, dass nämlich
die Bemerkung von Otto Schily nicht so verstanden werden darf, als ob Willy Brandt, ein Sozialdemokrat, nicht
sehr viel dafür getan hätte, und das trotz aller Anfeindungen gegen seine Person, mit Weitblick, Beharrlichkeit und Mut dafür zu sorgen, dass Menschen zu ihrem
Menschenrecht auf Heimat, zu ihrem Menschenrecht auf
Frieden, zu ihrer Menschenpflicht auf Versöhnung kommen konnten. Den Sozialdemokraten Willy Brandt darf
man hier nicht vergessen
({1})
und darf ihn auch nicht zum Zwecke der Polarisierung
nutzen.
({2})
Dieses Gift der Polarisierung muss aus der Debatte herausgenommen werden, wenn wir die Debatte nach
vorne wenden wollen.
Der Bundesinnenminister hat die 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz mit einem Antrag verbunden, eingebracht von CDU/CSU und FDP, in dem fünf Handlungsfelder geschildert werden: Integration der Flüchtlinge,
Integration der Spätaussiedler, Förderung der deutschen
Minderheiten, Pflege des kulturellen Erbes, früher eher
Pflege des Brauchtums, jetzt eher Pflege von Erkenntnis,
Verständnis und damit von Wissenschaft, und die weltweite Ächtung von Vertreibung.
Wir als Sozialdemokraten finden: Das kann eine Basis dafür sein, nach der positiven Geschichte von 60 Jahren Bundesvertriebenengesetz nach vorne zu denken und
nach vorne Politik zu machen, und zwar durchaus in
einem Konsens. Ich möchte daran erinnern, dass es
Bundeskanzler Gerhard Schröder war, mit dem am
3. September 2000 das erste Mal in Berlin ein sozialdemokratischer Bundeskanzler auf einem Heimattreffen
der Vertriebenen sprechen konnte.
({3})
Er hat klare Worte in beide Richtungen gesprochen.
Es gab dann eine Fortsetzung mit einer sehr bemerkenswerten Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung am
3./4. September 2008, auf der die nachfolgende Bundeskanzlerin und Innenminister Schäuble herausgearbeitet
haben: Welche Pflicht erwächst aus der Geschichte? Was
ist in Zukunft die Aufgabe in Bezug auf Anerkennung
und Förderung von Minderheiten allgemein wie von
deutschen Minderheiten, aber auch die Aufgabe einer
Politik in Europa, die insgesamt Verschiedenheit und
Vielfalt von Minderheiten als Kriterium aufnimmt und
anerkennt? Wir finden es sehr gut, wenn diese Überlegungen nach vorne getragen werden.
Ich darf mir allerdings die Bemerkung erlauben: Wir
wissen, dass 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz eine
große Sache sind, dass es aber mit diesem Bundesvertriebenengesetz nicht 60 Jahre so weitergehen kann;
vielmehr muss dieses Gesetz zu einem Gesetz der Versöhnung und der Respektierung von Verschiedenheit und
Vielfalt werden. Deshalb ist es gut, dass sich diese Entwicklung in Ihren Anträgen wiederfindet.
Ich will nicht weiter darauf eingehen, sondern nur
kurz sagen, weshalb wir uns bei der Abstimmung über
diesen Antrag enthalten werden. In diesem Antrag konnten Sie leider nicht darauf verzichten, an die unglückselige Debatte um 60 Jahre Charta zu erinnern. Kollege
Beck sprach schon von Ihrem fehlleitenden Vorschlag,
den 5. August zum Erinnerungstag zu machen. Aber Sie
haben eine Entwicklung durchgemacht. Diese geht dahin, dass jetzt der 20. Juni, der Weltflüchtlingstag der
UN, zu dem Tag werden soll, an dem wir das Flüchtlingselend politisch diskutieren und den wir mit der politischen Aufgabe verbinden, uns gegen Vertreibung
einzusetzen. Es ist auch gut so, dass das Dokumentationszentrum, wie es nach harten Diskussionen gemeinschaftlich getragen wird, diese Verbindung zwischen
Flucht, Vertreibung und Versöhnung herstellt. Das Wichtigste aber ist Versöhnung.
Ich darf an dieser Stelle noch eine Bemerkung und
eine Bitte an den Innenminister richten. Herr Friedrich,
Sie haben das sehr nüchtern und respektvoll vorgetragen
und müssen doch auch zu der von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Idee stehen, am 20. Juni an Vertreibung und Flüchtlingselend zu erinnern. Deshalb ist es
nicht so gut, wenn in Bayern noch versucht wird, statt
des 20. Juni wieder etwas Eigenes zu finden. Gerade
auch, weil Sie der Innenminister für das ganze Deutschland sind, dürfen wir nicht in die Verschiedenheit der ErDr. Ernst Dieter Rossmann
innerung verfallen. Ich spreche Sie direkt an, weil Sie in
beiden Bereichen politische Verantwortung mittragen.
Zum Schluss möchte ich - vielleicht ist das ungewöhnlich, aber ich sollte ja, wie Kollege Veit gesagt
hatte, etwas zu dem wissenschaftlichen und kulturellen
Hintergrund von Erinnerungsarbeit sagen - aus der Monografie des Historikers und Osteuropa-Vertreibungsforschers Andreas Kossert „Masuren. Ostpreußens vergessener Süden“ zitieren. Er schreibt im letzten Absatz
dieser profunden wissenschaftlichen Erinnerung - ich
darf zitieren, Herr Präsident -:
Das alte Masuren wird nicht wiedererstehen, aber
es scheint, als widerfahre den Masuren - nach einem Jahrhundert politischer Vereinnahmung - nun
erstmals historische Gerechtigkeit. Auch wenn es
die Masuren nicht mehr gibt: Endlich wird ihre
schwierige Lage zwischen Deutschen und Polen gewürdigt, endlich zollt man ihnen den Respekt, den
deutscher und polnischer Nationalismus ihnen stets
verwehrt haben.
Das ist der entscheidende Punkt: Respekt und Versöhnung für Vielfalt und Verschiedenheit. Geert Mak, der
große niederländische Publizist,
Herr Kollege.
- hat es so ausgedrückt: Im letzten Jahrhundert war
das erste halbe Jahrhundert das der Kriege und das
zweite halbe Jahrhundert das der Überwindung der
Kriegsfolgen. Er hat uns aufgegeben, das nächste Jahrhundert zu einem Jahrhundert der Versöhnung zu machen.
Wenn Respekt vor 60 Jahren Bundesvertriebenengesetz darin mündet, dass wir den Dialog über emotionale
Verschiedenheit hinweg zu Versöhnung führen können,
dann hat dieser Erinnerungstag auch im Parlament etwas
Gutes erbracht.
Danke schön.
({0})
Das Wort erhält nun Erika Steinbach für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Wortbeiträge haben eines deutlich gemacht: Es
gibt auch im Deutschen Bundestag viele Betroffene, die
zu denen gehören, deren Familien vertrieben worden
sind. Volker Kauder hat es sehr engagiert und emotional
geschildert. Es ist Tatsache, dass ein Viertel der deutschen Bevölkerung Vertriebene sind oder einen familiären Bezug zu dem Thema Vertreibung haben. Das macht
auch deutlich, welch gigantischer Vorgang das seinerzeit
gewesen ist und welche Aufgaben damit vor diesem
Lande gestanden haben.
Das Bundesvertriebenengesetz - es lohnt sich, dass
wir nach 60 Jahren daran erinnern - hatte den Sinn, den
Vertriebenen aus den östlichen Bereichen Europas, die
deutsch besiedelt waren, einen angemessenen Platz in
dieser Gesellschaft zu verschaffen. Es ging um die Versorgung mit den elementarsten Dingen. Es herrschte
wirklich bittere Not. Eben wurde Schleswig-Holstein angesprochen. Meine Mutter hat bis zu ihrem Lebensende
nie vergessen - wir sind über die Ostsee in SchleswigHolstein angespült worden -,
({0})
dass ihr, als sie etwas Milch für uns Kleinstkinder
brauchte, ein Bauer sagte: Ihr seid ja schlimmer als Kakerlaken. - Auf der anderen Seite sagte ihr ein Arzt, als
sie schwer verunglückte und ihm sagte: „Ich habe kein
Geld; ich kann das nicht bezahlen“: „Machen Sie sich
keine Gedanken! Das hole ich mir von den Bauern in
Schleswig-Holstein wieder.“
Es gab also so etwas und so etwas. Es gibt viele Geschichten und viele Schicksale, an die man erinnern
kann. Aber wichtig ist, dass wir gemeinsam diese
Extremsituation in Deutschland überwinden konnten.
Die Integration der vielen Heimatlosen war und ist eines
der Ziele dieses Gesetzes.
Das sind die ideellen Grundgedanken, die den Vertriebenen nicht mit bloßer Caritas, sondern in Solidarität
und Gleichberechtigung entgegengebracht werden sollten. Das unsichtbare Fluchtgepäck der Vertriebenen, wie
es die sudetendeutsche Dichterin Gertrud Fussenegger
nannte, ihr technisches Know-how, das handwerkliche
Können und die 700-jährige oder 800-jährige kulturelle
Erfahrung im Neben- und Miteinander mit den slawischen, magyarischen, baltischen oder rumänischen
Nachbarn: All das hat Deutschland nachhaltig geprägt.
Diese Erfahrungen, so wie sie sich hier in Deutschland
zusammengefunden haben, gibt es in dieser Verdichtung
in keinem anderen europäischen Land.
Aber es war auch das kulturelle Fluchtgepäck, das
mitgebracht wurde. Das war nichts, was sofort sichtbar
gewesen wäre, sondern es war etwas, was im Kopf und
im Herzen aus der Heimat hierher mitgetragen wurde. Es
war natürlich hörbar in den regionalen Mundarten, in
den Klangfarben. Das hat den Menschen die Integration
nicht unbedingt leichter gemacht. Wer in Bayern einen
ostpreußischen Dialekt hatte, für den war es bestimmt
nicht ganz einfach, kann ich mir vorstellen.
Das Gesetz machte und macht deutlich, dass das Kulturgut der Vertriebenen eine gesamtdeutsche Aufgabe
ist, ein unverzichtbarer Teil unserer deutschen Identität.
Man muss einfach einmal rekapitulieren: Das Erbe der
Karls-Universität in Prag hat unser Volk genauso geprägt
wie das der Universitäten Königsberg, Breslau, Dorpat,
Czernowitz einerseits oder Heidelberg, Tübingen, Mar31280
burg, München, Leipzig, Berlin andererseits. Das gehört
alles zusammen. Wenn man das ignorieren würde, hieße
das, geistige Wurzeln zu kappen. So war es schon sehr
weise, dass Bund und Länder der jungen Bundesrepublik
Deutschland mit diesem Gesetz die Verantwortung für
das gesamte kulturelle Erbe der Vertreibungsregionen
unabhängig von Grenzen und von staatlicher Zugehörigkeit hervorgehoben haben.
Dieser gesetzliche Auftrag ist geboren aus der Erkenntnis, dass es ein einheitliches, ein gemeinsames kulturelles Fundament gibt. Das müssen wir auch erkennen:
Die schönsten Seiten unseres Vaterlandes liegen doch in
unserem kulturellen Reichtum mit vielen unterschiedlichen Facetten und dem schöpferischen Geist, aus vielen
Jahrhunderten erwachsen und herausgebildet über Musik, Literatur, Philosophie, Baukunst und Malerei. All
das prägt uns, ist ein Teil von uns allen.
Vieles, was in den 1950er-Jahren sozial noch dringend und drängend gewesen ist, ist es gottlob heute nicht
mehr dank der Gemeinschaftsleistung, die die Vertriebenen, die Aussiedler und die Einheimischen gemeinsam
erbracht haben. Diese großartige Gemeinschaftsleistung
war und ist nahezu ein Wunder. Der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser hat die Integration der
Vertriebenen und der Flüchtlinge als die größte sozialund wirtschaftspolitische Aufgabe bezeichnet, die von
der jungen Bundesrepublik gemeistert worden sei. Dem
kann jeder zustimmen.
Diese Herkulesaufgabe konnte aus zwei Gründen gelingen.
Der erste Grund: Die Vertriebenen haben keine Rachegedanken kultiviert, sondern immer und immer wieder manifestiert, dass sie Verständigung wollen. Ich erinnere daran, dass der Bund der Vertriebenen mit seiner
Ausstellung „Erzwungene Wege“ die erste Institution in
Deutschland war, die im Kronprinzenpalais in Berlin an
das Schicksal der vertriebenen Polen und anderer Vertriebener in Europa erinnert hat. Dieser Verband war der
Vorreiter, als es darum ging, Anteil daran zu nehmen,
was anderen widerfahren ist, beginnend bei dem Genozid an den Armeniern.
({1})
Die Vertriebenen wollten immer Verständigung,
schon allein deshalb, weil damit ihre Heimat verbunden
war. Der Satz „Wir werden durch harte, unermüdliche
Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und
Europas“ war die Voraussetzung, dass auch die Integration gelingen konnte.
Der zweite Grund: Die Parteien der Bundesrepublik
Deutschland unterstützten die ersten zwei Jahrzehnte
praktisch einmütig die Anliegen der Vertriebenen und
waren sich ihrer Verantwortung sehr bewusst.
Frau Steinbach, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme gleich zum Schluss. - Es gab damals heftige Debatten bis zur Verabschiedung des Gesetzes, und
es wurde fast um jeden Paragrafen gerungen. Am Ende
stimmten alle zu. Wer nicht zugestimmt hat, das war die
Kommunistische Partei, die damals im Deutschen Bundestag gesessen hat.
({0})
Ihre Töne hier stehen in Kontinuität zu dem damaligen
Verhalten.
({1})
Ein Gedenktag zum Schicksal von Flucht und Vertreibung: Es hängt nicht am 5. August. Der 20. Juni ist genauso ein guter Tag; Hauptsache, dieser Gedenktag
kommt.
Danke.
({2})
Memet Kilic ist der nächste Redner für die Fraktion
der Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem 60. Jahrestag des Bundesvertriebenengesetzes gedenken wir des Leides von
14 Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren hatten.
Sie sind letztendlich zum Spätopfer von dem geworden,
was die Nazis angerichtet haben. Der 60. Jahrestag ist
nicht nur ein Grund zum Gedenken oder dafür, die Errungenschaften des Bundesvertriebenengesetzes zu feiern, sondern auch der richtige Zeitpunkt dafür, die rechtliche Grundlage zeitgemäß anzupassen.
Dieses Gesetz privilegiert Vertriebene mit deutscher
Abstammung im Vergleich zu anderen Einwanderern.
Beispielsweise werden Spätaussiedler aus Russland gegenüber anderen russischen Staatsbürgern bei der Einbürgerung und Anerkennung von Qualifikationen privilegiert, obwohl die Herkunft und Qualifikation exakt
dieselbe ist. Unter anderem wird auch bei der Einwanderung und der Rente zwischen diesen Gruppen unterschieden - und das allein wegen der Vorfahren. So eine
Unterscheidung ist nicht mehr zeitgemäß, meine Damen
und Herren.
({0})
Die Bundesregierung möchte den Nachzug von Familienangehörigen von Spätaussiedlern vereinfachen. Dazu
möchte die Bundesregierung eine Härtefallregelung einführen. Dieses Anliegen unterstützen wir.
Bereits im Jahr 2011 haben wir Grünen einen Änderungsantrag zu den geforderten Deutschkenntnissen eingebracht. Wir sind aber einen Schritt weiter gegangen als
die Bundesregierung. Wir haben gefordert, dass generell
keine Deutschkenntnisse mehr für den Nachzug gefordert werden.
({1})
Statt aber unserem Antrag zuzustimmen, haben Sie zwei
Jahre lang sozusagen auf dem Leid der Menschen gesessen und gewartet, damit Sie drei Monate vor der Bundestagswahl den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern
eine Aktion vorgaukeln können. Aber diese Menschen
haben die Nase voll von Ihren leeren Worthülsen, liebe
Koalitionsparteien!
({2})
Im Petitionsausschuss erreichen uns viele Petitionen,
in denen Familien ihr schweres Leid durch ungewollte
Trennungen vortragen. In vielen Fällen wird der Familiennachzug verwehrt, weil es an den erforderlichen
Deutschkenntnissen mangelt. Insbesondere älteren Menschen, Personen mit wenig Bildungserfahrung und Menschen aus strukturschwachen ländlichen Gebieten fällt
der Spracherwerb im Ausland oft sehr schwer. Diese Petitionen betreffen Spätaussiedler, aber nicht nur Spätaussiedler, sondern zum Beispiel auch die brasilianische
Ehefrau eines Deutschen. Die Menschen beklagen die
Härten einer jahrelangen Trennung, die das deutsche
Einwanderungsrecht ihnen zumutet.
Die Zeit ist gekommen, grundsätzlich zu prüfen, ob
so ein Gesetz mit dem Aufenthaltsgesetz verschmolzen
werden sollte. Solange diese Verschmelzung noch nicht
durchgeführt ist, müssen wir dafür sorgen, dass dieses
Gesetz zeitgemäß angepasst wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Brähmig für
die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Während der Bundestag heute über ein Gesetz debattiert, das vor 60 Jahren in Kraft getreten ist, kämpft
Deutschland weiter gegen das Hochwasser an. Wir verlieren dabei den Blick für die aktuellen Nöte der Menschen nicht aus den Augen. So bekräftigte Bundespräsident Gauck bei seinem kürzlichen Besuch in der schwer
geschädigten Stadt Halle, dass Deutschland ein solidarisches Land sei. Es ist dieser Zusammenhalt, der besonders uns Deutsche auszeichnet, und das ist ein Kernpunkt der jetzigen Debatte.
Meine Damen und Herren, gerade in diesen Zeiten
gilt es, an die Solidarität zu erinnern, mit der wir bereits
andere nationale Katastrophen bewältigt haben. Dafür
stehen die herausragenden Beispiele des Bundesvertriebenengesetzes von 1953 und des ihm vorausgegangenen
Lastenausgleichsgesetzes von 1952. Die vorbildliche
Leistung der Vertriebenen beim Wiederaufbau unseres
Landes möchte ich hierbei ausdrücklich würdigen. Es ist
eine einzigartige Erfolgsgeschichte.
Die Kriegsfolgenbewältigung war für den Deutschen
Bundestag und sämtliche Bundesregierungen stets ein
zentrales Anliegen, zu der vorrangig die Versöhnung und
Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus gehören. Dazu zählt auch die Solidarität mit
den Deutschen, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit ein
besonders schweres Schicksal erlitten haben. Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion ist die einzige Fraktion, die
seit 1949 eine soziologische Gruppe eingerichtet hat, die
sich in der 17. Legislaturperiode neu aufgestellt hat. Die
Gruppe konnte ihre Mitgliederzahl verdoppeln und umfasst nunmehr 70 Abgeordnete. Wir erkennen damit
nach wie vor das Kriegsfolgenschicksal an, aus dem sich
eine Einheit aus Vertriebenen, Aussiedlern und deutschen Minderheiten ergibt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere
Gruppe ist maßgeblich daran beteiligt, dass die Solidarität durch Hilfen bei der Eingliederung der 12 Millionen
Flüchtlinge und Heimatvertriebenen sowie der Aufnahme und Integration von bisher etwa 4,5 Millionen
Aussiedlern eingelöst wurde und wird.
Dass wir weiterhin zu der historisch-moralischen Verpflichtung nach Art. 116 Grundgesetz stehen, hat unsere
Koalition mit der neunten und zehnten Novellierung des
Bundesvertriebenengesetzes eindeutig unter Beweis gestellt. Beide Initiativen dienen der Vermeidung von Härtefällen bei der Familienzusammenführung von Spätaussiedlern. Hier hat sich das Amt des Beauftragten der
Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale
Minderheiten bewährt. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Christoph Bergner und unserem
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ganz herzlich
für die intensive Kooperation.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koalition hat in dieser Legislaturperiode auch bei der Kulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes
nachhaltig in den Erhalt und die Pflege des deutschen
Kulturerbes im östlichen Europa investiert. Der aktuelle
Bericht der Bundesregierung belegt dies faktenreich. Zudem hat der Wissenschaftsrat in einer Strukturuntersuchung im Januar 2013 festgestellt, dass die außeruniversitäre historische Osteuropaforschung, zu der die sogenannten 96er-Einrichtungen gehören, weltweit einzigartig ist und international hohes Ansehen genießt.
Es ist das große Verdienst von Staatsminister Bernd
Neumann, der übrigens aus Westpreußen stammt, dass
der Mitteleinsatz von knapp 13 Millionen Euro im Jahr
2005 auf jetzt 20 Millionen Euro angehoben wurde und
damit fast das Niveau von 23 Millionen Euro der letzten
christlich-liberalen Regierung im Jahr 1998 erreicht.
Erstmals hat unsere Gruppe alle nach § 96 geförderten Einrichtungen besucht und teilweise Modernisierungsbedarf festgestellt. Dies wird die Aufgabe der
kommenden Legislaturperiode sein. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass ein Sudetendeutsches
Museum in München entsteht, und wir werden uns außerdem dafür einsetzen, dass ein Museum für die Geschichte der Russlanddeutschen errichtet wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das zentrale
Gedenkvorhaben der Bundesregierung in diesem Bereich - die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist jetzt auf einem guten Weg. Die Bundeskanzlerin hat
vorgestern mit dem Startsignal für den Baubeginn im
Deutschlandhaus einen weiteren Meilenstein zur Verwirklichung des Dokumentationszentrums gesetzt. Damit unterstreicht die Bundesregierung ihre besondere
Verantwortung für dieses wichtige Versöhnungsprojekt,
das der Initiative von Erika Steinbach und Peter Glotz zu
verdanken ist und welches von unserer Gruppe parlamentarisch begleitet wird.
Die öffentliche Reaktion auf den Baubeginn der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat erfreulicherweise gezeigt, dass wir in dem Erinnerungsdiskurs weitergekommen sind. So resümiert die Frankfurter Rundschau - ich zitiere -:
Es gibt wohl nur noch wenige, die die Relevanz einer Einrichtung bestreiten, die an die verheerenden
Vertreibungen vor, während und nach dem Zweiten
Weltkrieg erinnern soll. Im Kontext einer internationalen Genozidforschung wird inzwischen auch
dem Leid der deutschen Vertreibungsopfer Rechnung getragen, obwohl es ja gerade die Deutschen
waren, die den mörderischen Vertreibungswahn
auslösten und forcierten.
Meine Damen und Herren, es ist ebenso an der Zeit,
endlich die Versöhnung der Deutschen beim Thema
Flucht und Vertreibung mit sich selbst zu vollenden und
der Erlebnisgeneration noch eine Chance zu geben, ihren
Frieden schließen zu können. Daher sprechen wir uns
neben der rechtlichen auch für eine gesellschaftliche Anerkennung des Schicksals der Heimatvertriebenen aus,
getragen von einer breiten Zustimmung im Deutschen
Bundestag. Wir wollen außerdem, dass Vertreibung
weltweit geächtet wird.
({1})
Der bestehende Flüchtlingstag am 20. Juni soll daher
um das Gedenken an Heimatvertriebene erweitert und
auf nationaler Ebene begangen werden.
Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der
Grünen erinnere ich an ihre Äußerung zum Weltflüchtlingstag im Rahmen der Debatte im Jahr 2011 zu unserem Antrag „60 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen“. Den Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion lege ich die Erklärung des Abgeordneten
Richard Reitzner zur Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes ans Herz, der sagte, dass die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Bundesvertriebenengesetz trotz Bedenken zustimme. Ich möchte aus dem
Plenarprotokoll vom 25. März 1953 zitieren. Richard
Reitzner sagte damals:
Bei ihrer Mitarbeit in den Ausschüssen und in der
zweiten und dritten Lesung ist die sozialdemokratische Bundestagsfraktion von der Absicht geleitet
gewesen, die Rechte der Heimatvertriebenen und
Sowjetzonenflüchtlinge konsequent wahrzunehmen.
Zum Abschluss möchte ich noch herzlich meinen
Kollegen Günter Krings, Hans-Peter Uhl, Patrick Kurth
und besonders Herrn Staatsminister Michael Link für die
vertrauensvolle Zusammenarbeit danken.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Stephan Mayer,
ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir begehen heute das
60-jährige Bestehen des Bundesvertriebenengesetzes.
Ich glaube, man kann wirklich mit Fug und Recht behaupten: Das Bundesvertriebenengesetz war ein solides
und wesentliches Fundament für die erfolgreiche Integration von 8 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die in der damaligen Bundesrepublik Deutschland angekommen sind.
Die Voraussetzungen - das möchte auch ich noch einmal erwähnen - waren denkbar ungünstig. Es war in keiner Weise so, dass die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge willkommen waren. Ich weiß das auch von den
Schilderungen meiner Großeltern, die aus dem Sudetenland stammten. Die Heimatvertriebenen kamen in ein
Land, das materiell, ideell und moralisch am Boden lag.
Gerade die Bevölkerung in Bayern hungerte. Da war es
alles andere als angenehm, dass zusätzlich 3 Millionen
Heimatvertriebene kamen, die Arbeit, neue Chancen und
Perspektiven suchten und natürlich auch essen wollten.
1949 wollten 85 Prozent der Heimatvertriebenen wieder in die alte Heimat zurück. Selbst 17 Jahre nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1962, wollten
52 Prozent der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in
die alte Heimat zurück. Es war noch Mitte der 50erJahre ein Drittel aller Heimatvertriebenen arbeitslos.
600 000 Heimatvertriebene waren Fürsorgeempfänger.
Man kann daher wirklich mit Fug und Recht behaupten:
Es ist eine Erfolgsgeschichte Deutschlands, dass die Integration von 8 Millionen Heimatvertriebenen in Westdeutschland erfolgreich funktioniert hat.
({0})
Auf diese Erfolgsgeschichte können alle stolz sein,
unabhängig davon, ob sie selbst einen Vertriebenenhintergrund haben oder nicht. Denn der Plan Stalins war
doch ein ganz anderer: Der perfide Plan Stalins war es,
dass die Heimatvertriebenen als Spaltpilz in der deutStephan Mayer ({1})
schen Gesellschaft wirken sollten. Ziel der Sowjetunion
war, dass die Heimatvertriebenen dazu beitragen sollten,
dass Westdeutschland kollabiert. Dass genau das Gegenteil eingetreten ist, dass die Heimatvertriebenen angepackt und entscheidend dazu beigetragen haben,
Deutschland wieder aufzubauen und unser Wirtschaftswunder zu ermöglichen, ist etwas, worauf alle stolz sein
können. Das ist ein herausragendes Kapitel unserer
Nachkriegsgeschichte.
({2})
Bedauerlicherweise war das Schicksal der 4 Millionen Heimatvertriebenen, die in die ehemalige DDR kamen, ein anderes. Deren Schicksal wurde unterminiert.
Sie wurden euphemistisch als Umsiedler oder Neubürger
bezeichnet. Jegliche Erinnerungs- und Trauerarbeit
wurde vermieden und ausgeblendet. Das, verehrte Kollegin Jelpke, ist unsäglich. Auch daran sollte man heute erinnern.
({3})
Der Bund hat durch die Mittel nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes maßgeblich dazu beigetragen, dass
die Pflege des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen
weiterhin ermöglicht wurde. Ich möchte an dieser Stelle
insbesondere allen Landsmannschaften und den Heimatgruppen für das, was sie in den vergangenen sechs Jahrzehnten geleistet haben, danken. Es ist eine herausragende Arbeit, die wirklich große Anerkennung und
höchsten Respekt verdient. Es war eine lebendige Kulturarbeit, die dazu beitrug, dass die Vertriebenenarbeit
nicht musealisiert wurde. Landesmuseen sind wichtig;
keine Frage. Sie sind eine wichtige Säule. Aber daneben
bedarf es auch einer lebendigen und aktiven Kulturarbeit
sowie einer aktiven Pflege des Brauchtums und der Traditionen. Dies wurde insbesondere durch die Vergabe
von Mitteln gemäß § 96 BVFG möglich.
Man muss an der Stelle auch erwähnen, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass sich ab 1998,
als Rot-Grün das Ruder übernahm, ein deutlicher Einbruch bei den sogenannten 96er-Mitteln vollzogen hat.
Der Titel der 96er-Mittel diente der rot-grünen Koalition
als Steinbruch und ist in den sieben Jahren rot-grüner
Regierungsverantwortung um sage und schreibe 45 Prozent gesenkt worden, von gut 23 Millionen Euro auf
knapp 13 Millionen Euro.
({4})
Umso erfreulicher ist es, dass es seit 2005 gelungen ist,
die 96er-Mittel sukzessive zu erhöhen. Sie betragen jetzt
20 Millionen Euro. Ich glaube, das kann sich sehen lassen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Es ist auch erfreulich, dass der lange und beschwerliche Weg zum Bau des Dokumentationszentrums der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung jetzt erfolgreich abgeschlossen wurde. Ich darf hier sagen: Alle Bemühungen und alle Anstrengungen, so schwer und umfangreich sie auch waren, haben sich letzten Endes
gelohnt. Es ist schön, dass der offizielle Baubeginn am
Dienstag in Anwesenheit unserer Bundeskanzlerin zelebriert werden konnte. Ich glaube, es ist ein schönes
Signal, dass wir mit dem Dokumentations- und Begegnungszentrum in der Mitte Berlins eine Lücke der deutschen Erinnerungskultur schließen.
({6})
Ich verbinde mit der Grundsteinlegung und dem offiziellen Baubeginn die Hoffnung, dass dieses Zentrum als
Begegnungsstätte für die junge Generation dienen wird;
denn ich bin der festen Überzeugung, dass insbesondere
die Heimatvertriebenen und deren Nachkommen als
Brückenbauer fungieren können: Sie können Brücken
nach Osteuropa bauen und zu einer Verständigung mit
den jungen Menschen in den osteuropäischen Ländern
beitragen.
Ich möchte betonen, dass der Gedanke, dass das eine
Unrecht das andere Unrecht nicht rechtfertigt, wesentlicher
Bestandteil der Ausstellung im Begegnungszentrum sein
wird. Natürlich gab es schwerwiegende Naziverbrechen.
Aber auch ich möchte, weil es in der heutigen Debatte in
manchen Reden leider mit dem falschen Zungenschlag
begleitet wurde, betonen: Das eine Unrecht rechtfertigt
nicht das andere Unrecht.
({7})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich hervorheben, dass es uns gelungen ist, eine zehnte Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes voranzubringen. Wir schließen mit der
Verbesserung einer Härtefallregelung eine Lücke und ermöglichen damit, dass verbliebene Angehörige von
Spätaussiedlern jetzt ebenfalls nach Deutschland reisen
können. Da geht es nicht um 20- oder 30-Jährige, sondern um hochbetagte Menschen, die häufig krank oder
behindert sind und aufgrund dessen nicht Deutsch lernen
oder sprechen können. Wir sind zur Auffassung gelangt,
dass ihnen dies nicht zum Nachteil gereichen darf. Ich
möchte mich bei der FDP ganz herzlich dafür bedanken,
dass es jetzt noch möglich war, diese Änderung zu vollziehen. Wir setzen damit ein schönes Signal in Richtung
der Spätaussiedler und Aussiedler.
Herr Kollege.
Jetzt gibt es die Möglichkeit für noch ausstehende Familienzusammenführungen. Ein herzliches Dankeschön
dafür.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Thomas Strobl hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Tagen, am Dienstag, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatsminister Bernd Neumann
den Beginn des Baus des Dokumentationszentrums der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Berliner
Deutschlandhaus an der Stresemannstraße eingeläutet.
Dieser Baubeginn ist im Hinblick auf die Erinnerungskultur in Deutschland ein bedeutendes Ereignis. Ich
möchte unserem Koalitionspartner und allen, die mitgewirkt haben und über viele Jahre und Debatten hinweg
einen langen Atem hatten, Danke schön sagen. Ich
möchte dem verstorbenen Sozialdemokraten Peter Glotz
und unserer Kollegin Erika Steinbach Dank sagen dafür,
dass wir den Baubeginn in dieser Woche vornehmen
konnten.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes vor 60 Jahren haben sich Bund und Länder verpflichtet, Kultur und
Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nicht
dem Vergessen preiszugeben. Jede Bundesregierung hat
sich dieser Aufgabe verpflichtet gefühlt. Diese Bundesregierung hat den Auftrag sehr ernst genommen und ihn
mit großer Überzeugung und Leidenschaft angenommen.
Seit der Übernahme der Regierung 2005 haben wir
die finanziellen Mittel für Pflege und Erhalt des Kulturguts Jahr für Jahr maßvoll erhöht. Der Etat des Kulturstaatsministers Neumann betrug 2006 13 Millionen Euro,
in diesem Jahr stehen mehr als 20 Millionen Euro zur
Verfügung, und das trotz aller Sparmaßnahmen und trotz
der Haushaltskonsolidierung. Das ist das Markenzeichen
dieser Regierung: auf der einen Seite Haushaltskonsolidierung und finanzielle Solidität und auf der anderen
Seite klare Schwerpunktsetzung dort, wo es uns wichtig
ist. Das haben wir in den letzten Jahren so gemacht, und
das wird eine unionsgeführte Bundesregierung in den
nächsten Jahren fortsetzen.
({1})
Für die Pflege und den Erhalt unseres kulturellen Erbes ist besonders das Angebot an junge Menschen wichtig. Jeder vierte Deutsche hat Wurzeln in den ehemaligen
deutschen Gebieten oder Siedlungsräumen, und die
nachfolgenden Generationen interessieren sich für das
Leben ihrer Vorfahren. Unsere Schwerpunktsetzung
spiegelt deshalb den Wunsch wider, Antworten gerade
auf die Fragen der jungen Generation zu geben.
Wir betreiben deshalb wissenschaftliche Nachwuchsförderung. Wir sind stolz darauf, den Wissensdurst der
Nachwuchswissenschaftler durch Stiftungs- und Juniorprofessuren, Projektförderprogramme und internationalen Austausch anfachen zu können. Die Resonanz auf
diese Angebote ist überwältigend. Die Anzahl hochwertiger Projektanträge übersteigt die Fördermöglichkeiten
bei weitem.
All das Wissen wäre aber fruchtlos, wenn es nicht
vermittelt werden würde. Deshalb stellt die Weitergabe
von gewonnenem Wissen den zweiten Förderschwerpunkt des § 96 BVFG dar. Die späteren Lehrer, Museologen, Theatermacher, Journalisten und Politikberater
sollen an den Universitäten mehr über das Kulturgut der
Deutschen im östlichen Europa erfahren, damit sie dieses Wissen weitertragen können.
Kultur und Geschichte der deutschen Minderheiten,
genauso wie Flucht und Vertreibung, werden in den
Schulen leider nur untergeordnet behandelt. Umso positiver ist die Nachricht, dass sich die Geschichtsmuseen
bei der jüngeren Generation einer wachsenden Beliebtheit erfreuen. Diesseits wie jenseits der heutigen Staatsgrenzen wächst gerade bei jungen Menschen das Interesse an der gemeinsamen europäischen Geschichte. Die
Modernisierung von Museen in Deutschland, aber auch
in den Herkunftsländern treiben wir deswegen mit Engagement voran.
Es gibt einen dritten Schwerpunkt. Wir unterstützen
mit unseren Mitteln auch in unseren Nachbarländern den
Erhalt deutschen Kulturguts; denn dort wächst ebenfalls
das Interesse am Erbe der deutschen Minderheiten, die
ihre Lebensräume nicht selten nachhaltig geprägt haben.
Mit der Restaurierung von Kulturdenkmälern oder der
Sicherung von Bibliotheken und Archiven stärken wir
darüber hinaus die Identität der heute noch dort lebenden
deutschen Minderheiten.
Wir als Union haben uns lange einen eigenen Gedenktag für die Vertreibung von 14 Millionen Deutschen
gewünscht. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Versöhnung in Deutschland inzwischen so weit fortgeschritten ist, dass dem Schicksal von 14 Millionen Deutschen,
das sich als Folge des Zweiten Weltkrieges ergab, frei
von revisionistischen Gedanken gedacht werden kann.
Gleichzeitig sind wir uns unserer historischen Verantwortung bewusst. Wir wissen, etwa durch die Berichte
aus Syrien, dass solches Leid auch heute Millionen von
Menschen heimsucht.
Nicht alle unsere Wünsche sind in Erfüllung gegangen, aber es ist richtig, jetzt im Rahmen des internationalen Weltflüchtlingstages das Gedenken an die deutschen
Heimatvertriebenen zu begehen. Wir hoffen, dass sich
der Deutsche Bundestag mit einer breiten Mehrheit für
das Gedenken an die Vertreibung der Deutschen ausspricht. Das wäre neben dem Baubeginn des Dokumentationszentrums in dieser Woche ein schönes, parteiübergreifendes Geburtstagsgeschenk anlässlich 60 Jahre
Bundesvertriebenengesetz.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksa-
che 17/13883 mit dem Titel „60 Jahre Bundesvertriebe-
nengesetz - Erinnern an die Opfer von Vertreibung“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag angenommen
bei Zustimmung durch die CDU/CSU-Fraktion und die
FDP-Fraktion. Dagegen war die Fraktion Die Linke.
Enthalten haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
des Bundesrates zur Änderung des Bundesvertriebenen-
gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/13937, den Ge-
setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/10511 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen. Die Fraktion Die Linke hat sich
enthalten. Dagegen hat niemand gestimmt. Alle übrigen
Fraktionen haben zugestimmt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13777 an die Ausschüsse vorgeschla-
gen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind
Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 o sowie
Zusatzpunkt 2 auf:
8 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bärbel
Höhn, Dr. Hermann E. Ott, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes ({0})
- Drucksache 17/13757 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})-
Finanzausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Graf ({2}), Wolfgang Gunkel,
Ullrich Meßmer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Klimawandel gefährdet Menschenrechte
- Drucksache 17/13755 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3})-
Innenausschuss -
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -
Ausschuss für Gesundheit -
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit -
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung -
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Dr. Hermann E. Ott, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Emissionshandel stärken - Überschüssige Zer-
tifikate vom Markt nehmen
- Drucksache 17/13907 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Hermann E.
Ott, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erfolgreicher Klimaschutz braucht neue Maß-
nahmen
- Drucksache 17/13758 -
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe,
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in
Entwicklungsländern
- Drucksache 17/13884 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton
Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorle-
gen
- Drucksachen 17/4040, 17/7010 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Daniela Ludwig
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Ulrich Kelber, Dirk Becker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bangladesch bei der Bewältigung des Klima-
wandels unterstützen
- Drucksache 17/12848 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich
Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimakonferenz Doha - Kein internationaler
Erfolg ohne nationale Vorreiter
- Drucksachen 17/11651, 17/12743 31286
Abgeordnete Andreas Jung ({0})-
Frank Schwabe-
Michael Kauch-
i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Waltraud Wolff
({2}), Dr. Wilhelm Priesmeier, Dirk
Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Herausforderung Klimawandel - Landwirtschaft 2050
- Drucksachen 17/1575, 17/4888 Buchstabe a Berichterstattung:Abgeordnete Johannes RöringWaltraud Wolff ({3})-
Dr. Edmund Peter Geisen-
Dr. Kirsten Tackmann-
j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({4}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dirk Becker, Ulrich Kelber,
Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Biomethan im Verkehrssektor fördern
- Drucksachen 17/3651, 17/8414 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Daniela Ludwig
k) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich
Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Ein nationales Klimaschutzgesetz - Verbindlichkeit stärken, Verlässlichkeit schaffen, der
Vorreiterrolle gerecht werden
- Drucksachen 17/3172, 17/13850 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({6})-
Dirk Becker-
Michael Kauch-
Eva Bulling-Schröter-
l) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({7}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk
Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Nach Cancún - Europäische Union muss ihr
Klimaschutzziel anheben
- Drucksachen 17/5231, 17/13824 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({8})-
Dirk Becker-
Michael Kauch-
Eva Bulling-Schröter-
m) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({9}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton
Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Mit ambitionierten Verbrauchsgrenzwerten
die Ölabhängigkeit verringern
- Drucksachen 17/10108, 17/11846 -
Berichterstattung:-
Abgeordneter Oliver Luksic
n) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({10})
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Hermann E. Ott, Kerstin Müller ({11}),
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Initiative für transatlantische Kooperation in der Klima- und Energiepolitik
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Hermann E. Ott, Viola von CramonTaubadel, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
China als wichtiger Partner im Klimaschutz
- Drucksachen 17/7356, 17/7481, 17/13930 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({12})-
Dirk Becker-
Michael Kauch-
Eva Bulling-Schröter-
o) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({13}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela
Wagner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Energetische Quartierssanierung sozialgerecht voranbringen
- Drucksachen 17/11205, 17/13827 Berichterstattung:Abgeordnete Petra Müller ({14})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({15}) zu
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Grünlanderhalt ist Klimaschutz
- Drucksachen 17/11028, 17/13148 Berichterstattung:Abgeordnete Johannes RöringDr. Wilhelm PriesmeierDr. Christel Happach-KasanAlexander SüßmairCornelia Behm
Verabredet ist, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann
verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Renate
Künast für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir legen heute den Entwurf eines umfassenden Klimaschutzgesetzes für Deutschland vor. Ich muss sagen: Wir haben
nicht geahnt, wie dramatisch aktuell dieser Gesetzentwurf heute sein würde. Ich sage das, weil ich heute früh
im Radio gehört habe, dass zum Beispiel in Sachsen-Anhalt Dörfer evakuiert wurden, dass Familien, die gerade
noch das Essen für Helferinnen und Helfer in der Nähe
vorbereiteten, urplötzlich schnell eine Tasche packen
mussten, weil sie weg mussten.
Sonst erscheint Klimaschutz immer abstrakt. Man redet über das 2-Grad-Ziel oder die Reduktion des CO2Ausstoßes um 95 Prozent bis zum Jahr 2050. Das sind
alles abstrakte Zahlen. Aber am Ende und gerade jetzt ist
ganz entscheidend, ob das Haus noch steht, ob der Acker
noch fruchtbar ist, ob das Unternehmen noch funktionsfähig ist. Viele Menschen an der Donau, an der Elbe und
an anderen Flüssen erleben jetzt, was es heißt, wenn die
Natur nicht mehr beherrschbar ist, wenn zerstört wird,
was man sich erarbeitet hat.
Jetzt will ich gar nicht behaupten, dass jede Flut Folge
des Klimawandels ist; aber die Häufung der Wetterextreme, die Häufung von Dürren und Hochwasser, die
Tatsache, dass wir an der Elbe 2002, 2011 und 2013
Jahrhunderthochwasser hatten bzw. haben, das alles ist
die Folge des Klimawandels, der Klimaerwärmung; das
ist menschengemacht.
({0})
Wir alle sind von der Flut betroffen, und wir alle wollen mit aller Kraft beim Wiederaufbau helfen; das sage
ich ganz klar. Deshalb erwarte ich, dass die Kanzlerin
beim Treffen mit den Ministerpräsidenten heute Nachmittag nicht nur einen abstrakten Vorschlag für einen
Fluthilfefonds vorlegt. Ich erwarte, dass bei dem heutigen Treffen ein konkreter Vorschlag vorgelegt wird
({1})
hinsichtlich der hälftigen Aufteilung der Kosten von
8 Milliarden Euro zwischen Bund und Ländern. Ich erwarte aber auch - das sind Sie bisher schuldig geblieben -,
dass ein konkreter Plan vorgelegt wird, wie der Bund
seinen Anteil aus dem Haushalt finanzieren will und wie
der Bund den Ländern helfen will, damit sie ihren Teil
unter Beachtung der Schuldenbremse finanzieren können.
({2})
Ich sage Ihnen: Kommen Sie uns bitte heute nicht mit
einer Vertagung oder einem Verschieben, sondern machen Sie heute einen konkreten Vorschlag, damit wir bis
Ende nächster Sitzungswoche hier im Bundestag über
ein entsprechendes Gesetz entscheiden können.
({3})
- Die Länder werden auch zahlen.
({4})
Ich weiß, dass es da eine Menge Diskussionen gibt.
Trotz alledem muss der Bund an der Stelle den Ländern
helfen, es organisatorisch zu stemmen.
Aber das ist nicht die ganze Aufgabe. Die mindestens
so große Aufgabe heute - auch für diese Bundesregierung - ist es, dafür Sorge zu tragen, dass man nicht in einigen Wochen und Monaten wieder in den alten Trott zurückfällt. Der alte Trott hat bedeutet, dass seit Jahren viel
zu wenig für den Hochwasserschutz getan wurde; es
wurde genug geplant, aber zu wenig umgesetzt oder koordiniert.
An der Stelle will ich meine zweite Erwartung an
diese Bundesregierung klar formulieren. Wir wissen
- das ist die Lehre aus diesen Jahrhundertfluten -, dass
es nicht allein ausreichend ist, höhere Deiche zu bauen
und damit das Problem flussabwärts zu verlagern. Wir
brauchen Retentionsflächen, Auenwälder müssen renaturiert werden, wir brauchen ökologischen Hochwasserschutz. Wir brauchen eine Bundesregierung, die das
auch gezielt in die Hand nimmt und diese Aufgaben
nicht der Kleinstaaterei überlässt, meine Damen und
Herren.
({5})
Viele Pläne sind gemacht worden. Sachsen sollte zum
Beispiel seit 2002 über 500 Millionen Euro für Überflutungsflächen entlang sächsischer Gewässer ausgeben.
Von den 500 Millionen Euro sind am Ende nur 5 Millionen Euro wirklich ausgegeben worden. Die klare Forderung ist: Der Bund muss seiner Koordinierungsaufgabe
nachkommen. Wir brauchen einen Masterplan für ökologischen Hochwasserschutz, der zum Ziel hat, Flächenversiegelungen an den Flussoberläufen zu verhindern.
Der ökologische Hochwasserschutz muss in Zukunft
Priorität haben. Daran werden Sie gemessen.
({6})
Neben der Finanzierung, der Prioritätensetzung und
der Schaffung eines Masterplans für ökologischen Hochwasserschutz ist auch der Punkt wichtig - dieser ist Bestandteil des Gesetzentwurfs, den wir heute vorlegen -,
in Deutschland dafür Sorge zu tragen, dass es einen
Stopp beim Anstieg der CO2-Emissionen gibt. Wir müssen in den nächsten Jahrzehnten zu einer umfassenden
Reduzierung kommen. Diese Bundesregierung hat gesagt: 40 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020 ist ein sinnvolles Ziel. - Aber es ist dann bei der Zielformulierung
geblieben. Wo sind die Taten?
({7})
Da wird der Emissionshandel an die Wand gefahren,
dicken Autos soll weiterhin Vorfahrt gewährt werden so werden wir die angestrebte Reduzierung um 40 Prozent nicht erreichen. Ich sage Ihnen klar: An den Taten,
nicht an den Worten werden Sie, werden wir gemessen.
({8})
Es reicht nicht aus, sich selbst zur Klimakanzlerin zu deklarieren oder - wie Altmaier - noch einen neuen Club
der Energiewende-Staaten zu gründen.
Heute steht auf der Tagesordnung ein nationales Klimaschutzgesetz, ein konkretes Instrument, das wirklich
zeigt, wie man die Reduktion um 40 Prozent erreichen
kann, und das ganz eindeutige Sektorziele für Strom,
Wärme, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft
nennt. Einen solchen Klimaschutz sind wir den Menschen schuldig, die jetzt unter dem Hochwasser leiden,
genauso wie wir es nachfolgenden Generationen schuldig sind.
({9})
Deshalb will ich kein weiteres Gerede. Ich will auch
nicht, dass es demnächst wieder heißt: Ach, Klimaschutz, das führt wieder zu Belastungen im Alltag. - Ja,
wir werden anders produzieren, anders transportieren,
anders leben, anders wohnen und uns in Zukunft anders
ernähren müssen. Wir haben die Aufgabe, klar zu sagen:
Nur wenn wir diese Änderungen vornehmen, wenn wir
den Klimaschutz durch einen Lebens- und Produktionswandel vorantreiben, wenn wir schädliche Subventionen
abbauen und endlich auf Effizienz und Erneuerbare setzen, können wir wirklich Klimaschutz betreiben und den
Versuch unternehmen, Hochwasser, wie wir es gerade
erleben, zu verhindern.
({10})
Ich sage auch: Wir brauchen nicht nur verlässliche
Reduktionsziele, die die Energiewende begleiten, sondern wir brauchen natürlich auch Planungssicherheit für
die Wirtschaft, damit klar ist, wo der Weg langgeht.
In diesen von mir genannten Bereichen müssen wir
jetzt tätig werden. Wir müssen es endlich anpacken mit
einem Klimaschutzgesetz, durch das die Lasten fair verteilt werden.
Frau Kollegin.
Ich sage Ihnen als letzten Satz: Wann, wenn nicht in
diesen Tagen, erwarten die Menschen zu Recht von uns,
dass es jetzt endlich mit dem Klimaschutz losgeht?
({0})
Andreas Jung hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle verfolgen mit Betroffenheit die Bilder aus den
Hochwassergebieten. Deshalb ist jetzt die Stunde, den
betroffenen Menschen, die in Not sind, zu helfen. Das
tut die Bundesregierung. Dafür hat sie die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
({0})
Das ist das, was jetzt getan werden muss. Natürlich
geht es auch darum, die Konsequenzen aus dieser Situation zu ziehen und zu fragen: Wo kann man noch mehr
für Hochwasserschutz tun? Was muss in Abstimmung
von Kommunen, Ländern und Bund noch mehr auf den
Weg gebracht werden? Ich glaube, es ist eine gemeinsame Aufgabe, dieses Thema anzugehen und dafür zu
sorgen, dass wir das nächste Mal besser auf solch ein
Hochwasser vorbereitet sind.
Man kann nicht bei jeder Flut - was die Kollegin
Künast zu diesem Punkt gesagt hat, ist selbstverständlich
richtig - eine Kausalität zum Klimawandel herstellen,
aber Fakt ist, dass uns die übergroße Zahl der Wissenschaftler sagt, dass es einen Zusammenhang gibt und
dass wir durch den fortschreitenden Klimawandel immer
mehr extreme Wetterereignisse haben und sich solche
Fluten häufen. Deshalb ist selbstverständlich eine Konsequenz aus dieser Katastrophe, dass wir gemeinsam den
Klimaschutz entschieden weiter voranbringen wollen.
({1})
Ich würde nur Ihrer Wortwahl widersprechen, Frau
Kollegin, wenn Sie sagen, dass wir jetzt endlich anfangen müssen. Deutschland hat schon lange mit Klimaschutz angefangen.
({2})
Andreas Jung ({3})
- Auch mit Ihnen. - Wir sind über unterschiedliche Bundesregierungen hinweg, ungeachtet der jeweiligen parteipolitischen Farbe, Vorreiter im Klimaschutz in Europa
und international.
Sie haben außerdem gesagt, dass es Ihnen nicht um
Worte geht, sondern um Taten und Fakten. Deshalb beginnen wir einmal mit den Fakten. Deutschland hat sich
im Kioto-Protokoll zu einem ehrgeizigen Ziel verpflichtet, nämlich bis 2012 die CO2-Emissionen um 21 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Damit haben wir uns
zu mehr verpflichtet als andere, und wir haben diese Verpflichtung nicht nur erfüllt, sondern wir haben sie übererfüllt.
({4})
Mit minus 25 Prozent haben wir mehr erreicht, als wir
uns vorgenommen hatten. Ich finde, da sollte man nicht
meckern, sondern man sollte sich gemeinsam darüber
freuen.
({5})
Die nächste Frage ist natürlich, wie wir jetzt darauf
aufbauen können. Es ist doch auch wahr, dass wir über
alle Bundesregierungen hinweg mit allen Parteien gemeinsam für ein international verbindliches Abkommen
geworben haben bzw. werben, bei dem alle, die USA,
China und andere Partner, mit ins Boot kommen und in
dessen Rahmen wir global diese auch nur global zu lösende Frage angehen und sagen: Ja, international machen wir engagierten Klimaschutz und gehen voran.
Es ist doch richtig - Sie haben den Club der Energiewende-Staaten angesprochen -, auf diesem Weg Partner
um sich herum zu sammeln und Verbündete zu finden.
Deshalb begrüßen wir es, dass Peter Altmaier einen Club
der Energiewende-Staaten gegründet hat und alle die mit
ins Boot geholt hat, die mit uns gemeinsam diesen Weg
gehen wollen. Das ist doch ein Fortschritt.
Sie haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht,
in dem Sie sagen: Für die Klimapolitik müssen wir eine
Partnerschaft mit China aufbauen und verstärken. - Da
ist es doch ein Fortschritt, dass China sich bereit erklärt
hat, diesem Club beizutreten.
({6})
Andere Staaten, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte, sind ebenfalls beigetreten. Deutschland ist
hier führend, Deutschland drängt auf ein solches Abkommen. Ein solches Abkommen ist wichtig, auch als
Konsequenz aus der aktuellen Situation.
({7})
Kommen wir zum Emissionshandel. Ich gebe Ihnen
recht: Beim Emissionshandel müssen wir mehr machen
als bisher.
({8})
Wir müssen die Geburtsfehler des Emissionshandels beheben. Es ist richtig, wenn der Bundesumweltminister
fordert - das ist auch meine Position -, den Backloading-Vorschlag der Europäischen Kommission zu unterstützen.
({9})
Als Ultima Ratio brauchen wir einen Eingriff in den
Emissionshandel.
Die Opposition weist darauf hin, dass in der Regierung über Backloading noch diskutiert wird. Wahr ist
doch aber auch: Dort, wo Ihre Parteien Verantwortung
tragen - im Bundesrat -, führen Sie die gleichen Diskussionen.
({10})
Der Wirtschaftsminister der rot-grünen Regierung in
Nordrhein-Westfalen hat die Europaabgeordneten der
SPD angeschrieben und sie aufgefordert, gegen Backloading zu stimmen.
({11})
- Ja; aber das zeigt doch, dass Sie dieselben Diskussionen führen.
({12})
Ich finde, dass diejenigen, die hier vorangehen wollen, sich gemeinsam dafür einsetzen sollten, dass wir
beim Emissionshandel einen Durchbruch schaffen; dafür
werbe ich. Diesen Durchbruch wollen wir. Ich bin nämlich sicher: Wer eine strukturelle Reform des Emissionshandels jetzt verhindert, wird damit das marktwirtschaftlichste Instrument der Klimapolitik beschädigen und am
Ende irgendetwas bekommen, was er überhaupt nicht
will. Dann wird Ordnungsrecht herauskommen, dann
werden CO2-Steuern herauskommen, wie sie hier von einigen gefordert werden.
({13})
Deshalb müssen wir die Grundlagen dafür schaffen, dass
der Emissionshandel dauerhaft erfolgreich bleibt. Das
will Peter Altmaier, und dabei unterstützen wir ihn.
({14})
Herr Kollege, Frau Bulling-Schröter würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen? - Bitte schön.
Danke schön. - Kollege Jung, ich weiß, dass Sie sehr
für Backloading sind. Wir haben im Umweltausschuss
lange über dieses Thema diskutiert und eine Anhörung
dazu durchgeführt. Nächste Woche Mittwoch wird eine
weitere Anhörung dazu stattfinden, obwohl dieses
Thema im Umweltausschuss im Grunde ausdiskutiert
ist; denn die Mehrheit steht hinter dieser Forderung. Da
Anträge im Zusammenhang mit dieser Anhörung nicht
mehr abgestimmt werden können und laut Koalition
auch nicht mehr abgestimmt werden sollen, können wir
jetzt nicht mehr agieren. Wir müssten aber schnell handeln. Haben Sie einen Vorschlag, wie wir es schaffen,
gemeinsam schnell zu handeln?
Frau Kollegin, Sie weisen darauf hin, dass es im Umweltausschuss - auch in meiner Fraktion - die ganz klare
Auffassung gibt, dass Backloading geeignet ist, den
Emissionshandel zu verbessern. Wir alle wissen aber,
dass die strukturelle Reform des Emissionshandels, die
wir brauchen, allein mit Backloading nicht zu erreichen
ist. Wir müssen darüber hinausgehen und fragen: Welches waren eigentlich die Geburtsfehler des Emissionshandels, und wie können wir diese Geburtsfehler jetzt
beheben?
Die Kanzlerin hat einen Pflock dazu eingeschlagen.
Sie hat darauf hingewiesen: Als damals der Emissionshandel eingeführt wurde, hatte man eine bestimmte
Entwicklung des Wirtschaftswachstums vor Augen. Ausgehend von der Erwartung eines positiven Wirtschaftswachstums wurde auch die Verteilung der Emissionszertifikate vorgenommen. Diese Erwartung hat sich,
wie wir alle wissen, nicht erfüllt: Durch die Wirtschaftskrise kam es in Europa zur Rezession. Das führte dazu,
dass es ein Überangebot dieser Zertifikate auf dem
Markt gibt.
Der beschriebene Mechanismus wurde in den rechtlichen Grundlagen des Emissionshandels allerdings nicht
berücksichtigt. Deshalb gilt es jetzt, zu prüfen, was es
für den Emissionshandel bedeutet, dass sich das Wirtschaftswachstum anders als erwartet entwickelt hat und
welche Konsequenzen wir ziehen müssen: welche Regelungen wir ändern müssen und welche neuen Weichen
wir stellen müssen.
Das ist eine Frage, über die wir uns im Umweltausschuss schneller einigen können als im Bundestag insgesamt. Gesetze, Initiativen, Anträge können aber nur vom
Bundestag insgesamt beschlossen werden. Deshalb
glaube ich, dass es richtig ist, dass wir diese Frage im
Umweltausschuss noch einmal aufgreifen und Experten
anhören und ihren Rat einholen, um herauszufinden, was
wir machen können, um die Strukturen des Emissionshandels umfassend zu reformieren.
({0})
Damit komme ich zu einem weiteren Thema. Wir haben nicht nur den Emissionshandel, sondern haben gemeinsam im Konsens die Energiewende beschlossen. Es
gilt, diese zum Erfolg zu machen, wegen des Klimaschutzes, aber auch wegen der wirtschaftlichen Perspektiven, die dahinterstehen. Deshalb müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent fortführen,
den Ausbau noch effizienter gestalten und beim Netzausbau und den Speichertechnologien vorankommen.
Ich bin froh, dass wir bei der Energieforschung einen
Schwerpunkt genau auf diese Bereiche gelegt haben, um
uns mit neuen Technologien dieser Herausforderung
noch besser stellen zu können.
Auch die Bundeskanzlerin hat gestern ganz klar gesagt - darüber bin ich froh -, dass wir über die Förderung der erneuerbaren Energien sprechen müssen und
die Frage stellen müssen, wie wir den Ausbau der Erneuerbaren und die Preisentwicklung in Einklang bringen.
Sie hat dabei zwei Festlegungen getroffen: Sie hat erstens gesagt, dass es keine rückwirkenden Eingriffe geben wird. Das ist richtig, weil so die Vertrauensgrundlage für den zukünftigen Ausbau erhalten wird. Sie hat
zweitens gesagt, dass es bei dem Einspeisevorrang der
erneuerbaren Energien bleiben wird. Das ist die Grundlage für einen erfolgreichen Ausbau. Daran wird unsere
Fraktion auch in Zukunft mitarbeiten. Wir wollen dieses
Projekt zum Erfolg machen.
Frau Kollegin Künast, Sie haben gerade gesagt, dass
wir dicken Autos Vorfahrt gewähren würden. Dazu will
ich sagen: Wir stellen doch gerade mit unserer Initiative
für Elektromobilität die Weichen für nachhaltige Mobilität.
({1})
Wir haben in dieser Legislaturperiode mehr als 1 Milliarde Euro für Forschung eingesetzt, um die entscheidenden Fragen zu lösen,
({2})
die Antriebstechnologien und die Batterietechnik zu verbessern. Mit all dem soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass wir unsere Autos in Zukunft nicht
mehr mit Öl, Diesel oder Benzin betreiben, sondern mit
Ökostrom.
Ökostrom ist das Benzin von morgen. Das ist unsere
Leitlinie. Deshalb arbeiten wir in den unterschiedlichen
Sektoren, die auch Sie angesprochen haben, dafür, dass
wir den Klimaschutz voranbringen und die Energiewende ein Erfolg bleibt.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt Ulrich Kelber das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ja, nicht jede Dürre, nicht jeder Sturm, nicht
jede Flutkatastrophe ist Folge des Klimawandels. Ein
solcher Erklärungsversuch wäre wirklich viel zu einfach.
Aber wir wissen, dass der Klimawandel Wetterextreme
begünstigt, insbesondere bei Niederschlägen.
Wir sehen gerade wieder an der Elbe, an der Donau
und an deren Zuflüssen, welche Bedrohung, welche Krisen, welche gefährlichen Zustände ein solches Hochwasser schon in einem Industriestaat mit sich bringt. Ich
weiß, dass ich im Namen aller rede, wenn ich deutlich
mache, dass wir dort natürlich als Gesamtgesellschaft
helfen werden. Der Dank gilt all jenen, die als freiwillige
und hauptamtliche Helfer in den von Hochwasser betroffenen Gebieten im Einsatz sind.
({0})
Erlauben Sie mir, dass ich als Bonner Abgeordneter
einen besonderen Gruß den weit über 100 Bonner Freiwilligen von Freiwilliger Feuerwehr, Technischem
Hilfswerk, DLRG und anderen Rettungsorganisationen
schicke, die in mehreren Bereichen in Sachsen-Anhalt
im Einsatz sind.
Aber wenn wir schon sehen, welche Folgen solche
Katastrophen in einem Industriestaat mit bestehender Infrastruktur und einem gewissen Wohlstand haben, dann
ist natürlich umso ersichtlicher, was das für Afrika, Teile
Asiens oder Lateinamerikas bedeutet. Dort gefährdet der
Klimawandel alle Errungenschaften, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Kampf gegen Armut und
Hunger erreicht haben. Dort ist der Klimaschutz eine
Frage von Leben und Tod. Deswegen braucht Klimaschutz einen langen Atem. Jahrelanges konsequentes
Handeln darf nicht zugunsten anderer Themen, die gerade in Mode sind, aufgeschoben werden, wie es teilweise heute passiert.
({1})
Deutschland, Europa und die Welt brauchen eine neue
Entschlossenheit in der Klimapolitik. Die SPD setzt sich
für ein verbindliches nationales Klimaschutzgesetz mit
klar definierten Zwischenzielen ein, an denen wir die Instrumente des Klimaschutzes ausrichten können. Damit
können wir nicht nur über Etiketten, sondern auch über
Maßnahmen sprechen, mit denen diese Ziele erreicht
werden können. Die unabhängige Begutachtung der
Maßnahmenpakete der Bundesregierung, die zeigt, dass
wir das Klimaschutzziel für 2020 mit dem bisher Unternommenen nicht erreichen werden, sollte doch alle
Alarmglocken klingeln lassen.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, sich
ohne Wenn und Aber, ohne Hintertüren und ohne Tricks
zu dem deutschen Klimaschutzziel zu bekennen, den
Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um wenigstens
40 Prozent zu reduzieren, und das bei der EU als deutschen Beitrag anzumelden, damit es dort möglich ist, das
europäische Klimaschutzziel auf eine Minderung von
30 Prozent zu verbessern. Das brauchen wir dringend
vor der Klimakonferenz in Polen.
({2})
Aktuell ist es aber so, dass Deutschland im Klimaschutz zurückfällt. Die Treibhausgasemissionen Deutschlands sind 2012 wieder gestiegen, übrigens schneller als
das Bruttoinlandsprodukt. Das war nicht gemeint, als wir
von der Entkoppelung der Treibhausgasemissionen vom
Wirtschaftswachstum gesprochen haben. Damit war das
genaue Gegenteil angestrebt.
Deutschland ist in der Europäischen Union nicht bei
seiner Vorreiterrolle geblieben, die wir, unabhängig von
Parteigrenzen, einmal entwickelt hatten, sondern hat bei
der Energieeffizienz gebremst und bremst jetzt bei den
Klimaschutzzielen, indem diese nicht nach Brüssel
gemeldet werden. Die Bundesregierung versucht, den erneuerbaren Energien den Schwarzen Peter für Preissteigerungen zuzuschieben, um vom eigenen Missmanagement abzulenken. Das ist die Realität, mit der wir heute
konfrontiert sind.
({3})
Herr Kollege Jung, es war für Sie ungewöhnlich,
beim Emissionshandel einen Versuch des Angriffs zu
starten. Alle SPD-Europaabgeordneten haben im Europaparlament der Reparatur des Emissionshandels über
Backloading zugestimmt. Wenn nur wenigstens ein Viertel der CDU-Europaabgeordneten dem auch zugestimmt
hätte - sie haben nämlich fast geschlossen dagegen gestimmt -, hätten wir eine Mehrheit im Europäischen Parlament gehabt.
({4})
Es ist doch unsinnig, dass die CDU-Vorsitzende es jetzt
fordert. Als aber darüber abgestimmt wurde, hat sie nicht
mit ihren Abgeordneten gesprochen. Sie hätte nur ein
Viertel ihrer eigenen Leute überzeugen müssen. Das
wäre besser gewesen.
({5})
Deutschland hat mit seiner Vorreiterrolle immer auch
eine Vorbildfunktion gehabt. Es ist doch so: Wenn wir
zeigen, dass Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören, wenn wir zeigen, dass Klimaschutz
und damit eine verbindliche und langfristig verlässliche
Klimapolitik gut für die Wirtschaft ist, weil neue Dienstleistungen und neue Produkte neue Jobs entstehen lassen, weil so alle Wirtschaftsleistungen effizienter
werden und somit unabhängiger von teurer werdenden
Ressourcen, dann überzeugen wir auch andere. Dies ist
natürlich auch gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn der Energieverbrauch sinkt, wenn die
Reparaturkosten für die Schäden des Klimawandels sinken, dann ist das die beste Chance, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig bezahlbare Energierechnungen erhalten.
Alles das war schon einmal gemeinsame Einsicht im
Deutschen Bundestag, aber zumindest Teile davon hat
die Bundesregierung anscheinend vergessen. Für Merkel
ist Klimaschutz ein Modethema; es findet im Augenblick nicht mehr statt. Im Zweifelsfall lieber gegen den
Klimaschutz und für kurzfristige Interessen!
Wirtschaftsminister Rösler hat den Klimaschutz und
den Kampf gegen erneuerbare Energien zum Identifikationsthema seiner Partei gemacht, um sich von allen anderen abzusetzen. In der EU gilt er schon als „Mister
Njet“: Egal was ansteht: Es folgt ein Nein, um zu blockieren.
Bleibt der Umweltminister, der seine Aufgabe zumindest beim Klimaschutz ein wenig falsch verstanden hat.
Ein deutscher Umweltminister kämpft mit all seiner
Kraft, mit seinem Einfluss und seiner Zeit in Brüssel dafür, dass Autos in Europa auch nach 2025 noch viel Benzin verbrauchen und viele Treibhausgase ausstoßen dürfen. Ich glaube, das stand vor einem Jahr nicht in der
Arbeitsplatzbeschreibung des Umweltministers. Lieber
Peter Altmaier, so darf es in Deutschland nicht bleiben;
wir brauchen einen neuen Anlauf in der Klimapolitik.
Vielen Dank.
({6})
Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ich möchte zunächst einmal meinen Dank an die Helferinnen und Helfer aussprechen, die in den Hochwassergebieten wirklich unermüdlich dafür kämpfen, dass
möglichst wenig Schaden für Mensch und Eigentum entsteht. Das ist ein toller Einsatz, den der Deutsche Bundestag anerkennt und für den wir ganz herzlich danken.
({0})
Ich begrüße es auch, dass die Bundesregierung klargemacht hat: Wir werden den Flutopfern unbürokratisch
helfen. Darauf haben sie einen Anspruch, und diesen
Anspruch wird diese Bundesregierung erfüllen.
Es ist schon angesprochen worden, dass die Wetterextreme durch den Klimawandel zunehmen werden.
Man kann zwar nicht jedes Hochwasser auf den Klimawandel zurückführen. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es eben nicht nur nötig sein wird, Klimaschutz zu betreiben. Wir müssen auch die Anpassung an
den Klimawandel in Deutschland zu einem größeren
Thema machen. Das ist nicht nur ein Thema für Bangladesch, an das wir immer denken, wenn wir Überflutungen sehen; dazu kommt es durch das Wasser aus dem Himalaja. Nein, das ist auch ein Thema für Deutschland.
Deshalb hat diese Bundesregierung in dieser Wahlperiode einen Aktionsplan zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt. Dieser Aktionsplan befindet sich in
der Umsetzung. Dabei geht es um Hochwasserschutz,
aber auch um viele andere Themen, zum Beispiel um
eine klimagerechte Stadtentwicklung - dazu haben wir
im Bundestag einen Gesetzentwurf durchgesetzt -, um
mehr Widerstandsfähigkeit von Verkehrsinfrastrukturen
und um solche Dinge wie die Umgestaltung der Bundesforsten hin zu stabileren Mischwäldern.
All das wurde auf den Weg gebracht. Wir sind noch
nicht am Ende, vieles könnte schneller gehen. Ich
glaube, dies erfordert die Unterstützung des ganzen Hauses. Wir, Bund, Länder und Kommunen, sollten diese
Schritte gemeinsam angehen, um uns für extreme Wettersituationen besser zu wappnen.
({1})
Meine Damen und Herren, für den Klimaschutz waren es vier gute Jahre. Wir haben unsere Verpflichtungen
gemäß dem Kioto-Protokoll zur Reduktion der Emissionen übererfüllt. Wir, die christlich-liberale Koalition,
haben ein einseitiges Reduktionsziel von 40 Prozent beschlossen und hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. Deshalb, lieber Herr Kelber, brauchen wir hier überhaupt keine Nachhilfe von der Opposition.
({2})
Es war diese Koalition, die die Energiewende beschlossen hat.
({3})
Das war und ist das Leitprojekt für den Klimaschutz in
Europa. Andere Länder schauen auf uns, um zu sehen,
wie wir es in unserem hochindustrialisierten Land schaffen, dieses große Projekt ohne Wohlfahrtsverluste zu
stemmen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Es ist
noch viel zu tun, aber wir werden das gemeinsam schaffen.
({4})
Nachdem mittlerweile jede vierte Kilowattstunde
Strom Ökostrom ist, geht es jetzt darum, dass wir das
System insgesamt umgestalten: hin zu mehr Produzentenverantwortung, hin zu besseren Netzen, aber eben
auch hin zu besserer Bezahlbarkeit dessen, was wir klimapolitisch wollen.
Zum Bereich Gebäudesanierung. Die Bundesregierung hat das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf stabile finanzielle Füße gestellt. Aus einem kurzzeitigen
Konjunkturprogramm wurde ein dauerhaftes Klimaschutzprogramm. Der Bundesrat, der von Rot und Grün
dominiert wird, hat den zweiten Förderweg, nämlich die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung, blockiert.
Wir werden in der nächsten Wahlperiode erneut eine Initiative für die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung einbringen,
({5})
und dann werden wir sehen, ob die Roten und die Grünen weiterhin blockieren wollen.
({6})
Ich finde, wir müssen jetzt gemeinsam handeln: gegen
den Klimawandel und für die Gebäudesanierung. Hierzu
müssen auch die Länder ihren Teil beitragen.
({7})
Wenn wir uns anschauen, was der Bund ansonsten
macht, dann sehen wir: Wir haben die Mittel für den internationalen Klimaschutz erheblich aufgestockt. Allein
im Haushalt 2013 sind es wieder 100 Millionen Euro
mehr. Das Entwicklungsministerium gibt 1,8 Milliarden
Euro für Klimaschutz und Biodiversität in der Welt aus.
({8})
Das ist ein genauso effektiver und zugleich kostengünstiger Klimaschutz, als wenn wir alles nur hier zu
Hause machen würden. Jede CO2-Emission in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in Bezug auf den
Klimawandel genauso wirksam, als wenn wir hier emittieren. Deshalb müssen wir über den Tellerrand hinausblicken. Dann erkennen wir: Der internationale Klimaschutz ist genauso bedeutend wie die Energiewende und
politisch genauso zu unterstützen. Die FDP wird dies
weiter tun.
({9})
Ich begrüße ausdrücklich, dass das Auswärtige Amt
in dieser Wahlperiode zum ersten Mal eine ernsthafte
Klimaaußenpolitik betreibt, bei der in den internationalen Verhandlungsprozessen die Dinge zusammengeschnürt werden können, die ansonsten allein vom
Entwicklungshilfeministerium und vom Umweltministerium behandelt wurden. Das geschieht jetzt mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Auch das ist eine
positive Maßnahme, um ein globales Klimaabkommen
zu erreichen. Das ist entscheidend, wenn unsere Klimaschutzpolitik auch global wirksam werden soll.
Meine Damen und Herren, der Emissionshandel
wurde angesprochen. Er ist eingeführt worden, damit die
Klimaschutzziele umgesetzt werden. Genau das leistet
der Emissionshandel. In den Bereichen, wo wir den
Emissionshandel haben, werden die Klimaschutzziele
eingehalten. In den Bereichen aber, wo wir keinen Emissionshandel haben, zum Beispiel beim Verkehr, werden
sie verfehlt. Das zeigt: Der Emissionshandel ist ein gutes
Instrument, und wir werden weiterhin auf ihn setzen.
Vielen Dank.
({10})
Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat jetzt das Wort
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der CO2-Ausstoß ist auf 31,6 Milliarden Tonnen weltweit geklettert. Eigentlich haben wir uns an solche Meldungen schon gewöhnt; aber es sind und bleiben
Horrormeldungen. Auf diese Weise werden wir bei
4 Grad, eventuell sogar bei 5,3 Grad Erwärmung landen;
das ist Fakt. Was 5,3 Grad Temperaturveränderung bedeuten, zeigt vielleicht das Beispiel der letzten Eiszeit.
Da war es global etwa um diesen Wert kälter als heute.
Europa war mit kilometerdicken Eispanzern überzogen.
Die nicht weniger dramatischen Szenarien bei einer entsprechenden Erwärmung kennen Sie alle; das muss ich
nicht mehr erzählen.
Ich richte das nicht nur an die Adresse von Klimaleugnern im Umfeld der FDP. Auch in den Zeitungen
waren ganz seltsame Kommentare zu lesen, wie zum
Beispiel: Hamburg hat bald ein Wetter wie in Freiburg.
Prima, wo liegt das Problem? - Seltsamer Kommentar.
({0})
Mittlerweile haben wir die dritte Jahrhundertflut, allerdings innerhalb von nur elf Jahren. Ist das vielleicht die
Antwort auf diese Frage? Darum müssen wir handeln,
und zwar deutlich schneller als gegenwärtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe aber
nicht, dass, wenn die Linke auf einen Tagesordnungspunkt verzichtet, um darüber zu diskutieren, alle anderen
Fraktionen das ablehnen.
({1})
Das ist sehr seltsam. Wir hätten für eine solche Debatte
einen Tagesordnungspunkt zur Verfügung gestellt, eine
Debatte zurückgezogen. Das sollten die Leute draußen
wissen.
({2})
Heute findet wahrscheinlich die letzte Klimadebatte
in dieser Legislaturperiode statt. Deshalb ein Rückblick.
Zunächst gab es bei den erneuerbaren Energien hierzulande ein rasantes Wachstum. Das ist eine Erfolgsstory.
Der Erfolg ist im Erneuerbare-Energien-Gesetz begrün31294
det, das die jetzige Koalition von der alten nur geerbt
hat.
Deutschland lag 2012 weltweit auf Platz eins bei der
installierten Leistung von Photovoltaik, auf Platz drei
bei der installierten Windkraft und auf Platz fünf bei der
Gesamtkapazität der Erneuerbaren. Jede vierte Kilowattstunde Strom ist Ökostrom; das ist gut. Ich behaupte, das
ist ein Erfolg trotz dieser Bundesregierung und nicht wegen dieser Bundesregierung.
({3})
Die dauernden Angriffe abzuwehren, die insbesondere von der FDP gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz gestartet wurden, hat den Umweltverbänden, den
Erzeugerinnen und Erzeugern von Ökostrom, vielen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch
den Experten im Umweltbundesamt sowie in anderen
Gremien der Bundesregierung unendlich viel Kraft gekostet. Es wurden Ressourcen gebunden, die wir dringend gebraucht hätten, um das EEG für eine Welt jenseits eines Anteils von 30 Prozent Ökostrom intelligent
zukunftsfähig zu machen. Kräfte wurden verschlissen,
die nötig gewesen wären, um zügig ein neues Strommarktmodell zu entwickeln, ein Modell, das die fossile
Stromerzeugung in die Welt der erneuerbaren Energien
integriert und nicht umgekehrt, wie es gegenwärtig der
Fall ist. Es wurden Ressourcen verschleudert, die wir
nun in der nächsten Legislaturperiode aufwenden müssen, um einen zukunftsfähigen Netzausbau zu organisieren und im Bereich Energiespeicher- und Lastmanagement weiterzukommen.
Es gab dann interessante Gespräche bei Minister
Altmaier, aber letztlich wurden vor allem Fragen aufgeworfen und kaum Lösungen präsentiert. Dort, wo sie auf
der Hand liegen, etwa bei der Abschaffung der unberechtigten und teuren Industrieprivilegien, passiert
nichts. Ich sage Ihnen: Sie wollen sich einfach nicht mit
den Konzernen anlegen.
({4})
Natürlich gibt es in der Bundesregierung partiell auch
Unterstützung für die Energiewende; wir sind schließlich nicht blind. Manche Probleme sind zudem schlicht
der Tatsache geschuldet, dass niemand einen Masterplan
für eine solch umfassende Transformation in der Tasche
hat; auch das ist klar.
Aber unter dem Strich betreiben Union und FDP eine
erschreckend doppelzüngige Politik.
({5})
Während die Koalition auf der einen Seite einige Weichen in Richtung mehr regenerative Energien stellt, versucht sie auf der anderen Seite, die fossil-atomaren Konzerne weiter zu päppeln. Die Kosten zahlen die kleinen
Leute. Wer sonst?
Die zweite dunkle Seite kann man nirgends deutlicher
sehen als beim europäischen Emissionshandel. Er soll
angeblich das Hauptinstrument im Klimaschutz sein;
Herr Kauch hat das bestätigt. Seine Klimaschutzwirkung
geht aber gegen null oder ist sogar negativ. Seine Verteilungswirkung war bislang grotesk ungerecht. Deutschland hat sich in Brüssel dennoch gegen die Reparatur des
Emissionshandels gestellt, konkret gegen die Stilllegung
der überschüssigen CO2-Emissionsrechte, die das System kaputtmachen.
Das ist kein Wunder; denn in den Jahren zuvor hat die
Bundesregierung dafür gesorgt, dass diese zerstörerische
Zertifikatsflut überhaupt erst entstehen konnte, etwa
durch großzügige Möglichkeiten für Industrie und Energiewirtschaft, sich mit windigen Auslandszertifikaten
einzudecken, oder auch durch Zuteilungsregeln, mit denen den Industriefirmen viel mehr Emissionsrechte zugestanden wurden, als sie benötigten. Lasche Ziele und
Schlupflöcher groß wie Scheunentore kamen hinzu. Im
Ergebnis dümpelt nicht nur der CO2-Preis mit unter
4 Euro im Keller, obwohl er doch einmal 30 Euro betragen sollte.
({6})
Die festgesetzte CO2-Obergrenze selbst wird dabei
durchlöchert; denn hinter vielen importierten CO2-Gutschriften aus Projekten in Indien oder China stehen keine
eingesparten Emissionen, sei es infolge von Betrug oder
absurd großzügigen Regelwerken der UN. Zum Schluss
galten ja sogar Kohlekraftwerke als Beitrag zum Klimaschutz.
So wird das europäische Emissionshandelssystem
von außen mit heißer Luft aufgebläht. Allein in Deutschland gibt es 260 Millionen überschüssige Zertifikate, in
der EU fast 2 Milliarden. Ein Großteil davon sind, ökologisch gesehen, nichts anderes als Schrottpapiere, die
aus windigen Projekten im globalen Süden stammen. Es
geht also wieder einmal um Schrottpapiere. Zu Deutsch:
Wir haben mit dem allseits geliebten Emissionshandel
weniger Klimaschutz als ohne dieses System. Eine
wahrhaft erfolgreiche Bilanz, kann ich da nur sagen.
({7})
Die Energieversorger fuhren in der Vergangenheit mit
dem Emissionshandel sagenhafte Profite ein. Das müssen wir als Linke sagen. Wer sagt es denn sonst? Die
Energieversorger haben die Zertifikate vom Staat geschenkt bekommen, ihren Handelswert aber in den
Strompreis eingepreist. Zusammengefasst reden wir über
eine Maschinerie, die in Europa erstens einen zusätzlichen CO2-Ausstoß erzeugt - erst letztes Jahr sind die
Emissionen der deutschen Kraftwerke wieder gestiegen und zweitens die Kassen der Kohle- und Atomkonzerne
füllt - auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({8})
Die Konzerne wurden gepäppelt und der Emissionshandel geschwächt. Bravo!
Da frage ich mich: Wo ist die Klimakanzlerin? Wir
brauchen eine Regierungschefin, die endlich einmal auf
die FDP pfeift
({9})
und sich in Brüssel für wirksame Reformen im Emissionshandel einsetzt, zuallererst natürlich für das Backloading als Voraussetzung dafür. Das tut sie leider nicht.
Das Emissionshandelssystem hätte von Anfang an
vernünftiger gestaltet werden können, aber das ist Geschichte. Änderungen sind nicht in Sicht, wie wir gehört
haben; Sie sind ja beratungsresistent. Deshalb brauchen
wir Ordnungspolitik. Davor haben Sie aber Angst wie
der Teufel vorm Weihwasser.
Ich möchte noch einmal für ein Kohleausstiegsgesetz
werben. Denn dann könnten die letzten Meiler spätestens 2040 vom Netz gehen. Wir setzen uns dafür ein.
({10})
In der nächsten Wahlperiode müssen sich Parlament
und Regierung auch endlich ernsthaft mit der Energiewende im Gebäudebereich und in der Mobilität beschäftigen. Bei beiden existieren fast keine Instrumente, die
nur annähernd die Durchschlagskraft haben wie etwa das
EEG im Strombereich.
Hier liegen zudem die größten sozialen Spannungsfelder. Denn schon heute nehmen die Heizkosten und
Kraftstoffe den ersten Platz unter den Preistreibern bei
den Energiepreisen ein, schlicht weil Öl und Gas sich
drastisch verteuert haben. Deshalb ist es nicht nur aus
Sicht des Klimaschutzes geboten, mit der Gebäudesanierung endlich voranzukommen, genauso wie mit der Mobilitätswende, die im Prinzip noch komplett aussteht.
Beides entlastet perspektivisch die Haushaltskassen. Das
ist ja wichtig.
Bei der sozialen Ausrichtung der Energiewende geht
es nicht nur um ein Energiegeld beim Wohngeld, um
ausreichende Kredite der KfW für die Gebäudesanierung
oder um angemessene Zuschüsse für die soziale Stadtentwicklung. Es geht auch schlicht um den Mindestlohn.
({11})
Denn es kann ja nicht sein, dass wir bei jeder umweltpolitischen Maßnahme, die etwas Geld kostet, Tausende
Leute zu den Ämtern treiben. Sie sind doch gegen Bürokratie. Darum freuen wir uns - hören Sie jetzt zu! -, dass
auch die Klima-Allianz - wie im Übrigen auch der Mieterbund - einen Mindestlohn und soziale Fangnetze
beim Umbau der Energieversorgung fordert.
({12})
Denn im Gegensatz zur Bundesregierung haben die darin vertretenen Organisationen begriffen: Die Energiewende funktioniert nur sozial, oder sie funktioniert gar
nicht. Dafür steht die Linke, und dafür wird sie jetzt stehen wie auch in der nächsten Legislaturperiode.
({13})
Denn die Energiewende ist dringend notwendig; ich
habe das ausgeführt. Daran kommen auch Sie von der
CSU nicht vorbei.
({14})
Für die Bundesregierung erteile ich das Wort dem
Bundesminister Peter Altmaier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Uns eint heute Morgen selbstverständlich über
alle Fraktionsgrenzen hinweg das Mitgefühl für das Leid
und die Not der Betroffenen, die noch lange nicht überwunden sind, und auch der Respekt für die großartigen
und geradezu übermenschlichen Leistungen unserer
Hilfsdienste: Bundeswehr, Feuerwehr, THW, Rotes
Kreuz und all die anderen, die im Einsatz sind. Dafür ein
herzliches Dankeschön!
({0})
Ich will das ausdrücklich auch für das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen auf der politischen Ebene zum Ausdruck bringen. Ich bin schon ein
paar Jahre länger dabei. Mein Eindruck ist: Im Vergleich
zu früheren Hochwasserkatastrophen hat es dieses Mal
vielleicht etwas weniger PR gegeben, aber dafür deutlich
mehr effektive und schnelle Hilfe auch aus der Politik.
Das soll auch in den nächsten Wochen und Monaten so
bleiben.
({1})
Deshalb werden wir, die Ministerpräsidenten der Länder
und die Bundeskanzlerin, heute Mittag im Bundeskanzleramt über das sprechen, was jetzt notwendig ist, um
konkrete Not zu lindern, die Schäden zu beseitigen und
Wiederaufbau zu ermöglichen.
Aber ich meine, dass wir, als ehemaliger Umweltminister Herr Trittin und als jetziger Umweltminister
meine Person, auch eine Verantwortung unter dem Gesichtspunkt der Umweltpolitik haben, nicht jetzt, wo die
Dämme noch verteidigt werden, aber dann, wenn das
Wasser sich verlaufen hat. Dann brauchen wir auch eine
Bestandsaufnahme dessen, was defizitär ist, was nicht
gemacht worden ist, was nicht umgesetzt worden ist.
({2})
- Darauf komme ich ja noch, Herr Kollege Ott.
Aber auch im Hinblick auf den Hochwasserschutz
halte ich es für notwendig, dass wir uns anschauen, was
wir ändern müssen. Im Jahre 2005 wurde ein von der
rot-grünen Koalition auf den Weg gebrachtes Hochwasserschutzgesetz verabschiedet.
({3})
Ich biete Ihnen an - wohl wissend, dass auch wir damals nicht mit allem einverstanden waren -, dass wir uns
dieses Gesetz anschauen und darüber nachdenken, was
wir verändern und weiterentwickeln können. Ich biete
auch an, dass wir darüber reden, wo Umsetzungsdefizite
sind. Wir Umweltpolitiker sollten deutlich machen, dass
wir keine Ausreden mehr haben, wenn es darum geht,
notwendige Deichverlegungen vorzunehmen und notwendige Vorfluträume zu schaffen, wenn es darum geht,
der Natur, insbesondere den Flüssen, etwas mehr Raum
zu geben. Das alles muss auch dann durchgesetzt werden, wenn es Widerstände dagegen gibt. Wenn wir es gemeinsam tun, dann werden wir unsere Ziele möglicherweise auch erreichen. Deshalb lade ich Sie herzlich ein,
mitzumachen.
({4})
Als ich seinerzeit Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesinnenministerium war, habe ich im Auftrag meines damaligen Ministers Wolfgang Schäuble in der
Föderalismusreformkommission den Vorschlag eingebracht, dem Bund auch bei länderübergreifenden
Hochwasserlagen und Katastrophenlagen eine Zuständigkeit einzuräumen. Ich meine, auch darüber muss man
noch einmal diskutieren. Ein Hochwasser kann nämlich
nicht nur in der jeweiligen Gemeinde und in dem zuständigen Bundesland bekämpft werden. Wir sind alle in der
Verantwortung und brauchen die notwendigen finanziellen, politischen, aber auch rechtlichen Instrumente.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig: Wir werden nicht wissen, in welchem Ausmaß dieses eine Hochwasser von den Klimaveränderungen beeinflusst worden ist. Aber wir wissen eines: dass die
Klimaveränderung weltweit voranschreitet und dass wir
keine Ausrede haben, wenn man in 20 oder 30 Jahren
feststellt, dass wir nicht gehandelt haben. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen im Klimaschutz national
und international verstärken.
Vorhin ist der Club der Energiewende-Staaten, Renewables Club, angesprochen worden. Ich bedanke mich
zunächst einmal für die politische Unterstützung, die ich
auch von vielen von Ihnen bekommen habe; der Kollege
Ott und andere haben sie öffentlich zum Ausdruck gebracht. Es gab aber auch hämische Kommentare, die ich,
ehrlich gesagt, nicht verstanden habe. Es ist uns gelungen, innerhalb eines halben Jahres zehn Länder - Entwicklungsländer, Schwellenländer, Industrieländer, etwa
Indien und China, Südafrika und Marokko, Tonga, Dänemark, Großbritannien, Frankreich - auf deutsche
Initiative hin dazu zu bringen, dass wir uns weltweit
politisch für den Ausbau der erneuerbaren Energien
starkmachen.
Der Klimaschutz kommt nämlich nicht voran, wenn
es nur in Deutschland, in Dänemark und in Großbritannien mehr Windräder und mehr Solardächer gibt, sondern er kommt dann voran, wenn die erneuerbaren Energien dort eingesetzt und produziert werden, wo die
klimatischen Voraussetzungen dafür gegeben sind, wo
man alte Öl- und alte Kohlekraftwerke abschalten kann
und durch eine moderne, umweltverträgliche Energieversorgung ersetzen kann. Ich möchte Sie alle einladen,
diese Initiative zu unterstützen.
Lieber Herr Ott, wir werden in einigen Monaten das
nächste große politische Treffen nutzen. In der Zwischenzeit wird einiges geschehen. Warum treffen sich
nicht Parlamentarier aus diesen zehn Energiewendeländern parallel und gemeinsam mit den Ministern, um
deutlich zu machen: „Das ist nicht nur eine Veranstaltung der Regierungen; das betrifft auch die Parlamente“?
Ich lade Sie herzlich ein, sich daran zu beteiligen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Klimaschutz ist deshalb so schwierig, weil wir immer auch im
Einzelnen Interessenkonflikte aushalten und lösen müssen. Das ist übrigens wie beim Hochwasserschutz. Ich
hätte es um ein Haar vergessen - Frau Künast hat so nett
über die Frage „Wer zahlt was?“ gesprochen -: Liebe
Frau Höhn, wenn Sie am Wochenende nach NordrheinWestfalen kommen, dann nehmen Sie bitte mit, dass die
Bild-Zeitung am 13. Juni 2013 schreibt:
Nordrhein-Westfalen kürzt beim Hochwasserschutz
um 10 Millionen Euro. Im Haushalt 2013 sind für
den Hochwasserschutz nur noch 30 Millionen Euro
eingeplant, nach 40 Millionen im Vorjahr.
({7})
Dass man kürzen muss, weil man pleite ist, das verstehe ich ja. Aber dass es ausgerechnet beim Hochwasserschutz geschehen muss, das sehe ich nun wirklich
nicht ein.
({8})
Lassen Sie uns das gemeinsam verhindern.
({9})
Der Kollege Kelber hat zum Thema Klimaschutz auf
die CO2-Grenzwerte von Kraftfahrzeugen hingewiesen.
Ich kann mich daran erinnern, weil ich alt genug bin und
das auch erlebt habe, dass die Haltung der Bundesregierung zum Thema „CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen“
seinerzeit von Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Clement maßgeblich bestimmt worden ist.
Dieser Linie, die Herr Schröder damals mit seiner Richtlinienkompetenz bestimmt hat, fühlt sich die Bundesregierung bis heute verpflichtet - nur mit dem Unterschied, dass wir glauben, dass wir die Arbeitsplätze in
Deutschland erhalten und trotzdem etwas mehr für den
Klimaschutz tun können.
Wir müssen uns dann eben Gedanken darüber machen, wie wir verhindern, dass die guten umweltfreundlichen Tendenzen und Entwicklungen in der deutschen
Automobilindustrie zunichte gemacht werden. Gestern
hat der erste große Hersteller ein elektrisches Serienfahrzeug vom Band rollen lassen - hier in Deutschland; das
hat es in Deutschland bisher nicht gegeben -; die anderen Hersteller werden nachziehen. Ich schäme mich
manchmal, wenn ich sehe, dass in der Stadt Peking inzwischen mehr Elektrobusse und Elektrofahrzeuge im
Einsatz sind als in der gesamten Bundesrepublik
Deutschland.
({10})
Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ott zulassen?
Aber gern.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Altmaier, ich fände es ganz schön, wenn Sie einmal etwas zu dem von uns vorgelegten Entwurf eines Klimaschutzgesetzes sagen würden, das ja Mittelpunkt des
Themas der Debatte ist. Im Grunde müssten Sie das, was
wir da aufgeschrieben haben, als eigenen Entwurf einbringen - wir würden Ihnen das wahrscheinlich sogar erlauben -; denn das ist genau das, was Ihnen fehlt. Wir
schreiben da für alle zukünftigen Bundesregierungen
zum Beispiel vor, dass es sektorale Reduktionsziele gibt,
dass die einzelnen Ressortminister da für ihren Bereich
verantwortlich sind und dass Maßnahmen getroffen werden, falls sie diese Ziele nicht erreichen. Ich meine, das
ist wie auf Sie zugeschnitten.
Jetzt nennen Sie mir doch einmal eine Gelegenheit,
bei der Sie gegenüber Ihrem Kollegen Rösler die Oberhand behalten haben, abgesehen vielleicht einmal von
der Besetzung des WBGU, was ja auch nicht in der
Kompetenz des Wirtschaftsministers liegt. Nennen Sie
uns doch einmal einen einzigen Fall, in dem Sie in einer
Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsminister sagen
konnten: Hier habe ich mich durchgesetzt.
Das ist doch die große Frage: Wie erklären Sie sich,
dass Ihre Kanzlerin, die Sie als Mann für das zweitwichtigste Projekt dieser Regierung, die Energiewende, eingesetzt hat - nach Schäuble für Finanzpolitik/Euro -, Sie
nicht unterstützt, dass diese Kanzlerin zwar in den Flutgebieten herumstapft und hier eine Aufmunterung gibt
und da eine kleine Flutopferhilfe zusagt,
({0})
aber nicht in dem zentralen Projekt dieser Bundesregierung tätig ist und Sie unterstützt, wo doch, wenn vernünftiger Klimaschutz betrieben würde, Katastrophen
wie die, die wir jetzt erleben, zukünftig weniger würden
und nicht mehr, wie das jetzt zu befürchten ist? Nennen
Sie uns doch einmal einen Fall!
({1})
Sehr geehrter Herr Kollege Ott, ich war heute eigentlich sehr auf Konsens eingestellt, aber eines möchte ich
Ihnen schon sagen: Ich verstehe meine Rolle in einer
Koalition nicht darin, dass ich mich ständig in einem
Klein-Klein-Krieg mit einzelnen Ministern befinde und
am Ende nichts erreiche.
({0})
Diese Regierung hat sich in allen entscheidenden Fragen
- das geht von der Energieeffizienz-Richtlinie über die
Haftung im Offshorebereich im Rahmen der Energiewende bis hin zur Reform der Photovoltaik-Förderung als handlungsfähig erwiesen. Der deutsche Bundesumweltminister hat einen erheblichen Beitrag dazu geleistet
und immer wieder mit Ideen die Diskussion vorangebracht.
({1})
Ich stelle nur einmal fest, lieber Herr Ott, dass wir
heute in Deutschland unter der Verantwortung von
Philipp Rösler und Peter Altmaier weitaus weniger CO2
ausstoßen und weitaus mehr erneuerbare Energien nutzen als seinerzeit unter der Verantwortung von Wolfgang
Clement und Jürgen Trittin.
({2})
Wir haben die Dinge vorangebracht, und wir lassen uns
diese Erfolge nicht kleinreden.
({3})
- Ich bin noch nicht fertig, Herr Kollege Ott. Sie haben
auch die Klimakanzlerin angesprochen. Bitte noch einmal kurz aufstehen!
Sie rufen ständig nach der Richtlinienkompetenz. Fragen Sie Ihren Kollegen Trittin, wie das damals war, als
Herr Schröder die Richtlinienkompetenz ausgeübt hat!
Ich sage Ihnen eines: Angela Merkel steht weltweit für
die Bemühungen, den Klimaschutz voranzubringen.
({4})
Sie war diejenige, unter deren Verantwortung das KiotoProtokoll zustande gekommen ist, und das ist bis heute
das effektivste Instrument, das wir in diesem Bereich haben.
({5})
Es ist nicht ausreichend, und wir müssen es verbessern.
Ich sage Ihnen, dass die Hoffnungen für den Klimaschutz weltweit auf den Schultern der Bundeskanzlerin
Angela Merkel ruhen.
({6})
Deshalb sollten Sie sie in diesem Bereich unterstützen.
Springen Sie über Ihren Schatten, auch wenn es vielleicht etwas schwerfällt.
({7})
Es ist öffentlich bekannt, dass ich der Auffassung bin,
dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit regulatorischen Eingriffen - das schlagen Sie vor - anfangen sollten. Ich glaube, dass das europäische ETS, das System
des Zertifikatehandels, ein marktwirtschaftliches System
ist, und ich glaube, dass wir kurz davor sind, diesem
System weltweit zum Durchbruch zu verhelfen: in
China, in Australien, in Korea.
({8})
In vielen Ländern dieser Welt ist ein eigener Zertifikatehandel eingeführt worden oder ist kurz davor, eingeführt zu werden.
({9})
Deshalb sollten wir nicht unsere Lösung, nur weil sie zu
rot-grünen Zeiten schlecht gestrickt worden ist, infrage
stellen.
({10})
Der deutsche Umweltminister - das ist bekannt - ist
vielmehr der Auffassung, dass wir das sogenannte Backloading machen sollten, damit wir ein Knappheitssignal
bekommen. Der deutsche Umweltminister wird weiter
dafür kämpfen. Der Unterschied zum Kollegen Duin,
lieber Herr Kollege Kelber, ist: Auch ich habe meine
Kollegen im EP angeschrieben.
({11})
Das hat immerhin sieben Kollegen dazu bewogen, dem
Backloading zuzustimmen.
({12})
Herr Duin hat auch einen Brief geschrieben. Er hat in Ihrer Partei niemanden zu etwas bewegt. Das haben Sie
eben selbst gesagt. Ich sage Ihnen eines: Widerstehen
Sie der Versuchung, dieses Thema in die parteipolitische
Auseinandersetzung zu führen.
({13})
Dass der Kollege Rösler eine andere Vorstellung vom
Backloading hat als der Bundesumweltminister,
({14})
ist nicht besonders überraschend. Ich sage Ihnen eines:
Wenn wir es gemeinsam geschafft haben, im Europäischen Parlament dafür eine Mehrheit zu erreichen, dann
wird sich diese Bundesregierung auch für die Abstimmung im Ministerrat positionieren.
({15})
Ich sage Ihnen zu, dass der Bundesumweltminister das
tut, wozu er nach seinem Amtsverständnis verpflichtet
ist, nämlich sich für eine erfolgreiche Klimapolitik einzusetzen und dafür, dass Deutschland Vorreiter und Vorbild in Europa und weit darüber hinaus bleibt.
Vielen Dank.
({16})
Jetzt hat Bärbel Kofler das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Altmaier, ich finde es schon ein bisschen perfide, wenn Sie nicht handeln, jedoch das Benennen Ihres Nichthandelns seitens der Opposition als
parteipolitisches Kalkül und Parteipolitik bezeichnen.
Wir fordern die Regierung zum Handeln auf, wenn es
zum Beispiel um die Fragen des europäischen Emissionshandels geht. Sie müssen an dieser Stelle liefern
und dürfen sich nicht hinter Ihren eigenen Koalitionsproblemen verstecken.
({0})
Eigentlich hätte ich schon erwartet, dass Sie einmal
klar sagen, wie Sie zu den CO2-Reduzierungszielen auf
europäischer Ebene stehen. Wollen Sie als Bundesregierung die 30-Prozent-Reduktion auf europäischer Ebene,
oder wollen Sie sie nicht? Wir alle wissen es nicht. Ihre
Regierung weiß es auch nicht. Diese Frage wurde von
uns vor einiger Zeit in der Fragestunde gestellt. Frau
Reiche antwortete darauf:
Die Bundesregierung hat bisher keine einheitliche
Haltung zu einer notwendigen Stärkung des europäischen Emissionshandels und prüft derzeit noch
die von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge.
Das ist doch kein aktives Handeln für einen der wichtigsten Partner in der Europäischen Union, wenn es um
die Frage der Vorreiterrolle beim Emissionshandel und
der Reduzierung der CO2-Ausstöße geht.
Ich glaube - Herr Kauch hat viel über die internationale Ebene gesprochen -, dass Sie mit Ihrem Nichthandeln Vertrauen auf internationaler Ebene verspielen.
Wenn man wirklich auf internationaler Ebene zur CO2Reduzierung kommen möchte, dann braucht man Partner, sei es in den Schwellenländern, aber gerade auch in
den Entwicklungsländern. Diese stehen vor unheimlichen Herausforderungen. Es muss 1,3 Milliarden Menschen, die noch keinen Zugang zu Energieversorgung
haben, geholfen werden, zu einer Energieversorgung zu
kommen. Es muss den 2,7 Milliarden Menschen geholfen werden, die lediglich eine mehr oder weniger notdürftig zusammengezimmerte Kochgelegenheit haben
und fossile Brennstoffe verwenden - mit allen Folgen
für Umwelt und Gesundheit.
Wenn Sie für diese Länder etwas tun wollen, dann treten Sie mit ihnen in einen partnerschaftlichen Dialog darüber, wie sie sich entwickeln und den Zugang zu Energie für ihre Bevölkerung verbessern können. Dabei
müssen aber auch die Grenzen unseres Planeten anerkannt werden, und es muss verstanden werden, dass die
Fehler, die wir während der Industriealisierung in der
Vergangenheit gemacht haben, nicht in anderen Ländern
reproduziert werden können.
Bevor dieser Dialog zustande kommt, bedarf es erst
einmal hier in Deutschland einer vernünftigen Haltung
mit vernünftigen Vorbildern. Dazu gehört das nationale
Ziel der CO2-Reduzierung. Dazu gehört die Haltung auf
europäischer Ebene. Dazu gehört auch Ihre Klima- und
Energiepolitik generell. An Kopenhagen erinnern wir
uns mit Grausen. Die von Ihnen viel gerühmte Energiewende lief doch nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ ab. Das wird im Ausland
bemerkt.
({1})
Sie wollten am Anfang dieser Legislaturperiode doch
etwas ganz anderes. Wer hat die Laufzeiten von Atomkraftwerken denn verlängert und ganz andere Signale
ausgesendet? Erst angesichts der Katastrophe von Fukushima und der bevorstehenden Landtagswahl in BadenWürttemberg sind Sie auf andere Gedanken gekommen.
Das ist doch der wahre Hintergrund. Es geht Ihnen nicht
um die Frage, wie man den CO2-Ausstoß wirklich verringert und die Energiewende weltweit voranbringt.
({2})
Es ist bezeichnend, dass gerade zu diesem Punkt
17 Anträge zum Thema Klimaschutz - Klimaschutz bei
uns und weltweit - vorliegen. Alle sind von der SPD
oder von den Grünen eingebracht. Die Regierung hat es
offensichtlich nicht nötig, irgendetwas einzubringen.
({3})
- Die Gesetze, die Sie machen, Herr Kauch, würden wir
gerne einmal sehen.
({4})
- Das stimmt. Gerne möchten wir sie nicht sehen.
Ich halte es für dringend geboten, etwas zum internationalen Bereich zu sagen. Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir uns explizit mit den Entwicklungsländern und der Frage beschäftigen, wie wir zu mehr
Energie für die Menschen kommen, aber auch Effizienz
voranbringen können. Wir wollen das Thema „Low Carbon“, wie es auf Neudeutsch so schön heißt, also weniger fossile Energien, voranbringen. Wir wollen Strategien mit den Ländern entwickeln. Wir wollen uns über
unsere Exportgarantien unterhalten und uns Gedanken
darüber machen, wie wir die Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz und nicht Garantien für Träger
von Atomenergie oder fossiler Energie in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.
({5})
Es ist leider zu Recht über die Frage der Anpassungsmaßnahmen in Deutschland gesprochen worden. Ich betone das Wort „leider“. Es ist nichts Schönes, dass wir
uns darüber unterhalten müssen, dass auch bei uns mittlerweile Anpassungsmaßnahmen notwendig sind. Vom
Kollegen Kelber ist zu Recht angedeutet worden, dass in
den Ländern des Südens - ich nenne das Beispiel Bangladesch, weil die Grünen und wir gemeinsam einen Antrag dazu eingebracht haben -, also bei den Ärmsten der
Armen, in den letzten 30 Jahren 200 Extremwetterereignisse stattgefunden haben: Dürren, Überschwemmungen, Überflutungen. 180 000 Menschen haben ihr Leben
verloren. Wir machen leider keine wirklichen Angebote,
um diese Menschen, die vor Ort eine ganze Menge tun,
zu unterstützen, sei es mit dem Bau von Notunterkünften, sei es mit der Umstellung ihres Energiesystems hin
zu erneuerbaren Energien - das wollen viele -, sei es
hinsichtlich der Frage der Flüchtlingsbewegung, die
mittlerweile Druck auf die Städte und die sozialen Strukturen ausübt.
Wir müssen diese Länder anhand von Anpassungsmaßnahmen unterstützen.
Frau Kofler!
Ich komme zum Schluss. - Das wäre eine wirkliche
Hilfestellung, durch die in den anderen Ländern Vertrauen in den internationalen Klimaschutz und in ein
Handeln für eine gemeinsame Welt unter Anerkennung
der Grenzen unseres Planeten geschaffen wird.
Danke sehr.
({0})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege
Horst Meierhofer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte kurz noch etwas zum Hochwasserschutz sagen, weil ich aus Regensburg komme und wir den
höchsten Wasserstand seit mehr als 130 Jahren zu verzeichnen hatten: Es ist - wie sich mittlerweile abzeichnet - glücklicherweise so, dass die Schäden aufgrund
mobiler Hochwasserschutzelemente deutlich geringer
ausgefallen sind als in den letzten Jahren. Das zeigt also,
dass man mit Anpassung wirklich etwas bewegen kann.
Wenn man sich die Situation donauabwärts ansieht
- Richtung Deggendorf und Passau sowie Richtung
Elbe -, dann erkennt man, welche Probleme und Schwierigkeiten vorhanden sind. Eine Antwort allein wird nicht
ausreichen. Das, was Minister Altmaier gesagt hat, nämlich dass man den Flüssen mehr Raum geben muss, ist
richtig. Dafür müssen wir gemeinsam sorgen. Es gibt übrigens auch Umweltschutzverbände, die sich eingebracht
haben. Dazu gehören NABU und WWF, aber auch
BUND, die Deichrückverlegungsmaßnahmen ergriffen
haben. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Bereich. In
dem Bereich müssen wir noch mehr tun.
Allerdings - das ist die Kehrseite - geht es nicht nur
darum, Deiche zurückzuverlegen, sondern auch darum,
aktiv Hochwasserschutz zu betreiben, also auch Hochwasserdämme zu bauen. Da gibt es schon das eine oder
andere Beispiel dafür, wo von den Umweltschutzverbänden oder auch Parteien ein bisschen mehr Entgegenkommen gezeigt werden muss. Ich glaube, wir müssen uns,
wenn die Flut vorbei ist und die Probleme gelöst sind,
genauer darüber unterhalten und Akzeptanz insbesondere für aktiven Hochwasserschutz beispielsweise in
Form von Wällen und Wänden erreichen. Da muss man
von der Blockadehaltung wegkommen und ein bisschen
mehr darauf setzen, die Leute, die davon direkt betroffen
sind, zu schützen.
({0})
Ein Thema, das dazugehört, ist die Frage der Finanzierung. Als bayerischer Abgeordneter darf ich sagen:
Der Osten war vom Hochwasser 2002 natürlich deutlich
stärker betroffen; aber wenn eine Fondslösung am
Schluss dazu führt, dass ein Bundesland ungefähr
60 Millionen aus dem Fonds erhält und gleichzeitig
450 Millionen Euro einzahlt, so wie es damals im Falle
Bayerns war, dann ist es nicht der richtige Weg. Es sollte
schon so sein, dass man den betroffenen Regionen
schnell und unbürokratisch hilft. Die Bundeskanzlerin
selbst hat darauf hingewiesen, dass eine Eins-zu-einsLösung - auf jeden Euro, der von den Ländern kommt,
legt der Bund einen Euro drauf - eine Lösung sein
könnte, die uns allen hilft. Ich hoffe, dass wir da zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
({1})
In Nordrhein-Westfalen scheint es nicht ganz so gut
zu funktionieren. Minister Altmaier hat darauf hingewiesen, dass die Mittel für den Hochwasserschutz dort um
10 Millionen Euro reduziert wurden. Damit nicht genug:
Gleichzeitig wurde die Förderquote gesenkt.
({2})
Bisher war es so, dass 80 Prozent der Kosten, die von
den Leuten vor Ort für den Hochwasserschutz aufgewendet wurden, von den Ministerien, vom Land übernommen wurden. Die Landesbeteiligung wurde jetzt auf
70 Prozent reduziert, was bedeutet, dass die Betroffenen
10 Prozentpunkte mehr bezahlen müssen. Ob das in
solch einer Phase die richtige Botschaft ist, Herr Kelber,
das wage ich wirklich zu bezweifeln.
({3})
Ich komme zu den Themen, die uns heute beschäftigen. Klimaschutz im Zusammenhang mit Hochwasser
ist ein kleiner Bereich; ganz anders sieht es mit dem
weltweiten Klimaschutz aus. Ich möchte darauf hinweisen, dass unsere Regierung extrem hohe Aufwendungen
und extrem große Anstrengungen unternommen hat: Allein im Jahr 2013 werden 16,4 Milliarden Euro für den
Klimaschutz bereitgestellt. Auch was die Reduzierung
der CO2-Emissionen betrifft, gibt es einen Riesenerfolg:
Im Kioto-Protokoll haben wir uns verpflichtet, die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 21 Prozent zu reduzieren. Ich habe gehört, dass eine Senkung um 25 Prozent
oder sogar 27 Prozent erreicht worden ist. Das reicht
nicht aus, aber es ist ein Riesenschritt.
({4})
Es ist ein schönes Ergebnis, dass wir unser Ziel übererfüllt haben. Das wollen wir gerne ausweiten.
({5})
Es taucht des Öfteren die Frage auf, ob die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen bereit seien, die
Klimaschutzziele insgesamt zu erhöhen. Da sage ich:
Natürlich sind wir bereit. Deutschland hat das Ziel, die
CO2-Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren.
({6})
Das ist ambitionierter als die Ziele, Herr Ott, die sich die
rot-grüne Regierung gesetzt hat.
({7})
Wir haben gesagt, dass wir auch bereit wären, auf europäischer Ebene das Ziel einer Reduzierung der EmissioHorst Meierhofer
nen um 30 Prozent festzulegen. Wenn wir es schaffen,
die Emissionen in Deutschland um 40 Prozent zu reduzieren, dann werden sich auch die anderen an einer stärkeren Reduzierung beteiligen. Sie können es im Nachhaltigkeitsbericht des letzten Jahres nachlesen; dort
haben wir es ganz klar niedergeschrieben. Wir werden es
auch tun.
Herr Kelber, jetzt möchte ich auf eines hinweisen. Sie
erwarten von uns, dass wir unsere Ziele, die wir ambitionierter gestalten als Sie jemals vorher, nochmals erhöhen. Und was machen Sie in den Bundesländern? Sie reduzieren die Ziele. Sie haben die Klimaschutzziele in
Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen reduziert
({8})
und darüber hinaus, was die Gebäudesanierung betrifft,
das Gegenteil von dem gemacht, was passieren sollte,
nämlich dafür gesorgt, dass im Bundesrat wirkliche Klimaschutzmaßnahmen blockiert werden. Wenn man das
macht, also Wasser predigt und Wein säuft, dann ist das
nicht besonders nachhaltig und glaubwürdig.
({9})
Dann sollten Sie die Letzten sein, die mit dem Finger auf
uns zeigen. Sie sollten sich auch einmal darüber freuen,
dass wir sehr viel erreicht haben, auch wenn Sie es uns
vielleicht nicht gönnen.
Herr Kollege.
Es waren vier sehr gute Jahre für den Klimaschutz,
für die erneuerbaren Energien und den Emissionshandel.
Vielen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Ulrich Kelber das Wort.
({0})
Fakten kann man immer in ziemlich kurzer Zeit darlegen, Herr Kollege Grosse-Brömer. - Eigentlich hätte
Herr Kauch, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, Herrn
Meierhofer von der FDP schon einmal erklären müssen,
wie es sich mit den Klimaschutzzielen in NordrheinWestfalen verhält, die der Kollege gerade am Ende erwähnt hat. In der Tat ist das Klimaschutzziel der rot-grünen Landesregierung unterhalb des Klimaschutzzieles
der schwarz-gelben Landesregierung!
({0})
- Ich wusste, dass Sie sich freuen. Das Interessante ist
aber, hinzuschauen: Wie war denn die Entwicklung bei
den Treibhausgasen unter der schwarz-gelben Landesregierung, die sich eine Reduzierung um 30 Prozent vorgenommen hat? In den fünf Jahren ihrer Regierungszeit hat
sie es geschafft, den Ausstoß von Treibhausgasen in
Nordrhein-Westfalen zu erhöhen. Das ist eben der Unterschied zwischen Schein und Sein.
({1})
Herr Meierhofer.
Wenn Sie tagesgenau abrechnen wollen, wie viel man
auf der einen Seite im Bereich Klimaschutz erreicht hat
und wie viel Treibhausgasemissionen es auf der anderen
Seite gab, dann sollten Sie vernünftige Zeiträume angeben.
({0})
Schauen Sie sich an, was wir im Zuge des Kioto-Protokolls in den Jahren 1990 bis 2012 erreicht haben.
({1})
27 Prozent sind ein stattliches Ziel, auch wenn wir im
letzten Jahr auf nationaler Ebene mehr CO2-Ausstoß zu
verzeichnen hatten.
({2})
Übrigens wurde aufgrund des Emissionshandels europaweit weniger CO2 ausgestoßen als vorher.
({3})
- Es tut mir leid, dass ich nicht für jeden einzelnen
Wahlkreis die Ziele pro Tag und Monat definieren kann.
({4})
Aber Tatsache ist, dass der Emissionshandel funktioniert.
Folgendes ärgert mich furchtbar: Man legt Ziele auf
internationaler Ebene fest. Sie alle weisen regelmäßig
darauf hin, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit Klimaschutz betreiben müssen. Wir haben uns
für die Erreichung der Ziele eingesetzt. Die Ergebnisse
liegen nun vor, aber Sie sagen: Schön und gut, aber bei
uns zu Hause reicht das nicht aus, darum müssen wir
jetzt etwas anderes machen. - Aber so funktioniert das
nicht.
Sie können nicht fünf Konzepte in fünf Projekten
gleichzeitig verwenden, um ein Ziel zu erreichen. Sie
müssen eine Vorgabe machen, die Sie erreichen wollen.
Nur dann schaffen Sie es. Aber genau das machen Sie
leider nicht. Sie sagen: Wir achten nur auf uns, wir brauchen die Vorreiterrolle, und es ist uns schnurzpiepegal,
was der Rest der Welt macht. So kommen wir zu keinem
Ergebnis.
Obwohl wir in einem Jahr, in dem wir Gott sei Dank
einen Wirtschaftsaufschwung zu verzeichnen haben, wie
er weltweit oder zumindest europaweit nicht vergleichbar ist, etwas mehr Emissionen haben, haben wir trotzdem unsere Klimaschutzziele auf europäischer Ebene erreicht, weil andere dafür deutlich weniger Emissionen
haben. Wenn wir es schaffen würden - Kollege Kauch
hat darauf hingewiesen, dass wir gerne dazu bereit wären -, das auch auf den Verkehrssektor und auf den
Wohnbereich auszudehnen, hätten wir eine echte
Chance, noch mehr für den Klimaschutz zu tun. Das
könnten wir vielleicht gemeinsam angehen; denn auch
Sie haben dieses Ziel.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Drei
Minuten für „Sie haben recht!“ Das ist ein
neuer Rekord! Das hätte man auch in vier
Worten sagen können.
Bärbel Höhn hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir legen Ihnen hier im Deutschen Bundestag heute unseren
Gesetzentwurf zum Klimaschutz vor, weil wir das
Thema aus der tagespolitischen Debatte herausholen
wollen. Herr Meierhofer, wir wollen, dass das Thema
Klimaschutz langfristig angegangen wird und dass wir
nicht nur Ziele verkünden, sondern dass wir diese Ziele
am Ende auch erreichen. Das muss unsere Aufgabe sein.
({0})
Die deutsche Politik hat die Schuldenbremse gesetzlich verankert, weil es nicht sein kann, dass wir immer
mehr Schulden machen und nachfolgende Generationen
keinen Spielraum mehr haben. Meine Fraktion findet,
dass die Erhaltung unserer Lebensgrundlage, der Klimaschutz, eine ebenso wichtige Aufgabe ist, die wir nicht
einfach auf Kosten unserer Kinder lösen dürfen. Deshalb
brauchen wir nicht nur eine Schuldenbremse, sondern
wir brauchen auch eine CO2-Bremse, um unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen.
({1})
Die Hochwasserkatastrophe erinnert uns in der Tat
daran, wie teuer nicht vorhandener Klimaschutz sein
kann. Der eine oder andere mag der Meinung sein: Der
Klimawandel ist doch gar nicht so schlimm, es wird vielleicht 2 bis 3 Grad wärmer. Wir sehen, dass genau das
eintritt, was Niclas Stern in seiner Studie gesagt hat: Wir
werden den Klimawandel nicht bezahlen können. Er
wird so teuer, dass ihn keiner bezahlen kann. - Deshalb
müssen wir uns für den Klimaschutz einsetzen. Die Flutkatastrophen zeigen, dass auch Deutschland nicht verschont bleibt.
({2})
Mir ist wichtig, dass wir beim Klimaschutz auch an
unsere internationale Verantwortung denken; denn wir,
die Industrieländer, sind für den hohen CO2-Ausstoß
verantwortlich. 80 Prozent der Emissionen werden von
den Industrieländern verursacht. Die Gewinne sind lange
eingefahren, aber die Opfer des Klimawandels, die zum
Beispiel in Bangladesch und Afrika leben, leiden immer
wieder unter den Folgen; noch viel mehr als wir hier.
Deshalb haben wir die Verpflichtung - nicht nur für die
Menschen hier in Deutschland, sondern auf der ganzen
Welt -, verlässlichen Klimaschutz zu betreiben.
({3})
Die Rolle der Kanzlerin ist mehrfach angesprochen
worden. Herr Altmaier, es stimmt: Die Kanzlerin hat damals das Kioto-Protokoll mitverhandelt. 2007 hat sie
sich, als es en vogue war und der Stern-Bericht gerade
auf dem Tisch lag, als Klimakanzlerin präsentiert. Aber
nach 2007 hat sie alle ihre Versprechungen nicht gehalten. Es waren leere Versprechungen.
({4})
2008 hat sie auf europäischer Ebene dafür gekämpft,
dass die großen Autos mehr CO2 ausstoßen dürfen. 2008
trug die Kanzlerin die Verantwortung für das verheerende Ergebnis der Klimakonferenz in Poznan und in der
Folge auch in Kopenhagen. Es kann nicht sein, dass
tolle, medienwirksame Fotos mit einem roten Anorak
vor den schmelzenden Eisbergen gemacht werden und
danach kein Klimaschutz betrieben wird.
({5})
Das darf nicht sein. Deshalb wollen wir unser Klimaschutzgesetz. Deshalb wollen wir auch, dass diese Kanzlerin endlich ihre Verantwortung wahrnimmt - denn sie
ist diejenige mit dem meisten Wissen in der Bundesregierung -, den Wirtschaftsminister endlich in die
Schranken weist und endlich dafür sorgt, dass der Klimaschutz in Deutschland ernst genommen wird und wir
eine Vorreiterrolle übernehmen, auch in der EU. Dafür
brauchen wir unser Klimaschutzgesetz.
Danke schön.
({6})
Daniela Ludwig hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Uns liegt ein bunter Strauß aus Anträgen
und Gesetzentwürfen vor. Sie nehmen es mir hoffentlich
nicht übel, wenn ich mich in meiner Eigenschaft als Verkehrs- und Baupolitikerin zunächst gerne mit den entsprechenden Anträgen beschäftigen möchte; denn zum
Klimaschutz und zu dem, was Sie sich sonst noch vorstellen, haben wir heute schon Hinreichendes gehört.
Auch die Rednerinnen und Redner nach mir werden
dazu sicherlich noch einiges ausführen.
Vorweg möchte ich etwas zur Mobilitätsstrategie der
Bundesregierung sagen: Wir sind „mit Ziel mobil“. So
möchte ich das einmal überschreiben. Wer das Gegenteil
behauptet - das war heute schon vielfach der Fall -, der
hat ganz offenkundig das Verkehrskonzept dieser Bundesregierung nicht richtig verstanden.
({0})
Wenn wir innerhalb der Bundesregierung, aber auch innerhalb der Koalitionsfraktionen manchmal über den
Weg zu den konsensualen Zielen debattieren, dann ist
das, so glaube ich, nicht unbedingt verwerflich. Das
zeigt nur: Wir sind an gesellschaftlichen Debatten über
die Energiewende und den Klimaschutz interessiert, und
wir sind daran interessiert, die Menschen, aber auch die
Industrie in unserem Land mitzunehmen.
({1})
Das möchte ich an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen. Anders funktioniert die Energiewende mit Sicherheit nicht.
Was die CO2-Reduktionsziele im Verkehrsbereich angeht, möchte ich Folgendes sagen: Das, was im Energiekonzept der Bundesregierung steht, geht weit über das
hinaus, was in den vorliegenden Anträgen gefordert
wird. Das müssen Sie schlicht und ergreifend einmal zur
Kenntnis nehmen. Wir sagen: Der Energieverbrauch im
Verkehrssektor soll bis 2020 um 10 Prozent und bis 2050
um immerhin 40 Prozent gesenkt werden. Außerdem bezieht sich das Energiekonzept dieser Regierung nicht nur
auf fossile Energieträger, sondern auch auf nichtfossile
Energieträger. Dabei sind wir auch noch technologieoffen.
Ich glaube, auch das ist wichtig; denn im Moment kann
keiner wirklich beurteilen, was sich am Markt letztlich
durchsetzen wird. Wir sollten den Markt nicht vergessen.
Bei uns geht es um Elektromobilität, bei uns geht es aber
auch um die Brennstoffzelle und um Hybride.
({2})
Ich glaube, das zeigt, dass wir auf einem relativ guten
Weg sind, wir aber auch viele Dinge gemeinsam mit der
Industrie und der Forschung weiterentwickeln müssen.
Die SPD fordert, Biomethan im Verkehrssektor zu
fördern. Ja, diesbezüglich besteht ein klarer Konsens.
Das sehen wir auch so. Allerdings ist auch das bereits
Bestandteil unseres Energiekonzeptes. Wenn Sie sich
das zu Gemüte geführt hätten, hätten Sie dieses Stichwort leicht gefunden.
({3})
Wir sind bereits dabei, diese Forderung zu erfüllen und
umzusetzen. - Frau Kofler, falls Sie es nicht verstanden
haben, wiederhole ich das gerne noch einmal:
({4})
Der Verkehrssektor ist nicht ganz unwichtig bei der
Frage, wie wir die Klimaschutzziele und die Energiewende umsetzen. Deswegen erlaube ich mir, in meiner
Rede auf die Punkte einzugehen, die aus Sicht der Verkehrspolitiker in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig sind. Das müssen Sie schlicht und ergreifend
aushalten. Da müssen Sie jetzt durch. Ganz offensichtlich haben Sie ein Problem damit, wenn man hier relativ
ruhig, ohne den Schallpegel zu durchbrechen, ein paar
Fakten vorbringt und sagt, wo wir hinkommen wollen
und wie wir das erreichen wollen.
Deswegen sage ich zum Thema Biomethan: Auch
hier sind wir offen. Sie, liebe Kollegen von der SPD, haben vielleicht auch zur Kenntnis genommen, dass Biomethan bei der Biokraftstoffquote selbstverständlich anrechenbar ist. Aber auch hier gilt: Es gibt noch ein Leben
daneben. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Die Verbrauchsgrenzwerte müssen ambitioniert sein,
keine Frage. Aber uns ist schon wichtig, dass Ambitionen und Augenmaß zusammenpassen, dass das eine das
andere nicht ausschließt. Wir haben heute schon mehrfach gehört, dass wir in diesem Bereich europaweit absolute Vorreiter sind. Der Kollege Jung hat es ausgeführt, der Bundesumweltminister ebenso. Wir wissen
aber auch, dass wir Standort von vielen großen und guten Fahrzeugschmieden sind. Ich möchte hier in aller
Deutlichkeit sagen: Wir stehen dazu, dass wir in unserem Land eine herausragend gute Automobilindustrie
haben, und wir wollen auch, dass das so bleibt.
({5})
Deshalb ist es auch nicht verwerflich und nicht verboten, sich mit der Industrie darüber zu unterhalten, wie
wir ambitionierte Ziele miteinander und nicht gegeneinander erreichen können. Das ist auch ein Ziel der Verkehrspolitik der deutschen Bundesregierung. Dazu stehen wir definitiv. Wir wissen, dass wir im Bereich der
Elektromobilität noch einige Probleme zu lösen haben,
keine Frage. Wir befinden uns in einer - wie es so schön
heißt - schwierigen Marktvorbereitungssituation. Wir
verfolgen ein ehrgeiziges Ziel, und wir werden noch sehr
hart daran arbeiten müssen, lieber Kollege Jung, dieses
auch zu erreichen.
Aber es geht nicht gegen den Markt, es geht nur mit
dem Markt. Es geht auch nur mit dem Verbraucher, der
letztlich diese Autos fahren und bezahlen muss. Danach
müssen wir uns politisch richten. Deswegen gilt für uns
ganz klar: nicht nur Reglementierung, nicht ein Gegeneinander, sondern ein gutes Miteinander und ein gemeinsames Erreichen dieser Ziele. Ich glaube, dass wir tatsächlich auf einem ausgezeichneten Weg sind.
({6})
Angesichts dieser Leistungsbilanz glaube ich, dass
wir zufrieden sein können. Wir können uns nicht zurücklehnen, ganz im Gegenteil. Wir müssen noch sehr viel
dafür tun, dass wir beim Klimaschutz vorankommen.
Aber ich möchte betonen: Diese Leistungsbilanz kann
sich in der Tat sehen lassen, und sie ist durchaus noch
ausbaufähig. Das hätte ich gern in dem einen oder anderen Antrag von Ihnen gelesen, aber dafür hat es im
Wahlkampf offenbar nicht mehr gereicht.
({7})
Vielen Dank.
({8})
Angelika Graf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!
Frau Kollegin Ludwig, meine Lebenserfahrung sagt mir,
dass man dem politischen Gegner besser nicht unterstellen sollte, dass er dumm, uninformiert etc. ist. Ich denke,
das hat etwas mit dem Ansehen der Politik zu tun. Dem
haben Sie gerade intensiv geschadet.
({0})
Ich möchte mich mit dem Thema, das ich Ihnen heute
vorstelle, ein bisschen außerhalb der Grenzen Deutschlands bewegen; denn der Klimawandel macht eben nicht
an den Grenzen halt. Darüber haben wir heute schon länger und anhand vieler Beispiele gesprochen.
Ich möchte Ihnen von einer Delegationsreise des
Menschenrechtsausschusses, dem ich angehöre, berichten. Wir waren Anfang April in Nepal und haben uns
über die schwierige Lage vor Ort informiert. Diese hat
auf der einen Seite etwas mit den Schatten der Vergangenheit zu tun, die immer noch auf diesem Land liegen,
auf der anderen Seite aber durchaus auch mit der Klimaveränderung, die man in Nepal ganz besonders deutlich
sieht und spürt. Die Gletscher im Himalaja-Staat
schmelzen. Der UN-Klimarat schätzt, dass sie im Jahre
2035 nur noch ein Fünftel der heutigen Fläche bedecken.
Durch die Schmelze entstehen riesige Gletscherseen.
Wenn man sich anschaut, welche Flächen dort überflutet
werden, weiß man, dass die Hochwasser, gegen die wir
heute hier kämpfen und die uns wegen ihrer Ausmaße
und der Anzahl der betroffenen Menschen erschrecken,
dagegen wirklich ein Klacks sind. Die Folge ist - so absurd es klingt -, dass die Trinkwasserversorgung für
rund 1,3 Milliarden Menschen in den umliegenden Ländern stark gefährdet ist. Die Menschen sind somit sehr
stark in ihrem Recht auf Wasser beeinträchtigt.
Um auf die Folgen der Erderwärmung aufmerksam zu
machen, hat die Regierung von Nepal im Jahre 2009 am
Mount Everest in 5 262 Metern Höhe getagt. Ich frage
jeden, der hier ist, ob er das zur Kenntnis genommen hat,
ob uns allen bekannt ist, wie verzweifelt die Lage in diesem Land ist.
Ich finde es gut, dass Nepal bei der diesjährigen Klimakonferenz in Polen eine besondere Rolle einnimmt. Nepal ist derzeit der Sprecher der Gruppe der Least Developed Countries. Damit hat Nepal die schwierige
Aufgabe, die Interessen und Bedürfnisse derjenigen
Menschen zu vertreten, deren Rechte durch die Folgen
des Klimawandels am stärksten gefährdet sind.
Bisher standen die Rechte der Menschen bei den Debatten der internationalen Klimaverhandlungen eben
nicht im Zentrum des Interesses. Mittlerweile diskutieren die Regierungen und auch die Großen der Weltwirtschaft über geeignete Anpassungsstrategien - das ist in
Ordnung -, streiten über einen transparenten Emissionshandel - auch das ist prima - und über das 2-Grad-Ziel.
Wir haben heute mehrfach gehört, dass wir dieses wohl
nicht erreichen können; es ist aber gut, dass dies ein
Thema ist.
Eines vermisse ich jedoch bei all diesen Diskussionen
- das ist meiner Meinung nach das Wichtigste -, nämlich
die Rechte der Menschen. Es geht darum, den Menschen
nicht als hilfloses Opfer, sondern als Träger von Rechten
zu sehen und diese Thematik mehr in die Debatte um
den Klimawandel einzubringen.
({1})
Dies umfasst das Recht auf Wohnen, das Recht auf Wasser, das Recht auf Gesundheit und zum Beispiel auch
- da schließe ich an das an, über das wir vorhin debattiert haben - das Recht, nicht vertrieben zu werden, nicht
vom Wasser und auch nicht von anderen Menschen, die
mehr Geld haben und sich infolgedessen sozusagen in
dem Land einkaufen, wo andere Menschen vorher gelebt
haben.
Die Verbindung zwischen der Verletzung von Menschenrechten und dem Klimawandel ist, wie das eingangs beschriebene Beispiel Nepal gezeigt hat, offensichtlich. Dennoch ist auf internationaler Ebene bisher
keine Verknüpfung dieser beiden Rechts- und Politikbereiche erfolgt. Auf der einen Seite haben wir das internationale Menschenrechtssystem mit den UN-Pakten,
der Genfer Flüchtlingskonvention und mit seinen individuellen Möglichkeiten der Beschwerde. Auf der anderen
Seite haben wir die internationalen Klimaverhandlungen
unter dem Dach der Klimarahmenkonvention.
Hier setzt unser Antrag an. Wir sind der Meinung,
dass die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels
ausschließlich in Verbindung mit der Verletzung oder
Gefährdung der Rechte der Menschen gesehen werden
Angelika Graf ({2})
können und sollen und dass wir die Einbindung der
Menschenrechte in die Klimadiskussion brauchen, um
nachhaltige und für die Menschen angepasste und wichtige und richtige Lösungen zu finden.
({3})
Ein menschenrechtsbasierter Ansatz in der Klimapolitik
würde aus unserer Sicht die internationalen Diskussionen neu ankurbeln und den besonders Betroffenen eine
wichtige Stimme verleihen.
Erstens ist in den UN-Pakten die Pflicht, international
zu kooperieren, fest verankert. Zweitens würde der Fokus dadurch besonders auf verwundbare Bevölkerungsgruppen, also zum Beispiel ethnische Minderheiten, gelegt. Drittens könnte ein menschenrechtsbasierter Ansatz
Standards und Mechanismen für die Klimapolitik bereitstellen, die den Klimawandel mit seinen Folgen auf vertraglich vereinbarter Grundlage politisch und rechtlich
bewerten.
Wir fordern daher diese und die kommenden Bundesregierungen auf, diesen Ansatz im Menschenrechtssystem und bei den Klimaverhandlungen sowie im Flüchtlingsschutz
Frau Kollegin.
- ich bin sofort fertig - und der bi- und multilateralen
Entwicklungspolitik entsprechend zu integrieren. Herr
Kauch, vom Außenministerium - Sie sind mir nicht böse habe ich diesbezüglich noch nichts gehört.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Klaus Breil.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! In tiefer Betroffenheit möchte ich mich den
Worten des Kollegen Horst Meierhofer zur Hochwasserkatastrophe, vor allen Dingen mit dem Bezug zu Bayern,
anschließen.
Angesichts der Anzahl der Beschlussempfehlungen
und Anträge möchte ich mich auf die zwei Punkte
„transatlantische Kooperation“ und „China als Partner“,
die sich vor allem in zwei Anträgen der Grünen finden,
konzentrieren. Dabei möchte ich die Damen und Herren
der Opposition um eines bitten. Allzu oft führen Sie die
Vorreiterrolle Deutschlands als Begründung für die Einführung von Zwangsmaßnahmen an. Ich möchte Ihnen
in dieser Sache eines mitgeben: Nehmen Sie bitte zur
Kenntnis, dass Fingerzeige von uns auf China oder die
USA als diejenigen, die Nachhilfe von uns brauchen,
nicht notwendig sind.
({0})
Niemand braucht oder mag uns Deutsche als Besserwisser, die stets nach einer Eins mit Sternchen lechzen.
Beide Länder - das mag für den einen oder anderen hier
neu sein - kümmern sich sehr wohl um den Klimaschutz
innerhalb ihrer Staatsgrenzen. Beide Länder tun dies auf
ihre eigene Art. Beide Länder nehmen andere Wege als
wir in Deutschland.
Da Sie mir das nicht glauben, möchte ich Ihnen zwei
Beispiele aus meiner jüngsten persönlichen Erfahrung
nennen. Ende Mai war ich in Washington D. C. auf dem
Energy Efficiency Global Forum, einer internationalen
Konferenz zur Energieeffizienz. Dort war es fast schon
eine Selbstverständlichkeit, dass ein Deutscher, nämlich
der Unternehmer Heinz Dürr, mit einem Preis für sein
Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Deutschland steht
wie kein anderes Land für Effizienz, so auch für Energieeffizienz.
({1})
Die Amerikaner verfolgen bei ihrer Energiewende
einen anderen, einen eigenen Ansatz: Sie agieren marktbezogen. Sie setzen auf Energieeffizienz sowohl in der
Industrie als auch in den privaten Haushalten. Großen
Einfluss auf die Steigerungsraten bei der Energieeffizienz bzw. bei der Produktivität haben in den USA Produktzyklen: die Zeiträume, in welchen Maschinenparks
oder Geräte ausgetauscht werden. Bei diesem Weg
möchte ich einem souveränen Staat nicht hereinreden.
Den Ansatz der Chinesen zum Klimaschutz konnte
ich auf der letzten Delegationsreise des Wirtschaftsausschusses wieder erleben: Dort werden - das ist zugegebenermaßen eine Spur mehr Planwirtschaft als bei uns Fünfjahrespläne aufgestellt. Diese haben unter anderem
das Ziel, die Effizienz in den Unternehmen zu steigern
und den Einsatz von Ressourcen zu verringern. Für mich
ist das eine klare Ansage und nicht neu: Auch im letzten
Fünfjahresplan wurde das Projekt Energieeffizienz angegangen, und zwar für die chinesische Stahlindustrie.
Durch strenge Vorgaben wurden in China in diesem Bereich die größten Verschmutzer vom Markt genommen.
({2})
Ihnen wurde einfach die Genehmigung zur Produktion
entzogen. Das ist der chinesische Weg.
({3})
Unser Weg liegt zwischen dem amerikanischen mit
viel Markt und dem chinesischen mit Plänen. Mit Verlaub: Wir könnten ein wenig mehr Markt gebrauchen;
aber das gehen wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner in der kommenden Legislaturperiode an.
Vielen Dank.
({4})
Jetzt hat der Kollege Johannes Röring das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Koalition steht ohne Wenn und Aber zum Klimaschutz.
Keine Regierung hat so viel für den Klimaschutz getan
wie die christlich-liberale Koalition unter Angela
Merkel.
({0})
Der Maßnahmenkatalog reicht von der Förderung der
erneuerbaren Energien bis hin zur Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Die Reduktion von Treibhausgasen um 40 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent
bis 2050
({1})
ist keine leere Worthülse, sondern sie ist Realität.
({2})
Meine Damen und Herren, in einem der siebzehn Anträge, über die wir hier diskutieren, geht es auch um die
Landwirtschaft. Deswegen möchte ich ein wenig näher
darauf eingehen. Wie jeder andere Sektor ist auch die
Landwirtschaft bereit, ihren Beitrag zum Erreichen der
Klimaschutzziele zu leisten. Die Bauern selbst haben ein
großes Interesse am Klimaschutz.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die Starkregenfälle der letzten Wochen erwähnen, die viele Dörfer und
viele meiner Berufskollegen stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen
Helferorganisationen bedanken und äußerst loben, dass
dort so viel Einsatz gezeigt wurde. Mein Dank gilt auch
den vielen Landwirten, die mit ihren Maschinen, mit ihrer Technik mitgeholfen haben.
Ich sage der Opposition an dieser Stelle sehr deutlich:
Die Landwirtschaft ist - anders als das manchmal
behauptet wird - bereit, ihren Beitrag zu leisten, auch in
der Frage von Retentionsflächen. Wir sehen allerdings
nicht ein, warum diese Flächen nicht bewirtschaftet werden sollen. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Die
Landwirtschaft lässt mit sich reden.
({3})
Wenn es um notwendige Deichbaumaßnahmen geht,
sage ich Ihnen allerdings sehr deutlich: Da ist mir der
Mensch wichtiger als die Libelle.
Land- und Forstwirtschaft sind die einzigen Wirtschaftszweige, in denen durch den Anbau von Pflanzen
und durch Humusanreicherung in den Böden sogar CO2
gebunden werden kann. Die originäre Aufgabe der
Landwirtschaft ist nämlich Erzeugung von hochwertigen
Nahrungsmitteln für die Menschen.
Um weiterhin genügend gute und bezahlbare Nahrung zu produzieren, brauchen wir eine hocheffiziente
und intensive Landwirtschaft.
({4})
Diese wird aber immer öfter von einigen als industrielle
Landwirtschaft beschimpft, und das vor dem Hintergrund einer sich noch vergrößernden Weltbevölkerung.
Deswegen glaube ich, dass eine extensive Landwirtschaft und Ökoanbau allein die Menschen auf der Welt
nicht satt machen werden.
({5})
Die Landwirtschaft ist zwar durch Emissionen wie
CO2, Methan und NO2 am Klimawandel beteiligt, aber
ein Verzicht oder eine Verlagerung von Produktion in
andere Länder - das wäre die zwangsläufige Folge wäre überhaupt keine Alternative.
({6})
Zum Beispiel ist ohne den Einsatz des Hauptnährstoffes
Stickstoff kein Anbau von Früchten möglich. Aber die
Landwirtschaft ist bereit, sich durch ständige Anpassung
der guten fachlichen Praxis wie emissionsarme Düngung
und Düngerausbringung zu verbessern. Die Formel
heißt: Mit weniger mehr erzeugen. Betrachtet man nämlich den CO2-Fußabdruck als Messlatte für Klimabeeinflussung, dann sieht man ganz deutlich, dass der Ausstoß
pro Tonne Getreide, pro Liter Milch und pro Kilo
Fleisch, also pro Einheit, bei der modernen Landwirtschaft erheblich geringer ist. Deswegen ist Bio nicht immer gleich Öko.
Forderungen der Opposition zum Klimaschutz in der
Landwirtschaft sind ein Versuch, die beiden Bewirtschaftungsformen gegeneinander auszuspielen. Effiziente Landwirtschaft in Deutschland bedeutet doch
effizienten Klimaschutz, meine Damen und Herren. In
Sachen Klimaschutz sind wir nämlich auch in der Landwirtschaft in Deutschland Vorreiter.
({7})
Diesen Weg wollen und werden wir weitergehen. Das
funktioniert aber nicht, indem man die Landwirtschaft
immer mit weiteren Regeln und Verboten gängelt. Das
führt nämlich zur Verzerrung des Wettbewerbs und vor
allen Dingen zur Schwächung unserer klimaeffizienten
Landwirtschaft. Die Folge ist ganz einfach: Sie bevorteilen Klimasünder in anderen Ländern, weil die Produktion dorthin auslagert wird, und Sie gefährden die
Arbeitsplätze bei uns vor der Tür. Klimaschutz ist nämlich eine internationale Aufgabe. Durch nationale Alleingänge werden die Probleme nur verschoben, aber
nicht gelöst. Deutschland ist deshalb Gründungsmitglied
der Globalen Forschungsallianz zu landwirtschaftlichen
Treibhausgasen.
Die christlich-liberale Koalition steht für eine klimaeffiziente Landwirtschaft, die dem Ernährungsauftrag
auch in Zukunft gerecht werden will.
({8})
Dazu gehören natürlich auch Vorgaben und Leitplanken
für die Landwirtschaft. Gebote und Verbote erfordern
jedoch das richtige Augenmaß. Ihre Vorschläge, meine
Damen und Herren von der Opposition, sind gekennzeichnet von Regelungswut und maßlosen Vorgaben.
Klimaschutz geht nur mit den Bauern und nicht gegen
sie. Ihre Anträge sprechen eine andere Sprache. Deswegen lehnen wir sie ab.
Herzlichen Dank.
({9})
Jetzt hat die Kollegin Gabriele Groneberg das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu der Aktualität dieser Debatte ist heute schon viel gesagt worden. Dem kann ich mich in großen Teilen nur
anschließen. Mir geht es in dieser Debatte wie Ihnen,
Herr Röring, um die Belange der Landwirtschaft. Aber
ich glaube, das ist so ziemlich das Einzige, was wir bei
dieser Debatte gemein haben.
In der Tat: Die Landwirtschaft ist ganz besonders betroffen von den künftigen Auswirkungen des Klimawandels. Und: Unsere Landwirtschaft ist nicht klimaneutral.
Sie ist Opfer, aber sie ist eben auch Verursacher. Die
Abholzung von Wäldern, der Umbruch von Grünland
und Brachflächen, der intensive Ackerbau mit engen
Fruchtfolgen und Monokulturen, der starke Einsatz von
synthetischen Düngemitteln und die intensive Tierhaltung tragen nachweislich zum Klimawandel bei. Wohlgemerkt geht es hier nicht darum, die Landwirtschaft als
Klimakiller zu diffamieren; aber selbst nach Angaben
dieser Bundesregierung ist die Landwirtschaft an den
Treibhausgasemissionen mit einem Anteil von 11 bis
15 Prozent beteiligt.
In der Nachhaltigkeitsstrategie dieser Bundesregierung ist der Handlungsdruck durchaus formuliert: Die
Indikatorberichte sagen aus, dass es für den Bereich der
Landwirtschaft zwingend notwendig ist, den Stickstoffüberschuss zu verringern, was bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, offensichtlich verdrängt wird. Herr Röring, Ihre Ausführungen dazu
waren auch nicht sehr erbaulich. Mit unserem Antrag
hingegen haben wir Sie bereits vor zwei Jahren aufgefordert, den Stickstoffüberschuss auf 50 Kilogramm pro
Hektar zu begrenzen.
Dass wir ein Problem mit dem Nährstoffüberschuss
haben, ist ja nicht neu; es gibt Regionen in diesem Land,
wo dringender Handlungsbedarf besteht. Das wissen wir
seit längerem. Dort schlagen vor allem auch die Wasserverbände Alarm, weil die Nitratwerte im Grundwasser
beunruhigend ansteigen. Wir finden: Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Ihre einzige Antwort ausweislich der Bundestagsdrucksache 17/4888 ist - jetzt kommt es -:
Die Vorwürfe, es werde nicht genug kontrolliert,
träfen nicht zu. Erst vor kurzem habe es eine erhebliche Verschärfung der Verbringungsverordnung
gegeben. Auf der Grundlage dieser Verbringungsverordnung werde jedes Kilogramm Stickstoff,
Phosphor und Kali registriert und kontrolliert. Deswegen sei auch die Forderung nach einer Verschärfung der geltenden Regelungen der Düngeverordnung der falsche Weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie
merken doch offensichtlich überhaupt nicht, was da
draußen passiert. Es gibt definitiv nicht genug Kontrollen.
({0})
Wir haben neben diesem Antrag einen weiteren Antrag eingebracht, in dem wir fordern, die Düngeverordnung zu novellieren und zu verschärfen. Wir wollen über
die Reduzierung des Stickstoffüberschusses hinaus mit
einer Stickstoffbilanz eine zielgenaue, bedarfsgerechte
und standortangepasste Düngung erreichen. Diese erfolgt in Teilen zurzeit nicht.
Wir wollen Schulungs- und Beratungsprogramme intensivieren. Es muss eine wirksame Düngeverordnung
geben. Diese muss konsequent eingehalten werden, und
dafür müssen Kontrollen ebenso wie wirksame Sanktionen sorgen. Und es gilt, den Grünlandumbruch zu
unterbinden, um auch damit die Stickstoffüberschüsse zu
begrenzen.
In diesem Zusammenhang haben Sie es versäumt,
klare Regelungen zur intensiven Tierhaltung und zum
Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf
den Weg zu bringen.
({1})
Nach langen Verhandlungen in diesem Hause konnten
wenigstens einige Regelungen von uns durchgesetzt
werden, die vor allem die kommunale Planungshoheit in
den ländlichen Räumen, zum Beispiel in Bezug auf die
überbordende Bebauung mit Ställen, sichern sollen.
Aber es gibt noch weitere Handlungsfelder, auf denen
Sie in den letzten Jahren ständig untätig geblieben sind
und bei denen Sie sich wirksamen Maßnahmen zum
Schutz des Klimas und der Landwirtschaft schlichtweg
verweigern. Als Stichworte nenne ich nur das Waldgesetz, Maßnahmen auf EU-Ebene und zum ökologischen
Landbau und natürlich auch unseren Antrag zur Verwendung von Pflanzenölen in der Landwirtschaft. Nichts ist
von Ihnen hier akzeptiert worden. Bei allem haben Sie
„njet“ gesagt.
(Michael Grosse-Brömer ({2}):
Würden wir nie tun!
Da sind die Herausforderungen der Ernährung einer
immer größer werdenden Bevölkerung, Herr Röring.
Diese unter Inkaufnahme einer Vernachlässigung von
ökologischen Faktoren sicherzustellen, ist geradezu
sträflich und rächt sich. Es rächt sich vor allem da, wo
Natur und Umwelt nachhaltig Schäden erleiden und damit letztendlich den Menschen schaden. An dieser Stelle
muss auch einmal deutlich gesagt werden: Wir wollen
die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland sichern.
Dafür muss man aber weiter denken als Sie zurzeit in
dieser Koalition. Ein Weiter-so, ein „immer intensiver“
ist letztendlich der Todesstoß für viele Landwirte in unserem Land. So wie Sie nicht auf Herausforderungen der
Zukunft zu reagieren, nicht zu reagieren auf den Klimawandel, bedeutet das Aus für eine gute Landwirtschaft.
Das muss man den Menschen draußen auch sagen. Wir
werden das tun.
({3})
Jetzt hat der Kollege Christian Hirte für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
haben jetzt eine Vielzahl von Reden gehört. Als letzter
Redner der Debatte habe ich die besondere Freude, zu
schauen, was übrigbleibt, und zusammenzukehren, was
aus der Debatte dauerhaft Bestand haben soll.
Viele meiner Vorredner haben schon darauf hingewiesen, dass Klimaschutz nicht allein eine nationale
Aufgabe ist, sondern dass Klimaschutz nur im internationalen Kontext vernünftig organisiert werden kann.
Ich glaube, uns allen ist klar, dass wir die Welt allein
mit der von uns hier in Deutschland betriebenen Klimaschutzpolitik nicht retten können. Daher müssen wir alles daransetzen, zunächst europäisch, aber auch international dafür Sorge zu tragen, dass ein vernünftiger Weg
eingeschlagen wird. Wir müssen als Deutsche dabei einen Spagat vollbringen, indem wir auf der einen Seite
den Weg, den wir hier ja schon beispielhaft beschrieben
haben, weiter vorangehen, auf der anderen Seite unsere
Bürger und unsere Wirtschaft aber nicht überfordern.
Wir wollen in dieser Bundesregierung - in der Koalition aus CDU/CSU und FDP - Ökonomie und Ökologie
unter einen Hut bringen. Wir sind - das wird übrigens
weltweit bestätigt - Vorreiter in der Klimaschutzpolitik.
Die Wahrnehmung, die Sie in der Opposition möglicherweise haben, entspricht nicht der unserer Bürger in
Deutschland und schon gar nicht der, die international
vorherrscht, wenn man dort schaut, was wir in Europa
und vor allem aber auch in Deutschland schon auf den
Weg gebracht haben.
({0})
Es mag nett sein, über Klimaschutzziele und deren
Definition und Festschreibung zu debattieren. Entscheidend ist aber, was am Ende tatsächlich praktisch umgesetzt wird. Wir haben gerade am Anfang der jetzigen Legislaturperiode mit dem Energiekonzept erstmals eine
langfristige konkrete Vision aufgestellt,
({1})
die für den Zeitraum bis 2050 konkrete Ziele und Maßnahmen dafür definiert, dass der Energieverbrauch bei
uns in Deutschland insgesamt gemindert wird.
({2})
Ich glaube, hier können wir durchaus - das will ich
wohlwollend in Richtung der Opposition sagen - auch
auf gemeinsame Erfolge in der Vergangenheit zurückblicken, auf die wir aufsatteln konnten.
Der Ausbau der Erneuerbaren war in der jetzigen Legislaturperiode so erfolgreich wie nie. Der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommarkt liegt mittlerweile
bei etwa 25 Prozent. Ich glaube, das ist ein beeindruckender Erfolg.
({3})
Deswegen verfängt es doch überhaupt nicht, dass Sie
den Anschein erwecken wollen, dass wir mit unserer
Klimaschutzpolitik und unserer Politik für die erneuerbaren Energien nicht erfolgreich vorankommen.
({4})
Das tun wir im Übrigen nicht nur, indem wir hier Klimaschutzdebatten führen, sondern indem wir auch praktisch Geld in die Hand nehmen, zum Beispiel für den
deutlichen Ausbau der Forschung, etwa für die Forschung an Netztechnologien und dem Ausbau von Speichern.
({5})
Das sind sehr wichtige Themen, wenn wir den Ausbau
der erneuerbaren Energien langfristig erfolgreich voranbringen wollen; denn jedem von uns hier im Hause ist
klar, dass der Ausbau der Erneuerbaren nur dann erfolgreich sein kann, wenn die volatilen Energien abgepuffert
werden können.
Als Mitglied des Koordinationskreises Elektromobilität will ich auch sagen,
({6})
dass wir insbesondere im Bereich Elektromobilität sehr
viel erreicht haben, indem wir mittlerweile etwa 1 Milliarde Euro in die Forschung investiert haben.
({7})
Es ist auch gut, dass wir zunächst Forschungsmittel in
die Hand nehmen und anders als andere Staaten nicht
unmittelbare Anreize für den Kauf von Autos setzen.
({8})
Das würde nämlich dazu führen, dass man keine deutschen, sondern französische oder japanische Fahrzeuge
kaufen würde.
({9})
Ich halte es deswegen für richtig, dass wir den Weg beschreiten, zunächst die Technologie so zu entwickeln,
dass wir am Ende nicht nur Leitmarkt, sondern vor allem
Leitanbieter in einem so wichtigen Bereich werden können.
Herr Kollege, Sie haben gesehen, dass es den Wunsch
zu einer Zwischenfrage gibt. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass Ihre originäre Redezeit gleich abläuft.
Dann will der Kollege Ott sie wahrscheinlich verlängern.
Prima, gut. Hiermit ist sie zugelassen.
({0})
Herr Kollege, ich wollte Ihren Kollegen Röring eben
nicht unterbrechen, weil ich nicht wusste, ob er meine
Frage hätte beantworten können. Bei Ihnen setze ich
doch etwas Sachverstand voraus.
({0})
Sie sagen, dass Sie die Elektromobilität fördern wollen. Erzählen Sie uns doch einmal, was Sie dafür wirklich tun. Ich komme in diesem Zusammenhang mit vielen Leuten zusammen - mit Entwicklern von diesen
Fahrzeugen und solchen, die diese Fahrzeuge dann tatsächlich absetzen wollen -, und wir kommen einfach
nicht weiter. 1 Million Elektroautos wollte Ihre Regierung bis 2020 auf die Straße bringen. Ein paar Tausend
sind es bis jetzt geworden. Das wird also niemals gelingen.
Jetzt sagen Sie uns doch: Mit welchen Maßnahmen
wollen Sie den Absatz von Elektrofahrzeugen fördern?
Sie sagen: Wenn wir jetzt eine Prämie für den Kauf einführen, dann werden nur französische Autos gekauft.
Damit geben Sie doch zu, dass Anreize für die deutsche
Industrie fehlen, solche Fahrzeuge tatsächlich zu entwickeln. Gerade deshalb brauchen wir Kaufanreize, damit
Elektrofahrzeuge diese Hürde nehmen können.
Lieber Kollege Ott, zunächst herzlichen Dank für die
Blumen, was meine Kompetenz angehen soll. Die kann
ich leider nicht zurückgeben.
({0})
Wir befinden uns momentan noch in einer ganz frühen
Phase des Markteintritts von Elektromobilen, in der wir
uns teilweise noch im Konzeptbereich bewegen und
ganz viel forschen müssen. Es fängt jetzt gerade erst an,
dass langsam auch in der Breite nutzbare Fahrzeuge auf
den Markt kommen.
({1})
Der Bundesminister Altmaier hat gerade gesagt, dass in
dieser Woche das erste deutsche Serienfahrzeug vom
Band gelaufen ist und dass in diesem Jahr zum Beispiel
noch andere - auch deutsche - Automobilhersteller
nachziehen werden. Wenn Sie meinen, dass wir im Bereich Elektromobilität noch nicht vorangekommen sind,
nehme ich Ihnen das nicht so recht ab, weil ich glaube,
dass Sie wissen müssten, dass wir neben den Forschungsmitteln, die wir auf den Weg gebracht haben,
auch mit den Modellregionen Erfolge verzeichnen können, dass wir bei den Zulassungen jetzt beeindruckende
Zahlen haben
({2})
- ich bin mit dem Thema Elektromobilität noch nicht
fertig -, die besagen, dass allein im letzten Jahr die Zulassung rein elektrisch betriebener Fahrzeuge von 4 500
auf 7 200 gestiegen ist. Bei Hybridfahrzeugen gab es
eine Steigerung von 12 000 auf 21 000 Fahrzeuge. Das
geschah in einer ganz frühen Phase der Markteinführung.
Wenn wir jetzt nach und nach mit unseren deutschen
Produkten auf den Markt kommen, bin ich nicht so pessimistisch wie Sie, sondern glaube, dass es nach wie vor
durchaus erreichbar ist, dass wir in den Jahren 2017 bis
2019 jährliche Produktionsmengen von ein paar Hunderttausend Fahrzeugen erreichen können, womit wir
das von unserer Regierung gesetzte Ziel erreicht hätten.
({3})
Herr Kollege Hermann Ott, Sie wissen, was im Hause
üblich ist. Sie haben sich da nicht so verhalten; aber jeder ist ja immer für sich selbst verantwortlich.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen, dass wir nicht starr wie die Maus
vor der energie- und klimapolitischen Katastrophenschlange sitzen und warten, was passieren möge. Wir haben gehandelt, wir haben Erfolge vorzuweisen. Ich
glaube, jeder, der das mit ein wenig Wohlwollen und
auch Sachverstand verfolgt, kann das bestätigen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Unser Kollege Christian Hirte war der letzte Redner
in dieser Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu
einer Reihe von Abstimmungen.
Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
17/13757 und 17/13755 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Tagesordnungspunkt 8 c. Wir kommen zum Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13907
mit dem Titel „Emissionshandel stärken - Überschüs-
sige Zertifikate vom Markt nehmen“. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Abstimmung in der
Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wün-
schen die Überweisung zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über
den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage des-
halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? -
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal-
ber: Enthaltungen? - Niemand. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den
Antrag auf Drucksache 17/13907 nicht ab.
Tagesordnungspunkt 8 d. Antrag der Fraktionen der SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13758
mit dem Titel „Erfolgreicher Klimaschutz braucht neue
Maßnahmen“. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen wünschen Abstimmung in der Sache, die
Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Überwei-
sung zur federführenden Beratung an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Auch hier
stimmen wir zuerst wieder über den Antrag auf Aus-
schussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt
für die beantragte Überweisung? - Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle
drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltun-
gen? - Niemand. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 17/13758 nicht ab.
Tagesordnungspunkt 8 e. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13884 mit
dem Titel „Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in
Entwicklungsländern“. Wer stimmt für diesen Antrag? -
Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Wer stimmt da-
gegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltun-
gen? - Niemand. Der Antrag ist abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 8 f. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorle-
gen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/7010, den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4040
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! -
Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltun-
gen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Die Be-
schlussempfehlung ist infolgedessen angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 g. Abstimmung über den An-
trag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/12848 mit dem Titel „Bangladesch bei
der Bewältigung des Klimawandels unterstützen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Das sind alle drei Opposi-
tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der
Antrag ist abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 8 h. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimakonferenz
Doha - Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vor-
reiter“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12743, den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/11651 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! - Die Fraktionen der Sozialdemokra-
ten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? -
Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 8 i. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit
dem Titel „Herausforderung Klimawandel - Landwirt-
schaft 2050“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4888,
den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1575
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! -
Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 j. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu
dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Biome-
than im Verkehrssektor fördern“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/8414, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/3651 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! - Fraktion der Sozialdemokraten. Ent-
haltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Tagesordnungspunkt 8 k. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem
Titel „Ein nationales Klimaschutzgesetz - Verbindlich-
keit stärken, Verlässlichkeit schaffen, der Vorreiterrolle
gerecht werden“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/13850, den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3172 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Frak-
tionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 l. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem
Titel „Nach Cancún - Europäische Union muss ihr Kli-
maschutzziel anheben“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13824, den
Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5231
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! -
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? -
Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 m. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Mit ambitionierten Verbrauchsgrenzwerten die
Ölabhängigkeit verringern“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11846,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/10108 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktio-
nen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegen-
probe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Ent-
haltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 n. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/13930.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7356
mit dem Titel „Neue Initiative für transatlantische Ko-
operation in der Klima- und Energiepolitik“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 8 n. Unter
Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/7481 mit dem Titel „China als wichtiger Part-
ner im Klimaschutz“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Gegenprobe! - SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Links-
fraktion. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 o. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Energetische Quartierssanierung sozialge-
recht voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13827, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/11205 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Das waren die Koalitionsfraktionen.
Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfrak-
tion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 2. Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Grünlanderhalt ist Klimaschutz“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13148, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11028 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Alle drei
Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 69 a bis 69 g sowie
die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
69 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Suche
und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive
Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze
({0})
- Drucksachen 17/13833, 17/13926 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel
- Drucksache 17/13834 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({2})-
Rechtsausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Verteidigungsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({3}), Kerstin Andreae, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bundesvermögen transparent bilanzieren
- Drucksache 17/13759 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss ({4})-
Verteidigungsausschuss-
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Vizepräsident Eduard Oswald
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Agnes Krumwiede, Daniela Wagner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stärkung von Baukultur und Denkmalschutz
- Drucksache 17/13914 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5})-
Ausschuss für Kultur und Medien
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dorothea Steiner, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Geplanten Verschleiß stoppen und die Langlebigkeit von Produkten sichern
- Drucksache 17/13917 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({6})-
Rechtsausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit -
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton
Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Straßen- und Schienenlärm wirksam reduzieren
- Drucksache 17/13915 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit -
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({8}) gemäß § 56 a GO-BT
Technikfolgenabschätzung ({9})
Regenerative Energieträger zur Sicherung der
Grundlast in der Stromversorgung
- Drucksache 17/10579 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung -
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 a)Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
Bekämpfung von Steuerstraftaten
- Drucksache 17/13664 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({11})-
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Spahn, Stefanie Vogelsang, Michael GrosseBrömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Dr. Marlies Volkmer, Dr. FrankWalter Steinmeier, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Heinz
Lanfermann, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Dr. Martina Bunge,
Kathrin Vogler, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der
Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
System der Organtransplantation in Deutschland nachhaltig stärken: Konsequenzen aus
den Manipulationen an Patientendaten in
deutschen Transplantationskliniken
- Drucksache 17/13897 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit ({12})Rechtsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 70 a bis 70 v sowie
Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 70 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Abkommens vom 20. März
1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen und der polnischen
Landesstraßen an der deutsch-polnischen
Grenze
- Drucksache 17/13418 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({13})
- Drucksache 17/13779 Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Joachim Hacker
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13779, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13418 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. EnthaltunVizepräsident Eduard Oswald
gen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Die jetzt noch stehen, haben andere Gründe. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
13. Januar 2013 über die Vorrechte und Immunitäten der Internationalen Organisation
für erneuerbare Energien
- Drucksache 17/13416 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14})
- Drucksache 17/13828 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Maria FlachsbarthDirk BeckerMichael KauchDorothée MenznerHans-Josef Fell
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13828, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13416 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle
erhoben. Ob dies auch richtig ist, schauen wir: Wer
stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand.
Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 c:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wilhelm Priesmeier, Elvira Drobinski-Weiß,
Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Grünland effektiv schützen
- Drucksache 17/13895 Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die drei
Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Antrag ist abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 70 d:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({15}), Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transnationale Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft ziehen
- Drucksache 17/13916 Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer
stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Antrag ist abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 70 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({16}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina
Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Ökologische Baustoffe - Klima schützen,
Energie sparen und Ölabhängigkeit reduzieren
- Drucksachen 17/11380, 17/12592 Berichterstattung:Abgeordneter Volkmar Vogel ({17})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12592, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11380 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der
Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({18})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Bas,
Johannes Pflug, Michael Groß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Duisburger Hafen muss in öffentlicher
Hand bleiben
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Dr. Barbara Höll, Sahra Wagenknecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Duisburger Hafen AG in öffentlichem
Eigentum erhalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Privatisierung des Duisburger
Hafens
- Drucksachen 17/8140, 17/8349, 17/8583,
17/12921 Berichterstattung:Abgeordneter Matthias Lietz
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Vizepräsident Eduard Oswald
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8140 mit dem Titel
„Duisburger Hafen muss in öffentlicher Hand bleiben“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind alle
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 70 f. Unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/8349 mit dem Titel „Duisburger Hafen AG in öffentlichem Eigentum erhalten“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Fraktion Die
Linke. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8583 mit dem Titel „Keine Privatisierung des
Duisburger Hafens“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({19}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Dr. Valerie
Wilms, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hinterlandanbindung der ZARA-Häfen verbessern
- Drucksachen 17/12194, 17/13151 Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Werner Kammer
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13151, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12194 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 70 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({20})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Markus Kurth, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte von Menschen mit Behinderungen in
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
sichern und Inklusion weltweit ermöglichen
- Drucksachen 17/12844, 17/13365 Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss ({21})Karin Roth ({22})Helga DaubNiema MovassatUwe Kekeritz
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13365, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12844 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das
sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid
Nouripour, Memet Kilic, Volker Beck ({24}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesellschaftliche Vielfalt in der Bundeswehr
anerkennen
- Drucksachen 17/13095, 17/13621 Berichterstattung:Abgeordnete Markus GrübelLars KlingbeilBurkhardt Müller-SönksenPaul Schäfer ({25})Omid Nouripour
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13621, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13095 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze,
Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Wiedereingliederung fördern - Gefangene in
die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
einbeziehen
- Drucksachen 17/13103, 17/13806 Berichterstattung:Abgeordneter Peter Weiß ({27})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13806, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/13103 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die
Vizepräsident Eduard Oswald
Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({28}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung der Vorschriften
über elektromagnetische Felder und das telekommunikationsrechtliche Nachweisverfahren
- Drucksachen 17/13421, 17/13580 Nr. 2.1,
17/13835 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael PaulDirk BeckerJudith SkudelnySabine StüberSylvia Kotting-Uhl
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13835, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/13421 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die
Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 l:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({29}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Sechsundneunzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 17/13422, 17/13580 Nr. 2.2,
17/13792 Berichterstattung:Abgeordnete Ulla Lötzer
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13792, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/13422
nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die
Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Niemand.
Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu
den Tagesordnungspunkten 70 m bis 70 v. Es handelt
sich um die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 70 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 598 zu Petitionen
- Drucksache 17/13738 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht 598 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31})
Sammelübersicht 599 zu Petitionen
- Drucksache 17/13739 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und SPDFraktion. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Sammelübersicht 599
ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32})
Sammelübersicht 600 zu Petitionen
- Drucksache 17/13740 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Sammelübersicht 600 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 601 zu Petitionen
- Drucksache 17/13741 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die
Sammelübersicht 601 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34})
Sammelübersicht 602 zu Petitionen
- Drucksache 17/13742 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Sammelübersicht 602 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35})
Sammelübersicht 603 zu Petitionen
- Drucksache 17/13743 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 603 ist angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 604 zu Petitionen
- Drucksache 17/13744 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 604 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 605 zu Petitionen
- Drucksache 17/13745 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die
Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand.
Sammelübersicht 605 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 606 zu Petitionen
- Drucksache 17/13746 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand.
Sammelübersicht 606 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 70 v:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 607 zu Petitionen
- Drucksache 17/13747 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? - Alle drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 607 ist angenommen.
Zusatzpunkt 4:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Hacker, Rainer Arnold, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Konversion gestalten - Kommunen stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konversion - Zwischen Verwertungsdruck
und nachhaltigen Konzepten
- Drucksachen 17/9060, 17/9405, 17/10001 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BrackmannJohannes KahrsOtto FrickeRoland ClausDr. Tobias Lindner
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9060 mit dem Titel
„Konversion gestalten - Kommunen stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten,
Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9405 mit dem Titel „Konversion Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht
glauben, wir sind am Ende dieser Abstimmungen.
({5})
- Ja, ich weiß. Die Kondition wird noch reichen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu Plänen des
CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zur Einführung einer Pkw-Maut nur für Ausländer
Ich eröffne nun die Aussprache.
({6})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind wieder ganz
bei der Sache.
({7})
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist unser
Kollege Florian Pronold für die Fraktion der Sozialdemokraten.
({8})
Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn viele Kollegen
diesem Vorschlag des Herrn Seehofer nicht mit Ernsthaftigkeit folgen wollen, kann ich es verstehen; denn ernst
gemeint kann er nicht sein. Es ist eine dreiste Lüge, zu
behaupten, man könnte eine Pkw-Maut auf deutschen
Straßen allein für ausländische Pkw erheben.
({0})
Wenn eine Pkw-Maut eingeführt würde, dann wären die
Leidtragenden die Pendlerinnen und Pendler, alle die,
die auf das Auto angewiesen sind. Das sind überwiegend
Menschen, die in Deutschland leben. Man kann lügen,
indem man die Wahrheit verschweigt. Darum wollen wir
uns der Wahrheit ein bisschen nähern.
Ich finde es spannend, wer heute redet und wer nicht
redet. Spannend ist vor allem, wer nicht redet. Wo ist die
Kanzlerin, die die Pkw-Maut ablehnt?
({1})
Wo sind die Kolleginnen und Kollegen der CDU, die die
Pkw-Maut ablehnen? Es sind die Kollegen der CSU da.
Auf der Rednerliste stehen nur Redner von der CSU,
sehr spannend. Aber der Kollege Max Straubinger fehlt
mir,
({2})
mein Freund aus dem Wahlkreis, mit dem ich vor kurzem ein Pro und Kontra in der örtlichen Zeitung zum
Thema Pkw-Maut hatte. Die Argumente konnte man
überhaupt nicht unterscheiden. Herr Straubinger hat vor
Ort deutlich gemacht: Nein, die Pkw-Maut allein für
Ausländer geht nicht. Zweitens hat er deutlich gemacht,
dass es am Schluss nur den Pendlerinnen und Pendlern
schadet. Schade, dass Sie Herrn Straubinger heute nicht
als Redner benannt haben.
({3})
Jetzt kommen wir zu der Frage, wie das denn gehen
soll. Die Bundesregierung ist von der SPD im letzten
Jahr befragt worden, ob es möglich ist, dass man eine
Pkw-Maut erhebt und dass unter dem Strich nur die ausländischen Autofahrer zahlen. Die klare Antwort der
Bundesregierung im letzten Jahr in diesem Haus - Peter
Ramsauer ist, glaube ich, Teil dieser Bundesregierung war: Das geht nicht. - Warum geht das nicht? Weil es ein
europarechtliches Diskriminierungsverbot gibt. Jetzt
stellen wir uns ganz kurz vor, dass es tatsächlich ginge.
Ich will nur eine Minute Zeit darauf verschwenden, dass
man unterstellt, Herr Seehofer könnte recht haben und es
ginge. Dann muss man aber einige Fakten zur Kenntnis
nehmen.
Nur 5 Prozent der Pkw auf deutschen Straßen sind
ausländische Pkw. In Österreich gibt es das Pickerl.
Viele in Niederbayern ärgern sich, wenn sie nach Österreich fahren, weil Sie dort Maut zahlen müssen und es
umgekehrt nicht so ist. Die Verwaltungskosten machen
9 Prozent der Einnahmen durch das Pickerl aus. 9 Prozent der Einnahmen der österreichischen Pkw-Maut gehen an den Betreiber. Das sind die öffentlichen Auskünfte, die dort zu erhalten sind.
({4})
Sie brauchen nicht zu schreien und zu jammern: Das ist
so. Wenn nur 5 Prozent der Pkw auf deutschen Straßen
aus dem Ausland sind, dann zahlen die ausländischen
Pkw nichts anderes als die Verwaltungskosten. Die, die
geschröpft werden, sind die deutschen Autofahrer. Das
ist Ihr tatsächlicher Plan.
({5})
Sie wollen die Angaben der Bundesregierung nicht
zur Kenntnis nehmen. CSU-Abgeordnete haben den
Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages
befragt und sich ein Gutachten erstellen lassen. Das Ergebnis war dasselbe: Es geht nicht.
({6})
Ich frage Sie: Warum stellen Sie diese Lügen in den
Raum? Wenn man sagt, dass nur die Ausländer zahlen
sollen, dann bekommt man Zustimmung; das ist klar.
Die Wahrheit ist: Zum Schluss zahlen es die deutschen
Autofahrerinnen und Autofahrer.
Fließt das Geld überhaupt in die Straße? Diese Forderung beinhaltet doch, dass der Herr Ramsauer von seinem eigenen Versagen ablenken will. 1,5 Milliarden
Euro werden jedes Jahr für den Verkehrsetat an zusätzlichen Steuern erhoben. Wurde mehr Geld in die Straße
investiert?
({7})
Nein. Nichts hat sich verändert. Warum soll das denn mit
der Pkw-Maut funktionieren? Das glaubt Ihnen doch
niemand.
Wir brauchen tatsächlich eine stärkere Reparatur der
Infrastruktur. Es gibt marode Brücken. Schwarz-Gelb
hat dagegen nichts gemacht.
({8})
30 Prozent der Lkw auf deutschen Straßen sind ausländische Lkw. Diese Lkw machen jede Straße 60 000-mal
mehr kaputt als jeder Pkw. Deswegen muss man die tatsächlichen Verursacher der Kosten heranziehen,
({9})
die Lkw-Maut ausweiten und nicht die Menschen, die in
ihrer Heimat leben wollen und jeden Tag lange Wege zur
Arbeit auf sich nehmen, zur Kasse bitten. Deswegen lehnen wir im Kontext mit der FDP, mit der Bundeskanzlerin, mit der CSU, mit Herrn Straubinger von der CSU,
diese Wahllüge der CSU ab.
({10})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Alexander
Dobrindt. Bitte schön, Kollege Alexander Dobrindt.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um eine Frage
der Gerechtigkeit auf deutschen Straßen.
({0})
Überall im Ausland werden die deutschen Autofahrer
zur Kasse gebeten, und die ausländischen Autofahrer in
Deutschland fahren gratis. Das ist keine faire Infrastrukturfinanzierung in Europa.
({1})
Schauen wir uns doch einmal in Europa um: Polen,
Tschechien, Slowakei, Österreich, Italien, Schweiz,
Frankreich, in nahezu allen Staaten um uns herum wird
der deutsche Autofahrer abkassiert. Mittendrin in Europa, in Deutschland, das das am besten ausgebaute Autobahnnetz hat, dürfen alle unsere Nachbarn kostenlos fahren. Das kann auf Dauer so nicht aufrechterhalten
werden. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass mehr
Gerechtigkeit auf den Straßen in Europa herrscht.
({2})
Das heißt, dass alle den Ausbau und die Instandhaltung
der Infrastruktur mitfinanzieren müssen.
({3})
Wenn Sie mit dem Auto von München nach Verona
fahren, fallen in Österreich und Italien Mautgebühren
von über 30 Euro an. Wenn Sie von Köln nach Bordeaux
fahren, zahlen Sie in Frankreich fast 70 Euro an Mautgebühren. Von Stuttgart nach Nizza zahlen Sie in der
Schweiz und in Frankreich über 60 Euro. Von Rotterdam
nach Garmisch-Partenkirchen zahlen Sie auf deutschen
Autobahnen null Autobahngebühr. Das ist nicht fair.
({4})
Herr Pronold, Sie sollten vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass in der letzten Woche das Emnid-Institut in einer
repräsentativen Umfrage gemessen hat, dass 88 Prozent
der Menschen in Bayern dafür sind, dass auch ausländische Pkw Maut bezahlen.
({5})
- Schön, dass Sie danach fragen. Ich kann Ihnen mitteilen, wie die SPD-Wähler dies sehen. 79 Prozent der
SPD-Wähler in Bayern sind für die Pkw-Maut für ausländische Autofahrer.
({6})
Die Grünen haben recht, dass sie sich etwas zurückhalten. Sie wissen auch genau, warum. Das liegt daran,
dass 86 Prozent der Anhänger der Grünen in Bayern dafür sind, dass es eine Pkw-Maut für ausländische Autofahrer gibt. Im Rest von Deutschland sieht es nicht sehr
viel anders aus.
({7})
Herr Pronold, Sie haben für Ihre Politik schlichtweg
keine Mehrheiten, und deswegen kommt von Ihnen immer gerne der Populismusvorwurf. Ihnen fällt nichts anderes ein. Sie bestätigen, dass Sie keine Mehrheit haben,
indem Sie anderen Populismus vorwerfen. Ganz ehrlich:
Es ist schon Einfallslosigkeit, die Sie, Herr Pronold, an
den Tag legen, wenn Sie sagen, es gebe europarechtliche
Bedenken.
({8})
Sie kapitulieren ja schon, bevor die Diskussion mit der
Kommission beginnt.
({9})
Wenn es überall in Europa möglich ist, warum dann
nicht in Deutschland?
({10})
Wissen Sie, vielleicht haben Sie einfach keinen
Mumm, sich für die Interessen der deutschen Steuerzahler einzusetzen, weder SPD noch Grüne.
({11})
Bei den Grünen ist es vielleicht etwas leichter zu erklären: Sie sind halt doch die alte grüne Antiinfrastrukturpartei, die Sie in der Vergangenheit waren. Sie wollen
Mobilität verhindern statt ermöglichen und deswegen
auch kein weiteres Geld für die Infrastruktur ausgeben.
({12})
Ich will aus der FAZ den Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg, Kretschmann, zitieren,
({13})
der gesagt hat:
Aus dem freien Gut Straße muss das knappe Gut
Straße werden.
Sie wollen Freiheit knapp machen. Das ist die Politik der
Grünen.
({14})
Schön, dass Sie das offensichtlich zu Zwischenrufen
anregt. Das gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen,
dass Sie im Landtagswahlprogramm der bayerischen
Grünen aufgeschrieben haben:
Auf den Bau neuer Straßen wollen wir verzichten.
Sie wollen also die Freiheit der Straße zum knappen Gut
der Straße machen. Das ist die Politik der Grünen.
Sie wollen in einem Land, in dem Mobilität ein wesentlicher Faktor für Wirtschaft und Wohlstand ist, genau
diese Mobilität verknappen. Sie wollen den ländlichen
Raum von der Zukunft und vom Wohlstand abschneiden.
Das ist die Politik der Grünen.
({15})
Wenn Sie sich schon aufregen, Herr Hofreiter: Was
Sie auch verschweigen, ist, dass die Grünen natürlich
eine Maut einführen wollen. Sie wollen keine Autobahnmaut für ausländische Autofahrer; aber Sie wollen eine
City-Maut einführen. Im Landtagswahlprogramm der
bayerischen Grünen ist aufgeschrieben:
Die Einführung einer allgemeinen PKW-Maut lehnen wir … ab. Die Einführung einer City-Maut als
Steuerungsinstrument und als neues Finanzierungsmodell … wollen wir prüfen.
Im Klartext: Sie sagen, ausländische Autofahrer sollen
weiterhin kostenlos auf unseren Autobahnen fahren; die
deutschen Autofahrer sollen nach Ihren Vorstellungen
stärker belastet werden. Das ist die Realität der grünen
Politik.
({16})
Sie können sich einmal überlegen, ob das, was Sie an
dieser Stelle vorhaben, vielleicht Inländerdiskriminierung ist.
Auf jeden Fall wollen Sie die Belastungen der Autofahrer erhöhen. Sie wollen keine Straßen bauen, Sie wollen Mobilität einschränken, und Sie wollen, dass ausländische Autofahrer weiter kostenlos auf unseren Straßen
unterwegs sind. Wir wollen mehr Mobilität, mehr Freiheit und Gerechtigkeit auf den deutschen Straßen. Das
sind die Alternativen in Deutschland, meine Damen und
Herren.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus aktuellem Anlass weise ich darauf hin, dass bei Aktuellen Stunden
keine Zwischenfragen möglich sind. Ich habe ein paar
Meldungen gesehen, aber deswegen wird die Geschäftsordnung auch bei einer solchen Aktuellen Stunde nicht
geändert.
Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Sabine Leidig. Bitte schön, Frau Kollegin
Sabine Leidig.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
wurde gerade gefragt, ob ich das Niveau meiner Rede an
das Niveau der Rede von Herrn Dobrindt anpassen kann.
({0})
Das ist mir leider nicht möglich, weil Herr Seehofer und
Herr Dobrindt offenbar auf allerunterstem Stammtischniveau punkten wollen
({1})
und wieder einmal die Ausländerkarte ziehen, dieses
Mal beim Thema Pkw-Maut. Das ist wirklich unglaublich.
Angeblich nutzen unsere Nachbarn die Deutschen
aus. Diese Behauptung ist nicht nur schäbig, sie ist auch
falsch. Auch wenn es in den Ferien manchmal anders
aussieht: Tatsächlich machen ausländische Autos - darauf wurde bereits hingewiesen - auf deutschen Autobahnen im Jahr ungefähr 5 Prozent des gesamten PkwVerkehrs aus. Und sie tanken in Deutschland. Dadurch
sind die Einnahmen aus der Mineralölsteuer ungefähr
doppelt so hoch wie die Infrastrukturkosten, die die ausländischen Autofahrerinnen und Autofahrer verursachen.
({2})
Das sind Zahlen vom ADAC, die Sie natürlich auch kennen, aber Sie wollen hier eine ausländerfeindliche Nummer abziehen. Das ist wirklich eine Sauerei.
({3})
Im Bereich Lkw sieht es völlig anders aus. Ich finde
es ausgesprochen spannend, dass Sie dieses Thema nicht
ansprechen. Tatsächlich kommen 30 Prozent der Lkws,
die auf unseren Autobahnen fahren, aus dem Ausland,
darunter viele von Tochterfirmen deutscher Konzerne.
({4})
Sie tanken sehr selten bei uns. Fakt ist auch, dass ein
40-Tonner die Straße so stark belastet wie 160 000 Pkw.
({5})
Warum gehen Sie hier nicht heran? Darauf müssen wir
noch einmal zurückkommen, das werde ich auch gleich
tun.
Herr Ramsauer will die Pkw-Maut für alle, damit es
endlich mehr Geld für den Straßenbau gibt. Herr
Pronold, ich finde es echt schade, dass auch Sie es klasse
finden, dass man mehr Geld für den Straßenbau bekommt.
Was Herr Ramsauer macht, ist schäbig und falsch.
Erstens. Die Autofahrerinnen und Autofahrer bezahlen
über Kfz-, Mineralöl- und anteilige Mehrwertsteuer jeden Euro, den inländische Pkw an Wegekosten verursachen, mehrfach, konkret: vierfach.
Zweitens. Würde die Pkw-Maut über eine Vignette
erhoben werden - das ist eine Variante -, wäre das ungerecht, ökologisch unsinnig und unsozial, weil alle in einen Topf geworfen werden: diejenigen, die viel fahren
und diejenigen, die wenig fahren, diejenigen, die große
Autos fahren, und diejenigen, die ganz kleine, sparsame
Autos fahren. So etwas kann nicht in Ordnung sein.
({6})
Die zweite Variante wäre, 40 Millionen deutsche Pkw
mit Erfassungsgeräten auszustatten. Das wäre für ein
paar Elektronikhersteller natürlich ein Riesengeschäft.
Aber nicht nur wir, sondern auch die meisten Datenschützerinnen und Datenschützer lehnen diesen Überwachungsapparat ab. Auch das kann nicht wirklich Ihr
Ernst sein.
Apropos Geschäft: Das ist der Kern, worum es Herrn
Ramsauer eigentlich geht. Er will den Straßenbau privatisieren - das sagt er ja auch -, weil - auch das sagt er das Geld im Verkehrsetat nicht reicht. Aber die großen
Baukonzerne lassen sich auf so etwas, wie eine Autobahn zu bewirtschaften, nur ein, wenn ordentlicher Gewinn dabei herausspringt. Der sprudelt am besten, wenn
alle Autofahrerinnen und Autofahrer zur Kasse gebeten
werden. Darum geht es Ihnen in Ihrem Modell: Sie wollen den großen Bauunternehmen Geschäfte zuschustern,
und die kleinen Leute sollen es zahlen. Dazu ein klares
Nein von unserer Seite.
({7})
Wir brauchen eine Ausweitung der Lkw-Maut. Es
muss Schluss sein mit der Begünstigung von Unternehmen, die Waren auf Teufel komm raus durch ganz Europa karren, auch wenn es überhaupt nicht nötig ist, weil
zum Beispiel Milch oder Autoteile in der Region hergestellt werden und dort verbraucht werden könnten.
Der Güterverkehr muss endlich die Kosten tragen, die
diese enorme Zahl von Lastwagen verursacht. Die Kommission zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, die
die Bundesregierung selber eingesetzt hat, hat jetzt die
Vorschläge durchgerechnet, die wir Linke schon vor
zwei Jahren als Antrag in den Bundestag eingebracht haben: Lkw-Maut auf allen Straßen und bereits für Lastwagen ab 3,5 Tonnen. Dann kommen jedes Jahr zusätzlich
4,4 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen. Mit diesem Geld könnten die Kommunen, die Länder und der
Bund die dringend benötigten Renovierungen von Brücken und Straßen bezahlen.
Noch wichtiger: Mit diesem Geld kann man den Einstieg in die Verkehrswende finanzieren. Die ist nämlich
nötig: mehr Bahn, mehr Bus, grünere Städte und weniger
Verkehr.
({8})
Wir sind nicht der Meinung, dass mehr Beton die Lebensqualität der Menschen hierzulande verbessert. Für
mehr Gerechtigkeit, auch für mehr Umweltgerechtigkeit,
müssten Verkehrsverhältnisse geschaffen werden, die es
möglichst vielen leicht machen, auf das eigene Auto zu
verzichten. Dazu braucht es umweltverträgliche und
preisgünstige Alternativen.
Die Abzocke von Autofahrern, ob sie in Deutschland
wohnen oder nicht, ist jedenfalls der falsche Weg, und
die Pkw-Mautdebatte ist nichts anderes als ein böser
Spuk, mit dem die Wählerinnen und Wähler hoffentlich
im September Schluss machen.
({9})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unser Kollege Oliver Luksic. Bitte
schön, Herr Kollege.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die SPD redet viel über die
Pläne von anderen, ich glaube, auch um ein bisschen von
den eigenen Problemen abzulenken. Der Schattenminister hat ja gerade gesprochen. Im Schattenkabinett erwarten wir keine Lichtgestalten, in dieser Rede des Kollegen
Pronold war aber wirklich sehr viel Schatten und wenig
Licht.
({0})
Die Programme von SPD und Grünen zeigen, dass sie
sehr erfindungsreich sind, wenn es um neue Abgaben
und neue Steuern geht, gerade im Bereich Verkehr. Deswegen ist Ihre Empörung über eine neue Belastung für
die Autofahrer ein Stück weit fehl am Platze. Sie wollen
die City-Maut einführen,
({1})
Sie wollen die Verkehrsinfrastrukturabgabe - ich bin gespannt, was das sein soll; wahrscheinlich eine PkwMaut, nur anders -, Sie wollen eine Logistikabgabe, Sie
wollen die Kfz-Steuer erhöhen, und Sie wollen eine
Ausweitung der Lkw-Maut. Das ist das rot-grüne Programm für die Bürgerinnen und Bürger.
({2})
Und dann fordert der SPD-Vorsitzende, Herr Gabriel,
auch noch Tempo 120 auf deutschen Autobahnen. InsoOliver Luksic
fern sage ich: Passen Sie lieber ein bisschen auf. Sie
wollen den Verkehr verteuern, wir wollen das nicht.
({3})
Jetzt hat die CSU - das ist eine eigenständige Partei ({4})
die Maut vorgeschlagen. Die Gedanken sind frei.
({5})
Ich weiß nicht, wo die Umfrageergebnisse, von denen
wir eben gehört haben, herkommen. Die Pendler, die ich
kenne, die Arbeitnehmer, die ich kenne, die wollen keine
Maut zahlen.
({6})
Vor dem Hintergrund der Belastung, die wir schon haben
- die Zahlen wurden ja eben genannt; diese Zahlen waren richtig -, ist klar festzuhalten: Liberale wie übrigens
auch die Kollegen der CDU wollen keine Maut, auch,
weil das Argument, dass nur Ausländer zur Kasse gebeten werden, nicht verfängt. Deren Anteil liegt in der Tat
bei 5 bis 10 Prozent. Das würde, wenn überhaupt, reichen, um die Systemkosten auszugleichen.
({7})
Vor allem werden die Autofahrer schon heute über die
Steuer mit 53 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Deswegen sind wir gegen die FDP-Maut,
({8})
gegen die Pkw-Maut; denn das wäre ganz klar eine Belastung.
Der springende Punkt ist, dass eine Differenzierung
zwischen In- und Ausländern europarechtlich nicht zulässig ist. Für die Verankerung des Rechts auf Nichtdiskriminierung ist übrigens auch Deutschland eingetreten.
Das ist EU-Recht. Die Leitlinien, die wir in Europa für
Straßenbenutzungsgebühren beschlossen haben, wurden
übrigens von der Vorgängerkoalition so beschlossen. Der
Vorschlag, nur Ausländer zahlen zu lassen, ist unrealistisch. Genauso realistisch wäre es, zu fordern, auf bayerischen Straßen müssten nur Preußen zahlen. Das geht
einfach nicht. Das ist unrealistisch.
({9})
Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht. Wir haben die Zweckentfremdung der Lkw-Mautmittel, die
Rot-Grün zu verantworten hat, zurückgenommen.
({10})
Die Einnahmen fließen jetzt in den Finanzierungskreislauf Straße. Kollege Pronold, das ist nun einmal so. Wir
haben ein Mautmoratorium eingeführt; das war richtig.
Wir haben vor allem, wie Sie selber sagen, mehr Geld
für die Straße besorgt.
({11})
Wir haben 1,5 Milliarden Euro zusätzliche Mittel besorgt. Das ist ein Erfolg dieser Koalition im Bereich der
Infrastrukturfinanzierung.
({12})
Der Bund verfügt über Einnahmen in Höhe von über
300 Milliarden Euro. Wir haben Rekordsteuereinnahmen. 53 Milliarden Euro kommen aus dem Bereich Verkehr.
Wir sind der festen Überzeugung, dass wir in der
nächsten Legislaturperiode den Schwerpunkt auf die Infrastruktur legen müssen. Wie wir in dieser Legislaturperiode den Schwerpunkt auf Bildung und Forschung gelegt haben, müssen wir in der kommenden Wahlperiode
noch mehr beim Thema Infrastrukturfinanzierung tun.
Die EU-Kommission hat in ihrem Bericht klar darauf
hingewiesen, dass hier weiterer Bedarf besteht. Dem
stellen wir uns.
Ihre Forderung nach immer neuen Abgaben - das ist
ganz klar - ist falsch. Pauschale Vorwürfe helfen nicht
weiter, zumal Sie selbst an anderer Stelle den Verkehr
weiter verteuern wollen. Wir Liberale sagen ganz klar:
Der Autofahrer zahlt bereits mehr als genug Steuern.
Wir wollen den Verkehr nicht weiter verteuern. Das sieht
die FDP so und auch die CDU.
({13})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Dr. Anton Hofreiter. Bitte schön, Kollege Dr. Hofreiter.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Dobrindt, es sind diese Auftritte, die
Politik insgesamt in Verruf bringen.
({0})
Es sind diese Auftritte, die letztendlich dem Ansehen
von Politik insgesamt schaden, weil es offensichtlich ist,
dass es nicht stimmt, was Sie hier sagen, und auch nicht
stimmen kann.
({1})
Sie haben von einer Gesetzgebung gesprochen, die
diskriminierend nur für eine bestimmte Gruppe gilt. Man
braucht gar nicht EU-Recht anzuführen, da können Sie
ganz simpel einfach einmal ins deutsche Grundgesetz
schauen, dann stellen Sie fest, dass es Gleichbehandlungsgrundsätze gibt. Die gelten interessanterweise auch
für Vorschläge der CSU.
Deshalb unterlassen Sie diese Art von Debatte; denn
das frustriert die Leute am Ende nur, auch wenn es vielleicht zwischenzeitlich kurz Aufmerksamkeit bringt. Es
wissen alle, dass es am Ende nicht funktionieren wird.
Es wird nicht kommen, und es stimmt nicht, was Sie behaupten.
({2})
Wenn dann die Frage kommt: „In ganz Europa geht
das, und warum nicht bei uns?“, dann ist das eben auch
die Unwahrheit; denn in ganz Europa zahlt die Gesamtbevölkerung, die diese Straßen nutzt, Pkw-Maut, und
nicht nur eine bestimmte Gruppe von Menschen, die
nicht Staatsangehörige dieses Landes sind. Deshalb unterlassen Sie so etwas, denn es schadet der demokratischen Kultur insgesamt.
({3})
Es ist einfach peinlich, solche Reden im Plenum zu halten.
({4})
Aber vielleicht zu den inhaltlichen Fragen. Warum
lehnen wir eine Pkw-Maut ab? Die Modelle, die es für
eine Pkw-Maut gibt, schauen letztendlich alle so aus,
dass man für eine Vignette zahlt. Bei der Vignette zahlt
derjenige, der ein großes Auto hat, genauso viel wie jemand, der ein kleines Auto hat, es zahlt derjenige, der
viel verdient, genauso viel wie jemand, der wenig verdient. Was ist das? Die Vignette in dieser Form ist sozial
ungerecht, deshalb lehnen wir sie ab.
({5})
Was ist ein weiterer Grund, aus dem wir die Vignette
ablehnen? Es zahlt derjenige, der wenig fährt, genauso
viel wie derjenige, der viel fährt. Ein Rentner, der ab und
zu mal - alle paar Wochen - auf die Autobahn fährt,
zahlt, wenn es eine Jahresvignette ist, genauso viel wie
jemand, der sie ständig benutzt. Das heißt, sie ist auch
noch ökologisch blind.
Warum lehnen wir sie des Weiteren ab? Wir sind nicht
der Meinung, dass man in ein System als allererstes
mehr Geld hineinstecken sollte, sondern man sollte sich
überlegen, ob dieses System effizient ist, ob mit dem
Geld der Steuerzahler, ob mit dem Geld der Unternehmen, wenn wir an die Lkw-Maut denken, wirklich effizient umgegangen wird. Ich finde es spannend, dass immer einfach nur gefordert wird, erst einmal mehr Geld in
das System zu schütten und dann zu schauen, ob man es
anpassen kann. Nein, unser Weg ist ein völlig anderer.
({6})
Der Weg muss sein: Man muss das System anschauen
und sich fragen, ob das Geld effizient ausgegeben wird
oder nicht.
({7})
Das Geld wird leider in vielen Fällen nicht effizient
ausgegeben, was man allein an den Wunschlisten, die für
den Bundesverkehrswegeplan abgegeben werden, erkennen kann.
({8})
Wir haben als eine der ersten Wunschlisten die Wunschliste aus Bayern erhalten, von der CSU-Staatsregierung
so beschlossen. Man glaubt gar nicht, dass so etwas von
einem Kabinett beschlossen wird.
({9})
Darin sind 398 Projekte mit einem Finanzvolumen
von 17 Milliarden Euro enthalten. Dankenswerterweise
haben Sie die Zahl mitgeliefert. Die ist zwar zu niedrig,
weil bei Bauprojekten gern eine zu niedrige Zahl angegeben wird, aber wir nehmen einfach nur einmal die
17 Milliarden Euro. Jetzt schauen wir uns an, wie viel
Geld im Schnitt pro Jahr für den Aus- und Neubau in
Bayern von einem CSU-geführten Bundesverkehrsministerium zur Verfügung gestellt wird. Da kommen wir
im Schnitt auf 105 Millionen Euro. Jetzt teilen wir die
17 Milliarden Euro durch 105 Millionen Euro, dann
kommen wir auf 160 Jahre. Das bayerische Kabinett hat
allen Ernstes eine Liste beschlossen, die unter den jetzigen Finanzierungsbedingungen 160 Jahre brauchen
würde, um abfinanziert zu werden. Das ist eine Frechheit, das ist unseriös. Genau in dieses komische System
gedenken Sie Ihre Pkw-Maut hineinschütten zu können.
So geht es schlichtweg nicht.
({10})
Vernünftige Verkehrspolitik und vernünftige Straßenbaupolitik halten sich an ein paar Grundsätze. Erst einmal erhält man das, was man hat.
({11})
Das heißt, man sorgt dafür, dass die vorhandene Infrastruktur unterhalten wird. Das passiert nicht, insbesondere im Verantwortungsbereich der CSU nicht, weil sie
Jahr für Jahr Mittel, die der Bund für den Unterhalt zur
Verfügung stellt, für Neubau umwidmet und damit dafür
sorgt, dass die wertvolle Infrastruktur zu teuren Schlaglochpisten wird.
({12})
Das ist eine Frechheit. Das muss der Bund endlich unterbinden. Das ist der erste Grundsatz. Hier wird nämlich
wie folgt gehandelt: Man fragt sich zuerst, ob man ein
Dach, durch das es reinregnet, abdichten soll oder nicht,
und beschließt dann, dass man das Dach nicht abdichtet,
sondern es weiter reinregnen lässt. So kann man mit Infrastruktur nicht umgehen.
({13})
Wenn der Unterhalt sichergestellt ist, muss man angesichts des knappen Geldes dafür sorgen, dass man vernünftig priorisiert und zuerst die Maßnahmen ergreift,
die am dringendsten notwendig sind. Von solch einer
vernünftigen Prioritätensetzung sind Sie ganz weit entfernt. Machen Sie erst einmal richtig Ihre Hausaufgaben,
bevor Sie hier solche unglaublichen Reden halten.
({14})
Nächster Redner ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer. Bitte
schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Hofreiter, Sie haben für Ihre Rede eine
sehr ethisch-moralische Einleitung gewählt. Nun muss
ich Ihnen das vorwerfen, was Sie meinem Kollegen
Dobrindt - übrigens zu Unrecht - vorgeworfen haben:
Sie haben gelogen. Denn wenn Sie sich die genauen
Zahlen im jetzigen Bundesetat und die Quoten, die wir
für Erhalt und Neubau haben, anschauen,
({0})
dann sehen Sie, dass es eine klare Umschichtung und
eine klare Prioritätensetzung durch Bundesminister
Ramsauer gibt, nämlich Erhalt vor Neubau. Das wissen
Sie genau.
({1})
Sie haben Ihre Rede moralisch begonnen. Wenn Sie
hier zum Besten geben, was aus Ihrer Sicht unmoralisch
ist, erwarte ich aber auch, dass Sie gute Argumente akzeptieren.
({2})
So ist es gut, dass die Zeit von SPD-Bundesverkehrsministern endlich vorbei ist, in der auf Verschleiß unseres
Netzes gefahren wurde. Nehmen Sie als Beispiel nur
einmal die Ansätze für die Brücken. Wir haben diese
Mittel von 300 Millionen Euro auf fast 700 Millionen
Euro erhöht.
({3})
Sie hatten die Erhaltungsnotwendigkeiten nicht gesehen.
({4})
Wir haben jetzt diese Korrektur vollzogen.
({5})
Noch ein Thema. Herr Kollege Hofreiter, Ihr Vorgänger im Amt als Vorsitzender des Verkehrsausschusses
des Deutschen Bundestages, Winfried Hermann, mein
geschätzter Kollege,
({6})
der jetzt Minister in Baden-Württemberg ist, verantwortet eine Anmeldeliste für Baden-Württemberg, die die
Bedarfe aus den Stimm- und Wahlkreisen beinhaltet.
Diese zeigt die verkehrspolitische Notwendigkeit auch
für Neubauten und Ausbauten zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von Lärm und Abgasen und zur
Verstetigung und Steigerung der Verkehrssicherheit.
Winfried Hermann sagt in jedem seiner Grußworte anlässlich von Spatenstichen oder Eröffnungen neuer
Verkehrswege, dass er die Pkw-Maut will, und zwar am
besten auf allen Straßen, und, wenn möglich, die CityMaut noch dazu.
({7})
Wo besteht da der Zusammenhang, wenn Sie das eine
behaupten und Ihr Kollege in Baden-Württemberg das
andere? Die Politik der Grünen ist in dieser Frage nicht
stringent. Das muss man hier konstatieren.
({8})
Ich will meine Ausführungen zur Unterfinanzierung
der Infrastruktur mit einer grundsätzlichen Vorbemerkung einleiten. Die gesamte Verkehrspolitik in Bund und
Ländern hat sich doch schon längst darauf geeinigt, dass
die Infrastruktur in Deutschland - das betrifft die Landesstraßen genauso wie die Bundesfernstraßen - klassisch unterfinanziert ist. Deswegen haben die Länderverkehrsminister die Einsetzung einer Kommission erwirkt
- vorher gab es die Daehre-Kommission, jetzt die
Bodewig-Kommission, benannt nach einem ehemaligen
SPD-Bundesverkehrsminister -, die Vorschläge für den
Bund erarbeiten soll, wie man die Unterfinanzierung der
Infrastruktur beheben und mehr Mittel aufbringen kann.
Auch die Finanzierung durch Nutzer ist in dieser
Bodewig-Kommission ein wichtiger Punkt. Das heißt,
im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von
der SPD-Bundestagsfraktion, haben die Länderverkehrsminister von der SPD längst begriffen, was Nutzerfinanzierung und Pkw-Maut miteinander zu tun haben.
({9})
Jörg Vogelsänger - als brandenburgischer Verkehrsminister Sprecher der Länder - beispielsweise hat sich ganz
klar geäußert, indem er gesagt hat, dass eine Pkw-Maut
es erlauben würde, die Mittel für die Infrastruktur aufzustocken und sie zu verstetigen.
Ich denke, dass die Parteien in den Tagen des Wahlkampfes - ab Juli/August - Gelegenheit haben werden,
die verschiedenen Konzepte zur Diskussion zu stellen.
Die Bürgerinnen und Bürger werden am 22. September
darüber abstimmen.
({10})
Kollege Dobrindt hat die Umfragewerte erwähnt:
88 Prozent der bayerischen Wählerinnen und Wähler
wollen eine Pkw-Maut. Und, Herr Kollege Pronold,
nachdem Sie den geschätzten Kollegen Straubinger angesprochen haben, muss ich Ihnen sagen: Er ist der Abgeordnete, der bei der letzten Bundestagswahl in Ihrem
Wahlkreis mit 53,6 Prozent der Stimmen das Direktmandat errungen hat, während Sie gerade einmal 17,5 Prozent der Stimmen erringen konnten.
({11})
Auch da sind die Mehrheitsverhältnisse ganz klar geregelt. Ich denke, die CSU ist mit diesem Vorschlag wiederum viel näher an den Menschen. Deswegen werden wir
diesen Vorschlag in den Bundestagswahlkampf einbringen.
({12})
Es wird immer wieder behauptet, dass durch eine
Pkw-Maut nur für Ausländer höchstens 250 bis 300 Millionen Euro eingenommen werden könnten. Die Verkehrsbelastung ist aber erheblich gestiegen. In einer aktuellen Studie rechnet die Ages uns vor, dass durch eine
Pkw-Vignette für ausländische Durchfahrer fast 1 Milliarde Euro erwirtschaftet werden könnten.
({13})
Sollen wir auf diese 1 Milliarde Euro einfach so verzichten? Ich fordere die SPD auf, endlich Mumm zu zeigen,
diese europapolitische Hörigkeit abzulegen und an einer
Änderung des Europarechts - klar, das ist vorher notwendig - mitzuwirken. Es gibt diese Modalitäten; aber
wir wollen nicht akzeptieren, dass die Ausländer umsonst durchfahren und wir auf die 1 Milliarde Euro, die
wir für die Finanzierung der Infrastruktur dringend brauchen, verzichten sollen.
({14})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese Europahörigkeit schon in der letzten Legislaturperiode beim Feuerwehrführerschein an den Tag gelegt. Bundesminister
Ramsauer hat es geschafft, für den Feuerwehrführerschein eine Regelung zu schaffen, die europarechtlich
trägt. Wo stünden die vielen ehrenamtlichen Helfer, die
jetzt bei der Hochwasserkatastrophe helfen, wenn der
deutsche Feuerwehrführerschein keine europarechtliche
Akzeptanz gefunden hätte? Das ist nur ein Beispiel, das
zeigt, dass Sie mutiger werden sollten und, anstatt auf
das Europarecht zu verweisen, Ihren Kollegen in Brüssel
gegenüber klarmachen sollten, dass Deutschland will,
dass durchfahrende Ausländer an der Finanzierung der
Bundesfernstraßen beteiligt werden. Die Einnahmen in
Milliardenhöhe wollen wir in die Bundesinfrastruktur
reinvestieren. Das wäre das richtige Rezept.
({15})
Unterstützen Sie uns dabei! Zeigen Sie endlich Aktivität! Machen Sie sich Gedanken, und verwenden Sie Ihr
Gehirnschmalz darauf, Lösungen zu finden.
({16})
- Herr Kollege Pronold, es wird seinen Grund haben,
dass die Medien im Hinblick auf die Mannschaft, mit der
die SPD nach der Wahl regieren möchte, nicht von einem Kompetenzteam, sondern von einem Schattenkabinett sprechen. Sie zeigen, dass Sie sich in Ihr Schicksal
ergeben.
({17})
Die CSU möchte, dass die Ausländer nicht einfach
nur durchfahren und Müll und Unrat auf unseren Parkplätzen lassen. Mittlerweile, Frau Leidig, tankt auch keiner mehr in Deutschland: weil das Spritpreisniveau zu
hoch ist.
({18})
Wir wollen also diese Pkw-Maut einführen,
({19})
um auch von unseren europäischen Mitbürgern einen
Beitrag zur Finanzierung des deutschen Bundesfernstraßensystems zu bekommen.
({20})
Meine Damen und Herren von der SPD, schauen Sie
sich bitte die Ages-Studie an! Sie ist sehr aktuell. Ich
lade Sie ein - auch wenn die Diskussion heute ein bisschen lebhafter war -, sich mit uns ohne Scheuklappen
Gedanken darüber zu machen, wie wir die Infrastrukturfinanzierung auf eine zukunftsfähige Grundlage stellen
können. Die verschiedenen Konzepte liegen auf dem
Tisch. Die Bürgerinnen und Bürger können am 22. SepParl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
tember entsprechend ihr Kreuzchen machen. Bei 88 Prozent Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger in Bayern
zur Pkw-Maut ist mir nicht bange, dass wir uns in dieser
Regierungskonstellation auch in der nächsten Legislaturperiode wunderbar wieder treffen.
Herzlichen Dank.
({21})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Uwe
Beckmeyer. Bitte schön, Kollege Uwe Beckmeyer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Scheuer, Ihnen persönlich herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft.
Ich habe mich, wie auch meine Fraktion, eben die
ganze Zeit gefragt: Wen vertreten Sie eigentlich? Die
CSU-Landesgruppe oder die Bundesregierung? Ich
denke, Sie sitzen auf der Regierungsbank am falschen
Platz. Sie müssten eigentlich in den Reihen der CDU/
CSU sitzen, wenn Sie hier so sprechen wollen. Dann hätten Sie allerdings auch keine neun Minuten Redezeit,
sondern nur fünf.
({0})
Ich finde es unerhört, was hier abgeht: Die Bundeskanzlerin erklärt für diese Bundesregierung ganz klar,
dass es in Deutschland keine Pkw-Maut geben soll; der
Staatssekretär des Fachministeriums erklärt das Gegenteil.
({1})
Sie sollten sofort demissionieren. Holen Sie sich Ihre
Abdankungsurkunde beim Bundespräsidenten ab, und
gehen Sie wieder in Ihre Fraktion zurück!
({2})
- Herr Dobrindt, kennen Sie den EU-Vertrag?
({3})
In Art. 2 ist unter anderem die Gleichheit der europäischen Bürger festgelegt.
({4})
Kennen Sie unser Grundgesetz? Toni Hofreiter hat es
eben zitiert. Herr Ramsauer spricht davon, dass es in der
hintersten Ecke irgendwelche Fußnoten geben solle, die
man nur ändern müsse, um die Pkw-Maut für Ausländer
in Bayern und in Deutschland einführen zu können. Was
ist das für ein Minister, der die Leute so hinters Licht
führt? Für wie dumm halten Sie eigentlich Ihre bayerischen Wähler, dass Sie mit einer solchen Klamotte vor
den Deutschen Bundestag treten und behaupten, das sei
möglich?
({5})
Die Wahrheit ist eine ganz andere: Sie wollen die
Pkw-Maut auf ganzer Linie. Die Pläne zur Pkw-Maut
sind schon vor sechs Monaten in der Bild-Zeitung dokumentiert worden. Die Pkw-Maut, die Sie wollen, belastet
jeden deutschen Pkw-Fahrer mit 80 bis 365 Euro pro
Jahr. Das ist die Wahrheit.
({6})
Das müssen Sie dementieren, wenn Sie das nicht wollen.
Aber Sie können das nicht dementieren, weil Sie eine
andere Variante gar nicht durchsetzen können. Dann sind
es am Ende wieder die bösen Europäer gewesen, die Ihnen das leider vermasselt haben. Sie werden für die bayerische CSU sagen: Wie schade, dass es leider Gottes mit
der Durchsetzung in Europa nicht geklappt hat. - Man
kann das wieder auf Europa abladen.
({7})
Diese Bauernschläue ist im Grunde das tragende Element Ihres ganzen Wahlkampfes. Sie wollen mit irgendeinem neuen Thema von Ihrer Amigo-Affäre ablenken,
({8})
über das sich die Republik dann aufregen soll. Aber mit
dieser Nummer kommen Sie nicht durch.
({9})
Wenn man Ihre Variante weiterdenkt, dann müssten
wir den Italienern demnächst auch für Pasta- und Pizzaverzehr in Deutschland Steuern zahlen oder Freibier für
alle. Solche Dinge sind doch unsinnig in der Politik. Das
muss man so feststellen.
({10})
Es ist doch sonnenklar: Mit einer derart formulierten
Politik betreiben Sie in Deutschland am Ende Scharlatanerie. Der Seehofer ist am Ende der Münchhausen dieser
Republik, und Sie sind sein Assistent. Was ist das eigentlich für eine Politik, die so formuliert wird? Glauben Sie
tatsächlich, dass in Deutschland so etwas durchgesetzt
werden kann? Hirnrissiger geht es doch nimmer.
({11})
Der Staatssekretär tutet in das gleiche Horn und erklärt
diesem Parlament ebenfalls, dass das machbar sei.
({12})
Wen wollen Sie eigentlich noch hinters Licht führen? Jeder Rechtskundige weiß, dass das nicht geht. Dennoch
wird es versucht.
Sie machen doch im Grunde eine lautstarke Minderheitenpolitik aus Bayern, damit sich bei Ihnen die Leute
in den Bierzelten auf die Schenkel schlagen und sagen:
Jawohl, Pkw-Maut für Ausländer, das brauchen wir jetzt
noch, damit die Straßen ordentlich finanziert werden
können. - Jeder Kundige im Verkehrsausschuss weiß,
dass die Systemkosten die Einnahmen, die da erwirtschaftet werden und ganze 5 Prozent des Straßenetats
ausmachen sollen, vollkommen auffressen. Am Ende
werden Sie keinen Cent zusätzlich übrig haben für die
Finanzierung der Infrastruktur.
Was Sie brauchen, ist eine Antwort auf das Problem,
das Herr Scheuer genannt hat. Uns fehlen in Deutschland 4 Milliarden Euro pro Jahr für Investitionen in die
Infrastruktur. Darauf haben Sie keine Antwort. Eine
ganze Wahlperiode lang hat dieses Ressort nichts zustande gebracht. Herr Ramsauer hat auf ganzer Linie
versagt.
({13})
Wir müssen im Hinblick auf die Bundestagswahl festhalten: Diese CSU ist mit ihren Ministern im Grunde
nicht in der Lage, die Verkehrspolitik in Deutschland ordentlich zu organisieren.
Machen Sie sich also nicht über ein Schattenkabinett
lustig. Sie sind eine C-Mannschaft, nicht einmal eine BMannschaft.
Ganz herzlichen Dank.
({14})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring.
Bitte schön, Kollege Patrick Döring.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur
für den Fall, dass das unklar geblieben ist: Die Fraktionen, die diese Bundesregierung tragen, haben für diese
Wahlperiode keine Pkw-Maut verabredet, und wenn es
nach der FDP und nach der Frau Bundeskanzlerin geht,
werden wir so etwas auch in der kommenden Wahlperiode nicht verabreden.
({0})
Dafür werden wir Liberale werben und streiten. Die Debatte jetzt läuft ja ein wenig nach dem Muster ab: Wer
wenig weiß, muss mehr glauben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Uwe
Beckmeyer, selbstverständlich ist es lohnenswert, darüber zu diskutieren, wie wir mehr Geld ins System bekommen. Ich will darauf hinweisen, dass es Abgeordnete von CDU/CSU und FDP waren, die es geschafft
haben, dass für 2012 und 2013 über 1,7 Milliarden Euro
zusätzliche Mittel für Investitionen zur Verfügung stehen.
({1})
Auch erlaube ich mir den Hinweis, dass keine CDULandtagsfraktion und keine FDP-Landtagsfraktion in
Koalitionsverträgen mit dem Partner verabredet hat,
keine weiteren Straßen zu bauen, so wie es die SPD in
Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und in SchleswigHolstein verabredet hat. Der Eindruck, den Sie zu erwecken versuchen, Sie seien der Schutzpatron der Infrastruktur, ist nun wahrlich durch die Wirklichkeit widerlegt.
({2})
Entscheidend ist, dass man, wenn man die zutreffenden Rechtsgrundsätze, die Uwe Beckmeyer genannt hat,
und das Diskriminierungsverbot ernst nimmt, am Ende
eine Vignettenpflicht für alle einführen müsste. Für Inländer müsste man dann kunstvoll versuchen, ihnen die
erhobenen Gebühren zurückzuerstatten. Ich erlaube mir
den Hinweis, dass wir all das bei der Lkw-Maut auch
schon diskutiert und dabei festgestellt haben, dass das in
Europa aus guten Gründen so einfach nicht möglich ist.
Wir Liberale werden nicht die Hand für die Übernahme
von Systemkosten reichen. Ich bin nach der Erfahrung
mit der Lkw-Maut sicher, dass wir das teurer machen
würden als die Österreicher, dass wir ein System aufbauen würden, das 10 Prozent bis 20 Prozent Systemkosten produzierte; und dann müssten wir noch irgendwo ein Pkw-Vignetten-Rückvergütungsamt für die
Deutschen einrichteten. Diesen bürokratischen Aufwand
werden wir Liberale jedenfalls nicht mitgehen. So etwas
wollen wir nicht.
({3})
Denn die Autofahrerinnen und Autofahrer in Deutschland zahlen genug Steuern, Mineralölsteuer und KfzSteuer.
Wenn man sich die Geschichte der Infrastrukturfinanzierung anschaut, dann sieht man, wie skeptisch und
misstrauisch die Deutschen aus gutem Grund bei dieser
Debatte sind; denn unsere Vorgänger haben in den 60erund 70er-Jahren mehrfach Mineralölsteuererhöhungen
vorgenommen und ins Gesetz geschrieben: Dieses Geld
wird auf Dauer ausschließlich für die Finanzierung der
Straße verwendet. Wir alle hier setzen diese gesetzlichen
Regelungen mit jedem Bundeshaushalt wieder außer
Kraft. Die Deutschen wissen genau, dass das Versprechen, neue Abgaben würden zweckgebunden eingesetzt,
selten gehalten wird. Wir haben es bei der Lkw-Maut unter Rot-Grün erlebt und würden es auch bei einer PkwMaut erleben. Auch darum wollen wir Liberale kein
neues Abkassierinstrument einführen.
({4})
Nein, wir müssen schlicht dafür sorgen, dass in diesem Parlament durch überzeugende Argumente mehr
Geld aus dem Kfz-Steuer- und MineralölsteueraufkomPatrick Döring
men für die Infrastrukturfinanzierung erkämpft wird, damit wir die Unterdeckung beseitigen.
({5})
Ich finde es aber bemerkenswert, dass die Redner beider Oppositionsfraktionen, die hier gesprochen haben,
offengelegt haben, dass sie höhere Belastungen für all
jene, die nicht Pkw fahren, planen, nämlich mit einer
Güterverkehrsabgabe auf allen Bundesstraßen in Deutschland, für alle Fahrzeuge schwerer als 3,5 Tonnen und damit für jeden Handwerker, für jeden Landwirt, für jeden
Möbelspediteur.
({6})
Das ist die Abzocke von Mittelstand und heimischem
Gewerbe, und die werden wir auch nicht mitmachen,
meine sehr verehrten Damen und Herren, weil regionale
Wirtschaftsverkehre nicht zusätzlich belastet werden
sollen.
({7})
Deshalb reden wir vielleicht weniger über neue Belastungen für die Menschen und eher darüber, wie sie
mit ihrem eigenen Geld ihr Leben gestalten können.
({8})
Und sorgen wir dafür, dass wir die über 50 Milliarden
Euro, die die deutschen Verkehrsteilnehmer aufbringen,
dass wir die 4 Milliarden Euro Lkw-Maut, die alle inländischen und ausländischen Lkw bezahlen, richtig einsetzen und dass wir am Ende eine auskömmliche Infrastrukturfinanzierung haben! Wir brauchen keine neuen
Finanzierungsinstrumente, die hohe Verwaltungskosten
verschlingen; wir brauchen den Menschen auch nicht
mit xenophoben Argumenten Sand in die Augen zu
streuen.
({9})
Das Einzige, was wir brauchen, ist eine durchsetzungsfähige Mehrheit, die viel mehr Geld für die Infrastruktur
beschafft. Die Fraktionen von Union und FDP haben in
der Auseinandersetzung mit dem Parlament und mit dem
Haushaltsausschuss bewiesen, dass sie das können; so
werden wir auch weiter vorgehen.
Es waren vier gute Jahre für die Infrastrukturfinanzierung, und wir werden vier gute Jahre anschließen.
Vielen Dank.
({10})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Rita Schwarzelühr-Sutter. Bitte schön, Frau Kollegin
Schwarzelühr-Sutter.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Was für ein Schauspiel heute!
({0})
Man könnte fast meinen, die Augsburger Puppenkiste ist
wieder auf Tournee.
({1})
Auf dem Programm stehen Wahlversprechen aller Art.
Angekündigt ist eine hundertprozentige Befriedigung
der Wählerinnen und Wähler und ihrer Wünsche.
In Bezug auf den Handlungsablauf befinden wir uns
gerade in einem retardierenden Moment: Hochdramatisch meldet sich einer der Kronprinzen zu Wort, widerspricht der Königin und droht gar mit Auszug aus dem
Schloss, wenn nicht Wegezoll für Fremde verlangt wird. Sie wissen, wen ich meine. Wir, das mehr oder weniger
geneigte Publikum, wissen dennoch, dass das Unvermeidliche folgen wird; denn die Puppenspielerin wird
am Ende des Stücks das Krokodil Horst und den Kasper
Peter wieder zurück in die Kiste stecken und zum nächsten Auftrittsort weiterreisen.
({2})
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer fordert eine Pkw-Maut für Ausländer und will damit die
Hoheit über die Stammtische wiedergewinnen. Ich frage
mich manchmal wirklich, warum es eigentlich keine
Maut für politische Geisterfahrer gibt.
({3})
Pkw-Maut als Wunderwaffe für blasse Verkehrsminister!
Ich denke hier nur an die Helmpflicht für Radfahrer, an
das Punktesystem und anderes.
({4})
Sie sagen dann auch noch, es gehe Ihnen um mehr
Gerechtigkeit und mehr Geld für den Straßenbau - und
das wollen Sie natürlich nur von den Ausländerinnen
und Ausländern, Europarecht hin oder her. Das Europarecht scheint wenigstens in den Augen des Ministers
Seehofer nur eine Nebensächlichkeit zu sein; aber ich
sage Ihnen eines: Das drückt bei allem Spaß aus, welches Rechtsverständnis Sie haben, wie Sie zu Recht und
Gesetz stehen und welche Haltung Sie in Europa einnehmen.
Wir lehnen die Pkw-Maut ab, weil die Fahrerinnen
und Fahrer von Pkw, wie schon gesagt, bereits eine
Menge Geld zahlen, nämlich 53 Milliarden Euro pro
Jahr. Aber nur 17 Milliarden Euro pro Jahr werden in
den Straßenverkehr investiert. Glauben Sie wirklich,
dass Ihnen jemand abnimmt, dass Ihre Pkw-Maut on top
kommt? Sie versprechen dem Handwerker und dem
Pendler im ländlichen Raum, dass sie da das El Dorado,
das Paradies, für Straßen finden. Das ist doch wirklich
nicht die Wahrheit; vielmehr hängen Sie den Menschen
eine goldene Karotte bzw. eine Wurst vor die Nase.
({5})
Enttäuscht müssen Handwerker und Pendler vor allem deswegen sein, weil das doch eigentlich Ihr Klientel
ist. Haben Sie sie vor lauter Eifer in Ihrem Wahlkampf
vergessen? Sagen Sie ihnen, wenn die Maut ausgeweitet
wird, doch auch einmal, wo der Verkehr dann hinfließt
und welche Umverkehre entstehen. Der Verkehr flutet
dann doch auf die Landstraßen, und unsere schönen Autobahnen werden dann gar nicht mehr genutzt.
Die eigentlichen Verursacher lassen Sie außen vor.
Hier haben Sie in dieser Legislaturperiode richtig viel
Geld verschleudert. Sie haben keine Mautspreizung vorgenommen, und Sie haben keinen Anreiz für mehr Euro6-Lkw geschaffen. Der Verkehrsminister hat sich vielmehr darauf zurückgezogen, dass er erst ein lupenreines
Wegekostengutachten brauche, bevor er so etwas jemals
noch einmal unternimmt.
({6})
Sie haben kein Herz für Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern Sie versuchen, sie gnadenlos abzuzocken.
({7})
Maut heißt nur, noch mehr Geld von inländischen
Autofahrern abzukassieren.
Ich zitiere Herrn Meyer vom ADAC.
({8})
- Keine Aufregung, Herr Kauder.
Maut-Vorschläge sind an Einfallslosigkeit kaum zu
überbieten.
Recht hat der Herr Meyer vom ADAC.
Die Kanzlerin und die Bundesregierung haben versprochen, dass es keine Pkw-Maut gibt. Deshalb frage
ich mich: Was sind die Versprechen dieser Bundesregierung eigentlich wert?
({9})
Es war bezeichnend, dass ein Staatssekretär nicht für die
Bundesregierung, sondern eigentlich für die CSU gesprochen hat. Oder hat er doch für die Regierung gesprochen? Wir werden versuchen, das einzuordnen. Der Bürger vor Ort aber weiß jetzt, woran er ist: Er wird
abkassiert und abgezockt. Die eigentlichen Lkw-Dreckschleudern aus dem Osten - oder was weiß ich, woher werden Sie aber weiter fröhlich durch das Land ziehen
lassen. Sie halten sich lieber an die Verbraucher, die Bürgerinnen bzw. Bürger, die am Ende die Zeche bezahlen.
Glück auf!
({10})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Karl
Holmeier. Bitte schön, Kollege Karl Holmeier.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich kann, ehrlich gesagt, die ganze Aufregung der Opposition über die Äußerungen unseres bayerischen Ministerpräsidenten nicht verstehen.
({0})
Er hat gesagt, er will eine Maut, die deutsche Autofahrer
nicht belastet - nicht mehr und nicht weniger. Zum
Thema Pkw-Maut gibt es einen Parteitagsbeschluss aus
dem Jahr 2011. Die Aussage unseres Ministerpräsidenten Horst Seehofer in der Bild am Sonntag gibt nichts
anderes als das wieder, was bereits vor zwei Jahren beschlossen wurde.
({1})
- Es ist doch besser. Wenn Sie es wollen, stelle ich das
für die Opposition noch einmal klar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden nach
der Bundestagswahl 2013 eine Pkw-Maut in Deutschland einführen. Das ist schlicht und einfach eine Frage
der Gerechtigkeit.
({2})
- Wir werden sie einführen, weil wir auch nach der Wahl
die Regierung stellen werden. Warten Sie es ab, Frau
Schieder.
({3})
Wenn deutsche Autofahrer in Österreich, in Italien, in
der Schweiz und in Tschechien Maut bezahlen, dann
sollten dies auch die Reisenden, die durch Deutschland
fahren, machen. Es ist unserer Ansicht nach nur gerecht,
wenn die vielen Abgaben, welche die deutschen Autofahrer an den Staat leisten, sich am Ende auch bei den
Straßen unseres Landes widerspiegeln.
({4})
Die Realität, Herr Beckmeyer, sah nach elf Jahren roter
Regentschaft im Bundesverkehrsministerium ganz anders aus. Die CSU arbeitet mit unserem Verkehrsminister Dr. Peter Ramsauer daran, das zu ändern. Um mehr
geht es nicht.
({5})
Weder der bayerische Ministerpräsident noch die
CSU möchten Ausländer diskriminieren oder die Grundsätze und Errungenschaften der Europäischen Union
über den Haufen werfen.
({6})
Wir wollen keine Diskriminierung, wir wollen nur Gerechtigkeit auf Deutschlands Straßen. In unserem Parteitagsbeschluss heißt es - ich zitiere das wörtlich -:
Kaum ein Industrieland in Europa stellt seine Straßen gebührenfrei jedem Autofahrer … zur Verfügung - mit Ausnahme des größten europäischen
Transitlandes Deutschland.
({7})
Es ist daher ein Gebot der Fairness, dass sich ausländische Autofahrer künftig in Deutschland an den
bei uns entstehenden Kosten beteiligen.
Und das wollen wir.
({8})
- Sie stehen im Schatten, Herr Pronold, und werden auch
nach der Bundestagswahl im Schatten stehen. - Ich kann
darin beim besten Willen keine Ungleichbehandlung erkennen. Im Gegenteil: Das ist eine Forderung nach gleichem Recht für alle.
({9})
Um die ohnehin schon genügend strapazierten Geldbeutel der deutschen Autofahrer nicht noch mehr zu strapazieren, haben wir auf unserem Parteitag 2011 auch beschlossen, dass es mit der Einführung der Maut eine
Kompensation - ich wiederhole: eine Kompensation für die deutschen Autofahrer geben muss.
({10})
Daran ist nichts Verwerfliches zu erkennen - auch nicht
für Sie, Herr Pronold. Im Gegenteil: Alle, die eine andere Meinung vertreten, sollten den Autofahrern klaren
Wein einschenken.
({11})
Wir wollen nicht, dass unsere Autofahrer künftig noch
mehr belastet werden. Wir wollen keine Mehrbelastung
für unsere Autofahrer, sondern eine verlässliche Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur, ohne die Autofahrer - vor allem die Pendler auf dem Land - noch zusätzlich zu belasten.
({12})
Fakt ist, meine sehr verehrten Damen und Herren,
dass der Verkehrshaushalt seit Jahren unterfinanziert ist.
Die Kehrtwende zum Positiven wurde in den letzten Jahren unter CSU-Minister Peter Ramsauer vollzogen.
({13})
Vorher war es ein Riesenproblem. Zuvor haben die SPDVerkehrsminister über elf Jahre hinweg den Verkehrshaushalt sträflichst vernachlässigt. Sie haben zuerst die
Lkw-Maut verstolpert und nach deren Einführung die
Haushaltsmittel im Einzelplan 12 abgesenkt. Den Finanzierungskreislauf Straße, der die Kehrtwende zu mehr
Unabhängigkeit vom Verkehrshaushalt markiert, hat erst
unser Verkehrsminister Peter Ramsauer eingeführt.
({14})
- Hören Sie zu, Herr Pronold! - Unser Ziel lautet: Straße
finanziert Straße. CSU-Minister Ramsauer war es auch,
mit dem wir es geschafft haben, im Jahr 2012 1 Milliarde Euro und im Jahr 2013 dann noch einmal 750 Millionen Euro zusätzlich für den Straßenbau zu erhalten.
Genau diesen Weg wollen wir nach der Bundestagswahl fortführen. Wir werden ihn auch fortführen: mit der
Einführung einer Pkw-Maut, mit der finanziellen Beteiligung der Autofahrer aus unseren Nachbarländern, die
unsere Straßen benutzen.
({15})
Dafür steht die CSU. Wir stehen für Gerechtigkeit und
intakte Straßen in Deutschland.
({16})
Vielen Dank.
({17})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der SPD unser Kollege Martin Burkert. Bitte schön, Kollege Martin Burkert.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hätten Sie
nicht 10 Milliarden Euro bei der Bayerischen Landesbank versenkt, bräuchten wir heute keine Diskussion
über die Pkw-Maut.
({0})
Allein während dieser Aktuellen Stunde müssen dafür
40 000 Euro Zinsen aufgebracht werden. Herzlichen
Glückwunsch, Herr Dobrindt. So viel dazu.
Stellen Sie sich ein Fußballstadion vor. Alle drücken
der Mannschaft die Daumen, und ein kleiner Block Unverbesserlicher zündet bengalische Feuer. So ungefähr
kommt mir die Diskussion um die Pkw-Maut vor. Eine
große Mehrheit aus SPD, Grünen, Linken und CDU ist
gegen die Maut. Es gibt einen Parteitagsbeschluss und
klare Worte der Kanzlerin dazu. Ronald Pofalla - ja,
Herr Kauder, das ist so - und auch die FDP sind hier anderer Meinung. Gut, Herr Döring, wir müssen konstatieren: die bayerische FDP, aber das sind ja nur ein paar
Hanseln, und das auch nicht mehr lang.
({1})
Ich nenne hier auch die ablehnende Haltung der Freien
Wähler, des ACE und des ADAC zur Pkw-Maut. Eine
Umfrage des ADAC vom März dieses Jahres hat ergeben: Mehr als drei Viertel der Auto- und Motorradfahrer
lehnen eine Pkw-Maut ab.
Herr Dobrindt, wir wissen, wie die CSU in Bayern
Umfragen macht. Mit solchen Umfragen brauchen Sie
gar nicht erst zu kommen. Ich sage Ihnen: Wir alle lehnen eine Pkw-Maut in aller Deutlichkeit heute ab.
({2})
- Sie fürchten zu Recht die bayerische Landtagswahl. Es gibt nur diesen kleinen Block von Unruhestiftern, die
CSU und die Piratenpartei. Da haben sich zwei gefunden.
({3})
Ich sage Ihnen: Natürlich brauchen wir neue Einnahmen, Herr Staatssekretär. Ich zitiere den Minister
Ramsauer:
Die nächste Bundesregierung wird zwingend sagen
müssen, wie man die Unterfinanzierung des Verkehrsetats anpackt.
Ich kann darauf nur antworten: Wir haben Vorschläge
gemacht, wie eine zukunftsfähige, nachhaltige und solide Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur aussehen
soll.
({4})
Wir haben die Arbeit gemacht, die der Minister in dieser
Legislatur hätte machen müssen. Sie gestehen ja selbst
ein, dass Sie keine Antworten gegeben haben.
Was machen Sie denn eigentlich, wie schon zu Recht
gefragt wurde, mit den über 50 Milliarden Euro Steuereinnahmen von den Autofahrern? Reichen die nicht aus?
Reden Sie mit Ihrem Bundesfinanzminister. Stichwort
„Finanzierungskreislauf Straße“: Das heißt nach Ihrem
Verständnis: Umgehungsstraßen in Bayern, aber dafür
den ländlichen Raum belasten.
Wir lehnen die Pkw-Maut ab: aus datenschutzrechtlichen Gründen, aus ökologischen Gründen, aus Gründen
der Verkehrssicherheit und aus sozialen Gründen.
({5})
Mit der Pkw-Maut würden gerade die Pendler getroffen,
die im ländlichen Raum täglich auf die Nutzung von
Fernstraßen und Autobahnen angewiesen sind.
Sie können sich Nachhilfe bei YouTube holen. Der
ADAC hat im Oktober 2010 ein 15-minütiges Video mit
dem Titel „Irrtum Pkw-Maut“ hochgeladen. Bis heute
wurde dieses Video etwa 11 500 Mal angeschaut. Ein
CSUler war offenbar nicht dabei und ein Pirat anscheinend auch nicht.
({6})
Ganz nebenbei frage ich mich, was die den ganzen Tag
im Internet machen; aber das nur am Rande.
Wir sagen ganz klar: Pkw-Maut nein, Nutzerfinanzierung ja. Dafür müssen aber vier Kriterien erfüllt sein:
Umwelt- und Lärmschutz sowie effiziente Lenkung der
Verkehrsströme; jegliche Datenerfassung muss mit dem
Datenschutzrecht in unserem Land im Einklang stehen
- denken Sie an die Debatte in den USA -, und Pendler
dürfen nicht benachteiligt werden, um das als Franke
und als Bayer deutlich zu sagen, Herr Dobrindt.
({7})
Diesen vier Kriterien wird Ihre Pkw-Maut nicht gerecht. Ich bin ganz bei den Grünen, lieber Toni: Man
kann ernsthaft darüber nachdenken, ob man nicht eine
Erhöhung der Mineralölsteuer ins Auge fasst,
({8})
um damit die Kfz-Steuer abzuschaffen. Auch das hätte
eine lenkende Wirkung.
Die Behauptung des Herrn Ministerpräsidenten und
seines Ministers in Berlin, Ramsauer, eine Pkw-Maut in
Deutschland würde nur ausländische Autofahrer treffen,
ist dreist und falsch - das wissen Sie -, und sie ist auch
unzulässig. Ich denke nur an Ihren Parteitag: Wenn Ihre
Abgeordneten den Wissenschaftlichen Dienst beauftragen und sich das noch einmal schwarz auf weiß geben
lassen, dann sage ich, Herr Seehofer: Das ist EuropaMartin Burkert
recht für Anfänger. Das sollten Sie wissen, Herr Ministerpräsident.
Unterm Strich sage ich Ihnen: 15 von 16 Autos auf
deutschen Autobahnen haben ein deutsches Kennzeichen. Die wollen Sie alle belasten.
({9})
Sie wollen den deutschen Autofahrer mit hineinziehen
und den Europäern wieder die Schuld geben.
Ich zitiere heute im Deutschen Bundestag Hubert
Aiwanger - die Freien Wähler wollen ja kommen -:
Seehofer träumt … von schwarzen Weißwürsten
und überschätzt deutlich seine Macht. Ich wünsche
ihm viel Erfolg dabei, das EU-Recht zu ändern …
Ich sage Ihnen: Wir freuen uns. Wir haben kein Problem, wenn Herr Seehofer sagt, er wolle seinen Koalitionsvertrag danach ausrichten. Dem steht nichts im
Weg. Denn Dissens zwischen Grünen, SPD und den
Freien Wählern gibt es nicht. Wir werden den Koalitionsvertrag in Bayern dementsprechend machen. Wir
freuen uns auf die Landtags- und Bundestagswahlen am
15. und 22. September dieses Jahres. Bei aller Freundschaft, Herr Scheuer, nach Ihrer Rede hoffe ich,
Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen.
- dass Sie dem Kabinett danach nicht mehr angehören.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Daniela
Ludwig. - Bitte schön, Frau Kollegin Daniela Ludwig.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wenn jemand Hubert Aiwanger zitieren muss
und ihn als Kronzeugen braucht, dann fehlt es schon an
einigem, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der SPD.
({0})
Ich stelle eines voran: Wir sind nicht nur in einer
Mautdebatte, sondern in einer Verkehrsdebatte im Allgemeinen. Ich höre von Ihnen immer: Geht nicht. ({1})
Das stimmt: Unter Ihren Verkehrsministern ist vieles
nicht gegangen.
Es ging los mit dem Erhalt der Infrastruktur: Das ging
bei Ihnen nicht. Das arbeiten wir jetzt gerade mühsam
ab, Brücke für Brücke, Straße für Straße.
({2})
Den Verschleiß dieser rot-grünen Bundesregierung baden wir bzw. die deutschen und bayerischen Autofahrer
aus. Schade, das ging bei Ihnen leider nicht.
Bei Ihnen ging auch das nicht, was Sie jetzt so preisen, Herr Burkert: die Nutzerfinanzierung.
({3})
Straße finanziert Straße: Das ging bei Ihnen auch nicht.
Dafür mussten erst wir kommen. In unserer Verkehrspolitik geht das.
Jetzt sagen Sie: Wir sind für Nutzerfinanzierung, aber
gegen die Pkw-Maut. - Erklären Sie das einmal zu
Hause in Ihrem Wahlkreis!
({4})
Das geht bei Ihnen also auch nicht.
Sie werfen sich immer in vorauseilendem Gehorsam
vor der Europäischen Union in den Sand in dem Glauben, Sie müssten sich direkt wegducken und hinter dem
EU-Recht verstecken, wenn Sie irgendetwas nicht wollen. Es ist bitter für Sie. Die Umfragen sind relativ eindeutig - und Ihre langen Gesichter waren vorhin auch
ziemlich eindeutig -, dass die ganz große Mehrheit der
bayerischen SPD-Wähler - viele sind es ja nicht mehr in der Tat für eine Vignette ist. Bitter für Sie, dass erst
wir Sie darauf bringen müssen und dass die CSU wieder
einmal ihrem politischen Motto gerecht wird. Wir sind
nämlich schlicht und ergreifend näher am Menschen und
wissen, was die bayerischen Menschen wollen.
({5})
Auch das ist relativ eindeutig.
Wir sind ein Transitland. Mein Wahlkreis ist eine
klassische Transitregion. Ich kann Ihnen schon jetzt die
Szenarien ausmalen, wenn demnächst die Sommerferien
beginnen: Wir werden Schlangen über Schlangen von
deutschen, aber auch von ausländischen Pkw auf unseren Autobahnen haben, die Sie, wie gesagt, in der letzten
und vorletzten Legislatur verschlissen haben. Die Menschen in meinem Wahlkreis fragen sich schlicht und ergreifend: Wie kann es angehen, dass wir in Österreich
für eine Vignette zahlen müssen, dass wir in Italien
- was ja eigentlich fast noch schlimmer ist - eine streckenbezogene Maut zahlen müssen? Dann müssen wir
noch eine Extraabgabe zahlen, wenn wir über den Brenner fahren, weil dies offenbar besonders gefahrenträchtig
ist.
({6})
Aber bei uns tuckert man in aller Seelenruhe durch, stellt
sich in unsere Staus, verpestet unsere Luft, lädt seinen
Müll bei uns ab; nur tanken tut man nicht mehr - dieses
Geschäft nehmen wir leider nicht mehr mit -, und zahlen
tut man auch nicht.
({7})
Ich kann Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Was Horst
Seehofer hier fordert, ist richtig. Wir werden diese Forderung weitertreiben. Wir halten nichts von vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Europäischen Union, sondern wir stellen eine Forderung auf und werden sie auch
durchsetzen.
({8})
Sie haben unter anderem die Pendler angesprochen.
Auch in meinem Wahlkreis leben viele Pendler. Ich weiß
nicht, mit wem Sie sprechen.
({9})
Wahrscheinlich sprechen Sie mit niemandem, sondern
schauen YouTube.
({10})
Mir ist es lieber, mit den Bürgern zu sprechen und mir
dort Rückmeldung für meine Politik zu holen. Diese
Rückmeldung habe ich letzte Woche wieder relativ klar
durch unsere 50-köpfigen Besuchergruppen erfahren.
({11})
Es vergeht keine Woche, in der nicht eine Besuchergruppe hier ankommt und ich mit fassungslosem Gesicht
angeschaut werde,
({12})
wenn ich versuche zu erklären, warum viele europäische
Länder eine Maut und ein paar wenige eine Vignette haben und wir mittlerweile fast das einzige europäische
Land sind, in dem man für die Benutzung der Infrastruktur überhaupt nichts zahlen muss.
({13})
Meine Wähler zu Hause verstehen das nicht mehr. Weil
sie es nicht verstehen, haben wir die hohe Verpflichtung,
diesen Zustand endlich zu ändern.
Vielen herzlichen Dank.
({14})
Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Ulrich
Lange. - Bitte schön, Kollege Ulrich Lange.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Pronold, was Sie heute veranstaltet haben, ist der Offenbarungseid der SPD-Verkehrspolitik.
({0})
Wenn Sie für eine Aktuelle Stunde nicht mehr zu bieten
haben als einen Parteitagsbeschluss der CSU aus dem
Jahr 2011, wenn Sie keine eigenen Ideen haben, dann
sind Sie kein Kompetenzmann; Sie sind nicht einmal die
Wurzel aus Kompetenz.
({1})
Ihm passt ja nichts, aber er hat nichts zu bieten; es kommen keine neuen Ideen.
Herr Kollege Burkert, das war wenigstens ehrlich.
Das war ehrlich wie 2005, als es hieß: Mit uns keine
Mehrwertsteuererhöhung. Maut: Nein. Nutzerfinanzierung: Ja. - „Steinbrück-Steuer, das wird teuer“: Das ist
der Satz, der auf Sie heute ganz besonders zutrifft.
({2})
Eine gute Infrastruktur, eine gute Verkehrspolitik haben wir in den letzten vier Jahren weiß Gott gemacht.
({3})
Ich glaube, es ist Ihnen sehr wohl bewusst, dass wir elf
Jahre auf Verschleiß gefahren sind; das gilt für Brücken
wie für Straßen. Aber der Staatssekretär hat ganz richtig
gesagt: Wir haben umgeschichtet.
({4})
Diese Umschichtung war notwendig. Wir haben auch bei
der Schiene umgeschichtet. Auch das war notwendig.
Nur, insbesondere im Gegensatz zu den Grünen, lieber
Kollege Hofreiter: Der neue Bundesverkehrswegeplan
ist kein „Wünsch dir was“. Ortsumfahrungen im ländlichen Raum bedeuten weiterhin Lebensqualität für Menschen, die an belasteten Straßen leben. Dafür brauchen
wir auch in Zukunft Geld, und zwar mehr Geld als bisher.
({5})
Dass die Verkehrsinfrastruktur in Zukunft viel Geld
kosten wird, sollten wir auch den Wählerinnen und
Wählern heute schon sagen. Es wird ja von niemandem
bestritten, auch von Ihnen nicht.
({6})
- Es wird auch von Ihnen nicht bestritten. - Nur, Herr
Pronold, schaffen Sie es? Schauen Sie als Verkehrspolitiker vielleicht auch einmal bei den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Soziales vorbei? Schaffen Sie
es, in diesem Bereich irgendwelche Ausgaben zu kürzen? Denken Sie an die Ökosteuer, die Sie, Rot-Grün,
eingeführt haben. Sie wissen doch ganz genau, wohin
die Einnahmen aus der Ökosteuer fließen: Sie landen im
Topf des Haushaltes für Arbeit und Soziales.
({7})
Sie sollten nicht so tun, als ob Sie das nicht wüssten; Sie
sind doch schon lange dabei.
({8})
Nachzudenken über weitere Finanzierungsmöglichkeiten, ist legitim. Abkassieren ist grundsätzlich Ihre
Idee. Da ist die FDP nicht so dabei; das haben wir vorhin
schon mitbekommen, Kollege Luksic.
({9})
Eines ist klar: Die Finanzierung der Infrastruktur
ohne Mittel durch die, die sie nutzen, nämlich auch die
ausländischen Pkw, wird auf Dauer nicht funktionieren.
Wie die Kollegin Ludwig gerade zu Recht gesagt hat:
Erklären Sie einmal, warum man in Österreich eine
Vignette kauft und in Italien kilometerbezogen zahlt!
Das ist doch kein Problem. Sie kaufen die Vignette; ich
kaufe sie auch. Ich habe Verständnis dafür. Vielleicht
sollten Sie auch Verständnis dafür aufbringen, dass die
Österreicher auf diese Weise Geld einnehmen.
({10})
Ich möchte auf guten Straßen durch Österreich fahren.
Dafür zahle ich. Nichts leichter als das!
({11})
Dann tun wir das doch genauso.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einführung einer Vignette bei gleichzeitiger Kompensation für Inländer ist eine legitime Möglichkeit zur Finanzierung unserer Infrastruktur.
({12})
Wir werden diese Gerechtigkeitslücke schließen. Wie ist
vorhin so richtig festgestellt worden? Die CSU ist eine
eigenständige Partei. Das ist gut so.
({13})
Damit sind wir auch Partner in Koalitionsverhandlungen. Eine Koalition mit der CSU heißt: mehr Geld für
die Infrastruktur,
({14})
Schließung der Gerechtigkeitslücke und weiterhin Straßenbau.
({15})
Danke schön.
({16})
Kollege Ulrich Lange war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde, die nun auch beendet ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Antisemitismus entschlossen bekämpfen, jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig fördern
- Drucksache 17/13885 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Sie sind alle damit einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so
beschlossen.
Ich eröffne nun die Aussprache. Als Erster hat das
Wort der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner. - Bitte schön, Kollege Dr. Christoph Bergner.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Lehren aus der Geschichte der Weimarer Republik ziehen, so wird deutlich, dass die Gefahren, die vom Antisemitismus ausgehen, nicht nur
Gefahren sind, die jüdische Gemeinden und jüdisches
Leben betreffen - dies allein wäre schon gefährlich genug -; die Geschichte der Weimarer Republik zeigt, dass
Antisemitismus in viel allgemeinerer Weise auch eine
Gefahr für die Demokratie insgesamt darstellt.
Deshalb hat für die Bundesregierung die Bekämpfung
extremistischer Bestrebungen jeglicher Couleur politische Priorität. Antisemitismus ist ein alle Strömungen
des Rechtsextremismus verbindendes Ideologieelement
und ein festes Themenfeld in der rechtsextremistischen
Propaganda. Diese Ideologie gilt es zu identifizieren. Es
gilt, sich mit ihr präventiv auseinanderzusetzen und sie
in ihren menschenverachtenden Wirkungen zu bekämpfen.
Es darf nicht sein, dass sich in deutschen Städten Bereiche bilden, in die man sich nicht mehr traut, wo Juden
oder Moslems oder Menschen mit heller oder dunkler
Hautfarbe nicht mehr sicher sind. Bei der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und dem Rassismus
sind also alle Teile der Gesellschaft gefragt: vom Staat
über die Sportvereine und die Erzieher bis hin zu den
Religionsgemeinschaften. Wir müssen uns dabei der Tatsache stellen, dass antisemitische und rassistische Vorurteile in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Sie bilden
den Nährboden für verschiedene extremistische und zum
Teil gewaltbereite Gruppen am Rande unserer Gesellschaft.
Die von den Experten des unabhängigen Expertenkreises im Antisemitismusbericht seinerzeit ausgewerteten demoskopischen Untersuchungen geben übereinstimmend eine Größenordnung von etwa 20 Prozent
latentem Antisemitismus an. Die Quote mag in der Diskussion stehen. Je nach wissenschaftlicher Methode, erkenntnisleitendem Interesse, Fragebogendesign und anderem können solche Ergebnisse natürlich variieren.
Aber unabhängig von der Festlegung auf eine bestimmte
Zahl: Die Bundesregierung nimmt die Ergebnisse dieses
Antisemitismusberichtes ernst. Sie sieht sich weiterhin
veranlasst, den Antisemitismus in der Gesellschaft nachhaltig zu bekämpfen.
({0})
Im ersten Quartal 2013 wurden insgesamt 203 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gemeldet. Davon
waren 8 Gewalttaten und 48 Propagandadelikte. Meine
Damen und Herren, jede einzelne dieser Straftaten ist
eine zu viel.
({1})
Werte wie Respekt, Toleranz und Demokratie fallen
nicht vom Himmel. Sie sind keine Naturereignisse. Sie
müssen täglich neu vermittelt werden. Hier sind alle demokratischen Institutionen, Staat und Zivilgesellschaft
gleichermaßen gefordert, sich auch und gerade dem Antisemitismus überall entschlossen entgegenzustellen. Die
Bedeutung des Schutzes dieser Werte muss nicht zuletzt
auch vor dem Hintergrund der Aufdeckung der terroristischen Mordserie des NSU im November 2011 gelten, die
unsere Gesellschaft bis heute noch schwer erschüttert.
Dies zeigt uns leider, dass wir angreifbar und verletzlich
sind. Deshalb ist es wichtig, unsere demokratischen
Werte gegen jede extremistische Hetze und gegen Gewalttäter zu verteidigen. Dies ist zwingender Konsens
aller freiheitlichen Demokraten.
Neben spezifischen Maßnahmen, wie zum Beispiel
dem Schutz jüdischer Einrichtungen, bedeutet für uns
die Bekämpfung antisemitischer Straftaten nach wie vor,
vor allem die politisch rechts motivierte Kriminalität zu
bekämpfen. Dies wird als eine Daueraufgabe angesehen,
der wir uns, immer wieder angepasst an neue Gegebenheiten, stellen.
Alle gemessenen Quantitäten antisemitischen Einstellungspotenzials in unterschiedlichsten Erscheinungen
- zum Beispiel antisemitische Ressentiments, Klischees,
Verschwörungstheorien etc. - sind mit den Werten einer
freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar.
({2})
Seit vielen Jahren werden zahlreiche Modellprojekte
zur Prävention von Antisemitismus in den Bundesprogrammen gefördert. Dies wird vom Antisemitismusbericht ausdrücklich hervorgehoben und grundsätzlich
positiv gewürdigt.
Die Auswertungen der Modellprojekte durch die wissenschaftlichen Begleitungen haben gezeigt, dass diese
Projekte in den verschiedenen Förderperioden einen
wichtigen Beitrag im Kampf gegen antisemitische Tendenzen geleistet haben. Die Projekte haben zahlreiche
innovative Ideen für die Auseinandersetzung mit historischem und aktuellem Antisemitismus entwickelt. Dabei
war und ist es eine besondere Herausforderung, Strategien und Maßnahmen zur Auseinandersetzung mit Antisemitismus so zu entwickeln, dass sich insbesondere Jugendliche von den angebotenen Aktivitäten erfassen und
begeistern lassen und die angestrebten positiven Veränderungen dann auch tatsächlich eintreten.
Die Tatsache, dass die jüdische Gemeinschaft in
Deutschland heute die am stärksten wachsende in Europa ist, zeigt, dass sich hier starkes und lebendiges jüdisches Leben wieder dauerhaft etabliert. Wir sollten
dankbar dafür sein. Es ist ein zentrales Anliegen der
Bundesregierung, dass dies auch weiterhin ermöglicht
werden kann.
Auch deshalb fördert die Bundesregierung eine Vielzahl von überregionalen bedeutsamen jüdischen Einrichtungen. Ich erwähne die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, das Zentralarchiv für Erforschung der
Geschichte der Juden in Deutschland, das AbrahamGeiger-Kolleg mit dem ihm angegliederten Jewish Institute of Cantorial Arts in Potsdam und das Leo-Baeck-Institut. In diesem Zusammenhang ist auch die institutionelle Förderung des Internationalen Auschwitz Komitees
zu nennen, das sich die Weitergabe der Erinnerung an
den Holocaust an die jüngere Generation zur Aufgabe
gemacht hat. Darüber hinaus wird als Ausdruck der kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und der jüdischen Gemeinschaft deren Dachorganisation, der Zentralrat der Juden in Deutschland,
seit 2012 mit einer jährlichen Staatsleistung in Höhe von
10 Millionen Euro gefördert.
Der gesellschaftliche Konsens einer nachhaltigen Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus wird dadurch unterstrichen, dass der vorliegende parteiübergreifende Antrag „Antisemitismus entschlossen bekämpfen,
jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig
fördern“ hier und heute zur Beschlussfassung vorliegt.
Die Bundesregierung begrüßt und unterstützt diesen Antrag und wird auch weiterhin das ihr Mögliche tun, gemeinsam mit allen freiheitlich-demokratischen Kräften
in der Gesellschaft die Ächtung und Bekämpfung des
Antisemitismus voranzutreiben.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Gabriele Fograscher. - Bitte schön, Frau Kollegin
Fograscher.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bergner, die Lehren, die wir zu ziehen haben, sind
nicht die Lehren aus der Weimarer Republik. Es sind vor
allen Dingen die Lehren aus den Verbrechen der Nationalsozialisten.
({0})
Zu dem Antrag, den wir heute hier vorlegen, kann
man nur sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Wir
haben lange verhandelt. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, uns auf den vorliegenden Antrag zu einigen. Der
Antrag ist ein Signal, dass wir Antisemitismus weiterhin
gemeinsam und entschlossen bekämpfen und jüdisches
Leben weiterhin fördern wollen.
Das Expertengremium, das wir in der letzten Wahlperiode eingesetzt haben, hat seinen Bericht im November
2011 vorgelegt. Wir haben ihn dann leider erst im Oktober 2012 hier im Plenum beraten. Dieser Bericht ist eine
gründliche und fundierte Analyse des Antisemitismus in
Deutschland. Dafür noch einmal meinen Dank an die
Expertinnen und Experten.
({1})
Im Bericht wird festgestellt, dass es bei 20 Prozent
der deutschen Bevölkerung, quer durch alle Bevölkerungsgruppen, antisemitische Einstellungen gibt. Mit
dieser erschreckend hohen Zahl wollen und werden wir
uns nicht abfinden. Im Bericht wird ebenfalls festgestellt, dass es eine weitverbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken in der Mitte
der Gesellschaft gibt.
Der Rechtsextremismus ist immer noch der wichtigste Träger von antisemitischen Einstellungen. Neue
Phänomene treten allerdings hinzu. Der in dieser Woche
vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2012 zeigt uns
deutlich, dass wir in unserem Engagement nicht nachlassen dürfen. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten
Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg im Jahr
2012 auf 1 286. Das sind 124 mehr als im Vorjahr. Die
Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten
mit antisemitischem Hintergrund stieg von 22 auf 36.
Antisemitismus ist zwar ein fester Bestandteil der
rechtsextremistischen Ideologie. Wir müssen Antisemitismus aber auch als eigenständiges Phänomen außerhalb des Rechtsextremismus wahrnehmen.
Der Antrag ist ein Kompromiss. Für uns, die SPDBundestagsfraktion, waren folgende Punkte wichtig:
Im ursprünglichen Entwurf der Koalitionsfraktionen
war vorgesehen, dass das Bundesinnenministerium dem
Deutschen Bundestag einen regelmäßigen Bericht vorlegt. Das war uns zu wenig. Für uns war und ist es wichtig, dass unabhängige Sachverständige aus Theorie und
Praxis, deren Benennung in Abstimmung mit den Fraktionen erfolgen soll, dem Deutschen Bundestag zu spezifischen Schwerpunkten aus dem Themenkomplex Antisemitismus in Deutschland berichten.
({2})
Der Bericht soll Empfehlungen enthalten, die auf Bundesebene umgesetzt werden können.
Ein weiterer unverzichtbarer Punkt ist für uns die längerfristige Implementierung von Programmen gegen den
Antisemitismus. Den ursprünglichen Finanzierungsvorbehalt haben wir aus dem Antrag gestrichen. Das ist gut
und richtig, denn erfolgreiche Projekte müssen unter
Einbeziehung der Evaluationsergebnisse weitergeführt
werden.
({3})
Wir würden sonst viel Sachverstand verlieren, Engagement behindern und Erfolge im Kampf gegen Antisemitismus konterkarieren. Diese Forderung war bereits im
interfraktionellen Antrag von 2008 enthalten. Sie ist aber
leider nicht umgesetzt worden. Herr Bergner, auch zu
diesem Thema, das eigentlich zum Aufgabenbereich Ihrer Bundesregierung gehört, haben Sie in Ihrem Statement hier nichts gesagt. Wir müssen das in der nächsten
Wahlperiode nachholen.
Zusätzlich wollen wir neue und innovative Ansätze
für die Stärkung der demokratischen Kultur und gegen
Antisemitismus verfolgen. Diese dürfen nicht an einer
fehlenden Kofinanzierung durch andere staatliche Ebenen scheitern. Das ist auch eine Forderung des Zentralrats der Juden und des American Jewish Committee.
Ein weiterer Punkt, der wichtig ist: Wir werden künftig Hemmnisse beseitigen, die demokratische Gruppen
der Zivilgesellschaft in ihrem Engagement behindern.
Wir verstehen darunter unter anderem die Abschaffung
der sogenannten Extremismusklausel.
({4})
Wir begrüßen es, dass der Deutsche Bundestag dem
Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat der Juden und der
Bundesrepublik Deutschland zugestimmt hat. Die Erhöhung der Mittel leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung des jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur in
Deutschland.
Jüdisches Leben und jüdische Kultur gehören zu
Deutschland. Anlässlich der Einweihung der Neuen Synagoge in Ulm im Dezember 2012 sagte
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass jüdisches Leben, dass jüdische Menschen nach all diesem Schrecken und all diesem
himmelschreienden Unrecht wieder in Deutschland
Heimat gefunden haben. Gemeinden sind wieder
gegründet und belebt worden, es gibt jüdische Kindergärten, Schulen, Altenheime.
Ich glaube, da hat er uns aus dem Herzen gesprochen.
({0})
Wir hätten uns gewünscht, unter Punkt 4 des Antrages
aufzunehmen, dass Jüdische Studien an den Hochschulen interdisziplinär gestärkt und weiter ausgebaut werden sollen. Damit könnte das Wissen um jüdisches
Leben und jüdische Geschichte in der Hochschulausbildung fächerübergreifend gefördert werden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, solange jüdische
Einrichtungen rund um die Uhr bewacht werden müssen,
jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger sich Pöbeleien
und tätlichen Angriffen ausgesetzt sehen, Hasstiraden im
Internet verbreitet werden und Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden in der Mitte der Gesellschaft verbreitet
sind, so lange müssen wir uns hier im Deutschen Bundestag, in den Länder- und Kommunalparlamenten und
in der Zivilgesellschaft damit auseinandersetzen. Wir
müssen um gemeinsame Positionen ringen und uns auf
wirkungsvolle Maßnahmen verständigen. Die heutige
Abstimmung über diesen Antrag ist deshalb nicht das
Ende der Beratungen. Sie ist ein weiterer Schritt auf dem
Weg zu einer umfassenden Gesamtstrategie gegen Antisemitismus. Es gibt etwas, „was wir nie wieder aufs
Spiel setzen wollen“, wie Joachim Gauck es formulierte,
nämlich die „Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in
Deutschland“.
Ich danke den Berichterstattern und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Referentinnen und
Referenten der Fraktionen und den vielen Kolleginnen
und Kollegen, die konstruktiv an diesem Antrag mitgearbeitet haben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat nun Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den 80er- und 90er-Jahren hatten Pädagogen und
diejenigen, die sich mit dem Holocaust und der Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland beschäftigt haben,
die Hoffnung, dass man dem Antisemitismus in
Deutschland durch eine sogenannte Vergangenheitspolitik, durch Aufklärung und Bildung weitgehend zu Leibe
rücken könnte.
Leider haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt.
Mittlerweile ist zu konstatieren, dass das Phänomen des
Antisemitismus eher Wellenbewegungen folgt und in
unserem Land keinesfalls im Abnehmen begriffen ist.
Das müssen wir sehr ernst nehmen. Denn alle Bemühungen, durch die adäquate Auseinandersetzung mit unserer
Vergangenheit zu einer endgültigen Lösung dieses Problems zu kommen, sind gescheitert.
90 Prozent der Straftaten gegen jüdisches Leben in
Deutschland kommen aus dem Bereich des Rechtsextremismus. Das ist natürlich eine dramatische Zahl. Aber
wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir den Antisemitismus mit Rechtsextremismus gleichsetzen würden. Der Antisemitismus ist leider bis in weite Teile des
Bürgertums, der Mitte unserer Gesellschaft und in Menschen aller Parteien - leider würde ich fast keine Partei
davon ausnehmen wollen - verwurzelt. Insofern gibt es
nach wie vor einen erschreckend hohen latenten Antisemitismus; Herr Bergner hat einige Kennzahlen genannt.
Das wird auch aus Antworten auf die Frage, ob Juden zu
viel Einfluss in diesem Land haben, deutlich. Entsprechende Aussagen kommen keinesfalls nur vom rechten
Rand der Gesellschaft, wo Antisemitismus schwerpunktmäßig zu finden ist.
Ich habe den Antisemitismusbericht in jüdischen Gemeinden, am Fritz-Bauer-Institut und anderen Orten vorgestellt und diskutiert. Die Reaktionen waren: Es ist gut,
dass eine unabhängige Kommission aus Wissenschaftlern das Thema aufgearbeitet hat und dass wir nun empirische Erkenntnisse haben. - Bemängelt wurde allenfalls
ein wenig, dass wir erst noch Handlungsansätze daraus
entwickeln müssen und angesichts der vorliegenden Tatbestände erst noch aktiv werden müssen. Im nächsten
Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages
sollte neben einer genauen Betrachtung des Istzustandes
auch Wert auf die Konsequenzen gelegt werden, die zu
ziehen sind.
({0})
Mir scheint, dass die ausgewählte Didaktik - auch das ist
ein Befund des Berichtes - bisweilen nicht geeignet ist,
um dem Phänomen Antisemitismus ausreichend zu
Leibe zu rücken.
Jüdisches Leben in Deutschland ist nach wie vor
keine Normalität, aber zum Glück eine sichtbare und erfreuliche Selbstverständlichkeit. Es ist ein anderes jüdisches Leben als das, was wir vor 1933 in Deutschland
hatten. Als Rechtshistoriker im Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschichte bin ich immer wieder erschrocken darüber, wie das Fachgebiet der Romanistik,
also die Auseinandersetzung mit dem Römischen Recht
- eine fast nur von jüdischen Deutschen betriebene Disziplin -, durch den Holocaust gleichsam ausgerottet
wurde und wie Kenntnisse und Traditionen des deutschen Bildungsbürgertums jüdischer Prägung für
Deutschland verloren gegangen sind. Das jüdische Leben heute ist ein anderes, ein erfreulich plurales und
auch ein lebendiges, das manchmal durch ein unter sich
streitendes und debattierendes Judentum gekennzeichnet
ist. Darüber können wir uns ausgesprochen freuen.
Wir alle sollten gemeinsam an der Bekämpfung des
Antisemitismus arbeiten. Deswegen verzichte ich in
meiner Rede auf jede parteipolitische Zuordnung. Auch
Frau Pau bemüht sich als Berichterstatterin in ihrer Fraktion redlich, dieses Thema aktiv anzugehen; ich würde
sagen: mit wechselndem Erfolg. Ich kann Ihnen nur alles
Gute wünschen, Frau Pau, weil das Thema auch in der
Linksfraktion weiter bearbeitet werden sollte.
({1})
- Sie alle kennen die Beschreibungen von sekundärem
Antisemitismus. Sie alle wissen, dass es auch in Ihren
Kreisen Menschen gibt, die Israel anders kritisieren als
andere Staaten dieser Welt, die eine andere Wortwahl benutzen, wenn es um Israel geht, als wenn es um einen
anderen Staat geht. Von daher haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, durchaus noch viel
zu tun.
({2})
Ich finde es richtig, dass wir die Gespräche über das
Thema nun fortsetzen, dass wir uns auch in der nächsten
Legislaturperiode dieses Themas annehmen, dass wir
Handlungsoptionen entwickeln und nicht nur beschreiben. Ich finde es richtig, dass wir mit den Jüdinnen und
Juden in Deutschland weiterhin ins Gespräch kommen.
Allein in dieser Legislaturperiode haben die Haushälter
viel für jüdisches Leben in Deutschland getan: die Unterstützung der Barenboim-Said-Akademie und die Aufstockung der Mittel für den Zentralrat der Juden. Ich
glaube aber, es darf nicht nur um Finanzen gehen, sondern es muss auch um das regelmäßige Gespräch und die
Bekämpfung des Antisemitismus an den Stellen gehen,
an denen er auftaucht: in den eigenen Reihen und am
rechten Rand der Gesellschaft. Dann geht es mit dem
Antisemitismus, der ja leider in Wellenbewegungen vorkommt, hoffentlich wieder abwärts. Ich glaube, wir werden das Phänomen in Deutschland nie endgültig beseitigen können.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Petra Pau für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag, über den wir beraten und über den wir danach
abstimmen, hat eine Vorgeschichte. Sie begann vor fünf
Jahren, im Jahr 2008. Damals beschloss der Bundestag,
einen Antrag mit der Überschrift „Den Kampf gegen
Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern“ anzunehmen. Der Beschluss wurde
damals letztlich von allen Fraktionen gefasst. So wurde
er zu einer Botschaft in die Gesellschaft.
Ich finde ohnehin: Bei menschenfeindlichen Themen
wie Rechtsextremismus oder Antisemitismus sollten Demokraten aller Couleur immer das Gemeinsame im
Trennenden suchen und nicht das Trennende im Gemeinsamen.
({0})
Das ist jedenfalls meine Lehre aus der deutschen Geschichte; denn die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht,
weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren und der Propagierung von
Feindbildern freien Lauf ließen.
Der Antrag von 2008 war auch eine Willensbekundung des Bundestages. Er enthielt sieben konkrete Aufträge an die Bundesregierung. Die Bundesregierung
wurde zum Beispiel aufgefordert, eine Expertenkommission zu berufen. Diese wiederum sollte eine aktuelle
Analyse zum Antisemitismus in Deutschland erarbeiten.
Die Kommission legte 2011 ihren Bericht vor. Er bestätigt, dass Antisemitismus ein akutes gesellschaftliches
Problem ist. Am 17. Oktober 2012 haben wir hier im
Plenum über die umfassende Expertise debattiert. Das
war übrigens eine weitgehend sachliche Debatte, aber auch das ist normal und demokratisch - sie hat auch Differenzen offenbart. Ich will an einige erinnern:
Erstens. Die SPD, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen forderten, dass diese Kommission unter verbesserten
Arbeitsbedingungen ihre Arbeit fortsetzt. Der Kollege
Uhl äußerte sich für die CDU/CSU-Fraktion verhaltener
und befand, der Bericht sei dünn, wenn es um konkrete
Vorschläge für die Politik gehe. Unsere Kollegin
Flachsbarth warnte davor, ein weiteres Gremium zu verstetigen. Im selben Sinn hat sich Bundesinnenminister
Friedrich damals geäußert. Seitdem war klar: Wir haben
einen Konflikt. Soll die Bundespolitik, wie 2008 vom
Bundestag beschlossen, beständig von externen Experten beraten werden oder nicht? Damals sagte die Union
Nein, die anderen Fraktionen meinten Ja.
Wenn ich den nun vorliegenden Antrag von aller
Prosa entkleide - die Kollegin Fograscher hat das auch
schon gemacht -, dann steht darin ein Nein zur beständigen Weiterführung dieses Gremiums. Damit entpuppt
sich der Dank an die Expertinnen und Experten als Abgesang an diese. Dem stimmt die Linke nicht zu.
Zweitens. Der Bericht der Experten enthält übrigens
22 dringende Empfehlungen an die Politik, an die Gesellschaft, an die Wissenschaft.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Schröder von der CDU/CSU-Fraktion?
Ja, natürlich.
({0})
Ich bin nicht Abgeordnete geworden, sondern ich bin
schon seit einigen Jahren Abgeordnete.
Frau Kollegin Pau, ich möchte mit Ihrer Hilfe meine
Erinnerung abgleichen. Sie erwähnten eben den Antrag
von 2008 und sagten, den hätten damals letztlich alle
Fraktionen verabschiedet. Wenn ich mich richtig erinnere, war es damals so, dass dieser Antrag von der CDU/
CSU, der SPD, den Grünen und der FDP eingebracht
wurde und die Linke einen wortgleichen Antrag eingebracht hat.
Es war aber auch so, dass etwa zehn bis zwölf Abgeordnete der Linken demonstrativ den Saal verlassen haben, weil sie nicht bereit waren, diesem Antrag zuzustimmen.
({0})
Medial haben sie dann geäußert, dass dies vor allen Dingen auch etwas damit zu tun hatte, dass in dem Antrag
gestanden hat, die Solidarität mit Israel gehöre zur
Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland und die
Teilnahme an Demonstrationen, auf denen Israel-Flaggen verbrannt würden, könne nicht zur legitimen Kritik
an Israel dazugehören. Teilen Sie diese Erinnerung?
Es ist gut, dass Sie mir durch diese Zwischenfrage die
Gelegenheit geben, hier ein bisschen Geschichtsaufarbeitung zu betreiben.
Aus allen Fraktionen sitzen hier Kollegen, die sich
- beginnend im November 2007 - mit dem Ziel, einen
gemeinsamen Antrag aller Fraktionen mit Blick auf den
9. November 2008, also auf das Gedenken an die
Reichspogromnacht, zu erarbeiten, und im Bemühen, jüdisches Leben tatsächlich zu befördern, zusammengefunden hatten. Es waren also alle Fraktionen vertreten.
Die Kollegin Connemann und der Kollegen Beck - sie
sind hier anwesend - waren auch dabei.
Dann übernahmen die Machtpolitiker einer Fraktion
dieses Hauses die Initiative, sie legten einen neuen Antrag mit ganz offensichtlich falschen Aussagen mit Blick
auf die Geschichte und den Umgang mit Jüdinnen und
Juden nach 1945 vor, zum Beispiel in der DDR, womit
ich aber das, was in der DDR geschehen ist, und auch
die Verantwortung der SED für falsche politische Entscheidungen nicht kleinreden will. Dieser neue Antrag
ging dann sowohl der SPD als auch Bündnis 90/Die
Grünen und - so erinnere ich mich - auch Vertretern der
FDP zu weit; denn nun lag die Zumutung auf dem Tisch,
einen Antrag mit offensichtlich falschen Behauptungen
zu beschließen.
Es wurde also unter den Fraktionen unter Ausschluss
der Linken weiterverhandelt. Das Ergebnis lag dann vor.
Die Fraktion Die Linke wäre bereit gewesen, obwohl sie
am Verhandlungsprozess und damit an der Kompromisssuche nicht beteiligt war, diesem Antrag beizutreten, das
heißt, auch innerparteiliche und innerfraktionelle Auseinandersetzungen zu diesem Kompromiss zu führen.
Dazu wiederum war die Unionsfraktion nicht bereit.
Daraufhin hat die Fraktion Die Linke unter Zurückstellung ihrer eigenständigen Vorschläge, die sie gern
noch in den Verhandlungsprozess eingebracht hätte, gesagt: Wir wollen ein starkes Signal senden, deshalb bringen wir den Antrag, den die anderen Fraktionen des
Hauses hier eingebracht haben, wortgleich - ich erinnere
mich sogar an einen übernommenen Fehler in der Interpunktion - hier ein. - Der Bundestagspräsident ließ über
beide Anträge abstimmen.
Auch aus meiner Erinnerung ist richtig, dass sich
zehn Abgeordnete enthalten bzw. nicht an dieser Abstimmung teilgenommen haben, da sie insbesondere mit
dem Thema Staatsräson ihre Probleme hatten.
({0})
Sie haben aber nicht gegen diesen Antrag gestimmt. Wir
haben dazu in der Folge weitere Debatten geführt. Ich
weiß, dass es durchaus auch in anderen Parteien und
Fraktionen zum Begriff der Staatsräson, wenn es um das
Verhältnis zu Israel geht, unterschiedliche Auffassungen
gibt. Aber es ist nicht so, dass wir die anderen guten und
richtigen Dinge, die in diesem Antrag standen, ablehnen.
So war die Geschichte 2008.
({1})
Dass ich das alles noch einmal ausgepackt habe, haben
Sie mit Ihrer Frage provoziert.
Wie gesagt: Der Bericht der Experten enthält 22 dringende Empfehlungen an die Politik, an die Gesellschaft
und an die Wissenschaft. Mich bewegt das Generalfazit
der Kommission. Es lautet nämlich: Es gibt kein stimmiges Gesamtkonzept im Kampf gegen Antisemitismus.
Zugleich boten die Wissenschaftler dem Deutschen Bundestag an, Leitlinien für ein solches Konzept zu entwickeln. Mit dem jetzt vorliegenden Antrag nehmen wir
dieses Angebot erst einmal nicht an. Ersatzweise wird in
einem Nebensatz die Klugheit der Bundesregierung gepriesen. Ich finde, das kommentiert sich selbst.
Drittens. Ein weiteres Hemmnis wurde erneut bestätigt: Die gesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus brauchen
mehr Zuspruch und Förderung. Sie leisten Unverzichtbares vor Ort und in den Regionen, aber sie hängen am
Tropf. SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen verlangen seit Jahren von der Bundespolitik ein neues Fördermodell. Im vorliegenden Antrag des Bundestages bleibt
davon eine unverbindliche Bitte um Prüfung an die Bundesregierung übrig. Ich finde, das ist zu wenig.
Schließlich - das wurde durch meine Antwort auf die
Zwischenfrage der Kollegin Schröder eben schon dokuPetra Pau
mentiert; aber ich will es trotzdem für das Protokoll festhalten - wurde beim vorliegenden Antrag gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben die Linke erneut
ausgeschlossen. Alle anderen Fraktionen machen mit.
Wir haben im NSU-Untersuchungsausschuss zu diesem
Neonazi-Mord-Desaster erlebt, dass es auch anders geht,
dass man sachlich und fraktionsübergreifend zusammenarbeiten kann. Insofern ist der heutige Vorgang auch aus
dieser Sicht ein Rückfall. So kommen wir grassierendem
Antisemitismus nicht bei und befruchten auch nicht gemeinsam jüdisches Leben in der Bundesrepublik.
Ich finde, heute steht eine verpasste Chance zur Abstimmung.
({2})
Das Wort hat nun Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Antisemitismus ist trauriger deutscher Alltag. Mindestens zweimal täglich gibt es in Deutschland antisemitische Straftaten. Im Jahr 2012 waren es 865 Taten. Sosehr man es
sich wünscht: Auch 70 Jahre nach der Befreiung von
Auschwitz kann von Normalität für jüdisches Leben in
Deutschland keine Rede sein. Sie bleibt aber unser Ziel.
Dieses Ziel ist aber nicht erreicht, solange wir vor Synagogen, vor jüdischen Kindergärten und Schulen sowie
Altenheimen einen besonderen polizeilichen Schutz
brauchen, weil die Sicherheitslage es erfordert. So
selbstverständlich es uns heute erscheint, dass man eine
jüdische Einrichtung am Polizeiauto vor der Tür erkennen kann, so sehr widerspricht es eben einer Selbstverständlichkeit von jüdischem Leben.
Zur Wahrheit gehört, dass diese Bedrohungen aus
ganz unterschiedlichen Lagern kommen. Sie kommen
häufig, zu über 90 Prozent, aus der rechtsextremen
Szene. Sie kommen aber auch von muslimischen Organisationen, islamistischen Gruppen, und sie kommen
auch von der linken Seite und aus der Mitte der Gesellschaft.
({0})
Das gehört zur Ehrlichkeit dieser Debatte dazu. Deshalb
fand ich manche Tonlage hier und das Zeigen auf andere
nicht angemessen.
Wir haben in allen Parteien, in allen gesellschaftlichen Großorganisationen Probleme mit unterschiedlichen Formen von Antisemitismus. Es gibt den christlichen
Antisemitismus. Es gibt den politischen Antisemitismus.
Es gibt auch Antisemitismus in Form von antiisraelischer Politik. Hierbei wird das Existenzrecht Israels
ignoriert. Es wird argumentiert, man müsse - angeblich
ist es ein Tabu - doch auch einmal Kritik äußern dürfen.
Dabei kann man die Spiegel-Titel mit Kritik - zum Teil
auch berechtigter Kritik - an konkreten Aktionen der israelischen Regierung oder Armee meterweise übereinanderlegen. Zu behaupten, hier müsse jemand ein Blatt vor
den Mund nehmen und es gebe ein gesellschaftliches
Tabu, ist eine Selbstinszenierung der Antisemiten als
Opfer einer vermeintlichen politischen Korrektheit.
({1})
Ich möchte zu dem Antrag kommen. Es war wichtig,
durchzusetzen - das war nicht ganz einfach; Frau Kollegin, ich hätte Sie bei diesem Termin gerne an meiner
Seite gehabt; das wissen Sie -, dass wir die Arbeiten mit
diesem Expertengremium fortsetzen. Es wird wieder
Sachverständige geben, die von der Bundesregierung bestellt werden und an der Erstellung dieses Berichts sitzen
werden. Für den letzten Bericht möchte ich stellvertretend Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung - sie sitzt hier auf der Tribüne - danken. Ich
denke, diese gute Arbeit sollte fortgesetzt werden. Wir
sollten diesen Bericht dann aber auch ernst nehmen;
({2})
denn darin stehen konkrete Empfehlungen. Bislang haben wir davon nichts politisch umgesetzt.
In dem Antrag steht, dass erneut geprüft werden soll,
wie mit den Fördermaßnahmen umgegangen wird. Wie
das erfolgen sollte, ist eigentlich klar. Es macht mich
schon etwas ungeduldig, Frau Schröder, wenn Sie die
Kollegin Pau auf das Abstimmungsverhalten irgendwelcher Abgeordneter - welches auch ich nicht verstehen
kann - aufmerksam machen. Sie sollten sich vielmehr
einmal die Empfehlungen durchlesen. Das betrifft nämlich Ihr Haus: Schaffen Sie die Extremismusklausel ab!
({3})
Finden Sie endlich eine Lösung für die Verstetigung der
Arbeit dieser Projekte!
Wenn wir uns darauf beschränken, nur davon zu träumen, dass es das Problem nicht mehr gibt, wird dieser
Traum nie wahr werden. Es ist ein Problem, dass Modellprojekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus
immer nur auf drei oder vier Jahre angelegt werden können. Wir brauchen dafür eine Lösung. Es muss entweder
eine Stiftung errichtet werden, oder der Bund muss den
Mut haben, gegenüber dem Bundesrechnungshof zu vertreten, dass für diesen Bereich eine dritte Art der Finanzierung - zwischen Projektförderung und institutioneller
Förderung - eingerichtet wird. So wie bisher können wir
nicht weitermachen; damit werfen wir denen, die sich
engagieren, Knüppel zwischen die Beine.
Nachgedacht werden muss auch über die Kommunalbindung dieser Projekte. In den Bereichen, wo es gesellschaftlich besonders große Probleme gibt, sind manche
Kommune und mancher kommunale Entscheidungsträger nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Manchmal können die Rechtsextremen nur deswegen
gesellschaftlichen Raum einnehmen, weil ihnen dieser
Raum unwidersprochen überlassen wird. Deshalb darf
die Förderung nicht darauf aufbauen, dass bereits alle
Beteiligten verstanden haben, worum es geht.
Volker Beck ({4})
Meine Damen und Herren, die Angriffe auf Rabbiner
in Berlin - so auch auf Stephan Kramer, der auf der Tribüne sitzt und den ich begrüße ({5})
oder kürzlich in Offenbach zeigen, dass der Kampf gegen Antisemitismus eine Aufgabe für uns alle ist. Die
Fragen, die parallel auf der am Alexanderplatz stattfindenden OSZE-Konferenz über Jewish Security behandelt werden, zeigen, dass wir uns diese Fragen europaweit stellen müssen: Die Situation in Ungarn ist mehr als
alarmierend und verlangt klare Signale der Europäischen
Union; denn der Antisemitismus steht im Kern im Widerspruch zu der Idee eines friedlichen und demokratischen Europas, das ja eine Antwort sein soll auf die
schrecklichste Phase des Antisemitismus: als unter den
Nationalsozialisten in unserem Land und in den europäischen Nachbarländern massenhaft jüdische Bürgerinnen
und Bürger ermordet wurden.
Ich denke, wir müssen hier energischer vorgehen und
uns diese Fragen zu Herzen nehmen. Herr Bergner, da
muss ich eine deutlich andere Tonlage wählen als Sie in
Ihrer Rede: Es reicht nicht, wenn die Strafverfolgungsorgane gegen antisemitische Straftaten vorgehen; das muss
eine Selbstverständlichkeit sein. Entscheidend dafür,
dass wir dabei vorankommen, die Zahl dieser Taten zu
minimieren, ist jedoch das gesellschaftliche Klima. Wir
brauchen eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft, und
wir brauchen in allen Bereichen eine Sensibilisierung
dafür, was Antisemitismus ist. Wir sollten uns dabei, wie
ich eingangs gesagt habe, nicht immer so sicher sein,
dass unsere Organisationen bei allen Fragen auf der richtigen Seite sind. Wir müssen weiter aufmerksam bleiben
und darauf achten, wenn entsprechende Äußerungen
auch in unseren Kreisen gemacht werden.
Zum Schluss möchte ich allen Menschen in der Gesellschaft danken, die sich in entsprechenden Initiativen,
die nur wenig Geld bekommen, engagieren. Für großen
Frust sorgt dabei auch, dass wir bestimmte Sachen, die
schon lange klar sind, einfach nicht anpacken. Stellvertretend für die vielen Tausende von Menschen, die sich
vor Ort engagieren, möchte ich Ulla Scharfenberg von
der Amadeu-Antonio-Stiftung und Fabian Weißbarth
vom American Jewish Committee danken. Wir brauchen
Ihr Engagement. Geben Sie nicht auf! Irgendwann wird
es uns gelingen, das, was wir mit dem heutigen Beschluss zum zweiten Mal versprechen - dass wir Ihnen
bei Ihrer wichtigen Arbeit keine Hürden in den Weg stellen -, politisch durchzusetzen.
({6})
Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Dass wir heute über wiedererstarkendes jüdisches Leben in Deutschland debattieren können, ist eine
der glücklichsten und wohl auch erstaunlichsten Entwicklungen in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland. Diese Entwicklung ist alles andere als
selbstverständlich, auch fast 70 Jahre nach dem Ende
von Rassenwahn und NS-Herrschaft. Wir sollten heute
nicht das Trennende herausarbeiten - das gilt auch für
Sie, Herr Beck -, sondern sollten zufrieden sein, dass es
uns gelungen ist, einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren, der Ausdruck der Entschlossenheit dieses Parlamentes ist, gemeinsam jede
Form von Antisemitismus zu bekämpfen.
Ich meine, es ist nicht ganz so gewesen, wie es Frau
Kollegin Pau dargestellt hat hinsichtlich der Abfassung
des letzten Antrags im Jahre 2008; es würde jetzt zu weit
führen, das alles herauszuarbeiten.
({0})
Ich möchte an die Rede Ihres damaligen Parteivorsitzenden Gysi erinnern, die er vor der Rosa-LuxemburgStiftung gehalten hat, in der er Ihre Partei ermahnt hat,
dass sie in der politischen Parteienlandschaft Deutschlands erst dann Fuß fassen könne, wenn sie ihr Verhältnis zum Judentum und zum Staate Israel ins Reine gebracht habe. Das ist die Botschaft einer großen und
guten Rede von Gregor Gysi, adressiert an Ihre eigenen
Parteifreunde.
({1})
Da ist etwas aufzuarbeiten. Das sollten Sie hier nicht
kleinreden.
Meine Damen und Herren, es muss uns allen aber
auch klar sein, dass man Antisemitismus nicht mit Papieren oder politischen Bekenntnissen bekämpfen kann;
man muss sich vielmehr die Mühe machen, auf lokaler
Ebene ganz gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Dort, wo
Antisemitismus anzutreffen ist, muss er bekämpft werden. Damit sind wir Parlamentarier im Bundestag natürlich nicht die erste Adresse. Das muss über die Länder
auf die Ebene der Kommunen heruntergebrochen werden und zum Beispiel in den Schulen angegangen werden, also überall dort, wo man Antisemitismus antreffen
kann.
Der Bericht, den wir bekommen haben, ist eine umfassende wissenschaftliche Darstellung aller Formen von
Antisemitismus. Er liest sich wie ein Kompendium.
Aber das ist nicht die Lösung. Wir müssen uns auf der
Basis dieses Berichtes ganz konkrete Maßnahmen ausdenken.
({2})
Es gibt auch neue Formen des Antisemitismus; darauf
haben die meisten Redner hingewiesen. Auch das gilt es
zu beachten: Neben dem Schwerpunkt des Antisemitismus im Rechtsextremismus - ganz selbstverständlich Dr. Hans-Peter Uhl
gibt es eben auch in Teilen der Migrationsgemeinde in
Deutschland neue Formen des Antisemitismus. Dies
muss beachtet werden, muss bekämpft werden. Es muss
hinterfragt werden, wie es dazu kommen konnte. Wir
alle sind dazu aufgerufen, wachsam zu sein.
Die Anschläge auf die Rabbiner möchte ich jetzt nicht
noch einmal ausführlich darstellen; sie wurden schon erwähnt. Vielmehr möchte ich auf Sender wie Al-Aqsa,
der von der Hamas betrieben wird, oder den libanesischen Hisbollah-Sender Al-Manar hinweisen, über die
Antisemitismus aus der Ecke des Islamismus in unsere
Wohnzimmer und in die muslimischen Gemeinden in
Deutschland hineingetragen wird und vor allem bei der
Jugend ankommt. Dadurch erklärt sich auch der eine
oder andere Übergriff aus diesem Milieu auf Juden in
Deutschland. Es ist auch unsere Aufgabe, hier gegenzusteuern, diese Szene zu beobachten, weil es eine große
Population gibt, die dafür anfällig sein könnte.
({3})
Das heißt, der ungelöste Nahostkonflikt spielt auch hier
eine große Rolle. Es muss in den Schulen aufgeklärt
werden und alles dafür getan werden, um hier keinen
neuen Antisemitismus in Deutschland entstehen zu lassen.
Toleranz, Miteinander in den Kommunen, das muss
den jungen Menschen beigebracht werden. Die Frage,
wie wir dies tun können, ist schwierig zu beantworten.
Lassen Sie mich kurz berichten. Ich war in den
Pfingstferien wieder mit zwei befreundeten jüdischen
Familien privat in Israel und Jerusalem und - natürlich auch wieder einmal in Yad Vashem, wie sicherlich viele
von Ihnen auch schon in Yad Vashem waren. Man muss
dieses Monument und Museum der entsetzlichen deutschen Geschichte, des Holocausts auf sich wirken lassen.
Das beginnt schon mit der architektonischen Wucht dieses Museums. Es wurde wie die Klinge eines Messers,
mit der Spitze nach oben, auf einem Höhenrücken errichtet. Darin wird man durch die Dunkelheit der deutschen Geschichte der Nazizeit geführt, übrigens nicht
beginnend mit Hitler, sondern mit der Epoche und den
Jahren davor, die zu Hitler geführt haben. Das ist auch
sehr interessant zu sehen. Da hängt ein Plakat aus der
Weimarer Zeit, auf dem steht: „Jetzt kann nur noch
Adolf Hitler helfen!“, um die Stimmung aus den 20erJahren aufzugreifen. Man erfährt auch, dass Hitlers Mein
Kampf, wo alles angekündigt wurde, nicht gelesen
wurde, weil man glaubte, jetzt könne nur noch er helfen.
Wie es dazu kam, wird eindrucksvoll dargestellt. Dann
geht es weiter durch die 30er-Jahre in Wort und Ton, auf
erschütternde, ergreifende Weise.
Ich glaube, wer dieses Museum in seinem Leben auch
nur einmal gesehen hat, dem brennt sich in die Seele ein,
dass es in Deutschland niemals wieder solches Gedankengut geben darf. Deswegen sollte man alle zu einem
Besuch aufrufen. Yad Vashem ist ein Muss für jeden
Deutschen. Das muss man auf sich wirken lassen.
({4})
Diese Architektonik ist auch deswegen so beeindruckend, weil sich, wenn man durch diese dreieckige Betonschlucht hindurchgegangen ist, am Ende die Betonmauer öffnet und man vor einem weiten, grünen Tal
steht - und über einem der blaue Himmel. Es öffnet sich
der Weg in eine bessere Welt, in eine Welt ohne Antisemitismus. Dafür sollten wir alle miteinander arbeiten.
({5})
Das Wort hat nun Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern, am 12. Juni, war der 84. Geburtstag von Anne
Frank, des jüdischen Mädchens, geboren in Frankfurt am
Main, mit der Familie geflüchtet nach Amsterdam, versteckt im Hinterhaus, ermordet in Bergen-Belsen. Dieses
Mädchen und seine Geschichte kennen wir alle. Wahrscheinlich geht es vielen von Ihnen so wie mir: Das Lesen des Tagebuchs als junge Jugendliche, als Kind, war
der Anlass, sich mit dem Holocaust zu beschäftigen. Für
viele ist dieses Mädchen auch eine Identifikationsfigur.
Auch heute lesen viele Schülerinnen und Schüler das Tagebuch.
Wenn allein das Wissen über die Geschichte Antisemitismus verhindern könnte, müssten wir heute nicht darüber debattieren, warum es so erschreckend ist, dass
sich der Antisemitismus in den letzten Jahren sogar noch
verstärkt hat. Herr Kollege Ruppert hat auf die didaktischen Diskussionen hingewiesen. Ich habe selber viele
Jahre in einer Gedenkstätte für die NS-Opfer gearbeitet.
So einfach macht es sich, glaube ich, niemand, zu denken, dass durch das Wissen über die Geschichte Antisemitismus per se verhindert wird.
Dass Antisemitismus sogar zugenommen hat, wissen
wir aus dem Antisemitismusbericht. Auch ich danke
noch einmal sehr herzlich jenen, die an diesem umfassenden und wichtigen Bericht mitgewirkt haben und
heute hier sind. Aus ihm geht hervor, dass bestimmte
Aussagen Zustimmung finden. Das hat Professor
Heitmeyer mit seiner Arbeitsgruppe „Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa“ immer wieder untersucht. Zum Beispiel stimmen 12,6 Prozent der Befragten voll oder ganz dem Satz zu: „Durch
ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig.“ So viel zum Thema Antisemitismus in der
Mitte der Gesellschaft.
Wie passt das zusammen - auf der einen Seite diese
hohe, auch emotionale Identifikation, dieses große Interesse an dem jüdischen Mädchen Anne Frank und auf
der anderen Seite solche Meinungen?
Was ich bei allen Studien, die wir über dieses Thema
lesen und kennen, auffällig finde, ist, dass die Ausländerfeindlichkeit dort am größten ist, wo am wenigsten
Ausländer leben. Der Antisemitismus ist dort am größten, wo die Menschen am wenigsten Jüdinnen und Juden
kennen oder mit ihnen gar nicht in Kontakt kommen.
Das sollte uns zu denken geben. Das sollte uns auch zu
denken geben, wenn wir über Konsequenzen für die pädagogische Arbeit, für die Prävention von Rassismus
und Antisemitismus diskutieren. Denn die Bekämpfung
des Antisemitismus ist nicht Aufgabe der Juden in
Deutschland, sondern dies ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft und zuvorderst auch der Politik.
({0})
Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Der weitaus größte Teil - etwa 90 Prozent - der antisemitischen
Straftaten wird im rechtsextremen Spektrum verübt. Es
ist sogar ein Anstieg zu verzeichnen. Das Bundesinnenministerium hat neulich für 2012 einen Anstieg der antisemitischen Straftaten um 10,6 Prozent bekannt gegeben. Wir hören ja auch immer wieder von Fällen, wie
hier in Berlin, dass Stolpersteine beschmiert werden,
dass Rabbiner angegriffen werden, dass sich junge Juden, jüdische Studenten nicht mehr trauen, eine Kippa zu
tragen.
Wir erleben diesen rassistischen Antisemitismus, diesen alten Antisemitismus, der auf den christlichen Antijudaismus des Mittelalters zurückgeht, der im Nationalsozialismus sein Extrem fand. Aber wir erleben auch
sekundären Antisemitismus. Interessant ist, dass in dem
erwähnten Bericht auch die Rede von diesem sekundären Antisemitismus ist. Abgefragt wurde zum Beispiel
die Zustimmung zu dem Satz: „Viele Juden versuchen,
aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren
Vorteil zu ziehen.“ Diesem Satz haben 39,5 Prozent der
Befragten zugestimmt. Das muss man sich einmal vorstellen. Ich finde das beschämend.
({1})
Wir erleben auch islamistischen Antisemitismus und
solchen von links; auch das ist hier schon gesagt worden.
Gerade deshalb will ich auch einmal den vielen Initiativen im interreligiösen Dialog ein Dankeschön sagen, die
sich gerade darum bemühen, dass die drei Weltreligionen ihre friedvollen Gemeinsamkeiten finden und daran
auch festhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns sicher
alle einig, dass wir aufgrund unserer Geschichte immer
besonders sensibel mit Antijudaismus und Antisemitismus umgehen müssen. Aber heute müssen wir auch konkret über die Konsequenzen aus dem Antisemitismusbericht sprechen. Es ist schon darauf hingewiesen worden:
Darin gibt es sehr konkrete Empfehlungen. Ich will nur
zu zwei Bereichen etwas sagen, nämlich zur Bildungsarbeit und zu dem Programm gegen Rechtsextremismus.
Zur Bildungsarbeit. Wir haben auch in Deutschland
- Herr Kollege Uhl hat beeindruckend Yad Vashem beschrieben - sehr beeindruckende Gedenkstätten an den
historischen Orten. Ich kann nur immer wieder sagen:
Auch hier lohnt sich ein Besuch. Diese Gedenkstätten
erfüllen mit ihrer pädagogischen Arbeit und ihrer Bildungs- und Präventionsarbeit eine wichtige Aufgabe.
Hier in Berlin gibt es das Anne-Frank-Zentrum. Auch
bundesweit gibt es viele Initiativen, zum Beispiel
„Schule ohne Rassismus“, das Netzwerk für Demokratie
und Courage und sehr viele andere. Diesen Initiativen,
von denen auch Vertreter heute hier sind, will ich
danken. Sie alle sind sehr wichtig; sie müssen weiter unterstützt werden. Auch die Gedenkstätten an den historischen Orten hier in Deutschland müssen wir unterstützen.
Unsere Erinnerungskultur verändert sich schon seit
einigen Jahren; auch das hatte Kollege Ruppert angesprochen. Ich will aus eigener Erfahrung sagen, dass es
wichtig ist, dass die jungen Menschen von heute, die
sich mit der Geschichte beschäftigen, ihre eigenen Fragen stellen können. Viele von ihnen können Zeitzeuginnen und Zeitzeugen nicht mehr erleben. Unsere Generation haben diese Zeitzeugen so nachdrücklich geprägt
wie kaum andere Menschen.
Die Jugendlichen von heute stellen das Lernen aus
der Geschichte in ihre eigenen lebensweltlichen Zusammenhänge, und das ist auch gut so. Insofern bekommen
die Gedenkstättenarbeit und das Lernen aus der Geschichte eine immer mehr universal menschenrechtliche
Dimension, wie das in den USA übrigens schon länger
der Fall ist.
Wenn Jugendliche einen solchen historischen Ort
oder hier in Berlin das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas besuchen, dann bedeutet das für sie immer
auch eine Auseinandersetzung damit, was Toleranz
heute bedeutet, wie mit Menschen verschiedener Herkunft, Religion oder Hautfarbe umgegangen wird, und
das ist gut. Denn die Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Jahr 2013 ist immer auch eine Auseinandersetzung mit moralischen Standards und der Frage, wie
wir unser Zusammenleben gestalten.
({2})
Eine ganz wichtige, eindeutige Konsequenz aus dem
Antisemitismusbericht ist: Erfolgreiche Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus müssen längerfristig
gefördert werden. Auch ich habe hier eine gewisse Ungeduld, weil ich mich inzwischen seit vielen Jahren damit beschäftige und mich ärgere, dass wir das noch immer nicht hinbekommen.
Es gibt viele gute Programme und viele engagierte
Menschen. Wir verärgern sie ganz besonders mit der Extremismusklausel, mit der wir sie unter Generalverdacht
stellen. Das ist vollkommen überflüssig und behindert
die Arbeit.
({3})
In der Empfehlung des Antisemitismusberichts heißt
es so schön: „vom Modell zur Regelpraxis“. Das heißt,
wir müssen endlich einen Weg finden, dass wir nicht immer nur dreijährige Modellprojekte fördern, die dann,
wenn sie angelaufen sind und hervorragende Arbeit leisten, wieder beendet werden, sondern dass wir gute Organisationen und deren Arbeit auch längerfristig fördern.
Ich scheue mich auch nicht davor, sie institutionell zu
fördern.
Ganz konkret heißt das für den Haushalt 2014 aber
auch - ich spreche hier die zuständige Ministerin an -,
dass für viele Projekte noch nicht geklärt ist, wie es weitergeht. In etwa drei Vierteln der Projekte gibt es keine
Verpflichtungsermächtigungen. Bei etwa drei Vierteln
der Projekte weiß man nicht, wie es ab Frühjahr 2014
weitergeht, und es wäre schädlich, diese Arbeit zu beenden. Wir brauchen dort mehr Kontinuität.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mit einem
beeindruckenden Zitat von Anne Frank enden, nachdem
ich auch schon mit ihr begonnen habe, nämlich einem
Tagebucheintrag vom 15. Juli 1944. Dort schreibt die
gerade 15-Jährige:
Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen
aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz
allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube.
Das hat mich sehr bewegt und beeindruckt, und in
diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir in der nächsten
Legislaturperiode alle gemeinsam alles dafür tun, die
Menschen, die Ideen, die Projekte, die Arbeit gegen
Rechtsextremismus und Antisemitismus voll und ganz
zu unterstützen, und uns selbst im Bundestag und in der
Politik auf die Fahnen schreiben, dass wir Antisemitismus in unserem Land nicht dulden und entschieden bekämpfen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Patrick Kurth für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den allermeisten Themen gibt es im demokratischen Meinungskampf mehrere akzeptable Ansichten.
Allein heute streiten wir im Deutschen Bundestag zum
Beispiel über das Auslandsschulgesetz und die PkwMaut. Wir reden über die Tourismuspolitik. Ich erinnere
an die lebhafte Debatte von heute früh, als wir über das
Vertriebenengesetz gesprochen haben.
Bei einigen wenigen Themen jedoch darf es unter Demokraten keine zwei Meinungen geben; das ist und
bleibt ein gesamtgesellschaftlicher Grundkonsens. Dazu
gehört das Thema Antisemitismus. Gerade Deutschland
verbindet mit diesem Ungeist eine schuldbeladene Vergangenheit, die nur ein Urteil zulässt: die entschiedene
Ablehnung jeder Form des Antisemitismus. Dies muss
zur politischen DNA unseres Landes, zur politischen
DNA dieses Parlamentes und zur politischen DNA aller
Parteien gehören.
({0})
Dass der vorliegende Antrag bei allen politischen Differenzen gemeinsam von der Union, der FDP, den Grünen
und der SPD eingebracht worden ist, belegt dies. Auf
den Zusammenhalt in dieser Frage können, müssen und
dürfen wir auch ein Stück weit stolz sein.
In dieser Debatte wurde viel Richtiges gesagt. Ich
möchte kurz auf uns eingehen. Liebe Kollegen, ich verstand die Unruhe nicht, als Herr Ruppert mit Samthandschuhen darauf aufmerksam machte, dass es in dieser
Legislatur einige Ereignisse gab, bei denen sich durchaus Fragen stellten. Diese Fragen, liebe Frau Pau, stelle
ich nicht Ihnen. Wir arbeiten lange genug zusammen.
Ich weiß, dass Sie eine klare Auffassung haben. Ihre
Fraktion aber hat sich in dieser Legislatur, auch hier im
Plenum, hin und wieder auf eine Art und Weise eingelassen, die diese Klarheit, von der ich am Anfang sprach,
nicht immer belegte.
({1})
Ich will hierzu die deutliche Frage stellen: Warum haben Sie, warum hat sich Ihre Fraktion oder Ihre Fraktionsführung nicht sehr entschieden dagegen verwahrt,
dass am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, am
27. Januar 2010, als Schimon Peres hier im Deutschen
Bundestag sprach, einige hochrangige Linke - darunter
Sahra Wagenknecht - sitzen blieben? Warum haben Sie
sie nicht öffentlich in die Schranken gewiesen?
({2})
Kollege Uhl zeigte 2010 hier im Deutschen Bundestag ein Flugblatt Ihres Duisburger Kreisverbandes, auf
dem ein Davidstern verschlungen mit einem Hakenkreuz
dargestellt war. Warum haben Sie das nicht mit aller
Deutlichkeit zurückgewiesen? Warum haben Sie, als im
Jahr 2010 Abgeordnete der Linksfraktion, türkische Aktivisten und radikal-islamische Gruppierungen mit einer
Flottille nach Gaza fuhren, in der damals diesbezüglich
stattfindenden Aktuellen Stunde nicht ganz deutlich und
klar Position bezogen? Wenn es die von mir angesprochene politische DNA in unserem Lande bzw. in unserem Hause gibt, dann gehört dazu auch, dass man in dieser Frage Klarheit herstellt.
Im Juni 2011 wurde in Ihrer Fraktion ein Beschluss
gegen Antisemitismus - einstimmig, wie es hieß - herbeigeführt. Hinterher kam heraus, dass 76 linke Parlamentarier dafür waren. Der Rest nahm nicht teil oder
verließ die Sitzung.
({3})
Patrick Kurth ({4})
- Ich habe mich verlesen. Sie kennen die Zahlen und den
Vorgang. Das ist auch kein vertrauenerweckendes Beispiel.
Liebe Kollegen, man darf gespannt sein, wie Sie auf
den heute vorliegenden Antrag reagieren. Sie haben ja
angedeutet, wie Sie sich verhalten werden. Ich kann Sie
jetzt nur noch einmal einladen: Stellen Sie es klar, machen Sie es deutlich und stimmen Sie diesem Antrag zu.
Das wäre ein klarer Beleg am Ende der Legislatur.
Ich möchte ganz am Ende noch auf eines aufmerksam
machen: Neben dem Alltagsantisemitismus gibt es noch
etwas sehr Schwieriges, den Alltagsrassismus. Gerade
wir von der FDP haben in den letzten Wochen - auch in
den sozialen Medien - eine ungeheure Flut an Unterstellungen und Knietritten gegen unseren Bundesvorsitzenden erlebt. Man kann nicht glauben, dass das im
21. Jahrhundert in einer aufgeklärten Gesellschaft geschieht. Ich fordere Sie auf - Sie persönlich haben daran
keinen Anteil, aber Sie tragen ein Stück weit Verantwortung für Ihre Anhänger -, in Ihren Reihen für Klarheit zu
sorgen. Dieses Verhalten muss aufhören.
Wir befinden uns hier in einem aufgeklärten Hause.
Diese rassistischen Äußerungen, die einem Tritt gegen
das Knie gleichen, gehen auf keinen Fall. Ich bitte Sie,
hier aktiv zu werden.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat Franz Josef Jung für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Antisemitismus wird nach herkömmlicher Definition als nationalistische, sozialdarwinistische oder rassistische Judenfeindlichkeit verstanden. Antisemitismus
ist nicht nur ein Thema für die jüdischen Gemeinden.
Vielmehr berührt es unser gesamtgesellschaftliches Zusammenleben. Es berührt unsere Grundwerte von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Deshalb ist Antisemitismus, in welcher Form auch immer, von uns mit
aller Entschiedenheit zu bekämpfen.
({0})
Das ist die Aufgabe von Politik, von Bund, Ländern
und Gemeinden, aber das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gerade vor dem Hintergrund der
millionenfachen Ermordung der Juden ist das für uns
eine besondere Verpflichtung. Der Kollege Uhl hat auf
die Gedenkstätte Yad Vashem hingewiesen. Wer durch
den Raum für die ermordeten Kinder geht, der kann
diese Stätte nicht ohne innere Bewegung verlassen.
Es ist wichtig, dass wir uns dieses Themas annehmen,
zumal der Expertenkreis festgestellt hat - darauf wurde
hingewiesen -, dass immerhin ein Anteil von etwa
20 Prozent der Deutschen offen oder latent antisemitisch
ist. Man kann das im Hinblick auf die historische Situation nicht nachvollziehen. Aber deshalb ist es umso
wichtiger, dass wir dieser Haltung entschieden entgegentreten.
In dem Bericht des Expertenkreises wird festgehalten,
dass das rechtsextremistische Lager nach wie vor der bedeutendste Träger des Antisemitismus ist. In dem Bericht wird aber auch darauf hingewiesen, dass der Islamismus als neuer Träger hinzugekommen ist. Es wird
weiterhin festgehalten, dass es auch unter den Linken
Positionen gibt, die einen antisemitischen Diskurs befördern.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Beck?
Bitte sehr.
Lieber Herr Kollege Jung, es käme niemand hier in
diesem Haus auf den Gedanken, sich aus dem Konsens
auszuklinken, dass wir alle den Antisemitismus mit ganzer Kraft bekämpfen wollen. Die Schwierigkeit, mit der
wir uns auseinanderzusetzen haben - ich finde, dies sollten wir hier nicht unter den Tisch fallen lassen -, besteht
darin, dass die an sich klare Definition von Antisemitismus im Alltag nicht immer greift.
Vor einigen Tagen ist eine sehr saubere linguistische
Analyse „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ von der Technischen Universität Berlin vorgestellt worden, wo über 15 000 Blog-Einträge, journalistische Einträge und Kommentare auf die Frage hin
analysiert worden sind: Wo gibt es Stereotype, die in den
Grenzbereich zum Antisemitismus hineinreichen? Wo
handelt es sich ganz offensichtlich um Antisemitismus?
Dass wir uns mit dieser Grenzziehung schwertun, das
zeigen doch die Debatten um Martin Walser, Günter
Grass und auch Jakob Augstein, alles gut Gebildete und
Intellektuelle unserer Gesellschaft, sogar Meinungsführer.
Ich würde mir wünschen, dass wir uns auch diesen offensichtlich schwierigen Herausforderungen, dieser Facette des Antisemitismus, die davon geprägt ist, dass die
Definition von Antisemitismus bzw. eine Grenzziehung
so klar nicht vorzunehmen ist und dass Antisemitismus
nicht nur den Ungebildeten zugewiesen werden kann
oder denen, die noch nicht in Yad Vashem waren, sondern dass er offensichtlich sogar, wie diese Studie belegt,
bei Akademikern und Gebildeten ganz besonders ausgeprägt ist, mit aller Hingabe zuwenden.
({0})
Besten Dank, Frau Kollegin Beck. - Ich kann das nur
unterstreichen und weise noch einmal darauf hin, dass
ich meine Rede mit der Definition von Antisemitismus
begonnen habe und genau das mit impliziert habe, was
jetzt Ihre Überlegungen darstellen. Wenn ich mir den
Bericht im Einzelnen anschaue, dann denke ich, das
kommt darin auch ziemlich deutlich zum Ausdruck. Es
wird auch deutlich gemacht, dass wir aus der historischen Verantwortung die Solidarität mit Israel zu Recht
als einen integrierten Bestandteil unserer Staatsräson ansehen und dass jemand - so steht es in dem Bericht -,
der an Demonstrationen teilnimmt, bei denen Israel-Fahnen verbrannt oder antisemitische Parolen gerufen werden, kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus
ist.
({0})
Es steht auch in dem Bericht - das trifft auf Abgeordnete
dieses Hauses zu -, dass die Solidarisierung mit terroristischen und antisemitischen Gruppen wie der Hamas
oder der Hisbollah nicht zählt, wenn es um den Kampf
gegen Antisemitismus geht.
({1})
Meine Damen und Herren, der Parlamentarische
Staatssekretär Bergner hat auf die Leistungen der Bundesregierung hingewiesen, um eine Verbesserung zu erzielen. Ich will noch die Verdoppelung der finanziellen
Mittel auf 10 Millionen Euro für den Zentralrat der Juden, die Erhöhung der Mittel für die Bundeszentrale für
politische Bildung und das Programm zur Bekämpfung
des Rechtsextremismus erwähnen.
Ich denke - darüber sind wir uns in dem Antrag einig -,
dass wir weiterhin einen Sachverständigenbericht brauchen, der die Programme entsprechend evaluiert, um im
Kampf gegen den Antisemitismus noch weiter erfolgreich zu sein. Hinzu kommt die Aufklärung an den Schulen und an außerschulischen Bildungseinrichtungen.
Dazu zählt auch, die Lehrpläne zum Thema jüdisches
Leben zu erweitern, und dazu zählt auch - es ist auf die
aktuelle Debatte hingewiesen worden - die Sensibilisierung von Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten in diesem Bereich. So steht es in unserem Antrag.
Jüdisches Leben hat in Deutschland zum Glück wieder einen hervorragenden Aufschwung genommen. Es
ist überall festzustellen, dass dies in sehr positiver Art
und Weise stattfindet. Man kann eigentlich nur dankbar
sein, dass dies nach dem Grauen der Shoah in Deutschland wieder möglich ist. Aber deshalb ist es auch unsere
Verpflichtung - ich bin all denjenigen in den Fraktionen,
die diesen Antrag mittragen, dankbar -, dass wir gemeinsam zusammenstehen, wenn es darum geht, Antisemitismus entschieden entgegenzutreten und alles dafür
zu tun, dass Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
auch in Zukunft als Grundwerte in unserer parlamentarischen Demokratie von entscheidender Bedeutung bleiben.
Besten Dank.
({2})
Letzte Rednerin zu diesem Debattenpunkt ist Kollegin Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ich habe
ja nichts gegen Juden, nur: Wieso sind Juden immer so
böse?“ Das ist keine Frage, die in einem NPD-Forum gestellt würde; nein, diese Frage steht seit zwei Jahren auf
dem Onlineportal gutefrage. Für eine Löschung sahen
die Betreiber keinen Anlass. Na ja, was ist schon so
schlimm daran? Das hat doch eine ganz andere Qualität
als ein aktueller Kommentar auf YouTube: „Ihr tut unserer Ehre weh, unsere Antwort Zyklon B.“ Zwei Wochen
alt ist dieser Kommentar.
Die Antwort lautet: Antisemitismus hat viele Facetten. Gerade der relativierende Halbsatz „Ich habe ja
nichts gegen Juden, aber …“ sollte die Alarmglocken
läuten lassen. Ich denke, dass jeder von uns diesen Satz
schon einmal gehört hat. Antisemitismus ist kein
Randphänomen. 20 Prozent der Menschen in unserem
Land sind offen oder latent antisemitisch. Sie sind der
Ansicht: „Die Juden sind doch selber schuld.“
Frau Professor Schwarz-Friesel wies in dem schon
von der Kollegin Beck angesprochenen Vortrag am vergangenen Montag unter anderem auf die ebenfalls aktuelle Einlassung eines Berliner Journalisten hin: Warum
werden die Juden seit Jahrhunderten immer wieder verfolgt? Das müssen sie sich schon selber fragen.
In diesem Vortrag hat sie übrigens mit einem Vorurteil
aufgeräumt: Es ist nicht so, dass alle Antisemiten in
Zwickau sitzen, Springerstiefel tragen, sich im Internet
verstecken und eklig sind. Antisemitismus gibt es nicht
nur bei islamischen Migrantenkindern, die vom arabischen Fernsehen getrieben werden. Nein, Antisemiten
sind in der Mitte unserer Gesellschaft anzutreffen, übrigens auch in humanistischen Kreisen, in Presseklubs, bei
Friedensdemonstrationen. Antisemitismus ist salonfähig
geworden, und das macht uns in unserer Fraktion Angst.
({0})
Denn jetzt kommt der Antisemitismus gepflegt und intellektuell daher. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und der legitimen Kritik an Israel werden antisemitische Verunglimpfungen artikuliert, oder es heißt:
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. - Der Kollege
Beck hat darauf hingewiesen. Aktuelles Beispiel: Jakob
Augstein. Er bedient sich regelmäßig antisemitischer
Denkmuster. Er schwadroniert von der Allmacht Israels.
Streiche „Israel“, setze ein „Juden“. - Die Stereotype ändern sich nicht. Worte sind Waffen.
Die Folgen ändern sich übrigens auch nicht. Der Kollege Uhl hat auf den Angriff auf einen Rabbiner in der
vergangenen Woche in Offenbach hingewiesen. Das Per31346
fide: Die privaten Sicherheitsleute halfen dem Rabbiner
nicht, sondern ergriffen Partei für die Angreifer.
„Du Jude“ ist ein Schimpfwort an deutschen Schulen.
Oder wagen Sie doch noch einmal den Blick auf YouTube. Ich habe es getan, und es war widerwärtig. Ein
Beispiel gefällig?
Der Rabbi, dieses alte Schwein, der kommt dann in
den Ofen rein … Fiderallala
Dieser Kommentar ist eine Woche alt.
Es widert mich unglaublich an, und es macht mir
Angst. Ich frage mich: Wie sollen Jüdinnen und Juden in
einem solchen Umfeld hier bei uns leben? Wollen wir
uns damit abfinden, dass alle jüdischen Einrichtungen in
Deutschland unter Polizeischutz stehen? Wo bleibt der
Aufschrei der Öffentlichkeit und der Medien? Ich frage
mich auch immer wieder: Weshalb? Offensichtlich gibt
es ein kollektives Gedächtnis. Antisemitismus gibt es
seit Anbeginn der Zeit. Seine Denkmuster haben sich offensichtlich tief eingebrannt und wirken bis heute.
Was können wir tun? Wir haben in dieser Legislaturperiode erstmals verlässliche Daten und Fakten über Antisemitismus in Deutschland erhalten, dank des Antisemitismusberichtes, den das Bundesinnenministerium auf
unsere gemeinsame Initiative hin in Auftrag gegeben
hat. Denn nur ein Problem, dessen Ausmaß und Ursache
wir kennen, können wir angehen.
Und weiter? Vieles ist genannt worden, und vieles ist
noch zu tun. Dies wurde auch bei der Erarbeitung dieses
Antrages deutlich, bei der wir übrigens stark flankiert
wurden vom Zentralrat der Juden. Stephan Kramer, insoweit vielen Dank. Mein Dank gilt auch dem AJC, insbesondere an Deidre Berger.
({1})
Es wird unabhängige Sachverständige geben, damit
antisemitische Tendenzen frühzeitig erkannt und damit
rechtzeitig begegnet werden kann. Es braucht Aufklärung, übrigens auch bei Behörden der Länder und des
Bundes.
Und es braucht Bildung, Bildung, Bildung.
({2})
Das betrifft nicht allein den Geschichtsunterricht. Es
muss über die Toten geredet werden, aber gerade auch
über die Lebenden. Schülerinnen und Schüler müssen
ein Gefühl dafür bekommen, wie bunt und vielfältig jüdisches Leben in Deutschland heute wieder ist - ein Umstand, über den ich zutiefst froh bin -, aber auch dafür,
wie bedrückend es sein kann, ein Jude in Deutschland zu
sein. Wir brauchen die pädagogische Auseinandersetzung, übrigens bereits bei der Erziehung und Ausbildung
von Erziehern und Lehrern selbst, damit sie ihre Stereotype nicht entsprechend übertragen.
Eines ist klar: Es gibt weder die Juden noch den prototypischen Ausländer, sondern es gibt nur Menschen,
die entweder schlau oder dumm sind, gut oder böse, geschickt oder ungeschickt, und das sollten wir wissen.
Frau Connemann, Sie müssen zum Schluss kommen.
In dieser Woche ist das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus fünf Jahre alt geworden. Der Mitinitiator Levi Salomon hatte einen einzigen
Wunsch: dass unsere Arbeit irgendwann nicht mehr notwendig sein wird. Ich hoffe, dass dieser Antrag einen
Beitrag dazu leistet.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 17/13885 mit dem Titel
„Antisemitismus entschlossen bekämpfen, jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig fördern“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 6 auf:
10 Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Rolf
Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, Rainer
Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Haltung der Bundesregierung zum Erwerb
und Einsatz von Kampfdrohnen
- Drucksachen 17/11102, 17/13655 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière
- Drucksache 17/13899 Zu der Beratung der Antwort auf die Große Anfrage
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister de Maizière, Sie haben gesagt, Sie verbäten sich, dass man Ihnen vorwirft, dass Sie die Unwahrheit sagen.
({0})
Ich trage Ihnen jetzt noch einmal Ihre unterschiedlichen
Versionen der Wahrheit vor:
Sie haben in Ihrer persönlichen Erklärung am 5. Juni
behauptet, vor dem 13. Mai niemals etwas Schriftliches
zu der Euro-Hawk-Problematik vorgelegt bekommen zu
haben.
({1})
Ich zitiere:
Es gab zuvor keine Vorlage an den Minister mit einer Beschreibung der Zulassungsprobleme oder
überhaupt zum Gesamtproblem.
Keine Vorlage!
In der Ausschusssitzung vom 5. Juni haben Sie diesen
Eindruck der völligen Ahnungslosigkeit noch verstärkt,
als Sie drei Varianten einer korrekten Ministerinformation unterschieden: erstens eine an den Minister ausgezeichnete Vorlage, zweitens den Vortrag eines Staatssekretärs und drittens die Erörterung in der Leitungsrunde.
Zum Thema „Euro Hawk“, so sagen Sie dann ausdrücklich, seien - abgesehen von der allgemeinen Rüstungsklausur am 1. März 2012 und einer G-10-Vorlage - alle
drei Varianten nicht zum Tragen gekommen. Warum behaupten Sie das so? Glaubten Sie, als Sie es sagten, dass
das die Wahrheit ist: „keine Information“?
Am nächsten Tag erfahren wir dann von Ihrem Gespräch beim Donaukurier am 7. Mai, also vor dem
13. Mai. Am 7. Mai wussten Sie schon, so werden Sie
zitiert, dass der Euro Hawk nicht für die Bundeswehr
fliegen wird. Zitat: „Im Moment sieht es nicht so aus.“
Wenn Sie nichts Genaueres wussten, woher wussten Sie
dann das Ergebnis schon, sodass Sie sich gegenüber der
Presse äußern konnten? Machen Sie das immer ohne Informationen?
({2})
In derselben Nacht schiebt Ihr Ministerium eine Erklärung nach. Da heißt es, Ihre Aussage beruhe auf Hintergrundinformationen, die Sie in der allgemeinen Besprechung am 1. März 2012 sowie auch später erhalten
hatten. „Sowie auch später“! Erwähnt wird in der Presseerklärung ein Schreiben von Staatssekretär Kossendey
an mich vom 20. März 2013. Erwähnt wird nicht, ob Sie
es gelesen hatten. Sie hatten sich ja festgelegt: „keine
Vorlage“. Aber Briefe, die dem Minister vorgelegt werden, sind Vorlagen, oder?
({3})
Am Wochenende lesen wir von „Flurgesprächen“ im
Ministerium, die es dann doch gegeben haben könnte.
Aber Hörensagen bedeutet Ihnen nichts. Sie sagen: „Der
geordnete Geschäftsbetrieb eines jeden Ministeriums
findet bestimmt nicht auf dem Flur statt.“ - Das ist wahr.
Aber was wollen Sie damit sagen? Dass es keine Vorlage
gab, oder? Keine Vorlage!
Am Montag geben Sie schließlich zu: Doch, für den
Besuch beim Euro-Hawk-Partner EADS in Manching
am 10. Dezember 2012 gab es natürlich eine Vorlage für
den Minister, schriftlich, auf dem Dienstweg.
Und natürlich hatten Sie den Brief von Staatssekretär
Kossendey gelesen. Zur Frage nach dem Donaukurier
verwiesen Sie in der Bundespressekonferenz am Montag
ausdrücklich auf diesen Brief, der Ihnen vorgelegt worden ist: schriftlich, auf dem Dienstweg, nicht auf dem
Flur. Und wie ich das Ministerium kenne, werden Ihnen
sogar auch täglich sogenannte Pressespiegel vorgelegt.
Am 21. März hieß es bei tagesschau.de: „Keine neuen
Drohnen für die Bundeswehr“. Die Frankfurter Rundschau schrieb am 23. März: „Euro Hawk vor dem Absturz“. Und der Kommentar in der Berliner Zeitung lautete: „Dilettantismus mit Drohne“.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Stinner?
Nein, ich möchte fortfahren.
({0})
Natürlich haben Sie das mitbekommen. Deswegen
wussten Sie ja auch schon bei Ihrem Besuch beim Donaukurier, was Sache ist. Natürlich gibt es auch weitere Vorlagen - schriftlich, dienstlich - aus dem Jahr 2012. Ich
frage mich, und ich glaube, die ganze deutsche Öffentlichkeit tut das: Warum um Himmels willen wollen Sie
von dem sich anbahnenden Drohnendesaster nichts gewusst haben? Was wäre denn so schlimm, wenn Sie auch
ein Stück Verantwortung gehabt hätten? Warum müssen
Sie alle Verantwortung auf Ihre Mitarbeiter schieben?
({1})
Was ist gut daran, sich als ahnungsloser Minister zu inszenieren? Das ist keine gute Rolle, die Sie spielen, Herr
Minister.
({2})
Ihre Glaubwürdigkeit ist völlig ruiniert. Was ist Ihr Wort
wert? Sie können Ihr Amt nicht mehr frei wahrnehmen.
({3})
Sie müssen sich vor Indiskretionen von Mitarbeitern aus
Ihrem Ministerium fürchten,
({4})
denen Sie ganz pauschal mit personellen Konsequenzen
gedroht haben.
({5})
Ich hoffe, Sie wissen, was Sie Ihrem Amt, Ihrem Ruf
und den Streitkräften unseres Landes schuldig sind. Sie wissen es.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Bundesminister Thomas de
Maizière.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Bartels, es ist interessant, dass Sie jetzt
hauptsächlich zu dem Zusatzpunkt, dem Antrag der Linken, gesprochen haben. Das finde ich für Sozialdemokraten ungewöhnlich.
({0})
Davon abgesehen, haben Sie als Sozialdemokraten
die Entscheidung getroffen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Das ist Ihr gutes Recht. Ich sehe
dem gelassen entgegen.
({1})
Das führt natürlich dazu, dass ich die Antworten auf alle
Fragen, die Sie hier stellen, in meiner Zeugenaussage im
Untersuchungsausschuss sorgfältig und gründlich vortragen werde. In der Zwischenzeit werde ich natürlich
meine Amtspflichten erfüllen und Ihnen nicht auf den
Leim gehen.
({2})
Deswegen erlauben Sie mir, dass ich auf die Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD
zum Thema Drohnen eingehe. Das haben Sie auf die Tagesordnung gesetzt. Deswegen will ich es Ihnen gerne
erläutern.
In ihrer Antwort hat die Bundesregierung festgehalten, dass wir eine breite gesellschaftliche Debatte über
den Einsatz von Drohnen für notwendig halten. Wir führen sie auch. Wie Sie wissen, habe ich sie selbst vor einem Jahr eröffnet.
({3})
In der Antwort auf die Große Anfrage stellt die Bundesregierung fest:
Eine abschließende Entscheidung zur Beschaffung
bewaffneter UAS ist von der Bundesregierung noch
nicht getroffen worden.
Eine Debatte darüber gehört natürlich ins Parlament. Ich
habe im Januar in einer Aktuellen Stunde sieben Gründe
formuliert, die aus meiner Sicht für die Beschaffung von
Drohnen, auch bewaffnungsfähigen Drohnen, sprechen.
Ich will sie heute nicht alle wiederholen.
Derzeit prägt natürlich - das haben Sie durch eine
Personalisierung gemacht; das ist okay - die Diskussion
über die Entscheidung zur Nichtanschaffung der EuroHawk-Serie den Hintergrund für unsere Beratungen. Für
alle, die nicht im Verteidigungsausschuss sind und mit
den Dingen nicht so vertraut sind, will ich gerne noch
einmal festhalten: Der Typ Euro Hawk fliegt sehr hoch.
Er ist unbewaffnet und dient der Aufklärung. Das, was
Gegenstand der Großen Anfrage ist, sind Drohnen, die in
mittlerer Höhe fliegen, die ebenfalls aufklären und bewaffnungsfähig sein können. Dann gibt es Drohnen, die
in niedriger Höhe fliegen. Diese hat die Bundeswehr seit
Jahrzehnten, völlig unstreitig. Im Übrigen haben auch
unsere Verbündeten Drohnen: auch alle drei Typen.
Frankreich zum Beispiel hat gerade eine Serie von Drohnen vom Typ Predator in den USA bestellt.
Sie sehen: An diesem Thema kommt niemand vorbei.
Wir brauchen diese Debatte.
Am Anfang jeder militärischen Beschaffung steht ein
ermittelter und belegter Bedarf. Das ist ein wesentliches
Prinzip auch unseres neuen Beschaffungsprozesses. Wir
kaufen, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten
wird. Der militärische Bedarf ist auch im Falle bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge mittlerer Höhe vom
Generalinspekteur klar formuliert. Wir brauchen die damit verbundenen Fähigkeiten zum Schutz unserer Soldaten und zum Schutz unserer Verbündeten.
Es geht zunächst um fünf bewaffnungsfähige unbemannte Systeme ab etwa 2016. Sie sollen eine Überbrückungslösung sein bis zur Beschaffung eines neuen,
möglichst europäischen Systems ab Mitte des nächsten
Jahrzehnts. So habe ich Sie, Herrn Arnold, und andere
immer verstanden: Über das Erfordernis der Entwicklung einer europäischen Drohne bestand mit den Sozialdemokraten bisher immer Einigkeit.
({4})
Ich hoffe, das gilt auch weiterhin.
Derzeit werden verschiedene auf dem Markt verfügbare und einsatzerprobte Systeme untersucht. Eine abschließende Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. Aber wer eine Debatte will, der braucht eine
Diskussionsgrundlage. Eine Auswahlentscheidung kann
Ende des Jahres gefällt werden, sodass sie dem neu gewählten Bundestag zur Bewilligung vorgelegt werden
kann. Die Erfahrungen im Hinblick auf die Probleme bei
der Zulassung des Euro Hawk fließen natürlich in die
Prüfung der Optionen ein. Es gibt dabei einen wesentliBundesminister Dr. Thomas de Maizière
chen Unterschied zwischen dem Entwicklungsvorhaben
Euro Hawk und den aktuell für die Beschaffung zu prüfenden Optionen. Die jetzt zu prüfenden Systeme, etwa
aus Amerika oder aus Israel, werden heute bereits von
mehreren alliierten Partnern im Einsatz geflogen, nicht
zuletzt auch zum Schutz deutscher Soldaten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich etwas zu dem Hauptpunkt unserer Debatte rund um das
Thema Drohnen sagen: zur Bewaffnung. Auf die damit
verbundenen ethischen, rechtlichen, politischen Fragen
müssen wir als Gesellschaft, als Regierung, als Parlament eine Antwort finden wie auf jede einzelne Anfrage
zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte auch.
({5})
Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein Luftfahrzeug bewaffnet ist oder nicht. Ob es hingegen bemannt
oder unbemannt ist, kann militärisch einen großen Unterschied machen. Das ist zur Beurteilung der Rechtsfragen jedoch nicht entscheidend. Denn das Luftfahrzeug
selbst steht nicht im Mittelpunkt der rechtlichen, der
politischen oder der ethischen Prüfung, sondern im Mittelpunkt steht stets derjenige, der es steuert, stehen diejenigen, die ihm dazu den Befehl geben, und die Grenzen,
in denen dies geschieht.
({6})
Wir müssen darüber diskutieren, in welchen Fällen, unter welchen Bedingungen, mit welchem Auftrag und mit
welchen Einschränkungen wir den Einsatz militärischer
Gewalt für richtig halten oder ablehnen.
({7})
Das gilt dann auch für Einsätze von bewaffneten Drohnen.
({8})
Unser Kollege Steinbrück hat nun kürzlich festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland keine bewaffneten Drohnen braucht.
({9})
Herr Kollege Oppermann, ich habe das einmal in Ihrem
Wahlprogramm nachgelesen. Da finde ich diesen Satz
nicht. In Ihrem Wahlprogramm heißt es:
({10})
Eine überstürzte Entscheidung zur Beschaffung von
Kampfdrohnen lehnen wir ab.
({11})
Wir fordern, dass vorher alle sicherheitspolitischen,
völkerrechtlichen und ethischen Fragen umfassend
beantwortet werden.
({12})
Deswegen stehen wir hier und diskutieren darüber. Aber
wir nehmen das Ergebnis nicht vorweg, wie Herr
Steinbrück es getan hat.
({13})
Meine Damen und Herren, eine namhafte überregionale Zeitung kommentierte die Rede von Herrn
Steinbrück übrigens dahin gehend - an anderen Teilen
der Rede gibt es nicht viel zu kritisieren -, dass jeder
Leutnant, der schon einmal eine Patrouille in unsicheres
Gebiet führen musste, erklären könne, warum es doch
gut wäre, wenn die Bundeswehr über bewaffnete Drohnen verfügte.
({14})
Dazu genügt ein Blick in unsere Einsatzrealität. Mit
unseren unbewaffneten Drohnen vom Typ Heron 1 kann
eine Besatzung von Masar-i-Scharif aus einen Patrouillenführer bei Kunduz unterstützen, der in einen Hinterhalt Aufständischer geraten ist. Sie kann ihm über Funk
mitteilen, wo sich die Angreifer befinden. Sie kann ihn
warnen, wenn sich weitere Aufständische nähern, und
ihm mitteilen, von wo sie angreifen. Kurz: Die Besatzung kann aus großer Höhe den Überblick behalten und
die eigenen Kräfte am Boden mit Aufklärung in Echtzeit
unterstützen. Aktiv ins Geschehen eingreifen kann das
Heron-Bedienpersonal hingegen nicht, denn der Heron 1
ist unbewaffnet. Er kann bei andauernden Angriffen
nicht das Leben deutscher Soldaten schützen und retten,
indem er die Angreifer mit einem Warnschuss abschreckt oder in letzter Konsequenz auch gezielt bekämpft. Es kann nicht sein, dass wir Soldaten in Einsätze
schicken
({15})
und dann nicht willens sind, ein System einzuführen, das
unsere Soldaten bei der Erfüllung ihres Auftrages unterstützt, schützt und ihr Leben retten kann.
({16})
Derzeit sind unsere Soldaten in einer solchen Situation auf die Luftnahunterstützung durch bemannte
Kampfflugzeuge oder bewaffnete unbemannte Luftfahrzeuge unserer Partner angewiesen; Sie alle kennen das:
Close Air Support. Allerdings ist dies in der Regel mit
einem deutlichen Zeitverzug verbunden, der entscheidend sein kann, und wir sind bisher zumeist auf Verbündete angewiesen. Der Einsatz von Drohnen mittlerer
Höhe ist aufgrund ihrer Verweildauer und Präzisionsfähigkeit oftmals die einzig erfolgversprechende Möglichkeit, eigene Kräfte zeitnah und wirksam zu unterstützen.
({17})
Das kann auch bei einem Einsatz nötig sein, der keinen
Kampfauftrag mehr enthält, wie in Afghanistan ab 2015.
({18})
Denn der Schutz der eigenen Soldaten bleibt natürlich
notwendig.
Wie bei allen anderen Mitteln der Anwendung militärischer Gewalt sind bei einem Einsatz von Drohnen die
im Einzelfall geltenden verfassungs- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und das humanitäre Völkerrecht zu beachten. Wir haben uns dazu verpflichtet, und
das gilt für jeden Einsatz der Bundeswehr, mit welchen
Mitteln auch immer. Es würde auch für den Einsatz bewaffneter Drohnen gelten. Wir sollten, liebe Kolleginnen
und Kollegen, so selbstbewusst sein, nicht von der Einsatzmethode anderer Staaten auf diejenige der Bundeswehr oder des Einsatzmittels insgesamt zu schließen.
({19})
Nun sagen viele, es gebe bei Drohnen eine emotionale
Ferne; sie setzten die Hemmschwelle zur Anwendung
von Gewalt herab. Das ist ein gewichtiges Argument;
ich habe es im Januar schon vorgetragen. Eine größere
emotionale Distanz unserer Besatzungen zum Geschehen im Einsatzland lässt sich aber nicht belegen. Jeder
von Ihnen, der unsere Truppen in Afghanistan schon besucht hat, weiß: Die Besatzungen unserer unbemannten
Luftfahrzeuge dienen vor Ort; sie nehmen in Masar-iScharif an Trauerveranstaltungen für gefallene Kameraden teil, sie stehen Spalier für die Särge auf dem Weg zur
Transall. Diese Soldaten sind sich der ethischen, rechtlichen und moralischen Dimension ihres Handelns vollkommen bewusst.
({20})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - In einem
sind wir uns sicher einig: Wir wollen keinen Automatenkrieg. Die Waffen dürfen sich nicht von Entscheidungen
durch Menschen lösen und verselbstständigen. Mit bewaffnungsfähigen Drohnen sind wir weit davon entfernt.
Erhalten wir uns bitte die Kraft zur Differenzierung, insbesondere wenn wir über Wert und Unwert von Waffen
reden. Im Mittelpunkt der Debatte sollte stehen, was die
Bundeswehr zur Erfüllung ihres Einsatzes braucht.
({21})
Die Bundeswehr besteht aus Menschen, die verantwortungsvoll und im Rahmen der Gesetze handeln. Ihr
Schutz ist uns Verpflichtung.
({22})
Das Wort hat nun Paul Schäfer für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das
Thema „Drohnen und Kampfdrohnen“ erregt die Öffentlichkeit, und das völlig zu Recht. Auf den Euro Hawk
komme ich noch zu sprechen; ich komme zunächst zu
den bewaffneten Drohnen. Da gibt sich die Regierung ja
doch einsilbig und drückt sich eigentlich um eine klare
und eindeutige Positionierung herum. Jetzt haben wir es
wieder gehört: Es bestehe bis Ende des Jahres noch gar
kein Entscheidungsbedarf. Es wird also auf die Zeit nach
dem 22. September verwiesen. Ein Schelm, wer Böses
dabei denkt!
Zugleich werden aber die Weichen gestellt: Ich meine
die Entwicklungsprojekte und dass man in den USA angefragt hat, ob man dort Kampfdrohnen kaufen kann.
Auch das, was der Minister hier gesagt hat, diente eigentlich dazu - zu nichts anderem -, das Feld zumindest
propagandistisch vorzubereiten. Herr Minister, in Ihrer
Rede Ende Januar haben Sie bereits erklärt, warum man
Drohnen jeglicher Art dringend brauche. Es war davon
die Rede, dass der unbemannten Luftfahrt die Zukunft
gehöre. Das wurde von der Kernenergie auch behauptet,
und doch sind wir dabei, auszusteigen. Dieses Argument
ist insbesondere nicht koscher, wenn es umstandslos auf
die bewaffneten Kampfdrohnen übertragen wird. Ja, sie
werden eingesetzt, und viele Staaten sind drauf und dran,
sich welche zuzulegen, aber noch kann man dieser Entwicklung Einhalt gebieten.
({0})
Die Friedensforschungseinrichtungen haben in ihrem
diesjährigen Friedensgutachten ihre Forderung wiederholt, Kampfdrohnen international zu ächten.
({1})
Der Entwicklung dieser Waffensysteme müsse dringend
ein Riegel vorgeschoben werden - ich zitiere -, „bevor
sie eine fatale Eigendynamik entfaltet“. Genau darum
geht es. Jetzt ist die letzte Gelegenheit, diese Entwicklung zu stoppen. Wir müssen sie nutzen. Das fordern wir
in unserem Antrag.
({2})
Unsere Positionen: Erstens. Für die Verteidigung unseres Landes werden keine mit Raketen bestückten
Drohnen benötigt. Sie sind vor allem für militärische
Operationen außerhalb des NATO-Territoriums geeignet. Diesen Interventionismus wollen wir nicht.
({3})
Wir wollen auch nicht, dass der Drohnenkrieg von deutschem Boden aus geführt wird, weder von der Airbase
Ramstein noch vom Africa Command der USA in Stuttgart.
({4})
Paul Schäfer ({5})
Zweitens. Die bisherige Einsatzpraxis ergibt ein eindeutiges Bild. In Afghanistan, Pakistan, aber auch Somalia, Jemen oder Palästina geht es vor allem darum,
Einzelpersonen oder kleine Gruppen von Menschen
schnell und ohne Zeugen zu töten. Obwohl sich die USA
nicht in einem bewaffneten Konflikt mit Pakistan befinden, wurden nach Schätzungen des Bureau of Investigative Journalism seit 2004 dort mehr als 2 500 Personen
getötet, davon mindestens 400 unschuldige Zivilisten.
({6})
Das ist eine sehr konservative Schätzung. In Wirklichkeit sind es sehr viel mehr, vor allem Frauen und Kinder.
({7})
Drohnen mögen aus Ihrer Sicht militärisch praktisch
sein, in ihrer Konsequenz können sie barbarisch wirken,
weil sie zu gezielten Tötungen von Menschen ohne vorherige Gerichtsverhandlung verleiten, aus sicherer Distanz, wenn es darauf ankommt auch grenzüberschreitend, ohne dass es jemand merkt, unter Bruch des
Völkerrechts.
({8})
Nun sagt der Minister - ich habe genau zugehört -,
die Bundeswehr werde die Drohnen gewiss nicht in diesem Sinne einsetzen, es entspräche nicht unserer Militärkultur.
({9})
Das mag heute zutreffen, aber was wird morgen sein?
Kampfdrohnen werden doch für gezielte Tötungen eingesetzt, weil sie dafür besonders geeignet sind.
({10})
Wird man dieser Versuchung wirklich widerstehen,
wenn man diese Mordwaffe erst einmal hat? Ich glaube:
Nein!
({11})
Drittens. Kampfdrohnen verbreiten in den genannten
Ländern Angst und Schrecken, sie verstärken Ohnmachtsgefühle, und - weil sie allzu oft die Falschen treffen - sie nähren Hass und Gewaltbereitschaft. Hören Sie
doch einmal genau zu: Sie sind dabei, die Drohnen zu einem Sinnbild für die Hightechkriege der führenden Industriemächte zu machen, gegen die sich die Underdogs
dieser Welt mit archaischen Gewaltformen zur Wehr setzen. Asymmetrischen Krieg nennen wir das, in der Konsequenz: robotisierte Kriegsführung versus Selbstmordattentate. Wohin soll das führen? Es ist doch ein
elementares Gebot politischer Klugheit, die Dinge vom
Ende her zu betrachten. Das sollten Sie an dieser Stelle
tun.
({12})
Viertens. Die Bewaffnung mit Kampfdrohnen senkt
die Hemmschwelle, Gewaltmittel einzusetzen. Dabei
geht es nicht um diejenigen, die diese Waffen unmittelbar führen. Das ist doch Nebelkerzenwerferei. Ein
Kampfpilot unterscheidet sich in der Tat nicht von einem
Soldaten, der die Drohne steuert. Das habe ich nie behauptet, und das würde ich auch nie behaupten. Aber darum geht es auch gar nicht.
Die Drohnen verändern - so hat es ein renommierter
US-Informatiker gesagt - unsere Sicht auf den Krieg.
Genauer gesagt: Es geht um die politischen Entscheidungsträger und die Versuchungen, die diese neue Technologie für die Politik bedeuten. Darüber sagen Sie
nichts, davon lenken Sie nur ab. Das ist der Punkt.
({13})
Die Vollautomatisierung des Krieges ist nur der theoretische Endpunkt einer solchen beunruhigenden Entwicklung.
Fünftens. Mit der Einführung der Kampfdrohnen wird
ein neuer Rüstungswettlauf eingeleitet. Auch hier müssen wir uns fragen: Wohin soll das führen? Unsere Antwort ist klar: Rüstungskontrolle und Abrüstung, nicht
qualitative Aufrüstung - das ist angesagt.
({14})
In den letzten Wochen hat uns die Entwicklung des
Euro Hawk beschäftigt. Ja, es geht nicht nur um Kampfdrohnen, auch die Aufklärungsdrohnen müssen kritisch
unter die Lupe genommen werden. Das unschönere Wort
dafür heißt Spionage. Sie sind also auch dafür vorgesehen, bei Militärinterventionen für eine Informationsüberlegenheit zu sorgen. So harmlos sind sie also nicht.
Man muss sich mit dem Thema zumindest kritisch auseinandersetzen. Daher ist es schlimm, dass alle Parteien
dieses Drohnenprojekt auf den Weg gebracht haben und
dem Prestigeprojekt Euro Hawk nicht widerstehen wollten - nur die Linke hat widerstanden, und sie wird es
weiter tun.
({15})
Besonders schlimm wird es, wenn bei solchen Großprojekten die politische Kontrolle versagt. Genau darum
geht es. Der Minister der Verteidigung hat am Anfang
seiner Amtszeit den Eindruck erweckt, er wisse um die
strukturellen Probleme. Er hat verkündet: Alle großen
Rüstungsvorhaben müssen auf den Prüfstand. Für den
Euro Hawk jedenfalls galt das nicht.
({16})
Paul Schäfer ({17})
Er hat damals harte Gespräche mit der Industrie angekündigt, sich dann aber doch von den Rüstungsfirmen
einlullen lassen. Anders ist das Debakel doch gar nicht
zu erklären.
Die Ausrede, bis auf Verfahrensfehler sei alles richtig
gelaufen, lassen wir nicht gelten. Das alles muss in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden. Es geht
um persönliche und politische Verantwortlichkeiten,
aber auch um die strukturellen Bedingungen für das
Euro-Hawk-Debakel. Ich meine das dichte Beziehungsgeflecht zwischen Rüstungsindustrie, Streitkräfteführung und Ministerium.
Die Verschleuderung von Steuergeldern ist das eine.
Wenn dann aber auch noch Parlament und Öffentlichkeit
desinformiert und hintergangen werden - das kann man
Schwarz auf Weiß belegen -, dann muss gesagt werden:
Das ist schlicht nicht hinnehmbar.
({18})
Aus genau diesem Grund beantragt meine Fraktion, Die
Linke, dass der Bundestag dieses Vorgehen missbilligt
und die Kanzlerin auffordert, die nötige personelle Konsequenz zu ziehen - nicht mehr und nicht weniger.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Das Wort hat nun Rainer Erdel für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin entsetzt.
({0})
Kollege Schäfer, Sie haben eben ein Bild vom Deutschen Bundestag gezeichnet, als seien die Abgeordneten
dieses Hauses eine mehr oder minder fahrlässig vorgehende Räuberbande, die letztendlich nur Rüstungsgüter
beschafft, um sie genauso fahrlässig vorgehenden Soldaten zur Verfügung zu stellen, die dann damit machen
können, was sie wollen.
({1})
Herr Schäfer, hier muss ich Ihnen ganz entschieden widersprechen.
({2})
Wir reden über den Einsatz, über den Erwerb von
Kampfdrohnen. Unter diesem Tagesordnungspunkt beschäftigen wir uns auch mit Ihrem Antrag auf Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière
und Entlassung des Ministers nach Art. 64 Abs. 1 des
Grundgesetzes. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass das
Ministerium, dass der Bundesminister eine gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Drohnen bisher
verhindert hat. Gerade das ist nicht der Fall. In seinem
Redebeitrag vor wenigen Minuten hat der Minister noch
einmal sehr deutlich auf die Notwendigkeit, aber auch
auf die Grenzen solcher Projekte hingewiesen.
({3})
Sie, Herr Kollege Schäfer, haben die Diskussion, die
darüber stattfindet, als Propaganda bezeichnet, dazu
muss ich sagen: Ich weiß nicht, auf welcher Plattform
eine Diskussion stattfinden soll, wenn sie von Ihrer Seite
gleich als Propaganda bezeichnet wird. Ich denke, die
gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Drohnen, auch von Kampfdrohnen, ist notwendig. Dabei ist
es wichtig, die Unterscheidung zu kennen. Wenn wir
über Flugzeuge reden, unterscheiden wir sehr wohl zwischen Segelflugzeugen, Passagierflugzeugen und
Kampfflugzeugen.
({4})
Ich glaube, in Ihren Diskussionsbeiträgen zum Thema
Drohnen vermischt sich so einiges. Ich musste leider
feststellen, dass auch der Kollege Bartels in seinem Beitrag einiges vermischt hat.
({5})
Er hat zwar über Aufklärungsdrohnen geredet, aber er
hat möglicherweise Kampfdrohnen gemeint. So ist manches unscharf geblieben.
Tatsache ist: Wir müssen bei der Beschaffung und vor
der Beschaffung, wir müssen im gesamten Prozess über
die sicherheitspolitische Begründung nachdenken. Wir
müssen darüber reden: Ist es notwendig, dass dies Teil
unseres Fähigkeitsspektrums ist? Sind Drohnen ein notwendiger Teil des Fähigkeitsspektrums der NATO, in die
wir eingebunden sind? Ist es notwendig, dass wir uns zur
Landesverteidigung eine bestimmte Bewaffnung zulegen? Es ist schon interessant, dass der Kanzlerkandidat
der SPD darauf hingewiesen hat, dass Deutschland keine
Drohnen braucht,
({6})
er vor wenigen Jahren als Finanzminister aber mehrere
Hundert Millionen Euro für dieses Drohnenprojekt zur
Verfügung gestellt hat. Herr Bartels, Sie haben auch in
diesem Kontext gesprochen.
({7})
Genauso interessant ist es, wenn ein SPD-Politiker,
der in Bayern Ministerpräsident werden will, darauf hinweist, dass bei den Vorgängen um den Euro Hawk nicht
der geringste militärische Nutzen entwickelt worden sei
und dass drei CDU/CSU-Minister verantwortlich gewesen seien. Ja, drei Minister der CDU/CSU waren verantwortlich, es waren aber auch zwei Minister der SPD
verantwortlich. Ein solches Rüstungsprojekt, das über
mehr als zehn Jahre entwickelt wird, verdient es auch,
dass man es von Zeit zu Zeit wieder bewertet und
entscheidet, ob man ein solches Projekt fortsetzt, oder ob
man an den Punkt kommt, ein solches Projekt zu
beenden. Genau diese Entscheidung hat der Minister getroffen.
({8})
Ich weiß jetzt nicht, was daran bei Ihnen als so falsch
empfunden wird, denn der Minister hat im Jahr 2011 darauf hingewiesen:
({9})
Alle Rüstungsprojekte kommen auf den Prüfstand. ({10})
Wir kommen zum Einsatz. Der Einsatz von Drohnen
ist klar umrissen. Der Einsatz von Drohnen ist sowohl in
Deutschland, was die Möglichkeiten der Ausbildung betrifft, als auch in den Einsatzgebieten in den sogenannten
Rules of Engagement umrissen. Der Einsatz von Drohnen - so wäre es auch bei Kampfdrohnen, wenn wir
denn welche hätten - ist keinerlei Willkür unterworfen,
sondern unterliegt klaren Regeln und hängt von den jeweiligen Einsatzszenarien ab.
Wenn Sie die Wirkung und Bedeutung von Drohnen
so grundsätzlich infrage stellen, dann rate ich Ihnen: Besuchen Sie doch einmal die Soldaten und reden Sie mit
ihnen.
({11})
Reden Sie mit den Soldaten in den Aufklärungsbataillonen darüber, welche hervorragenden Ergebnisse Drohnen liefern können. Reden Sie mit den Soldaten in den
Einsatzgebieten, die dort das System Heron nutzen. Die
werden Ihnen sagen, wie außerordentlich wichtig die
Erkundungs- und die Aufklärungsergebnisse sind.
({12})
Dann bitte ich Sie, die Situation neu zu bewerten.
Die jüngsten Ergebnisse zeigen uns, dass man vielleicht auch über die zivile Nutzung der Drohnen nachdenken kann. Wir setzen zurzeit Hubschrauber und Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr ein, um die Situation
an unseren Deichen festzustellen.
({13})
Ich glaube, das wäre kostengünstiger und vielleicht auch
rund um die Uhr möglich, wenn wir Drohnen hätten.
({14})
Ich komme zu Ihrem zweiten Antrag: Missbilligung
der Arbeit des Ministers. Sie haben diesen Antrag in drei
Zeilen begründet. Ich bin der Meinung, wir haben einen
Verteidigungsminister, der das Ministerium in einer
äußerst schwierigen Phase führt. Wir haben insgesamt
13 Auslandseinsätze auf drei Kontinenten. Wir führen
eine Strukturreform durch. Es gibt Beschaffungsvorhaben, die sehr langfristig laufen, teilweise bereits über
zwanzig Jahre, und die jetzt auf dem Prüfstand stehen.
Es hat in der Geschichte übrigens immer Beschaffungsvorhaben gegeben, die gestoppt wurden. Sie können die
Ergebnisse in verschiedenen Museen besichtigen. Da
gab es senkrecht startende Transportflugzeuge, die zehn
Jahre lang entwickelt wurden.
({15})
Da gab es senkrecht startende Düsenflugzeuge. Es ist
notwendig, diese Beschaffungsvorhaben immer wieder
neu zu bewerten.
Sie bemängeln die Information durch den Minister.
Ich habe einen anderen Eindruck: Der Minister informiert, das Ministerium informiert über die Lage in den
Einsatzgebieten. Der Minister hat in der letzten Sitzung
durchaus zugestanden, dass wir vielleicht künftig auch
eine Information über die Lage bei den Rüstungsprojekten einführen müssen. Warum nicht? Ich denke, das ist
ein Prozess, der der Strukturreform zu verdanken ist, die
von dieser schwarz-gelben Koalition angeschoben
wurde.
Ich glaube, der Minister und die Staatssekretäre, der
Generalinspekteur und die Inspekteure nehmen ihre
Aufgabe, Verantwortung gegenüber dem Parlament und
gegenüber den Abgeordneten des Bundestages zu zeigen, sehr ernst. Sie schreiben in Ihrem Antrag, der
Minister und das Ministerium würden das Parlament mit
Desinformation versorgen - Desinformation ist bewusste Fehlinformation -,
({16})
das muss ich zurückweisen. Wenn Sie mit Ihrem Antrag
jetzt bereits den Vollzug eines Urteils fordern, das Verfahren aber von Ihnen erst im Untersuchungsausschuss
nachgeschoben werden soll,
({17})
dann ist dieses zu missbilligen: nicht zuerst das Urteil
und die Vollstreckung und das Gerichtsverfahren hinterher. Deswegen missbilligen wir Ihren Antrag, und wir
werden Ihre beiden Anträge ablehnen.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beziehe mich
auf diejenigen, die die Frage der Kampfdrohnen angesprochen haben. Ich muss schon sagen: Angesichts des
Versagens des Verteidigungsministers bei der Beschaffung von Euro Hawk erstaunt es sehr, dass der Mut
besteht - abgesehen davon, dass der 22. September davor ist -, dass man über die Frage bewaffneter Kampfdrohnen diskutieren und entscheiden will. Ich möchte
daher auf etwas hinweisen, das man bei einer Debatte,
die die ethischen Aspekte berücksichtigt, erwarten
würde.
({0})
- Durch Schreien wird es nicht besser.
({1})
Die Friedensforschungsinstitute haben in ihrem Gutachten vor einer Woche Folgendes konstatiert:
Erstens. Es droht ein Rüstungswettlauf bei den bewaffneten Systemen. Nicht nur die USA verfügen über
solche Systeme, sondern zum Beispiel auch China.
Zweitens. In der Tendenz besteht die Gefahr - die
Friedensforschungsinstitute formulieren das so - einer
im Verborgenen stattfindenden Kriegsführung, die die
generelle Ächtung des Krieges im Völkerrecht unterläuft. Krieg würde unterhalb der Wahrnehmungsschwelle geführt, und damit würde Krieg banalisiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gefahr einer
solchen Entwicklung muss man in einer solchen Debatte
ansprechen. Das tue ich.
({2})
- Herr Lindner, Sie kennen wir schon.
({3})
- Ja, das muss man. Sie werden in jedem Wahlkreis gefragt werden, wie Sie dazu stehen, dass Sie bewaffnete
Kampfdrohnen beschaffen und einführen wollen.
({4})
Dann müssen Sie wissen, was Sie antworten.
Die Friedensforschungsinstitute sagen auch: Angesichts der Tatsache, dass die Gefahr einer Automatisierung und Verselbstständigung derartiger Systeme besteht, ist nicht die Beschaffung von Kampfdrohnen
notwendig, sondern die Ächtung solcher Systeme. Dazu
fordere ich uns alle auf. Das werden wir auch erleben.
({5})
Herr Kollege Erdel, wollen Sie darauf reagieren? Bitte schön.
Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, ich zitiere aus einer
Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages:
Kampfdrohnen sind völkerrechtlich nicht verboten.
Der Einsatz von Drohnen steht aber unter dem
Vorbehalt der strikten Einhaltung des geltenden
Völkerrechts sowie des verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes.
({0})
Nichts anderes hat der Minister und nichts anderes habe
ich angemerkt.
Danke.
({1})
Das Wort hat nun Agnes Brugger für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fehler
sind da, um wiederholt zu werden.
({0})
So könnte man den Grundsatz der Beschaffungspolitik
im Bundesverteidigungsministerium zusammenfassen,
wenn man sich die Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der SPD zum Erwerb und Einsatz von
Kampfdrohnen durchliest. Diese Antwort wurde am
29. Mai per Kabinettsbeschluss einfach abgenickt. Völlig unbeeindruckt vom Euro-Hawk-Desaster kündigt die
Bundesregierung darin die Beschaffung von fünf
Kampfdrohnen bis 2016 an und hält sich gleich einmal
offen, noch elf weitere zu erwerben.
Es ist doch kaum zu fassen.
({1})
Wie kann es eigentlich sein, dass diese Bundesregierung
trotz der massiven Probleme bei der Zulassung des Euro
Hawk gleich die nächste Staffel Drohnen ordern will,
({2})
und zwar nicht Aufklärungsdrohnen, sondern gleich
Kampfdrohnen, die zu Recht hoch umstritten sind? SpäAgnes Brugger
testens jetzt müssten Sie doch die Risiken, die mit der
Beschaffung von Drohnen verbunden sind, erst einmal
gründlich prüfen, bevor Sie einen solchen Beschluss fassen. Doch weit gefehlt: Drohnenminister de Maizière
und Merkels Kabinettstruppe halten nicht einmal eine
Diskussion darüber für nötig.
({3})
So beschließen Sie mitten im Skandal gleich den nächsten Skandal.
({4})
Der Kabinettsbeschluss zur Beschaffung von Kampfdrohnen offenbart, mit welcher Verantwortungslosigkeit
Schwarz-Gelb beim Kauf von Waffensystemen entscheidet. Die Probleme bei der Zulassung spielen für Sie trotz
des Milliardendesasters beim Euro Hawk keine Rolle.
({5})
Klar ist: Der Erwerb und die Verwendung von
Kampfdrohnen drohen die Hemmschwelle zum Einsatz
von bewaffneter Gewalt insgesamt zu senken und die
Kriegsführung grundlegend zu verändern. Vor allem die
USA greifen in ihrem sogenannten Kampf gegen den
Terror systematisch auf dieses Waffensystem zurück und
verstoßen mit gezielten Tötungen in Pakistan, im Jemen
und in Somalia gegen das Völkerrecht.
({6})
Die Bundesregierung darf diese Praxis nicht einfach
stillschweigend hinnehmen! Warum drücken Sie sich davor, diesen offensichtlichen Bruch des Völkerrechts
({7})
offen zu kritisieren?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Spatz von der FDP-Fraktion?
Sehr gerne.
({0})
Frau Brugger, Sie wollen mit Beispielen aus anderen
Ländern belegen, dass bei denen, die über solche Waffensysteme verfügen, die Hemmschwelle sinke. Ist
Ihnen klar, dass Sie damit uns alle - und unsere Nachfolger - anklagen? Denn wir wären es, die einen entsprechenden Einsatz, bevor er durchgeführt werden könnte,
genehmigen müssten.
({0})
Ich klage niemanden an, sondern ich weise auf die
Gefahren hin.
({0})
Am Fall der USA, die ja ein wichtiger Verbündeter sind,
sieht man, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet
sind: Ein Friedensnobelpreisträger nutzt diese Systeme
und höhlt damit das Völkerrecht aus - auch weil diese
Bundesregierung zum Beispiel kein einziges Wort darüber verliert.
({1})
Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung das
einmal zur Sprache bringt.
Ich finde, man muss auch selbstkritisch damit umgehen. Man müsste sich an dieser Stelle auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz noch einmal anschauen. Sie
kennen die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Mit
einer unmittelbaren Gefährdung der Soldatinnen und
Soldaten zu argumentieren, würde zur Mandatierung eines Einsatzes bewaffneter Drohnen nicht ausreichen. Ich
bitte Sie, sich mit diesen Fragen noch einmal gründlich
auseinanderzusetzen.
({2})
Sie blenden die mit Kampfdrohnen verbundenen Gefahren für den Frieden und die weltweite Einhaltung der
Menschenrechte einfach aus.
Wir Grüne haben uns mit einem Antrag klar positioniert: Wir lehnen die Beschaffung von Kampfdrohnen
für die Bundeswehr ab.
({3})
Wir freuen uns darüber, dass inzwischen auch die
SPD - per Beschluss des Parteivorstands - diese Position mit uns teilt und sich den verantwortungslosen Beschaffungsplänen von Minister de Maizière entgegenstellt.
Dem Rüstungswettlauf muss Einhalt geboten werden,
bevor immer mehr Staaten über solche Waffensysteme
verfügen und sie weiter exportieren. Wir Grüne wollen
internationale Regelungen - auf der Ebene der Vereinten
Nationen - und Begrenzungen für bewaffnete unbemannte Systeme. Wir setzen uns auch für eine völkerrechtliche Ächtung von autonomen bewaffneten Drohnen
ein; denn es darf nicht zur Entwicklung von Robotern
kommen, die selbstständig über Leben oder Tod von
Menschen entscheiden.
({4})
Herr Minister de Maizière, Sie haben gesagt, Sie wollen keine autonomen Systeme. Da frage ich Sie: Wo sind
denn Ihre Initiativen auf internationaler Ebene zur Ächtung dieser Systeme?
({5})
Der erste Schritt wäre der eigene Verzicht auf Kampfdrohnen; aber wie es scheint, ist dieser Verteidigungsminister von seinen Drohnenprojekten nicht mehr zu trennen. Schwarz-Gelb im Drohnenfieber,
({6})
freuen kann sich hierüber nur die Rüstungsindustrie mit
ihren Verbandlungen ins Verteidigungsministerium.
({7})
Meine Damen und Herren, es muss endlich Schluss
sein mit der kostspieligen und planlosen Beschaffungspraxis des Verteidigungsministeriums.
({8})
Die Beschaffungspolitik darf sich nicht nach den Interessen der Rüstungsindustrie und der Logik des Wettrüstens
richten. Grundlage müssen eine sicherheitspolitische Bedarfsanalyse und eine friedenspolitische Einhegung sein.
Herr Minister de Maizière, nach den gravierenden
Fehlern, die bei der Entwicklung des Euro Hawk gemacht wurden, dürfen und können Sie sich nicht einfach
taub stellen und wegdrehen. Ihre Strategie, Herr Verteidigungsminister - ich weiß von nichts und reagiere nur
auf offizielle schriftliche Vorlagen aus meinem Ministerium; diese habe ich erst am 13. Mai 2013 erhalten -,
war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
({9})
Mit Bekanntwerden der von Ihnen persönlich quittierten Infomappe zum Euro Hawk, die Sie für Ihren Besuch
bei Cassidian - wohlgemerkt am 10. Dezember 2012 samt Schilderung der Zulassungsproblematik erhalten
haben, ist klar geworden: Sie wussten sehr wohl Bescheid und haben gelogen.
({10})
So spärlich Ihre Antworten auf die vielen Fragen auch
waren: Selbst mit den wenigen Worten haben Sie es geschafft, sich auch noch in große Widersprüche zu verheddern.
({11})
Erst hieß es, Sie seien nicht informiert worden und Ihr
Haus sei schuld. Dann fiel Ihnen ein, dass Sie als Minister doch irgendwie für das Verantwortung tragen, was in
Ihrem Haus abläuft. Wirkliche Verantwortung wollten
Sie trotzdem nicht übernehmen, da man Sie nicht schriftlich über das Problem informiert habe. Auch von diesem
Standpunkt mussten Sie sich zurückziehen.
({12})
Jetzt versteifen Sie sich darauf, dass in der schriftlichen
Vorlage nicht von unlösbaren Problemen die Rede war.
Herr Minister, hören Sie auf mit dieser Haarspalterei,
und übernehmen Sie Verantwortung.
({13})
Nein, es ist nicht alles richtig gelaufen und entschieden
worden. Nein, es stimmt einfach nicht, dass Sie erst am
13. Mai 2013 eine schriftliche Vorlage zu den Schwierigkeiten bei der Zulassung erhalten haben. Ersparen Sie uns
und sich selbst Ihre pseudophilosophischen Einlassungen über das Lösbarkeitspotenzial von Problemen, deren
Existenz Sie jetzt fleißig über den Pressestab Ihres Verteidigungsministeriums verbreiten lassen.
({14})
Wir lassen Ihnen Ihre Ausflüchte und plumpen Täuschungsmanöver nicht einfach durchgehen.
({15})
Es ist schon sagenhaft, welche Naivität Sie der Öffentlichkeit und dem Parlament unterstellen, wenn Sie glauben, sich mit diesen Verdrehungen so einfach heraustricksen zu können.
Herr Minister, Sie müssen dafür sorgen, dass Sie und
die politische Führung Ihres Ministeriums die Informationen erhalten, die für eine frühzeitige und realistische
Einschätzung notwendig sind.
({16})
Das Chaos um die Euro-Hawk-Beschaffung offenbart
ein eklatantes Führungs- und Organisationsversagen im
Verteidigungsministerium, das Sie, Herr Minister, zu
verantworten haben.
({17})
Um hier für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen,
werden wir gemeinsam mit der SPD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen.
({18})
Ich bin gespannt, in wie viele Sackgassen Ihr Labyrinth
aus Widersprüchen noch führen wird.
({19})
Doch schon jetzt ist klar: Das Maß an Widersprüchen
und Unwahrheiten ist voll. Deswegen werden wir auch
dem Missbilligungsantrag der Linken zustimmen.
({20})
Herr Minister, Sie geben sich als tadelloser Bürokrat,
bezeichnen sich selbst gar als Büroklammer. Sie sind
aber der einzige Minister dieses schwarz-gelben Chaoskabinetts, an dessen Akte ein Missbilligungsantrag und
ein Untersuchungsausschuss haften.
({21})
Es ist Zeit für eine neue und kritische Politik im Umgang mit Drohnen, die sich eben nicht nur von technologischen Verheißungen und Versprechungen der Rüstungsindustrie leiten lässt, sondern sich gerade auch mit
den Risiken dieser neuen Militärtechnologie auseinandersetzt. Hier ist Verantwortungsbewusstsein gefordert.
Wer dieses Verantwortungsbewusstsein nicht hat, der
sollte auch kein Ministerium leiten.
({22})
Das Wort hat nun Jürgen Hardt für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da
der Minister in sehr sachlicher Art und Weise ausgeführt
hat, warum die Überlegungen zur Anschaffung bewaffneter Drohnen sinnvoll sind, kann ich mich jetzt zunächst einmal darauf konzentrieren, mich mit den beiden
schockierendsten Wortmeldungen des heutigen Tages
auseinanderzusetzen: der des Kollegen Bartels und der
der Kollegin Brugger.
({0})
Lieber Kollege Bartels, am vergangenen Mittwoch
hat eine Ausschusssitzung stattgefunden. In dieser Ausschusssitzung hat der Minister mit keinem Wort irgendeine Verantwortung und irgendeine Schuld auf irgendeinen Untergebenen geschoben.
({1})
Während die Sitzung lief, hat die SPD bereits über die
Presse verbreitet, er hätte die Schuld auf Staatssekretäre
geschoben. Der Minister hat das Ganze zwei Stunden
später hier in der Aktuellen Stunde klargestellt.
({2})
Dass Sie diesen perfiden Vorwurf, von dem Sie wissen,
dass er einen Ehrenmann in besonderer Weise treffen
muss, hier heute wiederholen, ist, gelinde gesagt, eine
Sauerei.
({3})
Liebe Kollegin Brugger, wir mussten uns am Wochenende unsägliche Kommentare anhören: Lüge,
dreiste Lüge, doppelte Lüge.
Am Montag hat der Verteidigungsausschuss vier
Stunden getagt. In dieser Sitzung haben wir uns mit dieser Frage befasst. In diesen vier Stunden ist nicht von einem Mitglied der Opposition der Vorwurf der Lüge erhoben oder gar bewiesen worden. Und draußen stellen
Sie sich hin und wiederholen das. Das ist Verarschung
der Öffentlichkeit.
({4})
Das, was wir in der letzten Woche und in dieser Woche von der rot-grünen Opposition erlebt haben, ist für
mich der Wendepunkt in diesem Wahlkampf. Sie haben
sich entschieden, mangels Inhalten und Zielen einen
Schmutzwahlkampf zu machen.
({5})
Ich kann Ihnen sagen: Wenn Herr Bebel, Herr
Schumacher und Herr Brandt erleben müssten, wie die
SPD im Jahr 2013 meint die Bundestagswahl gewinnen
zu müssen, würden sie sich im Grabe umdrehen.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bartels?
Nein, danke.
Ich möchte zum Thema bewaffnete Drohnen sprechen. Ich kritisiere den Verteidigungsminister ungern;
aber Herr Steinbrück hat in der Rede von Drohnen gesprochen. „spd.de“ kann ich nur jedem empfehlen.
Schauen Sie sich dort das Original der Rede an. In dem
verbreiteten Manuskript ist in der Tat von bewaffneten
Drohnen die Rede. Ich will einmal nicht unterstellen,
dass das jemand hinterher noch in das Manuskript „hineingeflickt“ hat. Ich glaube eher, dass Herr Steinbrück
schlicht nicht wusste, wovon er redet.
({0})
Wir haben in der Bundeswehr seit den 70er-Jahren
Drohnen. Sie sind im Übrigen von Verteidigungsministern der SPD in Auftrag gegeben worden.
({1})
Zurzeit gibt es über 300 Drohnen bei der Bundeswehr; keine davon ist bewaffnet. Einige Dutzend davon
befinden sich im Augenblick in einem sinnvollen und
guten Einsatz in Afghanistan und an anderen Einsatzorten der Bundeswehr.
({2})
Das, was Herr Steinbrück zum Thema Drohnen sagte,
erinnert mich sehr an das, was Wilhelm II. über die
Autos gesagt hat. Er hat gesagt, er glaube an die Pferde;
das Automobil sei eine vorübergehende Erscheinung.
Wilhelm II. war vermutlich ein besserer Reiter als ein
Regierungschef. Ich denke, dass Herr Steinbrück möglicherweise ein besserer Flieger als ein Regierungschef
ist. Auf jeden Fall hat er von diesem Thema keine Ahnung.
({3})
Lassen Sie mich noch den Versuch einer sauberen Begründung machen, warum ich der Meinung bin, dass bewaffnete Drohnen, so wie sie die Bundeswehr einsetzen
würde, eine sinnvolle und notwendige Unterstützung der
Ausrüstung der Bundeswehr sein können.
Wenn wir auf die bewaffneten Konflikte der letzten
Jahrzehnte schauen, insbesondere auch auf jene, in denen die Bundeswehr im Einsatz war, so müssen wir doch
immer wieder feststellen, dass die besonders unschönen
Entwicklungen in diesen Konflikten - dass Kollateralschäden verursacht worden sind, dass vielleicht Einsatzführer aus der Not heraus über das Ziel hinausgeschossen sind - immer dadurch zustande kommen, dass
die jeweils zur Verfügung gestellte Ausrüstung nicht auf
den Einsatz und die Erfüllung des Auftrags passte. Ich
sage Ihnen: Wenn wir wollen, dass unsere Soldaten das
Völkerrecht achten und dass sie nach dem Grundsatz der
Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit Waffen in
robusten Einsätzen einsetzen, dann müssen wir ihnen ein
Spektrum von Waffen zur Verfügung stellen, das wir für
richtig halten, damit sie angemessen reagieren können.
({4})
In dem Augenblick, in dem wir über ein breiteres
Spektrum an Waffen verfügen - eben nicht nur über
Kampfflugzeuge, sondern auch über bewaffnete Drohnen -, haben wir bei klugem Einsatz durch die klugen
Offiziere der Bundeswehr die Möglichkeit, Eskalationen
von bewaffneten Konflikten eher zu vermeiden, als dass
wir sie schüren. Über diese Chance sollten wir hier seriös reden und seriös verhandeln.
({5})
In diesem Sinne denke ich, dass der Weg der Bundesregierung, zunächst eine intensive Diskussion über die
ethische Dimension dieser Waffen zu führen und dann
aber auch ganz konkret zu prüfen, wie man zu diesen
Waffen kommen kann, genau der richtige Weg ist.
Ich wünsche mir, dass wir das mit anderen Partnern
zusammen machen, dass wir das mit den Franzosen zusammen machen, vielleicht sogar mit den Engländern,
damit wir diese Art von Waffen auch für unsere Streitkräfte zur Schaffung von Frieden und zur Erhaltung des
Friedens in der Welt zur Verfügung haben.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Rainer Arnold für die SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Regierung
Merkel ging in den letzten Jahren ja viel hin und her. Es
gibt aber auch eine Kontinuität: Jetzt wird bereits beim
dritten Verteidigungsminister sichtbar, dass dieses wichtige Amt bei der CDU nicht in guten Händen ist.
({0})
Es gibt drei gute und wichtige Gründe, warum dieser
Minister nicht länger im Amt bleiben kann:
({1})
Den ersten hat er heute noch einmal selbst bekräftigt,
und zwar durch seinen Umgang mit der schwierigen Dimension und den ethischen Fragen bei Kampfdrohnen.
Herr Minister, Sie sagen, die Soldaten kennen die ethischen Dimensionen. Ja, das Problem ist aber, dass Sie sie
nicht richtig reflektieren.
({2})
Ein Minister, der die Debatte damit beginnt, dass
Waffen per se ethisch neutral sind, hat diese Dimension
eben nicht verstanden und nicht reflektiert,
({3})
und ein Minister, den seine eigene Koalition bremsen
muss, damit er nicht ganz schnell - hoppla hopp! - vor
der Bundestagswahl noch eine Entscheidung trifft und
Kampfdrohnen beschafft, hat dies auch nicht verstanden.
Jetzt reden Sie von einer breiten gesellschaftlichen
Debatte, und gleichzeitig sagen Sie, das Ergebnis kennen
Sie schon: Sie brauchen Kampfdrohnen. - Sie kennen
das Ergebnis schon vorher.
({4})
Ich sage Ihnen: Wir kennen es nicht, weil viele
schwierige Fragen zu beantworten sind: ethische - klar ({5})
und völkerrechtliche.
Wir brauchen eine Bundesregierung, die in New York
dafür streitet, dass es Nichtverbreitungsabkommen für
Kampfdrohnen gibt. Dieses System darf nicht in jedermanns Hände fallen. Begreifen Sie das denn überhaupt
nicht?
({6})
Wir brauchen in New York natürlich Impulse Deutschlands dafür, dass vollautomatische Systeme völkerrechtlich geächtet werden.
({7})
Herr Minister, wer die Große Anfrage und die Antwort Ihrer Bundesregierung liest, der erkennt: Das, was
Sie in sechs Monaten an Antworten zusammengetragen
haben, ist an Oberflächlichkeit ja nun wirklich nicht zu
überbieten. Ich mache es einmal sehr einfach:
({8})
Wie würden Sie denn antworten, wenn die Vereinigten Staaten, unser enger Verbündeter, Kampfjets mit Piloten nach Pakistan, in den Jemen und nach Somalia
schicken würden, wo Raketen abgeschossen werden
würden und Menschen ums Leben kämen? Würden Sie
dann in der Antwort auch ausweichend hin und her lavieren und sagen, es käme auf den Einzelfall an, ob dies
völkerrechtlich richtig oder falsch ist? Das ist eindeutig
völkerrechtswidrig.
({9})
Herr Minister, Sie machen es sich auch mit der Aussage, wir Parlamentarier hätten das alles in der Hand,
viel, viel zu einfach.
({10})
Wir tun gut daran, uns selbst bei solchen Fragen immer auch zu reflektieren.
({11})
Wenn ich das im Nachklapp tue, dann frage ich mich
persönlich schon - wenn Sie das nicht tun, dann ist das
Ihr Problem -, warum es beim Einsatz im Kosovo leichter gefallen ist, Tornado-Kampfjets in den Einsatz zu
schicken, die in Italien stationiert waren, während es viel
schwerer gefallen wäre, Bodentruppen hinzuschicken.
Herr Minister, es ist doch ganz klar: Der Einsatz von
Drohnen hat die Fähigkeiten und die Möglichkeiten,
Konflikte zu führen, in der Welt verändert. Einer Bundesregierung, die dies nicht reflektiert, werden wir keine
Kampfdrohnen in die Hände geben dürfen und können.
({12})
Der zweite Grund, warum Sie nicht länger im Amt
bleiben können, ist der Vorgang um den Eurofighter.
Letztendlich 600 Millionen Euro für nichts.
({13})
- Ja.
Ihre Strategie, Herr Minister, haben wir hier schon
vor einem Jahr kritisch diskutiert. Wir hatten schon immer den Eindruck, dass Sie eine konzeptionelle Idee haben, die lautet: Lasst doch die schwierigen Fragen möglichst gar nicht an den Schreibtisch des Ministers heran.
({14})
Das ist Ihr Konzept gewesen. Das hat sich jetzt ziemlich gerächt; das ist ganz offensichtlich.
Herr Minister, der Kollege der FDP hat gesagt, Sie
hätten alle Großvorhaben auf den Prüfstand gestellt. Das
war keine Hilfe für den Minister.
({15})
Hätte er das nämlich wirklich gemacht, dann hätte er
das Euro-Hawk-Problem natürlich auf dem Schreibtisch
gehabt und seriös bearbeitet.
Herr Minister, Sie sagen in der Tat, Sie haben nichts
gehört, und sagen gleichzeitig, der Flurfunk interessiert
Sie nicht so wirklich. Herr Minister, auf Ihren Fluren im
Ministerium - drüber und drunter - sitzen zwei beamtete
Staatssekretäre, zwei Parlamentarische Staatssekretäre,
ein Generalinspekteur und die Abteilung Politik. Das
sind allesamt Herren, die nicht irgendwer sind. Egal ob
auf dem Flur oder sonst wo: Wenn sie Ihnen etwas sagen, dann dürfen Sie das nicht mit „Flurfunk“ abtun,
sondern dann müssen Sie nachfragen und die Dinge klären, und das haben Sie nicht getan.
({16})
Herr Minister, wenn Sie jetzt sagen, dass Sie die Probleme nicht mehr wegdrücken und diese Reform zu
Ende führen wollen, dann verstehen das viele Soldaten
inzwischen nicht als Versprechen, sondern als Drohung;
({17})
denn Sie machen das in allen Bereichen sehr gerne so.
Herr Minister, Sie wollen auch eine Legende aufbauen: Von den 600 Millionen Euro könnte viel Geld gerettet werden, weil dieses sogenannte Missionssystem
- also die Aufklärung - weiter verwendet werden kann.
Sie tun dabei so, als ob man das einfach unter ein neues
Flugzeug schrauben könne. Nein, was dort im Augenblick erprobt wird, ist in erster Linie die Integration des
Systems in die Drohne. All das muss man bei jedem
neuen Flugzeug neu beginnen. Das wird wieder eine
dreistellige Millionensumme kosten. Sagen Sie das doch
ehrlicherweise!
({18})
Ich sage Ihnen heute schon: Auch Ihre Prognose, dass
das tatsächlich bis Ende September zertifiziert sein wird,
wird nicht eintreffen. Auch dies werden Sie nicht schaffen.
({19})
Der dritte Grund, Herr Minister, warum Sie nicht im
Amt bleiben können, ist - wie bei vielen Ministern, die
zurückgetreten sind - die Art und Weise, wie Sie die
Krise managen. Herr Minister, es ist ein Desaster, wie
Sie mit den zur Diskussion stehenden Fragen umgegangen sind. Natürlich werden Erinnerungen an Ihren Vorgänger wach. Der hat nämlich auch begonnen, mit nicht
haltbaren Statements die Medien zu füttern. Er musste
dann zurückrudern.
Nachdem er zurückgetreten war, kamen Sie ins Amt.
Da ging ein Aufatmen durch die Truppe und auch durch
die Reihen von uns Verteidigungspolitikern; denn wir,
Herr Minister, haben gedacht: Hier kommt einer mit Beamtentugenden; jemand, der sein eigenes Image, so zu
sein, durchaus kultiviert und damit - das ist auch ganz
klar - die Latte der Ansprüche entsprechend hoch legt.
Jetzt aber sieht die staunende Öffentlichkeit, Herr Minister: Es ist gar nicht so.
In der Tat haben Sie bei unserer ersten Debatte - Herr
Kollege Hardt, es ist nicht wahr, was Sie sagen - die
Probleme auf andere abgewälzt. Sie haben gesagt, Sie
wurden nicht informiert. Wenn ein Minister sagt, er behält sich personelle Konsequenzen vor: Was ist denn das
anderes als ein Abwälzen auf seine Untergebenen?
({20})
Herr Minister, ich stelle mir Führungsverantwortung anders vor, nämlich dass man sich nach außen stets vor
seine Mitarbeiter stellt und die notwendigen Konsequenzen innen diskutiert und durchsetzt.
Herr Minister, haben Sie einmal darüber nachgedacht,
was es für Ihre Untergebenen bedeutet, wenn sie in den
Zwiespalt geraten, wahrheitsgemäß berichten zu müssen: Wann hat wer was gewusst und wem gesagt? - Das
alles - wie Sie mit den Leuten umgehen, Herr Minister ist nicht schön.
({21})
Ich sage Ihnen am Ende eines, Herr Minister: Das
Zeitfenster, währenddessen Sie noch in Würde Ihre eigenen Entscheidungen treffen können - das ist für einen
Politiker ein Wert an sich -, wird sich nächstens schließen.
({22})
Ich erinnere Sie deshalb noch einmal daran, wie andere
Vorgänger auch in Ihrer Partei mit der Verantwortung
des Amtes umgegangen sind.
Ich nehme einfach einmal Minister Stoltenberg.
({23})
Er hatte gar keine persönlichen Verfehlungen begangen,
gar nichts. Er musste eine Waffenlieferung an die Türkei
verantworten, die nicht in Ordnung war, von der er aber
nichts gewusst hatte und nichts wissen konnte. Was hat
er bei seinem Rücktritt gesagt? Er sagte: Ich bejahe
meine Verantwortung als Parlamentsminister für den gesamten Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung. Und deshalb stelle ich mein Amt zur Verfügung. - Das ist Verantwortung.
Ich nehme ein anderes Beispiel, das eines Sozialdemokraten. Schorsch Leber - kein preußischer Beamter,
sondern Bauarbeiter und Gewerkschafter. Er hatte einen
mühsamen Weg, um hier ins Parlament und ins Ministeramt hineinzukommen. Er wurde mit einem Abhörskandal des MAD konfrontiert. Davon konnte er gar nichts
wissen. Was sagte Schorsch Leber - wie er nun einmal
war - politisch prägnant und kurz? Er sagte: „Politische
Verantwortung ist nicht teilbar.“
Herr Minister, nehmen Sie sich ein Beispiel an diesen
beiden Vorgängern: Politische Verantwortung ist nicht
teilbar.
Herzlichen Dank.
({24})
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Arnold, es ist schon erbärmlich, was
Sie in den letzten Tagen und heute hier aufgeführt haben.
({0})
Sie finden an der Amtsführung und an der Bundeswehrreform des Ministers inhaltlich nichts zu kritisieren, was
zündet und was die Öffentlichkeit wahrnimmt.
({1})
Jetzt versuchen Sie, ihn als Person zu diskreditieren.
({2})
Diese Strategie kann man in der Euro-Hawk-Debatte
sehr schön beobachten. Zuerst haben Sie sich in der Sache aufgeblasen und ganz laut gerufen: Fehlentscheidung! Und: Die Reißleine ist zu spät gezogen worden.
({3})
Der Minister hat dann letzte Woche sehr sauber und
gründlich dargelegt, dass die Entscheidung und auch der
Zeitpunkt der Entscheidung richtig waren.
({4})
Er hat auch berichtet, dass er, bevor er personelle Konsequenzen zieht, den Vorgang vernünftig aufklären will.
Auf dem Weg zu dieser Entscheidung gab es Fehler; das
hat der Minister dargestellt, das hat der Bundesrechnungshof dargestellt.
({5})
Der Minister hat auch die Konsequenzen daraus präsentiert. Damit ist Ihr schönes erstes Vorwurfskonstrukt in
sich zusammengefallen.
({6})
Dann haben Sie übers Wochenende versucht, an einer
einzigen Äußerung ein neues Konstrukt mit dem Vorwurf der Falschaussage aufzuziehen. Nachdem Sie die
Zitate genau gelesen haben, ist am Montag auch Ihr
zweites Konstrukt in sich zusammengefallen.
Lieber Herr Arnold, wann der Herr Minister von einer
richtigen Entscheidung erfahren hat, die zum richtigen
Zeitpunkt auf der in der Organisation richtigen Ebene
getroffen worden ist,
({7})
hat mit der ursprünglichen Sache gar nichts mehr zu tun.
Aber sei es drum. Der Vorwurf ist aufgeklärt. Sie haben
ihn ja auch im Verteidigungsausschuss am Montag gar
nicht mehr wiederholt. Nachdem Ihnen danach gar
nichts mehr eingefallen ist,
({8})
muss jetzt ein Untersuchungsausschuss her, in der Hoffnung, dass man irgendetwas findet, das man im Wahlkampf ausschlachten kann. Das ist Ihr Recht.
Aber glauben Sie ja nicht, dass Ihre Strategie in der
Truppe gutgeheißen wird. Die Soldaten sehen nämlich
ganz genau, dass es Ihnen nicht mehr um die Sache geht,
sondern nur noch darum, einen beliebten und erfolgreichen Verteidigungsminister persönlich fertigzumachen.
({9})
Als Union werden wir uns am Untersuchungsausschuss konstruktiv beteiligen und aufklären, was in dem
gesamten Prozess seit 2001 alles schiefgelaufen ist. Das
ist bei den Summen, um die es geht, auch angemessen.
Aber ich sage Ihnen eines voraus: Dabei wird klar werden, dass die Jacke von vornherein falsch eingeknöpft
worden ist. In den Zeiten der rot-grünen Regierungsverantwortung und in den Zeiten der Großen Koalition waren die Erwartungen der amerikanischen und deutschen
Seite, was den Aufwand für eine Zulassung betrifft, zu
unterschiedlich. Vor dem Hintergrund war die Grundsatzentscheidung richtig, zuerst einen Prototypen und
nicht gleich die ganze Serie zu bestellen.
Kollege Brandl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul?
Ich lasse die Frage zu.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben gerade gesagt, die Fehler lägen viele Jahre zurück und reichten bis
in die rot-grüne Regierungszeit hinein.
({0})
Können Sie mir erklären, wie Fehler aus einem Vertrag,
der im Januar 2007 unterschrieben wurde, und Fehler
aus einem Projekt, das erstmals im Januar 2007 beschlossen worden ist und für dessen Durchführung erst
dann Geld in die Hand genommen worden ist, schon in
der rot-grünen Regierungszeit angelegt gewesen sein
sollen?
({1})
Der Beginn des ganzen Projekts geht auf Rudolf
Scharping im Jahr 2001 zurück. Damals hatten die Amerikaner die Vorstellung, dass man dieses System, das
eine amerikanische Zulassung hatte, auch in Deutschland zulassen könne, die Zulassung quasi einfach umstempeln könne. Die deutschen Politiker, auch die verantwortlichen Politiker der SPD, hatten die Vorstellung:
Die Drohne fliegt im amerikanischen Luftraum. Wir
können sie auch bei uns ganz leicht in den Luftraum integrieren.
Das hat dazu geführt, dass man im Laufe der Zeit, bis
der Vertrag 2007 geschlossen worden ist, von den ursprünglichen Traumvorstellungen von Rot-Grün abgerückt ist
({0})
- ja, Sie werden es im Untersuchungsausschuss sehen und in dem Vertrag zumindest die Integration in den
Luftraum nicht mehr vorgesehen hat. Die Frage ist beantwortet.
({1})
Ich möchte Ihnen auch noch einmal die Dimension
der Frage, über die wir hier reden, darstellen. Noch nie
wurde in Deutschland ein unbemanntes Flugzeug in dieser Größe zugelassen. Zu Zeiten des Vertrages gab es
keine Vorschriften dafür, und es gab auch keine Erfahrung. Dank des Projekts Euro Hawk haben wir jetzt die
Vorschriften und die Erfahrungen, die uns bei den anstehenden Projekten helfen. Das ist ein unendlich wertvoller Schatz. Denn wir müssen diese Aufgabe schultern.
({2})
Wenn wir es nicht schaffen, unbemannte Flugzeuge in
Deutschland zuzulassen - das sollte auch die SPD interessieren; dabei geht es nämlich auch um Arbeitsplätze -,
dann hat die zivile Luftfahrtindustrie in Deutschland
keine Chance mehr.
Meine Damen und Herren, ich habe zwei Befürchtungen, was von dieser Debatte, die Sie anzünden, ausgehen
kann. Die erste Befürchtung ist: Ich will keine Bundeswehr, in der Probleme dadurch gelöst werden, dass sie
an die nächsthöhere Stelle weitergemeldet werden. Jede
Ebene muss die ihr zugewiesene Verantwortung übernehmen.
({3})
Genau das war in dem Projekt auch der Fall. Dafür zuständig waren die Staatssekretäre.
({4})
Die Entscheidungen, die sie getroffen haben, waren sowohl inhaltlich als auch vom Zeitpunkt her richtig.
Der zweite Punkt ist: Ich will keine Bundeswehr, in
der Rüstungsvorhaben bei Bekanntwerden von Problemen sofort abgebrochen werden. Dann hätten wir nämlich heute kein modernes Gerät, zumindest nicht aus
Deutschland.
Meine lieben Damen und Herren, bei Hochtechnologieprojekten gibt es immer und in jeder Branche Risiken
und Rückschläge. Fragen Sie die Automobilindustrie,
wie viele entwickelte Prototypen nicht in Serie gegangen
sind!
({5})
Deswegen entwickelt man schließlich Prototypen. Oder
konkreter: Fragen Sie, wie viele Projekte in der Automobilindustrie, in denen ein Auto ohne Fahrer einparken
soll, an Zulassungsfragen gescheitert sind!
({6})
Ich bin davon überzeugt, dass wir in zehn Jahren Autos
haben werden, die genau das können, genauso wie wir in
20 Jahren unbemannte Flugzeuge haben werden, die
ohne Pilot am Flugverkehr teilnehmen können.
({7})
Die Frage ist nur, wo sie hergestellt werden und wer sie
herstellt. Wer nicht den Mut hat, Neues auszuprobieren,
der kommt nicht voran. Man muss nur aus Rückschlägen
lernen und darf bei neuen Projekten nicht wieder die
gleichen Fehler machen.
Genau darum werden wir uns im Untersuchungsausschuss kümmern: dass die Fehler, die ja zugegebenermaßen in diesem Projekt mit gemacht worden sind, sich bei
zukünftigen Projekten nicht wiederholen.
({8})
Wir wollen das machen, damit wir mit der Bundeswehr
und auch mit der Luftfahrt in Deutschland weiter vorankommen.
Danke, meine Damen und Herren.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13898. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
({0})
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Fraktion Die Linke
abgelehnt.
({1})
Zusatzpunkt 6. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13899 mit dem
Titel „Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Unionsfraktion und - ({2})
Das Präsidium ist nicht einig.
({3})
- Ich bitte, von allen Unterstellungen gegen das Tagungspräsidium, egal wer hier vorne sitzt, abzusehen.
({4})
Die Präsidentin macht jetzt das, was in der Geschäftsordnung vorgesehen ist: Sie wiederholt die Abstimmung
und wird feststellen, ob das Präsidium einmütig das
Abstimmungsergebnis feststellen kann oder nicht. Ich
wiederhole die Abstimmung: Wer stimmt für diesen
Antrag? Es geht um die Drucksache 17/13899. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
({5})
Ich kann nichts daran ändern, dass im Präsidium eine
Schriftführerin das Abstimmungsverhältnis nicht so wie
die anderen sieht.
({6})
Daraus folgt, dass wir vorgehen, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in § 51 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung heißt es:
Ist der Sitzungsvorstand über das Ergebnis der Abstimmung nicht einig, so wird die Gegenprobe gemacht. Bleibt er auch nach ihr uneinig, so werden
die Stimmen gezählt. Auf Anordnung des Sitzungsvorstandes erfolgt die Zählung gemäß Absatz 2.
Abs. 2 wiederum besagt, dass ich Sie jetzt allesamt
auffordern muss, den Plenarsaal zu verlassen. Wenn dies
geschehen ist, werden wir per Hammelsprung das
Abstimmungsergebnis zum Antrag auf Missbilligung
der Amtsführung von Bundesminister de Maizière feststellen.
({8})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Saal zu
verlassen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, nach
Erledigung der notwendigen Geschäfte hier den Saal zu
verlassen.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin durch die
Geschäftsordnung gehalten, Sie aufzufordern, den Saal
zu verlassen, damit wir die Sachabstimmung durchführen können und das Abstimmungsergebnis festhalten
können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich höre gerade,
eine Voraussetzung, um die Abstimmung durchführen zu
können, ist schon erfüllt. Die Schriftführerinnen und
Schriftführer haben ihre Plätze an den Abstimmungstüren eingenommen. Nun bitte ich die Kolleginnen und
Kollegen, die noch etwas im Saal zu erledigen hatten,
dies zu beenden und den Saal zu verlassen, damit wir mit
der Abstimmung beginnen können.
Ich bitte um ein Zeichen, ob alle Kolleginnen und
Kollegen den Saal inzwischen verlassen haben. - Dann
Vizepräsidentin Petra Pau
erkläre ich noch einmal, was wir jetzt tun. Wir stimmen
ab über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13899 mit dem Titel „Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière“.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Saal zu betreten.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal
schon betreten haben, uns den Blick auf die Abstimmungstüren freizumachen, damit wir sehen, ob alle Kolleginnen und Kollegen ungehindert abstimmen können.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie erstens,
den Saal wieder zu betreten; zweitens bitte ich diejenigen, die dies vollbracht haben, uns bitte den Blick auf
die Abstimmungstüren freizumachen.
Ich bitte um ein Zeichen, ob noch Kolleginnen und
Kollegen vor dem Saal sind, die an der Abstimmung teilnehmen wollen. - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die noch in der Lobby sind, sich zu den Abstimmungstüren zu begeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, uns
den Blick auf die Türen freizumachen, damit wir feststellen können, ob noch Kolleginnen und Kollegen gehindert werden, an dieser Abstimmung teilzunehmen.
Ich bitte um ein Zeichen, ob ich die Abstimmung
schließen kann. - Dann bitte ich die Schriftführerinnen
und Schriftsteller
({12})
- Entschuldigung -, die Schriftführerinnen und Schriftführer, insofern schriftstellerisch tätig zu werden, als sie
mir jetzt bitte das Abstimmungsergebnis kurz und knapp
mitteilen.
({13})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um
Aufmerksamkeit für das Ergebnis der Abstimmung über
die Drucksache 17/13899. 307 Kolleginnen und Kollegen haben mit Nein gestimmt, 233 Kolleginnen und Kollegen haben dem Antrag zugestimmt, es gab keine Enthaltungen. Der Antrag ist damit abgelehnt.
({14})
Ich bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, die an
der Debatte weiter teilnehmen wollen und können, sich
zu setzen. Diejenigen, die uns leider verlassen müssen,
({15})
bitte ich, es uns zu ermöglichen, mit den Beratungen
fortzufahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({16}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 ({17})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({18}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien
({19}) und der Republik
Serbien vom 9. Juni 1999
- Drucksachen 17/13661, 17/13955 Berichterstattung:Abgeordnete Philipp MißfelderUta ZapfMarina SchusterWolfgang GehrckeMarieluise Beck ({20})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({21})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13956 Berichterstattung:Abgeordnete Herbert FrankenhauserKlaus BrandnerDr. h. c. Jürgen KoppelinMichael LeutertSven-Christian Kindler
Ich bitte diejenigen, die jetzt nicht an den Beratungen
teilnehmen können, sicherzustellen, dass diejenigen, die
hierbleiben wollen, hören und verstehen können, was
hier verhandelt wird.
Während offensichtlich noch umfangreiche Umgruppierungen im Parlament notwendig sind, informiere ich
Sie schon einmal darüber, dass zu diesem Tagesordnungspunkt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vorliegt und wir über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses später
namentlich abstimmen werden.
Für die nun folgende Aussprache ist eine halbe
Stunde vorgesehen. - Ich gehe davon aus, dass die hier
noch herrschende Lärmkulisse keinen Widerspruch zu
dieser Verabredung zum Ausdruck bringt, sodass so beschlossen ist.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion.
({22})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin sehr froh, dass erstmals eine Debatte
über das Kosovo eine so große Zuhörerschaft erreicht.
({0})
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen
und Kollegen der Opposition, die das durch ihr demokratietheoretisches Verfahren heute möglich gemacht haben.
({1})
Von den internationalen Engagements im Kosovo,
von den drei im Kosovo in den letzten zehn Jahren stattgefundenen internationalen Einsätzen, den Operationen
UNMIK, EULEX und KFOR, ist nach meinem Dafürhalten KFOR mit Abstand die erfolgreichste Operation
gewesen.
({2})
Ich persönlich verhehle nicht, dass ich mit dem Ergebnis der jahrelangen Bemühungen von UNMIK nicht
zufrieden bin. Ich glaube, auch bei der Wirksamkeit von
EULEX gibt es noch Raum für Verbesserungen. Das
KFOR-Mandat hat von Anfang an einen ganz wichtigen,
unverzichtbaren Beitrag zur Stabilisierung in sehr unruhigen Zeiten geliefert, zur Schaffung von Frieden, zur
Stabilisierung der Region. Dafür sollten wir allen Soldatinnen und Soldaten aller Nationen sehr dankbar sein.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte das zum Anlass nehmen, um der zum Teil in der Öffentlichkeit und
auch von Teilen des Parlaments wiederholt vorgebrachten Beschuldigung deutlich entgegenzutreten, Deutschland würde seinen internationalen Verpflichtungen unzureichend nachkommen. Diese Beschuldigung, die zum
Teil auch von einigen prominenten Exgenerälen in der
Öffentlichkeit immer wieder verbreitet wird, ist eindeutig falsch, und ich weise sie, ich glaube, für alle Fraktionen und für alle Koalitionen, die hier Verantwortung getragen haben, nachdrücklich zurück.
({4})
Gerade der Einsatz im Kosovo, bei dem Deutschland
bis zum heutigen Tage die - so lautet der Terminus technicus - Lead Nation, die Führungsnation, gewesen ist,
zeigt, dass wir bereit sind, dort, wo es notwendig ist, unseren Einsatz zu bringen.
Nun findet die Verlängerung des Kosovo-Mandates,
für die meine Fraktion plädiert, natürlich in einem politisch interessanten, spektakulären Umfeld statt, nämlich
im Umfeld der Fragestellung, ob es denn sinnvoll ist,
dass die Europäische Union Serbien ermöglicht, Beitrittsverhandlungen mit der EU aufzunehmen. Hierzu
wird die Europäische Union Ende dieses Monats eine
grundsätzliche Entscheidung fällen.
Ich bin sehr dafür, dass wir sehr genau überprüfen, inwieweit die beiden Parteien der Vereinbarung - Kosovo
und Serbien - ihre Verpflichtungen eingehalten haben
und inwieweit speziell die Implementierungsvereinbarung vom 25. Mai 2013 umgesetzt wird. Darin gibt es
Zeitlinien für Maßnahmen, die bis Ende Mai, bis Mitte
Juni, bis Ende Juni, bis Mitte Juli durchgeführt werden
sollen. Das sollten wir sehr genau beobachten.
Aber ich sage Ihnen auch: Die Tatsache, dass sich
diese beiden zerstrittenen, verfeindeten Parteien am
19. April 2013 auf ein grundsätzliches Übereinkommen
geeinigt haben, ist - ich sage das mit Bedacht - von historischer Bedeutung.
({5})
Erstmals hat Serbien damit anerkannt: Jawohl, es gibt
ein Staatswesen Kosovo. - Das ist ein bedeutsamer
Schritt für Serbien gewesen.
Auch ich bin dafür, dass wir Serbien und Kosovo hinsichtlich ihrer Verpflichtungen beim Wort nehmen. Aber
- das sage ich sehr deutlich - ich plädiere zugleich dafür,
dass die Grundsatzentscheidung über die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen jetzt Ende Juni getroffen wird.
Unser gemeinsames Verständnis sollte sein, dass wir
später überprüfen, ob die Implementierungsvereinbarung eingehalten wird. Das wird dann durch die Europäische Kommission oder den Rat der Außenminister,
wahrscheinlich im Dezember, überprüft. Wir sollten die
Grundsatzentscheidung aber nicht noch einmal aufschieben. Sie steht jetzt an. Wir werden diese Entscheidung
im Lichte der Stellungnahme der EU-Kommission fällen, die Ende Juni kommen wird. Ich bin guten Mutes,
dass wir dann zustimmen können.
Kollege Stinner, verzeihen Sie, ich unterbreche Sie
ungern - ich habe natürlich auch die Uhr angehalten -,
aber all meine Appelle, die notwendige Aufmerksamkeit
hier herzustellen und sicherlich notwendige Gespräche
nach draußen zu verlagern, haben bisher offensichtlich
keine Früchte getragen.
({0})
Ich bitte diejenigen, die sich über den Saal verteilt offensichtlich in Gesprächsgruppen zusammengefunden haben, diese Gespräche nach außen zu verlagern und die
notwendige Aufmerksamkeit für alle Rednerinnen und
Redner hier herzustellen.
({1})
Frau Präsidentin, ich bedanke mich ganz herzlich für
diese Intervention. Die Wogen schlagen heute hoch. Ihre Intervention veranlasst mich zu dem Wunsch, einmal in meinem Leben für fünf Minuten Bundestagspräsident zu sein. In einer solchen Situation würde ich die Sitzung unterbrechen und warten, bis Ruhe eingekehrt ist.
Das würde, glaube ich, disziplinierendere Wirkung haben als alle Ermahnungen. Aber das ist ein bescheidener
Beitrag von mir. Ich werde bedauerlicherweise nie in die
Position kommen. So ist das Leben.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch einmal sehr deutlich sagen, welches Signal
für Serbien, für die Region, aber auch darüber hinaus
von der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit diesem wichtigen Land auf dem Balkan ausgeht. Das dürfen und sollten wir nicht unterschätzen. Natürlich hat die
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Sogfunktion und
Beispielfunktion. Völlig klar ist, dass einige andere Länder in der Region - ich denke an Bosnien-Herzegowina
und auch an Mazedonien - natürlich wissen, dass sie
eventuell zurückfallen, wenn sie sich nicht entsprechend
anstrengen. Das will natürlich niemand. Ich hoffe, dass
die Beitrittsverhandlungen mit Serbien dazu führen, dass
auch in diesen Ländern, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina, endlich ein Veränderungsdruck, ein Reformdruck auf die Politik ausgeübt wird.
Von daher hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien wesentliche Auswirkungen politischer
Art über Serbien hinaus auf ganz Europa. Deshalb bin
ich guten Mutes, dass die Kommission uns Ende des
Monats einen Bericht vorlegen wird, der uns dazu bringen wird, diesen wichtigen Schritt der Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu gehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Susanne Kastner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin froh, dass die Emotionen jetzt wieder einigermaßen heruntergefahren sind, behandeln wir doch heute ein
Thema, bei dem sehr viele Gemeinsamkeiten vorherrschen. Jedermann und jede Frau von uns weiß, dass die
deutsche Beteiligung am KFOR-Einsatz der NATO ein
Erfolg ist. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten dort
seit vielen Jahren eine hervorragende Arbeit und genießen ein hohes Ansehen und Vertrauen in der Region.
An KFOR sind insgesamt 31 Nationen mit rund 5 000
Soldaten beteiligt. Deutschland ist dabei der größte
Truppensteller. Unsere Soldatinnen und Soldaten tragen
maßgeblich zur Stabilität in der Region bei und haben
zudem seit drei Jahren die Führungsverantwortung.
Insgesamt betrachtet ist die Lage im Kosovo zwischenzeitlich recht stabil. Allerdings gibt es im Norden
noch immer Unwägbarkeiten und Konfliktpotenzial zwischen den Kosovaren und der serbischen Minderheit. So
sperrig der Titel „Erstes Abkommen über die Prinzipien
über die Normalisierung der Beziehungen“ auch klingen
mag: Das Abkommen, welches im April zwischen dem
Kosovo und Serbien geschlossen wurde, ist in der Tat
ein historisches Abkommen. Auf dem Weg zu einem
friedlichen Miteinander wurde damit ein wichtiger Meilenstein erreicht. Nun gilt es, dieses Abkommen auch
konsequent umzusetzen.
Die Präsenz von internationalen KFOR-Truppen ist
im Sinne des Konzepts der drei Sicherheitsreihen jedoch
weiterhin erforderlich. Bislang sind die örtlichen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage, die Verantwortung für
die Sicherheit aller Bevölkerungsgruppen vollumfänglich zu übernehmen. EULEX als zweite Sicherheitsreihe
schafft es ebenfalls nicht, die Lage zu kontrollieren. Daher werden unsere Soldatinnen und Soldaten nach wie
vor gebraucht.
Mit einer Mandatsobergrenze von aktuell 1 850 Soldatinnen und Soldaten - derzeit werden effektiv 806 eingesetzt - haben wir den notwendigen Spielraum, um bei
Bedarf mit dem Bataillon der operativen Reserve in Krisensituationen umgehend reagieren zu können.
Fakt ist allerdings, dass der Einsatz keine Dauerlösung sein darf. Das erste KFOR-Mandat der Bundeswehr haben wir schließlich bereits im Jahre 1999 verabschiedet. Auch heute, fast auf den Tag genau 14 Jahre
später, ist der Auftrag leider noch nicht abgeschlossen.
Kaum einer hätte damals gedacht, dass sich die Bundeswehr im Kosovo so lange engagieren würde. Wir müssen
deshalb alles daransetzen, den politischen Druck auf die
kosovarische Regierung zu erhöhen, damit die Ausbildung der Sicherheitskräfte vorangetrieben wird. Unser
Ziel muss es sein, die Truppenstärke kontinuierlich zurückzufahren, um ein deutliches Zeichen zu setzen, dass
der KFOR-Einsatz eben keine Selbstverständlichkeit ist.
Seit Beginn des Einsatzes im Jahre 1999 haben bislang 100 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo ihren Dienst geleistet. Das ist eine extrem hohe
Zahl. Ich möchte mich daher im Namen des Deutschen
Bundestages ganz herzlich bei unseren Bundeswehrkontingenten bedanken, die zur Stabilisierung des Kosovo
beigetragen haben.
({0})
Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen
habe ich die Hoffnung, dass die Verantwortung in einigen Jahren komplett in kosovarische Hände gelegt werden kann. Ich denke, wir sind auf einem guten Wege, uns
Stück für Stück verzichtbar zu machen. Der Tag wird
kommen, an dem die KFOR-Truppen getrost abziehen
können. Doch bis es tatsächlich so weit ist, bitte ich Sie
um die Verlängerung des KFOR-Mandates, damit die
gute Arbeit vor Ort fortgesetzt und zum Ende gebracht
werden kann.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war nach
24 Jahren heute meine letzte Plenarrede. Es waren
24 spannende Jahre, in denen ich als Abgeordnete, tourismuspolitische Sprecherin, Parlamentarische Geschäftsführerin, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages,
Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen ParlamentarierDr. h. c. Susanne Kastner
gruppe und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses
im Bundestag tätig sein durfte. Seit gestern ist zudem gewiss, dass ich diese Legislaturperiode so beenden werde,
wie ich sie begonnen habe: mit einem neuen Untersuchungsausschuss.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren, als Vorsitzende des
Verteidigungsausschusses möchte ich ein herzliches
Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten richten.
Vor wenigen Tagen wurde die Sonderbriefmarke „Im
Einsatz für Deutschland“ vorgestellt.
({3})
Genau diesen Einsatz für Deutschland sollten wir nicht
nur stillschweigend, sondern auch anerkennend zur
Kenntnis nehmen.
Unsere Demokratie ist ein schützenswertes Gut, für
das sich unsere Soldatinnen und Soldaten tagtäglich und
vielfältig einsetzen. Sei es im internationalen Einsatz in
Afghanistan, im Kosovo, am Horn von Afrika oder aktuell bei der Bekämpfung des gewaltigen Hochwassers:
Unsere Bundeswehr leistet großartige Arbeit. Ich bin
stolz auf unsere Parlamentsarmee mit ihren unglaublich
engagierten Soldatinnen und Soldaten.
({4})
Den Soldatenfamilien gilt mein besonderer Dank. Ich
weiß um die alltäglichen Probleme, Sorgen und Nöte.
Bei jedem Einsatz sind die Angehörigen der Soldaten
ebenfalls direkt betroffen und müssen so manche Belastung ertragen.
Gerade das Zusammentreffen mit Hinterbliebenen hat
mich als Ausschussvorsitzende besonders bewegt. Ich
baue fest darauf, dass die in dieser Legislaturperiode begonnene Arbeit zum würdigen Gedenken an Soldatinnen
und Soldaten in der nächsten Legislaturperiode zielstrebig fortgesetzt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu sein, war ein arbeitsintensives und
verantwortungsvolles Amt. Ich möchte die zurückliegenden Jahre auf keinen Fall missen. Ich bin stolz und
dankbar, dass ich über all diese Jahre hinweg die Geschicke unserer parlamentarischen Demokratie ein Stück
weit mitgestalten durfte. Politik habe ich immer als
Dienstleistung an den Bürgerinnen und Bürgern empfunden. Mein Wahlkreis sorgte stets für die notwendige Bodenhaftung und das direkte Feedback. Das ist wichtig,
auch für unser Amt.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich ebenfalls beim Sekretariat des Verteidigungsausschusses und
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung und meines Büros recht herzlich zu bedanken. Sie haben nie auf die Uhr geschaut. Sie waren immer da, wenn sie gebraucht wurden. Das alles ist nicht
selbstverständlich. Gerade in dieser Zeit, in der ein neuer
Untersuchungsausschuss ansteht, möchte ich diesem
Team von ganzem Herzen für den Einsatz, das Engagement und die gute Zusammenarbeit danken.
({5})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in wenigen
Wochen endet die 17. Legislaturperiode. Zum Wohle unserer parlamentarischen Demokratie wünsche ich Ihnen
allen einen bewegten, aber fairen Wahlkampf und vor allen Dingen uns allen eine rege Wahlbeteiligung.
Vielen Dank.
({6})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Peter Beyer
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Frieden im Kosovo ist nicht selbstverständlich. Er ist ein fragiles
Pflänzchen, das es zu gießen gilt. Doch ohne Rankhilfe,
nämlich die Soldaten im Einsatz vor Ort, die KFORMission der Vereinten Nationen, wären die Sicherheit
nicht gewährleistet und die mit dem Frieden verbundenen Hoffnungen nicht realistisch. Nur mithilfe der internationalen Schutztruppe war es in der Vergangenheit
möglich, größeres Blutvergießen im Kosovo zu verhindern. Für ihren vorbildlichen Einsatz für die Sicherheit
und die Stabilität in der gesamten Region gebührt unser
aller Dank den deutschen Soldatinnen und Soldaten im
KFOR-Einsatz und in anderen Auslandsverwendungen.
({0})
Die geteilte Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo
hat in der Vergangenheit immer wieder ethnisch motivierte Gewalt erlitten. Seit Jahresbeginn gab es dort über
30 Anschläge mit Handgranaten. Immer noch wird die
EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX blockiert. Nach
wie vor ist ihre freie Bewegung in dem gebotenen Ausmaß nicht möglich.
Im März dieses Jahres bin ich zusammen mit einigen
Kollegen in Belgrad und sodann auch in Pristina gewesen. Dort haben wir uns mit dem EULEX-Chef, Herrn
Borchardt, zusammengesetzt und einige Dinge besprochen. Ein Beispiel ist mir sehr in Erinnerung geblieben:
Er erzählte uns davon, dass von zehn Versuchen, die kosovarischen Zöllner mit dem Auto statt mit dem Hubschrauber - eine sehr viel kostspieligere Variante - an
die Grenzübergänge zu bringen, acht fehlgeschlagen
seien. Aufgrund dieser Erfahrung sei man dann dazu
übergegangen, diese Versuche einzustellen.
Verehrte Kollegen, dies alles sind Gegebenheiten, die
die Freude über die doch vielen positiven Entwicklungen
in der Region, die wir durchaus zu verzeichnen haben,
ebenso trüben wie die Äußerungen des serbischen Premierministers Dacic. Er äußerte sich dahin gehend, dass
nur ein positiver Avis auf dem EU-Gipfel Ende Juni für
Serbien akzeptabel sei. Gäbe es kein grünes Licht für die
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, dann würde es
auch keine Umsetzung der Vereinbarungen mit dem Kosovo geben. Und er legte noch eine Schippe drauf: Das
Kosovo sei nach wie vor eine abtrünnige Provinz von
Serbien. An dieser Position ändere sich auch nichts
durch die jüngsten Abkommen vom 19. April und
26. Mai dieses Jahres. Und selbst wenn es ein konkretes
Datum gäbe, würde man das Kosovo nicht gewissermaßen im Tausch als unabhängigen, souveränen Staat anerkennen.
Verehrte Kollegen, diese vermutlich innenpolitisch
motivierte Rhetorik muss endlich aufhören. Sie ist unerträglich, sie ist überflüssig, und sie ist im Übrigen nicht
zielführend. Sie gießt Wasser auf die Mühlen derjenigen,
die ohnehin an einer Befriedung und an einer Annäherung der Region an die EU kein Interesse haben und insbesondere Gegenspieler der Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo sind. Jedoch,
verehrte Kollegen, die EU ist kein Basar, auf dem wir
Tauschhandel betreiben. Das muss auch der serbischen
Führung ein für alle Mal klargemacht werden.
Erst vor zwei Tagen hatte ich hier im Hohen Hause
die Gelegenheit, eine Abordnung von Kollegen aus dem
serbischen Parlament zu begrüßen und mit ihnen über
Fragen zu diskutieren. Mir wurde die Frage gestellt: Was
können wir als serbisches Parlament tun, damit es grünes
Licht gibt, damit ein konkretes Datum für die Aufnahme
von Beitrittsverhandlungen genannt wird? Mit wem
müssen wir sprechen? - Die einzig richtige Antwort darauf kann nur lauten: Es muss eine Umsetzung der
Selbstverpflichtungen aus den beiden vorhin von mir
schon genannten Abkommen vom April und Mai dieses
Jahres geben. Das können die beiden Länder nur selbst
machen. Wer der EU als Mitglied beitreten will, der
muss beitragen.
Schon jetzt allerdings - das möchte ich nicht verhehlen - hängt Serbien und hängen die Verhandlungsparteien dem eigenen Plan der Umsetzung der ersten
Vereinbarung von Prinzipien zur Regelung der Normalisierung der Beziehungen hinterher. Ich nenne aus einer
Fülle von Punkten nur zwei Beispiele:
Erstens. Die Einrichtung eines Managementteams,
das für die Errichtung des kosovarisch-serbischen Gemeindeverbandes zuständig ist, sollte bereits bis Ende
Mai dieses Jahres erfolgt sein.
Zweitens. Auch die Herstellung der vollständigen
Transparenz über alle Zahlungsströme aus Belgrad in die
Einrichtungen im Nordkosovo sollte bis Ende Mai umgesetzt sein; das ist aber noch nicht geschehen. Als
nächstes Datum wird jetzt, wie man hört, der 20. Juni genannt. Allein, wir müssen sehr genau hinschauen, ob der
Termin eingehalten wird.
Deshalb sage ich: Die Bundesregierung sollte sich auf
dem EU-Gipfel am 27./28. Juni nur grundsätzlich und
frühestens zum Jahr 2014 für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Serbien aussprechen. Zudem darf ein
konkretes Datum für den Beginn der Verhandlungen erst
dann festgelegt werden, wenn alle Verpflichtungen aus
der Umsetzungsvereinbarung vom 26. Mai nachweislich, vollständig und nachhaltig erfüllt sind. Dazu gehören insbesondere erstens die vollständige Auflösung der
illegalen Parallelstrukturen im Sicherheits- und Justizbereich im Nordkosovo und stattdessen die Errichtung
neuer Strukturen unter kosovarischer Führung, zweitens
die Einrichtung eines kosovarisch-serbischen Gemeindeverbandes und drittens die Abhaltung freier und fairer
Kommunalwahlen im ganzen Kosovo.
Das alles kann aber nicht davon ablenken, dass endlich ein gesamteuropäisches Konzept für die gesamte
Westbalkanregion entwickelt werden muss. Die Europäische Union kann in dieser für die Weiterentwicklung unseres Kontinents so wichtigen Region auch dann nur
glaubwürdig handeln, wenn wir in der Europäischen
Union endlich mit einheitlicher Stimme sprechen.
({1})
Daher appelliere ich an dieser Stelle, wie ich es schon
wiederholt getan habe, noch einmal ausdrücklich an die
fünf EU-Mitgliedsländer, sich endlich zusammenzuraufen und das Kosovo als eigenständigen, souveränen
Staat anzuerkennen. Dieser Schritt ist überfällig, und nur
dann ist die Europäische Union glaubwürdig.
({2})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss
und werbe für die Zustimmung zur Verlängerung des
KFOR-Mandats.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder
einmal soll es heute hier im Bundestag eine weitere Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo geben.
Seit nunmehr 14 Jahren stehen deutsche Truppen auf
dem Südbalkan. Selbst die Bundesregierung spricht in
ihrem Antrag von jährlich 60 Millionen Euro Zusatzkosten jenseits der Kosten für die Bereitstellung der
NATO-Infrastruktur für diese Truppenstationierung.
Wenn es eines Belegs dafür bedurfte, mit welchem
Ergebnis für die Menschen vor Ort die jahrelange Truppenstationierung verknüpft ist, dann liegt er jetzt vor;
denn er ist aus den Anträgen der Koalition und der Grünen selbst herauszulesen, die zu Recht die schlimme soziale, aber auch die fatale rechtsstaatliche Situation im
Kosovo und vor allem auch die miserable Situation der
Minderheiten, wie der Roma und der Serben, beschreiben. Gerade die jüngste Annährung zwischen der serbischen Regierung und der Kosovo-Administration zeigt
aber: Es muss hier um politische Lösungen gehen. Eine
Verewigung militärischer Präsenz, wie sie sich im
Kosovo nach 14 Jahren ja abzeichnet, wird lediglich zu
einer weiteren Verschlechterung der Situation der Menschen vor Ort führen.
({0})
Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass die Koalition mit ihrer harten Haltung gegenüber der serbischen
Regierung und der Weigerung, die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, jetzt auch noch diese Annäherung zu
torpedieren droht.
({1})
Erdogan lässt die Proteste in der Türkei niederknüppeln
und wird von Ihnen für seine Reformbemühungen mit
einem Vorantreiben des Beitrittsprozesses belohnt. Serbien aber wollen Sie offenbar regelrecht demütigen.
({2})
Statt zu unterstützen, satteln Sie immer neue Forderungen drauf.
({3})
Auch hier werden Sie von den Grünen überholt. Aber
das wundert ja immer weniger Menschen in diesem
Land - zu Recht, wie ich sagen muss.
({4})
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die grüne
Fraktion bei einem Auslandseinsatz der Bundeswehr
einmal mit Nein gestimmt hat.
({5})
Es scheint, als wirkten bei einer Mehrheit hier in diesem Haus noch immer antiserbische Feindbilder.
({6})
Während der Ruf nach Minderheitenrechten für albanischstämmige Kosovaren oder Bosniaken auf dem Balkan für Sie im Sinne einer ethnischen Parzellierung Leitmotiv Ihrer Außenpolitik war, meint man, die Serben mit
fortgesetzter militärischer Präsenz vor Ort in Schach halten zu müssen. Sie haben mit dieser Außenpolitik die
Büchse der Pandora mit geöffnet.
({7})
Sie müssen sich diese Frage einfach gefallen lassen: Mit
welchem Recht postulieren Sie ein Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren, das Sie den Serben im Norden
Kosovos einfach verweigern? Diese Frage müssen Sie
hier erst einmal beantworten.
({8})
Meine Damen und Herren, meine große Sorge ist,
dass die Bundeswehr in Zukunft noch direkter zur Unterdrückung der serbischen Minderheit im Kosovo in
Stellung gebracht wird.
({9})
Dass sie im Gegenteil eben nicht fähig oder willens
ist und war, Serben im Kosovo zu schützen, hat sie mit
ihrer unrühmlichen Rolle bei den Pogromen gegen die
Minderheiten im Kosovo 2004 bereits bewiesen.
({10})
Ich finde, dafür und für diesen Bundeswehreinsatz insgesamt sind nicht nur die jährlichen 60 Millionen Euro
Zusatzkosten viel zu viel, sondern dafür ist schon jeder
einzelne Euro zu viel.
({11})
Wir brauchen eine andere Balkan-Politik. Ziehen Sie
die Bundeswehr ab und unterstützen Sie endlich vorbehaltlos die politischen Lösungen in der Region! Damit
wäre den Menschen auf dem Balkan, aber auch den
Menschen hier mehr geholfen.
Vielen Dank.
({12})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Marieluise Beck das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist hier ja fast wie Dinner for One,
({0})
wenn ich nun wieder die Freude habe, auf die Linksfraktion zu antworten. Ich tue das aber noch einmal, weil es
wichtig für uns alle ist. In der Tat haben sich auch Grüne
überaus schwergetan, Militäreinsätzen zuzustimmen.
({1})
Wir haben da eine lange Geschichte und schwierige
Kämpfe hinter uns. Wir sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es gerechtfertigt war, dass sich andere
Länder militärisch gerade gegen die Aggressionen, die
im Ersten und Zweiten Weltkrieg von deutschem Boden
ausgingen, gewehrt haben und dass die Vereinten Nationen daraus die ethische Verpflichtung abgeleitet haben,
dass, wenn es wieder solche Aggressionen gibt, die
Marieluise Beck ({2})
Opfer nach Möglichkeit zu schützen sind. Dass wir im
Rahmen der von den Vereinten Nationen geführten Einsätze mit dabei sind,
({3})
ist tatsächlich eine Lehre aus dem vergangenen schrecklichen Jahrhundert.
({4})
Es war die Gesellschaft für bedrohte Völker, die uns,
als wir Grüne uns noch weigerten, händeringend gebeten
hat, endlich zusammen mit den UN in Bosnien zu intervenieren, weil dort der Genozid im Gange war. Dass es
so war, wissen wir heute. Aus ebendiesem Grunde ist im
Kosovo Militär eingesetzt worden. Das ist die Realität.
Dieses Militär hat keinen Frieden schaffen können.
So illusionär, zu glauben, dass das gelingen könnte, ist
heute niemand mehr. Wir wissen, dass Militär bestenfalls ein Feuer austreten kann; aber das Austreten des
Feuers ist Voraussetzung für einen politischen Prozess.
Dieser politische Prozess geht jetzt mit einem wunderbaren Schritt in die nächste Etappe,
({5})
nämlich mit einer grundsätzlichen Einigung zwischen
den Regierungen aus Belgrad und Pristina. Sie wollen
gemeinsam den Verhandlungsweg gehen, und sie wollen
gemeinsam den Weg in die Europäische Union suchen.
Dieser Weg wird noch schwierig sein. Es gibt viele Einwände und Fragen, die noch zu stellen sind.
Mich überzeugt eine Beobachtung aus Kroatien, das
ja einen ähnlichen Weg gegangen ist. Dabei handelt es
sich um eine Selbsteinschätzung im Rahmen eines Rückblicks. Die kroatische Präsidentschaft hat geschildert,
dass von Beginn der Verhandlungen an in Kroatien ein
Institutionenaufbau - der Aufbau einer fairen Justiz bzw.
von Rechtsstaatlichkeit, von Institutionen, die Bürgerinnen und Bürgern dienen - stattgefunden hat. Genau das
gab es im Rahmen des Prozesses der Annäherung an die
Europäische Union. Wir wissen, dass sowohl das Kosovo als auch Serbien in diesem Prozess des Institutionenaufbaus noch viel vor sich bzw. zu leisten haben. Der
Weg hin zu der Europäischen Union ist aber offensichtlich der richtige. Deswegen freuen wir uns über diesen
historischen Schritt.
({6})
Zum Schluss möchte ich - vor allen Dingen für meine
Kolleginnen und Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss, aber auch für meine Fraktion - der Kollegin
Susanne Kastner noch einmal von Herzen danken. Sie
waren eine hingebungsvolle und von uns allen sehr
respektierte Kollegin, die immer fair gewesen ist. Solche
Parlamentarierinnen tun uns allen hier im Hause gut. Ich
danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen alles Gute für die
kommenden Jahre.
({7})
Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fast genau auf den Tag vor 14 Jahren rückte die NATO
in das Kosovo ein. Damit wurde ein mörderischer Krieg
beendet. In diesen 14 Jahren seit 1999 wurde viel erreicht; aber bei weitem nicht alle Probleme wurden gelöst. Bis heute gibt es offene Wunden, Spannungen und
schwelende Konflikte.
Die heute vorgesehene Verlängerung des KFORMandates findet in einer angespannten Lage statt.
Marieluise Beck hat recht: Wahr ist, die KFOR - und damit auch die Bundeswehr als größte Truppe der KFOR kann nicht die Kohlen aus dem Feuer holen, die politisch
verursacht wurden. Das muss die Politik tun.
Die EU feiert ein derzeit stockendes Implementierungsabkommen - aus meiner Sicht verfrüht - als historisch. Dieses Abkommen ist dabei schon eine Art Wiederauflage. Schon lange sollte umgesetzt sein, was
mithilfe der Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel im Herbst
2011 angestoßen wurde, nämlich die echte Normalisierung des Verhältnisses zwischen Belgrad und Pristina.
Ich will diese Gelegenheit nutzen, heute unserer Bundeskanzlerin dafür zu danken, dass sie im Herbst 2011 mit
ihrer starken Haltung dafür gesorgt hat, dass in den Prozess der Annäherung zwischen Belgrad und Pristina wieder Bewegung gekommen ist.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind für eine
europäische Perspektive des Westbalkans einschließlich
Serbiens. Aber es bleibt völlig klar: Wir dürfen schwelende Konflikte nicht in die EU importieren, vor allem
keine, die wieder zu kriegerischen Konflikten führen
können. Deshalb brauchen wir unumkehrbare politische
Lösungen, die auch vor Ort funktionieren.
Nach all den Kriegen verweigern führende Politiker
in Belgrad bisher die völlige Anerkennung der territorialen Integrität von zwei Nachbarn: der Republik Kosovo
und Bosnien-Herzegowina. Das schafft Spannungen,
weil die Existenz der Staaten nicht sicher ist.
Diese Risiken müssen auch heute in der Debatte offen
angesprochen werden. Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen und sagen, dass alles auf Erfolgskurs wäre.
Machen wir bitte nicht den Fehler, die Lage falsch zu
beurteilen. Serbien hat Kosovo trotz des Abkommens
eben nicht anerkannt. Im Gegenteil: Zugleich mit dem
Werben um den EU-Beitritt bekräftigen in Serbien der
Ministerpräsident, der ehemalige Sprecher von Slobodan
Milosevic, der Präsident, bis vor wenigen Jahren glühender Verfechter von Großserbien, und der starke Mann,
der stellvertretende Ministerpräsident, in ihren öffentlichen Schwüren, Kosovo niemals anzuerkennen.
Herr Dacic, der Ministerpräsident, hat erst in den letzten Tagen klargemacht: keine Anerkennung, sogar für
den Fall des Beitritts. Seine Partei, die Sozialisten, haben
in dieser Woche mit einer Blockade des Abkommens gedroht, wenn man am Ende des Monats kein konkretes
Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen bekomme. Deswegen will ich klar sagen: Das ist nicht akzeptabel. Für uns gilt auch: Wir sind nicht erpressbar.
({1})
Es gibt hier ein einfaches Beispiel; denken wir an die
Vergabe des EU-Kandidatenstatus für Serbien im Frühjahr 2012. Kurz danach waren wir, gemeinsam mit Frau
Kastner, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses,
„an Gate 1“ im Norden Kosovos, hinter Mitrovica. Die
Soldaten haben uns berichtet, wie das genau abgelaufen
ist: Der serbische Teil hatte in Nord-Mitrovica Barrikaden zur Sperrung der Straße aufgestellt. Dann hat die EU
an Belgrad appelliert, sich doch bitte verhandlungsbereit
zu zeigen. Daraufhin wurden die Barrikaden weggeräumt,
und Serbien wurde der Kandidatenstatus verliehen. Danach wurden die Barrikaden wieder aufgebaut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dieser Erfahrung heraus sage ich: Ankündigungen genügen nicht
mehr. Deshalb sollten alle die Zeit nutzen. Wir wollen
sehen, dass es die Beteiligten ernst meinen.
({2})
Ein Serbienkenner der Stiftung Wissenschaft und
Politik, der nicht gerade im Verdacht steht, ein Freund
der Kosovaren zu sein, hat dieser Tage öffentlich und
deutlich gewarnt: Die Implementierung des so gelobten
Abkommens könnte gar zu Gewalt und Toten führen,
weil Radikale im Norden Kosovos gewaltsam gegen
eine Implementierung des Abkommens vorgehen würden. Dabei wären, so die deutliche Warnung, unschuldige Zivilisten, aber auch KFOR-Soldaten in unmittelbarer Gefahr.
Das überrascht überhaupt nicht. Seit Jahren blockieren Radikale, Nationalisten und organisierte Kriminalität
die Bewegungsfreiheit von KFOR und EULEX im Norden Kosovos. Es bleiben angespannte Zeiten zwischen
Serbien und Kosovo. In beiden Ländern sind die politischen Eliten - gelinde ausgedrückt - problematisch. Es
gibt in beiden Ländern - weit verbreitet - Korruption,
organisierte Kriminalität bis hin zu politischen Morden.
Zu oft gibt es keine Verfolgung dieser Straftaten; wenn
ja, dann geht es oft nach politischen Motiven und nicht
nach Prinzipien des Rechtsstaates.
Einen schlechten Ruf - auch das kann man nicht unerwähnt lassen - hat leider auch die EULEX im Kosovo.
Dazu hat sie selbst beigetragen. Dieses Versagen strahlt
inzwischen auch auf die EU ab. Die Autorität der EU vor
Ort sinkt. Die KFOR-Truppen sind in Wahrheit die einzig wirkliche Autorität. Die Risiken sind also massiv,
und sie bleiben massiv, selbst wenn wir sie verschweigen würden. Statt also zum falschen Zeitpunkt und viel
zu früh Hurra zu rufen, müssen wir unumkehrbare Vereinbarungen, vor allem von Serbien, fordern, damit die
Büchse der Pandora eben nicht aufgemacht wird, sondern ein für alle Mal geschlossen bleibt. Es darf keinen
Persilschein geben, sondern wir stellen Bedingungen,
die erfüllbar sein müssen, aber die dann auch erfüllt werden müssen.
({3})
Herr Ahtisaari, Friedensnobelpreisträger und derjenige, der das Abkommen im Kosovo zwischen Serbien
und Kosovo vor einigen Jahren ausgehandelt hat, hat gesagt - ich zitiere -:
Aber wir müssen sehr strikt sein. Wir dürfen niemandem erlauben beizutreten, der nicht alle nötigen
Kriterien erfüllt. Wir sollten hier von früheren EUErweiterungen lernen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ahtisaari hat
recht.
({4})
Wir tun also gut daran, klare Ansagen zu machen:
Kommt nach Europa; denn ihr gehört zu Europa. Aber
entscheidet euch für Europa! Macht unumkehrbar
Schluss mit der unseligen nationalistischen Vergangenheit! Und zeigt auch, dass es nicht um das Geld der EU
geht, sondern dass die Ideale wichtig sind!
Denn man muss sich vorstellen: Ein fast bankrottes
Land wie Serbien, das bisher über 2 Milliarden Euro an
deutschen Steuergeldern erhalten hat, finanziert in einem
Nachbarland illegale Strukturen mit bis zu 360 Millionen Euro, und zwar jährlich. Niemand darf sich täuschen: Wenn dieser Konfliktherd weiter schwelen wird,
kann er sich noch einmal und mit viel Gewalt entzünden.
Für uns muss gelten: Safety first. Die EU darf den
größten Konfliktherd in Europa nicht länger kleinreden.
Es darf nicht länger sein, dass um des lieben Friedens innerhalb der EU willen faule Kompromisse gemacht werden. Ziel ist ein dauerhafter Frieden auf dem Balkan. Solange der Frieden nicht stabil ist, bleiben KFOR und Co.
in der Verantwortung. Das tun sie seit 14 Jahren.
Kollege Brand, achten Sie bitte auf die Zeit.
Dafür danken wir den Soldatinnen und Soldaten, und
vor allen Dingen wünschen wir unseren Soldaten eine
glückliche Hand, die sichere Rückkehr und Gottes Segen
bei ihrer wichtigen Aufgabe.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses auf Drucksache 17/13955 zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im
Vizepräsidentin Petra Pau
Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 17/13661 anzunehmen. Wir stimmen über
diese Beschlussempfehlung namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen, und möchte Sie un-
terrichten, dass mir eine Erklärung nach § 31 unserer
Geschäftsordnung des Kollegen Hans-Christian Ströbele
vorliegt. Wir nehmen diese Erklärung entsprechend un-
seren Regeln zu Protokoll.1)
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an den
vorgesehenen Plätzen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir gleich noch
zu weiteren Abstimmungen kommen.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches
seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)
Ich bitte diejenigen, die an den weiteren Verhandlun-
gen und insbesondere an den folgenden Abstimmungen
teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, damit es dem Präsi-
dium möglich ist, die Abstimmungsergebnisse zweifels-
frei festzustellen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/13962. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:
a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Hilfe und Unterstützung für alle Opfer von
häuslicher Gewalt nach dem Gewaltschutzge-
setz
- Drucksachen 17/5069, 17/6685 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0}) zu dem An-
trag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin
Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Effektive Unterstützung und Schutz bei Ge-
walt gegen Frauen gewährleisten
- Drucksachen 17/12850, 17/13960 -
1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 31375 C
Berichterstattung:Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-BeckerMarlene Rupprecht ({1})-
Sibylle Laurischk-
Cornelia Möhring-
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({2})
- zu dem Antrag Marlene Rupprecht ({3}), Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung
stellen und deren Finanzierung sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Lazar, Ekin Deligöz, Josef Philip Winkler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundrechte schützen - Frauenhäuser sichern
- Drucksachen 17/1409, 17/259, 17/2070 Buchstaben a und c Berichterstattung:Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Marlene Rupprecht ({4})Nicole Bracht-Bendt Cornelia Möhring Monika Lazar
Die Fraktion Die Linke hat zu der Antwort auf ihre
Große Anfrage einen Entschließungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke.
({5})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
durch die Bundesregierung in Auftrag gegebene Lagebericht zur Situation des Schutz- und Hilfesystems bei Gewalt gegen Frauen hat gezeigt, in welch desolatem Zustand sich dieses zum Teil befindet, bezogen sowohl auf
Strukturen als auch auf Ressourcen. In der Anhörung im
Dezember des letzten Jahres wurde dieses Fazit durch
die Vertreterinnen der Schutz- und Hilfseinrichtungen
untermauert.
In der Antwort auf die Große Anfrage zum Gewaltschutzgesetz hat die Bundesregierung darauf verwiesen,
dass sie auf der Basis einer Bestandsaufnahme zur Lage
des Hilfesystems bei häuslicher Gewalt beurteilen wird,
ob und wie für alle gewaltbetroffenen Frauen eine angemessene Versorgung sicherzustellen ist. Trotz des Resultats des Lageberichts wie auch der Anhörung hat die
Bundesregierung bis heute nicht gehandelt.
({0})
- Traurig, aber wahr.
In ihrer Stellungnahme zum Lagebericht stellt die
Bundesregierung selbst fest, dass es ein struktureller
Nachteil sei - jetzt zitiere ich -, „dass die leistungsrechtliche Verortung der Hilfen für gewaltbetroffene Frauen
zur Zeit überwiegend über Normen des Sozialrechts erfolgt … und nicht auf den individuellen Hilfebedarf bei
Gewalterfahrungen“ zugeschnitten ist. In der Praxis
sieht die Bundesregierung allerdings dennoch keinen
Handlungsbedarf.
In den letzten Jahren wurde immer wieder auf die fatale Situation sowohl der betroffenen Frauen als auch der
Frauenhausmitarbeiterinnen hingewiesen, in welche
diese durch die Tagessatzfinanzierung kommen. Es gibt
bürokratische Hürden ohne Ende, und sie werden nicht
abgebaut. Ich zitiere die Leiterin der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser, Frau Eva Risse,
mit einer Antwort aus der Anhörung:
Ich kann Ihnen einmal darstellen, welche Unterlagen man für einen Arbeitslosengeld-II-Antrag benötigt:
({1})
- Vielleicht sollten die Kollegen, die sich mit Anträgen
zu Frauenhäusern nicht so gut auskennen, einmal zuhören; das ist nämlich hochinteressant.
({2})
Man braucht den Hauptantrag, die Anlage EK, die
Anlage Kl, die Anlage UH 1, die Anlage UH 2, die
Anlage VM, eventuell die Anlage BB, die Anlage
KDU, die Anlage Vermittlung, den Bewerbungsbogen Teil 1 und 2, die Kontoauszüge der letzten drei
Monate, die Anmeldung, den Sozialversicherungsausweis, den Nachweis über die Krankenversicherung, den Pass oder Personalausweis, Nachweise
über Kontoeröffnung, über Einkommen und Vermögen, einen Nachweis über die Beantragung von
Kindergeld, UVG-Leistungen,
- Unterhaltsvorschussgesetz-Leistungen Unterhaltsansprüche müssen geltend gemacht werden, Elterngeld muss beantragt werden und, wenn
man einen Anspruch auf BAföG oder Arbeitslosengeld I haben könnte, die entsprechenden Ablehnungsbescheide.
Alle diese Unterlagen müssen für jede einzelne Frau
und deren Kinder ausgefüllt, zum Amt gebracht und
beschieden werden. Vielleicht haben Sie jetzt eine Vorstellung von dem bürokratischen Aufwand, dem die
Frauenhausmitarbeiterinnen und die betroffenen Frauen
ausgesetzt sind. Aber Sie sehen ja keinen Handlungsbedarf. Das Interesse hier ist auch mal wieder einzigartig.
Das Einzige, was die Bundesregierung in dieser
Wahlperiode für die von Gewalt betroffenen Frauen mit
Anlaufschwierigkeiten auf den Weg gebracht hat, ist das
bundesweite kostenlose Hilfetelefon. Das ist - das muss
man zugestehen - eine gute Sache.
Auf der Pressekonferenz am 3. Juni verkündete unsere Familienministerin Schröder - auch nicht da! -,
„dass das Hilfetelefon die in das Angebot gesetzten Erwartungen erfüllt“. Bis zum Stichtag 29. Mai seien im
Schnitt 220 Anrufe täglich eingegangen; sie hoffe, dass
es noch mehr werden.
Nun hoffen wir auch, dass sich mehr Frauen an dieses
Hilfetelefon wenden, zum Hörer greifen und ihre Notsituation schildern. Aber was folgt dann? Es soll doch
weitervermittelt werden. Was wollen Sie als Regierung
machen, wenn dieses Angebot tatsächlich mehr Frauen
erreicht und dazu bringt, Hilfe zu suchen? Das Schutzund Hilfesystem kann doch schon jetzt nicht alle Frauen
auffangen. Wie sollen denn dann die erhöhten Zahlen
durch die Frauenhäuser bewältigt werden? Was soll aus
diesen Frauen werden? Handeln Sie endlich! Geben Sie
von Gewalt betroffenen Frauen endlich einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe, also einen gesetzlich verankerten Anspruch!
({3})
Sorgen Sie dafür, dass diesen Frauen und ihren Kindern
sicher, schnell, unbürokratisch und bedarfsgerecht
Schutz und qualifizierte Hilfe zuteilwird! Erarbeiten Sie
endlich einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen, der diesen Namen auch wirklich verdient!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Regierung können wir feststellen, dass der Bund in den letzten
vier Jahren überall da, wo er Verantwortung übernehmen
konnte, dies auch getan hat. Diese Bundesregierung hat
bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen also sehr
viel erreicht.
Was Sie so lapidar als einzige Maßnahme abtun, das
muss man wirklich noch einmal herausstellen. Seit dem
1. März 2013 haben wir das Hilfetelefon für von Gewalt
betroffene Frauen. Wir haben das so eingerichtet, dass es
wirklich für jede einzelne Frau, die sich dahin wendet,
funktionieren wird. Wir haben eine bundesweit einheitliche Rufnummer geschaltet. Unter der Rufnummer
08000 116 016 kann man anrufen und bekommt kostenlos, anonym und vertraulich Rat durch erfahrene Fachkräfte.
Das Wichtigste für uns war dabei, dass jede Frau, die
sich dahin wendet, egal ob sie der deutschen Sprache
mächtig ist oder nicht, Hilfe bekommt. Es stehen nämlich Dolmetscherinnen zur Verfügung, die am Telefon
zeitnah zugeschaltet werden können.
Für uns ist dieses Hilfetelefon die erste wichtige anonyme Anlaufstelle. Sie hat Lotsenfunktion mit Blick auf
die Erstberatung. Es geht darum, dass eine Frau, egal wo
im Bundesgebiet sie wohnt, Hilfe bekommt und erfährt,
wohin sie sich wenden kann. Deswegen sollen Betroffene informiert, auf die Unterstützungseinrichtungen vor
Ort hingewiesen und gegebenenfalls auch dorthin vermittelt werden.
Es reicht nicht aus, eine Einrichtung zu schaffen. Es
ist wichtig, dass man sie auch bekannt macht. Wir haben
also eine bundesweite Kampagne gestartet, um das Telefon bekannt zu machen und um allen Frauen nahezubringen, dass Gewalt gegen Frauen nicht toleriert wird, dass
es Hilfe gibt.
({0})
Es gibt eine Zwischenbilanz. Man kann sich natürlich
darüber streiten, ob es gut ist, dass sich viele an Stellen
wie das Hilfetelefon wenden, oder ob das schlecht ist.
Aber die Zwischenbilanz hat ergeben, dass es bei dem
Hilfetelefon innerhalb der ersten zwölf Wochen fast
19 000 Anrufe gab. Das sind mehr als 220 Anrufe täglich. Auf der einen Seite macht dies deutlich, dass das
Angebot gut angenommen wird. Auf der anderen Seite
wäre es schön, wenn es keinen einzigen Anruf gäbe, weil
keiner notwendig wäre. Aber es sind nun einmal fast
19 000 Anrufe eingegangen, und wir versuchen, den Betroffenen mithilfe dieses Angebots individuell zu helfen.
({1})
Wir haben weiterhin - auch das ist dieser Bundesregierung zu verdanken - einen eigenständigen Straftatbestand für weibliche Genitalverstümmelungen geschaffen. Die Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes
schätzt, dass in Deutschland ungefähr 24 000 Frauen von
Genitalverstümmelungen betroffen sind. Aktuell sind
immer noch 6 000 Frauen und Mädchen davon bedroht.
Die körperlichen und psychischen Folgen sind immens.
Deswegen wollen wir eine weitere Schärfung des Unrechtsbewusstseins der Öffentlichkeit. Es soll ein deutliches Signal an die betroffenen Frauen sein, dass wir auf
ihrer Seite stehen, indem wir dieses Verbrechen als ein
solches benennen, und auch die Eltern der gefährdeten
Mädchen sollen wissen, dass die deutsche Gesellschaft
hier nicht wegschaut. Auch das ist dieser Koalition zu
verdanken.
({2})
Weiterhin trat am 1. Juli 2011 das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat in Kraft. Auch damit wollen
wir betroffenen Frauen durch Regelungen helfen.
Wir haben außerdem einen Gesetzentwurf auf den
Weg gebracht, der es ermöglicht, dass Bordelle besser
kontrolliert werden, um Zwangsprostitution und Menschenhandel einzudämmen. Damit korrigieren wir die
unerträglichen Auswüchse des von Rot-Grün 2001 beschlossenen Prostitutionsgesetzes.
({3})
Denn es ist eine naive Annahme, dass alle Prostituierten
selbstbestimmte Sexarbeiterinnen sind. Leider Gottes
haben wir in Deutschland die Situation, dass jede Pommesbude besser kontrolliert wird als die Bordelle.
({4})
Deswegen kann man sagen: Manchmal ist gut gemeint
noch lange nicht gut. Rot-Grün hat Deutschland leider
Gottes zu einem Paradies für Zuhälter und Menschenhändler gemacht.
({5})
Dem setzen wir jetzt an dieser Stelle ein Ende.
Zuletzt sei der Frauenhausbericht der Bundesregierung erwähnt. Es ist die erste umfassende sozialwissenschaftliche Untersuchung, die aufzeigt, was Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen alles leisten. Für viele
Frauen und ihre Kinder ist die Flucht in ein solches
Frauenhaus der letzte Ausweg. Frauen können zum Beispiel auch in einer Region, in der sie nicht leben, in ein
Frauenhaus gehen.
({6})
Deswegen möchte ich meine heutige Rede auch dazu
nutzen, allen, die dort hauptberuflich, aber auch jenen,
die dort ehrenamtlich arbeiten, ein herzliches Dankeschön für ihre Arbeit in den Frauenhäusern in Deutschland auszusprechen.
({7})
Es gibt in den Ländern unterschiedliche Situationen.
Das ist - leider - richtig, weil nicht alle Bundesländer ihrer Verantwortung gerecht werden. Manche Bundesländer, wie Bayern, haben zusätzliche finanzielle Unterstützung auf den Weg gebracht. So wurde 2009 in Bayern
für die Frauenhäuser eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse um 13 Prozent durch das Land beschlossen. Leider kommt das Geld nicht immer an der richtigen Stelle
an, weil man bei manchen Kommunen nicht immer gewillt ist, eine durch das Land bewilligte höhere Förderung weiterzugeben. Aber die Hauptverantwortung der
Finanzierung liegt nicht beim Bund. Deswegen enthält
der Bericht zur Situation der Frauenhäuser auch weitere
Maßnahmen auf Bundesebene.
Wir nehmen unsere Verantwortung in allen Politikfeldern sehr ernst. Für uns ist diese Politik, die sich mit der
Gewalt gegen Frauen beschäftigt, nicht nur eine Politik,
die in unserem Ausschuss und in unserem Ministerium
angesiedelt ist. Deswegen möchte ich mich - das ist
mein letzter Satz - ganz herzlich bei der Staatsministerin
im Auswärtigen Amt, Frau Cornelia Pieper, bedanken,
die am 28. Juni um 10 Uhr zu einer Podiumsdiskussion
mit herausragenden, weltweit engagierten Frauen zum
Thema „Gewalt gegen Frauen - gelebte und geduldete
Wirklichkeit?“ in das Auswärtige Amt einlädt, weil es
für sie gerade auch in der Außenpolitik ein wichtiges
Thema ist. Deswegen, sehr geehrte Frau Staatsministerin, ein herzliches Dankeschön, dass Sie hier mit uns
Hand in Hand kämpfen.
Vielen Dank!
({8})
Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo“ bekannt: 553 Kolleginnen und Kollegen haben an der Abstimmung teilgenommen. Mit Ja
haben 495 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit
Nein 50, und 8 Kolleginnen und Kollegen haben sich
enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 553;
davon
ja: 495
nein: 50
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({15})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({16})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({17})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Vizepräsidentin Petra Pau
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({18})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({19})
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding ({22})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({23})
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({24})
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
({25})
Hubertus Heil ({26})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({27})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({28})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({29})
({30})
Annette Sawade
Axel Schäfer ({31})
Bernd Scheelen
({32})
Werner Schieder ({33})
Ulla Schmidt ({34})
Carsten Schneider ({35})
Swen Schulz ({36})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({37})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({38})
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({39})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({40})
Michael Link ({41})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({42})
Burkhardt Müller-Sönksen
({43})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({44})
Cornelia Pieper
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({45})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({46})
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Agnes Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({49})
Bärbel Höhn
Vizepräsidentin Petra Pau
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Undine Kurth ({50})
Nicole Maisch
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({51})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({52})
Dr. Valerie Wilms
Nein
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({53})
Kathrin Senger-Schäfer
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Sabine Zimmermann
fraktionsloserAbgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
SPD
Klaus Barthel
Petra Hinz ({54})
FDP
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Hans-Christian Ströbele
Wir fahren in der Debatte zum Tagesordnungspunkt 12 fort. Das Wort hat die Kollegin Marlene
Rupprecht für die SPD-Fraktion.
({55})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei die-
sem Tagesordnungspunkt behandeln wir a) die Große
Anfrage der Linken zum Thema „Hilfe und Unterstüt-
zung für alle Opfer von häuslicher Gewalt nach dem Ge-
waltschutzgesetz“, b) die Beschlussempfehlung und den
Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend zum Antrag der Grünen mit dem Titel „Ef-
fektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen
Frauen gewährleisten“ und c) die Beschlussempfehlung
und den Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zum Antrag der SPD mit dem Titel
„Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und
deren Finanzierung sichern“ und zum Antrag der Grünen
mit dem Titel „Grundrechte schützen - Frauenhäuser sichern“. Das ist das Thema dieser Debatte.
Wenn wir über das Thema Prostitution hätten sprechen wollen, dann hätten wir dazu einen eigenen Punkt
auf die Tagesordnung gesetzt; denn dieses Thema nimmt
genügend Raum ein.
({0})
Ich finde es nicht gut, wenn ein anderes Thema, das gesondert betrachtet werden muss, mit dem Thema Frauenhäuser vermischt wird. Manche Frauen, die ein Frauenhaus aufsuchen bzw. dort Zuflucht suchen, kommen
vielleicht aus der Prostitution; das kann sein. Aber diese
Frauen sind nicht die Hauptzielgruppe, wenn es um
Frauenhäuser geht.
({1})
Vermischen Sie also bitte nicht die Themen! Das tut den
Frauen nicht gut, und das tut vor allem uns nicht gut.
({2})
Eines möchte ich gerne sagen: Wenn wir bei manchen
Themen an bestimmten Punkten nicht vorankommen,
dürfen wir nicht lockerlassen. Es ist wichtig, dass wir
immer wieder darüber reden. Auch über dieses Thema
haben wir hier noch am 16. Mai dieses Jahres diskutiert.
Wir haben in der Vergangenheit sehr viel getan. Wir
müssen uns wahrlich nicht verstecken. Beim heutigen
Besuch des PACE-Generalberichterstatters José Mendes
Bota haben wir vorgetragen, was wir alles unternommen
haben. Wir müssen uns, wie gesagt, nicht verstecken.
Das gilt für alle in diesem Hause, die mit dazu beigetragen haben. Das gilt auch für die zuständige Abteilung im
Ministerium, die sich seit Jahren hartnäckig mit diesem
Thema beschäftigt.
Deswegen ist es umso unverständlicher, dass wir es in
einem Punkt nicht schaffen, voranzukommen: bei der Finanzierung von Frauenhäusern. Wir wissen, dass dieses
Marlene Rupprecht ({3})
Vorhaben verfassungsrechtlich problematisch ist, weil es
Bund-Länder-Kollisionen gibt. Aber es muss doch möglich sein, dass wir uns einigen. Dieses Thema gehört zur
öffentlichen sozialen Daseinsvorsorge, genauso wie die
Wasserversorgung in einer Gemeinde und die Kinderbetreuung auf kommunaler Ebene. All das betrifft die öffentliche soziale Daseinsvorsorge. Wir brauchen auch
den Schutz vor Gewalt. Es ist ein Menschenrecht, Schutz
vor Gewalt zu gewährleisten.
({4})
Wenn Frauen misshandelt werden und wir dies zulassen,
ist sogar ein Straftatbestand erfüllt.
Ich denke, unsere Ziele sind die gleichen: Wir wollen
schnelle, unbürokratische und bedarfsgerechte Hilfe für
alle von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder.
Diese Hilfe muss barrierefrei zugänglich sein und in geeigneten Räumlichkeiten angeboten werden. Das gibt es
allerdings nicht zum Nulltarif. Die Finanzierung muss
gesichert sein, damit die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser nicht Tag um Tag bangen müssen, ob es im
nächsten Monat weitergeht oder nicht.
({5})
Für diese Sicherheit müssen wir Politiker, die wir die
Entscheidungen treffen, sorgen.
({6})
Es gibt eine zweite Baustelle, bei der wir nicht vorangekommen sind: die Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarates. In dieser Konvention ist exakt beschrieben, was wir zum Schutz der Frauen vor
häuslicher Gewalt tun müssen. Wir müssen uns bei diesem Thema aber nicht verstecken. Vielmehr sollten wir
deutlich machen, was wir alles getan haben. So haben
wir zum Beispiel einen ersten und zweiten Aktionsplan
auf den Weg gebracht. Wir haben im Laufe der Jahre
durch kontinuierliche Befassung mit diesem Thema vieles erreicht. Allerdings frage ich mich: Wann ratifizieren
wir endlich diese Konvention? Damit würden wir auch
auf europäischer Ebene ein Zeichen setzen, nämlich das
Zeichen, dass wir vorneweg marschieren und nicht hinterherhüpfen.
({7})
Ich denke, es ist wichtig, dass wir im nächsten Parlament Abgeordnete haben, die gerade auch bei schwierigen Themen die Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen
hinweg suchen, damit sich etwas bewegt. Sonst bewegt
sich nämlich nichts.
Wir führen heute die Debatte zu einer prominenten
Zeit: Es ist jetzt 18.59 Uhr. Wir haben auch schon zu
späteren Zeiten debattiert oder gar nicht debattiert und
die Reden zu Protokoll gegeben. Ich wünsche mir kämpferische Kolleginnen und Kollegen, die sich wirklich um
dieses Thema kümmern; denn wir sind dabei noch nicht
am Ziel.
Ich wünsche mir aber auch - wenn ich einen Wunschkatalog anbringen darf - eine Entschleunigung von
Politik: dass wir uns für Gesetze Zeit lassen. Außerdem
sollten wir beispielsweise die Umsetzung einer EURichtlinie zum Menschenhandel oder zum Kinderhandel
nicht dazu nutzen, etwas, was vor zehn oder elf Jahren
gemacht wurde, zu ändern, ohne dass der dazugehörige
Bericht vorgelegt wird. Wenn man Entscheidungen trifft
oder später eine Revision durchführt, dann sollte man
das Wissen, das man erarbeitet hat - Deutschland ist
Weltmeister im Erforschen -, einfach auch nutzen.
Der erste Schritt ist also, Berichte vorzulegen. Dann
kann dieses Parlament zukünftig fach- und sachgerecht
adäquate Entscheidungen unter Einbeziehung der Betroffenen treffen. Das wünsche ich mir, das wünsche ich
Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen.
Ich hoffe, dass Sie, meine Kolleginnen und Kollegen,
in der 18. Legislaturperiode, in der ich dem Bundestag
nicht mehr angehören werde, genug Mut aufbringen, um
dies gemeinsam voranzubringen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Überschrift der heutigen Debatte lautet: Unterstützung
für Opfer häuslicher Gewalt. Dazu liegt eine Vielzahl
von Anträgen vor. Über allem steht natürlich das Thema
Frauenhaus.
Als ich vor elf Jahren in den Bundestag gewählt
wurde, war „Gewalt gegen Frauen, familiäre Gewalt“
mein Thema, weil ich es als Anwältin vielfältig bearbeitet habe. Mein Impuls war immer, in diesem Bereich zu
arbeiten. Ich stellte zu Beginn meiner Abgeordnetentätigkeit fest, dass sich der Bundestag damals im Jahr 2003
20 Jahre lang nicht mit dem Thema beschäftigt hatte; der
letzte Bericht stammte aus dem Jahr 1983.
Gemessen daran, haben wir in den vergangenen Jahren doch sehr viel gemacht, und zwar durchaus auch
fraktionsübergreifend. Meine Fraktion und ich haben uns
lange Zeit aus der Opposition heraus mit der Frauenhausfinanzierung befasst; wir haben Anhörungen durchgeführt und uns an der Frage der verfassungsmäßigen
Zuständigkeit abgearbeitet. Leider ist es in den verschiedenen Legislaturperioden so gewesen - es ist nach wie
vor so -, dass es in diesem Haus keine entsprechende
Mehrheit für eine Zuständigkeit des Bundes für die Frauenhausfinanzierung zu geben scheint. Um daran etwas
zu ändern, müsste die Verfassung geändert werden. Das
ist nicht so einfach.
Dennoch haben wir das Thema „Häusliche Gewalt,
Gewalt in der Familie“ sehr ernst genommen und an einer Lösung der Probleme gearbeitet. Wir haben ein
Bundeskinderschutzgesetz auf den Weg gebracht, wir
haben den Einsatz von Familienhebammen ermöglicht,
die dafür sorgen, dass Familien, die sich in einer schwierigen, stressigen, vielleicht auch gewaltbesetzten Situation befinden, lernen, gerade mit ihren kleinen Kindern
gut umzugehen. Ich denke, das sind flankierende Maßnahmen, die im Kampf gegen familiäre Gewalt notwendig sind. Es sind die flankierenden Maßnahmen, die ich
immer eingefordert habe. Dazu gehört also nicht nur die
Finanzierung von Frauenhäusern, sondern sehr viel
mehr.
Ebenso haben wir in dieser Legislatur auch das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ auf den Weg gebracht.
Es stand im Koalitionsvertrag, und wir haben gesagt:
Das muss möglich sein, es muss finanziert werden können. - Das haben wir hinbekommen. Auch da waren anfänglich durchaus Widerstände vorhanden; denn es ist
schon eine große Aufgabe, die das Ministerium zu stemmen hat, wenn ein solches Projekt auf den Weg gebracht
werden soll.
({0})
Der Erfolg gibt uns recht. Wir haben bei diesem
Hilfetelefon darauf geachtet, dass es ein Angebot auch
für Migrantinnen ist. Gerade Frauen, die sich in
Deutschland noch nicht so gut auskennen, die sprachliche Defizite haben und die Schwierigkeiten haben, um
Hilfe nachzufragen, haben hier eine relativ einfache
Möglichkeit, unbürokratisch konkrete Hilfe vor Ort zu
finden, indem sie ihre Probleme in ihrer Sprache am
Telefon benennen können. Das Hilfetelefon wird schon
jetzt gut angenommen. In Zukunft wird es für die Arbeit
gegen strukturelle Gewalt in der Familie große Bedeutung haben.
Darüber hinaus sind noch andere Tatbestände zu nennen, die ausdrücklich unter Strafe gestellt werden, zum
Beispiel die Zwangsheirat und die Genitalverstümmelung.
({1})
Dadurch wird klar: Gewalt, in welcher Form auch immer, wird in Deutschland nicht akzeptiert. Wenn Gewalt
ausgeübt wird, dann wird dies strafrechtlich verfolgt.
Ich komme nun auf die sehr spezielle Frage der vertraulichen Geburt zu sprechen, über die in der letzten
Woche hier im Bundestag aufgrund geschäftsordnungstechnischer Mätzchen der Opposition leider nicht debattiert werden konnte.
({2})
Wir haben die gesetzlichen Grundlagen für die vertrauliche Geburt geschaffen. Wir bringen damit deutlich
zum Ausdruck: Wenn schwangere Frauen in großer Not
sind, eventuell unter familiärem Druck stehen, keine
Aufenthaltsgenehmigung haben und einfach nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, dann stehen ihnen
Angebote zur Verfügung, damit sie ihr Kind in einem geschützten Raum zur Welt bringen können. Dadurch ist
auch der Schutz des Kindes gewährleistet; denn gerade
unter der Überschrift „Opfer häuslicher Gewalt“ ist es
wichtig, festzuhalten, dass es eben nicht nur um die
Frauen geht, sondern auch um die Kinder, die ebenso
Opfer und ebenso hilflos wie ihre Mütter sind.
Es ist mir wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Thematik der vertraulichen Geburt vielleicht nicht sehr viele Frauen betrifft, aber sie betrifft
Frauen in besonders großer Not. Für sie haben wir, die
Bundesregierung und die Regierungskoalition, nun ein
Angebot geschaffen, das sich sehen lassen kann.
({3})
Wir müssen uns weiterhin mit dem Thema häusliche
Gewalt beschäftigen. Leider sind wir noch lange nicht
am Ende. Dass sich dieses Problem nie ganz lösen lässt,
das sei dahingestellt. Wir haben das Unsere getan. Ich
wünsche mir, dass der nächste Bundestag an diesem
Thema weiterarbeiten wird.
Danke schön.
({4})
Die nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen
die Kollegin Monika Lazar.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass die Vorrednerinnen der Koalition ihre
Redezeit mit anderen Themen aufgefüllt haben, weil sie
sonst hätten zugeben müssen, dass sie in dieser Wahlperiode auf dem Gebiet der Finanzierung von Frauenhäusern viel zu wenig erreicht haben. Anders kann ich mir
das nicht erklären.
({0})
Ich kann die Wut des Kollegen Wunderlich durchaus
nachvollziehen. Ich kann auch verstehen, warum Sie als
Linksfraktion den Entschließungsantrag eingebracht
haben; denn es ist einfach so: Es ist zu wenig passiert.
Wir haben in den letzten Jahren häufig über diese
Thematik diskutiert. Wir alle wissen genau: Oft ist ungeklärt, wie die Finanzierung von Frauenhäusern sichergestellt werden kann. Es ist schwierig, eine ausreichende
Finanzierung hinzubekommen. Darin sind wir uns alle
einig.
({1})
- Natürlich sind die Kommunen und die Länder zuständig, aber auch der Bund steht in der Pflicht; denn es ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
({2})
den von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern
zu helfen.
({3})
Wir wissen: Die rechtlichen und haushalterischen
Schwierigkeiten sind groß, aber: Wo ein Wille ist, ist
auch ein Weg. Allerdings scheint bei der Koalition kein
politischer Wille vorhanden zu sein, sonst wären wir
weitergekommen.
({4})
Richtig ist: Das Hilfetelefon ist freigeschaltet. Ich
möchte daran erinnern, dass das Hilfetelefongesetz hier
einstimmig verabschiedet wurde. Wir haben das Vorhaben unterstützt, und wir finden es nach wie vor gut.
({5})
Dagegen sagt auch niemand etwas. Aber was ist
- Kollege Wunderlich hat das schon angemerkt -, wenn
sich vermehrt Frauen melden? Die Erstberatung findet
statt; das ist gut. Aber was ist, wenn sie an die örtlichen
Strukturen verwiesen werden? Was ist, wenn das Frauenhaus sie nicht aufnehmen kann? Wenn die Beratungsstellen nicht jeden Tag offen haben, dann stehen die
Frauen womöglich vor verschlossener Tür und haben
das Nachsehen. Das kann es doch nicht sein.
In dieser Wahlperiode wurde der Bericht vorgelegt. In
dem Bericht wird dargelegt, dass das derzeitige Unterstützungsangebot unterfinanziert ist. Daher müssen wir
uns überlegen, was wir dagegen machen wollen. In der
Anhörung waren sich alle Sachverständigen einig: Es
muss etwas getan werden. Aber - das ist bitter - es gibt
keine Vorschläge der Koalition dazu. Das ist wirklich
sehr traurig.
Die Vorschläge der Opposition liegen vor. Wir haben
vor vier Wochen über unseren zweiten Antrag in dieser
Wahlperiode zu dieser Thematik beraten. Wir haben uns
genau überlegt, wie wir mit dieser schwierigen Situation
umgehen können. Zumindest hätte man zu diesem
Thema eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wie in unserem Antrag vorgeschlagen, jetzt einrichten können, damit alle an einen Tisch kommen und sagen: Jeder trägt
seinen Teil dazu bei; keiner muss alles finanzieren, aber
jeder muss sich beteiligen; denn niemand ist mit dem
Umstand, dass die Frauen unzureichend abgesichert
sind, zufrieden.
Heute liegen die Anträge zu dieser Thematik zur Abstimmung vor. In der Opposition sind wir uns zum Glück
über die Richtung einig. Wir haben die Anträge mit
Absicht so lange Zeit im Verfahren gelassen. Wir haben
den Bericht abgewartet, und wir haben die Anhörung abgewartet. Ich persönlich habe immer gedacht, dass noch
etwas passiert. Aber es ist leider nichts passiert, sodass
wir über die Anträge heute abschließend beraten.
Die Koalition hat leider nichts gemacht. Deshalb kann
ich nur sagen: Wir müssen auf die nächste Wahlperiode
setzen. Mit der Wahl werden sich die Mehrheitsverhältnisse ändern, und mit der neuen Bundesregierung werden wir auch diese Probleme lösen. Von daher machen
wir in der nächsten Wahlperiode erfolgreich weiter.
Vielen Dank.
({6})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Nadine Schön für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegin Lazar, da Sie es so dargestellt
haben, dass wir jetzt nicht über Ihren Antrag debattieren
wollten
({0})
und deshalb unter diesem Tagesordnungspunkt verschiedene Themen ansprechen würden, muss ich sagen, dass
das schlicht falsch ist. Heute Abend gehen ungefähr
40 Punkte zu Protokoll. Wir können froh sein, dass wir
über dieses Thema noch einmal so ausführlich reden
können.
({1})
Ich bin froh, dass wir über den gesamten Themenkomplex Gewalt gegen Frauen sprechen können; denn es
sind wirklich wichtige Themen dabei. Das wird deutlich,
wenn man sich die Zahlen anschaut: Vier von zehn
Frauen haben seit ihrem 16. Lebensjahr schon einmal
körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Angesichts
dessen finde ich es wichtig, dass wir über den ganzen
Themenkomplex sprechen.
({2})
Wir haben das Thema Gewalt gegen Frauen in dieser
Legislaturperiode zum Schwerpunktthema unserer Frauenpolitik gemacht. Wir konnten einige Verbesserungen
für die Frauen erreichen.
Da ist zum einen das neu eingerichtete Hilfetelefon
Gewalt gegen Frauen; es ist bereits erwähnt worden. Es
ist seit März im Einsatz. Es kostet viele Millionen Euro,
aber das Geld ist, wie ich glaube, sehr gut angelegt. Das
Telefon ist 24 Stunden am Tag besetzt und gebührenfrei.
Die Anruferin kann anonym bleiben. Die Berater sprechen mehrere Sprachen. Die Nummer 08000 116 016
wird mittlerweile an vielen Orten beworben. Ich habe sie
Nadine Schön ({3})
im Internet und auf verschiedenen Druckerzeugnissen
gesehen. Man kann sie zukünftig auf Türen von öffentlichen Toiletten lesen. Überall, wo Menschen sind, wird
auf diese Nummer hingewiesen. Das ist eine gute Sache.
Durch diese Nummer werden vor allem die Frauen erreicht, die von Gewalt betroffen sind, die aber vielleicht
aus kulturellen, aus persönlichen, aus körperlichen oder
sprachlichen Gründen eben nicht den Weg zu Beratungsstellen finden oder nicht direkt ins Frauenhaus gehen. Es
geht um Frauen mit Migrationshintergrund, um Frauen
mit Behinderung und durchaus auch um Opfer von
Zwangsprostitution. Das, was Frau Rupprecht über diese
Frauen gesagt hat, fand ich nicht angebracht. - Wo ist
Frau Rupprecht eigentlich?
({4})
- Ach so, sie sitzt als Schriftführerin hinter mir.
({5})
- Die Perspektive zu wechseln, kann manchmal nicht
schaden.
({6})
Frau Rupprecht, ich fand es schade, dass Sie gesagt
haben, dass Opfer von Zwangsprostitution eigentlich
nicht zur Zielgruppe der Frauenhäuser gehören. Ich
finde, gerade Opfer von Zwangsprostitution gehören
durchaus zur Klientel der Frauenhäuser.
({7})
Das Hilfetelefon ist eine wichtige Verbesserung. Eine
weitere Verbesserung ist, dass wir die Strafverfolgung
intensiviert haben. In der polizeilichen Grundausbildung
ist das Thema häusliche Gewalt mittlerweile fester Bestandteil. Es gibt viele Fortbildungen in dem Bereich,
was sehr wichtig ist. Wir haben auch den rechtlichen
Schutz verbessert. Der Straftatbestand der Genitalverstümmelung ist schon erwähnt worden. Sie wird jetzt unter Strafe gestellt. Auch die Zwangsheirat ist ein Straftatbestand und wird ebenfalls unter Strafe gestellt. Beides
sind wichtige Meilensteine, die in dieser Legislaturperiode gesetzt wurden.
({8})
Wir beraten aktuell das Gesetz zum Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es ist leider so,
dass wir in Deutschland diesbezüglich die laschesten
Gesetze haben und dass es in Deutschland die meisten
Prostituierten gibt. Wer die Reportage in der ARD am
Montag gesehen hat, der hat wirklich sehr eindrücklich
erfahren können, dass sich diese Frauen in problematischen Situationen befinden. Das ist leider die Konsequenz aus der Liberalisierung, die 2002 unter Rot-Grün
beschlossen wurde. Ich weiß, dass es gute Absichten waren, die dahinterstanden, aber man muss der Realität ins
Auge sehen und erkennen, dass die Liberalisierung zu
Entwicklungen geführt hat, die nicht gut sind. An einer
Verbesserung müssen wir gezielt arbeiten - auch im Interesse der Frauen.
({9})
In einem ersten Schritt wollen wir, dass die Bordelle
stärker kontrolliert werden
({10})
und dass den Ordnungsämtern die Möglichkeit gegeben
wird, Auflagen und Einschränkungen zu machen und die
Kontrollen zu verstärken. Für meine Fraktion muss ich
auch sagen: Das reicht uns noch nicht, hier müssen wir
noch mehr tun. Auch im Aufenthaltsrecht und im Prostitutionsgesetz muss noch einiges getan werden.
({11})
Auch die Länder stehen in der Verantwortung, etwa
wenn es um die Flatrate-Bordelle geht. Da können die
Länder ihren Beitrag zur Verbesserung der Situation der
Frauen leisten.
({12})
Schließlich noch ein Satz zu den Frauenhäusern. Frau
Lazar, Sie haben gesagt, es werde einen Wechsel in der
Regierung geben. Selbst wenn das passiert, würden sich
die Zuständigkeiten, die durch die Verfassung gegeben
sind, leider nicht ändern. Für die Frauenhäuser sind nun
einmal die Länder zuständig. Es ist eine schwierige Situation, weil auch die Kommunen Geld geben und der
Bund über die Sozialgesetzgebung beteiligt ist. So haben
wir eine Mischzuständigkeit. Die führt - das ist leider
so - sehr oft zu Unsicherheiten und dazu, dass die Situation der Frauenhäuser sehr unterschiedlich ist.
Ich bin skeptisch, ob das Problem durch eine reine
Bundeszuständigkeit gelöst werden kann.
({13})
Zumindest finanziell geht es einigen Frauenhäusern sehr
gut. Ob es denen immer noch so gutgehen wird, wenn
der Bund dann alle über einen Kamm schert, weiß ich
nicht. Klar ist, dass man hier Wege finden muss, um die
Situation der Frauenhäuser zu verbessern. Es gab ein
entsprechendes Gutachten, es gibt auch Gespräche. Ich
bin mir sehr sicher, dass in der nächsten Legislaturperiode die verschiedenen Partner - Bund, Länder und
Kommunen - zusammenkommen und ganz konkrete
Schritte unternehmen.
Ich will zum Schluss meiner Rede all denjenigen ganz
herzlich danken, die sich in dieser Legislaturperiode für
all diese Themen in den unterschiedlichsten Ausschüssen eingesetzt haben, auch unserer Berichterstatterin
Elisabeth Winkelmeier-Becker und den Vertretern des
Ministeriums, die sich sehr intensiv für das Thema Gewalt gegen Frauen engagiert haben. Ich bedanke mich
Nadine Schön ({14})
vor allem bei denen, die in den Hilfsorganisationen, in
den NGOs, in den Frauenhäusern und in den Beratungsstellen tagtäglich vor Ort mit diesem Thema zu tun haben. Vielen Dank für die wertvolle Arbeit, die hier geleistet wird!
({15})
Ich bin mir sicher, dass auch in der nächsten Legislaturperiode das Thema Gewalt gegen Frauen uns - leider beschäftigen wird und dass die Politik hier ihre Verantwortung wahrnehmen wird.
({16})
Für die Fraktion der SPD hat nun Aydan Özoğuz das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte in der kurzen Zeit nur noch einen
Punkt hierzu anmerken.
Frau Schön, Sie haben es gerade angesprochen: Leider handelt die Bundesregierung bei diesem Thema
häusliche Gewalt durchaus widersprüchlich. Ich möchte
das Beispiel des 2011 verabschiedeten Gesetzes gegen
Zwangsheirat nennen. Das wurde im Rahmen der Aufenthaltsgesetzgebung beschlossen, in der auch viele gute
Punkte enthalten waren. Aber ich möchte dieses Gesetz
nennen, weil darin der Schutz der Opfer nicht ausreichend gestärkt wurde.
Verheerend daran war ja, dass die Ehebestandszeit,
also die Zeit, die vergangen sein muss, bevor ein ausländischer Ehepartner ein eigenständiges Bleiberecht bekommt, sehr willkürlich von zwei auf drei Jahre erhöht
wurde. Unter dem Strich hat die Regierung damit bewirkt, dass, wenn es ein Gefängnis Zwangsehe gibt, dieser Zustand sogar noch um ein Jahr verlängert wird. Das
kann man nun wirklich nicht als Schutz für die Frauen,
die betroffen sind, bezeichnen.
({0})
Außerdem müssen die Opfer von Zwangsheiraten
- das möchte ich noch hinzufügen - auch selber die Beweise für die Gewalt erbringen. Oftmals sind sie nicht in
der Lage, dies zu beweisen. Sie müssen es aber dokumentieren, auch wenn sie Angst vor dem Partner oder
seinen Familienangehörigen haben. An der Stelle - das
muss man festhalten - haben Sie es den Opfern deutlich
erschwert.
Ich möchte jetzt gerne meine übrige Redezeit nutzen,
um im Namen der gesamten Arbeitsgruppe einen ganz
herzlichen Dank an unsere Kollegin Marlene Rupprecht,
die mir gerade als Schriftführerin links im Nacken sitzt,
auszusprechen. Dies war voraussichtlich ihre letzte Rede
im Deutschen Bundestag. Für den 18. kandidiert sie
nicht mehr; das hat sie eben selber gesagt. Wer sie kennt,
der weiß, dass sie auch nach ihrer Zeit im Bundestag sicher nicht in den sogenannten Ruhestand gehen wird.
Das ist bei ihr unvorstellbar.
({1})
Sie war hier in unserem Haus und im Europarat seit
1996 eine unermüdliche Kämpferin für die, die keine
große Lobby hatten. Als jahrelanges Mitglied der Kinderkommission hat sie sich für die Rechte der Kinder
eingesetzt. Sie hat für Frauen in Notsituationen gekämpft. In Fürth hat sie ein Frauenhaus gegründet. Sie
ist Vorsitzende des Kuratoriums der Elly-Heuss-KnappStiftung, also des Deutschen Müttergenesungswerkes.
Sie hat für die Contergan-Opfer gestritten, für die Kinder
und Jugendlichen, die in staatlichen Heimen Opfer von
Gewalt und Willkür wurden. Sie hat sich für die Rechte
der Opfer von sexuellem Missbrauch eingesetzt, also für
die, die keine laute Stimme hatten.
So mancher Runde Tisch hätte ohne sie vermutlich
ein weniger gutes Ergebnis gehabt. Wer sie gut kennt,
weiß, dass sie in ihrer Handtasche stets eine kleine Ausgabe der UN-Kinderrechtskonvention dabei hat, die sie
auch manchmal herausholt, um daraus zu zitieren.
Liebe Marlene, dir gebühren unser herzlicher Dank
und eine ganz große Anerkennung für das, was du hier
geleistet hast.
({2})
Diesem Dank schließt sich offensichtlich das ganze
Haus an und natürlich auch das Präsidium.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/13905. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch
die einbringende Fraktion. SPD und Bündnis 90/Die
Grünen haben sich enthalten. CDU/CSU und FDP haben
dagegen gestimmt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/13960, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12850 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren gemeinsam dagegen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Frauen und Jugend auf Drucksache 17/2070, Buchstaben
a und c.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1409 mit dem Titel
„Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und
deren Finanzierung sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Dafür waren die
Koalitionsfraktionen, dagegen SPD und Bündnis 90/Die
Grünen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/259
mit dem Titel „Grundrechte schützen - Frauenhäuser sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren
dagegen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung- 17. Legislaturperiode - Drucksache 17/13674 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus ({0})Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und Medien
Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Das ist dann so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Für die Bundesregierung ergreift das Wort der Kollege Ernst Burgbacher.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie, dass ich vorab zu dem aktuellen Thema
Hochwasser etwas sage. Das Hochwasser hat gerade den
Tourismus ganz empfindlich getroffen; denn touristische
Einrichtungen sind in aller Regel in Flussnähe. Die Lage
vieler Betriebe, die wegen des völlig verkorksten Wetters sowieso schon in großen Schwierigkeiten waren,
wird jetzt bedrohlich. Deshalb wird die Bundesregierung
mit ihrer Soforthilfe alles tun, um Betrieben sehr schnell
zu helfen.
({0})
Der Zehn-Punkte-Plan, den Minister Dr. Rösler vorgelegt hat, zeigt, wie wir zum Beispiel auch mit entsprechenden Maßnahmen der KfW, die schon wirken, passgenau helfen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das große Problem
ist, dass viele Menschen jetzt meinen, sie müssten Reisen und Übernachtungen stornieren. Deshalb bitte ich
Sie und alle, die uns zuhören, den Menschen zu sagen:
Man kann überall hinfahren, man kann überall Urlaub
machen, es gibt überhaupt keinen Grund, diese Gebiete
jetzt zu meiden. - Das müssen wir den Menschen sagen.
({1})
Die Bundesregierung hat in diesen Tagen ihren Tourismuspolitischen Bericht mit der Bilanz der letzten vier
Jahre vorgelegt. Ich kann mit berechtigtem Stolz sagen:
Wir haben in dieser Legislaturperiode wirklich eine
Menge für den Tourismus in Deutschland erreicht. Wir
haben den Blick dafür geschärft, dass der Tourismus
eine Wachstumsbranche ist. Wir haben unsere wachsende Beliebtheit in der Welt als freundliches Reiseland
für eine neue Willkommenskultur in unserem Land genutzt. Wir haben uns außerordentlich starkgemacht für
Barrierefreiheit im Deutschlandtourismus: Jeder soll unsere Infrastruktur nutzen können; auch das bedeutet
„Willkommenskultur“.
({2})
Wir haben die ländlichen Räume im Deutschlandtourismus gegenüber den ohnehin attraktiveren Städten aufgewertet, indem wir den touristischen Leistungsträgern
auf dem Land konkrete Hilfen bei Qualität, bei Innovation und beim Marketing an die Hand gegeben haben ein zentrales Projekt, das heute schon große Erfolge
zeigt.
Meine Damen und Herren, entgegen allen Unkenrufen hat sich die Senkung der Mehrwertsteuer für die Hotellerie als äußerst erfolgreiches Investitions- und Modernisierungsprogramm für die deutsche Hotelbranche
erwiesen. In diesem Haus hört man immer Unkenrufe,
draußen geben Vertreter aller Parteien zu: Das war ein
Riesenerfolg.
({3})
Wir haben geeignete Strategien zur Gewinnung von
Fachkräften entwickelt und verfolgen im Augenblick
schon ganz konkrete Ansätze.
Wir haben die internationale Dimension des Tourismus gestärkt. Ich habe mich persönlich stark dafür eingesetzt, dass beim Treffen der G 20 zum ersten Mal der
Tourismus gewürdigt wurde und Perspektiven für die
Entwicklung des Tourismus in das Abschlusskommuniqué aufgenommen wurden. Das ist ein großer Erfolg.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Tourismus in
Deutschland läuft rund; das zeigt der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung 2013. Der Tourismus
ist ein ökonomisches Schwergewicht, er ist ein Jobmotor
in Deutschland: 2,9 Millionen Erwerbstätige sind direkt
im Tourismus beschäftigt; das sind 7 Prozent aller Erwerbstätigen. Die Bruttowertschöpfung liegt bei fast
100 Milliarden Euro. Das sind gute Zahlen.
Reisende verwenden 280 Milliarden Euro für den touristischen Konsum. 20 Prozent davon betreffen übrigens
Geschäftsreisen. In diesem Bereich sind wir sehr stark.
Wir sind das Kongress- und Messeland Nummer eins in
Europa. Das zeigt, dass die Rahmenbedingungen richtig
gesetzt wurden. Mit über 407 Millionen Gästeübernachtungen wurde dieses Jahr zum ersten Mal die 400-Millionen-Grenze überschritten.
({5})
Ich will hier sagen: Wir sind stolz auf „Made in Germany“. Aber auch „Holiday in Germany“ steht hoch im
Kurs. Die Dynamik ist mit 8 Prozent Zuwachs bei Übernachtungen von Menschen aus dem Ausland wirklich
enorm. Damit konnte Deutschland im Vergleich zum europäischen und weltweiten Durchschnitt doppelt so stark
zulegen. Darauf können wir wirklich stolz sein.
({6})
Das ist auch ein Verdienst der Deutschen Zentrale für
Tourismus, deren Mittel wir noch einmal erhöht haben
und die in der Welt hervorragende Arbeit für den Standort
Deutschland macht. Auch dies trägt mit dazu bei, dass immer mehr Menschen aus der ganzen Welt zu uns kommen.
Jetzt gilt es, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Hier gibt es viele Dinge. Ich denke an die Sommerferienregelung. Ich denke aber auch an Verbesserungen
bei der Visapolitik. In diesem Bereich haben wir vieles gemacht und arbeiten aktuell noch weiter daran.
Manchmal muss man auch Dinge verhindern. Ich bin
zum Beispiel froh, dass wir den Hygiene-Smiley verhindert haben. Das hätte keine zusätzlichen Informationen
gebracht, aber eine gewaltige Bürokratie.
({7})
Tourismus ist eingebettet in die allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Dass wir so gut sind, dass wir Wachstum haben, dass wir fast Vollbeschäftigung, eine geringe
Arbeitslosigkeit und eine Steigerung bei den verfügbaren
Einkommen haben, wirkt sich natürlich im Tourismus unmittelbar aus. Deshalb ist die erfolgreiche Wirtschaftspolitik dieser Regierung mit ursächlich für die tollen Zahlen
im Tourismus; auch das darf man sagen.
({8})
- Das ist kein Selbstlob, lieber Kollege Hacker. Schon
Wilhelm Busch hat sehr treffend gesagt:
Froh schlägt das Herz im Reisekittel,Vorausgesetzt, man hat die Mittel.
Genau das ist der Punkt.
Es waren gerade im Bereich Tourismus vier gute
Jahre für Deutschland.
({9})
Ich bin sehr stolz darauf, dass ich daran ein Stück weit
mitwirken durfte. Ich habe 15 Jahre für den Tourismus
gewirkt. Ich habe mich entschieden, nicht mehr zu kandidieren. Ab November werde ich die guten Rahmenbedingungen nutzen und selbst dafür sorgen, dass die Zahlen weiter nach oben gehen.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen, vor allem bei denen des Tourismusausschusses, ganz herzlich bedanken. Wir hatten immer
eine tolle Atmosphäre, überall ein gutes Vertrauensverhältnis. Herzlichen Dank dafür. Ich blicke mit Freude auf
diese Zeit zurück und freue mich auf neue Herausforderungen. Ich freue mich aber vor allem darauf, dass es mit
dem Tourismus weiter steil nach oben geht.
Herzlichen Dank.
({10})
Herr Burgbacher, auch Ihnen im Namen des ganzen
Hauses herzlichen Dank für Ihre engagierte Arbeit. Wir
freuen uns natürlich sehr, dass Sie sich jetzt auf andere
Weise dem Tourismus widmen wollen. Wir wünschen
Ihnen dabei viel Erfolg, Freude und Heiterkeit.
({0})
Ich gebe für die SPD-Fraktion dem Kollegen HansJoachim Hacker das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor allen Dingen einen herzlichen Gruß an die Besuchergruppe aus meinem Wahlkreis.
Lieber Ernst Burgbacher, auch vonseiten der SPD
ganz herzliche Wünsche für die künftige Zeit. Du warst
immer ein verlässlicher, kollegialer Partner. Wir werden
dich hier vermissen. Wir wünschen dir eine gute Zeit,
vor allen Dingen Gesundheit, und natürlich auch eine
gute rot-grüne Tourismuspolitik in der nächsten Legislaturperiode.
({0})
- Das wird schon eintreten, Herr Liebing. - Meine sehr
verehrten Damen und Herren, so viel zur Vorrede.
Die Bundesregierung hat auf der Zielgeraden dieser
Legislaturperiode den Tourismuspolitischen Bericht vorgelegt. Darüber können wir heute noch einmal diskutieren. Der Bericht spiegelt viele positive Daten wider, die
Herr Staatssekretär Burgbacher teilweise schon vorgetragen hat. Sie nochmals zu nennen, will ich mir ersparen,
weil andere Kolleginnen und Kollegen diese Zahlen
möglicherweise auch noch einmal zitieren.
Die Wertschöpfung beträgt 97 Milliarden Euro. Das
sind 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vergleicht man
diese Branche mit anderen Branchen, zum Beispiel mit
der Automobilindustrie, dann kann man zu dem Ergebnis kommen: Wenn über den Tourismus in Deutschland
wöchentlich so viel in den Zeitungen stünde wie über
Volkswagen, über Mercedes oder über andere deutsche
Spitzenmarken, dann wären wir wohl noch zufriedener.
Das heißt, wir in der Politik müssen noch mehr tun, damit der Tourismus in Deutschland öffentlich noch besser
wahrgenommen werden kann. Denn hier findet Beschäftigung statt, hier findet Wertschöpfung statt. Viele Deutsche machen zunehmend in Deutschland Urlaub; mehr
Ausländer kommen zu uns. Ich sage an dieser Stelle
auch: Hoffentlich kommen bald auch mehr Ausländer in
die neuen Länder. Insoweit bestehen noch Defizite.
Diese haben unterschiedliche Ursachen, auf die ich hier
nicht eingehen kann.
Herr Staatssekretär, wir sind uns in einem Punkt völlig einig: Den Opfern der Flut an Elbe, Mulde, Saale und
Donau muss geholfen werden. Da gibt es keinen Streit
zwischen uns. Wir haben in dieser Woche im Tourismusbeirat darüber gesprochen. Heute hat es hier in Berlin
eine Beratung mit den Ländern darüber gegeben. Das,
was im Moment als Soforthilfe zur Verfügung steht,
reicht - wir wissen es alle - längst nicht aus. Gestern war
der Präsident des Deutschen Bauernverbandes im Ausschuss. Er nannte eine dreistellige Millionenzahl allein
für den Bereich der Landwirtschaft. Wir wissen, was
noch hinzukommt: Handel, Gewerbe, privates Eigentum. Wir werden also eine so große Anstrengung machen müssen wie 2002, und das wird Deutschland auch
leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland präsentiert sich gut im Bereich des Tourismus. Ich denke an
unser Aushängeschild, die ITB. Wir müssen alles tun,
damit diese gute Präsentation fortgesetzt wird. Lobhudelei allein hilft in keinem Lebensbereich weiter, auch
nicht in der Politik. Deswegen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, müssen wir jetzt einmal
über das Eingemachte reden, müssen wir über Dinge reden, die wir gemeinsam verbessern müssen und bei denen die Bundesregierung in den letzten vier Jahren auch
ein bisschen mehr hätte zeigen können, Herr
Burgbacher.
Ich nenne insbesondere den Bereich Ausbildung und
Arbeit im Gastgewerbe. Das sind Dinge, die den Menschen auf den Nägeln brennen, die den Unternehmen auf
den Nägeln brennen. Manche sprechen heute mit einem
Mal von Fachkräftemangel. Das hätte man eigentlich
schon vor 16 Jahren hochrechnen können. Wer vor
16 Jahren nicht geboren wurde, kann heute die Schule
nicht verlassen. Das ist eine ganz einfache Rechnung.
Deswegen wundert es mich manchmal schon, dass jetzt
aus heiterem Himmel eine Diskussion über fehlende
Fachkräfte geführt wird.
Ich denke aber, wir müssen den Finger noch tiefer in
die Wunde legen und fragen: Wie finden Ausbildung sowie Beschäftigung nach der Ausbildung insbesondere im
Bereich der Gastronomie und der Hotellerie in Deutschland statt? Wie werden junge Leute in den Schulen auf
die Ausbildung vorbereitet? Wie ist eigentlich die Entlohnung insbesondere in den Bereichen Gastronomie
und Hotellerie? Das sind nämlich die Bereiche, in denen
die meisten Probleme bestehen. Ich sage: Hier besteht
großer Nachholbedarf.
Es kann nicht richtig sein, dass ungefähr 40 Prozent
der Auszubildenden, die ihre Ausbildung im Bereich der
Gastronomie und Hotellerie beginnen, diese abbrechen.
Das ist ein Skandal. Das betrifft die jungen Leute, die
Unternehmen, aber genauso die Gesellschaft. Hier wird
Zeit und hier wird auch Geld verschwendet.
Die hohe Zahl der Fachkräfte, die später nicht im Beruf bleiben, ist alarmierend. Vor zwei Wochen war ein
Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit im Tourismusausschuss. Die Zahl der Köche auf dem Arbeitsmarkt, die in
Wirklichkeit nicht mehr in diese Branche zurückwollen,
alarmiert uns allesamt. Hier muss mehr getan werden,
und hier müssen Antworten gegeben werden. Die Antworten müssen zuallererst von der Branche selbst gegeben werden. Sie muss eine bessere Vorbereitung auf die
künftige Ausbildung leisten, und sie muss auch ordentlich entlohnen. Ordentliches Entlohnen bedeutet für uns
die Zahlung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Herr Brähmig. Das ist unser Ziel.
({1})
- Da können Sie noch so viel mit dem Kopf schütteln.
Wir haben das unter Rot-Grün begonnen und in der Großen Koalition fortgesetzt. Wir brauchen in Deutschland
einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.
Ich wundere mich darüber, dass sich Vertreter aus der
Branche über den Fachkräftemangel beklagen, aber
gleichzeitig Mindestlöhne ablehnen. Ich habe mir von
einer Gewerkschaft einmal eine Tarifübersicht zu den
Löhnen im Hotel- und Gaststättengewerbe geben lassen.
Diese Übersicht enthält auch Stundenlöhne von unter
7 Euro, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern und in
Brandenburg. Aber auch im Saarland beträgt der Stundenlohn nur 7,68 Euro. Diese Zustände können und dürfen wir nicht akzeptieren. Deswegen appelliere ich hier
an die rechte Seite des Hauses.
({2})
- Die Tarifautonomie, Herr Kollege Fuchs, hat in diesem Bereich ja nicht funktioniert.
({3})
Das war ja unsere Überlegung in den 90er-Jahren.
Weil das dort nicht funktioniert hat, brauchen wir den
gesetzlichen Mindestlohn. Wir haben das doch auch
schon gemacht: Es gibt doch gesetzliche Mindestlöhne
in neuen Branchen.
({4})
Wir werden das auch weiter so machen, weil das notwendig ist. Wir wollen, dass menschliche Arbeit anerkannt wird und dass die sozialen Sicherungssysteme in
Deutschland nicht ausgehöhlt werden. Wir wollen die
Widersprüche im Wettbewerb beseitigen, die durch solche Lohndrückereien entstehen. Das ist ganz wichtig.
({5})
Die SPD will, dass prekäre Arbeitsverhältnisse,
Schwarzarbeit und vor allen Dingen auch die Verletzung
des Jugendschutzes in Unternehmen endlich ein Ende
haben. Das spielt in der Hotel- und Gastronomiebranche
eine Rolle. Wer die Branche kennt, weiß, wovon ich
rede. Ich rede nicht von allen, aber ich rede von den
schwarzen Schafen, und das muss hier benannt werden.
Lieber Kollege Burgbacher, es reizt mich, hier auch
noch ein Wort zur Steuerpolitik zu sagen. Sie loben die
Absenkung der Mehrwertsteuer im Bereich der Hotellerie; dieses Loblied habe ich mehrfach gehört. Warum haben Sie sie eigentlich nicht auch für die Gastronomie
gesenkt? Ihr Kollege Finanzminister musste ein sechsseitiges Papier schreiben, damit man Ihre Steuerregelung
in der Branche überhaupt anwenden konnte. Das nenne
ich Bürokratieabbau im wahrsten Sinne des Wortes.
({6})
Wir haben ja nicht nur Gewerkschaften oder uns nahestehende Organisationen befragt, sondern wir haben
auch die Bankenwirtschaft befragt, was sie dazu sagt.
Herr Kollege.
Bitte?
Sie sind am Ende Ihrer Redezeit angekommen.
Frau Präsidentin, ich habe eigentlich noch drei Seiten;
aber ich sehe schon, Sie geben mir heute nicht die
Chance.
({0})
Nein.
Deswegen will ich meine Rede mit einem guten
Wunsch und damit beenden, zu sagen, dass man die Tourismuspolitik der Bundesregierung nicht alleine mit
Hochglanzbroschüren beschreiben kann, sondern sich
auch den eigentlichen Problemen widmen muss. - Ich
sehe, dafür haben Sie Verständnis.
Herzlichen Dank und alles Gute.
({0})
Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Hacker, wir arbeiten wirklich
schwer daran, dass die neue Bundesregierung wie die
alte Bundesregierung heißt.
({0})
Zum Hochwasser. Bedauerlicherweise hat der bayerische SPD-Spitzenkandidat Ude
({1})
unserem Ministerpräsidenten Seehofer Hochwassertourismus vorgeworfen.
({2})
Dabei hat er nichts anderes als seine Pflicht getan
und, wie es sich für einen Regierungschef geziemt, Verantwortung für sein Land gezeigt und sich gekümmert.
Nun aber zu unserer Debatte. Ich finde es klasse, dass
wir heute den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch
debattieren; denn wir haben Anträge eingebracht, Initiativen gestartet, Kongresse organisiert, Gesetze angeschoben und beschlossen. Ein wichtiges Gesetz ist für
mich beispielsweise das Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr.
({3})
Ich bin überzeugt, dass das Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung an Akzeptanz gewinnen und sich
bewähren wird, wie das in den Bereichen Bahn, Bus und
Schiff längst der Fall ist.
({4})
Tourismuspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, aber
auch Ländersache. Das heißt, die konkrete Planung, die
Entwicklung und die Förderung liegen in der Verantwortung der Bundesländer. Der DTV, der Deutsche Tourismusverband, übernimmt hier sicherlich eine wichtige
beratende Rolle. Wir als Bund sind zuständig für die
Verbesserung der Rahmenbedingungen, aber auch für
die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Eines der wichtigsten Projekte, das wir in dieser
Wahlperiode gestartet haben, war zweifellos das Projekt
„Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“. Aus
viel Kleinarbeit und fachlicher Zuarbeit ist ein Arbeitspapier entstanden, das modellhafte Lösungswege aufzeigt und in diesem Fall auch größtmögliche Praxisnähe
aufweist.
({5})
- Lieber Kollege, es ist ein Arbeitspapier entstanden, zu
dem ich sagen kann: Diejenigen, die es nicht gelesen haben, kritisieren es. Diejenigen aber, die es gelesen haben,
sagen: Klasse, Frau Mortler, klasse, Bundesregierung,
endlich ein Arbeitspapier, das wir zu Hause umsetzen
können.
({6})
Wir wollen, dass die Betriebe beständig an der Qualitätsschraube drehen und weiter an Profil gewinnen.
Außerdem wollen wir, dass die Landestourismusorganisationen mit Tourismusvermarktern neue Kooperationslösungen suchen und zur Professionalisierung der Leistungsträger beitragen. Weiterhin wollen wir, dass wir
Bundespolitiker für optimale Rahmenbedingungen von
der Infrastruktur bis hin zur Förderstruktur sorgen.
({7})
Dazu habe ich heute ein Gespräch mit der Landwirtschaftlichen Rentenbank geführt. Ich finde es klasse,
dass man sich jetzt in unsere Richtung bewegt und unter
dem Titel „Leben auf dem Land“ verstärkt auf Finanzierungen für Tourismusprojekte im ländlichen Raum setzt.
({8})
Ich verweise außerdem darauf - das ist viel zu wenigen
bekannt -, dass die Landwirtschaftliche Rentenbank
schon seit vielen Jahren den Kommunen in den ländlichen Räumen attraktiv, unbürokratisch und schnell tagesaktuelle Finanzierungsmöglichkeiten anbietet.
Meine Damen und Herren, Staatssekretär Burgbacher
hat die Wirtschaftskraft der Tourismusbranche sehr gut
aufgezeigt. Betrachtet man die Konsumausgaben, die in
unserem Lande in diesem Bereich zustande kommen,
dann reden wir zusätzlich von 280 Milliarden Euro.
Dazu tragen vom ADAC bis hin zur Willy-ScharnowStiftung viele Akteure bei. Auf Bundesebene sorgen
70 relevante Akteure für Vielfalt im Deutschlandtourismus.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband ist sicherlich ein wichtiger Spieler. Es gibt 2,9 Millionen Arbeitsplätze in der Branche insgesamt. Im Hotel- und
Gaststättenbereich haben 1,7 Millionen Beschäftigte ihr
Ein- und Auskommen. Ich begrüße es, dass wir in diesem Zusammenhang ein Projekt zum Thema Fachkräftesicherung gestartet haben, das der Branche, wenn es abgeschlossen ist, sicherlich helfen wird. Es zeigt aber
auch uns Politikern verschiedene Handlungsansätze auf.
Besonders am Herzen - auch da haben wir ein Projekt
gestartet - liegt mir der Tourismus für alle bzw. Barrierefreiheit für alle. Ich weiß, dass das ein ehrgeiziges Ziel
ist. Wir wollen einheitliche Kennzeichnungen, einheitliche Qualitätsstandards und eine gemeinsame Internetplattform. Ein Gespräch, das gestern beim BDO, beim
Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer, stattfand, hat uns Folgendes aufgezeigt: Was nützt ein barrierefreier Bus, wenn die Infrastruktur in der Kommune
nicht passt? Das heißt, wir müssen in Zukunft den Blick
verstärkt auf die gesamte Kette richten.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur ins Inland, sondern auch ins Ausland geblickt. Ich erwähne in
diesem Zusammenhang das Thema „Tourismus und
Menschenrechte“. Ich bin stolz, dass ich dabei war, als
Generalsekretär Rifai von UNWTO, der internationalen
Tourismusorganisation, in Montenegro zusammen mit
wichtigen Vertretern der deutschen Tourismusbranche
den sogenannten Weltethikkodex unterschrieben hat,
nach dem Motto: Tourismus und Menschenrechte, das
ist kein Selbstläufer. Ich bin außerdem stolz darauf, dass
es uns diese Woche im Tourismusausschuss gelungen ist,
gemeinsam einen Brief an den Botschafter von Ägypten,
aber auch an den Regierungschef von Ägypten mit folgendem Inhalt zu schicken: Wir finden es skandalös,
dass nach der Schließung von Stiftungen und der Verurteilung von unschuldigen Mitarbeitern, wie im Falle der
Konrad-Adenauer-Stiftung, einfach zur Tagesordnung
übergegangen wird. - Vielen Dank, dass ihr hier alle
Flagge gezeigt habt.
({10})
Sind Sie damit am Ende Ihrer Rede?
Frau Präsidentin, habe ich nicht ausnahmsweise noch
eine Minute Redezeit? Ich möchte gerne noch ein paar
Dankesworte an den Staatssekretär richten, der heute
zum letzten Mal gesprochen hat.
Sie hatten ausnahmsweise schon eine Minute Redezeit mehr.
Ein herzliches Dankeschön dafür, dass wir die Zusammenarbeit mit Griechenland verbessert haben, dass
wir gesagt haben: Wir nehmen euch an die Hand, wir
wollen euch helfen. - Ein Dankeschön an den gesamten
Ausschuss. Vor allem aber auch ein Dankeschön an die
Deutsche Zentrale für Tourismus, die unser Flaggschiff
im Ausland ist.
Frau Mortler.
Zuletzt hat sie mit der Gründung eines Büros in Belgrad zusammen mit dem DCC, dem Donaukompetenzzentrum, einen weiteren Leuchtpunkt gesetzt, um für
Deutschlandtourismus im Ausland zu werben.
Frau Präsidentin, ich bitte um Verzeihung und möchte
am Schluss noch einmal klarstellen:
({0})
Tourismus ist ein Zukunftsmotor.
Ich glaube, Herr Brähmig wird sauer.
Wir wollen sein Potenzial im Sinne von Stadt und
Land bestmöglich ausschöpfen. In diesem Sinne freue
ich mich auf eine gemeinsame Zusammenarbeit in der
nächsten Wahlperiode, so es der Wähler will.
Danke schön.
({0})
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Ilja Seifert
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf 70 schön gestalteten Seiten lobt sich die Bundesregierung im Tourismuspolitischen Bericht für ihr unermüdliches Tun. Der
Bericht quillt geradezu über von Rekordzahlen. Ich muss
mich an dieser Lobhudelei nicht beteiligen, sondern
kann gleich zur Sache kommen.
Der Bericht reiht akribisch aneinander, was in welchem Ressort wann getan wurde, das man irgendwie
dem Tourismus zurechnen könnte.
({0})
- „Fleißarbeit“ können Sie ruhig sagen. - So meint die
Bundesregierung der Querschnittsaufgabe Tourismuspolitik gerecht zu werden. Dann stellt sie fest, dass eine
große Menge der Kompetenzen in den Ländern liege. Da
könne sie sowieso nichts tun, zumal die Tourismuswirtschaft ohnehin mittelständisch geprägt sei, und da müsse
man sowieso die Marktkräfte walten lassen. Und - die
Rekordzahlen belegen es - sie obwalten wunderbar.
Eine Regierung hat aber nicht die Aufgabe, nur zusammenzuzählen und artig aufzuschreiben, was so im
Lande geschieht. Sie soll gestalten. Sie soll Konzepte
entwickeln und daraus Maßnahmen ableiten. Für den
Tourismusbereich hieße das, nicht nur philosophierende
Leitlinien vorzulegen, sondern ihnen auch Gestaltungskraft zu geben. Das, was jedoch fehlt, ist der Gestaltungswille. Hätte ihn diese Regierung, müsste er irgendwie erkennbar sein - ist er aber kaum.
Weil diese schwarz-gelbe Koalition nicht einmal
ernsthaft von Tourismuspolitik spricht, braucht man sich
auch nicht zu wundern, dass sie nur die Tourismuswirtschaft kennt. So kommt es, dass zwar die 2,9 Millionen
direkt in der Tourismuswirtschaft Beschäftigten manchmal erwähnt werden - das hat auch Kollegin Mortler
wieder getan -, wenn die Bedeutung dieses Zweiges für
die Volkswirtschaft hervorgehoben werden soll. Wenn
aber nach den Arbeitsbedingungen gefragt wird, dann
sind die Angaben dürftig. Dabei wäre es eine erstrangige
Aufgabe, sich für ganzjährige und existenzsichernde
Löhne sowie für familienverträgliche Arbeitsbedingungen zu engagieren. Aber: Fehlanzeige!
({1})
Der einseitige Blick auf die Wirtschaft verstellt auch
die Sicht auf den eigentlichen Sinn von Tourismus. Der
besteht nämlich nicht darin, der Tourismuswirtschaft
eine Wertschöpfungskette zu basteln. Nein, die eigentliche Aufgabe besteht darin, Menschen mit und ohne Behinderungen zu ermöglichen, sich zu erholen, zu entspannen, sich die Welt anzuschauen, ihre Gesundheit zu
stärken, andere Kulturen kennenzulernen, vielfältige
Freizeiterlebnisse zu haben usw.
Immerhin - Kollegin Mortler hat es gerade gesagt -:
Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft
unterzeichnete im Oktober 2012 den Ethikkodex der
UNWTO - 13 Jahre nach dessen Verabschiedung. Die
Linke hat das schon lange gefordert. Aber genau in diesem Kodex sind die Aufgaben, die ich gerade nannte,
kodifiziert. Dass deren Erfüllung auch Wertschöpfung
zulässt, bleibt unbenommen; klar. Aber die Prioritäten
müssen stimmen. Hier fehlt das Primat der Politik vor
der Wirtschaft.
({2})
Tourismuspolitik braucht Koordination auf mehreren
Ebenen, auch innerhalb der Bundesregierung. Eine weitere Ebene, die der Koordination - eigentlich auch der
Kooperation - bedürfte, ist die zwischen und mit den
Bundesländern. Beides funktioniert aber nur unzureichend. Das eine nennt man Föderalismus. Ich sage:
Kleinstaaterei. Das andere nennt man Ressorthoheit. Ich
sage: Gartenzaundenken.
Die aktuelle Jahrhundertflut zeigt doch zum Beispiel
an der Elbe, dass man sich bisher nicht einmal auf einheitliche Deichhöhen beiderseits desselben Flussabschnitts einigen konnte. Zu den Leidtragenden gehören
auch viele touristisch geprägte Kommunen in meinem
Bundesland Sachsen.
Wer eine Querschnittsaufgabe richtig angehen will,
braucht auch Querschnittszuständigkeiten. Es dürfte sich
inzwischen herumgesprochen haben, dass ich seit Jahren
ein starkes Tourismusministerium fordere. Aber ich
könnte mir auch eine andere Organisationsform vorstellen, beispielsweise eine Tourismusbeauftragte oder einen
Tourismusbeauftragten, die oder der wirklich mit Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet wäre.
({3})
Der jetzige Amtsinhaber ist zwar ein sympathischer
Zeitgenosse - keine Frage, wir verstehen uns gut -, aber
wirkliche Gestaltungsmacht hast du nicht, lieber Ernst
Burgbacher. Ansonsten früge der Beauftragte, wie sich
denn diese oder jene Maßnahme in das Tourismuskonzept der Bundesrepublik einfüge. Und wenn sie damit
nichts zu tun hätte, dann könnte er Umwidmungen erreichen. Aber: Fehlanzeige!
Ein unbefriedigendes Beispiel zeigt sich im Kinderund Jugendtourismus. In der Debatte zum Antrag der
Linken zum sozialen Tourismus verweisen Sie angesichts der Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche aus finanziellen Gründen nicht mehr in den
Urlaub fahren können, auf die Möglichkeit der Bezuschussung von Schulfahrten. Diese ersetzen aber keinen
Familienurlaub. Wir brauchen beides.
Herr Kollege.
Ja? - Ich sehe: Es blinkt. Entschuldigen Sie, liebe
Präsidentin. Ich komme zum Schluss.
Ich hätte noch etliche Beispiele aufzuführen, wo Sie
keine Gestaltungskraft aufbringen. Aber ich darf sagen:
Die Linke steht für einen sozialen, ökologischen und
barrierefreien Tourismus, an dem alle teilhaben können.
Wir werden daran auch in der Zukunft weiter arbeiten.
Eines will ich noch sagen: Der Tourismusausschuss
ist ein Beispiel dafür, dass über die Fraktionsgrenzen
hinweg gut zusammengearbeitet werden kann. Das will
ich durchaus positiv hervorheben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich habe den Eindruck, dass der Tourismus eine relativ zeitaufwendige Sache ist.
({0})
- Quasi entschleunigend.
Markus Tressel hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich frage Sie jetzt
nicht, ob ich schon vorneweg eine Minute Zeitbonus eingerechnet bekomme.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Tourismus ist
mit einem Anteil von fast 10 Prozent an der Bruttowertschöpfung ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor in
diesem Land. Vor allem in den Städten boomt das Geschäft mit den Reisenden. Das hat uns der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung noch einmal
deutlich gemacht. Insofern möchte ich Ihnen für die
Fleißarbeit danken, die diesem Bericht zugrunde liegt.
Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie die Große Anfrage zum Tourismusstandort Deutschland rechtzeitig
beantwortet hätten. Dann hätten wir die Debatte darüber
gleichzeitig mit dieser führen können.
({1})
Sie haben es gesagt, Herr Kollege Burgbacher: Das
Ganze ist ein Rückblick. Ich glaube, dass der Tourismuspolitische Bericht nicht nur Rückblick, sondern auch
Ausblick sein sollte. Das ist das, was mir an Ihrem Bericht an dieser Stelle ein Stück weit fehlt: Was ist das
politische Ziel? Sie benennen Fakten, Daten und geben
einen Überblick, aber eine Schlussfolgerung, eine politische Vision bleiben Sie mit diesem Bericht allerdings
schuldig.
({2})
Ich glaube, das wäre genau das, was die Branche und
auch wir erwartet hätten.
Der Tourismusstandort Deutschland steht trotz der
guten Zahlen vor großen Herausforderungen. Es ist bereits gesagt worden: Das Hochwasser hat uns den Klimawandel noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt.
Wir haben es zu tun mit dem demografischen Wandel,
der Finanzkrise, einem veränderten Konsum- und damit
auch Buchungsverhalten, steigenden Ansprüchen der
Kunden an Unterkünfte und auch an die Infrastruktur
und mit einem starken Gefälle bei der Tourismusintensität in Stadt und Land.
Ich möchte einmal einige entscheidende Punkte nennen, die in Ihrem Bericht meines Erachtens fehlen.
Das Thema Fachkräfte muss - meine Vorredner haben
es angesprochen - ganz oben auf der Agenda stehen. Die
Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Tourismuswirtschaft in diesem Land sind eindeutig verbesserungswürdig. Wir haben vor zwei Wochen im Ausschuss
für Tourismus gehört, dass von den 1,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen in der engeren Tourismusbranche nur die Hälfte sozialversicherungspflichtig ist.
Das sollte uns mehr als nachdenklich machen.
({3})
Ausbildungsberufe in der Hotellerie, in der Gastronomie belegen in Rankings immer die letzten Plätze. Das
hat vor allem mit den Arbeitsbedingungen zu tun.
({4})
Dieses Problem - ich finde, es ist eines der Kernprobleme für die Branche - streifen Sie in Ihrem Bericht
nur, indem Sie lediglich auf die Neuausrichtung des Berufsbildes Tourismuskaufmann/Tourismuskauffrau verweisen und die Imagemaßnahmen der Branche herausstellen.
Die Realität spricht eine deutlich andere Sprache. Die
Anzahl der neubegonnenen Ausbildungsverhältnisse in
der Tourismuswirtschaft ist massiv rückläufig. Die Abbruchquote bei den Ausbildungen liegt deutlich über
dem Durchschnitt. Uns muss klar sein: Ohne Fachkräfte
kein qualitativ hochwertiger Tourismus.
({5})
Die Rolle der Arbeitsbedingungen hätte man in diesem
Bericht deutlicher herausstellen müssen. Da hätte ich
mir klare Worte der Bundesregierung gewünscht.
Gleiches gilt für das Thema Verkehrsinfrastruktur, die
sich künftig, bedingt durch den demografischen Wandel
und den Klimawandel, anders gestalten muss. Die Frage
ist doch: Wie wird die Mobilität nachhaltig, vor allem im
ländlichen Raum, aber auch in den Städten? Das hat
auch etwas mit Klimaschutz zu tun. Angesichts dessen
war ich sehr verblüfft, als ich in Ihrem Bericht zum
Thema „Klima- und Umweltschutz im Verkehr“ ganze
zwei Sätze auf Seite 109 gefunden habe.
({6})
Zwei Sätze, das kann und darf man getrost als dürftig bezeichnen.
({7})
Zur nachhaltigen Verbesserung regionaler Wirtschaftsstrukturen durch den Tourismus habe ich ebenfalls wenig gefunden. Dabei ist das essenziell. Lediglich
12 Prozent der Wertschöpfung im Tourismus werden auf
dem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Übernachtungskapazitäten hier zu finden sind. Dabei bleiben
von 100 umgesetzten Euro nur rund 36 Euro in der Region. Dazu gibt es keine Ausführungen in Ihrem Bericht.
Da hilft auch Ihr Arbeitspapier, das Sie eben so betont
haben, nicht weiter.
({8})
Das gesamte Thema „Sanierungsstau in den Kommunen, in Unternehmen und die geringe Eigenkapitalquote“ - es ist ein wichtiges Thema - haben Sie ebenfalls fast gänzlich ausgespart. Dafür haben Sie sich dann
gleich mehrfach die Verhinderung der Hygieneampel als
tourismuspolitische Großtat auf die Fahnen geschrieben.
Das ist natürlich Unsinn, weil ein effektiver Schutz der
Verbraucher kein Hemmnis, sondern auch für die Unternehmen ein Vorteil ist. Das hätte man an dieser Stelle
noch einmal deutlich machen müssen.
({9})
Wir werden da weiterhin kritisch nachfragen und in einer neuen Bundesregierung ab Herbst
({10})
neue Akzente setzen. Darauf können Sie sich verlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte
mich an dieser Stelle bei Ihnen, Herr Burgbacher, bedanken. Ich habe die Zusammenarbeit mit Ihnen ja nur vier
Jahre genießen dürfen. Jeder weiß, dass die Tourismuspolitik trotz inhaltlicher Kontroversen von einem kollegialen Umgang miteinander geprägt ist. Ich möchte mich
bei Ihnen herzlich für Ihre Arbeit bedanken. Sie waren
immer ein angenehmer und engagierter Mitstreiter für
den Tourismusstandort Deutschland. Auch wenn wir
nicht immer einer Meinung waren, glaube ich sagen zu
können, dass die Zusammenarbeit von gegenseitigem
Respekt geprägt war. Ich glaube, dass es der Branche zugutekommt, wenn wir unterschiedliche strategische Ansätze haben.
Ich hoffe, dass wir uns trotz der Reisetätigkeit, die Sie
angekündigt haben, noch das eine oder andere Mal in
tourismuspolitischer Mission treffen werden. Ich glaube,
dass Ihre Tätigkeit ein Stück über Ihre Amtszeit hinaus
wirken wird.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, viel Erfolg, gute Gesundheit, damit Sie noch viel Zeit für die Reisetätigkeit
haben. Vielen Dank, Herr Burgbacher.
({11})
Horst Meierhofer hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben vorhin schon gehört, dass es unglaublich viele
Arbeitsplätze in dem Bereich des Tourismus gibt und
dass sich die Situation in den letzten Jahren auch noch
verbessert hat. Dass wir genau wissen, wie es überhaupt
aussieht, ist ein Verdienst von Ernst Burgbacher und
vom Ministerium. Gemeinsam mit dem BTW haben sie
dafür gesorgt, dass wir endlich belastbare Zahlen haben.
Das war, glaube ich, eine Voraussetzung, um die Bedeutung des Tourismus in der öffentlichen Wahrnehmung
ein bisschen nach vorn zu bringen. Wie wir heute schon
gehört haben, ist es nicht so, dass jeder das automatisch
erkennt.
Was die Frage des Mindestlohns betrifft, die der Herr
Kollege Hacker angesprochen hat:
({0})
Ich halte es gerade im Bereich des Tourismus für gefährlich, einen flächendeckenden einheitlichen Mindestlohn
zu schaffen,
({1})
egal ob es um Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg
oder die Region am Starnberger See geht. Gleichzeitig
sagen Sie, dass Sie die Schwarzarbeit verhindern wollen.
Das wird nicht funktionieren. Sie würden das genaue
Gegenteil erreichen.
({2})
Sie würden damit wahrscheinlich vernünftige, angemeldete Arbeitsverhältnisse verlieren und mehr Schwarzarbeit bekommen. Genau das wollen wir natürlich nicht,
weil das nicht der Weg ist, der vernünftig ist.
({3})
Auch das Thema Mehrwertsteuersenkung haben Sie
kritisch angesprochen. Ihre Kollegen in Bayern sehen
das anders. Sie wissen selber, dass die wie die Kollegen
der Grünen und der Linken auf Bundesebene der Meinung sind,
({4})
dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ganz sinnvoll ist.
({5})
Ich muss daran erinnern, dass Sie in der letzten Legislaturperiode dafür gesorgt haben, dass die Umsätze aus
dem Betrieb der Gondelbahnen einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen. Man darf sich die Frage stellen, ob das für diese riesige Branche angesichts des internationalen Wettbewerbs ein cleverer Schachzug war,
wenn man bedenkt, dass in 24 von 27 Ländern ansonsten
gleiche Bedingungen gelten. Genau das ist der Unterschied zur Gastwirtschaft.
({6})
- Wenn Sie glauben, dass das „Adlon“ der Durchschnitt
unserer deutschen Hotels ist, muss ich Ihnen sagen: Der
Durchschnitt sind mittelständische, kleine Betriebe, Familienbetriebe. Genau um die geht es. Die wollen wir
fördern, und das ist uns auch sehr gut gelungen.
({7})
Da ist auch der Großteil der Arbeitsplätze entstanden.
Sie haben gesagt, wir hätten in der Vergangenheit zu
wenig Pläne gemacht. Darüber, dass dieser Bericht der
ausführlichste und inhaltsstärkste ist, der in den letzten
Jahren vorgelegt wurde, besteht, glaube ich, große Übereinstimmung. Das ist wirklich ein vorbildlicher Bericht.
({8})
Darin stehen auch die Beispiele. Dieses Mal wurde
schwerpunktmäßig das Thema Wassertourismus bearbeitet.
({9})
Das Thema Gesundheitstourismus ist bearbeitet worden.
Der Bereich der ländlichen Räume ist schwerpunktmäßig bearbeitet worden. Das sind genau die Bereiche, von
denen wir, so glaube ich, in den nächsten Jahren profitieren können.
({10})
Ich gestehe zu, dass wir in den nächsten Jahren mehr
tun müssen, was das Thema Fachkräftemangel betrifft.
Aber ich sehe nicht, dass wir als Politik da viele Möglichkeiten haben. Da möchte ich an die Branche appellieren. Ich muss erwähnen, dass es der DEHOGA war,
der vor zwei Jahren begonnen hat, mit einem ersten
Schritt voranzugehen. Aber es ist leider noch nicht gelungen, die Branche so attraktiv zu machen, wie sie sein
sollte - was den Tourismusbereich betrifft, schon; was
die Gastronomie und die Hotellerie betrifft, leider nicht
ganz.
Zum Abschluss auch von meiner Seite und selbstverständlich von den Kollegen Helga Daub und Jens
Ackermann, aber auch von der ganzen FDP-Fraktion ein
besonders herzliches Dankeschön an Ernst Burgbacher,
der seit 15 Jahren mit Herzblut begeisterter Tourismuspolitiker ist und über alle Parteigrenzen hinweg geschätzt wird, der aber vor allem auch in der Branche geschätzt wird. Alle wissen, dass er ein verlässlicher und
wirklich konstruktiver Arbeiter für die gemeinsame Sache war, von der wir heute viel gehört haben. Deswegen:
Ernst Burgbacher, wir werden dich vermissen.
Die Tatsache, dass du als Staatssekretär und auch als
Tourismusbeauftragter hier die Latte noch höher gelegt
hast, hat sich als positiv erwiesen. Damit hat dieser
wichtige Bereich in der Bundesregierung vielleicht ein
zusätzliches Gewicht erhalten. Dafür herzlichen Dank!
Für die Zukunft alles Gute! Ich hoffe auf eine weiterhin
gute Zusammenarbeit in diesem Bereich.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Burgbacher! Wir haben schon gehört: Der
Tourismus gehört zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftssektoren weltweit. Die Zahlen dazu, auch für
Deutschland, haben wir gehört. Das ist natürlich sehr erfreulich.
Es läuft im Tourismus jedoch nicht überall so rund,
Herr Staatssekretär, wie Sie es formuliert haben; denn
der Tourismus im ländlichen Raum ist vielerorts schlicht
und ergreifend unterentwickelt. Hier ist noch einiges zu
tun. Wir brauchen hier bessere Rahmenbedingungen und
mehr Unterstützung; denn Fachkräftemangel - er ist
schon verschiedentlich genannt worden -, Defizite in der
Infrastruktur, mangelnde Vernetzung der Verkehrsträger
und der touristischen Anbieter, die Unterversorgung mit
schnellen Internetzugängen - ein ganz wichtiger Punkt sind nur einige der Probleme, die angegangen werden
müssen.
({0})
Bestehende Förderprogramme auf EU-, Bundes- und
Länderebene müssen sehr viel besser aufeinander abgestimmt werden. Die Fördermittel müssen der Tourismuswirtschaft auch zukünftig in ausreichender Höhe zur
Verfügung stehen; denn - wie unser Ausschussvorsitzender Klaus Brähmig immer gerne zu sagen pflegt - der
Tourismus ist ein scheues Reh.
({1})
Das von der Bundesregierung initiierte Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ ist nur ein
Schritt in die richtige Richtung. Die Frage bleibt bestehen: Wie werden die Empfehlungen nun umgesetzt?
Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung? In ihrem Bericht ist auf Seite 27 nur zu lesen:
Derzeit laufen konzeptionelle Überlegungen, wie
der Know-how-Transfer in die örtliche Wirtschaft
und Politik sinnvoll organisiert werden kann.
Das, denke ich, ist mehr als mager. Viel beschriebenes
Papier ohne konkrete Maßnahmen und Taten, die den
ländlichen Regionen wirklich helfen.
Ich möchte Ihr Augenmerk noch auf einen anderen
Bereich lenken, nämlich das Thema Verbraucherschutz
im Tourismusbereich. Bei dem Thema Schlichtungsstelle - Frau Mortler hat es angesprochen - hat sich die
Bundesregierung von der Luftverkehrswirtschaft in die
Knie zwingen lassen und akzeptiert, dass die Luftverkehrsunternehmen sich nicht an einer einheitlichen
Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr
beteiligen müssen.
({2})
Das Zuständigkeitschaos ist damit vorprogrammiert; leider zulasten der Flugkunden, aber auch zulasten der
Wirtschaft.
Wir, die SPD, fordern eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle, etwa nach dem Vorbild der
Schlichtungsstelle Energie.
({3})
Reisende könnten sich dann mit allen im Zusammenhang mit der Reise aufgetretenen Problemen an die bereits bewährte Schlichtungsstelle für den öffentlichen
Personenverkehr, abgekürzt söp, wenden. Noch viel
schlimmer ist: Die Schlichtung könnte für Verbraucherinnen und Verbraucher sogar Geld kosten. Also: Eine
verbraucherfreundliche Politik für diejenigen, die Urlaub machen wollen, sieht wahrlich anders aus.
({4})
Ich hätte gerne noch einen anderen Punkt angesprochen, aber leider läuft meine Zeit ab. Es geht darum,
dass wir im Fernbuslinienverkehr eine große Entwicklung zu verzeichnen haben. Dies ist eventuell auch eine
Chance für den ländlichen Raum. Ich kann nicht gutheißen, dass sich hier große Unternehmen, wie die DB AG,
ausbreiten. Sie beschäftigt tatsächlich tschechische Busfahrer, die bei einer Arbeitszeit von 70 Stunden in der
Woche einen Stundenlohn von sage und schreibe 3 Euro
bekommen. Das wollen wir nicht.
({5})
Das ist nicht nur Lohndumping, sondern Sozialdumping.
Das können wir und auch Sie nicht zulassen.
Ihnen persönlich, Herr Burgbacher, wünsche ich alles
Gute. Sie werden in Südbaden sicherlich in der politischen Szene fehlen. Gute Zeit für Sie!
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({6})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Derzeit steht vielen Hoteliers und Gastronomen in ganz
Deutschland buchstäblich das Wasser bis zum Hals. Gerade in den Regionen, die schon 2002 von der Jahrhundertflut betroffen waren, trifft das erneute Hochwasser
die Menschen schwer. Wir als Politiker müssen über alle
Parteigrenzen hinweg nun dafür Sorge tragen, dass diesen Menschen und Betrieben geholfen wird. Vom Gipfel
der Länder mit der Kanzlerin, der heute stattfand, muss
und wird ein klares Signal an die Betroffenen ausgehen.
Es gilt, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Meiner
Ansicht nach benötigen wir für die Zukunft einen nationalen Katastrophenfonds.
Die Menschen an den großen Flüssen Deutschlands
und die dort ansässige Wirtschaft brauchen eine Perspektive für die Zukunft. Infolge des Klimawandels hat
es in den vergangenen 20 Jahren eine deutliche statistische Häufung von wetterbedingten Naturkatastrophen
gegeben. Die jahrhundertealten Siedlungsräume längs
unserer Flüsse Donau, Elbe, Saale und Rhein sind besonders schützenswert; denn hier findet man Kulturstätten,
um die Deutschland weltweit beneidet wird.
({0})
Zusehends wird es für die Eigentümer und Unternehmen
aber schwieriger, das Risiko einer Existenz an Flusslagen
einzugehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass noch
einmal intensiv über eine solidarische Versicherungslösung nachgedacht werden muss.
Mein Dank gilt heute allen Helfern vor Ort, die in einem Akt nationaler Solidarität einfach anpacken.
({1})
Allen Menschen, die in die Flutgebiete reisen wollten,
sei gesagt: Häufig ist nicht die ganze Urlaubsregion betroffen. Spätestens im August dieses Jahres können viele
Unternehmen wieder ihre vollen Kapazitäten anbieten.
Meine Damen und Herren, eine besondere Geste wäre
es, dann eine Kurzreise in diese Feriengebiete zu unternehmen oder dort einen Urlaub zu verbringen, um die
Wirtschaft wieder anzukurbeln.
({2})
Dies zu sagen, war mir wichtig.
Wir debattieren heute den dritten Tourismuspolitischen
Bericht der Bundesregierung. Den Bericht, den wir heute
beraten, hast du, lieber Ernst Burgbacher, als Tourismusbeauftragter der Bundesregierung zu verantworten. Dafür mein herzlicher Dank!
({3})
Ich möchte dir Dank und Anerkennung auch für die
15 Jahre guter, kollegialer und kameradschaftlicher Zusammenarbeit aussprechen. Ich persönlich bedaure sehr,
dass du nicht mehr kandidierst, hoffe aber, dass du dein
Pensionärsdasein mit deiner Familie genießen wirst.
Mein Dank gilt aber nicht nur dir, lieber Ernst, sondern
auch den Mitarbeitern des Tourismusreferates des Bundeswirtschaftsministeriums, die dem Ausschuss für Tourismus stets als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
An den nächsten Wirtschaftsminister möchte ich appellieren, dieses Referat personell weiter aufzustocken.
Warum fordere ich eine Aufstockung? Die Tourismuswirtschaft ist einer der stärksten und dynamischsten
Wirtschaftsbereiche, nicht nur in Deutschland, sondern
auch weltweit; in dieser Feststellung sind wir uns in diesem Hause wohl alle einig. Bisher wurde der Tourismuspolitische Bericht, wie Sie wissen, in einem Fünfjahresrhythmus vorgelegt. Würde er allerdings alle zwei Jahre
vorgelegt, könnte man ihn als Handlungsempfehlung
oder Masterplan für die Tourismuswirtschaft in Deutschland ausgestalten. Dann könnte er der Entwicklung sicherlich einen weiteren entscheidenden Schub geben. Aber
dafür benötigt man natürlich mehr Personal.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, einige wichtige Punkte, von denen ich mir noch mehr wirtschaftliche Dynamik erhoffe, will ich ansprechen. Zu nennen
ist die bessere Vernetzung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Die wirtschaftliche Bedeutung des
Tourismus spiegelt sich nicht in dem erforderlichen
Maße in Wissenschaft und Forschung wider. Doch anstatt dass an Universitäten und Fachhochschulen mehr
zum Thema Tourismus gelehrt und geforscht wird, werden Lehrstühle abgebaut. Hier müssen Wissenschaft,
Wirtschaft und Politik zusammenarbeiten, um die Tourismuswirtschaft und die Tourismuswissenschaft zukunftsfähig zu machen. Als ein positives Beispiel für die
Einbeziehung wissenschaftlicher Studien zur Entwicklung praktischer Konzepte möchte ich die a-ja-Hotels
nennen.
Auch freue ich mich, dass du, lieber Ernst, unseren
Vorschlag aufgegriffen hast, auch einen Vertreter der
Wissenschaft in den Tourismusbeirat aufzunehmen.
Ein kurzes Wort zum Fachkräftemangel. Ich glaube,
es ist ganz wichtig, dass unser duales System eine Erfolgsstory und ein Exportschlager ist. Aber ich bin der
festen Überzeugung: Es kann nicht sein, dass die Bedienung von Maschinen viel besser bezahlt wird als die
Dienstleistung für den Gast.
({4})
Meine Damen und Herren, weil meine Redezeit schon
weit fortgeschritten ist,
({5})
möchte ich nur ganz kurz auf Folgendes eingehen: Barrierefreiheit - meine Kollegen haben es schon gesagt - ist
ein Markenzeichen des Deutschlandtourismus. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Auslandsinstitutionen der
Deutschen Zentrale für Tourismus. Hier gilt es natürlich
ebenfalls, in der nächsten Legislaturperiode für eine weitere Aufstockung zu sorgen. Das wird uns, denke ich,
auch gelingen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Infrastruktur
sagen, wo in vielen Bereichen ebenfalls Nachholbedarf
besteht und die weiter ausgebaut werden muss. Ich
denke, gerade im Hinblick auf die Hotels konnte durch
die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes eine Menge
bewegt werden.
({6})
Die Hotelbetreiber haben den finanziellen Spielraum
genutzt, um notwendige Investitionen zu tätigen, das
Personal weiterzubilden und neue Arbeitskräfte einzustellen.
Vor wenigen Tagen war ich in meinem Wahlkreis unterwegs und musste feststellen, dass die in der gesamten
Hotellerie und Gastronomie getätigten Investitionen, die
gewissermaßen durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz ermöglicht wurden, durch das Hochwasser leider
zunichtegemacht worden sind. Zumindest ich will mich
in der nächsten Legislaturperiode dafür einsetzen - das
kann ich ja tun -, dass der reduzierte Mehrwertsteuersatz
für die Hotellerie erhalten bleibt, zumindest bis eine generelle Neuordnung der Verbrauchsteuern durch die
Politik in Angriff genommen worden ist.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch auf Folgendes hinweisen: Wir müssen sehen, wie wir in der EU-Förderperiode ab 2014 trotz der
Streichung der eigenständigen Förderkriterien für diesen
Bereich wiederum eine Förderung des Tourismus organisieren können. Das ist sicherlich möglich; wir haben es
im Ausschuss besprochen.
Zum Abschluss darf ich als Ausschussvorsitzender einen Dank an alle Mitglieder des Ausschusses aussprechen, die es immerhin vier Jahre lang mit mir ausgehalten haben. Ich möchte mich für die außerordentlich
kollegiale Zusammenarbeit herzlich bedanken. Ein ganz
besonderer Dank, meine Damen und Herren, gilt den
Kollegen, die nicht mehr kandidieren, zuallererst meiner
Stellvertreterin Rita Pawelski, aber auch dem Kollegen
Heinz Paula von der sozialdemokratischen Fraktion und
der heute abwesenden, im Krankenstand befindlichen
Kollegin Kornelia Möller, der ich beste Genesungswünsche übermittle. Ein herzliches Dankeschön für die Zusammenarbeit!
({8})
Ich wünsche allen Kollegen, die wieder kandidieren,
viel Erfolg, damit auch in der 18. Legislaturperiode an
der Stärkung des Deutschlandtourismus gearbeitet werden kann. Ich gehe als Ausschussvorsitzender selbstbewusst davon aus, dass der Ausschuss für Tourismus in
der nächsten Wahlperiode vor allem wegen seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung weiter gestärkt wird und
vielleicht mehr Mitglieder haben wird.
In diesem Sinne wünsche ich allen viel Erfolg, sage
Danke schön für die Zusammenarbeit und wünsche Gottes reichsten Segen.
({9})
Frau Präsidentin, Danke schön für die Geduld.
Welcher Präsident, welche Präsidentin würde Danksagungen unterbrechen! Auf diese Art und Weise ist die
wundersam verkürzte Redezeit wieder aufgefüllt worden.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13674 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart, den Tagesordnungspunkt 32 - Entwurf eines
Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie -
einschließlich der dazu beantragten namentlichen Ab-
stimmung nicht mehr heute, sondern erst morgen als ers-
ten Tagesordnungspunkt aufzurufen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
14 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Kelber, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die digitale Welt verbraucherfreundlich ge-
stalten
- Drucksache 17/13886 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Gerold
Reichenbach, Gabriele Fograscher, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck ({2}),
Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Unabhängigkeit der Stiftung Datenschutz sicherstellen
- Drucksachen 17/11825, 17/13938 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({3})Gerold ReichenbachGisela PiltzJan KorteDr. Konstantin von Notz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brigitte Zypries für die SPD-Fraktion.
({4})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern hier an dieser Stelle über den Antrag der
SPD zu den Marktwächtern diskutiert, und wir haben Ihnen unser grundsätzliches Konzept vorgestellt. Heute
möchte ich Ihnen sagen, dass wir Marktwächter auch für
den Bereich der digitalen Welt für ausgesprochen wichtig halten.
Wir alle wissen, dass der technologische Fortschritt
durch das Internet und die neuen Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten viele Dinge einfacher
macht. Auf der anderen Seite macht er die Welt aber
auch komplizierter und undurchschaubarer. Denn an vielen Stellen wissen Verbraucherinnen und Verbraucher
nicht, auf was sie sich mit diesem Internet eigentlich
einlassen. Es ist in vielen Fällen schwer, seriöse und unseriöse Angebote voneinander zu unterscheiden. Nach
wie vor gibt es im Netz oder auch bei Handyverträgen
Fallen, in die man ganz leicht tappen kann. Ich denke da
beispielsweise an die Schnüffel-Apps, die man sich herunterlädt, weil man denkt, man bekäme eine Taschenlampe, die aber das ganze Adressbuch ins Netz übertragen. Oder ich denke an die Abofallen bei Smartphones.
Man kommt ganz leicht auf einen Knopf und schon hat
man ein Abo, für das man 7,99 Euro pro Woche zahlen
muss. Auch unverständliche AGBs machen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern schwer, zu verstehen,
in was sie überhaupt einwilligen.
({0})
Die Frage, welche Daten von wem verwendet oder
sogar an Dritte weitergegeben werden sollen, können die
Nutzerinnen und Nutzer häufig nicht beantworten. Hier
setzt unser Vorschlag an. Wir sagen: Die digitalen
Marktwächter sollen die Strukturen im Internet beobachten, sie sollen die Beschwerden der Verbraucherinnen
und Verbraucher sammeln, und sie sollen Missstände an
die zuständigen Aufsichtsbehörden melden.
({1})
Selbstverständlich - das ist sehr wichtig und hat auch
schon positive Ergebnisse gezeigt - müssen die Marktwächter für die Verbraucherinnen und Verbraucher klagen können; denn dass der Bundesverband der Verbraucherzentralen erfolgreich gegen Apple klagen konnte, ist
ein echter Erfolg. Das müssen wir weiter ausbauen.
({2})
Wenn wir über das Internet reden - das hat die Enquete-Kommission eindeutig gezeigt -, ist klar: Wir
müssen vor allen Dingen sicherstellen, dass alle Menschen in unserem Lande einen Zugang zu schnellem Internet haben. Wir können nicht sagen: Das ist nur wichtig für Firmen und Unternehmen. Inzwischen ist es ein
Standortvor- bzw. -nachteil für Gemeinden, die Studierende anwerben wollen; denn wenn es kein schnelles Internet gibt, dann kommen die nicht, um dort zu wohnen.
Es ist wichtig, dass wir die Versorgung mit schnellem Internet in ganz Deutschland als eine Infrastruktur begreifen, die inzwischen genauso wichtig geworden ist wie
die Versorgung mit Wasser, Strom oder Straßen.
({3})
Wir müssen endlich handeln; denn leider sind wir in den
letzten vier Jahren nicht in dem Maße vorangekommen,
wie das angekündigt war und wie wir uns das gewünscht
hätten.
Ganz kurz zu einem weiteren Punkt, über den wir diskutieren müssen. Wir können nicht akzeptieren, dass Telekommunikationsanbieter Daten langsamer durchleiten,
wenn sie von fremden Anbietern kommen.
({4})
Wir brauchen eine gesetzlich festgeschriebene Netzneutralität. Wir wollen nicht, dass Telekommunikationsanbieter Angebote von Dritten drosseln. Das kann nicht
richtig sein.
({5})
Es kann natürlich sein, dass man Datenpakete mit unterschiedlichen Konditionen bucht, aber es darf keine Diskriminierung geben. Wenn ich richtig informiert bin,
könnte die Koalition diesbezüglich jetzt schon handeln.
Sie geben mir recht; vielleicht können Sie gleich noch
etwas zu Ihrer Planung sagen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Das Internet ist heute für die meisten
Menschen in Deutschland privat und beruflich unverzichtbar geworden. Deswegen setze ich mich für eine
flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet ein.
Flächendeckend, das heißt, nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land muss eine schnelle Internetverbindung möglich sein.
({0})
Das Ziel ist klar. Wir haben es zwar noch lange nicht
erreicht, aber auf dem Weg dorthin sind wir ein gutes
Stück vorangekommen. Inzwischen haben über 50 Prozent der Haushalte Zugang zu Breitband von mindestens
50 Megabit pro Sekunde,
({1})
2014 werden es 75 Prozent sein, und 2018 werden
schnelle Internetverbindungen hoffentlich flächendeckend zur Verfügung stehen.
Die digitale Welt verändert sich nicht nur rasend
schnell, sondern es wird auch eine riesige Menge an Daten produziert. Der Spiegel hat errechnet, dass im Netz
jeden Tag solche Datenmengen verschickt werden, dass
man 250 Millionen DVDs brauchen würde, um diese
Daten zu speichern. Das Volumen verdoppelt sich alle
zwei Jahre. Darin steckt ein riesiges Potenzial für die
Menschen, aber eben auch eine große Gefahr. Mit jeder
neuen Entwicklung ergibt sich neuer Handlungsbedarf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
haben mit Ihrem Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ eine etwas oberflächliche Abhandlung über den Verbraucher im Allgemeinen und den digitalen Verbraucherschutz im Besonderen vorgelegt. Ihre
Kernaussage lautet: die technischen Errungenschaften
nutzen und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher wahren. Toll! Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis!
Es folgt ein Potpourri aus Forderungen, vom Recht
auf ein schnelles Internet über Netzneutralität bis hin zur
Etablierung des Markt-Ort-Prinzips. Die meisten dieser
Forderungen sind alt und überholt.
({2})
Wir setzen uns schon seit Jahren intensiv für guten digitalen Verbraucherschutz im Spannungsfeld zwischen
Technikoffenheit und Datenschutz ein. Unsere Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat es auf den Punkt
gebracht. Sie sagt:
Für die IT-Branche ist Datenschutz eine Schicksalsfrage. Im Internet wird langfristig nur Erfolg haben,
wer die Interessen der Nutzer respektiert und ihre
persönlichen Daten so gut wie nur irgendwie möglich schützt.
Recht hat sie.
Wir wollen ein hohes europäisches Datenschutzniveau. Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung
soll sicherstellen, dass die persönlichen Daten von Verbrauchern in Europa besser geschützt werden. Das ist
gut. Das unterstützen wir. Deutschland gibt dabei ein hohes Datenschutzniveau vor, und auf weniger Datenschutz werden wir uns in Europa nicht einlassen. Daher
gilt hier: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir gehen noch ein
Stück weiter: Auch außereuropäische Anbieter sollen
sich an das europäische Datenschutzrecht halten müssen,
wenn sie ihre Angebote an europäische Verbraucher
richten.
Mit uns führt kein Weg an datenschutzfreundlichen
Voreinstellungen vorbei. Wir wollen auch das Recht auf
Vergessen - das ist ein zentraler und gleichzeitig strittiger Punkt in den Verhandlungen mit unseren EU-Partnern -: Jedem Nutzer muss es möglich sein, seine persönlichen Daten im Internet zu löschen. Facebook,
Google und Co. dürfen nicht über meine Daten verfügen,
wenn ich das nicht möchte.
Damit ich aber überhaupt erst weiß, was diese Anbieter alles mit meinen Daten anstellen können, muss ich
mich informieren, und ich muss wissen, wie ich an diese
Informationen komme. Deshalb gehört für uns zu einer
gelungenen Verbraucherpolitik auch immer eine gute
Verbraucherbildung.
({3})
Verbraucher müssen wissen, wie sie sich gegen den
Missbrauch der eigenen Daten im Internet schützen können. Nur wenn sie gut informiert sind, können sie über
ihre Privatsphäre souverän selbst bestimmen.
Wir reden hier über eine Welt, die sich rasend schnell
verändert. Jede Minute bringt neue Innovationen, aber
auch neue Gefahren. Deshalb brauchen wir eine breite
gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir das digitale
Deutschland gestalten wollen. Dabei sind alle gefragt:
Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und die Netzgemeinde.
({4})
Was wir in der vorletzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode dagegen nicht brauchen, ist ein altbackener,
überflüssiger Antrag der SPD. Wir brauchen keinen Antrag, der nur dazu dient, dass Frau Zypries als Schattenverbraucherministerin eine Bühne bekommt, um zu Verbraucherfragen zu sprechen. Frau Zypries, leider sieht es
mit Ihrer Kompetenz in Sachen Verbraucherpolitik mager aus.
({5})
Das haben Sie in der gestrigen Debatte bewiesen. Sie haben munter über Vorhaben von 2001 geplaudert, aber die
aktuellen Themen - es ist zwölf Jahre später; wir leben
im Jahr 2013 - kennen Sie nicht. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Warteschleifen sind seit dem 1. Juni 2013 kostenlos. Wenn Sie auf Ihrer Wahlkampftour das nächste
Mal danach gefragt werden, dann sagen Sie einfach: Ist
erledigt, die christlich-liberale Koalition hat sich längst
darum gekümmert. Alles gut!
({6})
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, der den Titel „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“
trägt. Vieles von dem, was die SPD auf fünfeinhalb Seiten als Zustandsbeschreibung abgibt,
({0})
teilen wir.
({1})
Dass beim Verbraucherschutz in der digitalen Welt einiges im Argen liegt und deshalb Handlungsbedarf
besteht, wird am Sondervotum der drei Oppositionsfraktionen im Bereich der Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Verbraucherschutz der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“ deutlich.
({2})
Wir Linken wollen den Verbraucherschutz in der digitalen Welt stärken und ihn auf ein Niveau heben, das abseits der digitalen Welt schon lange existiert.
Im Umkehrschluss sollten wir aber auch nicht vernachlässigen, dass zum Beispiel die Weiterentwicklung
von Verbraucherinformationsangeboten im Netz nicht
dazu führen darf, dass Bürgerinnen und Bürger ohne
Netzzugang von jedem Zugang zu solchen Informationen ausgeschlossen sind.
({3})
Die SPD fordert die Bundesregierung auf, zu prüfen,
wie der Weiterverkauf von digitalen Gütern rechtlich ermöglicht werden kann. Wenn ich beispielsweise im
Buchhandel ein Buch kaufe, kann ich das jemandem
ausleihen oder weiterverschenken. Kaufe ich mir das
gleiche Buch aber digital als E-Book, kann ich dieses
Buch nicht ohne Weiteres - also eigentlich gar nicht verborgen oder verschenken. Technisch wäre das alles
möglich, aber die Unternehmen haben etwas dagegen.
Das zeigt: Wo Profit maximiert werden kann, muss der
Verbraucher eben mit der Beschneidung seiner Rechte
leben.
Wir als Linke haben bereits einen konkreten Vorschlag für die Ermöglichung eines solchen Weiterverkaufs unterbreitet. Unser Vorschlag sieht vor, dies in
§ 17 a Urheberrechtsgesetz zu verankern. Vielleicht
kann ja diese oder eine andere Bundesregierung den Vorschlag aufgreifen. Wir würden diesbezüglich auch keine
Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung schreiben.
({4})
Damit sind wir an einem weiteren Punkt des SPD-Antrages. Die SPD möchte die massenhaften Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen eindämmen. Seit
Jahren haben wir in Deutschland eine regelrechte Industrie der Massenabmahnungen. Wir haben hier schon
mehrmals ausführlich darüber gesprochen. Auch insoweit empfehle ich den von der Linken vorgelegten Gesetzentwurf. Auch hier würden wir, sollte dieser Entwurf
aufgegriffen werden, keine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung schreiben.
({5})
Über das Thema Netzneutralität will ich jetzt nicht reden, weil wir dazu die Reden zu Protokoll gegeben haben.
Aber kommen wir noch einmal zum Thema Datenschutz. Nicht erst seit dem Bekanntwerden von Prism,
der umfassenden Überwachungsmaßnahme von großen
Internetfirmen durch den US-Geheimdienst, wissen wir,
dass unsere eigenen Daten ein begehrtes Gut sind. Dass
US-Geheimdienste bei großen Internetfirmen Daten über
deren Nutzerinnen und Nutzer anfordern und diese Firmen bereitwillig liefern - vermutlich zumindest -, ist ein
Skandal. Vorhin war zu hören, der BND habe von allem
nichts gewusst. Datenschutz ist deswegen angezeigter
denn je. Das zeigt im Übrigen auch - diese sachfremde
Bemerkung kann ich Ihnen nicht ganz ersparen -, dass
Geheimdienste machen, was sie wollen, und abgeschafft
gehören.
({6})
Wer Freiheit verteidigen will, indem er Freiheit einschränkt, wird am Ende Freiheit verlieren.
Ob die Stiftung Datenschutz geeignet ist, Datenschutz
durchzusetzen,
({7})
ist mehr als zweifelhaft. Die Konstruktion dieser Stiftung Datenschutz mit der Übermacht von Wirtschaftsvertretern lässt uns mehr als zweifeln. Ich würde sagen,
dass das Modell gescheitert ist.
({8})
Wir halten es für vernünftiger, die Datenschutzbeauftragten finanziell und personell zu stärken und trotzdem
unabhängig zu behalten. Wir werden dem Antrag der
SPD zustimmen, auch wenn er uns an verschiedenen
Stellen zu viele Prüfaufträge enthält und zu wenige Lösungen anbietet. Aber er ist ein Anfang, und den wollen
wir nicht behindern.
({9})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Erik
Schweickert für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen: Ich bin heute morgen in die Fänge des US-Geheimdienstes geraten. Vor zwanzig Jahren hätte ich dafür
eines schweren Verbrechens bezichtigt werden müssen.
Heute Morgen habe ich einfach nur meine E-Mails abgerufen.
Hier wird Freiheit von unbescholtenen Bürgern mit
Füßen getreten. Das dürfen wir als Deutscher Bundestag
nicht durchgehen lassen.
({0})
Hier muss die Bundeskanzlerin ein deutliches Zeichen
setzen; denn Datenschutz ist ein essenzielles Bürgerrecht. Wir dürfen uns dieses Bürgerrecht nicht von amerikanischen Behörden nehmen lassen. Das müssen wir,
das muss die Bundeskanzlerin Präsident Obama gegenüber deutlich zum Ausdruck bringen, wenn der US-Präsident nächste Woche hier in Berlin ist.
({1})
Das Beispiel zeigt uns deutlich: Wir stehen vor großen Herausforderungen im Umgang mit der digitalen
Welt. Das Recht auf Selbstbestimmung in dieser digitalen Welt muss Realität werden, und zwar nicht nur gegenüber Behörden und Staaten, sondern auch gegenüber
Unternehmen. Google Street View filmt unsere Häuser.
Facebook speichert unsere Aufenthaltsorte. App-Anbie31398
ter greifen auf unsere Kontakte zu, und die neue XboxOne-Kamera ermöglicht nicht nur das interaktive Spielen, sondern schaut uns womöglich auch beim Spielen
zu, wenn wir es gar nicht wollen.
Dadurch wandelt sich die Rolle der Verbraucher. Wir
sind nicht nur aktiv beim Verbrauchen, sondern wir werden selbst Objekte von Unternehmen und Staaten. Der
digitale Verbraucher wird vom bewussten Konsumenten
zum unfreiwilligen Lieferanten, nämlich zum Lieferanten seiner Daten; häufig werden diese im Hintergrund
und ohne sein Wissen gesendet. Diesen unbewussten
Wandel der Verbraucherrolle vom Konsumenten zum
Lieferanten müssen wir in die Schranken weisen.
({2})
Problematisch dabei ist allerdings, dass die Grenzen
der analogen Welt nicht immer die der digitalen Welt
sind. Deshalb greifen auch nationale Regelungen nicht
weit genug. Aus meiner Sicht benötigen wir zwingend
eine Neuverhandlung des Safe-Harbor-Abkommens
zwischen der Europäischen Union und den USA.
({3})
Wenn ein Unternehmen in Europa digitale Leistungen
erbringt, sollte es europäischem Recht unterliegen, auch
wenn sein Sitz in den USA ist.
Dort, wo nationale Regelungen den Verbrauchern
besseren Schutz gewähren, hat diese schwarz-gelbe Regierungskoalition gehandelt. Wir haben die Kostenfallen
im Internet geschlossen. Mit dem sogenannten Internetbutton ist seit 1. August 2012 explizit auf die Kostenpflichtigkeit eines Angebots hinzuweisen. Das heißt, die
Verbraucher werden vor versteckten Kosten in den ellenlangen Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschützt.
Es ist nicht mehr möglich, ihnen dort etwas unterzujubeln. Wir haben mehr Transparenz und ein Sicherheitsnetz für die Verbraucher gegen Abzocke geschaffen.
({4})
Wir haben dafür gesorgt, Frau Zypries, dass die von
der Telekom angekündigte Drosselung bei ihren DSLKunden durch die Bundesnetzagentur akribisch geprüft
wird. Die Bundesnetzagentur ist genau das Instrument,
das wir dafür brauchen. Sie verhilft dem Grundsatz der
Netzneutralität zum Durchbruch; denn dieser darf nicht
aufgegeben werden.
Wir wollen außerdem die Verbraucherkompetenz im
Netz stärken und die Verbraucherbildung zu einem festen Bestandteil der Schullehrpläne machen. Dies ist ein
gemeinsames Anliegen dieses Hauses und der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz. Letztlich bleibt auch
Datensparsamkeit ein wichtiger Baustein für Daten- und
Verbraucherschutz. Das müssen wir selbst kleinen Kindern beibringen; denn jeder kann seinen Beitrag dazu
leisten, dass Datenkraken nur kurze Arme haben.
({5})
Vom Leitbild des unselbstständigen Verbrauchers ist
es für die SPD nur ein kurzer Weg zum bevormundeten
Verbraucher. Da ist für die SPD wie selbstverständlich
der Staat die beste Medizin. Es ist dann zwar folgerichtig, dass Sie ein Instrument für einen modernen Ansatz
von Kooperation und den Anreiz zur Selbstregulierung
wie die Stiftung Datenschutz ablehnen, sinnvoll ist es
aber auf gar keinen Fall. Im Sinne eines effizienten Verbraucherschutzes ist es auch nicht. Denn bei der Stiftung
Datenschutz wird ein Gütesiegel vergeben, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf einen Blick Gewissheit verschafft, ob der Anbieter mit den Daten gut
umgeht, ob man ihm diese guten Gewissens anvertrauen
kann oder nicht.
Statt sich einzubringen und ihre Vorstellungen zu formulieren, wie so ein Gütesiegel aussehen könnte, stellen
SPD und Grüne sich in die Schmollecke, und das, obwohl Sie - der Gedanke ist Ihnen gar nicht so neu und
gar nicht fremd - in Ihrem Koalitionsvertrag 2002 gemeinsam geschrieben haben - ich zitiere -, dass es eine
„Einführung selbstregulativer Modelle“ geben sollte und
zu „prüfen bleibt, ob und in welcher Form eine institutionalisierte Plattform zur Koordination eingerichtet
werden kann“. Das haben Sie aber nicht hingekriegt.
Wir, Schwarz-Gelb, haben es hingekriegt. Deshalb führen Sie sich jetzt auf wie ein beleidigtes Kind, dem man
das Förmchen weggenommen hat.
({6})
In Ihrem Antrag schreiben Sie, es bestünde im Beirat
der Stiftung Datenschutz eine „Beschlussmehrheit der
Vertreter der datenverarbeitenden Wirtschaft“. Das ist
schlicht falsch. Von den insgesamt 34 Mitgliedern können datenverarbeitende Branchen - darunter befinden sich
übrigens nicht nur die Wirtschaft, sondern auch spendensammelnde Organisationen, zum Beispiel Greenpeace
und der BUND - 14 Mitglieder benennen. Bleiben nach
Adam Riese 20 übrig. Das sind mehr als 14.
Sie haben allerdings recht, wenn Sie sagen, dass es
nur einen Sitz für den Bundesdatenschutzbeauftragten
gibt. Aber Sie unterschlagen dabei natürlich, wie Sie es
gerne tun, einen Sitz für den Landesdatenschutzbeauftragten und einen weiteren für die Datenaufsichtsbehörden der Länder. Dann kommen noch neun Vertreter des
Bundestages und Vertreter des Anwaltvereins, der öffentlichen Verwaltung, des BSI, der Kultusministerkonferenz, der Innenministerkonferenz und der Kirchen sowie des vzbv und der Stiftung Warentest dazu.
Es ist schade, dass Sie - jenseits der demokratischen
Gepflogenheiten - die dem Bundestag und Ihren Fraktionen zustehenden Sitze boykottieren. Da muss schon
ein großes Wirtschaftsunternehmen in seinen Beirat einladen, damit Herr Reichenbach und Herr von Notz nicht
Nein sagen. Aber bei einer Stiftung, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, weigern Sie sich, mitzumachen.
({7})
Das verstehe, wer will. Damit werden Sie dem Anliegen,
das wir haben - der Daten- und Verbraucherschutz nicht gerecht.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag
der SPD ist grundsätzlich zu begrüßen. In ihm werden
dringende Verbesserungen im Bereich des digitalen
Verbraucherschutzes angemahnt, für die auch meine
Fraktion seit langem streitet: eine tatsächliche gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität, Privacy-byDesign- und Privacy-by-Default-Konzepte, das Recht
auf Transportabilität der eigenen Daten, die Weiterentwicklung des Rechts auf eine Privatkopie und die drängende und überfällige Begrenzung der Abmahnkosten.
({0})
In dem Antrag wird zu Recht festgehalten, dass Grundlage einer verbraucherfreundlichen offenen demokratischen Gesellschaft der Zugang zu einem schnellen und
neutralen Internet ist. In dem Antrag werden zahlreiche
Themen angesprochen, über die wir uns in den letzten
drei Jahren in der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“ intensiv ausgetauscht haben und
für die wir fraktionsübergreifend konkrete Vorschläge
erarbeitet haben.
In dem Antrag werden zahlreiche Themen des Wandels zur digitalen Gesellschaft angesprochen, die die
schwarz-gelbe Bundesregierung in dieser Legislatur
sträflich vernachlässigt hat, Herr Kollege Schweickert.
({1})
Sei es eine gute Breitbandversorgung für alle Menschen
und alle Regionen in Deutschland, sei es die gesetzliche
Wahrung der Netzneutralität, sei es die dringend benötigte Reform des Urheberrechts oder sei es der digitale
Daten- und Verbraucherschutz: Ihre Bilanz, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist - das können
Sie hier heute überhaupt nicht verbergen - auch in diesem Bereich verheerend.
({2})
Egal wohin man schaut, man muss feststellen: Die
schwarz-gelbe Bundesregierung hat beim Schutz der
Bürgerinnen und Bürger in der digitalen Welt kläglich
versagt. Das wird dieser Tage in Zeiten von Drosselkom
und Prism auch dem Letzten klar. Sie haben all die guten
Vorschläge, Ideen und Konzepte, die es gibt, leider gänzlich ignoriert.
({3})
Das bringt mich direkt zur Stiftung Datenschutz, Herr
Kollege Schweickert, zu der Ihnen heute ein Antrag von
uns vorliegt. Die Stiftung Datenschutz ist ein völlig unterfinanzierter Einmannbetrieb; doch Sie wagen es noch
immer, dieses gefloppte Projekt völlig ernsthaft und
ganz ironiefrei einen Erfolg Ihrer Koalition zu nennen.
({4})
Herr Schweickert, Sie haben die Stiftung Datenschutz
hier am Pult verteidigt. Sprechen Sie einmal mit Ihrem
Mann da in Leipzig! Fahren Sie einmal nach Leipzig!
Die ganze Veranstaltung ist ein Witz erster Kajüte. Und
damit blähen Sie sich hier so auf! Das ist lächerlich.
({5})
Ich kann der SPD auch heute leider nicht Kritik ersparen. Ich muss ansprechen, dass die SPD, obwohl sie in
ihrem Antrag zu Recht die Datensammelwut des Staates
kritisiert, ihre Haltung zur Vorratsdatenspeicherung nicht
korrigiert, und das, obwohl wir am Fall Prism die
krassen und verfassungswidrigen Auswirkungen dieser
Sicherheitslogik klar erkennen können. Was wir jetzt
über Prism erfahren, ist erschreckend und wird in den
Bereichen, über die wir hier diskutieren, verheerende
Auswirkungen haben. Es ist schlimm genug, dass
dauerhafte massenhafte schwellenlose Grundrechtsverletzungen zum System erhoben wurden. Die Enthüllungen werden darüber hinaus auch das Vertrauen in
den zentralen Kommunikationsraum unserer Zeit nachhaltig schwächen. Das ist schlecht für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für die Wirtschaft. Und
es ist verheerend, wenn nicht gar tödlich, für sämtliche
E-Government-Projekte wie zum Beispiel Ihr geliebtes
De-Mail-Projekt.
({6})
Mit Erstaunen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union - das sage ich Ihnen jetzt einmal ganz direkt höre ich Ihre öffentlichen Statements zu Prism. Da wird
geholzt: CSU-Parlamentarier sprechen von Stasimethoden. Innenminister geben sich empört und schreiben
Briefe an die US-Regierung. Das sind dieselben Kolleginnen und Kollegen, denen hier in den letzten Jahren
kein Sicherheitsgesetz scharf genug sein konnte,
({7})
die bei jeder Gelegenheit die Vorratsdatenspeicherung
fordern, diesen Dammbruch für den Schutz der freien
Kommunikation und der Unschuldsvermutung. Das ist
unglaubwürdig, und das trägt bigotte Züge.
({8})
Ich sage Ihnen: Die Diskussion um Prism - ja, damit
müssen Sie jetzt leben - und die Praktiken der Totalüberwachung müssen der Wendepunkt in der Debatte um das
immer stärkere Ausdehnen sogenannter Sicherheitsgesetze nach 2001 sein. Vollziehen wir diese Wende jetzt
nicht, gibt es bald keinen Rechtsstaat mehr, den wir hier
verteidigen können.
Ganz herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Herr Kollege,
durch Lautstärke hat noch niemand die Situation retten
können.
({0})
Es ist keine Lösung, möglichst viele Nebelkerzen in einen Topf zu werfen, sich das bunte Feuerwerk anzuschauen und zu hoffen, dass irgendetwas irgendwo
schon hängen bleiben wird.
({1})
Zur Frage des Verbraucherschutzes und zum Thema
Daten haben die Kollegin Heil und der Kollege
Dr. Schweickert schon das Entscheidende gesagt. Die
Union hat deutlich gemacht, dass das, was in den Vereinigten Staaten passiert, soweit es europäischen Boden
betrifft, auf einer Rechtsgrundlage zu basieren hat, die
überprüfbar sein muss. Das ist unsere Haltung. Das war
sie immer. Der Datenschutz in Deutschland und in Europa muss auch für die Amerikaner gelten. Hier werden
Sie es nicht schaffen, uns irgendetwas ans Bein zu binden, was mit den letzten vier Jahren mit Sicherheit nichts
zu tun hat.
({2})
Abstruser wird die Situation noch, wenn man sich
über die Frage Stiftung Datenschutz unterhält. Stellen
Sie sich einmal vor: Diese christlich-liberale Koalition
hat in den letzten vier Jahren genau das geschafft, was
vonseiten der SPD seit 1998 angekündigt wurde. Mit der
Aussage, „Wir werden etwas schaffen, das in der Lage
ist, unabhängig vom Staat, aber auch unabhängig von
der Wirtschaft zu agieren“, beginnt bereits die irrige
Logik, zu glauben, man könne Unabhängigkeit in irgendeiner Art und Weise, am besten noch im Chemielabor, konstruieren.
Wir haben eine Stiftung Datenschutz - Herr Kollege, Sie
haben es Gott sei Dank auch zahlenmäßig aufbereitet -, bei
der vollkommen klar ist, dass weder die öffentliche
Hand, vor der gewissermaßen eine große Angst bestanden hat, noch die datenverarbeitende Wirtschaft überhandnehmen können.
({3})
Kollege Frieser.
Ich habe ihn schon gesehen. Einen kleinen Augenblick. Vielleicht kann er sich die Frage so lange merken,
bis ich mit diesem Gedanken fertig bin.
Wir haben es geschafft, dass sich diese beiden Pole
gegenseitig kontrollieren. Das ist die Definition von
Unabhängigkeit. Das heißt, dass es auf der einen Seite
eine öffentliche Kontrolle der Politik und auf der anderen Seite die datenverarbeitende Wirtschaft mit ihrem
Sachverstand und die Verbände, die für den Verbraucherschutz da sein sollen, gibt. Das ist unsere Vorstellung von Datenschutz, vor allem von verbrauchergerechtem Datenschutz.
Sich jetzt an dieser Stelle in die Obstruktion zu flüchten, weil man der Auffassung ist, das könne nur in öffentlicher Hand organisiert werden, ist meines Erachtens
der Inbegriff der Unlogik oder der Zwiegespaltenheit;
denn es geht eigentlich nur darum, Obstruktion zu
betreiben. Es geht eben gerade nicht mehr darum, deutlich zu machen, dass man einen unabhängigen Verbraucherschutz will und dass man eine Stiftung will, bei der
Fachleute zusammengezogen werden, die in der Tat
auch in der Lage sind, darüber zu entscheiden, was notwendig ist. - Jetzt hätten wir Zeit.
Dann frage ich Sie, ob Sie eine Bemerkung oder
Frage des Kollegen von Notz zulassen. - Das ist so.
Dann hat er das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Die Stiftung Datenschutz, die Sie hier so über den grünen Klee loben,
haben Sie, glaube ich, noch nie gesehen oder sich mit
den Menschen, die dort verantwortlich sind - es ist, ehrlich gesagt, nur einer -, unterhalten. Sie haben dieses
großartige Projekt beschrieben, daher können Sie mir
vielleicht sagen, wie viel Geld dieser Stiftung im Jahr
zur Verfügung steht, wie viele Menschen derzeit für sie
arbeiten, ob es eine Homepage gibt, auf der man schon
irgendetwas feststellen kann und wie viele der Plätze im
Aufsichtsrat, den Sie hier so gelobt haben, überhaupt besetzt sind. Das würde mich sehr interessieren. Ich könnte
Ihnen dann auch die Antworten geben. Das kann ich mir
nämlich merken.
Ich fange einmal mit der Satzung an. Die Stiftung hat
keinen Aufsichtsrat, sondern einen Verwaltungsrat, einen Vorstand und einen Beirat.
({0})
Das macht aber nichts. Ich finde die Tatsache interessant, dass man durchaus in der Lage wäre, von diesen
34 Verwaltungsratsmitgliedern einen auszuwählen, der
sich mit genau diesen Fragen beschäftigt,
({1})
damit nämlich, wie sich diese Stiftung zu finanzieren
hat, wie der Arbeitsauftrag aussieht und was die Aufgabenfelder sind. Genau das wäre die Aufgabe: einen
Vorstand zu kontrollieren und ihm mit diesen Fragen
deutlich zu machen, welchen Auftrag er nach der Satzung tatsächlich haben sollte. Das müsste meines Erachtens als Antwort schon genügen.
({2})
Mir geht es aber noch um etwas ganz anderes, nämlich um die entscheidende Tatsache, dass Sie an dieser
Stelle versuchen, ein Instrument, das Sie selber einmal
mit aus der Taufe heben und schaffen wollten, nur weil
es in der Zeit der Koalition erarbeitet und auf den Weg
gebracht wurde, durch politische Obstruktion lahmzulegen. Ich hoffe nur, dass sich die Menschen, die sich dort
einbringen, dass sich die Fachleute in diesem Land, die
sich dort einbringen, nicht davon ins Bockshorn jagen
lassen, sondern dass wir in der Lage sind, unserem politischen Auftrag gerecht zu werden und dem Datenschutz
gerade auch mit der Stiftung Datenschutz eine Zukunft
zu geben.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die SPD versteht die umfassende Digitalisierung als eine Chance, gesellschaftlich und wirtschaftlich.
Wir sehen die Chance in gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe, in neuen Bildungsmöglichkeiten und wirtschaftlichem Innovationspotenzial. Wie immer gibt es
dabei natürlich auch Risiken: beim Schutz persönlicher
Daten, mit neuen Abhängigkeiten, die entstehen, durch
wirtschaftliche Übervorteilung.
Wir haben mit unserem Positionspapier und dem
darauf basierenden Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ einen Vorschlag gemacht, wie
man auch in der digitalen Welt verbraucherpolitische
Leitplanken zum Nutzen der Verbraucherinnen und Verbraucher einziehen kann. Meine Kollegin Brigitte
Zypries hat einige der Handlungsfelder, die wir angesprochen haben, schon erläutert. Ich will drei weitere
Beispiele nennen: die Frage der Datenportabilität, die
Frage von Privacy by Default und Privacy by Design
und die Frage der Nutzerrechte im Urheberrecht.
Das Recht auf Datenportabilität, in der Öffentlichkeit
noch wenig wahrgenommen, wird zu einem der entscheidenden Grundrechte werden. Bei der Nutzung von
Cloud-Diensten, integrierten Foto-, Video- und Musikdiensten und sozialen Netzwerken hinterlege ich Daten,
speichere ich Daten, vertraue ich einem Dienstleister
Daten an. Aber längst gilt das auch bereits für Gegenstände wie zum Beispiel ein Auto oder ein SmartMeter.
Bei den Schwierigkeiten beim Export dieser Daten, bei
der Übernahme in das Angebot eines Konkurrenten entsteht schnell der goldene Käfig eines Herstellers.
Einen kurzen Augenblick. - Ein Recht auf Datenportabilität, auf eine elektronische Kopie, auf einen
Übertrag auf einen anderen Dienstleister schafft Kontrollmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und sorgt für Wettbewerb.
Herr Kollege Schweickert möchte eine Frage stellen
oder eine Bemerkung machen.
({0})
Sie gestatten das? - Dann hat er das Wort.
Herr Kelber, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage.
Sie sprechen in Ihrem Antrag, auf den Sie jetzt noch
einmal deutlich verwiesen haben, immer von Marktwächtern, die Sie in der digitalen Welt einführen möchten. Ich stelle Ihnen die Frage, ob Sie auf abgeordnetenwatch.de bei einer Antwort den Marktwächter mit den
Eigenschaften „Schnüffeln“, „Bellen“ und „Beißen“ definiert haben. Sind Sie nicht der Meinung, dass diese
Definition eines Marktwächters in der digitalen Welt gerade in der heutigen Zeit, in der wir das Thema Prism
und anderes diskutieren, unangebracht ist?
Herr Kollege Schweickert, ich weiß nicht, wie Sie mit
abgeordnetenwatch.de umgehen. Ich halte es übrigens
für gut, weil die Fragen öffentlich gestellt und öffentlich
beantwortet werden. In der letzten Zeit habe ich dort
etwa 100 Fragen beantwortet.
In der Tat habe ich bei der Frage nach den Marktwächtern darauf verwiesen - im Gegensatz zu mir werden Sie den Text wahrscheinlich vor sich liegen haben;
ich wiederhole ihn aus meiner Erinnerung -, dass sich
der Begriff am englischen Beispiel orientiert, wo es
„consumer watchdog“ heißt. Dort wird definiert, dass er
schnüffelt, bellt und beißt.
Er untersucht den Markt zum Beispiel mit Mystery
Shopping, wie es Verbraucherministerin Aigner vorge31402
schlagen, aber nicht umgesetzt hat. Er gibt Laut, wenn
jemand unfaire oder falsche Angebote macht - das ist
das Bellen -, und er beißt zum Beispiel mit juristischen
Klagen zu. Ich glaube, das ist eine gute Beschreibung
dessen, was ein Wachhund macht.
({0})
Wir haben es „Marktwächter“ genannt, damit wir keine
Begrifflichkeiten verwenden, die Ihnen eine schlaflose
Nacht bereiten, Herr Kollege Schweickert.
({1})
Wir wollen die Grundsätze „Privacy by Default“ und
„Privacy by Design“ gesetzlich verankern. Ich will das
am Beispiel von Privacy by Default darstellen:
Die Einhaltung der Verpflichtung von Anbietern,
Dienstleistern und Herstellern von Produkten, diese zunächst auf maximalen Datenschutz und maximale Sicherheit einzustellen und es den Verbraucherinnen und
Verbrauchern zu überlassen, diese Einstellungen zu öffnen oder Daten preiszugeben, ist heute nicht gewährleistet. Oft muss man sich bis zu der am tiefsten hinterlegten
Einstellung durchklicken, um einen minimalen Datenschutz zu gewährleisten.
Wir wollen die Nutzerrechte in einem modernen Urheberrecht stärken, zum Beispiel durch das Recht auf
Weiterverkauf digitaler Güter. Aber wir wollen eben
auch, dass die aus der analogen Welt bekannte Idee der
Privatkopie unter den besonderen Bedingungen digitaler
Nutzungsmöglichkeiten erweitert wird. Es muss also
möglich sein, die Daten in mein privates Netzwerk zu
Hause oder auf mobile Geräte zu kopieren.
Die besondere Herausforderung besteht in der Tat in
den Innovationszyklen der digitalen Wirtschaft. Oft entsteht in wenigen Wochen oder Monaten ein neuer
Dienst. Wenn man dies mit der Geschwindigkeit vergleicht, mit der allein schon aufgrund der Beteiligungsrechte einzelgesetzliche Regelungen erfolgen können, so
sieht man: Dies ist ein hoffnungsloses Rennen. Daher
müssen wir technologie- und dienstneutrale Regelungen
treffen, die bei neuen Fragestellungen durch starke Verbraucherbehörden, aber eben auch durch die Zivilgesellschaft, Herr Professor Schweickert, also durch Marktwächter, durchgesetzt werden können.
Wir wollen die Chancen der Digitalisierung dafür nutzen, die Grundrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in der digitalen Welt politisch durchzusetzen. Dies
geschieht nicht durch Technik oder Wettbewerb allein;
es muss politisch aktiv gestaltet werden.
Sie haben gemerkt, dass ich keine großen Angriffe
gegen die Regierung gestartet habe, weil ich erläutern
wollte, aber zu einem Punkt, den Herr Schweickert in
seiner Rede als Mitglied der Regierungskoalition genannt hat, möchte ich doch etwas sagen:
Er hat gefordert, wir müssten das Safe-Harbor-Abkommen mit den Vereinigten Staaten, das natürlich vor
allem Unternehmen wie Facebook und andere für sich
nutzen, neu verhandeln. Die Forderung ist richtig. Meine
Frage ist nur: Warum haben Sie - auch Sie als Person in den letzten dreieinhalb Jahren auf Anträge der Opposition, das zu tun, immer mit einer Neinstimme geantwortet, anstatt uns in diesem Punkt zu unterstützen?
({2})
Wir haben in acht Minuten Redezeit nur einige
Punkte aus unserem Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ vorstellen können. Ich lade
alle ein, mit uns darüber zu diskutieren und Vorschläge
zu machen - auch dafür, was zusätzlich passieren oder
anders werden muss. Wir freuen uns auf den Dialog.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13886 mit dem Ti-
tel „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von
SPD und Linken und Enthaltung der Grünen.
Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem
Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Unabhängigkeit der Stiftung Da-
tenschutz sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13938, den
Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/11825 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b so-
wie die Zusatzpunkte 7 bis 9 auf:
15 a) -Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine
Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der
Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank
- Drucksache 17/13470 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates
zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank
- Drucksachen 17/13829, 17/13901 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 17/13961 -
-
Abgeordnete Ralph Brinkhaus-
Manfred Zöllmer-
Dr. Volker Wissing-
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peer Steinbrück,
Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin
Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte - Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei
Bankenkrisen
- Drucksachen 17/11878, 17/13961 Berichterstattung:Abgeordnete Ralph BrinkhausManfred ZöllmerDr. Volker WissingDr. Gerhard Schick
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({1}),
Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu den angekündigten Vorschlägen der EUKommission zur Bankenrestrukturierung und
-abwicklung
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Bankenunion beschleunigen statt bremsen Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden
- Drucksache 17/13908 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur
Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute
auf die Europäische Zentralbank ({3}) in der Fassung vom 16. April 2013
Ratsdok. 7776/1/13 REV 1
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Kontrollrechte des Europäischen Parlaments
bei EZB-Bankenaufsicht stärken
- Drucksache 17/13909 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur
Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute
auf die Europäische Zentralbank ({5}) in der Fassung vom 16. April 2013
Ratskok. 7776/1/13 REV 1
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
SSM-Verordnung zustimmen, keine innerstaatliche Präjudizwirkung schaffen
- Drucksache 17/13910 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD vor, über den wir später namentlich abstimmen
werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist
für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen.
Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Eduard Oswald von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ich hereinkam, haben einige Kollegen gesagt, sie würden
generell klatschen - egal was ich sage.
({0})
Dennoch will ich den Versuch unternehmen, zum Thema
zu sprechen; denn ich glaube, dass es in dieser Legislaturperiode ein für uns alle wichtiges Thema ist.
Mit dem Zustimmungsgesetz zur europäischen Bankenaufsicht machen wir heute den Weg für eine europaweit einheitliche Bankenaufsicht frei.
({1})
Wir nehmen als deutscher Gesetzgeber unsere Integrationsverantwortung wahr und bereiten den Weg für eine
Zustimmung der Bundesregierung zur Übertragung besonderer Aufgaben der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank.
({2})
- An der Stelle habe ich nun nicht unbedingt mit Beifall
gerechnet.
({3})
Damit schaffen wir einheitliche Aufsichtsstandards in
Europa und stärken die Durchschlagskraft der Bankenaufsicht.
({4})
Wir sind davon überzeugt, dass dies das Vertrauen in die
Stabilität der Banken überall in Europa stärkt.
({5})
- Herr Präsident, ich brauche noch zusätzliche Beifallredezeit.
({6})
„Vertrauen“ ist das entscheidende Wort; denn das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Finanz- und
Kreditinstitute hat in den letzten Jahren wahrlich gelitten. Über die Ursachen wurde hier in diesem Haus ausführlich geredet. Zu lange hat man geglaubt, dass sich
die Märkte selbst regulieren. Dass dieser Weg nicht der
richtige war, wissen wir jetzt. Und wir haben die richtigen Lehren gezogen.
In dieser Legislaturperiode haben wir 30 Gesetze auf
den Weg gebracht, um die Finanzmärkte zu regulieren,
die Banken zu stabilisieren und das Vertrauen wieder
herzustellen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben national
vieles erreicht und international nicht nur einmal eine
Vorreiterrolle übernommen. Für dieses nationale Vorgehen wurden wir oft kritisiert. Doch sind zum Beispiel
das Leerverkaufsgesetz und das Restrukturierungsgesetz
ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie erfolgreich gerade
diese Vorreiterrolle war und ist und wie wichtig es war,
gegenüber unseren europäischen und internationalen
Partnern ein Zeichen zu setzen.
Wir geben heute unsere Zustimmung zur Neuordnung
der europäischen Bankenaufsicht. Künftig wird die Europäische Zentralbank die bedeutenden Kreditinstitute
der teilnehmenden Mitgliedstaaten beaufsichtigen. Wenn
wir heute dem Gesetzentwurf - wohl mit großer Mehrheit - zustimmen werden, zeigt dies auch, dass wir
gemeinsam der Auffassung sind, dass eine europaweit
einheitliche Bankenaufsicht richtig und notwendig ist.
Es zeigt aber auch, dass wir auf Europa setzen, statt die
Bürgerinnen und Bürger mit Euro-Austrittsfantasien zu
beunruhigen.
({8})
Gemeinsam begrüßen wir, dass es gelungen ist, dass
regional tätige kleine und mittlere Kreditinstitute - wie
unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken - grundsätzlich nicht der Aufsicht durch die Europäische Zentralbank unterliegen. Hier galt es, ein richtiges Maß zu
finden, und dies ist gelungen.
Wir begrüßen es auch, dass sich die Bundesregierung
für ein System der strikten Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsicht in der Europäischen Zentralbank eingesetzt hat. Hier wurde alles erreicht, was auf der Basis der
Verträge möglich war.
({9})
Es ist auch richtig, dass die europäischen Finanzminister
bekräftigt haben, an einer Vertragsänderung zu arbeiten,
um langfristig eine weitergehende Trennung von Geldpolitik und Aufsicht zu ermöglichen.
Es war richtig, dass wir dieses Zustimmungsgesetz
formuliert haben. Es ist richtig, bei dieser weitreichenden Übertragung von Kompetenzen auch den Bundestag
und den Bundesrat angemessen zu beteiligen. Ich bin davon überzeugt, dass dies bei einer derart weitreichenden
Übertragung von Aufsichtsbefugnissen notwendig ist.
Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen,
({10})
sondern müssen zügig einen europaweit einheitlichen
Mechanismus auf den Weg bringen, der uns die Abwicklung großer, international tätiger Banken ermöglicht.
Nur dann werden die neuen europäischen Aufsichtsstandards ihre volle Wirkung entfalten können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich benütze die Gelegenheit, um mich bei allen für das Miteinander zu bedanken. Im Finanzausschuss wird mit hohem Sachverstand argumentiert und gearbeitet. Aber wir alle müssen
gemeinsam daran arbeiten, hier im Plenum in einer Sprache zu reden, die nicht nur von den Experten verstanden
wird.
({11})
Auch das gegenseitige Zuhören und die Fähigkeit, auf
die Argumente des anderen einzugehen, müssen immer
wieder neu erarbeitet werden, auch im Ausschuss.
Dass meine CSU-Landesgruppe heute Abend so stark
vertreten ist, ehrt mich persönlich;
({12})
denn ihr habe ich auf meinem politischen Weg in Bonn
und Berlin eigentlich alles zu verdanken.
({13})
Ich hatte die Ehre, in meiner Parlamentszeit neben vielen
anderen Aufgaben Vorsitzender von drei Parlamentsausschüssen zu sein, darunter in der Zeit der Großen Koalition auch im Finanzausschuss.
Ich habe mich für die Kollegialität über alle Fraktionsgrenzen hinweg zu bedanken. Auch wenn die Politikansätze da und dort unterschiedlich sind, ja, in einer
demokratischen Struktur unterschiedlich sein müssen,
gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als gerade in Wahlzeiten
oder an Sitzungstagen wie heute zum Ausdruck kommen.
({14})
Das stimmt mich für unsere parlamentarische Demokratie insgesamt zuversichtlich. Aber auch wenn es einfach klingt, ist es dennoch wahr: So wie Politik nichts
anderes ist, als im Dienst für unsere Mitbürgerinnen und
Mitbürger zu stehen, so hat die Finanzwirtschaft die
Aufgabe, nicht für sich selbst da zu sein und mit sich
selbst Geschäfte zu machen,
({15})
sondern sie hat der realen Wirtschaft und damit allen
Menschen zu dienen.
({16})
Lieber Kollege Oswald, ich bedanke mich bei Ihnen
im Namen des ganzen Hauses für die langjährige, kollegiale und menschliche Zusammenarbeit im Deutschen
Bundestag und auch in der Bundesregierung. Sie waren
seit 1987 Mitglied des Bundestages, also in sieben Legislaturperioden. Das war sicher eine spannende und
aufregende Zeit, insbesondere die Zeit der Bildung der
deutschen Einheit. Ich hoffe, Sie werden die Jahre ohne
Bundestag trotzdem gut verbringen und die Zeit auch
ohne Politik gut ertragen. Alles Gute!
({0})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Manfred
Zöllmer das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum brauchen wir eine Bankenunion in der EuroZone? Bisher ist Europa sehr schonend mit seinen Banken umgegangen. Während in den USA in den letzten
Jahren seit Beginn der Finanzkrise fast 500 Banken geschlossen wurden, sind es in Europa nur sehr wenige gewesen.
Die Konsequenz daraus lautet: Es gibt viele marode
Banken in Europa, und sie existieren weiter. Die Folge
ist eine massive Störung des Interbankenmarktes, weil
das Vertrauen der Banken untereinander nicht mehr vorhanden ist. Diese maroden Banken sind ein großes Problem. Sie verleihen kaum noch Kredite und werden
künstlich am Leben gehalten. Sie können nicht richtig
leben, gestorben sind sie aber auch nicht. Sie sind
scheintot.
Nationale Aufseher haben bisher kaum eingegriffen,
weil sie um die Zahlungsfähigkeit ihrer Staaten fürchteten. Zypern ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Wenn eine
dieser maroden Banken dann endgültig ins Wanken geriet, mussten die Steuerzahler bisher diese Banken retten.
Insgesamt müssen wir feststellen: Die Risiken sind
längst europäisch geworden; die Aufsicht blieb national.
Wir brauchen deshalb dringend eine Bankenunion in Europa, die diese Banken auf Augenhöhe überwachen,
kontrollieren und notfalls auch abwickeln kann.
({0})
Das war die Forderung von Peer Steinbrück in seinem
Papier zur besseren Regulierung der Finanzmärkte.
({1})
Dies war die Forderung der Bundestagsfraktion der
SPD. Inzwischen hat sich auch die Bundesregierung
diese Forderung grundsätzlich zu eigen gemacht.
Nun soll der Bundestag grünes Licht für eine gemeinsame Bankenaufsicht bei der EZB geben. Ich will jetzt
nicht im Detail auf die europa- und verfassungsrechtlichen Probleme eingehen. Nur so viel: Das von der
Bundesregierung gewählte Verfahren stellt aus unserer
Sicht kein Präjudiz für ähnliche Übertragungen von Aufgaben auf die europäische Ebene dar.
({2})
Dies haben wir als Berichterstatter in einer gemeinsamen
Erklärung für das Ausschussprotokoll formuliert.
Die Bankenaufsicht soll auf die EZB übertragen werden. Sie ist zurzeit die einzig funktionsfähige Institution
in der Euro-Zone, die dies durchführen kann. Es bleibt
aber ein Problem, nämlich das ökonomische Problem
der Verquickung von Aufsicht und Geldpolitik. Hier
kann es zu ganz erheblichen Konflikten kommen. Denn
die Aufgabe der unabhängigen EZB ist es, Geldpolitik
zu betreiben. Sie wurde nach dem deutschen Muster eingerichtet. Das war auch richtig. Deshalb kann ich manche aktuelle Diskussion vor allem aus konservativen
Kreisen über die EZB und ihre Geldpolitik kaum nachvollziehen.
({3})
Die Konstruktion einer sogenannten Chinese Wall
zwischen Aufsicht und Geldpolitik zur Vermeidung von
Konflikten konnte nur teilweise gelingen. Dies hat die
Anhörung deutlich gezeigt. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten in unserem Entschließungsantrag, die Übertragung der Aufsicht auf die EZB nur vorübergehend
vorzunehmen, bis eine eigenständige europäische Institution, die von der EZB unabhängig ist, diese Aufgabe
übernehmen kann.
({4})
Die Übertragung der Aufsicht kann nur ein erster
Schritt sein. Damit alleine haben wir noch keine Bankenunion. Eine Aufsicht ohne Sanktionsmöglichkeit ist
ein zahnloser Tiger. Damit sind wir beim Thema Rekapitalisierung und Abwicklung. Im letzten Jahr wurde auf
einem Europäischen Rat mit Zustimmung von Frau
Merkel vereinbart, dass mit der Einführung einer europäischen Bankenaufsicht eine direkte Rekapitalisierung
von Banken aus dem Europäischen Stabilitätsmechanis31406
mus, dem ESM, erfolgen kann. Dies ist eine fatale Entscheidung; denn der ESM wurde aus Steuergeldern gespeist und sollte dazu dienen, Staaten und nicht Banken
finanziell am Leben zu erhalten.
({5})
Wer Banken schont und dafür den Steuerzahler in die
Haftung nehmen will, der lässt weiterhin den Steuerzahler für marode Banken in Europa bluten. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten: Keine direkte Rekapitalisierung von Banken aus dem ESM! Hände weg vom Geld
der Steuerzahler!
({6})
Unsere Alternative heißt: Eigentümer und langfristige
Fremdkapitalgeber müssen zuerst in die Haftung kommen. Wir brauchen eine vernünftige Haftungskaskade.
Darüber hinaus brauchen wir einen einheitlichen europäischen bankenfinanzierten Restrukturierungsfonds,
unabhängig von der EZB, der gespeist wird über eine
Bankenabgabe, die sich am systemischen Risiko einer
Bank orientiert.
Dies ist auf der Basis der geltenden Verträge möglich.
Bisher hat sich die Bundesregierung diesen Forderungen
verweigert. Damit befindet sie sich im Widerspruch zur
EU-Kommission, zur EZB und zu nahezu allen namhaften Experten. Dies hat die Anhörung noch einmal deutlich gezeigt. Wir fordern das in unserem Antrag. Ihr
Stimmverhalten wird zeigen, wie Sie zu Forderungen,
die Banken und nicht den Steuerzahler in die Haftung zu
nehmen, stehen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Schritt,
Bankenaufsicht, geht in die richtige Richtung. Bei den
weiteren Schritten sind Sie aber auf dem Holzweg. Ändern Sie die Richtung! Diese Bundesregierung macht
doch auch sonst Politik nach dem Motto „Was kümmert
mich mein Geschwätz von gestern?“.
Danke sehr.
({8})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Volker
Wissing das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst dem Kollegen Eduard Oswald herzlichen Dank, Anerkennung und Respekt im Namen der
FDP-Fraktion aussprechen. Er war und ist ein wertvoller
Kollege, der einen besonders menschlichen und wertvollen Stil in die parlamentarische Debatte gebracht hat.
Wir haben großen Respekt vor ihm als Parlamentarier
und sind dankbar, dass er Kollege von uns ist, und sind
stolz, dass wir mit ihm zusammenarbeiten durften.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat bereits im Jahr 2005 ein europäisches Bankenaufsichtsregime gefordert. Nicht dass wir die Krise
vorausgesehen hätten - aber uns war damals schon klar,
dass sich die Finanzwirtschaft immer stärker vernetzt
und dass Dinge, die so eng zusammenhängen, auf Dauer
nicht mehr rein nationale Aufgaben sein können.
Wir haben, als sich die Regierungschefs darauf verständigt haben, ein europäisches Aufsichtsregime zu
schaffen, hier im Deutschen Bundestag einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem wir die Eckpunkte
festgelegt haben, wie aus unserer Sicht eine europäische
Aufsichtsstruktur geschaffen werden soll.
Dabei war immer klar: Wir wollen nicht warten, bis
es eine Vertragsänderung gibt, sondern wir wollen auf
der Grundlage des geltenden Primärrechtes eine Bankenaufsicht schaffen, weil wir keine Zeit haben, um weiter
zuzuwarten. Wir haben nach wie vor eine Vertrauenskrise an den Märkten. Vertrauen zurückzugewinnen,
setzt handlungsfähige, effektive staatliche Strukturen voraus. Wir haben gesehen, dass die nationalen Aufsichten
nicht mehr ausreichen, weil nationale Risiken im Bankensektor die gesamte Euro-Zone betreffen und Risiken
anderer Länder auch Risiken deutscher Steuerzahler sein
können. Deswegen haben wir uns darauf verständigt, so
schnell wie möglich eine europäische Bankenaufsicht zu
schaffen.
Selbstverständlich ist damit nicht alles vollendet.
Selbstverständlich muss man jetzt auch noch an Restrukturierungsfragen herangehen. Aber das, was man auf der
Grundlage des geltenden Primärrechtes ohne Vertragsänderung schaffen kann, muss schnell kommen. Mit der
SSM-Verordnung liegt die richtige Verordnung vor. Wir
können sagen, dass die Bundesregierung alle Punkte, die
der Deutsche Bundestag hier für wichtig erachtet hat, in
die SSM-Verordnung hineinverhandelt hat, und deswegen können wir ihr heute zustimmen.
({1})
Es geht nicht um die Frage: Wie und aus welchem
Fonds werden Banken rekapitalisiert? Es geht heute
auch nicht um die Frage, wie ein Restrukturierungsregime aussieht. Dazu haben wir klare Vorstellungen; aber
darüber entscheiden wir heute nicht. Diese Dinge müssen noch verhandelt werden. Aber wichtig ist, dass jetzt
eine einheitliche Aufsicht kommt und dass wir den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sagen können: Wir haben die Lücke erkannt. Wir wollen, dass wir
über eine europäische Aufsicht die Möglichkeit haben,
auch Einfluss auf die Kontrolle von Banken im europäischen Ausland auszuüben, weil diese Banken Risiken
haben, die sich für deutsche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler realisieren können. Das Warten auf eine Vertragsänderung wäre nicht zu verantworten.
Wir verabschieden heute nicht die SSM-Verordnung
unmittelbar, sondern ein Gesetz, das die Bundesregierung ermächtigt, dieser Verordnung zuzustimmen, nicht
deshalb, weil der Deutsche Bundestag Kompetenzen von
europäischer Ebene wieder an sich ziehen möchte, sondern deshalb, weil wir uns unserer Verantwortung stellen
wollen.
({2})
Es geht hier um die Übertragung exekutiver Rechte. Die
Europäische Zentralbank wird in Grundrechte Deutscher
eingreifen können - und das unmittelbar. Da ist es für
uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir als Vertreter
des Souveräns dies ganz klar mit einer Willensbildung
des Deutschen Bundestages begleiten.
({3})
Das ist das Maximum an parlamentarischer Beteiligung.
Wir stellen uns unserer Verantwortung. Wir wollen nicht
Kompetenzen anderer an uns ziehen.
({4})
Sie sagen, Herr Kollege Zöllmer, dass die Problematik der Haftungskaskade gelöst werden muss. Da sind
wir einer Meinung. Die Bundesregierung hat deutlich
gemacht, dass Vertragsänderungen erforderlich sind. Wir
werden jetzt mit aller Sorgfalt, mit der notwendigen Zeit
- die werden wir uns nehmen müssen - auf Vertragsänderungen hinwirken. Wir werden dann die Frage des Restrukturierungsregimes klären und werden auch da in
Europa richtungsweisend wirken, weil wir mit dem deutschen Banken-Restrukturierungsgesetz eine Vorleistung
erbracht haben.
Was sorgfältig erarbeitet werden kann, auch durch
Vertragsverhandlungen erarbeitet werden muss, soll
sorgfältig erarbeitet werden. Aber die Bankenaufsicht
kann nicht auf sich warten lassen. Wir brauchen sie dringend, um das Vertrauen zurückzugewinnen, und wir
brauchen sie dringend, um Prävention im Sinne deutscher Steuerzahlerinnen und Steuerzahler betreiben zu
können. Deswegen können wir diesem Gesetz mit voller
Überzeugung zustimmen.
Die Bundesregierung hat dem Willen des Deutschen
Bundestages Rechnung getragen. Wir kommen Schritt
für Schritt voran. Wir werden die europäischen Finanzmärkte damit stabiler machen und einen Schutzwall für
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bauen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gut sechs Jahre ist der Ausbruch der Finanzkrise her. Viele, viele Arbeitsplätze hat sie gekostet und
viele Menschen, die gar nichts, rein gar nichts für die
Krise konnten, in finanzielle, in existenzielle Not gebracht. Die Staatsverschuldung vieler Länder schnellte
rasant in die Höhe. Die Finanzkrise ging in die Krise des
Euros über, und in vielen europäischen Staaten spitzten
sich die Probleme der Bevölkerung dramatisch zu; sie
spitzen sich weiter zu. Die Arbeitslosenrate unter Jugendlichen in Griechenland, das sich im sechsten Jahr
der Rezession befindet, liegt bei rund 60 Prozent - auch
eine Folge der harten Spar- und Kürzungsprogramme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Armutszeugnis der Politik und sicher auch einer der Gründe,
warum die Politikverdrossenheit zunimmt und radikale
eurokritische Parteien wie die „Alternative für Deutschland“ Zulauf erfahren, dass Sie viel zu spät gehandelt haben und handeln.
({0})
Die Krise brachte die Erkenntnis - immerhin! -, dass
nicht die weitere Liberalisierung der Finanzmärkte die
Lösung sein kann, getreu dem Motto „Der Markt wird es
schon richten“, sondern dass es sowohl der Regulierung
der Bankentätigkeit, insbesondere der Bankprodukte, bedarf, um Zockerei, die nichts mit der Kernaufgabe von
Banken, der Finanzierung der Realwirtschaft, zu tun hat,
zu verhindern, als auch klarer Mechanismen zur Abwicklung insolventer Banken, um zu verhindern, dass
weiterhin die Gewinne privatisiert und die Verluste der
Allgemeinheit, also uns allen, aufgebürdet werden.
({1})
Dies erfordert eine Bankenaufsicht, einheitlich geregelt,
mindestens im Euro-Raum; das ist unbestritten.
Heute geht es um einen Gesetzentwurf, mit dem besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht
über Kreditinstitute auf die EZB übertragen werden sollen, die SSM-Verordnung. Der deutsche Vertreter im Rat
soll ermächtigt werden, dem Vorschlag für die Verordnung des Rates zuzustimmen. De facto wollen Sie damit
von uns heute nur die förmliche Zustimmung und sich
damit rechtlich absichern.
Die Linke sieht die Notwendigkeit einer europäischen
Bankenaufsicht, ganz klar.
({2})
Allerdings ist Ihre Umsetzung so halbherzig, dass wir
Ihrem Vorgehen nicht zustimmen können. Die Kritikpunkte überwiegen eindeutig. Schließlich muss die
Frage lauten: Wird die Bankenaufsicht mit Ihrem Gesetz
besser oder nicht? Das ist der springende Punkt. Man
muss leider sagen: Nein, sie wird nicht besser.
({3})
Lassen Sie mich vier Punkte herausgreifen.
Erstens. Die Begrenzung der europäischen Bankenaufsicht auf die Euro-Zone erfasst damit nicht die Bank31408
aktivitäten am größten europäischen Finanzplatz London. Das ist natürlich ein Riesenmanko.
({4})
Zweitens. Die europäische Bankenaufsicht, so wie sie
bei der EZB angesiedelt werden soll, birgt in sich einen
Zielkonflikt zwischen der Geldpolitik der EZB und ihrer
Aufsichtstätigkeit. Zudem ist die Europäische Zentralbank den Weisungs- und Kontrollrechten der Regierungen völlig entzogen. Ich will das einmal vergleichen:
Die BaFin, die nationale Bankenaufsicht, untersteht der
Rechts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums,
welches wiederum der parlamentarischen Kontrolle unseres Hauses untersteht. Das ist eine ganz andere Konstruktion.
Drittens. Die von Ihnen organisierte Bankenaufsicht
hat im Prinzip keinerlei Macht. Im Gegensatz zur nationalen Bankenaufsicht hat die EZB keinerlei Möglichkeiten, die von ihr beaufsichtigten systemrelevanten
Banken zu schließen, abzuwickeln oder neu zu organisieren. Es ist sozusagen ein Tiger ohne Zähne. Da wird
sich von vornherein manche Bank freuen.
Viertens entsteht mit der neuen Bankenaufsicht ein
weiteres Problem. Richtig ist, dass wir heute in Europa
eine Vernetzung zwischen den Banken haben, aber gleichermaßen auch im Wertpapierhandel und im Versicherungswesen. Was wir brauchen, ist eine Allfinanzaufsicht, die tatsächlich alle diese drei Bereiche kontrolliert.
({5})
In Ihrer Organisation der Bankenaufsicht besteht die Gefahr, dass Krisen nicht erkannt werden und einfach von
einem Bereich auf einen anderen überschwappen.
Die Bundesregierung war viel zu lang untätig. Nun
läuft Ihnen einfach die Zeit davon. In Windeseile erschaffen Sie hier ein Gesetz, mit dem Sie sich eine
Zustimmung im Bundestag erkaufen wollen. Die Bankenaufsicht wird nicht besser als vorher sein, in manchen Punkten sogar schlechter. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle meinem ehemaligen
Ausschussvorsitzenden Herrn Oswald persönlich danken, der nicht nur als Ausschussvorsitzender eine hervorragende Arbeit geleistet hat, sondern - wir alle schätzen ihn als Vizepräsidenten des Bundestages - der sich
immer um eine gute Auseinandersetzung und eine gute
Stimmung im Haus bemüht hat, trotz aller Probleme, die
wir durchaus miteinander haben. Danke.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich erst einmal dem Dank an Eduard Oswald
herzlich anschließen, der für mich als Neuparlamentarier
in meinen ersten Schritten im Parlament mehr als fair
war. Danke schön.
({0})
Zu dem Gesetz. Normalerweise haben wir im Finanzausschuss dicke Gesetze, bei denen viel durchzulesen
und durchzuarbeiten ist und in denen es viele Detailregelungen gibt. Heute haben wir ein Gesetz, das auf einen
Zettel passt und in dem vier Sätze stehen. Von diesen hat
eigentlich nur einer eine inhaltliche Aussage. Dieser
heißt: Der deutsche Vertreter im Rat soll der Übertragung der Bankaufsichtskompetenz auf die europäische
Ebene zustimmen.
Es ist ein bisschen komisch, ein solches Gesetz zu haben. Dahinter steht eine rechtspolitische, eine verfassungsrechtliche und europarechtliche Diskussion. Wir
meinen, dass der Weg, den die Bundesregierung geht,
falsch ist. Es wäre richtig, hier nicht ein Gesetz zu machen, denn das Gesetz gibt es schon auf europäischer
Ebene, sondern mit einer Stellungnahme nach Art. 23
des Grundgesetzes unsere Auffassung zum Ausdruck zu
bringen, wie die Bundesregierung in Brüssel agieren
soll; denn genau dafür gibt es diesen Artikel.
({1})
Lassen Sie uns den Gesetzentwurf trotz dieses Verfahrensfehlers in der Sache bewerten. Heute geht es
darum, einen großen Fehler der Bundesregierung zu korrigieren. Es ist ja eine komische Situation: Es gibt eine
europäische Bankenaufsicht, und wir schaffen eine europäische Bankenaufsicht. Was soll denn das? Es gibt bereits eine europäische Bankenaufsicht in London. Sie hat
ihre Arbeit am 1. Januar 2011 aufgenommen. Aber sie
hat keine wirklichen Durchgriffsrechte auf die Banken.
Da fragt man sich: Wieso hat man das nicht schon damals so gemacht, wenn heute eine Bankenaufsicht geplant ist, die genau diese Durchgriffsrechte haben soll?
({2})
Nun, die Antwort ist ganz einfach. Es gab zwei
Regierungen, die vehement dagegen waren. Eine dieser
Regierungen sitzt leider hier in Berlin. Sie muss heute
einsehen, dass sie vor drei Jahren auf dem völlig falschen Dampfer war und Europa drei Jahre verloren hat.
Das war für den deutschen und den europäischen Steuerzahler teuer.
({3})
Wir haben das schon damals gefordert. Dass das richtig
war, war allen klar: dem Europäischen Parlament, der
Europäischen Kommission und der europäischen Öffentlichkeit.
Warum ist das so fatal? Es wäre in den letzten Monaten gut gewesen, eine europäische Bankenaufsicht zu haben, um sich die Situation der Banken in Zypern genau
anschauen zu können. Es wäre auch gut gewesen, eine
europäische Bankenaufsicht zu haben, um die Probleme
in Spanien rechtzeitig aufzuklären und dafür zu sorgen,
dass sie nicht ewig verschleppt werden. Europa hätte
sich viele dramatische Monate der Rettung ersparen können, wenn wir rechtzeitig gehandelt hätten. Es ist gut,
dass dieser Fehler endlich korrigiert wird.
({4})
Ich richte meinen Blick aber nicht nur in die Vergangenheit. Diese Koalition ist nämlich dabei, dieselbe Art
von Fehler zu wiederholen, nämlich beim Abwicklungsfonds. Eines sollte man sich zu Herzen nehmen - Europäische Zentralbank und Bundesbank sind ja nicht immer einer Meinung; aber in dieser Frage sprechen sie mit
einer Stimme -: Es ist gefährlich, wenn die Aufsichtskompetenz auf europäischer Ebene angesiedelt ist, die
Abwicklung von Banken, die wackeln, aber nur national
organisiert werden kann. Davor haben Herr Mersch gestern in den Ausschüssen und Frau Lautenschläger-Peiter
in den letzten Tagen für die Bundesbank gewarnt. Alle
Experten sagen: Das gehört zusammen. Wer steht wieder
auf der Bremse? Diese Bundesregierung.
({5})
Warum ist das so fatal? Es wird jetzt noch einmal eine
Überprüfung der Bankbilanzen geben. Das macht die
EZB; das ist gut, und das ist richtig so. Wenn dann Kapital fehlt, gibt es zwei Wege, es zu beschaffen. Der erste
Weg besteht darin, dass sich der Steuerzahler mit Geld
beteiligt; diesen Weg hat die Bundesregierung durch den
ESM eröffnet. Es gibt einen zweiten Weg: Man könnte
das Kapital auch durch einen Bankenabwicklungsfonds,
den die Banken bezahlen, beschaffen. Diesen Weg blockiert die Bundesregierung. Nach Adam Riese ist klar,
was wieder passieren wird: dass doch der Steuerzahler
ins Risiko gehen muss. Deswegen fordern wir Sie in unserem Antrag auf: Machen Sie endlich den Weg frei,
dass die Probleme der Banken von den Banken gelöst
werden und nicht mehr vom Steuerzahler!
({6})
Ich möchte einen letzten Punkt, der uns Parlamentariern wichtig sein sollte, ansprechen. Häufig wird in Sonntagsreden beklagt, dass irgendwelche europäischen Institutionen entscheiden, sie aber nicht demokratisch
kontrollierbar sind. In diesen Tagen geht es um genau
diese Frage: Gibt es, was die neue Bankenaufsichtskompetenz der Europäischen Zentralbank angeht, eine effektive parlamentarische Kontrolle oder nicht? Da sind wir
uns im Grunde und abstrakt einig. Aber jetzt geht es
genau darum, dass der Deutsche Bundestag bei den Verhandlungen klar sagt: Wir wollen, dass das Europäische
Parlament wirklich kontrollieren kann, ob die Bankenaufsicht eine gute Arbeit macht, ob sie Großbanken richtig auf die Finger schaut, ob die Personalausstattung
stimmt. - Es reicht nicht aus, wenn man nur Fragen stellen darf, die einem niemand beantwortet. Die Bankenaufsicht muss verpflichtet sein, zu antworten. Sie muss
wirklich kontrollierbar sein, im Extremfall auch durch
einen Untersuchungsausschuss. Wir haben ja gesehen,
dass die Bankenaufsicht manchmal richtige Fehler
macht.
({7})
Der Appell der Fraktion der Grünen an Sie alle lautet:
Stimmen Sie dafür, dass die neue europäische Bankenaufsicht durch das Europäische Parlament effektiv
kontrolliert werden kann, damit nicht dadurch, dass
Deutschland Kompetenzen an die europäische Ebene abgibt, das Demokratiedefizit vergrößert wird! Vielmehr
muss demokratische Kontrolle, so wie es auch das Bundesverfassungsgericht von uns fordert, auch im europäischen Einigungsprozess immer gewährleistet sein.
Danke schön.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt der Kollege
Gunther Krichbaum das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn wir heute die Weichen für eine einheitliche europäische Bankenaufsicht stellen und damit den
Weg dafür bereiten, dass die Standards der europäischen
Bankenaufsicht eines Tages durchgesetzt werden, dann
leisten wir damit auf jeden Fall einen wesentlichen Beitrag zu einer Stabilitätskultur für unsere Währung.
Wahrscheinlich standen noch nie in einer Legislaturperiode währungs- und geldpolitische Maßnahmen so
sehr im Fokus wie in dieser. Aber eines kann man in jedem Fall festhalten: Ja, vieles von dem, was wir in den
letzten zwei oder drei Jahren hier im Deutschen Bundestag parlamentarisch begleitet und beschlossen haben,
hätte man natürlich vernünftigerweise schon damals mit
dem Vertrag von Maastricht auf den Weg bringen müssen. Es lag damals aber mit Sicherheit nicht an der Bundesrepublik Deutschland, das zu realisieren. So holen
wir jetzt gewissermaßen im Zeitraffer das nach, was damals letztlich versäumt wurde.
Dennoch: Der Euro bleibt eine attraktive Währung.
Wir brauchen den Euro, die Welt braucht den Euro als
zweite starke Leitwährung. Wie attraktiv der Euro nach
wie vor ist, sehen wir schon allein daran, dass jetzt
Lettland - darüber werden wir heute Abend auch noch
abstimmen - den Euro alsbald einführen möchte.
Doch der Blick zurück lohnt immer noch. Wir dürfen
nicht vergessen, warum wir all das machen: Wir haben
auch in der Bundesrepublik Deutschland die schwerste
Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre hinter
uns. Deswegen geht es natürlich darum, zu mehr Stabilität zu finden und die entsprechenden Entscheidungen zu
respektieren; denn - da knüpfe ich an meinen Vorredner,
Herrn Schick, an - Regeln, die aufgestellt werden, sind
immer nur so gut, wie sie respektiert werden. Wir haben
und hatten einen Stabilitätspakt.
({0})
Dieser Stabilitätspakt wurde bis zum heutigen Tag mehr
als 60-mal verletzt, ohne dass einmal vernünftig geahndet worden wäre. Letztlich wurde der Stabilitätspakt seinerzeit vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder
in einer verhängnisvollen Entente cordiale mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac aufgeweicht.
Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
({1})
Es hilft wenig, an dieser Stelle irgendwie nachzukarten. Nur gilt eines beim Blick voran: Wir müssen die
Regeln, die wir heute aufstellen, respektieren. Das gilt
insbesondere jetzt - da blicke ich abermals durchaus mit
einer gewissen Sorge nach Frankreich -, wo es ein sogenanntes Europäisches Semester gibt, wo es länderspezifische Empfehlungen gibt, aber der französische Präsident, wenn eine solche Empfehlung ausgesprochen wird,
nichts anderes zu tun hat, als zu sagen, dass er diese als
Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs erachtet.
({2})
So bauen wir sicherlich nicht das Vertrauen auf, das wir
brauchen. Aber es ist das Wichtigste, dass wir das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen.
({3})
Auch deswegen ist es wichtig, dass wir in Deutschland schon vor geraumer Zeit die Schuldenbremse in unsere Verfassung eingefügt haben. Ein zentraler Bestandteil des Fiskalpaktes war es, dass Schuldenbremsen nun
europaweit Einzug in die Verfassungen der einzelnen
Länder finden.
Ja, da gilt es weiterzumachen. Wir brauchen eine einheitliche europäische Bankenaufsicht mit drei Säulen:
Aufsicht, Abwicklungsregeln und Abwicklungsfonds.
Eines können und müssen wir heute Abend wahrscheinlich festhalten: Mittelfristig wird es nicht ohne Vertragsänderungen gehen. Wir werden sie brauchen, um mehr
Klarheit zu schaffen. Aber ich denke, entscheidend ist
auch, dass wir heute Abend hier die Weichen richtig stellen. Denn wir können für die Bürger, die uns heute
Abend noch zuhören, festhalten: Als Erstes muss eine
Bank versuchen, sich selbst am Kapitalmarkt zu retten.
Gelingt das nicht, sind als Nächstes die Anteilseigner
und die Anleihegläubiger dran, die auf ihre Forderungen
verzichten müssen. In einem weiteren Schritt müssen die
Bankkunden mit Einlagen höher als 100 000 Euro einspringen. Dann, aber auch erst dann, ist der heimische
Steuerzahler in der Pflicht. Last, but not least: Der letzte
Rettungsanker wäre die europäische Solidargemeinschaft, sprich: der ESM. So ist es insbesondere von der
Bundesregierung entwickelt worden, namentlich durch
unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor allem aber
durch Herrn Bundesfinanzminister Dr. Schäuble. Das
Vorgehen trägt unsere Handschrift. Damit setzen wir ein
gutes Zeichen in Europa.
Vielen Dank.
({4})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Dr. Peter Danckert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Auch ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen - damit ich es nachher nicht vergesse - dir, lieber Eddi
Oswald, sehr herzlich für die Begleitung meiner parlamentarischen Arbeit danken. Ich habe dich als junger
Abgeordneter in hohen Jahren als jemanden schätzen gelernt, der mit uns freundschaftlich-kollegial umgeht und
uns auch einmal einen Tipp gibt. Politisch sind wir nicht
immer einer Meinung gewesen, aber du warst für mich
als Youngster im hohen Alter ein echtes Vorbild. Da das
heute meine letzte Rede ist, freut es mich, dass ich dir
von dieser Stelle aus meinen aufrichtigen Dank dafür sagen darf. Vielen Dank!
({0})
Meine Damen und Herren, eben hat der Präsident angekündigt, dass ich für die SPD-Fraktion spreche. Ja, ich
bin Mitglied der SPD-Fraktion und auch stolz darauf,
aber ich vertrete heute eine abweichende Meinung. Es ist
guter parlamentarischer Brauch, wenn man sich dazu
durchringt, auch einen Abweichler, der möglicherweise
die richtige Auffassung hat, aber nicht die Mehrheitsmeinung vertritt, im Parlament zu Wort kommen zu lassen.
Ich bin am Dienstag und Mittwoch in Karlsruhe gewesen. Ich habe an einer spannenden Verhandlung zu
Fragen des ESM und der EZB - was ist die Aufgabe der
EZB? - teilgenommen. Wir werden sehen, wie das Verfahren ausgeht. Mein Eindruck war: Alle Parteien sehen
sich aus dieser Verhandlung als Punktsieger hervorgehen. In einigen Wochen, vielleicht Monaten, wird uns
der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit seiner Entscheidung vielleicht überraschen.
Ich will meine Ausführungen mit der einleitenden Bemerkung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Herrn Professor Voßkuhle, zur mündlichen Verhandlung beginnen. Sein ungefährer Wortlaut war: Die EZB
trifft mit ihrem Plan, Staatsanleihen zu kaufen, im
Grunde politische Umverteilungsentscheidungen, die
EZB ist aber demokratisch nicht legitimiert. Sie kann
nicht kontrolliert werden, weil sie unabhängig ist. Sie ist
politisch nicht verantwortlich und trifft dennoch weitreichende Entscheidungen.
({1})
Das ist für alle Akteure im Grunde genommen perfekt,
bis auf die, die am Ende die Zeche zahlen müssen, und
das sind leider in der Regel die Steuerzahler.
({2})
Dieses Problem hat der Präsident mit einer bemerkenswerten Offenheit angesprochen, und dieser Feststellung
kann ich mich nur anschließen.
Mit der heutigen Beschlussfassung, die mit großer
Gemeinsamkeit getroffen werden wird, setzt sich diese
fatale Entwicklung meines Erachtens fort. Ich prophezeie, dass die heutige Entscheidung ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht landet. Wir werden uns in der
nächsten Legislaturperiode mit bestimmten Fragen vielleicht gründlicher befassen und nicht alles immer sofort
aus „politischen Gründen“ akzeptieren. Auch gegen die
Bankenaufsicht, gegen die Bankenunion ist aus meiner
Sicht prinzipiell nichts zu sagen. Die Frage ist aber, wie
wir das machen und wie wir damit umgehen. Der
Kollege Dr. Schick hat gerade darauf hingewiesen, dass
dieser Gesetzentwurf, mit dem weitreichende Kompetenzen an die EZB übertragen werden sollen, im Grunde
aus einer Zeile besteht. Eine so weitreichende Kompetenz steht im Widerspruch zu dem mageren Text des
Gesetzentwurfs.
Die Probleme sind komplexer, als die meisten hier
im Raum wahrhaben wollen. Ich darf die Koalitionsfraktionen sowie die Mehrheit der Kolleginnen und
Kollegen aus meiner Fraktion daran erinnern, dass wir
am 29. Juni 2012 nach dem Gipfeltreffen vom 28. und
29. Juni 2012 in Brüssel und einem entsprechenden Änderungsantrag, der in die Haushaltsberatungen eingegangen ist, hier im Deutschen Bundestag Folgendes beschlossen haben:
Herr Kollege Danckert, ich muss Sie bitten, zum
Schluss zu kommen. Ich habe Ihnen schon ausreichend
zusätzlich Zeit gewährt.
Wird meine Zeit, in der ich Herrn Oswald gelobt
habe, angerechnet?
({0})
Die habe ich schon einbezogen.
Also: Man sollte nicht so viel mit Komplimenten arbeiten.
Meines Erachtens ist das eine ganz fatale Entwicklung. Ich will - abschließend, Herr
Bitte schön.
- auf die von meinem Kollegen Rolf Schwanitz
verfasste, von ihm, mir und weiteren Kollegen mitunterzeichnete persönliche Erklärung zur Abstimmung verweisen, in der es heißt:
Es ist ein wohl einzigartiger Vorgang in der deutschen Demokratiegeschichte, dass eine Bundesregierung über 12 Monate hinweg Verhandlungen
führt und Zusagen macht, die einem klaren Votum
des Deutschen Bundestags widersprechen.
Die Insider wissen, worauf ich abhebe.
({0})
Ich kann deshalb heute hier nicht anders als mit Nein
stimmen. Die Gründe habe ich versucht anzudeuten. Es
sind verfassungsrechtliche und politische Gründe. Ich
glaube, wir würden gut daran tun, wenn wir die Bankenaufsicht, das Abwicklungsregime und den Ausgleichsfonds als einen Komplex ansehen würden, statt hier
scheibchenweise vorzugehen.
Vielen Dank, auch für Ihre Nachsicht, Herr Präsident.
({1})
Bitte schön. - Das Wort hat der Kollege Gerhard
Drexler für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin scheinbar ein bisschen zu früh
aufgesprungen, aber als Neuer darf man ja den einen
oder anderen Fehler machen. Ich freue mich, dass ich
meine erste Rede zu diesem Thema, bei dem ich mich
ein bisschen auskenne, halten darf; denn das hat etwas
mit meinem Beruf zu tun.
In meiner Kindheit stellte uns ein Bauer eine Wiese
mit zwei Fußballtoren zur Verfügung. Wir haben ohne
Schiedsrichter gespielt; den haben wir nicht gebraucht.
Wenn einer gefoult hat, sind wir stehen geblieben und es
gab einen Freistoß. Weil sich der eine oder andere nicht
daran gehalten hat, haben wir später einen Schiedsrichter
gebraucht, aber nur einen. Das war eine schöne Kinderzeit. Wie die Geschichte weitergegangen ist, sieht man
jetzt in der Bundesliga. Wir brauchen derzeit vier
Schiedsrichter, einen Videobeweis und wer weiß was
noch alles. Versteckte Fouls gibt es trotzdem.
({0})
Jetzt kommen wir zur Welt der Banken. In der Welt
der Banken ist es ähnlich. Früher haben die Banken die
Leute mit Krediten versorgt, und die Sparer haben ihr
Geld aufs Sparbuch getan. Die Welt war damals scheinbar noch in Ordnung. Dann kamen die Leute, die Finanzprodukte designt haben. Mir sind Designer lieber, die
schöne Hemden machen. Die Finanzproduktdesigner
haben die Produkte so designt, dass keiner mehr verstanden hat, worum es sich bei diesen Finanzprodukten überhaupt gehandelt hat. Das war völlig daneben. Keiner
wusste mehr, was die verkaufen. Dann gab es noch die
Situationen, die auch kein Mensch versteht.
({1})
- Ja, ich bin noch da, meine Damen und Herren. Ich
würde mich freuen, wenn Sie mir etwas zuhören würden.
({2})
Es gibt sicher etwas Neues zu hören. Ich möchte
Ihnen eine Geschichte erzählen. Es gibt zum Beispiel einen österreichisch-spanischen Bauriesen, der immer sehr
sportlich günstige Angebote gemacht hat und dem man
dann mehrere Hundert Millionen Euro geschenkt hat,
damit er überlebt. Dem kleinen Bäckermeister hat man
die Semmeln aus dem Backofen heraus gepfändet, wenn
er nur zwei oder drei Raten nicht zahlen konnte. Deswegen muss man die Banken und die Bankenlandschaft
reformieren.
Auch in Europa ist es ziemlich deftig zugegangen.
Deswegen dürfen wir sagen: Wir brauchen eine gescheite Bankenaufsicht.
({3})
Aber die Argumente der Linken sind furchtbar, sie
sind fadenscheinig. Die wollen die Banken einfach nur
abschaffen oder verstaatlichen. Das ist schön, aber mit
uns geht das nicht.
({4})
Wir wollen keine Haftungsunion, und wir wollen auch
nicht, dass alles in einen Topf geschmissen wird. Aber
wir brauchen eine gewisse Aufsicht.
({5})
- Zuhören ist ganz schön, aber auch sehr schwierig, weil
Sie die Leute hier immer mit Ihrem Hammelsprung vertreiben.
({6})
Das ist immer ganz interessant. Sie machen da eine
Geisterfahrt. Wenn man als Geisterfahrer auf der Autobahn fährt und sich immer freut, dass irgendwelche
Leute ausweichen, wird man irgendwann bestraft, weil
man mit jemandem zusammenstößt. Ich habe einiges gesehen, was Sie machen, aber das ist wirklich der Hohn.
Sie leben in Ihrem Wolkenkuckucksheim, dabei sollten
Sie eigentlich auf das Geld der kleinen Sparer aufpassen.
Aber das machen Sie nicht.
Jetzt kommen wir wieder zurück zum Fußball. Liebe
Kollegen von der Opposition: Wer immer im Abseits
steht, darf beim nächsten Mal nicht mehr mitspielen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Herr Kollege Drexler, ich danke Ihnen für Ihre erste
Rede im Deutschen Bundestag, die Sie als Nachrücker
noch kurz vor Ende der Legislaturperiode halten konnten. Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Kolbe für die
CDU/CSU-Fraktion bzw. als abweichende Meinung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für die Einräumung von drei Minuten Redezeit. Ich bedanke mich
ganz besonders deshalb, weil es nach 23 Jahren meine
letzte Rede im Deutschen Bundestag ist.
Wie der Kollege Danckert muss ich mit einer abweichenden Meinung schließen: zehn Gründe, aus denen ich
heute nicht zustimmen kann.
Erstens. Ausgangspunkt ist der verhängnisvolle
Beschluss des Euro-Gipfels vom Juni letzten Jahres,
wonach der Euro-Krisenfonds ESM nicht nur Staaten,
sondern auch marode Banken direkt rekapitalisieren
dürfe, sobald ein Aufsichtsmechanismus unter dem
Dach der EZB funktionsfähig sei. Seitdem wird unter
Hochdruck an der europäischen Bankenaufsicht gebastelt, obwohl es vielen Staaten weniger um diese Aufsicht, als vielmehr um den direkten Zugang ihrer Banken
zum ESM geht, um ein schmerzhaftes Krisenprogramm
zu vermeiden.
Zweitens. Wie schon die Euro-Zone, so spaltet auch
die Bankenaufsicht Europa erneut. Kein einziges NichtEuro-Land nimmt an der Bankenaufsicht teil, Europas
wichtigster Finanzplatz London fehlt. Es ist schlichtweg
absurd, ohne London von einer europäischen Bankenaufsicht zu sprechen.
({0})
Drittens. Lediglich eine Verordnung auf der Basis des
Art. 127 Abs. 6 AEUV überträgt der EZB weitreichende
Befugnisse. Notwendig wäre eine Änderung des europäischen Primärrechts gewesen.
Viertens. Durch die Ansiedlung der Aufsicht bei der
EZB werden gravierende Interessenkonflikte zwischen
geldpolitischem Mandat einerseits und AufsichtsfunkManfred Kolbe
tion andererseits entstehen. Die Bundesbank hat nachdrücklich darauf hingewiesen.
Fünftens. Die Letztverantwortung für Entscheidungen
liegt bei der unabhängigen EZB. Eine unabhängige Ausübung hoheitlicher Befugnisse ohne jegliche politische
Kontrolle widerspricht dem Demokratieprinzip.
({1})
Das ist keine parlamentarische Demokratie, das erinnert
uns an Ludwig XIV.
Sechstens. Die EZB wird als Bankenaufsicht Eingriffe anordnen müssen. Welcher gerichtliche Rechtsschutz steht dagegen zur Verfügung? Das bleibt trotz der
Rechtsweggarantie des Grundgesetzes im Dunkeln.
Siebtens. Das auch für die Bankenaufsicht geltende
gleiche Stimmrecht im EZB-Rat benachteiligt große
Länder.
Achtens. Eine europäische Bankenaufsicht würde
auch eine Restrukturierungseinrichtung erfordern. Diese
fehlt aber.
Neuntens. Die Altlastenproblematik ist nicht geregelt.
Zehntens. Auch wenn die Bundesregierung es abstreitet: Der Weg von der europäischen Bankenaufsicht über
die europäische Restrukturierung wird hin zur europäischen Einlagensicherung führen. Dafür öffnen wir heute
mit diesem Beschluss im Deutschen Bundestag das Tor.
({2})
All dies sage ich als überzeugter Europäer. Aber wie
schon die Euro-Krise und die wachsende Euro-Skepsis
in Europa zeigen, kann man Europa auch durch Überforderung und übereilte Entscheidungen beschädigen. Ich
habe Angst davor, dass wir das tun.
Lassen Sie mich mich abschließend nach sechs Legislaturperioden im Deutschen Bundestag bei meinen Wählerinnen und Wählern in meinem sächsischen Wahlkreis
bedanken, die mich seit 1990 sechsmal hintereinander
direkt gewählt haben. Ich möchte mich auch bei allen
Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für 23 wunderbare Jahre der Zusammenarbeit bedanken, in denen wir
für Deutschland und für Europa sehr viel erreicht haben.
Danke.
({3})
Lieber Kollege Kolbe, auch Ihnen danke ich im Namen des ganzen Hauses für die langjährige, gute und
kollegiale Zusammenarbeit.
({0})
Jetzt hat das Wort der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion
stimmt dem Gesetzentwurf mehrheitlich zu, weil wir
hoffen, dass die Kinder überleben. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie wollen ausgehen und bestellen
den Babysitter. Der Babysitter kommt, schaut ins Kinderzimmer und sieht, dass dort der Besteckkasten, ein
paar Streichhölzer und ein paar toxische Produkte sind.
Dann werden die Kinder aktiv, machen ein kleines
Feuerchen im Zimmer; und der Babysitter darf wieder
reinschauen, aber nicht eingreifen. Deshalb sollten Sie
unserem Antrag zustimmen. Denn unser Antrag ist sozusagen der Schlüssel für das Kinderzimmer. Er ermöglicht es, dort hineinzugehen, einzugreifen und das
Schlimmste zu verhindern.
({0})
Eigentlich könnten wir uns freuen. Peer Steinbrück
hat unter dem Stichwort „Vertrauen zurückgewinnen:
Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ im
September 2012 ein exzellentes Papier vorgelegt,
({1})
das ein Gesamtkonzept aus Aufsicht, einem Abwicklungs- und Restrukturierungsfonds bis hin zur Einlagensicherung vorsieht. Sie - und wir mit Ihnen - beschließen heute aber nur die Aufsicht. Die Aufsicht ist aber ein
stumpfes Schwert; denn wenn sie etwas feststellt, zum
Beispiel eine bevorstehende Insolvenz, kann sie gar
nicht operativ eingreifen, um die entsprechende Bank, so
wie wir es wollen, abzuwickeln. Wir fragen uns, warum
Sie das nicht zeitlich koordiniert haben.
Gestern sagte EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch:
Wir können keine Aufsicht einführen, wenn wir nicht
gleichzeitig Sicherheit über die Abwicklung haben. Wer sollte es besser wissen als er?
({2})
Insofern hat Eduard Oswald, dem auch ich sehr gern für
die konstruktive Zusammenarbeit und für eine exzellente
Leitung des Finanzausschusses über viele Jahre danke
- das hat er super gemacht -, heute mit einer kleinen Nebenbemerkung nicht ganz richtig gelegen. Er sagte: Wir
schaffen heute eine Bankenaufsicht mit Durchschlagskraft. - Nein, diese schaffen wir nicht. Wir schaffen nur
die Voraussetzungen, dass sie in die Banken hereinschauen kann, aber wir schaffen für sie keine Durchschlagskraft. Diese wollen wir schaffen. Es ist absolut
notwendig, das schnellstmöglich nachzuholen.
Da - das muss man sagen - haben wir nicht unbedingt
das volle Vertrauen in Sie, natürlich auch deshalb nicht,
weil Ihre Kanzlerin relativ leichtfertig am 29. Juni letzten Jahres gesagt hat: Wenn wir einmal die Aufsicht haben, dann dürfen die privaten Banken auch in den ESMSteuertopf greifen. Dazu sagen wir: Diesen Transferkanal hin zu privaten Banken, die nicht immer so korrekt
arbeiten, wie wir es uns wünschen - Stichwort: öffentli31414
Lothar Binding ({3})
che Armut und Verantwortung -, wollen wir nicht öffnen.
({4})
Die Kanzlerin hat uns insofern in eine aufsichtsrechtliche Falle gelockt, aus der wir im Moment nicht herauskommen: Wir brauchen die Aufsicht; aber wir können
dieses Versprechen nicht gebrauchen.
Deshalb mein Appell: Stimmen Sie unserem Antrag
zu! Er heilt dieses Dilemma, bestimmt die Richtung für
unser Handeln im nächsten Jahr und sichert eine komplette Bankenunion, die voll funktionsfähig ist, unter
Einschluss der Aufsicht, unter Einschluss eines Restrukturierungsregimes. So wird ein gutes Ganzes daraus. Ich
hoffe, Sie halten dieses Versprechen ein.
({5})
Jetzt hat das Wort der Kollege Frank Schäffler von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Übertragung der Bankenaufsicht auf die
Europäische Zentralbank ist eine der weitreichendsten
Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag seit der
Einführung der gemeinsamen Währung, des Euro, getroffen hat. Sie ist verbunden mit der Abgabe von Souveränität. Dass der Deutsche Bundestag über diese entscheidende Frage heute um 22 Uhr entscheidet, zeigt,
wie wichtig wir diese Frage als Parlament tatsächlich
einschätzen.
({0})
Die Frage ist, wie ernst es uns damit ist, die europäische Bankenaufsicht tatsächlich zentral zu regeln. Es
glaube bitte keiner in diesem Raum, dass es möglich ist,
von 17 Bankenaufsichten in Europa mit 17 EDV-Systemen und 17 Behördenstrukturen innerhalb eines Jahres
zu einer funktionsfähigen europäischen Bankenaufsicht
zu kommen.
({1})
Das ist unmöglich, und es wissen auch alle, dass das unmöglich ist.
({2})
Daran sehen Sie: Es geht gar nicht darum, eine funktionsfähige Bankenaufsicht in Europa zu schaffen, es
geht um etwas ganz anderes: Es geht darum, die spanischen Banken mit Eigenkapital aus europäischen Steuertöpfen zu befördern. Das eigentliche Ziel ist, die Banken
durch den ESM an den Staatshaushalten vorbei direkt zu
rekapitalisieren.
({3})
Das Ziel ist also, dass der ESM zu einem Bankenrekapitalisierungsfonds wird; die Bankenaufsicht spielt überhaupt keine Rolle.
({4})
Wenn Sie es ernst meinten mit der vollständigen
Übertragung der Bankenaufsicht, dann müssten Sie die
europäischen Verträge ändern. Diese Verträge geben das,
was Sie heute beschließen wollen, nämlich nicht her. In
Art. 127 Abs. 6 AEUV ist geregelt, dass nur besondere
Aufgaben der Bankenaufsicht auf die EZB übertragen
werden können, aber nicht die komplette Bankenaufsicht.
({5})
Doch genau das haben Sie jetzt vor. Wenn Sie das machen, begehen Sie einen Rechtsbruch. Tatsächlich gibt es
für das, was Sie heute beschließen wollen, keine Rechtsgrundlage.
({6})
Wenn Sie den ESM zu einem Bankenrekapitalisierungfonds machen wollen, dann müssen Sie das mit offenem Visier tun, dann müssen Sie einen Konvent einberufen und eine Vertragsänderung in Gang setzen und in
letzter Konsequenz auch eine Volksabstimmung darüber
in Deutschland durchführen. Wir sind dann nämlich
letztendlich auf dem Weg in den europäischen Superstaat.
({7})
Wer den europäischen Bundesstaat will, der muss am
Ende die Verträge dahin gehend ändern und muss darüber in einer Volksabstimmung entscheiden lassen. Das
muss man offensiv machen, das darf man nicht durch die
Hintertür tun.
Wenn wir gute Nachbarn in Europa zu Schuldnern
bzw. Gläubigern machen, dann schaffen wir kein einheitliches Haus Europa, sondern zerstören es. Das, was
heute beschlossen werden soll, ist ein weiterer Schritt
dahin, der am Ende dazu führt, dass das Haus Europa
zerstört wird, statt dass an ihm weitergebaut wird.
Vielen Dank.
({8})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Ralph Brinkhaus von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Schäffler, es hätte uns gefreut, wenn Sie sich in
die Facharbeit des Ausschusses und in die Anhörungen
genauso engagiert eingebracht hätten wie hier an diesem
Plenumstag.
({0})
Wir müssen ja immer wieder feststellen, dass Sie hier
große Reden schwingen, aber in der Facharbeit nicht zu
sehen sind. Das halte ich für falsch.
({1})
Man kann sich - ich habe großen Respekt vor den Argumenten des Kollegen Danckert und auch des Kollegen
Kolbe - trefflich darüber unterhalten, welche Kompetenzen man nach Europa verlagert. Wir alle hätten uns im
Jahr 2009 nicht träumen lassen, dass die EZB die Aufsicht über die großen europäischen Banken übernimmt.
Aber während vier Jahren Finanzmarktregulierung haben wir eines gelernt: dass es bei keinem Punkt so sinnvoll ist, Kompetenzen auf Europa zu übertragen, wie bei
der Regulierung der Finanzmärkte. Wer das negiert, der
verteidigt seine Kindheit, der verteidigt eine Illusion, die
der Wahrheit nicht entspricht. Dementsprechend, meine
Damen und Herren, kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen, hier heute, an diesem Abend, dieser ganzen Sache
zuzustimmen. Ich bin sehr froh, dass SPD und Grüne unserem Antrag überwiegend zustimmen werden.
Sie haben allerdings auch Kritik geübt. Das ist durchaus legitim. Das ist das Privileg der Opposition. Aber
Ihre Kritik muss sich an dem messen lassen, was Sie gesagt haben. Sie als SPD haben hier behauptet - ohne
dass Sie dafür jemals den Nachweis erbringen müssen -,
dass Sie schneller in der Lage gewesen wären, einen Restrukturierungsmechanismus aufzustellen, als diese Bundesregierung. Das ist nicht okay, weil diese Bundesregierung über diesen Restrukturierungsmechanismus
verhandelt und weil diese Bundesregierung am Anfang
dieser Legislaturperiode dafür gesorgt hat, dass es in
Europa eine Blaupause für diesen Restrukturierungsmechanismus gibt.
({2})
Sie müssen sich auch noch an etwas anderem messen
lassen. Sie behaupten, dass dann, wenn es diesen Restrukturierungsmechanismus nicht gibt, der Steuerzahler
einspringen muss, und sagen von sich, sie hätten einen
Fonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro aufgelegt, der von den Banken gespeist wird. Ich halte es
schlichtweg für naiv, so etwas in einer so kurzen Frist
hinzubekommen. Deswegen ist es richtig und gut, dass
die Bundesregierung die nationalen Staaten nicht aus der
Verantwortung entlässt, sondern dafür sorgt, dass jeder
erst vor seiner Haustür kehrt - das sollte auch Ihnen gefallen, Kollege Schäffler - und erst dann die Restrukturierungsmechanismen greifen. Insofern laufen Ihre Anträge ins Leere.
({3})
Herr Kollege Schick, Sie haben das Demokratiedefizit angemahnt. Wir haben das Problem bereits im letzten
Jahr in einem Entschließungsantrag aufgegriffen und der
Bundesregierung aufgegeben, sich darum zu kümmern.
Die Kolleginnen und Kollegen vom Europäischen Parlament haben unsere volle Unterstützung, wenn sie ihre
demokratischen Kontrollrechte bei der EZB einklagen
und einfordern.
({4})
- Dazu bedarf es keines weiteren Antrages.
Ich möchte auf noch einen Punkt eingehen, den der
Kollege Binding eben genannt hat. Er hat das Papier von
Herrn Steinbrück mit dem Titel „Vertrauen zurückgewinnen: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ zitiert. Das war sehr nett. Auch Ihr heutiger Antrag trägt diesen Titel. Das ist sehr interessant. Wir haben
damals - es war der September des Jahres 2012 - darauf
gewartet, was in diesem groß angekündigten Papier von
Herrn Steinbrück steht. Es war ja seine Bewerbungsunterlage als Kanzlerkandidat der SPD. Was haben wir vorgefunden, als dieses Papier veröffentlich worden ist?
Darin standen Dinge, die schon längst umgesetzt worden
waren. Darin standen Dinge, die gerade umgesetzt wurden, und darin standen Dinge, die in der Diskussion waren und heute umgesetzt werden.
({5})
- Ich sage das ohne jegliche Häme, lieber Kollege
Binding; denn wir kamen bei der Identifikation der Probleme am Finanzmarkt immer zu den gleichen Ergebnissen. Der Unterschied zwischen uns besteht nun darin,
dass Sie sagen, Sie könnten schneller, höher, weiter. Das
ist, wie gesagt, auch das Privileg der Opposition, weil
Sie nie nachweisen müssen, dass Sie schneller, höher,
weiter können.
({6})
Vor dem Hintergrund möchte ich einfach noch einmal
kurz zusammenfassen, was diese Regierungskoalition in
den letzten vier Jahren geleistet hat.
({7})
Wir haben hier in diesem Parlament über 30 Initiativen
und Gesetze zur Finanzmarktregulierung verabschiedet.
Wir haben dafür gesorgt, dass Banken weniger Fehler
machen. Wir haben mit unseren Regulierungsmaßnahmen dafür gesorgt, dass die Fehlertragfähigkeit von Banken und Finanzinstitutionen erhöht worden ist. Wir haben die Aufsicht in diesem Land gestärkt. Wir haben die
europäische Aufsicht gestärkt. Wir werden heute eine
Bankenunion schaffen.
({8})
Wir haben in Anerkennung der Tatsache, dass Aufsicht
nicht ausreicht, dass trotzdem Fehler passieren können
und dass Fehlertragfähigkeit manchmal auch nicht ausreicht, dafür gesorgt, dass hier in Deutschland Restrukturierungsmechanismen eingeführt worden sind. Wir
haben dafür gesorgt, dass Abwicklungspläne erstellt
werden müssen. Wir haben dafür gesorgt, dass Banken
Testamente machen müssen.
({9})
Wir haben darüber hinaus auch dafür gesorgt - auch
wenn Sie es nicht gerne hören -, dass die Banken an den
Kosten der Krise beteiligt werden. Diese Bundesregierung hat die Finanztransaktionsteuer vorangetrieben.
({10})
Diese Bundesregierung hat die Bankenabgabe eingeführt, von der Sie nur reden.
({11})
Diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition haben den Verbraucherschutz im finanziellen Bereich in einer Form gestärkt, wie es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorgekommen
ist. Vier Jahre Finanzmarktpolitik in diesem Haus heißt
für die Opposition: Papiere schreiben, diskutieren, lamentieren und kritisieren. Vier Jahre Finanzmarktpolitik
heißt für diese Koalition: liefern.
Danke.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der CDU/CSU und der FDP sowie von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes
zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Über-
tragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit
der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische
Zentralbank.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13961, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP auf Drucksache 17/13470 sowie den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/13829
und 17/13901 zusammenzuführen und anzunehmen.
Ich will Ihnen mitteilen, dass zahlreiche Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir
zu Protokoll nehmen.1)
({1})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit großer Mehrheit bei zahlreichen Gegenstimmen
und einigen Enthaltungen angenommen worden. Nach
Fraktionen kann ich das von hier oben nicht genau defi-
nieren, dafür hätten Sie noch Platz behalten müssen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. - Nehmen Sie bitte Platz! Sie
müssen sich nämlich, wenn Sie nun zustimmen wollen,
erheben.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit
angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13965.
Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze ein-
zunehmen und die Urnen aufzustellen.
Ich bitte anzuzeigen, ob die Schriftführer überall an-
wesend sind. - Gut. Ich eröffne die Abstimmung und
bitte, die Stimmkarten einzuwerfen.
Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre
Stimmkarten eingeworfen? - Das ist der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben werden.2)
Tagesordnungspunkt 15 b. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Ein
neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte - Für
eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung
der Staatshaftung bei Bankenkrisen.“ Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13961, den Antrag der Fraktio-
nen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/11878 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Die Linke bei Gegenstimmen von SPD und Grünen.
1) Anlagen 3 bis 5
2) Ergebnis Seite 31419 C
Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13908 mit
dem Titel „Bankenunion beschleunigen statt bremsen Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen
Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei
Zustimmung der Grünen und Enthaltung der SPD.
Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13909 mit
dem Titel „Kontrollrechte des Europäischen Parlaments
bei EZB-Bankenaufsicht stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von Linken und Grünen
und Enthaltung der SPD.
Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13910 mit
dem Titel „SSM-Verordnung zustimmen, keine innerstaatliche Präjudizwirkung schaffen“. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Linken bei Zustimmung der Grünen
und Enthaltung der SPD-Fraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatzpunkte 10 und 11 auf:
16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christel
Humme, Caren Marks, Willi Brase, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichstellung - Fortschritt - Jetzt - Durch
eine konsistente Gleichstellungspolitik
- zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleichstellung von Frauen und Männern im
Lebensverlauf durchsetzen
- Drucksachen 17/12487, 17/12497, 17/13367 Berichterstattung:Abgeordnete Nadine Schön ({3})Christel HummeNicole Bracht-BendtCornelia MöhringMonika Lazar
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt ({5}), Siegmund Ehrmann,
Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen
und Männern auch im Kunst-, Kultur- und
Medienbereich
- Drucksachen 17/13478, 17/13954 Berichterstattung:Abgeordnete Monika GrüttersUlla Schmidt ({6})Reiner DeutschmannDr. Lukrezia JochimsenAgnes Krumwiede
ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista
Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen
- Drucksachen 17/6130, 17/10880 Berichterstattung:Abgeordnete Dorothee BärUlla Schmidt ({8})Reiner DeutschmannDr. Rosemarie HeinAgnes Krumwiede
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Dorothee Bär für die CDU/
CSU-Fraktion.
({9})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in
dieser Legislaturperiode schon sehr oft über Gleichstellungspolitik gesprochen. Heute Abend hätte es vielleicht
den einen oder anderen gegeben, der das nicht mehr als
ganz dringend notwendig befunden hätte. Nachdem ich
aber gehört hatte, dass es die Abschiedsrede der Frau
Kollegin Humme geben wird, sind wir alle selbstverständlich gerne hier hergekommen, liebe Frau Kollegin
Humme, um mit Ihnen diese letzte Debatte zu führen.
Ich kann von unserer Seite aus sagen: Sie sind eine der
Guten, auch wenn wir vielleicht nicht immer bei jedem
einzelnen Punkt einer Meinung waren.
({0})
Ich spreche leider vor Ihnen. Trotzdem möchte ich mich
bei Ihnen für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss
und vor allem auch für das gute menschliche Miteinander in den letzten Jahren bedanken.
({1})
Wir sind in vielen Punkten, was die Analyse betrifft,
gar nicht weit auseinander. Vielleicht sind wir es, was
die Umsetzung betrifft. Wenn man sich den Ersten
Gleichstellungsbericht der Bundesregierung anschaut,
sieht man, dass es strukturelle Ungleichheiten gibt. In
ganz vielen Kapiteln dieses Gleichstellungsberichts kann
man ganz genau nachlesen, wie groß die Ungleichheiten
im Lebensverlauf von Frauen und Männern sind. Man
kann sehen, dass es Nachteile gibt, die sich durch ganz
bestimmte Lebenssituationen - zum Beispiel Einkommensverlust während einer familienbedingten Auszeit,
Ehescheidung, Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung - ergeben. Insbesondere dann, wenn sich das im
Lebensverlauf kumuliert, sieht man, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Etappen ihres Lebensverlaufs immer noch nicht gewährleistet ist.
Wir haben festgestellt, dass Frauen noch immer seltener als Männer in Führungspositionen aufsteigen, dass
sie ihr Berufsleben häufiger und länger unterbrechen und
dass sie sich heute mehrheitlich immer noch um Kinder
und zu pflegende Angehörige kümmern. Deswegen
freue ich mich sehr, dass unsere beiden Parteien beschlossen haben, in ihr Wahlprogramm - und damit
wohl in der nächsten Legislaturperiode auch in das Regierungsprogramm - die Einführung einer Quote aufzunehmen. Dass unsere beiden Parteivorsitzenden sehr
stark dafür kämpfen, ist ein sehr guter Erfolg.
({2})
Ich sehe in der ersten Reihe bei uns Frau Fischbach,
Rita Pawelski und Nadine Schön. Dahinter sitzt
Elisabeth Winkelmeier-Becker.
({3})
- Ich möchte erst einmal über die Frauen sprechen, Herr
Kollege Jarzombek. - Unsere Frauen sind auf jeden Fall
der Meinung, dass das ein richtiges Anliegen ist. Wenn
auch fast alle unsere gleichberechtigungspolitischen
Sprecher - Markus Grübel, Thomas Jarzombek und der
PGF Stefan Müller - jetzt dieser Meinung sind, kann
gesagt werden, dass wir einen richtigen Schritt in die
richtige Richtung gemacht haben.
Diese Bundesregierung hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ganz zentrales Anliegen in den Vordergrund gestellt. Wir haben als erste Bundesregierung
festgestellt, dass wir bei dem Thema nicht nur die
Frauen, sondern ganz besonders auch die Männer in den
Blick nehmen müssen. Das müssen wir zum Teil
deshalb, weil Männer grundsätzlich auch gleiche Rechte
haben, aber auch ein Interesse daran haben sollten - teilweise haben sie es auch -, ihre Kinder zu betreuen und
dann später aber auch ihre Angehörigen zu pflegen. Zum
anderen natürlich deshalb, weil die Bereitschaft der
Männer zur - eigentlich selbstverständlichen - partnerschaftlichen Teilung von Fürsorgearbeit auch für die beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen entscheidend ist.
Man muss sich vergegenwärtigen, dass das Kinderbekommen innerhalb der Karriere eine große Rolle spielt.
Wenn man sich einmal die Biografien von Karrierefrauen und -männern anschaut, stellt man Folgendes
fest: Die meisten Führungspositionen bzw. Vorstandsämter haben Männer mit Kindern inne. An zweiter Stelle
kommen Männer ohne Kinder. Dann kommen Frauen
ohne Kinder. Schließlich kommen Frauen mit Kindern.
Insoweit muss man ganz klar feststellen, dass Kinder
kein Hinderungsgrund sind, um eine Führungsaufgabe
übertragen zu bekommen, wie man am männlichen Teil
sieht. Da ist es sogar ein Vorteil. Dagegen ist es bei den
Frauen komplett anders. Deshalb ist es nicht nur wichtig,
Barrieren für Frauen abzubauen und Chancengleichheit
für Frauen und Mädchen zu verwirklichen, sondern auch
die Verwirklichungschancen im Lebenslauf von Männern zu erweitern. Deswegen hat die Bundesregierung
eine Jungen- und Männerpolitik gemacht. Wir wollen
Jungen und Männer unterstützen, sich nicht von angeblich vorgegebenen Rollenbildern einengen zu lassen.
Eine Maßnahme, die wir auf den Weg gebracht haben,
ist das Programm „Mehr Männer in Kitas“. Uns war es
wichtig, die Zahl von Männern in der Ausbildung zum
Erzieher zu erhöhen. Sie hat seit Beginn unseres Bundesprogramms um 40 Prozent zugenommen. Das ist ein
ganz großer Erfolg dieser Bundesregierung.
({4})
Neben der Aktion „Mehr Männer in Kitas“ möchte
ich noch den Boys’ Day erwähnen, bei dem Jungen angesprochen werden, Berufsalternativen jenseits tradierter Männerberufe kennenzulernen. Gerade im Bereich
der Erziehung, der Pflege und der Gesundheitsberufe
sind Männer noch deutlich unterrepräsentiert.
Einer unserer ganz großen Erfolge ist die Schaffung
des Bundesfreiwilligendienstes, weil er es gerade jungen
Männern ermöglicht, in viele Berufe hereinzuschnuppern. Wenn jemand einmal durch ein Praktikum oder
durch den Bundesfreiwilligendienst diese Möglichkeit
hatte, fällt es ihm später wesentlich leichter, in einem
dieser Berufe Fuß zu fassen und vielleicht mit kleinen
Kindern oder Jugendlichen zu arbeiten.
Wir sind hier auf einem guten Weg. Ich sage gar
nicht, dass wir schon in allen Bereichen des Lebens genau da angekommen sind, wo wir ankommen wollen.
Wir haben in den letzten vier Jahren viel erreicht, werden aber natürlich in unserer christlich-liberalen Koalition in den nächsten vier Jahren noch mehr auf den Weg
bringen.
({5})
Chancengleichheit für Frauen und Männer ist erreichbar, wenn wir nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelund langfristig die Chancenungerechtigkeit abbauen und
wenn wir auch in den Köpfen etwas ändern. Das ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber die Hausaufgaben, die die Bundesregierung zu machen hatte, hat sie erledigt. Jetzt freue ich mich, dass sich Frau Humme in ihrer letzten Rede für unsere Arbeit bei uns bedankt.
Vielen Dank.
({6})
Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion zum
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der
Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank bekannt: abgegebene Stimmen 539. Mit Ja
haben gestimmt 130, mit Nein haben gestimmt 311,
Enthaltungen 98. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 538;
davon
ja: 130
nein: 311
enthalten: 97
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({1})
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
({2})
Hubertus Heil ({3})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({4})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Christian Lange ({5})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({6})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({7})
({8})
Annette Sawade
Axel Schäfer ({9})
Bernd Scheelen
({10})
Werner Schieder ({11})
Ulla Schmidt ({12})
Carsten Schneider ({13})
Swen Schulz ({14})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Nein
CDU/CSU
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({15})
Manfred Behrens ({16})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({17})
Dirk Fischer ({18})
Axel E. Fischer ({19})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
({20})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Andreas Jung ({21})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({22})
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({23})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Stephan Mayer ({24})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({25})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({26})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({27})
Anita Schäfer ({28})
Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({29})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({30})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({31})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({32})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({33})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({34})
Peter Weiß ({35})
Sabine Weiss ({36})
Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({37})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({38})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({39})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Michael Link ({40})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({41})
Burkhardt Müller-Sönksen
({42})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({43})
Cornelia Pieper
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({44})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({45})
Enthalten
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Harald Koch
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({46})
Kathrin Senger-Schäfer
Sabine Stüber
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Volker Beck ({47})
Agnes Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({48})
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Undine Kurth ({49})
Dr. Tobias Lindner
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Daniela Wagner
Arfst Wagner ({50})
Dr. Valerie Wilms
fraktionsloserAbgeordneter
Wolfgang Nešković
Als nächste Rednerin hat jetzt die Kollegin Christel
Humme von der SPD-Fraktion das Wort.
({51})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Liebe Frau Bär, ich glaube, für die SPD-Fraktion sagen
zu können, dass uns Gleichstellungspolitik zu diskutieren immer wichtig ist, ob ich meine letzte Rede halte
oder nicht. Das musste ich erst einmal sagen.
({0})
Es sind noch 100 Tage bis zur nächsten Bundestagswahl. In der Tat, ich halte meine letzte Rede zum Thema
Gleichstellungspolitik. Dieses Thema stand schon häufiger auf der Tagesordnung des Parlaments. Ich hätte mir
gewünscht - das gebe ich ehrlich zu -, dass ich dieses
Lob, das Sie eingefordert haben, Frau Bär, tatsächlich
hätte aussprechen können. Nur musste ich leider feststellen, dass die letzten vier Regierungsjahre vergeudete
Zeit für die Frauen waren, vergeudete Zeit auch, wie ich
denke, in Bezug auf die Gleichstellungspolitik.
({1})
Sie haben richtig gesagt: Möglicherweise gleichen
sich unsere Analysen. - Aber Sie hatten es viel einfacher
als die Regierungen vorher: Sie hatten nämlich einen
hervorragenden Ersten Gleichstellungsbericht einer unabhängigen Sachverständigenkommission.
({2})
Und was machen Sie mit diesem hervorragenden Bericht? Die Bundesregierung nimmt ihn entgegen, aber
nicht die Ministerin, sondern der Staatssekretär Herr
Kues. Das hat mich nicht gewundert; denn die Ministerin hat einmal in einem Interview gesagt: Staatssekretäre
sind die Personen, die die Aufgaben übernehmen, die
Minister und Ministerinnen nicht übernehmen wollen.
({3})
Sie, Herr Kues, mussten also diesen Bericht entgegennehmen. Dann haben Sie diesen Bericht in die Schublade gelegt, und zwar ganz weit hinten, und nicht mehr
zur Kenntnis genommen.
Denn wenn Sie diesen Bericht tatsächlich zur Kenntnis genommen hätten, dann wäre es nicht zur Einführung
des Betreuungsgeldes gekommen und dann hätten wir
auch keine Ausweitung der Minijobs. Diese Entscheidungen haben Sie getroffen.
({4})
Damit zementieren Sie die Männerrolle als Haupternährer. Von Gleichstellung ist da keine Spur.
Dabei wissen wir doch ganz genau, was der Gleichstellungsbericht festgestellt hat: Echte Gleichstellung
gibt es nur, wenn Männer und Frauen eigenständig für
die Existenz sorgen können. Wir brauchen etwas - auch
das hat der Gleichstellungsbericht festgestellt -, was
heute in der Politik überhaupt nicht vorhanden ist, nämlich ein konsistentes Leitbild. Wir geben immer unterschiedliche Signale an die Frauen. Einerseits sagen wir
ihnen: „Sei berufstätig! Wir brauchen Fachkräfte. Wir
bieten Betreuungsangebote“, und andererseits sagen wir
ihnen mit dem Ehegattensplitting und Ihrem Betreuungsgeld: Liebe Frauen, bleibt doch zu Hause!
Ich denke, das traurige Ergebnis dieser inkonsistenten
Politik - das zeigt auch der Gleichstellungsbericht - ist
immer noch, dass Frauen im Lebensverlauf das größte
Armutsrisiko tragen.
({5})
Sie verdienen in ihrem Leben 58 Prozent weniger als die
Männer, und in der Konsequenz erhalten sie nur 52 Prozent der Männerrenten. Wenn das Gleichstellungspolitik
ist, dann weiß ich nicht, was Sie in Zukunft vielleicht
verändern wollen, Frau Bär.
({6})
Falsche Anreize, die wir in der Politik geben, haben
- das sehen wir daran - fatale Folgen für die Frauen, und
zwar ein Leben lang.
({7})
Wir wollen genau das verhindern. Darum haben wir Ihnen einen Antrag mit einem konsequenten, schlüssigen
Konzept vorgelegt, das den gesamten Lebenslauf der
Frauen in den Mittelpunkt stellt. Damit können wir dann
auch die Widersprüche, die wir in der Politik haben, auflösen.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der Regierung
und von den Regierungsfraktionen, wenn Sie schon
nicht den wissenschaftlichen Bericht ernst nehmen, dann
würde ich mich freuen, wenn Sie die Frauen ernst nehmen. Denn 80 Prozent der Frauen möchten eine eigenständige Existenzsicherung. Sie möchten nicht für
6,50 Euro oder gar darunter arbeiten müssen.
Warum, frage ich Sie, ist es nicht möglich, mit Ihnen
den gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, damit wir endlich diesen Frauen helfen?
({8})
Sie wissen genauso wie wir: Frauen verdienen weniger
als Männer, und zwar 22 Prozent bzw. bis zu 35 Prozent
in höheren Führungspositionen.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diese
Diskriminierung endlich auflöst. Was machen Sie? Sie
stimmen natürlich dagegen, leider auch die Linken. Aber
was machen Sie, zwei Tage nachdem Sie diesen Gesetzentwurf abgelehnt haben? Sie gehen zum Brandenburger
Tor und demonstrieren für Equal Pay. Gegen wen eigentlich?
({9})
Was sind das für ein Zynismus und eine Schizophrenie?
({10})
- Ganz ruhig, Frau Fischbach. - Wenn 80 Prozent der
jungen Frauen eine eigenständige Existenzsicherung und
eine Familie wollen, dann wollen sie heraus aus der Zuverdienerrolle. Aber das verhindern das ungerechte
Steuersystem und die Minijobs. Mit beiden Instrumenten
zusammen schaffen wir nicht, dass die Frauen aus der
Zuverdienerrolle herauskommen, Frau Fischbach.
({11})
Das wissen Sie genauso wie wir alle auch.
({12})
Darum brauchen wir an dieser Stelle eine Reform der
Minijobs statt einer Ausweitung, wie Sie das beschlossen haben, und wir brauchen auch eine Reform des Ehegattensplittings, wie wir es vorgeschlagen haben, hin zu
einem Partnerschaftstarif.
({13})
Das heißt, dass wir zwar die bestehenden Ehen schützen,
aber eine neue Individualbesteuerung mit gegenseitiger
Unterhaltsverpflichtung schaffen. Das würde den Frauen
helfen, aus ihrer Rolle der Zuverdienerin herauszukommen.
({14})
Während Sie sich - das stelle ich immer wieder fest bedauerlicherweise von alten Zöpfen nicht lösen können, haben wir mit diesem Antrag ein wirklich zukunftsweisendes Gleichstellungskonzept vorgelegt. Wir wissen
auch ganz genau: Eine echte Gleichstellung - das
schreibe ich Ihnen ins Stammbuch - geht nicht ohne
Handlung. Das heißt, es geht nicht ohne gesetzliche Regelungen.
({15})
Wir brauchen gesetzlichen Mindestlohn, verbindliche
Quoten, das Entgeltgleichheitsgesetz, den Partnerschaftstarif und gute Arbeit mit Sozialversicherung. Erst
dann, wenn es diese gesetzlichen Regelungen gibt, bieten wir Frauen und Männern mehr Wahlmöglichkeiten,
zu entscheiden, wie sie tatsächlich ihren Lebensverlauf
gestalten wollen.
Wenn Sie diese zusätzlichen Wahlmöglichkeiten auch
wollen, dann müssen Sie eigentlich unserem Antrag zustimmen.
({16})
So weit zu Ihrer Politik.
Frau Bär, ich danke Ihnen in der Tat. Ich danke allen
Ausschussmitgliedern für die gute Zusammenarbeit, für
die Unterstützung an manchen Stellen, aber auch für die
Kritik; gar keine Frage. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Legislatur ganz viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter
- die Mitstreiter nenne ich ganz bewusst - für ein zukunftsträchtiges Gleichstellungskonzept bekommen.
Das wünsche ich uns allen, auch mir, die ich das nur
noch von außen beobachten werde.
Schönen Dank.
({17})
Statt der Kollegin Bracht-Bendt erteile ich nun der
Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Humme, Sie haben gerade sehr für Ihren
Antrag geworben. Die Situation am Ende einer Legislaturperiode ist aber wie zu Anfang: Dem stimmt die Regierungskoalition nicht zu.
Dennoch ist das Thema „Gleichstellung von Männern
und Frauen“ für uns Thema in dieser Legislaturperiode
gewesen. Ich persönlich mache keinen Hehl daraus: Ich
hätte mir mehr gewünscht. Wir haben mit den Verbänden
eine sehr intensive und sehr engagierte Debatte zur
Quote für Frauen in den Aufsichtsräten geführt, und es
ging hier durchaus hoch her. Ich nehme sehr wohlwollend zur Kenntnis, dass in der CDU/CSU als Schlussfolgerung daraus wohl eine programmatische Zielsetzung
formuliert worden ist. Ich wünsche mir das auch für die
FDP.
({0})
Ich habe der FDP ein entsprechendes Signal gegeben.
So ist das nun einmal in der Gleichstellungspolitik.
Sie ist mühsam. Sie ist nicht im Hauruckverfahren erfolgreich. Ich bin ganz sicher: In der nächsten Legislaturperiode werden wir im Bundestag, egal in welchen
Mehrheiten, das Thema „Frauen in der gesellschaftlichen Verantwortung“ noch einmal in den Vordergrund
stellen.
({1})
Was diese Koalition auf jeden Fall vorzuweisen hat,
sind sehr viel mehr Staatssekretärinnen in den Ministerien. Das ist etwas, was Rot-Grün schon vor Jahren hätte
machen können; es war kein Thema. Das ist eine verpasste Chance. Es ist natürlich bitter, zu sehen, wie wir,
die Regierungskoalition, auch Themen vorangebracht
haben, die vielleicht nicht ganz so spektakulär sind, die
nach meinem Dafürhalten aber sehr wirkungsvoll sind.
({2})
Wenn Frauen in die Führungspositionen in den Ministerien kommen, dann wird sich auch da in den entsprechenden Aufgabenstellungen das Thema Gleichstellung
durchsetzen. So wünschen wir uns das natürlich auch für
die Wirtschaft. Wie man das auf den Weg bringt, dazu
gibt es verschiedene Vorstellungen. Nach Auffassung
der Liberalen sollten dies sicherlich keine Zwangsmaßnahmen sein; denn wir setzen auf den freien Wettbewerb
und auf die Einsicht, dass eine Gesellschaft die Gleichstellung von Frauen braucht; nur dann ist sie zukunftsfähig. Gesellschaften, die Frauen ausgrenzen - ich
glaube, ich brauche die entsprechenden Beispiele im
Einzelnen gar nicht aufzuzählen -, sind nicht zukunftsfähig.
({3})
An diesem Maßstab müssen wir uns ausrichten. Danach
werden wir uns auch in Zukunft richten.
({4})
Ich möchte noch einen Aspekt aufzeigen, den wir vor
kurzem im Familienausschuss, wo die Gleichstellungspolitik angesiedelt ist, beleuchtet haben. Wir haben den
Wehrbeauftragten zu Gast gehabt. Mittlerweile haben
wir eine große Anzahl von Frauen auch in der Bundeswehr, einem typischen Männerbereich, wo Frauen mittlerweile ebenfalls ihre Aufgabe finden. Wenn man mit
einer „Frau Hauptmann“ spricht, muss man sich erst einmal an diese Situation gewöhnen. Aber man kann feststellen, dass Frauen auch da ihre Themen zu platzieren
wissen; beispielsweise die Familienpolitik in der Bundeswehr ist eine ganz spezielle Fragestellung, mit der
wir uns auseinandergesetzt haben.
({5})
So gibt es einige Beispiele dafür, wie wir die Gleichstellung im Detail vorangebracht haben. In diesem Zusammenhang möchte ich auf etwas ganz Wesentliches
hinweisen: Gleichstellung ist nur möglich, wenn Frauen
ihre beruflichen Möglichkeiten entwickeln können. Das
heißt, Mütter müssen ihre Kinder angemessen versorgt
wissen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein
großes Thema, dem wir uns mit viel Geld gewidmet haben. Wir haben Geld und nochmals Geld zur Verfügung
gestellt, damit die Bundesländer, die bei der Aufgabe der
Kinderbetreuung ganz zentral gefragt sind, ihrer Aufgabe auch nachkommen können. Dabei sind die SPD-geführten Bundesländer nicht nur vorbildlich. Ich habe
mich gewundert, wie wenig insbesondere der Ausbau
der Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen von der
SPD vorangetrieben worden ist.
({6})
Wir haben die richtigen Signale gesetzt, das Geld zur
Verfügung gestellt. Insofern brauchen wir uns, auch was
die Gleichstellungspolitik angeht, nicht zu verstecken.
Ich bedanke mich.
({7})
Jetzt hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Linken
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Bracht-Bendt, Sie haben gesagt - ({0})
Die Frau Kollegin Laurischk hat geredet, wenn ich Ihnen das in Erinnerung rufen darf.
Entschuldigung!
({0})
Frau Laurischk, ich kenne Sie natürlich. Das war jetzt
ein kleiner Fehler.
Trotzdem: Sie haben gesagt: Natürlich ist Gleichstellungspolitik mühsam. - Da frage ich mich: Warum „natürlich“? Wie man dann noch sagen kann: „Wir setzen
auf den Wettbewerb und die Einsicht“, kann ich nicht
nachvollziehen. Genau das ist doch gescheitert. Deshalb
reden wir hier wieder und wieder und wieder über
Gleichstellungspolitik. Wir treffen uns ständig, heute aus
Anlass der Anträge von Grünen und SPD. Das ist gut
und richtig; wir wechseln uns immer ab. Jedes Mal kommen wieder die Anträge. Letztendlich liegen die Forderungen doch auf dem Tisch.
Was Sie bisher gemacht haben - die Industrie soll
Einsicht zeigen, und die Frauen sollen vielleicht dann
doch ein bisschen gefördert werden -, ist einfach gescheitert. Sie handeln wider besseres Wissen. Das ist das
Problem.
({1})
Im Grundgesetz ist die Gleichstellung von Mann und
Frau verankert, aber die Lebensrealität ist einfach eine
andere. Männer und Frauen haben nicht die gleichen Lebensperspektiven, und das schadet Männern und Frauen,
beiden Geschlechtern.
Der Gleichstellungsbericht ist doch eindeutig. Natürlich brauchen Frauen Existenzsicherung. Frauen wollen
selbstständig leben können, unabhängig vom Einkommen ihres Ehemanns und auch nicht in Abhängigkeit
vom Staat; denn das kann doch nicht die Perspektive
sein.
({2})
Ich frage mich, warum es mühsam ist, das durchzusetzen. Es müsste doch auch im Interesse aller Männer sein,
dass Frauen selbstständig sind.
({3})
Wir haben im Ersten Gleichstellungsbericht das Beispiel der Minijobs. Sie wurden von Rot-Grün eingeführt.
Das war ein Fehler, aber Sie haben das auch als Fehler
erkannt.
({4})
Ich zitiere einmal aus dem Bericht:
Die gegenwärtige Minijobstrategie muss aus der
Perspektive der Geschlechtergleichstellung … als
desaströs bezeichnet werden.
Ja!
In den letzten Jahren, von 2000 bis 2010, hat sich die
Anzahl der in Teilzeit Beschäftigten um 3 Millionen von
7 Millionen auf 10 Millionen erhöht. 45 Prozent der erwerbstätigen Frauen sind nur in Teilzeit tätig; bei den
Männern sind es 10 Prozent. Die Ursache: fehlende Vollzeitjobs, fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Die Kinderbetreuungsmöglichkeiten muss man schaffen.
Dabei kann man die Länder und die Kommunen nicht alleinlassen. Es reicht nicht, dass wir als Bund für Baumaßnahmen eintreten; wir müssen auch tatsächlich fördern. Allein 70 000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen
im Bereich der Betreuung der unter Dreijährigen. Es ist
schön, jetzt Schnupperkurse anzubieten, aber lassen Sie
uns doch einmal darauf gucken: Wie werden diese typischen Frauenberufe bezahlt? Niedriger als Männerberufe! Ändern Sie die Bezahlung!
({5})
Wenn Sie das tun, dann werden wir auch eine andere Situation haben; dann werden auch viel mehr Männer
diese Berufe ergreifen.
({6})
Diese verheerende Entwicklung bei den Minijobs haben Sie nicht gestoppt; im Gegenteil: Sie haben die Verdienstobergrenze angehoben und die Jobs ausgeweitet.
Sie haben die 400-Euro-Jobs in 450-Euro-Jobs umgewandelt. Und was kommt dabei heraus? Uns droht eine
verheerende Altersarmut.
({7})
Viele Frauen wissen schon heute, dass sie im Alter nicht
eigenständig leben können. Ich finde, es ist eine menschenunwürdige Perspektive, wenn Frauen von vornherein dazu gezwungen werden, zum Amt zu gehen, um
überhaupt überleben zu können.
Deshalb kann ich nur sagen: Geschlechtergerechtigkeit nutzt Männern und Frauen. Lassen Sie uns endlich
gemeinsam gesetzliche Regelungen schaffen - zum
Mindestlohn, zu einer Mindestrente und einer gerechten
Bewertung aller Berufe -; dann können wir tatsächlich
eine Verbesserung der Situation erreichen.
Ich danke Ihnen.
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Monika
Lazar das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schön, dass wir in dieser Wahlperiode noch einmal
die Gelegenheit haben, die Scheinwerfer auf eine eher
verstaubte Ecke im Regierungshandeln von SchwarzGelb zu richten,
({0})
eine Ecke, wo der Staub hoch ist und der Wollmäuse
viele sind. Es ist eine Ecke, in der leider viel zu wenig
passiert ist.
({1})
Ich habe mitbekommen, dass der Gleichstellungsbericht überfraktionell einstimmig begrüßt wurde. Die Ergebnisse sind richtig. Dies wurde schon angesprochen.
Man fragt sich, warum die Ministerin ihn Anfang 2012
nicht selber entgegengenommen hat. Wenn man aber den
Bericht liest, insbesondere die Forderungen bezüglich
einer konsistenten Gleichstellungspolitik mit einer Lebensverlaufsperspektive, dann wird das nachvollziehbar;
denn all das hat Schwarz-Gelb nicht umgesetzt. Die
Ministerin hat den Bericht lieber in den Schrank gestellt,
ihn verstauben lassen und den Kopf in den Sand gesteckt.
({2})
Die Lebensverlaufsperspektive ist sehr einleuchtend.
Die Vorschläge im Gleichstellungsbericht sind wirklich
sehr anregend. Wir konnten uns sehr gut bei den Argumenten bedienen. Von daher mussten wir nicht einmal
mit unseren eigenen Anträgen argumentieren, sondern
wir konnten wunderbar mit dem Gleichstellungsbericht
argumentieren. Es gab auch eine Anhörung dazu. Von
daher waren die Vorlagen vorhanden.
Im Gleichstellungsbericht steht, dass ein konsistentes
Leitbild fehlt. Auch die Steuer- und Sozialpolitik war in
den letzten vier Jahren widersprüchlich: Entgeltgleichheit - Fehlanzeige. Quote - Fehlanzeige.
({3})
Die Ministerin hat es noch nicht einmal geschafft, ihr sogenanntes Flexi-Quoten-Modell vorzulegen. Es ist alles
nur angekündigt worden. An das Thema Ehegattensplitting gehen Sie nicht heran. Bei den Minijobs gab es eine
Verschlechterung, indem jetzt nur noch 450 Euro verdient werden können. Auch bei der Kinderbetreuung ist
noch sehr viel nachzuholen.
Das alles zeigt: Die letzten vier Jahre waren in Bezug
auf die Gleichstellungspolitik vier verlorene Jahre.
({4})
Da nützen die Behauptungen vonseiten der Regierung
leider nichts. Denn klar ist: Von allein tut sich nichts.
Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen.
({5})
Deshalb müssen wir in den Bereichen, die im Gleichstellungsbericht angesprochen wurden, nachbessern. Wir
von SPD und Grünen haben in den letzten vier Jahren
gut vorgearbeitet.
({6})
Wir haben Konzepte, die sich durchaus in Teilbereichen
unterscheiden. Beim Thema Ehegattensplitting gibt es
noch Gesprächsbedarf, weil wir da weiter gehen wollen
als Sie. Beim Thema Entgeltgleichheit sind wir relativ
nah beieinander, ebenso beim Thema Geschlechterquote
für Führungspositionen. Ich denke, wir sind gut vorbereitet.
Von dieser Regierung ist sowieso nichts mehr zu erwarten, erst recht nicht beim Thema Gleichstellung. Ich
kann auch bei meiner zweiten Rede heute sagen: Wir
sind vorbereitet. Ab September wird es anders. Wir hoffen dann auf die Unterstützung der Linksfraktion,
({7})
die uns aus der Opposition weiterhin ab und zu Anregungen geben kann.
Ab Herbst wird sich auf alle Fälle im positiven Sinne
etwas ändern. Von daher arbeiten wir weiter und setzen
die guten Konzepte, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben, gemeinsam um.
Vielen Dank.
({8})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Nadine Schön das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Lazar, wenn Ihr größtes Problem ist,
dass nicht die Ministerin, sondern der Staatssekretär den
Gleichstellungsbericht entgegengenommen hat,
({0})
dann haben wir in den letzten vier Jahren wirklich keinen allzu schlechten Job gemacht.
({1})
Das so hochzustilisieren, wird der Sache wirklich nicht
gerecht.
({2})
Wir sind froh, dass wir engagierte Staatssekretäre haben,
({3})
die sich für die Belange der Frauen einsetzen.
({4})
Nadine Schön ({5})
Dass heute Abend so viele Kollegen aus unserer Fraktion da sind und auch unser Fraktionsvorsitzender bei
den gleichstellungspolitischen Debatten meistens anwesend ist - was man von Ihrem Fraktionsvorsitzenden leider nicht sagen kann -,
({6})
spricht dafür, dass die Gleichstellungspolitik in unserer
Fraktion durchaus einen hohen Stellenwert einnimmt.
({7})
Sie haben den Gleichstellungsbericht gelobt. Ja, wir
haben einen Gleichstellungsbericht mit konkreten Aussagen und konkreten Handlungsempfehlungen vorgelegt.
({8})
Es wäre schön gewesen, wenn auch Sie, als Sie an der
Regierung waren, einen solchen Bericht erarbeitet hätten.
({9})
Eines haben Sie nicht verstanden: die Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive. Sie sagen, Familien brauchen ein Leitbild. Sie sagen, wir brauchen ein Leitbild, nach dem sich die Menschen in
Deutschland richten und nach dem sie leben sollen, ein
Leitbild von Familie und Gesellschaft. Dieses Leitbild
sieht so aus, dass Männer und Frauen, wie Sie sagen,
gleichermaßen zum Familieneinkommen beitragen sollen. Das finde ich ja gut. Aber die Frage ist: Muss dies
das Leitbild für alle Menschen in Deutschland sein?
({10})
Sollte die Politik den Menschen in Deutschland wirklich
vorschreiben, wie sie leben sollen, wie jede Familie und
jedes Paar das Familienleben gestalten soll?
({11})
Ich finde, das ist der falsche Ansatz. Das wird dem,
was die Menschen in Deutschland wollen, nicht gerecht.
Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen,
wie sie zu leben haben.
({12})
Die Menschen wollen füreinander Verantwortung übernehmen. Sie wollen ihr Familienleben so gestalten, wie
sie es am besten finden, und nicht so, wie Grüne, Linke
oder SPD es ihnen vorschreiben wollen.
Etwa 85 Prozent der Menschen sind für die Beibehaltung des Ehegattensplittings.
({13})
Sie wollen es abschaffen. Sie wollen eine individuelle
Besteuerung. Die gegenseitige Übernahme von Verantwortung kommt in Ihrem Leitbild überhaupt nicht vor.
({14})
Im Übrigen verlangt auch das Bundesverfassungsgericht, dass man zwei Menschen, die miteinander verheiratet sind, nicht schlechterstellen darf als zwei Menschen, die nicht miteinander verheiratet sind. Deswegen
sind wir für die Beibehaltung des Ehegattensplittings
und für eine Weiterentwicklung zum Familiensplitting.
({15})
Im Gegensatz zu Ihrem Leitbild wollen die Familien
in Deutschland Zeit für Familie haben. Man darf keine
Angst haben müssen, nach einer Erwerbsunterbrechung
komplett auf die Karriere verzichten zu müssen; das ist
unser Anliegen. Sie raten den Menschen: Vermeidet Erwerbsunterbrechungen!
({16})
Das kann aber nicht die Lösung sein. Die Lösung muss
lauten: Der Staat und vor allem die Arbeitgeber müssen
dafür sorgen, dass man Karriere machen kann, auch
wenn man die Erwerbstätigkeit ein paar Monate oder
Jahre unterbrochen hat.
({17})
Ihr Zwischenruf „Nein!“ zeigt mir, dass Sie das leider
nicht so sehen. Ich bin der Meinung, junge Familien
wollen Zeit für ihre Familie haben. Das sollte ihnen, was
die Karriereplanung betrifft, nicht zum Nachteil gereichen.
({18})
Das besagt im Übrigen auch die Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive. Das heißt, dass
man die Möglichkeit haben muss, die Entscheidungen,
die man im Leben individuell trifft, im Verlauf des Lebens zu kompensieren, auch durch staatliche Möglichkeiten.
({19})
- Was haben wir getan? Ich kann es Ihnen ganz konkret
sagen, Frau Lazar.
({20})
Hat man zum Beispiel noch im zweiten Lebensjahr eines
Kindes auf Berufstätigkeit verzichtet
({21})
Nadine Schön ({22})
oder den Umfang der Berufstätigkeit reduziert, haben
diese Jahre in der Vergangenheit im Hinblick auf die
Rente gefehlt; sie waren weg.
({23})
Viele Frauen entscheiden sich aber dafür, noch zu Hause
zu bleiben und auf Berufstätigkeit zu verzichten, wenn
ihr Kind erst 16 oder 18 Monate alt ist. Ich weiß, dass
Sie das nicht wollen. Aber die Menschen tun es trotzdem.
({24})
Sie haben den Menschen die ganze Zeit gesagt: Dann
habt ihr, was die Rente angeht, halt Pech. - Wir sagen: In
der Zeit, in der ihr zu Hause bleibt, weil das Kind erst
zwei Jahre alt ist, bekommt ihr 115 bzw. 165 Euro pro
Monat. Dieses Geld könnt ihr für die Rente anlegen. Die
Entscheidungen werden von den Familien getroffen, ob
Sie das wollen oder nicht.
({25})
Man kann sie bei der Rente im Regen stehen lassen, oder
man kann ihnen helfen, die Altersvorsorge für diese Zeit
sicherzustellen. Wir haben uns für das Zweite entschieden. Das ist Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive.
({26})
Wir geben die Möglichkeit, Nachteile aus individuellen
Entscheidungen, die im Laufe des Lebens getroffen werden, zu kompensieren, damit es keine langfristigen negativen Folgen gibt.
Bei einigen Themen, die Sie angesprochen haben,
sind wir durchaus einer Meinung: Wir wollen mehr
Frauen in Führungspositionen, wir wollen Entgeltgleichheit. Wir müssen leider feststellen, dass sich in Ihrer Regierungszeit gerade beim Thema „Frauen in Führungspositionen“ nichts entwickelt hat.
({27})
In unserer Regierungszeit hat sich durch den Druck, der
durchaus von den beiden Ministerinnen und auch von
unserer Fraktion aufgebaut wurde, in den Aufsichtsräten
einiges getan. Noch vor zwei Jahren hatten wir 10 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten der DAX-Unternehmen; heute sind es 16 Prozent. 10 Prozent vor zwei Jahren, 16 Prozent heute - daran sehen Sie: Der politische
Druck, den wir in der Diskussion erzeugt haben, hat gewirkt. Wir haben jetzt 16 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten.
Wir sagen ganz klar: Wenn die Dynamik nicht anhält,
wenn sich das nicht mit dieser Schnelligkeit weiterentwickelt, dann wird es eben ein Gesetz geben. Das ist
Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen
orientiert. Wir stülpen den Menschen kein Leitbild über,
nach dem jeder in Deutschland zu leben hat. Das ist
nicht unser Ansatz; da unterscheiden wir uns leider Gottes.
({28})
Zum Schluss will ich Frau Humme ebenfalls herzlich
für die gute Zusammenarbeit danken. Wir waren in vielen Punkten einer Meinung, auch wenn das in der Rede
nicht rübergekommen ist. Ich denke, wir haben viele gemeinsame Ziele. Nachdem wir einmal in Stockholm mit
einer Delegation angekommen waren, die nur aus
Frauen bestand, und die Koffer nicht da waren, haben
wir alle uns gut verstanden. Das ist ein Zeichen dafür,
dass die Frauen fraktionsübergreifend zusammenhalten
können, wenn es ernst wird. In diesem Sinne wünsche
ich Ihnen persönlich alles Gute und danke Ihnen für Ihr
Engagement für die Gleichstellung.
({29})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Ich schließe die Aussprache.
Wir sind beim Tagesordnungspunkt 16 und kommen
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf Drucksache 17/13367. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12487 mit dem Titel „Gleichstellung - Fortschritt Jetzt - Durch eine konsistente Gleichstellungspolitik“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die
Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 16.
({0})
- Solange um diese Uhrzeit niemand irgendetwas bezweifelt, bin ich mit jeder Unruhe einverstanden.
({1})
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/12497 mit dem Titel „Gleichstel-
lung von Frauen und Männern im Lebensverlauf
durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! -
Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die
Linksfraktion. Enthaltungen? - Die Sozialdemokraten.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 10. Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion
der SPD mit dem Titel „Für die tatsächliche Gleichstel-
lung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur-
und Medienbereich“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Vizepräsident Eduard Oswald
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13954, den
Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13478
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! -
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? -
Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 11. Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Grundlagen für
Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/10880, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6130 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einvernehmensherstellung von Bundestag und
Bundesregierung zum Antrag der Republik
Lettland, der dritten Stufe der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion beizutreten
und den Euro als Umlaufwährung einzufüh-
ren
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. mit § 9
des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 17/13887 -
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Sie
sind einverstanden, dass ich die Redner nicht vorlese.
Alle Reden wurden hier abgegeben.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf
Drucksache 17/13887. Wer stimmt für diesen Antrag? -
Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der So-
zialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? -
Fraktion Die Linke. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis c sowie
18 e bis g auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie
Hein, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes Digitalisierung vergriffener und verwaister
Werke
- Drucksache 17/4661 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 17/13946 -
1) Anlage 15
Berichterstattung:-
Abgeordnete Norbert Geis-
Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Stephan Thomae-
Halina Wawzyniak-
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte,
Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Wissenschaftliche Urheberinnen und Urheber
stärken - Unabdingbares Zweitveröffentli-
chungsrecht einführen
- Drucksachen 17/5479, 17/13946 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Norbert Geis-
Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Stephan Thomae-
Halina Wawzyniak-
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte,
Halina Wawzyniak, Agnes Alpers, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Chance der Digitalisierung erschließen -
Urheberrecht umfassend modernisieren
- Drucksachen 17/6341, 17/13942 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Norbert Geis-
Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Stephan Thomae-
Halina Wawzyniak-
e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Jan
Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermöglichung der privaten Weiterveräußerung unkörperlicher Werkexemplare
- Drucksache 17/8377 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 17/13943 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Norbert Geis-
Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Stephan Thomae-
Halina Wawzyniak-
Vizepräsident Eduard Oswald
f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan
Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen
Stellung von Urhebern und ausübenden
Künstlern
- Drucksache 17/11040 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 17/13949 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Norbert Geis-
Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Stephan Thomae-
Halina Wawzyniak-
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({7}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner,
Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Verhandlung auf Augenhöhe - Das Urheber-
vertragsrecht reformieren
- Drucksachen 17/12625, 17/13949 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Norbert Geis-
Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Stephan Thomae-
Halina Wawzyniak-
Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben: Stephan Thomae, Burkhard Lischka, Ansgar
Heveling und Jerzy Montag.1)
Ich erteile Frau Kollegin Petra Sitte das Wort. Bitte
schön, Frau Kollegin Dr. Petra Sitte.
({8})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das geltende Urheberrecht bietet bekanntermaßen Urheberinnen
und Urhebern vielfach keine ausreichende ökonomische
Grundlage. Das - so haben es verschiedene Studien gezeigt - liegt nun nicht am bösen Internet. Vielmehr dient
das Urheberrecht weit mehr den Interessen der großen
Medienkonzerne. Darüber hinaus passt das Urheberrecht
nicht mehr zu der Art, wie eine digitale Gesellschaft Informationen erarbeitet und vermehrt.
({0})
1) Anlage 8
Schließlich und noch schlimmer: Die Kultur des Teilens
von Inhalten wurde durch Rechtsverschärfungen in der
jüngsten Vergangenheit zusätzlich behindert.
Wir brauchen also dringend eine umfassende Urheberrechtsreform. Allerdings haben die Regierungsfraktionen - obwohl sie es immer wieder angekündigt hatten bis heute keine substanziellen Vorschläge unterbreitet.
Stattdessen haben sie das Problem durch Schutzfristverlängerungen und Änderungen im Leistungsschutzrecht
für Presseverlage am Ende noch verschärft.
Wir dagegen wollen heute einen ganzen Strauß von
Reformideen zur Abstimmung stellen. Unser Leitprinzip
über alle Anträge hinweg ist: eine faire Vergütung für
Kreative bei gleichzeitig möglichst freizügiger Nutzung
kreativer Werke.
({1})
Erstens. Dazu gehört der private Weiterverkauf von
E-Books und Co. Ich frage Sie: Warum bitte soll digital
verboten sein, was analog möglich ist?
Zweitens. Für die Wissenschaft, für Museen, Bibliotheken und Archive wollen wir die digitale Bereitstellung und Nutzung verwaister und vergriffener Werke
wesentlich erleichtern. Unser Vorschlag ähnelt dabei in
der Rechtssystematik dem Herangehen der EU-Kommission und im Übrigen auch einem Gesetzentwurf des
Justizministeriums. Wir sind allerdings mit unserem
Vorschlag deutlich näher an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Museen und Archive als der Regierungsentwurf. Dabei werden von uns alles in allem die Rechte
der Urheberinnen und Urheber gewahrt.
Drittens. Unser Antrag auf Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechts für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren stärkt die Rechte
der Urheber gegenüber den Verlagen. Er hilft zugleich,
das Prinzip der Open-Access-Veröffentlichungen in der
Wissenschaft auszubauen. Wir haben uns dabei ganz
stark an die Vorschläge der Wissenschaftsorganisationen
und der Open Access Community angelehnt.
Dagegen hat die Regierung ihren Gesetzentwurf zum
Zweitveröffentlichungsrecht mit Passagen vergiftet, zu
denen man einfach sagen muss, dass die Urheberinnen
und Urheber dadurch einmal mehr zugunsten der Verlage enteignet werden. Aber selbst über diese verlegerfreundliche Fassung wird innerhalb der Koalitionsfraktionen noch kontrovers diskutiert. Deshalb bin ich schon
einmal sehr gespannt darauf, ob Sie es wirklich schaffen,
diesen Gesetzentwurf in der letzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode hier vorzulegen.
Viertens. Die Rechte der Urheberinnen und Urheber
zu stärken, ist auch das Ziel unseres Gesetzentwurfs zum
Urhebervertragsrecht. Auch diesen Gesetzentwurf haben
wir nicht still und heimlich erarbeitet, sondern wir haben
ihn über mehrere Monate ins Netz gestellt. Wir haben
ihn transparent gemacht und offen mit Interessierten und
Engagierten sowie mit Verbandsvertretern diskutiert,
und wir haben den Gesetzentwurf schließlich aufgrund
der Hinweise verbessert. Das Ergebnis sind Regelungen,
die sich die Kreativen selbst wünschen. Dies war im Üb31430
rigen auch die Grundlage der Reformempfehlungen der
Enquete-Kommission des Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“. Diese Reformempfehlungen sind
einstimmig verabschiedet worden.
Ich werde die zu Protokoll gegebenen Reden der Abgeordneten der anderen Fraktionen interessiert lesen, um
herauszufinden, warum Sie unserem Vorschlag heute
nicht zustimmen.
Danke schön.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Digitalisierung vergriffener und verwaister Werke. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13946, den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4661 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie
wissen, dass nach unserer Geschäftsordnung damit die
weitere Beratung entfällt.
Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Wissenschaftliche Urheberinnen
und Urheber stärken - Unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht einführen“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13946, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/5479 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Die
Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Die Fraktion der
Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Die Chance der Digitalisierung erschließen - Urheberrecht umfassend modernisieren“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13942, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/6341 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten.
Gegenprobe! - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 e. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Ermöglichung
der privaten Weiterveräußerung unkörperlicher Werkexemplare. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13943, den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8377 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/
Die Grünen und Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 18 f. Abstimmung über den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13949, den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11040 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? Das sind alle anderen Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 18 g. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Verhandlung auf Augenhöhe Das Urhebervertragsrecht reformieren“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13949, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12625 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten
und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes
- Drucksache 17/13705 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 17/13935 Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelGabriele FograscherDr. Stefan RuppertWolfgang Wieland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Alle sind
damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Der Kollege Reinhard Grindel spricht für die Fraktion
von CDU/CSU. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
spreche eigentlich sogar für alle Fraktionen außer der
Linken; denn wir wollen mit der Änderung des Europawahlgesetzes den Rechtsschutz in Wahlsachen in gleicher Weise verbessern, wie wir das bei der Bundestagswahl bereits geregelt haben. Wir führen eine 3-ProzentSperrklausel ein; denn aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2011 würde ansonsten bei der nächsten Europawahl 2014 keine Sperrklausel gelten.
Das Gericht hat uns als Gesetzgeber in seiner Entscheidung eine Beobachtungspflicht auferlegt. Die die
Wahlgleichheit und die Chancengleichheit berührenden
Normen müssen dann geändert werden, wenn sich die
Verhältnisse ändern, die der verfassungsrechtlichen
Beurteilung zugrunde liegen. Die Fraktionen von CDU/
CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind der
Auffassung, dass sich die Lage zur Beurteilung der Verhältnisse in Zusammenhang mit der Europawahl verändert hat.
Im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat das Europäische Parlament am 22. November 2012 mit großer Mehrheit eine Entschließung verabschiedet, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden,
Art. 3 des Direktwahlaktes in ihrem Europawahlrecht
zur Durchsetzung zu verhelfen und Sperrklauseln zu
verabschieden, um die Funktionalität des Europäischen
Parlaments zu wahren.
Es ist die Überzeugung aller Fraktionen mit Ausnahme der Linken, dass sich angesichts des Vertrages
von Lissabon die Grundlagen im Verhältnis zwischen
Parlament und Kommission fundamental verändert
haben. Wir teilen die in der Entschließung des EU-Parlaments zum Ausdruck kommende Überzeugung, dass
sich durch das Wahlverfahren der Kommission und der
Notwendigkeit, den Kommissionspräsidenten mit qualifizierter Mehrheit zu wählen, die Frage der Funktionsfähigkeit völlig neu stellt.
Angesichts der veränderten Verhältnisse zwischen
Parlament und Kommission ab der Europawahl 2014
sind verlässliche Mehrheiten im Europäischen Parlament
für die Stabilität der Legislativverfahren der EU und das
reibungslose Funktionieren ihrer Exekutive von entscheidender Bedeutung.
Bei der EU-Wahl wird es Kandidaten für das Amt des
Kommissionspräsidenten geben, die in nahezu allen Mitgliedstaaten Wahlkampf machen. Damit soll die Legitimation des Europäischen Parlaments gestärkt und für
mehr Bürgernähe gesorgt werden. Gleichzeitig bedeutet
dies eine größere Parteipolitisierung des EU-Parlaments,
was die Mehrheitsbildung erschweren wird, da nicht
davon ausgegangen werden kann, dass sich die in der
parlamentarischen Praxis bisher häufig praktizierte
Konsensbildung zwischen den großen Fraktionen so
fortsetzen lassen wird.
({0})
Fraktionslose Abgeordnete würden damit einen die Entscheidungsprozesse behindernden Einfluss erhalten.
({1})
Bei einer starken Zersplitterung der Zusammensetzung
des Europäischen Parlaments steigt sogar das Risiko einer anhaltenden Blockade der politischen Willensbildung.
Wir erleben einen Bedeutungswandel der europäischen Institutionen, der die Frage nach deren Funktionsfähigkeit mit besonderer Intensität stellt, weil sich ein
Antagonismus zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen herausbilden wird, der auch auf die übrige
Arbeit des Parlaments Rückwirkungen haben wird. Deshalb ist es für den Deutschen Bundestag noch wichtiger,
ein Wahlrecht zu beschließen, das Rahmenbedingungen
schafft, die diese Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen. Der Deutsche Bundestag legt Wert auf die Feststellung, dass er vor diesem Hintergrund die Entscheidung
über die Einführung einer 3-Prozent-Klausel in Ausfüllung des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums trifft.
Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder
klargestellt, dass es sich gerade in den Kernbereichen
der Legislativmacht des Parlaments nicht zum Ersatzgesetzgeber aufschwingen will. Das schließt dann aber mit
ein, dass durch eine sehr weitgehende Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe wie der der Funktionsfähigkeit des Parlaments der Beurteilungsspielraum des Bundestages nicht quasi durch die Hintertür praktisch auf
null reduziert werden darf.
({2})
Einer unserer Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung hat das auf die folgende Formel gebracht: Eine
vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers dürfe nicht
durch eine vertretbare Einschätzung des Gerichts ersetzt
werden.
In der Entschließung des Europaparlaments drückt
sich mit Verweis auf die Verträge von Lissabon die
Sorge aus, dass bereits die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und nicht erst ihre Blockade angesichts
des Bedeutungswandels des Parlaments erhebliche
Schwierigkeiten zur Folge habe, die der Deutsche Bundestag ausdrücklich durch das von ihm verabschiedete
Wahlrecht verhindern will.
Angesichts von demnächst 28 Mitgliedstaaten und
fehlenden europaweiten Parteien ist es völlig klar, dass
es formal eine große Zahl von Parteien gibt, die zum Teil
auch nur wenige Abgeordnete haben, wobei es durch die
Verteilung der Parlamentsmandate auf die einzelnen
Mitgliedstaaten in vielen Ländern ohnehin sozusagen
natürliche Sperrklauseln gibt. Im Schnitt kommen aus
den EU-Staaten zwischen fünf und sechs Parteien ins
Parlament. Für dessen Funktionsfähigkeit ist jedoch
nicht die Zahl der Parteien als solche entscheidend, sondern dass es in allen Mitgliedstaaten parteipolitische
Verhältnisse gibt, die denen der im Europaparlament
vertretenen Parteifamilien entsprechen. Es gibt konser31432
vativ-christlich-demokratische, sozialistische und sozialdemokratische, liberale, grüne und kommunistische Parteien.
Ohne Sperrklausel kämen aus Deutschland etwa
13 oder 14 Parteien, und zwar - darauf kommt es an zusätzlich gerade solche, die weder den Parteifamilien
angehören, die sich im Europäischen Parlament zu Fraktionen zusammenfinden, noch von diesen integriert werden könnten. Insofern würden wir ohne Sperrklausel
eine Zahl von fraktionslosen Parlamentariern produzieren, die das immer wichtigere Funktionieren des Zusammenwirkens der Institutionen massiv gefährden könnten.
Wenn das Verfassungsgericht gesprochen hat, trifft
den Gesetzgeber kein Normwiederholungsverbot. Ganz
im Gegenteil: Die Kompetenzordnung unserer Verfassung sieht gerade den Bundestag als berufen an, über die
Wahlgesetzgebung zu befinden. Wir tun dies heute nahezu einmütig. Deswegen bin ich mit allem Respekt vor
unserem höchsten deutschen Gericht angesichts der Entschließung des Europäischen Parlaments, die eine neue
Grundlage für unsere Änderung des Europawahlgesetzes
bedeutet, zuversichtlich, dass uns im Falle eines Falles
die Karlsruher Richter bestätigen werden, dass wir uns
im Rahmen des uns zustehenden Gestaltungsspielraums
bewegt haben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Kollege Reinhard Grindel. - Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten unser
Kollege Axel Schäfer. Bitte schön, Kollege Axel
Schäfer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Diskussion, die wir heute über die Änderung des Europawahlgesetzes führen, ist sicherlich eine besondere
Diskussion. Denn wir als nationales Parlament treffen
solidarisch eine Entscheidung, die die Zusammensetzung, Funktionsfähigkeit und politische Führungsfähigkeit eines supranationalen Parlaments betrifft. Deshalb
ist der erste Punkt, dass wir uns noch einmal vergewissern, auf welchem Terrain wir uns befinden.
Wir alle miteinander waren bis 2011 der Meinung,
dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
1979, das zur ersten Direktwahl des EP ausdrücklich die
damals bestehende Fünfprozentklausel mit der Verfassung im Einklang sah, natürlich auch in der Gegenwart
weiterhin gilt. Denn damals, 1979, hatte das Europäische
Parlament - bis auf sehr begrenzte Haushaltsrechte - in
der Gesetzgebung, bei der Wahl des Kommissionspräsidenten und bei anderen zentralen Aufgaben nichts zu
entscheiden.
Nach dem Lissabon-Vertrag sind wir in der Situation,
dass sich die parlamentarische Entwicklung in vielen
Stufen - über Vertragsänderungen, die alle parlamentarisch ratifiziert worden sind, und zwar mit sehr großen
Mehrheiten im Bundestag wie im Bundesrat - auf eine
Weise dynamisch fortgesetzt hat, von der diejenigen, die
die Direktwahl in den 70er-Jahren erkämpften, wirklich
nur träumen konnten.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll
nun für ein Parlament mit außergewöhnlicher Stärke in
der Gesetzgebung und Macht gegenüber der Kommission - der faktischen und funktionalen Regierung keine Sperrklausel mehr gelten, die der Gewährleistung
seiner Funktionsfähigkeit dient.
Es gibt da ein paar Missverständnisse, über die wir
diskutieren müssen. Wir sind die erste Gewalt und müssen mit der dritten Gewalt diskutieren, vor allen Dingen
dann, wenn Vertreter der dritten Gewalt über Bundespressekonferenzen mit uns kommunizieren und nicht nur
durch Urteile.
({0})
- Lieber Kollege Wieland, Sie wissen, warum ich heute
hier spreche: Ich bin ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und jetzt als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Angelegenheiten der EU zuständig. So fühle ich mich berufen, über dieses Thema zu
reden.
({1})
Das grundlegende Missverständnis ist, dass manche
denken, dass, weil im Europäischen Parlament 160 Parteien vertreten sind, es auf 10 oder 20 Parteien mehr
auch nicht mehr ankommt; dass das Europäische Parlament schon irgendwie funktionieren wird.
Im Hinblick darauf, wie die Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, politisch und finanziell
und auch, was die Entscheidungen über Personen angeht, konstituiert sind, könnte man argumentieren: Die
CDU gibt es 15-mal, die SPD sogar 16-mal, und für
FDP, Grüne und Linkspartei gilt das Gleiche. Die Landesverbände haben in Deutschland eine außergewöhnliche Stärke. Auch ein Parteivorsitzender oder eine Kanzlerin kann nicht von Bundesebene aus vorschreiben, was
die Landesverbände zu entscheiden haben. Das ist die
Realität bei uns.
Die Realität in Europa ist: Im Europäischen Parlament gibt es sieben Fraktionen, die bei einem Parlament
mit Abgeordneten aus 27 Mitgliedstaaten natürlich aus
mehr als nur sieben Parteien gebildet werden. Die Parteifamilien, die sich herausgebildet haben, sind etwas
Neues, etwas Besonderes und haben eine höhere Verbindlichkeit bekommen, als wir uns das in der Gründungsphase in den 70er-Jahren hätten vorstellen können.
Bei dem gemeinsamen Gesetzentwurf, den vier
Fraktionen hier in den Deutschen Bundestag eingebracht
Axel Schäfer ({2})
haben, geht es - der Kollege Grindel hat geschätzterweise darauf hingewiesen - um drei zentrale Punkte:
Der erste Punkt sind die Verbundenheit und die Solidarität mit dem Europäischen Parlament und auch der
Respekt vor diesem Parlament, das ausdrücklich für sich
definiert hat: Es wäre gut, wenn in den Mitgliedstaaten
eine Mindestsperrklausel eingeführt würde. - Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.
Hintergrund ist aber auch: Außer in Spanien haben die
nationalen Parlamente von bereits 26 Mitgliedstaaten der
EU eine solche Sperrklausel in ihr Europawahlgesetz
aufgenommen. Dieser Punkt ist ganz wichtig; wir
sprechen ja immer über das Verhältnis der nationalen
Parlamente zum EP. Das ist auch eine Frage von praktizierter Solidarität.
Der zweite Punkt ist - das hat eine neue Qualität; der
Kollege Grindel hat ja etwas angekündigt, was die EVP
noch nicht beschlossen hat, aber hoffentlich beschließen
wird -, dass es bei der Europawahl 2014 tatsächlich darum gehen wird, dass der Präsident der Kommission
- der faktische Regierungschef in der EU - durch das
Parlament gewählt wird. Das ist eine fundamentale Änderung, die zur Konsequenz haben wird, dass wir - so
hoffe ich, und das wünschen wir, glaube ich, auch alle zum ersten Mal einen europäischen Wahlkampf führen
werden, in dem sich die Wählerinnen und Wähler nicht
nur dafür entscheiden können, entweder ihre nationale
Regierung abzuwatschen oder ihren Regierungschef zu
loben. Es wird 2014 auch darum gehen, wie wir uns als
Sozialdemokraten, als Christdemokraten, als Grüne, als
Liberale oder als Linke im Europäischen Parlament inhaltlich definieren.
Gleichzeitig sagen wir den Wählerinnen und Wählern
damit: Wenn ihr uns wählt - ich hoffe, es wählen viele
die SPD -, dann werden wir mit den Grünen und vielleicht noch mit anderen, die guten Willens sind, zusammen einen Kommissionspräsidenten wählen - wenn wir
die Mehrheit dafür haben. Wenn nicht, werden die anderen das tun. Das ist die Voraussetzung. Damit wird deutlich, dass die parlamentarische Verantwortung dieses
Regierungschefs eine andere ist.
Als Verfassungswirklichkeit wird auch etwas anderes
eintreten: Die Staats- und Regierungschefs werden nach
der Europawahl einen Vorschlag für das Amt des Kommissionspräsidenten machen, so wie der deutsche Bundespräsident nach dem Ergebnis der Bundestagswahl einen Vorschlag für den zu wählenden Regierungschef
macht, und nicht vorher im stillen Kämmerlein irgendetwas aushandeln. Das wird die Konsequenz sein. Denn
das Parlament wählt, das Parlament entscheidet dabei.
Der dritte Punkt. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie sich auch die Gesetzgebung in Europa entwickelt hat. Manche glauben ja, es würde alles auf Gipfeln
entschieden. Gott sei Dank ist das nicht so. Das allermeiste, was die Frage „Wirtschaft und Währung“ anbelangt, wird immer noch in Europa entschieden, wo die
Kompetenzen bestehen.
Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
sind der Meinung, es müsse dort auch noch mehr parlamentarisiert werden. Dafür braucht man stabile Verhältnisse; das ist überhaupt keine Frage. Zu den stabilen Verhältnissen gehört auch, dass es eine Mehrheit gibt, die
größer ist als diejenige, die den Kommissionpräsidenten
gewählt hat. Um dieses zu ermöglichen, brauchen wir
eine Form bzw. einen Rechtsrahmen durch die Veränderung des Europawahlgesetzes.
Wir sollten uns in die Augen schauen und uns in die
Hand hinein versprechen, dass wir diesen Europawahlkampf in dem Geiste führen, in dem wir heute diskutiert
haben: als einen wirklich europäischen Wahlkampf. Dafür brauchen wir europäische Parteifamilien. Dafür brauchen wir auch Vereinbarungen oder rechtliche Regeln,
was Mindestnormen anbelangt, also eine Sperrklausel.
Es braucht vor allen Dingen den gemeinsamen Willen,
das durchzusetzen.
In diesem Sinne leisten wir heute etwas Gutes. Deshalb ist es auch gut, dass man noch um 23.31 Uhr
({3})
öffentlich darüber diskutiert und diese Debatte nicht nur
zu Protokoll gibt.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Kollege Axel Schäfer. - Nächster Redner für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Stefan
Ruppert. Bitte schön, Kollege Dr. Ruppert.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Karlsruhe hat in den letzten Jahren eine Vielzahl
von wahlrechtlichen Entscheidungen getroffen. Man
konnte den Eindruck gewinnen, dass man dort in Teilen
Spaß an sehr detaillierten Vorgaben gewonnen hat. So
hat Karlsruhe aus Art. 38 der Verfassung herausgelesen,
dass ziemlich genau 15 Überhangmandate verfassungsgemäß seien. Man hat weiterhin herausgelesen, dass im
Ausland lebende Deutsche bestimmte kulturelle Bezüge
brauchen, um unser Wahlrecht genießen zu können. Man
hat aus dieser Verfassung auch herausgelesen, dass die
Fünfprozenthürde ein zu starker Gleichheitseingriff in
die Gleichheit der Wahl sei.
Als Verfassungsrechtler stehe ich der Tendenz, den
Spielraum des Gesetzgebers bis auf wenige Gestaltungsmöglichkeiten drastisch zu beschränken, ausgesprochen
skeptisch gegenüber. Der Demokrat in mir sagt natürlich: Wir müssen diese Entscheidung respektieren.
Gleichwohl ist es, glaube ich, gar nicht so schlecht, dass
man auch in Karlsruhe noch einmal darüber nachdenkt,
ob es eigentlich richtig ist, den politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers - hier des Deutschen Bundestages - in Fragen, die ihn ureigen angehen - das
Wahlrecht ist nun einmal ureigene Parlamentsangelegenheit -, so drastisch zu beschneiden.
Genau diese Überlegung hat auch eine Rolle gespielt,
als wir uns gefragt haben: Hat man hier formal über
5 Prozent oder zumindest politisch auch über 3 Prozent
mitentschieden? Nein, eine Fünfprozenthürde ist ein
größerer Eingriff in die Gleichheit der Wahl als eine
Dreiprozenthürde.
Ich glaube, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag
haben sich die Überlegungen dazu ausgesprochen
schwer gemacht. Wir haben Anhörungen durchgeführt.
Wir haben aber auch in einem Zeitraum von über einem
Jahr in mehreren Gesprächen intern fachlich diskutiert
und sind zu der politischen und verfassungsrechtlichen
Abwägung gekommen, dass 3 Prozent verfassungsgemäß sind,
({0})
weil, ganz einfach gesagt, drei eben nicht fünf ist.
({1})
Wir müssen weitere Argumente in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Das erste Argument ist, dass wir in
Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach noch 96 Abgeordnete aus Deutschland im Europäischen Parlament haben werden. Jetzt könnte man sagen, eine Zersplitterung
dieser Delegation in vielleicht sieben, acht oder neun
weitere Fraktionen sei allein eine machtpolitische Frage
und betreffe alleine den machtpolitischen Einfluss
Deutschlands auf europäischer Ebene. Nein, es ist auch
ein Repräsentationsproblem, weil es einem einzelnen
Abgeordneten eben nicht gelingen kann, die Brüsseler
oder Straßburger Entscheidungen gegenüber dem deutschen Wahlbürger zu vertreten. Insofern wird aus diesem
machtpolitischen Argument auch ein verfassungsrechtliches.
Das Europäische Parlament - so sagt es auch die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - soll
sich weiter parlamentarisieren. Wenn man etwa die Lissabon-Entscheidung betrachtet, so liest man dort, dass
auf europäischer Ebene nach wie vor Demokratiedefizite
bestünden. Aber gerade die Funktionsfähigkeit eines solchen Parlaments ist eine Voraussetzung für eine weitere
Parlamentarisierung. Insofern, glaube ich, ist eine Dreiprozenthürde auch eine notwendige Voraussetzung für
diese Funktionsfähigkeit.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum subjektiven Wahlrechtsschutzrecht sagen. Hierzu gibt es, soweit ich weiß, 40 oder 45 Entscheidungen Karlsruhes.
Sie sind in einer sehr guten Dissertation von Heinrich
Lang aufgeführt. Sie können in Deutschland gegen alles
klagen, gegen die Anbringung einer Dachrinne durch Ihren Nachbarn oder gegen die Beförderung Ihres Kollegen. Aber das urdemokratische Recht, als Partei an einer
Wahl teilzunehmen, konnten Sie bisher auf europäischer
Ebene und bis vor kurzem auch auf deutscher bzw. nationalstaatlicher Ebene nicht einklagen. Wir gehen auch
den wichtigen Schritt, dass man mehr Demokratisierung,
mehr rechtliche Überprüfung, mehr Rechtsschutz bei der
Frage hat, ob man bei einer Wahl antreten darf oder ob
vielleicht der Bundeswahlausschuss oder ein anderes
Gremium dies untersagt. Das wird in Zukunft rechtlich
überprüfbar werden.
({2})
Am Ende werden wir uns wohl in Karlsruhe wiedersehen. Es wird Gruppierungen geben, die gegen diese
Dreiprozenthürde klagen. Dann sollten wir uns an die,
wie ich finde, bisher sehr gute Diskussion an diesem
Abend und an unsere politischen und verfassungsrechtlichen Abwägungen erinnern. Wir sollten Karlsruhe unsere meiner Meinung nach guten Argumente vortragen.
Es bleiben auch bei mir Restzweifel, ob ein Berichterstatter, der eine Fünfprozenthürde vehement für verfassungswidrig gehalten hat, seine Haltung in einem zukünftigen Urteil revidieren wird. Die Zusammensetzung
des Zweiten Senats hat sich ja insofern geändert, als die
beiden Richter, die abweichende Voten abgegeben hatten, nicht mehr vertreten sind. Ich glaube aber, es gibt
sehr gute Argumente dafür, dass wir heute das Richtige
tun, nicht nur politisch, sondern auch verfassungsrechtlich.
Die FDP-Fraktion wird dem von vier Fraktionen eingebrachten Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Kollege Dr. Stefan Ruppert. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin
Frau Halina Wawzyniak. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Ruppert dankbar dafür, dass
er den Wahlrechtsschutz noch einmal angesprochen hat.
Denn in vier von fünf Punkten sind wir uns bei diesem
Gesetzentwurf einig. Wir sind uns nur an einer Stelle
nicht einig, und das ist die Frage der Dreiprozentsperrklausel.
Ich komme nicht umhin, zu Anfang noch etwas zum
Verfahren zu sagen. Wir haben die erste Lesung dieses
Gesetzentwurfs ohne Debatte durchgeführt. Am Mittwoch der vergangenen Sitzungswoche hat der Innenausschuss beschlossen, eine Anhörung durchzuführen. Die
Anhörung ist am Montag durchgeführt worden. An
dieser Anhörung haben der Kollege Ruppert, der Kollege Wieland und ich teilgenommen. Nach dem
Höferlin’schen Gesetz aus dem Rechtsausschuss dürfte
heute gar nicht abgestimmt werden. Der Kollege
Höferlin hatte seinerzeit, als es um die Strafbarkeit von
Abgeordnetenbestechung ging, darauf hingewiesen, dass
noch gar kein Protokoll vorliege. Ich nehme zur Kenntnis: Wir stimmen heute über einen Gesetzentwurf ab, obwohl auch noch kein Protokoll über die Anhörung vorHalina Wawzyniak
liegt. Das kann man machen, muss man aber nicht
machen.
Wir haben rechtliche und politische Bedenken gegen
eine Dreiprozenthürde. Ich will - das ist zumindest den
Berichterstattern bekannt - nochmals auf die Randnummer 118 des Bundesverfassungsgerichtsurteils hinweisen. Ich zitiere:
Deshalb fehlt es an zwingenden Gründen, in die
Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln
einzugreifen, so dass der mit der Anordnung des
Verhältniswahlrechts auf europäischer Ebene verfolgte Gedanke repräsentativer Demokratie … im
Europäischen Parlament uneingeschränkt entfaltet
werden kann.
({0})
Das Verfassungsgericht spricht bewusst von Sperrklauseln. Jetzt kann man sich darüber streiten, ob deswegen eine Sperrwirkung für den Gesetzgeber eintritt oder
nicht. Das ist zumindest ein Indiz dafür, dass es sich das
Bundesverfassungsgericht mit der Dreiprozentsperrklausel auch nicht so einfach machen würde.
Herr Grindel, der ja nicht bei der Anhörung war, weswegen er das vielleicht nicht besser wissen konnte
({1})
- okay, akzeptiert; Sie sind in der Flut stecken geblieben -,
hat hier vorgetragen, es gebe neue rechtliche und tatsächliche Gründe. Ich gebe zu: Ich finde das ein wenig
abenteuerlich. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Lissabon-Vertrag in seinem Urteil ausdrücklich und eingehend dekliniert, bewertet und zur Kenntnis genommen. Eine Entschließung des Europäischen Parlaments
wird hier als neuer rechtlicher und tatsächlicher Grund
angeführt. Seit wann richtet sich die Verfassungslage danach, was politisch gewollt ist? Das Europäische Parlament ist noch immer ein Parlament und kein Rechtsetzungsorgan.
({2})
Daneben ist gesagt worden, die 3 Prozent seien das
deutlich mildere Mittel. Herr Wieland sagt dann immer:
Fünf ist mehr als drei.
({3})
Durch die schriftliche Stellungnahme von Wilko
Zicht von Wahlrecht.de ist erwiesen, dass es faktisch leider nicht so ist. Denn auch bei einer Dreiprozenthürde,
hochgerechnet auf die Europawahl 2009, wären 10 Prozent der gültigen Stimmen - das sind die Stimmen von
2,8 Millionen Wahlberechtigten - nicht an der Sitzverteilung des Europaparlaments beteiligt gewesen. Auch
von daher ist das Argument nicht ganz überzeugend.
Zum Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen
will ich nur kurz sagen: In der Anhörung ist darauf hingewiesen worden, dass es Bedenken hinsichtlich der Unmittelbarkeit und der Gleichheit der Wahl gibt. Wir teilen diese Bedenken.
({4})
Nun möchte ich aber noch etwas zu den politischen
Bedenken sagen. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass
die Bevölkerung der Souverän ist. Wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen damit umgehen,
was der Souverän gewählt hat. Es kann doch nicht sein,
dass sich der Souverän danach zu richten hat, wie wir
unsere Arbeit organisieren, und dass Stimmen des Souveräns einfach hinten runterfallen, wenn wir unsere Arbeit nicht organisiert bekommen. Das ist für mich nicht
nachvollziehbar.
({5})
Deswegen lehnen wir auch aus politischen Gründen
eine Sperrklausel ab.
({6})
Ich komme zum Schluss und will Ihnen sagen: Lassen
Sie uns doch einfach die Chance nutzen, ein Parlament
ohne Sperrklauseln zu haben, ein Parlament, in dem vielleicht das Argument, das Zuhören und die freie Debatte
zählen.
Am Ende sage ich Ihnen: Wer will, dass alles bleibt,
wie es ist, der will nicht, dass es bleibt. Ich möchte, dass
der Parlamentarismus bleibt.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Wawzyniak. - Nächster
Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser
Kollege Wolfgang Wieland. Bitte schön, Kollege
Wolfgang Wieland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße besonders die zwei Zuhörer auf der Tribüne, die
uns hier die Ehre ihrer Anwesenheit geben.
Wir sollten uns hier nichts vormachen, Frau Kollegin
Wawzyniak: Wir begeben uns auf dünnes Eis. Das ist so
etwas wie ein Ritt über den Bodensee, und die vier Fraktionen, die diesen Gesetzentwurf eingebracht haben,
können nur hoffen, dass wir am Ende nicht tot wie dieser
Reiter sind, der über den Bodensee geritten ist.
Ich sehe hier aber gar keinen Grund zur Aufregung.
Diese Frage wird wieder in Karlsruhe entschieden werden; das ist absolut sicher. Jede der kleinen Parteien, die
hier betroffen sind, wird klagen - auch schon vorher,
weil sie natürlich sagen, dass sich ihre Chancen mindern,
wenn die Leute von diesen 3 Prozent hören und sie nicht
mehr wählen, weil ihre Stimme dann möglicherweise
verschwendet ist.
Wir gehen dieses Risiko ein, weil wir zum einen sagen: Diese Entscheidung aus Karlsruhe ist höchst umstritten. Das war sie von Anfang an. Zum anderen - die
Kollegen Grindel und Schäfer haben hier ja sehr ausführlich vorgetragen; ich hätte mir gewünscht, dass Ihre
Rechts- und Innenpolitiker diese Reden gehört hätten,
({0})
weil sie diese Nachhilfe in Sachen Europa nötig haben waren alle Argumente, die hier genannt wurden, richtig.
Wir alle wollten den Präsidenten des Europaparlamentes, Herrn Martin Schulz, hören - vor der Klammer
sozusagen, keinen Platz wegnehmend. Die SPD-Fraktion wollte das nicht. Wir haben es nicht verstanden,
aber so war es.
({1})
Das Europäische Parlament entwickelt sich weiter.
Die Momentaufnahme, die Karlsruhe 2011 gemacht hat,
war schon damals kritisch. Für die Wahl 2014 ist sie
falsch; das sage ich ganz deutlich. Die andere Funktionsweise des Parlaments, auch die Europäisierung der Parteien und der Parteizusammenschlüsse wurde nicht richtig vorausgesehen und nicht richtig eingeschätzt.
Deswegen ist es richtig, hier noch einmal diesen Versuch
zu machen.
Der Kollege Ruppert hat scharfsinnig erklärt, dass
fünf nicht drei ist und dass drei nicht fünf ist. Nur die
Fünf ist in den Tenor eingeflossen. Natürlich, Frau
Wawzyniak, steht in den Gründen ganz allgemein etwas
von Sperrklauseln. Deswegen sage ich: Es wird schwierig werden in Karlsruhe; aber diese Auseinandersetzung
sollten wir führen. Wir als Deutscher Bundestag müssen
akzeptieren, dass das letzte Wort im Grunde nicht immer
wir sprechen, sondern ein Verfassungsgericht. Das war
so von den Eltern des Grundgesetzes gewollt. Damit soll
man nicht hadern; aber die hohen Damen und Herren in
Karlsruhe müssen dann auch akzeptieren, dass wir dort
unsere Argumente vorbringen. Ich denke, es sind die
besseren Argumente; deshalb sollten wir das tun.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns dem entgegensehen.
Inzwischen haben wir den europäischen Wähler. Wir
werden immer mehr europäische Parteien haben. Auch
müssen wir sehen, dass wir auf ein europäisches Wahlrecht hinarbeiten. Dies ist ein erster und nicht der letzte
Schritt. Das ist die Zukunft, und da müssen wir hingehen.
({2})
Vielen Dank, Kollege Wolfgang Wieland. - Nächster
Redner für die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Thomas Silberhorn. Bitte schön, Kollege Thomas
Silberhorn.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Einführung einer Dreiprozentklausel - nachdem die
Fünfprozentklausel vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde - ist sicherlich juristisch gewagt, aber sachlich gerechtfertigt und politisch geboten. Eine Dreiprozentsperrklausel ist nach unserer festen Überzeugung
geboten, um eine weitere Funktionsbeeinträchtigung des
Europäischen Parlaments zu verhindern. Insoweit kann
die Einschätzung des Europäischen Parlaments selbst
nicht ganz unbeachtet bleiben. Es hat in seiner Entschließung vom 22. November 2012, die schon zitiert worden
ist, die Mitgliedstaaten aufgefordert, in ihrem Wahlrecht
geeignete und angemessene Mindestschwellen für die
Zuteilung der Sitze festzulegen.
Diese Entschließung belegt, dass es nicht allein um
ein Anliegen des Deutschen Bundestages geht. Es gibt
kein Kartell der etablierten Parteien, neue, kleine Parteien außen vor zu halten; aber wir haben bei der Ausgestaltung des Wahlrechts sehr wohl einen deutlichen
Spielraum und als Parlamentarier eine originäre Kompetenz in Bezug auf die Beurteilung von parlamentarischen
Funktionsrisiken.
Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten Organs wie des Europäischen Parlaments hängt
noch viel stärker als im Deutschen Bundestag davon ab,
dass es große Gruppen von Abgeordneten gibt, die durch
gemeinsame politische Zielsetzungen miteinander verbunden sind. Das war das überzeugende Argument des
Bundesverfassungsgerichts 1979, mit dem es damals die
Sperrklausel für die Europawahl noch ausdrücklich gebilligt hatte - und das, obwohl das Europäische Parlament damals im Wesentlichen nur Beratungs- und Kontrollbefugnisse besaß.
Angesichts der seither stetig gewachsenen Kompetenzen und Aufgaben des Europäischen Parlaments ist es
schon erstaunlich, dass das Gericht in seiner Entscheidung 2011 die Fünfprozentsperrklausel nicht erst recht
gebilligt, sondern verworfen hat. Dabei ist es für mich
wenig überzeugend, darauf abzustellen, dass sich das
Europäische Parlament bisher mit den festgestellten
Funktionsbeeinträchtigungen gut arrangiert habe und
diese Funktionsbeeinträchtigungen noch nicht zu einer
Lähmung des Parlamentsbetriebs führen würden. Das
kann doch beim besten Willen kein Grund dafür sein,
dem Europäischen Parlament jetzt noch mehr zuzumuten.
Der Umstand, dass im Europäischen Parlament Mehrheiten oft nur durch ein Zusammenwirken der beiden
größten Fraktionen erzielt werden können, macht deutlich, dass die bereits vorhandene Zersplitterung mit sehr
vielen Parteien aus 27 und bald 28 Mitgliedstaaten die
Arbeitsfähigkeit des Europäischen Parlaments spürbar
schwächt. Vor dem Hintergrund der gewachsenen Mitentscheidungsbefugnisse des Parlaments besteht deshalb
die reale Gefahr, dass dieses Europäische Parlament in
seiner Funktion beeinträchtigt wird, wenn man auf eine
Sperrklausel vollständig verzichten würde.
Meine Damen und Herren, es kann doch nicht angehen, dass Splitterparteien, die in Deutschland nirThomas Silberhorn
gendwo, bei keiner Bundestagswahl, bei keiner Landtagswahl, einen Fuß auf den Boden bekommen,
ausgerechnet zum Europäischen Parlament leichter zugelassen werden sollen und so die Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments weiter schwächen könnten. Das kann
nicht der Stellenwert sein, den wir in Deutschland unserer parlamentarischen Vertretung in der Europäischen
Union einräumen.
Das Europäische Parlament benötigt Handlungsfähigkeit, wenn es im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren
als gleichberechtigter Akteur neben dem Rat eine Position durchsetzen will. Es muss in der Lage sein, eine
mehrheitsfähige Willensbildung in den eigenen Reihen
herbeizuführen. Jeder Mitgliedstaat trägt Mitverantwortung dafür, dass das Europäische Parlament auch in Zukunft handlungsfähig bleibt, dass es seine gesetzgeberische Funktion und auch die Kontrolle über die
Kommission effektiv wahrnehmen kann.
Sicherlich ist es so, dass Staaten wie Deutschland, die
ein größeres Sitzkontingent als andere haben, eine besondere Verantwortung dafür tragen, eine weitere Zersplitterung im Europäischen Parlament zu verhindern.
Wir brauchen ein starkes Europäisches Parlament, das
zusammen mit dem Deutschen Bundestag und den anderen nationalen Parlamenten die demokratische Legitimation des Handelns der Europäischen Union sichert. Deswegen ist eine moderate Sperrklausel von 3 Prozent ein
Mittel, das sachlich gerechtfertigt und politisch geboten
ist, um dieses Ziel zu erreichen.
({0})
Mit unserem Gesetzentwurf reagieren wir auch darauf, dass mit dem Vertrag von Lissabon die Anzahl der
deutschen Sitze im Europäischen Parlament von 99 auf
96 reduziert worden ist. Wir sind das einzige Mitgliedsland, das auf Sitze verzichtet hat, aus meiner Sicht ein
völlig unnötiges und überflüssiges Zugeständnis.
({1})
Abgesehen davon geht das aus meiner Sicht grundsätzlich in die falsche Richtung; denn im Lissabon-Vertrag wurde das sogenannte Prinzip der degressiven Proportionalität festgeschrieben. Das bedeutet: Je mehr
Mitgliedstaaten beitreten, desto weniger repräsentativ
wird die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Wir in der CSU sind ganz im Gegenteil der Ansicht, dass die Völker der Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament repräsentativ vertreten sein müssen.
Das wäre ein Quantensprung für die Vertiefung der europäischen Integration.
Vielen Dank.
({2})
Kollege Thomas Silberhorn war der letzte Redner in
dieser Aussprache, die ich damit schließe.
Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Europawahlgesetzes. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13935, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/
13705 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das
sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die
Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Niemand. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Linksfraktion.
Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Katrin
Göring-Eckardt, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes
- Drucksache 17/11076 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 17/13321 Berichterstattung:Abg. Katja Mast
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13344 Berichterstattung:Abgeordnete Axel E. Fischer ({2})Bettina HagedornDr. Claudia WintersteinDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({3})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Mast,
Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über Pas-
siv-Aktiv-Transfer ermöglichen - Teilhabe
für alle durch sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung im allgemeinen Arbeits-
markt
1) Anlage 6
Vizepräsident Eduard Oswald
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Jutta Krellmann, Dr. Axel
Troost, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Einstieg in gute öffentlich geförderte Be-
schäftigung beginnen
- Drucksachen 17/11199, 17/12377, 17/13321 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Katja Mast
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5}) zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Katrin Kunert, Katja Kipping, Sabine
Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Wirksamkeit der Arbeit der Beiräte bei den
Jobcentern erhöhen
- Drucksachen 17/7844, 17/13807 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Brigitte Pothmer
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) -
Alle sind damit einverstanden.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20 a. Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Einrichtung eines Sozialen
Arbeitsmarktes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13321, den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11076
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Zustimmen
wollen Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten.
Wer stimmt dagegen? - Koalition und Linksfraktion.
Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 20 b. Wir setzen die Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/13321 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/11199 mit dem Titel
„Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über Passiv-Aktiv-
Transfer ermöglichen - Teilhabe für alle durch sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung im allgemeinen
Arbeitsmarkt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Links-
fraktion. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Noch Tagesordnungspunkt 20 b. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/12377 mit dem Titel „Einstieg in gute öf-
1) Anlage 10
fentlich geförderte Beschäftigung beginnen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wirksamkeit der Arbeit der Beiräte bei den Jobcentern erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13807, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/7844 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und
zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
- Drucksache 17/10487 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 17/13944 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth-
Christoph Strässer-
Marco Buschmann-
Jens Petermann-
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) -
Alle sind damit einverstanden.
Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der
Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13944, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/10487 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitions-
fraktionen. Wer stimmt dagegen? - SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Die Fraktion Die
Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - So-
zialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltun-
gen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenom-
men.
2) Anlage 9
Vizepräsident Eduard Oswald
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Förderung Deutscher Auslandsschulen ({7})
- Drucksache 17/13058, 17/13618 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({8})
- Drucksache 17/13957 Berichterstattung:Abgeordnete Philipp MißfelderUlla Schmidt ({9})Patrick Kurth ({10})Stefan LiebichKerstin Müller ({11})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({12})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13958 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Herbert Frankenhauser-
Klaus Brandner-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin-
Michael Leutert-
Sven-Christian Kindler
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden. Widerspruch erhebt sich
nicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13957, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/13058 und 17/13618 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({14}) zu
dem Antrag der Fraktion der SPD
Eine gesetzliche Obergrenze für verbrauchergerechte Dispositionszinsen
- Drucksachen 17/10988 ({15}), 17/13778 -
1) Anlage 11
Berichterstattung:-
Abgeordnete Marco Wanderwitz-
Ingo Egloff-
Marco Buschmann-
Halina Wawzyniak-
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({16}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Begrenzung der Zinssätze für Dispositionsund Überziehungskredite
- Drucksachen 17/10855, 17/13950 Berichterstattung:Abgeordnete Marco WanderwitzIngo EgloffMarco BuschmannRaju SharmaIngrid Hönlinger
Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.
Zum mittlerweile vierten Mal in dieser Legislaturperiode hat die Opposition das Thema „gesetzliche
Deckelung von Zinssätzen bei Dispositions- und Überziehungskrediten“ auf die Tagesordnung des Plenums
gesetzt. Zum vierten Mal tauschen wir damit die gleichen Argumente aus. Auch heute wird die Botschaft
der christlich-liberalen Koalition sein: Eine gesetzliche Deckelung wird es mit uns nicht geben, weil es dafür keinen Bedarf gibt.
Der seit Jahren von der Opposition pauschal vorgetragene Vorwurf, Banken würden günstige Konditionen, die ihnen bei der Geldbeschaffung von der Europäischen Zentralbank eingeräumt werden, nicht an
ihre Kunden weitergeben, ist falsch. Wir hatten in der
letzten Befassung im Oktober 2012 zunächst auf die
Ergebnisse einer von Verbraucherschutzministerin Ilse
Aigner in Auftrag gegebenen Studie zum Zinsanpassungsverhalten der Banken hingewiesen. Wichtigste
Botschaft: Der Durchschnitt der Überziehungszinsen
in Deutschland lag noch bei knapp über 10 Prozent,
ein Wert, der angesichts eines europäischen Mittels
von 8,8 Prozent in den vergangenen Jahren im Toleranzbereich liegt.
Wenn wir von einem Mittelwert sprechen, heißt das
aber auch: Es gibt Ausreißer nach oben, ebenso aber
auch günstigere Angebote. Das gibt es bei einer Flugreise, beim Kauf eines Haushaltsgerätes und eben
auch bei Banken und ihren Zinsen. Das nennt man
Markt. Der Markt gibt den Verbrauchern die Möglichkeit, durch entsprechende Informationsgewinnung
günstigere Konditionen zu erhalten, und der Bankenwettbewerb in Deutschland ist intensiv. In diesem Zusammenhang hatte ich im Oktober auf folgende interessante Ergebnisse einer Forsa-Umfrage hinge31440
wiesen: Nur 43 Prozent der Verbraucher kennen überhaupt ihren Dispozinssatz; lediglich 13 Prozent würden allein aufgrund eines deutlich günstigeren Dispozinssatzes ihre Bank wechseln.
Durch die Opposition wird regelmäßig der Eindruck vermittelt, dass die Zinsdifferenz zwischen Geldmarktzinsen - oder dem Hauptrefinanzierungssatz der
EZB - und dem Dispozinssatz die Gewinnmarge einer
Bank sei. Dies ist nicht einmal die halbe Wahrheit.
Faktoren wie Refinanzierungskosten, Eigenkapitalkosten, Risikoprämien, Kosten des operativen Geschäfts
etc. nehmen starken Einfluss auf die Höhe des jeweiligen Dispozinssatzes. Die Kundennähe der klassischen
Filialbanken in Deutschland wie Sparkassen und
Volks- und Raiffeisenbanken kostet.
Der Dispositionskredit räumt dem Kunden größtmögliche Flexibilität ein; er ist jederzeit abrufbar. Das
heißt andererseits für die Banken: Sie müssen dauerhaft diese Liquidität vorhalten. Die Inanspruchnahme
ist nicht planbar, womit die Banken letztlich ein größeres Risiko gehen als bei klassischen Krediten mit festen
Laufzeiten und monatlichen Tilgungsraten. Diese Flexibilität hat ihren Preis.
Der Dispositionskredit ist zudem für den kurzfristigen Gebrauch gedacht. Wer aus seinem Dispo dauerhaft schöpft, muss eben mit hohen Zinsbelastungen
rechnen. Für diese Fälle sind Ratenkredite günstiger.
Wer die Bonität für den Dispo hat, hat sie üblicherweise auch für den Ratenkredit. Man muss es dann
eben auch machen.
Die Stiftung Warentest hat im Dezember berichtet,
dass eine nicht unerhebliche Zahl von Banken mittlerweile nicht nur transparenter agiert, sondern ihre Dispozinsen weiter heruntergefahren hat. Das zeigt deutlich: Der Markt funktioniert. Die in der genannten
Studie vorgeschlagenen weniger tief eingreifenden
Maßnahmen wie Frühwarnsysteme oder verpflichtende Umschuldungsangebote oder auch der von der
SPD aufgeworfene Gedanke einer Hinweispflicht auf
günstigere Produkte bleiben in meinen Augen grundsätzlich überlegenswert. Angesichts der Marktentwicklung sehe ich aber derzeit keinen Handlungsbedarf.
Das Thema Dispozinsen hat uns schon mehrfach beschäftigt. Der hier heute vorliegende Antrag der SPDFraktion hat einen Vorschlag gemacht, wie das Missverhältnis zwischen der im Moment sehr günstigen Refinanzierung für die Banken und der Tatsache, dass sie
trotzdem hohe Zinsen für Überziehungskredite nehmen, aufgelöst werden kann.
Niemand verlangt von den Banken, dass sie der
barmherzige Samariter sind. Niemand verlangt auch,
dass sie draufzahlen, wenn Verbraucher einen Überziehungskredit in Anspruch nehmen. Aber verlangt
werden kann, dass Vorteile, die der Staat durch billiges
Geld angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und
der Finanzkrise gewährt, nicht von den Banken als Zusatzgewinn vereinnahmt werden und gar nichts an den
Verbraucher weitergegeben wird.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW, und das Institut für Finanzdienstleistungen e. V., iff, erstellten im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz im letzten Jahr eine Studie. Danach
betragen die durchschnittlichen jährlichen Überziehungszinsen für private Haushalte 10,27 Prozent. Die
Bandbreite liegt allerdings bei 6 bis 20 Prozent pro
Jahr. Angesichts der Refinanzierungsmöglichkeiten
der Banken ist dies inakzeptabel. Deshalb haben wir
den Vorschlag gemacht, die Dispozinsen auf 8 Prozent
oberhalb des Basiszinssatzes festzulegen. Dieser Vorschlag hat den Vorteil, dass er flexibel auf das Marktgeschehen reagieren kann. Ändert sich der Basiszinssatz, steigt oder senkt sich der Zinssatz insgesamt, je
nach Marktgeschehen.
Feste Obergrenzen verbieten sich aus marktwirtschaftlichen Gründen und auch deshalb, weil sie nicht
praktikabel sind; denn es müsste gegebenenfalls jedesmal der Gesetzgeber tätig werden, um den Zinssatz anzupassen. Aber auch die von den Linken geforderten
5 Prozent über Basiszinssatz schießen über das Ziel hinaus, weil die von uns geforderten 8 Prozent jedenfalls
dem Niveau der letzten Jahre entsprechen. Und auch
die Ausfallraten der Banken im Privatkundengeschäft
sind so, dass sie eine höhere Verzinsung nicht rechtfertigen, im Gegenteil. Außerdem nähern wir damit den
Zinssatz für Überziehungskredite dem Zinssatz nach
§ 288 BGB an, der für Verzug gesetzlich zu zahlen ist.
Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes angemessen.
Auch unsere zweite Forderung, dass die Banken
dem Kunden verpflichtet sein sollen, den Kunden bei
längerer Inanspruchnahme von Überziehungskrediten
auf die Möglichkeit des Abschlusses eines Vertrages
über ein günstigeres Produkt hinzuweisen, ist unter
Verbraucherschutzgesichtspunkten angemessen. Warum die Koalition angesichts dieser Marktsituation
nicht mit unserem Vorschlag einverstanden ist, verstehe ich nicht. Über Verbraucherschutz reden ist das
eine. Verbraucherschutz aber aktiv zu betreiben und
sich dann eventuell mit den mächtigen Banken in diesem Land anzulegen, ist etwas anderes. Dazu sind Sie
anscheinend nicht bereit.
Noch etwas kommt hinzu. Die Banken haben unendlich von der Stabilitätspolitik des Staates in der Finanzkrise profitiert. Der Staat - das heißt: letztendlich
die Steuerzahler - haben dies finanziert. Dann kann
man allerdings auch verlangen, dass die Banken nicht
noch zusätzliche Vorteile aus der Bewältigung der
Finanzkrise ziehen, Extraprofite einstreichen und der
Verbraucher und der Steuerzahler am Ende die Dummen sind.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die vorliegenden Anträge verlangen etwas objektiv
Unmögliches: Die Bundesregierung solle in der vorletzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode aufgefordert werden, ein Gesetz auf den Weg zu bringen.
Dabei weiß jeder, dass ein solcher Gesetzentwurf
scheitern muss - und zwar unabhängig davon, welchen
Inhalt er hat. Denn selbst wenn die Bundesregierung
in der nächsten Sitzungswoche einen perfekten Entwurf vorlegte, lassen es die parlamentarischen Abläufe gar nicht zu, dass dieser Entwurf vom Parlament
in zweiter und dritter Lesung angenommen werden
kann. Der Gesetzentwurf fiele zwangsläufig der Diskontinuität anheim und wäre gescheitert. Schon deshalb sollte man diesem Antrag - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - als seriös arbeitender Abgeordneter
nicht zustimmen. Jetzt dient er offenbar nur noch zu
Ausstellungszwecken im Schaufenster des Wahlkampfs.
Aber nicht nur aus Verfahrensgründen, sondern
auch in der Sache lehnen wir die Vorschläge ab: Natürlich kann ich die Frage verstehen, warum Dispozinsen hoch sind und die Refinanzierungszinsen der Banken im Moment sehr niedrig. Als Student habe ich mich
chronisch immer wieder „im Dispo“ befunden, um den
einen oder anderen Monat überbrücken zu können,
und habe auch horrende Zinsen gezahlt. Aber bedenken wir bitte eines: Zinsen sind der Preis für Verschuldung. Der Gesetzgeber tut nie gut daran, Preise staatlich festzuschreiben. Preise sollen sich in der sozialen
Marktwirtschaft im Wettbewerb bilden, damit die
richtigen volkswirtschaftlichen Preissignale zustande
kommen. Sonst drohen Fehlsteuerungen, was gerade
jedermann am Beispiel des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, studieren kann. Und was für die Preise
von Energie falsch ist, das ist auch für den Preis von
Verschuldung nicht richtig. Die Senkung der Preise ist
die Aufgabe des Wettbewerbs.
Nun sagen einige in der Opposition: Das mag ja
grundsätzlich stimmen, hier aber liege Marktversagen
vor. Es kommen keine sinnvollen Preise zustande. Aber
ist das Preissignal für Konsumkredite denn so falsch?
Wir leben in einer Zeit mit zu viel Verschuldung - sei es
staatlich oder auch privat. Darüber sind sich alle einig. Hohe Zinsen signalisieren: Vermeide Schulden,
baue Schulden ab! So absurd finde ich das gar nicht,
zumal die Zinsen ja auch das Ausfallrisiko des Kredites widerspiegeln sollten. Und das ist meist höher,
wenn man permanent überzieht.
Ich persönlich bin offen dafür, dass man darüber
nachdenken kann, ob man den Wechsel von Bank zu
Bank vereinfachen kann, um den Wettbewerb unter den
Anbietern von Girokonten und damit Dispositionskrediten zu intensivieren. Aber ich bin dagegen, den Wettbewerb abzuschaffen, indem man einen staatlichen
Festpreis diktiert.
Daher lehnen wir die vorgelegten Anträge ab.
Die Dispozinsen liegen derzeit bei durchschnittlich
10,51 Prozent, und das, obwohl der Leitzins der Europäischen Zentralbank, bei der sich die Banken ihr
Geld leihen, seit Mai bei erneut historisch niedrigen
0,5 Prozent liegt. Zuvor war der Leitzins ebenfalls extrem niedrig mit 0,75 Prozent. Laut Bundesbank stehen
die Verbraucherinnen und Verbraucher aktuell mit
41 Milliarden Euro nur mit ihren Dispositionskrediten
bei den Banken in der Schuld. Ein guter Grund, um erneut die Deckelung von Dispo-Zinsen auf 5 und von
Überziehungskreditzinsen auf 8 Prozent zu fordern.
Die Banken verdienen gut an den überhöhten Dispozinsen und damit auch an ihren ärmsten Kunden.
Denn die, die gezwungen sind, den Dispo auszuschöpfen, haben eh in der Regel schon zu wenig Geld und
verstricken sich in einen Teufelskreis aus immer neuen
Krediten, die zu immer neuen Schulden führen. Derzeit
ist fast jeder zehnte Erwachsene in Deutschland überschuldet, Tendenz steigend. Ein wichtiger erster
Schritt in die Überschuldung sind nach Angaben der
Verbraucherzentrale Hamburg die völlig überhöhten
Dispozinsen.
Die Banken begründen die Höhe der Dispozinsen
mit angeblichen Ausfallrisiken. Das Argument ist jedoch längst wissenschaftlich widerlegt. Die Risiken für
die Banken sind extrem gering und liegen laut einer
Studie des Institutes für Finanzdienstleistungen bei gerade einmal 0,3 Prozent, während das Ausfallrisiko bei
klassischen Konsumkrediten bei 2,5 Prozent liegt. Damit gehören Dispokredite zu den sichersten Krediten
für Anbieter und sind doch gleichzeitig die teuersten
Kredite für die Kundinnen und Kunden. Ein überhöhter Dispozinssatz ist also ein lukratives Geschäft für
die Bankinstitute und keine Serviceleistung an ihre
Kunden.
Dazu ein aktuelles Beispiel: In der vergangenen
Woche wurde der Fall eines Erwerbslosen bekannt,
der sich hilfesuchend an die Verbraucherzentrale in
Hamburg gewandt hat. Nach dem Verlust seiner Arbeit
geriet er finanziell ins Straucheln und war gezwungen,
den Dispo-Kredit auszuschöpfen, den die Bank ihm gewährt hatte. Der Dispozinssatz seines Kontos liegt bei
stolzen 18,95 Prozent. Jetzt möchte er auf einen regulären Kredit mit einem Zinssatz von 12 Prozent umsatteln, um nicht immer weiter in die Verschuldung zu
rutschen. Mit dem fadenscheinigen und zynischen Argument, dass er ja über kein geregeltes Einkommen
verfügt, wird es ihm von seiner Bank verwehrt.
Die Bundesregierung setzt auch hier immer noch
auf Selbstverpflichtungen. Doch auch hier funktionieren sie nicht. Als Anfang Mai der Leitzins erneut durch
die EZB auf ein Rekordtief gesenkt wurde, gaben dies
gerade einmal vier Institute an ihre Kunden weiter.
Wenig überraschend verzichteten die meisten Institute
nicht auf ihre Sondereinnahmen.
Gesetzliche Regelungen sind dringend notwendig.
Wie in so vielen Bereichen hat Schwarz-Gelb in den
Zu Protokoll gegebene Reden
vergangenen Jahren auch hier geschlafen und keine
Maßnahmen eingeleitet, um Verbraucherinnen und
Verbraucher vor Abzocke zu schützen. Mehrfach hat
Die Linke das Thema hier auf die Agenda gesetzt. Ich
freue mich, dass SPD und Grüne unserem Vorschlag,
Zinsen zu deckeln, im Kern folgen. Auch in den Ländern sind wir dran: Die Fraktion Die Linke im Saarland wird bald ein Volksbegehren gegen hohe DispoZinsen starten. Trotz unserer Kritik, die von Forschern
und Verbraucherverbänden geteilt wird, sieht die Koalition nach wie vor keinen Grund zum Handeln und
bestreitet sogar, dass es hier ein Problem gibt, obwohl
sogar ein Bericht des Verbraucherministeriums das
anders sieht. Als wir das Thema zuletzt im Oktober
vergangenen Jahres diskutiert haben, hieß es, dass die
Ministerin Aigner ja mit den Banken das Gespräch gesucht habe. Es ist ja schön für die Ministerin und auch
die Bankenvertreter, wenn man mal die Gelegenheit
hat, zwanglos zu plaudern. Aber es war auch verschenkte Zeit, denn das Problem besteht trotz Ministerinnenunterredung nach wie vor.
Wie Sie es drehen und wenden, wir kommen nicht
drum herum: Gesetzliche Regelungen müssen her, und
zwar schnell. Dabei orientieren wir uns am Bürgerlichen Gesetzbuch, welches bereits eine Deckelung der
Zinsen bei Zahlungsverzug auf 5 Prozent über den Basiszinssatz vorsieht. Es gibt keinen Grund, warum Dispozinsen viel höher liegen müssen. Das müssen sich
übrigens auch die Sozialdemokraten fragen lassen, die
den Banken immer noch ein sattes Plus von 8 Prozent
über dem Basiszinssatz beim Dispo gönnen wollen.
Dass das Thema derzeit wieder in aller Munde ist,
zeigt, dass Die Linke nach wie vor der soziale Motor
ist. Gut verdienen werden die Banken trotzdem noch.
Selbst bei unserer Forderung einer Deckelung von
Dispo-Zinsen auf 5 und von Überziehungskreditzinsen
auf 8 Prozent über dem Basiszinssatz verdienen die
Banken nach wie vor gutes Geld, und trotzdem entlasten wir Hunderttausende Menschen, die eh schon wenig haben.
Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungsstellen sind sich einig: Überhöhte Dispositionszinsen sind
für eine Vielzahl der Verbraucher und Verbraucherinnen keinesfalls ein kleines Übel, sondern ein erster
Schritt in die Schuldenspirale.
Seit dem Runden Tisch im September 2012 und Frau
Aigners Appell an die Kreditwirtschaft, für mehr
Transparenz und günstigere Zinsen zu sorgen, hat sich
nicht viel geändert. Die große Mehrheit der Banken
und Sparkassen ist immun gegen gut gemeinte Appelle.
Jetzt ist politisches Handeln gefragt, das über Showveranstaltungen und Pressearbeit hinausgeht, um das
Marktversagen im Dispobereich zu beenden. Mehr
Transparenz über die Höhe der Zinsen ist ja nett, aber
keine Entlastung für die Geldbeutel der Bankkunden.
Die aktuelle durchschnittliche Höhe der Dispositionszinsen liegt laut Europäischer Zentralbank in
Deutschland bei 10,5 Prozent, während der Leitzins in
der Eurozone bei 0,5 Prozent liegt. Einzelne Banken
nehmen sogar 15 Prozent Zinsen und für eine weitere
Überziehung dann schon mal 18 Prozent.
Die Zahlen zeigen: Die Kreditwirtschaft verweigert
sich, günstigere Konditionen für Dipositionszinsen zu
schaffen, gleichzeitig klagen mehr und mehr Verbraucher und Verbraucherinnen über die Weigerung der
Bank, ihnen einen günstigeren Ratenkredit zu ermöglichen oder grundsätzlich keinen Dispo einzuräumen,
wenn es der Kunde wünscht.
Dass der Dispo- und Überziehungsbereich eines
Kontos nur ein Notpuffer sein soll - wie Herr Professor Schweickert in der letzten Debatte feststellte -,
bleibt ja unumstritten, nur leider ohne Konsequenzen
für Bankkunden, wenn die Bank die Umwandlung in
einen günstigeren Ratenkredit verweigert. Ein Teufelskreis für verschuldete Menschen und ein Versagen der
Bundesregierung, aus ihrer eigenen Studie keine regulatorischen Schlüsse gezogen zu haben.
Einwände der Kreditwirtschaft, ein Überziehungskredit berge ein höheres Ausfallrisiko und damit seien
auch höhere Zinsen gerechtfertigt, wurden in Frau
Aigners Studie widerlegt.
Wir fordern eine gesetzliche Deckelung von Dispound Überziehungszinsen, die sich durch die Orientierung an einem verbindlichen Leitzins flexibel an die
Marktbedingungen anpasst.
In einer aktuellen Studie der Verbraucherzentrale
Bundesverband haben 63 Prozent der Bürgerinnen
und Bürger kein Vertrauen in den Finanzbereich, sie
vermuten dort bei Produkten und Anbietern eine Täuschungsabsicht. Wucherische Überziehungszinsen
schüren das Misstrauen der Kunden und Kundinnen
bei Banken und Sparkassen.
Wir finden, dass die Zeit der Appelle an die Kreditinstitute definitiv vorbei ist. Jetzt muss gesetzliches
Handeln folgen.
Wir kommen zur Abstimmung.
Tagesordnungspunkt 31 a. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13778, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/10988 ({0}) abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
({1})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns bei
Abstimmungen und sind froh, dass wir dies auch um
diese Uhrzeit diszipliniert gemeinsam durchführen. Froh
sind wir auch, dass dies alles abgewickelt werden kann.
Vizepräsident Eduard Oswald
({2})
Tagesordnungspunkt 31 b. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13950, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/10855 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Stübgen, Michael Grosse-Brömer, Stefan Müller
({3}), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Joachim Spatz, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle
und der Fraktion der FDP
Politische Mechanismen zum Schutz europäi-
scher Grundwerte etablieren - Rechtsstaats-
initiative konsequent vorantreiben
- Drucksache 17/13888 -
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/13888. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das
sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten
- Drucksache 17/11593 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 17/13939 Berichterstattung:Abgeordnete Helmut BrandtMichael Hartmann ({5})Dr. Stefan RuppertFrank TempelDr. Konstantin von Notz
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Erlauben Sie mir zunächst eine Vorbemerkung:
Wenn man über eine Neuregelung hinsichtlich des Am-
tes des Bundespräsidenten sprechen und einen neuen
Gesetzentwurf einbringen möchte, war es stets guter
Brauch in diesem Hause, bereits vor der Einreichung
eines solchen Entwurfs zunächst mit den übrigen
1) Anlage 12
Fraktionen ein Gespräch zu führen. Aufgrund der besonderen Stellung des Bundespräsidenten in diesem
Staat ist dies auch richtig und notwendig, da man von
Beginn an bestrebt sein sollte, eine einvernehmliche,
von allen Fraktionen getragene Lösung herbeizuführen.
Schade, dass die SPD von dieser langjährigen
Übung abgewichen ist. Der Grund dafür liegt auf der
Hand. Entgegen allen Beteuerungen auch des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Michael
Hartmann, man wolle hieraus kein Wahlkampfthema
schaffen und die Initiative habe mit dem bedauerlichen Rücktritt des Bundespräsidenten a. D. Christian
Wulff nichts zu tun, zeigt sich sowohl durch den Inhalt
des Gesetzentwurfs als auch durch das Verhalten der
SPD-Fraktion, dass das Gegenteil richtig ist.
Gerne möchte ich nun auf einzelne Punkte des Gesetzentwurfs eingehen.
Die SPD möchte einem gewählten Bundespräsidenten überhaupt nur dann einen Anspruch auf ein Ruhegehalt zusprechen, wenn dieser mindestens zweieinhalb Jahre sein Amt ausgeübt hat. Scheidet er vor
Ablauf einer zweieinhalbjährigen Amtszeit aus, soll er
gar kein Ruhegehalt erhalten. Die Höhe des Ruhegehalts soll sich in drei Stufen vollziehen. Nach Ablauf
einer zweieinhalbjährigen Amtszeit soll das Ruhegehalt 50 Prozent der jetzigen Amtsbezüge ohne Aufwandsgelder betragen. Nach einer vollen Amtszeit von
fünf Jahren soll sich das Ruhegehalt auf 75 Prozent
und nach einer Amtszeit von zehn Jahren auf 100 Prozent der Amtsbezüge ohne Aufwandsgelder erhöhen.
Der vorliegende Gesetzentwurf verkennt die Besonderheit des Amtes des Bundespräsidenten und seine
herausgehobene Stellung in unserem Land. Beides verbietet es, eine Ruhegehaltsregelung mit Sanktionscharakter zu schaffen. Auch berücksichtigt der Gesetzentwurf nicht hinreichend, dass mit diesem Amt auch nach
Ausscheiden Nachwirkungen verbunden sind, die in
aller Regel eine Rückkehr in den alten Beruf oder die
Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit ausschließen. Und nicht zuletzt möchten wir auch keine Anreize
schaffen, nur zur Erlangung der vollen Ruhebezüge
eine zweite Amtszeit anzustreben.
Bei allen Gesprächen zwischen den Berichterstattern der Fraktionen sowie dem Austausch mit dem
Bundespräsidialamt wurde deutlich, dass eine Regelungslücke nicht besteht und der vorliegende Gesetzentwurf in dieser Form von allen übrigen Fraktionen
abgelehnt wird.
Dabei möchte ich zum Schluss betonen, dass nach
mehr als 60 Jahren, die seit der Schaffung dieses
Amtes vergangen sind, und den Erfahrungen, die wir
in diesen Jahren gewonnen haben, es angebracht sein
mag, über eine Neuregelung zu diskutieren. So erscheint heute der Begriff „Ehrensold“ für die Ruhebezüge der ausgeschiedenen Bundespräsidenten antiquiert, obgleich der Begriff von seinem Sinngehalt her
durchaus noch seine Berechtigung hat. Gerne hätten
wir auch ernsthaft darüber diskutiert, ob eine gene31444
relle Absenkung der derzeit geltenden Bezüge sinnvoll
wäre. Auch über eine Anrechnung über die aus öffentlichen Kassen fließenden Bezüge hinaus auf Einkünfte
bei erneuter beruflicher Tätigkeit ließe sich nachdenken. Schlussendlich ließe sich auch über eine Erhöhung des derzeit vorgesehenen Eintrittsalters für das
Amt des Bundespräsidenten oder einer Bundespräsidentin reden sowie eine Verlängerung der Amtszeit
ohne Möglichkeit der Wiederwahl. Über all dies ließe
sich in der nächsten Legislaturperiode trefflich diskutieren, um dann gegebenenfalls gemeinsam und bereits
vor Einführung eines entsprechenden Gesetzentwurfs
zu einer übereinstimmenden Regelung zu kommen.
Sie haben mit Ihrem Gesetzentwurf dem Ansehen
des Amtes des Bundespräsidenten und des Parlamentes geschadet. Den von Ihnen vorgelegten Entwurf lehnen wir jedenfalls aufgrund der von mir aufgezeigten
Unzulänglichkeiten ab.
Trotz aller Steine, die uns boshaft in den Weg gelegt
wurden, beraten und beschließen wir heute über den
Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Neuregelung der Ruhebezüge des Bundespräsidenten.
Seit Ende November des vergangenen Jahres liegen
unsere Vorschläge dem Hohen Haus vor. Es wäre deshalb absurd, uns Wahlkampfgeplänkel bei diesem
Thema vorzuwerfen. Weder Form noch Inhalt unserer
Aktivitäten berechtigten zu dieser Polemik. Tatsächlich
geht es uns einzig und allein darum, den Missstand einer Überversorgung zu beseitigen. Zu diesem Urteil
gelangten nach dem Rücktritt des unglückseligen
Herrn Wulff hohe und höchste Vertreter aller Fraktionen. Gehandelt hat jedoch alleine die SPD. Alle anderen setzen entweder darauf, dass doch bitte Gras über
die Sache wachsen möge, man in jedem Fall aber mit
diesem peinlichen Thema nicht mehr befasst sein
möchte.
Wir sind fest davon überzeugt, dass das derzeitige
„Rundum-sorglos-Paket“ für das Amt des Bundespräsidenten, das ein Wahlamt wie jedes andere ist - wenn
auch mit unbestreitbar besonderer Bedeutung -, abgelöst werden muss, und zwar abgelöst werden muss
durch ein System, das nicht mehr wie eine Apanage für
einen Fürsten wirkt und nicht wie die Altersversorgung
für ein ehemaliges Staatsoberhaupt einer Republik.
Derzeit ist es ja so, dass unabhängig von Amtsdauer
und Lebensalter des Amtsinhabers ab dem Moment
seines Ausscheidens die vollen aktiven Bezüge zu
100 Prozent weitergezahlt werden, und zwar bis zum
Lebensende. Diese Summe beläuft sich auf runde
200 000 Euro im Jahr.
Das war in der Geschichte der zweiten Demokratie
auf deutschem Boden keineswegs immer schon so. Zunächst schied ein Bundespräsident mit - immer noch
üppigen - 50 Prozent aus. Erst 1959 wurde - angespornt vom Liebäugeln Konrad Adenauers mit dem
höchsten Staatsamt - das aktuelle Versorgungsniveau
geschaffen.
Als unsere Vorgängerinnen und Vorgänger das Gesetz schufen und dann veränderten, hätte sich niemand
zu irgendeiner Zeit den Rücktritt eines Präsidenten
vorstellen können. Vielmehr wurden mit größter Sorgfalt würdige ältere Herren ausgewählt. Das geschah
nie im politikfreien Raum und nie ohne politische Absicht. Es geschah aber immer im Bewusstsein, dass die
Würde des Amtes durch die richtigen Persönlichkeiten,
ihre Herzensbildung und charakterliche Eignung hergestellt wird. Das beweist unser amtierender Bundespräsident Joachim Gauck in unvergleichlich hervorragender Weise.
Nun haben wir zu unser aller Nachteil den allerdings unvermeidlichen Rücktritt von Herrn Wulff erlebt. Mit Anfang 50 und bis zum Ende seiner Tage stehen ihm nun jene derzeit 200 000 Euro im Jahr zu. Das
wurde damals nicht nur in den Medien und einer breiten Öffentlichkeit, sondern auch von vielen von uns als
inakzeptabel angesehen. Mehr als nur bemerkenswert
ist übrigens, dass der Petitionsausschuss in seinem
diese Woche vorgelegten Bericht erneut darauf hingewiesen hat, dass eine Reform überfällig ist. Ein Votum,
das durch eine beeindruckende Zahl von Bürgerzuschriften an ihn geradezu eingeklagt wird.
Nachdem aber nichts geschah, kein Zeichen aus den
anderen Fraktionen kam und unsere Signale ignoriert
wurden, haben wir als SPD einen eigenen Gesetzentwurf entwickelt und eingebracht. Stets und immer wieder erklärten wir dabei, dass darin nichts in Stein gemeißelt ist. Offenheit und Verhandlungsbereitschaft
bestimmten unser Vorgehen. War uns doch an einer
möglichst einvernehmlichen Regelung gelegen. In drei
Berichterstatterrunden und einem weiteren Termin mit
dem Staatssekretär des Bundespräsidenten haben wir
diese Offenheit immer wieder unter Beweis gestellt.
Alle anderen Fraktionen verweigerten sich jedoch.
Die seitens der Koalition, aber auch von Linken und
Grünen vorgetragenen Argumente erspare ich Ihnen
aus christlicher Nächstenliebe zur Schonung Ihres Gemüts. Dass allerdings unser Vorschlag mit nahezu verleumderischer Argumentation heute in den Orkus verbannt werden soll, ist ein Skandal; denn die Kritik an
unseren Vorschlägen hätte alle verpflichtet, mit eigenen Vorschlägen aufzuwarten. Die gibt es nicht. Regierungsfraktionen, Linke und Grüne hätten es angesichts
der weit auseinander gehenden Meinungen dort auch
schwer gehabt, einen Vorschlag zu Papier zu bringen.
Da ist es halt einfacher, unser Gesetz zurückzuweisen.
Verantwortungsvoll ist dies aber nicht.
Da wir - wie Sie - vollkommen überzeugt sind von
der einzigartigen Bedeutung des höchsten Staatsamtes, unterbreiten wir den Vorschlag, bereits nach einer
halben Amtszeit 50 Prozent der Bezüge, nach einer
ganzen 75 Prozent und nach zwei Wahlperioden
schließlich 100 Prozent als Versorgung zu gewähren.
Damit wäre der Bundespräsident in jeder Hinsicht
Zu Protokoll gegebene Reden
Michael Hartmann ({0})
weit über dem stehend, was wir beispielsweise dem
Bundeskanzler unseres Staates gewähren.
Natürlich nimmt auch ein ausgeschiedener Bundespräsident immer noch viele Verpflichtungen aller Art
für unser Land wahr. Deshalb soll er in Sachen Versorgung nicht wie irgendwer sonst behandelt werden. Unser Gesetzentwurf weist den Weg.
Mit Neid oder Boshaftigkeit, Missgunst oder Rache
an einem mit Schimpf und Schande ausgeschiedenen
Präsidenten hat dies nichts zu tun. Wohl aber mit dem
Willen, aus einem an feudalem Denken orientierten
Ehrensold eine immer noch hochnoble Ruhestandsregelung zu machen. Ihre Verweigerung ist eine
Schande!
Unseren Willen, auch bei diesem Thema nicht locker zu lassen, sollten die übrigen Fraktionen nicht unterschätzen. Wir werden nach den Bundestagswahlen
einen erneuten Anlauf starten. Die Mehrheitsverhältnisse in der 18. Wahlperiode und das Vertrauen in Ihre
Läuterungsfähigkeit werden der SPD den verdienten
Erfolg bringen bei ihrem Ziel, aus dem Bundespräsidenten auch in puncto Versorgung ein Staatsoberhaupt
einer parlamentarischen Demokratie zu machen.
Den heute zur endgültigen Abstimmung vorliegenden Antrag der SPD lehnen wir aus zwei grundsätzlichen Erwägungen ab. Erstens. Das von der SPD eingeschlagene Verfahren, das zu diesem Antrag führte,
ist kritikwürdig. Zweitens ist der Antrag auch inhaltlich nicht ausgewogen gestaltet, trotz eines durchaus
berechtigten Anliegens.
Zunächst ein paar Anmerkungen zum Verfahren.
Die SPD hat ihren Antrag nur kurze Zeit nach dem
Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian
Wulff erarbeitet und vorgelegt. Zwar haben die Sozialdemokraten immer betont, es gehe ihnen nicht um eine
„Lex Christian Wulff“. Aber der Zeitpunkt der Geburt
des Gesetzes lässt diesen Eindruck leider nicht verblassen. Zudem hat die SPD leider durch das vorschnelle Vorlegen eines Gesetzentwurfs die weiteren
interfraktionellen Gespräche gelähmt.
Schon in der Vergangenheit hat sich gezeigt: Wenn
es ein Anliegen gibt, bei dem sich alle Fraktionen im
Bundestag einig sind, dass es Reformbedarf gibt, dann
sollte man zuerst das gemeinsame Gespräch suchen
und sich danach auf einen Textentwurf einigen. Die
SPD hat durch ihr einseitiges Handeln die anderen
Fraktionen eher brüskiert und der Sache an sich geschadet. Ich konnte mich in dieser Legislaturperiode
schon mehrfach davon überzeugen, dass der andere
Weg - zuerst gemeinsame Gespräche und dann einen
Gesetzentwurf - deutlich besser funktioniert. Sowohl
beim subjektiven Wahlrechtsschutz als auch bei der
großen Wahlrechtsreform haben wir in sehr sachlicher
und konstruktiver Atmosphäre unter allen Fraktionen
gemeinsame Reformpunkte ausgelotet und dann zusammen einen Gesetzentwurf entwickelt. Mit diesem
Weg hätten wir sicher auch bei den Ruhebezügen etwas Gemeinsames erreicht. Doch dazu kam es wegen
der SPD nicht.
Inhaltlich hat der Entwurf ebenso Schwächen offenbart, auf die die SPD keine überzeugenden Antworten
geliefert hat. Erstens hat der Verfassungsrechtler in
mir durchaus Bauchschmerzen, ob die SPD einen Fall
von Rückwirkung normiert; eine rückwirkende Änderung für ehemalige Bundespräsidenten und deren Hinterbliebene wäre nämlich schlicht verfassungswidrig.
Zweitens hat die SPD keine Regelungen für den Fall
getroffen, dass ein Bundespräsident krankheitsbedingt
aus dem Amt ausscheiden muss; das hätte man in der
Entstehung zumindest einmal bedenken können. Drittens finde ich es kritisch, dass über die Abstufung der
Höhe der Ruhebezüge - erst nach zwei vollen Amtsperioden soll die volle Höhe der Ruhebezüge gewährt
werden - ein finanzieller Anreiz für eine zweite Amtszeit geschaffen wird. Ein Bundespräsident sollte aus
tiefster innerer Überzeugung für eine weitere Amtszeit
kandidieren und nicht wegen seiner Ruhebezüge.
In den Beratungen im Innenausschuss waren sich
alle Fraktionen einig, dass wir in der kommenden Legislaturperiode das Thema erneut aufgreifen wollen.
Das begrüße ich ausdrücklich. Dann sollen aber sachorientierte Gespräche am Anfang einer Reform stehen
und nicht ein einseitiger Vorstoß einer einzelnen Fraktion. So erreichen wir gemeinsam in der Sache mehr.
Im Gesetz über Ruhebezüge des Bundespräsidenten
in der Fassung von 2009 ist geregelt, dass der Bundespräsident beim Ausscheiden aus seinem Amt einen
Ehrensold in Höhe seiner Amtsbezüge erhält. Mit dem
Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian
Wulff vom Amt aus persönlichen Gründen gerieten in
den Medien und im politischen Raum die Ruhebezüge
in den Blick. Christian Wulff selbst brachte die unangemessene Höhe der Ruhebezüge in die Diskussion.
Nicht nur vonseiten der Linken wurde auch über die
Frage nachgedacht, inwieweit das Amt des Bundespräsidenten überhaupt noch zeitgemäß ist. Doch das
geht über das hier vorliegende Thema hinaus und
sollte sehr gründlich in einem breiteren Rahmen diskutiert werden.
Seit November vorigen Jahres liegt der Gesetzentwurf der SPD auf dem Tisch. Es gab dazu mehrere Berichterstattergespräche sowie ein Treffen der Berichterstatter mit der Präsidialverwaltung. Alle Fraktionen
bekannten sich dazu, dass Regelungsbedarf besteht
und ein gemeinsamer Antrag die beste Lösung ist, um
das Amt nicht zu schädigen.
Ich möchte ganz ausdrücklich betonen, dass ein solcher gemeinsamer Antrag auch möglich gewesen
wäre, wenn die SPD nicht im Zeichen des kommenden
Wahlkampfes die Vorreiterrolle für sich besetzt hätte
und mit einem eigenen - auch noch schlechten - Antrag einen Pflock in den Verhandlungstisch eingeZu Protokoll gegebene Reden
schlagen hätte. Ein gemeinsamer Antrag heißt: erst
miteinander reden, Gemeinsamkeiten finden und dann
einen gemeinsamen Antrag formulieren. Die SPD war
somit nicht Vorreiter, sondern Verhinderer einer gemeinsamen Lösung. So ist das nun mal, wenn Wahlkampf wirklich wichtiger ist als alles andere.
Vorschläge hat es in den mündlichen Beratungen
umfangreich gegeben. Ich denke, in der Summe der
Ideen aller Fraktionsvertreter war auch der Ansatz einer guten Lösung vorhanden.
Nun wird also doch über den ursprünglichen Antrag
der SPD diskutiert und abgestimmt. Er sieht eine Mindestamtszeit von zwei Jahren und sechs Monaten vor,
um 50 Prozent der Ruhebezüge zu erhalten. Nach einer
vollen Amtszeit von fünf Jahren sind es 75 Prozent.
Erst nach zwei Amtszeiten würden 100 Prozent der
Amtsbezüge erreicht.
Die Linke begrüßt die Idee der zeitlichen Staffelung,
sieht aber in einer nicht vorhandenen Grundversorgung in der ersten Hälfte der Amtszeit einen Mangel.
Bei einem Ausscheiden zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen gäbe es keinerlei Ruhebezüge. Wer will
vermitteln, dass ein Bundespräsident, der nach einem
Jahr Amtszeit schwer erkrankt, keinen Anspruch auf
Ruhebezüge hat?
Der grundsätzliche Fehler im Antrag ist aber der
Vorschlag zur Erreichung der vollen Ruhebezüge nach
zwei Amtszeiten. Das allein macht den SPD-Ansatz bereits völlig unannehmbar. Es kann folgende Situation
entstehen: Am Ende einer ersten Amtszeit unterzeichnet der Bundespräsident ein umstrittenes Gesetz. Ob
berechtigt oder nicht, hier entsteht automatisch der
Vorwurf, bereits die eigene Wiederwahl im Blick zu haben. Das Amt des Bundespräsidenten allein durch die
Möglichkeit eines solchen Vorwurfs zu belasten, ist unverantwortlich. Im Übrigen war genau dies auch Inhalt der Beratungen der Berichterstatter. Der Fakt,
dass der SPD-Antrag mit diesem deutlichen Makel
aufrechterhalten wurde, zeigt, dass es der SPD nie um
eine Lösung, sondern nur um die parlamentarische
Show ging.
Die Linke ist nach wie vor an einer gemeinsamen
Lösung interessiert, dann halt in der nächsten Legislatur. Die Höhe der zu erreichenden Ruhebezüge ist
zweitrangig. Ob die bis 1959 geltende Regelung wieder eingeführt wird, sodass die Höhe der Ruhebezüge
wieder bei 50 Prozent oder weiter bei 100 Prozent
liegt, ist sekundär. Wichtig ist uns eine Regelung, die
eine Grundversorgung von Beginn der Wahlperiode an
und eine zeitliche Stufung enthält. Dabei muss die Unabhängigkeit des Amtes gewahrt bleiben. Einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen in diese Richtung
wird sich die Linke nicht verschließen.
Der Bundespräsident steht als Staatsoberhaupt protokollarisch an der Spitze des Staates. Er ist das Verfassungsorgan, das die Bundesrepublik Deutschland
nach innen und nach außen repräsentiert. Dies geschieht, indem der Bundespräsident durch sein Handeln und öffentliches Auftreten den Staat selbst - seine
Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit - sichtbar
macht. Darin kommen zugleich die Integrationsaufgabe und die rechts- und verfassungswahrende Kontrollfunktion seines Amtes zum Ausdruck. Sie wird ergänzt durch eine politische Reservefunktion für Krisensituationen des parlamentarischen Regierungssystems.
Besonders seine Mitwirkung bei der Ausfertigung
der Gesetze, seit Jahrzehnten wegen der streitigen
Reichweite ein Dauerbrenner in der juristischen Ausbildung, macht eines deutlich: Bei aller Kritik am Amt
des Bundespräsidenten handelt es sich eben nicht nur
um eine Art „Ersatzkönig“, wie es salopp gerne behauptet wird. Dem Bundespräsident kommen vielmehr
durchaus bedeutende Mitwirkungshandlungen im Regierungssystem zu. Er hat als Staatsoberhaupt maximale Sichtbarkeit und symbolische Vertretungsmacht
für das gesamte deutsche Volk, er ist der höchste Repräsentant. Zudem ist er Leiter des Bundespräsidialamtes, einer obersten Bundesbehörde, und verfügt damit über einen eigenen bürokratischen Stab, um seinen
Amtsgeschäften nachkommen und die ihm durch das
Gesetz zugesprochenen Aufgaben erfüllen zu können.
All das - Sie ahnen schon, worauf ich damit hinauswill - klingt so gar nicht danach, als sollte man in großer Eile, auf die noch nachklingende öffentliche Kritik
an einem bislang einmaligen Vorgang - der Niederlegung des Amtes bereits während der ersten Amtszeit -,
die Parameter dieses Amtes in Gestalt der Ruhebezüge
auf die Schnelle grundlegend ändern. Das verlangt die
Würde des Amtes, die kein nebulöser Begriff sein soll,
sondern unter der wir die Aufgaben und die verfassungsrechtlich bestimmte Rolle des Bundespräsidenten
bezeichnen.
Die Causa Wulff - weniger staatstragend könnte
man auch formulieren: sein unrühmlicher Abgang
nach kurzer Zeit; immerhin standen und stehen Vorwürfe möglicher Strafbarkeit im Raum - hatte die
Frage aufgeworfen, ob Bundespräsident a. D. Wulff
die ihm nach dem Gesetz zustehenden Ruhebezüge,
den sogenannten Ehrensold, überhaupt beanspruchen
könne. Denn dieser setzt einen Rücktritt ausschließlich
aus gesundheitlichen oder politischen Gründen voraus. Folglich wurde argumentiert, Wulff sei aus persönlichen Gründen aus dem Amt geschieden und damit
nicht anspruchsbefugt. Doch lassen sich politische und
persönliche Gründe beim Amt des Bundespräsidenten
schwer voneinander trennen. Es blieb deshalb dabei,
dass Wulff nach der geltenden Rechtslage der Ehrensold nicht abzuerkennen war.