Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/13/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. ({0}) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die heutige Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Christian Ströbele in absentia nachträglich zu seinem 74. Geburtstag und der Kollegin Helga Daub zu ihrem gestrigen 71. Geburtstag gratulieren. Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses! ({1}) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU und FDP: Aktuelle Situation in der Türkei({2}) ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grünlanderhalt ist Klimaschutz - Drucksachen 17/11028, 17/13148 - Berichterstattung:- Abgeordnete Johannes Röring- Dr. Wilhelm Priesmeier- Dr. Christel Happach-Kasan- Alexander Süßmair- ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren- Ergänzung zu TOP 69 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Steuerstraftaten - Drucksache 17/13664 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({4})- Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Spahn, Stefanie Vogelsang, Michael GrosseBrömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Dr. Marlies Volkmer, Dr. FrankWalter Steinmeier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN System der Organtransplantation in Deutschland nachhaltig stärken: Konsequenzen aus den Manipulationen an Patientendaten in deutschen Transplantationskliniken - Drucksache 17/13897 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit ({5})Rechtsausschuss ZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne AusspracheErgänzung zu TOP 70 Präsident Dr. Norbert Lammert Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Hacker, Rainer Arnold, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Konversion gestalten - Kommunen stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konversion - Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten - Drucksachen 17/9060, 17/9405, 17/10001 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BrackmannJohannes KahrsOtto FrickeRoland ClausDr. Tobias Lindner ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu Plänen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zur Einführung einer Pkw-Maut nur für Ausländer ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière - Drucksache 17/13899 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({7}), Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den angekündigten Vorschlägen der EUKommission zur Bankenrestrukturierung und -abwicklung hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Bankenunion beschleunigen statt bremsen Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden - Drucksache 17/13908 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank ({9}) in der Fassung vom 16. April 2013Ratsdok. 7776/1/13 REV 1 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Kontrollrechte des Europäischen Parlaments bei EZB-Bankenaufsicht stärken - Drucksache 17/13909 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank ({11}) in der Fassung vom 16. April 2013Ratsdok. 7776/1/13 REV 1 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes SSM-Verordnung zustimmen, keine innerstaatliche Präjudizwirkung schaffen - Drucksache 17/13910 ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt ({13}), Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich - Drucksachen 17/13478, 17/13954 Berichterstattung:Abgeordnete Monika GrüttersUlla Schmidt ({14})Reiner DeutschmannDr. Lukrezia JochimsenAgnes Krumwiede ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen - Drucksachen 17/6130, 17/10880

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Abgeordnete Dorothee BärUlla Schmidt ({0})Reiner DeutschmannDr. Rosemarie HeinAgnes Krumwiede ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zum Antrag der Republik Lettland, der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beizutreten und den Euro als Umlaufwährung einzuführen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. mit § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 17/13887 ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Armuts- und Reichtumsberichterstattung verbessern - Lebenslagen umfassend abbilden - Drucksache 17/13911 ZP 14 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Tätigkeitsbericht 2009 und 2010 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit- 23. Tätigkeitsbericht - Drucksachen 17/5200, 17/13936 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({2})- Gerold Reichenbach- Gisela Piltz- Jan Korte- ZP 15a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung - Drucksache 17/13079 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung - Drucksache 17/13402 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({3}) - Drucksache 17/13947 Berichterstattung:Abgeordneter Heinz Lanfermann - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13959 - Berichterstattung:- Abgeordnete Alois Karl- Ewald Schurer- Otto Fricke- Michael Leutert- Katja Dörner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Privat Versicherte solidarisch versichern Private Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin SengerSchäfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Versorgung der privat Versicherten im Basistarif sicherstellen - Drucksachen 17/12069, 17/10119, 17/5524, 17/13947 Berichterstattung:Abgeordneter Heinz Lanfermann ZP 16 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013 - Drucksache 17/13870 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({6})Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 17 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht - Drucksache 17/13871 31262

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Finanzausschuss ({0})Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 18 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({1}), Lisa Paus, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht - Drucksache 17/13872 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({2})Rechtsausschuss ({3})Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOFederführung strittig ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({4}), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts einführen - Drucksache 17/13912 ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({5}), Lisa Paus, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2013 und vom 7. Mai 2013 zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Adoptionsund Einkommensteuerrecht umsetzen - Drucksache 17/13913 ZP 21 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika KOM({6}) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Die Verhandlungen mit den USA zu einem transatlantischen Handels- und Investitions- abkommen konsequent an europäischen Stan- dards ausrichten - Drucksache 17/13904 - Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 18 d, 23, 25, 52 und 62 werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderun- gen des Ablaufs. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das sieht so aus. Dann haben wir das hiermit so be- schlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Innern Gelebte nationale Solidarität - 60 Jahre Bun- desvertriebenengesetz b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz - Erin- nern an die Opfer von Vertreibung - Drucksache 17/13883 - c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes - Drucksache 17/10511 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7}) - Drucksache 17/13937 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({8})- Rüdiger Veit- Serkan Tören- Ulla Jelpke- d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2011 und 2012 - Drucksache 17/13777 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien ({9})Auswärtiger Ausschuss InnenausschussAusschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. Ich habe den Eindruck, dass Sie auch damit einverstanden sind. - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-Peter Friedrich. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor 60 Jahren, im Juni 1953, trat das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in Kraft. Dieses sogenannte Bundesvertriebenengesetz kam nach langen und intensiven Beratungen zustande; denn es griff in viele Lebensbereiche und in viele politische Zuständigkeiten - Wirtschaft, Landwirtschaft, Wohnungsbau, um nur einige zu nennen - ein. Das Gesetz baute auf den Erfahrungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre auf und sollte die Grundlage der Integration von Millionen von Menschen werden. Es ist bis heute ein Dokument für gelebte nationale Solidarität in Deutschland. Von den 16 Millionen Deutschen, die bei Kriegsende in den deutschen Ostgebieten und in den ost- und südosteuropäischen Staaten lebten, wurden fast 12 Millionen aus ihrer Heimat vertrieben. 2 Millionen fanden auf der Flucht, bei Vertreibung oder Deportation den Tod. Die traumatischen Erlebnisse der Vertreibung waren damals allgegenwärtig - umso mehr, als sich das Leid auch danach fortsetzte. Denn der Zufluchtsort, die neu gegründete Bundesrepublik, war ebenfalls von Elend, Hunger und Zerstörung gezeichnet. Jeder hatte mit sich selbst zu tun, und nur wenige hatten freie Kapazitäten, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Am Ende aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, setzte sich die mitmenschliche Solidarität, die christliche Nächstenliebe und der gemeinsame Wille, Zukunft zu gestalten, durch. Dem nationalen Zusammenhalt in dieser schweren Zeit gilt unser Respekt. ({0}) Der Anteil aller Flüchtlinge an der Einwohnerzahl des Bundesgebietes betrug damals 20 Prozent. Das heißt, jeder Fünfte war ein Vertriebener. Es galt, mehrere Millionen Menschen sozial und wirtschaftlich einzugliedern. Sie brauchten schnelle Hilfe, Kleidung und natürlich Essen. Sie brauchten Wohnungen, Arbeit und die Möglichkeit, sich eine Existenz zu gründen. Deutschland war damals auf sich allein gestellt; denn die Hilfe aus dem Ausland ließ lange auf sich warten. Vor Ort - in den Dörfern, Städten und Gemeinden wurden die Herausforderungen angenommen und bewältigt. Die Regierungen der Bundesländer hatten die große nationale Aufgabe begriffen. So hat etwa der Freistaat Bayern die Sudetendeutschen als seinen vierten Stamm aufgenommen, und bis heute ist dort an vielen Stellen und Orten die Handschrift der Sudetendeutschen erkennbar. ({1}) Meine Damen und Herren, mit anderen zu teilen, die in Not sind, baut auf einem geistigen Fundament und einem Menschenbild auf, das Bundeskanzler Konrad Adenauer zum Ausdruck brachte, indem er sagte: Im Mittelpunkt allen Strebens und Handelns bleibt der Mensch und seine Freiheit. - Die zweite Erkenntnis: Eine Nation ist eine Solidargemeinschaft, eine Schicksalsgemeinschaft, eine Familie - in guten wie in schlechten Zeiten. Im Bundesvertriebenengesetz wurden deshalb auch zwei Grundsätze formuliert, nämlich erstens: Vertriebene sind voll gleichberechtigte Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland. Zweitens: Notwendige Hilfe gibt es so lange, bis die Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben erfolgt ist. Das heißt, niemand sollte bevorzugt werden; aber es sollte sichergestellt werden, dass alle die gleichen Möglichkeiten und die gleichen Bedingungen für einen Neuanfang haben. Nicht die Umverteilung war das Ziel, sondern Ziel war es, jedem Menschen die Chance zu geben, sich selbst zu entwickeln, sich einzubringen und teilzuhaben. Das Bundesvertriebenengesetz gab Antwort auf die drängenden Fragen. Es half dabei, die faire Verteilung der Vertriebenen auf alle Bundesländer zu vollenden, es linderte die Wohnungsnot. Mit besonderen Wohnungsbauprogrammen wurden 264 000 Wohnungen für umgesiedelte Vertriebene geschaffen. Für die Aussiedler wurden in den Folgejahren über 20 Sonderwohnbauprogramme in Milliardenhöhe aufgelegt. Bis 1968 wurden knapp 2 Millionen Menschen mit Wohnraum versorgt. Ein weiteres drängendes Problem war die Landwirtschaft. Die Bauern hatten in besonderer Weise unter ihrer sozialen Deklassierung zu leiden. Früher selbstständige Bauern, die von Haus und Hof vertrieben worden waren, waren nun gezwungen, sich als Landarbeiter zu verdingen. Mit der Eingliederung der vertriebenen Landwirte galt es, für diese Menschen einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben, ihrem Selbstverständnis und auch ihrem Selbstbewusstsein zu bewältigen. Gleichzeitig musste die Ernährung der Bevölkerung sichergestellt werden. Mit dem Bundesvertriebenengesetz schuf die Bundesregierung die Voraussetzung, dass viele vertriebene Bauern auch in ihrer neuen Heimat ihrem Beruf nachgehen konnten. Mehrere Milliarden D-Mark hat die Bundesrepublik in den Jahren 1949 bis 1959 dafür ausgegeben. Es wurde 100 000 Bauernfamilien geholfen. Dahinter stand auch die Erkenntnis, dass ein Land nicht allein auf seine Industrieproduktion setzen kann, sondern dass die Ernährung der eigenen Bevölkerung durch landwirtschaftliche Urproduktion sichergestellt werden muss ein Grundsatz, meine Damen und Herren, der auch heute noch gilt und den man ab und zu in Erinnerung rufen muss. ({2}) Eine weitere wichtige Erkenntnis lag dem Bundesvertriebenengesetz zugrunde: Freiheit des Einzelnen setzt voraus, dass er sich eine materielle Grundlage schaffen kann, die ihm im Leben Entscheidungsfreiheit und Gestaltungsfreiheit gibt. Das Bekenntnis zum Eigentum, zur Förderung der Eigentumsbildung war ein wichtiges Signal. Die Regelung, dass Vertriebene wegen früherer Schulden nicht mehr in Anspruch genommen werden durften, war wichtig; denn damit wurden sie in die Lage versetzt, wieder Eigentum zu erwerben und damit unabhängig und frei ihr Leben zu gestalten. Ebenso freiheitsfördernd wirkten die Hilfen bei der wirtschaftlichen Eingliederung. Die Arbeitslosigkeit war im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung wesent31264 lich höher. Das Gesetz sah deswegen die Förderung von Existenzgründungen vor. Damit wurden Anreize für Kreativität und Innovation gesetzt, eine entscheidende Weichenstellung für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung, die Deutschland in der Folge so erfolgreich machen sollte. Die Idee der Freiheit ist die Grundlage für Hilfe zur Selbsthilfe und war eine Triebfeder für das deutsche Wirtschaftswunder. Die Vertriebenen brachten gute handwerkliche Fähigkeiten und industrielles Know-how mit. Von der Glaskunst über die Textilherstellung bis hin zum Instrumentenbau reichte die Vielfalt erfolgreichen unternehmerischen Wirkens der Vertriebenen in der neuen Heimat. All diese Vergünstigungen und Hilfen nach dem Bundesvertriebenengesetz galten auch für den zunehmenden Strom von Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone. Die Regierung Adenauer hat damit auf die aktuelle Entwicklung im Osten Deutschlands reagiert. Übrigens, das Thema Vertreibung wurde in der DDR schlichtweg totgeschwiegen. ({3}) Nachdem die Vertriebenen dort angekommen waren und alles verloren hatten, wurde ihnen durch die Zuordnung der Begriffe „Umsiedler“ und „Neubürger“ klargemacht, dass ihre Sicht der Dinge nicht gefragt war. Die Begriffe „Flüchtlinge“, „Vertriebene“, „Heimatlose“ waren verboten. Durch staatliche Anordnung gab es sie nicht. Die Heimatvertriebenen hatten im politischen Geschehen keine Stimme, kein Gesicht und in der DDR keinen Platz zur Erinnerung und zur Aufarbeitung ihres Schicksals. Was politisch nicht gewollt war, sollte auch nicht stattfinden, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Menschen. Auf die kam es nicht an in der DDR. Dort stand nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern die Ideologie. ({4}) In der Bundesrepublik wurden die Vertriebenenorganisationen von Anfang an politisch eingebunden. Es war erklärtes Ziel der Regierung Adenauer, den Organisationen eine Stimme zu geben und ihnen die Mitgestaltung zu ermöglichen. Die Rolle der Landsmannschaften und ihrer Dachorganisation, des Bundes der Vertriebenen, während der Aufbaujahre und des Kalten Krieges können wir nicht hoch genug einschätzen. Die Vertriebenen haben Deutschland nicht nur materiell wieder aufgebaut, sondern sie haben auch an der geistig-moralischen Grundlage unserer Freiheitsordnung mitgewirkt. Für sie bedeutete Integration nicht, Ansprüche zu stellen, sondern anzupacken, mitzuhelfen, dass die neue Heimat Bundesrepublik Deutschland eine gute Zukunft hat. Trotz des erlittenen Unrechts und der Trauer um die verlorene Heimat sind sie nicht bitter und unversöhnlich geworden, sondern haben eine große Geste des Friedens ausgesandt. In der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 heißt es: Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können. Diese Haltung verdient größten Respekt: kein Rachegedanke, sondern Versöhnungsbereitschaft. Welch eine unglaubliche menschliche Leistung! ({5}) Auf dieser Grundlage haben sich die Vertriebenen der Aussöhnung und der Verständigung verpflichtet. Sie haben diese Verpflichtung ernst genommen und Brücken gebaut, nach Osten, in die alte Heimat, und das lange bevor staatliche Politik diesen Weg gehen konnte. In schwierigen Zeiten haben sie den Weg für Verständigung und Versöhnung offengehalten und waren dadurch Vorreiter auch der europäischen Einigung. Denn sie haben früher als andere begriffen, dass es eine gute Zukunft aller Mitgliedstaaten und Bürger Europas nur auf der Basis des Bekenntnisses zu gemeinsamen Werten geben kann. Das Bundesvertriebenengesetz wurde immer wieder an die aktuellen Entwicklungen angepasst, stets getragen von dem Gedanken der Solidarität mit unseren Landsleuten. Ging es zunächst um eine rasche Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, trat später mehr und mehr die Aufnahme von deutschstämmigen Aussiedlern und ihren Angehörigen im damaligen Ostblock in den Vordergrund. Sie kamen nach Deutschland, weil sie wegen ihres Deutschseins diskriminiert wurden. Die Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion waren jahrzehntelang kollektiven Strafmaßnahmen ausgesetzt und systematisch entwurzelt worden. Im Zeitraum 1950 bis 1988 kamen insgesamt über 1,6 Millionen Aussiedler einschließlich ihrer Angehörigen zu uns. Die starke Zunahme der Zahl der Aussiedler Ende der 80er-Jahre war Zeichen des grundlegenden politischen Wandels in den Staaten des Warschauer Pakts. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat als Folge des starken Zustroms der Aussiedler das Amt des Aussiedlerbeauftragten beim Bundesminister des Innern geschaffen. In der Folgezeit kümmerte sich der damalige Aussiedlerbeauftragte Horst Waffenschmidt um die Koordinierung der Aussiedlerpolitik der Bundesregierung und übernahm den Vorsitz im Vertriebenenrat. Er wurde zu einem wichtigen und engen Ansprechpartner der Aussiedlerorganisationen und gab wichtige politische Impulse für die Vertriebenengesetzgebung. Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir im Bundesministerium des Innern mit Christoph Bergner einen Mann, ({6}) der sich in besonderer Weise kompetent und mit Herz der Sache der Vertriebenen und der Aussiedler, aber auch der deutschen Minderheiten im Ausland verpflichtet weiß. ({7}) Die Schaffung des Amts des Aussiedlerbeauftragten war außerordentlich weitsichtig. Das zeigte sich 1990, als 400 000 Aussiedler einschließlich ihrer Angehörigen nach Deutschland kamen. Bis zum Ende des Jahrzehnts waren es dann jährlich durchschnittlich weitere 180 000 Aussiedler. Dieser Ansturm brachte große organisatorische und finanzielle Herausforderungen für Bund, Länder und Kommunen mit sich. Wie in den Nachkriegsjahren stellte sich zunächst die Frage, wie die Aussiedler im Bundesgebiet verteilt werden sollten und wie sie vor Ort untergebracht werden könnten. Aufnahmelager wurden eingerichtet. Im Zentrum stand wieder - einmal mehr das Grenzdurchgangslager Friedland. Wieder wurde die Glocke von Friedland zum Symbol der Freiheit, und sie ist es geblieben bis zum heutigen Tag. Und wieder war der Bundesgesetzgeber gefragt, Regelungen zu finden, die den Aufnahmekapazitäten gerecht wurden. Dies gelang der Regierung Kohl 1990 mit dem Aussiedleraufnahmegesetz, mit dem erstmals ein öffentliches Aufnahmeverfahren eingeführt wurde. Das Festhalten am Solidaritätsgedanken war allerdings nicht immer unumstritten. Eine besondere Zuspitzung der Diskussion erfolgte mit dem Spätaussiedlerstatusgesetz von 2001. Danach wurden die Spätaussiedler zum Nachweis gezwungen, dass ihre Deutschkenntnisse auf familiärer Vermittlung beruhen. Dies führte natürlich in der Praxis zu großen Schwierigkeiten und hatte auch Auswirkungen auf die Familien. Viele wurden getrennt. Dramatische Auswirkungen hatte das 2005 verabschiedete Zuwanderungsgesetz. Es erschwerte die Mitaussiedlung von Ehegatten und Abkömmlingen der Spätaussiedler beträchtlich. In den letzten Jahren konnte jedoch wieder an die Politik der nationalen Solidarität angeknüpft werden. ({8}) Es wurden viele Maßnahmen verabschiedet, die die Integration von Spätaussiedlern und ihren Angehörigen unterstützten. Das betrifft die Anerkennung von Prüfungen und erworbenen Befähigungsnachweisen. Das betrifft spezielle Fördermaßnahmen, die die Deutschkenntnisse der Spätaussiedler und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt haben. 60 Jahre nach Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes kann man hinsichtlich der Integration unserer deutschen Landsleute von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Die Weichenstellung der Adenauer-Regierung war richtig. Man hat den Vertriebenen eine neue Heimat gegeben und anerkannt, dass ihre alte Heimat ein untrennbarer Teil deutscher Geschichte und Kultur bleibt. ({9}) Die Kultur und die Traditionen der deutschen Ostgebiete sind Teil unseres deutschen Selbstverständnisses, und auch daran mahnt und erinnert uns das Bundesvertriebenengesetz. Bund und Länder haben sich damals mit großer Überzeugung dazu verpflichtet, Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa wachzuhalten im Bewusstsein unserer Nation. Das reiche kulturelle Erbe, das die Deutschen aus ihrer jahrhundertealten Geschichte im östlichen Europa mitbrachten, ist für unsere Nation von herausragender Bedeutung. Ob Musik, ob Malerei, ob Architektur, Philosophie oder Wissenschaft und Forschung, der Beitrag des schöpferischen Geistes der Deutschen in den ehemaligen Ostgebieten hat unsere Nation und ihre Entwicklung mitgeprägt. ({10}) Die Bundesregierung fördert heute über den Beauftragten für Kultur und Medien Museen, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, die sich dem deutschen Kulturerbe im östlichen Europa widmen. Ziel ist es, den Zugang zum kulturellen Erbe der Deutschen im östlichen Europa zu erhalten und seine zukunftsweisende Bedeutung sichtbar zu machen. Breiten Raum nimmt aber auch die Zusammenarbeit mit Gruppen der Vertriebenen und Aussiedler ein, die sich für den Erhalt des Kulturerbes einsetzen und sich gemeinsam mit ausländischen Partnern engagieren. Alle Aktivitäten stehen im Zeichen der Kooperation mit den Partnerorganisationen in den Regionen und wenden sich verstärkt auch an die junge Generation. Das Bundesvertriebenengesetz hat in den letzten sechs Jahrzehnten Geschichte geschrieben, auf die es aufzubauen gilt. Wichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Mit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat die Erinnerung an das Schicksal der Millionen Vertriebenen eine zusätzliche Kraft bekommen. Es geht um unser gemeinsames Erbe. Dieses Erbe müssen wir unseren Nachfolgegenerationen vermitteln; denn Kultur und Geschichte der Vertriebenen gehören zu unserer Identität. Dass wir das sagen können, verdanken wir auch der Leidenschaft und der Hartnäckigkeit der Vertriebenen, die immer darauf gedrängt haben, dass ihre Herkunft, ihre Tradition, ihre Bindung auch heute noch in unserem Land lebendig sind. Die Vertriebenen, denen unermessliches Leid widerfahren ist, dürfen sich unserer Solidarität, unserer Anerkennung und des nationalen Gedenkens sicher sein. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion. ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Bundesinnenminister, in dem Punkt stimme ich Ihnen unumwunden zu - alle Sozialdemokraten tun dies -: Die Integration der Vertriebenen und Spätaussiedler ist eine großartige Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte, an der ganz viele der Zugewanderten genauso wie der Stammbevölkerung hier in Deutschland beteiligt waren. Anders, als Sie den Eindruck erweckt haben, wenn ich das der Vollständigkeit halber sagen darf, war das eben auch nicht nur eine Geschichte, an der Christdemokraten beteiligt waren - Sie haben nämlich nur die Namen von Christdemokraten genannt -, sondern auch Sozialdemokraten. ({0}) Ich nenne nur Wenzel Jaksch, der in Hessen die Aufgabe hatte, sich der Belange der Vertriebenen anzunehmen und hervorragende Leistungen erbracht hat, später dann auch Präsident des Bundes der Vertriebenen wurde. Ich nenne aber auch Heinrich Albertz, der im Jahre 1948 in Niedersachsen das Amt des zuständigen Ministers innehatte. Ich darf auch an unsere Kollegen Hans-Peter Kemper und Jochen Welt erinnern, die in früheren Zeiten das Amt des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung innehatten. ({1}) Zu den kulturpolitischen Gegebenheiten und zu Ihrer Regierungserklärung wird nachher der Kollege Ernst Dieter Rossmann reden. Ich will mich mit den anderen Vorlagen befassen, die heute hier zur Debatte stehen. Das Bundesvertriebenenrecht verlangt für die Aufnahme von Ehegatten von Spätaussiedlern oder von ihren Abkömmlingen Grundkenntnisse der deutschen Sprache vor der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet. Dies hat in der Verwaltungspraxis der vergangenen Jahre zu einer ganzen Reihe von - jedenfalls in dieser Form sicher nicht beabsichtigten Härten geführt. Konsequenterweise hatte daher der Bundesrat vorgeschlagen, von diesem Erfordernis der Sprachkompetenz jedenfalls dann abzusehen, wenn der Ehegatte oder Abkömmlinge aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder in einem vergleichbaren Fall nicht in der Lage sind, Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Die Bundesregierung hatte die Formulierung „oder in einem vergleichbaren Fall“ für zu unbestimmt und zu vage gehalten. Daher haben die Koalitionsfraktionen in ihrem Änderungsantrag diese fünf Wörter nicht übernommen. Das ist unseres Erachtens falsch, weil man nicht sämtliche denkbaren Fallkonstellationen vorhersehen kann, die aus nachvollziehbaren humanitären Gründen eigentlich verlangen, dass eine Familie eben nicht auseinandergerissen wird. Die Einfügung dieser fünf Wörter mit Bezug auf Ehegatten von Ausländern in das Aufenthaltsgesetz, wie sie auch in dem im Ausschuss behandelten Änderungsantrag der Linken vorgeschlagen wird, wäre ebenso konsequent und geboten gewesen. Wir werden trotzdem dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen; dem Änderungsantrag der Linken hatten wir zugestimmt. Ich setze im Übrigen als bekannt voraus, dass unsere grundsätzliche Kritik am Erfordernis des vorherigen Spracherwerbs von nachzugswilligen Ehegatten, also schon im Herkunftsland, unverändert fortbesteht. Aber kleine Verbesserungen im Sinne einer Härtefallregelung sind bzw. wären natürlich besser als nichts. ({2}) Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass die Koalitionsfraktionen durch die nunmehr vorgeschlagene Neuregelung offenbar wiederum eine Ungleichbehandlung von minderjährigen Kindern produzieren; denn die minderjährigen Kinder der Spätaussiedler werden vom Erfordernis der Sprachkompetenz generell befreit, während es bei den minderjährigen Kindern von Ausländern, bei den 16- und 17-jährigen Kindern, gemäß § 32 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes nach wie vor einer positiven Integrationsprognose bzw. des Vorhandenseins eines gültigen Aufenthaltstitels beider Eltern bzw. des allein personensorgeberechtigten Elternteils bedarf. Insgesamt aber - das ist das für uns politisch Entscheidende - bejahen natürlich gerade wir Sozialdemokraten alle Regelungen, die humanitäre Härten beseitigen und das Zusammenbleiben der Familien fördern. Dies gilt für Spätaussiedler genauso wie für Ausländer. ({3}) Nicht zustimmen können wir allerdings dem Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „60 Jahre Bundesvertriebenengesetz - Erinnern an die Opfer von Vertreibung“. Abgesehen davon, dass dieser Antrag erst von Dienstagabend stammt und der Titel dreimal geändert worden ist - aber das ist Ihre Verantwortung -, bleibt er weit hinter dem zurück, was heute geboten wäre. Er bezieht sich im Übrigen ausdrücklich auf einen Antrag von Ihnen zum 60. Jahrestag der Charta der deutschen Heimatvertriebenen auf der Bundestagsdrucksache 17/4193 vom 15. Dezember 2010, über den am 10. Februar 2011 hier im Bundestag debattiert wurde. Dazu hat Wolfgang Thierse, wie ich finde, richtigerweise abschließend gesagt - ich zitiere aus dem Protokoll -: Unsere, der Deutschen Sensibilität für die Leiden und Opfer von Vertreibung und Flucht resultiert nicht nur und nicht zuerst daraus, dass Deutsche selbst Opfer gewesen sind, sondern daraus, dass Deutsche andere zu Opfern gemacht haben. Daraus, aus dieser doppelten bitteren Erfahrung, resultiert unsere dauerhafte moralische Verpflichtung. Genau diesen entscheidenden Punkt verfehlte schon Ihr Antrag von damals. Der heute vorliegende Antrag ist ein bisschen besser; das will ich gern einräumen. ({4}) Ich möchte Wolfgang Thierse ergänzen durch ein Zitat aus einer Rede unseres ehemaligen BundespräsidenRüdiger Veit ten Johannes Rau, die er beim Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen im Jahr 2003, also vor nunmehr zehn Jahren, gehalten hat: Überall im deutschen Machtbereich sind ethnische Minderheiten und ganze Völker verfolgt, versklavt und vertrieben worden, sobald man sie in die Gewalt bekam: So wurden aus dem westlichen Polen gleich nach der Besetzung binnen Monaten weit mehr als eine Million polnische Bürger deportiert, um Platz für Deutsche zu schaffen. Und das sollte ja nur der Anfang sein: Die Pläne für die Vertreibung von Millionen Polen und Russen lagen bereit. Im „Generalplan Ost“ und im „Generalsiedlungsplan Ost“ kalkulierte die SS allein mit mehr als dreißig Millionen russischen Opfern dieser Landnahme. In der Vernichtung der europäischen Juden erreichte diese rassistische und ethnokratische Politik ihre schrecklichste Form. Götz Aly hat Recht: Der Holocaust gehört „mitten hinein“ in die historische Konstellation, der am Ende auch die deutschen Vertriebenen zum Opfer fielen. ({5}) Zu Ihrem Antrag von vorgestern, wie erwähnt, muss ich sagen: Er enthält genau wie der frühere Antrag eine Reihe von Formulierungen in einer, wie ich meine, vielleicht doch zu volkstümelnden und rückwärtsgewandten Schattierung. Er enthält im Übrigen aber auch Forderungen, die vielleicht noch in das Entstehungsjahr des Bundesvertriebenengesetzes gepasst hätten, keinesfalls aber in einen Antrag des Jahres 2013. Allen Ernstes sollen wir uns, so Ihr Antrag, neben der rechtlichen auch für eine gesellschaftliche Anerkennung des Schicksals der deutschen Heimatvertriebenen aussprechen. Angesichts der von uns allen - auch ich habe das getan - beschriebenen erfolgreichen Integration von mehr als 12 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen und von mehr als 3 Millionen Spätaussiedlern kann diese Forderung zum heutigen Tage nur als absurd bezeichnet werden und übrigens in der gesamten Bevölkerung nur Kopfschütteln auslösen. ({6}) Andererseits stehen in Ihrem Text aber auch einige richtige Passagen, von denen ich mir wünschen würde, dass Sie sie in ihren wohlklingenden Formulierungen weiter denken und umsetzen würden. Beispielsweise heißt es: Von übergeordneter Bedeutung ist die Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und der von Deutschland ausgehenden Aggressionskriege. Wenn dies aber richtig ist, wäre zum Beispiel eine besondere Sensibilität auch gegenüber der von Deutschland seinerzeit verfolgten Bevölkerungsgruppe der Roma angebracht und gerade ihr eine besondere Achtung und Toleranz zu schenken. ({7}) Aber was erleben wir? Exakt zeitgleich mit der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten und verfolgten Sinti und Roma am Südeingang des Reichstages mussten wir uns im Innenausschuss - dies war ebenfalls um 11 Uhr - im gegenüberliegenden Paul-LöbeHaus anhören, warum das CSU-geführte Innenministerium aus Gründen der Bekämpfung von Armutszuwanderung aus Serbien und Mazedonien stammende Roma im Schnellverfahren ausweisen und abschieben möchte. Kurzerhand will das Innenministerium dann auch noch die nicht erwerbstätigen EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien loswerden, obwohl dies nun einem der fundamentalen Grundsätze, nämlich dem der Freizügigkeit, in der Europäischen Union widerspricht. Natürlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, verkennen auch wir nicht die besonderen Belastungen in einigen wenigen deutschen Großstädten, in denen sich überdurchschnittlich viele von ihnen aufhalten. Auch hier handelt es sich vielfach um Roma. Der Bundesinnenminister sollte aber besser den betroffenen Kommunen durch finanzielle Unterstützung bei der Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe helfen, anstatt den Anschein eines politischen Aktionismus zu geben, und dies zu Lasten einer Bevölkerungsgruppe, die in fast ganz Europa Diskriminierungen ausgesetzt ist und der gegenüber gerade Deutschland eine historisch begründete Verantwortung wahrnehmen sollte. ({8}) Nun noch ein weiteres von mir begrüßtes Zitat aus Ihrem Antrag: Wir nehmen das 60-jährige Jubiläum des BVFG zum Anlass, uns dafür einzusetzen, dass Vertreibung weltweit geächtet wird. Noch immer werden oder sind Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Der jüngste Report des UN-Flüchtlingskommissariats zu Flucht und Vertreibung beziffert, dass Ende 2011 insgesamt 42,5 Millionen Menschen von Flucht und Vertreibung betroffen waren, viele von ihnen innerhalb ihres Heimatlandes. Wenn Sie sich mit solchen Fragestellungen und Feststellungen selbst ernst nehmen, dann müssten Sie sich - damit meine ich die Koalitionsfraktionen genau wie diese Bundesregierung - in der ersten Reihe derjenigen befinden, die im Zuge einer europaweiten Verantwortungsteilung bereit sind, in Deutschland mehr Flüchtlinge aufzunehmen, ({9}) anstatt sie nach den von Ihnen hartnäckig verteidigten und überkommenen Grundsätzen der sogenannten Dublin-II-Verordnung in den Mittelmeeranrainerstaaten, ({10}) die mit der Aufnahme und der Verfahren allein schon wegen der Größe des Problems völlig überfordert sind, dahinvegetieren zu lassen. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Veit, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel?

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Veit, Sie reden jetzt vier Fünftel Ihrer Redezeit in dieser Debatte nicht über Vertriebene, sondern über Ausländer, über Flüchtlinge, über andere Themen. Darf ich das so interpretieren, dass Sie in Wahrheit das Schicksal der Vertriebenen und der Aussiedler nicht interessiert?

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann haben Sie nicht zugehört, lieber Herr Grindel. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass der Kollege Rossmann etwas zur kulturpolitischen Seite sagen wird. Sie haben recht und insoweit richtig zugehört, dass ich mich vier Fünftel meiner Rede mit Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen beschäftige. Das wird auch so bleiben. Ich lehne mich dabei an Formulierungen Ihres Antrages an. Ich wüsste nicht, was Sie daran stören sollte. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Beck würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor dem Hintergrund der Intervention von Herrn Grindel: Können Sie mir bestätigen, dass der vorliegende Antrag der Koalition ausdrücklich vorschlägt, den internationalen Weltflüchtlingstag um das Gedenken an die Opfer von Flucht und Vertreibung zu erweitern, dass in diesem Zusammenhang - genau wie Sie in Ihrer Rede der Antrag auf den jüngsten Report des UN-Flüchtlingskommissariats hinweist, der auf 42,5 Millionen Flüchtlinge verweist, und Sie insofern in der Tonlage Ihrer Rede zum Gegenstand der Debatte gesprochen haben und Herr Grindel vielleicht etwas ewiggestrig ist? ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Beck, ich kann das nicht nur bestätigen, sondern möchte in Bezug auf diese Zwischenfrage dankend sagen: In der Tat ist das das Phänomen, mit dem wir es zu tun haben. In diesem Antrag stehen wohlklingende Worte gegenüber allen Vertriebenen und Flüchtlingen bis in die heutige Zeit. Was wir aber vermissen - darauf komme ich noch zu sprechen -, sind die Taten. Da muss offenbar nachgearbeitet werden, auch beim Kollegen Grindel. ({0}) Denn - jetzt wende ich mich noch einmal an Sie, Herr Grindel, aber nicht nur an Sie -: Ich sprach davon, dass wir nach Dublin II zu einer europäischen Verantwortungsteilung kommen müssen. Das Gleiche gilt auch für das sogenannte Resettlement von Flüchtlingen, die aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten, um Leib und Leben zu retten. Durch die fürchterlichen Gräuel, die derzeit den Menschen im syrischen Bürgerkrieg zugefügt werden, sind nicht nur Europa und die ganze Welt, sondern auch wir dringend aufgefordert, Hilfe zu leisten. Der wohl in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung stehende gemeinsame Antrag aller Fraktionen und die auch von Ihnen, Herr Innenminister Friedrich, betriebene Übernahme und Aufnahme von 5 000 Flüchtlingen aus Syrien sind natürlich, das verkenne ich nicht, ein anerkennenswerter Beitrag. Wir unterstützen Sie, Herr Minister, bei Ihren Bemühungen, auf europäischer Ebene hier zu einer weiterführenden und nachhaltigen Lösung zu kommen. Es ist aber eben nur ein kleiner Schritt auf dem im Prinzip richtigen Weg. Lassen Sie mich zum Schluss gedanklich in die Situation von vor über 60 Jahren in das Nachkriegsdeutschland zurückgehen. Als ich 1986 in Gießen Landrat wurde, gehörte es von da an auch zu meinen Aufgaben, Ehe- und Altersjubiläen wahrzunehmen und den Leuten zu gratulieren. Dort habe ich dann gelegentlich sowohl unter den ebenfalls anwesenden Gratulanten als auch unter den Jubilaren frühere Bürgermeister der damals noch sehr kleinen Städte und Gemeinden getroffen. Diese haben mir berichtet, wie es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, war. Unsere Kreisbevölkerung ist schlagartig um ein Drittel gewachsen. Diese kommunalen Kollegen mussten damals von Haus zu Haus gehen und schauen, wo und in welcher Weise dort noch Flüchtlinge untergebracht werden konnten, indem die anderen Menschen in ihren Häusern zusammenrücken. Man kann davon sprechen, dass das eine Art Requirierung war. Sie haben sich damit nicht unbedingt nur Freunde gemacht. In der damaligen Zeit war aber nicht nur Wohnraum knapp. Es gab auch nicht genügend gut bezahlte Arbeit. Es gab nicht einmal für alle genügend zu essen. Diese Ressourcen mussten, wie ich bereits dargelegt habe, durch eine wesentlich größere Anzahl von Bewohnerinnen und Bewohnern geteilt werden. Da wir heute über einen ganz anderen wirtschaftlichen Background und über eine ganz andere InfrastrukRüdiger Veit tur verfügen, kann man sagen: Wenn das damals in dieser Größenordnung und bei dieser Notlage möglich war, dann sollte das uns auch heute, so finde ich jedenfalls, im Hinblick auf eine viel kleinere Zahl von Flüchtlingen möglich sein, auch wenn sie nicht deutscher Volkszugehörigkeit sind. Auch - ich betone ausdrücklich: auch - dieser Aufgabe müssen wir uns im Jahre 2013 stellen. Wir brauchen nicht nur wohlklingende Worte, wie in Ihrem Antrag, sondern wir brauchen Taten. Dazu fordere ich Sie an diesem Gedenktag nachdrücklich auf. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Serkan Tören das Wort. ({0})

Serkan Tören (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004177, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Veit, eines muss man einfach festhalten: Sie haben in Ihrer Rede im Wesentlichen am Thema vorbei gesprochen und Dinge miteinander verglichen, die in keiner Weise zu vergleichen sind. ({0}) In diesem Jahr wird das Bundesvertriebenengesetz 60 Jahre alt. Mit dem Bundesvertriebenengesetz stellte die damals noch junge Bundesrepublik die Weichen für die Aufnahme und erfolgreiche Integration von 12 Millionen deutschen Flüchtlingen aus den östlichen Teilen Europas, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik kamen. Das Bundesvertriebenengesetz war auch die rechtliche Grundlage für die Aufnahme von 4,5 Millionen Spätaussiedlern. Diese kamen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik. Auch die Spätaussiedler haben wir im wiedervereinigten Deutschland im Großen und Ganzen gut integriert. Meine Damen und Herren, das Bundesvertriebenengesetz ist - so kann man sicherlich aus heutiger Sicht sagen - einer der Gründe, warum es der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich so schnell wieder gut ging. Millionen von Menschen kamen, wenn auch nicht ganz freiwillig, in die junge Bundesrepublik, sind damals schnell integriert worden und haben erfolgreich am Wiederaufbau Deutschlands mitgearbeitet. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass der Grund für die Vertreibung und das Leid von vielen Millionen Menschen gerade in Osteuropa in der deutschen Geschichte gesucht werden muss. Ohne das Dritte Reich wäre uns Europäern viel erspart geblieben. Wie bereits ausgeführt, war die Integration von 12 Millionen Flüchtlingen ein voller Erfolg. Allerdings ist dieses Kapitel der deutschen Geschichte bis heute nicht abgeschlossen. Noch immer gibt es gerade in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion Deutschstämmige. Diese haben ein Recht, in die Bundesrepublik überzusiedeln. Bei dieser Gruppe von Deutschstämmigen gibt es aber immer wieder Fallkonstellationen, die von der aktuellen Gesetzeslage nicht erfasst sind. Eine Übersiedlung nach Deutschland wäre in vielen Fällen ausgeschlossen. Dies führt gerade für Familien immer wieder zu nicht hinnehmbaren Härten. Daher hat der Bundesrat einen Vorschlag zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vorgelegt. Diesem Vorschlag will die christlich-liberale Koalition in weiten Teilen folgen. Ziel der nun vorliegenden Gesetzesänderung ist es, unter sehr engen Voraussetzungen das Erfordernis der Kenntnis der deutschen Sprache zu streichen. Dies soll aber nur in den Fällen greifen, in denen der Betroffene aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, Deutsch zu sprechen. Die weiter gehenden Forderungen des Bundesrates, auch sogenannte vergleichbare Fälle zu berücksichtigen, lehnen wir als zu ungenau ab. Damit würde der Tatbestand mit unabsehbaren Folgen erweitert. Daneben wird mit der geplanten Gesetzesänderung davon abgesehen, dass der notwendige Erwerb der deutschen Sprache nur im familiären Rahmen erfolgen darf. Mit der vorgesehenen Änderung berücksichtigen wir, dass in vielen Familien die deutsche Sprache aus politischen Gründen oft nur rudimentär verwendet wurde. Wer sich in solchen Fällen aktiv um seine kulturellen Wurzeln bemüht und außerhalb der Familie Deutsch gelernt hat, soll dadurch aus unserer Sicht keinen Nachteil erleiden. Diese Personen sollen die Möglichkeit haben, bei entsprechenden Deutschkenntnissen in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln. Im Zusammenhang mit dieser sinnvollen Gesetzesänderung wurde vonseiten der Opposition auch gestern im Innenausschuss wieder die Forderung erhoben, bei jeglichem Familiennachzug auf die Kenntnis der deutschen Sprache zu verzichten. Meine Damen und Herren, sicherlich ist die Pflicht zum Nachweis zumindest einfachster Kenntnisse der deutschen Sprache ein Hindernis für jeden, der nach Deutschland kommen will. Auch ist es richtig, dass Spätaussiedler und nachziehende Familienmitglieder von hier lebenden Ausländern oder eingebürgerten Deutschen unterschiedlich behandelt werden. Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass wir hier ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen miteinander vergleichen. Im Fall der Spätaussiedler reden wir von Menschen, die ihre deutschen Wurzeln nach dem Zweiten Weltkrieg verleugnen mussten bzw. verleugnet haben, um keinerlei Nachteile in ihrem Leben zu erleiden. Damit ist kulturelles Erbe und somit auch Kenntnis der deutschen Sprache verloren gegangen. Bei diesen Menschen ist sehr oft die gesamte Verwandtschaft in die Bundesrepublik übergesiedelt. Daher bestehen oft keinerlei familiäre Bindungen mehr in den Ländern, in denen die Spätaussiedler bisher lebten. Ich frage Sie daher alle: Wollen wir diese familiären Strukturen bewusst zerstören? Im Fall des Familiennachzugs bei hier lebenden Ausländern oder eingebürgerten Deutschen geht es um eine Gruppe von Menschen, die sich bewusst dafür entschieden hat, eine familiäre Verbindung nach Deutschland aufzubauen. Das kann man natürlich nicht miteinander vergleichen. Die für Ausländer geltenden Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und die Bestimmungen und Anspruchsgrundlagen des Bundesvertriebenengesetzes sind völlig unterschiedlich und können dementsprechend nicht miteinander verglichen werden. ({1}) Diese Koalition ist sich ihrer Verantwortung bewusst, die sich aus unserer Geschichte ergibt. Daher waren die vergangenen vier Jahre auch für die Spätaussiedler und ihre Familien gut. Meine Damen und Herren, gerade unter Berücksichtigung unserer Geschichte und des Schicksals der Heimatvertriebenen ist uns Deutschen bewusst, welches menschliche Leid mit Vertreibung verbunden ist. Gerade daher sollte es uns allen ein besonderes Anliegen sein, weltweit jegliche Art von Vertreibung zu ächten. Der christlich-liberalen Koalition ist es daher besonders wichtig, den schon heute jährlich am 20. Juni stattfindenden Weltflüchtlingstag weiterzuentwickeln. Aus unserer Sicht wäre es richtig, diesen Tag auf der Ebene der Vereinten Nationen um das Gedenken an die Opfer von Vertreibung zu erweitern. ({2}) Dieser 20. Juni sollte für uns alle immer wieder ein Ansporn sein, uns gegen die Vertreibung von Menschen einzusetzen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ulla Jelpke erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Erinnern an Unrecht, das Menschen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg widerfahren ist, hat sich die Linke noch niemals widersetzt, wohl aber dem Versuch, historische Verantwortlichkeiten zu verwischen und die Schuld Nazideutschlands am Weltkrieg und seinen Folgen zu relativieren. ({0}) Ja, es war eine große Leistung, Millionen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren hatten, zu integrieren. Das geschah übrigens nicht nur in der BRD, wie der Koalitionsantrag suggeriert, ({1}) sondern auch in der DDR. Die Leistungen von Flüchtlingen, Ausgesiedelten und den Bewohnern der beiden deutschen Staaten verdienen unseren Respekt. ({2}) Hunderttausende von Deutschen sind nach dem Krieg zu Besuch in ihre alten Heimatstädte gefahren und insbesondere im westlichen Polen Menschen begegnet, die ihrerseits aus dem östlichen Polen vertrieben worden waren. Sie haben das größtenteils ohne Revanchegefühle getan, was von der polnischen Bevölkerung sehr anerkannt worden ist. Es ist aber wichtig, zwischen der Masse der Vertriebenen und denen, die sich als ihre Fürsprecher ausgeben - da meine ich vor allen Dingen den Bund der Vertriebenen - zu unterscheiden. ({3}) Denn eine Bereitschaft zu einem freundschaftlichen und respektvollen Verhältnis zu den Menschen in Osteuropa kann man dem Bund der Vertriebenen nun wirklich nicht nachsagen. Im Gegenteil: Es ist außerordentlich bedauerlich, dass es diesem Verein von Berufsvertriebenen gelungen ist, sich als Repräsentant von Millionen Menschen zu inszenieren und dafür Jahr für Jahr Steuergelder in Millionenhöhe zu kassieren. ({4}) Der BdV hat, anstatt zu versöhnen - auch das muss deutlich gesagt werden -, bei unseren europäischen Nachbarn immer wieder Wunden aufgerissen, die deutsche Kriegsschuld geleugnet und die Nachkriegsordnung angefochten. Zum Beispiel die Verbandschefin Erika Steinbach hat 1991 hier im Bundestag gegen die OderNeiße-Linie gestimmt und damit gegen die polnische Grenze. ({5}) Es ist das zweifelhafte Verdienst des BdV, eine revanchistische Parallelgesellschaft geschaffen zu haben und weiterhin am Leben zu halten. ({6}) Schon die Charta der Heimatvertriebenen aus dem Jahre 1950 ist einzig ein Dokument des Revanchismus. Es heißt darin allen Ernstes bis heute - das muss man sich einmal klarmachen -, die Heimatvertriebenen seien die - das ist ein Zitat - „vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen“. ({7}) Damit werden die Opfer des Raub- und Vernichtungskrieges der Wehrmacht und des Holocaust auf unglaubliche Weise verschwiegen und verharmlost. ({8}) Das ist ein Zeichen für die Linie des BdV: Naziverbrechen zwar nicht direkt zu leugnen, aber sie immer wieder zu relativieren. Doch es ist nun einmal die historische Wahrheit: Die Aussiedlung der Deutschen aus den Staaten Osteuropas war eine unmittelbare Folge der Verbrechen des Zweiten Weltkrieges. Weiter heißt es in der Charta - ich zitiere -: „Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung.“ ({9}) Dieser Satz musste damals, fünf Jahre, nachdem die Rote Armee den Besatzungsterror der Deutschen in Osteuropa beendet hatte, den Betroffenen als blanker Zynismus erscheinen. Schließlich handelte es sich bei den vielen Unterzeichnern, die hier großzügig auf Rache verzichteten, um ehemalige Nazifunktionäre. ({10}) 11 von 13 der damaligen Vorstandsmitglieder des BdV waren Mitglieder der NSDAP oder der SS gewesen: Vom SS-Obersturmbannführer bis zum Gauleiter war alles vertreten. Frau Steinbach hat diese Vorhalte noch im letzten Jahr lakonisch mit den Worten zurückgewiesen - ich zitiere -: „Männer mit zuvor gesammelter organisatorischer Erfahrung“ wurden gebraucht. ({11}) Solange der BdV Massenmörder und ihre Helfershelfer derart verharmlost, verdient er keinen einzigen Cent Steuergeld. ({12}) Vor fünf Jahren sprachen Sie, Frau Steinbach, anlässlich Ihres Tages der Heimat von - ich zitiere - „vorsätzlich geplanten und systematischen Vernichtungsaktionen“, die nach dem Krieg an den Deutschen begangen worden seien. Im Nachkriegsjugoslawien sahen Sie einen „Völkermord“ an Deutschen in sogenannten „Todeslagern“ und „Vernichtungslagern“. Sie wissen ganz genau, was Sie damit tun: Sie setzen das zweifellos harte Schicksal, das viele Deutsche in Osteuropa erfahren haben, mit den Verbrechen gleich, die Deutsche in Osteuropa angerichtet haben. Sie setzen die Aussiedlung der Deutschen mit der Ermordung der europäischen Juden durch das NS-Regime gleich. Ich sage: Wer eine solche Gleichsetzung vornimmt, der betreibt Geschichtsrevisionismus, der relativiert die Naziverbrechen, und dem muss man entschieden in die Parade fahren. ({13}) Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, dem Erinnern an Unrecht werde sich die Linke nicht widersetzen. Nun herrscht in Deutschland kein Mangel an Erinnerung - an Denkmälern, biografischen Werken usw. - zum Thema Vertreibung, auch wenn das der BdVLobby immer noch nicht genug ist; tatsächlich aber hat sie ihre eigene revisionistische Sicht schon lange etabliert. Aber wenn man über Vertreibung redet, muss man auch über die deutschen Verbrechen in Osteuropa reden und darüber, welche politische Funktion deutsche Minderheiten vor dem Krieg hatten, beispielsweise im Sudetenland, wo sie sich zum großen Teil offen gegen die tschechische Demokratie gestellt haben. ({14}) Die befreiten Völker in Osteuropa wollten diesen Hebel zur Zerschlagung ihrer Staaten neutralisieren. An diese historischen Zusammenhänge muss erinnert werden, sonst verdreht man die Geschichte und die politischen Verantwortlichkeiten. Aus genau diesem Grund darf die Erinnerung an die Nachkriegsereignisse nicht dem Bund der Vertriebenen überlassen werden. ({15}) Nun will die Koalition den Weltflüchtlingstag um das Gedenken an Heimatvertriebene erweitern. Ich halte das, ehrlich gesagt, für keine gute Idee; denn wer den Tag des Flüchtlings ernst nimmt, hat schon bisher an diesem Tag ohnehin aller Menschen gedacht, die vor Gewalt und unmenschlicher Behandlung fliehen mussten oder müssen. Aber ganz offenbar passt es den Vertriebenenfunktionären nicht, sich gemein zu machen mit dem Somali, der vor Gewalt und Hunger flieht, oder der Kurdin, die vor Staatsterror und Unterdrückung flieht. Sie wollen einen deutschen Gedenktag für deutsche Kriegsopfer. Ich habe keinen Zweifel, was passiert, wenn Sie den 20. Juni um das spezielle Gedenken an die Heimatvertriebenen erweitern. Dann wird in Deutschland nämlich nur noch an die Heimatvertriebenen erinnert, und das kann ja wohl nicht sein. ({16}) Statt dem BdV seinen eigenen Feiertag zu schenken, will die Linke, dass der 20. Juni ein Tag der weltweiten Solidarität mit Flüchtlingen bleibt, auch mit Vertriebenen, das ist selbstverständlich. Deswegen lehnen wir diesen Antrag der Koalition ab. ({17}) Ich komme nun zum letzten Punkt, zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes. Grundsätzlich ist unsere Haltung: Es wäre endlich an der Zeit, das Bundesvertriebenengesetz abzuschaffen und seine Einwanderungsregelung in den Katalog des Aufenthaltsgesetzes zu überführen. Die Linke ist sehr für liberalisierte Zuwanderung. Aber wir sehen überhaupt nicht ein, dass dies nur für sogenannte Volksdeutsche gelten soll. ({18}) Die Koalition und mehr noch der Bundesrat zeigen jetzt endlich eine gewisse Bereitschaft, den Familiennachzug von Spätaussiedlern zu erleichtern. Wir sind dafür. Das ist nämlich im Interesse der Menschen, und das wird von der Linken begrüßt. Der Bundesrat unternimmt einen Schritt in die richtige Richtung, indem er einen Härtekatalog von Fällen vorstellt, in denen auf den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse verzichtet werden soll. Wir halten einen solchen Nachweis ohnehin für unangemessen. Die deutsche Sprache lernt man am besten in Deutschland. ({19}) Aber was macht die Koalition? Sie will mit einem Änderungsantrag die Vorschläge des Bundesrates teilweise wieder zurücknehmen und die Regelungen verschärfen. Alter, Lernschwäche, Bildungsferne und andere Härten will sie nicht als Ausnahmegründe anerkennen, die einen Verzicht auf den Sprachnachweis begründen. Im Klartext heißt das, dass diesen Personengruppen verwehrt wird, zu ihren bereits in Deutschland lebenden Verwandten zu ziehen. Das ist ganz klar familienfeindlich und inhuman. Deshalb werden wir uns bei diesem Gesetzentwurf auch nur enthalten. Wir haben stattdessen einen eigenen Änderungsantrag zum Vorschlag der Regierungskoalition in den Innenausschuss eingebracht. Dort schlagen wir vor, diese Erleichterung für alle ins Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Es geht hier, wie gesagt, um Spätaussiedler, aber es geht nicht nur um sie, sondern es geht auch um Migranten. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum diese Sprachhürden für viele Menschen aus anderen Ländern existieren müssen. Generell empfiehlt die Linke: Lassen Sie uns die im Vergleich zu Nichtdeutschen großzügigen Zuwanderungsbestimmungen des Vertriebenengesetzes in den allgemeinen Regelungsbereich der Zuwanderung überführen. Gleiches Recht für alle, auch im Bereich der Zuwanderung, statt völkisch motivierter Privilegierung. Ich danke Ihnen. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begehen heute in dieser Sitzung ein besonderes Ereignis. Wir erinnern nämlich an eine großartige Erfolgsgeschichte in den letzten 60 Jahren. Mit dem Bundesvertriebenengesetz, das vor 60 Jahren im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, haben wir die Grundlagen dafür gelegt, dass 14 Millionen Menschen, die aus ganz Europa vertrieben wurden, im Nachkriegsdeutschland eine neue Heimat finden konnten. Das war eine riesige Aufgabe, eine gewaltige Herausforderung. Die Vertriebenen waren nicht überall und immer willkommen. Auch das gehört zur ganzen Wahrheit. Das Land war zerbombt, es war zerstört, und jeder hatte genügend damit zu tun, sich seine Existenzgrundlage wieder aufzubauen. Dann kommen 14 Millionen Menschen hinzu, die auch Heimat, Unterkunft und Chancen suchen. Ich rede heute deshalb, weil ich aus einer Familie komme, deren Eltern Vertriebene waren. Meine Eltern als Deutsche im ehemaligen Jugoslawien kamen auf einer langen Reise nach Deutschland. Ich selbst habe mich nie als Vertriebenen bezeichnet, weil ich 1949 in Hoffenheim auf die Welt kam. Aber ich habe, als ich in die Schule kam, sehr wohl gemerkt, dass ich nicht von Anfang an dazugehört habe. Welche Konsequenz hat man daraus ziehen können? Wie wurde das Ganze dann zu dieser großen Erfolgsgeschichte? Indem wir, die Kinder von Vertriebenen, die selber auch als Vertriebene bezeichnet wurden, uns völlig darüber im Klaren waren, dass wir selbst unseren Beitrag leisten müssen, um in diese neue Heimat, in diese Gesellschaft hineinzuwachsen, dass wir nicht erwarten konnten, dass diejenigen, die schon immer in diesem Land gelebt haben, ausschließlich sagen würden: Herzlich willkommen! Die Integration ist nur geglückt, weil die einen es wollten und die anderen alles darangesetzt haben, in dieser Gesellschaft heimisch zu werden. ({0}) Das ist ein Aspekt dieser Erfolgsgeschichte, von dem wir auch für die heutige Zeit etwas lernen können. Ohne den starken Willen, in diese Gesellschaft hineinzuwachsen, einen Beitrag zur Entwicklung dieser Gesellschaft zu leisten, wäre auch mit dem Bundesvertriebenengesetz die Integration nicht gelungen. Die Vertriebenen haben über ihr Leid relativ wenig gesprochen. ({1}) - Seien Sie jetzt einmal ganz schön friedlich. ({2}) Wahrscheinlich sind Sie gar nicht betroffen. Aber ich spreche als einer, der das alles miterlebt hat. Das wird auch einmal zulässig sein. Ich kann dazu nur sagen: Die Väter haben über das, was sie im Krieg erlebt haben, in der Regel nicht gesprochen. Das hat im Übrigen dazu geführt, dass Ende der 60er-Jahre eine intensive Diskussion begonnen hat. Dieser Teil der Diskussion der sogenannten 68er-Jahre war auch völlig berechtigt, weil wir wissen wollten, was damals geschehen war. Aber unsere Mütter haben davon gesprochen. Meine Mutter hat immer erzählt, dass für sie das Dritte Reich und die Nationalsozialisten das Unglück ihres Lebens waren. Denn sie hat sich in Jugoslawien wohlgefühlt, sie wollte gar nicht woandershin. Sie hat immer gesagt: Wenn die Nazis nicht gekommen wären, hätten wir ein anderes Leben führen können. ({3}) Sie hat uns, den Kindern, gesagt: Ihr müsst alles daransetzen, dass so etwas in diesem Land nicht noch einmal passieren kann. Das war die Botschaft von Vertriebenen aus ganz Europa. ({4}) Natürlich hat Vertreibung stattgefunden. Immer in der Geschichte hat es Vertreibung gegeben. Aber wenn man die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, des Nationalsozialismus, unseres Deutschlands anschaut, sieht man, dass natürlich - da hat Kollege Veit recht - die Vertreibung damit begonnen hat, dass zunächst einmal die Juden aus ihrer Heimat vertrieben und dann in den Tod geschickt wurden. Das war der erste Akt von Vertreibung in dieser unglaublichen Verbrechergeschichte des nationalsozialistischen Regimes. Das war Unrecht in höchstem Maße. Aber es war auch mit viel Leid für die Vertriebenen verbunden. Meine Mutter hatte mit dem Nationalsozialismus überhaupt nichts am Hut. Sie hat das alles verachtet. Dennoch war sie Leidtragende. Sie hat nicht nur darunter gelitten, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben wurde, sondern auch darunter, dass sie über ihr Leid nicht sprechen konnte, ohne dass man ihr den Vorwurf, der mit der Sache gar nichts zu tun hatte, gemacht hat, dass sie das Leid von Juden und all das, was im Dritten Reich passiert ist, relativieren wollte. Die allermeisten Vertriebenen waren sich bewusst, wie ich am Beispiel meiner Mutter sagen kann, was Ausgangspunkt ihres Dramas war. Dessen waren sich alle bewusst. Dass man ihnen aber verwehrt hat, auch über ihr individuelles Leid zu sprechen, hat sie ein zweites Mal vertrieben. ({5}) Ich zitiere: Die politische Linke hat in der Vergangenheit, das läßt sich leider nicht bestreiten, zeitweise über die Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache Leid, das den Vertriebenen zugefügt wurde, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor dem Vorwurf, als Revanchist gescholten zu werden, oder sei es in dem Irrglauben, durch Verschweigen und Verdrängen eher den Weg zu einem Ausgleich mit unseren Nachbarn im Osten zu erreichen. Dieses Verhalten war Ausdruck von Mutlosigkeit und Zaghaftigkeit. Bundesinnenminister Otto Schily am 29. Mai 1999. Ähnlich formuliert es Günter Grass in seiner bemerkenswerten Novelle Im Krebsgang in gleicher Richtung. ({6}) - Wissen Sie, ich will Ihnen einmal eines sagen: Es geht nicht an, dass die Grünen glauben, allein den moralischen Anspruch gepachtet zu haben, zu wissen, was man sagen darf und was nicht. ({7}) Ich bin das jetzt langsam leid. Ich lasse mir von Ihnen keine Vorwürfe machen. Ich weiß, was der Ausgangspunkt der Vertreibung war: das verbrecherische nationalsozialistische Regime. Aber Leid von Menschen ist nicht teilbar, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Wir haben mit dem Bundesvertriebenengesetz nach dem Krieg die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass eine Integration der Vertriebenen stattfinden konnte. Wir vergessen nicht die Verbrechen, die Deutsche an Juden begangen haben und die im Namen der Deutschen an Juden verübt wurden. Deshalb gehört die Union als einzige Partei, vielleicht noch zusammen mit der FDP, zu denen, die unverbrüchlich zu Israel stehen und die Sicherheit Israels als Teil unserer Staatsräson begreifen. ({9}) Wenn ich so manche Diskussionen erlebe, kann ich nur sagen - ich will das niemandem abstreiten; aber bei uns ist das so -: Wir wissen um die Verantwortung, die aus unserer Geschichte erwächst. ({10}) Wir blicken auch nicht zurück, sondern wir sagen: Diejenigen, die Deutsche sind, sich der deutschen Sprache auch weiterhin gewidmet haben, sollen auch in Zukunft nach Deutschland kommen können - unter ganz genauen, festen Regeln. Ich akzeptiere selbstverständlich und bin sehr dafür - gerade weil ich für verfolgte Christen in der ganzen Welt eintrete -, dass wir Menschen, die in Bedrängnis sind, die verfolgt werden, die vor Bürgerkriegen fliehen, in Deutschland aufnehmen. Der Bundesinnenminister hat da auch klare Zusagen gemacht: beispielsweise dass wir weitere 5 000 Menschen aus Syrien aufnehmen. Aber genauso, wie ich dafür eintrete, dass Asylbewerber nach Deutschland kommen dürfen, trete ich dafür ein, dass auch diejenigen, die Deutsche sind und noch im Ausland leben, nach Deutschland kommen dürfen. Da gibt es keine Unterteilung, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({11}) Das Bundesvertriebenengesetz ist eine großartige Erfolgsgeschichte. Als jemand, der eigentlich bei armen Eltern aufgewachsen ist, muss ich sagen: Ich bin diesem Land außerordentlich dankbar. Meine Eltern, vor allem meine Mutter, haben mir immer gesagt: Wir werden euch nie Reichtum geben oder ein Vermögen übergeben können; aber wir können euch Erziehung und Bildung mitgeben, und dann könnt ihr aus eigener Kraft etwas leisten. Nicht allein aus eigener Kraft, sondern auch dank der Solidarität der Deutschen haben die Vertriebenen es geschafft. Beides zusammen - die Solidarität derjenigen, die schon immer hier gelebt haben, und der Wille der Vertriebenen, zu dieser Gemeinschaft zu gehören - hat dazu geführt, dass die Integration der Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland eine großartige Erfolgsgeschichte wurde. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wie Sie sehen, ist der nächste Redner Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der selten vor Beginn einer Rede im Deutschen Bundestag so viel Beifall hat entgegennehmen können. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kauder, ich finde, Sie haben in diese Debatte unnötige Schärfe gebracht. ({0}) Wir sind uns einig in diesem Haus: Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit; das ist im deutschen Völkerstrafgesetzbuch ausdrücklich so festgehalten. Viele Opfer von Vertreibung verlieren nicht nur Hab und Gut und Wohnsitz, sondern werden oftmals auch Opfer schrecklicher Gewalttaten. So war das auch bei der Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen östlichen Reichsgebieten. So war es bei der Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland, das zur Tschechoslowakei gehörte, und auch aus anderen osteuropäischen Staaten. Das dürfen wir nicht vergessen. Daran müssen wir uns auch erinnern, aber wir müssen uns erinnern im Kontext der Geschichte. Der Vertreibung ging eben der verbrecherische Angriffskrieg der Nazis gegen die Völker Europas voraus. Es gingen ein Holocaust an den Juden und ein Völkermord an den Sinti und Roma in Europa voraus. All dies gehört zum Kontext. Es gehört auch zum Kontext, dass zu dem Zeitpunkt, als die Deutschen aus den heute zu Polen gehörenden Gebieten vertrieben wurden, im Osten Polens von den Sowjets Polen aus ihrem Land vertrieben wurden, die dann dort siedelten, wo vorher Deutsche gelebt haben. Auch das gehört zu der Tragödie, die mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist. ({1}) Ich sage das hier - Frau Kollegin, ich weiß nicht, wo Sie und Ihre Familien herkommen - als Kind einer sudetendeutschen Familie und einer österreichischen Offiziersfamilie, die am Ende jedes Weltkrieges im letzten Jahrhundert vertrieben wurden, also zweimal, und zweimal in ihrem Leben alles verloren haben. Trotzdem darf man nicht darüber hinwegreden, was dem vorausgegangen ist. Herr Kauder, Sie haben eben Ihre Familiengeschichte geschildert. Es gibt aber auch Familiengeschichten von Vertriebenen, die zeigen, dass nicht alle Vertriebenen im Herzen und im Geiste Widerstandskämpfer oder Gegner des Nationalsozialismus gewesen sind. Ich habe viel im Keller meiner Mutter gefunden - das gehörte nicht zum Narrativ der Geschichte, weil man es nicht erzählen wollte, weil man dabei nicht gut aussah -, zwar keine Mitgliedsbücher der NSDAP, aber der Sudetendeutschen Partei. Nicht alle Sudetendeutschen waren ausgemachte Nazis. Aber was haben sie damals gemacht? - Sie haben beim Einmarsch Hitlers gejubelt und haben die ausgestreckte Hand der Tschechen und der Slowaken in der Vielvölkerrepublik Tschechoslowakei abgewiesen. Auch das gehört zu der komplizierten Geschichte dazu. Das erklärt zwar nicht die Verbrechen, aber das erklärt zunächst die Akzeptanz der Vertreibung in der Tschechoslowakei, weil sich die Deutschen eben vorher nicht dazu bereitgefunden haben, Teil dieser Republik zu werden und an einem friedlichen Miteinander der drei bzw. vier Völker, wenn man die Roma dazunimmt, in der Tschechoslowakei mitzuwirken. ({2}) Wenn wir heute der Vertreibung gedenken, dann können wir nicht darüber hinwegsehen, dass gegenwärtig in der Welt 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind, vertrieben sind, im Sudan, in Syrien, in vielen Ländern Afrikas und Asiens. Auch das gehört dazu. ({3}) Wenn wir wirklich Empathie für die deutschen Vertriebenen haben, dann kann diese Empathie nicht bei anderen Vertriebenen in der Jetztzeit aufhören. Dann müssen wir heute Einsatz für das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen zeigen und unsere Verantwortung übernehmen. ({4}) Kurz zu einigen konkreten Punkten in Ihrem Antrag. Sie schlagen vor - das begrüße ich -, den 20. Juni auch zum Anlass zu nehmen, deutscher Vertriebener und Vertreibung zu gedenken. Das ist ein Vorschlag, den ich vor längerer Zeit gemacht habe. Ich bin froh, dass sich dieser in der Koalition gegen den Vorschlag von Frau Steinbach durchgesetzt hat, ausgerechnet den 5. August hierfür zu nehmen, den Tag, als die Charta der VertriebeVolker Beck ({5}) nen, auf die Frau Jelpke schon Bezug genommen hat, verabschiedet wurde. Diese Charta war wirklich eine Charta der Nichtanerkennung des geschichtlichen Kontexts, des Verdrehens von Geschichte, der Selbststilisierung nur als Opfer und nicht auch als Täter, und das bei einer langen Liste von Unterschriften von NSDAP-Funktionären, SS-Generälen und Sturmbannführern. Dass wir uns heute von diesem Tag als Bezugspunkt für die Erinnerung an das Unrecht der Vertreibung verabschieden, ist ein gutes Signal. ({6}) Dennoch darf der 20. Juni nicht nur ein Tag zur Erinnerung an die deutschen Heimatvertriebenen sein, sondern er muss ein Tag sein, der ein Appell gegen das Unrecht von Vertreibung und für die Solidarität mit allen Flüchtlingen und Vertriebenen ist, seien sie deutsch oder anderer Provenienz oder Nationalität. ({7}) Ich möchte noch zwei konkrete Punkte ansprechen. Nachher diskutieren wir über die Nachzugsregelung für die Angehörigen von Vertriebenen. Ich finde es richtig, dass eine Härtefallklausel bei den Sprachvoraussetzungen geschaffen werden soll, ich finde es aber völlig unplausibel, dass wir das im Aufenthaltsgesetz gegenüber Ausländern nicht machen. Ich will Ihnen nahelegen: Das führt am Ende zur Inländerdiskriminierung. Wenn ein Deutscher hier aus Berlin in der Türkei eine Frau kennenlernt und heiratet, sie aber noch kein Wort Deutsch spricht, während er gut türkisch spricht - vielleicht hat er sogar dort unten gearbeitet und hat sie dabei kennengelernt -, dürfte er mit dieser seiner Frau aus der Türkei nicht hierher nach Deutschland kommen, bevor sie nicht die deutschen Sprachvoraussetzungen erfüllt. Wäre er Spätaussiedler und käme er mit seiner Frau aus Russland und sie wäre Russin und spräche kein Sterbenswörtchen Deutsch, dann könnte er sie nach dieser Härtefallklausel unter Umständen mitbringen. Das ist Inländerdiskriminierung. Das ist absurd. Lassen Sie uns das deshalb auch im Aufenthaltsgesetz entsprechend regeln. ({8}) Ich möchte noch einen anderen Punkt der Gleichstellung hier ansprechen: das Fremdrentengesetz.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck, darf Ihnen Herr Kollege Bergner eine Zwischenfrage stellen?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Wenn ich meinen letzten Gedanken dann auch noch unterbringen kann, will ich das gerne tun.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, wir haben auch im Innenausschuss darüber gesprochen. Ich will nur vermeiden, dass Sie jetzt von falschen Voraussetzungen ausgehen. Die Linke fordert in ihrem Antrag, dass die unscharfe Formulierung des Bundesratsantrags „in vergleichbaren Fällen“ ins Aufenthaltsrecht übernommen wird. Der Vorschlag der Koalition ersetzt aber gerade diese unscharfe Formulierung - und zwar aus rechtlichen Gründen - durch konkrete Sachverhalte, die wiederum nur in den Kontext des Vertriebenenrechts eingebracht werden können, und es entsteht ausdrücklich nicht die Situation, die Sie hier zu schildern versuchten, dass automatisch jemand, der als Spätaussiedler aus den Staaten der früheren Sowjetunion kommt, keinen Sprachnachweis erbringen muss. Könnte es sein - das ist meine Frage -, dass Sie die Antragstellungslage nicht richtig durchschaut haben? ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann selbstverständlich nicht sein. Ich habe den Änderungsantrag, der von Herrn Uhl und dem Kollegen der FDP unterschrieben wurde, vorhin aufmerksam gelesen. Ich habe ihn auch dabei, aber nicht hier am Rednerpult, sondern er liegt an meinem Platz. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass eine Härtefallklausel eingeführt werden soll, gemäß der in bestimmten Konstellationen auf die Sprachvoraussetzung beim Ehegattennachzug - ich halte sie ohnehin für Quatsch; aber sie ist nun einmal Recht - verzichtet werden kann - nicht einmal Grundkenntnisse müssen sie haben -, sodass Spätaussiedler ihre nichtdeutschen Ehegattinnen und Kinder mit einreisen lassen könnten. - So soll es geregelt werden. Mein Punkt war: Warum soll es eine Härtefallklausel bei Spätaussiedlern geben, die mit Russen oder Weißrussen oder Ukrainern oder - was weiß ich - mit Usbeken verheiratet sind? Warum soll die Härtefallklausel für diese gelten, aber für Deutsche, die mit einer Türkin verheiratet sind und aus der Türkei hier zu uns nach Deutschland einreisen wollen, in keinem Fall? ({0}) Das ist unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. Das benachteiligt deutsche Staatsbürger in bestimmten Konstellationen gegenüber einreisenden Spätaussiedlern, und das ist meines Erachtens rechtlich nicht haltbar und politisch tatsächlich nicht sinnvoll. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, nein. Sie machen jetzt bitte nicht mehr darauf aufmerksam, weil der Kollege Beck schon lange seine Redezeit überschritten hat und ich nur wegen unserer Präsident Dr. Norbert Lammert sprichwörtlich privilegierten Verbindung Ihre Zusatzfrage zugelassen habe.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte nur noch einen Satz sagen. Wir haben im Fremdrentengesetz die Rentenansprüche für Spätaussiedler so geregelt, dass diese durch die Einreise nach Deutschland keine Nachteile haben. Die gleiche Regelung sollten wir für jüdische Kontingentflüchtlinge treffen, die zu uns gekommen sind und heute oft Grundsicherung im Alter erhalten, weil ihre Rentenversicherungszeiten in ihrer ehemaligen Heimat nicht anerkannt werden. Ich glaube, das sind zwei parallele Fälle, und es gehört auch zum Thema Vertreibung und Flucht, ({0}) dass wir die Integration gegenüber jüdischen Kontingentflüchtlingen genauso ernst nehmen wie gegenüber deutschstämmigen Spätaussiedlern. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Kurth für die FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003900, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit persönlichen Familienerinnerungen beginnen, nämlich mit meinen eigenen. Ich wurde in der DDR geboren, Frau Jelpke. Ihre Einlassungen dazu sind immer wieder interessant. Ich persönlich muss sagen, dass ich als Kind, das in der DDR zur Schule gegangen ist, mit dem Thema Vertreibung überhaupt nichts zu tun hatte. Ich kannte das gar nicht; ich wusste überhaupt nichts davon. Ich war persönlich nicht tangiert - dachte ich jedenfalls. Es wurde keine Wissensvermittlung betrieben. Ich hatte zwar einen Onkel, der wohl in der Tschechoslowakei, wie sie damals noch hieß, geboren war. Ich freute mich, dass er so gut Deutsch konnte, wusste aber nicht, dass er tatsächlich Deutscher ist und welche Hintergründe das hat. Ganz interessant ist, dass meine Großeltern ab und zu von ihrem Dorf wenige Kilometer östlich der Oder sprachen. Kam ich also aus Polen? - Nun, diese Frage wurde nicht thematisiert. Ich muss sagen: Es ist ein bisschen beklemmend, zu wissen, dass von meiner eigenen Familie - meine Großeltern standen während des gesamten Dritten Reiches als Bauernfamilie auf dem Feld und wurden eigentlich nur wenige Kilometer vertrieben -, die zu Beginn des Jahres 1945 noch aus fünf Familienangehörigen bestand, wenige Wochen später nur noch meine Großmutter und ihre Mutter lebten. Ist es nicht beklemmend, zu wissen, dass es unterlassen worden ist - auch staatlich reglementiert -, zu fragen: „Warum? Woher? Wieso? Weshalb?“, und offen darüber zu sprechen - mit allem, was dazugehört, zum Beispiel den Ursachen? Warum haben wir nicht darüber gesprochen? Warum fehlte mir das Wissen? Ich ahnte ja nicht, was dahinterstand. In der DDR war im Staatsbürgerkundeunterricht, im Geschichtsunterricht, im Gesellschaftsunterricht oder sonst wo nicht ein einziges Wort dazu zu vernehmen ({0}) nicht, weil es in der DDR-Bildungspolitik verschwiegen worden ist, wie woanders möglicherweise, sondern weil es schlichtweg untersagt war, Kenntnisse zu vermitteln. ({1}) Auch gesellschaftlich war das Thema Vertreibung nicht etwa ein Tabuthema, wie das möglicherweise in der Bundesrepublik in den 50er-Jahren gewesen sein könnte, nein, es war in der DDR zum Teil bei Strafe verboten, sich zu dem Thema Vertreibung auszulassen. Die SED hatte spätestens in den 50er-Jahren die Losung ausgegeben bzw. die klare Ansage gemacht: Wer sich jetzt noch als Vertriebener bekennt, macht sich der Volksverhetzung schuldig. Diejenigen, die nach der Vertreibung im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands landeten, wurden, wenn sie dazu sprachen, gewissermaßen als Staatsfeinde, Revanchisten oder Volksverhetzer bestraft. Das ging so weit, dass sie nicht einmal „Vertriebene“ heißen durften - Herr Minister, Sie haben es angesprochen -, sondern verharmlosend „Umsiedler“ genannt worden sind. Meine Damen und Herren, die Entwicklung nach 1990 zeigt, dass in der DDR diese Wunde, die man dort mit aller Kraft zu überdecken versuchte, nicht geschlossen oder gar geheilt wurde; denn das Vertriebenenwesen entwickelte sich dann auch in der ehemaligen DDR. Ich will damit sagen: Dieses Vertreibungsumdeuteln im östlichen Teil Deutschlands, dieses staatlich verordnete Schweigen, dieses Geschichtsverdrehen, diese Unaufrichtigkeit des Staates, diese Unehrlichkeit gegenüber der eigenen Geschichte, diese Falschheit auch gegenüber den östlichen Nachbarn stand im Gegensatz zu dem, was in der Bundesrepublik gemacht worden ist: ({2}) nämlich ein Bundesvertriebenengesetz, das 60 Jahre lang dazu beitrug, die Erinnerung aufrechtzuerhalten. Ich sage ganz deutlich: Darauf kann und soll Deutschland auch stolz sein. Das ist ein guter Schritt gewesen. ({3}) - Wer von den Nazis im Vertriebenenverband spricht und kein Wort darüber verliert, dass er Stasi-Leuten zu Patrick Kurth ({4}) ihrer hervorragenden Geschichte gratuliert, der braucht sich hier in der Debatte überhaupt nicht zu melden und kann sich setzen - am besten in die letzte Reihe. ({5}) Meine Damen und Herren, ich will vor allen Dingen nach vorne schauen. Auch mit dem Bundesvertriebenengesetz muss man nach vorne schauen. Vor allen Dingen geht es um die Zukunft. Flucht und Vertreibung - auch die deutsche Flucht und Vertreibung - sind eben kein einmaliger Akt in der Geschichte. Das ist auch noch nicht abgeschlossen. Es gab bzw. gibt seit hundert Jahren überall auf der Welt - in Europa, auch in Deutschland Vertreibungen. Sie haben seither auch nicht aufgehört. Mali, Darfur und Syrien sind ganz aktuelle Themen, die auch uns in besonderer Weise betreffen. Deswegen ist staatlich verordnetes Totschweigen oder Ähnliches an dieser Stelle nicht geeignet, weil wir an anderer Stelle natürlich eine klare Auffassung haben müssen. Ich will abschließend vier Punkte nennen, auf die es uns in der FDP, aber auch in der Koalition ankommt: Erstens. Nie wieder dürfen Menschen ihrer Heimat beraubt oder vertrieben werden - nirgendwo auf der Welt. Nie wieder darf es Kollektivstrafen geben, weil es auch keine Kollektivschuld gibt. Nie wieder darf das passieren. Zweitens. Nirgendwo darf die Vertreibung der Deutschen möglicherweise als Blaupause dienen oder vielleicht sogar als Rechtfertigung herangezogen werden, wenn es um Vertreibungen in anderen Ländern auch in aktueller Zeit geht. Das geht auf keinen Fall. Drittens. Nie wieder darf das Unrecht der Vertreibung von Menschen durch staatliche Stellen oder gesellschaftlichen Druck tabuisiert oder verschwiegen werden. Niemals wieder darf das offene Ansprechen von Flucht und Vertreibung bestraft werden. ({6}) Viertens. Nie wieder darf es dazu kommen - ({7}) Nie wieder darf es dazu kommen, dass wie bei mir - ({8}) - Wieso hören Sie eigentlich auf zu reden, wenn ich Ihnen zuhöre, fangen aber an zu reden, wenn ich spreche? Was ist denn das für eine Unhöflichkeit? Das ist eine Garstigkeit hier im Hause! Das kann ja wohl nicht wahr sein! ({9}) Also, letzter Punkt: Nie wieder darf es dazu kommen, dass wie bei mir bewusst Wissen nicht vermittelt und ganz bewusst Unwissen verbreitet wurde. Ziel war, so viel wie möglich im Unklaren zu lassen. Wir stehen hier vor einer großen Herausforderung. Viele junge Leute bzw. Jugendliche haben keinen blassen Schimmer, wie man mit Vertreibung umgeht. Das gesamte Haus steht hier vor einer großen Herausforderung; diese zu meistern ist unsere gemeinsame Aufgabe. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Ernst Dieter Rossmann das Wort. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Volkmar Gabert, der große sozialdemokratische bayerische Politiker und Präsident der Seliger-Gemeinde der Sudetendeutschen, hat uns in diesem Zusammenhang gemahnt, zum „Dialog über emotionale Gegensätze hinweg fähig zu sein“. Daran sollten wir uns, glaube ich, auch in dieser Debatte orientieren. Ich will Ihnen hier als Schleswig-Holsteinischer Abgeordneter zwei Zugänge zu dieser Frage - wir zollen 60 Jahren Bundesvertriebenengesetz ausdrücklich hohen Respekt - vortragen. Zunächst einmal aus dem Blick eines SchleswigHolsteiners. Schleswig-Holstein ist ein kleines Land, in dem nach dem Krieg 50 Prozent der Menschen Vertriebene und Flüchtlinge aus Ostpreußen waren. Zugleich befand sich in diesem Land der Kriegsverbrecher Dönitz. 1955 setzten dann - damals war Kai-Uwe von Hassel Ministerpräsident Schleswig-Holsteins; später war er hier Parlamentspräsident - Konrad Adenauer und der dänische Außenminister Hansen in den BonnKopenhagener Erklärungen ein erstes sichtbares Zeichen für Aufarbeitung, Versöhnung und Anerkennung von Minderheitenrechten. Schließlich ist Schleswig-Holstein ein Bundesland, in dem drei der vier autochthonen Minderheiten in Deutschland eine Heimstatt und Anerkennung gefunden haben. Dort wird jetzt auch mit einem europäischen Institut in Flensburg ganz direkt darauf abgehoben, zu untersuchen: Was heißt Respekt vor Verschiedenheit und Minderheitenrechten im Europa der Zukunft? - Das ist der eine Blickwinkel. Ich komme zum anderen Blickwinkel. Herr Kauder, ich möchte Ihnen - Sie haben hier Ihre Biografie vorgetragen - von der Biografie einer Person berichten, in deren Familie es keine Vertreibung gab. 1956/57 war ich fünf bzw. sechs Jahre alt. Man merkte in zunehmendem Maße, was eigentlich in der Nachbarschaft geschah. Es gab da den Tischler Juderjahn aus Elbing, ein ungemein fleißiger Handwerker. Das war seine Verbindung in die Heimat. Da gab es den Bauern Schmidt aus einem ganz kleinen ostpreußischen Ort, der mit seinem Rollwagen jeden Tag 15 Kilometer hin und her fuhr, um irgendwo zu melken. Natürlich gingen sie alle zu den Treffen der Heimatvertriebenen. Sie kamen dorthin, weil sie sich mit früheren Bekannten, mit Freunden treffen und mit ihnen sprechen konnten. Sie waren nicht unbedingt deshalb dort hingegangen, weil sie politische Kampfreden erwarteten und hören wollten. Ich habe deshalb den Tischler Juderjahn und den Bauern Schmidt angesprochen, weil sie etwas hatten, was sie auch vermitteln konnten, was leider viele andere nicht hatten: Sie hatten die Fähigkeit, zu trauern. Das war ihre große Leistung. Für diese Fähigkeit zollen wir diesen Menschen Respekt, in ihrem persönlichen Erleben, aber auch in ihrem politischen Erleben, das sie eingebracht haben. ({0}) Den Grund für die Trauer - er wurde schon deutlich dargestellt - will ich nicht wiederholen. Aber ich will Ihnen, Herr Kauder, eine kleine Bitte vortragen, dass nämlich die Bemerkung von Otto Schily nicht so verstanden werden darf, als ob Willy Brandt, ein Sozialdemokrat, nicht sehr viel dafür getan hätte, und das trotz aller Anfeindungen gegen seine Person, mit Weitblick, Beharrlichkeit und Mut dafür zu sorgen, dass Menschen zu ihrem Menschenrecht auf Heimat, zu ihrem Menschenrecht auf Frieden, zu ihrer Menschenpflicht auf Versöhnung kommen konnten. Den Sozialdemokraten Willy Brandt darf man hier nicht vergessen ({1}) und darf ihn auch nicht zum Zwecke der Polarisierung nutzen. ({2}) Dieses Gift der Polarisierung muss aus der Debatte herausgenommen werden, wenn wir die Debatte nach vorne wenden wollen. Der Bundesinnenminister hat die 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz mit einem Antrag verbunden, eingebracht von CDU/CSU und FDP, in dem fünf Handlungsfelder geschildert werden: Integration der Flüchtlinge, Integration der Spätaussiedler, Förderung der deutschen Minderheiten, Pflege des kulturellen Erbes, früher eher Pflege des Brauchtums, jetzt eher Pflege von Erkenntnis, Verständnis und damit von Wissenschaft, und die weltweite Ächtung von Vertreibung. Wir als Sozialdemokraten finden: Das kann eine Basis dafür sein, nach der positiven Geschichte von 60 Jahren Bundesvertriebenengesetz nach vorne zu denken und nach vorne Politik zu machen, und zwar durchaus in einem Konsens. Ich möchte daran erinnern, dass es Bundeskanzler Gerhard Schröder war, mit dem am 3. September 2000 das erste Mal in Berlin ein sozialdemokratischer Bundeskanzler auf einem Heimattreffen der Vertriebenen sprechen konnte. ({3}) Er hat klare Worte in beide Richtungen gesprochen. Es gab dann eine Fortsetzung mit einer sehr bemerkenswerten Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung am 3./4. September 2008, auf der die nachfolgende Bundeskanzlerin und Innenminister Schäuble herausgearbeitet haben: Welche Pflicht erwächst aus der Geschichte? Was ist in Zukunft die Aufgabe in Bezug auf Anerkennung und Förderung von Minderheiten allgemein wie von deutschen Minderheiten, aber auch die Aufgabe einer Politik in Europa, die insgesamt Verschiedenheit und Vielfalt von Minderheiten als Kriterium aufnimmt und anerkennt? Wir finden es sehr gut, wenn diese Überlegungen nach vorne getragen werden. Ich darf mir allerdings die Bemerkung erlauben: Wir wissen, dass 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz eine große Sache sind, dass es aber mit diesem Bundesvertriebenengesetz nicht 60 Jahre so weitergehen kann; vielmehr muss dieses Gesetz zu einem Gesetz der Versöhnung und der Respektierung von Verschiedenheit und Vielfalt werden. Deshalb ist es gut, dass sich diese Entwicklung in Ihren Anträgen wiederfindet. Ich will nicht weiter darauf eingehen, sondern nur kurz sagen, weshalb wir uns bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten werden. In diesem Antrag konnten Sie leider nicht darauf verzichten, an die unglückselige Debatte um 60 Jahre Charta zu erinnern. Kollege Beck sprach schon von Ihrem fehlleitenden Vorschlag, den 5. August zum Erinnerungstag zu machen. Aber Sie haben eine Entwicklung durchgemacht. Diese geht dahin, dass jetzt der 20. Juni, der Weltflüchtlingstag der UN, zu dem Tag werden soll, an dem wir das Flüchtlingselend politisch diskutieren und den wir mit der politischen Aufgabe verbinden, uns gegen Vertreibung einzusetzen. Es ist auch gut so, dass das Dokumentationszentrum, wie es nach harten Diskussionen gemeinschaftlich getragen wird, diese Verbindung zwischen Flucht, Vertreibung und Versöhnung herstellt. Das Wichtigste aber ist Versöhnung. Ich darf an dieser Stelle noch eine Bemerkung und eine Bitte an den Innenminister richten. Herr Friedrich, Sie haben das sehr nüchtern und respektvoll vorgetragen und müssen doch auch zu der von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Idee stehen, am 20. Juni an Vertreibung und Flüchtlingselend zu erinnern. Deshalb ist es nicht so gut, wenn in Bayern noch versucht wird, statt des 20. Juni wieder etwas Eigenes zu finden. Gerade auch, weil Sie der Innenminister für das ganze Deutschland sind, dürfen wir nicht in die Verschiedenheit der ErDr. Ernst Dieter Rossmann innerung verfallen. Ich spreche Sie direkt an, weil Sie in beiden Bereichen politische Verantwortung mittragen. Zum Schluss möchte ich - vielleicht ist das ungewöhnlich, aber ich sollte ja, wie Kollege Veit gesagt hatte, etwas zu dem wissenschaftlichen und kulturellen Hintergrund von Erinnerungsarbeit sagen - aus der Monografie des Historikers und Osteuropa-Vertreibungsforschers Andreas Kossert „Masuren. Ostpreußens vergessener Süden“ zitieren. Er schreibt im letzten Absatz dieser profunden wissenschaftlichen Erinnerung - ich darf zitieren, Herr Präsident -: Das alte Masuren wird nicht wiedererstehen, aber es scheint, als widerfahre den Masuren - nach einem Jahrhundert politischer Vereinnahmung - nun erstmals historische Gerechtigkeit. Auch wenn es die Masuren nicht mehr gibt: Endlich wird ihre schwierige Lage zwischen Deutschen und Polen gewürdigt, endlich zollt man ihnen den Respekt, den deutscher und polnischer Nationalismus ihnen stets verwehrt haben. Das ist der entscheidende Punkt: Respekt und Versöhnung für Vielfalt und Verschiedenheit. Geert Mak, der große niederländische Publizist,

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- hat es so ausgedrückt: Im letzten Jahrhundert war das erste halbe Jahrhundert das der Kriege und das zweite halbe Jahrhundert das der Überwindung der Kriegsfolgen. Er hat uns aufgegeben, das nächste Jahrhundert zu einem Jahrhundert der Versöhnung zu machen. Wenn Respekt vor 60 Jahren Bundesvertriebenengesetz darin mündet, dass wir den Dialog über emotionale Verschiedenheit hinweg zu Versöhnung führen können, dann hat dieser Erinnerungstag auch im Parlament etwas Gutes erbracht. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun Erika Steinbach für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Wortbeiträge haben eines deutlich gemacht: Es gibt auch im Deutschen Bundestag viele Betroffene, die zu denen gehören, deren Familien vertrieben worden sind. Volker Kauder hat es sehr engagiert und emotional geschildert. Es ist Tatsache, dass ein Viertel der deutschen Bevölkerung Vertriebene sind oder einen familiären Bezug zu dem Thema Vertreibung haben. Das macht auch deutlich, welch gigantischer Vorgang das seinerzeit gewesen ist und welche Aufgaben damit vor diesem Lande gestanden haben. Das Bundesvertriebenengesetz - es lohnt sich, dass wir nach 60 Jahren daran erinnern - hatte den Sinn, den Vertriebenen aus den östlichen Bereichen Europas, die deutsch besiedelt waren, einen angemessenen Platz in dieser Gesellschaft zu verschaffen. Es ging um die Versorgung mit den elementarsten Dingen. Es herrschte wirklich bittere Not. Eben wurde Schleswig-Holstein angesprochen. Meine Mutter hat bis zu ihrem Lebensende nie vergessen - wir sind über die Ostsee in SchleswigHolstein angespült worden -, ({0}) dass ihr, als sie etwas Milch für uns Kleinstkinder brauchte, ein Bauer sagte: Ihr seid ja schlimmer als Kakerlaken. - Auf der anderen Seite sagte ihr ein Arzt, als sie schwer verunglückte und ihm sagte: „Ich habe kein Geld; ich kann das nicht bezahlen“: „Machen Sie sich keine Gedanken! Das hole ich mir von den Bauern in Schleswig-Holstein wieder.“ Es gab also so etwas und so etwas. Es gibt viele Geschichten und viele Schicksale, an die man erinnern kann. Aber wichtig ist, dass wir gemeinsam diese Extremsituation in Deutschland überwinden konnten. Die Integration der vielen Heimatlosen war und ist eines der Ziele dieses Gesetzes. Das sind die ideellen Grundgedanken, die den Vertriebenen nicht mit bloßer Caritas, sondern in Solidarität und Gleichberechtigung entgegengebracht werden sollten. Das unsichtbare Fluchtgepäck der Vertriebenen, wie es die sudetendeutsche Dichterin Gertrud Fussenegger nannte, ihr technisches Know-how, das handwerkliche Können und die 700-jährige oder 800-jährige kulturelle Erfahrung im Neben- und Miteinander mit den slawischen, magyarischen, baltischen oder rumänischen Nachbarn: All das hat Deutschland nachhaltig geprägt. Diese Erfahrungen, so wie sie sich hier in Deutschland zusammengefunden haben, gibt es in dieser Verdichtung in keinem anderen europäischen Land. Aber es war auch das kulturelle Fluchtgepäck, das mitgebracht wurde. Das war nichts, was sofort sichtbar gewesen wäre, sondern es war etwas, was im Kopf und im Herzen aus der Heimat hierher mitgetragen wurde. Es war natürlich hörbar in den regionalen Mundarten, in den Klangfarben. Das hat den Menschen die Integration nicht unbedingt leichter gemacht. Wer in Bayern einen ostpreußischen Dialekt hatte, für den war es bestimmt nicht ganz einfach, kann ich mir vorstellen. Das Gesetz machte und macht deutlich, dass das Kulturgut der Vertriebenen eine gesamtdeutsche Aufgabe ist, ein unverzichtbarer Teil unserer deutschen Identität. Man muss einfach einmal rekapitulieren: Das Erbe der Karls-Universität in Prag hat unser Volk genauso geprägt wie das der Universitäten Königsberg, Breslau, Dorpat, Czernowitz einerseits oder Heidelberg, Tübingen, Mar31280 burg, München, Leipzig, Berlin andererseits. Das gehört alles zusammen. Wenn man das ignorieren würde, hieße das, geistige Wurzeln zu kappen. So war es schon sehr weise, dass Bund und Länder der jungen Bundesrepublik Deutschland mit diesem Gesetz die Verantwortung für das gesamte kulturelle Erbe der Vertreibungsregionen unabhängig von Grenzen und von staatlicher Zugehörigkeit hervorgehoben haben. Dieser gesetzliche Auftrag ist geboren aus der Erkenntnis, dass es ein einheitliches, ein gemeinsames kulturelles Fundament gibt. Das müssen wir auch erkennen: Die schönsten Seiten unseres Vaterlandes liegen doch in unserem kulturellen Reichtum mit vielen unterschiedlichen Facetten und dem schöpferischen Geist, aus vielen Jahrhunderten erwachsen und herausgebildet über Musik, Literatur, Philosophie, Baukunst und Malerei. All das prägt uns, ist ein Teil von uns allen. Vieles, was in den 1950er-Jahren sozial noch dringend und drängend gewesen ist, ist es gottlob heute nicht mehr dank der Gemeinschaftsleistung, die die Vertriebenen, die Aussiedler und die Einheimischen gemeinsam erbracht haben. Diese großartige Gemeinschaftsleistung war und ist nahezu ein Wunder. Der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser hat die Integration der Vertriebenen und der Flüchtlinge als die größte sozialund wirtschaftspolitische Aufgabe bezeichnet, die von der jungen Bundesrepublik gemeistert worden sei. Dem kann jeder zustimmen. Diese Herkulesaufgabe konnte aus zwei Gründen gelingen. Der erste Grund: Die Vertriebenen haben keine Rachegedanken kultiviert, sondern immer und immer wieder manifestiert, dass sie Verständigung wollen. Ich erinnere daran, dass der Bund der Vertriebenen mit seiner Ausstellung „Erzwungene Wege“ die erste Institution in Deutschland war, die im Kronprinzenpalais in Berlin an das Schicksal der vertriebenen Polen und anderer Vertriebener in Europa erinnert hat. Dieser Verband war der Vorreiter, als es darum ging, Anteil daran zu nehmen, was anderen widerfahren ist, beginnend bei dem Genozid an den Armeniern. ({1}) Die Vertriebenen wollten immer Verständigung, schon allein deshalb, weil damit ihre Heimat verbunden war. Der Satz „Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas“ war die Voraussetzung, dass auch die Integration gelingen konnte. Der zweite Grund: Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland unterstützten die ersten zwei Jahrzehnte praktisch einmütig die Anliegen der Vertriebenen und waren sich ihrer Verantwortung sehr bewusst.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Steinbach, Sie müssen zum Schluss kommen.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zum Schluss. - Es gab damals heftige Debatten bis zur Verabschiedung des Gesetzes, und es wurde fast um jeden Paragrafen gerungen. Am Ende stimmten alle zu. Wer nicht zugestimmt hat, das war die Kommunistische Partei, die damals im Deutschen Bundestag gesessen hat. ({0}) Ihre Töne hier stehen in Kontinuität zu dem damaligen Verhalten. ({1}) Ein Gedenktag zum Schicksal von Flucht und Vertreibung: Es hängt nicht am 5. August. Der 20. Juni ist genauso ein guter Tag; Hauptsache, dieser Gedenktag kommt. Danke. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Memet Kilic ist der nächste Redner für die Fraktion der Grünen.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem 60. Jahrestag des Bundesvertriebenengesetzes gedenken wir des Leides von 14 Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren hatten. Sie sind letztendlich zum Spätopfer von dem geworden, was die Nazis angerichtet haben. Der 60. Jahrestag ist nicht nur ein Grund zum Gedenken oder dafür, die Errungenschaften des Bundesvertriebenengesetzes zu feiern, sondern auch der richtige Zeitpunkt dafür, die rechtliche Grundlage zeitgemäß anzupassen. Dieses Gesetz privilegiert Vertriebene mit deutscher Abstammung im Vergleich zu anderen Einwanderern. Beispielsweise werden Spätaussiedler aus Russland gegenüber anderen russischen Staatsbürgern bei der Einbürgerung und Anerkennung von Qualifikationen privilegiert, obwohl die Herkunft und Qualifikation exakt dieselbe ist. Unter anderem wird auch bei der Einwanderung und der Rente zwischen diesen Gruppen unterschieden - und das allein wegen der Vorfahren. So eine Unterscheidung ist nicht mehr zeitgemäß, meine Damen und Herren. ({0}) Die Bundesregierung möchte den Nachzug von Familienangehörigen von Spätaussiedlern vereinfachen. Dazu möchte die Bundesregierung eine Härtefallregelung einführen. Dieses Anliegen unterstützen wir. Bereits im Jahr 2011 haben wir Grünen einen Änderungsantrag zu den geforderten Deutschkenntnissen eingebracht. Wir sind aber einen Schritt weiter gegangen als die Bundesregierung. Wir haben gefordert, dass generell keine Deutschkenntnisse mehr für den Nachzug gefordert werden. ({1}) Statt aber unserem Antrag zuzustimmen, haben Sie zwei Jahre lang sozusagen auf dem Leid der Menschen gesessen und gewartet, damit Sie drei Monate vor der Bundestagswahl den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern eine Aktion vorgaukeln können. Aber diese Menschen haben die Nase voll von Ihren leeren Worthülsen, liebe Koalitionsparteien! ({2}) Im Petitionsausschuss erreichen uns viele Petitionen, in denen Familien ihr schweres Leid durch ungewollte Trennungen vortragen. In vielen Fällen wird der Familiennachzug verwehrt, weil es an den erforderlichen Deutschkenntnissen mangelt. Insbesondere älteren Menschen, Personen mit wenig Bildungserfahrung und Menschen aus strukturschwachen ländlichen Gebieten fällt der Spracherwerb im Ausland oft sehr schwer. Diese Petitionen betreffen Spätaussiedler, aber nicht nur Spätaussiedler, sondern zum Beispiel auch die brasilianische Ehefrau eines Deutschen. Die Menschen beklagen die Härten einer jahrelangen Trennung, die das deutsche Einwanderungsrecht ihnen zumutet. Die Zeit ist gekommen, grundsätzlich zu prüfen, ob so ein Gesetz mit dem Aufenthaltsgesetz verschmolzen werden sollte. Solange diese Verschmelzung noch nicht durchgeführt ist, müssen wir dafür sorgen, dass dieses Gesetz zeitgemäß angepasst wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Brähmig für die CDU/CSU. ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Während der Bundestag heute über ein Gesetz debattiert, das vor 60 Jahren in Kraft getreten ist, kämpft Deutschland weiter gegen das Hochwasser an. Wir verlieren dabei den Blick für die aktuellen Nöte der Menschen nicht aus den Augen. So bekräftigte Bundespräsident Gauck bei seinem kürzlichen Besuch in der schwer geschädigten Stadt Halle, dass Deutschland ein solidarisches Land sei. Es ist dieser Zusammenhalt, der besonders uns Deutsche auszeichnet, und das ist ein Kernpunkt der jetzigen Debatte. Meine Damen und Herren, gerade in diesen Zeiten gilt es, an die Solidarität zu erinnern, mit der wir bereits andere nationale Katastrophen bewältigt haben. Dafür stehen die herausragenden Beispiele des Bundesvertriebenengesetzes von 1953 und des ihm vorausgegangenen Lastenausgleichsgesetzes von 1952. Die vorbildliche Leistung der Vertriebenen beim Wiederaufbau unseres Landes möchte ich hierbei ausdrücklich würdigen. Es ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Die Kriegsfolgenbewältigung war für den Deutschen Bundestag und sämtliche Bundesregierungen stets ein zentrales Anliegen, zu der vorrangig die Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus gehören. Dazu zählt auch die Solidarität mit den Deutschen, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit ein besonders schweres Schicksal erlitten haben. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion ist die einzige Fraktion, die seit 1949 eine soziologische Gruppe eingerichtet hat, die sich in der 17. Legislaturperiode neu aufgestellt hat. Die Gruppe konnte ihre Mitgliederzahl verdoppeln und umfasst nunmehr 70 Abgeordnete. Wir erkennen damit nach wie vor das Kriegsfolgenschicksal an, aus dem sich eine Einheit aus Vertriebenen, Aussiedlern und deutschen Minderheiten ergibt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Gruppe ist maßgeblich daran beteiligt, dass die Solidarität durch Hilfen bei der Eingliederung der 12 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen sowie der Aufnahme und Integration von bisher etwa 4,5 Millionen Aussiedlern eingelöst wurde und wird. Dass wir weiterhin zu der historisch-moralischen Verpflichtung nach Art. 116 Grundgesetz stehen, hat unsere Koalition mit der neunten und zehnten Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes eindeutig unter Beweis gestellt. Beide Initiativen dienen der Vermeidung von Härtefällen bei der Familienzusammenführung von Spätaussiedlern. Hier hat sich das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten bewährt. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Christoph Bergner und unserem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ganz herzlich für die intensive Kooperation. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koalition hat in dieser Legislaturperiode auch bei der Kulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes nachhaltig in den Erhalt und die Pflege des deutschen Kulturerbes im östlichen Europa investiert. Der aktuelle Bericht der Bundesregierung belegt dies faktenreich. Zudem hat der Wissenschaftsrat in einer Strukturuntersuchung im Januar 2013 festgestellt, dass die außeruniversitäre historische Osteuropaforschung, zu der die sogenannten 96er-Einrichtungen gehören, weltweit einzigartig ist und international hohes Ansehen genießt. Es ist das große Verdienst von Staatsminister Bernd Neumann, der übrigens aus Westpreußen stammt, dass der Mitteleinsatz von knapp 13 Millionen Euro im Jahr 2005 auf jetzt 20 Millionen Euro angehoben wurde und damit fast das Niveau von 23 Millionen Euro der letzten christlich-liberalen Regierung im Jahr 1998 erreicht. Erstmals hat unsere Gruppe alle nach § 96 geförderten Einrichtungen besucht und teilweise Modernisierungsbedarf festgestellt. Dies wird die Aufgabe der kommenden Legislaturperiode sein. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass ein Sudetendeutsches Museum in München entsteht, und wir werden uns außerdem dafür einsetzen, dass ein Museum für die Geschichte der Russlanddeutschen errichtet wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das zentrale Gedenkvorhaben der Bundesregierung in diesem Bereich - die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist jetzt auf einem guten Weg. Die Bundeskanzlerin hat vorgestern mit dem Startsignal für den Baubeginn im Deutschlandhaus einen weiteren Meilenstein zur Verwirklichung des Dokumentationszentrums gesetzt. Damit unterstreicht die Bundesregierung ihre besondere Verantwortung für dieses wichtige Versöhnungsprojekt, das der Initiative von Erika Steinbach und Peter Glotz zu verdanken ist und welches von unserer Gruppe parlamentarisch begleitet wird. Die öffentliche Reaktion auf den Baubeginn der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat erfreulicherweise gezeigt, dass wir in dem Erinnerungsdiskurs weitergekommen sind. So resümiert die Frankfurter Rundschau - ich zitiere -: Es gibt wohl nur noch wenige, die die Relevanz einer Einrichtung bestreiten, die an die verheerenden Vertreibungen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern soll. Im Kontext einer internationalen Genozidforschung wird inzwischen auch dem Leid der deutschen Vertreibungsopfer Rechnung getragen, obwohl es ja gerade die Deutschen waren, die den mörderischen Vertreibungswahn auslösten und forcierten. Meine Damen und Herren, es ist ebenso an der Zeit, endlich die Versöhnung der Deutschen beim Thema Flucht und Vertreibung mit sich selbst zu vollenden und der Erlebnisgeneration noch eine Chance zu geben, ihren Frieden schließen zu können. Daher sprechen wir uns neben der rechtlichen auch für eine gesellschaftliche Anerkennung des Schicksals der Heimatvertriebenen aus, getragen von einer breiten Zustimmung im Deutschen Bundestag. Wir wollen außerdem, dass Vertreibung weltweit geächtet wird. ({1}) Der bestehende Flüchtlingstag am 20. Juni soll daher um das Gedenken an Heimatvertriebene erweitert und auf nationaler Ebene begangen werden. Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen erinnere ich an ihre Äußerung zum Weltflüchtlingstag im Rahmen der Debatte im Jahr 2011 zu unserem Antrag „60 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen“. Den Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion lege ich die Erklärung des Abgeordneten Richard Reitzner zur Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes ans Herz, der sagte, dass die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Bundesvertriebenengesetz trotz Bedenken zustimme. Ich möchte aus dem Plenarprotokoll vom 25. März 1953 zitieren. Richard Reitzner sagte damals: Bei ihrer Mitarbeit in den Ausschüssen und in der zweiten und dritten Lesung ist die sozialdemokratische Bundestagsfraktion von der Absicht geleitet gewesen, die Rechte der Heimatvertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge konsequent wahrzunehmen. Zum Abschluss möchte ich noch herzlich meinen Kollegen Günter Krings, Hans-Peter Uhl, Patrick Kurth und besonders Herrn Staatsminister Michael Link für die vertrauensvolle Zusammenarbeit danken. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Stephan Mayer, ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir begehen heute das 60-jährige Bestehen des Bundesvertriebenengesetzes. Ich glaube, man kann wirklich mit Fug und Recht behaupten: Das Bundesvertriebenengesetz war ein solides und wesentliches Fundament für die erfolgreiche Integration von 8 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die in der damaligen Bundesrepublik Deutschland angekommen sind. Die Voraussetzungen - das möchte auch ich noch einmal erwähnen - waren denkbar ungünstig. Es war in keiner Weise so, dass die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge willkommen waren. Ich weiß das auch von den Schilderungen meiner Großeltern, die aus dem Sudetenland stammten. Die Heimatvertriebenen kamen in ein Land, das materiell, ideell und moralisch am Boden lag. Gerade die Bevölkerung in Bayern hungerte. Da war es alles andere als angenehm, dass zusätzlich 3 Millionen Heimatvertriebene kamen, die Arbeit, neue Chancen und Perspektiven suchten und natürlich auch essen wollten. 1949 wollten 85 Prozent der Heimatvertriebenen wieder in die alte Heimat zurück. Selbst 17 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1962, wollten 52 Prozent der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in die alte Heimat zurück. Es war noch Mitte der 50erJahre ein Drittel aller Heimatvertriebenen arbeitslos. 600 000 Heimatvertriebene waren Fürsorgeempfänger. Man kann daher wirklich mit Fug und Recht behaupten: Es ist eine Erfolgsgeschichte Deutschlands, dass die Integration von 8 Millionen Heimatvertriebenen in Westdeutschland erfolgreich funktioniert hat. ({0}) Auf diese Erfolgsgeschichte können alle stolz sein, unabhängig davon, ob sie selbst einen Vertriebenenhintergrund haben oder nicht. Denn der Plan Stalins war doch ein ganz anderer: Der perfide Plan Stalins war es, dass die Heimatvertriebenen als Spaltpilz in der deutStephan Mayer ({1}) schen Gesellschaft wirken sollten. Ziel der Sowjetunion war, dass die Heimatvertriebenen dazu beitragen sollten, dass Westdeutschland kollabiert. Dass genau das Gegenteil eingetreten ist, dass die Heimatvertriebenen angepackt und entscheidend dazu beigetragen haben, Deutschland wieder aufzubauen und unser Wirtschaftswunder zu ermöglichen, ist etwas, worauf alle stolz sein können. Das ist ein herausragendes Kapitel unserer Nachkriegsgeschichte. ({2}) Bedauerlicherweise war das Schicksal der 4 Millionen Heimatvertriebenen, die in die ehemalige DDR kamen, ein anderes. Deren Schicksal wurde unterminiert. Sie wurden euphemistisch als Umsiedler oder Neubürger bezeichnet. Jegliche Erinnerungs- und Trauerarbeit wurde vermieden und ausgeblendet. Das, verehrte Kollegin Jelpke, ist unsäglich. Auch daran sollte man heute erinnern. ({3}) Der Bund hat durch die Mittel nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes maßgeblich dazu beigetragen, dass die Pflege des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen weiterhin ermöglicht wurde. Ich möchte an dieser Stelle insbesondere allen Landsmannschaften und den Heimatgruppen für das, was sie in den vergangenen sechs Jahrzehnten geleistet haben, danken. Es ist eine herausragende Arbeit, die wirklich große Anerkennung und höchsten Respekt verdient. Es war eine lebendige Kulturarbeit, die dazu beitrug, dass die Vertriebenenarbeit nicht musealisiert wurde. Landesmuseen sind wichtig; keine Frage. Sie sind eine wichtige Säule. Aber daneben bedarf es auch einer lebendigen und aktiven Kulturarbeit sowie einer aktiven Pflege des Brauchtums und der Traditionen. Dies wurde insbesondere durch die Vergabe von Mitteln gemäß § 96 BVFG möglich. Man muss an der Stelle auch erwähnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass sich ab 1998, als Rot-Grün das Ruder übernahm, ein deutlicher Einbruch bei den sogenannten 96er-Mitteln vollzogen hat. Der Titel der 96er-Mittel diente der rot-grünen Koalition als Steinbruch und ist in den sieben Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung um sage und schreibe 45 Prozent gesenkt worden, von gut 23 Millionen Euro auf knapp 13 Millionen Euro. ({4}) Umso erfreulicher ist es, dass es seit 2005 gelungen ist, die 96er-Mittel sukzessive zu erhöhen. Sie betragen jetzt 20 Millionen Euro. Ich glaube, das kann sich sehen lassen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Es ist auch erfreulich, dass der lange und beschwerliche Weg zum Bau des Dokumentationszentrums der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung jetzt erfolgreich abgeschlossen wurde. Ich darf hier sagen: Alle Bemühungen und alle Anstrengungen, so schwer und umfangreich sie auch waren, haben sich letzten Endes gelohnt. Es ist schön, dass der offizielle Baubeginn am Dienstag in Anwesenheit unserer Bundeskanzlerin zelebriert werden konnte. Ich glaube, es ist ein schönes Signal, dass wir mit dem Dokumentations- und Begegnungszentrum in der Mitte Berlins eine Lücke der deutschen Erinnerungskultur schließen. ({6}) Ich verbinde mit der Grundsteinlegung und dem offiziellen Baubeginn die Hoffnung, dass dieses Zentrum als Begegnungsstätte für die junge Generation dienen wird; denn ich bin der festen Überzeugung, dass insbesondere die Heimatvertriebenen und deren Nachkommen als Brückenbauer fungieren können: Sie können Brücken nach Osteuropa bauen und zu einer Verständigung mit den jungen Menschen in den osteuropäischen Ländern beitragen. Ich möchte betonen, dass der Gedanke, dass das eine Unrecht das andere Unrecht nicht rechtfertigt, wesentlicher Bestandteil der Ausstellung im Begegnungszentrum sein wird. Natürlich gab es schwerwiegende Naziverbrechen. Aber auch ich möchte, weil es in der heutigen Debatte in manchen Reden leider mit dem falschen Zungenschlag begleitet wurde, betonen: Das eine Unrecht rechtfertigt nicht das andere Unrecht. ({7}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich hervorheben, dass es uns gelungen ist, eine zehnte Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes voranzubringen. Wir schließen mit der Verbesserung einer Härtefallregelung eine Lücke und ermöglichen damit, dass verbliebene Angehörige von Spätaussiedlern jetzt ebenfalls nach Deutschland reisen können. Da geht es nicht um 20- oder 30-Jährige, sondern um hochbetagte Menschen, die häufig krank oder behindert sind und aufgrund dessen nicht Deutsch lernen oder sprechen können. Wir sind zur Auffassung gelangt, dass ihnen dies nicht zum Nachteil gereichen darf. Ich möchte mich bei der FDP ganz herzlich dafür bedanken, dass es jetzt noch möglich war, diese Änderung zu vollziehen. Wir setzen damit ein schönes Signal in Richtung der Spätaussiedler und Aussiedler.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt gibt es die Möglichkeit für noch ausstehende Familienzusammenführungen. Ein herzliches Dankeschön dafür. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Strobl hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Tagen, am Dienstag, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatsminister Bernd Neumann den Beginn des Baus des Dokumentationszentrums der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Berliner Deutschlandhaus an der Stresemannstraße eingeläutet. Dieser Baubeginn ist im Hinblick auf die Erinnerungskultur in Deutschland ein bedeutendes Ereignis. Ich möchte unserem Koalitionspartner und allen, die mitgewirkt haben und über viele Jahre und Debatten hinweg einen langen Atem hatten, Danke schön sagen. Ich möchte dem verstorbenen Sozialdemokraten Peter Glotz und unserer Kollegin Erika Steinbach Dank sagen dafür, dass wir den Baubeginn in dieser Woche vornehmen konnten. ({0}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes vor 60 Jahren haben sich Bund und Länder verpflichtet, Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nicht dem Vergessen preiszugeben. Jede Bundesregierung hat sich dieser Aufgabe verpflichtet gefühlt. Diese Bundesregierung hat den Auftrag sehr ernst genommen und ihn mit großer Überzeugung und Leidenschaft angenommen. Seit der Übernahme der Regierung 2005 haben wir die finanziellen Mittel für Pflege und Erhalt des Kulturguts Jahr für Jahr maßvoll erhöht. Der Etat des Kulturstaatsministers Neumann betrug 2006 13 Millionen Euro, in diesem Jahr stehen mehr als 20 Millionen Euro zur Verfügung, und das trotz aller Sparmaßnahmen und trotz der Haushaltskonsolidierung. Das ist das Markenzeichen dieser Regierung: auf der einen Seite Haushaltskonsolidierung und finanzielle Solidität und auf der anderen Seite klare Schwerpunktsetzung dort, wo es uns wichtig ist. Das haben wir in den letzten Jahren so gemacht, und das wird eine unionsgeführte Bundesregierung in den nächsten Jahren fortsetzen. ({1}) Für die Pflege und den Erhalt unseres kulturellen Erbes ist besonders das Angebot an junge Menschen wichtig. Jeder vierte Deutsche hat Wurzeln in den ehemaligen deutschen Gebieten oder Siedlungsräumen, und die nachfolgenden Generationen interessieren sich für das Leben ihrer Vorfahren. Unsere Schwerpunktsetzung spiegelt deshalb den Wunsch wider, Antworten gerade auf die Fragen der jungen Generation zu geben. Wir betreiben deshalb wissenschaftliche Nachwuchsförderung. Wir sind stolz darauf, den Wissensdurst der Nachwuchswissenschaftler durch Stiftungs- und Juniorprofessuren, Projektförderprogramme und internationalen Austausch anfachen zu können. Die Resonanz auf diese Angebote ist überwältigend. Die Anzahl hochwertiger Projektanträge übersteigt die Fördermöglichkeiten bei weitem. All das Wissen wäre aber fruchtlos, wenn es nicht vermittelt werden würde. Deshalb stellt die Weitergabe von gewonnenem Wissen den zweiten Förderschwerpunkt des § 96 BVFG dar. Die späteren Lehrer, Museologen, Theatermacher, Journalisten und Politikberater sollen an den Universitäten mehr über das Kulturgut der Deutschen im östlichen Europa erfahren, damit sie dieses Wissen weitertragen können. Kultur und Geschichte der deutschen Minderheiten, genauso wie Flucht und Vertreibung, werden in den Schulen leider nur untergeordnet behandelt. Umso positiver ist die Nachricht, dass sich die Geschichtsmuseen bei der jüngeren Generation einer wachsenden Beliebtheit erfreuen. Diesseits wie jenseits der heutigen Staatsgrenzen wächst gerade bei jungen Menschen das Interesse an der gemeinsamen europäischen Geschichte. Die Modernisierung von Museen in Deutschland, aber auch in den Herkunftsländern treiben wir deswegen mit Engagement voran. Es gibt einen dritten Schwerpunkt. Wir unterstützen mit unseren Mitteln auch in unseren Nachbarländern den Erhalt deutschen Kulturguts; denn dort wächst ebenfalls das Interesse am Erbe der deutschen Minderheiten, die ihre Lebensräume nicht selten nachhaltig geprägt haben. Mit der Restaurierung von Kulturdenkmälern oder der Sicherung von Bibliotheken und Archiven stärken wir darüber hinaus die Identität der heute noch dort lebenden deutschen Minderheiten. Wir als Union haben uns lange einen eigenen Gedenktag für die Vertreibung von 14 Millionen Deutschen gewünscht. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Versöhnung in Deutschland inzwischen so weit fortgeschritten ist, dass dem Schicksal von 14 Millionen Deutschen, das sich als Folge des Zweiten Weltkrieges ergab, frei von revisionistischen Gedanken gedacht werden kann. Gleichzeitig sind wir uns unserer historischen Verantwortung bewusst. Wir wissen, etwa durch die Berichte aus Syrien, dass solches Leid auch heute Millionen von Menschen heimsucht. Nicht alle unsere Wünsche sind in Erfüllung gegangen, aber es ist richtig, jetzt im Rahmen des internationalen Weltflüchtlingstages das Gedenken an die deutschen Heimatvertriebenen zu begehen. Wir hoffen, dass sich der Deutsche Bundestag mit einer breiten Mehrheit für das Gedenken an die Vertreibung der Deutschen ausspricht. Das wäre neben dem Baubeginn des Dokumentationszentrums in dieser Woche ein schönes, parteiübergreifendes Geburtstagsgeschenk anlässlich 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksa- che 17/13883 mit dem Titel „60 Jahre Bundesvertriebe- nengesetz - Erinnern an die Opfer von Vertreibung“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag angenommen bei Zustimmung durch die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Dagegen war die Fraktion Die Linke. Enthalten haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesvertriebenen- gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/13937, den Ge- setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/10511 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Dagegen hat niemand gestimmt. Alle übrigen Fraktionen haben zugestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13777 an die Ausschüsse vorgeschla- gen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 o sowie Zusatzpunkt 2 auf: 8 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Hermann E. Ott, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes ({0}) - Drucksache 17/13757 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})- Finanzausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Graf ({2}), Wolfgang Gunkel, Ullrich Meßmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimawandel gefährdet Menschenrechte - Drucksache 17/13755 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3})- Innenausschuss - Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Ausschuss für Gesundheit - Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Hermann E. Ott, Hans-Josef Fell, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Emissionshandel stärken - Überschüssige Zer- tifikate vom Markt nehmen - Drucksache 17/13907 - d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Hermann E. Ott, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erfolgreicher Klimaschutz braucht neue Maß- nahmen - Drucksache 17/13758 - e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Entwicklungsländern - Drucksache 17/13884 - f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorle- gen - Drucksachen 17/4040, 17/7010 - Berichterstattung:- Abgeordnete Daniela Ludwig g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bangladesch bei der Bewältigung des Klima- wandels unterstützen - Drucksache 17/12848 - h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz Doha - Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter - Drucksachen 17/11651, 17/12743 31286

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Andreas Jung ({0})- Frank Schwabe- Michael Kauch- i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Waltraud Wolff ({2}), Dr. Wilhelm Priesmeier, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Herausforderung Klimawandel - Landwirtschaft 2050 - Drucksachen 17/1575, 17/4888 Buchstabe a Berichterstattung:Abgeordnete Johannes RöringWaltraud Wolff ({3})- Dr. Edmund Peter Geisen- Dr. Kirsten Tackmann- j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Ulrich Kelber, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Biomethan im Verkehrssektor fördern - Drucksachen 17/3651, 17/8414 - Berichterstattung:- Abgeordnete Daniela Ludwig k) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ein nationales Klimaschutzgesetz - Verbindlichkeit stärken, Verlässlichkeit schaffen, der Vorreiterrolle gerecht werden - Drucksachen 17/3172, 17/13850 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({6})- Dirk Becker- Michael Kauch- Eva Bulling-Schröter- l) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nach Cancún - Europäische Union muss ihr Klimaschutzziel anheben - Drucksachen 17/5231, 17/13824 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({8})- Dirk Becker- Michael Kauch- Eva Bulling-Schröter- m) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Mit ambitionierten Verbrauchsgrenzwerten die Ölabhängigkeit verringern - Drucksachen 17/10108, 17/11846 - Berichterstattung:- Abgeordneter Oliver Luksic n) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Kerstin Müller ({11}), Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Initiative für transatlantische Kooperation in der Klima- und Energiepolitik - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Viola von CramonTaubadel, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN China als wichtiger Partner im Klimaschutz - Drucksachen 17/7356, 17/7481, 17/13930 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({12})- Dirk Becker- Michael Kauch- Eva Bulling-Schröter- o) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energetische Quartierssanierung sozialgerecht voranbringen - Drucksachen 17/11205, 17/13827 Berichterstattung:Abgeordnete Petra Müller ({14}) ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({15}) zu Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grünlanderhalt ist Klimaschutz - Drucksachen 17/11028, 17/13148 Berichterstattung:Abgeordnete Johannes RöringDr. Wilhelm PriesmeierDr. Christel Happach-KasanAlexander SüßmairCornelia Behm Verabredet ist, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir legen heute den Entwurf eines umfassenden Klimaschutzgesetzes für Deutschland vor. Ich muss sagen: Wir haben nicht geahnt, wie dramatisch aktuell dieser Gesetzentwurf heute sein würde. Ich sage das, weil ich heute früh im Radio gehört habe, dass zum Beispiel in Sachsen-Anhalt Dörfer evakuiert wurden, dass Familien, die gerade noch das Essen für Helferinnen und Helfer in der Nähe vorbereiteten, urplötzlich schnell eine Tasche packen mussten, weil sie weg mussten. Sonst erscheint Klimaschutz immer abstrakt. Man redet über das 2-Grad-Ziel oder die Reduktion des CO2Ausstoßes um 95 Prozent bis zum Jahr 2050. Das sind alles abstrakte Zahlen. Aber am Ende und gerade jetzt ist ganz entscheidend, ob das Haus noch steht, ob der Acker noch fruchtbar ist, ob das Unternehmen noch funktionsfähig ist. Viele Menschen an der Donau, an der Elbe und an anderen Flüssen erleben jetzt, was es heißt, wenn die Natur nicht mehr beherrschbar ist, wenn zerstört wird, was man sich erarbeitet hat. Jetzt will ich gar nicht behaupten, dass jede Flut Folge des Klimawandels ist; aber die Häufung der Wetterextreme, die Häufung von Dürren und Hochwasser, die Tatsache, dass wir an der Elbe 2002, 2011 und 2013 Jahrhunderthochwasser hatten bzw. haben, das alles ist die Folge des Klimawandels, der Klimaerwärmung; das ist menschengemacht. ({0}) Wir alle sind von der Flut betroffen, und wir alle wollen mit aller Kraft beim Wiederaufbau helfen; das sage ich ganz klar. Deshalb erwarte ich, dass die Kanzlerin beim Treffen mit den Ministerpräsidenten heute Nachmittag nicht nur einen abstrakten Vorschlag für einen Fluthilfefonds vorlegt. Ich erwarte, dass bei dem heutigen Treffen ein konkreter Vorschlag vorgelegt wird ({1}) hinsichtlich der hälftigen Aufteilung der Kosten von 8 Milliarden Euro zwischen Bund und Ländern. Ich erwarte aber auch - das sind Sie bisher schuldig geblieben -, dass ein konkreter Plan vorgelegt wird, wie der Bund seinen Anteil aus dem Haushalt finanzieren will und wie der Bund den Ländern helfen will, damit sie ihren Teil unter Beachtung der Schuldenbremse finanzieren können. ({2}) Ich sage Ihnen: Kommen Sie uns bitte heute nicht mit einer Vertagung oder einem Verschieben, sondern machen Sie heute einen konkreten Vorschlag, damit wir bis Ende nächster Sitzungswoche hier im Bundestag über ein entsprechendes Gesetz entscheiden können. ({3}) - Die Länder werden auch zahlen. ({4}) Ich weiß, dass es da eine Menge Diskussionen gibt. Trotz alledem muss der Bund an der Stelle den Ländern helfen, es organisatorisch zu stemmen. Aber das ist nicht die ganze Aufgabe. Die mindestens so große Aufgabe heute - auch für diese Bundesregierung - ist es, dafür Sorge zu tragen, dass man nicht in einigen Wochen und Monaten wieder in den alten Trott zurückfällt. Der alte Trott hat bedeutet, dass seit Jahren viel zu wenig für den Hochwasserschutz getan wurde; es wurde genug geplant, aber zu wenig umgesetzt oder koordiniert. An der Stelle will ich meine zweite Erwartung an diese Bundesregierung klar formulieren. Wir wissen - das ist die Lehre aus diesen Jahrhundertfluten -, dass es nicht allein ausreichend ist, höhere Deiche zu bauen und damit das Problem flussabwärts zu verlagern. Wir brauchen Retentionsflächen, Auenwälder müssen renaturiert werden, wir brauchen ökologischen Hochwasserschutz. Wir brauchen eine Bundesregierung, die das auch gezielt in die Hand nimmt und diese Aufgaben nicht der Kleinstaaterei überlässt, meine Damen und Herren. ({5}) Viele Pläne sind gemacht worden. Sachsen sollte zum Beispiel seit 2002 über 500 Millionen Euro für Überflutungsflächen entlang sächsischer Gewässer ausgeben. Von den 500 Millionen Euro sind am Ende nur 5 Millionen Euro wirklich ausgegeben worden. Die klare Forderung ist: Der Bund muss seiner Koordinierungsaufgabe nachkommen. Wir brauchen einen Masterplan für ökologischen Hochwasserschutz, der zum Ziel hat, Flächenversiegelungen an den Flussoberläufen zu verhindern. Der ökologische Hochwasserschutz muss in Zukunft Priorität haben. Daran werden Sie gemessen. ({6}) Neben der Finanzierung, der Prioritätensetzung und der Schaffung eines Masterplans für ökologischen Hochwasserschutz ist auch der Punkt wichtig - dieser ist Bestandteil des Gesetzentwurfs, den wir heute vorlegen -, in Deutschland dafür Sorge zu tragen, dass es einen Stopp beim Anstieg der CO2-Emissionen gibt. Wir müssen in den nächsten Jahrzehnten zu einer umfassenden Reduzierung kommen. Diese Bundesregierung hat gesagt: 40 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020 ist ein sinnvolles Ziel. - Aber es ist dann bei der Zielformulierung geblieben. Wo sind die Taten? ({7}) Da wird der Emissionshandel an die Wand gefahren, dicken Autos soll weiterhin Vorfahrt gewährt werden so werden wir die angestrebte Reduzierung um 40 Prozent nicht erreichen. Ich sage Ihnen klar: An den Taten, nicht an den Worten werden Sie, werden wir gemessen. ({8}) Es reicht nicht aus, sich selbst zur Klimakanzlerin zu deklarieren oder - wie Altmaier - noch einen neuen Club der Energiewende-Staaten zu gründen. Heute steht auf der Tagesordnung ein nationales Klimaschutzgesetz, ein konkretes Instrument, das wirklich zeigt, wie man die Reduktion um 40 Prozent erreichen kann, und das ganz eindeutige Sektorziele für Strom, Wärme, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft nennt. Einen solchen Klimaschutz sind wir den Menschen schuldig, die jetzt unter dem Hochwasser leiden, genauso wie wir es nachfolgenden Generationen schuldig sind. ({9}) Deshalb will ich kein weiteres Gerede. Ich will auch nicht, dass es demnächst wieder heißt: Ach, Klimaschutz, das führt wieder zu Belastungen im Alltag. - Ja, wir werden anders produzieren, anders transportieren, anders leben, anders wohnen und uns in Zukunft anders ernähren müssen. Wir haben die Aufgabe, klar zu sagen: Nur wenn wir diese Änderungen vornehmen, wenn wir den Klimaschutz durch einen Lebens- und Produktionswandel vorantreiben, wenn wir schädliche Subventionen abbauen und endlich auf Effizienz und Erneuerbare setzen, können wir wirklich Klimaschutz betreiben und den Versuch unternehmen, Hochwasser, wie wir es gerade erleben, zu verhindern. ({10}) Ich sage auch: Wir brauchen nicht nur verlässliche Reduktionsziele, die die Energiewende begleiten, sondern wir brauchen natürlich auch Planungssicherheit für die Wirtschaft, damit klar ist, wo der Weg langgeht. In diesen von mir genannten Bereichen müssen wir jetzt tätig werden. Wir müssen es endlich anpacken mit einem Klimaschutzgesetz, durch das die Lasten fair verteilt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage Ihnen als letzten Satz: Wann, wenn nicht in diesen Tagen, erwarten die Menschen zu Recht von uns, dass es jetzt endlich mit dem Klimaschutz losgeht? ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andreas Jung hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle verfolgen mit Betroffenheit die Bilder aus den Hochwassergebieten. Deshalb ist jetzt die Stunde, den betroffenen Menschen, die in Not sind, zu helfen. Das tut die Bundesregierung. Dafür hat sie die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({0}) Das ist das, was jetzt getan werden muss. Natürlich geht es auch darum, die Konsequenzen aus dieser Situation zu ziehen und zu fragen: Wo kann man noch mehr für Hochwasserschutz tun? Was muss in Abstimmung von Kommunen, Ländern und Bund noch mehr auf den Weg gebracht werden? Ich glaube, es ist eine gemeinsame Aufgabe, dieses Thema anzugehen und dafür zu sorgen, dass wir das nächste Mal besser auf solch ein Hochwasser vorbereitet sind. Man kann nicht bei jeder Flut - was die Kollegin Künast zu diesem Punkt gesagt hat, ist selbstverständlich richtig - eine Kausalität zum Klimawandel herstellen, aber Fakt ist, dass uns die übergroße Zahl der Wissenschaftler sagt, dass es einen Zusammenhang gibt und dass wir durch den fortschreitenden Klimawandel immer mehr extreme Wetterereignisse haben und sich solche Fluten häufen. Deshalb ist selbstverständlich eine Konsequenz aus dieser Katastrophe, dass wir gemeinsam den Klimaschutz entschieden weiter voranbringen wollen. ({1}) Ich würde nur Ihrer Wortwahl widersprechen, Frau Kollegin, wenn Sie sagen, dass wir jetzt endlich anfangen müssen. Deutschland hat schon lange mit Klimaschutz angefangen. ({2}) Andreas Jung ({3}) - Auch mit Ihnen. - Wir sind über unterschiedliche Bundesregierungen hinweg, ungeachtet der jeweiligen parteipolitischen Farbe, Vorreiter im Klimaschutz in Europa und international. Sie haben außerdem gesagt, dass es Ihnen nicht um Worte geht, sondern um Taten und Fakten. Deshalb beginnen wir einmal mit den Fakten. Deutschland hat sich im Kioto-Protokoll zu einem ehrgeizigen Ziel verpflichtet, nämlich bis 2012 die CO2-Emissionen um 21 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Damit haben wir uns zu mehr verpflichtet als andere, und wir haben diese Verpflichtung nicht nur erfüllt, sondern wir haben sie übererfüllt. ({4}) Mit minus 25 Prozent haben wir mehr erreicht, als wir uns vorgenommen hatten. Ich finde, da sollte man nicht meckern, sondern man sollte sich gemeinsam darüber freuen. ({5}) Die nächste Frage ist natürlich, wie wir jetzt darauf aufbauen können. Es ist doch auch wahr, dass wir über alle Bundesregierungen hinweg mit allen Parteien gemeinsam für ein international verbindliches Abkommen geworben haben bzw. werben, bei dem alle, die USA, China und andere Partner, mit ins Boot kommen und in dessen Rahmen wir global diese auch nur global zu lösende Frage angehen und sagen: Ja, international machen wir engagierten Klimaschutz und gehen voran. Es ist doch richtig - Sie haben den Club der Energiewende-Staaten angesprochen -, auf diesem Weg Partner um sich herum zu sammeln und Verbündete zu finden. Deshalb begrüßen wir es, dass Peter Altmaier einen Club der Energiewende-Staaten gegründet hat und alle die mit ins Boot geholt hat, die mit uns gemeinsam diesen Weg gehen wollen. Das ist doch ein Fortschritt. Sie haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem Sie sagen: Für die Klimapolitik müssen wir eine Partnerschaft mit China aufbauen und verstärken. - Da ist es doch ein Fortschritt, dass China sich bereit erklärt hat, diesem Club beizutreten. ({6}) Andere Staaten, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte, sind ebenfalls beigetreten. Deutschland ist hier führend, Deutschland drängt auf ein solches Abkommen. Ein solches Abkommen ist wichtig, auch als Konsequenz aus der aktuellen Situation. ({7}) Kommen wir zum Emissionshandel. Ich gebe Ihnen recht: Beim Emissionshandel müssen wir mehr machen als bisher. ({8}) Wir müssen die Geburtsfehler des Emissionshandels beheben. Es ist richtig, wenn der Bundesumweltminister fordert - das ist auch meine Position -, den Backloading-Vorschlag der Europäischen Kommission zu unterstützen. ({9}) Als Ultima Ratio brauchen wir einen Eingriff in den Emissionshandel. Die Opposition weist darauf hin, dass in der Regierung über Backloading noch diskutiert wird. Wahr ist doch aber auch: Dort, wo Ihre Parteien Verantwortung tragen - im Bundesrat -, führen Sie die gleichen Diskussionen. ({10}) Der Wirtschaftsminister der rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen hat die Europaabgeordneten der SPD angeschrieben und sie aufgefordert, gegen Backloading zu stimmen. ({11}) - Ja; aber das zeigt doch, dass Sie dieselben Diskussionen führen. ({12}) Ich finde, dass diejenigen, die hier vorangehen wollen, sich gemeinsam dafür einsetzen sollten, dass wir beim Emissionshandel einen Durchbruch schaffen; dafür werbe ich. Diesen Durchbruch wollen wir. Ich bin nämlich sicher: Wer eine strukturelle Reform des Emissionshandels jetzt verhindert, wird damit das marktwirtschaftlichste Instrument der Klimapolitik beschädigen und am Ende irgendetwas bekommen, was er überhaupt nicht will. Dann wird Ordnungsrecht herauskommen, dann werden CO2-Steuern herauskommen, wie sie hier von einigen gefordert werden. ({13}) Deshalb müssen wir die Grundlagen dafür schaffen, dass der Emissionshandel dauerhaft erfolgreich bleibt. Das will Peter Altmaier, und dabei unterstützen wir ihn. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Frau Bulling-Schröter würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen? - Bitte schön.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Kollege Jung, ich weiß, dass Sie sehr für Backloading sind. Wir haben im Umweltausschuss lange über dieses Thema diskutiert und eine Anhörung dazu durchgeführt. Nächste Woche Mittwoch wird eine weitere Anhörung dazu stattfinden, obwohl dieses Thema im Umweltausschuss im Grunde ausdiskutiert ist; denn die Mehrheit steht hinter dieser Forderung. Da Anträge im Zusammenhang mit dieser Anhörung nicht mehr abgestimmt werden können und laut Koalition auch nicht mehr abgestimmt werden sollen, können wir jetzt nicht mehr agieren. Wir müssten aber schnell handeln. Haben Sie einen Vorschlag, wie wir es schaffen, gemeinsam schnell zu handeln?

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie weisen darauf hin, dass es im Umweltausschuss - auch in meiner Fraktion - die ganz klare Auffassung gibt, dass Backloading geeignet ist, den Emissionshandel zu verbessern. Wir alle wissen aber, dass die strukturelle Reform des Emissionshandels, die wir brauchen, allein mit Backloading nicht zu erreichen ist. Wir müssen darüber hinausgehen und fragen: Welches waren eigentlich die Geburtsfehler des Emissionshandels, und wie können wir diese Geburtsfehler jetzt beheben? Die Kanzlerin hat einen Pflock dazu eingeschlagen. Sie hat darauf hingewiesen: Als damals der Emissionshandel eingeführt wurde, hatte man eine bestimmte Entwicklung des Wirtschaftswachstums vor Augen. Ausgehend von der Erwartung eines positiven Wirtschaftswachstums wurde auch die Verteilung der Emissionszertifikate vorgenommen. Diese Erwartung hat sich, wie wir alle wissen, nicht erfüllt: Durch die Wirtschaftskrise kam es in Europa zur Rezession. Das führte dazu, dass es ein Überangebot dieser Zertifikate auf dem Markt gibt. Der beschriebene Mechanismus wurde in den rechtlichen Grundlagen des Emissionshandels allerdings nicht berücksichtigt. Deshalb gilt es jetzt, zu prüfen, was es für den Emissionshandel bedeutet, dass sich das Wirtschaftswachstum anders als erwartet entwickelt hat und welche Konsequenzen wir ziehen müssen: welche Regelungen wir ändern müssen und welche neuen Weichen wir stellen müssen. Das ist eine Frage, über die wir uns im Umweltausschuss schneller einigen können als im Bundestag insgesamt. Gesetze, Initiativen, Anträge können aber nur vom Bundestag insgesamt beschlossen werden. Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, dass wir diese Frage im Umweltausschuss noch einmal aufgreifen und Experten anhören und ihren Rat einholen, um herauszufinden, was wir machen können, um die Strukturen des Emissionshandels umfassend zu reformieren. ({0}) Damit komme ich zu einem weiteren Thema. Wir haben nicht nur den Emissionshandel, sondern haben gemeinsam im Konsens die Energiewende beschlossen. Es gilt, diese zum Erfolg zu machen, wegen des Klimaschutzes, aber auch wegen der wirtschaftlichen Perspektiven, die dahinterstehen. Deshalb müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent fortführen, den Ausbau noch effizienter gestalten und beim Netzausbau und den Speichertechnologien vorankommen. Ich bin froh, dass wir bei der Energieforschung einen Schwerpunkt genau auf diese Bereiche gelegt haben, um uns mit neuen Technologien dieser Herausforderung noch besser stellen zu können. Auch die Bundeskanzlerin hat gestern ganz klar gesagt - darüber bin ich froh -, dass wir über die Förderung der erneuerbaren Energien sprechen müssen und die Frage stellen müssen, wie wir den Ausbau der Erneuerbaren und die Preisentwicklung in Einklang bringen. Sie hat dabei zwei Festlegungen getroffen: Sie hat erstens gesagt, dass es keine rückwirkenden Eingriffe geben wird. Das ist richtig, weil so die Vertrauensgrundlage für den zukünftigen Ausbau erhalten wird. Sie hat zweitens gesagt, dass es bei dem Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien bleiben wird. Das ist die Grundlage für einen erfolgreichen Ausbau. Daran wird unsere Fraktion auch in Zukunft mitarbeiten. Wir wollen dieses Projekt zum Erfolg machen. Frau Kollegin Künast, Sie haben gerade gesagt, dass wir dicken Autos Vorfahrt gewähren würden. Dazu will ich sagen: Wir stellen doch gerade mit unserer Initiative für Elektromobilität die Weichen für nachhaltige Mobilität. ({1}) Wir haben in dieser Legislaturperiode mehr als 1 Milliarde Euro für Forschung eingesetzt, um die entscheidenden Fragen zu lösen, ({2}) die Antriebstechnologien und die Batterietechnik zu verbessern. Mit all dem soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass wir unsere Autos in Zukunft nicht mehr mit Öl, Diesel oder Benzin betreiben, sondern mit Ökostrom. Ökostrom ist das Benzin von morgen. Das ist unsere Leitlinie. Deshalb arbeiten wir in den unterschiedlichen Sektoren, die auch Sie angesprochen haben, dafür, dass wir den Klimaschutz voranbringen und die Energiewende ein Erfolg bleibt. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Ulrich Kelber das Wort. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, nicht jede Dürre, nicht jeder Sturm, nicht jede Flutkatastrophe ist Folge des Klimawandels. Ein solcher Erklärungsversuch wäre wirklich viel zu einfach. Aber wir wissen, dass der Klimawandel Wetterextreme begünstigt, insbesondere bei Niederschlägen. Wir sehen gerade wieder an der Elbe, an der Donau und an deren Zuflüssen, welche Bedrohung, welche Krisen, welche gefährlichen Zustände ein solches Hochwasser schon in einem Industriestaat mit sich bringt. Ich weiß, dass ich im Namen aller rede, wenn ich deutlich mache, dass wir dort natürlich als Gesamtgesellschaft helfen werden. Der Dank gilt all jenen, die als freiwillige und hauptamtliche Helfer in den von Hochwasser betroffenen Gebieten im Einsatz sind. ({0}) Erlauben Sie mir, dass ich als Bonner Abgeordneter einen besonderen Gruß den weit über 100 Bonner Freiwilligen von Freiwilliger Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, DLRG und anderen Rettungsorganisationen schicke, die in mehreren Bereichen in Sachsen-Anhalt im Einsatz sind. Aber wenn wir schon sehen, welche Folgen solche Katastrophen in einem Industriestaat mit bestehender Infrastruktur und einem gewissen Wohlstand haben, dann ist natürlich umso ersichtlicher, was das für Afrika, Teile Asiens oder Lateinamerikas bedeutet. Dort gefährdet der Klimawandel alle Errungenschaften, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Kampf gegen Armut und Hunger erreicht haben. Dort ist der Klimaschutz eine Frage von Leben und Tod. Deswegen braucht Klimaschutz einen langen Atem. Jahrelanges konsequentes Handeln darf nicht zugunsten anderer Themen, die gerade in Mode sind, aufgeschoben werden, wie es teilweise heute passiert. ({1}) Deutschland, Europa und die Welt brauchen eine neue Entschlossenheit in der Klimapolitik. Die SPD setzt sich für ein verbindliches nationales Klimaschutzgesetz mit klar definierten Zwischenzielen ein, an denen wir die Instrumente des Klimaschutzes ausrichten können. Damit können wir nicht nur über Etiketten, sondern auch über Maßnahmen sprechen, mit denen diese Ziele erreicht werden können. Die unabhängige Begutachtung der Maßnahmenpakete der Bundesregierung, die zeigt, dass wir das Klimaschutzziel für 2020 mit dem bisher Unternommenen nicht erreichen werden, sollte doch alle Alarmglocken klingeln lassen. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, sich ohne Wenn und Aber, ohne Hintertüren und ohne Tricks zu dem deutschen Klimaschutzziel zu bekennen, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um wenigstens 40 Prozent zu reduzieren, und das bei der EU als deutschen Beitrag anzumelden, damit es dort möglich ist, das europäische Klimaschutzziel auf eine Minderung von 30 Prozent zu verbessern. Das brauchen wir dringend vor der Klimakonferenz in Polen. ({2}) Aktuell ist es aber so, dass Deutschland im Klimaschutz zurückfällt. Die Treibhausgasemissionen Deutschlands sind 2012 wieder gestiegen, übrigens schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Das war nicht gemeint, als wir von der Entkoppelung der Treibhausgasemissionen vom Wirtschaftswachstum gesprochen haben. Damit war das genaue Gegenteil angestrebt. Deutschland ist in der Europäischen Union nicht bei seiner Vorreiterrolle geblieben, die wir, unabhängig von Parteigrenzen, einmal entwickelt hatten, sondern hat bei der Energieeffizienz gebremst und bremst jetzt bei den Klimaschutzzielen, indem diese nicht nach Brüssel gemeldet werden. Die Bundesregierung versucht, den erneuerbaren Energien den Schwarzen Peter für Preissteigerungen zuzuschieben, um vom eigenen Missmanagement abzulenken. Das ist die Realität, mit der wir heute konfrontiert sind. ({3}) Herr Kollege Jung, es war für Sie ungewöhnlich, beim Emissionshandel einen Versuch des Angriffs zu starten. Alle SPD-Europaabgeordneten haben im Europaparlament der Reparatur des Emissionshandels über Backloading zugestimmt. Wenn nur wenigstens ein Viertel der CDU-Europaabgeordneten dem auch zugestimmt hätte - sie haben nämlich fast geschlossen dagegen gestimmt -, hätten wir eine Mehrheit im Europäischen Parlament gehabt. ({4}) Es ist doch unsinnig, dass die CDU-Vorsitzende es jetzt fordert. Als aber darüber abgestimmt wurde, hat sie nicht mit ihren Abgeordneten gesprochen. Sie hätte nur ein Viertel ihrer eigenen Leute überzeugen müssen. Das wäre besser gewesen. ({5}) Deutschland hat mit seiner Vorreiterrolle immer auch eine Vorbildfunktion gehabt. Es ist doch so: Wenn wir zeigen, dass Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören, wenn wir zeigen, dass Klimaschutz und damit eine verbindliche und langfristig verlässliche Klimapolitik gut für die Wirtschaft ist, weil neue Dienstleistungen und neue Produkte neue Jobs entstehen lassen, weil so alle Wirtschaftsleistungen effizienter werden und somit unabhängiger von teurer werdenden Ressourcen, dann überzeugen wir auch andere. Dies ist natürlich auch gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn der Energieverbrauch sinkt, wenn die Reparaturkosten für die Schäden des Klimawandels sinken, dann ist das die beste Chance, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig bezahlbare Energierechnungen erhalten. Alles das war schon einmal gemeinsame Einsicht im Deutschen Bundestag, aber zumindest Teile davon hat die Bundesregierung anscheinend vergessen. Für Merkel ist Klimaschutz ein Modethema; es findet im Augenblick nicht mehr statt. Im Zweifelsfall lieber gegen den Klimaschutz und für kurzfristige Interessen! Wirtschaftsminister Rösler hat den Klimaschutz und den Kampf gegen erneuerbare Energien zum Identifikationsthema seiner Partei gemacht, um sich von allen anderen abzusetzen. In der EU gilt er schon als „Mister Njet“: Egal was ansteht: Es folgt ein Nein, um zu blockieren. Bleibt der Umweltminister, der seine Aufgabe zumindest beim Klimaschutz ein wenig falsch verstanden hat. Ein deutscher Umweltminister kämpft mit all seiner Kraft, mit seinem Einfluss und seiner Zeit in Brüssel dafür, dass Autos in Europa auch nach 2025 noch viel Benzin verbrauchen und viele Treibhausgase ausstoßen dürfen. Ich glaube, das stand vor einem Jahr nicht in der Arbeitsplatzbeschreibung des Umweltministers. Lieber Peter Altmaier, so darf es in Deutschland nicht bleiben; wir brauchen einen neuen Anlauf in der Klimapolitik. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst einmal meinen Dank an die Helferinnen und Helfer aussprechen, die in den Hochwassergebieten wirklich unermüdlich dafür kämpfen, dass möglichst wenig Schaden für Mensch und Eigentum entsteht. Das ist ein toller Einsatz, den der Deutsche Bundestag anerkennt und für den wir ganz herzlich danken. ({0}) Ich begrüße es auch, dass die Bundesregierung klargemacht hat: Wir werden den Flutopfern unbürokratisch helfen. Darauf haben sie einen Anspruch, und diesen Anspruch wird diese Bundesregierung erfüllen. Es ist schon angesprochen worden, dass die Wetterextreme durch den Klimawandel zunehmen werden. Man kann zwar nicht jedes Hochwasser auf den Klimawandel zurückführen. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es eben nicht nur nötig sein wird, Klimaschutz zu betreiben. Wir müssen auch die Anpassung an den Klimawandel in Deutschland zu einem größeren Thema machen. Das ist nicht nur ein Thema für Bangladesch, an das wir immer denken, wenn wir Überflutungen sehen; dazu kommt es durch das Wasser aus dem Himalaja. Nein, das ist auch ein Thema für Deutschland. Deshalb hat diese Bundesregierung in dieser Wahlperiode einen Aktionsplan zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt. Dieser Aktionsplan befindet sich in der Umsetzung. Dabei geht es um Hochwasserschutz, aber auch um viele andere Themen, zum Beispiel um eine klimagerechte Stadtentwicklung - dazu haben wir im Bundestag einen Gesetzentwurf durchgesetzt -, um mehr Widerstandsfähigkeit von Verkehrsinfrastrukturen und um solche Dinge wie die Umgestaltung der Bundesforsten hin zu stabileren Mischwäldern. All das wurde auf den Weg gebracht. Wir sind noch nicht am Ende, vieles könnte schneller gehen. Ich glaube, dies erfordert die Unterstützung des ganzen Hauses. Wir, Bund, Länder und Kommunen, sollten diese Schritte gemeinsam angehen, um uns für extreme Wettersituationen besser zu wappnen. ({1}) Meine Damen und Herren, für den Klimaschutz waren es vier gute Jahre. Wir haben unsere Verpflichtungen gemäß dem Kioto-Protokoll zur Reduktion der Emissionen übererfüllt. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben ein einseitiges Reduktionsziel von 40 Prozent beschlossen und hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. Deshalb, lieber Herr Kelber, brauchen wir hier überhaupt keine Nachhilfe von der Opposition. ({2}) Es war diese Koalition, die die Energiewende beschlossen hat. ({3}) Das war und ist das Leitprojekt für den Klimaschutz in Europa. Andere Länder schauen auf uns, um zu sehen, wie wir es in unserem hochindustrialisierten Land schaffen, dieses große Projekt ohne Wohlfahrtsverluste zu stemmen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Es ist noch viel zu tun, aber wir werden das gemeinsam schaffen. ({4}) Nachdem mittlerweile jede vierte Kilowattstunde Strom Ökostrom ist, geht es jetzt darum, dass wir das System insgesamt umgestalten: hin zu mehr Produzentenverantwortung, hin zu besseren Netzen, aber eben auch hin zu besserer Bezahlbarkeit dessen, was wir klimapolitisch wollen. Zum Bereich Gebäudesanierung. Die Bundesregierung hat das CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf stabile finanzielle Füße gestellt. Aus einem kurzzeitigen Konjunkturprogramm wurde ein dauerhaftes Klimaschutzprogramm. Der Bundesrat, der von Rot und Grün dominiert wird, hat den zweiten Förderweg, nämlich die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung, blockiert. Wir werden in der nächsten Wahlperiode erneut eine Initiative für die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung einbringen, ({5}) und dann werden wir sehen, ob die Roten und die Grünen weiterhin blockieren wollen. ({6}) Ich finde, wir müssen jetzt gemeinsam handeln: gegen den Klimawandel und für die Gebäudesanierung. Hierzu müssen auch die Länder ihren Teil beitragen. ({7}) Wenn wir uns anschauen, was der Bund ansonsten macht, dann sehen wir: Wir haben die Mittel für den internationalen Klimaschutz erheblich aufgestockt. Allein im Haushalt 2013 sind es wieder 100 Millionen Euro mehr. Das Entwicklungsministerium gibt 1,8 Milliarden Euro für Klimaschutz und Biodiversität in der Welt aus. ({8}) Das ist ein genauso effektiver und zugleich kostengünstiger Klimaschutz, als wenn wir alles nur hier zu Hause machen würden. Jede CO2-Emission in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in Bezug auf den Klimawandel genauso wirksam, als wenn wir hier emittieren. Deshalb müssen wir über den Tellerrand hinausblicken. Dann erkennen wir: Der internationale Klimaschutz ist genauso bedeutend wie die Energiewende und politisch genauso zu unterstützen. Die FDP wird dies weiter tun. ({9}) Ich begrüße ausdrücklich, dass das Auswärtige Amt in dieser Wahlperiode zum ersten Mal eine ernsthafte Klimaaußenpolitik betreibt, bei der in den internationalen Verhandlungsprozessen die Dinge zusammengeschnürt werden können, die ansonsten allein vom Entwicklungshilfeministerium und vom Umweltministerium behandelt wurden. Das geschieht jetzt mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Auch das ist eine positive Maßnahme, um ein globales Klimaabkommen zu erreichen. Das ist entscheidend, wenn unsere Klimaschutzpolitik auch global wirksam werden soll. Meine Damen und Herren, der Emissionshandel wurde angesprochen. Er ist eingeführt worden, damit die Klimaschutzziele umgesetzt werden. Genau das leistet der Emissionshandel. In den Bereichen, wo wir den Emissionshandel haben, werden die Klimaschutzziele eingehalten. In den Bereichen aber, wo wir keinen Emissionshandel haben, zum Beispiel beim Verkehr, werden sie verfehlt. Das zeigt: Der Emissionshandel ist ein gutes Instrument, und wir werden weiterhin auf ihn setzen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der CO2-Ausstoß ist auf 31,6 Milliarden Tonnen weltweit geklettert. Eigentlich haben wir uns an solche Meldungen schon gewöhnt; aber es sind und bleiben Horrormeldungen. Auf diese Weise werden wir bei 4 Grad, eventuell sogar bei 5,3 Grad Erwärmung landen; das ist Fakt. Was 5,3 Grad Temperaturveränderung bedeuten, zeigt vielleicht das Beispiel der letzten Eiszeit. Da war es global etwa um diesen Wert kälter als heute. Europa war mit kilometerdicken Eispanzern überzogen. Die nicht weniger dramatischen Szenarien bei einer entsprechenden Erwärmung kennen Sie alle; das muss ich nicht mehr erzählen. Ich richte das nicht nur an die Adresse von Klimaleugnern im Umfeld der FDP. Auch in den Zeitungen waren ganz seltsame Kommentare zu lesen, wie zum Beispiel: Hamburg hat bald ein Wetter wie in Freiburg. Prima, wo liegt das Problem? - Seltsamer Kommentar. ({0}) Mittlerweile haben wir die dritte Jahrhundertflut, allerdings innerhalb von nur elf Jahren. Ist das vielleicht die Antwort auf diese Frage? Darum müssen wir handeln, und zwar deutlich schneller als gegenwärtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe aber nicht, dass, wenn die Linke auf einen Tagesordnungspunkt verzichtet, um darüber zu diskutieren, alle anderen Fraktionen das ablehnen. ({1}) Das ist sehr seltsam. Wir hätten für eine solche Debatte einen Tagesordnungspunkt zur Verfügung gestellt, eine Debatte zurückgezogen. Das sollten die Leute draußen wissen. ({2}) Heute findet wahrscheinlich die letzte Klimadebatte in dieser Legislaturperiode statt. Deshalb ein Rückblick. Zunächst gab es bei den erneuerbaren Energien hierzulande ein rasantes Wachstum. Das ist eine Erfolgsstory. Der Erfolg ist im Erneuerbare-Energien-Gesetz begrün31294 det, das die jetzige Koalition von der alten nur geerbt hat. Deutschland lag 2012 weltweit auf Platz eins bei der installierten Leistung von Photovoltaik, auf Platz drei bei der installierten Windkraft und auf Platz fünf bei der Gesamtkapazität der Erneuerbaren. Jede vierte Kilowattstunde Strom ist Ökostrom; das ist gut. Ich behaupte, das ist ein Erfolg trotz dieser Bundesregierung und nicht wegen dieser Bundesregierung. ({3}) Die dauernden Angriffe abzuwehren, die insbesondere von der FDP gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz gestartet wurden, hat den Umweltverbänden, den Erzeugerinnen und Erzeugern von Ökostrom, vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch den Experten im Umweltbundesamt sowie in anderen Gremien der Bundesregierung unendlich viel Kraft gekostet. Es wurden Ressourcen gebunden, die wir dringend gebraucht hätten, um das EEG für eine Welt jenseits eines Anteils von 30 Prozent Ökostrom intelligent zukunftsfähig zu machen. Kräfte wurden verschlissen, die nötig gewesen wären, um zügig ein neues Strommarktmodell zu entwickeln, ein Modell, das die fossile Stromerzeugung in die Welt der erneuerbaren Energien integriert und nicht umgekehrt, wie es gegenwärtig der Fall ist. Es wurden Ressourcen verschleudert, die wir nun in der nächsten Legislaturperiode aufwenden müssen, um einen zukunftsfähigen Netzausbau zu organisieren und im Bereich Energiespeicher- und Lastmanagement weiterzukommen. Es gab dann interessante Gespräche bei Minister Altmaier, aber letztlich wurden vor allem Fragen aufgeworfen und kaum Lösungen präsentiert. Dort, wo sie auf der Hand liegen, etwa bei der Abschaffung der unberechtigten und teuren Industrieprivilegien, passiert nichts. Ich sage Ihnen: Sie wollen sich einfach nicht mit den Konzernen anlegen. ({4}) Natürlich gibt es in der Bundesregierung partiell auch Unterstützung für die Energiewende; wir sind schließlich nicht blind. Manche Probleme sind zudem schlicht der Tatsache geschuldet, dass niemand einen Masterplan für eine solch umfassende Transformation in der Tasche hat; auch das ist klar. Aber unter dem Strich betreiben Union und FDP eine erschreckend doppelzüngige Politik. ({5}) Während die Koalition auf der einen Seite einige Weichen in Richtung mehr regenerative Energien stellt, versucht sie auf der anderen Seite, die fossil-atomaren Konzerne weiter zu päppeln. Die Kosten zahlen die kleinen Leute. Wer sonst? Die zweite dunkle Seite kann man nirgends deutlicher sehen als beim europäischen Emissionshandel. Er soll angeblich das Hauptinstrument im Klimaschutz sein; Herr Kauch hat das bestätigt. Seine Klimaschutzwirkung geht aber gegen null oder ist sogar negativ. Seine Verteilungswirkung war bislang grotesk ungerecht. Deutschland hat sich in Brüssel dennoch gegen die Reparatur des Emissionshandels gestellt, konkret gegen die Stilllegung der überschüssigen CO2-Emissionsrechte, die das System kaputtmachen. Das ist kein Wunder; denn in den Jahren zuvor hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass diese zerstörerische Zertifikatsflut überhaupt erst entstehen konnte, etwa durch großzügige Möglichkeiten für Industrie und Energiewirtschaft, sich mit windigen Auslandszertifikaten einzudecken, oder auch durch Zuteilungsregeln, mit denen den Industriefirmen viel mehr Emissionsrechte zugestanden wurden, als sie benötigten. Lasche Ziele und Schlupflöcher groß wie Scheunentore kamen hinzu. Im Ergebnis dümpelt nicht nur der CO2-Preis mit unter 4 Euro im Keller, obwohl er doch einmal 30 Euro betragen sollte. ({6}) Die festgesetzte CO2-Obergrenze selbst wird dabei durchlöchert; denn hinter vielen importierten CO2-Gutschriften aus Projekten in Indien oder China stehen keine eingesparten Emissionen, sei es infolge von Betrug oder absurd großzügigen Regelwerken der UN. Zum Schluss galten ja sogar Kohlekraftwerke als Beitrag zum Klimaschutz. So wird das europäische Emissionshandelssystem von außen mit heißer Luft aufgebläht. Allein in Deutschland gibt es 260 Millionen überschüssige Zertifikate, in der EU fast 2 Milliarden. Ein Großteil davon sind, ökologisch gesehen, nichts anderes als Schrottpapiere, die aus windigen Projekten im globalen Süden stammen. Es geht also wieder einmal um Schrottpapiere. Zu Deutsch: Wir haben mit dem allseits geliebten Emissionshandel weniger Klimaschutz als ohne dieses System. Eine wahrhaft erfolgreiche Bilanz, kann ich da nur sagen. ({7}) Die Energieversorger fuhren in der Vergangenheit mit dem Emissionshandel sagenhafte Profite ein. Das müssen wir als Linke sagen. Wer sagt es denn sonst? Die Energieversorger haben die Zertifikate vom Staat geschenkt bekommen, ihren Handelswert aber in den Strompreis eingepreist. Zusammengefasst reden wir über eine Maschinerie, die in Europa erstens einen zusätzlichen CO2-Ausstoß erzeugt - erst letztes Jahr sind die Emissionen der deutschen Kraftwerke wieder gestiegen und zweitens die Kassen der Kohle- und Atomkonzerne füllt - auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({8}) Die Konzerne wurden gepäppelt und der Emissionshandel geschwächt. Bravo! Da frage ich mich: Wo ist die Klimakanzlerin? Wir brauchen eine Regierungschefin, die endlich einmal auf die FDP pfeift ({9}) und sich in Brüssel für wirksame Reformen im Emissionshandel einsetzt, zuallererst natürlich für das Backloading als Voraussetzung dafür. Das tut sie leider nicht. Das Emissionshandelssystem hätte von Anfang an vernünftiger gestaltet werden können, aber das ist Geschichte. Änderungen sind nicht in Sicht, wie wir gehört haben; Sie sind ja beratungsresistent. Deshalb brauchen wir Ordnungspolitik. Davor haben Sie aber Angst wie der Teufel vorm Weihwasser. Ich möchte noch einmal für ein Kohleausstiegsgesetz werben. Denn dann könnten die letzten Meiler spätestens 2040 vom Netz gehen. Wir setzen uns dafür ein. ({10}) In der nächsten Wahlperiode müssen sich Parlament und Regierung auch endlich ernsthaft mit der Energiewende im Gebäudebereich und in der Mobilität beschäftigen. Bei beiden existieren fast keine Instrumente, die nur annähernd die Durchschlagskraft haben wie etwa das EEG im Strombereich. Hier liegen zudem die größten sozialen Spannungsfelder. Denn schon heute nehmen die Heizkosten und Kraftstoffe den ersten Platz unter den Preistreibern bei den Energiepreisen ein, schlicht weil Öl und Gas sich drastisch verteuert haben. Deshalb ist es nicht nur aus Sicht des Klimaschutzes geboten, mit der Gebäudesanierung endlich voranzukommen, genauso wie mit der Mobilitätswende, die im Prinzip noch komplett aussteht. Beides entlastet perspektivisch die Haushaltskassen. Das ist ja wichtig. Bei der sozialen Ausrichtung der Energiewende geht es nicht nur um ein Energiegeld beim Wohngeld, um ausreichende Kredite der KfW für die Gebäudesanierung oder um angemessene Zuschüsse für die soziale Stadtentwicklung. Es geht auch schlicht um den Mindestlohn. ({11}) Denn es kann ja nicht sein, dass wir bei jeder umweltpolitischen Maßnahme, die etwas Geld kostet, Tausende Leute zu den Ämtern treiben. Sie sind doch gegen Bürokratie. Darum freuen wir uns - hören Sie jetzt zu! -, dass auch die Klima-Allianz - wie im Übrigen auch der Mieterbund - einen Mindestlohn und soziale Fangnetze beim Umbau der Energieversorgung fordert. ({12}) Denn im Gegensatz zur Bundesregierung haben die darin vertretenen Organisationen begriffen: Die Energiewende funktioniert nur sozial, oder sie funktioniert gar nicht. Dafür steht die Linke, und dafür wird sie jetzt stehen wie auch in der nächsten Legislaturperiode. ({13}) Denn die Energiewende ist dringend notwendig; ich habe das ausgeführt. Daran kommen auch Sie von der CSU nicht vorbei. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung erteile ich das Wort dem Bundesminister Peter Altmaier. ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns eint heute Morgen selbstverständlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg das Mitgefühl für das Leid und die Not der Betroffenen, die noch lange nicht überwunden sind, und auch der Respekt für die großartigen und geradezu übermenschlichen Leistungen unserer Hilfsdienste: Bundeswehr, Feuerwehr, THW, Rotes Kreuz und all die anderen, die im Einsatz sind. Dafür ein herzliches Dankeschön! ({0}) Ich will das ausdrücklich auch für das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen auf der politischen Ebene zum Ausdruck bringen. Ich bin schon ein paar Jahre länger dabei. Mein Eindruck ist: Im Vergleich zu früheren Hochwasserkatastrophen hat es dieses Mal vielleicht etwas weniger PR gegeben, aber dafür deutlich mehr effektive und schnelle Hilfe auch aus der Politik. Das soll auch in den nächsten Wochen und Monaten so bleiben. ({1}) Deshalb werden wir, die Ministerpräsidenten der Länder und die Bundeskanzlerin, heute Mittag im Bundeskanzleramt über das sprechen, was jetzt notwendig ist, um konkrete Not zu lindern, die Schäden zu beseitigen und Wiederaufbau zu ermöglichen. Aber ich meine, dass wir, als ehemaliger Umweltminister Herr Trittin und als jetziger Umweltminister meine Person, auch eine Verantwortung unter dem Gesichtspunkt der Umweltpolitik haben, nicht jetzt, wo die Dämme noch verteidigt werden, aber dann, wenn das Wasser sich verlaufen hat. Dann brauchen wir auch eine Bestandsaufnahme dessen, was defizitär ist, was nicht gemacht worden ist, was nicht umgesetzt worden ist. ({2}) - Darauf komme ich ja noch, Herr Kollege Ott. Aber auch im Hinblick auf den Hochwasserschutz halte ich es für notwendig, dass wir uns anschauen, was wir ändern müssen. Im Jahre 2005 wurde ein von der rot-grünen Koalition auf den Weg gebrachtes Hochwasserschutzgesetz verabschiedet. ({3}) Ich biete Ihnen an - wohl wissend, dass auch wir damals nicht mit allem einverstanden waren -, dass wir uns dieses Gesetz anschauen und darüber nachdenken, was wir verändern und weiterentwickeln können. Ich biete auch an, dass wir darüber reden, wo Umsetzungsdefizite sind. Wir Umweltpolitiker sollten deutlich machen, dass wir keine Ausreden mehr haben, wenn es darum geht, notwendige Deichverlegungen vorzunehmen und notwendige Vorfluträume zu schaffen, wenn es darum geht, der Natur, insbesondere den Flüssen, etwas mehr Raum zu geben. Das alles muss auch dann durchgesetzt werden, wenn es Widerstände dagegen gibt. Wenn wir es gemeinsam tun, dann werden wir unsere Ziele möglicherweise auch erreichen. Deshalb lade ich Sie herzlich ein, mitzumachen. ({4}) Als ich seinerzeit Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium war, habe ich im Auftrag meines damaligen Ministers Wolfgang Schäuble in der Föderalismusreformkommission den Vorschlag eingebracht, dem Bund auch bei länderübergreifenden Hochwasserlagen und Katastrophenlagen eine Zuständigkeit einzuräumen. Ich meine, auch darüber muss man noch einmal diskutieren. Ein Hochwasser kann nämlich nicht nur in der jeweiligen Gemeinde und in dem zuständigen Bundesland bekämpft werden. Wir sind alle in der Verantwortung und brauchen die notwendigen finanziellen, politischen, aber auch rechtlichen Instrumente. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig: Wir werden nicht wissen, in welchem Ausmaß dieses eine Hochwasser von den Klimaveränderungen beeinflusst worden ist. Aber wir wissen eines: dass die Klimaveränderung weltweit voranschreitet und dass wir keine Ausrede haben, wenn man in 20 oder 30 Jahren feststellt, dass wir nicht gehandelt haben. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen im Klimaschutz national und international verstärken. Vorhin ist der Club der Energiewende-Staaten, Renewables Club, angesprochen worden. Ich bedanke mich zunächst einmal für die politische Unterstützung, die ich auch von vielen von Ihnen bekommen habe; der Kollege Ott und andere haben sie öffentlich zum Ausdruck gebracht. Es gab aber auch hämische Kommentare, die ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden habe. Es ist uns gelungen, innerhalb eines halben Jahres zehn Länder - Entwicklungsländer, Schwellenländer, Industrieländer, etwa Indien und China, Südafrika und Marokko, Tonga, Dänemark, Großbritannien, Frankreich - auf deutsche Initiative hin dazu zu bringen, dass wir uns weltweit politisch für den Ausbau der erneuerbaren Energien starkmachen. Der Klimaschutz kommt nämlich nicht voran, wenn es nur in Deutschland, in Dänemark und in Großbritannien mehr Windräder und mehr Solardächer gibt, sondern er kommt dann voran, wenn die erneuerbaren Energien dort eingesetzt und produziert werden, wo die klimatischen Voraussetzungen dafür gegeben sind, wo man alte Öl- und alte Kohlekraftwerke abschalten kann und durch eine moderne, umweltverträgliche Energieversorgung ersetzen kann. Ich möchte Sie alle einladen, diese Initiative zu unterstützen. Lieber Herr Ott, wir werden in einigen Monaten das nächste große politische Treffen nutzen. In der Zwischenzeit wird einiges geschehen. Warum treffen sich nicht Parlamentarier aus diesen zehn Energiewendeländern parallel und gemeinsam mit den Ministern, um deutlich zu machen: „Das ist nicht nur eine Veranstaltung der Regierungen; das betrifft auch die Parlamente“? Ich lade Sie herzlich ein, sich daran zu beteiligen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Klimaschutz ist deshalb so schwierig, weil wir immer auch im Einzelnen Interessenkonflikte aushalten und lösen müssen. Das ist übrigens wie beim Hochwasserschutz. Ich hätte es um ein Haar vergessen - Frau Künast hat so nett über die Frage „Wer zahlt was?“ gesprochen -: Liebe Frau Höhn, wenn Sie am Wochenende nach NordrheinWestfalen kommen, dann nehmen Sie bitte mit, dass die Bild-Zeitung am 13. Juni 2013 schreibt: Nordrhein-Westfalen kürzt beim Hochwasserschutz um 10 Millionen Euro. Im Haushalt 2013 sind für den Hochwasserschutz nur noch 30 Millionen Euro eingeplant, nach 40 Millionen im Vorjahr. ({7}) Dass man kürzen muss, weil man pleite ist, das verstehe ich ja. Aber dass es ausgerechnet beim Hochwasserschutz geschehen muss, das sehe ich nun wirklich nicht ein. ({8}) Lassen Sie uns das gemeinsam verhindern. ({9}) Der Kollege Kelber hat zum Thema Klimaschutz auf die CO2-Grenzwerte von Kraftfahrzeugen hingewiesen. Ich kann mich daran erinnern, weil ich alt genug bin und das auch erlebt habe, dass die Haltung der Bundesregierung zum Thema „CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen“ seinerzeit von Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Clement maßgeblich bestimmt worden ist. Dieser Linie, die Herr Schröder damals mit seiner Richtlinienkompetenz bestimmt hat, fühlt sich die Bundesregierung bis heute verpflichtet - nur mit dem Unterschied, dass wir glauben, dass wir die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten und trotzdem etwas mehr für den Klimaschutz tun können. Wir müssen uns dann eben Gedanken darüber machen, wie wir verhindern, dass die guten umweltfreundlichen Tendenzen und Entwicklungen in der deutschen Automobilindustrie zunichte gemacht werden. Gestern hat der erste große Hersteller ein elektrisches Serienfahrzeug vom Band rollen lassen - hier in Deutschland; das hat es in Deutschland bisher nicht gegeben -; die anderen Hersteller werden nachziehen. Ich schäme mich manchmal, wenn ich sehe, dass in der Stadt Peking inzwischen mehr Elektrobusse und Elektrofahrzeuge im Einsatz sind als in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ott zulassen?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Aber gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Altmaier, ich fände es ganz schön, wenn Sie einmal etwas zu dem von uns vorgelegten Entwurf eines Klimaschutzgesetzes sagen würden, das ja Mittelpunkt des Themas der Debatte ist. Im Grunde müssten Sie das, was wir da aufgeschrieben haben, als eigenen Entwurf einbringen - wir würden Ihnen das wahrscheinlich sogar erlauben -; denn das ist genau das, was Ihnen fehlt. Wir schreiben da für alle zukünftigen Bundesregierungen zum Beispiel vor, dass es sektorale Reduktionsziele gibt, dass die einzelnen Ressortminister da für ihren Bereich verantwortlich sind und dass Maßnahmen getroffen werden, falls sie diese Ziele nicht erreichen. Ich meine, das ist wie auf Sie zugeschnitten. Jetzt nennen Sie mir doch einmal eine Gelegenheit, bei der Sie gegenüber Ihrem Kollegen Rösler die Oberhand behalten haben, abgesehen vielleicht einmal von der Besetzung des WBGU, was ja auch nicht in der Kompetenz des Wirtschaftsministers liegt. Nennen Sie uns doch einmal einen einzigen Fall, in dem Sie in einer Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsminister sagen konnten: Hier habe ich mich durchgesetzt. Das ist doch die große Frage: Wie erklären Sie sich, dass Ihre Kanzlerin, die Sie als Mann für das zweitwichtigste Projekt dieser Regierung, die Energiewende, eingesetzt hat - nach Schäuble für Finanzpolitik/Euro -, Sie nicht unterstützt, dass diese Kanzlerin zwar in den Flutgebieten herumstapft und hier eine Aufmunterung gibt und da eine kleine Flutopferhilfe zusagt, ({0}) aber nicht in dem zentralen Projekt dieser Bundesregierung tätig ist und Sie unterstützt, wo doch, wenn vernünftiger Klimaschutz betrieben würde, Katastrophen wie die, die wir jetzt erleben, zukünftig weniger würden und nicht mehr, wie das jetzt zu befürchten ist? Nennen Sie uns doch einmal einen Fall! ({1})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Sehr geehrter Herr Kollege Ott, ich war heute eigentlich sehr auf Konsens eingestellt, aber eines möchte ich Ihnen schon sagen: Ich verstehe meine Rolle in einer Koalition nicht darin, dass ich mich ständig in einem Klein-Klein-Krieg mit einzelnen Ministern befinde und am Ende nichts erreiche. ({0}) Diese Regierung hat sich in allen entscheidenden Fragen - das geht von der Energieeffizienz-Richtlinie über die Haftung im Offshorebereich im Rahmen der Energiewende bis hin zur Reform der Photovoltaik-Förderung als handlungsfähig erwiesen. Der deutsche Bundesumweltminister hat einen erheblichen Beitrag dazu geleistet und immer wieder mit Ideen die Diskussion vorangebracht. ({1}) Ich stelle nur einmal fest, lieber Herr Ott, dass wir heute in Deutschland unter der Verantwortung von Philipp Rösler und Peter Altmaier weitaus weniger CO2 ausstoßen und weitaus mehr erneuerbare Energien nutzen als seinerzeit unter der Verantwortung von Wolfgang Clement und Jürgen Trittin. ({2}) Wir haben die Dinge vorangebracht, und wir lassen uns diese Erfolge nicht kleinreden. ({3}) - Ich bin noch nicht fertig, Herr Kollege Ott. Sie haben auch die Klimakanzlerin angesprochen. Bitte noch einmal kurz aufstehen! Sie rufen ständig nach der Richtlinienkompetenz. Fragen Sie Ihren Kollegen Trittin, wie das damals war, als Herr Schröder die Richtlinienkompetenz ausgeübt hat! Ich sage Ihnen eines: Angela Merkel steht weltweit für die Bemühungen, den Klimaschutz voranzubringen. ({4}) Sie war diejenige, unter deren Verantwortung das KiotoProtokoll zustande gekommen ist, und das ist bis heute das effektivste Instrument, das wir in diesem Bereich haben. ({5}) Es ist nicht ausreichend, und wir müssen es verbessern. Ich sage Ihnen, dass die Hoffnungen für den Klimaschutz weltweit auf den Schultern der Bundeskanzlerin Angela Merkel ruhen. ({6}) Deshalb sollten Sie sie in diesem Bereich unterstützen. Springen Sie über Ihren Schatten, auch wenn es vielleicht etwas schwerfällt. ({7}) Es ist öffentlich bekannt, dass ich der Auffassung bin, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit regulatorischen Eingriffen - das schlagen Sie vor - anfangen sollten. Ich glaube, dass das europäische ETS, das System des Zertifikatehandels, ein marktwirtschaftliches System ist, und ich glaube, dass wir kurz davor sind, diesem System weltweit zum Durchbruch zu verhelfen: in China, in Australien, in Korea. ({8}) In vielen Ländern dieser Welt ist ein eigener Zertifikatehandel eingeführt worden oder ist kurz davor, eingeführt zu werden. ({9}) Deshalb sollten wir nicht unsere Lösung, nur weil sie zu rot-grünen Zeiten schlecht gestrickt worden ist, infrage stellen. ({10}) Der deutsche Umweltminister - das ist bekannt - ist vielmehr der Auffassung, dass wir das sogenannte Backloading machen sollten, damit wir ein Knappheitssignal bekommen. Der deutsche Umweltminister wird weiter dafür kämpfen. Der Unterschied zum Kollegen Duin, lieber Herr Kollege Kelber, ist: Auch ich habe meine Kollegen im EP angeschrieben. ({11}) Das hat immerhin sieben Kollegen dazu bewogen, dem Backloading zuzustimmen. ({12}) Herr Duin hat auch einen Brief geschrieben. Er hat in Ihrer Partei niemanden zu etwas bewegt. Das haben Sie eben selbst gesagt. Ich sage Ihnen eines: Widerstehen Sie der Versuchung, dieses Thema in die parteipolitische Auseinandersetzung zu führen. ({13}) Dass der Kollege Rösler eine andere Vorstellung vom Backloading hat als der Bundesumweltminister, ({14}) ist nicht besonders überraschend. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir es gemeinsam geschafft haben, im Europäischen Parlament dafür eine Mehrheit zu erreichen, dann wird sich diese Bundesregierung auch für die Abstimmung im Ministerrat positionieren. ({15}) Ich sage Ihnen zu, dass der Bundesumweltminister das tut, wozu er nach seinem Amtsverständnis verpflichtet ist, nämlich sich für eine erfolgreiche Klimapolitik einzusetzen und dafür, dass Deutschland Vorreiter und Vorbild in Europa und weit darüber hinaus bleibt. Vielen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Bärbel Kofler das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Altmaier, ich finde es schon ein bisschen perfide, wenn Sie nicht handeln, jedoch das Benennen Ihres Nichthandelns seitens der Opposition als parteipolitisches Kalkül und Parteipolitik bezeichnen. Wir fordern die Regierung zum Handeln auf, wenn es zum Beispiel um die Fragen des europäischen Emissionshandels geht. Sie müssen an dieser Stelle liefern und dürfen sich nicht hinter Ihren eigenen Koalitionsproblemen verstecken. ({0}) Eigentlich hätte ich schon erwartet, dass Sie einmal klar sagen, wie Sie zu den CO2-Reduzierungszielen auf europäischer Ebene stehen. Wollen Sie als Bundesregierung die 30-Prozent-Reduktion auf europäischer Ebene, oder wollen Sie sie nicht? Wir alle wissen es nicht. Ihre Regierung weiß es auch nicht. Diese Frage wurde von uns vor einiger Zeit in der Fragestunde gestellt. Frau Reiche antwortete darauf: Die Bundesregierung hat bisher keine einheitliche Haltung zu einer notwendigen Stärkung des europäischen Emissionshandels und prüft derzeit noch die von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge. Das ist doch kein aktives Handeln für einen der wichtigsten Partner in der Europäischen Union, wenn es um die Frage der Vorreiterrolle beim Emissionshandel und der Reduzierung der CO2-Ausstöße geht. Ich glaube - Herr Kauch hat viel über die internationale Ebene gesprochen -, dass Sie mit Ihrem Nichthandeln Vertrauen auf internationaler Ebene verspielen. Wenn man wirklich auf internationaler Ebene zur CO2Reduzierung kommen möchte, dann braucht man Partner, sei es in den Schwellenländern, aber gerade auch in den Entwicklungsländern. Diese stehen vor unheimlichen Herausforderungen. Es muss 1,3 Milliarden Menschen, die noch keinen Zugang zu Energieversorgung haben, geholfen werden, zu einer Energieversorgung zu kommen. Es muss den 2,7 Milliarden Menschen geholfen werden, die lediglich eine mehr oder weniger notdürftig zusammengezimmerte Kochgelegenheit haben und fossile Brennstoffe verwenden - mit allen Folgen für Umwelt und Gesundheit. Wenn Sie für diese Länder etwas tun wollen, dann treten Sie mit ihnen in einen partnerschaftlichen Dialog darüber, wie sie sich entwickeln und den Zugang zu Energie für ihre Bevölkerung verbessern können. Dabei müssen aber auch die Grenzen unseres Planeten anerkannt werden, und es muss verstanden werden, dass die Fehler, die wir während der Industriealisierung in der Vergangenheit gemacht haben, nicht in anderen Ländern reproduziert werden können. Bevor dieser Dialog zustande kommt, bedarf es erst einmal hier in Deutschland einer vernünftigen Haltung mit vernünftigen Vorbildern. Dazu gehört das nationale Ziel der CO2-Reduzierung. Dazu gehört die Haltung auf europäischer Ebene. Dazu gehört auch Ihre Klima- und Energiepolitik generell. An Kopenhagen erinnern wir uns mit Grausen. Die von Ihnen viel gerühmte Energiewende lief doch nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ ab. Das wird im Ausland bemerkt. ({1}) Sie wollten am Anfang dieser Legislaturperiode doch etwas ganz anderes. Wer hat die Laufzeiten von Atomkraftwerken denn verlängert und ganz andere Signale ausgesendet? Erst angesichts der Katastrophe von Fukushima und der bevorstehenden Landtagswahl in BadenWürttemberg sind Sie auf andere Gedanken gekommen. Das ist doch der wahre Hintergrund. Es geht Ihnen nicht um die Frage, wie man den CO2-Ausstoß wirklich verringert und die Energiewende weltweit voranbringt. ({2}) Es ist bezeichnend, dass gerade zu diesem Punkt 17 Anträge zum Thema Klimaschutz - Klimaschutz bei uns und weltweit - vorliegen. Alle sind von der SPD oder von den Grünen eingebracht. Die Regierung hat es offensichtlich nicht nötig, irgendetwas einzubringen. ({3}) - Die Gesetze, die Sie machen, Herr Kauch, würden wir gerne einmal sehen. ({4}) - Das stimmt. Gerne möchten wir sie nicht sehen. Ich halte es für dringend geboten, etwas zum internationalen Bereich zu sagen. Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir uns explizit mit den Entwicklungsländern und der Frage beschäftigen, wie wir zu mehr Energie für die Menschen kommen, aber auch Effizienz voranbringen können. Wir wollen das Thema „Low Carbon“, wie es auf Neudeutsch so schön heißt, also weniger fossile Energien, voranbringen. Wir wollen Strategien mit den Ländern entwickeln. Wir wollen uns über unsere Exportgarantien unterhalten und uns Gedanken darüber machen, wie wir die Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz und nicht Garantien für Träger von Atomenergie oder fossiler Energie in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. ({5}) Es ist leider zu Recht über die Frage der Anpassungsmaßnahmen in Deutschland gesprochen worden. Ich betone das Wort „leider“. Es ist nichts Schönes, dass wir uns darüber unterhalten müssen, dass auch bei uns mittlerweile Anpassungsmaßnahmen notwendig sind. Vom Kollegen Kelber ist zu Recht angedeutet worden, dass in den Ländern des Südens - ich nenne das Beispiel Bangladesch, weil die Grünen und wir gemeinsam einen Antrag dazu eingebracht haben -, also bei den Ärmsten der Armen, in den letzten 30 Jahren 200 Extremwetterereignisse stattgefunden haben: Dürren, Überschwemmungen, Überflutungen. 180 000 Menschen haben ihr Leben verloren. Wir machen leider keine wirklichen Angebote, um diese Menschen, die vor Ort eine ganze Menge tun, zu unterstützen, sei es mit dem Bau von Notunterkünften, sei es mit der Umstellung ihres Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien - das wollen viele -, sei es hinsichtlich der Frage der Flüchtlingsbewegung, die mittlerweile Druck auf die Städte und die sozialen Strukturen ausübt. Wir müssen diese Länder anhand von Anpassungsmaßnahmen unterstützen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kofler!

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Das wäre eine wirkliche Hilfestellung, durch die in den anderen Ländern Vertrauen in den internationalen Klimaschutz und in ein Handeln für eine gemeinsame Welt unter Anerkennung der Grenzen unseres Planeten geschaffen wird. Danke sehr. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Horst Meierhofer. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz noch etwas zum Hochwasserschutz sagen, weil ich aus Regensburg komme und wir den höchsten Wasserstand seit mehr als 130 Jahren zu verzeichnen hatten: Es ist - wie sich mittlerweile abzeichnet - glücklicherweise so, dass die Schäden aufgrund mobiler Hochwasserschutzelemente deutlich geringer ausgefallen sind als in den letzten Jahren. Das zeigt also, dass man mit Anpassung wirklich etwas bewegen kann. Wenn man sich die Situation donauabwärts ansieht - Richtung Deggendorf und Passau sowie Richtung Elbe -, dann erkennt man, welche Probleme und Schwierigkeiten vorhanden sind. Eine Antwort allein wird nicht ausreichen. Das, was Minister Altmaier gesagt hat, nämlich dass man den Flüssen mehr Raum geben muss, ist richtig. Dafür müssen wir gemeinsam sorgen. Es gibt übrigens auch Umweltschutzverbände, die sich eingebracht haben. Dazu gehören NABU und WWF, aber auch BUND, die Deichrückverlegungsmaßnahmen ergriffen haben. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Bereich. In dem Bereich müssen wir noch mehr tun. Allerdings - das ist die Kehrseite - geht es nicht nur darum, Deiche zurückzuverlegen, sondern auch darum, aktiv Hochwasserschutz zu betreiben, also auch Hochwasserdämme zu bauen. Da gibt es schon das eine oder andere Beispiel dafür, wo von den Umweltschutzverbänden oder auch Parteien ein bisschen mehr Entgegenkommen gezeigt werden muss. Ich glaube, wir müssen uns, wenn die Flut vorbei ist und die Probleme gelöst sind, genauer darüber unterhalten und Akzeptanz insbesondere für aktiven Hochwasserschutz beispielsweise in Form von Wällen und Wänden erreichen. Da muss man von der Blockadehaltung wegkommen und ein bisschen mehr darauf setzen, die Leute, die davon direkt betroffen sind, zu schützen. ({0}) Ein Thema, das dazugehört, ist die Frage der Finanzierung. Als bayerischer Abgeordneter darf ich sagen: Der Osten war vom Hochwasser 2002 natürlich deutlich stärker betroffen; aber wenn eine Fondslösung am Schluss dazu führt, dass ein Bundesland ungefähr 60 Millionen aus dem Fonds erhält und gleichzeitig 450 Millionen Euro einzahlt, so wie es damals im Falle Bayerns war, dann ist es nicht der richtige Weg. Es sollte schon so sein, dass man den betroffenen Regionen schnell und unbürokratisch hilft. Die Bundeskanzlerin selbst hat darauf hingewiesen, dass eine Eins-zu-einsLösung - auf jeden Euro, der von den Ländern kommt, legt der Bund einen Euro drauf - eine Lösung sein könnte, die uns allen hilft. Ich hoffe, dass wir da zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. ({1}) In Nordrhein-Westfalen scheint es nicht ganz so gut zu funktionieren. Minister Altmaier hat darauf hingewiesen, dass die Mittel für den Hochwasserschutz dort um 10 Millionen Euro reduziert wurden. Damit nicht genug: Gleichzeitig wurde die Förderquote gesenkt. ({2}) Bisher war es so, dass 80 Prozent der Kosten, die von den Leuten vor Ort für den Hochwasserschutz aufgewendet wurden, von den Ministerien, vom Land übernommen wurden. Die Landesbeteiligung wurde jetzt auf 70 Prozent reduziert, was bedeutet, dass die Betroffenen 10 Prozentpunkte mehr bezahlen müssen. Ob das in solch einer Phase die richtige Botschaft ist, Herr Kelber, das wage ich wirklich zu bezweifeln. ({3}) Ich komme zu den Themen, die uns heute beschäftigen. Klimaschutz im Zusammenhang mit Hochwasser ist ein kleiner Bereich; ganz anders sieht es mit dem weltweiten Klimaschutz aus. Ich möchte darauf hinweisen, dass unsere Regierung extrem hohe Aufwendungen und extrem große Anstrengungen unternommen hat: Allein im Jahr 2013 werden 16,4 Milliarden Euro für den Klimaschutz bereitgestellt. Auch was die Reduzierung der CO2-Emissionen betrifft, gibt es einen Riesenerfolg: Im Kioto-Protokoll haben wir uns verpflichtet, die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 21 Prozent zu reduzieren. Ich habe gehört, dass eine Senkung um 25 Prozent oder sogar 27 Prozent erreicht worden ist. Das reicht nicht aus, aber es ist ein Riesenschritt. ({4}) Es ist ein schönes Ergebnis, dass wir unser Ziel übererfüllt haben. Das wollen wir gerne ausweiten. ({5}) Es taucht des Öfteren die Frage auf, ob die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen bereit seien, die Klimaschutzziele insgesamt zu erhöhen. Da sage ich: Natürlich sind wir bereit. Deutschland hat das Ziel, die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren. ({6}) Das ist ambitionierter als die Ziele, Herr Ott, die sich die rot-grüne Regierung gesetzt hat. ({7}) Wir haben gesagt, dass wir auch bereit wären, auf europäischer Ebene das Ziel einer Reduzierung der EmissioHorst Meierhofer nen um 30 Prozent festzulegen. Wenn wir es schaffen, die Emissionen in Deutschland um 40 Prozent zu reduzieren, dann werden sich auch die anderen an einer stärkeren Reduzierung beteiligen. Sie können es im Nachhaltigkeitsbericht des letzten Jahres nachlesen; dort haben wir es ganz klar niedergeschrieben. Wir werden es auch tun. Herr Kelber, jetzt möchte ich auf eines hinweisen. Sie erwarten von uns, dass wir unsere Ziele, die wir ambitionierter gestalten als Sie jemals vorher, nochmals erhöhen. Und was machen Sie in den Bundesländern? Sie reduzieren die Ziele. Sie haben die Klimaschutzziele in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen reduziert ({8}) und darüber hinaus, was die Gebäudesanierung betrifft, das Gegenteil von dem gemacht, was passieren sollte, nämlich dafür gesorgt, dass im Bundesrat wirkliche Klimaschutzmaßnahmen blockiert werden. Wenn man das macht, also Wasser predigt und Wein säuft, dann ist das nicht besonders nachhaltig und glaubwürdig. ({9}) Dann sollten Sie die Letzten sein, die mit dem Finger auf uns zeigen. Sie sollten sich auch einmal darüber freuen, dass wir sehr viel erreicht haben, auch wenn Sie es uns vielleicht nicht gönnen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es waren vier sehr gute Jahre für den Klimaschutz, für die erneuerbaren Energien und den Emissionshandel. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Ulrich Kelber das Wort. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Fakten kann man immer in ziemlich kurzer Zeit darlegen, Herr Kollege Grosse-Brömer. - Eigentlich hätte Herr Kauch, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, Herrn Meierhofer von der FDP schon einmal erklären müssen, wie es sich mit den Klimaschutzzielen in NordrheinWestfalen verhält, die der Kollege gerade am Ende erwähnt hat. In der Tat ist das Klimaschutzziel der rot-grünen Landesregierung unterhalb des Klimaschutzzieles der schwarz-gelben Landesregierung! ({0}) - Ich wusste, dass Sie sich freuen. Das Interessante ist aber, hinzuschauen: Wie war denn die Entwicklung bei den Treibhausgasen unter der schwarz-gelben Landesregierung, die sich eine Reduzierung um 30 Prozent vorgenommen hat? In den fünf Jahren ihrer Regierungszeit hat sie es geschafft, den Ausstoß von Treibhausgasen in Nordrhein-Westfalen zu erhöhen. Das ist eben der Unterschied zwischen Schein und Sein. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Meierhofer.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie tagesgenau abrechnen wollen, wie viel man auf der einen Seite im Bereich Klimaschutz erreicht hat und wie viel Treibhausgasemissionen es auf der anderen Seite gab, dann sollten Sie vernünftige Zeiträume angeben. ({0}) Schauen Sie sich an, was wir im Zuge des Kioto-Protokolls in den Jahren 1990 bis 2012 erreicht haben. ({1}) 27 Prozent sind ein stattliches Ziel, auch wenn wir im letzten Jahr auf nationaler Ebene mehr CO2-Ausstoß zu verzeichnen hatten. ({2}) Übrigens wurde aufgrund des Emissionshandels europaweit weniger CO2 ausgestoßen als vorher. ({3}) - Es tut mir leid, dass ich nicht für jeden einzelnen Wahlkreis die Ziele pro Tag und Monat definieren kann. ({4}) Aber Tatsache ist, dass der Emissionshandel funktioniert. Folgendes ärgert mich furchtbar: Man legt Ziele auf internationaler Ebene fest. Sie alle weisen regelmäßig darauf hin, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Klimaschutz betreiben müssen. Wir haben uns für die Erreichung der Ziele eingesetzt. Die Ergebnisse liegen nun vor, aber Sie sagen: Schön und gut, aber bei uns zu Hause reicht das nicht aus, darum müssen wir jetzt etwas anderes machen. - Aber so funktioniert das nicht. Sie können nicht fünf Konzepte in fünf Projekten gleichzeitig verwenden, um ein Ziel zu erreichen. Sie müssen eine Vorgabe machen, die Sie erreichen wollen. Nur dann schaffen Sie es. Aber genau das machen Sie leider nicht. Sie sagen: Wir achten nur auf uns, wir brauchen die Vorreiterrolle, und es ist uns schnurzpiepegal, was der Rest der Welt macht. So kommen wir zu keinem Ergebnis. Obwohl wir in einem Jahr, in dem wir Gott sei Dank einen Wirtschaftsaufschwung zu verzeichnen haben, wie er weltweit oder zumindest europaweit nicht vergleichbar ist, etwas mehr Emissionen haben, haben wir trotzdem unsere Klimaschutzziele auf europäischer Ebene erreicht, weil andere dafür deutlich weniger Emissionen haben. Wenn wir es schaffen würden - Kollege Kauch hat darauf hingewiesen, dass wir gerne dazu bereit wären -, das auch auf den Verkehrssektor und auf den Wohnbereich auszudehnen, hätten wir eine echte Chance, noch mehr für den Klimaschutz zu tun. Das könnten wir vielleicht gemeinsam angehen; denn auch Sie haben dieses Ziel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Drei Minuten für „Sie haben recht!“ Das ist ein neuer Rekord! Das hätte man auch in vier Worten sagen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bärbel Höhn hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir legen Ihnen hier im Deutschen Bundestag heute unseren Gesetzentwurf zum Klimaschutz vor, weil wir das Thema aus der tagespolitischen Debatte herausholen wollen. Herr Meierhofer, wir wollen, dass das Thema Klimaschutz langfristig angegangen wird und dass wir nicht nur Ziele verkünden, sondern dass wir diese Ziele am Ende auch erreichen. Das muss unsere Aufgabe sein. ({0}) Die deutsche Politik hat die Schuldenbremse gesetzlich verankert, weil es nicht sein kann, dass wir immer mehr Schulden machen und nachfolgende Generationen keinen Spielraum mehr haben. Meine Fraktion findet, dass die Erhaltung unserer Lebensgrundlage, der Klimaschutz, eine ebenso wichtige Aufgabe ist, die wir nicht einfach auf Kosten unserer Kinder lösen dürfen. Deshalb brauchen wir nicht nur eine Schuldenbremse, sondern wir brauchen auch eine CO2-Bremse, um unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. ({1}) Die Hochwasserkatastrophe erinnert uns in der Tat daran, wie teuer nicht vorhandener Klimaschutz sein kann. Der eine oder andere mag der Meinung sein: Der Klimawandel ist doch gar nicht so schlimm, es wird vielleicht 2 bis 3 Grad wärmer. Wir sehen, dass genau das eintritt, was Niclas Stern in seiner Studie gesagt hat: Wir werden den Klimawandel nicht bezahlen können. Er wird so teuer, dass ihn keiner bezahlen kann. - Deshalb müssen wir uns für den Klimaschutz einsetzen. Die Flutkatastrophen zeigen, dass auch Deutschland nicht verschont bleibt. ({2}) Mir ist wichtig, dass wir beim Klimaschutz auch an unsere internationale Verantwortung denken; denn wir, die Industrieländer, sind für den hohen CO2-Ausstoß verantwortlich. 80 Prozent der Emissionen werden von den Industrieländern verursacht. Die Gewinne sind lange eingefahren, aber die Opfer des Klimawandels, die zum Beispiel in Bangladesch und Afrika leben, leiden immer wieder unter den Folgen; noch viel mehr als wir hier. Deshalb haben wir die Verpflichtung - nicht nur für die Menschen hier in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt -, verlässlichen Klimaschutz zu betreiben. ({3}) Die Rolle der Kanzlerin ist mehrfach angesprochen worden. Herr Altmaier, es stimmt: Die Kanzlerin hat damals das Kioto-Protokoll mitverhandelt. 2007 hat sie sich, als es en vogue war und der Stern-Bericht gerade auf dem Tisch lag, als Klimakanzlerin präsentiert. Aber nach 2007 hat sie alle ihre Versprechungen nicht gehalten. Es waren leere Versprechungen. ({4}) 2008 hat sie auf europäischer Ebene dafür gekämpft, dass die großen Autos mehr CO2 ausstoßen dürfen. 2008 trug die Kanzlerin die Verantwortung für das verheerende Ergebnis der Klimakonferenz in Poznan und in der Folge auch in Kopenhagen. Es kann nicht sein, dass tolle, medienwirksame Fotos mit einem roten Anorak vor den schmelzenden Eisbergen gemacht werden und danach kein Klimaschutz betrieben wird. ({5}) Das darf nicht sein. Deshalb wollen wir unser Klimaschutzgesetz. Deshalb wollen wir auch, dass diese Kanzlerin endlich ihre Verantwortung wahrnimmt - denn sie ist diejenige mit dem meisten Wissen in der Bundesregierung -, den Wirtschaftsminister endlich in die Schranken weist und endlich dafür sorgt, dass der Klimaschutz in Deutschland ernst genommen wird und wir eine Vorreiterrolle übernehmen, auch in der EU. Dafür brauchen wir unser Klimaschutzgesetz. Danke schön. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Daniela Ludwig hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt ein bunter Strauß aus Anträgen und Gesetzentwürfen vor. Sie nehmen es mir hoffentlich nicht übel, wenn ich mich in meiner Eigenschaft als Verkehrs- und Baupolitikerin zunächst gerne mit den entsprechenden Anträgen beschäftigen möchte; denn zum Klimaschutz und zu dem, was Sie sich sonst noch vorstellen, haben wir heute schon Hinreichendes gehört. Auch die Rednerinnen und Redner nach mir werden dazu sicherlich noch einiges ausführen. Vorweg möchte ich etwas zur Mobilitätsstrategie der Bundesregierung sagen: Wir sind „mit Ziel mobil“. So möchte ich das einmal überschreiben. Wer das Gegenteil behauptet - das war heute schon vielfach der Fall -, der hat ganz offenkundig das Verkehrskonzept dieser Bundesregierung nicht richtig verstanden. ({0}) Wenn wir innerhalb der Bundesregierung, aber auch innerhalb der Koalitionsfraktionen manchmal über den Weg zu den konsensualen Zielen debattieren, dann ist das, so glaube ich, nicht unbedingt verwerflich. Das zeigt nur: Wir sind an gesellschaftlichen Debatten über die Energiewende und den Klimaschutz interessiert, und wir sind daran interessiert, die Menschen, aber auch die Industrie in unserem Land mitzunehmen. ({1}) Das möchte ich an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen. Anders funktioniert die Energiewende mit Sicherheit nicht. Was die CO2-Reduktionsziele im Verkehrsbereich angeht, möchte ich Folgendes sagen: Das, was im Energiekonzept der Bundesregierung steht, geht weit über das hinaus, was in den vorliegenden Anträgen gefordert wird. Das müssen Sie schlicht und ergreifend einmal zur Kenntnis nehmen. Wir sagen: Der Energieverbrauch im Verkehrssektor soll bis 2020 um 10 Prozent und bis 2050 um immerhin 40 Prozent gesenkt werden. Außerdem bezieht sich das Energiekonzept dieser Regierung nicht nur auf fossile Energieträger, sondern auch auf nichtfossile Energieträger. Dabei sind wir auch noch technologieoffen. Ich glaube, auch das ist wichtig; denn im Moment kann keiner wirklich beurteilen, was sich am Markt letztlich durchsetzen wird. Wir sollten den Markt nicht vergessen. Bei uns geht es um Elektromobilität, bei uns geht es aber auch um die Brennstoffzelle und um Hybride. ({2}) Ich glaube, das zeigt, dass wir auf einem relativ guten Weg sind, wir aber auch viele Dinge gemeinsam mit der Industrie und der Forschung weiterentwickeln müssen. Die SPD fordert, Biomethan im Verkehrssektor zu fördern. Ja, diesbezüglich besteht ein klarer Konsens. Das sehen wir auch so. Allerdings ist auch das bereits Bestandteil unseres Energiekonzeptes. Wenn Sie sich das zu Gemüte geführt hätten, hätten Sie dieses Stichwort leicht gefunden. ({3}) Wir sind bereits dabei, diese Forderung zu erfüllen und umzusetzen. - Frau Kofler, falls Sie es nicht verstanden haben, wiederhole ich das gerne noch einmal: ({4}) Der Verkehrssektor ist nicht ganz unwichtig bei der Frage, wie wir die Klimaschutzziele und die Energiewende umsetzen. Deswegen erlaube ich mir, in meiner Rede auf die Punkte einzugehen, die aus Sicht der Verkehrspolitiker in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig sind. Das müssen Sie schlicht und ergreifend aushalten. Da müssen Sie jetzt durch. Ganz offensichtlich haben Sie ein Problem damit, wenn man hier relativ ruhig, ohne den Schallpegel zu durchbrechen, ein paar Fakten vorbringt und sagt, wo wir hinkommen wollen und wie wir das erreichen wollen. Deswegen sage ich zum Thema Biomethan: Auch hier sind wir offen. Sie, liebe Kollegen von der SPD, haben vielleicht auch zur Kenntnis genommen, dass Biomethan bei der Biokraftstoffquote selbstverständlich anrechenbar ist. Aber auch hier gilt: Es gibt noch ein Leben daneben. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Die Verbrauchsgrenzwerte müssen ambitioniert sein, keine Frage. Aber uns ist schon wichtig, dass Ambitionen und Augenmaß zusammenpassen, dass das eine das andere nicht ausschließt. Wir haben heute schon mehrfach gehört, dass wir in diesem Bereich europaweit absolute Vorreiter sind. Der Kollege Jung hat es ausgeführt, der Bundesumweltminister ebenso. Wir wissen aber auch, dass wir Standort von vielen großen und guten Fahrzeugschmieden sind. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen: Wir stehen dazu, dass wir in unserem Land eine herausragend gute Automobilindustrie haben, und wir wollen auch, dass das so bleibt. ({5}) Deshalb ist es auch nicht verwerflich und nicht verboten, sich mit der Industrie darüber zu unterhalten, wie wir ambitionierte Ziele miteinander und nicht gegeneinander erreichen können. Das ist auch ein Ziel der Verkehrspolitik der deutschen Bundesregierung. Dazu stehen wir definitiv. Wir wissen, dass wir im Bereich der Elektromobilität noch einige Probleme zu lösen haben, keine Frage. Wir befinden uns in einer - wie es so schön heißt - schwierigen Marktvorbereitungssituation. Wir verfolgen ein ehrgeiziges Ziel, und wir werden noch sehr hart daran arbeiten müssen, lieber Kollege Jung, dieses auch zu erreichen. Aber es geht nicht gegen den Markt, es geht nur mit dem Markt. Es geht auch nur mit dem Verbraucher, der letztlich diese Autos fahren und bezahlen muss. Danach müssen wir uns politisch richten. Deswegen gilt für uns ganz klar: nicht nur Reglementierung, nicht ein Gegeneinander, sondern ein gutes Miteinander und ein gemeinsames Erreichen dieser Ziele. Ich glaube, dass wir tatsächlich auf einem ausgezeichneten Weg sind. ({6}) Angesichts dieser Leistungsbilanz glaube ich, dass wir zufrieden sein können. Wir können uns nicht zurücklehnen, ganz im Gegenteil. Wir müssen noch sehr viel dafür tun, dass wir beim Klimaschutz vorankommen. Aber ich möchte betonen: Diese Leistungsbilanz kann sich in der Tat sehen lassen, und sie ist durchaus noch ausbaufähig. Das hätte ich gern in dem einen oder anderen Antrag von Ihnen gelesen, aber dafür hat es im Wahlkampf offenbar nicht mehr gereicht. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Angelika Graf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Frau Kollegin Ludwig, meine Lebenserfahrung sagt mir, dass man dem politischen Gegner besser nicht unterstellen sollte, dass er dumm, uninformiert etc. ist. Ich denke, das hat etwas mit dem Ansehen der Politik zu tun. Dem haben Sie gerade intensiv geschadet. ({0}) Ich möchte mich mit dem Thema, das ich Ihnen heute vorstelle, ein bisschen außerhalb der Grenzen Deutschlands bewegen; denn der Klimawandel macht eben nicht an den Grenzen halt. Darüber haben wir heute schon länger und anhand vieler Beispiele gesprochen. Ich möchte Ihnen von einer Delegationsreise des Menschenrechtsausschusses, dem ich angehöre, berichten. Wir waren Anfang April in Nepal und haben uns über die schwierige Lage vor Ort informiert. Diese hat auf der einen Seite etwas mit den Schatten der Vergangenheit zu tun, die immer noch auf diesem Land liegen, auf der anderen Seite aber durchaus auch mit der Klimaveränderung, die man in Nepal ganz besonders deutlich sieht und spürt. Die Gletscher im Himalaja-Staat schmelzen. Der UN-Klimarat schätzt, dass sie im Jahre 2035 nur noch ein Fünftel der heutigen Fläche bedecken. Durch die Schmelze entstehen riesige Gletscherseen. Wenn man sich anschaut, welche Flächen dort überflutet werden, weiß man, dass die Hochwasser, gegen die wir heute hier kämpfen und die uns wegen ihrer Ausmaße und der Anzahl der betroffenen Menschen erschrecken, dagegen wirklich ein Klacks sind. Die Folge ist - so absurd es klingt -, dass die Trinkwasserversorgung für rund 1,3 Milliarden Menschen in den umliegenden Ländern stark gefährdet ist. Die Menschen sind somit sehr stark in ihrem Recht auf Wasser beeinträchtigt. Um auf die Folgen der Erderwärmung aufmerksam zu machen, hat die Regierung von Nepal im Jahre 2009 am Mount Everest in 5 262 Metern Höhe getagt. Ich frage jeden, der hier ist, ob er das zur Kenntnis genommen hat, ob uns allen bekannt ist, wie verzweifelt die Lage in diesem Land ist. Ich finde es gut, dass Nepal bei der diesjährigen Klimakonferenz in Polen eine besondere Rolle einnimmt. Nepal ist derzeit der Sprecher der Gruppe der Least Developed Countries. Damit hat Nepal die schwierige Aufgabe, die Interessen und Bedürfnisse derjenigen Menschen zu vertreten, deren Rechte durch die Folgen des Klimawandels am stärksten gefährdet sind. Bisher standen die Rechte der Menschen bei den Debatten der internationalen Klimaverhandlungen eben nicht im Zentrum des Interesses. Mittlerweile diskutieren die Regierungen und auch die Großen der Weltwirtschaft über geeignete Anpassungsstrategien - das ist in Ordnung -, streiten über einen transparenten Emissionshandel - auch das ist prima - und über das 2-Grad-Ziel. Wir haben heute mehrfach gehört, dass wir dieses wohl nicht erreichen können; es ist aber gut, dass dies ein Thema ist. Eines vermisse ich jedoch bei all diesen Diskussionen - das ist meiner Meinung nach das Wichtigste -, nämlich die Rechte der Menschen. Es geht darum, den Menschen nicht als hilfloses Opfer, sondern als Träger von Rechten zu sehen und diese Thematik mehr in die Debatte um den Klimawandel einzubringen. ({1}) Dies umfasst das Recht auf Wohnen, das Recht auf Wasser, das Recht auf Gesundheit und zum Beispiel auch - da schließe ich an das an, über das wir vorhin debattiert haben - das Recht, nicht vertrieben zu werden, nicht vom Wasser und auch nicht von anderen Menschen, die mehr Geld haben und sich infolgedessen sozusagen in dem Land einkaufen, wo andere Menschen vorher gelebt haben. Die Verbindung zwischen der Verletzung von Menschenrechten und dem Klimawandel ist, wie das eingangs beschriebene Beispiel Nepal gezeigt hat, offensichtlich. Dennoch ist auf internationaler Ebene bisher keine Verknüpfung dieser beiden Rechts- und Politikbereiche erfolgt. Auf der einen Seite haben wir das internationale Menschenrechtssystem mit den UN-Pakten, der Genfer Flüchtlingskonvention und mit seinen individuellen Möglichkeiten der Beschwerde. Auf der anderen Seite haben wir die internationalen Klimaverhandlungen unter dem Dach der Klimarahmenkonvention. Hier setzt unser Antrag an. Wir sind der Meinung, dass die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels ausschließlich in Verbindung mit der Verletzung oder Gefährdung der Rechte der Menschen gesehen werden Angelika Graf ({2}) können und sollen und dass wir die Einbindung der Menschenrechte in die Klimadiskussion brauchen, um nachhaltige und für die Menschen angepasste und wichtige und richtige Lösungen zu finden. ({3}) Ein menschenrechtsbasierter Ansatz in der Klimapolitik würde aus unserer Sicht die internationalen Diskussionen neu ankurbeln und den besonders Betroffenen eine wichtige Stimme verleihen. Erstens ist in den UN-Pakten die Pflicht, international zu kooperieren, fest verankert. Zweitens würde der Fokus dadurch besonders auf verwundbare Bevölkerungsgruppen, also zum Beispiel ethnische Minderheiten, gelegt. Drittens könnte ein menschenrechtsbasierter Ansatz Standards und Mechanismen für die Klimapolitik bereitstellen, die den Klimawandel mit seinen Folgen auf vertraglich vereinbarter Grundlage politisch und rechtlich bewerten. Wir fordern daher diese und die kommenden Bundesregierungen auf, diesen Ansatz im Menschenrechtssystem und bei den Klimaverhandlungen sowie im Flüchtlingsschutz

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ich bin sofort fertig - und der bi- und multilateralen Entwicklungspolitik entsprechend zu integrieren. Herr Kauch, vom Außenministerium - Sie sind mir nicht böse habe ich diesbezüglich noch nichts gehört. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Klaus Breil. ({0})

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In tiefer Betroffenheit möchte ich mich den Worten des Kollegen Horst Meierhofer zur Hochwasserkatastrophe, vor allen Dingen mit dem Bezug zu Bayern, anschließen. Angesichts der Anzahl der Beschlussempfehlungen und Anträge möchte ich mich auf die zwei Punkte „transatlantische Kooperation“ und „China als Partner“, die sich vor allem in zwei Anträgen der Grünen finden, konzentrieren. Dabei möchte ich die Damen und Herren der Opposition um eines bitten. Allzu oft führen Sie die Vorreiterrolle Deutschlands als Begründung für die Einführung von Zwangsmaßnahmen an. Ich möchte Ihnen in dieser Sache eines mitgeben: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Fingerzeige von uns auf China oder die USA als diejenigen, die Nachhilfe von uns brauchen, nicht notwendig sind. ({0}) Niemand braucht oder mag uns Deutsche als Besserwisser, die stets nach einer Eins mit Sternchen lechzen. Beide Länder - das mag für den einen oder anderen hier neu sein - kümmern sich sehr wohl um den Klimaschutz innerhalb ihrer Staatsgrenzen. Beide Länder tun dies auf ihre eigene Art. Beide Länder nehmen andere Wege als wir in Deutschland. Da Sie mir das nicht glauben, möchte ich Ihnen zwei Beispiele aus meiner jüngsten persönlichen Erfahrung nennen. Ende Mai war ich in Washington D. C. auf dem Energy Efficiency Global Forum, einer internationalen Konferenz zur Energieeffizienz. Dort war es fast schon eine Selbstverständlichkeit, dass ein Deutscher, nämlich der Unternehmer Heinz Dürr, mit einem Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Deutschland steht wie kein anderes Land für Effizienz, so auch für Energieeffizienz. ({1}) Die Amerikaner verfolgen bei ihrer Energiewende einen anderen, einen eigenen Ansatz: Sie agieren marktbezogen. Sie setzen auf Energieeffizienz sowohl in der Industrie als auch in den privaten Haushalten. Großen Einfluss auf die Steigerungsraten bei der Energieeffizienz bzw. bei der Produktivität haben in den USA Produktzyklen: die Zeiträume, in welchen Maschinenparks oder Geräte ausgetauscht werden. Bei diesem Weg möchte ich einem souveränen Staat nicht hereinreden. Den Ansatz der Chinesen zum Klimaschutz konnte ich auf der letzten Delegationsreise des Wirtschaftsausschusses wieder erleben: Dort werden - das ist zugegebenermaßen eine Spur mehr Planwirtschaft als bei uns Fünfjahrespläne aufgestellt. Diese haben unter anderem das Ziel, die Effizienz in den Unternehmen zu steigern und den Einsatz von Ressourcen zu verringern. Für mich ist das eine klare Ansage und nicht neu: Auch im letzten Fünfjahresplan wurde das Projekt Energieeffizienz angegangen, und zwar für die chinesische Stahlindustrie. Durch strenge Vorgaben wurden in China in diesem Bereich die größten Verschmutzer vom Markt genommen. ({2}) Ihnen wurde einfach die Genehmigung zur Produktion entzogen. Das ist der chinesische Weg. ({3}) Unser Weg liegt zwischen dem amerikanischen mit viel Markt und dem chinesischen mit Plänen. Mit Verlaub: Wir könnten ein wenig mehr Markt gebrauchen; aber das gehen wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner in der kommenden Legislaturperiode an. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Johannes Röring das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition steht ohne Wenn und Aber zum Klimaschutz. Keine Regierung hat so viel für den Klimaschutz getan wie die christlich-liberale Koalition unter Angela Merkel. ({0}) Der Maßnahmenkatalog reicht von der Förderung der erneuerbaren Energien bis hin zur Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Die Reduktion von Treibhausgasen um 40 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050 ({1}) ist keine leere Worthülse, sondern sie ist Realität. ({2}) Meine Damen und Herren, in einem der siebzehn Anträge, über die wir hier diskutieren, geht es auch um die Landwirtschaft. Deswegen möchte ich ein wenig näher darauf eingehen. Wie jeder andere Sektor ist auch die Landwirtschaft bereit, ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele zu leisten. Die Bauern selbst haben ein großes Interesse am Klimaschutz. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Starkregenfälle der letzten Wochen erwähnen, die viele Dörfer und viele meiner Berufskollegen stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Helferorganisationen bedanken und äußerst loben, dass dort so viel Einsatz gezeigt wurde. Mein Dank gilt auch den vielen Landwirten, die mit ihren Maschinen, mit ihrer Technik mitgeholfen haben. Ich sage der Opposition an dieser Stelle sehr deutlich: Die Landwirtschaft ist - anders als das manchmal behauptet wird - bereit, ihren Beitrag zu leisten, auch in der Frage von Retentionsflächen. Wir sehen allerdings nicht ein, warum diese Flächen nicht bewirtschaftet werden sollen. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Die Landwirtschaft lässt mit sich reden. ({3}) Wenn es um notwendige Deichbaumaßnahmen geht, sage ich Ihnen allerdings sehr deutlich: Da ist mir der Mensch wichtiger als die Libelle. Land- und Forstwirtschaft sind die einzigen Wirtschaftszweige, in denen durch den Anbau von Pflanzen und durch Humusanreicherung in den Böden sogar CO2 gebunden werden kann. Die originäre Aufgabe der Landwirtschaft ist nämlich Erzeugung von hochwertigen Nahrungsmitteln für die Menschen. Um weiterhin genügend gute und bezahlbare Nahrung zu produzieren, brauchen wir eine hocheffiziente und intensive Landwirtschaft. ({4}) Diese wird aber immer öfter von einigen als industrielle Landwirtschaft beschimpft, und das vor dem Hintergrund einer sich noch vergrößernden Weltbevölkerung. Deswegen glaube ich, dass eine extensive Landwirtschaft und Ökoanbau allein die Menschen auf der Welt nicht satt machen werden. ({5}) Die Landwirtschaft ist zwar durch Emissionen wie CO2, Methan und NO2 am Klimawandel beteiligt, aber ein Verzicht oder eine Verlagerung von Produktion in andere Länder - das wäre die zwangsläufige Folge wäre überhaupt keine Alternative. ({6}) Zum Beispiel ist ohne den Einsatz des Hauptnährstoffes Stickstoff kein Anbau von Früchten möglich. Aber die Landwirtschaft ist bereit, sich durch ständige Anpassung der guten fachlichen Praxis wie emissionsarme Düngung und Düngerausbringung zu verbessern. Die Formel heißt: Mit weniger mehr erzeugen. Betrachtet man nämlich den CO2-Fußabdruck als Messlatte für Klimabeeinflussung, dann sieht man ganz deutlich, dass der Ausstoß pro Tonne Getreide, pro Liter Milch und pro Kilo Fleisch, also pro Einheit, bei der modernen Landwirtschaft erheblich geringer ist. Deswegen ist Bio nicht immer gleich Öko. Forderungen der Opposition zum Klimaschutz in der Landwirtschaft sind ein Versuch, die beiden Bewirtschaftungsformen gegeneinander auszuspielen. Effiziente Landwirtschaft in Deutschland bedeutet doch effizienten Klimaschutz, meine Damen und Herren. In Sachen Klimaschutz sind wir nämlich auch in der Landwirtschaft in Deutschland Vorreiter. ({7}) Diesen Weg wollen und werden wir weitergehen. Das funktioniert aber nicht, indem man die Landwirtschaft immer mit weiteren Regeln und Verboten gängelt. Das führt nämlich zur Verzerrung des Wettbewerbs und vor allen Dingen zur Schwächung unserer klimaeffizienten Landwirtschaft. Die Folge ist ganz einfach: Sie bevorteilen Klimasünder in anderen Ländern, weil die Produktion dorthin auslagert wird, und Sie gefährden die Arbeitsplätze bei uns vor der Tür. Klimaschutz ist nämlich eine internationale Aufgabe. Durch nationale Alleingänge werden die Probleme nur verschoben, aber nicht gelöst. Deutschland ist deshalb Gründungsmitglied der Globalen Forschungsallianz zu landwirtschaftlichen Treibhausgasen. Die christlich-liberale Koalition steht für eine klimaeffiziente Landwirtschaft, die dem Ernährungsauftrag auch in Zukunft gerecht werden will. ({8}) Dazu gehören natürlich auch Vorgaben und Leitplanken für die Landwirtschaft. Gebote und Verbote erfordern jedoch das richtige Augenmaß. Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von der Opposition, sind gekennzeichnet von Regelungswut und maßlosen Vorgaben. Klimaschutz geht nur mit den Bauern und nicht gegen sie. Ihre Anträge sprechen eine andere Sprache. Deswegen lehnen wir sie ab. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Gabriele Groneberg das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Aktualität dieser Debatte ist heute schon viel gesagt worden. Dem kann ich mich in großen Teilen nur anschließen. Mir geht es in dieser Debatte wie Ihnen, Herr Röring, um die Belange der Landwirtschaft. Aber ich glaube, das ist so ziemlich das Einzige, was wir bei dieser Debatte gemein haben. In der Tat: Die Landwirtschaft ist ganz besonders betroffen von den künftigen Auswirkungen des Klimawandels. Und: Unsere Landwirtschaft ist nicht klimaneutral. Sie ist Opfer, aber sie ist eben auch Verursacher. Die Abholzung von Wäldern, der Umbruch von Grünland und Brachflächen, der intensive Ackerbau mit engen Fruchtfolgen und Monokulturen, der starke Einsatz von synthetischen Düngemitteln und die intensive Tierhaltung tragen nachweislich zum Klimawandel bei. Wohlgemerkt geht es hier nicht darum, die Landwirtschaft als Klimakiller zu diffamieren; aber selbst nach Angaben dieser Bundesregierung ist die Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen mit einem Anteil von 11 bis 15 Prozent beteiligt. In der Nachhaltigkeitsstrategie dieser Bundesregierung ist der Handlungsdruck durchaus formuliert: Die Indikatorberichte sagen aus, dass es für den Bereich der Landwirtschaft zwingend notwendig ist, den Stickstoffüberschuss zu verringern, was bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, offensichtlich verdrängt wird. Herr Röring, Ihre Ausführungen dazu waren auch nicht sehr erbaulich. Mit unserem Antrag hingegen haben wir Sie bereits vor zwei Jahren aufgefordert, den Stickstoffüberschuss auf 50 Kilogramm pro Hektar zu begrenzen. Dass wir ein Problem mit dem Nährstoffüberschuss haben, ist ja nicht neu; es gibt Regionen in diesem Land, wo dringender Handlungsbedarf besteht. Das wissen wir seit längerem. Dort schlagen vor allem auch die Wasserverbände Alarm, weil die Nitratwerte im Grundwasser beunruhigend ansteigen. Wir finden: Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ihre einzige Antwort ausweislich der Bundestagsdrucksache 17/4888 ist - jetzt kommt es -: Die Vorwürfe, es werde nicht genug kontrolliert, träfen nicht zu. Erst vor kurzem habe es eine erhebliche Verschärfung der Verbringungsverordnung gegeben. Auf der Grundlage dieser Verbringungsverordnung werde jedes Kilogramm Stickstoff, Phosphor und Kali registriert und kontrolliert. Deswegen sei auch die Forderung nach einer Verschärfung der geltenden Regelungen der Düngeverordnung der falsche Weg. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie merken doch offensichtlich überhaupt nicht, was da draußen passiert. Es gibt definitiv nicht genug Kontrollen. ({0}) Wir haben neben diesem Antrag einen weiteren Antrag eingebracht, in dem wir fordern, die Düngeverordnung zu novellieren und zu verschärfen. Wir wollen über die Reduzierung des Stickstoffüberschusses hinaus mit einer Stickstoffbilanz eine zielgenaue, bedarfsgerechte und standortangepasste Düngung erreichen. Diese erfolgt in Teilen zurzeit nicht. Wir wollen Schulungs- und Beratungsprogramme intensivieren. Es muss eine wirksame Düngeverordnung geben. Diese muss konsequent eingehalten werden, und dafür müssen Kontrollen ebenso wie wirksame Sanktionen sorgen. Und es gilt, den Grünlandumbruch zu unterbinden, um auch damit die Stickstoffüberschüsse zu begrenzen. In diesem Zusammenhang haben Sie es versäumt, klare Regelungen zur intensiven Tierhaltung und zum Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf den Weg zu bringen. ({1}) Nach langen Verhandlungen in diesem Hause konnten wenigstens einige Regelungen von uns durchgesetzt werden, die vor allem die kommunale Planungshoheit in den ländlichen Räumen, zum Beispiel in Bezug auf die überbordende Bebauung mit Ställen, sichern sollen. Aber es gibt noch weitere Handlungsfelder, auf denen Sie in den letzten Jahren ständig untätig geblieben sind und bei denen Sie sich wirksamen Maßnahmen zum Schutz des Klimas und der Landwirtschaft schlichtweg verweigern. Als Stichworte nenne ich nur das Waldgesetz, Maßnahmen auf EU-Ebene und zum ökologischen Landbau und natürlich auch unseren Antrag zur Verwendung von Pflanzenölen in der Landwirtschaft. Nichts ist von Ihnen hier akzeptiert worden. Bei allem haben Sie „njet“ gesagt. (Michael Grosse-Brömer ({2}): Würden wir nie tun! Da sind die Herausforderungen der Ernährung einer immer größer werdenden Bevölkerung, Herr Röring. Diese unter Inkaufnahme einer Vernachlässigung von ökologischen Faktoren sicherzustellen, ist geradezu sträflich und rächt sich. Es rächt sich vor allem da, wo Natur und Umwelt nachhaltig Schäden erleiden und damit letztendlich den Menschen schaden. An dieser Stelle muss auch einmal deutlich gesagt werden: Wir wollen die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland sichern. Dafür muss man aber weiter denken als Sie zurzeit in dieser Koalition. Ein Weiter-so, ein „immer intensiver“ ist letztendlich der Todesstoß für viele Landwirte in unserem Land. So wie Sie nicht auf Herausforderungen der Zukunft zu reagieren, nicht zu reagieren auf den Klimawandel, bedeutet das Aus für eine gute Landwirtschaft. Das muss man den Menschen draußen auch sagen. Wir werden das tun. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Christian Hirte für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt eine Vielzahl von Reden gehört. Als letzter Redner der Debatte habe ich die besondere Freude, zu schauen, was übrigbleibt, und zusammenzukehren, was aus der Debatte dauerhaft Bestand haben soll. Viele meiner Vorredner haben schon darauf hingewiesen, dass Klimaschutz nicht allein eine nationale Aufgabe ist, sondern dass Klimaschutz nur im internationalen Kontext vernünftig organisiert werden kann. Ich glaube, uns allen ist klar, dass wir die Welt allein mit der von uns hier in Deutschland betriebenen Klimaschutzpolitik nicht retten können. Daher müssen wir alles daransetzen, zunächst europäisch, aber auch international dafür Sorge zu tragen, dass ein vernünftiger Weg eingeschlagen wird. Wir müssen als Deutsche dabei einen Spagat vollbringen, indem wir auf der einen Seite den Weg, den wir hier ja schon beispielhaft beschrieben haben, weiter vorangehen, auf der anderen Seite unsere Bürger und unsere Wirtschaft aber nicht überfordern. Wir wollen in dieser Bundesregierung - in der Koalition aus CDU/CSU und FDP - Ökonomie und Ökologie unter einen Hut bringen. Wir sind - das wird übrigens weltweit bestätigt - Vorreiter in der Klimaschutzpolitik. Die Wahrnehmung, die Sie in der Opposition möglicherweise haben, entspricht nicht der unserer Bürger in Deutschland und schon gar nicht der, die international vorherrscht, wenn man dort schaut, was wir in Europa und vor allem aber auch in Deutschland schon auf den Weg gebracht haben. ({0}) Es mag nett sein, über Klimaschutzziele und deren Definition und Festschreibung zu debattieren. Entscheidend ist aber, was am Ende tatsächlich praktisch umgesetzt wird. Wir haben gerade am Anfang der jetzigen Legislaturperiode mit dem Energiekonzept erstmals eine langfristige konkrete Vision aufgestellt, ({1}) die für den Zeitraum bis 2050 konkrete Ziele und Maßnahmen dafür definiert, dass der Energieverbrauch bei uns in Deutschland insgesamt gemindert wird. ({2}) Ich glaube, hier können wir durchaus - das will ich wohlwollend in Richtung der Opposition sagen - auch auf gemeinsame Erfolge in der Vergangenheit zurückblicken, auf die wir aufsatteln konnten. Der Ausbau der Erneuerbaren war in der jetzigen Legislaturperiode so erfolgreich wie nie. Der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommarkt liegt mittlerweile bei etwa 25 Prozent. Ich glaube, das ist ein beeindruckender Erfolg. ({3}) Deswegen verfängt es doch überhaupt nicht, dass Sie den Anschein erwecken wollen, dass wir mit unserer Klimaschutzpolitik und unserer Politik für die erneuerbaren Energien nicht erfolgreich vorankommen. ({4}) Das tun wir im Übrigen nicht nur, indem wir hier Klimaschutzdebatten führen, sondern indem wir auch praktisch Geld in die Hand nehmen, zum Beispiel für den deutlichen Ausbau der Forschung, etwa für die Forschung an Netztechnologien und dem Ausbau von Speichern. ({5}) Das sind sehr wichtige Themen, wenn wir den Ausbau der erneuerbaren Energien langfristig erfolgreich voranbringen wollen; denn jedem von uns hier im Hause ist klar, dass der Ausbau der Erneuerbaren nur dann erfolgreich sein kann, wenn die volatilen Energien abgepuffert werden können. Als Mitglied des Koordinationskreises Elektromobilität will ich auch sagen, ({6}) dass wir insbesondere im Bereich Elektromobilität sehr viel erreicht haben, indem wir mittlerweile etwa 1 Milliarde Euro in die Forschung investiert haben. ({7}) Es ist auch gut, dass wir zunächst Forschungsmittel in die Hand nehmen und anders als andere Staaten nicht unmittelbare Anreize für den Kauf von Autos setzen. ({8}) Das würde nämlich dazu führen, dass man keine deutschen, sondern französische oder japanische Fahrzeuge kaufen würde. ({9}) Ich halte es deswegen für richtig, dass wir den Weg beschreiten, zunächst die Technologie so zu entwickeln, dass wir am Ende nicht nur Leitmarkt, sondern vor allem Leitanbieter in einem so wichtigen Bereich werden können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, Sie haben gesehen, dass es den Wunsch zu einer Zwischenfrage gibt. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass Ihre originäre Redezeit gleich abläuft.

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann will der Kollege Ott sie wahrscheinlich verlängern.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Prima, gut. Hiermit ist sie zugelassen. ({0})

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich wollte Ihren Kollegen Röring eben nicht unterbrechen, weil ich nicht wusste, ob er meine Frage hätte beantworten können. Bei Ihnen setze ich doch etwas Sachverstand voraus. ({0}) Sie sagen, dass Sie die Elektromobilität fördern wollen. Erzählen Sie uns doch einmal, was Sie dafür wirklich tun. Ich komme in diesem Zusammenhang mit vielen Leuten zusammen - mit Entwicklern von diesen Fahrzeugen und solchen, die diese Fahrzeuge dann tatsächlich absetzen wollen -, und wir kommen einfach nicht weiter. 1 Million Elektroautos wollte Ihre Regierung bis 2020 auf die Straße bringen. Ein paar Tausend sind es bis jetzt geworden. Das wird also niemals gelingen. Jetzt sagen Sie uns doch: Mit welchen Maßnahmen wollen Sie den Absatz von Elektrofahrzeugen fördern? Sie sagen: Wenn wir jetzt eine Prämie für den Kauf einführen, dann werden nur französische Autos gekauft. Damit geben Sie doch zu, dass Anreize für die deutsche Industrie fehlen, solche Fahrzeuge tatsächlich zu entwickeln. Gerade deshalb brauchen wir Kaufanreize, damit Elektrofahrzeuge diese Hürde nehmen können.

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Ott, zunächst herzlichen Dank für die Blumen, was meine Kompetenz angehen soll. Die kann ich leider nicht zurückgeben. ({0}) Wir befinden uns momentan noch in einer ganz frühen Phase des Markteintritts von Elektromobilen, in der wir uns teilweise noch im Konzeptbereich bewegen und ganz viel forschen müssen. Es fängt jetzt gerade erst an, dass langsam auch in der Breite nutzbare Fahrzeuge auf den Markt kommen. ({1}) Der Bundesminister Altmaier hat gerade gesagt, dass in dieser Woche das erste deutsche Serienfahrzeug vom Band gelaufen ist und dass in diesem Jahr zum Beispiel noch andere - auch deutsche - Automobilhersteller nachziehen werden. Wenn Sie meinen, dass wir im Bereich Elektromobilität noch nicht vorangekommen sind, nehme ich Ihnen das nicht so recht ab, weil ich glaube, dass Sie wissen müssten, dass wir neben den Forschungsmitteln, die wir auf den Weg gebracht haben, auch mit den Modellregionen Erfolge verzeichnen können, dass wir bei den Zulassungen jetzt beeindruckende Zahlen haben ({2}) - ich bin mit dem Thema Elektromobilität noch nicht fertig -, die besagen, dass allein im letzten Jahr die Zulassung rein elektrisch betriebener Fahrzeuge von 4 500 auf 7 200 gestiegen ist. Bei Hybridfahrzeugen gab es eine Steigerung von 12 000 auf 21 000 Fahrzeuge. Das geschah in einer ganz frühen Phase der Markteinführung. Wenn wir jetzt nach und nach mit unseren deutschen Produkten auf den Markt kommen, bin ich nicht so pessimistisch wie Sie, sondern glaube, dass es nach wie vor durchaus erreichbar ist, dass wir in den Jahren 2017 bis 2019 jährliche Produktionsmengen von ein paar Hunderttausend Fahrzeugen erreichen können, womit wir das von unserer Regierung gesetzte Ziel erreicht hätten. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege Hermann Ott, Sie wissen, was im Hause üblich ist. Sie haben sich da nicht so verhalten; aber jeder ist ja immer für sich selbst verantwortlich. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen, dass wir nicht starr wie die Maus vor der energie- und klimapolitischen Katastrophenschlange sitzen und warten, was passieren möge. Wir haben gehandelt, wir haben Erfolge vorzuweisen. Ich glaube, jeder, der das mit ein wenig Wohlwollen und auch Sachverstand verfolgt, kann das bestätigen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Unser Kollege Christian Hirte war der letzte Redner in dieser Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen. Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13757 und 17/13755 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so be- schlossen. Tagesordnungspunkt 8 c. Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13907 mit dem Titel „Emissionshandel stärken - Überschüs- sige Zertifikate vom Markt nehmen“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Abstimmung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wün- schen die Überweisung zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage des- halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal- ber: Enthaltungen? - Niemand. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 17/13907 nicht ab. Tagesordnungspunkt 8 d. Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13758 mit dem Titel „Erfolgreicher Klimaschutz braucht neue Maßnahmen“. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Überwei- sung zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Auch hier stimmen wir zuerst wieder über den Antrag auf Aus- schussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Das sind die Koali- tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltun- gen? - Niemand. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 17/13758 nicht ab. Tagesordnungspunkt 8 e. Abstimmung über den An- trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13884 mit dem Titel „Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Entwicklungsländern“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Wer stimmt da- gegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltun- gen? - Niemand. Der Antrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 8 f. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorle- gen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 17/7010, den Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4040 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltun- gen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Die Be- schlussempfehlung ist infolgedessen angenommen. Tagesordnungspunkt 8 g. Abstimmung über den An- trag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12848 mit dem Titel „Bangladesch bei der Bewältigung des Klimawandels unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind alle drei Opposi- tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Antrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 8 h. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimakonferenz Doha - Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vor- reiter“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/12743, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11651 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktio- nen. Gegenprobe! - Die Fraktionen der Sozialdemokra- ten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist ange- nommen. Tagesordnungspunkt 8 i. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Herausforderung Klimawandel - Landwirt- schaft 2050“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4888, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1575 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bünd- nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschluss- empfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 8 j. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Biome- than im Verkehrssektor fördern“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 17/8414, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3651 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktio- nen. Gegenprobe! - Fraktion der Sozialdemokraten. Ent- haltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Tagesordnungspunkt 8 k. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Ein nationales Klimaschutzgesetz - Verbindlich- keit stärken, Verlässlichkeit schaffen, der Vorreiterrolle gerecht werden“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/13850, den An- trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3172 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Frak- tionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grü- nen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 8 l. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Nach Cancún - Europäische Union muss ihr Kli- maschutzziel anheben“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13824, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5231 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 8 m. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mit ambitionierten Verbrauchsgrenzwerten die Ölabhängigkeit verringern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11846, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10108 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktio- nen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegen- probe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Ent- haltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 8 n. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/13930. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7356 mit dem Titel „Neue Initiative für transatlantische Ko- operation in der Klima- und Energiepolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koali- tionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 8 n. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 17/7481 mit dem Titel „China als wichtiger Part- ner im Klimaschutz“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Links- fraktion. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 8 o. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Energetische Quartierssanierung sozialge- recht voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13827, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 17/11205 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Das waren die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfrak- tion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschluss- empfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 2. Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen mit dem Titel „Grünlanderhalt ist Klimaschutz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13148, den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11028 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 69 a bis 69 g sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: 69 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze ({0}) - Drucksachen 17/13833, 17/13926 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel - Drucksache 17/13834 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({2})- Rechtsausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Verteidigungsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({3}), Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesvermögen transparent bilanzieren - Drucksache 17/13759 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss ({4})- Verteidigungsausschuss- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Vizepräsident Eduard Oswald d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Agnes Krumwiede, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stärkung von Baukultur und Denkmalschutz - Drucksache 17/13914 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5})- Ausschuss für Kultur und Medien e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geplanten Verschleiß stoppen und die Langlebigkeit von Produkten sichern - Drucksache 17/13917 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6})- Rechtsausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Straßen- und Schienenlärm wirksam reduzieren - Drucksache 17/13915 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Haushaltsausschuss g) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) gemäß § 56 a GO-BT Technikfolgenabschätzung ({9}) Regenerative Energieträger zur Sicherung der Grundlast in der Stromversorgung - Drucksache 17/10579 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 a)Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Steuerstraftaten - Drucksache 17/13664 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({11})- Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Spahn, Stefanie Vogelsang, Michael GrosseBrömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Dr. Marlies Volkmer, Dr. FrankWalter Steinmeier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN System der Organtransplantation in Deutschland nachhaltig stärken: Konsequenzen aus den Manipulationen an Patientendaten in deutschen Transplantationskliniken - Drucksache 17/13897 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit ({12})Rechtsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 70 a bis 70 v sowie Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 70 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen und der polnischen Landesstraßen an der deutsch-polnischen Grenze - Drucksache 17/13418 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13}) - Drucksache 17/13779 Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Joachim Hacker Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13779, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13418 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. EnthaltunVizepräsident Eduard Oswald gen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Die jetzt noch stehen, haben andere Gründe. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. Januar 2013 über die Vorrechte und Immunitäten der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien - Drucksache 17/13416 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14}) - Drucksache 17/13828 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Maria FlachsbarthDirk BeckerMichael KauchDorothée MenznerHans-Josef Fell Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13828, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13416 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben. Ob dies auch richtig ist, schauen wir: Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 c: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Grünland effektiv schützen - Drucksache 17/13895 Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Antrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 70 d: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({15}), Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transnationale Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft ziehen - Drucksache 17/13916 Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Antrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 70 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökologische Baustoffe - Klima schützen, Energie sparen und Ölabhängigkeit reduzieren - Drucksachen 17/11380, 17/12592 Berichterstattung:Abgeordneter Volkmar Vogel ({17}) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12592, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11380 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({18}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Bas, Johannes Pflug, Michael Groß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Duisburger Hafen muss in öffentlicher Hand bleiben - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sahra Wagenknecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Duisburger Hafen AG in öffentlichem Eigentum erhalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Privatisierung des Duisburger Hafens - Drucksachen 17/8140, 17/8349, 17/8583, 17/12921 Berichterstattung:Abgeordneter Matthias Lietz Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Vizepräsident Eduard Oswald Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8140 mit dem Titel „Duisburger Hafen muss in öffentlicher Hand bleiben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 70 f. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8349 mit dem Titel „Duisburger Hafen AG in öffentlichem Eigentum erhalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8583 mit dem Titel „Keine Privatisierung des Duisburger Hafens“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Dr. Valerie Wilms, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hinterlandanbindung der ZARA-Häfen verbessern - Drucksachen 17/12194, 17/13151 Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Werner Kammer Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13151, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12194 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 70 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Markus Kurth, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sichern und Inklusion weltweit ermöglichen - Drucksachen 17/12844, 17/13365 Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss ({21})Karin Roth ({22})Helga DaubNiema MovassatUwe Kekeritz Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13365, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12844 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Memet Kilic, Volker Beck ({24}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaftliche Vielfalt in der Bundeswehr anerkennen - Drucksachen 17/13095, 17/13621 Berichterstattung:Abgeordnete Markus GrübelLars KlingbeilBurkhardt Müller-SönksenPaul Schäfer ({25})Omid Nouripour Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13621, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13095 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wiedereingliederung fördern - Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen - Drucksachen 17/13103, 17/13806 Berichterstattung:Abgeordneter Peter Weiß ({27}) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13806, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13103 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Vizepräsident Eduard Oswald Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 k: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({28}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Änderung der Vorschriften über elektromagnetische Felder und das telekommunikationsrechtliche Nachweisverfahren - Drucksachen 17/13421, 17/13580 Nr. 2.1, 17/13835 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael PaulDirk BeckerJudith SkudelnySabine StüberSylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13835, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/13421 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 l: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({29}) zu der Verordnung der Bundesregierung Sechsundneunzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 17/13422, 17/13580 Nr. 2.2, 17/13792 Berichterstattung:Abgeordnete Ulla Lötzer Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13792, die Aufhebung der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/13422 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 70 m bis 70 v. Es handelt sich um die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 70 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30}) Sammelübersicht 598 zu Petitionen - Drucksache 17/13738 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Die Sammelübersicht 598 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31}) Sammelübersicht 599 zu Petitionen - Drucksache 17/13739 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und SPDFraktion. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Sammelübersicht 599 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32}) Sammelübersicht 600 zu Petitionen - Drucksache 17/13740 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Sammelübersicht 600 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33}) Sammelübersicht 601 zu Petitionen - Drucksache 17/13741 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Sammelübersicht 601 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34}) Sammelübersicht 602 zu Petitionen - Drucksache 17/13742 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Sammelübersicht 602 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35}) Sammelübersicht 603 zu Petitionen - Drucksache 17/13743 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 603 ist angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 604 zu Petitionen - Drucksache 17/13744 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 604 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 605 zu Petitionen - Drucksache 17/13745 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 605 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 606 zu Petitionen - Drucksache 17/13746 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 606 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 70 v: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 607 zu Petitionen - Drucksache 17/13747 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Alle drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 607 ist angenommen. Zusatzpunkt 4: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Hacker, Rainer Arnold, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Konversion gestalten - Kommunen stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konversion - Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten - Drucksachen 17/9060, 17/9405, 17/10001 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BrackmannJohannes KahrsOtto FrickeRoland ClausDr. Tobias Lindner Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9060 mit dem Titel „Konversion gestalten - Kommunen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9405 mit dem Titel „Konversion Zwischen Verwertungsdruck und nachhaltigen Konzepten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht glauben, wir sind am Ende dieser Abstimmungen. ({5}) - Ja, ich weiß. Die Kondition wird noch reichen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zu Plänen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zur Einführung einer Pkw-Maut nur für Ausländer Ich eröffne nun die Aussprache. ({6}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind wieder ganz bei der Sache. ({7}) Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist unser Kollege Florian Pronold für die Fraktion der Sozialdemokraten. ({8})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn viele Kollegen diesem Vorschlag des Herrn Seehofer nicht mit Ernsthaftigkeit folgen wollen, kann ich es verstehen; denn ernst gemeint kann er nicht sein. Es ist eine dreiste Lüge, zu behaupten, man könnte eine Pkw-Maut auf deutschen Straßen allein für ausländische Pkw erheben. ({0}) Wenn eine Pkw-Maut eingeführt würde, dann wären die Leidtragenden die Pendlerinnen und Pendler, alle die, die auf das Auto angewiesen sind. Das sind überwiegend Menschen, die in Deutschland leben. Man kann lügen, indem man die Wahrheit verschweigt. Darum wollen wir uns der Wahrheit ein bisschen nähern. Ich finde es spannend, wer heute redet und wer nicht redet. Spannend ist vor allem, wer nicht redet. Wo ist die Kanzlerin, die die Pkw-Maut ablehnt? ({1}) Wo sind die Kolleginnen und Kollegen der CDU, die die Pkw-Maut ablehnen? Es sind die Kollegen der CSU da. Auf der Rednerliste stehen nur Redner von der CSU, sehr spannend. Aber der Kollege Max Straubinger fehlt mir, ({2}) mein Freund aus dem Wahlkreis, mit dem ich vor kurzem ein Pro und Kontra in der örtlichen Zeitung zum Thema Pkw-Maut hatte. Die Argumente konnte man überhaupt nicht unterscheiden. Herr Straubinger hat vor Ort deutlich gemacht: Nein, die Pkw-Maut allein für Ausländer geht nicht. Zweitens hat er deutlich gemacht, dass es am Schluss nur den Pendlerinnen und Pendlern schadet. Schade, dass Sie Herrn Straubinger heute nicht als Redner benannt haben. ({3}) Jetzt kommen wir zu der Frage, wie das denn gehen soll. Die Bundesregierung ist von der SPD im letzten Jahr befragt worden, ob es möglich ist, dass man eine Pkw-Maut erhebt und dass unter dem Strich nur die ausländischen Autofahrer zahlen. Die klare Antwort der Bundesregierung im letzten Jahr in diesem Haus - Peter Ramsauer ist, glaube ich, Teil dieser Bundesregierung war: Das geht nicht. - Warum geht das nicht? Weil es ein europarechtliches Diskriminierungsverbot gibt. Jetzt stellen wir uns ganz kurz vor, dass es tatsächlich ginge. Ich will nur eine Minute Zeit darauf verschwenden, dass man unterstellt, Herr Seehofer könnte recht haben und es ginge. Dann muss man aber einige Fakten zur Kenntnis nehmen. Nur 5 Prozent der Pkw auf deutschen Straßen sind ausländische Pkw. In Österreich gibt es das Pickerl. Viele in Niederbayern ärgern sich, wenn sie nach Österreich fahren, weil Sie dort Maut zahlen müssen und es umgekehrt nicht so ist. Die Verwaltungskosten machen 9 Prozent der Einnahmen durch das Pickerl aus. 9 Prozent der Einnahmen der österreichischen Pkw-Maut gehen an den Betreiber. Das sind die öffentlichen Auskünfte, die dort zu erhalten sind. ({4}) Sie brauchen nicht zu schreien und zu jammern: Das ist so. Wenn nur 5 Prozent der Pkw auf deutschen Straßen aus dem Ausland sind, dann zahlen die ausländischen Pkw nichts anderes als die Verwaltungskosten. Die, die geschröpft werden, sind die deutschen Autofahrer. Das ist Ihr tatsächlicher Plan. ({5}) Sie wollen die Angaben der Bundesregierung nicht zur Kenntnis nehmen. CSU-Abgeordnete haben den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages befragt und sich ein Gutachten erstellen lassen. Das Ergebnis war dasselbe: Es geht nicht. ({6}) Ich frage Sie: Warum stellen Sie diese Lügen in den Raum? Wenn man sagt, dass nur die Ausländer zahlen sollen, dann bekommt man Zustimmung; das ist klar. Die Wahrheit ist: Zum Schluss zahlen es die deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer. Fließt das Geld überhaupt in die Straße? Diese Forderung beinhaltet doch, dass der Herr Ramsauer von seinem eigenen Versagen ablenken will. 1,5 Milliarden Euro werden jedes Jahr für den Verkehrsetat an zusätzlichen Steuern erhoben. Wurde mehr Geld in die Straße investiert? ({7}) Nein. Nichts hat sich verändert. Warum soll das denn mit der Pkw-Maut funktionieren? Das glaubt Ihnen doch niemand. Wir brauchen tatsächlich eine stärkere Reparatur der Infrastruktur. Es gibt marode Brücken. Schwarz-Gelb hat dagegen nichts gemacht. ({8}) 30 Prozent der Lkw auf deutschen Straßen sind ausländische Lkw. Diese Lkw machen jede Straße 60 000-mal mehr kaputt als jeder Pkw. Deswegen muss man die tatsächlichen Verursacher der Kosten heranziehen, ({9}) die Lkw-Maut ausweiten und nicht die Menschen, die in ihrer Heimat leben wollen und jeden Tag lange Wege zur Arbeit auf sich nehmen, zur Kasse bitten. Deswegen lehnen wir im Kontext mit der FDP, mit der Bundeskanzlerin, mit der CSU, mit Herrn Straubinger von der CSU, diese Wahllüge der CSU ab. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Alexander Dobrindt. Bitte schön, Kollege Alexander Dobrindt. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um eine Frage der Gerechtigkeit auf deutschen Straßen. ({0}) Überall im Ausland werden die deutschen Autofahrer zur Kasse gebeten, und die ausländischen Autofahrer in Deutschland fahren gratis. Das ist keine faire Infrastrukturfinanzierung in Europa. ({1}) Schauen wir uns doch einmal in Europa um: Polen, Tschechien, Slowakei, Österreich, Italien, Schweiz, Frankreich, in nahezu allen Staaten um uns herum wird der deutsche Autofahrer abkassiert. Mittendrin in Europa, in Deutschland, das das am besten ausgebaute Autobahnnetz hat, dürfen alle unsere Nachbarn kostenlos fahren. Das kann auf Dauer so nicht aufrechterhalten werden. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass mehr Gerechtigkeit auf den Straßen in Europa herrscht. ({2}) Das heißt, dass alle den Ausbau und die Instandhaltung der Infrastruktur mitfinanzieren müssen. ({3}) Wenn Sie mit dem Auto von München nach Verona fahren, fallen in Österreich und Italien Mautgebühren von über 30 Euro an. Wenn Sie von Köln nach Bordeaux fahren, zahlen Sie in Frankreich fast 70 Euro an Mautgebühren. Von Stuttgart nach Nizza zahlen Sie in der Schweiz und in Frankreich über 60 Euro. Von Rotterdam nach Garmisch-Partenkirchen zahlen Sie auf deutschen Autobahnen null Autobahngebühr. Das ist nicht fair. ({4}) Herr Pronold, Sie sollten vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass in der letzten Woche das Emnid-Institut in einer repräsentativen Umfrage gemessen hat, dass 88 Prozent der Menschen in Bayern dafür sind, dass auch ausländische Pkw Maut bezahlen. ({5}) - Schön, dass Sie danach fragen. Ich kann Ihnen mitteilen, wie die SPD-Wähler dies sehen. 79 Prozent der SPD-Wähler in Bayern sind für die Pkw-Maut für ausländische Autofahrer. ({6}) Die Grünen haben recht, dass sie sich etwas zurückhalten. Sie wissen auch genau, warum. Das liegt daran, dass 86 Prozent der Anhänger der Grünen in Bayern dafür sind, dass es eine Pkw-Maut für ausländische Autofahrer gibt. Im Rest von Deutschland sieht es nicht sehr viel anders aus. ({7}) Herr Pronold, Sie haben für Ihre Politik schlichtweg keine Mehrheiten, und deswegen kommt von Ihnen immer gerne der Populismusvorwurf. Ihnen fällt nichts anderes ein. Sie bestätigen, dass Sie keine Mehrheit haben, indem Sie anderen Populismus vorwerfen. Ganz ehrlich: Es ist schon Einfallslosigkeit, die Sie, Herr Pronold, an den Tag legen, wenn Sie sagen, es gebe europarechtliche Bedenken. ({8}) Sie kapitulieren ja schon, bevor die Diskussion mit der Kommission beginnt. ({9}) Wenn es überall in Europa möglich ist, warum dann nicht in Deutschland? ({10}) Wissen Sie, vielleicht haben Sie einfach keinen Mumm, sich für die Interessen der deutschen Steuerzahler einzusetzen, weder SPD noch Grüne. ({11}) Bei den Grünen ist es vielleicht etwas leichter zu erklären: Sie sind halt doch die alte grüne Antiinfrastrukturpartei, die Sie in der Vergangenheit waren. Sie wollen Mobilität verhindern statt ermöglichen und deswegen auch kein weiteres Geld für die Infrastruktur ausgeben. ({12}) Ich will aus der FAZ den Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg, Kretschmann, zitieren, ({13}) der gesagt hat: Aus dem freien Gut Straße muss das knappe Gut Straße werden. Sie wollen Freiheit knapp machen. Das ist die Politik der Grünen. ({14}) Schön, dass Sie das offensichtlich zu Zwischenrufen anregt. Das gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass Sie im Landtagswahlprogramm der bayerischen Grünen aufgeschrieben haben: Auf den Bau neuer Straßen wollen wir verzichten. Sie wollen also die Freiheit der Straße zum knappen Gut der Straße machen. Das ist die Politik der Grünen. Sie wollen in einem Land, in dem Mobilität ein wesentlicher Faktor für Wirtschaft und Wohlstand ist, genau diese Mobilität verknappen. Sie wollen den ländlichen Raum von der Zukunft und vom Wohlstand abschneiden. Das ist die Politik der Grünen. ({15}) Wenn Sie sich schon aufregen, Herr Hofreiter: Was Sie auch verschweigen, ist, dass die Grünen natürlich eine Maut einführen wollen. Sie wollen keine Autobahnmaut für ausländische Autofahrer; aber Sie wollen eine City-Maut einführen. Im Landtagswahlprogramm der bayerischen Grünen ist aufgeschrieben: Die Einführung einer allgemeinen PKW-Maut lehnen wir … ab. Die Einführung einer City-Maut als Steuerungsinstrument und als neues Finanzierungsmodell … wollen wir prüfen. Im Klartext: Sie sagen, ausländische Autofahrer sollen weiterhin kostenlos auf unseren Autobahnen fahren; die deutschen Autofahrer sollen nach Ihren Vorstellungen stärker belastet werden. Das ist die Realität der grünen Politik. ({16}) Sie können sich einmal überlegen, ob das, was Sie an dieser Stelle vorhaben, vielleicht Inländerdiskriminierung ist. Auf jeden Fall wollen Sie die Belastungen der Autofahrer erhöhen. Sie wollen keine Straßen bauen, Sie wollen Mobilität einschränken, und Sie wollen, dass ausländische Autofahrer weiter kostenlos auf unseren Straßen unterwegs sind. Wir wollen mehr Mobilität, mehr Freiheit und Gerechtigkeit auf den deutschen Straßen. Das sind die Alternativen in Deutschland, meine Damen und Herren. ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus aktuellem Anlass weise ich darauf hin, dass bei Aktuellen Stunden keine Zwischenfragen möglich sind. Ich habe ein paar Meldungen gesehen, aber deswegen wird die Geschäftsordnung auch bei einer solchen Aktuellen Stunde nicht geändert. Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Sabine Leidig. Bitte schön, Frau Kollegin Sabine Leidig. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich wurde gerade gefragt, ob ich das Niveau meiner Rede an das Niveau der Rede von Herrn Dobrindt anpassen kann. ({0}) Das ist mir leider nicht möglich, weil Herr Seehofer und Herr Dobrindt offenbar auf allerunterstem Stammtischniveau punkten wollen ({1}) und wieder einmal die Ausländerkarte ziehen, dieses Mal beim Thema Pkw-Maut. Das ist wirklich unglaublich. Angeblich nutzen unsere Nachbarn die Deutschen aus. Diese Behauptung ist nicht nur schäbig, sie ist auch falsch. Auch wenn es in den Ferien manchmal anders aussieht: Tatsächlich machen ausländische Autos - darauf wurde bereits hingewiesen - auf deutschen Autobahnen im Jahr ungefähr 5 Prozent des gesamten PkwVerkehrs aus. Und sie tanken in Deutschland. Dadurch sind die Einnahmen aus der Mineralölsteuer ungefähr doppelt so hoch wie die Infrastrukturkosten, die die ausländischen Autofahrerinnen und Autofahrer verursachen. ({2}) Das sind Zahlen vom ADAC, die Sie natürlich auch kennen, aber Sie wollen hier eine ausländerfeindliche Nummer abziehen. Das ist wirklich eine Sauerei. ({3}) Im Bereich Lkw sieht es völlig anders aus. Ich finde es ausgesprochen spannend, dass Sie dieses Thema nicht ansprechen. Tatsächlich kommen 30 Prozent der Lkws, die auf unseren Autobahnen fahren, aus dem Ausland, darunter viele von Tochterfirmen deutscher Konzerne. ({4}) Sie tanken sehr selten bei uns. Fakt ist auch, dass ein 40-Tonner die Straße so stark belastet wie 160 000 Pkw. ({5}) Warum gehen Sie hier nicht heran? Darauf müssen wir noch einmal zurückkommen, das werde ich auch gleich tun. Herr Ramsauer will die Pkw-Maut für alle, damit es endlich mehr Geld für den Straßenbau gibt. Herr Pronold, ich finde es echt schade, dass auch Sie es klasse finden, dass man mehr Geld für den Straßenbau bekommt. Was Herr Ramsauer macht, ist schäbig und falsch. Erstens. Die Autofahrerinnen und Autofahrer bezahlen über Kfz-, Mineralöl- und anteilige Mehrwertsteuer jeden Euro, den inländische Pkw an Wegekosten verursachen, mehrfach, konkret: vierfach. Zweitens. Würde die Pkw-Maut über eine Vignette erhoben werden - das ist eine Variante -, wäre das ungerecht, ökologisch unsinnig und unsozial, weil alle in einen Topf geworfen werden: diejenigen, die viel fahren und diejenigen, die wenig fahren, diejenigen, die große Autos fahren, und diejenigen, die ganz kleine, sparsame Autos fahren. So etwas kann nicht in Ordnung sein. ({6}) Die zweite Variante wäre, 40 Millionen deutsche Pkw mit Erfassungsgeräten auszustatten. Das wäre für ein paar Elektronikhersteller natürlich ein Riesengeschäft. Aber nicht nur wir, sondern auch die meisten Datenschützerinnen und Datenschützer lehnen diesen Überwachungsapparat ab. Auch das kann nicht wirklich Ihr Ernst sein. Apropos Geschäft: Das ist der Kern, worum es Herrn Ramsauer eigentlich geht. Er will den Straßenbau privatisieren - das sagt er ja auch -, weil - auch das sagt er das Geld im Verkehrsetat nicht reicht. Aber die großen Baukonzerne lassen sich auf so etwas, wie eine Autobahn zu bewirtschaften, nur ein, wenn ordentlicher Gewinn dabei herausspringt. Der sprudelt am besten, wenn alle Autofahrerinnen und Autofahrer zur Kasse gebeten werden. Darum geht es Ihnen in Ihrem Modell: Sie wollen den großen Bauunternehmen Geschäfte zuschustern, und die kleinen Leute sollen es zahlen. Dazu ein klares Nein von unserer Seite. ({7}) Wir brauchen eine Ausweitung der Lkw-Maut. Es muss Schluss sein mit der Begünstigung von Unternehmen, die Waren auf Teufel komm raus durch ganz Europa karren, auch wenn es überhaupt nicht nötig ist, weil zum Beispiel Milch oder Autoteile in der Region hergestellt werden und dort verbraucht werden könnten. Der Güterverkehr muss endlich die Kosten tragen, die diese enorme Zahl von Lastwagen verursacht. Die Kommission zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, die die Bundesregierung selber eingesetzt hat, hat jetzt die Vorschläge durchgerechnet, die wir Linke schon vor zwei Jahren als Antrag in den Bundestag eingebracht haben: Lkw-Maut auf allen Straßen und bereits für Lastwagen ab 3,5 Tonnen. Dann kommen jedes Jahr zusätzlich 4,4 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen. Mit diesem Geld könnten die Kommunen, die Länder und der Bund die dringend benötigten Renovierungen von Brücken und Straßen bezahlen. Noch wichtiger: Mit diesem Geld kann man den Einstieg in die Verkehrswende finanzieren. Die ist nämlich nötig: mehr Bahn, mehr Bus, grünere Städte und weniger Verkehr. ({8}) Wir sind nicht der Meinung, dass mehr Beton die Lebensqualität der Menschen hierzulande verbessert. Für mehr Gerechtigkeit, auch für mehr Umweltgerechtigkeit, müssten Verkehrsverhältnisse geschaffen werden, die es möglichst vielen leicht machen, auf das eigene Auto zu verzichten. Dazu braucht es umweltverträgliche und preisgünstige Alternativen. Die Abzocke von Autofahrern, ob sie in Deutschland wohnen oder nicht, ist jedenfalls der falsche Weg, und die Pkw-Mautdebatte ist nichts anderes als ein böser Spuk, mit dem die Wählerinnen und Wähler hoffentlich im September Schluss machen. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Oliver Luksic. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die SPD redet viel über die Pläne von anderen, ich glaube, auch um ein bisschen von den eigenen Problemen abzulenken. Der Schattenminister hat ja gerade gesprochen. Im Schattenkabinett erwarten wir keine Lichtgestalten, in dieser Rede des Kollegen Pronold war aber wirklich sehr viel Schatten und wenig Licht. ({0}) Die Programme von SPD und Grünen zeigen, dass sie sehr erfindungsreich sind, wenn es um neue Abgaben und neue Steuern geht, gerade im Bereich Verkehr. Deswegen ist Ihre Empörung über eine neue Belastung für die Autofahrer ein Stück weit fehl am Platze. Sie wollen die City-Maut einführen, ({1}) Sie wollen die Verkehrsinfrastrukturabgabe - ich bin gespannt, was das sein soll; wahrscheinlich eine PkwMaut, nur anders -, Sie wollen eine Logistikabgabe, Sie wollen die Kfz-Steuer erhöhen, und Sie wollen eine Ausweitung der Lkw-Maut. Das ist das rot-grüne Programm für die Bürgerinnen und Bürger. ({2}) Und dann fordert der SPD-Vorsitzende, Herr Gabriel, auch noch Tempo 120 auf deutschen Autobahnen. InsoOliver Luksic fern sage ich: Passen Sie lieber ein bisschen auf. Sie wollen den Verkehr verteuern, wir wollen das nicht. ({3}) Jetzt hat die CSU - das ist eine eigenständige Partei ({4}) die Maut vorgeschlagen. Die Gedanken sind frei. ({5}) Ich weiß nicht, wo die Umfrageergebnisse, von denen wir eben gehört haben, herkommen. Die Pendler, die ich kenne, die Arbeitnehmer, die ich kenne, die wollen keine Maut zahlen. ({6}) Vor dem Hintergrund der Belastung, die wir schon haben - die Zahlen wurden ja eben genannt; diese Zahlen waren richtig -, ist klar festzuhalten: Liberale wie übrigens auch die Kollegen der CDU wollen keine Maut, auch, weil das Argument, dass nur Ausländer zur Kasse gebeten werden, nicht verfängt. Deren Anteil liegt in der Tat bei 5 bis 10 Prozent. Das würde, wenn überhaupt, reichen, um die Systemkosten auszugleichen. ({7}) Vor allem werden die Autofahrer schon heute über die Steuer mit 53 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Deswegen sind wir gegen die FDP-Maut, ({8}) gegen die Pkw-Maut; denn das wäre ganz klar eine Belastung. Der springende Punkt ist, dass eine Differenzierung zwischen In- und Ausländern europarechtlich nicht zulässig ist. Für die Verankerung des Rechts auf Nichtdiskriminierung ist übrigens auch Deutschland eingetreten. Das ist EU-Recht. Die Leitlinien, die wir in Europa für Straßenbenutzungsgebühren beschlossen haben, wurden übrigens von der Vorgängerkoalition so beschlossen. Der Vorschlag, nur Ausländer zahlen zu lassen, ist unrealistisch. Genauso realistisch wäre es, zu fordern, auf bayerischen Straßen müssten nur Preußen zahlen. Das geht einfach nicht. Das ist unrealistisch. ({9}) Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht. Wir haben die Zweckentfremdung der Lkw-Mautmittel, die Rot-Grün zu verantworten hat, zurückgenommen. ({10}) Die Einnahmen fließen jetzt in den Finanzierungskreislauf Straße. Kollege Pronold, das ist nun einmal so. Wir haben ein Mautmoratorium eingeführt; das war richtig. Wir haben vor allem, wie Sie selber sagen, mehr Geld für die Straße besorgt. ({11}) Wir haben 1,5 Milliarden Euro zusätzliche Mittel besorgt. Das ist ein Erfolg dieser Koalition im Bereich der Infrastrukturfinanzierung. ({12}) Der Bund verfügt über Einnahmen in Höhe von über 300 Milliarden Euro. Wir haben Rekordsteuereinnahmen. 53 Milliarden Euro kommen aus dem Bereich Verkehr. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir in der nächsten Legislaturperiode den Schwerpunkt auf die Infrastruktur legen müssen. Wie wir in dieser Legislaturperiode den Schwerpunkt auf Bildung und Forschung gelegt haben, müssen wir in der kommenden Wahlperiode noch mehr beim Thema Infrastrukturfinanzierung tun. Die EU-Kommission hat in ihrem Bericht klar darauf hingewiesen, dass hier weiterer Bedarf besteht. Dem stellen wir uns. Ihre Forderung nach immer neuen Abgaben - das ist ganz klar - ist falsch. Pauschale Vorwürfe helfen nicht weiter, zumal Sie selbst an anderer Stelle den Verkehr weiter verteuern wollen. Wir Liberale sagen ganz klar: Der Autofahrer zahlt bereits mehr als genug Steuern. Wir wollen den Verkehr nicht weiter verteuern. Das sieht die FDP so und auch die CDU. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Anton Hofreiter. Bitte schön, Kollege Dr. Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dobrindt, es sind diese Auftritte, die Politik insgesamt in Verruf bringen. ({0}) Es sind diese Auftritte, die letztendlich dem Ansehen von Politik insgesamt schaden, weil es offensichtlich ist, dass es nicht stimmt, was Sie hier sagen, und auch nicht stimmen kann. ({1}) Sie haben von einer Gesetzgebung gesprochen, die diskriminierend nur für eine bestimmte Gruppe gilt. Man braucht gar nicht EU-Recht anzuführen, da können Sie ganz simpel einfach einmal ins deutsche Grundgesetz schauen, dann stellen Sie fest, dass es Gleichbehandlungsgrundsätze gibt. Die gelten interessanterweise auch für Vorschläge der CSU. Deshalb unterlassen Sie diese Art von Debatte; denn das frustriert die Leute am Ende nur, auch wenn es vielleicht zwischenzeitlich kurz Aufmerksamkeit bringt. Es wissen alle, dass es am Ende nicht funktionieren wird. Es wird nicht kommen, und es stimmt nicht, was Sie behaupten. ({2}) Wenn dann die Frage kommt: „In ganz Europa geht das, und warum nicht bei uns?“, dann ist das eben auch die Unwahrheit; denn in ganz Europa zahlt die Gesamtbevölkerung, die diese Straßen nutzt, Pkw-Maut, und nicht nur eine bestimmte Gruppe von Menschen, die nicht Staatsangehörige dieses Landes sind. Deshalb unterlassen Sie so etwas, denn es schadet der demokratischen Kultur insgesamt. ({3}) Es ist einfach peinlich, solche Reden im Plenum zu halten. ({4}) Aber vielleicht zu den inhaltlichen Fragen. Warum lehnen wir eine Pkw-Maut ab? Die Modelle, die es für eine Pkw-Maut gibt, schauen letztendlich alle so aus, dass man für eine Vignette zahlt. Bei der Vignette zahlt derjenige, der ein großes Auto hat, genauso viel wie jemand, der ein kleines Auto hat, es zahlt derjenige, der viel verdient, genauso viel wie jemand, der wenig verdient. Was ist das? Die Vignette in dieser Form ist sozial ungerecht, deshalb lehnen wir sie ab. ({5}) Was ist ein weiterer Grund, aus dem wir die Vignette ablehnen? Es zahlt derjenige, der wenig fährt, genauso viel wie derjenige, der viel fährt. Ein Rentner, der ab und zu mal - alle paar Wochen - auf die Autobahn fährt, zahlt, wenn es eine Jahresvignette ist, genauso viel wie jemand, der sie ständig benutzt. Das heißt, sie ist auch noch ökologisch blind. Warum lehnen wir sie des Weiteren ab? Wir sind nicht der Meinung, dass man in ein System als allererstes mehr Geld hineinstecken sollte, sondern man sollte sich überlegen, ob dieses System effizient ist, ob mit dem Geld der Steuerzahler, ob mit dem Geld der Unternehmen, wenn wir an die Lkw-Maut denken, wirklich effizient umgegangen wird. Ich finde es spannend, dass immer einfach nur gefordert wird, erst einmal mehr Geld in das System zu schütten und dann zu schauen, ob man es anpassen kann. Nein, unser Weg ist ein völlig anderer. ({6}) Der Weg muss sein: Man muss das System anschauen und sich fragen, ob das Geld effizient ausgegeben wird oder nicht. ({7}) Das Geld wird leider in vielen Fällen nicht effizient ausgegeben, was man allein an den Wunschlisten, die für den Bundesverkehrswegeplan abgegeben werden, erkennen kann. ({8}) Wir haben als eine der ersten Wunschlisten die Wunschliste aus Bayern erhalten, von der CSU-Staatsregierung so beschlossen. Man glaubt gar nicht, dass so etwas von einem Kabinett beschlossen wird. ({9}) Darin sind 398 Projekte mit einem Finanzvolumen von 17 Milliarden Euro enthalten. Dankenswerterweise haben Sie die Zahl mitgeliefert. Die ist zwar zu niedrig, weil bei Bauprojekten gern eine zu niedrige Zahl angegeben wird, aber wir nehmen einfach nur einmal die 17 Milliarden Euro. Jetzt schauen wir uns an, wie viel Geld im Schnitt pro Jahr für den Aus- und Neubau in Bayern von einem CSU-geführten Bundesverkehrsministerium zur Verfügung gestellt wird. Da kommen wir im Schnitt auf 105 Millionen Euro. Jetzt teilen wir die 17 Milliarden Euro durch 105 Millionen Euro, dann kommen wir auf 160 Jahre. Das bayerische Kabinett hat allen Ernstes eine Liste beschlossen, die unter den jetzigen Finanzierungsbedingungen 160 Jahre brauchen würde, um abfinanziert zu werden. Das ist eine Frechheit, das ist unseriös. Genau in dieses komische System gedenken Sie Ihre Pkw-Maut hineinschütten zu können. So geht es schlichtweg nicht. ({10}) Vernünftige Verkehrspolitik und vernünftige Straßenbaupolitik halten sich an ein paar Grundsätze. Erst einmal erhält man das, was man hat. ({11}) Das heißt, man sorgt dafür, dass die vorhandene Infrastruktur unterhalten wird. Das passiert nicht, insbesondere im Verantwortungsbereich der CSU nicht, weil sie Jahr für Jahr Mittel, die der Bund für den Unterhalt zur Verfügung stellt, für Neubau umwidmet und damit dafür sorgt, dass die wertvolle Infrastruktur zu teuren Schlaglochpisten wird. ({12}) Das ist eine Frechheit. Das muss der Bund endlich unterbinden. Das ist der erste Grundsatz. Hier wird nämlich wie folgt gehandelt: Man fragt sich zuerst, ob man ein Dach, durch das es reinregnet, abdichten soll oder nicht, und beschließt dann, dass man das Dach nicht abdichtet, sondern es weiter reinregnen lässt. So kann man mit Infrastruktur nicht umgehen. ({13}) Wenn der Unterhalt sichergestellt ist, muss man angesichts des knappen Geldes dafür sorgen, dass man vernünftig priorisiert und zuerst die Maßnahmen ergreift, die am dringendsten notwendig sind. Von solch einer vernünftigen Prioritätensetzung sind Sie ganz weit entfernt. Machen Sie erst einmal richtig Ihre Hausaufgaben, bevor Sie hier solche unglaublichen Reden halten. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer. Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. ({0})

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hofreiter, Sie haben für Ihre Rede eine sehr ethisch-moralische Einleitung gewählt. Nun muss ich Ihnen das vorwerfen, was Sie meinem Kollegen Dobrindt - übrigens zu Unrecht - vorgeworfen haben: Sie haben gelogen. Denn wenn Sie sich die genauen Zahlen im jetzigen Bundesetat und die Quoten, die wir für Erhalt und Neubau haben, anschauen, ({0}) dann sehen Sie, dass es eine klare Umschichtung und eine klare Prioritätensetzung durch Bundesminister Ramsauer gibt, nämlich Erhalt vor Neubau. Das wissen Sie genau. ({1}) Sie haben Ihre Rede moralisch begonnen. Wenn Sie hier zum Besten geben, was aus Ihrer Sicht unmoralisch ist, erwarte ich aber auch, dass Sie gute Argumente akzeptieren. ({2}) So ist es gut, dass die Zeit von SPD-Bundesverkehrsministern endlich vorbei ist, in der auf Verschleiß unseres Netzes gefahren wurde. Nehmen Sie als Beispiel nur einmal die Ansätze für die Brücken. Wir haben diese Mittel von 300 Millionen Euro auf fast 700 Millionen Euro erhöht. ({3}) Sie hatten die Erhaltungsnotwendigkeiten nicht gesehen. ({4}) Wir haben jetzt diese Korrektur vollzogen. ({5}) Noch ein Thema. Herr Kollege Hofreiter, Ihr Vorgänger im Amt als Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, Winfried Hermann, mein geschätzter Kollege, ({6}) der jetzt Minister in Baden-Württemberg ist, verantwortet eine Anmeldeliste für Baden-Württemberg, die die Bedarfe aus den Stimm- und Wahlkreisen beinhaltet. Diese zeigt die verkehrspolitische Notwendigkeit auch für Neubauten und Ausbauten zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von Lärm und Abgasen und zur Verstetigung und Steigerung der Verkehrssicherheit. Winfried Hermann sagt in jedem seiner Grußworte anlässlich von Spatenstichen oder Eröffnungen neuer Verkehrswege, dass er die Pkw-Maut will, und zwar am besten auf allen Straßen, und, wenn möglich, die CityMaut noch dazu. ({7}) Wo besteht da der Zusammenhang, wenn Sie das eine behaupten und Ihr Kollege in Baden-Württemberg das andere? Die Politik der Grünen ist in dieser Frage nicht stringent. Das muss man hier konstatieren. ({8}) Ich will meine Ausführungen zur Unterfinanzierung der Infrastruktur mit einer grundsätzlichen Vorbemerkung einleiten. Die gesamte Verkehrspolitik in Bund und Ländern hat sich doch schon längst darauf geeinigt, dass die Infrastruktur in Deutschland - das betrifft die Landesstraßen genauso wie die Bundesfernstraßen - klassisch unterfinanziert ist. Deswegen haben die Länderverkehrsminister die Einsetzung einer Kommission erwirkt - vorher gab es die Daehre-Kommission, jetzt die Bodewig-Kommission, benannt nach einem ehemaligen SPD-Bundesverkehrsminister -, die Vorschläge für den Bund erarbeiten soll, wie man die Unterfinanzierung der Infrastruktur beheben und mehr Mittel aufbringen kann. Auch die Finanzierung durch Nutzer ist in dieser Bodewig-Kommission ein wichtiger Punkt. Das heißt, im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Bundestagsfraktion, haben die Länderverkehrsminister von der SPD längst begriffen, was Nutzerfinanzierung und Pkw-Maut miteinander zu tun haben. ({9}) Jörg Vogelsänger - als brandenburgischer Verkehrsminister Sprecher der Länder - beispielsweise hat sich ganz klar geäußert, indem er gesagt hat, dass eine Pkw-Maut es erlauben würde, die Mittel für die Infrastruktur aufzustocken und sie zu verstetigen. Ich denke, dass die Parteien in den Tagen des Wahlkampfes - ab Juli/August - Gelegenheit haben werden, die verschiedenen Konzepte zur Diskussion zu stellen. Die Bürgerinnen und Bürger werden am 22. September darüber abstimmen. ({10}) Kollege Dobrindt hat die Umfragewerte erwähnt: 88 Prozent der bayerischen Wählerinnen und Wähler wollen eine Pkw-Maut. Und, Herr Kollege Pronold, nachdem Sie den geschätzten Kollegen Straubinger angesprochen haben, muss ich Ihnen sagen: Er ist der Abgeordnete, der bei der letzten Bundestagswahl in Ihrem Wahlkreis mit 53,6 Prozent der Stimmen das Direktmandat errungen hat, während Sie gerade einmal 17,5 Prozent der Stimmen erringen konnten. ({11}) Auch da sind die Mehrheitsverhältnisse ganz klar geregelt. Ich denke, die CSU ist mit diesem Vorschlag wiederum viel näher an den Menschen. Deswegen werden wir diesen Vorschlag in den Bundestagswahlkampf einbringen. ({12}) Es wird immer wieder behauptet, dass durch eine Pkw-Maut nur für Ausländer höchstens 250 bis 300 Millionen Euro eingenommen werden könnten. Die Verkehrsbelastung ist aber erheblich gestiegen. In einer aktuellen Studie rechnet die Ages uns vor, dass durch eine Pkw-Vignette für ausländische Durchfahrer fast 1 Milliarde Euro erwirtschaftet werden könnten. ({13}) Sollen wir auf diese 1 Milliarde Euro einfach so verzichten? Ich fordere die SPD auf, endlich Mumm zu zeigen, diese europapolitische Hörigkeit abzulegen und an einer Änderung des Europarechts - klar, das ist vorher notwendig - mitzuwirken. Es gibt diese Modalitäten; aber wir wollen nicht akzeptieren, dass die Ausländer umsonst durchfahren und wir auf die 1 Milliarde Euro, die wir für die Finanzierung der Infrastruktur dringend brauchen, verzichten sollen. ({14}) Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese Europahörigkeit schon in der letzten Legislaturperiode beim Feuerwehrführerschein an den Tag gelegt. Bundesminister Ramsauer hat es geschafft, für den Feuerwehrführerschein eine Regelung zu schaffen, die europarechtlich trägt. Wo stünden die vielen ehrenamtlichen Helfer, die jetzt bei der Hochwasserkatastrophe helfen, wenn der deutsche Feuerwehrführerschein keine europarechtliche Akzeptanz gefunden hätte? Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass Sie mutiger werden sollten und, anstatt auf das Europarecht zu verweisen, Ihren Kollegen in Brüssel gegenüber klarmachen sollten, dass Deutschland will, dass durchfahrende Ausländer an der Finanzierung der Bundesfernstraßen beteiligt werden. Die Einnahmen in Milliardenhöhe wollen wir in die Bundesinfrastruktur reinvestieren. Das wäre das richtige Rezept. ({15}) Unterstützen Sie uns dabei! Zeigen Sie endlich Aktivität! Machen Sie sich Gedanken, und verwenden Sie Ihr Gehirnschmalz darauf, Lösungen zu finden. ({16}) - Herr Kollege Pronold, es wird seinen Grund haben, dass die Medien im Hinblick auf die Mannschaft, mit der die SPD nach der Wahl regieren möchte, nicht von einem Kompetenzteam, sondern von einem Schattenkabinett sprechen. Sie zeigen, dass Sie sich in Ihr Schicksal ergeben. ({17}) Die CSU möchte, dass die Ausländer nicht einfach nur durchfahren und Müll und Unrat auf unseren Parkplätzen lassen. Mittlerweile, Frau Leidig, tankt auch keiner mehr in Deutschland: weil das Spritpreisniveau zu hoch ist. ({18}) Wir wollen also diese Pkw-Maut einführen, ({19}) um auch von unseren europäischen Mitbürgern einen Beitrag zur Finanzierung des deutschen Bundesfernstraßensystems zu bekommen. ({20}) Meine Damen und Herren von der SPD, schauen Sie sich bitte die Ages-Studie an! Sie ist sehr aktuell. Ich lade Sie ein - auch wenn die Diskussion heute ein bisschen lebhafter war -, sich mit uns ohne Scheuklappen Gedanken darüber zu machen, wie wir die Infrastrukturfinanzierung auf eine zukunftsfähige Grundlage stellen können. Die verschiedenen Konzepte liegen auf dem Tisch. Die Bürgerinnen und Bürger können am 22. SepParl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer tember entsprechend ihr Kreuzchen machen. Bei 88 Prozent Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger in Bayern zur Pkw-Maut ist mir nicht bange, dass wir uns in dieser Regierungskonstellation auch in der nächsten Legislaturperiode wunderbar wieder treffen. Herzlichen Dank. ({21})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Uwe Beckmeyer. Bitte schön, Kollege Uwe Beckmeyer. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Scheuer, Ihnen persönlich herzlichen Glückwunsch zur Vaterschaft. Ich habe mich, wie auch meine Fraktion, eben die ganze Zeit gefragt: Wen vertreten Sie eigentlich? Die CSU-Landesgruppe oder die Bundesregierung? Ich denke, Sie sitzen auf der Regierungsbank am falschen Platz. Sie müssten eigentlich in den Reihen der CDU/ CSU sitzen, wenn Sie hier so sprechen wollen. Dann hätten Sie allerdings auch keine neun Minuten Redezeit, sondern nur fünf. ({0}) Ich finde es unerhört, was hier abgeht: Die Bundeskanzlerin erklärt für diese Bundesregierung ganz klar, dass es in Deutschland keine Pkw-Maut geben soll; der Staatssekretär des Fachministeriums erklärt das Gegenteil. ({1}) Sie sollten sofort demissionieren. Holen Sie sich Ihre Abdankungsurkunde beim Bundespräsidenten ab, und gehen Sie wieder in Ihre Fraktion zurück! ({2}) - Herr Dobrindt, kennen Sie den EU-Vertrag? ({3}) In Art. 2 ist unter anderem die Gleichheit der europäischen Bürger festgelegt. ({4}) Kennen Sie unser Grundgesetz? Toni Hofreiter hat es eben zitiert. Herr Ramsauer spricht davon, dass es in der hintersten Ecke irgendwelche Fußnoten geben solle, die man nur ändern müsse, um die Pkw-Maut für Ausländer in Bayern und in Deutschland einführen zu können. Was ist das für ein Minister, der die Leute so hinters Licht führt? Für wie dumm halten Sie eigentlich Ihre bayerischen Wähler, dass Sie mit einer solchen Klamotte vor den Deutschen Bundestag treten und behaupten, das sei möglich? ({5}) Die Wahrheit ist eine ganz andere: Sie wollen die Pkw-Maut auf ganzer Linie. Die Pläne zur Pkw-Maut sind schon vor sechs Monaten in der Bild-Zeitung dokumentiert worden. Die Pkw-Maut, die Sie wollen, belastet jeden deutschen Pkw-Fahrer mit 80 bis 365 Euro pro Jahr. Das ist die Wahrheit. ({6}) Das müssen Sie dementieren, wenn Sie das nicht wollen. Aber Sie können das nicht dementieren, weil Sie eine andere Variante gar nicht durchsetzen können. Dann sind es am Ende wieder die bösen Europäer gewesen, die Ihnen das leider vermasselt haben. Sie werden für die bayerische CSU sagen: Wie schade, dass es leider Gottes mit der Durchsetzung in Europa nicht geklappt hat. - Man kann das wieder auf Europa abladen. ({7}) Diese Bauernschläue ist im Grunde das tragende Element Ihres ganzen Wahlkampfes. Sie wollen mit irgendeinem neuen Thema von Ihrer Amigo-Affäre ablenken, ({8}) über das sich die Republik dann aufregen soll. Aber mit dieser Nummer kommen Sie nicht durch. ({9}) Wenn man Ihre Variante weiterdenkt, dann müssten wir den Italienern demnächst auch für Pasta- und Pizzaverzehr in Deutschland Steuern zahlen oder Freibier für alle. Solche Dinge sind doch unsinnig in der Politik. Das muss man so feststellen. ({10}) Es ist doch sonnenklar: Mit einer derart formulierten Politik betreiben Sie in Deutschland am Ende Scharlatanerie. Der Seehofer ist am Ende der Münchhausen dieser Republik, und Sie sind sein Assistent. Was ist das eigentlich für eine Politik, die so formuliert wird? Glauben Sie tatsächlich, dass in Deutschland so etwas durchgesetzt werden kann? Hirnrissiger geht es doch nimmer. ({11}) Der Staatssekretär tutet in das gleiche Horn und erklärt diesem Parlament ebenfalls, dass das machbar sei. ({12}) Wen wollen Sie eigentlich noch hinters Licht führen? Jeder Rechtskundige weiß, dass das nicht geht. Dennoch wird es versucht. Sie machen doch im Grunde eine lautstarke Minderheitenpolitik aus Bayern, damit sich bei Ihnen die Leute in den Bierzelten auf die Schenkel schlagen und sagen: Jawohl, Pkw-Maut für Ausländer, das brauchen wir jetzt noch, damit die Straßen ordentlich finanziert werden können. - Jeder Kundige im Verkehrsausschuss weiß, dass die Systemkosten die Einnahmen, die da erwirtschaftet werden und ganze 5 Prozent des Straßenetats ausmachen sollen, vollkommen auffressen. Am Ende werden Sie keinen Cent zusätzlich übrig haben für die Finanzierung der Infrastruktur. Was Sie brauchen, ist eine Antwort auf das Problem, das Herr Scheuer genannt hat. Uns fehlen in Deutschland 4 Milliarden Euro pro Jahr für Investitionen in die Infrastruktur. Darauf haben Sie keine Antwort. Eine ganze Wahlperiode lang hat dieses Ressort nichts zustande gebracht. Herr Ramsauer hat auf ganzer Linie versagt. ({13}) Wir müssen im Hinblick auf die Bundestagswahl festhalten: Diese CSU ist mit ihren Ministern im Grunde nicht in der Lage, die Verkehrspolitik in Deutschland ordentlich zu organisieren. Machen Sie sich also nicht über ein Schattenkabinett lustig. Sie sind eine C-Mannschaft, nicht einmal eine BMannschaft. Ganz herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring. Bitte schön, Kollege Patrick Döring. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur für den Fall, dass das unklar geblieben ist: Die Fraktionen, die diese Bundesregierung tragen, haben für diese Wahlperiode keine Pkw-Maut verabredet, und wenn es nach der FDP und nach der Frau Bundeskanzlerin geht, werden wir so etwas auch in der kommenden Wahlperiode nicht verabreden. ({0}) Dafür werden wir Liberale werben und streiten. Die Debatte jetzt läuft ja ein wenig nach dem Muster ab: Wer wenig weiß, muss mehr glauben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Uwe Beckmeyer, selbstverständlich ist es lohnenswert, darüber zu diskutieren, wie wir mehr Geld ins System bekommen. Ich will darauf hinweisen, dass es Abgeordnete von CDU/CSU und FDP waren, die es geschafft haben, dass für 2012 und 2013 über 1,7 Milliarden Euro zusätzliche Mittel für Investitionen zur Verfügung stehen. ({1}) Auch erlaube ich mir den Hinweis, dass keine CDULandtagsfraktion und keine FDP-Landtagsfraktion in Koalitionsverträgen mit dem Partner verabredet hat, keine weiteren Straßen zu bauen, so wie es die SPD in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und in SchleswigHolstein verabredet hat. Der Eindruck, den Sie zu erwecken versuchen, Sie seien der Schutzpatron der Infrastruktur, ist nun wahrlich durch die Wirklichkeit widerlegt. ({2}) Entscheidend ist, dass man, wenn man die zutreffenden Rechtsgrundsätze, die Uwe Beckmeyer genannt hat, und das Diskriminierungsverbot ernst nimmt, am Ende eine Vignettenpflicht für alle einführen müsste. Für Inländer müsste man dann kunstvoll versuchen, ihnen die erhobenen Gebühren zurückzuerstatten. Ich erlaube mir den Hinweis, dass wir all das bei der Lkw-Maut auch schon diskutiert und dabei festgestellt haben, dass das in Europa aus guten Gründen so einfach nicht möglich ist. Wir Liberale werden nicht die Hand für die Übernahme von Systemkosten reichen. Ich bin nach der Erfahrung mit der Lkw-Maut sicher, dass wir das teurer machen würden als die Österreicher, dass wir ein System aufbauen würden, das 10 Prozent bis 20 Prozent Systemkosten produzierte; und dann müssten wir noch irgendwo ein Pkw-Vignetten-Rückvergütungsamt für die Deutschen einrichteten. Diesen bürokratischen Aufwand werden wir Liberale jedenfalls nicht mitgehen. So etwas wollen wir nicht. ({3}) Denn die Autofahrerinnen und Autofahrer in Deutschland zahlen genug Steuern, Mineralölsteuer und KfzSteuer. Wenn man sich die Geschichte der Infrastrukturfinanzierung anschaut, dann sieht man, wie skeptisch und misstrauisch die Deutschen aus gutem Grund bei dieser Debatte sind; denn unsere Vorgänger haben in den 60erund 70er-Jahren mehrfach Mineralölsteuererhöhungen vorgenommen und ins Gesetz geschrieben: Dieses Geld wird auf Dauer ausschließlich für die Finanzierung der Straße verwendet. Wir alle hier setzen diese gesetzlichen Regelungen mit jedem Bundeshaushalt wieder außer Kraft. Die Deutschen wissen genau, dass das Versprechen, neue Abgaben würden zweckgebunden eingesetzt, selten gehalten wird. Wir haben es bei der Lkw-Maut unter Rot-Grün erlebt und würden es auch bei einer PkwMaut erleben. Auch darum wollen wir Liberale kein neues Abkassierinstrument einführen. ({4}) Nein, wir müssen schlicht dafür sorgen, dass in diesem Parlament durch überzeugende Argumente mehr Geld aus dem Kfz-Steuer- und MineralölsteueraufkomPatrick Döring men für die Infrastrukturfinanzierung erkämpft wird, damit wir die Unterdeckung beseitigen. ({5}) Ich finde es aber bemerkenswert, dass die Redner beider Oppositionsfraktionen, die hier gesprochen haben, offengelegt haben, dass sie höhere Belastungen für all jene, die nicht Pkw fahren, planen, nämlich mit einer Güterverkehrsabgabe auf allen Bundesstraßen in Deutschland, für alle Fahrzeuge schwerer als 3,5 Tonnen und damit für jeden Handwerker, für jeden Landwirt, für jeden Möbelspediteur. ({6}) Das ist die Abzocke von Mittelstand und heimischem Gewerbe, und die werden wir auch nicht mitmachen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil regionale Wirtschaftsverkehre nicht zusätzlich belastet werden sollen. ({7}) Deshalb reden wir vielleicht weniger über neue Belastungen für die Menschen und eher darüber, wie sie mit ihrem eigenen Geld ihr Leben gestalten können. ({8}) Und sorgen wir dafür, dass wir die über 50 Milliarden Euro, die die deutschen Verkehrsteilnehmer aufbringen, dass wir die 4 Milliarden Euro Lkw-Maut, die alle inländischen und ausländischen Lkw bezahlen, richtig einsetzen und dass wir am Ende eine auskömmliche Infrastrukturfinanzierung haben! Wir brauchen keine neuen Finanzierungsinstrumente, die hohe Verwaltungskosten verschlingen; wir brauchen den Menschen auch nicht mit xenophoben Argumenten Sand in die Augen zu streuen. ({9}) Das Einzige, was wir brauchen, ist eine durchsetzungsfähige Mehrheit, die viel mehr Geld für die Infrastruktur beschafft. Die Fraktionen von Union und FDP haben in der Auseinandersetzung mit dem Parlament und mit dem Haushaltsausschuss bewiesen, dass sie das können; so werden wir auch weiter vorgehen. Es waren vier gute Jahre für die Infrastrukturfinanzierung, und wir werden vier gute Jahre anschließen. Vielen Dank. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Rita Schwarzelühr-Sutter. Bitte schön, Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter. ({0})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Was für ein Schauspiel heute! ({0}) Man könnte fast meinen, die Augsburger Puppenkiste ist wieder auf Tournee. ({1}) Auf dem Programm stehen Wahlversprechen aller Art. Angekündigt ist eine hundertprozentige Befriedigung der Wählerinnen und Wähler und ihrer Wünsche. In Bezug auf den Handlungsablauf befinden wir uns gerade in einem retardierenden Moment: Hochdramatisch meldet sich einer der Kronprinzen zu Wort, widerspricht der Königin und droht gar mit Auszug aus dem Schloss, wenn nicht Wegezoll für Fremde verlangt wird. Sie wissen, wen ich meine. Wir, das mehr oder weniger geneigte Publikum, wissen dennoch, dass das Unvermeidliche folgen wird; denn die Puppenspielerin wird am Ende des Stücks das Krokodil Horst und den Kasper Peter wieder zurück in die Kiste stecken und zum nächsten Auftrittsort weiterreisen. ({2}) Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer fordert eine Pkw-Maut für Ausländer und will damit die Hoheit über die Stammtische wiedergewinnen. Ich frage mich manchmal wirklich, warum es eigentlich keine Maut für politische Geisterfahrer gibt. ({3}) Pkw-Maut als Wunderwaffe für blasse Verkehrsminister! Ich denke hier nur an die Helmpflicht für Radfahrer, an das Punktesystem und anderes. ({4}) Sie sagen dann auch noch, es gehe Ihnen um mehr Gerechtigkeit und mehr Geld für den Straßenbau - und das wollen Sie natürlich nur von den Ausländerinnen und Ausländern, Europarecht hin oder her. Das Europarecht scheint wenigstens in den Augen des Ministers Seehofer nur eine Nebensächlichkeit zu sein; aber ich sage Ihnen eines: Das drückt bei allem Spaß aus, welches Rechtsverständnis Sie haben, wie Sie zu Recht und Gesetz stehen und welche Haltung Sie in Europa einnehmen. Wir lehnen die Pkw-Maut ab, weil die Fahrerinnen und Fahrer von Pkw, wie schon gesagt, bereits eine Menge Geld zahlen, nämlich 53 Milliarden Euro pro Jahr. Aber nur 17 Milliarden Euro pro Jahr werden in den Straßenverkehr investiert. Glauben Sie wirklich, dass Ihnen jemand abnimmt, dass Ihre Pkw-Maut on top kommt? Sie versprechen dem Handwerker und dem Pendler im ländlichen Raum, dass sie da das El Dorado, das Paradies, für Straßen finden. Das ist doch wirklich nicht die Wahrheit; vielmehr hängen Sie den Menschen eine goldene Karotte bzw. eine Wurst vor die Nase. ({5}) Enttäuscht müssen Handwerker und Pendler vor allem deswegen sein, weil das doch eigentlich Ihr Klientel ist. Haben Sie sie vor lauter Eifer in Ihrem Wahlkampf vergessen? Sagen Sie ihnen, wenn die Maut ausgeweitet wird, doch auch einmal, wo der Verkehr dann hinfließt und welche Umverkehre entstehen. Der Verkehr flutet dann doch auf die Landstraßen, und unsere schönen Autobahnen werden dann gar nicht mehr genutzt. Die eigentlichen Verursacher lassen Sie außen vor. Hier haben Sie in dieser Legislaturperiode richtig viel Geld verschleudert. Sie haben keine Mautspreizung vorgenommen, und Sie haben keinen Anreiz für mehr Euro6-Lkw geschaffen. Der Verkehrsminister hat sich vielmehr darauf zurückgezogen, dass er erst ein lupenreines Wegekostengutachten brauche, bevor er so etwas jemals noch einmal unternimmt. ({6}) Sie haben kein Herz für Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern Sie versuchen, sie gnadenlos abzuzocken. ({7}) Maut heißt nur, noch mehr Geld von inländischen Autofahrern abzukassieren. Ich zitiere Herrn Meyer vom ADAC. ({8}) - Keine Aufregung, Herr Kauder. Maut-Vorschläge sind an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten. Recht hat der Herr Meyer vom ADAC. Die Kanzlerin und die Bundesregierung haben versprochen, dass es keine Pkw-Maut gibt. Deshalb frage ich mich: Was sind die Versprechen dieser Bundesregierung eigentlich wert? ({9}) Es war bezeichnend, dass ein Staatssekretär nicht für die Bundesregierung, sondern eigentlich für die CSU gesprochen hat. Oder hat er doch für die Regierung gesprochen? Wir werden versuchen, das einzuordnen. Der Bürger vor Ort aber weiß jetzt, woran er ist: Er wird abkassiert und abgezockt. Die eigentlichen Lkw-Dreckschleudern aus dem Osten - oder was weiß ich, woher werden Sie aber weiter fröhlich durch das Land ziehen lassen. Sie halten sich lieber an die Verbraucher, die Bürgerinnen bzw. Bürger, die am Ende die Zeche bezahlen. Glück auf! ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Karl Holmeier. Bitte schön, Kollege Karl Holmeier. ({0})

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann, ehrlich gesagt, die ganze Aufregung der Opposition über die Äußerungen unseres bayerischen Ministerpräsidenten nicht verstehen. ({0}) Er hat gesagt, er will eine Maut, die deutsche Autofahrer nicht belastet - nicht mehr und nicht weniger. Zum Thema Pkw-Maut gibt es einen Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2011. Die Aussage unseres Ministerpräsidenten Horst Seehofer in der Bild am Sonntag gibt nichts anderes als das wieder, was bereits vor zwei Jahren beschlossen wurde. ({1}) - Es ist doch besser. Wenn Sie es wollen, stelle ich das für die Opposition noch einmal klar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden nach der Bundestagswahl 2013 eine Pkw-Maut in Deutschland einführen. Das ist schlicht und einfach eine Frage der Gerechtigkeit. ({2}) - Wir werden sie einführen, weil wir auch nach der Wahl die Regierung stellen werden. Warten Sie es ab, Frau Schieder. ({3}) Wenn deutsche Autofahrer in Österreich, in Italien, in der Schweiz und in Tschechien Maut bezahlen, dann sollten dies auch die Reisenden, die durch Deutschland fahren, machen. Es ist unserer Ansicht nach nur gerecht, wenn die vielen Abgaben, welche die deutschen Autofahrer an den Staat leisten, sich am Ende auch bei den Straßen unseres Landes widerspiegeln. ({4}) Die Realität, Herr Beckmeyer, sah nach elf Jahren roter Regentschaft im Bundesverkehrsministerium ganz anders aus. Die CSU arbeitet mit unserem Verkehrsminister Dr. Peter Ramsauer daran, das zu ändern. Um mehr geht es nicht. ({5}) Weder der bayerische Ministerpräsident noch die CSU möchten Ausländer diskriminieren oder die Grundsätze und Errungenschaften der Europäischen Union über den Haufen werfen. ({6}) Wir wollen keine Diskriminierung, wir wollen nur Gerechtigkeit auf Deutschlands Straßen. In unserem Parteitagsbeschluss heißt es - ich zitiere das wörtlich -: Kaum ein Industrieland in Europa stellt seine Straßen gebührenfrei jedem Autofahrer … zur Verfügung - mit Ausnahme des größten europäischen Transitlandes Deutschland. ({7}) Es ist daher ein Gebot der Fairness, dass sich ausländische Autofahrer künftig in Deutschland an den bei uns entstehenden Kosten beteiligen. Und das wollen wir. ({8}) - Sie stehen im Schatten, Herr Pronold, und werden auch nach der Bundestagswahl im Schatten stehen. - Ich kann darin beim besten Willen keine Ungleichbehandlung erkennen. Im Gegenteil: Das ist eine Forderung nach gleichem Recht für alle. ({9}) Um die ohnehin schon genügend strapazierten Geldbeutel der deutschen Autofahrer nicht noch mehr zu strapazieren, haben wir auf unserem Parteitag 2011 auch beschlossen, dass es mit der Einführung der Maut eine Kompensation - ich wiederhole: eine Kompensation für die deutschen Autofahrer geben muss. ({10}) Daran ist nichts Verwerfliches zu erkennen - auch nicht für Sie, Herr Pronold. Im Gegenteil: Alle, die eine andere Meinung vertreten, sollten den Autofahrern klaren Wein einschenken. ({11}) Wir wollen nicht, dass unsere Autofahrer künftig noch mehr belastet werden. Wir wollen keine Mehrbelastung für unsere Autofahrer, sondern eine verlässliche Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur, ohne die Autofahrer - vor allem die Pendler auf dem Land - noch zusätzlich zu belasten. ({12}) Fakt ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass der Verkehrshaushalt seit Jahren unterfinanziert ist. Die Kehrtwende zum Positiven wurde in den letzten Jahren unter CSU-Minister Peter Ramsauer vollzogen. ({13}) Vorher war es ein Riesenproblem. Zuvor haben die SPDVerkehrsminister über elf Jahre hinweg den Verkehrshaushalt sträflichst vernachlässigt. Sie haben zuerst die Lkw-Maut verstolpert und nach deren Einführung die Haushaltsmittel im Einzelplan 12 abgesenkt. Den Finanzierungskreislauf Straße, der die Kehrtwende zu mehr Unabhängigkeit vom Verkehrshaushalt markiert, hat erst unser Verkehrsminister Peter Ramsauer eingeführt. ({14}) - Hören Sie zu, Herr Pronold! - Unser Ziel lautet: Straße finanziert Straße. CSU-Minister Ramsauer war es auch, mit dem wir es geschafft haben, im Jahr 2012 1 Milliarde Euro und im Jahr 2013 dann noch einmal 750 Millionen Euro zusätzlich für den Straßenbau zu erhalten. Genau diesen Weg wollen wir nach der Bundestagswahl fortführen. Wir werden ihn auch fortführen: mit der Einführung einer Pkw-Maut, mit der finanziellen Beteiligung der Autofahrer aus unseren Nachbarländern, die unsere Straßen benutzen. ({15}) Dafür steht die CSU. Wir stehen für Gerechtigkeit und intakte Straßen in Deutschland. ({16}) Vielen Dank. ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der SPD unser Kollege Martin Burkert. Bitte schön, Kollege Martin Burkert. ({0})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hätten Sie nicht 10 Milliarden Euro bei der Bayerischen Landesbank versenkt, bräuchten wir heute keine Diskussion über die Pkw-Maut. ({0}) Allein während dieser Aktuellen Stunde müssen dafür 40 000 Euro Zinsen aufgebracht werden. Herzlichen Glückwunsch, Herr Dobrindt. So viel dazu. Stellen Sie sich ein Fußballstadion vor. Alle drücken der Mannschaft die Daumen, und ein kleiner Block Unverbesserlicher zündet bengalische Feuer. So ungefähr kommt mir die Diskussion um die Pkw-Maut vor. Eine große Mehrheit aus SPD, Grünen, Linken und CDU ist gegen die Maut. Es gibt einen Parteitagsbeschluss und klare Worte der Kanzlerin dazu. Ronald Pofalla - ja, Herr Kauder, das ist so - und auch die FDP sind hier anderer Meinung. Gut, Herr Döring, wir müssen konstatieren: die bayerische FDP, aber das sind ja nur ein paar Hanseln, und das auch nicht mehr lang. ({1}) Ich nenne hier auch die ablehnende Haltung der Freien Wähler, des ACE und des ADAC zur Pkw-Maut. Eine Umfrage des ADAC vom März dieses Jahres hat ergeben: Mehr als drei Viertel der Auto- und Motorradfahrer lehnen eine Pkw-Maut ab. Herr Dobrindt, wir wissen, wie die CSU in Bayern Umfragen macht. Mit solchen Umfragen brauchen Sie gar nicht erst zu kommen. Ich sage Ihnen: Wir alle lehnen eine Pkw-Maut in aller Deutlichkeit heute ab. ({2}) - Sie fürchten zu Recht die bayerische Landtagswahl. Es gibt nur diesen kleinen Block von Unruhestiftern, die CSU und die Piratenpartei. Da haben sich zwei gefunden. ({3}) Ich sage Ihnen: Natürlich brauchen wir neue Einnahmen, Herr Staatssekretär. Ich zitiere den Minister Ramsauer: Die nächste Bundesregierung wird zwingend sagen müssen, wie man die Unterfinanzierung des Verkehrsetats anpackt. Ich kann darauf nur antworten: Wir haben Vorschläge gemacht, wie eine zukunftsfähige, nachhaltige und solide Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur aussehen soll. ({4}) Wir haben die Arbeit gemacht, die der Minister in dieser Legislatur hätte machen müssen. Sie gestehen ja selbst ein, dass Sie keine Antworten gegeben haben. Was machen Sie denn eigentlich, wie schon zu Recht gefragt wurde, mit den über 50 Milliarden Euro Steuereinnahmen von den Autofahrern? Reichen die nicht aus? Reden Sie mit Ihrem Bundesfinanzminister. Stichwort „Finanzierungskreislauf Straße“: Das heißt nach Ihrem Verständnis: Umgehungsstraßen in Bayern, aber dafür den ländlichen Raum belasten. Wir lehnen die Pkw-Maut ab: aus datenschutzrechtlichen Gründen, aus ökologischen Gründen, aus Gründen der Verkehrssicherheit und aus sozialen Gründen. ({5}) Mit der Pkw-Maut würden gerade die Pendler getroffen, die im ländlichen Raum täglich auf die Nutzung von Fernstraßen und Autobahnen angewiesen sind. Sie können sich Nachhilfe bei YouTube holen. Der ADAC hat im Oktober 2010 ein 15-minütiges Video mit dem Titel „Irrtum Pkw-Maut“ hochgeladen. Bis heute wurde dieses Video etwa 11 500 Mal angeschaut. Ein CSUler war offenbar nicht dabei und ein Pirat anscheinend auch nicht. ({6}) Ganz nebenbei frage ich mich, was die den ganzen Tag im Internet machen; aber das nur am Rande. Wir sagen ganz klar: Pkw-Maut nein, Nutzerfinanzierung ja. Dafür müssen aber vier Kriterien erfüllt sein: Umwelt- und Lärmschutz sowie effiziente Lenkung der Verkehrsströme; jegliche Datenerfassung muss mit dem Datenschutzrecht in unserem Land im Einklang stehen - denken Sie an die Debatte in den USA -, und Pendler dürfen nicht benachteiligt werden, um das als Franke und als Bayer deutlich zu sagen, Herr Dobrindt. ({7}) Diesen vier Kriterien wird Ihre Pkw-Maut nicht gerecht. Ich bin ganz bei den Grünen, lieber Toni: Man kann ernsthaft darüber nachdenken, ob man nicht eine Erhöhung der Mineralölsteuer ins Auge fasst, ({8}) um damit die Kfz-Steuer abzuschaffen. Auch das hätte eine lenkende Wirkung. Die Behauptung des Herrn Ministerpräsidenten und seines Ministers in Berlin, Ramsauer, eine Pkw-Maut in Deutschland würde nur ausländische Autofahrer treffen, ist dreist und falsch - das wissen Sie -, und sie ist auch unzulässig. Ich denke nur an Ihren Parteitag: Wenn Ihre Abgeordneten den Wissenschaftlichen Dienst beauftragen und sich das noch einmal schwarz auf weiß geben lassen, dann sage ich, Herr Seehofer: Das ist EuropaMartin Burkert recht für Anfänger. Das sollten Sie wissen, Herr Ministerpräsident. Unterm Strich sage ich Ihnen: 15 von 16 Autos auf deutschen Autobahnen haben ein deutsches Kennzeichen. Die wollen Sie alle belasten. ({9}) Sie wollen den deutschen Autofahrer mit hineinziehen und den Europäern wieder die Schuld geben. Ich zitiere heute im Deutschen Bundestag Hubert Aiwanger - die Freien Wähler wollen ja kommen -: Seehofer träumt … von schwarzen Weißwürsten und überschätzt deutlich seine Macht. Ich wünsche ihm viel Erfolg dabei, das EU-Recht zu ändern … Ich sage Ihnen: Wir freuen uns. Wir haben kein Problem, wenn Herr Seehofer sagt, er wolle seinen Koalitionsvertrag danach ausrichten. Dem steht nichts im Weg. Denn Dissens zwischen Grünen, SPD und den Freien Wählern gibt es nicht. Wir werden den Koalitionsvertrag in Bayern dementsprechend machen. Wir freuen uns auf die Landtags- und Bundestagswahlen am 15. und 22. September dieses Jahres. Bei aller Freundschaft, Herr Scheuer, nach Ihrer Rede hoffe ich,

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen.

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- dass Sie dem Kabinett danach nicht mehr angehören. Vielen Dank. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Daniela Ludwig. - Bitte schön, Frau Kollegin Daniela Ludwig. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn jemand Hubert Aiwanger zitieren muss und ihn als Kronzeugen braucht, dann fehlt es schon an einigem, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD. ({0}) Ich stelle eines voran: Wir sind nicht nur in einer Mautdebatte, sondern in einer Verkehrsdebatte im Allgemeinen. Ich höre von Ihnen immer: Geht nicht. ({1}) Das stimmt: Unter Ihren Verkehrsministern ist vieles nicht gegangen. Es ging los mit dem Erhalt der Infrastruktur: Das ging bei Ihnen nicht. Das arbeiten wir jetzt gerade mühsam ab, Brücke für Brücke, Straße für Straße. ({2}) Den Verschleiß dieser rot-grünen Bundesregierung baden wir bzw. die deutschen und bayerischen Autofahrer aus. Schade, das ging bei Ihnen leider nicht. Bei Ihnen ging auch das nicht, was Sie jetzt so preisen, Herr Burkert: die Nutzerfinanzierung. ({3}) Straße finanziert Straße: Das ging bei Ihnen auch nicht. Dafür mussten erst wir kommen. In unserer Verkehrspolitik geht das. Jetzt sagen Sie: Wir sind für Nutzerfinanzierung, aber gegen die Pkw-Maut. - Erklären Sie das einmal zu Hause in Ihrem Wahlkreis! ({4}) Das geht bei Ihnen also auch nicht. Sie werfen sich immer in vorauseilendem Gehorsam vor der Europäischen Union in den Sand in dem Glauben, Sie müssten sich direkt wegducken und hinter dem EU-Recht verstecken, wenn Sie irgendetwas nicht wollen. Es ist bitter für Sie. Die Umfragen sind relativ eindeutig - und Ihre langen Gesichter waren vorhin auch ziemlich eindeutig -, dass die ganz große Mehrheit der bayerischen SPD-Wähler - viele sind es ja nicht mehr in der Tat für eine Vignette ist. Bitter für Sie, dass erst wir Sie darauf bringen müssen und dass die CSU wieder einmal ihrem politischen Motto gerecht wird. Wir sind nämlich schlicht und ergreifend näher am Menschen und wissen, was die bayerischen Menschen wollen. ({5}) Auch das ist relativ eindeutig. Wir sind ein Transitland. Mein Wahlkreis ist eine klassische Transitregion. Ich kann Ihnen schon jetzt die Szenarien ausmalen, wenn demnächst die Sommerferien beginnen: Wir werden Schlangen über Schlangen von deutschen, aber auch von ausländischen Pkw auf unseren Autobahnen haben, die Sie, wie gesagt, in der letzten und vorletzten Legislatur verschlissen haben. Die Menschen in meinem Wahlkreis fragen sich schlicht und ergreifend: Wie kann es angehen, dass wir in Österreich für eine Vignette zahlen müssen, dass wir in Italien - was ja eigentlich fast noch schlimmer ist - eine streckenbezogene Maut zahlen müssen? Dann müssen wir noch eine Extraabgabe zahlen, wenn wir über den Brenner fahren, weil dies offenbar besonders gefahrenträchtig ist. ({6}) Aber bei uns tuckert man in aller Seelenruhe durch, stellt sich in unsere Staus, verpestet unsere Luft, lädt seinen Müll bei uns ab; nur tanken tut man nicht mehr - dieses Geschäft nehmen wir leider nicht mehr mit -, und zahlen tut man auch nicht. ({7}) Ich kann Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Was Horst Seehofer hier fordert, ist richtig. Wir werden diese Forderung weitertreiben. Wir halten nichts von vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Europäischen Union, sondern wir stellen eine Forderung auf und werden sie auch durchsetzen. ({8}) Sie haben unter anderem die Pendler angesprochen. Auch in meinem Wahlkreis leben viele Pendler. Ich weiß nicht, mit wem Sie sprechen. ({9}) Wahrscheinlich sprechen Sie mit niemandem, sondern schauen YouTube. ({10}) Mir ist es lieber, mit den Bürgern zu sprechen und mir dort Rückmeldung für meine Politik zu holen. Diese Rückmeldung habe ich letzte Woche wieder relativ klar durch unsere 50-köpfigen Besuchergruppen erfahren. ({11}) Es vergeht keine Woche, in der nicht eine Besuchergruppe hier ankommt und ich mit fassungslosem Gesicht angeschaut werde, ({12}) wenn ich versuche zu erklären, warum viele europäische Länder eine Maut und ein paar wenige eine Vignette haben und wir mittlerweile fast das einzige europäische Land sind, in dem man für die Benutzung der Infrastruktur überhaupt nichts zahlen muss. ({13}) Meine Wähler zu Hause verstehen das nicht mehr. Weil sie es nicht verstehen, haben wir die hohe Verpflichtung, diesen Zustand endlich zu ändern. Vielen herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Ulrich Lange. - Bitte schön, Kollege Ulrich Lange. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Pronold, was Sie heute veranstaltet haben, ist der Offenbarungseid der SPD-Verkehrspolitik. ({0}) Wenn Sie für eine Aktuelle Stunde nicht mehr zu bieten haben als einen Parteitagsbeschluss der CSU aus dem Jahr 2011, wenn Sie keine eigenen Ideen haben, dann sind Sie kein Kompetenzmann; Sie sind nicht einmal die Wurzel aus Kompetenz. ({1}) Ihm passt ja nichts, aber er hat nichts zu bieten; es kommen keine neuen Ideen. Herr Kollege Burkert, das war wenigstens ehrlich. Das war ehrlich wie 2005, als es hieß: Mit uns keine Mehrwertsteuererhöhung. Maut: Nein. Nutzerfinanzierung: Ja. - „Steinbrück-Steuer, das wird teuer“: Das ist der Satz, der auf Sie heute ganz besonders zutrifft. ({2}) Eine gute Infrastruktur, eine gute Verkehrspolitik haben wir in den letzten vier Jahren weiß Gott gemacht. ({3}) Ich glaube, es ist Ihnen sehr wohl bewusst, dass wir elf Jahre auf Verschleiß gefahren sind; das gilt für Brücken wie für Straßen. Aber der Staatssekretär hat ganz richtig gesagt: Wir haben umgeschichtet. ({4}) Diese Umschichtung war notwendig. Wir haben auch bei der Schiene umgeschichtet. Auch das war notwendig. Nur, insbesondere im Gegensatz zu den Grünen, lieber Kollege Hofreiter: Der neue Bundesverkehrswegeplan ist kein „Wünsch dir was“. Ortsumfahrungen im ländlichen Raum bedeuten weiterhin Lebensqualität für Menschen, die an belasteten Straßen leben. Dafür brauchen wir auch in Zukunft Geld, und zwar mehr Geld als bisher. ({5}) Dass die Verkehrsinfrastruktur in Zukunft viel Geld kosten wird, sollten wir auch den Wählerinnen und Wählern heute schon sagen. Es wird ja von niemandem bestritten, auch von Ihnen nicht. ({6}) - Es wird auch von Ihnen nicht bestritten. - Nur, Herr Pronold, schaffen Sie es? Schauen Sie als Verkehrspolitiker vielleicht auch einmal bei den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Soziales vorbei? Schaffen Sie es, in diesem Bereich irgendwelche Ausgaben zu kürzen? Denken Sie an die Ökosteuer, die Sie, Rot-Grün, eingeführt haben. Sie wissen doch ganz genau, wohin die Einnahmen aus der Ökosteuer fließen: Sie landen im Topf des Haushaltes für Arbeit und Soziales. ({7}) Sie sollten nicht so tun, als ob Sie das nicht wüssten; Sie sind doch schon lange dabei. ({8}) Nachzudenken über weitere Finanzierungsmöglichkeiten, ist legitim. Abkassieren ist grundsätzlich Ihre Idee. Da ist die FDP nicht so dabei; das haben wir vorhin schon mitbekommen, Kollege Luksic. ({9}) Eines ist klar: Die Finanzierung der Infrastruktur ohne Mittel durch die, die sie nutzen, nämlich auch die ausländischen Pkw, wird auf Dauer nicht funktionieren. Wie die Kollegin Ludwig gerade zu Recht gesagt hat: Erklären Sie einmal, warum man in Österreich eine Vignette kauft und in Italien kilometerbezogen zahlt! Das ist doch kein Problem. Sie kaufen die Vignette; ich kaufe sie auch. Ich habe Verständnis dafür. Vielleicht sollten Sie auch Verständnis dafür aufbringen, dass die Österreicher auf diese Weise Geld einnehmen. ({10}) Ich möchte auf guten Straßen durch Österreich fahren. Dafür zahle ich. Nichts leichter als das! ({11}) Dann tun wir das doch genauso. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einführung einer Vignette bei gleichzeitiger Kompensation für Inländer ist eine legitime Möglichkeit zur Finanzierung unserer Infrastruktur. ({12}) Wir werden diese Gerechtigkeitslücke schließen. Wie ist vorhin so richtig festgestellt worden? Die CSU ist eine eigenständige Partei. Das ist gut so. ({13}) Damit sind wir auch Partner in Koalitionsverhandlungen. Eine Koalition mit der CSU heißt: mehr Geld für die Infrastruktur, ({14}) Schließung der Gerechtigkeitslücke und weiterhin Straßenbau. ({15}) Danke schön. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Ulrich Lange war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde, die nun auch beendet ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antisemitismus entschlossen bekämpfen, jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig fördern - Drucksache 17/13885 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Sie sind alle damit einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Als Erster hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner. - Bitte schön, Kollege Dr. Christoph Bergner. ({0})

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Lehren aus der Geschichte der Weimarer Republik ziehen, so wird deutlich, dass die Gefahren, die vom Antisemitismus ausgehen, nicht nur Gefahren sind, die jüdische Gemeinden und jüdisches Leben betreffen - dies allein wäre schon gefährlich genug -; die Geschichte der Weimarer Republik zeigt, dass Antisemitismus in viel allgemeinerer Weise auch eine Gefahr für die Demokratie insgesamt darstellt. Deshalb hat für die Bundesregierung die Bekämpfung extremistischer Bestrebungen jeglicher Couleur politische Priorität. Antisemitismus ist ein alle Strömungen des Rechtsextremismus verbindendes Ideologieelement und ein festes Themenfeld in der rechtsextremistischen Propaganda. Diese Ideologie gilt es zu identifizieren. Es gilt, sich mit ihr präventiv auseinanderzusetzen und sie in ihren menschenverachtenden Wirkungen zu bekämpfen. Es darf nicht sein, dass sich in deutschen Städten Bereiche bilden, in die man sich nicht mehr traut, wo Juden oder Moslems oder Menschen mit heller oder dunkler Hautfarbe nicht mehr sicher sind. Bei der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und dem Rassismus sind also alle Teile der Gesellschaft gefragt: vom Staat über die Sportvereine und die Erzieher bis hin zu den Religionsgemeinschaften. Wir müssen uns dabei der Tatsache stellen, dass antisemitische und rassistische Vorurteile in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Sie bilden den Nährboden für verschiedene extremistische und zum Teil gewaltbereite Gruppen am Rande unserer Gesellschaft. Die von den Experten des unabhängigen Expertenkreises im Antisemitismusbericht seinerzeit ausgewerteten demoskopischen Untersuchungen geben übereinstimmend eine Größenordnung von etwa 20 Prozent latentem Antisemitismus an. Die Quote mag in der Diskussion stehen. Je nach wissenschaftlicher Methode, erkenntnisleitendem Interesse, Fragebogendesign und anderem können solche Ergebnisse natürlich variieren. Aber unabhängig von der Festlegung auf eine bestimmte Zahl: Die Bundesregierung nimmt die Ergebnisse dieses Antisemitismusberichtes ernst. Sie sieht sich weiterhin veranlasst, den Antisemitismus in der Gesellschaft nachhaltig zu bekämpfen. ({0}) Im ersten Quartal 2013 wurden insgesamt 203 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gemeldet. Davon waren 8 Gewalttaten und 48 Propagandadelikte. Meine Damen und Herren, jede einzelne dieser Straftaten ist eine zu viel. ({1}) Werte wie Respekt, Toleranz und Demokratie fallen nicht vom Himmel. Sie sind keine Naturereignisse. Sie müssen täglich neu vermittelt werden. Hier sind alle demokratischen Institutionen, Staat und Zivilgesellschaft gleichermaßen gefordert, sich auch und gerade dem Antisemitismus überall entschlossen entgegenzustellen. Die Bedeutung des Schutzes dieser Werte muss nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Aufdeckung der terroristischen Mordserie des NSU im November 2011 gelten, die unsere Gesellschaft bis heute noch schwer erschüttert. Dies zeigt uns leider, dass wir angreifbar und verletzlich sind. Deshalb ist es wichtig, unsere demokratischen Werte gegen jede extremistische Hetze und gegen Gewalttäter zu verteidigen. Dies ist zwingender Konsens aller freiheitlichen Demokraten. Neben spezifischen Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Schutz jüdischer Einrichtungen, bedeutet für uns die Bekämpfung antisemitischer Straftaten nach wie vor, vor allem die politisch rechts motivierte Kriminalität zu bekämpfen. Dies wird als eine Daueraufgabe angesehen, der wir uns, immer wieder angepasst an neue Gegebenheiten, stellen. Alle gemessenen Quantitäten antisemitischen Einstellungspotenzials in unterschiedlichsten Erscheinungen - zum Beispiel antisemitische Ressentiments, Klischees, Verschwörungstheorien etc. - sind mit den Werten einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar. ({2}) Seit vielen Jahren werden zahlreiche Modellprojekte zur Prävention von Antisemitismus in den Bundesprogrammen gefördert. Dies wird vom Antisemitismusbericht ausdrücklich hervorgehoben und grundsätzlich positiv gewürdigt. Die Auswertungen der Modellprojekte durch die wissenschaftlichen Begleitungen haben gezeigt, dass diese Projekte in den verschiedenen Förderperioden einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen antisemitische Tendenzen geleistet haben. Die Projekte haben zahlreiche innovative Ideen für die Auseinandersetzung mit historischem und aktuellem Antisemitismus entwickelt. Dabei war und ist es eine besondere Herausforderung, Strategien und Maßnahmen zur Auseinandersetzung mit Antisemitismus so zu entwickeln, dass sich insbesondere Jugendliche von den angebotenen Aktivitäten erfassen und begeistern lassen und die angestrebten positiven Veränderungen dann auch tatsächlich eintreten. Die Tatsache, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland heute die am stärksten wachsende in Europa ist, zeigt, dass sich hier starkes und lebendiges jüdisches Leben wieder dauerhaft etabliert. Wir sollten dankbar dafür sein. Es ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, dass dies auch weiterhin ermöglicht werden kann. Auch deshalb fördert die Bundesregierung eine Vielzahl von überregionalen bedeutsamen jüdischen Einrichtungen. Ich erwähne die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, das Zentralarchiv für Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, das AbrahamGeiger-Kolleg mit dem ihm angegliederten Jewish Institute of Cantorial Arts in Potsdam und das Leo-Baeck-Institut. In diesem Zusammenhang ist auch die institutionelle Förderung des Internationalen Auschwitz Komitees zu nennen, das sich die Weitergabe der Erinnerung an den Holocaust an die jüngere Generation zur Aufgabe gemacht hat. Darüber hinaus wird als Ausdruck der kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und der jüdischen Gemeinschaft deren Dachorganisation, der Zentralrat der Juden in Deutschland, seit 2012 mit einer jährlichen Staatsleistung in Höhe von 10 Millionen Euro gefördert. Der gesellschaftliche Konsens einer nachhaltigen Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus wird dadurch unterstrichen, dass der vorliegende parteiübergreifende Antrag „Antisemitismus entschlossen bekämpfen, jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig fördern“ hier und heute zur Beschlussfassung vorliegt. Die Bundesregierung begrüßt und unterstützt diesen Antrag und wird auch weiterhin das ihr Mögliche tun, gemeinsam mit allen freiheitlich-demokratischen Kräften in der Gesellschaft die Ächtung und Bekämpfung des Antisemitismus voranzutreiben. Herzlichen Dank. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Gabriele Fograscher. - Bitte schön, Frau Kollegin Fograscher. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Bergner, die Lehren, die wir zu ziehen haben, sind nicht die Lehren aus der Weimarer Republik. Es sind vor allen Dingen die Lehren aus den Verbrechen der Nationalsozialisten. ({0}) Zu dem Antrag, den wir heute hier vorlegen, kann man nur sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Wir haben lange verhandelt. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, uns auf den vorliegenden Antrag zu einigen. Der Antrag ist ein Signal, dass wir Antisemitismus weiterhin gemeinsam und entschlossen bekämpfen und jüdisches Leben weiterhin fördern wollen. Das Expertengremium, das wir in der letzten Wahlperiode eingesetzt haben, hat seinen Bericht im November 2011 vorgelegt. Wir haben ihn dann leider erst im Oktober 2012 hier im Plenum beraten. Dieser Bericht ist eine gründliche und fundierte Analyse des Antisemitismus in Deutschland. Dafür noch einmal meinen Dank an die Expertinnen und Experten. ({1}) Im Bericht wird festgestellt, dass es bei 20 Prozent der deutschen Bevölkerung, quer durch alle Bevölkerungsgruppen, antisemitische Einstellungen gibt. Mit dieser erschreckend hohen Zahl wollen und werden wir uns nicht abfinden. Im Bericht wird ebenfalls festgestellt, dass es eine weitverbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken in der Mitte der Gesellschaft gibt. Der Rechtsextremismus ist immer noch der wichtigste Träger von antisemitischen Einstellungen. Neue Phänomene treten allerdings hinzu. Der in dieser Woche vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2012 zeigt uns deutlich, dass wir in unserem Engagement nicht nachlassen dürfen. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg im Jahr 2012 auf 1 286. Das sind 124 mehr als im Vorjahr. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten mit antisemitischem Hintergrund stieg von 22 auf 36. Antisemitismus ist zwar ein fester Bestandteil der rechtsextremistischen Ideologie. Wir müssen Antisemitismus aber auch als eigenständiges Phänomen außerhalb des Rechtsextremismus wahrnehmen. Der Antrag ist ein Kompromiss. Für uns, die SPDBundestagsfraktion, waren folgende Punkte wichtig: Im ursprünglichen Entwurf der Koalitionsfraktionen war vorgesehen, dass das Bundesinnenministerium dem Deutschen Bundestag einen regelmäßigen Bericht vorlegt. Das war uns zu wenig. Für uns war und ist es wichtig, dass unabhängige Sachverständige aus Theorie und Praxis, deren Benennung in Abstimmung mit den Fraktionen erfolgen soll, dem Deutschen Bundestag zu spezifischen Schwerpunkten aus dem Themenkomplex Antisemitismus in Deutschland berichten. ({2}) Der Bericht soll Empfehlungen enthalten, die auf Bundesebene umgesetzt werden können. Ein weiterer unverzichtbarer Punkt ist für uns die längerfristige Implementierung von Programmen gegen den Antisemitismus. Den ursprünglichen Finanzierungsvorbehalt haben wir aus dem Antrag gestrichen. Das ist gut und richtig, denn erfolgreiche Projekte müssen unter Einbeziehung der Evaluationsergebnisse weitergeführt werden. ({3}) Wir würden sonst viel Sachverstand verlieren, Engagement behindern und Erfolge im Kampf gegen Antisemitismus konterkarieren. Diese Forderung war bereits im interfraktionellen Antrag von 2008 enthalten. Sie ist aber leider nicht umgesetzt worden. Herr Bergner, auch zu diesem Thema, das eigentlich zum Aufgabenbereich Ihrer Bundesregierung gehört, haben Sie in Ihrem Statement hier nichts gesagt. Wir müssen das in der nächsten Wahlperiode nachholen. Zusätzlich wollen wir neue und innovative Ansätze für die Stärkung der demokratischen Kultur und gegen Antisemitismus verfolgen. Diese dürfen nicht an einer fehlenden Kofinanzierung durch andere staatliche Ebenen scheitern. Das ist auch eine Forderung des Zentralrats der Juden und des American Jewish Committee. Ein weiterer Punkt, der wichtig ist: Wir werden künftig Hemmnisse beseitigen, die demokratische Gruppen der Zivilgesellschaft in ihrem Engagement behindern. Wir verstehen darunter unter anderem die Abschaffung der sogenannten Extremismusklausel. ({4}) Wir begrüßen es, dass der Deutsche Bundestag dem Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat der Juden und der Bundesrepublik Deutschland zugestimmt hat. Die Erhöhung der Mittel leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung des jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur in Deutschland. Jüdisches Leben und jüdische Kultur gehören zu Deutschland. Anlässlich der Einweihung der Neuen Synagoge in Ulm im Dezember 2012 sagte

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass jüdisches Leben, dass jüdische Menschen nach all diesem Schrecken und all diesem himmelschreienden Unrecht wieder in Deutschland Heimat gefunden haben. Gemeinden sind wieder gegründet und belebt worden, es gibt jüdische Kindergärten, Schulen, Altenheime. Ich glaube, da hat er uns aus dem Herzen gesprochen. ({0}) Wir hätten uns gewünscht, unter Punkt 4 des Antrages aufzunehmen, dass Jüdische Studien an den Hochschulen interdisziplinär gestärkt und weiter ausgebaut werden sollen. Damit könnte das Wissen um jüdisches Leben und jüdische Geschichte in der Hochschulausbildung fächerübergreifend gefördert werden. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, solange jüdische Einrichtungen rund um die Uhr bewacht werden müssen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger sich Pöbeleien und tätlichen Angriffen ausgesetzt sehen, Hasstiraden im Internet verbreitet werden und Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden in der Mitte der Gesellschaft verbreitet sind, so lange müssen wir uns hier im Deutschen Bundestag, in den Länder- und Kommunalparlamenten und in der Zivilgesellschaft damit auseinandersetzen. Wir müssen um gemeinsame Positionen ringen und uns auf wirkungsvolle Maßnahmen verständigen. Die heutige Abstimmung über diesen Antrag ist deshalb nicht das Ende der Beratungen. Sie ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Gesamtstrategie gegen Antisemitismus. Es gibt etwas, „was wir nie wieder aufs Spiel setzen wollen“, wie Joachim Gauck es formulierte, nämlich die „Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Deutschland“. Ich danke den Berichterstattern und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Referentinnen und Referenten der Fraktionen und den vielen Kolleginnen und Kollegen, die konstruktiv an diesem Antrag mitgearbeitet haben. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den 80er- und 90er-Jahren hatten Pädagogen und diejenigen, die sich mit dem Holocaust und der Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland beschäftigt haben, die Hoffnung, dass man dem Antisemitismus in Deutschland durch eine sogenannte Vergangenheitspolitik, durch Aufklärung und Bildung weitgehend zu Leibe rücken könnte. Leider haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Mittlerweile ist zu konstatieren, dass das Phänomen des Antisemitismus eher Wellenbewegungen folgt und in unserem Land keinesfalls im Abnehmen begriffen ist. Das müssen wir sehr ernst nehmen. Denn alle Bemühungen, durch die adäquate Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit zu einer endgültigen Lösung dieses Problems zu kommen, sind gescheitert. 90 Prozent der Straftaten gegen jüdisches Leben in Deutschland kommen aus dem Bereich des Rechtsextremismus. Das ist natürlich eine dramatische Zahl. Aber wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir den Antisemitismus mit Rechtsextremismus gleichsetzen würden. Der Antisemitismus ist leider bis in weite Teile des Bürgertums, der Mitte unserer Gesellschaft und in Menschen aller Parteien - leider würde ich fast keine Partei davon ausnehmen wollen - verwurzelt. Insofern gibt es nach wie vor einen erschreckend hohen latenten Antisemitismus; Herr Bergner hat einige Kennzahlen genannt. Das wird auch aus Antworten auf die Frage, ob Juden zu viel Einfluss in diesem Land haben, deutlich. Entsprechende Aussagen kommen keinesfalls nur vom rechten Rand der Gesellschaft, wo Antisemitismus schwerpunktmäßig zu finden ist. Ich habe den Antisemitismusbericht in jüdischen Gemeinden, am Fritz-Bauer-Institut und anderen Orten vorgestellt und diskutiert. Die Reaktionen waren: Es ist gut, dass eine unabhängige Kommission aus Wissenschaftlern das Thema aufgearbeitet hat und dass wir nun empirische Erkenntnisse haben. - Bemängelt wurde allenfalls ein wenig, dass wir erst noch Handlungsansätze daraus entwickeln müssen und angesichts der vorliegenden Tatbestände erst noch aktiv werden müssen. Im nächsten Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages sollte neben einer genauen Betrachtung des Istzustandes auch Wert auf die Konsequenzen gelegt werden, die zu ziehen sind. ({0}) Mir scheint, dass die ausgewählte Didaktik - auch das ist ein Befund des Berichtes - bisweilen nicht geeignet ist, um dem Phänomen Antisemitismus ausreichend zu Leibe zu rücken. Jüdisches Leben in Deutschland ist nach wie vor keine Normalität, aber zum Glück eine sichtbare und erfreuliche Selbstverständlichkeit. Es ist ein anderes jüdisches Leben als das, was wir vor 1933 in Deutschland hatten. Als Rechtshistoriker im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte bin ich immer wieder erschrocken darüber, wie das Fachgebiet der Romanistik, also die Auseinandersetzung mit dem Römischen Recht - eine fast nur von jüdischen Deutschen betriebene Disziplin -, durch den Holocaust gleichsam ausgerottet wurde und wie Kenntnisse und Traditionen des deutschen Bildungsbürgertums jüdischer Prägung für Deutschland verloren gegangen sind. Das jüdische Leben heute ist ein anderes, ein erfreulich plurales und auch ein lebendiges, das manchmal durch ein unter sich streitendes und debattierendes Judentum gekennzeichnet ist. Darüber können wir uns ausgesprochen freuen. Wir alle sollten gemeinsam an der Bekämpfung des Antisemitismus arbeiten. Deswegen verzichte ich in meiner Rede auf jede parteipolitische Zuordnung. Auch Frau Pau bemüht sich als Berichterstatterin in ihrer Fraktion redlich, dieses Thema aktiv anzugehen; ich würde sagen: mit wechselndem Erfolg. Ich kann Ihnen nur alles Gute wünschen, Frau Pau, weil das Thema auch in der Linksfraktion weiter bearbeitet werden sollte. ({1}) - Sie alle kennen die Beschreibungen von sekundärem Antisemitismus. Sie alle wissen, dass es auch in Ihren Kreisen Menschen gibt, die Israel anders kritisieren als andere Staaten dieser Welt, die eine andere Wortwahl benutzen, wenn es um Israel geht, als wenn es um einen anderen Staat geht. Von daher haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, durchaus noch viel zu tun. ({2}) Ich finde es richtig, dass wir die Gespräche über das Thema nun fortsetzen, dass wir uns auch in der nächsten Legislaturperiode dieses Themas annehmen, dass wir Handlungsoptionen entwickeln und nicht nur beschreiben. Ich finde es richtig, dass wir mit den Jüdinnen und Juden in Deutschland weiterhin ins Gespräch kommen. Allein in dieser Legislaturperiode haben die Haushälter viel für jüdisches Leben in Deutschland getan: die Unterstützung der Barenboim-Said-Akademie und die Aufstockung der Mittel für den Zentralrat der Juden. Ich glaube aber, es darf nicht nur um Finanzen gehen, sondern es muss auch um das regelmäßige Gespräch und die Bekämpfung des Antisemitismus an den Stellen gehen, an denen er auftaucht: in den eigenen Reihen und am rechten Rand der Gesellschaft. Dann geht es mit dem Antisemitismus, der ja leider in Wellenbewegungen vorkommt, hoffentlich wieder abwärts. Ich glaube, wir werden das Phänomen in Deutschland nie endgültig beseitigen können. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Petra Pau für die Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, über den wir beraten und über den wir danach abstimmen, hat eine Vorgeschichte. Sie begann vor fünf Jahren, im Jahr 2008. Damals beschloss der Bundestag, einen Antrag mit der Überschrift „Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern“ anzunehmen. Der Beschluss wurde damals letztlich von allen Fraktionen gefasst. So wurde er zu einer Botschaft in die Gesellschaft. Ich finde ohnehin: Bei menschenfeindlichen Themen wie Rechtsextremismus oder Antisemitismus sollten Demokraten aller Couleur immer das Gemeinsame im Trennenden suchen und nicht das Trennende im Gemeinsamen. ({0}) Das ist jedenfalls meine Lehre aus der deutschen Geschichte; denn die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren und der Propagierung von Feindbildern freien Lauf ließen. Der Antrag von 2008 war auch eine Willensbekundung des Bundestages. Er enthielt sieben konkrete Aufträge an die Bundesregierung. Die Bundesregierung wurde zum Beispiel aufgefordert, eine Expertenkommission zu berufen. Diese wiederum sollte eine aktuelle Analyse zum Antisemitismus in Deutschland erarbeiten. Die Kommission legte 2011 ihren Bericht vor. Er bestätigt, dass Antisemitismus ein akutes gesellschaftliches Problem ist. Am 17. Oktober 2012 haben wir hier im Plenum über die umfassende Expertise debattiert. Das war übrigens eine weitgehend sachliche Debatte, aber auch das ist normal und demokratisch - sie hat auch Differenzen offenbart. Ich will an einige erinnern: Erstens. Die SPD, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen forderten, dass diese Kommission unter verbesserten Arbeitsbedingungen ihre Arbeit fortsetzt. Der Kollege Uhl äußerte sich für die CDU/CSU-Fraktion verhaltener und befand, der Bericht sei dünn, wenn es um konkrete Vorschläge für die Politik gehe. Unsere Kollegin Flachsbarth warnte davor, ein weiteres Gremium zu verstetigen. Im selben Sinn hat sich Bundesinnenminister Friedrich damals geäußert. Seitdem war klar: Wir haben einen Konflikt. Soll die Bundespolitik, wie 2008 vom Bundestag beschlossen, beständig von externen Experten beraten werden oder nicht? Damals sagte die Union Nein, die anderen Fraktionen meinten Ja. Wenn ich den nun vorliegenden Antrag von aller Prosa entkleide - die Kollegin Fograscher hat das auch schon gemacht -, dann steht darin ein Nein zur beständigen Weiterführung dieses Gremiums. Damit entpuppt sich der Dank an die Expertinnen und Experten als Abgesang an diese. Dem stimmt die Linke nicht zu. Zweitens. Der Bericht der Experten enthält übrigens 22 dringende Empfehlungen an die Politik, an die Gesellschaft, an die Wissenschaft.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schröder von der CDU/CSU-Fraktion?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, natürlich. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin nicht Abgeordnete geworden, sondern ich bin schon seit einigen Jahren Abgeordnete. Frau Kollegin Pau, ich möchte mit Ihrer Hilfe meine Erinnerung abgleichen. Sie erwähnten eben den Antrag von 2008 und sagten, den hätten damals letztlich alle Fraktionen verabschiedet. Wenn ich mich richtig erinnere, war es damals so, dass dieser Antrag von der CDU/ CSU, der SPD, den Grünen und der FDP eingebracht wurde und die Linke einen wortgleichen Antrag eingebracht hat. Es war aber auch so, dass etwa zehn bis zwölf Abgeordnete der Linken demonstrativ den Saal verlassen haben, weil sie nicht bereit waren, diesem Antrag zuzustimmen. ({0}) Medial haben sie dann geäußert, dass dies vor allen Dingen auch etwas damit zu tun hatte, dass in dem Antrag gestanden hat, die Solidarität mit Israel gehöre zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland und die Teilnahme an Demonstrationen, auf denen Israel-Flaggen verbrannt würden, könne nicht zur legitimen Kritik an Israel dazugehören. Teilen Sie diese Erinnerung?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist gut, dass Sie mir durch diese Zwischenfrage die Gelegenheit geben, hier ein bisschen Geschichtsaufarbeitung zu betreiben. Aus allen Fraktionen sitzen hier Kollegen, die sich - beginnend im November 2007 - mit dem Ziel, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen mit Blick auf den 9. November 2008, also auf das Gedenken an die Reichspogromnacht, zu erarbeiten, und im Bemühen, jüdisches Leben tatsächlich zu befördern, zusammengefunden hatten. Es waren also alle Fraktionen vertreten. Die Kollegin Connemann und der Kollegen Beck - sie sind hier anwesend - waren auch dabei. Dann übernahmen die Machtpolitiker einer Fraktion dieses Hauses die Initiative, sie legten einen neuen Antrag mit ganz offensichtlich falschen Aussagen mit Blick auf die Geschichte und den Umgang mit Jüdinnen und Juden nach 1945 vor, zum Beispiel in der DDR, womit ich aber das, was in der DDR geschehen ist, und auch die Verantwortung der SED für falsche politische Entscheidungen nicht kleinreden will. Dieser neue Antrag ging dann sowohl der SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen und - so erinnere ich mich - auch Vertretern der FDP zu weit; denn nun lag die Zumutung auf dem Tisch, einen Antrag mit offensichtlich falschen Behauptungen zu beschließen. Es wurde also unter den Fraktionen unter Ausschluss der Linken weiterverhandelt. Das Ergebnis lag dann vor. Die Fraktion Die Linke wäre bereit gewesen, obwohl sie am Verhandlungsprozess und damit an der Kompromisssuche nicht beteiligt war, diesem Antrag beizutreten, das heißt, auch innerparteiliche und innerfraktionelle Auseinandersetzungen zu diesem Kompromiss zu führen. Dazu wiederum war die Unionsfraktion nicht bereit. Daraufhin hat die Fraktion Die Linke unter Zurückstellung ihrer eigenständigen Vorschläge, die sie gern noch in den Verhandlungsprozess eingebracht hätte, gesagt: Wir wollen ein starkes Signal senden, deshalb bringen wir den Antrag, den die anderen Fraktionen des Hauses hier eingebracht haben, wortgleich - ich erinnere mich sogar an einen übernommenen Fehler in der Interpunktion - hier ein. - Der Bundestagspräsident ließ über beide Anträge abstimmen. Auch aus meiner Erinnerung ist richtig, dass sich zehn Abgeordnete enthalten bzw. nicht an dieser Abstimmung teilgenommen haben, da sie insbesondere mit dem Thema Staatsräson ihre Probleme hatten. ({0}) Sie haben aber nicht gegen diesen Antrag gestimmt. Wir haben dazu in der Folge weitere Debatten geführt. Ich weiß, dass es durchaus auch in anderen Parteien und Fraktionen zum Begriff der Staatsräson, wenn es um das Verhältnis zu Israel geht, unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber es ist nicht so, dass wir die anderen guten und richtigen Dinge, die in diesem Antrag standen, ablehnen. So war die Geschichte 2008. ({1}) Dass ich das alles noch einmal ausgepackt habe, haben Sie mit Ihrer Frage provoziert. Wie gesagt: Der Bericht der Experten enthält 22 dringende Empfehlungen an die Politik, an die Gesellschaft und an die Wissenschaft. Mich bewegt das Generalfazit der Kommission. Es lautet nämlich: Es gibt kein stimmiges Gesamtkonzept im Kampf gegen Antisemitismus. Zugleich boten die Wissenschaftler dem Deutschen Bundestag an, Leitlinien für ein solches Konzept zu entwickeln. Mit dem jetzt vorliegenden Antrag nehmen wir dieses Angebot erst einmal nicht an. Ersatzweise wird in einem Nebensatz die Klugheit der Bundesregierung gepriesen. Ich finde, das kommentiert sich selbst. Drittens. Ein weiteres Hemmnis wurde erneut bestätigt: Die gesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus brauchen mehr Zuspruch und Förderung. Sie leisten Unverzichtbares vor Ort und in den Regionen, aber sie hängen am Tropf. SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen verlangen seit Jahren von der Bundespolitik ein neues Fördermodell. Im vorliegenden Antrag des Bundestages bleibt davon eine unverbindliche Bitte um Prüfung an die Bundesregierung übrig. Ich finde, das ist zu wenig. Schließlich - das wurde durch meine Antwort auf die Zwischenfrage der Kollegin Schröder eben schon dokuPetra Pau mentiert; aber ich will es trotzdem für das Protokoll festhalten - wurde beim vorliegenden Antrag gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben die Linke erneut ausgeschlossen. Alle anderen Fraktionen machen mit. Wir haben im NSU-Untersuchungsausschuss zu diesem Neonazi-Mord-Desaster erlebt, dass es auch anders geht, dass man sachlich und fraktionsübergreifend zusammenarbeiten kann. Insofern ist der heutige Vorgang auch aus dieser Sicht ein Rückfall. So kommen wir grassierendem Antisemitismus nicht bei und befruchten auch nicht gemeinsam jüdisches Leben in der Bundesrepublik. Ich finde, heute steht eine verpasste Chance zur Abstimmung. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Antisemitismus ist trauriger deutscher Alltag. Mindestens zweimal täglich gibt es in Deutschland antisemitische Straftaten. Im Jahr 2012 waren es 865 Taten. Sosehr man es sich wünscht: Auch 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz kann von Normalität für jüdisches Leben in Deutschland keine Rede sein. Sie bleibt aber unser Ziel. Dieses Ziel ist aber nicht erreicht, solange wir vor Synagogen, vor jüdischen Kindergärten und Schulen sowie Altenheimen einen besonderen polizeilichen Schutz brauchen, weil die Sicherheitslage es erfordert. So selbstverständlich es uns heute erscheint, dass man eine jüdische Einrichtung am Polizeiauto vor der Tür erkennen kann, so sehr widerspricht es eben einer Selbstverständlichkeit von jüdischem Leben. Zur Wahrheit gehört, dass diese Bedrohungen aus ganz unterschiedlichen Lagern kommen. Sie kommen häufig, zu über 90 Prozent, aus der rechtsextremen Szene. Sie kommen aber auch von muslimischen Organisationen, islamistischen Gruppen, und sie kommen auch von der linken Seite und aus der Mitte der Gesellschaft. ({0}) Das gehört zur Ehrlichkeit dieser Debatte dazu. Deshalb fand ich manche Tonlage hier und das Zeigen auf andere nicht angemessen. Wir haben in allen Parteien, in allen gesellschaftlichen Großorganisationen Probleme mit unterschiedlichen Formen von Antisemitismus. Es gibt den christlichen Antisemitismus. Es gibt den politischen Antisemitismus. Es gibt auch Antisemitismus in Form von antiisraelischer Politik. Hierbei wird das Existenzrecht Israels ignoriert. Es wird argumentiert, man müsse - angeblich ist es ein Tabu - doch auch einmal Kritik äußern dürfen. Dabei kann man die Spiegel-Titel mit Kritik - zum Teil auch berechtigter Kritik - an konkreten Aktionen der israelischen Regierung oder Armee meterweise übereinanderlegen. Zu behaupten, hier müsse jemand ein Blatt vor den Mund nehmen und es gebe ein gesellschaftliches Tabu, ist eine Selbstinszenierung der Antisemiten als Opfer einer vermeintlichen politischen Korrektheit. ({1}) Ich möchte zu dem Antrag kommen. Es war wichtig, durchzusetzen - das war nicht ganz einfach; Frau Kollegin, ich hätte Sie bei diesem Termin gerne an meiner Seite gehabt; das wissen Sie -, dass wir die Arbeiten mit diesem Expertengremium fortsetzen. Es wird wieder Sachverständige geben, die von der Bundesregierung bestellt werden und an der Erstellung dieses Berichts sitzen werden. Für den letzten Bericht möchte ich stellvertretend Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung - sie sitzt hier auf der Tribüne - danken. Ich denke, diese gute Arbeit sollte fortgesetzt werden. Wir sollten diesen Bericht dann aber auch ernst nehmen; ({2}) denn darin stehen konkrete Empfehlungen. Bislang haben wir davon nichts politisch umgesetzt. In dem Antrag steht, dass erneut geprüft werden soll, wie mit den Fördermaßnahmen umgegangen wird. Wie das erfolgen sollte, ist eigentlich klar. Es macht mich schon etwas ungeduldig, Frau Schröder, wenn Sie die Kollegin Pau auf das Abstimmungsverhalten irgendwelcher Abgeordneter - welches auch ich nicht verstehen kann - aufmerksam machen. Sie sollten sich vielmehr einmal die Empfehlungen durchlesen. Das betrifft nämlich Ihr Haus: Schaffen Sie die Extremismusklausel ab! ({3}) Finden Sie endlich eine Lösung für die Verstetigung der Arbeit dieser Projekte! Wenn wir uns darauf beschränken, nur davon zu träumen, dass es das Problem nicht mehr gibt, wird dieser Traum nie wahr werden. Es ist ein Problem, dass Modellprojekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus immer nur auf drei oder vier Jahre angelegt werden können. Wir brauchen dafür eine Lösung. Es muss entweder eine Stiftung errichtet werden, oder der Bund muss den Mut haben, gegenüber dem Bundesrechnungshof zu vertreten, dass für diesen Bereich eine dritte Art der Finanzierung - zwischen Projektförderung und institutioneller Förderung - eingerichtet wird. So wie bisher können wir nicht weitermachen; damit werfen wir denen, die sich engagieren, Knüppel zwischen die Beine. Nachgedacht werden muss auch über die Kommunalbindung dieser Projekte. In den Bereichen, wo es gesellschaftlich besonders große Probleme gibt, sind manche Kommune und mancher kommunale Entscheidungsträger nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Manchmal können die Rechtsextremen nur deswegen gesellschaftlichen Raum einnehmen, weil ihnen dieser Raum unwidersprochen überlassen wird. Deshalb darf die Förderung nicht darauf aufbauen, dass bereits alle Beteiligten verstanden haben, worum es geht. Volker Beck ({4}) Meine Damen und Herren, die Angriffe auf Rabbiner in Berlin - so auch auf Stephan Kramer, der auf der Tribüne sitzt und den ich begrüße ({5}) oder kürzlich in Offenbach zeigen, dass der Kampf gegen Antisemitismus eine Aufgabe für uns alle ist. Die Fragen, die parallel auf der am Alexanderplatz stattfindenden OSZE-Konferenz über Jewish Security behandelt werden, zeigen, dass wir uns diese Fragen europaweit stellen müssen: Die Situation in Ungarn ist mehr als alarmierend und verlangt klare Signale der Europäischen Union; denn der Antisemitismus steht im Kern im Widerspruch zu der Idee eines friedlichen und demokratischen Europas, das ja eine Antwort sein soll auf die schrecklichste Phase des Antisemitismus: als unter den Nationalsozialisten in unserem Land und in den europäischen Nachbarländern massenhaft jüdische Bürgerinnen und Bürger ermordet wurden. Ich denke, wir müssen hier energischer vorgehen und uns diese Fragen zu Herzen nehmen. Herr Bergner, da muss ich eine deutlich andere Tonlage wählen als Sie in Ihrer Rede: Es reicht nicht, wenn die Strafverfolgungsorgane gegen antisemitische Straftaten vorgehen; das muss eine Selbstverständlichkeit sein. Entscheidend dafür, dass wir dabei vorankommen, die Zahl dieser Taten zu minimieren, ist jedoch das gesellschaftliche Klima. Wir brauchen eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft, und wir brauchen in allen Bereichen eine Sensibilisierung dafür, was Antisemitismus ist. Wir sollten uns dabei, wie ich eingangs gesagt habe, nicht immer so sicher sein, dass unsere Organisationen bei allen Fragen auf der richtigen Seite sind. Wir müssen weiter aufmerksam bleiben und darauf achten, wenn entsprechende Äußerungen auch in unseren Kreisen gemacht werden. Zum Schluss möchte ich allen Menschen in der Gesellschaft danken, die sich in entsprechenden Initiativen, die nur wenig Geld bekommen, engagieren. Für großen Frust sorgt dabei auch, dass wir bestimmte Sachen, die schon lange klar sind, einfach nicht anpacken. Stellvertretend für die vielen Tausende von Menschen, die sich vor Ort engagieren, möchte ich Ulla Scharfenberg von der Amadeu-Antonio-Stiftung und Fabian Weißbarth vom American Jewish Committee danken. Wir brauchen Ihr Engagement. Geben Sie nicht auf! Irgendwann wird es uns gelingen, das, was wir mit dem heutigen Beschluss zum zweiten Mal versprechen - dass wir Ihnen bei Ihrer wichtigen Arbeit keine Hürden in den Weg stellen -, politisch durchzusetzen. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute über wiedererstarkendes jüdisches Leben in Deutschland debattieren können, ist eine der glücklichsten und wohl auch erstaunlichsten Entwicklungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Entwicklung ist alles andere als selbstverständlich, auch fast 70 Jahre nach dem Ende von Rassenwahn und NS-Herrschaft. Wir sollten heute nicht das Trennende herausarbeiten - das gilt auch für Sie, Herr Beck -, sondern sollten zufrieden sein, dass es uns gelungen ist, einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren, der Ausdruck der Entschlossenheit dieses Parlamentes ist, gemeinsam jede Form von Antisemitismus zu bekämpfen. Ich meine, es ist nicht ganz so gewesen, wie es Frau Kollegin Pau dargestellt hat hinsichtlich der Abfassung des letzten Antrags im Jahre 2008; es würde jetzt zu weit führen, das alles herauszuarbeiten. ({0}) Ich möchte an die Rede Ihres damaligen Parteivorsitzenden Gysi erinnern, die er vor der Rosa-LuxemburgStiftung gehalten hat, in der er Ihre Partei ermahnt hat, dass sie in der politischen Parteienlandschaft Deutschlands erst dann Fuß fassen könne, wenn sie ihr Verhältnis zum Judentum und zum Staate Israel ins Reine gebracht habe. Das ist die Botschaft einer großen und guten Rede von Gregor Gysi, adressiert an Ihre eigenen Parteifreunde. ({1}) Da ist etwas aufzuarbeiten. Das sollten Sie hier nicht kleinreden. Meine Damen und Herren, es muss uns allen aber auch klar sein, dass man Antisemitismus nicht mit Papieren oder politischen Bekenntnissen bekämpfen kann; man muss sich vielmehr die Mühe machen, auf lokaler Ebene ganz gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Dort, wo Antisemitismus anzutreffen ist, muss er bekämpft werden. Damit sind wir Parlamentarier im Bundestag natürlich nicht die erste Adresse. Das muss über die Länder auf die Ebene der Kommunen heruntergebrochen werden und zum Beispiel in den Schulen angegangen werden, also überall dort, wo man Antisemitismus antreffen kann. Der Bericht, den wir bekommen haben, ist eine umfassende wissenschaftliche Darstellung aller Formen von Antisemitismus. Er liest sich wie ein Kompendium. Aber das ist nicht die Lösung. Wir müssen uns auf der Basis dieses Berichtes ganz konkrete Maßnahmen ausdenken. ({2}) Es gibt auch neue Formen des Antisemitismus; darauf haben die meisten Redner hingewiesen. Auch das gilt es zu beachten: Neben dem Schwerpunkt des Antisemitismus im Rechtsextremismus - ganz selbstverständlich Dr. Hans-Peter Uhl gibt es eben auch in Teilen der Migrationsgemeinde in Deutschland neue Formen des Antisemitismus. Dies muss beachtet werden, muss bekämpft werden. Es muss hinterfragt werden, wie es dazu kommen konnte. Wir alle sind dazu aufgerufen, wachsam zu sein. Die Anschläge auf die Rabbiner möchte ich jetzt nicht noch einmal ausführlich darstellen; sie wurden schon erwähnt. Vielmehr möchte ich auf Sender wie Al-Aqsa, der von der Hamas betrieben wird, oder den libanesischen Hisbollah-Sender Al-Manar hinweisen, über die Antisemitismus aus der Ecke des Islamismus in unsere Wohnzimmer und in die muslimischen Gemeinden in Deutschland hineingetragen wird und vor allem bei der Jugend ankommt. Dadurch erklärt sich auch der eine oder andere Übergriff aus diesem Milieu auf Juden in Deutschland. Es ist auch unsere Aufgabe, hier gegenzusteuern, diese Szene zu beobachten, weil es eine große Population gibt, die dafür anfällig sein könnte. ({3}) Das heißt, der ungelöste Nahostkonflikt spielt auch hier eine große Rolle. Es muss in den Schulen aufgeklärt werden und alles dafür getan werden, um hier keinen neuen Antisemitismus in Deutschland entstehen zu lassen. Toleranz, Miteinander in den Kommunen, das muss den jungen Menschen beigebracht werden. Die Frage, wie wir dies tun können, ist schwierig zu beantworten. Lassen Sie mich kurz berichten. Ich war in den Pfingstferien wieder mit zwei befreundeten jüdischen Familien privat in Israel und Jerusalem und - natürlich auch wieder einmal in Yad Vashem, wie sicherlich viele von Ihnen auch schon in Yad Vashem waren. Man muss dieses Monument und Museum der entsetzlichen deutschen Geschichte, des Holocausts auf sich wirken lassen. Das beginnt schon mit der architektonischen Wucht dieses Museums. Es wurde wie die Klinge eines Messers, mit der Spitze nach oben, auf einem Höhenrücken errichtet. Darin wird man durch die Dunkelheit der deutschen Geschichte der Nazizeit geführt, übrigens nicht beginnend mit Hitler, sondern mit der Epoche und den Jahren davor, die zu Hitler geführt haben. Das ist auch sehr interessant zu sehen. Da hängt ein Plakat aus der Weimarer Zeit, auf dem steht: „Jetzt kann nur noch Adolf Hitler helfen!“, um die Stimmung aus den 20erJahren aufzugreifen. Man erfährt auch, dass Hitlers Mein Kampf, wo alles angekündigt wurde, nicht gelesen wurde, weil man glaubte, jetzt könne nur noch er helfen. Wie es dazu kam, wird eindrucksvoll dargestellt. Dann geht es weiter durch die 30er-Jahre in Wort und Ton, auf erschütternde, ergreifende Weise. Ich glaube, wer dieses Museum in seinem Leben auch nur einmal gesehen hat, dem brennt sich in die Seele ein, dass es in Deutschland niemals wieder solches Gedankengut geben darf. Deswegen sollte man alle zu einem Besuch aufrufen. Yad Vashem ist ein Muss für jeden Deutschen. Das muss man auf sich wirken lassen. ({4}) Diese Architektonik ist auch deswegen so beeindruckend, weil sich, wenn man durch diese dreieckige Betonschlucht hindurchgegangen ist, am Ende die Betonmauer öffnet und man vor einem weiten, grünen Tal steht - und über einem der blaue Himmel. Es öffnet sich der Weg in eine bessere Welt, in eine Welt ohne Antisemitismus. Dafür sollten wir alle miteinander arbeiten. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kerstin Griese für die SPD-Fraktion. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern, am 12. Juni, war der 84. Geburtstag von Anne Frank, des jüdischen Mädchens, geboren in Frankfurt am Main, mit der Familie geflüchtet nach Amsterdam, versteckt im Hinterhaus, ermordet in Bergen-Belsen. Dieses Mädchen und seine Geschichte kennen wir alle. Wahrscheinlich geht es vielen von Ihnen so wie mir: Das Lesen des Tagebuchs als junge Jugendliche, als Kind, war der Anlass, sich mit dem Holocaust zu beschäftigen. Für viele ist dieses Mädchen auch eine Identifikationsfigur. Auch heute lesen viele Schülerinnen und Schüler das Tagebuch. Wenn allein das Wissen über die Geschichte Antisemitismus verhindern könnte, müssten wir heute nicht darüber debattieren, warum es so erschreckend ist, dass sich der Antisemitismus in den letzten Jahren sogar noch verstärkt hat. Herr Kollege Ruppert hat auf die didaktischen Diskussionen hingewiesen. Ich habe selber viele Jahre in einer Gedenkstätte für die NS-Opfer gearbeitet. So einfach macht es sich, glaube ich, niemand, zu denken, dass durch das Wissen über die Geschichte Antisemitismus per se verhindert wird. Dass Antisemitismus sogar zugenommen hat, wissen wir aus dem Antisemitismusbericht. Auch ich danke noch einmal sehr herzlich jenen, die an diesem umfassenden und wichtigen Bericht mitgewirkt haben und heute hier sind. Aus ihm geht hervor, dass bestimmte Aussagen Zustimmung finden. Das hat Professor Heitmeyer mit seiner Arbeitsgruppe „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa“ immer wieder untersucht. Zum Beispiel stimmen 12,6 Prozent der Befragten voll oder ganz dem Satz zu: „Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig.“ So viel zum Thema Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft. Wie passt das zusammen - auf der einen Seite diese hohe, auch emotionale Identifikation, dieses große Interesse an dem jüdischen Mädchen Anne Frank und auf der anderen Seite solche Meinungen? Was ich bei allen Studien, die wir über dieses Thema lesen und kennen, auffällig finde, ist, dass die Ausländerfeindlichkeit dort am größten ist, wo am wenigsten Ausländer leben. Der Antisemitismus ist dort am größten, wo die Menschen am wenigsten Jüdinnen und Juden kennen oder mit ihnen gar nicht in Kontakt kommen. Das sollte uns zu denken geben. Das sollte uns auch zu denken geben, wenn wir über Konsequenzen für die pädagogische Arbeit, für die Prävention von Rassismus und Antisemitismus diskutieren. Denn die Bekämpfung des Antisemitismus ist nicht Aufgabe der Juden in Deutschland, sondern dies ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft und zuvorderst auch der Politik. ({0}) Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Der weitaus größte Teil - etwa 90 Prozent - der antisemitischen Straftaten wird im rechtsextremen Spektrum verübt. Es ist sogar ein Anstieg zu verzeichnen. Das Bundesinnenministerium hat neulich für 2012 einen Anstieg der antisemitischen Straftaten um 10,6 Prozent bekannt gegeben. Wir hören ja auch immer wieder von Fällen, wie hier in Berlin, dass Stolpersteine beschmiert werden, dass Rabbiner angegriffen werden, dass sich junge Juden, jüdische Studenten nicht mehr trauen, eine Kippa zu tragen. Wir erleben diesen rassistischen Antisemitismus, diesen alten Antisemitismus, der auf den christlichen Antijudaismus des Mittelalters zurückgeht, der im Nationalsozialismus sein Extrem fand. Aber wir erleben auch sekundären Antisemitismus. Interessant ist, dass in dem erwähnten Bericht auch die Rede von diesem sekundären Antisemitismus ist. Abgefragt wurde zum Beispiel die Zustimmung zu dem Satz: „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen.“ Diesem Satz haben 39,5 Prozent der Befragten zugestimmt. Das muss man sich einmal vorstellen. Ich finde das beschämend. ({1}) Wir erleben auch islamistischen Antisemitismus und solchen von links; auch das ist hier schon gesagt worden. Gerade deshalb will ich auch einmal den vielen Initiativen im interreligiösen Dialog ein Dankeschön sagen, die sich gerade darum bemühen, dass die drei Weltreligionen ihre friedvollen Gemeinsamkeiten finden und daran auch festhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns sicher alle einig, dass wir aufgrund unserer Geschichte immer besonders sensibel mit Antijudaismus und Antisemitismus umgehen müssen. Aber heute müssen wir auch konkret über die Konsequenzen aus dem Antisemitismusbericht sprechen. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Darin gibt es sehr konkrete Empfehlungen. Ich will nur zu zwei Bereichen etwas sagen, nämlich zur Bildungsarbeit und zu dem Programm gegen Rechtsextremismus. Zur Bildungsarbeit. Wir haben auch in Deutschland - Herr Kollege Uhl hat beeindruckend Yad Vashem beschrieben - sehr beeindruckende Gedenkstätten an den historischen Orten. Ich kann nur immer wieder sagen: Auch hier lohnt sich ein Besuch. Diese Gedenkstätten erfüllen mit ihrer pädagogischen Arbeit und ihrer Bildungs- und Präventionsarbeit eine wichtige Aufgabe. Hier in Berlin gibt es das Anne-Frank-Zentrum. Auch bundesweit gibt es viele Initiativen, zum Beispiel „Schule ohne Rassismus“, das Netzwerk für Demokratie und Courage und sehr viele andere. Diesen Initiativen, von denen auch Vertreter heute hier sind, will ich danken. Sie alle sind sehr wichtig; sie müssen weiter unterstützt werden. Auch die Gedenkstätten an den historischen Orten hier in Deutschland müssen wir unterstützen. Unsere Erinnerungskultur verändert sich schon seit einigen Jahren; auch das hatte Kollege Ruppert angesprochen. Ich will aus eigener Erfahrung sagen, dass es wichtig ist, dass die jungen Menschen von heute, die sich mit der Geschichte beschäftigen, ihre eigenen Fragen stellen können. Viele von ihnen können Zeitzeuginnen und Zeitzeugen nicht mehr erleben. Unsere Generation haben diese Zeitzeugen so nachdrücklich geprägt wie kaum andere Menschen. Die Jugendlichen von heute stellen das Lernen aus der Geschichte in ihre eigenen lebensweltlichen Zusammenhänge, und das ist auch gut so. Insofern bekommen die Gedenkstättenarbeit und das Lernen aus der Geschichte eine immer mehr universal menschenrechtliche Dimension, wie das in den USA übrigens schon länger der Fall ist. Wenn Jugendliche einen solchen historischen Ort oder hier in Berlin das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas besuchen, dann bedeutet das für sie immer auch eine Auseinandersetzung damit, was Toleranz heute bedeutet, wie mit Menschen verschiedener Herkunft, Religion oder Hautfarbe umgegangen wird, und das ist gut. Denn die Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Jahr 2013 ist immer auch eine Auseinandersetzung mit moralischen Standards und der Frage, wie wir unser Zusammenleben gestalten. ({2}) Eine ganz wichtige, eindeutige Konsequenz aus dem Antisemitismusbericht ist: Erfolgreiche Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus müssen längerfristig gefördert werden. Auch ich habe hier eine gewisse Ungeduld, weil ich mich inzwischen seit vielen Jahren damit beschäftige und mich ärgere, dass wir das noch immer nicht hinbekommen. Es gibt viele gute Programme und viele engagierte Menschen. Wir verärgern sie ganz besonders mit der Extremismusklausel, mit der wir sie unter Generalverdacht stellen. Das ist vollkommen überflüssig und behindert die Arbeit. ({3}) In der Empfehlung des Antisemitismusberichts heißt es so schön: „vom Modell zur Regelpraxis“. Das heißt, wir müssen endlich einen Weg finden, dass wir nicht immer nur dreijährige Modellprojekte fördern, die dann, wenn sie angelaufen sind und hervorragende Arbeit leisten, wieder beendet werden, sondern dass wir gute Organisationen und deren Arbeit auch längerfristig fördern. Ich scheue mich auch nicht davor, sie institutionell zu fördern. Ganz konkret heißt das für den Haushalt 2014 aber auch - ich spreche hier die zuständige Ministerin an -, dass für viele Projekte noch nicht geklärt ist, wie es weitergeht. In etwa drei Vierteln der Projekte gibt es keine Verpflichtungsermächtigungen. Bei etwa drei Vierteln der Projekte weiß man nicht, wie es ab Frühjahr 2014 weitergeht, und es wäre schädlich, diese Arbeit zu beenden. Wir brauchen dort mehr Kontinuität. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mit einem beeindruckenden Zitat von Anne Frank enden, nachdem ich auch schon mit ihr begonnen habe, nämlich einem Tagebucheintrag vom 15. Juli 1944. Dort schreibt die gerade 15-Jährige: Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube. Das hat mich sehr bewegt und beeindruckt, und in diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir in der nächsten Legislaturperiode alle gemeinsam alles dafür tun, die Menschen, die Ideen, die Projekte, die Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus voll und ganz zu unterstützen, und uns selbst im Bundestag und in der Politik auf die Fahnen schreiben, dass wir Antisemitismus in unserem Land nicht dulden und entschieden bekämpfen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patrick Kurth für die FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003900, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den allermeisten Themen gibt es im demokratischen Meinungskampf mehrere akzeptable Ansichten. Allein heute streiten wir im Deutschen Bundestag zum Beispiel über das Auslandsschulgesetz und die PkwMaut. Wir reden über die Tourismuspolitik. Ich erinnere an die lebhafte Debatte von heute früh, als wir über das Vertriebenengesetz gesprochen haben. Bei einigen wenigen Themen jedoch darf es unter Demokraten keine zwei Meinungen geben; das ist und bleibt ein gesamtgesellschaftlicher Grundkonsens. Dazu gehört das Thema Antisemitismus. Gerade Deutschland verbindet mit diesem Ungeist eine schuldbeladene Vergangenheit, die nur ein Urteil zulässt: die entschiedene Ablehnung jeder Form des Antisemitismus. Dies muss zur politischen DNA unseres Landes, zur politischen DNA dieses Parlamentes und zur politischen DNA aller Parteien gehören. ({0}) Dass der vorliegende Antrag bei allen politischen Differenzen gemeinsam von der Union, der FDP, den Grünen und der SPD eingebracht worden ist, belegt dies. Auf den Zusammenhalt in dieser Frage können, müssen und dürfen wir auch ein Stück weit stolz sein. In dieser Debatte wurde viel Richtiges gesagt. Ich möchte kurz auf uns eingehen. Liebe Kollegen, ich verstand die Unruhe nicht, als Herr Ruppert mit Samthandschuhen darauf aufmerksam machte, dass es in dieser Legislatur einige Ereignisse gab, bei denen sich durchaus Fragen stellten. Diese Fragen, liebe Frau Pau, stelle ich nicht Ihnen. Wir arbeiten lange genug zusammen. Ich weiß, dass Sie eine klare Auffassung haben. Ihre Fraktion aber hat sich in dieser Legislatur, auch hier im Plenum, hin und wieder auf eine Art und Weise eingelassen, die diese Klarheit, von der ich am Anfang sprach, nicht immer belegte. ({1}) Ich will hierzu die deutliche Frage stellen: Warum haben Sie, warum hat sich Ihre Fraktion oder Ihre Fraktionsführung nicht sehr entschieden dagegen verwahrt, dass am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, am 27. Januar 2010, als Schimon Peres hier im Deutschen Bundestag sprach, einige hochrangige Linke - darunter Sahra Wagenknecht - sitzen blieben? Warum haben Sie sie nicht öffentlich in die Schranken gewiesen? ({2}) Kollege Uhl zeigte 2010 hier im Deutschen Bundestag ein Flugblatt Ihres Duisburger Kreisverbandes, auf dem ein Davidstern verschlungen mit einem Hakenkreuz dargestellt war. Warum haben Sie das nicht mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen? Warum haben Sie, als im Jahr 2010 Abgeordnete der Linksfraktion, türkische Aktivisten und radikal-islamische Gruppierungen mit einer Flottille nach Gaza fuhren, in der damals diesbezüglich stattfindenden Aktuellen Stunde nicht ganz deutlich und klar Position bezogen? Wenn es die von mir angesprochene politische DNA in unserem Lande bzw. in unserem Hause gibt, dann gehört dazu auch, dass man in dieser Frage Klarheit herstellt. Im Juni 2011 wurde in Ihrer Fraktion ein Beschluss gegen Antisemitismus - einstimmig, wie es hieß - herbeigeführt. Hinterher kam heraus, dass 76 linke Parlamentarier dafür waren. Der Rest nahm nicht teil oder verließ die Sitzung. ({3}) Patrick Kurth ({4}) - Ich habe mich verlesen. Sie kennen die Zahlen und den Vorgang. Das ist auch kein vertrauenerweckendes Beispiel. Liebe Kollegen, man darf gespannt sein, wie Sie auf den heute vorliegenden Antrag reagieren. Sie haben ja angedeutet, wie Sie sich verhalten werden. Ich kann Sie jetzt nur noch einmal einladen: Stellen Sie es klar, machen Sie es deutlich und stimmen Sie diesem Antrag zu. Das wäre ein klarer Beleg am Ende der Legislatur. Ich möchte ganz am Ende noch auf eines aufmerksam machen: Neben dem Alltagsantisemitismus gibt es noch etwas sehr Schwieriges, den Alltagsrassismus. Gerade wir von der FDP haben in den letzten Wochen - auch in den sozialen Medien - eine ungeheure Flut an Unterstellungen und Knietritten gegen unseren Bundesvorsitzenden erlebt. Man kann nicht glauben, dass das im 21. Jahrhundert in einer aufgeklärten Gesellschaft geschieht. Ich fordere Sie auf - Sie persönlich haben daran keinen Anteil, aber Sie tragen ein Stück weit Verantwortung für Ihre Anhänger -, in Ihren Reihen für Klarheit zu sorgen. Dieses Verhalten muss aufhören. Wir befinden uns hier in einem aufgeklärten Hause. Diese rassistischen Äußerungen, die einem Tritt gegen das Knie gleichen, gehen auf keinen Fall. Ich bitte Sie, hier aktiv zu werden. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Franz Josef Jung für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Antisemitismus wird nach herkömmlicher Definition als nationalistische, sozialdarwinistische oder rassistische Judenfeindlichkeit verstanden. Antisemitismus ist nicht nur ein Thema für die jüdischen Gemeinden. Vielmehr berührt es unser gesamtgesellschaftliches Zusammenleben. Es berührt unsere Grundwerte von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Deshalb ist Antisemitismus, in welcher Form auch immer, von uns mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen. ({0}) Das ist die Aufgabe von Politik, von Bund, Ländern und Gemeinden, aber das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gerade vor dem Hintergrund der millionenfachen Ermordung der Juden ist das für uns eine besondere Verpflichtung. Der Kollege Uhl hat auf die Gedenkstätte Yad Vashem hingewiesen. Wer durch den Raum für die ermordeten Kinder geht, der kann diese Stätte nicht ohne innere Bewegung verlassen. Es ist wichtig, dass wir uns dieses Themas annehmen, zumal der Expertenkreis festgestellt hat - darauf wurde hingewiesen -, dass immerhin ein Anteil von etwa 20 Prozent der Deutschen offen oder latent antisemitisch ist. Man kann das im Hinblick auf die historische Situation nicht nachvollziehen. Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass wir dieser Haltung entschieden entgegentreten. In dem Bericht des Expertenkreises wird festgehalten, dass das rechtsextremistische Lager nach wie vor der bedeutendste Träger des Antisemitismus ist. In dem Bericht wird aber auch darauf hingewiesen, dass der Islamismus als neuer Träger hinzugekommen ist. Es wird weiterhin festgehalten, dass es auch unter den Linken Positionen gibt, die einen antisemitischen Diskurs befördern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Jung, es käme niemand hier in diesem Haus auf den Gedanken, sich aus dem Konsens auszuklinken, dass wir alle den Antisemitismus mit ganzer Kraft bekämpfen wollen. Die Schwierigkeit, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben - ich finde, dies sollten wir hier nicht unter den Tisch fallen lassen -, besteht darin, dass die an sich klare Definition von Antisemitismus im Alltag nicht immer greift. Vor einigen Tagen ist eine sehr saubere linguistische Analyse „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ von der Technischen Universität Berlin vorgestellt worden, wo über 15 000 Blog-Einträge, journalistische Einträge und Kommentare auf die Frage hin analysiert worden sind: Wo gibt es Stereotype, die in den Grenzbereich zum Antisemitismus hineinreichen? Wo handelt es sich ganz offensichtlich um Antisemitismus? Dass wir uns mit dieser Grenzziehung schwertun, das zeigen doch die Debatten um Martin Walser, Günter Grass und auch Jakob Augstein, alles gut Gebildete und Intellektuelle unserer Gesellschaft, sogar Meinungsführer. Ich würde mir wünschen, dass wir uns auch diesen offensichtlich schwierigen Herausforderungen, dieser Facette des Antisemitismus, die davon geprägt ist, dass die Definition von Antisemitismus bzw. eine Grenzziehung so klar nicht vorzunehmen ist und dass Antisemitismus nicht nur den Ungebildeten zugewiesen werden kann oder denen, die noch nicht in Yad Vashem waren, sondern dass er offensichtlich sogar, wie diese Studie belegt, bei Akademikern und Gebildeten ganz besonders ausgeprägt ist, mit aller Hingabe zuwenden. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Besten Dank, Frau Kollegin Beck. - Ich kann das nur unterstreichen und weise noch einmal darauf hin, dass ich meine Rede mit der Definition von Antisemitismus begonnen habe und genau das mit impliziert habe, was jetzt Ihre Überlegungen darstellen. Wenn ich mir den Bericht im Einzelnen anschaue, dann denke ich, das kommt darin auch ziemlich deutlich zum Ausdruck. Es wird auch deutlich gemacht, dass wir aus der historischen Verantwortung die Solidarität mit Israel zu Recht als einen integrierten Bestandteil unserer Staatsräson ansehen und dass jemand - so steht es in dem Bericht -, der an Demonstrationen teilnimmt, bei denen Israel-Fahnen verbrannt oder antisemitische Parolen gerufen werden, kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus ist. ({0}) Es steht auch in dem Bericht - das trifft auf Abgeordnete dieses Hauses zu -, dass die Solidarisierung mit terroristischen und antisemitischen Gruppen wie der Hamas oder der Hisbollah nicht zählt, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus geht. ({1}) Meine Damen und Herren, der Parlamentarische Staatssekretär Bergner hat auf die Leistungen der Bundesregierung hingewiesen, um eine Verbesserung zu erzielen. Ich will noch die Verdoppelung der finanziellen Mittel auf 10 Millionen Euro für den Zentralrat der Juden, die Erhöhung der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung und das Programm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus erwähnen. Ich denke - darüber sind wir uns in dem Antrag einig -, dass wir weiterhin einen Sachverständigenbericht brauchen, der die Programme entsprechend evaluiert, um im Kampf gegen den Antisemitismus noch weiter erfolgreich zu sein. Hinzu kommt die Aufklärung an den Schulen und an außerschulischen Bildungseinrichtungen. Dazu zählt auch, die Lehrpläne zum Thema jüdisches Leben zu erweitern, und dazu zählt auch - es ist auf die aktuelle Debatte hingewiesen worden - die Sensibilisierung von Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten in diesem Bereich. So steht es in unserem Antrag. Jüdisches Leben hat in Deutschland zum Glück wieder einen hervorragenden Aufschwung genommen. Es ist überall festzustellen, dass dies in sehr positiver Art und Weise stattfindet. Man kann eigentlich nur dankbar sein, dass dies nach dem Grauen der Shoah in Deutschland wieder möglich ist. Aber deshalb ist es auch unsere Verpflichtung - ich bin all denjenigen in den Fraktionen, die diesen Antrag mittragen, dankbar -, dass wir gemeinsam zusammenstehen, wenn es darum geht, Antisemitismus entschieden entgegenzutreten und alles dafür zu tun, dass Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in Zukunft als Grundwerte in unserer parlamentarischen Demokratie von entscheidender Bedeutung bleiben. Besten Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Letzte Rednerin zu diesem Debattenpunkt ist Kollegin Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ich habe ja nichts gegen Juden, nur: Wieso sind Juden immer so böse?“ Das ist keine Frage, die in einem NPD-Forum gestellt würde; nein, diese Frage steht seit zwei Jahren auf dem Onlineportal gutefrage. Für eine Löschung sahen die Betreiber keinen Anlass. Na ja, was ist schon so schlimm daran? Das hat doch eine ganz andere Qualität als ein aktueller Kommentar auf YouTube: „Ihr tut unserer Ehre weh, unsere Antwort Zyklon B.“ Zwei Wochen alt ist dieser Kommentar. Die Antwort lautet: Antisemitismus hat viele Facetten. Gerade der relativierende Halbsatz „Ich habe ja nichts gegen Juden, aber …“ sollte die Alarmglocken läuten lassen. Ich denke, dass jeder von uns diesen Satz schon einmal gehört hat. Antisemitismus ist kein Randphänomen. 20 Prozent der Menschen in unserem Land sind offen oder latent antisemitisch. Sie sind der Ansicht: „Die Juden sind doch selber schuld.“ Frau Professor Schwarz-Friesel wies in dem schon von der Kollegin Beck angesprochenen Vortrag am vergangenen Montag unter anderem auf die ebenfalls aktuelle Einlassung eines Berliner Journalisten hin: Warum werden die Juden seit Jahrhunderten immer wieder verfolgt? Das müssen sie sich schon selber fragen. In diesem Vortrag hat sie übrigens mit einem Vorurteil aufgeräumt: Es ist nicht so, dass alle Antisemiten in Zwickau sitzen, Springerstiefel tragen, sich im Internet verstecken und eklig sind. Antisemitismus gibt es nicht nur bei islamischen Migrantenkindern, die vom arabischen Fernsehen getrieben werden. Nein, Antisemiten sind in der Mitte unserer Gesellschaft anzutreffen, übrigens auch in humanistischen Kreisen, in Presseklubs, bei Friedensdemonstrationen. Antisemitismus ist salonfähig geworden, und das macht uns in unserer Fraktion Angst. ({0}) Denn jetzt kommt der Antisemitismus gepflegt und intellektuell daher. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und der legitimen Kritik an Israel werden antisemitische Verunglimpfungen artikuliert, oder es heißt: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. - Der Kollege Beck hat darauf hingewiesen. Aktuelles Beispiel: Jakob Augstein. Er bedient sich regelmäßig antisemitischer Denkmuster. Er schwadroniert von der Allmacht Israels. Streiche „Israel“, setze ein „Juden“. - Die Stereotype ändern sich nicht. Worte sind Waffen. Die Folgen ändern sich übrigens auch nicht. Der Kollege Uhl hat auf den Angriff auf einen Rabbiner in der vergangenen Woche in Offenbach hingewiesen. Das Per31346 fide: Die privaten Sicherheitsleute halfen dem Rabbiner nicht, sondern ergriffen Partei für die Angreifer. „Du Jude“ ist ein Schimpfwort an deutschen Schulen. Oder wagen Sie doch noch einmal den Blick auf YouTube. Ich habe es getan, und es war widerwärtig. Ein Beispiel gefällig? Der Rabbi, dieses alte Schwein, der kommt dann in den Ofen rein … Fiderallala Dieser Kommentar ist eine Woche alt. Es widert mich unglaublich an, und es macht mir Angst. Ich frage mich: Wie sollen Jüdinnen und Juden in einem solchen Umfeld hier bei uns leben? Wollen wir uns damit abfinden, dass alle jüdischen Einrichtungen in Deutschland unter Polizeischutz stehen? Wo bleibt der Aufschrei der Öffentlichkeit und der Medien? Ich frage mich auch immer wieder: Weshalb? Offensichtlich gibt es ein kollektives Gedächtnis. Antisemitismus gibt es seit Anbeginn der Zeit. Seine Denkmuster haben sich offensichtlich tief eingebrannt und wirken bis heute. Was können wir tun? Wir haben in dieser Legislaturperiode erstmals verlässliche Daten und Fakten über Antisemitismus in Deutschland erhalten, dank des Antisemitismusberichtes, den das Bundesinnenministerium auf unsere gemeinsame Initiative hin in Auftrag gegeben hat. Denn nur ein Problem, dessen Ausmaß und Ursache wir kennen, können wir angehen. Und weiter? Vieles ist genannt worden, und vieles ist noch zu tun. Dies wurde auch bei der Erarbeitung dieses Antrages deutlich, bei der wir übrigens stark flankiert wurden vom Zentralrat der Juden. Stephan Kramer, insoweit vielen Dank. Mein Dank gilt auch dem AJC, insbesondere an Deidre Berger. ({1}) Es wird unabhängige Sachverständige geben, damit antisemitische Tendenzen frühzeitig erkannt und damit rechtzeitig begegnet werden kann. Es braucht Aufklärung, übrigens auch bei Behörden der Länder und des Bundes. Und es braucht Bildung, Bildung, Bildung. ({2}) Das betrifft nicht allein den Geschichtsunterricht. Es muss über die Toten geredet werden, aber gerade auch über die Lebenden. Schülerinnen und Schüler müssen ein Gefühl dafür bekommen, wie bunt und vielfältig jüdisches Leben in Deutschland heute wieder ist - ein Umstand, über den ich zutiefst froh bin -, aber auch dafür, wie bedrückend es sein kann, ein Jude in Deutschland zu sein. Wir brauchen die pädagogische Auseinandersetzung, übrigens bereits bei der Erziehung und Ausbildung von Erziehern und Lehrern selbst, damit sie ihre Stereotype nicht entsprechend übertragen. Eines ist klar: Es gibt weder die Juden noch den prototypischen Ausländer, sondern es gibt nur Menschen, die entweder schlau oder dumm sind, gut oder böse, geschickt oder ungeschickt, und das sollten wir wissen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Connemann, Sie müssen zum Schluss kommen.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In dieser Woche ist das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus fünf Jahre alt geworden. Der Mitinitiator Levi Salomon hatte einen einzigen Wunsch: dass unsere Arbeit irgendwann nicht mehr notwendig sein wird. Ich hoffe, dass dieser Antrag einen Beitrag dazu leistet. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 17/13885 mit dem Titel „Antisemitismus entschlossen bekämpfen, jüdisches Leben in Deutschland weiterhin nachhaltig fördern“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 10 Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen - Drucksachen 17/11102, 17/13655 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière - Drucksache 17/13899 Zu der Beratung der Antwort auf die Große Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister de Maizière, Sie haben gesagt, Sie verbäten sich, dass man Ihnen vorwirft, dass Sie die Unwahrheit sagen. ({0}) Ich trage Ihnen jetzt noch einmal Ihre unterschiedlichen Versionen der Wahrheit vor: Sie haben in Ihrer persönlichen Erklärung am 5. Juni behauptet, vor dem 13. Mai niemals etwas Schriftliches zu der Euro-Hawk-Problematik vorgelegt bekommen zu haben. ({1}) Ich zitiere: Es gab zuvor keine Vorlage an den Minister mit einer Beschreibung der Zulassungsprobleme oder überhaupt zum Gesamtproblem. Keine Vorlage! In der Ausschusssitzung vom 5. Juni haben Sie diesen Eindruck der völligen Ahnungslosigkeit noch verstärkt, als Sie drei Varianten einer korrekten Ministerinformation unterschieden: erstens eine an den Minister ausgezeichnete Vorlage, zweitens den Vortrag eines Staatssekretärs und drittens die Erörterung in der Leitungsrunde. Zum Thema „Euro Hawk“, so sagen Sie dann ausdrücklich, seien - abgesehen von der allgemeinen Rüstungsklausur am 1. März 2012 und einer G-10-Vorlage - alle drei Varianten nicht zum Tragen gekommen. Warum behaupten Sie das so? Glaubten Sie, als Sie es sagten, dass das die Wahrheit ist: „keine Information“? Am nächsten Tag erfahren wir dann von Ihrem Gespräch beim Donaukurier am 7. Mai, also vor dem 13. Mai. Am 7. Mai wussten Sie schon, so werden Sie zitiert, dass der Euro Hawk nicht für die Bundeswehr fliegen wird. Zitat: „Im Moment sieht es nicht so aus.“ Wenn Sie nichts Genaueres wussten, woher wussten Sie dann das Ergebnis schon, sodass Sie sich gegenüber der Presse äußern konnten? Machen Sie das immer ohne Informationen? ({2}) In derselben Nacht schiebt Ihr Ministerium eine Erklärung nach. Da heißt es, Ihre Aussage beruhe auf Hintergrundinformationen, die Sie in der allgemeinen Besprechung am 1. März 2012 sowie auch später erhalten hatten. „Sowie auch später“! Erwähnt wird in der Presseerklärung ein Schreiben von Staatssekretär Kossendey an mich vom 20. März 2013. Erwähnt wird nicht, ob Sie es gelesen hatten. Sie hatten sich ja festgelegt: „keine Vorlage“. Aber Briefe, die dem Minister vorgelegt werden, sind Vorlagen, oder? ({3}) Am Wochenende lesen wir von „Flurgesprächen“ im Ministerium, die es dann doch gegeben haben könnte. Aber Hörensagen bedeutet Ihnen nichts. Sie sagen: „Der geordnete Geschäftsbetrieb eines jeden Ministeriums findet bestimmt nicht auf dem Flur statt.“ - Das ist wahr. Aber was wollen Sie damit sagen? Dass es keine Vorlage gab, oder? Keine Vorlage! Am Montag geben Sie schließlich zu: Doch, für den Besuch beim Euro-Hawk-Partner EADS in Manching am 10. Dezember 2012 gab es natürlich eine Vorlage für den Minister, schriftlich, auf dem Dienstweg. Und natürlich hatten Sie den Brief von Staatssekretär Kossendey gelesen. Zur Frage nach dem Donaukurier verwiesen Sie in der Bundespressekonferenz am Montag ausdrücklich auf diesen Brief, der Ihnen vorgelegt worden ist: schriftlich, auf dem Dienstweg, nicht auf dem Flur. Und wie ich das Ministerium kenne, werden Ihnen sogar auch täglich sogenannte Pressespiegel vorgelegt. Am 21. März hieß es bei tagesschau.de: „Keine neuen Drohnen für die Bundeswehr“. Die Frankfurter Rundschau schrieb am 23. März: „Euro Hawk vor dem Absturz“. Und der Kommentar in der Berliner Zeitung lautete: „Dilettantismus mit Drohne“.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stinner?

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte fortfahren. ({0}) Natürlich haben Sie das mitbekommen. Deswegen wussten Sie ja auch schon bei Ihrem Besuch beim Donaukurier, was Sache ist. Natürlich gibt es auch weitere Vorlagen - schriftlich, dienstlich - aus dem Jahr 2012. Ich frage mich, und ich glaube, die ganze deutsche Öffentlichkeit tut das: Warum um Himmels willen wollen Sie von dem sich anbahnenden Drohnendesaster nichts gewusst haben? Was wäre denn so schlimm, wenn Sie auch ein Stück Verantwortung gehabt hätten? Warum müssen Sie alle Verantwortung auf Ihre Mitarbeiter schieben? ({1}) Was ist gut daran, sich als ahnungsloser Minister zu inszenieren? Das ist keine gute Rolle, die Sie spielen, Herr Minister. ({2}) Ihre Glaubwürdigkeit ist völlig ruiniert. Was ist Ihr Wort wert? Sie können Ihr Amt nicht mehr frei wahrnehmen. ({3}) Sie müssen sich vor Indiskretionen von Mitarbeitern aus Ihrem Ministerium fürchten, ({4}) denen Sie ganz pauschal mit personellen Konsequenzen gedroht haben. ({5}) Ich hoffe, Sie wissen, was Sie Ihrem Amt, Ihrem Ruf und den Streitkräften unseres Landes schuldig sind. Sie wissen es. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bundesminister Thomas de Maizière. ({0})

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bartels, es ist interessant, dass Sie jetzt hauptsächlich zu dem Zusatzpunkt, dem Antrag der Linken, gesprochen haben. Das finde ich für Sozialdemokraten ungewöhnlich. ({0}) Davon abgesehen, haben Sie als Sozialdemokraten die Entscheidung getroffen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Das ist Ihr gutes Recht. Ich sehe dem gelassen entgegen. ({1}) Das führt natürlich dazu, dass ich die Antworten auf alle Fragen, die Sie hier stellen, in meiner Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss sorgfältig und gründlich vortragen werde. In der Zwischenzeit werde ich natürlich meine Amtspflichten erfüllen und Ihnen nicht auf den Leim gehen. ({2}) Deswegen erlauben Sie mir, dass ich auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zum Thema Drohnen eingehe. Das haben Sie auf die Tagesordnung gesetzt. Deswegen will ich es Ihnen gerne erläutern. In ihrer Antwort hat die Bundesregierung festgehalten, dass wir eine breite gesellschaftliche Debatte über den Einsatz von Drohnen für notwendig halten. Wir führen sie auch. Wie Sie wissen, habe ich sie selbst vor einem Jahr eröffnet. ({3}) In der Antwort auf die Große Anfrage stellt die Bundesregierung fest: Eine abschließende Entscheidung zur Beschaffung bewaffneter UAS ist von der Bundesregierung noch nicht getroffen worden. Eine Debatte darüber gehört natürlich ins Parlament. Ich habe im Januar in einer Aktuellen Stunde sieben Gründe formuliert, die aus meiner Sicht für die Beschaffung von Drohnen, auch bewaffnungsfähigen Drohnen, sprechen. Ich will sie heute nicht alle wiederholen. Derzeit prägt natürlich - das haben Sie durch eine Personalisierung gemacht; das ist okay - die Diskussion über die Entscheidung zur Nichtanschaffung der EuroHawk-Serie den Hintergrund für unsere Beratungen. Für alle, die nicht im Verteidigungsausschuss sind und mit den Dingen nicht so vertraut sind, will ich gerne noch einmal festhalten: Der Typ Euro Hawk fliegt sehr hoch. Er ist unbewaffnet und dient der Aufklärung. Das, was Gegenstand der Großen Anfrage ist, sind Drohnen, die in mittlerer Höhe fliegen, die ebenfalls aufklären und bewaffnungsfähig sein können. Dann gibt es Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen. Diese hat die Bundeswehr seit Jahrzehnten, völlig unstreitig. Im Übrigen haben auch unsere Verbündeten Drohnen: auch alle drei Typen. Frankreich zum Beispiel hat gerade eine Serie von Drohnen vom Typ Predator in den USA bestellt. Sie sehen: An diesem Thema kommt niemand vorbei. Wir brauchen diese Debatte. Am Anfang jeder militärischen Beschaffung steht ein ermittelter und belegter Bedarf. Das ist ein wesentliches Prinzip auch unseres neuen Beschaffungsprozesses. Wir kaufen, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten wird. Der militärische Bedarf ist auch im Falle bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge mittlerer Höhe vom Generalinspekteur klar formuliert. Wir brauchen die damit verbundenen Fähigkeiten zum Schutz unserer Soldaten und zum Schutz unserer Verbündeten. Es geht zunächst um fünf bewaffnungsfähige unbemannte Systeme ab etwa 2016. Sie sollen eine Überbrückungslösung sein bis zur Beschaffung eines neuen, möglichst europäischen Systems ab Mitte des nächsten Jahrzehnts. So habe ich Sie, Herrn Arnold, und andere immer verstanden: Über das Erfordernis der Entwicklung einer europäischen Drohne bestand mit den Sozialdemokraten bisher immer Einigkeit. ({4}) Ich hoffe, das gilt auch weiterhin. Derzeit werden verschiedene auf dem Markt verfügbare und einsatzerprobte Systeme untersucht. Eine abschließende Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. Aber wer eine Debatte will, der braucht eine Diskussionsgrundlage. Eine Auswahlentscheidung kann Ende des Jahres gefällt werden, sodass sie dem neu gewählten Bundestag zur Bewilligung vorgelegt werden kann. Die Erfahrungen im Hinblick auf die Probleme bei der Zulassung des Euro Hawk fließen natürlich in die Prüfung der Optionen ein. Es gibt dabei einen wesentliBundesminister Dr. Thomas de Maizière chen Unterschied zwischen dem Entwicklungsvorhaben Euro Hawk und den aktuell für die Beschaffung zu prüfenden Optionen. Die jetzt zu prüfenden Systeme, etwa aus Amerika oder aus Israel, werden heute bereits von mehreren alliierten Partnern im Einsatz geflogen, nicht zuletzt auch zum Schutz deutscher Soldaten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich etwas zu dem Hauptpunkt unserer Debatte rund um das Thema Drohnen sagen: zur Bewaffnung. Auf die damit verbundenen ethischen, rechtlichen, politischen Fragen müssen wir als Gesellschaft, als Regierung, als Parlament eine Antwort finden wie auf jede einzelne Anfrage zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte auch. ({5}) Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein Luftfahrzeug bewaffnet ist oder nicht. Ob es hingegen bemannt oder unbemannt ist, kann militärisch einen großen Unterschied machen. Das ist zur Beurteilung der Rechtsfragen jedoch nicht entscheidend. Denn das Luftfahrzeug selbst steht nicht im Mittelpunkt der rechtlichen, der politischen oder der ethischen Prüfung, sondern im Mittelpunkt steht stets derjenige, der es steuert, stehen diejenigen, die ihm dazu den Befehl geben, und die Grenzen, in denen dies geschieht. ({6}) Wir müssen darüber diskutieren, in welchen Fällen, unter welchen Bedingungen, mit welchem Auftrag und mit welchen Einschränkungen wir den Einsatz militärischer Gewalt für richtig halten oder ablehnen. ({7}) Das gilt dann auch für Einsätze von bewaffneten Drohnen. ({8}) Unser Kollege Steinbrück hat nun kürzlich festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland keine bewaffneten Drohnen braucht. ({9}) Herr Kollege Oppermann, ich habe das einmal in Ihrem Wahlprogramm nachgelesen. Da finde ich diesen Satz nicht. In Ihrem Wahlprogramm heißt es: ({10}) Eine überstürzte Entscheidung zur Beschaffung von Kampfdrohnen lehnen wir ab. ({11}) Wir fordern, dass vorher alle sicherheitspolitischen, völkerrechtlichen und ethischen Fragen umfassend beantwortet werden. ({12}) Deswegen stehen wir hier und diskutieren darüber. Aber wir nehmen das Ergebnis nicht vorweg, wie Herr Steinbrück es getan hat. ({13}) Meine Damen und Herren, eine namhafte überregionale Zeitung kommentierte die Rede von Herrn Steinbrück übrigens dahin gehend - an anderen Teilen der Rede gibt es nicht viel zu kritisieren -, dass jeder Leutnant, der schon einmal eine Patrouille in unsicheres Gebiet führen musste, erklären könne, warum es doch gut wäre, wenn die Bundeswehr über bewaffnete Drohnen verfügte. ({14}) Dazu genügt ein Blick in unsere Einsatzrealität. Mit unseren unbewaffneten Drohnen vom Typ Heron 1 kann eine Besatzung von Masar-i-Scharif aus einen Patrouillenführer bei Kunduz unterstützen, der in einen Hinterhalt Aufständischer geraten ist. Sie kann ihm über Funk mitteilen, wo sich die Angreifer befinden. Sie kann ihn warnen, wenn sich weitere Aufständische nähern, und ihm mitteilen, von wo sie angreifen. Kurz: Die Besatzung kann aus großer Höhe den Überblick behalten und die eigenen Kräfte am Boden mit Aufklärung in Echtzeit unterstützen. Aktiv ins Geschehen eingreifen kann das Heron-Bedienpersonal hingegen nicht, denn der Heron 1 ist unbewaffnet. Er kann bei andauernden Angriffen nicht das Leben deutscher Soldaten schützen und retten, indem er die Angreifer mit einem Warnschuss abschreckt oder in letzter Konsequenz auch gezielt bekämpft. Es kann nicht sein, dass wir Soldaten in Einsätze schicken ({15}) und dann nicht willens sind, ein System einzuführen, das unsere Soldaten bei der Erfüllung ihres Auftrages unterstützt, schützt und ihr Leben retten kann. ({16}) Derzeit sind unsere Soldaten in einer solchen Situation auf die Luftnahunterstützung durch bemannte Kampfflugzeuge oder bewaffnete unbemannte Luftfahrzeuge unserer Partner angewiesen; Sie alle kennen das: Close Air Support. Allerdings ist dies in der Regel mit einem deutlichen Zeitverzug verbunden, der entscheidend sein kann, und wir sind bisher zumeist auf Verbündete angewiesen. Der Einsatz von Drohnen mittlerer Höhe ist aufgrund ihrer Verweildauer und Präzisionsfähigkeit oftmals die einzig erfolgversprechende Möglichkeit, eigene Kräfte zeitnah und wirksam zu unterstützen. ({17}) Das kann auch bei einem Einsatz nötig sein, der keinen Kampfauftrag mehr enthält, wie in Afghanistan ab 2015. ({18}) Denn der Schutz der eigenen Soldaten bleibt natürlich notwendig. Wie bei allen anderen Mitteln der Anwendung militärischer Gewalt sind bei einem Einsatz von Drohnen die im Einzelfall geltenden verfassungs- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und das humanitäre Völkerrecht zu beachten. Wir haben uns dazu verpflichtet, und das gilt für jeden Einsatz der Bundeswehr, mit welchen Mitteln auch immer. Es würde auch für den Einsatz bewaffneter Drohnen gelten. Wir sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, so selbstbewusst sein, nicht von der Einsatzmethode anderer Staaten auf diejenige der Bundeswehr oder des Einsatzmittels insgesamt zu schließen. ({19}) Nun sagen viele, es gebe bei Drohnen eine emotionale Ferne; sie setzten die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt herab. Das ist ein gewichtiges Argument; ich habe es im Januar schon vorgetragen. Eine größere emotionale Distanz unserer Besatzungen zum Geschehen im Einsatzland lässt sich aber nicht belegen. Jeder von Ihnen, der unsere Truppen in Afghanistan schon besucht hat, weiß: Die Besatzungen unserer unbemannten Luftfahrzeuge dienen vor Ort; sie nehmen in Masar-iScharif an Trauerveranstaltungen für gefallene Kameraden teil, sie stehen Spalier für die Särge auf dem Weg zur Transall. Diese Soldaten sind sich der ethischen, rechtlichen und moralischen Dimension ihres Handelns vollkommen bewusst. ({20}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - In einem sind wir uns sicher einig: Wir wollen keinen Automatenkrieg. Die Waffen dürfen sich nicht von Entscheidungen durch Menschen lösen und verselbstständigen. Mit bewaffnungsfähigen Drohnen sind wir weit davon entfernt. Erhalten wir uns bitte die Kraft zur Differenzierung, insbesondere wenn wir über Wert und Unwert von Waffen reden. Im Mittelpunkt der Debatte sollte stehen, was die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Einsatzes braucht. ({21}) Die Bundeswehr besteht aus Menschen, die verantwortungsvoll und im Rahmen der Gesetze handeln. Ihr Schutz ist uns Verpflichtung. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Drohnen und Kampfdrohnen“ erregt die Öffentlichkeit, und das völlig zu Recht. Auf den Euro Hawk komme ich noch zu sprechen; ich komme zunächst zu den bewaffneten Drohnen. Da gibt sich die Regierung ja doch einsilbig und drückt sich eigentlich um eine klare und eindeutige Positionierung herum. Jetzt haben wir es wieder gehört: Es bestehe bis Ende des Jahres noch gar kein Entscheidungsbedarf. Es wird also auf die Zeit nach dem 22. September verwiesen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Zugleich werden aber die Weichen gestellt: Ich meine die Entwicklungsprojekte und dass man in den USA angefragt hat, ob man dort Kampfdrohnen kaufen kann. Auch das, was der Minister hier gesagt hat, diente eigentlich dazu - zu nichts anderem -, das Feld zumindest propagandistisch vorzubereiten. Herr Minister, in Ihrer Rede Ende Januar haben Sie bereits erklärt, warum man Drohnen jeglicher Art dringend brauche. Es war davon die Rede, dass der unbemannten Luftfahrt die Zukunft gehöre. Das wurde von der Kernenergie auch behauptet, und doch sind wir dabei, auszusteigen. Dieses Argument ist insbesondere nicht koscher, wenn es umstandslos auf die bewaffneten Kampfdrohnen übertragen wird. Ja, sie werden eingesetzt, und viele Staaten sind drauf und dran, sich welche zuzulegen, aber noch kann man dieser Entwicklung Einhalt gebieten. ({0}) Die Friedensforschungseinrichtungen haben in ihrem diesjährigen Friedensgutachten ihre Forderung wiederholt, Kampfdrohnen international zu ächten. ({1}) Der Entwicklung dieser Waffensysteme müsse dringend ein Riegel vorgeschoben werden - ich zitiere -, „bevor sie eine fatale Eigendynamik entfaltet“. Genau darum geht es. Jetzt ist die letzte Gelegenheit, diese Entwicklung zu stoppen. Wir müssen sie nutzen. Das fordern wir in unserem Antrag. ({2}) Unsere Positionen: Erstens. Für die Verteidigung unseres Landes werden keine mit Raketen bestückten Drohnen benötigt. Sie sind vor allem für militärische Operationen außerhalb des NATO-Territoriums geeignet. Diesen Interventionismus wollen wir nicht. ({3}) Wir wollen auch nicht, dass der Drohnenkrieg von deutschem Boden aus geführt wird, weder von der Airbase Ramstein noch vom Africa Command der USA in Stuttgart. ({4}) Paul Schäfer ({5}) Zweitens. Die bisherige Einsatzpraxis ergibt ein eindeutiges Bild. In Afghanistan, Pakistan, aber auch Somalia, Jemen oder Palästina geht es vor allem darum, Einzelpersonen oder kleine Gruppen von Menschen schnell und ohne Zeugen zu töten. Obwohl sich die USA nicht in einem bewaffneten Konflikt mit Pakistan befinden, wurden nach Schätzungen des Bureau of Investigative Journalism seit 2004 dort mehr als 2 500 Personen getötet, davon mindestens 400 unschuldige Zivilisten. ({6}) Das ist eine sehr konservative Schätzung. In Wirklichkeit sind es sehr viel mehr, vor allem Frauen und Kinder. ({7}) Drohnen mögen aus Ihrer Sicht militärisch praktisch sein, in ihrer Konsequenz können sie barbarisch wirken, weil sie zu gezielten Tötungen von Menschen ohne vorherige Gerichtsverhandlung verleiten, aus sicherer Distanz, wenn es darauf ankommt auch grenzüberschreitend, ohne dass es jemand merkt, unter Bruch des Völkerrechts. ({8}) Nun sagt der Minister - ich habe genau zugehört -, die Bundeswehr werde die Drohnen gewiss nicht in diesem Sinne einsetzen, es entspräche nicht unserer Militärkultur. ({9}) Das mag heute zutreffen, aber was wird morgen sein? Kampfdrohnen werden doch für gezielte Tötungen eingesetzt, weil sie dafür besonders geeignet sind. ({10}) Wird man dieser Versuchung wirklich widerstehen, wenn man diese Mordwaffe erst einmal hat? Ich glaube: Nein! ({11}) Drittens. Kampfdrohnen verbreiten in den genannten Ländern Angst und Schrecken, sie verstärken Ohnmachtsgefühle, und - weil sie allzu oft die Falschen treffen - sie nähren Hass und Gewaltbereitschaft. Hören Sie doch einmal genau zu: Sie sind dabei, die Drohnen zu einem Sinnbild für die Hightechkriege der führenden Industriemächte zu machen, gegen die sich die Underdogs dieser Welt mit archaischen Gewaltformen zur Wehr setzen. Asymmetrischen Krieg nennen wir das, in der Konsequenz: robotisierte Kriegsführung versus Selbstmordattentate. Wohin soll das führen? Es ist doch ein elementares Gebot politischer Klugheit, die Dinge vom Ende her zu betrachten. Das sollten Sie an dieser Stelle tun. ({12}) Viertens. Die Bewaffnung mit Kampfdrohnen senkt die Hemmschwelle, Gewaltmittel einzusetzen. Dabei geht es nicht um diejenigen, die diese Waffen unmittelbar führen. Das ist doch Nebelkerzenwerferei. Ein Kampfpilot unterscheidet sich in der Tat nicht von einem Soldaten, der die Drohne steuert. Das habe ich nie behauptet, und das würde ich auch nie behaupten. Aber darum geht es auch gar nicht. Die Drohnen verändern - so hat es ein renommierter US-Informatiker gesagt - unsere Sicht auf den Krieg. Genauer gesagt: Es geht um die politischen Entscheidungsträger und die Versuchungen, die diese neue Technologie für die Politik bedeuten. Darüber sagen Sie nichts, davon lenken Sie nur ab. Das ist der Punkt. ({13}) Die Vollautomatisierung des Krieges ist nur der theoretische Endpunkt einer solchen beunruhigenden Entwicklung. Fünftens. Mit der Einführung der Kampfdrohnen wird ein neuer Rüstungswettlauf eingeleitet. Auch hier müssen wir uns fragen: Wohin soll das führen? Unsere Antwort ist klar: Rüstungskontrolle und Abrüstung, nicht qualitative Aufrüstung - das ist angesagt. ({14}) In den letzten Wochen hat uns die Entwicklung des Euro Hawk beschäftigt. Ja, es geht nicht nur um Kampfdrohnen, auch die Aufklärungsdrohnen müssen kritisch unter die Lupe genommen werden. Das unschönere Wort dafür heißt Spionage. Sie sind also auch dafür vorgesehen, bei Militärinterventionen für eine Informationsüberlegenheit zu sorgen. So harmlos sind sie also nicht. Man muss sich mit dem Thema zumindest kritisch auseinandersetzen. Daher ist es schlimm, dass alle Parteien dieses Drohnenprojekt auf den Weg gebracht haben und dem Prestigeprojekt Euro Hawk nicht widerstehen wollten - nur die Linke hat widerstanden, und sie wird es weiter tun. ({15}) Besonders schlimm wird es, wenn bei solchen Großprojekten die politische Kontrolle versagt. Genau darum geht es. Der Minister der Verteidigung hat am Anfang seiner Amtszeit den Eindruck erweckt, er wisse um die strukturellen Probleme. Er hat verkündet: Alle großen Rüstungsvorhaben müssen auf den Prüfstand. Für den Euro Hawk jedenfalls galt das nicht. ({16}) Paul Schäfer ({17}) Er hat damals harte Gespräche mit der Industrie angekündigt, sich dann aber doch von den Rüstungsfirmen einlullen lassen. Anders ist das Debakel doch gar nicht zu erklären. Die Ausrede, bis auf Verfahrensfehler sei alles richtig gelaufen, lassen wir nicht gelten. Das alles muss in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden. Es geht um persönliche und politische Verantwortlichkeiten, aber auch um die strukturellen Bedingungen für das Euro-Hawk-Debakel. Ich meine das dichte Beziehungsgeflecht zwischen Rüstungsindustrie, Streitkräfteführung und Ministerium. Die Verschleuderung von Steuergeldern ist das eine. Wenn dann aber auch noch Parlament und Öffentlichkeit desinformiert und hintergangen werden - das kann man Schwarz auf Weiß belegen -, dann muss gesagt werden: Das ist schlicht nicht hinnehmbar. ({18}) Aus genau diesem Grund beantragt meine Fraktion, Die Linke, dass der Bundestag dieses Vorgehen missbilligt und die Kanzlerin auffordert, die nötige personelle Konsequenz zu ziehen - nicht mehr und nicht weniger. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rainer Erdel für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Erdel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004031, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin entsetzt. ({0}) Kollege Schäfer, Sie haben eben ein Bild vom Deutschen Bundestag gezeichnet, als seien die Abgeordneten dieses Hauses eine mehr oder minder fahrlässig vorgehende Räuberbande, die letztendlich nur Rüstungsgüter beschafft, um sie genauso fahrlässig vorgehenden Soldaten zur Verfügung zu stellen, die dann damit machen können, was sie wollen. ({1}) Herr Schäfer, hier muss ich Ihnen ganz entschieden widersprechen. ({2}) Wir reden über den Einsatz, über den Erwerb von Kampfdrohnen. Unter diesem Tagesordnungspunkt beschäftigen wir uns auch mit Ihrem Antrag auf Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière und Entlassung des Ministers nach Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass das Ministerium, dass der Bundesminister eine gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Drohnen bisher verhindert hat. Gerade das ist nicht der Fall. In seinem Redebeitrag vor wenigen Minuten hat der Minister noch einmal sehr deutlich auf die Notwendigkeit, aber auch auf die Grenzen solcher Projekte hingewiesen. ({3}) Sie, Herr Kollege Schäfer, haben die Diskussion, die darüber stattfindet, als Propaganda bezeichnet, dazu muss ich sagen: Ich weiß nicht, auf welcher Plattform eine Diskussion stattfinden soll, wenn sie von Ihrer Seite gleich als Propaganda bezeichnet wird. Ich denke, die gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Drohnen, auch von Kampfdrohnen, ist notwendig. Dabei ist es wichtig, die Unterscheidung zu kennen. Wenn wir über Flugzeuge reden, unterscheiden wir sehr wohl zwischen Segelflugzeugen, Passagierflugzeugen und Kampfflugzeugen. ({4}) Ich glaube, in Ihren Diskussionsbeiträgen zum Thema Drohnen vermischt sich so einiges. Ich musste leider feststellen, dass auch der Kollege Bartels in seinem Beitrag einiges vermischt hat. ({5}) Er hat zwar über Aufklärungsdrohnen geredet, aber er hat möglicherweise Kampfdrohnen gemeint. So ist manches unscharf geblieben. Tatsache ist: Wir müssen bei der Beschaffung und vor der Beschaffung, wir müssen im gesamten Prozess über die sicherheitspolitische Begründung nachdenken. Wir müssen darüber reden: Ist es notwendig, dass dies Teil unseres Fähigkeitsspektrums ist? Sind Drohnen ein notwendiger Teil des Fähigkeitsspektrums der NATO, in die wir eingebunden sind? Ist es notwendig, dass wir uns zur Landesverteidigung eine bestimmte Bewaffnung zulegen? Es ist schon interessant, dass der Kanzlerkandidat der SPD darauf hingewiesen hat, dass Deutschland keine Drohnen braucht, ({6}) er vor wenigen Jahren als Finanzminister aber mehrere Hundert Millionen Euro für dieses Drohnenprojekt zur Verfügung gestellt hat. Herr Bartels, Sie haben auch in diesem Kontext gesprochen. ({7}) Genauso interessant ist es, wenn ein SPD-Politiker, der in Bayern Ministerpräsident werden will, darauf hinweist, dass bei den Vorgängen um den Euro Hawk nicht der geringste militärische Nutzen entwickelt worden sei und dass drei CDU/CSU-Minister verantwortlich gewesen seien. Ja, drei Minister der CDU/CSU waren verantwortlich, es waren aber auch zwei Minister der SPD verantwortlich. Ein solches Rüstungsprojekt, das über mehr als zehn Jahre entwickelt wird, verdient es auch, dass man es von Zeit zu Zeit wieder bewertet und entscheidet, ob man ein solches Projekt fortsetzt, oder ob man an den Punkt kommt, ein solches Projekt zu beenden. Genau diese Entscheidung hat der Minister getroffen. ({8}) Ich weiß jetzt nicht, was daran bei Ihnen als so falsch empfunden wird, denn der Minister hat im Jahr 2011 darauf hingewiesen: ({9}) Alle Rüstungsprojekte kommen auf den Prüfstand. ({10}) Wir kommen zum Einsatz. Der Einsatz von Drohnen ist klar umrissen. Der Einsatz von Drohnen ist sowohl in Deutschland, was die Möglichkeiten der Ausbildung betrifft, als auch in den Einsatzgebieten in den sogenannten Rules of Engagement umrissen. Der Einsatz von Drohnen - so wäre es auch bei Kampfdrohnen, wenn wir denn welche hätten - ist keinerlei Willkür unterworfen, sondern unterliegt klaren Regeln und hängt von den jeweiligen Einsatzszenarien ab. Wenn Sie die Wirkung und Bedeutung von Drohnen so grundsätzlich infrage stellen, dann rate ich Ihnen: Besuchen Sie doch einmal die Soldaten und reden Sie mit ihnen. ({11}) Reden Sie mit den Soldaten in den Aufklärungsbataillonen darüber, welche hervorragenden Ergebnisse Drohnen liefern können. Reden Sie mit den Soldaten in den Einsatzgebieten, die dort das System Heron nutzen. Die werden Ihnen sagen, wie außerordentlich wichtig die Erkundungs- und die Aufklärungsergebnisse sind. ({12}) Dann bitte ich Sie, die Situation neu zu bewerten. Die jüngsten Ergebnisse zeigen uns, dass man vielleicht auch über die zivile Nutzung der Drohnen nachdenken kann. Wir setzen zurzeit Hubschrauber und Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr ein, um die Situation an unseren Deichen festzustellen. ({13}) Ich glaube, das wäre kostengünstiger und vielleicht auch rund um die Uhr möglich, wenn wir Drohnen hätten. ({14}) Ich komme zu Ihrem zweiten Antrag: Missbilligung der Arbeit des Ministers. Sie haben diesen Antrag in drei Zeilen begründet. Ich bin der Meinung, wir haben einen Verteidigungsminister, der das Ministerium in einer äußerst schwierigen Phase führt. Wir haben insgesamt 13 Auslandseinsätze auf drei Kontinenten. Wir führen eine Strukturreform durch. Es gibt Beschaffungsvorhaben, die sehr langfristig laufen, teilweise bereits über zwanzig Jahre, und die jetzt auf dem Prüfstand stehen. Es hat in der Geschichte übrigens immer Beschaffungsvorhaben gegeben, die gestoppt wurden. Sie können die Ergebnisse in verschiedenen Museen besichtigen. Da gab es senkrecht startende Transportflugzeuge, die zehn Jahre lang entwickelt wurden. ({15}) Da gab es senkrecht startende Düsenflugzeuge. Es ist notwendig, diese Beschaffungsvorhaben immer wieder neu zu bewerten. Sie bemängeln die Information durch den Minister. Ich habe einen anderen Eindruck: Der Minister informiert, das Ministerium informiert über die Lage in den Einsatzgebieten. Der Minister hat in der letzten Sitzung durchaus zugestanden, dass wir vielleicht künftig auch eine Information über die Lage bei den Rüstungsprojekten einführen müssen. Warum nicht? Ich denke, das ist ein Prozess, der der Strukturreform zu verdanken ist, die von dieser schwarz-gelben Koalition angeschoben wurde. Ich glaube, der Minister und die Staatssekretäre, der Generalinspekteur und die Inspekteure nehmen ihre Aufgabe, Verantwortung gegenüber dem Parlament und gegenüber den Abgeordneten des Bundestages zu zeigen, sehr ernst. Sie schreiben in Ihrem Antrag, der Minister und das Ministerium würden das Parlament mit Desinformation versorgen - Desinformation ist bewusste Fehlinformation -, ({16}) das muss ich zurückweisen. Wenn Sie mit Ihrem Antrag jetzt bereits den Vollzug eines Urteils fordern, das Verfahren aber von Ihnen erst im Untersuchungsausschuss nachgeschoben werden soll, ({17}) dann ist dieses zu missbilligen: nicht zuerst das Urteil und die Vollstreckung und das Gerichtsverfahren hinterher. Deswegen missbilligen wir Ihren Antrag, und wir werden Ihre beiden Anträge ablehnen. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beziehe mich auf diejenigen, die die Frage der Kampfdrohnen angesprochen haben. Ich muss schon sagen: Angesichts des Versagens des Verteidigungsministers bei der Beschaffung von Euro Hawk erstaunt es sehr, dass der Mut besteht - abgesehen davon, dass der 22. September davor ist -, dass man über die Frage bewaffneter Kampfdrohnen diskutieren und entscheiden will. Ich möchte daher auf etwas hinweisen, das man bei einer Debatte, die die ethischen Aspekte berücksichtigt, erwarten würde. ({0}) - Durch Schreien wird es nicht besser. ({1}) Die Friedensforschungsinstitute haben in ihrem Gutachten vor einer Woche Folgendes konstatiert: Erstens. Es droht ein Rüstungswettlauf bei den bewaffneten Systemen. Nicht nur die USA verfügen über solche Systeme, sondern zum Beispiel auch China. Zweitens. In der Tendenz besteht die Gefahr - die Friedensforschungsinstitute formulieren das so - einer im Verborgenen stattfindenden Kriegsführung, die die generelle Ächtung des Krieges im Völkerrecht unterläuft. Krieg würde unterhalb der Wahrnehmungsschwelle geführt, und damit würde Krieg banalisiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gefahr einer solchen Entwicklung muss man in einer solchen Debatte ansprechen. Das tue ich. ({2}) - Herr Lindner, Sie kennen wir schon. ({3}) - Ja, das muss man. Sie werden in jedem Wahlkreis gefragt werden, wie Sie dazu stehen, dass Sie bewaffnete Kampfdrohnen beschaffen und einführen wollen. ({4}) Dann müssen Sie wissen, was Sie antworten. Die Friedensforschungsinstitute sagen auch: Angesichts der Tatsache, dass die Gefahr einer Automatisierung und Verselbstständigung derartiger Systeme besteht, ist nicht die Beschaffung von Kampfdrohnen notwendig, sondern die Ächtung solcher Systeme. Dazu fordere ich uns alle auf. Das werden wir auch erleben. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Erdel, wollen Sie darauf reagieren? Bitte schön.

Rainer Erdel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004031, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, ich zitiere aus einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Kampfdrohnen sind völkerrechtlich nicht verboten. Der Einsatz von Drohnen steht aber unter dem Vorbehalt der strikten Einhaltung des geltenden Völkerrechts sowie des verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes. ({0}) Nichts anderes hat der Minister und nichts anderes habe ich angemerkt. Danke. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Agnes Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fehler sind da, um wiederholt zu werden. ({0}) So könnte man den Grundsatz der Beschaffungspolitik im Bundesverteidigungsministerium zusammenfassen, wenn man sich die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen durchliest. Diese Antwort wurde am 29. Mai per Kabinettsbeschluss einfach abgenickt. Völlig unbeeindruckt vom Euro-Hawk-Desaster kündigt die Bundesregierung darin die Beschaffung von fünf Kampfdrohnen bis 2016 an und hält sich gleich einmal offen, noch elf weitere zu erwerben. Es ist doch kaum zu fassen. ({1}) Wie kann es eigentlich sein, dass diese Bundesregierung trotz der massiven Probleme bei der Zulassung des Euro Hawk gleich die nächste Staffel Drohnen ordern will, ({2}) und zwar nicht Aufklärungsdrohnen, sondern gleich Kampfdrohnen, die zu Recht hoch umstritten sind? SpäAgnes Brugger testens jetzt müssten Sie doch die Risiken, die mit der Beschaffung von Drohnen verbunden sind, erst einmal gründlich prüfen, bevor Sie einen solchen Beschluss fassen. Doch weit gefehlt: Drohnenminister de Maizière und Merkels Kabinettstruppe halten nicht einmal eine Diskussion darüber für nötig. ({3}) So beschließen Sie mitten im Skandal gleich den nächsten Skandal. ({4}) Der Kabinettsbeschluss zur Beschaffung von Kampfdrohnen offenbart, mit welcher Verantwortungslosigkeit Schwarz-Gelb beim Kauf von Waffensystemen entscheidet. Die Probleme bei der Zulassung spielen für Sie trotz des Milliardendesasters beim Euro Hawk keine Rolle. ({5}) Klar ist: Der Erwerb und die Verwendung von Kampfdrohnen drohen die Hemmschwelle zum Einsatz von bewaffneter Gewalt insgesamt zu senken und die Kriegsführung grundlegend zu verändern. Vor allem die USA greifen in ihrem sogenannten Kampf gegen den Terror systematisch auf dieses Waffensystem zurück und verstoßen mit gezielten Tötungen in Pakistan, im Jemen und in Somalia gegen das Völkerrecht. ({6}) Die Bundesregierung darf diese Praxis nicht einfach stillschweigend hinnehmen! Warum drücken Sie sich davor, diesen offensichtlichen Bruch des Völkerrechts ({7}) offen zu kritisieren?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spatz von der FDP-Fraktion?

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne. ({0})

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Brugger, Sie wollen mit Beispielen aus anderen Ländern belegen, dass bei denen, die über solche Waffensysteme verfügen, die Hemmschwelle sinke. Ist Ihnen klar, dass Sie damit uns alle - und unsere Nachfolger - anklagen? Denn wir wären es, die einen entsprechenden Einsatz, bevor er durchgeführt werden könnte, genehmigen müssten. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich klage niemanden an, sondern ich weise auf die Gefahren hin. ({0}) Am Fall der USA, die ja ein wichtiger Verbündeter sind, sieht man, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind: Ein Friedensnobelpreisträger nutzt diese Systeme und höhlt damit das Völkerrecht aus - auch weil diese Bundesregierung zum Beispiel kein einziges Wort darüber verliert. ({1}) Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung das einmal zur Sprache bringt. Ich finde, man muss auch selbstkritisch damit umgehen. Man müsste sich an dieser Stelle auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz noch einmal anschauen. Sie kennen die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Mit einer unmittelbaren Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten zu argumentieren, würde zur Mandatierung eines Einsatzes bewaffneter Drohnen nicht ausreichen. Ich bitte Sie, sich mit diesen Fragen noch einmal gründlich auseinanderzusetzen. ({2}) Sie blenden die mit Kampfdrohnen verbundenen Gefahren für den Frieden und die weltweite Einhaltung der Menschenrechte einfach aus. Wir Grüne haben uns mit einem Antrag klar positioniert: Wir lehnen die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr ab. ({3}) Wir freuen uns darüber, dass inzwischen auch die SPD - per Beschluss des Parteivorstands - diese Position mit uns teilt und sich den verantwortungslosen Beschaffungsplänen von Minister de Maizière entgegenstellt. Dem Rüstungswettlauf muss Einhalt geboten werden, bevor immer mehr Staaten über solche Waffensysteme verfügen und sie weiter exportieren. Wir Grüne wollen internationale Regelungen - auf der Ebene der Vereinten Nationen - und Begrenzungen für bewaffnete unbemannte Systeme. Wir setzen uns auch für eine völkerrechtliche Ächtung von autonomen bewaffneten Drohnen ein; denn es darf nicht zur Entwicklung von Robotern kommen, die selbstständig über Leben oder Tod von Menschen entscheiden. ({4}) Herr Minister de Maizière, Sie haben gesagt, Sie wollen keine autonomen Systeme. Da frage ich Sie: Wo sind denn Ihre Initiativen auf internationaler Ebene zur Ächtung dieser Systeme? ({5}) Der erste Schritt wäre der eigene Verzicht auf Kampfdrohnen; aber wie es scheint, ist dieser Verteidigungsminister von seinen Drohnenprojekten nicht mehr zu trennen. Schwarz-Gelb im Drohnenfieber, ({6}) freuen kann sich hierüber nur die Rüstungsindustrie mit ihren Verbandlungen ins Verteidigungsministerium. ({7}) Meine Damen und Herren, es muss endlich Schluss sein mit der kostspieligen und planlosen Beschaffungspraxis des Verteidigungsministeriums. ({8}) Die Beschaffungspolitik darf sich nicht nach den Interessen der Rüstungsindustrie und der Logik des Wettrüstens richten. Grundlage müssen eine sicherheitspolitische Bedarfsanalyse und eine friedenspolitische Einhegung sein. Herr Minister de Maizière, nach den gravierenden Fehlern, die bei der Entwicklung des Euro Hawk gemacht wurden, dürfen und können Sie sich nicht einfach taub stellen und wegdrehen. Ihre Strategie, Herr Verteidigungsminister - ich weiß von nichts und reagiere nur auf offizielle schriftliche Vorlagen aus meinem Ministerium; diese habe ich erst am 13. Mai 2013 erhalten -, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. ({9}) Mit Bekanntwerden der von Ihnen persönlich quittierten Infomappe zum Euro Hawk, die Sie für Ihren Besuch bei Cassidian - wohlgemerkt am 10. Dezember 2012 samt Schilderung der Zulassungsproblematik erhalten haben, ist klar geworden: Sie wussten sehr wohl Bescheid und haben gelogen. ({10}) So spärlich Ihre Antworten auf die vielen Fragen auch waren: Selbst mit den wenigen Worten haben Sie es geschafft, sich auch noch in große Widersprüche zu verheddern. ({11}) Erst hieß es, Sie seien nicht informiert worden und Ihr Haus sei schuld. Dann fiel Ihnen ein, dass Sie als Minister doch irgendwie für das Verantwortung tragen, was in Ihrem Haus abläuft. Wirkliche Verantwortung wollten Sie trotzdem nicht übernehmen, da man Sie nicht schriftlich über das Problem informiert habe. Auch von diesem Standpunkt mussten Sie sich zurückziehen. ({12}) Jetzt versteifen Sie sich darauf, dass in der schriftlichen Vorlage nicht von unlösbaren Problemen die Rede war. Herr Minister, hören Sie auf mit dieser Haarspalterei, und übernehmen Sie Verantwortung. ({13}) Nein, es ist nicht alles richtig gelaufen und entschieden worden. Nein, es stimmt einfach nicht, dass Sie erst am 13. Mai 2013 eine schriftliche Vorlage zu den Schwierigkeiten bei der Zulassung erhalten haben. Ersparen Sie uns und sich selbst Ihre pseudophilosophischen Einlassungen über das Lösbarkeitspotenzial von Problemen, deren Existenz Sie jetzt fleißig über den Pressestab Ihres Verteidigungsministeriums verbreiten lassen. ({14}) Wir lassen Ihnen Ihre Ausflüchte und plumpen Täuschungsmanöver nicht einfach durchgehen. ({15}) Es ist schon sagenhaft, welche Naivität Sie der Öffentlichkeit und dem Parlament unterstellen, wenn Sie glauben, sich mit diesen Verdrehungen so einfach heraustricksen zu können. Herr Minister, Sie müssen dafür sorgen, dass Sie und die politische Führung Ihres Ministeriums die Informationen erhalten, die für eine frühzeitige und realistische Einschätzung notwendig sind. ({16}) Das Chaos um die Euro-Hawk-Beschaffung offenbart ein eklatantes Führungs- und Organisationsversagen im Verteidigungsministerium, das Sie, Herr Minister, zu verantworten haben. ({17}) Um hier für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen, werden wir gemeinsam mit der SPD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen. ({18}) Ich bin gespannt, in wie viele Sackgassen Ihr Labyrinth aus Widersprüchen noch führen wird. ({19}) Doch schon jetzt ist klar: Das Maß an Widersprüchen und Unwahrheiten ist voll. Deswegen werden wir auch dem Missbilligungsantrag der Linken zustimmen. ({20}) Herr Minister, Sie geben sich als tadelloser Bürokrat, bezeichnen sich selbst gar als Büroklammer. Sie sind aber der einzige Minister dieses schwarz-gelben Chaoskabinetts, an dessen Akte ein Missbilligungsantrag und ein Untersuchungsausschuss haften. ({21}) Es ist Zeit für eine neue und kritische Politik im Umgang mit Drohnen, die sich eben nicht nur von technologischen Verheißungen und Versprechungen der Rüstungsindustrie leiten lässt, sondern sich gerade auch mit den Risiken dieser neuen Militärtechnologie auseinandersetzt. Hier ist Verantwortungsbewusstsein gefordert. Wer dieses Verantwortungsbewusstsein nicht hat, der sollte auch kein Ministerium leiten. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Jürgen Hardt für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Minister in sehr sachlicher Art und Weise ausgeführt hat, warum die Überlegungen zur Anschaffung bewaffneter Drohnen sinnvoll sind, kann ich mich jetzt zunächst einmal darauf konzentrieren, mich mit den beiden schockierendsten Wortmeldungen des heutigen Tages auseinanderzusetzen: der des Kollegen Bartels und der der Kollegin Brugger. ({0}) Lieber Kollege Bartels, am vergangenen Mittwoch hat eine Ausschusssitzung stattgefunden. In dieser Ausschusssitzung hat der Minister mit keinem Wort irgendeine Verantwortung und irgendeine Schuld auf irgendeinen Untergebenen geschoben. ({1}) Während die Sitzung lief, hat die SPD bereits über die Presse verbreitet, er hätte die Schuld auf Staatssekretäre geschoben. Der Minister hat das Ganze zwei Stunden später hier in der Aktuellen Stunde klargestellt. ({2}) Dass Sie diesen perfiden Vorwurf, von dem Sie wissen, dass er einen Ehrenmann in besonderer Weise treffen muss, hier heute wiederholen, ist, gelinde gesagt, eine Sauerei. ({3}) Liebe Kollegin Brugger, wir mussten uns am Wochenende unsägliche Kommentare anhören: Lüge, dreiste Lüge, doppelte Lüge. Am Montag hat der Verteidigungsausschuss vier Stunden getagt. In dieser Sitzung haben wir uns mit dieser Frage befasst. In diesen vier Stunden ist nicht von einem Mitglied der Opposition der Vorwurf der Lüge erhoben oder gar bewiesen worden. Und draußen stellen Sie sich hin und wiederholen das. Das ist Verarschung der Öffentlichkeit. ({4}) Das, was wir in der letzten Woche und in dieser Woche von der rot-grünen Opposition erlebt haben, ist für mich der Wendepunkt in diesem Wahlkampf. Sie haben sich entschieden, mangels Inhalten und Zielen einen Schmutzwahlkampf zu machen. ({5}) Ich kann Ihnen sagen: Wenn Herr Bebel, Herr Schumacher und Herr Brandt erleben müssten, wie die SPD im Jahr 2013 meint die Bundestagswahl gewinnen zu müssen, würden sie sich im Grabe umdrehen. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bartels?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. Ich möchte zum Thema bewaffnete Drohnen sprechen. Ich kritisiere den Verteidigungsminister ungern; aber Herr Steinbrück hat in der Rede von Drohnen gesprochen. „spd.de“ kann ich nur jedem empfehlen. Schauen Sie sich dort das Original der Rede an. In dem verbreiteten Manuskript ist in der Tat von bewaffneten Drohnen die Rede. Ich will einmal nicht unterstellen, dass das jemand hinterher noch in das Manuskript „hineingeflickt“ hat. Ich glaube eher, dass Herr Steinbrück schlicht nicht wusste, wovon er redet. ({0}) Wir haben in der Bundeswehr seit den 70er-Jahren Drohnen. Sie sind im Übrigen von Verteidigungsministern der SPD in Auftrag gegeben worden. ({1}) Zurzeit gibt es über 300 Drohnen bei der Bundeswehr; keine davon ist bewaffnet. Einige Dutzend davon befinden sich im Augenblick in einem sinnvollen und guten Einsatz in Afghanistan und an anderen Einsatzorten der Bundeswehr. ({2}) Das, was Herr Steinbrück zum Thema Drohnen sagte, erinnert mich sehr an das, was Wilhelm II. über die Autos gesagt hat. Er hat gesagt, er glaube an die Pferde; das Automobil sei eine vorübergehende Erscheinung. Wilhelm II. war vermutlich ein besserer Reiter als ein Regierungschef. Ich denke, dass Herr Steinbrück möglicherweise ein besserer Flieger als ein Regierungschef ist. Auf jeden Fall hat er von diesem Thema keine Ahnung. ({3}) Lassen Sie mich noch den Versuch einer sauberen Begründung machen, warum ich der Meinung bin, dass bewaffnete Drohnen, so wie sie die Bundeswehr einsetzen würde, eine sinnvolle und notwendige Unterstützung der Ausrüstung der Bundeswehr sein können. Wenn wir auf die bewaffneten Konflikte der letzten Jahrzehnte schauen, insbesondere auch auf jene, in denen die Bundeswehr im Einsatz war, so müssen wir doch immer wieder feststellen, dass die besonders unschönen Entwicklungen in diesen Konflikten - dass Kollateralschäden verursacht worden sind, dass vielleicht Einsatzführer aus der Not heraus über das Ziel hinausgeschossen sind - immer dadurch zustande kommen, dass die jeweils zur Verfügung gestellte Ausrüstung nicht auf den Einsatz und die Erfüllung des Auftrags passte. Ich sage Ihnen: Wenn wir wollen, dass unsere Soldaten das Völkerrecht achten und dass sie nach dem Grundsatz der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit Waffen in robusten Einsätzen einsetzen, dann müssen wir ihnen ein Spektrum von Waffen zur Verfügung stellen, das wir für richtig halten, damit sie angemessen reagieren können. ({4}) In dem Augenblick, in dem wir über ein breiteres Spektrum an Waffen verfügen - eben nicht nur über Kampfflugzeuge, sondern auch über bewaffnete Drohnen -, haben wir bei klugem Einsatz durch die klugen Offiziere der Bundeswehr die Möglichkeit, Eskalationen von bewaffneten Konflikten eher zu vermeiden, als dass wir sie schüren. Über diese Chance sollten wir hier seriös reden und seriös verhandeln. ({5}) In diesem Sinne denke ich, dass der Weg der Bundesregierung, zunächst eine intensive Diskussion über die ethische Dimension dieser Waffen zu führen und dann aber auch ganz konkret zu prüfen, wie man zu diesen Waffen kommen kann, genau der richtige Weg ist. Ich wünsche mir, dass wir das mit anderen Partnern zusammen machen, dass wir das mit den Franzosen zusammen machen, vielleicht sogar mit den Engländern, damit wir diese Art von Waffen auch für unsere Streitkräfte zur Schaffung von Frieden und zur Erhaltung des Friedens in der Welt zur Verfügung haben. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rainer Arnold für die SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Regierung Merkel ging in den letzten Jahren ja viel hin und her. Es gibt aber auch eine Kontinuität: Jetzt wird bereits beim dritten Verteidigungsminister sichtbar, dass dieses wichtige Amt bei der CDU nicht in guten Händen ist. ({0}) Es gibt drei gute und wichtige Gründe, warum dieser Minister nicht länger im Amt bleiben kann: ({1}) Den ersten hat er heute noch einmal selbst bekräftigt, und zwar durch seinen Umgang mit der schwierigen Dimension und den ethischen Fragen bei Kampfdrohnen. Herr Minister, Sie sagen, die Soldaten kennen die ethischen Dimensionen. Ja, das Problem ist aber, dass Sie sie nicht richtig reflektieren. ({2}) Ein Minister, der die Debatte damit beginnt, dass Waffen per se ethisch neutral sind, hat diese Dimension eben nicht verstanden und nicht reflektiert, ({3}) und ein Minister, den seine eigene Koalition bremsen muss, damit er nicht ganz schnell - hoppla hopp! - vor der Bundestagswahl noch eine Entscheidung trifft und Kampfdrohnen beschafft, hat dies auch nicht verstanden. Jetzt reden Sie von einer breiten gesellschaftlichen Debatte, und gleichzeitig sagen Sie, das Ergebnis kennen Sie schon: Sie brauchen Kampfdrohnen. - Sie kennen das Ergebnis schon vorher. ({4}) Ich sage Ihnen: Wir kennen es nicht, weil viele schwierige Fragen zu beantworten sind: ethische - klar ({5}) und völkerrechtliche. Wir brauchen eine Bundesregierung, die in New York dafür streitet, dass es Nichtverbreitungsabkommen für Kampfdrohnen gibt. Dieses System darf nicht in jedermanns Hände fallen. Begreifen Sie das denn überhaupt nicht? ({6}) Wir brauchen in New York natürlich Impulse Deutschlands dafür, dass vollautomatische Systeme völkerrechtlich geächtet werden. ({7}) Herr Minister, wer die Große Anfrage und die Antwort Ihrer Bundesregierung liest, der erkennt: Das, was Sie in sechs Monaten an Antworten zusammengetragen haben, ist an Oberflächlichkeit ja nun wirklich nicht zu überbieten. Ich mache es einmal sehr einfach: ({8}) Wie würden Sie denn antworten, wenn die Vereinigten Staaten, unser enger Verbündeter, Kampfjets mit Piloten nach Pakistan, in den Jemen und nach Somalia schicken würden, wo Raketen abgeschossen werden würden und Menschen ums Leben kämen? Würden Sie dann in der Antwort auch ausweichend hin und her lavieren und sagen, es käme auf den Einzelfall an, ob dies völkerrechtlich richtig oder falsch ist? Das ist eindeutig völkerrechtswidrig. ({9}) Herr Minister, Sie machen es sich auch mit der Aussage, wir Parlamentarier hätten das alles in der Hand, viel, viel zu einfach. ({10}) Wir tun gut daran, uns selbst bei solchen Fragen immer auch zu reflektieren. ({11}) Wenn ich das im Nachklapp tue, dann frage ich mich persönlich schon - wenn Sie das nicht tun, dann ist das Ihr Problem -, warum es beim Einsatz im Kosovo leichter gefallen ist, Tornado-Kampfjets in den Einsatz zu schicken, die in Italien stationiert waren, während es viel schwerer gefallen wäre, Bodentruppen hinzuschicken. Herr Minister, es ist doch ganz klar: Der Einsatz von Drohnen hat die Fähigkeiten und die Möglichkeiten, Konflikte zu führen, in der Welt verändert. Einer Bundesregierung, die dies nicht reflektiert, werden wir keine Kampfdrohnen in die Hände geben dürfen und können. ({12}) Der zweite Grund, warum Sie nicht länger im Amt bleiben können, ist der Vorgang um den Eurofighter. Letztendlich 600 Millionen Euro für nichts. ({13}) - Ja. Ihre Strategie, Herr Minister, haben wir hier schon vor einem Jahr kritisch diskutiert. Wir hatten schon immer den Eindruck, dass Sie eine konzeptionelle Idee haben, die lautet: Lasst doch die schwierigen Fragen möglichst gar nicht an den Schreibtisch des Ministers heran. ({14}) Das ist Ihr Konzept gewesen. Das hat sich jetzt ziemlich gerächt; das ist ganz offensichtlich. Herr Minister, der Kollege der FDP hat gesagt, Sie hätten alle Großvorhaben auf den Prüfstand gestellt. Das war keine Hilfe für den Minister. ({15}) Hätte er das nämlich wirklich gemacht, dann hätte er das Euro-Hawk-Problem natürlich auf dem Schreibtisch gehabt und seriös bearbeitet. Herr Minister, Sie sagen in der Tat, Sie haben nichts gehört, und sagen gleichzeitig, der Flurfunk interessiert Sie nicht so wirklich. Herr Minister, auf Ihren Fluren im Ministerium - drüber und drunter - sitzen zwei beamtete Staatssekretäre, zwei Parlamentarische Staatssekretäre, ein Generalinspekteur und die Abteilung Politik. Das sind allesamt Herren, die nicht irgendwer sind. Egal ob auf dem Flur oder sonst wo: Wenn sie Ihnen etwas sagen, dann dürfen Sie das nicht mit „Flurfunk“ abtun, sondern dann müssen Sie nachfragen und die Dinge klären, und das haben Sie nicht getan. ({16}) Herr Minister, wenn Sie jetzt sagen, dass Sie die Probleme nicht mehr wegdrücken und diese Reform zu Ende führen wollen, dann verstehen das viele Soldaten inzwischen nicht als Versprechen, sondern als Drohung; ({17}) denn Sie machen das in allen Bereichen sehr gerne so. Herr Minister, Sie wollen auch eine Legende aufbauen: Von den 600 Millionen Euro könnte viel Geld gerettet werden, weil dieses sogenannte Missionssystem - also die Aufklärung - weiter verwendet werden kann. Sie tun dabei so, als ob man das einfach unter ein neues Flugzeug schrauben könne. Nein, was dort im Augenblick erprobt wird, ist in erster Linie die Integration des Systems in die Drohne. All das muss man bei jedem neuen Flugzeug neu beginnen. Das wird wieder eine dreistellige Millionensumme kosten. Sagen Sie das doch ehrlicherweise! ({18}) Ich sage Ihnen heute schon: Auch Ihre Prognose, dass das tatsächlich bis Ende September zertifiziert sein wird, wird nicht eintreffen. Auch dies werden Sie nicht schaffen. ({19}) Der dritte Grund, Herr Minister, warum Sie nicht im Amt bleiben können, ist - wie bei vielen Ministern, die zurückgetreten sind - die Art und Weise, wie Sie die Krise managen. Herr Minister, es ist ein Desaster, wie Sie mit den zur Diskussion stehenden Fragen umgegangen sind. Natürlich werden Erinnerungen an Ihren Vorgänger wach. Der hat nämlich auch begonnen, mit nicht haltbaren Statements die Medien zu füttern. Er musste dann zurückrudern. Nachdem er zurückgetreten war, kamen Sie ins Amt. Da ging ein Aufatmen durch die Truppe und auch durch die Reihen von uns Verteidigungspolitikern; denn wir, Herr Minister, haben gedacht: Hier kommt einer mit Beamtentugenden; jemand, der sein eigenes Image, so zu sein, durchaus kultiviert und damit - das ist auch ganz klar - die Latte der Ansprüche entsprechend hoch legt. Jetzt aber sieht die staunende Öffentlichkeit, Herr Minister: Es ist gar nicht so. In der Tat haben Sie bei unserer ersten Debatte - Herr Kollege Hardt, es ist nicht wahr, was Sie sagen - die Probleme auf andere abgewälzt. Sie haben gesagt, Sie wurden nicht informiert. Wenn ein Minister sagt, er behält sich personelle Konsequenzen vor: Was ist denn das anderes als ein Abwälzen auf seine Untergebenen? ({20}) Herr Minister, ich stelle mir Führungsverantwortung anders vor, nämlich dass man sich nach außen stets vor seine Mitarbeiter stellt und die notwendigen Konsequenzen innen diskutiert und durchsetzt. Herr Minister, haben Sie einmal darüber nachgedacht, was es für Ihre Untergebenen bedeutet, wenn sie in den Zwiespalt geraten, wahrheitsgemäß berichten zu müssen: Wann hat wer was gewusst und wem gesagt? - Das alles - wie Sie mit den Leuten umgehen, Herr Minister ist nicht schön. ({21}) Ich sage Ihnen am Ende eines, Herr Minister: Das Zeitfenster, währenddessen Sie noch in Würde Ihre eigenen Entscheidungen treffen können - das ist für einen Politiker ein Wert an sich -, wird sich nächstens schließen. ({22}) Ich erinnere Sie deshalb noch einmal daran, wie andere Vorgänger auch in Ihrer Partei mit der Verantwortung des Amtes umgegangen sind. Ich nehme einfach einmal Minister Stoltenberg. ({23}) Er hatte gar keine persönlichen Verfehlungen begangen, gar nichts. Er musste eine Waffenlieferung an die Türkei verantworten, die nicht in Ordnung war, von der er aber nichts gewusst hatte und nichts wissen konnte. Was hat er bei seinem Rücktritt gesagt? Er sagte: Ich bejahe meine Verantwortung als Parlamentsminister für den gesamten Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Und deshalb stelle ich mein Amt zur Verfügung. - Das ist Verantwortung. Ich nehme ein anderes Beispiel, das eines Sozialdemokraten. Schorsch Leber - kein preußischer Beamter, sondern Bauarbeiter und Gewerkschafter. Er hatte einen mühsamen Weg, um hier ins Parlament und ins Ministeramt hineinzukommen. Er wurde mit einem Abhörskandal des MAD konfrontiert. Davon konnte er gar nichts wissen. Was sagte Schorsch Leber - wie er nun einmal war - politisch prägnant und kurz? Er sagte: „Politische Verantwortung ist nicht teilbar.“ Herr Minister, nehmen Sie sich ein Beispiel an diesen beiden Vorgängern: Politische Verantwortung ist nicht teilbar. Herzlichen Dank. ({24})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Arnold, es ist schon erbärmlich, was Sie in den letzten Tagen und heute hier aufgeführt haben. ({0}) Sie finden an der Amtsführung und an der Bundeswehrreform des Ministers inhaltlich nichts zu kritisieren, was zündet und was die Öffentlichkeit wahrnimmt. ({1}) Jetzt versuchen Sie, ihn als Person zu diskreditieren. ({2}) Diese Strategie kann man in der Euro-Hawk-Debatte sehr schön beobachten. Zuerst haben Sie sich in der Sache aufgeblasen und ganz laut gerufen: Fehlentscheidung! Und: Die Reißleine ist zu spät gezogen worden. ({3}) Der Minister hat dann letzte Woche sehr sauber und gründlich dargelegt, dass die Entscheidung und auch der Zeitpunkt der Entscheidung richtig waren. ({4}) Er hat auch berichtet, dass er, bevor er personelle Konsequenzen zieht, den Vorgang vernünftig aufklären will. Auf dem Weg zu dieser Entscheidung gab es Fehler; das hat der Minister dargestellt, das hat der Bundesrechnungshof dargestellt. ({5}) Der Minister hat auch die Konsequenzen daraus präsentiert. Damit ist Ihr schönes erstes Vorwurfskonstrukt in sich zusammengefallen. ({6}) Dann haben Sie übers Wochenende versucht, an einer einzigen Äußerung ein neues Konstrukt mit dem Vorwurf der Falschaussage aufzuziehen. Nachdem Sie die Zitate genau gelesen haben, ist am Montag auch Ihr zweites Konstrukt in sich zusammengefallen. Lieber Herr Arnold, wann der Herr Minister von einer richtigen Entscheidung erfahren hat, die zum richtigen Zeitpunkt auf der in der Organisation richtigen Ebene getroffen worden ist, ({7}) hat mit der ursprünglichen Sache gar nichts mehr zu tun. Aber sei es drum. Der Vorwurf ist aufgeklärt. Sie haben ihn ja auch im Verteidigungsausschuss am Montag gar nicht mehr wiederholt. Nachdem Ihnen danach gar nichts mehr eingefallen ist, ({8}) muss jetzt ein Untersuchungsausschuss her, in der Hoffnung, dass man irgendetwas findet, das man im Wahlkampf ausschlachten kann. Das ist Ihr Recht. Aber glauben Sie ja nicht, dass Ihre Strategie in der Truppe gutgeheißen wird. Die Soldaten sehen nämlich ganz genau, dass es Ihnen nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch darum, einen beliebten und erfolgreichen Verteidigungsminister persönlich fertigzumachen. ({9}) Als Union werden wir uns am Untersuchungsausschuss konstruktiv beteiligen und aufklären, was in dem gesamten Prozess seit 2001 alles schiefgelaufen ist. Das ist bei den Summen, um die es geht, auch angemessen. Aber ich sage Ihnen eines voraus: Dabei wird klar werden, dass die Jacke von vornherein falsch eingeknöpft worden ist. In den Zeiten der rot-grünen Regierungsverantwortung und in den Zeiten der Großen Koalition waren die Erwartungen der amerikanischen und deutschen Seite, was den Aufwand für eine Zulassung betrifft, zu unterschiedlich. Vor dem Hintergrund war die Grundsatzentscheidung richtig, zuerst einen Prototypen und nicht gleich die ganze Serie zu bestellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul?

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich lasse die Frage zu.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben gerade gesagt, die Fehler lägen viele Jahre zurück und reichten bis in die rot-grüne Regierungszeit hinein. ({0}) Können Sie mir erklären, wie Fehler aus einem Vertrag, der im Januar 2007 unterschrieben wurde, und Fehler aus einem Projekt, das erstmals im Januar 2007 beschlossen worden ist und für dessen Durchführung erst dann Geld in die Hand genommen worden ist, schon in der rot-grünen Regierungszeit angelegt gewesen sein sollen? ({1})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Beginn des ganzen Projekts geht auf Rudolf Scharping im Jahr 2001 zurück. Damals hatten die Amerikaner die Vorstellung, dass man dieses System, das eine amerikanische Zulassung hatte, auch in Deutschland zulassen könne, die Zulassung quasi einfach umstempeln könne. Die deutschen Politiker, auch die verantwortlichen Politiker der SPD, hatten die Vorstellung: Die Drohne fliegt im amerikanischen Luftraum. Wir können sie auch bei uns ganz leicht in den Luftraum integrieren. Das hat dazu geführt, dass man im Laufe der Zeit, bis der Vertrag 2007 geschlossen worden ist, von den ursprünglichen Traumvorstellungen von Rot-Grün abgerückt ist ({0}) - ja, Sie werden es im Untersuchungsausschuss sehen und in dem Vertrag zumindest die Integration in den Luftraum nicht mehr vorgesehen hat. Die Frage ist beantwortet. ({1}) Ich möchte Ihnen auch noch einmal die Dimension der Frage, über die wir hier reden, darstellen. Noch nie wurde in Deutschland ein unbemanntes Flugzeug in dieser Größe zugelassen. Zu Zeiten des Vertrages gab es keine Vorschriften dafür, und es gab auch keine Erfahrung. Dank des Projekts Euro Hawk haben wir jetzt die Vorschriften und die Erfahrungen, die uns bei den anstehenden Projekten helfen. Das ist ein unendlich wertvoller Schatz. Denn wir müssen diese Aufgabe schultern. ({2}) Wenn wir es nicht schaffen, unbemannte Flugzeuge in Deutschland zuzulassen - das sollte auch die SPD interessieren; dabei geht es nämlich auch um Arbeitsplätze -, dann hat die zivile Luftfahrtindustrie in Deutschland keine Chance mehr. Meine Damen und Herren, ich habe zwei Befürchtungen, was von dieser Debatte, die Sie anzünden, ausgehen kann. Die erste Befürchtung ist: Ich will keine Bundeswehr, in der Probleme dadurch gelöst werden, dass sie an die nächsthöhere Stelle weitergemeldet werden. Jede Ebene muss die ihr zugewiesene Verantwortung übernehmen. ({3}) Genau das war in dem Projekt auch der Fall. Dafür zuständig waren die Staatssekretäre. ({4}) Die Entscheidungen, die sie getroffen haben, waren sowohl inhaltlich als auch vom Zeitpunkt her richtig. Der zweite Punkt ist: Ich will keine Bundeswehr, in der Rüstungsvorhaben bei Bekanntwerden von Problemen sofort abgebrochen werden. Dann hätten wir nämlich heute kein modernes Gerät, zumindest nicht aus Deutschland. Meine lieben Damen und Herren, bei Hochtechnologieprojekten gibt es immer und in jeder Branche Risiken und Rückschläge. Fragen Sie die Automobilindustrie, wie viele entwickelte Prototypen nicht in Serie gegangen sind! ({5}) Deswegen entwickelt man schließlich Prototypen. Oder konkreter: Fragen Sie, wie viele Projekte in der Automobilindustrie, in denen ein Auto ohne Fahrer einparken soll, an Zulassungsfragen gescheitert sind! ({6}) Ich bin davon überzeugt, dass wir in zehn Jahren Autos haben werden, die genau das können, genauso wie wir in 20 Jahren unbemannte Flugzeuge haben werden, die ohne Pilot am Flugverkehr teilnehmen können. ({7}) Die Frage ist nur, wo sie hergestellt werden und wer sie herstellt. Wer nicht den Mut hat, Neues auszuprobieren, der kommt nicht voran. Man muss nur aus Rückschlägen lernen und darf bei neuen Projekten nicht wieder die gleichen Fehler machen. Genau darum werden wir uns im Untersuchungsausschuss kümmern: dass die Fehler, die ja zugegebenermaßen in diesem Projekt mit gemacht worden sind, sich bei zukünftigen Projekten nicht wiederholen. ({8}) Wir wollen das machen, damit wir mit der Bundeswehr und auch mit der Luftfahrt in Deutschland weiter vorankommen. Danke, meine Damen und Herren. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13898. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({0}) Vizepräsidentin Petra Pau Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Fraktion Die Linke abgelehnt. ({1}) Zusatzpunkt 6. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13899 mit dem Titel „Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und - ({2}) Das Präsidium ist nicht einig. ({3}) - Ich bitte, von allen Unterstellungen gegen das Tagungspräsidium, egal wer hier vorne sitzt, abzusehen. ({4}) Die Präsidentin macht jetzt das, was in der Geschäftsordnung vorgesehen ist: Sie wiederholt die Abstimmung und wird feststellen, ob das Präsidium einmütig das Abstimmungsergebnis feststellen kann oder nicht. Ich wiederhole die Abstimmung: Wer stimmt für diesen Antrag? Es geht um die Drucksache 17/13899. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({5}) Ich kann nichts daran ändern, dass im Präsidium eine Schriftführerin das Abstimmungsverhältnis nicht so wie die anderen sieht. ({6}) Daraus folgt, dass wir vorgehen, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in § 51 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung heißt es: Ist der Sitzungsvorstand über das Ergebnis der Abstimmung nicht einig, so wird die Gegenprobe gemacht. Bleibt er auch nach ihr uneinig, so werden die Stimmen gezählt. Auf Anordnung des Sitzungsvorstandes erfolgt die Zählung gemäß Absatz 2. Abs. 2 wiederum besagt, dass ich Sie jetzt allesamt auffordern muss, den Plenarsaal zu verlassen. Wenn dies geschehen ist, werden wir per Hammelsprung das Abstimmungsergebnis zum Antrag auf Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière feststellen. ({8}) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Saal zu verlassen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, nach Erledigung der notwendigen Geschäfte hier den Saal zu verlassen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin durch die Geschäftsordnung gehalten, Sie aufzufordern, den Saal zu verlassen, damit wir die Sachabstimmung durchführen können und das Abstimmungsergebnis festhalten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich höre gerade, eine Voraussetzung, um die Abstimmung durchführen zu können, ist schon erfüllt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben ihre Plätze an den Abstimmungstüren eingenommen. Nun bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die noch etwas im Saal zu erledigen hatten, dies zu beenden und den Saal zu verlassen, damit wir mit der Abstimmung beginnen können. Ich bitte um ein Zeichen, ob alle Kolleginnen und Kollegen den Saal inzwischen verlassen haben. - Dann Vizepräsidentin Petra Pau erkläre ich noch einmal, was wir jetzt tun. Wir stimmen ab über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13899 mit dem Titel „Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Maizière“. Ich eröffne die Abstimmung und bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Saal zu betreten. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal schon betreten haben, uns den Blick auf die Abstimmungstüren freizumachen, damit wir sehen, ob alle Kolleginnen und Kollegen ungehindert abstimmen können. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie erstens, den Saal wieder zu betreten; zweitens bitte ich diejenigen, die dies vollbracht haben, uns bitte den Blick auf die Abstimmungstüren freizumachen. Ich bitte um ein Zeichen, ob noch Kolleginnen und Kollegen vor dem Saal sind, die an der Abstimmung teilnehmen wollen. - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die noch in der Lobby sind, sich zu den Abstimmungstüren zu begeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, uns den Blick auf die Türen freizumachen, damit wir feststellen können, ob noch Kolleginnen und Kollegen gehindert werden, an dieser Abstimmung teilzunehmen. Ich bitte um ein Zeichen, ob ich die Abstimmung schließen kann. - Dann bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftsteller ({12}) - Entschuldigung -, die Schriftführerinnen und Schriftführer, insofern schriftstellerisch tätig zu werden, als sie mir jetzt bitte das Abstimmungsergebnis kurz und knapp mitteilen. ({13}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Aufmerksamkeit für das Ergebnis der Abstimmung über die Drucksache 17/13899. 307 Kolleginnen und Kollegen haben mit Nein gestimmt, 233 Kolleginnen und Kollegen haben dem Antrag zugestimmt, es gab keine Enthaltungen. Der Antrag ist damit abgelehnt. ({14}) Ich bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte weiter teilnehmen wollen und können, sich zu setzen. Diejenigen, die uns leider verlassen müssen, ({15}) bitte ich, es uns zu ermöglichen, mit den Beratungen fortzufahren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({16}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({17}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({18}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien ({19}) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 - Drucksachen 17/13661, 17/13955 Berichterstattung:Abgeordnete Philipp MißfelderUta ZapfMarina SchusterWolfgang GehrckeMarieluise Beck ({20}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13956 Berichterstattung:Abgeordnete Herbert FrankenhauserKlaus BrandnerDr. h. c. Jürgen KoppelinMichael LeutertSven-Christian Kindler Ich bitte diejenigen, die jetzt nicht an den Beratungen teilnehmen können, sicherzustellen, dass diejenigen, die hierbleiben wollen, hören und verstehen können, was hier verhandelt wird. Während offensichtlich noch umfangreiche Umgruppierungen im Parlament notwendig sind, informiere ich Sie schon einmal darüber, dass zu diesem Tagesordnungspunkt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegt und wir über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses später namentlich abstimmen werden. Für die nun folgende Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich gehe davon aus, dass die hier noch herrschende Lärmkulisse keinen Widerspruch zu dieser Verabredung zum Ausdruck bringt, sodass so beschlossen ist. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. ({22})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass erstmals eine Debatte über das Kosovo eine so große Zuhörerschaft erreicht. ({0}) Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die das durch ihr demokratietheoretisches Verfahren heute möglich gemacht haben. ({1}) Von den internationalen Engagements im Kosovo, von den drei im Kosovo in den letzten zehn Jahren stattgefundenen internationalen Einsätzen, den Operationen UNMIK, EULEX und KFOR, ist nach meinem Dafürhalten KFOR mit Abstand die erfolgreichste Operation gewesen. ({2}) Ich persönlich verhehle nicht, dass ich mit dem Ergebnis der jahrelangen Bemühungen von UNMIK nicht zufrieden bin. Ich glaube, auch bei der Wirksamkeit von EULEX gibt es noch Raum für Verbesserungen. Das KFOR-Mandat hat von Anfang an einen ganz wichtigen, unverzichtbaren Beitrag zur Stabilisierung in sehr unruhigen Zeiten geliefert, zur Schaffung von Frieden, zur Stabilisierung der Region. Dafür sollten wir allen Soldatinnen und Soldaten aller Nationen sehr dankbar sein. ({3}) Meine Damen und Herren, ich möchte das zum Anlass nehmen, um der zum Teil in der Öffentlichkeit und auch von Teilen des Parlaments wiederholt vorgebrachten Beschuldigung deutlich entgegenzutreten, Deutschland würde seinen internationalen Verpflichtungen unzureichend nachkommen. Diese Beschuldigung, die zum Teil auch von einigen prominenten Exgenerälen in der Öffentlichkeit immer wieder verbreitet wird, ist eindeutig falsch, und ich weise sie, ich glaube, für alle Fraktionen und für alle Koalitionen, die hier Verantwortung getragen haben, nachdrücklich zurück. ({4}) Gerade der Einsatz im Kosovo, bei dem Deutschland bis zum heutigen Tage die - so lautet der Terminus technicus - Lead Nation, die Führungsnation, gewesen ist, zeigt, dass wir bereit sind, dort, wo es notwendig ist, unseren Einsatz zu bringen. Nun findet die Verlängerung des Kosovo-Mandates, für die meine Fraktion plädiert, natürlich in einem politisch interessanten, spektakulären Umfeld statt, nämlich im Umfeld der Fragestellung, ob es denn sinnvoll ist, dass die Europäische Union Serbien ermöglicht, Beitrittsverhandlungen mit der EU aufzunehmen. Hierzu wird die Europäische Union Ende dieses Monats eine grundsätzliche Entscheidung fällen. Ich bin sehr dafür, dass wir sehr genau überprüfen, inwieweit die beiden Parteien der Vereinbarung - Kosovo und Serbien - ihre Verpflichtungen eingehalten haben und inwieweit speziell die Implementierungsvereinbarung vom 25. Mai 2013 umgesetzt wird. Darin gibt es Zeitlinien für Maßnahmen, die bis Ende Mai, bis Mitte Juni, bis Ende Juni, bis Mitte Juli durchgeführt werden sollen. Das sollten wir sehr genau beobachten. Aber ich sage Ihnen auch: Die Tatsache, dass sich diese beiden zerstrittenen, verfeindeten Parteien am 19. April 2013 auf ein grundsätzliches Übereinkommen geeinigt haben, ist - ich sage das mit Bedacht - von historischer Bedeutung. ({5}) Erstmals hat Serbien damit anerkannt: Jawohl, es gibt ein Staatswesen Kosovo. - Das ist ein bedeutsamer Schritt für Serbien gewesen. Auch ich bin dafür, dass wir Serbien und Kosovo hinsichtlich ihrer Verpflichtungen beim Wort nehmen. Aber - das sage ich sehr deutlich - ich plädiere zugleich dafür, dass die Grundsatzentscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen jetzt Ende Juni getroffen wird. Unser gemeinsames Verständnis sollte sein, dass wir später überprüfen, ob die Implementierungsvereinbarung eingehalten wird. Das wird dann durch die Europäische Kommission oder den Rat der Außenminister, wahrscheinlich im Dezember, überprüft. Wir sollten die Grundsatzentscheidung aber nicht noch einmal aufschieben. Sie steht jetzt an. Wir werden diese Entscheidung im Lichte der Stellungnahme der EU-Kommission fällen, die Ende Juni kommen wird. Ich bin guten Mutes, dass wir dann zustimmen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Stinner, verzeihen Sie, ich unterbreche Sie ungern - ich habe natürlich auch die Uhr angehalten -, aber all meine Appelle, die notwendige Aufmerksamkeit hier herzustellen und sicherlich notwendige Gespräche nach draußen zu verlagern, haben bisher offensichtlich keine Früchte getragen. ({0}) Ich bitte diejenigen, die sich über den Saal verteilt offensichtlich in Gesprächsgruppen zusammengefunden haben, diese Gespräche nach außen zu verlagern und die notwendige Aufmerksamkeit für alle Rednerinnen und Redner hier herzustellen. ({1})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich ganz herzlich für diese Intervention. Die Wogen schlagen heute hoch. Ihre Intervention veranlasst mich zu dem Wunsch, einmal in meinem Leben für fünf Minuten Bundestagspräsident zu sein. In einer solchen Situation würde ich die Sitzung unterbrechen und warten, bis Ruhe eingekehrt ist. Das würde, glaube ich, disziplinierendere Wirkung haben als alle Ermahnungen. Aber das ist ein bescheidener Beitrag von mir. Ich werde bedauerlicherweise nie in die Position kommen. So ist das Leben. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch einmal sehr deutlich sagen, welches Signal für Serbien, für die Region, aber auch darüber hinaus von der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit diesem wichtigen Land auf dem Balkan ausgeht. Das dürfen und sollten wir nicht unterschätzen. Natürlich hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Sogfunktion und Beispielfunktion. Völlig klar ist, dass einige andere Länder in der Region - ich denke an Bosnien-Herzegowina und auch an Mazedonien - natürlich wissen, dass sie eventuell zurückfallen, wenn sie sich nicht entsprechend anstrengen. Das will natürlich niemand. Ich hoffe, dass die Beitrittsverhandlungen mit Serbien dazu führen, dass auch in diesen Ländern, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina, endlich ein Veränderungsdruck, ein Reformdruck auf die Politik ausgeübt wird. Von daher hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien wesentliche Auswirkungen politischer Art über Serbien hinaus auf ganz Europa. Deshalb bin ich guten Mutes, dass die Kommission uns Ende des Monats einen Bericht vorlegen wird, der uns dazu bringen wird, diesen wichtigen Schritt der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu gehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Susanne Kastner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass die Emotionen jetzt wieder einigermaßen heruntergefahren sind, behandeln wir doch heute ein Thema, bei dem sehr viele Gemeinsamkeiten vorherrschen. Jedermann und jede Frau von uns weiß, dass die deutsche Beteiligung am KFOR-Einsatz der NATO ein Erfolg ist. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten dort seit vielen Jahren eine hervorragende Arbeit und genießen ein hohes Ansehen und Vertrauen in der Region. An KFOR sind insgesamt 31 Nationen mit rund 5 000 Soldaten beteiligt. Deutschland ist dabei der größte Truppensteller. Unsere Soldatinnen und Soldaten tragen maßgeblich zur Stabilität in der Region bei und haben zudem seit drei Jahren die Führungsverantwortung. Insgesamt betrachtet ist die Lage im Kosovo zwischenzeitlich recht stabil. Allerdings gibt es im Norden noch immer Unwägbarkeiten und Konfliktpotenzial zwischen den Kosovaren und der serbischen Minderheit. So sperrig der Titel „Erstes Abkommen über die Prinzipien über die Normalisierung der Beziehungen“ auch klingen mag: Das Abkommen, welches im April zwischen dem Kosovo und Serbien geschlossen wurde, ist in der Tat ein historisches Abkommen. Auf dem Weg zu einem friedlichen Miteinander wurde damit ein wichtiger Meilenstein erreicht. Nun gilt es, dieses Abkommen auch konsequent umzusetzen. Die Präsenz von internationalen KFOR-Truppen ist im Sinne des Konzepts der drei Sicherheitsreihen jedoch weiterhin erforderlich. Bislang sind die örtlichen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage, die Verantwortung für die Sicherheit aller Bevölkerungsgruppen vollumfänglich zu übernehmen. EULEX als zweite Sicherheitsreihe schafft es ebenfalls nicht, die Lage zu kontrollieren. Daher werden unsere Soldatinnen und Soldaten nach wie vor gebraucht. Mit einer Mandatsobergrenze von aktuell 1 850 Soldatinnen und Soldaten - derzeit werden effektiv 806 eingesetzt - haben wir den notwendigen Spielraum, um bei Bedarf mit dem Bataillon der operativen Reserve in Krisensituationen umgehend reagieren zu können. Fakt ist allerdings, dass der Einsatz keine Dauerlösung sein darf. Das erste KFOR-Mandat der Bundeswehr haben wir schließlich bereits im Jahre 1999 verabschiedet. Auch heute, fast auf den Tag genau 14 Jahre später, ist der Auftrag leider noch nicht abgeschlossen. Kaum einer hätte damals gedacht, dass sich die Bundeswehr im Kosovo so lange engagieren würde. Wir müssen deshalb alles daransetzen, den politischen Druck auf die kosovarische Regierung zu erhöhen, damit die Ausbildung der Sicherheitskräfte vorangetrieben wird. Unser Ziel muss es sein, die Truppenstärke kontinuierlich zurückzufahren, um ein deutliches Zeichen zu setzen, dass der KFOR-Einsatz eben keine Selbstverständlichkeit ist. Seit Beginn des Einsatzes im Jahre 1999 haben bislang 100 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo ihren Dienst geleistet. Das ist eine extrem hohe Zahl. Ich möchte mich daher im Namen des Deutschen Bundestages ganz herzlich bei unseren Bundeswehrkontingenten bedanken, die zur Stabilisierung des Kosovo beigetragen haben. ({0}) Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen habe ich die Hoffnung, dass die Verantwortung in einigen Jahren komplett in kosovarische Hände gelegt werden kann. Ich denke, wir sind auf einem guten Wege, uns Stück für Stück verzichtbar zu machen. Der Tag wird kommen, an dem die KFOR-Truppen getrost abziehen können. Doch bis es tatsächlich so weit ist, bitte ich Sie um die Verlängerung des KFOR-Mandates, damit die gute Arbeit vor Ort fortgesetzt und zum Ende gebracht werden kann. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war nach 24 Jahren heute meine letzte Plenarrede. Es waren 24 spannende Jahre, in denen ich als Abgeordnete, tourismuspolitische Sprecherin, Parlamentarische Geschäftsführerin, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen ParlamentarierDr. h. c. Susanne Kastner gruppe und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag tätig sein durfte. Seit gestern ist zudem gewiss, dass ich diese Legislaturperiode so beenden werde, wie ich sie begonnen habe: mit einem neuen Untersuchungsausschuss. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses möchte ich ein herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten richten. Vor wenigen Tagen wurde die Sonderbriefmarke „Im Einsatz für Deutschland“ vorgestellt. ({3}) Genau diesen Einsatz für Deutschland sollten wir nicht nur stillschweigend, sondern auch anerkennend zur Kenntnis nehmen. Unsere Demokratie ist ein schützenswertes Gut, für das sich unsere Soldatinnen und Soldaten tagtäglich und vielfältig einsetzen. Sei es im internationalen Einsatz in Afghanistan, im Kosovo, am Horn von Afrika oder aktuell bei der Bekämpfung des gewaltigen Hochwassers: Unsere Bundeswehr leistet großartige Arbeit. Ich bin stolz auf unsere Parlamentsarmee mit ihren unglaublich engagierten Soldatinnen und Soldaten. ({4}) Den Soldatenfamilien gilt mein besonderer Dank. Ich weiß um die alltäglichen Probleme, Sorgen und Nöte. Bei jedem Einsatz sind die Angehörigen der Soldaten ebenfalls direkt betroffen und müssen so manche Belastung ertragen. Gerade das Zusammentreffen mit Hinterbliebenen hat mich als Ausschussvorsitzende besonders bewegt. Ich baue fest darauf, dass die in dieser Legislaturperiode begonnene Arbeit zum würdigen Gedenken an Soldatinnen und Soldaten in der nächsten Legislaturperiode zielstrebig fortgesetzt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu sein, war ein arbeitsintensives und verantwortungsvolles Amt. Ich möchte die zurückliegenden Jahre auf keinen Fall missen. Ich bin stolz und dankbar, dass ich über all diese Jahre hinweg die Geschicke unserer parlamentarischen Demokratie ein Stück weit mitgestalten durfte. Politik habe ich immer als Dienstleistung an den Bürgerinnen und Bürgern empfunden. Mein Wahlkreis sorgte stets für die notwendige Bodenhaftung und das direkte Feedback. Das ist wichtig, auch für unser Amt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich ebenfalls beim Sekretariat des Verteidigungsausschusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung und meines Büros recht herzlich zu bedanken. Sie haben nie auf die Uhr geschaut. Sie waren immer da, wenn sie gebraucht wurden. Das alles ist nicht selbstverständlich. Gerade in dieser Zeit, in der ein neuer Untersuchungsausschuss ansteht, möchte ich diesem Team von ganzem Herzen für den Einsatz, das Engagement und die gute Zusammenarbeit danken. ({5}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in wenigen Wochen endet die 17. Legislaturperiode. Zum Wohle unserer parlamentarischen Demokratie wünsche ich Ihnen allen einen bewegten, aber fairen Wahlkampf und vor allen Dingen uns allen eine rege Wahlbeteiligung. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Peter Beyer das Wort. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Frieden im Kosovo ist nicht selbstverständlich. Er ist ein fragiles Pflänzchen, das es zu gießen gilt. Doch ohne Rankhilfe, nämlich die Soldaten im Einsatz vor Ort, die KFORMission der Vereinten Nationen, wären die Sicherheit nicht gewährleistet und die mit dem Frieden verbundenen Hoffnungen nicht realistisch. Nur mithilfe der internationalen Schutztruppe war es in der Vergangenheit möglich, größeres Blutvergießen im Kosovo zu verhindern. Für ihren vorbildlichen Einsatz für die Sicherheit und die Stabilität in der gesamten Region gebührt unser aller Dank den deutschen Soldatinnen und Soldaten im KFOR-Einsatz und in anderen Auslandsverwendungen. ({0}) Die geteilte Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo hat in der Vergangenheit immer wieder ethnisch motivierte Gewalt erlitten. Seit Jahresbeginn gab es dort über 30 Anschläge mit Handgranaten. Immer noch wird die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX blockiert. Nach wie vor ist ihre freie Bewegung in dem gebotenen Ausmaß nicht möglich. Im März dieses Jahres bin ich zusammen mit einigen Kollegen in Belgrad und sodann auch in Pristina gewesen. Dort haben wir uns mit dem EULEX-Chef, Herrn Borchardt, zusammengesetzt und einige Dinge besprochen. Ein Beispiel ist mir sehr in Erinnerung geblieben: Er erzählte uns davon, dass von zehn Versuchen, die kosovarischen Zöllner mit dem Auto statt mit dem Hubschrauber - eine sehr viel kostspieligere Variante - an die Grenzübergänge zu bringen, acht fehlgeschlagen seien. Aufgrund dieser Erfahrung sei man dann dazu übergegangen, diese Versuche einzustellen. Verehrte Kollegen, dies alles sind Gegebenheiten, die die Freude über die doch vielen positiven Entwicklungen in der Region, die wir durchaus zu verzeichnen haben, ebenso trüben wie die Äußerungen des serbischen Premierministers Dacic. Er äußerte sich dahin gehend, dass nur ein positiver Avis auf dem EU-Gipfel Ende Juni für Serbien akzeptabel sei. Gäbe es kein grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, dann würde es auch keine Umsetzung der Vereinbarungen mit dem Kosovo geben. Und er legte noch eine Schippe drauf: Das Kosovo sei nach wie vor eine abtrünnige Provinz von Serbien. An dieser Position ändere sich auch nichts durch die jüngsten Abkommen vom 19. April und 26. Mai dieses Jahres. Und selbst wenn es ein konkretes Datum gäbe, würde man das Kosovo nicht gewissermaßen im Tausch als unabhängigen, souveränen Staat anerkennen. Verehrte Kollegen, diese vermutlich innenpolitisch motivierte Rhetorik muss endlich aufhören. Sie ist unerträglich, sie ist überflüssig, und sie ist im Übrigen nicht zielführend. Sie gießt Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ohnehin an einer Befriedung und an einer Annäherung der Region an die EU kein Interesse haben und insbesondere Gegenspieler der Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo sind. Jedoch, verehrte Kollegen, die EU ist kein Basar, auf dem wir Tauschhandel betreiben. Das muss auch der serbischen Führung ein für alle Mal klargemacht werden. Erst vor zwei Tagen hatte ich hier im Hohen Hause die Gelegenheit, eine Abordnung von Kollegen aus dem serbischen Parlament zu begrüßen und mit ihnen über Fragen zu diskutieren. Mir wurde die Frage gestellt: Was können wir als serbisches Parlament tun, damit es grünes Licht gibt, damit ein konkretes Datum für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen genannt wird? Mit wem müssen wir sprechen? - Die einzig richtige Antwort darauf kann nur lauten: Es muss eine Umsetzung der Selbstverpflichtungen aus den beiden vorhin von mir schon genannten Abkommen vom April und Mai dieses Jahres geben. Das können die beiden Länder nur selbst machen. Wer der EU als Mitglied beitreten will, der muss beitragen. Schon jetzt allerdings - das möchte ich nicht verhehlen - hängt Serbien und hängen die Verhandlungsparteien dem eigenen Plan der Umsetzung der ersten Vereinbarung von Prinzipien zur Regelung der Normalisierung der Beziehungen hinterher. Ich nenne aus einer Fülle von Punkten nur zwei Beispiele: Erstens. Die Einrichtung eines Managementteams, das für die Errichtung des kosovarisch-serbischen Gemeindeverbandes zuständig ist, sollte bereits bis Ende Mai dieses Jahres erfolgt sein. Zweitens. Auch die Herstellung der vollständigen Transparenz über alle Zahlungsströme aus Belgrad in die Einrichtungen im Nordkosovo sollte bis Ende Mai umgesetzt sein; das ist aber noch nicht geschehen. Als nächstes Datum wird jetzt, wie man hört, der 20. Juni genannt. Allein, wir müssen sehr genau hinschauen, ob der Termin eingehalten wird. Deshalb sage ich: Die Bundesregierung sollte sich auf dem EU-Gipfel am 27./28. Juni nur grundsätzlich und frühestens zum Jahr 2014 für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Serbien aussprechen. Zudem darf ein konkretes Datum für den Beginn der Verhandlungen erst dann festgelegt werden, wenn alle Verpflichtungen aus der Umsetzungsvereinbarung vom 26. Mai nachweislich, vollständig und nachhaltig erfüllt sind. Dazu gehören insbesondere erstens die vollständige Auflösung der illegalen Parallelstrukturen im Sicherheits- und Justizbereich im Nordkosovo und stattdessen die Errichtung neuer Strukturen unter kosovarischer Führung, zweitens die Einrichtung eines kosovarisch-serbischen Gemeindeverbandes und drittens die Abhaltung freier und fairer Kommunalwahlen im ganzen Kosovo. Das alles kann aber nicht davon ablenken, dass endlich ein gesamteuropäisches Konzept für die gesamte Westbalkanregion entwickelt werden muss. Die Europäische Union kann in dieser für die Weiterentwicklung unseres Kontinents so wichtigen Region auch dann nur glaubwürdig handeln, wenn wir in der Europäischen Union endlich mit einheitlicher Stimme sprechen. ({1}) Daher appelliere ich an dieser Stelle, wie ich es schon wiederholt getan habe, noch einmal ausdrücklich an die fünf EU-Mitgliedsländer, sich endlich zusammenzuraufen und das Kosovo als eigenständigen, souveränen Staat anzuerkennen. Dieser Schritt ist überfällig, und nur dann ist die Europäische Union glaubwürdig. ({2}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss und werbe für die Zustimmung zur Verlängerung des KFOR-Mandats. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder einmal soll es heute hier im Bundestag eine weitere Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo geben. Seit nunmehr 14 Jahren stehen deutsche Truppen auf dem Südbalkan. Selbst die Bundesregierung spricht in ihrem Antrag von jährlich 60 Millionen Euro Zusatzkosten jenseits der Kosten für die Bereitstellung der NATO-Infrastruktur für diese Truppenstationierung. Wenn es eines Belegs dafür bedurfte, mit welchem Ergebnis für die Menschen vor Ort die jahrelange Truppenstationierung verknüpft ist, dann liegt er jetzt vor; denn er ist aus den Anträgen der Koalition und der Grünen selbst herauszulesen, die zu Recht die schlimme soziale, aber auch die fatale rechtsstaatliche Situation im Kosovo und vor allem auch die miserable Situation der Minderheiten, wie der Roma und der Serben, beschreiben. Gerade die jüngste Annährung zwischen der serbischen Regierung und der Kosovo-Administration zeigt aber: Es muss hier um politische Lösungen gehen. Eine Verewigung militärischer Präsenz, wie sie sich im Kosovo nach 14 Jahren ja abzeichnet, wird lediglich zu einer weiteren Verschlechterung der Situation der Menschen vor Ort führen. ({0}) Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass die Koalition mit ihrer harten Haltung gegenüber der serbischen Regierung und der Weigerung, die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, jetzt auch noch diese Annäherung zu torpedieren droht. ({1}) Erdogan lässt die Proteste in der Türkei niederknüppeln und wird von Ihnen für seine Reformbemühungen mit einem Vorantreiben des Beitrittsprozesses belohnt. Serbien aber wollen Sie offenbar regelrecht demütigen. ({2}) Statt zu unterstützen, satteln Sie immer neue Forderungen drauf. ({3}) Auch hier werden Sie von den Grünen überholt. Aber das wundert ja immer weniger Menschen in diesem Land - zu Recht, wie ich sagen muss. ({4}) Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die grüne Fraktion bei einem Auslandseinsatz der Bundeswehr einmal mit Nein gestimmt hat. ({5}) Es scheint, als wirkten bei einer Mehrheit hier in diesem Haus noch immer antiserbische Feindbilder. ({6}) Während der Ruf nach Minderheitenrechten für albanischstämmige Kosovaren oder Bosniaken auf dem Balkan für Sie im Sinne einer ethnischen Parzellierung Leitmotiv Ihrer Außenpolitik war, meint man, die Serben mit fortgesetzter militärischer Präsenz vor Ort in Schach halten zu müssen. Sie haben mit dieser Außenpolitik die Büchse der Pandora mit geöffnet. ({7}) Sie müssen sich diese Frage einfach gefallen lassen: Mit welchem Recht postulieren Sie ein Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren, das Sie den Serben im Norden Kosovos einfach verweigern? Diese Frage müssen Sie hier erst einmal beantworten. ({8}) Meine Damen und Herren, meine große Sorge ist, dass die Bundeswehr in Zukunft noch direkter zur Unterdrückung der serbischen Minderheit im Kosovo in Stellung gebracht wird. ({9}) Dass sie im Gegenteil eben nicht fähig oder willens ist und war, Serben im Kosovo zu schützen, hat sie mit ihrer unrühmlichen Rolle bei den Pogromen gegen die Minderheiten im Kosovo 2004 bereits bewiesen. ({10}) Ich finde, dafür und für diesen Bundeswehreinsatz insgesamt sind nicht nur die jährlichen 60 Millionen Euro Zusatzkosten viel zu viel, sondern dafür ist schon jeder einzelne Euro zu viel. ({11}) Wir brauchen eine andere Balkan-Politik. Ziehen Sie die Bundeswehr ab und unterstützen Sie endlich vorbehaltlos die politischen Lösungen in der Region! Damit wäre den Menschen auf dem Balkan, aber auch den Menschen hier mehr geholfen. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Marieluise Beck das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist hier ja fast wie Dinner for One, ({0}) wenn ich nun wieder die Freude habe, auf die Linksfraktion zu antworten. Ich tue das aber noch einmal, weil es wichtig für uns alle ist. In der Tat haben sich auch Grüne überaus schwergetan, Militäreinsätzen zuzustimmen. ({1}) Wir haben da eine lange Geschichte und schwierige Kämpfe hinter uns. Wir sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es gerechtfertigt war, dass sich andere Länder militärisch gerade gegen die Aggressionen, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg von deutschem Boden ausgingen, gewehrt haben und dass die Vereinten Nationen daraus die ethische Verpflichtung abgeleitet haben, dass, wenn es wieder solche Aggressionen gibt, die Marieluise Beck ({2}) Opfer nach Möglichkeit zu schützen sind. Dass wir im Rahmen der von den Vereinten Nationen geführten Einsätze mit dabei sind, ({3}) ist tatsächlich eine Lehre aus dem vergangenen schrecklichen Jahrhundert. ({4}) Es war die Gesellschaft für bedrohte Völker, die uns, als wir Grüne uns noch weigerten, händeringend gebeten hat, endlich zusammen mit den UN in Bosnien zu intervenieren, weil dort der Genozid im Gange war. Dass es so war, wissen wir heute. Aus ebendiesem Grunde ist im Kosovo Militär eingesetzt worden. Das ist die Realität. Dieses Militär hat keinen Frieden schaffen können. So illusionär, zu glauben, dass das gelingen könnte, ist heute niemand mehr. Wir wissen, dass Militär bestenfalls ein Feuer austreten kann; aber das Austreten des Feuers ist Voraussetzung für einen politischen Prozess. Dieser politische Prozess geht jetzt mit einem wunderbaren Schritt in die nächste Etappe, ({5}) nämlich mit einer grundsätzlichen Einigung zwischen den Regierungen aus Belgrad und Pristina. Sie wollen gemeinsam den Verhandlungsweg gehen, und sie wollen gemeinsam den Weg in die Europäische Union suchen. Dieser Weg wird noch schwierig sein. Es gibt viele Einwände und Fragen, die noch zu stellen sind. Mich überzeugt eine Beobachtung aus Kroatien, das ja einen ähnlichen Weg gegangen ist. Dabei handelt es sich um eine Selbsteinschätzung im Rahmen eines Rückblicks. Die kroatische Präsidentschaft hat geschildert, dass von Beginn der Verhandlungen an in Kroatien ein Institutionenaufbau - der Aufbau einer fairen Justiz bzw. von Rechtsstaatlichkeit, von Institutionen, die Bürgerinnen und Bürgern dienen - stattgefunden hat. Genau das gab es im Rahmen des Prozesses der Annäherung an die Europäische Union. Wir wissen, dass sowohl das Kosovo als auch Serbien in diesem Prozess des Institutionenaufbaus noch viel vor sich bzw. zu leisten haben. Der Weg hin zu der Europäischen Union ist aber offensichtlich der richtige. Deswegen freuen wir uns über diesen historischen Schritt. ({6}) Zum Schluss möchte ich - vor allen Dingen für meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss, aber auch für meine Fraktion - der Kollegin Susanne Kastner noch einmal von Herzen danken. Sie waren eine hingebungsvolle und von uns allen sehr respektierte Kollegin, die immer fair gewesen ist. Solche Parlamentarierinnen tun uns allen hier im Hause gut. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen alles Gute für die kommenden Jahre. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die Unionsfraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast genau auf den Tag vor 14 Jahren rückte die NATO in das Kosovo ein. Damit wurde ein mörderischer Krieg beendet. In diesen 14 Jahren seit 1999 wurde viel erreicht; aber bei weitem nicht alle Probleme wurden gelöst. Bis heute gibt es offene Wunden, Spannungen und schwelende Konflikte. Die heute vorgesehene Verlängerung des KFORMandates findet in einer angespannten Lage statt. Marieluise Beck hat recht: Wahr ist, die KFOR - und damit auch die Bundeswehr als größte Truppe der KFOR kann nicht die Kohlen aus dem Feuer holen, die politisch verursacht wurden. Das muss die Politik tun. Die EU feiert ein derzeit stockendes Implementierungsabkommen - aus meiner Sicht verfrüht - als historisch. Dieses Abkommen ist dabei schon eine Art Wiederauflage. Schon lange sollte umgesetzt sein, was mithilfe der Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel im Herbst 2011 angestoßen wurde, nämlich die echte Normalisierung des Verhältnisses zwischen Belgrad und Pristina. Ich will diese Gelegenheit nutzen, heute unserer Bundeskanzlerin dafür zu danken, dass sie im Herbst 2011 mit ihrer starken Haltung dafür gesorgt hat, dass in den Prozess der Annäherung zwischen Belgrad und Pristina wieder Bewegung gekommen ist. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind für eine europäische Perspektive des Westbalkans einschließlich Serbiens. Aber es bleibt völlig klar: Wir dürfen schwelende Konflikte nicht in die EU importieren, vor allem keine, die wieder zu kriegerischen Konflikten führen können. Deshalb brauchen wir unumkehrbare politische Lösungen, die auch vor Ort funktionieren. Nach all den Kriegen verweigern führende Politiker in Belgrad bisher die völlige Anerkennung der territorialen Integrität von zwei Nachbarn: der Republik Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Das schafft Spannungen, weil die Existenz der Staaten nicht sicher ist. Diese Risiken müssen auch heute in der Debatte offen angesprochen werden. Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen und sagen, dass alles auf Erfolgskurs wäre. Machen wir bitte nicht den Fehler, die Lage falsch zu beurteilen. Serbien hat Kosovo trotz des Abkommens eben nicht anerkannt. Im Gegenteil: Zugleich mit dem Werben um den EU-Beitritt bekräftigen in Serbien der Ministerpräsident, der ehemalige Sprecher von Slobodan Milosevic, der Präsident, bis vor wenigen Jahren glühender Verfechter von Großserbien, und der starke Mann, der stellvertretende Ministerpräsident, in ihren öffentlichen Schwüren, Kosovo niemals anzuerkennen. Herr Dacic, der Ministerpräsident, hat erst in den letzten Tagen klargemacht: keine Anerkennung, sogar für den Fall des Beitritts. Seine Partei, die Sozialisten, haben in dieser Woche mit einer Blockade des Abkommens gedroht, wenn man am Ende des Monats kein konkretes Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen bekomme. Deswegen will ich klar sagen: Das ist nicht akzeptabel. Für uns gilt auch: Wir sind nicht erpressbar. ({1}) Es gibt hier ein einfaches Beispiel; denken wir an die Vergabe des EU-Kandidatenstatus für Serbien im Frühjahr 2012. Kurz danach waren wir, gemeinsam mit Frau Kastner, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, „an Gate 1“ im Norden Kosovos, hinter Mitrovica. Die Soldaten haben uns berichtet, wie das genau abgelaufen ist: Der serbische Teil hatte in Nord-Mitrovica Barrikaden zur Sperrung der Straße aufgestellt. Dann hat die EU an Belgrad appelliert, sich doch bitte verhandlungsbereit zu zeigen. Daraufhin wurden die Barrikaden weggeräumt, und Serbien wurde der Kandidatenstatus verliehen. Danach wurden die Barrikaden wieder aufgebaut. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dieser Erfahrung heraus sage ich: Ankündigungen genügen nicht mehr. Deshalb sollten alle die Zeit nutzen. Wir wollen sehen, dass es die Beteiligten ernst meinen. ({2}) Ein Serbienkenner der Stiftung Wissenschaft und Politik, der nicht gerade im Verdacht steht, ein Freund der Kosovaren zu sein, hat dieser Tage öffentlich und deutlich gewarnt: Die Implementierung des so gelobten Abkommens könnte gar zu Gewalt und Toten führen, weil Radikale im Norden Kosovos gewaltsam gegen eine Implementierung des Abkommens vorgehen würden. Dabei wären, so die deutliche Warnung, unschuldige Zivilisten, aber auch KFOR-Soldaten in unmittelbarer Gefahr. Das überrascht überhaupt nicht. Seit Jahren blockieren Radikale, Nationalisten und organisierte Kriminalität die Bewegungsfreiheit von KFOR und EULEX im Norden Kosovos. Es bleiben angespannte Zeiten zwischen Serbien und Kosovo. In beiden Ländern sind die politischen Eliten - gelinde ausgedrückt - problematisch. Es gibt in beiden Ländern - weit verbreitet - Korruption, organisierte Kriminalität bis hin zu politischen Morden. Zu oft gibt es keine Verfolgung dieser Straftaten; wenn ja, dann geht es oft nach politischen Motiven und nicht nach Prinzipien des Rechtsstaates. Einen schlechten Ruf - auch das kann man nicht unerwähnt lassen - hat leider auch die EULEX im Kosovo. Dazu hat sie selbst beigetragen. Dieses Versagen strahlt inzwischen auch auf die EU ab. Die Autorität der EU vor Ort sinkt. Die KFOR-Truppen sind in Wahrheit die einzig wirkliche Autorität. Die Risiken sind also massiv, und sie bleiben massiv, selbst wenn wir sie verschweigen würden. Statt also zum falschen Zeitpunkt und viel zu früh Hurra zu rufen, müssen wir unumkehrbare Vereinbarungen, vor allem von Serbien, fordern, damit die Büchse der Pandora eben nicht aufgemacht wird, sondern ein für alle Mal geschlossen bleibt. Es darf keinen Persilschein geben, sondern wir stellen Bedingungen, die erfüllbar sein müssen, aber die dann auch erfüllt werden müssen. ({3}) Herr Ahtisaari, Friedensnobelpreisträger und derjenige, der das Abkommen im Kosovo zwischen Serbien und Kosovo vor einigen Jahren ausgehandelt hat, hat gesagt - ich zitiere -: Aber wir müssen sehr strikt sein. Wir dürfen niemandem erlauben beizutreten, der nicht alle nötigen Kriterien erfüllt. Wir sollten hier von früheren EUErweiterungen lernen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ahtisaari hat recht. ({4}) Wir tun also gut daran, klare Ansagen zu machen: Kommt nach Europa; denn ihr gehört zu Europa. Aber entscheidet euch für Europa! Macht unumkehrbar Schluss mit der unseligen nationalistischen Vergangenheit! Und zeigt auch, dass es nicht um das Geld der EU geht, sondern dass die Ideale wichtig sind! Denn man muss sich vorstellen: Ein fast bankrottes Land wie Serbien, das bisher über 2 Milliarden Euro an deutschen Steuergeldern erhalten hat, finanziert in einem Nachbarland illegale Strukturen mit bis zu 360 Millionen Euro, und zwar jährlich. Niemand darf sich täuschen: Wenn dieser Konfliktherd weiter schwelen wird, kann er sich noch einmal und mit viel Gewalt entzünden. Für uns muss gelten: Safety first. Die EU darf den größten Konfliktherd in Europa nicht länger kleinreden. Es darf nicht länger sein, dass um des lieben Friedens innerhalb der EU willen faule Kompromisse gemacht werden. Ziel ist ein dauerhafter Frieden auf dem Balkan. Solange der Frieden nicht stabil ist, bleiben KFOR und Co. in der Verantwortung. Das tun sie seit 14 Jahren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brand, achten Sie bitte auf die Zeit.

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür danken wir den Soldatinnen und Soldaten, und vor allen Dingen wünschen wir unseren Soldaten eine glückliche Hand, die sichere Rückkehr und Gottes Segen bei ihrer wichtigen Aufgabe. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses auf Drucksache 17/13955 zu dem An- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Vizepräsidentin Petra Pau Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 17/13661 anzunehmen. Wir stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, und möchte Sie un- terrichten, dass mir eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Hans-Christian Ströbele vorliegt. Wir nehmen diese Erklärung entsprechend un- seren Regeln zu Protokoll.1) Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir gleich noch zu weiteren Abstimmungen kommen. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich bitte diejenigen, die an den weiteren Verhandlun- gen und insbesondere an den folgenden Abstimmungen teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, damit es dem Präsi- dium möglich ist, die Abstimmungsergebnisse zweifels- frei festzustellen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13962. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge- gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hilfe und Unterstützung für alle Opfer von häuslicher Gewalt nach dem Gewaltschutzge- setz - Drucksachen 17/5069, 17/6685 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) zu dem An- trag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Effektive Unterstützung und Schutz bei Ge- walt gegen Frauen gewährleisten - Drucksachen 17/12850, 17/13960 - 1) Anlage 2 2) Ergebnis Seite 31375 C Berichterstattung:Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-BeckerMarlene Rupprecht ({1})- Sibylle Laurischk- Cornelia Möhring- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) - zu dem Antrag Marlene Rupprecht ({3}), Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und deren Finanzierung sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundrechte schützen - Frauenhäuser sichern - Drucksachen 17/1409, 17/259, 17/2070 Buchstaben a und c Berichterstattung:Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Marlene Rupprecht ({4})Nicole Bracht-Bendt Cornelia Möhring Monika Lazar Die Fraktion Die Linke hat zu der Antwort auf ihre Große Anfrage einen Entschließungsantrag eingebracht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. ({5})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der durch die Bundesregierung in Auftrag gegebene Lagebericht zur Situation des Schutz- und Hilfesystems bei Gewalt gegen Frauen hat gezeigt, in welch desolatem Zustand sich dieses zum Teil befindet, bezogen sowohl auf Strukturen als auch auf Ressourcen. In der Anhörung im Dezember des letzten Jahres wurde dieses Fazit durch die Vertreterinnen der Schutz- und Hilfseinrichtungen untermauert. In der Antwort auf die Große Anfrage zum Gewaltschutzgesetz hat die Bundesregierung darauf verwiesen, dass sie auf der Basis einer Bestandsaufnahme zur Lage des Hilfesystems bei häuslicher Gewalt beurteilen wird, ob und wie für alle gewaltbetroffenen Frauen eine angemessene Versorgung sicherzustellen ist. Trotz des Resultats des Lageberichts wie auch der Anhörung hat die Bundesregierung bis heute nicht gehandelt. ({0}) - Traurig, aber wahr. In ihrer Stellungnahme zum Lagebericht stellt die Bundesregierung selbst fest, dass es ein struktureller Nachteil sei - jetzt zitiere ich -, „dass die leistungsrechtliche Verortung der Hilfen für gewaltbetroffene Frauen zur Zeit überwiegend über Normen des Sozialrechts erfolgt … und nicht auf den individuellen Hilfebedarf bei Gewalterfahrungen“ zugeschnitten ist. In der Praxis sieht die Bundesregierung allerdings dennoch keinen Handlungsbedarf. In den letzten Jahren wurde immer wieder auf die fatale Situation sowohl der betroffenen Frauen als auch der Frauenhausmitarbeiterinnen hingewiesen, in welche diese durch die Tagessatzfinanzierung kommen. Es gibt bürokratische Hürden ohne Ende, und sie werden nicht abgebaut. Ich zitiere die Leiterin der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser, Frau Eva Risse, mit einer Antwort aus der Anhörung: Ich kann Ihnen einmal darstellen, welche Unterlagen man für einen Arbeitslosengeld-II-Antrag benötigt: ({1}) - Vielleicht sollten die Kollegen, die sich mit Anträgen zu Frauenhäusern nicht so gut auskennen, einmal zuhören; das ist nämlich hochinteressant. ({2}) Man braucht den Hauptantrag, die Anlage EK, die Anlage Kl, die Anlage UH 1, die Anlage UH 2, die Anlage VM, eventuell die Anlage BB, die Anlage KDU, die Anlage Vermittlung, den Bewerbungsbogen Teil 1 und 2, die Kontoauszüge der letzten drei Monate, die Anmeldung, den Sozialversicherungsausweis, den Nachweis über die Krankenversicherung, den Pass oder Personalausweis, Nachweise über Kontoeröffnung, über Einkommen und Vermögen, einen Nachweis über die Beantragung von Kindergeld, UVG-Leistungen, - Unterhaltsvorschussgesetz-Leistungen Unterhaltsansprüche müssen geltend gemacht werden, Elterngeld muss beantragt werden und, wenn man einen Anspruch auf BAföG oder Arbeitslosengeld I haben könnte, die entsprechenden Ablehnungsbescheide. Alle diese Unterlagen müssen für jede einzelne Frau und deren Kinder ausgefüllt, zum Amt gebracht und beschieden werden. Vielleicht haben Sie jetzt eine Vorstellung von dem bürokratischen Aufwand, dem die Frauenhausmitarbeiterinnen und die betroffenen Frauen ausgesetzt sind. Aber Sie sehen ja keinen Handlungsbedarf. Das Interesse hier ist auch mal wieder einzigartig. Das Einzige, was die Bundesregierung in dieser Wahlperiode für die von Gewalt betroffenen Frauen mit Anlaufschwierigkeiten auf den Weg gebracht hat, ist das bundesweite kostenlose Hilfetelefon. Das ist - das muss man zugestehen - eine gute Sache. Auf der Pressekonferenz am 3. Juni verkündete unsere Familienministerin Schröder - auch nicht da! -, „dass das Hilfetelefon die in das Angebot gesetzten Erwartungen erfüllt“. Bis zum Stichtag 29. Mai seien im Schnitt 220 Anrufe täglich eingegangen; sie hoffe, dass es noch mehr werden. Nun hoffen wir auch, dass sich mehr Frauen an dieses Hilfetelefon wenden, zum Hörer greifen und ihre Notsituation schildern. Aber was folgt dann? Es soll doch weitervermittelt werden. Was wollen Sie als Regierung machen, wenn dieses Angebot tatsächlich mehr Frauen erreicht und dazu bringt, Hilfe zu suchen? Das Schutzund Hilfesystem kann doch schon jetzt nicht alle Frauen auffangen. Wie sollen denn dann die erhöhten Zahlen durch die Frauenhäuser bewältigt werden? Was soll aus diesen Frauen werden? Handeln Sie endlich! Geben Sie von Gewalt betroffenen Frauen endlich einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe, also einen gesetzlich verankerten Anspruch! ({3}) Sorgen Sie dafür, dass diesen Frauen und ihren Kindern sicher, schnell, unbürokratisch und bedarfsgerecht Schutz und qualifizierte Hilfe zuteilwird! Erarbeiten Sie endlich einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der diesen Namen auch wirklich verdient! Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär für die Unionsfraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Regierung können wir feststellen, dass der Bund in den letzten vier Jahren überall da, wo er Verantwortung übernehmen konnte, dies auch getan hat. Diese Bundesregierung hat bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen also sehr viel erreicht. Was Sie so lapidar als einzige Maßnahme abtun, das muss man wirklich noch einmal herausstellen. Seit dem 1. März 2013 haben wir das Hilfetelefon für von Gewalt betroffene Frauen. Wir haben das so eingerichtet, dass es wirklich für jede einzelne Frau, die sich dahin wendet, funktionieren wird. Wir haben eine bundesweit einheitliche Rufnummer geschaltet. Unter der Rufnummer 08000 116 016 kann man anrufen und bekommt kostenlos, anonym und vertraulich Rat durch erfahrene Fachkräfte. Das Wichtigste für uns war dabei, dass jede Frau, die sich dahin wendet, egal ob sie der deutschen Sprache mächtig ist oder nicht, Hilfe bekommt. Es stehen nämlich Dolmetscherinnen zur Verfügung, die am Telefon zeitnah zugeschaltet werden können. Für uns ist dieses Hilfetelefon die erste wichtige anonyme Anlaufstelle. Sie hat Lotsenfunktion mit Blick auf die Erstberatung. Es geht darum, dass eine Frau, egal wo im Bundesgebiet sie wohnt, Hilfe bekommt und erfährt, wohin sie sich wenden kann. Deswegen sollen Betroffene informiert, auf die Unterstützungseinrichtungen vor Ort hingewiesen und gegebenenfalls auch dorthin vermittelt werden. Es reicht nicht aus, eine Einrichtung zu schaffen. Es ist wichtig, dass man sie auch bekannt macht. Wir haben also eine bundesweite Kampagne gestartet, um das Telefon bekannt zu machen und um allen Frauen nahezubringen, dass Gewalt gegen Frauen nicht toleriert wird, dass es Hilfe gibt. ({0}) Es gibt eine Zwischenbilanz. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob es gut ist, dass sich viele an Stellen wie das Hilfetelefon wenden, oder ob das schlecht ist. Aber die Zwischenbilanz hat ergeben, dass es bei dem Hilfetelefon innerhalb der ersten zwölf Wochen fast 19 000 Anrufe gab. Das sind mehr als 220 Anrufe täglich. Auf der einen Seite macht dies deutlich, dass das Angebot gut angenommen wird. Auf der anderen Seite wäre es schön, wenn es keinen einzigen Anruf gäbe, weil keiner notwendig wäre. Aber es sind nun einmal fast 19 000 Anrufe eingegangen, und wir versuchen, den Betroffenen mithilfe dieses Angebots individuell zu helfen. ({1}) Wir haben weiterhin - auch das ist dieser Bundesregierung zu verdanken - einen eigenständigen Straftatbestand für weibliche Genitalverstümmelungen geschaffen. Die Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes schätzt, dass in Deutschland ungefähr 24 000 Frauen von Genitalverstümmelungen betroffen sind. Aktuell sind immer noch 6 000 Frauen und Mädchen davon bedroht. Die körperlichen und psychischen Folgen sind immens. Deswegen wollen wir eine weitere Schärfung des Unrechtsbewusstseins der Öffentlichkeit. Es soll ein deutliches Signal an die betroffenen Frauen sein, dass wir auf ihrer Seite stehen, indem wir dieses Verbrechen als ein solches benennen, und auch die Eltern der gefährdeten Mädchen sollen wissen, dass die deutsche Gesellschaft hier nicht wegschaut. Auch das ist dieser Koalition zu verdanken. ({2}) Weiterhin trat am 1. Juli 2011 das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat in Kraft. Auch damit wollen wir betroffenen Frauen durch Regelungen helfen. Wir haben außerdem einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der es ermöglicht, dass Bordelle besser kontrolliert werden, um Zwangsprostitution und Menschenhandel einzudämmen. Damit korrigieren wir die unerträglichen Auswüchse des von Rot-Grün 2001 beschlossenen Prostitutionsgesetzes. ({3}) Denn es ist eine naive Annahme, dass alle Prostituierten selbstbestimmte Sexarbeiterinnen sind. Leider Gottes haben wir in Deutschland die Situation, dass jede Pommesbude besser kontrolliert wird als die Bordelle. ({4}) Deswegen kann man sagen: Manchmal ist gut gemeint noch lange nicht gut. Rot-Grün hat Deutschland leider Gottes zu einem Paradies für Zuhälter und Menschenhändler gemacht. ({5}) Dem setzen wir jetzt an dieser Stelle ein Ende. Zuletzt sei der Frauenhausbericht der Bundesregierung erwähnt. Es ist die erste umfassende sozialwissenschaftliche Untersuchung, die aufzeigt, was Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen alles leisten. Für viele Frauen und ihre Kinder ist die Flucht in ein solches Frauenhaus der letzte Ausweg. Frauen können zum Beispiel auch in einer Region, in der sie nicht leben, in ein Frauenhaus gehen. ({6}) Deswegen möchte ich meine heutige Rede auch dazu nutzen, allen, die dort hauptberuflich, aber auch jenen, die dort ehrenamtlich arbeiten, ein herzliches Dankeschön für ihre Arbeit in den Frauenhäusern in Deutschland auszusprechen. ({7}) Es gibt in den Ländern unterschiedliche Situationen. Das ist - leider - richtig, weil nicht alle Bundesländer ihrer Verantwortung gerecht werden. Manche Bundesländer, wie Bayern, haben zusätzliche finanzielle Unterstützung auf den Weg gebracht. So wurde 2009 in Bayern für die Frauenhäuser eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse um 13 Prozent durch das Land beschlossen. Leider kommt das Geld nicht immer an der richtigen Stelle an, weil man bei manchen Kommunen nicht immer gewillt ist, eine durch das Land bewilligte höhere Förderung weiterzugeben. Aber die Hauptverantwortung der Finanzierung liegt nicht beim Bund. Deswegen enthält der Bericht zur Situation der Frauenhäuser auch weitere Maßnahmen auf Bundesebene. Wir nehmen unsere Verantwortung in allen Politikfeldern sehr ernst. Für uns ist diese Politik, die sich mit der Gewalt gegen Frauen beschäftigt, nicht nur eine Politik, die in unserem Ausschuss und in unserem Ministerium angesiedelt ist. Deswegen möchte ich mich - das ist mein letzter Satz - ganz herzlich bei der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Frau Cornelia Pieper, bedanken, die am 28. Juni um 10 Uhr zu einer Podiumsdiskussion mit herausragenden, weltweit engagierten Frauen zum Thema „Gewalt gegen Frauen - gelebte und geduldete Wirklichkeit?“ in das Auswärtige Amt einlädt, weil es für sie gerade auch in der Außenpolitik ein wichtiges Thema ist. Deswegen, sehr geehrte Frau Staatsministerin, ein herzliches Dankeschön, dass Sie hier mit uns Hand in Hand kämpfen. Vielen Dank! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo“ bekannt: 553 Kolleginnen und Kollegen haben an der Abstimmung teilgenommen. Mit Ja haben 495 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 50, und 8 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 553; davon ja: 495 nein: 50 enthalten: 8 Ja CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({8}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Stephan Mayer ({9}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({10}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({11}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({12}) Anita Schäfer ({13}) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({14}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({15}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({16}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({17}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Vizepräsidentin Petra Pau Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({18}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({19}) Peter Weiß ({20}) Sabine Weiss ({21}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding ({22}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({23}) Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({24}) Gabriele Groneberg Michael Groß Bettina Hagedorn Klaus Hagemann ({25}) Hubertus Heil ({26}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h.c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({27}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({28}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({29}) ({30}) Annette Sawade Axel Schäfer ({31}) Bernd Scheelen ({32}) Werner Schieder ({33}) Ulla Schmidt ({34}) Carsten Schneider ({35}) Swen Schulz ({36}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({37}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Gerhard Drexler Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({38}) Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({39}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({40}) Michael Link ({41}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({42}) Burkhardt Müller-Sönksen ({43}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({44}) Cornelia Pieper Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Werner Simmling Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Dr. Florian Toncar Johannes Vogel ({45}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({46}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({47}) Volker Beck ({48}) Agnes Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({49}) Bärbel Höhn Vizepräsidentin Petra Pau Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Undine Kurth ({50}) Nicole Maisch Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Claudia Roth ({51}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner ({52}) Dr. Valerie Wilms Nein DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({53}) Kathrin Senger-Schäfer Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann fraktionsloserAbgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten SPD Klaus Barthel Petra Hinz ({54}) FDP Dr. h.c. Jürgen Koppelin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Monika Lazar Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Hans-Christian Ströbele Wir fahren in der Debatte zum Tagesordnungspunkt 12 fort. Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion. ({55})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei die- sem Tagesordnungspunkt behandeln wir a) die Große Anfrage der Linken zum Thema „Hilfe und Unterstüt- zung für alle Opfer von häuslicher Gewalt nach dem Ge- waltschutzgesetz“, b) die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Grünen mit dem Titel „Ef- fektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten“ und c) die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der SPD mit dem Titel „Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und deren Finanzierung sichern“ und zum Antrag der Grünen mit dem Titel „Grundrechte schützen - Frauenhäuser sichern“. Das ist das Thema dieser Debatte. Wenn wir über das Thema Prostitution hätten sprechen wollen, dann hätten wir dazu einen eigenen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt; denn dieses Thema nimmt genügend Raum ein. ({0}) Ich finde es nicht gut, wenn ein anderes Thema, das gesondert betrachtet werden muss, mit dem Thema Frauenhäuser vermischt wird. Manche Frauen, die ein Frauenhaus aufsuchen bzw. dort Zuflucht suchen, kommen vielleicht aus der Prostitution; das kann sein. Aber diese Frauen sind nicht die Hauptzielgruppe, wenn es um Frauenhäuser geht. ({1}) Vermischen Sie also bitte nicht die Themen! Das tut den Frauen nicht gut, und das tut vor allem uns nicht gut. ({2}) Eines möchte ich gerne sagen: Wenn wir bei manchen Themen an bestimmten Punkten nicht vorankommen, dürfen wir nicht lockerlassen. Es ist wichtig, dass wir immer wieder darüber reden. Auch über dieses Thema haben wir hier noch am 16. Mai dieses Jahres diskutiert. Wir haben in der Vergangenheit sehr viel getan. Wir müssen uns wahrlich nicht verstecken. Beim heutigen Besuch des PACE-Generalberichterstatters José Mendes Bota haben wir vorgetragen, was wir alles unternommen haben. Wir müssen uns, wie gesagt, nicht verstecken. Das gilt für alle in diesem Hause, die mit dazu beigetragen haben. Das gilt auch für die zuständige Abteilung im Ministerium, die sich seit Jahren hartnäckig mit diesem Thema beschäftigt. Deswegen ist es umso unverständlicher, dass wir es in einem Punkt nicht schaffen, voranzukommen: bei der Finanzierung von Frauenhäusern. Wir wissen, dass dieses Marlene Rupprecht ({3}) Vorhaben verfassungsrechtlich problematisch ist, weil es Bund-Länder-Kollisionen gibt. Aber es muss doch möglich sein, dass wir uns einigen. Dieses Thema gehört zur öffentlichen sozialen Daseinsvorsorge, genauso wie die Wasserversorgung in einer Gemeinde und die Kinderbetreuung auf kommunaler Ebene. All das betrifft die öffentliche soziale Daseinsvorsorge. Wir brauchen auch den Schutz vor Gewalt. Es ist ein Menschenrecht, Schutz vor Gewalt zu gewährleisten. ({4}) Wenn Frauen misshandelt werden und wir dies zulassen, ist sogar ein Straftatbestand erfüllt. Ich denke, unsere Ziele sind die gleichen: Wir wollen schnelle, unbürokratische und bedarfsgerechte Hilfe für alle von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder. Diese Hilfe muss barrierefrei zugänglich sein und in geeigneten Räumlichkeiten angeboten werden. Das gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Die Finanzierung muss gesichert sein, damit die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser nicht Tag um Tag bangen müssen, ob es im nächsten Monat weitergeht oder nicht. ({5}) Für diese Sicherheit müssen wir Politiker, die wir die Entscheidungen treffen, sorgen. ({6}) Es gibt eine zweite Baustelle, bei der wir nicht vorangekommen sind: die Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarates. In dieser Konvention ist exakt beschrieben, was wir zum Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt tun müssen. Wir müssen uns bei diesem Thema aber nicht verstecken. Vielmehr sollten wir deutlich machen, was wir alles getan haben. So haben wir zum Beispiel einen ersten und zweiten Aktionsplan auf den Weg gebracht. Wir haben im Laufe der Jahre durch kontinuierliche Befassung mit diesem Thema vieles erreicht. Allerdings frage ich mich: Wann ratifizieren wir endlich diese Konvention? Damit würden wir auch auf europäischer Ebene ein Zeichen setzen, nämlich das Zeichen, dass wir vorneweg marschieren und nicht hinterherhüpfen. ({7}) Ich denke, es ist wichtig, dass wir im nächsten Parlament Abgeordnete haben, die gerade auch bei schwierigen Themen die Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg suchen, damit sich etwas bewegt. Sonst bewegt sich nämlich nichts. Wir führen heute die Debatte zu einer prominenten Zeit: Es ist jetzt 18.59 Uhr. Wir haben auch schon zu späteren Zeiten debattiert oder gar nicht debattiert und die Reden zu Protokoll gegeben. Ich wünsche mir kämpferische Kolleginnen und Kollegen, die sich wirklich um dieses Thema kümmern; denn wir sind dabei noch nicht am Ziel. Ich wünsche mir aber auch - wenn ich einen Wunschkatalog anbringen darf - eine Entschleunigung von Politik: dass wir uns für Gesetze Zeit lassen. Außerdem sollten wir beispielsweise die Umsetzung einer EURichtlinie zum Menschenhandel oder zum Kinderhandel nicht dazu nutzen, etwas, was vor zehn oder elf Jahren gemacht wurde, zu ändern, ohne dass der dazugehörige Bericht vorgelegt wird. Wenn man Entscheidungen trifft oder später eine Revision durchführt, dann sollte man das Wissen, das man erarbeitet hat - Deutschland ist Weltmeister im Erforschen -, einfach auch nutzen. Der erste Schritt ist also, Berichte vorzulegen. Dann kann dieses Parlament zukünftig fach- und sachgerecht adäquate Entscheidungen unter Einbeziehung der Betroffenen treffen. Das wünsche ich mir, das wünsche ich Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen. Ich hoffe, dass Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, in der 18. Legislaturperiode, in der ich dem Bundestag nicht mehr angehören werde, genug Mut aufbringen, um dies gemeinsam voranzubringen. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Überschrift der heutigen Debatte lautet: Unterstützung für Opfer häuslicher Gewalt. Dazu liegt eine Vielzahl von Anträgen vor. Über allem steht natürlich das Thema Frauenhaus. Als ich vor elf Jahren in den Bundestag gewählt wurde, war „Gewalt gegen Frauen, familiäre Gewalt“ mein Thema, weil ich es als Anwältin vielfältig bearbeitet habe. Mein Impuls war immer, in diesem Bereich zu arbeiten. Ich stellte zu Beginn meiner Abgeordnetentätigkeit fest, dass sich der Bundestag damals im Jahr 2003 20 Jahre lang nicht mit dem Thema beschäftigt hatte; der letzte Bericht stammte aus dem Jahr 1983. Gemessen daran, haben wir in den vergangenen Jahren doch sehr viel gemacht, und zwar durchaus auch fraktionsübergreifend. Meine Fraktion und ich haben uns lange Zeit aus der Opposition heraus mit der Frauenhausfinanzierung befasst; wir haben Anhörungen durchgeführt und uns an der Frage der verfassungsmäßigen Zuständigkeit abgearbeitet. Leider ist es in den verschiedenen Legislaturperioden so gewesen - es ist nach wie vor so -, dass es in diesem Haus keine entsprechende Mehrheit für eine Zuständigkeit des Bundes für die Frauenhausfinanzierung zu geben scheint. Um daran etwas zu ändern, müsste die Verfassung geändert werden. Das ist nicht so einfach. Dennoch haben wir das Thema „Häusliche Gewalt, Gewalt in der Familie“ sehr ernst genommen und an einer Lösung der Probleme gearbeitet. Wir haben ein Bundeskinderschutzgesetz auf den Weg gebracht, wir haben den Einsatz von Familienhebammen ermöglicht, die dafür sorgen, dass Familien, die sich in einer schwierigen, stressigen, vielleicht auch gewaltbesetzten Situation befinden, lernen, gerade mit ihren kleinen Kindern gut umzugehen. Ich denke, das sind flankierende Maßnahmen, die im Kampf gegen familiäre Gewalt notwendig sind. Es sind die flankierenden Maßnahmen, die ich immer eingefordert habe. Dazu gehört also nicht nur die Finanzierung von Frauenhäusern, sondern sehr viel mehr. Ebenso haben wir in dieser Legislatur auch das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ auf den Weg gebracht. Es stand im Koalitionsvertrag, und wir haben gesagt: Das muss möglich sein, es muss finanziert werden können. - Das haben wir hinbekommen. Auch da waren anfänglich durchaus Widerstände vorhanden; denn es ist schon eine große Aufgabe, die das Ministerium zu stemmen hat, wenn ein solches Projekt auf den Weg gebracht werden soll. ({0}) Der Erfolg gibt uns recht. Wir haben bei diesem Hilfetelefon darauf geachtet, dass es ein Angebot auch für Migrantinnen ist. Gerade Frauen, die sich in Deutschland noch nicht so gut auskennen, die sprachliche Defizite haben und die Schwierigkeiten haben, um Hilfe nachzufragen, haben hier eine relativ einfache Möglichkeit, unbürokratisch konkrete Hilfe vor Ort zu finden, indem sie ihre Probleme in ihrer Sprache am Telefon benennen können. Das Hilfetelefon wird schon jetzt gut angenommen. In Zukunft wird es für die Arbeit gegen strukturelle Gewalt in der Familie große Bedeutung haben. Darüber hinaus sind noch andere Tatbestände zu nennen, die ausdrücklich unter Strafe gestellt werden, zum Beispiel die Zwangsheirat und die Genitalverstümmelung. ({1}) Dadurch wird klar: Gewalt, in welcher Form auch immer, wird in Deutschland nicht akzeptiert. Wenn Gewalt ausgeübt wird, dann wird dies strafrechtlich verfolgt. Ich komme nun auf die sehr spezielle Frage der vertraulichen Geburt zu sprechen, über die in der letzten Woche hier im Bundestag aufgrund geschäftsordnungstechnischer Mätzchen der Opposition leider nicht debattiert werden konnte. ({2}) Wir haben die gesetzlichen Grundlagen für die vertrauliche Geburt geschaffen. Wir bringen damit deutlich zum Ausdruck: Wenn schwangere Frauen in großer Not sind, eventuell unter familiärem Druck stehen, keine Aufenthaltsgenehmigung haben und einfach nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, dann stehen ihnen Angebote zur Verfügung, damit sie ihr Kind in einem geschützten Raum zur Welt bringen können. Dadurch ist auch der Schutz des Kindes gewährleistet; denn gerade unter der Überschrift „Opfer häuslicher Gewalt“ ist es wichtig, festzuhalten, dass es eben nicht nur um die Frauen geht, sondern auch um die Kinder, die ebenso Opfer und ebenso hilflos wie ihre Mütter sind. Es ist mir wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Thematik der vertraulichen Geburt vielleicht nicht sehr viele Frauen betrifft, aber sie betrifft Frauen in besonders großer Not. Für sie haben wir, die Bundesregierung und die Regierungskoalition, nun ein Angebot geschaffen, das sich sehen lassen kann. ({3}) Wir müssen uns weiterhin mit dem Thema häusliche Gewalt beschäftigen. Leider sind wir noch lange nicht am Ende. Dass sich dieses Problem nie ganz lösen lässt, das sei dahingestellt. Wir haben das Unsere getan. Ich wünsche mir, dass der nächste Bundestag an diesem Thema weiterarbeiten wird. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Monika Lazar.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die Vorrednerinnen der Koalition ihre Redezeit mit anderen Themen aufgefüllt haben, weil sie sonst hätten zugeben müssen, dass sie in dieser Wahlperiode auf dem Gebiet der Finanzierung von Frauenhäusern viel zu wenig erreicht haben. Anders kann ich mir das nicht erklären. ({0}) Ich kann die Wut des Kollegen Wunderlich durchaus nachvollziehen. Ich kann auch verstehen, warum Sie als Linksfraktion den Entschließungsantrag eingebracht haben; denn es ist einfach so: Es ist zu wenig passiert. Wir haben in den letzten Jahren häufig über diese Thematik diskutiert. Wir alle wissen genau: Oft ist ungeklärt, wie die Finanzierung von Frauenhäusern sichergestellt werden kann. Es ist schwierig, eine ausreichende Finanzierung hinzubekommen. Darin sind wir uns alle einig. ({1}) - Natürlich sind die Kommunen und die Länder zuständig, aber auch der Bund steht in der Pflicht; denn es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ({2}) den von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern zu helfen. ({3}) Wir wissen: Die rechtlichen und haushalterischen Schwierigkeiten sind groß, aber: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Allerdings scheint bei der Koalition kein politischer Wille vorhanden zu sein, sonst wären wir weitergekommen. ({4}) Richtig ist: Das Hilfetelefon ist freigeschaltet. Ich möchte daran erinnern, dass das Hilfetelefongesetz hier einstimmig verabschiedet wurde. Wir haben das Vorhaben unterstützt, und wir finden es nach wie vor gut. ({5}) Dagegen sagt auch niemand etwas. Aber was ist - Kollege Wunderlich hat das schon angemerkt -, wenn sich vermehrt Frauen melden? Die Erstberatung findet statt; das ist gut. Aber was ist, wenn sie an die örtlichen Strukturen verwiesen werden? Was ist, wenn das Frauenhaus sie nicht aufnehmen kann? Wenn die Beratungsstellen nicht jeden Tag offen haben, dann stehen die Frauen womöglich vor verschlossener Tür und haben das Nachsehen. Das kann es doch nicht sein. In dieser Wahlperiode wurde der Bericht vorgelegt. In dem Bericht wird dargelegt, dass das derzeitige Unterstützungsangebot unterfinanziert ist. Daher müssen wir uns überlegen, was wir dagegen machen wollen. In der Anhörung waren sich alle Sachverständigen einig: Es muss etwas getan werden. Aber - das ist bitter - es gibt keine Vorschläge der Koalition dazu. Das ist wirklich sehr traurig. Die Vorschläge der Opposition liegen vor. Wir haben vor vier Wochen über unseren zweiten Antrag in dieser Wahlperiode zu dieser Thematik beraten. Wir haben uns genau überlegt, wie wir mit dieser schwierigen Situation umgehen können. Zumindest hätte man zu diesem Thema eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wie in unserem Antrag vorgeschlagen, jetzt einrichten können, damit alle an einen Tisch kommen und sagen: Jeder trägt seinen Teil dazu bei; keiner muss alles finanzieren, aber jeder muss sich beteiligen; denn niemand ist mit dem Umstand, dass die Frauen unzureichend abgesichert sind, zufrieden. Heute liegen die Anträge zu dieser Thematik zur Abstimmung vor. In der Opposition sind wir uns zum Glück über die Richtung einig. Wir haben die Anträge mit Absicht so lange Zeit im Verfahren gelassen. Wir haben den Bericht abgewartet, und wir haben die Anhörung abgewartet. Ich persönlich habe immer gedacht, dass noch etwas passiert. Aber es ist leider nichts passiert, sodass wir über die Anträge heute abschließend beraten. Die Koalition hat leider nichts gemacht. Deshalb kann ich nur sagen: Wir müssen auf die nächste Wahlperiode setzen. Mit der Wahl werden sich die Mehrheitsverhältnisse ändern, und mit der neuen Bundesregierung werden wir auch diese Probleme lösen. Von daher machen wir in der nächsten Wahlperiode erfolgreich weiter. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Lazar, da Sie es so dargestellt haben, dass wir jetzt nicht über Ihren Antrag debattieren wollten ({0}) und deshalb unter diesem Tagesordnungspunkt verschiedene Themen ansprechen würden, muss ich sagen, dass das schlicht falsch ist. Heute Abend gehen ungefähr 40 Punkte zu Protokoll. Wir können froh sein, dass wir über dieses Thema noch einmal so ausführlich reden können. ({1}) Ich bin froh, dass wir über den gesamten Themenkomplex Gewalt gegen Frauen sprechen können; denn es sind wirklich wichtige Themen dabei. Das wird deutlich, wenn man sich die Zahlen anschaut: Vier von zehn Frauen haben seit ihrem 16. Lebensjahr schon einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Angesichts dessen finde ich es wichtig, dass wir über den ganzen Themenkomplex sprechen. ({2}) Wir haben das Thema Gewalt gegen Frauen in dieser Legislaturperiode zum Schwerpunktthema unserer Frauenpolitik gemacht. Wir konnten einige Verbesserungen für die Frauen erreichen. Da ist zum einen das neu eingerichtete Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen; es ist bereits erwähnt worden. Es ist seit März im Einsatz. Es kostet viele Millionen Euro, aber das Geld ist, wie ich glaube, sehr gut angelegt. Das Telefon ist 24 Stunden am Tag besetzt und gebührenfrei. Die Anruferin kann anonym bleiben. Die Berater sprechen mehrere Sprachen. Die Nummer 08000 116 016 wird mittlerweile an vielen Orten beworben. Ich habe sie Nadine Schön ({3}) im Internet und auf verschiedenen Druckerzeugnissen gesehen. Man kann sie zukünftig auf Türen von öffentlichen Toiletten lesen. Überall, wo Menschen sind, wird auf diese Nummer hingewiesen. Das ist eine gute Sache. Durch diese Nummer werden vor allem die Frauen erreicht, die von Gewalt betroffen sind, die aber vielleicht aus kulturellen, aus persönlichen, aus körperlichen oder sprachlichen Gründen eben nicht den Weg zu Beratungsstellen finden oder nicht direkt ins Frauenhaus gehen. Es geht um Frauen mit Migrationshintergrund, um Frauen mit Behinderung und durchaus auch um Opfer von Zwangsprostitution. Das, was Frau Rupprecht über diese Frauen gesagt hat, fand ich nicht angebracht. - Wo ist Frau Rupprecht eigentlich? ({4}) - Ach so, sie sitzt als Schriftführerin hinter mir. ({5}) - Die Perspektive zu wechseln, kann manchmal nicht schaden. ({6}) Frau Rupprecht, ich fand es schade, dass Sie gesagt haben, dass Opfer von Zwangsprostitution eigentlich nicht zur Zielgruppe der Frauenhäuser gehören. Ich finde, gerade Opfer von Zwangsprostitution gehören durchaus zur Klientel der Frauenhäuser. ({7}) Das Hilfetelefon ist eine wichtige Verbesserung. Eine weitere Verbesserung ist, dass wir die Strafverfolgung intensiviert haben. In der polizeilichen Grundausbildung ist das Thema häusliche Gewalt mittlerweile fester Bestandteil. Es gibt viele Fortbildungen in dem Bereich, was sehr wichtig ist. Wir haben auch den rechtlichen Schutz verbessert. Der Straftatbestand der Genitalverstümmelung ist schon erwähnt worden. Sie wird jetzt unter Strafe gestellt. Auch die Zwangsheirat ist ein Straftatbestand und wird ebenfalls unter Strafe gestellt. Beides sind wichtige Meilensteine, die in dieser Legislaturperiode gesetzt wurden. ({8}) Wir beraten aktuell das Gesetz zum Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es ist leider so, dass wir in Deutschland diesbezüglich die laschesten Gesetze haben und dass es in Deutschland die meisten Prostituierten gibt. Wer die Reportage in der ARD am Montag gesehen hat, der hat wirklich sehr eindrücklich erfahren können, dass sich diese Frauen in problematischen Situationen befinden. Das ist leider die Konsequenz aus der Liberalisierung, die 2002 unter Rot-Grün beschlossen wurde. Ich weiß, dass es gute Absichten waren, die dahinterstanden, aber man muss der Realität ins Auge sehen und erkennen, dass die Liberalisierung zu Entwicklungen geführt hat, die nicht gut sind. An einer Verbesserung müssen wir gezielt arbeiten - auch im Interesse der Frauen. ({9}) In einem ersten Schritt wollen wir, dass die Bordelle stärker kontrolliert werden ({10}) und dass den Ordnungsämtern die Möglichkeit gegeben wird, Auflagen und Einschränkungen zu machen und die Kontrollen zu verstärken. Für meine Fraktion muss ich auch sagen: Das reicht uns noch nicht, hier müssen wir noch mehr tun. Auch im Aufenthaltsrecht und im Prostitutionsgesetz muss noch einiges getan werden. ({11}) Auch die Länder stehen in der Verantwortung, etwa wenn es um die Flatrate-Bordelle geht. Da können die Länder ihren Beitrag zur Verbesserung der Situation der Frauen leisten. ({12}) Schließlich noch ein Satz zu den Frauenhäusern. Frau Lazar, Sie haben gesagt, es werde einen Wechsel in der Regierung geben. Selbst wenn das passiert, würden sich die Zuständigkeiten, die durch die Verfassung gegeben sind, leider nicht ändern. Für die Frauenhäuser sind nun einmal die Länder zuständig. Es ist eine schwierige Situation, weil auch die Kommunen Geld geben und der Bund über die Sozialgesetzgebung beteiligt ist. So haben wir eine Mischzuständigkeit. Die führt - das ist leider so - sehr oft zu Unsicherheiten und dazu, dass die Situation der Frauenhäuser sehr unterschiedlich ist. Ich bin skeptisch, ob das Problem durch eine reine Bundeszuständigkeit gelöst werden kann. ({13}) Zumindest finanziell geht es einigen Frauenhäusern sehr gut. Ob es denen immer noch so gutgehen wird, wenn der Bund dann alle über einen Kamm schert, weiß ich nicht. Klar ist, dass man hier Wege finden muss, um die Situation der Frauenhäuser zu verbessern. Es gab ein entsprechendes Gutachten, es gibt auch Gespräche. Ich bin mir sehr sicher, dass in der nächsten Legislaturperiode die verschiedenen Partner - Bund, Länder und Kommunen - zusammenkommen und ganz konkrete Schritte unternehmen. Ich will zum Schluss meiner Rede all denjenigen ganz herzlich danken, die sich in dieser Legislaturperiode für all diese Themen in den unterschiedlichsten Ausschüssen eingesetzt haben, auch unserer Berichterstatterin Elisabeth Winkelmeier-Becker und den Vertretern des Ministeriums, die sich sehr intensiv für das Thema Gewalt gegen Frauen engagiert haben. Ich bedanke mich Nadine Schön ({14}) vor allem bei denen, die in den Hilfsorganisationen, in den NGOs, in den Frauenhäusern und in den Beratungsstellen tagtäglich vor Ort mit diesem Thema zu tun haben. Vielen Dank für die wertvolle Arbeit, die hier geleistet wird! ({15}) Ich bin mir sicher, dass auch in der nächsten Legislaturperiode das Thema Gewalt gegen Frauen uns - leider beschäftigen wird und dass die Politik hier ihre Verantwortung wahrnehmen wird. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion der SPD hat nun Aydan Özoğuz das Wort. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in der kurzen Zeit nur noch einen Punkt hierzu anmerken. Frau Schön, Sie haben es gerade angesprochen: Leider handelt die Bundesregierung bei diesem Thema häusliche Gewalt durchaus widersprüchlich. Ich möchte das Beispiel des 2011 verabschiedeten Gesetzes gegen Zwangsheirat nennen. Das wurde im Rahmen der Aufenthaltsgesetzgebung beschlossen, in der auch viele gute Punkte enthalten waren. Aber ich möchte dieses Gesetz nennen, weil darin der Schutz der Opfer nicht ausreichend gestärkt wurde. Verheerend daran war ja, dass die Ehebestandszeit, also die Zeit, die vergangen sein muss, bevor ein ausländischer Ehepartner ein eigenständiges Bleiberecht bekommt, sehr willkürlich von zwei auf drei Jahre erhöht wurde. Unter dem Strich hat die Regierung damit bewirkt, dass, wenn es ein Gefängnis Zwangsehe gibt, dieser Zustand sogar noch um ein Jahr verlängert wird. Das kann man nun wirklich nicht als Schutz für die Frauen, die betroffen sind, bezeichnen. ({0}) Außerdem müssen die Opfer von Zwangsheiraten - das möchte ich noch hinzufügen - auch selber die Beweise für die Gewalt erbringen. Oftmals sind sie nicht in der Lage, dies zu beweisen. Sie müssen es aber dokumentieren, auch wenn sie Angst vor dem Partner oder seinen Familienangehörigen haben. An der Stelle - das muss man festhalten - haben Sie es den Opfern deutlich erschwert. Ich möchte jetzt gerne meine übrige Redezeit nutzen, um im Namen der gesamten Arbeitsgruppe einen ganz herzlichen Dank an unsere Kollegin Marlene Rupprecht, die mir gerade als Schriftführerin links im Nacken sitzt, auszusprechen. Dies war voraussichtlich ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Für den 18. kandidiert sie nicht mehr; das hat sie eben selber gesagt. Wer sie kennt, der weiß, dass sie auch nach ihrer Zeit im Bundestag sicher nicht in den sogenannten Ruhestand gehen wird. Das ist bei ihr unvorstellbar. ({1}) Sie war hier in unserem Haus und im Europarat seit 1996 eine unermüdliche Kämpferin für die, die keine große Lobby hatten. Als jahrelanges Mitglied der Kinderkommission hat sie sich für die Rechte der Kinder eingesetzt. Sie hat für Frauen in Notsituationen gekämpft. In Fürth hat sie ein Frauenhaus gegründet. Sie ist Vorsitzende des Kuratoriums der Elly-Heuss-KnappStiftung, also des Deutschen Müttergenesungswerkes. Sie hat für die Contergan-Opfer gestritten, für die Kinder und Jugendlichen, die in staatlichen Heimen Opfer von Gewalt und Willkür wurden. Sie hat sich für die Rechte der Opfer von sexuellem Missbrauch eingesetzt, also für die, die keine laute Stimme hatten. So mancher Runde Tisch hätte ohne sie vermutlich ein weniger gutes Ergebnis gehabt. Wer sie gut kennt, weiß, dass sie in ihrer Handtasche stets eine kleine Ausgabe der UN-Kinderrechtskonvention dabei hat, die sie auch manchmal herausholt, um daraus zu zitieren. Liebe Marlene, dir gebühren unser herzlicher Dank und eine ganz große Anerkennung für das, was du hier geleistet hast. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Diesem Dank schließt sich offensichtlich das ganze Haus an und natürlich auch das Präsidium. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13905. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. CDU/CSU und FDP haben dagegen gestimmt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13960, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12850 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren gemeinsam dagegen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Frauen und Jugend auf Drucksache 17/2070, Buchstaben a und c. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1409 mit dem Titel „Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und deren Finanzierung sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Dafür waren die Koalitionsfraktionen, dagegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/259 mit dem Titel „Grundrechte schützen - Frauenhäuser sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung- 17. Legislaturperiode - Drucksache 17/13674 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus ({0})Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und Medien Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung ergreift das Wort der Kollege Ernst Burgbacher. ({1})

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie, dass ich vorab zu dem aktuellen Thema Hochwasser etwas sage. Das Hochwasser hat gerade den Tourismus ganz empfindlich getroffen; denn touristische Einrichtungen sind in aller Regel in Flussnähe. Die Lage vieler Betriebe, die wegen des völlig verkorksten Wetters sowieso schon in großen Schwierigkeiten waren, wird jetzt bedrohlich. Deshalb wird die Bundesregierung mit ihrer Soforthilfe alles tun, um Betrieben sehr schnell zu helfen. ({0}) Der Zehn-Punkte-Plan, den Minister Dr. Rösler vorgelegt hat, zeigt, wie wir zum Beispiel auch mit entsprechenden Maßnahmen der KfW, die schon wirken, passgenau helfen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das große Problem ist, dass viele Menschen jetzt meinen, sie müssten Reisen und Übernachtungen stornieren. Deshalb bitte ich Sie und alle, die uns zuhören, den Menschen zu sagen: Man kann überall hinfahren, man kann überall Urlaub machen, es gibt überhaupt keinen Grund, diese Gebiete jetzt zu meiden. - Das müssen wir den Menschen sagen. ({1}) Die Bundesregierung hat in diesen Tagen ihren Tourismuspolitischen Bericht mit der Bilanz der letzten vier Jahre vorgelegt. Ich kann mit berechtigtem Stolz sagen: Wir haben in dieser Legislaturperiode wirklich eine Menge für den Tourismus in Deutschland erreicht. Wir haben den Blick dafür geschärft, dass der Tourismus eine Wachstumsbranche ist. Wir haben unsere wachsende Beliebtheit in der Welt als freundliches Reiseland für eine neue Willkommenskultur in unserem Land genutzt. Wir haben uns außerordentlich starkgemacht für Barrierefreiheit im Deutschlandtourismus: Jeder soll unsere Infrastruktur nutzen können; auch das bedeutet „Willkommenskultur“. ({2}) Wir haben die ländlichen Räume im Deutschlandtourismus gegenüber den ohnehin attraktiveren Städten aufgewertet, indem wir den touristischen Leistungsträgern auf dem Land konkrete Hilfen bei Qualität, bei Innovation und beim Marketing an die Hand gegeben haben ein zentrales Projekt, das heute schon große Erfolge zeigt. Meine Damen und Herren, entgegen allen Unkenrufen hat sich die Senkung der Mehrwertsteuer für die Hotellerie als äußerst erfolgreiches Investitions- und Modernisierungsprogramm für die deutsche Hotelbranche erwiesen. In diesem Haus hört man immer Unkenrufe, draußen geben Vertreter aller Parteien zu: Das war ein Riesenerfolg. ({3}) Wir haben geeignete Strategien zur Gewinnung von Fachkräften entwickelt und verfolgen im Augenblick schon ganz konkrete Ansätze. Wir haben die internationale Dimension des Tourismus gestärkt. Ich habe mich persönlich stark dafür eingesetzt, dass beim Treffen der G 20 zum ersten Mal der Tourismus gewürdigt wurde und Perspektiven für die Entwicklung des Tourismus in das Abschlusskommuniqué aufgenommen wurden. Das ist ein großer Erfolg. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Tourismus in Deutschland läuft rund; das zeigt der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung 2013. Der Tourismus ist ein ökonomisches Schwergewicht, er ist ein Jobmotor in Deutschland: 2,9 Millionen Erwerbstätige sind direkt im Tourismus beschäftigt; das sind 7 Prozent aller Erwerbstätigen. Die Bruttowertschöpfung liegt bei fast 100 Milliarden Euro. Das sind gute Zahlen. Reisende verwenden 280 Milliarden Euro für den touristischen Konsum. 20 Prozent davon betreffen übrigens Geschäftsreisen. In diesem Bereich sind wir sehr stark. Wir sind das Kongress- und Messeland Nummer eins in Europa. Das zeigt, dass die Rahmenbedingungen richtig gesetzt wurden. Mit über 407 Millionen Gästeübernachtungen wurde dieses Jahr zum ersten Mal die 400-Millionen-Grenze überschritten. ({5}) Ich will hier sagen: Wir sind stolz auf „Made in Germany“. Aber auch „Holiday in Germany“ steht hoch im Kurs. Die Dynamik ist mit 8 Prozent Zuwachs bei Übernachtungen von Menschen aus dem Ausland wirklich enorm. Damit konnte Deutschland im Vergleich zum europäischen und weltweiten Durchschnitt doppelt so stark zulegen. Darauf können wir wirklich stolz sein. ({6}) Das ist auch ein Verdienst der Deutschen Zentrale für Tourismus, deren Mittel wir noch einmal erhöht haben und die in der Welt hervorragende Arbeit für den Standort Deutschland macht. Auch dies trägt mit dazu bei, dass immer mehr Menschen aus der ganzen Welt zu uns kommen. Jetzt gilt es, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Hier gibt es viele Dinge. Ich denke an die Sommerferienregelung. Ich denke aber auch an Verbesserungen bei der Visapolitik. In diesem Bereich haben wir vieles gemacht und arbeiten aktuell noch weiter daran. Manchmal muss man auch Dinge verhindern. Ich bin zum Beispiel froh, dass wir den Hygiene-Smiley verhindert haben. Das hätte keine zusätzlichen Informationen gebracht, aber eine gewaltige Bürokratie. ({7}) Tourismus ist eingebettet in die allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Dass wir so gut sind, dass wir Wachstum haben, dass wir fast Vollbeschäftigung, eine geringe Arbeitslosigkeit und eine Steigerung bei den verfügbaren Einkommen haben, wirkt sich natürlich im Tourismus unmittelbar aus. Deshalb ist die erfolgreiche Wirtschaftspolitik dieser Regierung mit ursächlich für die tollen Zahlen im Tourismus; auch das darf man sagen. ({8}) - Das ist kein Selbstlob, lieber Kollege Hacker. Schon Wilhelm Busch hat sehr treffend gesagt: Froh schlägt das Herz im Reisekittel,Vorausgesetzt, man hat die Mittel. Genau das ist der Punkt. Es waren gerade im Bereich Tourismus vier gute Jahre für Deutschland. ({9}) Ich bin sehr stolz darauf, dass ich daran ein Stück weit mitwirken durfte. Ich habe 15 Jahre für den Tourismus gewirkt. Ich habe mich entschieden, nicht mehr zu kandidieren. Ab November werde ich die guten Rahmenbedingungen nutzen und selbst dafür sorgen, dass die Zahlen weiter nach oben gehen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen, vor allem bei denen des Tourismusausschusses, ganz herzlich bedanken. Wir hatten immer eine tolle Atmosphäre, überall ein gutes Vertrauensverhältnis. Herzlichen Dank dafür. Ich blicke mit Freude auf diese Zeit zurück und freue mich auf neue Herausforderungen. Ich freue mich aber vor allem darauf, dass es mit dem Tourismus weiter steil nach oben geht. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Burgbacher, auch Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlichen Dank für Ihre engagierte Arbeit. Wir freuen uns natürlich sehr, dass Sie sich jetzt auf andere Weise dem Tourismus widmen wollen. Wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg, Freude und Heiterkeit. ({0}) Ich gebe für die SPD-Fraktion dem Kollegen HansJoachim Hacker das Wort. ({1})

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen einen herzlichen Gruß an die Besuchergruppe aus meinem Wahlkreis. Lieber Ernst Burgbacher, auch vonseiten der SPD ganz herzliche Wünsche für die künftige Zeit. Du warst immer ein verlässlicher, kollegialer Partner. Wir werden dich hier vermissen. Wir wünschen dir eine gute Zeit, vor allen Dingen Gesundheit, und natürlich auch eine gute rot-grüne Tourismuspolitik in der nächsten Legislaturperiode. ({0}) - Das wird schon eintreten, Herr Liebing. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, so viel zur Vorrede. Die Bundesregierung hat auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode den Tourismuspolitischen Bericht vorgelegt. Darüber können wir heute noch einmal diskutieren. Der Bericht spiegelt viele positive Daten wider, die Herr Staatssekretär Burgbacher teilweise schon vorgetragen hat. Sie nochmals zu nennen, will ich mir ersparen, weil andere Kolleginnen und Kollegen diese Zahlen möglicherweise auch noch einmal zitieren. Die Wertschöpfung beträgt 97 Milliarden Euro. Das sind 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vergleicht man diese Branche mit anderen Branchen, zum Beispiel mit der Automobilindustrie, dann kann man zu dem Ergebnis kommen: Wenn über den Tourismus in Deutschland wöchentlich so viel in den Zeitungen stünde wie über Volkswagen, über Mercedes oder über andere deutsche Spitzenmarken, dann wären wir wohl noch zufriedener. Das heißt, wir in der Politik müssen noch mehr tun, damit der Tourismus in Deutschland öffentlich noch besser wahrgenommen werden kann. Denn hier findet Beschäftigung statt, hier findet Wertschöpfung statt. Viele Deutsche machen zunehmend in Deutschland Urlaub; mehr Ausländer kommen zu uns. Ich sage an dieser Stelle auch: Hoffentlich kommen bald auch mehr Ausländer in die neuen Länder. Insoweit bestehen noch Defizite. Diese haben unterschiedliche Ursachen, auf die ich hier nicht eingehen kann. Herr Staatssekretär, wir sind uns in einem Punkt völlig einig: Den Opfern der Flut an Elbe, Mulde, Saale und Donau muss geholfen werden. Da gibt es keinen Streit zwischen uns. Wir haben in dieser Woche im Tourismusbeirat darüber gesprochen. Heute hat es hier in Berlin eine Beratung mit den Ländern darüber gegeben. Das, was im Moment als Soforthilfe zur Verfügung steht, reicht - wir wissen es alle - längst nicht aus. Gestern war der Präsident des Deutschen Bauernverbandes im Ausschuss. Er nannte eine dreistellige Millionenzahl allein für den Bereich der Landwirtschaft. Wir wissen, was noch hinzukommt: Handel, Gewerbe, privates Eigentum. Wir werden also eine so große Anstrengung machen müssen wie 2002, und das wird Deutschland auch leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland präsentiert sich gut im Bereich des Tourismus. Ich denke an unser Aushängeschild, die ITB. Wir müssen alles tun, damit diese gute Präsentation fortgesetzt wird. Lobhudelei allein hilft in keinem Lebensbereich weiter, auch nicht in der Politik. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, müssen wir jetzt einmal über das Eingemachte reden, müssen wir über Dinge reden, die wir gemeinsam verbessern müssen und bei denen die Bundesregierung in den letzten vier Jahren auch ein bisschen mehr hätte zeigen können, Herr Burgbacher. Ich nenne insbesondere den Bereich Ausbildung und Arbeit im Gastgewerbe. Das sind Dinge, die den Menschen auf den Nägeln brennen, die den Unternehmen auf den Nägeln brennen. Manche sprechen heute mit einem Mal von Fachkräftemangel. Das hätte man eigentlich schon vor 16 Jahren hochrechnen können. Wer vor 16 Jahren nicht geboren wurde, kann heute die Schule nicht verlassen. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Deswegen wundert es mich manchmal schon, dass jetzt aus heiterem Himmel eine Diskussion über fehlende Fachkräfte geführt wird. Ich denke aber, wir müssen den Finger noch tiefer in die Wunde legen und fragen: Wie finden Ausbildung sowie Beschäftigung nach der Ausbildung insbesondere im Bereich der Gastronomie und der Hotellerie in Deutschland statt? Wie werden junge Leute in den Schulen auf die Ausbildung vorbereitet? Wie ist eigentlich die Entlohnung insbesondere in den Bereichen Gastronomie und Hotellerie? Das sind nämlich die Bereiche, in denen die meisten Probleme bestehen. Ich sage: Hier besteht großer Nachholbedarf. Es kann nicht richtig sein, dass ungefähr 40 Prozent der Auszubildenden, die ihre Ausbildung im Bereich der Gastronomie und Hotellerie beginnen, diese abbrechen. Das ist ein Skandal. Das betrifft die jungen Leute, die Unternehmen, aber genauso die Gesellschaft. Hier wird Zeit und hier wird auch Geld verschwendet. Die hohe Zahl der Fachkräfte, die später nicht im Beruf bleiben, ist alarmierend. Vor zwei Wochen war ein Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit im Tourismusausschuss. Die Zahl der Köche auf dem Arbeitsmarkt, die in Wirklichkeit nicht mehr in diese Branche zurückwollen, alarmiert uns allesamt. Hier muss mehr getan werden, und hier müssen Antworten gegeben werden. Die Antworten müssen zuallererst von der Branche selbst gegeben werden. Sie muss eine bessere Vorbereitung auf die künftige Ausbildung leisten, und sie muss auch ordentlich entlohnen. Ordentliches Entlohnen bedeutet für uns die Zahlung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Herr Brähmig. Das ist unser Ziel. ({1}) - Da können Sie noch so viel mit dem Kopf schütteln. Wir haben das unter Rot-Grün begonnen und in der Großen Koalition fortgesetzt. Wir brauchen in Deutschland einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Ich wundere mich darüber, dass sich Vertreter aus der Branche über den Fachkräftemangel beklagen, aber gleichzeitig Mindestlöhne ablehnen. Ich habe mir von einer Gewerkschaft einmal eine Tarifübersicht zu den Löhnen im Hotel- und Gaststättengewerbe geben lassen. Diese Übersicht enthält auch Stundenlöhne von unter 7 Euro, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg. Aber auch im Saarland beträgt der Stundenlohn nur 7,68 Euro. Diese Zustände können und dürfen wir nicht akzeptieren. Deswegen appelliere ich hier an die rechte Seite des Hauses. ({2}) - Die Tarifautonomie, Herr Kollege Fuchs, hat in diesem Bereich ja nicht funktioniert. ({3}) Das war ja unsere Überlegung in den 90er-Jahren. Weil das dort nicht funktioniert hat, brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn. Wir haben das doch auch schon gemacht: Es gibt doch gesetzliche Mindestlöhne in neuen Branchen. ({4}) Wir werden das auch weiter so machen, weil das notwendig ist. Wir wollen, dass menschliche Arbeit anerkannt wird und dass die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland nicht ausgehöhlt werden. Wir wollen die Widersprüche im Wettbewerb beseitigen, die durch solche Lohndrückereien entstehen. Das ist ganz wichtig. ({5}) Die SPD will, dass prekäre Arbeitsverhältnisse, Schwarzarbeit und vor allen Dingen auch die Verletzung des Jugendschutzes in Unternehmen endlich ein Ende haben. Das spielt in der Hotel- und Gastronomiebranche eine Rolle. Wer die Branche kennt, weiß, wovon ich rede. Ich rede nicht von allen, aber ich rede von den schwarzen Schafen, und das muss hier benannt werden. Lieber Kollege Burgbacher, es reizt mich, hier auch noch ein Wort zur Steuerpolitik zu sagen. Sie loben die Absenkung der Mehrwertsteuer im Bereich der Hotellerie; dieses Loblied habe ich mehrfach gehört. Warum haben Sie sie eigentlich nicht auch für die Gastronomie gesenkt? Ihr Kollege Finanzminister musste ein sechsseitiges Papier schreiben, damit man Ihre Steuerregelung in der Branche überhaupt anwenden konnte. Das nenne ich Bürokratieabbau im wahrsten Sinne des Wortes. ({6}) Wir haben ja nicht nur Gewerkschaften oder uns nahestehende Organisationen befragt, sondern wir haben auch die Bankenwirtschaft befragt, was sie dazu sagt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie sind am Ende Ihrer Redezeit angekommen.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich habe eigentlich noch drei Seiten; aber ich sehe schon, Sie geben mir heute nicht die Chance. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen will ich meine Rede mit einem guten Wunsch und damit beenden, zu sagen, dass man die Tourismuspolitik der Bundesregierung nicht alleine mit Hochglanzbroschüren beschreiben kann, sondern sich auch den eigentlichen Problemen widmen muss. - Ich sehe, dafür haben Sie Verständnis. Herzlichen Dank und alles Gute. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hacker, wir arbeiten wirklich schwer daran, dass die neue Bundesregierung wie die alte Bundesregierung heißt. ({0}) Zum Hochwasser. Bedauerlicherweise hat der bayerische SPD-Spitzenkandidat Ude ({1}) unserem Ministerpräsidenten Seehofer Hochwassertourismus vorgeworfen. ({2}) Dabei hat er nichts anderes als seine Pflicht getan und, wie es sich für einen Regierungschef geziemt, Verantwortung für sein Land gezeigt und sich gekümmert. Nun aber zu unserer Debatte. Ich finde es klasse, dass wir heute den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch debattieren; denn wir haben Anträge eingebracht, Initiativen gestartet, Kongresse organisiert, Gesetze angeschoben und beschlossen. Ein wichtiges Gesetz ist für mich beispielsweise das Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr. ({3}) Ich bin überzeugt, dass das Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung an Akzeptanz gewinnen und sich bewähren wird, wie das in den Bereichen Bahn, Bus und Schiff längst der Fall ist. ({4}) Tourismuspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, aber auch Ländersache. Das heißt, die konkrete Planung, die Entwicklung und die Förderung liegen in der Verantwortung der Bundesländer. Der DTV, der Deutsche Tourismusverband, übernimmt hier sicherlich eine wichtige beratende Rolle. Wir als Bund sind zuständig für die Verbesserung der Rahmenbedingungen, aber auch für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit. Eines der wichtigsten Projekte, das wir in dieser Wahlperiode gestartet haben, war zweifellos das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“. Aus viel Kleinarbeit und fachlicher Zuarbeit ist ein Arbeitspapier entstanden, das modellhafte Lösungswege aufzeigt und in diesem Fall auch größtmögliche Praxisnähe aufweist. ({5}) - Lieber Kollege, es ist ein Arbeitspapier entstanden, zu dem ich sagen kann: Diejenigen, die es nicht gelesen haben, kritisieren es. Diejenigen aber, die es gelesen haben, sagen: Klasse, Frau Mortler, klasse, Bundesregierung, endlich ein Arbeitspapier, das wir zu Hause umsetzen können. ({6}) Wir wollen, dass die Betriebe beständig an der Qualitätsschraube drehen und weiter an Profil gewinnen. Außerdem wollen wir, dass die Landestourismusorganisationen mit Tourismusvermarktern neue Kooperationslösungen suchen und zur Professionalisierung der Leistungsträger beitragen. Weiterhin wollen wir, dass wir Bundespolitiker für optimale Rahmenbedingungen von der Infrastruktur bis hin zur Förderstruktur sorgen. ({7}) Dazu habe ich heute ein Gespräch mit der Landwirtschaftlichen Rentenbank geführt. Ich finde es klasse, dass man sich jetzt in unsere Richtung bewegt und unter dem Titel „Leben auf dem Land“ verstärkt auf Finanzierungen für Tourismusprojekte im ländlichen Raum setzt. ({8}) Ich verweise außerdem darauf - das ist viel zu wenigen bekannt -, dass die Landwirtschaftliche Rentenbank schon seit vielen Jahren den Kommunen in den ländlichen Räumen attraktiv, unbürokratisch und schnell tagesaktuelle Finanzierungsmöglichkeiten anbietet. Meine Damen und Herren, Staatssekretär Burgbacher hat die Wirtschaftskraft der Tourismusbranche sehr gut aufgezeigt. Betrachtet man die Konsumausgaben, die in unserem Lande in diesem Bereich zustande kommen, dann reden wir zusätzlich von 280 Milliarden Euro. Dazu tragen vom ADAC bis hin zur Willy-ScharnowStiftung viele Akteure bei. Auf Bundesebene sorgen 70 relevante Akteure für Vielfalt im Deutschlandtourismus. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband ist sicherlich ein wichtiger Spieler. Es gibt 2,9 Millionen Arbeitsplätze in der Branche insgesamt. Im Hotel- und Gaststättenbereich haben 1,7 Millionen Beschäftigte ihr Ein- und Auskommen. Ich begrüße es, dass wir in diesem Zusammenhang ein Projekt zum Thema Fachkräftesicherung gestartet haben, das der Branche, wenn es abgeschlossen ist, sicherlich helfen wird. Es zeigt aber auch uns Politikern verschiedene Handlungsansätze auf. Besonders am Herzen - auch da haben wir ein Projekt gestartet - liegt mir der Tourismus für alle bzw. Barrierefreiheit für alle. Ich weiß, dass das ein ehrgeiziges Ziel ist. Wir wollen einheitliche Kennzeichnungen, einheitliche Qualitätsstandards und eine gemeinsame Internetplattform. Ein Gespräch, das gestern beim BDO, beim Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer, stattfand, hat uns Folgendes aufgezeigt: Was nützt ein barrierefreier Bus, wenn die Infrastruktur in der Kommune nicht passt? Das heißt, wir müssen in Zukunft den Blick verstärkt auf die gesamte Kette richten. ({9}) Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur ins Inland, sondern auch ins Ausland geblickt. Ich erwähne in diesem Zusammenhang das Thema „Tourismus und Menschenrechte“. Ich bin stolz, dass ich dabei war, als Generalsekretär Rifai von UNWTO, der internationalen Tourismusorganisation, in Montenegro zusammen mit wichtigen Vertretern der deutschen Tourismusbranche den sogenannten Weltethikkodex unterschrieben hat, nach dem Motto: Tourismus und Menschenrechte, das ist kein Selbstläufer. Ich bin außerdem stolz darauf, dass es uns diese Woche im Tourismusausschuss gelungen ist, gemeinsam einen Brief an den Botschafter von Ägypten, aber auch an den Regierungschef von Ägypten mit folgendem Inhalt zu schicken: Wir finden es skandalös, dass nach der Schließung von Stiftungen und der Verurteilung von unschuldigen Mitarbeitern, wie im Falle der Konrad-Adenauer-Stiftung, einfach zur Tagesordnung übergegangen wird. - Vielen Dank, dass ihr hier alle Flagge gezeigt habt. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sind Sie damit am Ende Ihrer Rede?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, habe ich nicht ausnahmsweise noch eine Minute Redezeit? Ich möchte gerne noch ein paar Dankesworte an den Staatssekretär richten, der heute zum letzten Mal gesprochen hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie hatten ausnahmsweise schon eine Minute Redezeit mehr.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein herzliches Dankeschön dafür, dass wir die Zusammenarbeit mit Griechenland verbessert haben, dass wir gesagt haben: Wir nehmen euch an die Hand, wir wollen euch helfen. - Ein Dankeschön an den gesamten Ausschuss. Vor allem aber auch ein Dankeschön an die Deutsche Zentrale für Tourismus, die unser Flaggschiff im Ausland ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Mortler.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zuletzt hat sie mit der Gründung eines Büros in Belgrad zusammen mit dem DCC, dem Donaukompetenzzentrum, einen weiteren Leuchtpunkt gesetzt, um für Deutschlandtourismus im Ausland zu werben. Frau Präsidentin, ich bitte um Verzeihung und möchte am Schluss noch einmal klarstellen: ({0}) Tourismus ist ein Zukunftsmotor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich glaube, Herr Brähmig wird sauer.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wollen sein Potenzial im Sinne von Stadt und Land bestmöglich ausschöpfen. In diesem Sinne freue ich mich auf eine gemeinsame Zusammenarbeit in der nächsten Wahlperiode, so es der Wähler will. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf 70 schön gestalteten Seiten lobt sich die Bundesregierung im Tourismuspolitischen Bericht für ihr unermüdliches Tun. Der Bericht quillt geradezu über von Rekordzahlen. Ich muss mich an dieser Lobhudelei nicht beteiligen, sondern kann gleich zur Sache kommen. Der Bericht reiht akribisch aneinander, was in welchem Ressort wann getan wurde, das man irgendwie dem Tourismus zurechnen könnte. ({0}) - „Fleißarbeit“ können Sie ruhig sagen. - So meint die Bundesregierung der Querschnittsaufgabe Tourismuspolitik gerecht zu werden. Dann stellt sie fest, dass eine große Menge der Kompetenzen in den Ländern liege. Da könne sie sowieso nichts tun, zumal die Tourismuswirtschaft ohnehin mittelständisch geprägt sei, und da müsse man sowieso die Marktkräfte walten lassen. Und - die Rekordzahlen belegen es - sie obwalten wunderbar. Eine Regierung hat aber nicht die Aufgabe, nur zusammenzuzählen und artig aufzuschreiben, was so im Lande geschieht. Sie soll gestalten. Sie soll Konzepte entwickeln und daraus Maßnahmen ableiten. Für den Tourismusbereich hieße das, nicht nur philosophierende Leitlinien vorzulegen, sondern ihnen auch Gestaltungskraft zu geben. Das, was jedoch fehlt, ist der Gestaltungswille. Hätte ihn diese Regierung, müsste er irgendwie erkennbar sein - ist er aber kaum. Weil diese schwarz-gelbe Koalition nicht einmal ernsthaft von Tourismuspolitik spricht, braucht man sich auch nicht zu wundern, dass sie nur die Tourismuswirtschaft kennt. So kommt es, dass zwar die 2,9 Millionen direkt in der Tourismuswirtschaft Beschäftigten manchmal erwähnt werden - das hat auch Kollegin Mortler wieder getan -, wenn die Bedeutung dieses Zweiges für die Volkswirtschaft hervorgehoben werden soll. Wenn aber nach den Arbeitsbedingungen gefragt wird, dann sind die Angaben dürftig. Dabei wäre es eine erstrangige Aufgabe, sich für ganzjährige und existenzsichernde Löhne sowie für familienverträgliche Arbeitsbedingungen zu engagieren. Aber: Fehlanzeige! ({1}) Der einseitige Blick auf die Wirtschaft verstellt auch die Sicht auf den eigentlichen Sinn von Tourismus. Der besteht nämlich nicht darin, der Tourismuswirtschaft eine Wertschöpfungskette zu basteln. Nein, die eigentliche Aufgabe besteht darin, Menschen mit und ohne Behinderungen zu ermöglichen, sich zu erholen, zu entspannen, sich die Welt anzuschauen, ihre Gesundheit zu stärken, andere Kulturen kennenzulernen, vielfältige Freizeiterlebnisse zu haben usw. Immerhin - Kollegin Mortler hat es gerade gesagt -: Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft unterzeichnete im Oktober 2012 den Ethikkodex der UNWTO - 13 Jahre nach dessen Verabschiedung. Die Linke hat das schon lange gefordert. Aber genau in diesem Kodex sind die Aufgaben, die ich gerade nannte, kodifiziert. Dass deren Erfüllung auch Wertschöpfung zulässt, bleibt unbenommen; klar. Aber die Prioritäten müssen stimmen. Hier fehlt das Primat der Politik vor der Wirtschaft. ({2}) Tourismuspolitik braucht Koordination auf mehreren Ebenen, auch innerhalb der Bundesregierung. Eine weitere Ebene, die der Koordination - eigentlich auch der Kooperation - bedürfte, ist die zwischen und mit den Bundesländern. Beides funktioniert aber nur unzureichend. Das eine nennt man Föderalismus. Ich sage: Kleinstaaterei. Das andere nennt man Ressorthoheit. Ich sage: Gartenzaundenken. Die aktuelle Jahrhundertflut zeigt doch zum Beispiel an der Elbe, dass man sich bisher nicht einmal auf einheitliche Deichhöhen beiderseits desselben Flussabschnitts einigen konnte. Zu den Leidtragenden gehören auch viele touristisch geprägte Kommunen in meinem Bundesland Sachsen. Wer eine Querschnittsaufgabe richtig angehen will, braucht auch Querschnittszuständigkeiten. Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass ich seit Jahren ein starkes Tourismusministerium fordere. Aber ich könnte mir auch eine andere Organisationsform vorstellen, beispielsweise eine Tourismusbeauftragte oder einen Tourismusbeauftragten, die oder der wirklich mit Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet wäre. ({3}) Der jetzige Amtsinhaber ist zwar ein sympathischer Zeitgenosse - keine Frage, wir verstehen uns gut -, aber wirkliche Gestaltungsmacht hast du nicht, lieber Ernst Burgbacher. Ansonsten früge der Beauftragte, wie sich denn diese oder jene Maßnahme in das Tourismuskonzept der Bundesrepublik einfüge. Und wenn sie damit nichts zu tun hätte, dann könnte er Umwidmungen erreichen. Aber: Fehlanzeige! Ein unbefriedigendes Beispiel zeigt sich im Kinderund Jugendtourismus. In der Debatte zum Antrag der Linken zum sozialen Tourismus verweisen Sie angesichts der Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche aus finanziellen Gründen nicht mehr in den Urlaub fahren können, auf die Möglichkeit der Bezuschussung von Schulfahrten. Diese ersetzen aber keinen Familienurlaub. Wir brauchen beides.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja? - Ich sehe: Es blinkt. Entschuldigen Sie, liebe Präsidentin. Ich komme zum Schluss. Ich hätte noch etliche Beispiele aufzuführen, wo Sie keine Gestaltungskraft aufbringen. Aber ich darf sagen: Die Linke steht für einen sozialen, ökologischen und barrierefreien Tourismus, an dem alle teilhaben können. Wir werden daran auch in der Zukunft weiter arbeiten. Eines will ich noch sagen: Der Tourismusausschuss ist ein Beispiel dafür, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg gut zusammengearbeitet werden kann. Das will ich durchaus positiv hervorheben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich habe den Eindruck, dass der Tourismus eine relativ zeitaufwendige Sache ist. ({0}) - Quasi entschleunigend. Markus Tressel hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich frage Sie jetzt nicht, ob ich schon vorneweg eine Minute Zeitbonus eingerechnet bekomme. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Tourismus ist mit einem Anteil von fast 10 Prozent an der Bruttowertschöpfung ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor in diesem Land. Vor allem in den Städten boomt das Geschäft mit den Reisenden. Das hat uns der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung noch einmal deutlich gemacht. Insofern möchte ich Ihnen für die Fleißarbeit danken, die diesem Bericht zugrunde liegt. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie die Große Anfrage zum Tourismusstandort Deutschland rechtzeitig beantwortet hätten. Dann hätten wir die Debatte darüber gleichzeitig mit dieser führen können. ({1}) Sie haben es gesagt, Herr Kollege Burgbacher: Das Ganze ist ein Rückblick. Ich glaube, dass der Tourismuspolitische Bericht nicht nur Rückblick, sondern auch Ausblick sein sollte. Das ist das, was mir an Ihrem Bericht an dieser Stelle ein Stück weit fehlt: Was ist das politische Ziel? Sie benennen Fakten, Daten und geben einen Überblick, aber eine Schlussfolgerung, eine politische Vision bleiben Sie mit diesem Bericht allerdings schuldig. ({2}) Ich glaube, das wäre genau das, was die Branche und auch wir erwartet hätten. Der Tourismusstandort Deutschland steht trotz der guten Zahlen vor großen Herausforderungen. Es ist bereits gesagt worden: Das Hochwasser hat uns den Klimawandel noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt. Wir haben es zu tun mit dem demografischen Wandel, der Finanzkrise, einem veränderten Konsum- und damit auch Buchungsverhalten, steigenden Ansprüchen der Kunden an Unterkünfte und auch an die Infrastruktur und mit einem starken Gefälle bei der Tourismusintensität in Stadt und Land. Ich möchte einmal einige entscheidende Punkte nennen, die in Ihrem Bericht meines Erachtens fehlen. Das Thema Fachkräfte muss - meine Vorredner haben es angesprochen - ganz oben auf der Agenda stehen. Die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Tourismuswirtschaft in diesem Land sind eindeutig verbesserungswürdig. Wir haben vor zwei Wochen im Ausschuss für Tourismus gehört, dass von den 1,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen in der engeren Tourismusbranche nur die Hälfte sozialversicherungspflichtig ist. Das sollte uns mehr als nachdenklich machen. ({3}) Ausbildungsberufe in der Hotellerie, in der Gastronomie belegen in Rankings immer die letzten Plätze. Das hat vor allem mit den Arbeitsbedingungen zu tun. ({4}) Dieses Problem - ich finde, es ist eines der Kernprobleme für die Branche - streifen Sie in Ihrem Bericht nur, indem Sie lediglich auf die Neuausrichtung des Berufsbildes Tourismuskaufmann/Tourismuskauffrau verweisen und die Imagemaßnahmen der Branche herausstellen. Die Realität spricht eine deutlich andere Sprache. Die Anzahl der neubegonnenen Ausbildungsverhältnisse in der Tourismuswirtschaft ist massiv rückläufig. Die Abbruchquote bei den Ausbildungen liegt deutlich über dem Durchschnitt. Uns muss klar sein: Ohne Fachkräfte kein qualitativ hochwertiger Tourismus. ({5}) Die Rolle der Arbeitsbedingungen hätte man in diesem Bericht deutlicher herausstellen müssen. Da hätte ich mir klare Worte der Bundesregierung gewünscht. Gleiches gilt für das Thema Verkehrsinfrastruktur, die sich künftig, bedingt durch den demografischen Wandel und den Klimawandel, anders gestalten muss. Die Frage ist doch: Wie wird die Mobilität nachhaltig, vor allem im ländlichen Raum, aber auch in den Städten? Das hat auch etwas mit Klimaschutz zu tun. Angesichts dessen war ich sehr verblüfft, als ich in Ihrem Bericht zum Thema „Klima- und Umweltschutz im Verkehr“ ganze zwei Sätze auf Seite 109 gefunden habe. ({6}) Zwei Sätze, das kann und darf man getrost als dürftig bezeichnen. ({7}) Zur nachhaltigen Verbesserung regionaler Wirtschaftsstrukturen durch den Tourismus habe ich ebenfalls wenig gefunden. Dabei ist das essenziell. Lediglich 12 Prozent der Wertschöpfung im Tourismus werden auf dem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Übernachtungskapazitäten hier zu finden sind. Dabei bleiben von 100 umgesetzten Euro nur rund 36 Euro in der Region. Dazu gibt es keine Ausführungen in Ihrem Bericht. Da hilft auch Ihr Arbeitspapier, das Sie eben so betont haben, nicht weiter. ({8}) Das gesamte Thema „Sanierungsstau in den Kommunen, in Unternehmen und die geringe Eigenkapitalquote“ - es ist ein wichtiges Thema - haben Sie ebenfalls fast gänzlich ausgespart. Dafür haben Sie sich dann gleich mehrfach die Verhinderung der Hygieneampel als tourismuspolitische Großtat auf die Fahnen geschrieben. Das ist natürlich Unsinn, weil ein effektiver Schutz der Verbraucher kein Hemmnis, sondern auch für die Unternehmen ein Vorteil ist. Das hätte man an dieser Stelle noch einmal deutlich machen müssen. ({9}) Wir werden da weiterhin kritisch nachfragen und in einer neuen Bundesregierung ab Herbst ({10}) neue Akzente setzen. Darauf können Sie sich verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen, Herr Burgbacher, bedanken. Ich habe die Zusammenarbeit mit Ihnen ja nur vier Jahre genießen dürfen. Jeder weiß, dass die Tourismuspolitik trotz inhaltlicher Kontroversen von einem kollegialen Umgang miteinander geprägt ist. Ich möchte mich bei Ihnen herzlich für Ihre Arbeit bedanken. Sie waren immer ein angenehmer und engagierter Mitstreiter für den Tourismusstandort Deutschland. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, glaube ich sagen zu können, dass die Zusammenarbeit von gegenseitigem Respekt geprägt war. Ich glaube, dass es der Branche zugutekommt, wenn wir unterschiedliche strategische Ansätze haben. Ich hoffe, dass wir uns trotz der Reisetätigkeit, die Sie angekündigt haben, noch das eine oder andere Mal in tourismuspolitischer Mission treffen werden. Ich glaube, dass Ihre Tätigkeit ein Stück über Ihre Amtszeit hinaus wirken wird. Ich wünsche Ihnen alles Gute, viel Erfolg, gute Gesundheit, damit Sie noch viel Zeit für die Reisetätigkeit haben. Vielen Dank, Herr Burgbacher. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Horst Meierhofer hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin schon gehört, dass es unglaublich viele Arbeitsplätze in dem Bereich des Tourismus gibt und dass sich die Situation in den letzten Jahren auch noch verbessert hat. Dass wir genau wissen, wie es überhaupt aussieht, ist ein Verdienst von Ernst Burgbacher und vom Ministerium. Gemeinsam mit dem BTW haben sie dafür gesorgt, dass wir endlich belastbare Zahlen haben. Das war, glaube ich, eine Voraussetzung, um die Bedeutung des Tourismus in der öffentlichen Wahrnehmung ein bisschen nach vorn zu bringen. Wie wir heute schon gehört haben, ist es nicht so, dass jeder das automatisch erkennt. Was die Frage des Mindestlohns betrifft, die der Herr Kollege Hacker angesprochen hat: ({0}) Ich halte es gerade im Bereich des Tourismus für gefährlich, einen flächendeckenden einheitlichen Mindestlohn zu schaffen, ({1}) egal ob es um Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder die Region am Starnberger See geht. Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie die Schwarzarbeit verhindern wollen. Das wird nicht funktionieren. Sie würden das genaue Gegenteil erreichen. ({2}) Sie würden damit wahrscheinlich vernünftige, angemeldete Arbeitsverhältnisse verlieren und mehr Schwarzarbeit bekommen. Genau das wollen wir natürlich nicht, weil das nicht der Weg ist, der vernünftig ist. ({3}) Auch das Thema Mehrwertsteuersenkung haben Sie kritisch angesprochen. Ihre Kollegen in Bayern sehen das anders. Sie wissen selber, dass die wie die Kollegen der Grünen und der Linken auf Bundesebene der Meinung sind, ({4}) dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ganz sinnvoll ist. ({5}) Ich muss daran erinnern, dass Sie in der letzten Legislaturperiode dafür gesorgt haben, dass die Umsätze aus dem Betrieb der Gondelbahnen einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen. Man darf sich die Frage stellen, ob das für diese riesige Branche angesichts des internationalen Wettbewerbs ein cleverer Schachzug war, wenn man bedenkt, dass in 24 von 27 Ländern ansonsten gleiche Bedingungen gelten. Genau das ist der Unterschied zur Gastwirtschaft. ({6}) - Wenn Sie glauben, dass das „Adlon“ der Durchschnitt unserer deutschen Hotels ist, muss ich Ihnen sagen: Der Durchschnitt sind mittelständische, kleine Betriebe, Familienbetriebe. Genau um die geht es. Die wollen wir fördern, und das ist uns auch sehr gut gelungen. ({7}) Da ist auch der Großteil der Arbeitsplätze entstanden. Sie haben gesagt, wir hätten in der Vergangenheit zu wenig Pläne gemacht. Darüber, dass dieser Bericht der ausführlichste und inhaltsstärkste ist, der in den letzten Jahren vorgelegt wurde, besteht, glaube ich, große Übereinstimmung. Das ist wirklich ein vorbildlicher Bericht. ({8}) Darin stehen auch die Beispiele. Dieses Mal wurde schwerpunktmäßig das Thema Wassertourismus bearbeitet. ({9}) Das Thema Gesundheitstourismus ist bearbeitet worden. Der Bereich der ländlichen Räume ist schwerpunktmäßig bearbeitet worden. Das sind genau die Bereiche, von denen wir, so glaube ich, in den nächsten Jahren profitieren können. ({10}) Ich gestehe zu, dass wir in den nächsten Jahren mehr tun müssen, was das Thema Fachkräftemangel betrifft. Aber ich sehe nicht, dass wir als Politik da viele Möglichkeiten haben. Da möchte ich an die Branche appellieren. Ich muss erwähnen, dass es der DEHOGA war, der vor zwei Jahren begonnen hat, mit einem ersten Schritt voranzugehen. Aber es ist leider noch nicht gelungen, die Branche so attraktiv zu machen, wie sie sein sollte - was den Tourismusbereich betrifft, schon; was die Gastronomie und die Hotellerie betrifft, leider nicht ganz. Zum Abschluss auch von meiner Seite und selbstverständlich von den Kollegen Helga Daub und Jens Ackermann, aber auch von der ganzen FDP-Fraktion ein besonders herzliches Dankeschön an Ernst Burgbacher, der seit 15 Jahren mit Herzblut begeisterter Tourismuspolitiker ist und über alle Parteigrenzen hinweg geschätzt wird, der aber vor allem auch in der Branche geschätzt wird. Alle wissen, dass er ein verlässlicher und wirklich konstruktiver Arbeiter für die gemeinsame Sache war, von der wir heute viel gehört haben. Deswegen: Ernst Burgbacher, wir werden dich vermissen. Die Tatsache, dass du als Staatssekretär und auch als Tourismusbeauftragter hier die Latte noch höher gelegt hast, hat sich als positiv erwiesen. Damit hat dieser wichtige Bereich in der Bundesregierung vielleicht ein zusätzliches Gewicht erhalten. Dafür herzlichen Dank! Für die Zukunft alles Gute! Ich hoffe auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit in diesem Bereich. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion. ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Burgbacher! Wir haben schon gehört: Der Tourismus gehört zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftssektoren weltweit. Die Zahlen dazu, auch für Deutschland, haben wir gehört. Das ist natürlich sehr erfreulich. Es läuft im Tourismus jedoch nicht überall so rund, Herr Staatssekretär, wie Sie es formuliert haben; denn der Tourismus im ländlichen Raum ist vielerorts schlicht und ergreifend unterentwickelt. Hier ist noch einiges zu tun. Wir brauchen hier bessere Rahmenbedingungen und mehr Unterstützung; denn Fachkräftemangel - er ist schon verschiedentlich genannt worden -, Defizite in der Infrastruktur, mangelnde Vernetzung der Verkehrsträger und der touristischen Anbieter, die Unterversorgung mit schnellen Internetzugängen - ein ganz wichtiger Punkt sind nur einige der Probleme, die angegangen werden müssen. ({0}) Bestehende Förderprogramme auf EU-, Bundes- und Länderebene müssen sehr viel besser aufeinander abgestimmt werden. Die Fördermittel müssen der Tourismuswirtschaft auch zukünftig in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen; denn - wie unser Ausschussvorsitzender Klaus Brähmig immer gerne zu sagen pflegt - der Tourismus ist ein scheues Reh. ({1}) Das von der Bundesregierung initiierte Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ ist nur ein Schritt in die richtige Richtung. Die Frage bleibt bestehen: Wie werden die Empfehlungen nun umgesetzt? Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung? In ihrem Bericht ist auf Seite 27 nur zu lesen: Derzeit laufen konzeptionelle Überlegungen, wie der Know-how-Transfer in die örtliche Wirtschaft und Politik sinnvoll organisiert werden kann. Das, denke ich, ist mehr als mager. Viel beschriebenes Papier ohne konkrete Maßnahmen und Taten, die den ländlichen Regionen wirklich helfen. Ich möchte Ihr Augenmerk noch auf einen anderen Bereich lenken, nämlich das Thema Verbraucherschutz im Tourismusbereich. Bei dem Thema Schlichtungsstelle - Frau Mortler hat es angesprochen - hat sich die Bundesregierung von der Luftverkehrswirtschaft in die Knie zwingen lassen und akzeptiert, dass die Luftverkehrsunternehmen sich nicht an einer einheitlichen Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr beteiligen müssen. ({2}) Das Zuständigkeitschaos ist damit vorprogrammiert; leider zulasten der Flugkunden, aber auch zulasten der Wirtschaft. Wir, die SPD, fordern eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle, etwa nach dem Vorbild der Schlichtungsstelle Energie. ({3}) Reisende könnten sich dann mit allen im Zusammenhang mit der Reise aufgetretenen Problemen an die bereits bewährte Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, abgekürzt söp, wenden. Noch viel schlimmer ist: Die Schlichtung könnte für Verbraucherinnen und Verbraucher sogar Geld kosten. Also: Eine verbraucherfreundliche Politik für diejenigen, die Urlaub machen wollen, sieht wahrlich anders aus. ({4}) Ich hätte gerne noch einen anderen Punkt angesprochen, aber leider läuft meine Zeit ab. Es geht darum, dass wir im Fernbuslinienverkehr eine große Entwicklung zu verzeichnen haben. Dies ist eventuell auch eine Chance für den ländlichen Raum. Ich kann nicht gutheißen, dass sich hier große Unternehmen, wie die DB AG, ausbreiten. Sie beschäftigt tatsächlich tschechische Busfahrer, die bei einer Arbeitszeit von 70 Stunden in der Woche einen Stundenlohn von sage und schreibe 3 Euro bekommen. Das wollen wir nicht. ({5}) Das ist nicht nur Lohndumping, sondern Sozialdumping. Das können wir und auch Sie nicht zulassen. Ihnen persönlich, Herr Burgbacher, wünsche ich alles Gute. Sie werden in Südbaden sicherlich in der politischen Szene fehlen. Gute Zeit für Sie! Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die Unionsfraktion. ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derzeit steht vielen Hoteliers und Gastronomen in ganz Deutschland buchstäblich das Wasser bis zum Hals. Gerade in den Regionen, die schon 2002 von der Jahrhundertflut betroffen waren, trifft das erneute Hochwasser die Menschen schwer. Wir als Politiker müssen über alle Parteigrenzen hinweg nun dafür Sorge tragen, dass diesen Menschen und Betrieben geholfen wird. Vom Gipfel der Länder mit der Kanzlerin, der heute stattfand, muss und wird ein klares Signal an die Betroffenen ausgehen. Es gilt, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Meiner Ansicht nach benötigen wir für die Zukunft einen nationalen Katastrophenfonds. Die Menschen an den großen Flüssen Deutschlands und die dort ansässige Wirtschaft brauchen eine Perspektive für die Zukunft. Infolge des Klimawandels hat es in den vergangenen 20 Jahren eine deutliche statistische Häufung von wetterbedingten Naturkatastrophen gegeben. Die jahrhundertealten Siedlungsräume längs unserer Flüsse Donau, Elbe, Saale und Rhein sind besonders schützenswert; denn hier findet man Kulturstätten, um die Deutschland weltweit beneidet wird. ({0}) Zusehends wird es für die Eigentümer und Unternehmen aber schwieriger, das Risiko einer Existenz an Flusslagen einzugehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass noch einmal intensiv über eine solidarische Versicherungslösung nachgedacht werden muss. Mein Dank gilt heute allen Helfern vor Ort, die in einem Akt nationaler Solidarität einfach anpacken. ({1}) Allen Menschen, die in die Flutgebiete reisen wollten, sei gesagt: Häufig ist nicht die ganze Urlaubsregion betroffen. Spätestens im August dieses Jahres können viele Unternehmen wieder ihre vollen Kapazitäten anbieten. Meine Damen und Herren, eine besondere Geste wäre es, dann eine Kurzreise in diese Feriengebiete zu unternehmen oder dort einen Urlaub zu verbringen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. ({2}) Dies zu sagen, war mir wichtig. Wir debattieren heute den dritten Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung. Den Bericht, den wir heute beraten, hast du, lieber Ernst Burgbacher, als Tourismusbeauftragter der Bundesregierung zu verantworten. Dafür mein herzlicher Dank! ({3}) Ich möchte dir Dank und Anerkennung auch für die 15 Jahre guter, kollegialer und kameradschaftlicher Zusammenarbeit aussprechen. Ich persönlich bedaure sehr, dass du nicht mehr kandidierst, hoffe aber, dass du dein Pensionärsdasein mit deiner Familie genießen wirst. Mein Dank gilt aber nicht nur dir, lieber Ernst, sondern auch den Mitarbeitern des Tourismusreferates des Bundeswirtschaftsministeriums, die dem Ausschuss für Tourismus stets als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. An den nächsten Wirtschaftsminister möchte ich appellieren, dieses Referat personell weiter aufzustocken. Warum fordere ich eine Aufstockung? Die Tourismuswirtschaft ist einer der stärksten und dynamischsten Wirtschaftsbereiche, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit; in dieser Feststellung sind wir uns in diesem Hause wohl alle einig. Bisher wurde der Tourismuspolitische Bericht, wie Sie wissen, in einem Fünfjahresrhythmus vorgelegt. Würde er allerdings alle zwei Jahre vorgelegt, könnte man ihn als Handlungsempfehlung oder Masterplan für die Tourismuswirtschaft in Deutschland ausgestalten. Dann könnte er der Entwicklung sicherlich einen weiteren entscheidenden Schub geben. Aber dafür benötigt man natürlich mehr Personal. Meine sehr geehrten Damen und Herren, einige wichtige Punkte, von denen ich mir noch mehr wirtschaftliche Dynamik erhoffe, will ich ansprechen. Zu nennen ist die bessere Vernetzung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus spiegelt sich nicht in dem erforderlichen Maße in Wissenschaft und Forschung wider. Doch anstatt dass an Universitäten und Fachhochschulen mehr zum Thema Tourismus gelehrt und geforscht wird, werden Lehrstühle abgebaut. Hier müssen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenarbeiten, um die Tourismuswirtschaft und die Tourismuswissenschaft zukunftsfähig zu machen. Als ein positives Beispiel für die Einbeziehung wissenschaftlicher Studien zur Entwicklung praktischer Konzepte möchte ich die a-ja-Hotels nennen. Auch freue ich mich, dass du, lieber Ernst, unseren Vorschlag aufgegriffen hast, auch einen Vertreter der Wissenschaft in den Tourismusbeirat aufzunehmen. Ein kurzes Wort zum Fachkräftemangel. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass unser duales System eine Erfolgsstory und ein Exportschlager ist. Aber ich bin der festen Überzeugung: Es kann nicht sein, dass die Bedienung von Maschinen viel besser bezahlt wird als die Dienstleistung für den Gast. ({4}) Meine Damen und Herren, weil meine Redezeit schon weit fortgeschritten ist, ({5}) möchte ich nur ganz kurz auf Folgendes eingehen: Barrierefreiheit - meine Kollegen haben es schon gesagt - ist ein Markenzeichen des Deutschlandtourismus. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Auslandsinstitutionen der Deutschen Zentrale für Tourismus. Hier gilt es natürlich ebenfalls, in der nächsten Legislaturperiode für eine weitere Aufstockung zu sorgen. Das wird uns, denke ich, auch gelingen. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Infrastruktur sagen, wo in vielen Bereichen ebenfalls Nachholbedarf besteht und die weiter ausgebaut werden muss. Ich denke, gerade im Hinblick auf die Hotels konnte durch die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes eine Menge bewegt werden. ({6}) Die Hotelbetreiber haben den finanziellen Spielraum genutzt, um notwendige Investitionen zu tätigen, das Personal weiterzubilden und neue Arbeitskräfte einzustellen. Vor wenigen Tagen war ich in meinem Wahlkreis unterwegs und musste feststellen, dass die in der gesamten Hotellerie und Gastronomie getätigten Investitionen, die gewissermaßen durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz ermöglicht wurden, durch das Hochwasser leider zunichtegemacht worden sind. Zumindest ich will mich in der nächsten Legislaturperiode dafür einsetzen - das kann ich ja tun -, dass der reduzierte Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie erhalten bleibt, zumindest bis eine generelle Neuordnung der Verbrauchsteuern durch die Politik in Angriff genommen worden ist. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch auf Folgendes hinweisen: Wir müssen sehen, wie wir in der EU-Förderperiode ab 2014 trotz der Streichung der eigenständigen Förderkriterien für diesen Bereich wiederum eine Förderung des Tourismus organisieren können. Das ist sicherlich möglich; wir haben es im Ausschuss besprochen. Zum Abschluss darf ich als Ausschussvorsitzender einen Dank an alle Mitglieder des Ausschusses aussprechen, die es immerhin vier Jahre lang mit mir ausgehalten haben. Ich möchte mich für die außerordentlich kollegiale Zusammenarbeit herzlich bedanken. Ein ganz besonderer Dank, meine Damen und Herren, gilt den Kollegen, die nicht mehr kandidieren, zuallererst meiner Stellvertreterin Rita Pawelski, aber auch dem Kollegen Heinz Paula von der sozialdemokratischen Fraktion und der heute abwesenden, im Krankenstand befindlichen Kollegin Kornelia Möller, der ich beste Genesungswünsche übermittle. Ein herzliches Dankeschön für die Zusammenarbeit! ({8}) Ich wünsche allen Kollegen, die wieder kandidieren, viel Erfolg, damit auch in der 18. Legislaturperiode an der Stärkung des Deutschlandtourismus gearbeitet werden kann. Ich gehe als Ausschussvorsitzender selbstbewusst davon aus, dass der Ausschuss für Tourismus in der nächsten Wahlperiode vor allem wegen seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung weiter gestärkt wird und vielleicht mehr Mitglieder haben wird. In diesem Sinne wünsche ich allen viel Erfolg, sage Danke schön für die Zusammenarbeit und wünsche Gottes reichsten Segen. ({9}) Frau Präsidentin, Danke schön für die Geduld.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Welcher Präsident, welche Präsidentin würde Danksagungen unterbrechen! Auf diese Art und Weise ist die wundersam verkürzte Redezeit wieder aufgefüllt worden. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13674 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist vereinbart, den Tagesordnungspunkt 32 - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie - einschließlich der dazu beantragten namentlichen Ab- stimmung nicht mehr heute, sondern erst morgen als ers- ten Tagesordnungspunkt aufzurufen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: 14 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Kelber, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die digitale Welt verbraucherfreundlich ge- stalten - Drucksache 17/13886 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck ({2}), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unabhängigkeit der Stiftung Datenschutz sicherstellen - Drucksachen 17/11825, 17/13938 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({3})Gerold ReichenbachGisela PiltzJan KorteDr. Konstantin von Notz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brigitte Zypries für die SPD-Fraktion. ({4})

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern hier an dieser Stelle über den Antrag der SPD zu den Marktwächtern diskutiert, und wir haben Ihnen unser grundsätzliches Konzept vorgestellt. Heute möchte ich Ihnen sagen, dass wir Marktwächter auch für den Bereich der digitalen Welt für ausgesprochen wichtig halten. Wir alle wissen, dass der technologische Fortschritt durch das Internet und die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten viele Dinge einfacher macht. Auf der anderen Seite macht er die Welt aber auch komplizierter und undurchschaubarer. Denn an vielen Stellen wissen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht, auf was sie sich mit diesem Internet eigentlich einlassen. Es ist in vielen Fällen schwer, seriöse und unseriöse Angebote voneinander zu unterscheiden. Nach wie vor gibt es im Netz oder auch bei Handyverträgen Fallen, in die man ganz leicht tappen kann. Ich denke da beispielsweise an die Schnüffel-Apps, die man sich herunterlädt, weil man denkt, man bekäme eine Taschenlampe, die aber das ganze Adressbuch ins Netz übertragen. Oder ich denke an die Abofallen bei Smartphones. Man kommt ganz leicht auf einen Knopf und schon hat man ein Abo, für das man 7,99 Euro pro Woche zahlen muss. Auch unverständliche AGBs machen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern schwer, zu verstehen, in was sie überhaupt einwilligen. ({0}) Die Frage, welche Daten von wem verwendet oder sogar an Dritte weitergegeben werden sollen, können die Nutzerinnen und Nutzer häufig nicht beantworten. Hier setzt unser Vorschlag an. Wir sagen: Die digitalen Marktwächter sollen die Strukturen im Internet beobachten, sie sollen die Beschwerden der Verbraucherinnen und Verbraucher sammeln, und sie sollen Missstände an die zuständigen Aufsichtsbehörden melden. ({1}) Selbstverständlich - das ist sehr wichtig und hat auch schon positive Ergebnisse gezeigt - müssen die Marktwächter für die Verbraucherinnen und Verbraucher klagen können; denn dass der Bundesverband der Verbraucherzentralen erfolgreich gegen Apple klagen konnte, ist ein echter Erfolg. Das müssen wir weiter ausbauen. ({2}) Wenn wir über das Internet reden - das hat die Enquete-Kommission eindeutig gezeigt -, ist klar: Wir müssen vor allen Dingen sicherstellen, dass alle Menschen in unserem Lande einen Zugang zu schnellem Internet haben. Wir können nicht sagen: Das ist nur wichtig für Firmen und Unternehmen. Inzwischen ist es ein Standortvor- bzw. -nachteil für Gemeinden, die Studierende anwerben wollen; denn wenn es kein schnelles Internet gibt, dann kommen die nicht, um dort zu wohnen. Es ist wichtig, dass wir die Versorgung mit schnellem Internet in ganz Deutschland als eine Infrastruktur begreifen, die inzwischen genauso wichtig geworden ist wie die Versorgung mit Wasser, Strom oder Straßen. ({3}) Wir müssen endlich handeln; denn leider sind wir in den letzten vier Jahren nicht in dem Maße vorangekommen, wie das angekündigt war und wie wir uns das gewünscht hätten. Ganz kurz zu einem weiteren Punkt, über den wir diskutieren müssen. Wir können nicht akzeptieren, dass Telekommunikationsanbieter Daten langsamer durchleiten, wenn sie von fremden Anbietern kommen. ({4}) Wir brauchen eine gesetzlich festgeschriebene Netzneutralität. Wir wollen nicht, dass Telekommunikationsanbieter Angebote von Dritten drosseln. Das kann nicht richtig sein. ({5}) Es kann natürlich sein, dass man Datenpakete mit unterschiedlichen Konditionen bucht, aber es darf keine Diskriminierung geben. Wenn ich richtig informiert bin, könnte die Koalition diesbezüglich jetzt schon handeln. Sie geben mir recht; vielleicht können Sie gleich noch etwas zu Ihrer Planung sagen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die Unionsfraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Internet ist heute für die meisten Menschen in Deutschland privat und beruflich unverzichtbar geworden. Deswegen setze ich mich für eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet ein. Flächendeckend, das heißt, nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land muss eine schnelle Internetverbindung möglich sein. ({0}) Das Ziel ist klar. Wir haben es zwar noch lange nicht erreicht, aber auf dem Weg dorthin sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Inzwischen haben über 50 Prozent der Haushalte Zugang zu Breitband von mindestens 50 Megabit pro Sekunde, ({1}) 2014 werden es 75 Prozent sein, und 2018 werden schnelle Internetverbindungen hoffentlich flächendeckend zur Verfügung stehen. Die digitale Welt verändert sich nicht nur rasend schnell, sondern es wird auch eine riesige Menge an Daten produziert. Der Spiegel hat errechnet, dass im Netz jeden Tag solche Datenmengen verschickt werden, dass man 250 Millionen DVDs brauchen würde, um diese Daten zu speichern. Das Volumen verdoppelt sich alle zwei Jahre. Darin steckt ein riesiges Potenzial für die Menschen, aber eben auch eine große Gefahr. Mit jeder neuen Entwicklung ergibt sich neuer Handlungsbedarf. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben mit Ihrem Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ eine etwas oberflächliche Abhandlung über den Verbraucher im Allgemeinen und den digitalen Verbraucherschutz im Besonderen vorgelegt. Ihre Kernaussage lautet: die technischen Errungenschaften nutzen und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher wahren. Toll! Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Es folgt ein Potpourri aus Forderungen, vom Recht auf ein schnelles Internet über Netzneutralität bis hin zur Etablierung des Markt-Ort-Prinzips. Die meisten dieser Forderungen sind alt und überholt. ({2}) Wir setzen uns schon seit Jahren intensiv für guten digitalen Verbraucherschutz im Spannungsfeld zwischen Technikoffenheit und Datenschutz ein. Unsere Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat es auf den Punkt gebracht. Sie sagt: Für die IT-Branche ist Datenschutz eine Schicksalsfrage. Im Internet wird langfristig nur Erfolg haben, wer die Interessen der Nutzer respektiert und ihre persönlichen Daten so gut wie nur irgendwie möglich schützt. Recht hat sie. Wir wollen ein hohes europäisches Datenschutzniveau. Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung soll sicherstellen, dass die persönlichen Daten von Verbrauchern in Europa besser geschützt werden. Das ist gut. Das unterstützen wir. Deutschland gibt dabei ein hohes Datenschutzniveau vor, und auf weniger Datenschutz werden wir uns in Europa nicht einlassen. Daher gilt hier: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir gehen noch ein Stück weiter: Auch außereuropäische Anbieter sollen sich an das europäische Datenschutzrecht halten müssen, wenn sie ihre Angebote an europäische Verbraucher richten. Mit uns führt kein Weg an datenschutzfreundlichen Voreinstellungen vorbei. Wir wollen auch das Recht auf Vergessen - das ist ein zentraler und gleichzeitig strittiger Punkt in den Verhandlungen mit unseren EU-Partnern -: Jedem Nutzer muss es möglich sein, seine persönlichen Daten im Internet zu löschen. Facebook, Google und Co. dürfen nicht über meine Daten verfügen, wenn ich das nicht möchte. Damit ich aber überhaupt erst weiß, was diese Anbieter alles mit meinen Daten anstellen können, muss ich mich informieren, und ich muss wissen, wie ich an diese Informationen komme. Deshalb gehört für uns zu einer gelungenen Verbraucherpolitik auch immer eine gute Verbraucherbildung. ({3}) Verbraucher müssen wissen, wie sie sich gegen den Missbrauch der eigenen Daten im Internet schützen können. Nur wenn sie gut informiert sind, können sie über ihre Privatsphäre souverän selbst bestimmen. Wir reden hier über eine Welt, die sich rasend schnell verändert. Jede Minute bringt neue Innovationen, aber auch neue Gefahren. Deshalb brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir das digitale Deutschland gestalten wollen. Dabei sind alle gefragt: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und die Netzgemeinde. ({4}) Was wir in der vorletzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode dagegen nicht brauchen, ist ein altbackener, überflüssiger Antrag der SPD. Wir brauchen keinen Antrag, der nur dazu dient, dass Frau Zypries als Schattenverbraucherministerin eine Bühne bekommt, um zu Verbraucherfragen zu sprechen. Frau Zypries, leider sieht es mit Ihrer Kompetenz in Sachen Verbraucherpolitik mager aus. ({5}) Das haben Sie in der gestrigen Debatte bewiesen. Sie haben munter über Vorhaben von 2001 geplaudert, aber die aktuellen Themen - es ist zwölf Jahre später; wir leben im Jahr 2013 - kennen Sie nicht. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Warteschleifen sind seit dem 1. Juni 2013 kostenlos. Wenn Sie auf Ihrer Wahlkampftour das nächste Mal danach gefragt werden, dann sagen Sie einfach: Ist erledigt, die christlich-liberale Koalition hat sich längst darum gekümmert. Alles gut! ({6}) Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, der den Titel „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ trägt. Vieles von dem, was die SPD auf fünfeinhalb Seiten als Zustandsbeschreibung abgibt, ({0}) teilen wir. ({1}) Dass beim Verbraucherschutz in der digitalen Welt einiges im Argen liegt und deshalb Handlungsbedarf besteht, wird am Sondervotum der drei Oppositionsfraktionen im Bereich der Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Verbraucherschutz der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ deutlich. ({2}) Wir Linken wollen den Verbraucherschutz in der digitalen Welt stärken und ihn auf ein Niveau heben, das abseits der digitalen Welt schon lange existiert. Im Umkehrschluss sollten wir aber auch nicht vernachlässigen, dass zum Beispiel die Weiterentwicklung von Verbraucherinformationsangeboten im Netz nicht dazu führen darf, dass Bürgerinnen und Bürger ohne Netzzugang von jedem Zugang zu solchen Informationen ausgeschlossen sind. ({3}) Die SPD fordert die Bundesregierung auf, zu prüfen, wie der Weiterverkauf von digitalen Gütern rechtlich ermöglicht werden kann. Wenn ich beispielsweise im Buchhandel ein Buch kaufe, kann ich das jemandem ausleihen oder weiterverschenken. Kaufe ich mir das gleiche Buch aber digital als E-Book, kann ich dieses Buch nicht ohne Weiteres - also eigentlich gar nicht verborgen oder verschenken. Technisch wäre das alles möglich, aber die Unternehmen haben etwas dagegen. Das zeigt: Wo Profit maximiert werden kann, muss der Verbraucher eben mit der Beschneidung seiner Rechte leben. Wir als Linke haben bereits einen konkreten Vorschlag für die Ermöglichung eines solchen Weiterverkaufs unterbreitet. Unser Vorschlag sieht vor, dies in § 17 a Urheberrechtsgesetz zu verankern. Vielleicht kann ja diese oder eine andere Bundesregierung den Vorschlag aufgreifen. Wir würden diesbezüglich auch keine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung schreiben. ({4}) Damit sind wir an einem weiteren Punkt des SPD-Antrages. Die SPD möchte die massenhaften Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen eindämmen. Seit Jahren haben wir in Deutschland eine regelrechte Industrie der Massenabmahnungen. Wir haben hier schon mehrmals ausführlich darüber gesprochen. Auch insoweit empfehle ich den von der Linken vorgelegten Gesetzentwurf. Auch hier würden wir, sollte dieser Entwurf aufgegriffen werden, keine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung schreiben. ({5}) Über das Thema Netzneutralität will ich jetzt nicht reden, weil wir dazu die Reden zu Protokoll gegeben haben. Aber kommen wir noch einmal zum Thema Datenschutz. Nicht erst seit dem Bekanntwerden von Prism, der umfassenden Überwachungsmaßnahme von großen Internetfirmen durch den US-Geheimdienst, wissen wir, dass unsere eigenen Daten ein begehrtes Gut sind. Dass US-Geheimdienste bei großen Internetfirmen Daten über deren Nutzerinnen und Nutzer anfordern und diese Firmen bereitwillig liefern - vermutlich zumindest -, ist ein Skandal. Vorhin war zu hören, der BND habe von allem nichts gewusst. Datenschutz ist deswegen angezeigter denn je. Das zeigt im Übrigen auch - diese sachfremde Bemerkung kann ich Ihnen nicht ganz ersparen -, dass Geheimdienste machen, was sie wollen, und abgeschafft gehören. ({6}) Wer Freiheit verteidigen will, indem er Freiheit einschränkt, wird am Ende Freiheit verlieren. Ob die Stiftung Datenschutz geeignet ist, Datenschutz durchzusetzen, ({7}) ist mehr als zweifelhaft. Die Konstruktion dieser Stiftung Datenschutz mit der Übermacht von Wirtschaftsvertretern lässt uns mehr als zweifeln. Ich würde sagen, dass das Modell gescheitert ist. ({8}) Wir halten es für vernünftiger, die Datenschutzbeauftragten finanziell und personell zu stärken und trotzdem unabhängig zu behalten. Wir werden dem Antrag der SPD zustimmen, auch wenn er uns an verschiedenen Stellen zu viele Prüfaufträge enthält und zu wenige Lösungen anbietet. Aber er ist ein Anfang, und den wollen wir nicht behindern. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen: Ich bin heute morgen in die Fänge des US-Geheimdienstes geraten. Vor zwanzig Jahren hätte ich dafür eines schweren Verbrechens bezichtigt werden müssen. Heute Morgen habe ich einfach nur meine E-Mails abgerufen. Hier wird Freiheit von unbescholtenen Bürgern mit Füßen getreten. Das dürfen wir als Deutscher Bundestag nicht durchgehen lassen. ({0}) Hier muss die Bundeskanzlerin ein deutliches Zeichen setzen; denn Datenschutz ist ein essenzielles Bürgerrecht. Wir dürfen uns dieses Bürgerrecht nicht von amerikanischen Behörden nehmen lassen. Das müssen wir, das muss die Bundeskanzlerin Präsident Obama gegenüber deutlich zum Ausdruck bringen, wenn der US-Präsident nächste Woche hier in Berlin ist. ({1}) Das Beispiel zeigt uns deutlich: Wir stehen vor großen Herausforderungen im Umgang mit der digitalen Welt. Das Recht auf Selbstbestimmung in dieser digitalen Welt muss Realität werden, und zwar nicht nur gegenüber Behörden und Staaten, sondern auch gegenüber Unternehmen. Google Street View filmt unsere Häuser. Facebook speichert unsere Aufenthaltsorte. App-Anbie31398 ter greifen auf unsere Kontakte zu, und die neue XboxOne-Kamera ermöglicht nicht nur das interaktive Spielen, sondern schaut uns womöglich auch beim Spielen zu, wenn wir es gar nicht wollen. Dadurch wandelt sich die Rolle der Verbraucher. Wir sind nicht nur aktiv beim Verbrauchen, sondern wir werden selbst Objekte von Unternehmen und Staaten. Der digitale Verbraucher wird vom bewussten Konsumenten zum unfreiwilligen Lieferanten, nämlich zum Lieferanten seiner Daten; häufig werden diese im Hintergrund und ohne sein Wissen gesendet. Diesen unbewussten Wandel der Verbraucherrolle vom Konsumenten zum Lieferanten müssen wir in die Schranken weisen. ({2}) Problematisch dabei ist allerdings, dass die Grenzen der analogen Welt nicht immer die der digitalen Welt sind. Deshalb greifen auch nationale Regelungen nicht weit genug. Aus meiner Sicht benötigen wir zwingend eine Neuverhandlung des Safe-Harbor-Abkommens zwischen der Europäischen Union und den USA. ({3}) Wenn ein Unternehmen in Europa digitale Leistungen erbringt, sollte es europäischem Recht unterliegen, auch wenn sein Sitz in den USA ist. Dort, wo nationale Regelungen den Verbrauchern besseren Schutz gewähren, hat diese schwarz-gelbe Regierungskoalition gehandelt. Wir haben die Kostenfallen im Internet geschlossen. Mit dem sogenannten Internetbutton ist seit 1. August 2012 explizit auf die Kostenpflichtigkeit eines Angebots hinzuweisen. Das heißt, die Verbraucher werden vor versteckten Kosten in den ellenlangen Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschützt. Es ist nicht mehr möglich, ihnen dort etwas unterzujubeln. Wir haben mehr Transparenz und ein Sicherheitsnetz für die Verbraucher gegen Abzocke geschaffen. ({4}) Wir haben dafür gesorgt, Frau Zypries, dass die von der Telekom angekündigte Drosselung bei ihren DSLKunden durch die Bundesnetzagentur akribisch geprüft wird. Die Bundesnetzagentur ist genau das Instrument, das wir dafür brauchen. Sie verhilft dem Grundsatz der Netzneutralität zum Durchbruch; denn dieser darf nicht aufgegeben werden. Wir wollen außerdem die Verbraucherkompetenz im Netz stärken und die Verbraucherbildung zu einem festen Bestandteil der Schullehrpläne machen. Dies ist ein gemeinsames Anliegen dieses Hauses und der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz. Letztlich bleibt auch Datensparsamkeit ein wichtiger Baustein für Daten- und Verbraucherschutz. Das müssen wir selbst kleinen Kindern beibringen; denn jeder kann seinen Beitrag dazu leisten, dass Datenkraken nur kurze Arme haben. ({5}) Vom Leitbild des unselbstständigen Verbrauchers ist es für die SPD nur ein kurzer Weg zum bevormundeten Verbraucher. Da ist für die SPD wie selbstverständlich der Staat die beste Medizin. Es ist dann zwar folgerichtig, dass Sie ein Instrument für einen modernen Ansatz von Kooperation und den Anreiz zur Selbstregulierung wie die Stiftung Datenschutz ablehnen, sinnvoll ist es aber auf gar keinen Fall. Im Sinne eines effizienten Verbraucherschutzes ist es auch nicht. Denn bei der Stiftung Datenschutz wird ein Gütesiegel vergeben, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf einen Blick Gewissheit verschafft, ob der Anbieter mit den Daten gut umgeht, ob man ihm diese guten Gewissens anvertrauen kann oder nicht. Statt sich einzubringen und ihre Vorstellungen zu formulieren, wie so ein Gütesiegel aussehen könnte, stellen SPD und Grüne sich in die Schmollecke, und das, obwohl Sie - der Gedanke ist Ihnen gar nicht so neu und gar nicht fremd - in Ihrem Koalitionsvertrag 2002 gemeinsam geschrieben haben - ich zitiere -, dass es eine „Einführung selbstregulativer Modelle“ geben sollte und zu „prüfen bleibt, ob und in welcher Form eine institutionalisierte Plattform zur Koordination eingerichtet werden kann“. Das haben Sie aber nicht hingekriegt. Wir, Schwarz-Gelb, haben es hingekriegt. Deshalb führen Sie sich jetzt auf wie ein beleidigtes Kind, dem man das Förmchen weggenommen hat. ({6}) In Ihrem Antrag schreiben Sie, es bestünde im Beirat der Stiftung Datenschutz eine „Beschlussmehrheit der Vertreter der datenverarbeitenden Wirtschaft“. Das ist schlicht falsch. Von den insgesamt 34 Mitgliedern können datenverarbeitende Branchen - darunter befinden sich übrigens nicht nur die Wirtschaft, sondern auch spendensammelnde Organisationen, zum Beispiel Greenpeace und der BUND - 14 Mitglieder benennen. Bleiben nach Adam Riese 20 übrig. Das sind mehr als 14. Sie haben allerdings recht, wenn Sie sagen, dass es nur einen Sitz für den Bundesdatenschutzbeauftragten gibt. Aber Sie unterschlagen dabei natürlich, wie Sie es gerne tun, einen Sitz für den Landesdatenschutzbeauftragten und einen weiteren für die Datenaufsichtsbehörden der Länder. Dann kommen noch neun Vertreter des Bundestages und Vertreter des Anwaltvereins, der öffentlichen Verwaltung, des BSI, der Kultusministerkonferenz, der Innenministerkonferenz und der Kirchen sowie des vzbv und der Stiftung Warentest dazu. Es ist schade, dass Sie - jenseits der demokratischen Gepflogenheiten - die dem Bundestag und Ihren Fraktionen zustehenden Sitze boykottieren. Da muss schon ein großes Wirtschaftsunternehmen in seinen Beirat einladen, damit Herr Reichenbach und Herr von Notz nicht Nein sagen. Aber bei einer Stiftung, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, weigern Sie sich, mitzumachen. ({7}) Das verstehe, wer will. Damit werden Sie dem Anliegen, das wir haben - der Daten- und Verbraucherschutz nicht gerecht. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD ist grundsätzlich zu begrüßen. In ihm werden dringende Verbesserungen im Bereich des digitalen Verbraucherschutzes angemahnt, für die auch meine Fraktion seit langem streitet: eine tatsächliche gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität, Privacy-byDesign- und Privacy-by-Default-Konzepte, das Recht auf Transportabilität der eigenen Daten, die Weiterentwicklung des Rechts auf eine Privatkopie und die drängende und überfällige Begrenzung der Abmahnkosten. ({0}) In dem Antrag wird zu Recht festgehalten, dass Grundlage einer verbraucherfreundlichen offenen demokratischen Gesellschaft der Zugang zu einem schnellen und neutralen Internet ist. In dem Antrag werden zahlreiche Themen angesprochen, über die wir uns in den letzten drei Jahren in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ intensiv ausgetauscht haben und für die wir fraktionsübergreifend konkrete Vorschläge erarbeitet haben. In dem Antrag werden zahlreiche Themen des Wandels zur digitalen Gesellschaft angesprochen, die die schwarz-gelbe Bundesregierung in dieser Legislatur sträflich vernachlässigt hat, Herr Kollege Schweickert. ({1}) Sei es eine gute Breitbandversorgung für alle Menschen und alle Regionen in Deutschland, sei es die gesetzliche Wahrung der Netzneutralität, sei es die dringend benötigte Reform des Urheberrechts oder sei es der digitale Daten- und Verbraucherschutz: Ihre Bilanz, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist - das können Sie hier heute überhaupt nicht verbergen - auch in diesem Bereich verheerend. ({2}) Egal wohin man schaut, man muss feststellen: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat beim Schutz der Bürgerinnen und Bürger in der digitalen Welt kläglich versagt. Das wird dieser Tage in Zeiten von Drosselkom und Prism auch dem Letzten klar. Sie haben all die guten Vorschläge, Ideen und Konzepte, die es gibt, leider gänzlich ignoriert. ({3}) Das bringt mich direkt zur Stiftung Datenschutz, Herr Kollege Schweickert, zu der Ihnen heute ein Antrag von uns vorliegt. Die Stiftung Datenschutz ist ein völlig unterfinanzierter Einmannbetrieb; doch Sie wagen es noch immer, dieses gefloppte Projekt völlig ernsthaft und ganz ironiefrei einen Erfolg Ihrer Koalition zu nennen. ({4}) Herr Schweickert, Sie haben die Stiftung Datenschutz hier am Pult verteidigt. Sprechen Sie einmal mit Ihrem Mann da in Leipzig! Fahren Sie einmal nach Leipzig! Die ganze Veranstaltung ist ein Witz erster Kajüte. Und damit blähen Sie sich hier so auf! Das ist lächerlich. ({5}) Ich kann der SPD auch heute leider nicht Kritik ersparen. Ich muss ansprechen, dass die SPD, obwohl sie in ihrem Antrag zu Recht die Datensammelwut des Staates kritisiert, ihre Haltung zur Vorratsdatenspeicherung nicht korrigiert, und das, obwohl wir am Fall Prism die krassen und verfassungswidrigen Auswirkungen dieser Sicherheitslogik klar erkennen können. Was wir jetzt über Prism erfahren, ist erschreckend und wird in den Bereichen, über die wir hier diskutieren, verheerende Auswirkungen haben. Es ist schlimm genug, dass dauerhafte massenhafte schwellenlose Grundrechtsverletzungen zum System erhoben wurden. Die Enthüllungen werden darüber hinaus auch das Vertrauen in den zentralen Kommunikationsraum unserer Zeit nachhaltig schwächen. Das ist schlecht für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für die Wirtschaft. Und es ist verheerend, wenn nicht gar tödlich, für sämtliche E-Government-Projekte wie zum Beispiel Ihr geliebtes De-Mail-Projekt. ({6}) Mit Erstaunen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union - das sage ich Ihnen jetzt einmal ganz direkt höre ich Ihre öffentlichen Statements zu Prism. Da wird geholzt: CSU-Parlamentarier sprechen von Stasimethoden. Innenminister geben sich empört und schreiben Briefe an die US-Regierung. Das sind dieselben Kolleginnen und Kollegen, denen hier in den letzten Jahren kein Sicherheitsgesetz scharf genug sein konnte, ({7}) die bei jeder Gelegenheit die Vorratsdatenspeicherung fordern, diesen Dammbruch für den Schutz der freien Kommunikation und der Unschuldsvermutung. Das ist unglaubwürdig, und das trägt bigotte Züge. ({8}) Ich sage Ihnen: Die Diskussion um Prism - ja, damit müssen Sie jetzt leben - und die Praktiken der Totalüberwachung müssen der Wendepunkt in der Debatte um das immer stärkere Ausdehnen sogenannter Sicherheitsgesetze nach 2001 sein. Vollziehen wir diese Wende jetzt nicht, gibt es bald keinen Rechtsstaat mehr, den wir hier verteidigen können. Ganz herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die Unionsfraktion. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Herr Kollege, durch Lautstärke hat noch niemand die Situation retten können. ({0}) Es ist keine Lösung, möglichst viele Nebelkerzen in einen Topf zu werfen, sich das bunte Feuerwerk anzuschauen und zu hoffen, dass irgendetwas irgendwo schon hängen bleiben wird. ({1}) Zur Frage des Verbraucherschutzes und zum Thema Daten haben die Kollegin Heil und der Kollege Dr. Schweickert schon das Entscheidende gesagt. Die Union hat deutlich gemacht, dass das, was in den Vereinigten Staaten passiert, soweit es europäischen Boden betrifft, auf einer Rechtsgrundlage zu basieren hat, die überprüfbar sein muss. Das ist unsere Haltung. Das war sie immer. Der Datenschutz in Deutschland und in Europa muss auch für die Amerikaner gelten. Hier werden Sie es nicht schaffen, uns irgendetwas ans Bein zu binden, was mit den letzten vier Jahren mit Sicherheit nichts zu tun hat. ({2}) Abstruser wird die Situation noch, wenn man sich über die Frage Stiftung Datenschutz unterhält. Stellen Sie sich einmal vor: Diese christlich-liberale Koalition hat in den letzten vier Jahren genau das geschafft, was vonseiten der SPD seit 1998 angekündigt wurde. Mit der Aussage, „Wir werden etwas schaffen, das in der Lage ist, unabhängig vom Staat, aber auch unabhängig von der Wirtschaft zu agieren“, beginnt bereits die irrige Logik, zu glauben, man könne Unabhängigkeit in irgendeiner Art und Weise, am besten noch im Chemielabor, konstruieren. Wir haben eine Stiftung Datenschutz - Herr Kollege, Sie haben es Gott sei Dank auch zahlenmäßig aufbereitet -, bei der vollkommen klar ist, dass weder die öffentliche Hand, vor der gewissermaßen eine große Angst bestanden hat, noch die datenverarbeitende Wirtschaft überhandnehmen können. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Frieser.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ihn schon gesehen. Einen kleinen Augenblick. Vielleicht kann er sich die Frage so lange merken, bis ich mit diesem Gedanken fertig bin. Wir haben es geschafft, dass sich diese beiden Pole gegenseitig kontrollieren. Das ist die Definition von Unabhängigkeit. Das heißt, dass es auf der einen Seite eine öffentliche Kontrolle der Politik und auf der anderen Seite die datenverarbeitende Wirtschaft mit ihrem Sachverstand und die Verbände, die für den Verbraucherschutz da sein sollen, gibt. Das ist unsere Vorstellung von Datenschutz, vor allem von verbrauchergerechtem Datenschutz. Sich jetzt an dieser Stelle in die Obstruktion zu flüchten, weil man der Auffassung ist, das könne nur in öffentlicher Hand organisiert werden, ist meines Erachtens der Inbegriff der Unlogik oder der Zwiegespaltenheit; denn es geht eigentlich nur darum, Obstruktion zu betreiben. Es geht eben gerade nicht mehr darum, deutlich zu machen, dass man einen unabhängigen Verbraucherschutz will und dass man eine Stiftung will, bei der Fachleute zusammengezogen werden, die in der Tat auch in der Lage sind, darüber zu entscheiden, was notwendig ist. - Jetzt hätten wir Zeit.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann frage ich Sie, ob Sie eine Bemerkung oder Frage des Kollegen von Notz zulassen. - Das ist so. Dann hat er das Wort.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Die Stiftung Datenschutz, die Sie hier so über den grünen Klee loben, haben Sie, glaube ich, noch nie gesehen oder sich mit den Menschen, die dort verantwortlich sind - es ist, ehrlich gesagt, nur einer -, unterhalten. Sie haben dieses großartige Projekt beschrieben, daher können Sie mir vielleicht sagen, wie viel Geld dieser Stiftung im Jahr zur Verfügung steht, wie viele Menschen derzeit für sie arbeiten, ob es eine Homepage gibt, auf der man schon irgendetwas feststellen kann und wie viele der Plätze im Aufsichtsrat, den Sie hier so gelobt haben, überhaupt besetzt sind. Das würde mich sehr interessieren. Ich könnte Ihnen dann auch die Antworten geben. Das kann ich mir nämlich merken.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich fange einmal mit der Satzung an. Die Stiftung hat keinen Aufsichtsrat, sondern einen Verwaltungsrat, einen Vorstand und einen Beirat. ({0}) Das macht aber nichts. Ich finde die Tatsache interessant, dass man durchaus in der Lage wäre, von diesen 34 Verwaltungsratsmitgliedern einen auszuwählen, der sich mit genau diesen Fragen beschäftigt, ({1}) damit nämlich, wie sich diese Stiftung zu finanzieren hat, wie der Arbeitsauftrag aussieht und was die Aufgabenfelder sind. Genau das wäre die Aufgabe: einen Vorstand zu kontrollieren und ihm mit diesen Fragen deutlich zu machen, welchen Auftrag er nach der Satzung tatsächlich haben sollte. Das müsste meines Erachtens als Antwort schon genügen. ({2}) Mir geht es aber noch um etwas ganz anderes, nämlich um die entscheidende Tatsache, dass Sie an dieser Stelle versuchen, ein Instrument, das Sie selber einmal mit aus der Taufe heben und schaffen wollten, nur weil es in der Zeit der Koalition erarbeitet und auf den Weg gebracht wurde, durch politische Obstruktion lahmzulegen. Ich hoffe nur, dass sich die Menschen, die sich dort einbringen, dass sich die Fachleute in diesem Land, die sich dort einbringen, nicht davon ins Bockshorn jagen lassen, sondern dass wir in der Lage sind, unserem politischen Auftrag gerecht zu werden und dem Datenschutz gerade auch mit der Stiftung Datenschutz eine Zukunft zu geben. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPDFraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD versteht die umfassende Digitalisierung als eine Chance, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Wir sehen die Chance in gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe, in neuen Bildungsmöglichkeiten und wirtschaftlichem Innovationspotenzial. Wie immer gibt es dabei natürlich auch Risiken: beim Schutz persönlicher Daten, mit neuen Abhängigkeiten, die entstehen, durch wirtschaftliche Übervorteilung. Wir haben mit unserem Positionspapier und dem darauf basierenden Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ einen Vorschlag gemacht, wie man auch in der digitalen Welt verbraucherpolitische Leitplanken zum Nutzen der Verbraucherinnen und Verbraucher einziehen kann. Meine Kollegin Brigitte Zypries hat einige der Handlungsfelder, die wir angesprochen haben, schon erläutert. Ich will drei weitere Beispiele nennen: die Frage der Datenportabilität, die Frage von Privacy by Default und Privacy by Design und die Frage der Nutzerrechte im Urheberrecht. Das Recht auf Datenportabilität, in der Öffentlichkeit noch wenig wahrgenommen, wird zu einem der entscheidenden Grundrechte werden. Bei der Nutzung von Cloud-Diensten, integrierten Foto-, Video- und Musikdiensten und sozialen Netzwerken hinterlege ich Daten, speichere ich Daten, vertraue ich einem Dienstleister Daten an. Aber längst gilt das auch bereits für Gegenstände wie zum Beispiel ein Auto oder ein SmartMeter. Bei den Schwierigkeiten beim Export dieser Daten, bei der Übernahme in das Angebot eines Konkurrenten entsteht schnell der goldene Käfig eines Herstellers.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen kurzen Augenblick. - Ein Recht auf Datenportabilität, auf eine elektronische Kopie, auf einen Übertrag auf einen anderen Dienstleister schafft Kontrollmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und sorgt für Wettbewerb.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Schweickert möchte eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen. ({0}) Sie gestatten das? - Dann hat er das Wort.

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kelber, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. Sie sprechen in Ihrem Antrag, auf den Sie jetzt noch einmal deutlich verwiesen haben, immer von Marktwächtern, die Sie in der digitalen Welt einführen möchten. Ich stelle Ihnen die Frage, ob Sie auf abgeordnetenwatch.de bei einer Antwort den Marktwächter mit den Eigenschaften „Schnüffeln“, „Bellen“ und „Beißen“ definiert haben. Sind Sie nicht der Meinung, dass diese Definition eines Marktwächters in der digitalen Welt gerade in der heutigen Zeit, in der wir das Thema Prism und anderes diskutieren, unangebracht ist?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schweickert, ich weiß nicht, wie Sie mit abgeordnetenwatch.de umgehen. Ich halte es übrigens für gut, weil die Fragen öffentlich gestellt und öffentlich beantwortet werden. In der letzten Zeit habe ich dort etwa 100 Fragen beantwortet. In der Tat habe ich bei der Frage nach den Marktwächtern darauf verwiesen - im Gegensatz zu mir werden Sie den Text wahrscheinlich vor sich liegen haben; ich wiederhole ihn aus meiner Erinnerung -, dass sich der Begriff am englischen Beispiel orientiert, wo es „consumer watchdog“ heißt. Dort wird definiert, dass er schnüffelt, bellt und beißt. Er untersucht den Markt zum Beispiel mit Mystery Shopping, wie es Verbraucherministerin Aigner vorge31402 schlagen, aber nicht umgesetzt hat. Er gibt Laut, wenn jemand unfaire oder falsche Angebote macht - das ist das Bellen -, und er beißt zum Beispiel mit juristischen Klagen zu. Ich glaube, das ist eine gute Beschreibung dessen, was ein Wachhund macht. ({0}) Wir haben es „Marktwächter“ genannt, damit wir keine Begrifflichkeiten verwenden, die Ihnen eine schlaflose Nacht bereiten, Herr Kollege Schweickert. ({1}) Wir wollen die Grundsätze „Privacy by Default“ und „Privacy by Design“ gesetzlich verankern. Ich will das am Beispiel von Privacy by Default darstellen: Die Einhaltung der Verpflichtung von Anbietern, Dienstleistern und Herstellern von Produkten, diese zunächst auf maximalen Datenschutz und maximale Sicherheit einzustellen und es den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu überlassen, diese Einstellungen zu öffnen oder Daten preiszugeben, ist heute nicht gewährleistet. Oft muss man sich bis zu der am tiefsten hinterlegten Einstellung durchklicken, um einen minimalen Datenschutz zu gewährleisten. Wir wollen die Nutzerrechte in einem modernen Urheberrecht stärken, zum Beispiel durch das Recht auf Weiterverkauf digitaler Güter. Aber wir wollen eben auch, dass die aus der analogen Welt bekannte Idee der Privatkopie unter den besonderen Bedingungen digitaler Nutzungsmöglichkeiten erweitert wird. Es muss also möglich sein, die Daten in mein privates Netzwerk zu Hause oder auf mobile Geräte zu kopieren. Die besondere Herausforderung besteht in der Tat in den Innovationszyklen der digitalen Wirtschaft. Oft entsteht in wenigen Wochen oder Monaten ein neuer Dienst. Wenn man dies mit der Geschwindigkeit vergleicht, mit der allein schon aufgrund der Beteiligungsrechte einzelgesetzliche Regelungen erfolgen können, so sieht man: Dies ist ein hoffnungsloses Rennen. Daher müssen wir technologie- und dienstneutrale Regelungen treffen, die bei neuen Fragestellungen durch starke Verbraucherbehörden, aber eben auch durch die Zivilgesellschaft, Herr Professor Schweickert, also durch Marktwächter, durchgesetzt werden können. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung dafür nutzen, die Grundrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in der digitalen Welt politisch durchzusetzen. Dies geschieht nicht durch Technik oder Wettbewerb allein; es muss politisch aktiv gestaltet werden. Sie haben gemerkt, dass ich keine großen Angriffe gegen die Regierung gestartet habe, weil ich erläutern wollte, aber zu einem Punkt, den Herr Schweickert in seiner Rede als Mitglied der Regierungskoalition genannt hat, möchte ich doch etwas sagen: Er hat gefordert, wir müssten das Safe-Harbor-Abkommen mit den Vereinigten Staaten, das natürlich vor allem Unternehmen wie Facebook und andere für sich nutzen, neu verhandeln. Die Forderung ist richtig. Meine Frage ist nur: Warum haben Sie - auch Sie als Person in den letzten dreieinhalb Jahren auf Anträge der Opposition, das zu tun, immer mit einer Neinstimme geantwortet, anstatt uns in diesem Punkt zu unterstützen? ({2}) Wir haben in acht Minuten Redezeit nur einige Punkte aus unserem Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“ vorstellen können. Ich lade alle ein, mit uns darüber zu diskutieren und Vorschläge zu machen - auch dafür, was zusätzlich passieren oder anders werden muss. Wir freuen uns auf den Dialog. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13886 mit dem Ti- tel „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von SPD und Linken und Enthaltung der Grünen. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Unabhängigkeit der Stiftung Da- tenschutz sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13938, den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11825 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b so- wie die Zusatzpunkte 7 bis 9 auf: 15 a) -Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank - Drucksache 17/13470 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank - Drucksachen 17/13829, 17/13901 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 17/13961 -

Not found (Mitglied des Präsidiums)

- Abgeordnete Ralph Brinkhaus- Manfred Zöllmer- Dr. Volker Wissing- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Peer Steinbrück, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte - Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen - Drucksachen 17/11878, 17/13961 Berichterstattung:Abgeordnete Ralph BrinkhausManfred ZöllmerDr. Volker WissingDr. Gerhard Schick ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({1}), Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den angekündigten Vorschlägen der EUKommission zur Bankenrestrukturierung und -abwicklung hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Bankenunion beschleunigen statt bremsen Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden - Drucksache 17/13908 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank ({3}) in der Fassung vom 16. April 2013 Ratsdok. 7776/1/13 REV 1 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Kontrollrechte des Europäischen Parlaments bei EZB-Bankenaufsicht stärken - Drucksache 17/13909 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Priska Hinz ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank ({5}) in der Fassung vom 16. April 2013 Ratskok. 7776/1/13 REV 1 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes SSM-Verordnung zustimmen, keine innerstaatliche Präjudizwirkung schaffen - Drucksache 17/13910 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Eduard Oswald von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich hereinkam, haben einige Kollegen gesagt, sie würden generell klatschen - egal was ich sage. ({0}) Dennoch will ich den Versuch unternehmen, zum Thema zu sprechen; denn ich glaube, dass es in dieser Legislaturperiode ein für uns alle wichtiges Thema ist. Mit dem Zustimmungsgesetz zur europäischen Bankenaufsicht machen wir heute den Weg für eine europaweit einheitliche Bankenaufsicht frei. ({1}) Wir nehmen als deutscher Gesetzgeber unsere Integrationsverantwortung wahr und bereiten den Weg für eine Zustimmung der Bundesregierung zur Übertragung besonderer Aufgaben der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank. ({2}) - An der Stelle habe ich nun nicht unbedingt mit Beifall gerechnet. ({3}) Damit schaffen wir einheitliche Aufsichtsstandards in Europa und stärken die Durchschlagskraft der Bankenaufsicht. ({4}) Wir sind davon überzeugt, dass dies das Vertrauen in die Stabilität der Banken überall in Europa stärkt. ({5}) - Herr Präsident, ich brauche noch zusätzliche Beifallredezeit. ({6}) „Vertrauen“ ist das entscheidende Wort; denn das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Finanz- und Kreditinstitute hat in den letzten Jahren wahrlich gelitten. Über die Ursachen wurde hier in diesem Haus ausführlich geredet. Zu lange hat man geglaubt, dass sich die Märkte selbst regulieren. Dass dieser Weg nicht der richtige war, wissen wir jetzt. Und wir haben die richtigen Lehren gezogen. In dieser Legislaturperiode haben wir 30 Gesetze auf den Weg gebracht, um die Finanzmärkte zu regulieren, die Banken zu stabilisieren und das Vertrauen wieder herzustellen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben national vieles erreicht und international nicht nur einmal eine Vorreiterrolle übernommen. Für dieses nationale Vorgehen wurden wir oft kritisiert. Doch sind zum Beispiel das Leerverkaufsgesetz und das Restrukturierungsgesetz ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie erfolgreich gerade diese Vorreiterrolle war und ist und wie wichtig es war, gegenüber unseren europäischen und internationalen Partnern ein Zeichen zu setzen. Wir geben heute unsere Zustimmung zur Neuordnung der europäischen Bankenaufsicht. Künftig wird die Europäische Zentralbank die bedeutenden Kreditinstitute der teilnehmenden Mitgliedstaaten beaufsichtigen. Wenn wir heute dem Gesetzentwurf - wohl mit großer Mehrheit - zustimmen werden, zeigt dies auch, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass eine europaweit einheitliche Bankenaufsicht richtig und notwendig ist. Es zeigt aber auch, dass wir auf Europa setzen, statt die Bürgerinnen und Bürger mit Euro-Austrittsfantasien zu beunruhigen. ({8}) Gemeinsam begrüßen wir, dass es gelungen ist, dass regional tätige kleine und mittlere Kreditinstitute - wie unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken - grundsätzlich nicht der Aufsicht durch die Europäische Zentralbank unterliegen. Hier galt es, ein richtiges Maß zu finden, und dies ist gelungen. Wir begrüßen es auch, dass sich die Bundesregierung für ein System der strikten Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsicht in der Europäischen Zentralbank eingesetzt hat. Hier wurde alles erreicht, was auf der Basis der Verträge möglich war. ({9}) Es ist auch richtig, dass die europäischen Finanzminister bekräftigt haben, an einer Vertragsänderung zu arbeiten, um langfristig eine weitergehende Trennung von Geldpolitik und Aufsicht zu ermöglichen. Es war richtig, dass wir dieses Zustimmungsgesetz formuliert haben. Es ist richtig, bei dieser weitreichenden Übertragung von Kompetenzen auch den Bundestag und den Bundesrat angemessen zu beteiligen. Ich bin davon überzeugt, dass dies bei einer derart weitreichenden Übertragung von Aufsichtsbefugnissen notwendig ist. Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen, ({10}) sondern müssen zügig einen europaweit einheitlichen Mechanismus auf den Weg bringen, der uns die Abwicklung großer, international tätiger Banken ermöglicht. Nur dann werden die neuen europäischen Aufsichtsstandards ihre volle Wirkung entfalten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich benütze die Gelegenheit, um mich bei allen für das Miteinander zu bedanken. Im Finanzausschuss wird mit hohem Sachverstand argumentiert und gearbeitet. Aber wir alle müssen gemeinsam daran arbeiten, hier im Plenum in einer Sprache zu reden, die nicht nur von den Experten verstanden wird. ({11}) Auch das gegenseitige Zuhören und die Fähigkeit, auf die Argumente des anderen einzugehen, müssen immer wieder neu erarbeitet werden, auch im Ausschuss. Dass meine CSU-Landesgruppe heute Abend so stark vertreten ist, ehrt mich persönlich; ({12}) denn ihr habe ich auf meinem politischen Weg in Bonn und Berlin eigentlich alles zu verdanken. ({13}) Ich hatte die Ehre, in meiner Parlamentszeit neben vielen anderen Aufgaben Vorsitzender von drei Parlamentsausschüssen zu sein, darunter in der Zeit der Großen Koalition auch im Finanzausschuss. Ich habe mich für die Kollegialität über alle Fraktionsgrenzen hinweg zu bedanken. Auch wenn die Politikansätze da und dort unterschiedlich sind, ja, in einer demokratischen Struktur unterschiedlich sein müssen, gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als gerade in Wahlzeiten oder an Sitzungstagen wie heute zum Ausdruck kommen. ({14}) Das stimmt mich für unsere parlamentarische Demokratie insgesamt zuversichtlich. Aber auch wenn es einfach klingt, ist es dennoch wahr: So wie Politik nichts anderes ist, als im Dienst für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zu stehen, so hat die Finanzwirtschaft die Aufgabe, nicht für sich selbst da zu sein und mit sich selbst Geschäfte zu machen, ({15}) sondern sie hat der realen Wirtschaft und damit allen Menschen zu dienen. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Lieber Kollege Oswald, ich bedanke mich bei Ihnen im Namen des ganzen Hauses für die langjährige, kollegiale und menschliche Zusammenarbeit im Deutschen Bundestag und auch in der Bundesregierung. Sie waren seit 1987 Mitglied des Bundestages, also in sieben Legislaturperioden. Das war sicher eine spannende und aufregende Zeit, insbesondere die Zeit der Bildung der deutschen Einheit. Ich hoffe, Sie werden die Jahre ohne Bundestag trotzdem gut verbringen und die Zeit auch ohne Politik gut ertragen. Alles Gute! ({0}) Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Manfred Zöllmer das Wort. ({1})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum brauchen wir eine Bankenunion in der EuroZone? Bisher ist Europa sehr schonend mit seinen Banken umgegangen. Während in den USA in den letzten Jahren seit Beginn der Finanzkrise fast 500 Banken geschlossen wurden, sind es in Europa nur sehr wenige gewesen. Die Konsequenz daraus lautet: Es gibt viele marode Banken in Europa, und sie existieren weiter. Die Folge ist eine massive Störung des Interbankenmarktes, weil das Vertrauen der Banken untereinander nicht mehr vorhanden ist. Diese maroden Banken sind ein großes Problem. Sie verleihen kaum noch Kredite und werden künstlich am Leben gehalten. Sie können nicht richtig leben, gestorben sind sie aber auch nicht. Sie sind scheintot. Nationale Aufseher haben bisher kaum eingegriffen, weil sie um die Zahlungsfähigkeit ihrer Staaten fürchteten. Zypern ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Wenn eine dieser maroden Banken dann endgültig ins Wanken geriet, mussten die Steuerzahler bisher diese Banken retten. Insgesamt müssen wir feststellen: Die Risiken sind längst europäisch geworden; die Aufsicht blieb national. Wir brauchen deshalb dringend eine Bankenunion in Europa, die diese Banken auf Augenhöhe überwachen, kontrollieren und notfalls auch abwickeln kann. ({0}) Das war die Forderung von Peer Steinbrück in seinem Papier zur besseren Regulierung der Finanzmärkte. ({1}) Dies war die Forderung der Bundestagsfraktion der SPD. Inzwischen hat sich auch die Bundesregierung diese Forderung grundsätzlich zu eigen gemacht. Nun soll der Bundestag grünes Licht für eine gemeinsame Bankenaufsicht bei der EZB geben. Ich will jetzt nicht im Detail auf die europa- und verfassungsrechtlichen Probleme eingehen. Nur so viel: Das von der Bundesregierung gewählte Verfahren stellt aus unserer Sicht kein Präjudiz für ähnliche Übertragungen von Aufgaben auf die europäische Ebene dar. ({2}) Dies haben wir als Berichterstatter in einer gemeinsamen Erklärung für das Ausschussprotokoll formuliert. Die Bankenaufsicht soll auf die EZB übertragen werden. Sie ist zurzeit die einzig funktionsfähige Institution in der Euro-Zone, die dies durchführen kann. Es bleibt aber ein Problem, nämlich das ökonomische Problem der Verquickung von Aufsicht und Geldpolitik. Hier kann es zu ganz erheblichen Konflikten kommen. Denn die Aufgabe der unabhängigen EZB ist es, Geldpolitik zu betreiben. Sie wurde nach dem deutschen Muster eingerichtet. Das war auch richtig. Deshalb kann ich manche aktuelle Diskussion vor allem aus konservativen Kreisen über die EZB und ihre Geldpolitik kaum nachvollziehen. ({3}) Die Konstruktion einer sogenannten Chinese Wall zwischen Aufsicht und Geldpolitik zur Vermeidung von Konflikten konnte nur teilweise gelingen. Dies hat die Anhörung deutlich gezeigt. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten in unserem Entschließungsantrag, die Übertragung der Aufsicht auf die EZB nur vorübergehend vorzunehmen, bis eine eigenständige europäische Institution, die von der EZB unabhängig ist, diese Aufgabe übernehmen kann. ({4}) Die Übertragung der Aufsicht kann nur ein erster Schritt sein. Damit alleine haben wir noch keine Bankenunion. Eine Aufsicht ohne Sanktionsmöglichkeit ist ein zahnloser Tiger. Damit sind wir beim Thema Rekapitalisierung und Abwicklung. Im letzten Jahr wurde auf einem Europäischen Rat mit Zustimmung von Frau Merkel vereinbart, dass mit der Einführung einer europäischen Bankenaufsicht eine direkte Rekapitalisierung von Banken aus dem Europäischen Stabilitätsmechanis31406 mus, dem ESM, erfolgen kann. Dies ist eine fatale Entscheidung; denn der ESM wurde aus Steuergeldern gespeist und sollte dazu dienen, Staaten und nicht Banken finanziell am Leben zu erhalten. ({5}) Wer Banken schont und dafür den Steuerzahler in die Haftung nehmen will, der lässt weiterhin den Steuerzahler für marode Banken in Europa bluten. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten: Keine direkte Rekapitalisierung von Banken aus dem ESM! Hände weg vom Geld der Steuerzahler! ({6}) Unsere Alternative heißt: Eigentümer und langfristige Fremdkapitalgeber müssen zuerst in die Haftung kommen. Wir brauchen eine vernünftige Haftungskaskade. Darüber hinaus brauchen wir einen einheitlichen europäischen bankenfinanzierten Restrukturierungsfonds, unabhängig von der EZB, der gespeist wird über eine Bankenabgabe, die sich am systemischen Risiko einer Bank orientiert. Dies ist auf der Basis der geltenden Verträge möglich. Bisher hat sich die Bundesregierung diesen Forderungen verweigert. Damit befindet sie sich im Widerspruch zur EU-Kommission, zur EZB und zu nahezu allen namhaften Experten. Dies hat die Anhörung noch einmal deutlich gezeigt. Wir fordern das in unserem Antrag. Ihr Stimmverhalten wird zeigen, wie Sie zu Forderungen, die Banken und nicht den Steuerzahler in die Haftung zu nehmen, stehen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Schritt, Bankenaufsicht, geht in die richtige Richtung. Bei den weiteren Schritten sind Sie aber auf dem Holzweg. Ändern Sie die Richtung! Diese Bundesregierung macht doch auch sonst Politik nach dem Motto „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“. Danke sehr. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing das Wort. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem Kollegen Eduard Oswald herzlichen Dank, Anerkennung und Respekt im Namen der FDP-Fraktion aussprechen. Er war und ist ein wertvoller Kollege, der einen besonders menschlichen und wertvollen Stil in die parlamentarische Debatte gebracht hat. Wir haben großen Respekt vor ihm als Parlamentarier und sind dankbar, dass er Kollege von uns ist, und sind stolz, dass wir mit ihm zusammenarbeiten durften. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat bereits im Jahr 2005 ein europäisches Bankenaufsichtsregime gefordert. Nicht dass wir die Krise vorausgesehen hätten - aber uns war damals schon klar, dass sich die Finanzwirtschaft immer stärker vernetzt und dass Dinge, die so eng zusammenhängen, auf Dauer nicht mehr rein nationale Aufgaben sein können. Wir haben, als sich die Regierungschefs darauf verständigt haben, ein europäisches Aufsichtsregime zu schaffen, hier im Deutschen Bundestag einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem wir die Eckpunkte festgelegt haben, wie aus unserer Sicht eine europäische Aufsichtsstruktur geschaffen werden soll. Dabei war immer klar: Wir wollen nicht warten, bis es eine Vertragsänderung gibt, sondern wir wollen auf der Grundlage des geltenden Primärrechtes eine Bankenaufsicht schaffen, weil wir keine Zeit haben, um weiter zuzuwarten. Wir haben nach wie vor eine Vertrauenskrise an den Märkten. Vertrauen zurückzugewinnen, setzt handlungsfähige, effektive staatliche Strukturen voraus. Wir haben gesehen, dass die nationalen Aufsichten nicht mehr ausreichen, weil nationale Risiken im Bankensektor die gesamte Euro-Zone betreffen und Risiken anderer Länder auch Risiken deutscher Steuerzahler sein können. Deswegen haben wir uns darauf verständigt, so schnell wie möglich eine europäische Bankenaufsicht zu schaffen. Selbstverständlich ist damit nicht alles vollendet. Selbstverständlich muss man jetzt auch noch an Restrukturierungsfragen herangehen. Aber das, was man auf der Grundlage des geltenden Primärrechtes ohne Vertragsänderung schaffen kann, muss schnell kommen. Mit der SSM-Verordnung liegt die richtige Verordnung vor. Wir können sagen, dass die Bundesregierung alle Punkte, die der Deutsche Bundestag hier für wichtig erachtet hat, in die SSM-Verordnung hineinverhandelt hat, und deswegen können wir ihr heute zustimmen. ({1}) Es geht nicht um die Frage: Wie und aus welchem Fonds werden Banken rekapitalisiert? Es geht heute auch nicht um die Frage, wie ein Restrukturierungsregime aussieht. Dazu haben wir klare Vorstellungen; aber darüber entscheiden wir heute nicht. Diese Dinge müssen noch verhandelt werden. Aber wichtig ist, dass jetzt eine einheitliche Aufsicht kommt und dass wir den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sagen können: Wir haben die Lücke erkannt. Wir wollen, dass wir über eine europäische Aufsicht die Möglichkeit haben, auch Einfluss auf die Kontrolle von Banken im europäischen Ausland auszuüben, weil diese Banken Risiken haben, die sich für deutsche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler realisieren können. Das Warten auf eine Vertragsänderung wäre nicht zu verantworten. Wir verabschieden heute nicht die SSM-Verordnung unmittelbar, sondern ein Gesetz, das die Bundesregierung ermächtigt, dieser Verordnung zuzustimmen, nicht deshalb, weil der Deutsche Bundestag Kompetenzen von europäischer Ebene wieder an sich ziehen möchte, sondern deshalb, weil wir uns unserer Verantwortung stellen wollen. ({2}) Es geht hier um die Übertragung exekutiver Rechte. Die Europäische Zentralbank wird in Grundrechte Deutscher eingreifen können - und das unmittelbar. Da ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir als Vertreter des Souveräns dies ganz klar mit einer Willensbildung des Deutschen Bundestages begleiten. ({3}) Das ist das Maximum an parlamentarischer Beteiligung. Wir stellen uns unserer Verantwortung. Wir wollen nicht Kompetenzen anderer an uns ziehen. ({4}) Sie sagen, Herr Kollege Zöllmer, dass die Problematik der Haftungskaskade gelöst werden muss. Da sind wir einer Meinung. Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass Vertragsänderungen erforderlich sind. Wir werden jetzt mit aller Sorgfalt, mit der notwendigen Zeit - die werden wir uns nehmen müssen - auf Vertragsänderungen hinwirken. Wir werden dann die Frage des Restrukturierungsregimes klären und werden auch da in Europa richtungsweisend wirken, weil wir mit dem deutschen Banken-Restrukturierungsgesetz eine Vorleistung erbracht haben. Was sorgfältig erarbeitet werden kann, auch durch Vertragsverhandlungen erarbeitet werden muss, soll sorgfältig erarbeitet werden. Aber die Bankenaufsicht kann nicht auf sich warten lassen. Wir brauchen sie dringend, um das Vertrauen zurückzugewinnen, und wir brauchen sie dringend, um Prävention im Sinne deutscher Steuerzahlerinnen und Steuerzahler betreiben zu können. Deswegen können wir diesem Gesetz mit voller Überzeugung zustimmen. Die Bundesregierung hat dem Willen des Deutschen Bundestages Rechnung getragen. Wir kommen Schritt für Schritt voran. Wir werden die europäischen Finanzmärkte damit stabiler machen und einen Schutzwall für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bauen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut sechs Jahre ist der Ausbruch der Finanzkrise her. Viele, viele Arbeitsplätze hat sie gekostet und viele Menschen, die gar nichts, rein gar nichts für die Krise konnten, in finanzielle, in existenzielle Not gebracht. Die Staatsverschuldung vieler Länder schnellte rasant in die Höhe. Die Finanzkrise ging in die Krise des Euros über, und in vielen europäischen Staaten spitzten sich die Probleme der Bevölkerung dramatisch zu; sie spitzen sich weiter zu. Die Arbeitslosenrate unter Jugendlichen in Griechenland, das sich im sechsten Jahr der Rezession befindet, liegt bei rund 60 Prozent - auch eine Folge der harten Spar- und Kürzungsprogramme. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Armutszeugnis der Politik und sicher auch einer der Gründe, warum die Politikverdrossenheit zunimmt und radikale eurokritische Parteien wie die „Alternative für Deutschland“ Zulauf erfahren, dass Sie viel zu spät gehandelt haben und handeln. ({0}) Die Krise brachte die Erkenntnis - immerhin! -, dass nicht die weitere Liberalisierung der Finanzmärkte die Lösung sein kann, getreu dem Motto „Der Markt wird es schon richten“, sondern dass es sowohl der Regulierung der Bankentätigkeit, insbesondere der Bankprodukte, bedarf, um Zockerei, die nichts mit der Kernaufgabe von Banken, der Finanzierung der Realwirtschaft, zu tun hat, zu verhindern, als auch klarer Mechanismen zur Abwicklung insolventer Banken, um zu verhindern, dass weiterhin die Gewinne privatisiert und die Verluste der Allgemeinheit, also uns allen, aufgebürdet werden. ({1}) Dies erfordert eine Bankenaufsicht, einheitlich geregelt, mindestens im Euro-Raum; das ist unbestritten. Heute geht es um einen Gesetzentwurf, mit dem besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB übertragen werden sollen, die SSM-Verordnung. Der deutsche Vertreter im Rat soll ermächtigt werden, dem Vorschlag für die Verordnung des Rates zuzustimmen. De facto wollen Sie damit von uns heute nur die förmliche Zustimmung und sich damit rechtlich absichern. Die Linke sieht die Notwendigkeit einer europäischen Bankenaufsicht, ganz klar. ({2}) Allerdings ist Ihre Umsetzung so halbherzig, dass wir Ihrem Vorgehen nicht zustimmen können. Die Kritikpunkte überwiegen eindeutig. Schließlich muss die Frage lauten: Wird die Bankenaufsicht mit Ihrem Gesetz besser oder nicht? Das ist der springende Punkt. Man muss leider sagen: Nein, sie wird nicht besser. ({3}) Lassen Sie mich vier Punkte herausgreifen. Erstens. Die Begrenzung der europäischen Bankenaufsicht auf die Euro-Zone erfasst damit nicht die Bank31408 aktivitäten am größten europäischen Finanzplatz London. Das ist natürlich ein Riesenmanko. ({4}) Zweitens. Die europäische Bankenaufsicht, so wie sie bei der EZB angesiedelt werden soll, birgt in sich einen Zielkonflikt zwischen der Geldpolitik der EZB und ihrer Aufsichtstätigkeit. Zudem ist die Europäische Zentralbank den Weisungs- und Kontrollrechten der Regierungen völlig entzogen. Ich will das einmal vergleichen: Die BaFin, die nationale Bankenaufsicht, untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums, welches wiederum der parlamentarischen Kontrolle unseres Hauses untersteht. Das ist eine ganz andere Konstruktion. Drittens. Die von Ihnen organisierte Bankenaufsicht hat im Prinzip keinerlei Macht. Im Gegensatz zur nationalen Bankenaufsicht hat die EZB keinerlei Möglichkeiten, die von ihr beaufsichtigten systemrelevanten Banken zu schließen, abzuwickeln oder neu zu organisieren. Es ist sozusagen ein Tiger ohne Zähne. Da wird sich von vornherein manche Bank freuen. Viertens entsteht mit der neuen Bankenaufsicht ein weiteres Problem. Richtig ist, dass wir heute in Europa eine Vernetzung zwischen den Banken haben, aber gleichermaßen auch im Wertpapierhandel und im Versicherungswesen. Was wir brauchen, ist eine Allfinanzaufsicht, die tatsächlich alle diese drei Bereiche kontrolliert. ({5}) In Ihrer Organisation der Bankenaufsicht besteht die Gefahr, dass Krisen nicht erkannt werden und einfach von einem Bereich auf einen anderen überschwappen. Die Bundesregierung war viel zu lang untätig. Nun läuft Ihnen einfach die Zeit davon. In Windeseile erschaffen Sie hier ein Gesetz, mit dem Sie sich eine Zustimmung im Bundestag erkaufen wollen. Die Bankenaufsicht wird nicht besser als vorher sein, in manchen Punkten sogar schlechter. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Lassen Sie mich an dieser Stelle meinem ehemaligen Ausschussvorsitzenden Herrn Oswald persönlich danken, der nicht nur als Ausschussvorsitzender eine hervorragende Arbeit geleistet hat, sondern - wir alle schätzen ihn als Vizepräsidenten des Bundestages - der sich immer um eine gute Auseinandersetzung und eine gute Stimmung im Haus bemüht hat, trotz aller Probleme, die wir durchaus miteinander haben. Danke. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich erst einmal dem Dank an Eduard Oswald herzlich anschließen, der für mich als Neuparlamentarier in meinen ersten Schritten im Parlament mehr als fair war. Danke schön. ({0}) Zu dem Gesetz. Normalerweise haben wir im Finanzausschuss dicke Gesetze, bei denen viel durchzulesen und durchzuarbeiten ist und in denen es viele Detailregelungen gibt. Heute haben wir ein Gesetz, das auf einen Zettel passt und in dem vier Sätze stehen. Von diesen hat eigentlich nur einer eine inhaltliche Aussage. Dieser heißt: Der deutsche Vertreter im Rat soll der Übertragung der Bankaufsichtskompetenz auf die europäische Ebene zustimmen. Es ist ein bisschen komisch, ein solches Gesetz zu haben. Dahinter steht eine rechtspolitische, eine verfassungsrechtliche und europarechtliche Diskussion. Wir meinen, dass der Weg, den die Bundesregierung geht, falsch ist. Es wäre richtig, hier nicht ein Gesetz zu machen, denn das Gesetz gibt es schon auf europäischer Ebene, sondern mit einer Stellungnahme nach Art. 23 des Grundgesetzes unsere Auffassung zum Ausdruck zu bringen, wie die Bundesregierung in Brüssel agieren soll; denn genau dafür gibt es diesen Artikel. ({1}) Lassen Sie uns den Gesetzentwurf trotz dieses Verfahrensfehlers in der Sache bewerten. Heute geht es darum, einen großen Fehler der Bundesregierung zu korrigieren. Es ist ja eine komische Situation: Es gibt eine europäische Bankenaufsicht, und wir schaffen eine europäische Bankenaufsicht. Was soll denn das? Es gibt bereits eine europäische Bankenaufsicht in London. Sie hat ihre Arbeit am 1. Januar 2011 aufgenommen. Aber sie hat keine wirklichen Durchgriffsrechte auf die Banken. Da fragt man sich: Wieso hat man das nicht schon damals so gemacht, wenn heute eine Bankenaufsicht geplant ist, die genau diese Durchgriffsrechte haben soll? ({2}) Nun, die Antwort ist ganz einfach. Es gab zwei Regierungen, die vehement dagegen waren. Eine dieser Regierungen sitzt leider hier in Berlin. Sie muss heute einsehen, dass sie vor drei Jahren auf dem völlig falschen Dampfer war und Europa drei Jahre verloren hat. Das war für den deutschen und den europäischen Steuerzahler teuer. ({3}) Wir haben das schon damals gefordert. Dass das richtig war, war allen klar: dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und der europäischen Öffentlichkeit. Warum ist das so fatal? Es wäre in den letzten Monaten gut gewesen, eine europäische Bankenaufsicht zu haben, um sich die Situation der Banken in Zypern genau anschauen zu können. Es wäre auch gut gewesen, eine europäische Bankenaufsicht zu haben, um die Probleme in Spanien rechtzeitig aufzuklären und dafür zu sorgen, dass sie nicht ewig verschleppt werden. Europa hätte sich viele dramatische Monate der Rettung ersparen können, wenn wir rechtzeitig gehandelt hätten. Es ist gut, dass dieser Fehler endlich korrigiert wird. ({4}) Ich richte meinen Blick aber nicht nur in die Vergangenheit. Diese Koalition ist nämlich dabei, dieselbe Art von Fehler zu wiederholen, nämlich beim Abwicklungsfonds. Eines sollte man sich zu Herzen nehmen - Europäische Zentralbank und Bundesbank sind ja nicht immer einer Meinung; aber in dieser Frage sprechen sie mit einer Stimme -: Es ist gefährlich, wenn die Aufsichtskompetenz auf europäischer Ebene angesiedelt ist, die Abwicklung von Banken, die wackeln, aber nur national organisiert werden kann. Davor haben Herr Mersch gestern in den Ausschüssen und Frau Lautenschläger-Peiter in den letzten Tagen für die Bundesbank gewarnt. Alle Experten sagen: Das gehört zusammen. Wer steht wieder auf der Bremse? Diese Bundesregierung. ({5}) Warum ist das so fatal? Es wird jetzt noch einmal eine Überprüfung der Bankbilanzen geben. Das macht die EZB; das ist gut, und das ist richtig so. Wenn dann Kapital fehlt, gibt es zwei Wege, es zu beschaffen. Der erste Weg besteht darin, dass sich der Steuerzahler mit Geld beteiligt; diesen Weg hat die Bundesregierung durch den ESM eröffnet. Es gibt einen zweiten Weg: Man könnte das Kapital auch durch einen Bankenabwicklungsfonds, den die Banken bezahlen, beschaffen. Diesen Weg blockiert die Bundesregierung. Nach Adam Riese ist klar, was wieder passieren wird: dass doch der Steuerzahler ins Risiko gehen muss. Deswegen fordern wir Sie in unserem Antrag auf: Machen Sie endlich den Weg frei, dass die Probleme der Banken von den Banken gelöst werden und nicht mehr vom Steuerzahler! ({6}) Ich möchte einen letzten Punkt, der uns Parlamentariern wichtig sein sollte, ansprechen. Häufig wird in Sonntagsreden beklagt, dass irgendwelche europäischen Institutionen entscheiden, sie aber nicht demokratisch kontrollierbar sind. In diesen Tagen geht es um genau diese Frage: Gibt es, was die neue Bankenaufsichtskompetenz der Europäischen Zentralbank angeht, eine effektive parlamentarische Kontrolle oder nicht? Da sind wir uns im Grunde und abstrakt einig. Aber jetzt geht es genau darum, dass der Deutsche Bundestag bei den Verhandlungen klar sagt: Wir wollen, dass das Europäische Parlament wirklich kontrollieren kann, ob die Bankenaufsicht eine gute Arbeit macht, ob sie Großbanken richtig auf die Finger schaut, ob die Personalausstattung stimmt. - Es reicht nicht aus, wenn man nur Fragen stellen darf, die einem niemand beantwortet. Die Bankenaufsicht muss verpflichtet sein, zu antworten. Sie muss wirklich kontrollierbar sein, im Extremfall auch durch einen Untersuchungsausschuss. Wir haben ja gesehen, dass die Bankenaufsicht manchmal richtige Fehler macht. ({7}) Der Appell der Fraktion der Grünen an Sie alle lautet: Stimmen Sie dafür, dass die neue europäische Bankenaufsicht durch das Europäische Parlament effektiv kontrolliert werden kann, damit nicht dadurch, dass Deutschland Kompetenzen an die europäische Ebene abgibt, das Demokratiedefizit vergrößert wird! Vielmehr muss demokratische Kontrolle, so wie es auch das Bundesverfassungsgericht von uns fordert, auch im europäischen Einigungsprozess immer gewährleistet sein. Danke schön. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt der Kollege Gunther Krichbaum das Wort. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute die Weichen für eine einheitliche europäische Bankenaufsicht stellen und damit den Weg dafür bereiten, dass die Standards der europäischen Bankenaufsicht eines Tages durchgesetzt werden, dann leisten wir damit auf jeden Fall einen wesentlichen Beitrag zu einer Stabilitätskultur für unsere Währung. Wahrscheinlich standen noch nie in einer Legislaturperiode währungs- und geldpolitische Maßnahmen so sehr im Fokus wie in dieser. Aber eines kann man in jedem Fall festhalten: Ja, vieles von dem, was wir in den letzten zwei oder drei Jahren hier im Deutschen Bundestag parlamentarisch begleitet und beschlossen haben, hätte man natürlich vernünftigerweise schon damals mit dem Vertrag von Maastricht auf den Weg bringen müssen. Es lag damals aber mit Sicherheit nicht an der Bundesrepublik Deutschland, das zu realisieren. So holen wir jetzt gewissermaßen im Zeitraffer das nach, was damals letztlich versäumt wurde. Dennoch: Der Euro bleibt eine attraktive Währung. Wir brauchen den Euro, die Welt braucht den Euro als zweite starke Leitwährung. Wie attraktiv der Euro nach wie vor ist, sehen wir schon allein daran, dass jetzt Lettland - darüber werden wir heute Abend auch noch abstimmen - den Euro alsbald einführen möchte. Doch der Blick zurück lohnt immer noch. Wir dürfen nicht vergessen, warum wir all das machen: Wir haben auch in der Bundesrepublik Deutschland die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre hinter uns. Deswegen geht es natürlich darum, zu mehr Stabilität zu finden und die entsprechenden Entscheidungen zu respektieren; denn - da knüpfe ich an meinen Vorredner, Herrn Schick, an - Regeln, die aufgestellt werden, sind immer nur so gut, wie sie respektiert werden. Wir haben und hatten einen Stabilitätspakt. ({0}) Dieser Stabilitätspakt wurde bis zum heutigen Tag mehr als 60-mal verletzt, ohne dass einmal vernünftig geahndet worden wäre. Letztlich wurde der Stabilitätspakt seinerzeit vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer verhängnisvollen Entente cordiale mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac aufgeweicht. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. ({1}) Es hilft wenig, an dieser Stelle irgendwie nachzukarten. Nur gilt eines beim Blick voran: Wir müssen die Regeln, die wir heute aufstellen, respektieren. Das gilt insbesondere jetzt - da blicke ich abermals durchaus mit einer gewissen Sorge nach Frankreich -, wo es ein sogenanntes Europäisches Semester gibt, wo es länderspezifische Empfehlungen gibt, aber der französische Präsident, wenn eine solche Empfehlung ausgesprochen wird, nichts anderes zu tun hat, als zu sagen, dass er diese als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs erachtet. ({2}) So bauen wir sicherlich nicht das Vertrauen auf, das wir brauchen. Aber es ist das Wichtigste, dass wir das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen. ({3}) Auch deswegen ist es wichtig, dass wir in Deutschland schon vor geraumer Zeit die Schuldenbremse in unsere Verfassung eingefügt haben. Ein zentraler Bestandteil des Fiskalpaktes war es, dass Schuldenbremsen nun europaweit Einzug in die Verfassungen der einzelnen Länder finden. Ja, da gilt es weiterzumachen. Wir brauchen eine einheitliche europäische Bankenaufsicht mit drei Säulen: Aufsicht, Abwicklungsregeln und Abwicklungsfonds. Eines können und müssen wir heute Abend wahrscheinlich festhalten: Mittelfristig wird es nicht ohne Vertragsänderungen gehen. Wir werden sie brauchen, um mehr Klarheit zu schaffen. Aber ich denke, entscheidend ist auch, dass wir heute Abend hier die Weichen richtig stellen. Denn wir können für die Bürger, die uns heute Abend noch zuhören, festhalten: Als Erstes muss eine Bank versuchen, sich selbst am Kapitalmarkt zu retten. Gelingt das nicht, sind als Nächstes die Anteilseigner und die Anleihegläubiger dran, die auf ihre Forderungen verzichten müssen. In einem weiteren Schritt müssen die Bankkunden mit Einlagen höher als 100 000 Euro einspringen. Dann, aber auch erst dann, ist der heimische Steuerzahler in der Pflicht. Last, but not least: Der letzte Rettungsanker wäre die europäische Solidargemeinschaft, sprich: der ESM. So ist es insbesondere von der Bundesregierung entwickelt worden, namentlich durch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor allem aber durch Herrn Bundesfinanzminister Dr. Schäuble. Das Vorgehen trägt unsere Handschrift. Damit setzen wir ein gutes Zeichen in Europa. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Peter Danckert. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen - damit ich es nachher nicht vergesse - dir, lieber Eddi Oswald, sehr herzlich für die Begleitung meiner parlamentarischen Arbeit danken. Ich habe dich als junger Abgeordneter in hohen Jahren als jemanden schätzen gelernt, der mit uns freundschaftlich-kollegial umgeht und uns auch einmal einen Tipp gibt. Politisch sind wir nicht immer einer Meinung gewesen, aber du warst für mich als Youngster im hohen Alter ein echtes Vorbild. Da das heute meine letzte Rede ist, freut es mich, dass ich dir von dieser Stelle aus meinen aufrichtigen Dank dafür sagen darf. Vielen Dank! ({0}) Meine Damen und Herren, eben hat der Präsident angekündigt, dass ich für die SPD-Fraktion spreche. Ja, ich bin Mitglied der SPD-Fraktion und auch stolz darauf, aber ich vertrete heute eine abweichende Meinung. Es ist guter parlamentarischer Brauch, wenn man sich dazu durchringt, auch einen Abweichler, der möglicherweise die richtige Auffassung hat, aber nicht die Mehrheitsmeinung vertritt, im Parlament zu Wort kommen zu lassen. Ich bin am Dienstag und Mittwoch in Karlsruhe gewesen. Ich habe an einer spannenden Verhandlung zu Fragen des ESM und der EZB - was ist die Aufgabe der EZB? - teilgenommen. Wir werden sehen, wie das Verfahren ausgeht. Mein Eindruck war: Alle Parteien sehen sich aus dieser Verhandlung als Punktsieger hervorgehen. In einigen Wochen, vielleicht Monaten, wird uns der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit seiner Entscheidung vielleicht überraschen. Ich will meine Ausführungen mit der einleitenden Bemerkung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Herrn Professor Voßkuhle, zur mündlichen Verhandlung beginnen. Sein ungefährer Wortlaut war: Die EZB trifft mit ihrem Plan, Staatsanleihen zu kaufen, im Grunde politische Umverteilungsentscheidungen, die EZB ist aber demokratisch nicht legitimiert. Sie kann nicht kontrolliert werden, weil sie unabhängig ist. Sie ist politisch nicht verantwortlich und trifft dennoch weitreichende Entscheidungen. ({1}) Das ist für alle Akteure im Grunde genommen perfekt, bis auf die, die am Ende die Zeche zahlen müssen, und das sind leider in der Regel die Steuerzahler. ({2}) Dieses Problem hat der Präsident mit einer bemerkenswerten Offenheit angesprochen, und dieser Feststellung kann ich mich nur anschließen. Mit der heutigen Beschlussfassung, die mit großer Gemeinsamkeit getroffen werden wird, setzt sich diese fatale Entwicklung meines Erachtens fort. Ich prophezeie, dass die heutige Entscheidung ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht landet. Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode mit bestimmten Fragen vielleicht gründlicher befassen und nicht alles immer sofort aus „politischen Gründen“ akzeptieren. Auch gegen die Bankenaufsicht, gegen die Bankenunion ist aus meiner Sicht prinzipiell nichts zu sagen. Die Frage ist aber, wie wir das machen und wie wir damit umgehen. Der Kollege Dr. Schick hat gerade darauf hingewiesen, dass dieser Gesetzentwurf, mit dem weitreichende Kompetenzen an die EZB übertragen werden sollen, im Grunde aus einer Zeile besteht. Eine so weitreichende Kompetenz steht im Widerspruch zu dem mageren Text des Gesetzentwurfs. Die Probleme sind komplexer, als die meisten hier im Raum wahrhaben wollen. Ich darf die Koalitionsfraktionen sowie die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion daran erinnern, dass wir am 29. Juni 2012 nach dem Gipfeltreffen vom 28. und 29. Juni 2012 in Brüssel und einem entsprechenden Änderungsantrag, der in die Haushaltsberatungen eingegangen ist, hier im Deutschen Bundestag Folgendes beschlossen haben:

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Danckert, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Ich habe Ihnen schon ausreichend zusätzlich Zeit gewährt.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wird meine Zeit, in der ich Herrn Oswald gelobt habe, angerechnet? ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die habe ich schon einbezogen.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also: Man sollte nicht so viel mit Komplimenten arbeiten. Meines Erachtens ist das eine ganz fatale Entwicklung. Ich will - abschließend, Herr

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- auf die von meinem Kollegen Rolf Schwanitz verfasste, von ihm, mir und weiteren Kollegen mitunterzeichnete persönliche Erklärung zur Abstimmung verweisen, in der es heißt: Es ist ein wohl einzigartiger Vorgang in der deutschen Demokratiegeschichte, dass eine Bundesregierung über 12 Monate hinweg Verhandlungen führt und Zusagen macht, die einem klaren Votum des Deutschen Bundestags widersprechen. Die Insider wissen, worauf ich abhebe. ({0}) Ich kann deshalb heute hier nicht anders als mit Nein stimmen. Die Gründe habe ich versucht anzudeuten. Es sind verfassungsrechtliche und politische Gründe. Ich glaube, wir würden gut daran tun, wenn wir die Bankenaufsicht, das Abwicklungsregime und den Ausgleichsfonds als einen Komplex ansehen würden, statt hier scheibchenweise vorzugehen. Vielen Dank, auch für Ihre Nachsicht, Herr Präsident. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön. - Das Wort hat der Kollege Gerhard Drexler für die FDP-Fraktion. ({0})

Gerhard Drexler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004231, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin scheinbar ein bisschen zu früh aufgesprungen, aber als Neuer darf man ja den einen oder anderen Fehler machen. Ich freue mich, dass ich meine erste Rede zu diesem Thema, bei dem ich mich ein bisschen auskenne, halten darf; denn das hat etwas mit meinem Beruf zu tun. In meiner Kindheit stellte uns ein Bauer eine Wiese mit zwei Fußballtoren zur Verfügung. Wir haben ohne Schiedsrichter gespielt; den haben wir nicht gebraucht. Wenn einer gefoult hat, sind wir stehen geblieben und es gab einen Freistoß. Weil sich der eine oder andere nicht daran gehalten hat, haben wir später einen Schiedsrichter gebraucht, aber nur einen. Das war eine schöne Kinderzeit. Wie die Geschichte weitergegangen ist, sieht man jetzt in der Bundesliga. Wir brauchen derzeit vier Schiedsrichter, einen Videobeweis und wer weiß was noch alles. Versteckte Fouls gibt es trotzdem. ({0}) Jetzt kommen wir zur Welt der Banken. In der Welt der Banken ist es ähnlich. Früher haben die Banken die Leute mit Krediten versorgt, und die Sparer haben ihr Geld aufs Sparbuch getan. Die Welt war damals scheinbar noch in Ordnung. Dann kamen die Leute, die Finanzprodukte designt haben. Mir sind Designer lieber, die schöne Hemden machen. Die Finanzproduktdesigner haben die Produkte so designt, dass keiner mehr verstanden hat, worum es sich bei diesen Finanzprodukten überhaupt gehandelt hat. Das war völlig daneben. Keiner wusste mehr, was die verkaufen. Dann gab es noch die Situationen, die auch kein Mensch versteht. ({1}) - Ja, ich bin noch da, meine Damen und Herren. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir etwas zuhören würden. ({2}) Es gibt sicher etwas Neues zu hören. Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Es gibt zum Beispiel einen österreichisch-spanischen Bauriesen, der immer sehr sportlich günstige Angebote gemacht hat und dem man dann mehrere Hundert Millionen Euro geschenkt hat, damit er überlebt. Dem kleinen Bäckermeister hat man die Semmeln aus dem Backofen heraus gepfändet, wenn er nur zwei oder drei Raten nicht zahlen konnte. Deswegen muss man die Banken und die Bankenlandschaft reformieren. Auch in Europa ist es ziemlich deftig zugegangen. Deswegen dürfen wir sagen: Wir brauchen eine gescheite Bankenaufsicht. ({3}) Aber die Argumente der Linken sind furchtbar, sie sind fadenscheinig. Die wollen die Banken einfach nur abschaffen oder verstaatlichen. Das ist schön, aber mit uns geht das nicht. ({4}) Wir wollen keine Haftungsunion, und wir wollen auch nicht, dass alles in einen Topf geschmissen wird. Aber wir brauchen eine gewisse Aufsicht. ({5}) - Zuhören ist ganz schön, aber auch sehr schwierig, weil Sie die Leute hier immer mit Ihrem Hammelsprung vertreiben. ({6}) Das ist immer ganz interessant. Sie machen da eine Geisterfahrt. Wenn man als Geisterfahrer auf der Autobahn fährt und sich immer freut, dass irgendwelche Leute ausweichen, wird man irgendwann bestraft, weil man mit jemandem zusammenstößt. Ich habe einiges gesehen, was Sie machen, aber das ist wirklich der Hohn. Sie leben in Ihrem Wolkenkuckucksheim, dabei sollten Sie eigentlich auf das Geld der kleinen Sparer aufpassen. Aber das machen Sie nicht. Jetzt kommen wir wieder zurück zum Fußball. Liebe Kollegen von der Opposition: Wer immer im Abseits steht, darf beim nächsten Mal nicht mehr mitspielen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Drexler, ich danke Ihnen für Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, die Sie als Nachrücker noch kurz vor Ende der Legislaturperiode halten konnten. Vielen Dank. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion bzw. als abweichende Meinung.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für die Einräumung von drei Minuten Redezeit. Ich bedanke mich ganz besonders deshalb, weil es nach 23 Jahren meine letzte Rede im Deutschen Bundestag ist. Wie der Kollege Danckert muss ich mit einer abweichenden Meinung schließen: zehn Gründe, aus denen ich heute nicht zustimmen kann. Erstens. Ausgangspunkt ist der verhängnisvolle Beschluss des Euro-Gipfels vom Juni letzten Jahres, wonach der Euro-Krisenfonds ESM nicht nur Staaten, sondern auch marode Banken direkt rekapitalisieren dürfe, sobald ein Aufsichtsmechanismus unter dem Dach der EZB funktionsfähig sei. Seitdem wird unter Hochdruck an der europäischen Bankenaufsicht gebastelt, obwohl es vielen Staaten weniger um diese Aufsicht, als vielmehr um den direkten Zugang ihrer Banken zum ESM geht, um ein schmerzhaftes Krisenprogramm zu vermeiden. Zweitens. Wie schon die Euro-Zone, so spaltet auch die Bankenaufsicht Europa erneut. Kein einziges NichtEuro-Land nimmt an der Bankenaufsicht teil, Europas wichtigster Finanzplatz London fehlt. Es ist schlichtweg absurd, ohne London von einer europäischen Bankenaufsicht zu sprechen. ({0}) Drittens. Lediglich eine Verordnung auf der Basis des Art. 127 Abs. 6 AEUV überträgt der EZB weitreichende Befugnisse. Notwendig wäre eine Änderung des europäischen Primärrechts gewesen. Viertens. Durch die Ansiedlung der Aufsicht bei der EZB werden gravierende Interessenkonflikte zwischen geldpolitischem Mandat einerseits und AufsichtsfunkManfred Kolbe tion andererseits entstehen. Die Bundesbank hat nachdrücklich darauf hingewiesen. Fünftens. Die Letztverantwortung für Entscheidungen liegt bei der unabhängigen EZB. Eine unabhängige Ausübung hoheitlicher Befugnisse ohne jegliche politische Kontrolle widerspricht dem Demokratieprinzip. ({1}) Das ist keine parlamentarische Demokratie, das erinnert uns an Ludwig XIV. Sechstens. Die EZB wird als Bankenaufsicht Eingriffe anordnen müssen. Welcher gerichtliche Rechtsschutz steht dagegen zur Verfügung? Das bleibt trotz der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes im Dunkeln. Siebtens. Das auch für die Bankenaufsicht geltende gleiche Stimmrecht im EZB-Rat benachteiligt große Länder. Achtens. Eine europäische Bankenaufsicht würde auch eine Restrukturierungseinrichtung erfordern. Diese fehlt aber. Neuntens. Die Altlastenproblematik ist nicht geregelt. Zehntens. Auch wenn die Bundesregierung es abstreitet: Der Weg von der europäischen Bankenaufsicht über die europäische Restrukturierung wird hin zur europäischen Einlagensicherung führen. Dafür öffnen wir heute mit diesem Beschluss im Deutschen Bundestag das Tor. ({2}) All dies sage ich als überzeugter Europäer. Aber wie schon die Euro-Krise und die wachsende Euro-Skepsis in Europa zeigen, kann man Europa auch durch Überforderung und übereilte Entscheidungen beschädigen. Ich habe Angst davor, dass wir das tun. Lassen Sie mich mich abschließend nach sechs Legislaturperioden im Deutschen Bundestag bei meinen Wählerinnen und Wählern in meinem sächsischen Wahlkreis bedanken, die mich seit 1990 sechsmal hintereinander direkt gewählt haben. Ich möchte mich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für 23 wunderbare Jahre der Zusammenarbeit bedanken, in denen wir für Deutschland und für Europa sehr viel erreicht haben. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Lieber Kollege Kolbe, auch Ihnen danke ich im Namen des ganzen Hauses für die langjährige, gute und kollegiale Zusammenarbeit. ({0}) Jetzt hat das Wort der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({1})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf mehrheitlich zu, weil wir hoffen, dass die Kinder überleben. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie wollen ausgehen und bestellen den Babysitter. Der Babysitter kommt, schaut ins Kinderzimmer und sieht, dass dort der Besteckkasten, ein paar Streichhölzer und ein paar toxische Produkte sind. Dann werden die Kinder aktiv, machen ein kleines Feuerchen im Zimmer; und der Babysitter darf wieder reinschauen, aber nicht eingreifen. Deshalb sollten Sie unserem Antrag zustimmen. Denn unser Antrag ist sozusagen der Schlüssel für das Kinderzimmer. Er ermöglicht es, dort hineinzugehen, einzugreifen und das Schlimmste zu verhindern. ({0}) Eigentlich könnten wir uns freuen. Peer Steinbrück hat unter dem Stichwort „Vertrauen zurückgewinnen: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ im September 2012 ein exzellentes Papier vorgelegt, ({1}) das ein Gesamtkonzept aus Aufsicht, einem Abwicklungs- und Restrukturierungsfonds bis hin zur Einlagensicherung vorsieht. Sie - und wir mit Ihnen - beschließen heute aber nur die Aufsicht. Die Aufsicht ist aber ein stumpfes Schwert; denn wenn sie etwas feststellt, zum Beispiel eine bevorstehende Insolvenz, kann sie gar nicht operativ eingreifen, um die entsprechende Bank, so wie wir es wollen, abzuwickeln. Wir fragen uns, warum Sie das nicht zeitlich koordiniert haben. Gestern sagte EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch: Wir können keine Aufsicht einführen, wenn wir nicht gleichzeitig Sicherheit über die Abwicklung haben. Wer sollte es besser wissen als er? ({2}) Insofern hat Eduard Oswald, dem auch ich sehr gern für die konstruktive Zusammenarbeit und für eine exzellente Leitung des Finanzausschusses über viele Jahre danke - das hat er super gemacht -, heute mit einer kleinen Nebenbemerkung nicht ganz richtig gelegen. Er sagte: Wir schaffen heute eine Bankenaufsicht mit Durchschlagskraft. - Nein, diese schaffen wir nicht. Wir schaffen nur die Voraussetzungen, dass sie in die Banken hereinschauen kann, aber wir schaffen für sie keine Durchschlagskraft. Diese wollen wir schaffen. Es ist absolut notwendig, das schnellstmöglich nachzuholen. Da - das muss man sagen - haben wir nicht unbedingt das volle Vertrauen in Sie, natürlich auch deshalb nicht, weil Ihre Kanzlerin relativ leichtfertig am 29. Juni letzten Jahres gesagt hat: Wenn wir einmal die Aufsicht haben, dann dürfen die privaten Banken auch in den ESMSteuertopf greifen. Dazu sagen wir: Diesen Transferkanal hin zu privaten Banken, die nicht immer so korrekt arbeiten, wie wir es uns wünschen - Stichwort: öffentli31414 Lothar Binding ({3}) che Armut und Verantwortung -, wollen wir nicht öffnen. ({4}) Die Kanzlerin hat uns insofern in eine aufsichtsrechtliche Falle gelockt, aus der wir im Moment nicht herauskommen: Wir brauchen die Aufsicht; aber wir können dieses Versprechen nicht gebrauchen. Deshalb mein Appell: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Er heilt dieses Dilemma, bestimmt die Richtung für unser Handeln im nächsten Jahr und sichert eine komplette Bankenunion, die voll funktionsfähig ist, unter Einschluss der Aufsicht, unter Einschluss eines Restrukturierungsregimes. So wird ein gutes Ganzes daraus. Ich hoffe, Sie halten dieses Versprechen ein. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort der Kollege Frank Schäffler von der FDP-Fraktion. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Übertragung der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank ist eine der weitreichendsten Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag seit der Einführung der gemeinsamen Währung, des Euro, getroffen hat. Sie ist verbunden mit der Abgabe von Souveränität. Dass der Deutsche Bundestag über diese entscheidende Frage heute um 22 Uhr entscheidet, zeigt, wie wichtig wir diese Frage als Parlament tatsächlich einschätzen. ({0}) Die Frage ist, wie ernst es uns damit ist, die europäische Bankenaufsicht tatsächlich zentral zu regeln. Es glaube bitte keiner in diesem Raum, dass es möglich ist, von 17 Bankenaufsichten in Europa mit 17 EDV-Systemen und 17 Behördenstrukturen innerhalb eines Jahres zu einer funktionsfähigen europäischen Bankenaufsicht zu kommen. ({1}) Das ist unmöglich, und es wissen auch alle, dass das unmöglich ist. ({2}) Daran sehen Sie: Es geht gar nicht darum, eine funktionsfähige Bankenaufsicht in Europa zu schaffen, es geht um etwas ganz anderes: Es geht darum, die spanischen Banken mit Eigenkapital aus europäischen Steuertöpfen zu befördern. Das eigentliche Ziel ist, die Banken durch den ESM an den Staatshaushalten vorbei direkt zu rekapitalisieren. ({3}) Das Ziel ist also, dass der ESM zu einem Bankenrekapitalisierungsfonds wird; die Bankenaufsicht spielt überhaupt keine Rolle. ({4}) Wenn Sie es ernst meinten mit der vollständigen Übertragung der Bankenaufsicht, dann müssten Sie die europäischen Verträge ändern. Diese Verträge geben das, was Sie heute beschließen wollen, nämlich nicht her. In Art. 127 Abs. 6 AEUV ist geregelt, dass nur besondere Aufgaben der Bankenaufsicht auf die EZB übertragen werden können, aber nicht die komplette Bankenaufsicht. ({5}) Doch genau das haben Sie jetzt vor. Wenn Sie das machen, begehen Sie einen Rechtsbruch. Tatsächlich gibt es für das, was Sie heute beschließen wollen, keine Rechtsgrundlage. ({6}) Wenn Sie den ESM zu einem Bankenrekapitalisierungfonds machen wollen, dann müssen Sie das mit offenem Visier tun, dann müssen Sie einen Konvent einberufen und eine Vertragsänderung in Gang setzen und in letzter Konsequenz auch eine Volksabstimmung darüber in Deutschland durchführen. Wir sind dann nämlich letztendlich auf dem Weg in den europäischen Superstaat. ({7}) Wer den europäischen Bundesstaat will, der muss am Ende die Verträge dahin gehend ändern und muss darüber in einer Volksabstimmung entscheiden lassen. Das muss man offensiv machen, das darf man nicht durch die Hintertür tun. Wenn wir gute Nachbarn in Europa zu Schuldnern bzw. Gläubigern machen, dann schaffen wir kein einheitliches Haus Europa, sondern zerstören es. Das, was heute beschlossen werden soll, ist ein weiterer Schritt dahin, der am Ende dazu führt, dass das Haus Europa zerstört wird, statt dass an ihm weitergebaut wird. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Schäffler, es hätte uns gefreut, wenn Sie sich in die Facharbeit des Ausschusses und in die Anhörungen genauso engagiert eingebracht hätten wie hier an diesem Plenumstag. ({0}) Wir müssen ja immer wieder feststellen, dass Sie hier große Reden schwingen, aber in der Facharbeit nicht zu sehen sind. Das halte ich für falsch. ({1}) Man kann sich - ich habe großen Respekt vor den Argumenten des Kollegen Danckert und auch des Kollegen Kolbe - trefflich darüber unterhalten, welche Kompetenzen man nach Europa verlagert. Wir alle hätten uns im Jahr 2009 nicht träumen lassen, dass die EZB die Aufsicht über die großen europäischen Banken übernimmt. Aber während vier Jahren Finanzmarktregulierung haben wir eines gelernt: dass es bei keinem Punkt so sinnvoll ist, Kompetenzen auf Europa zu übertragen, wie bei der Regulierung der Finanzmärkte. Wer das negiert, der verteidigt seine Kindheit, der verteidigt eine Illusion, die der Wahrheit nicht entspricht. Dementsprechend, meine Damen und Herren, kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen, hier heute, an diesem Abend, dieser ganzen Sache zuzustimmen. Ich bin sehr froh, dass SPD und Grüne unserem Antrag überwiegend zustimmen werden. Sie haben allerdings auch Kritik geübt. Das ist durchaus legitim. Das ist das Privileg der Opposition. Aber Ihre Kritik muss sich an dem messen lassen, was Sie gesagt haben. Sie als SPD haben hier behauptet - ohne dass Sie dafür jemals den Nachweis erbringen müssen -, dass Sie schneller in der Lage gewesen wären, einen Restrukturierungsmechanismus aufzustellen, als diese Bundesregierung. Das ist nicht okay, weil diese Bundesregierung über diesen Restrukturierungsmechanismus verhandelt und weil diese Bundesregierung am Anfang dieser Legislaturperiode dafür gesorgt hat, dass es in Europa eine Blaupause für diesen Restrukturierungsmechanismus gibt. ({2}) Sie müssen sich auch noch an etwas anderem messen lassen. Sie behaupten, dass dann, wenn es diesen Restrukturierungsmechanismus nicht gibt, der Steuerzahler einspringen muss, und sagen von sich, sie hätten einen Fonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro aufgelegt, der von den Banken gespeist wird. Ich halte es schlichtweg für naiv, so etwas in einer so kurzen Frist hinzubekommen. Deswegen ist es richtig und gut, dass die Bundesregierung die nationalen Staaten nicht aus der Verantwortung entlässt, sondern dafür sorgt, dass jeder erst vor seiner Haustür kehrt - das sollte auch Ihnen gefallen, Kollege Schäffler - und erst dann die Restrukturierungsmechanismen greifen. Insofern laufen Ihre Anträge ins Leere. ({3}) Herr Kollege Schick, Sie haben das Demokratiedefizit angemahnt. Wir haben das Problem bereits im letzten Jahr in einem Entschließungsantrag aufgegriffen und der Bundesregierung aufgegeben, sich darum zu kümmern. Die Kolleginnen und Kollegen vom Europäischen Parlament haben unsere volle Unterstützung, wenn sie ihre demokratischen Kontrollrechte bei der EZB einklagen und einfordern. ({4}) - Dazu bedarf es keines weiteren Antrages. Ich möchte auf noch einen Punkt eingehen, den der Kollege Binding eben genannt hat. Er hat das Papier von Herrn Steinbrück mit dem Titel „Vertrauen zurückgewinnen: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ zitiert. Das war sehr nett. Auch Ihr heutiger Antrag trägt diesen Titel. Das ist sehr interessant. Wir haben damals - es war der September des Jahres 2012 - darauf gewartet, was in diesem groß angekündigten Papier von Herrn Steinbrück steht. Es war ja seine Bewerbungsunterlage als Kanzlerkandidat der SPD. Was haben wir vorgefunden, als dieses Papier veröffentlich worden ist? Darin standen Dinge, die schon längst umgesetzt worden waren. Darin standen Dinge, die gerade umgesetzt wurden, und darin standen Dinge, die in der Diskussion waren und heute umgesetzt werden. ({5}) - Ich sage das ohne jegliche Häme, lieber Kollege Binding; denn wir kamen bei der Identifikation der Probleme am Finanzmarkt immer zu den gleichen Ergebnissen. Der Unterschied zwischen uns besteht nun darin, dass Sie sagen, Sie könnten schneller, höher, weiter. Das ist, wie gesagt, auch das Privileg der Opposition, weil Sie nie nachweisen müssen, dass Sie schneller, höher, weiter können. ({6}) Vor dem Hintergrund möchte ich einfach noch einmal kurz zusammenfassen, was diese Regierungskoalition in den letzten vier Jahren geleistet hat. ({7}) Wir haben hier in diesem Parlament über 30 Initiativen und Gesetze zur Finanzmarktregulierung verabschiedet. Wir haben dafür gesorgt, dass Banken weniger Fehler machen. Wir haben mit unseren Regulierungsmaßnahmen dafür gesorgt, dass die Fehlertragfähigkeit von Banken und Finanzinstitutionen erhöht worden ist. Wir haben die Aufsicht in diesem Land gestärkt. Wir haben die europäische Aufsicht gestärkt. Wir werden heute eine Bankenunion schaffen. ({8}) Wir haben in Anerkennung der Tatsache, dass Aufsicht nicht ausreicht, dass trotzdem Fehler passieren können und dass Fehlertragfähigkeit manchmal auch nicht ausreicht, dafür gesorgt, dass hier in Deutschland Restrukturierungsmechanismen eingeführt worden sind. Wir haben dafür gesorgt, dass Abwicklungspläne erstellt werden müssen. Wir haben dafür gesorgt, dass Banken Testamente machen müssen. ({9}) Wir haben darüber hinaus auch dafür gesorgt - auch wenn Sie es nicht gerne hören -, dass die Banken an den Kosten der Krise beteiligt werden. Diese Bundesregierung hat die Finanztransaktionsteuer vorangetrieben. ({10}) Diese Bundesregierung hat die Bankenabgabe eingeführt, von der Sie nur reden. ({11}) Diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition haben den Verbraucherschutz im finanziellen Bereich in einer Form gestärkt, wie es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorgekommen ist. Vier Jahre Finanzmarktpolitik in diesem Haus heißt für die Opposition: Papiere schreiben, diskutieren, lamentieren und kritisieren. Vier Jahre Finanzmarktpolitik heißt für diese Koalition: liefern. Danke. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- tionen der CDU/CSU und der FDP sowie von der Bun- desregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Über- tragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13961, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/13470 sowie den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/13829 und 17/13901 zusammenzuführen und anzunehmen. Ich will Ihnen mitteilen, dass zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.1) ({1}) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit großer Mehrheit bei zahlreichen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen worden. Nach Fraktionen kann ich das von hier oben nicht genau defi- nieren, dafür hätten Sie noch Platz behalten müssen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. - Nehmen Sie bitte Platz! Sie müssen sich nämlich, wenn Sie nun zustimmen wollen, erheben. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13965. Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze ein- zunehmen und die Urnen aufzustellen. Ich bitte anzuzeigen, ob die Schriftführer überall an- wesend sind. - Gut. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben werden.2) Tagesordnungspunkt 15 b. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte - Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen.“ Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/13961, den Antrag der Fraktio- nen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 17/11878 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von SPD und Grünen. 1) Anlagen 3 bis 5 2) Ergebnis Seite 31419 C Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13908 mit dem Titel „Bankenunion beschleunigen statt bremsen Über eine Abwicklungskompetenz der Europäischen Kommission die Haftung der Steuerzahler beenden“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der Grünen und Enthaltung der SPD. Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13909 mit dem Titel „Kontrollrechte des Europäischen Parlaments bei EZB-Bankenaufsicht stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von Linken und Grünen und Enthaltung der SPD. Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13910 mit dem Titel „SSM-Verordnung zustimmen, keine innerstaatliche Präjudizwirkung schaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Linken bei Zustimmung der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatzpunkte 10 und 11 auf: 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gleichstellung - Fortschritt - Jetzt - Durch eine konsistente Gleichstellungspolitik - zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf durchsetzen - Drucksachen 17/12487, 17/12497, 17/13367 Berichterstattung:Abgeordnete Nadine Schön ({3})Christel HummeNicole Bracht-BendtCornelia MöhringMonika Lazar ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt ({5}), Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich - Drucksachen 17/13478, 17/13954 Berichterstattung:Abgeordnete Monika GrüttersUlla Schmidt ({6})Reiner DeutschmannDr. Lukrezia JochimsenAgnes Krumwiede ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen - Drucksachen 17/6130, 17/10880 Berichterstattung:Abgeordnete Dorothee BärUlla Schmidt ({8})Reiner DeutschmannDr. Rosemarie HeinAgnes Krumwiede Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Dorothee Bär für die CDU/ CSU-Fraktion. ({9})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Legislaturperiode schon sehr oft über Gleichstellungspolitik gesprochen. Heute Abend hätte es vielleicht den einen oder anderen gegeben, der das nicht mehr als ganz dringend notwendig befunden hätte. Nachdem ich aber gehört hatte, dass es die Abschiedsrede der Frau Kollegin Humme geben wird, sind wir alle selbstverständlich gerne hier hergekommen, liebe Frau Kollegin Humme, um mit Ihnen diese letzte Debatte zu führen. Ich kann von unserer Seite aus sagen: Sie sind eine der Guten, auch wenn wir vielleicht nicht immer bei jedem einzelnen Punkt einer Meinung waren. ({0}) Ich spreche leider vor Ihnen. Trotzdem möchte ich mich bei Ihnen für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss und vor allem auch für das gute menschliche Miteinander in den letzten Jahren bedanken. ({1}) Wir sind in vielen Punkten, was die Analyse betrifft, gar nicht weit auseinander. Vielleicht sind wir es, was die Umsetzung betrifft. Wenn man sich den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung anschaut, sieht man, dass es strukturelle Ungleichheiten gibt. In ganz vielen Kapiteln dieses Gleichstellungsberichts kann man ganz genau nachlesen, wie groß die Ungleichheiten im Lebensverlauf von Frauen und Männern sind. Man kann sehen, dass es Nachteile gibt, die sich durch ganz bestimmte Lebenssituationen - zum Beispiel Einkommensverlust während einer familienbedingten Auszeit, Ehescheidung, Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung - ergeben. Insbesondere dann, wenn sich das im Lebensverlauf kumuliert, sieht man, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Etappen ihres Lebensverlaufs immer noch nicht gewährleistet ist. Wir haben festgestellt, dass Frauen noch immer seltener als Männer in Führungspositionen aufsteigen, dass sie ihr Berufsleben häufiger und länger unterbrechen und dass sie sich heute mehrheitlich immer noch um Kinder und zu pflegende Angehörige kümmern. Deswegen freue ich mich sehr, dass unsere beiden Parteien beschlossen haben, in ihr Wahlprogramm - und damit wohl in der nächsten Legislaturperiode auch in das Regierungsprogramm - die Einführung einer Quote aufzunehmen. Dass unsere beiden Parteivorsitzenden sehr stark dafür kämpfen, ist ein sehr guter Erfolg. ({2}) Ich sehe in der ersten Reihe bei uns Frau Fischbach, Rita Pawelski und Nadine Schön. Dahinter sitzt Elisabeth Winkelmeier-Becker. ({3}) - Ich möchte erst einmal über die Frauen sprechen, Herr Kollege Jarzombek. - Unsere Frauen sind auf jeden Fall der Meinung, dass das ein richtiges Anliegen ist. Wenn auch fast alle unsere gleichberechtigungspolitischen Sprecher - Markus Grübel, Thomas Jarzombek und der PGF Stefan Müller - jetzt dieser Meinung sind, kann gesagt werden, dass wir einen richtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben. Diese Bundesregierung hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ganz zentrales Anliegen in den Vordergrund gestellt. Wir haben als erste Bundesregierung festgestellt, dass wir bei dem Thema nicht nur die Frauen, sondern ganz besonders auch die Männer in den Blick nehmen müssen. Das müssen wir zum Teil deshalb, weil Männer grundsätzlich auch gleiche Rechte haben, aber auch ein Interesse daran haben sollten - teilweise haben sie es auch -, ihre Kinder zu betreuen und dann später aber auch ihre Angehörigen zu pflegen. Zum anderen natürlich deshalb, weil die Bereitschaft der Männer zur - eigentlich selbstverständlichen - partnerschaftlichen Teilung von Fürsorgearbeit auch für die beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen entscheidend ist. Man muss sich vergegenwärtigen, dass das Kinderbekommen innerhalb der Karriere eine große Rolle spielt. Wenn man sich einmal die Biografien von Karrierefrauen und -männern anschaut, stellt man Folgendes fest: Die meisten Führungspositionen bzw. Vorstandsämter haben Männer mit Kindern inne. An zweiter Stelle kommen Männer ohne Kinder. Dann kommen Frauen ohne Kinder. Schließlich kommen Frauen mit Kindern. Insoweit muss man ganz klar feststellen, dass Kinder kein Hinderungsgrund sind, um eine Führungsaufgabe übertragen zu bekommen, wie man am männlichen Teil sieht. Da ist es sogar ein Vorteil. Dagegen ist es bei den Frauen komplett anders. Deshalb ist es nicht nur wichtig, Barrieren für Frauen abzubauen und Chancengleichheit für Frauen und Mädchen zu verwirklichen, sondern auch die Verwirklichungschancen im Lebenslauf von Männern zu erweitern. Deswegen hat die Bundesregierung eine Jungen- und Männerpolitik gemacht. Wir wollen Jungen und Männer unterstützen, sich nicht von angeblich vorgegebenen Rollenbildern einengen zu lassen. Eine Maßnahme, die wir auf den Weg gebracht haben, ist das Programm „Mehr Männer in Kitas“. Uns war es wichtig, die Zahl von Männern in der Ausbildung zum Erzieher zu erhöhen. Sie hat seit Beginn unseres Bundesprogramms um 40 Prozent zugenommen. Das ist ein ganz großer Erfolg dieser Bundesregierung. ({4}) Neben der Aktion „Mehr Männer in Kitas“ möchte ich noch den Boys’ Day erwähnen, bei dem Jungen angesprochen werden, Berufsalternativen jenseits tradierter Männerberufe kennenzulernen. Gerade im Bereich der Erziehung, der Pflege und der Gesundheitsberufe sind Männer noch deutlich unterrepräsentiert. Einer unserer ganz großen Erfolge ist die Schaffung des Bundesfreiwilligendienstes, weil er es gerade jungen Männern ermöglicht, in viele Berufe hereinzuschnuppern. Wenn jemand einmal durch ein Praktikum oder durch den Bundesfreiwilligendienst diese Möglichkeit hatte, fällt es ihm später wesentlich leichter, in einem dieser Berufe Fuß zu fassen und vielleicht mit kleinen Kindern oder Jugendlichen zu arbeiten. Wir sind hier auf einem guten Weg. Ich sage gar nicht, dass wir schon in allen Bereichen des Lebens genau da angekommen sind, wo wir ankommen wollen. Wir haben in den letzten vier Jahren viel erreicht, werden aber natürlich in unserer christlich-liberalen Koalition in den nächsten vier Jahren noch mehr auf den Weg bringen. ({5}) Chancengleichheit für Frauen und Männer ist erreichbar, wenn wir nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelund langfristig die Chancenungerechtigkeit abbauen und wenn wir auch in den Köpfen etwas ändern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber die Hausaufgaben, die die Bundesregierung zu machen hatte, hat sie erledigt. Jetzt freue ich mich, dass sich Frau Humme in ihrer letzten Rede für unsere Arbeit bei uns bedankt. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank bekannt: abgegebene Stimmen 539. Mit Ja haben gestimmt 130, mit Nein haben gestimmt 311, Enthaltungen 98. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 538; davon ja: 130 nein: 311 enthalten: 97 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding ({0}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({1}) Gabriele Groneberg Michael Groß Bettina Hagedorn Klaus Hagemann ({2}) Hubertus Heil ({3}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({4}) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h.c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Christine Lambrecht Christian Lange ({5}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({6}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({7}) ({8}) Annette Sawade Axel Schäfer ({9}) Bernd Scheelen ({10}) Werner Schieder ({11}) Ulla Schmidt ({12}) Carsten Schneider ({13}) Swen Schulz ({14}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Dr. h.c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Nein CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({15}) Manfred Behrens ({16}) Veronika Bellmann Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({17}) Dirk Fischer ({18}) Axel E. Fischer ({19}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach ({20}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Andreas Jung ({21}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({22}) Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({23}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Stephan Mayer ({24}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({25}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({26}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({27}) Anita Schäfer ({28}) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({29}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({30}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({31}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({32}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({33}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({34}) Peter Weiß ({35}) Sabine Weiss ({36}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({37}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Gerhard Drexler Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({38}) Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Dr. h.c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({39}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Michael Link ({40}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({41}) Burkhardt Müller-Sönksen ({42}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({43}) Cornelia Pieper Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Werner Simmling Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Dr. Florian Toncar Johannes Vogel ({44}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({45}) Enthalten DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Harald Koch Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Dorothée Menzner Niema Movassat Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({46}) Kathrin Senger-Schäfer Sabine Stüber Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Volker Beck ({47}) Agnes Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({48}) Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Undine Kurth ({49}) Dr. Tobias Lindner Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Daniela Wagner Arfst Wagner ({50}) Dr. Valerie Wilms fraktionsloserAbgeordneter Wolfgang Nešković Als nächste Rednerin hat jetzt die Kollegin Christel Humme von der SPD-Fraktion das Wort. ({51})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Frau Bär, ich glaube, für die SPD-Fraktion sagen zu können, dass uns Gleichstellungspolitik zu diskutieren immer wichtig ist, ob ich meine letzte Rede halte oder nicht. Das musste ich erst einmal sagen. ({0}) Es sind noch 100 Tage bis zur nächsten Bundestagswahl. In der Tat, ich halte meine letzte Rede zum Thema Gleichstellungspolitik. Dieses Thema stand schon häufiger auf der Tagesordnung des Parlaments. Ich hätte mir gewünscht - das gebe ich ehrlich zu -, dass ich dieses Lob, das Sie eingefordert haben, Frau Bär, tatsächlich hätte aussprechen können. Nur musste ich leider feststellen, dass die letzten vier Regierungsjahre vergeudete Zeit für die Frauen waren, vergeudete Zeit auch, wie ich denke, in Bezug auf die Gleichstellungspolitik. ({1}) Sie haben richtig gesagt: Möglicherweise gleichen sich unsere Analysen. - Aber Sie hatten es viel einfacher als die Regierungen vorher: Sie hatten nämlich einen hervorragenden Ersten Gleichstellungsbericht einer unabhängigen Sachverständigenkommission. ({2}) Und was machen Sie mit diesem hervorragenden Bericht? Die Bundesregierung nimmt ihn entgegen, aber nicht die Ministerin, sondern der Staatssekretär Herr Kues. Das hat mich nicht gewundert; denn die Ministerin hat einmal in einem Interview gesagt: Staatssekretäre sind die Personen, die die Aufgaben übernehmen, die Minister und Ministerinnen nicht übernehmen wollen. ({3}) Sie, Herr Kues, mussten also diesen Bericht entgegennehmen. Dann haben Sie diesen Bericht in die Schublade gelegt, und zwar ganz weit hinten, und nicht mehr zur Kenntnis genommen. Denn wenn Sie diesen Bericht tatsächlich zur Kenntnis genommen hätten, dann wäre es nicht zur Einführung des Betreuungsgeldes gekommen und dann hätten wir auch keine Ausweitung der Minijobs. Diese Entscheidungen haben Sie getroffen. ({4}) Damit zementieren Sie die Männerrolle als Haupternährer. Von Gleichstellung ist da keine Spur. Dabei wissen wir doch ganz genau, was der Gleichstellungsbericht festgestellt hat: Echte Gleichstellung gibt es nur, wenn Männer und Frauen eigenständig für die Existenz sorgen können. Wir brauchen etwas - auch das hat der Gleichstellungsbericht festgestellt -, was heute in der Politik überhaupt nicht vorhanden ist, nämlich ein konsistentes Leitbild. Wir geben immer unterschiedliche Signale an die Frauen. Einerseits sagen wir ihnen: „Sei berufstätig! Wir brauchen Fachkräfte. Wir bieten Betreuungsangebote“, und andererseits sagen wir ihnen mit dem Ehegattensplitting und Ihrem Betreuungsgeld: Liebe Frauen, bleibt doch zu Hause! Ich denke, das traurige Ergebnis dieser inkonsistenten Politik - das zeigt auch der Gleichstellungsbericht - ist immer noch, dass Frauen im Lebensverlauf das größte Armutsrisiko tragen. ({5}) Sie verdienen in ihrem Leben 58 Prozent weniger als die Männer, und in der Konsequenz erhalten sie nur 52 Prozent der Männerrenten. Wenn das Gleichstellungspolitik ist, dann weiß ich nicht, was Sie in Zukunft vielleicht verändern wollen, Frau Bär. ({6}) Falsche Anreize, die wir in der Politik geben, haben - das sehen wir daran - fatale Folgen für die Frauen, und zwar ein Leben lang. ({7}) Wir wollen genau das verhindern. Darum haben wir Ihnen einen Antrag mit einem konsequenten, schlüssigen Konzept vorgelegt, das den gesamten Lebenslauf der Frauen in den Mittelpunkt stellt. Damit können wir dann auch die Widersprüche, die wir in der Politik haben, auflösen. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der Regierung und von den Regierungsfraktionen, wenn Sie schon nicht den wissenschaftlichen Bericht ernst nehmen, dann würde ich mich freuen, wenn Sie die Frauen ernst nehmen. Denn 80 Prozent der Frauen möchten eine eigenständige Existenzsicherung. Sie möchten nicht für 6,50 Euro oder gar darunter arbeiten müssen. Warum, frage ich Sie, ist es nicht möglich, mit Ihnen den gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, damit wir endlich diesen Frauen helfen? ({8}) Sie wissen genauso wie wir: Frauen verdienen weniger als Männer, und zwar 22 Prozent bzw. bis zu 35 Prozent in höheren Führungspositionen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diese Diskriminierung endlich auflöst. Was machen Sie? Sie stimmen natürlich dagegen, leider auch die Linken. Aber was machen Sie, zwei Tage nachdem Sie diesen Gesetzentwurf abgelehnt haben? Sie gehen zum Brandenburger Tor und demonstrieren für Equal Pay. Gegen wen eigentlich? ({9}) Was sind das für ein Zynismus und eine Schizophrenie? ({10}) - Ganz ruhig, Frau Fischbach. - Wenn 80 Prozent der jungen Frauen eine eigenständige Existenzsicherung und eine Familie wollen, dann wollen sie heraus aus der Zuverdienerrolle. Aber das verhindern das ungerechte Steuersystem und die Minijobs. Mit beiden Instrumenten zusammen schaffen wir nicht, dass die Frauen aus der Zuverdienerrolle herauskommen, Frau Fischbach. ({11}) Das wissen Sie genauso wie wir alle auch. ({12}) Darum brauchen wir an dieser Stelle eine Reform der Minijobs statt einer Ausweitung, wie Sie das beschlossen haben, und wir brauchen auch eine Reform des Ehegattensplittings, wie wir es vorgeschlagen haben, hin zu einem Partnerschaftstarif. ({13}) Das heißt, dass wir zwar die bestehenden Ehen schützen, aber eine neue Individualbesteuerung mit gegenseitiger Unterhaltsverpflichtung schaffen. Das würde den Frauen helfen, aus ihrer Rolle der Zuverdienerin herauszukommen. ({14}) Während Sie sich - das stelle ich immer wieder fest bedauerlicherweise von alten Zöpfen nicht lösen können, haben wir mit diesem Antrag ein wirklich zukunftsweisendes Gleichstellungskonzept vorgelegt. Wir wissen auch ganz genau: Eine echte Gleichstellung - das schreibe ich Ihnen ins Stammbuch - geht nicht ohne Handlung. Das heißt, es geht nicht ohne gesetzliche Regelungen. ({15}) Wir brauchen gesetzlichen Mindestlohn, verbindliche Quoten, das Entgeltgleichheitsgesetz, den Partnerschaftstarif und gute Arbeit mit Sozialversicherung. Erst dann, wenn es diese gesetzlichen Regelungen gibt, bieten wir Frauen und Männern mehr Wahlmöglichkeiten, zu entscheiden, wie sie tatsächlich ihren Lebensverlauf gestalten wollen. Wenn Sie diese zusätzlichen Wahlmöglichkeiten auch wollen, dann müssen Sie eigentlich unserem Antrag zustimmen. ({16}) So weit zu Ihrer Politik. Frau Bär, ich danke Ihnen in der Tat. Ich danke allen Ausschussmitgliedern für die gute Zusammenarbeit, für die Unterstützung an manchen Stellen, aber auch für die Kritik; gar keine Frage. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Legislatur ganz viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter - die Mitstreiter nenne ich ganz bewusst - für ein zukunftsträchtiges Gleichstellungskonzept bekommen. Das wünsche ich uns allen, auch mir, die ich das nur noch von außen beobachten werde. Schönen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Statt der Kollegin Bracht-Bendt erteile ich nun der Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Humme, Sie haben gerade sehr für Ihren Antrag geworben. Die Situation am Ende einer Legislaturperiode ist aber wie zu Anfang: Dem stimmt die Regierungskoalition nicht zu. Dennoch ist das Thema „Gleichstellung von Männern und Frauen“ für uns Thema in dieser Legislaturperiode gewesen. Ich persönlich mache keinen Hehl daraus: Ich hätte mir mehr gewünscht. Wir haben mit den Verbänden eine sehr intensive und sehr engagierte Debatte zur Quote für Frauen in den Aufsichtsräten geführt, und es ging hier durchaus hoch her. Ich nehme sehr wohlwollend zur Kenntnis, dass in der CDU/CSU als Schlussfolgerung daraus wohl eine programmatische Zielsetzung formuliert worden ist. Ich wünsche mir das auch für die FDP. ({0}) Ich habe der FDP ein entsprechendes Signal gegeben. So ist das nun einmal in der Gleichstellungspolitik. Sie ist mühsam. Sie ist nicht im Hauruckverfahren erfolgreich. Ich bin ganz sicher: In der nächsten Legislaturperiode werden wir im Bundestag, egal in welchen Mehrheiten, das Thema „Frauen in der gesellschaftlichen Verantwortung“ noch einmal in den Vordergrund stellen. ({1}) Was diese Koalition auf jeden Fall vorzuweisen hat, sind sehr viel mehr Staatssekretärinnen in den Ministerien. Das ist etwas, was Rot-Grün schon vor Jahren hätte machen können; es war kein Thema. Das ist eine verpasste Chance. Es ist natürlich bitter, zu sehen, wie wir, die Regierungskoalition, auch Themen vorangebracht haben, die vielleicht nicht ganz so spektakulär sind, die nach meinem Dafürhalten aber sehr wirkungsvoll sind. ({2}) Wenn Frauen in die Führungspositionen in den Ministerien kommen, dann wird sich auch da in den entsprechenden Aufgabenstellungen das Thema Gleichstellung durchsetzen. So wünschen wir uns das natürlich auch für die Wirtschaft. Wie man das auf den Weg bringt, dazu gibt es verschiedene Vorstellungen. Nach Auffassung der Liberalen sollten dies sicherlich keine Zwangsmaßnahmen sein; denn wir setzen auf den freien Wettbewerb und auf die Einsicht, dass eine Gesellschaft die Gleichstellung von Frauen braucht; nur dann ist sie zukunftsfähig. Gesellschaften, die Frauen ausgrenzen - ich glaube, ich brauche die entsprechenden Beispiele im Einzelnen gar nicht aufzuzählen -, sind nicht zukunftsfähig. ({3}) An diesem Maßstab müssen wir uns ausrichten. Danach werden wir uns auch in Zukunft richten. ({4}) Ich möchte noch einen Aspekt aufzeigen, den wir vor kurzem im Familienausschuss, wo die Gleichstellungspolitik angesiedelt ist, beleuchtet haben. Wir haben den Wehrbeauftragten zu Gast gehabt. Mittlerweile haben wir eine große Anzahl von Frauen auch in der Bundeswehr, einem typischen Männerbereich, wo Frauen mittlerweile ebenfalls ihre Aufgabe finden. Wenn man mit einer „Frau Hauptmann“ spricht, muss man sich erst einmal an diese Situation gewöhnen. Aber man kann feststellen, dass Frauen auch da ihre Themen zu platzieren wissen; beispielsweise die Familienpolitik in der Bundeswehr ist eine ganz spezielle Fragestellung, mit der wir uns auseinandergesetzt haben. ({5}) So gibt es einige Beispiele dafür, wie wir die Gleichstellung im Detail vorangebracht haben. In diesem Zusammenhang möchte ich auf etwas ganz Wesentliches hinweisen: Gleichstellung ist nur möglich, wenn Frauen ihre beruflichen Möglichkeiten entwickeln können. Das heißt, Mütter müssen ihre Kinder angemessen versorgt wissen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein großes Thema, dem wir uns mit viel Geld gewidmet haben. Wir haben Geld und nochmals Geld zur Verfügung gestellt, damit die Bundesländer, die bei der Aufgabe der Kinderbetreuung ganz zentral gefragt sind, ihrer Aufgabe auch nachkommen können. Dabei sind die SPD-geführten Bundesländer nicht nur vorbildlich. Ich habe mich gewundert, wie wenig insbesondere der Ausbau der Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen von der SPD vorangetrieben worden ist. ({6}) Wir haben die richtigen Signale gesetzt, das Geld zur Verfügung gestellt. Insofern brauchen wir uns, auch was die Gleichstellungspolitik angeht, nicht zu verstecken. Ich bedanke mich. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Linken das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bracht-Bendt, Sie haben gesagt - ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frau Kollegin Laurischk hat geredet, wenn ich Ihnen das in Erinnerung rufen darf.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Entschuldigung! ({0}) Frau Laurischk, ich kenne Sie natürlich. Das war jetzt ein kleiner Fehler. Trotzdem: Sie haben gesagt: Natürlich ist Gleichstellungspolitik mühsam. - Da frage ich mich: Warum „natürlich“? Wie man dann noch sagen kann: „Wir setzen auf den Wettbewerb und die Einsicht“, kann ich nicht nachvollziehen. Genau das ist doch gescheitert. Deshalb reden wir hier wieder und wieder und wieder über Gleichstellungspolitik. Wir treffen uns ständig, heute aus Anlass der Anträge von Grünen und SPD. Das ist gut und richtig; wir wechseln uns immer ab. Jedes Mal kommen wieder die Anträge. Letztendlich liegen die Forderungen doch auf dem Tisch. Was Sie bisher gemacht haben - die Industrie soll Einsicht zeigen, und die Frauen sollen vielleicht dann doch ein bisschen gefördert werden -, ist einfach gescheitert. Sie handeln wider besseres Wissen. Das ist das Problem. ({1}) Im Grundgesetz ist die Gleichstellung von Mann und Frau verankert, aber die Lebensrealität ist einfach eine andere. Männer und Frauen haben nicht die gleichen Lebensperspektiven, und das schadet Männern und Frauen, beiden Geschlechtern. Der Gleichstellungsbericht ist doch eindeutig. Natürlich brauchen Frauen Existenzsicherung. Frauen wollen selbstständig leben können, unabhängig vom Einkommen ihres Ehemanns und auch nicht in Abhängigkeit vom Staat; denn das kann doch nicht die Perspektive sein. ({2}) Ich frage mich, warum es mühsam ist, das durchzusetzen. Es müsste doch auch im Interesse aller Männer sein, dass Frauen selbstständig sind. ({3}) Wir haben im Ersten Gleichstellungsbericht das Beispiel der Minijobs. Sie wurden von Rot-Grün eingeführt. Das war ein Fehler, aber Sie haben das auch als Fehler erkannt. ({4}) Ich zitiere einmal aus dem Bericht: Die gegenwärtige Minijobstrategie muss aus der Perspektive der Geschlechtergleichstellung … als desaströs bezeichnet werden. Ja! In den letzten Jahren, von 2000 bis 2010, hat sich die Anzahl der in Teilzeit Beschäftigten um 3 Millionen von 7 Millionen auf 10 Millionen erhöht. 45 Prozent der erwerbstätigen Frauen sind nur in Teilzeit tätig; bei den Männern sind es 10 Prozent. Die Ursache: fehlende Vollzeitjobs, fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Die Kinderbetreuungsmöglichkeiten muss man schaffen. Dabei kann man die Länder und die Kommunen nicht alleinlassen. Es reicht nicht, dass wir als Bund für Baumaßnahmen eintreten; wir müssen auch tatsächlich fördern. Allein 70 000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen im Bereich der Betreuung der unter Dreijährigen. Es ist schön, jetzt Schnupperkurse anzubieten, aber lassen Sie uns doch einmal darauf gucken: Wie werden diese typischen Frauenberufe bezahlt? Niedriger als Männerberufe! Ändern Sie die Bezahlung! ({5}) Wenn Sie das tun, dann werden wir auch eine andere Situation haben; dann werden auch viel mehr Männer diese Berufe ergreifen. ({6}) Diese verheerende Entwicklung bei den Minijobs haben Sie nicht gestoppt; im Gegenteil: Sie haben die Verdienstobergrenze angehoben und die Jobs ausgeweitet. Sie haben die 400-Euro-Jobs in 450-Euro-Jobs umgewandelt. Und was kommt dabei heraus? Uns droht eine verheerende Altersarmut. ({7}) Viele Frauen wissen schon heute, dass sie im Alter nicht eigenständig leben können. Ich finde, es ist eine menschenunwürdige Perspektive, wenn Frauen von vornherein dazu gezwungen werden, zum Amt zu gehen, um überhaupt überleben zu können. Deshalb kann ich nur sagen: Geschlechtergerechtigkeit nutzt Männern und Frauen. Lassen Sie uns endlich gemeinsam gesetzliche Regelungen schaffen - zum Mindestlohn, zu einer Mindestrente und einer gerechten Bewertung aller Berufe -; dann können wir tatsächlich eine Verbesserung der Situation erreichen. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Monika Lazar das Wort. ({0})

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass wir in dieser Wahlperiode noch einmal die Gelegenheit haben, die Scheinwerfer auf eine eher verstaubte Ecke im Regierungshandeln von SchwarzGelb zu richten, ({0}) eine Ecke, wo der Staub hoch ist und der Wollmäuse viele sind. Es ist eine Ecke, in der leider viel zu wenig passiert ist. ({1}) Ich habe mitbekommen, dass der Gleichstellungsbericht überfraktionell einstimmig begrüßt wurde. Die Ergebnisse sind richtig. Dies wurde schon angesprochen. Man fragt sich, warum die Ministerin ihn Anfang 2012 nicht selber entgegengenommen hat. Wenn man aber den Bericht liest, insbesondere die Forderungen bezüglich einer konsistenten Gleichstellungspolitik mit einer Lebensverlaufsperspektive, dann wird das nachvollziehbar; denn all das hat Schwarz-Gelb nicht umgesetzt. Die Ministerin hat den Bericht lieber in den Schrank gestellt, ihn verstauben lassen und den Kopf in den Sand gesteckt. ({2}) Die Lebensverlaufsperspektive ist sehr einleuchtend. Die Vorschläge im Gleichstellungsbericht sind wirklich sehr anregend. Wir konnten uns sehr gut bei den Argumenten bedienen. Von daher mussten wir nicht einmal mit unseren eigenen Anträgen argumentieren, sondern wir konnten wunderbar mit dem Gleichstellungsbericht argumentieren. Es gab auch eine Anhörung dazu. Von daher waren die Vorlagen vorhanden. Im Gleichstellungsbericht steht, dass ein konsistentes Leitbild fehlt. Auch die Steuer- und Sozialpolitik war in den letzten vier Jahren widersprüchlich: Entgeltgleichheit - Fehlanzeige. Quote - Fehlanzeige. ({3}) Die Ministerin hat es noch nicht einmal geschafft, ihr sogenanntes Flexi-Quoten-Modell vorzulegen. Es ist alles nur angekündigt worden. An das Thema Ehegattensplitting gehen Sie nicht heran. Bei den Minijobs gab es eine Verschlechterung, indem jetzt nur noch 450 Euro verdient werden können. Auch bei der Kinderbetreuung ist noch sehr viel nachzuholen. Das alles zeigt: Die letzten vier Jahre waren in Bezug auf die Gleichstellungspolitik vier verlorene Jahre. ({4}) Da nützen die Behauptungen vonseiten der Regierung leider nichts. Denn klar ist: Von allein tut sich nichts. Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen. ({5}) Deshalb müssen wir in den Bereichen, die im Gleichstellungsbericht angesprochen wurden, nachbessern. Wir von SPD und Grünen haben in den letzten vier Jahren gut vorgearbeitet. ({6}) Wir haben Konzepte, die sich durchaus in Teilbereichen unterscheiden. Beim Thema Ehegattensplitting gibt es noch Gesprächsbedarf, weil wir da weiter gehen wollen als Sie. Beim Thema Entgeltgleichheit sind wir relativ nah beieinander, ebenso beim Thema Geschlechterquote für Führungspositionen. Ich denke, wir sind gut vorbereitet. Von dieser Regierung ist sowieso nichts mehr zu erwarten, erst recht nicht beim Thema Gleichstellung. Ich kann auch bei meiner zweiten Rede heute sagen: Wir sind vorbereitet. Ab September wird es anders. Wir hoffen dann auf die Unterstützung der Linksfraktion, ({7}) die uns aus der Opposition weiterhin ab und zu Anregungen geben kann. Ab Herbst wird sich auf alle Fälle im positiven Sinne etwas ändern. Von daher arbeiten wir weiter und setzen die guten Konzepte, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben, gemeinsam um. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Nadine Schön das Wort. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lazar, wenn Ihr größtes Problem ist, dass nicht die Ministerin, sondern der Staatssekretär den Gleichstellungsbericht entgegengenommen hat, ({0}) dann haben wir in den letzten vier Jahren wirklich keinen allzu schlechten Job gemacht. ({1}) Das so hochzustilisieren, wird der Sache wirklich nicht gerecht. ({2}) Wir sind froh, dass wir engagierte Staatssekretäre haben, ({3}) die sich für die Belange der Frauen einsetzen. ({4}) Nadine Schön ({5}) Dass heute Abend so viele Kollegen aus unserer Fraktion da sind und auch unser Fraktionsvorsitzender bei den gleichstellungspolitischen Debatten meistens anwesend ist - was man von Ihrem Fraktionsvorsitzenden leider nicht sagen kann -, ({6}) spricht dafür, dass die Gleichstellungspolitik in unserer Fraktion durchaus einen hohen Stellenwert einnimmt. ({7}) Sie haben den Gleichstellungsbericht gelobt. Ja, wir haben einen Gleichstellungsbericht mit konkreten Aussagen und konkreten Handlungsempfehlungen vorgelegt. ({8}) Es wäre schön gewesen, wenn auch Sie, als Sie an der Regierung waren, einen solchen Bericht erarbeitet hätten. ({9}) Eines haben Sie nicht verstanden: die Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive. Sie sagen, Familien brauchen ein Leitbild. Sie sagen, wir brauchen ein Leitbild, nach dem sich die Menschen in Deutschland richten und nach dem sie leben sollen, ein Leitbild von Familie und Gesellschaft. Dieses Leitbild sieht so aus, dass Männer und Frauen, wie Sie sagen, gleichermaßen zum Familieneinkommen beitragen sollen. Das finde ich ja gut. Aber die Frage ist: Muss dies das Leitbild für alle Menschen in Deutschland sein? ({10}) Sollte die Politik den Menschen in Deutschland wirklich vorschreiben, wie sie leben sollen, wie jede Familie und jedes Paar das Familienleben gestalten soll? ({11}) Ich finde, das ist der falsche Ansatz. Das wird dem, was die Menschen in Deutschland wollen, nicht gerecht. Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu leben haben. ({12}) Die Menschen wollen füreinander Verantwortung übernehmen. Sie wollen ihr Familienleben so gestalten, wie sie es am besten finden, und nicht so, wie Grüne, Linke oder SPD es ihnen vorschreiben wollen. Etwa 85 Prozent der Menschen sind für die Beibehaltung des Ehegattensplittings. ({13}) Sie wollen es abschaffen. Sie wollen eine individuelle Besteuerung. Die gegenseitige Übernahme von Verantwortung kommt in Ihrem Leitbild überhaupt nicht vor. ({14}) Im Übrigen verlangt auch das Bundesverfassungsgericht, dass man zwei Menschen, die miteinander verheiratet sind, nicht schlechterstellen darf als zwei Menschen, die nicht miteinander verheiratet sind. Deswegen sind wir für die Beibehaltung des Ehegattensplittings und für eine Weiterentwicklung zum Familiensplitting. ({15}) Im Gegensatz zu Ihrem Leitbild wollen die Familien in Deutschland Zeit für Familie haben. Man darf keine Angst haben müssen, nach einer Erwerbsunterbrechung komplett auf die Karriere verzichten zu müssen; das ist unser Anliegen. Sie raten den Menschen: Vermeidet Erwerbsunterbrechungen! ({16}) Das kann aber nicht die Lösung sein. Die Lösung muss lauten: Der Staat und vor allem die Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass man Karriere machen kann, auch wenn man die Erwerbstätigkeit ein paar Monate oder Jahre unterbrochen hat. ({17}) Ihr Zwischenruf „Nein!“ zeigt mir, dass Sie das leider nicht so sehen. Ich bin der Meinung, junge Familien wollen Zeit für ihre Familie haben. Das sollte ihnen, was die Karriereplanung betrifft, nicht zum Nachteil gereichen. ({18}) Das besagt im Übrigen auch die Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive. Das heißt, dass man die Möglichkeit haben muss, die Entscheidungen, die man im Leben individuell trifft, im Verlauf des Lebens zu kompensieren, auch durch staatliche Möglichkeiten. ({19}) - Was haben wir getan? Ich kann es Ihnen ganz konkret sagen, Frau Lazar. ({20}) Hat man zum Beispiel noch im zweiten Lebensjahr eines Kindes auf Berufstätigkeit verzichtet ({21}) Nadine Schön ({22}) oder den Umfang der Berufstätigkeit reduziert, haben diese Jahre in der Vergangenheit im Hinblick auf die Rente gefehlt; sie waren weg. ({23}) Viele Frauen entscheiden sich aber dafür, noch zu Hause zu bleiben und auf Berufstätigkeit zu verzichten, wenn ihr Kind erst 16 oder 18 Monate alt ist. Ich weiß, dass Sie das nicht wollen. Aber die Menschen tun es trotzdem. ({24}) Sie haben den Menschen die ganze Zeit gesagt: Dann habt ihr, was die Rente angeht, halt Pech. - Wir sagen: In der Zeit, in der ihr zu Hause bleibt, weil das Kind erst zwei Jahre alt ist, bekommt ihr 115 bzw. 165 Euro pro Monat. Dieses Geld könnt ihr für die Rente anlegen. Die Entscheidungen werden von den Familien getroffen, ob Sie das wollen oder nicht. ({25}) Man kann sie bei der Rente im Regen stehen lassen, oder man kann ihnen helfen, die Altersvorsorge für diese Zeit sicherzustellen. Wir haben uns für das Zweite entschieden. Das ist Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive. ({26}) Wir geben die Möglichkeit, Nachteile aus individuellen Entscheidungen, die im Laufe des Lebens getroffen werden, zu kompensieren, damit es keine langfristigen negativen Folgen gibt. Bei einigen Themen, die Sie angesprochen haben, sind wir durchaus einer Meinung: Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen, wir wollen Entgeltgleichheit. Wir müssen leider feststellen, dass sich in Ihrer Regierungszeit gerade beim Thema „Frauen in Führungspositionen“ nichts entwickelt hat. ({27}) In unserer Regierungszeit hat sich durch den Druck, der durchaus von den beiden Ministerinnen und auch von unserer Fraktion aufgebaut wurde, in den Aufsichtsräten einiges getan. Noch vor zwei Jahren hatten wir 10 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten der DAX-Unternehmen; heute sind es 16 Prozent. 10 Prozent vor zwei Jahren, 16 Prozent heute - daran sehen Sie: Der politische Druck, den wir in der Diskussion erzeugt haben, hat gewirkt. Wir haben jetzt 16 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten. Wir sagen ganz klar: Wenn die Dynamik nicht anhält, wenn sich das nicht mit dieser Schnelligkeit weiterentwickelt, dann wird es eben ein Gesetz geben. Das ist Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Wir stülpen den Menschen kein Leitbild über, nach dem jeder in Deutschland zu leben hat. Das ist nicht unser Ansatz; da unterscheiden wir uns leider Gottes. ({28}) Zum Schluss will ich Frau Humme ebenfalls herzlich für die gute Zusammenarbeit danken. Wir waren in vielen Punkten einer Meinung, auch wenn das in der Rede nicht rübergekommen ist. Ich denke, wir haben viele gemeinsame Ziele. Nachdem wir einmal in Stockholm mit einer Delegation angekommen waren, die nur aus Frauen bestand, und die Koffer nicht da waren, haben wir alle uns gut verstanden. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Frauen fraktionsübergreifend zusammenhalten können, wenn es ernst wird. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen persönlich alles Gute und danke Ihnen für Ihr Engagement für die Gleichstellung. ({29})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Ich schließe die Aussprache. Wir sind beim Tagesordnungspunkt 16 und kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/13367. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12487 mit dem Titel „Gleichstellung - Fortschritt Jetzt - Durch eine konsistente Gleichstellungspolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 16. ({0}) - Solange um diese Uhrzeit niemand irgendetwas bezweifelt, bin ich mit jeder Unruhe einverstanden. ({1}) Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/12497 mit dem Titel „Gleichstel- lung von Frauen und Männern im Lebensverlauf durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? - Die Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 10. Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für die tatsächliche Gleichstel- lung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Vizepräsident Eduard Oswald Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13954, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13478 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 11. Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10880, den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6130 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zum Antrag der Republik Lettland, der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beizutreten und den Euro als Umlaufwährung einzufüh- ren hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ges nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. mit § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 17/13887 - Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Sie sind einverstanden, dass ich die Redner nicht vorlese. Alle Reden wurden hier abgegeben. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 17/13887. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der So- zialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Der Antrag ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis c sowie 18 e bis g auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes Digitalisierung vergriffener und verwaister Werke - Drucksache 17/4661 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 17/13946 - 1) Anlage 15 Berichterstattung:- Abgeordnete Norbert Geis- Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Stephan Thomae- Halina Wawzyniak- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE Wissenschaftliche Urheberinnen und Urheber stärken - Unabdingbares Zweitveröffentli- chungsrecht einführen - Drucksachen 17/5479, 17/13946 - Berichterstattung:- Abgeordnete Norbert Geis- Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Stephan Thomae- Halina Wawzyniak- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Agnes Alpers, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Chance der Digitalisierung erschließen - Urheberrecht umfassend modernisieren - Drucksachen 17/6341, 17/13942 - Berichterstattung:- Abgeordnete Norbert Geis- Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Stephan Thomae- Halina Wawzyniak- e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermöglichung der privaten Weiterveräußerung unkörperlicher Werkexemplare - Drucksache 17/8377 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5}) - Drucksache 17/13943 - Berichterstattung:- Abgeordnete Norbert Geis- Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Stephan Thomae- Halina Wawzyniak- Vizepräsident Eduard Oswald f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern - Drucksache 17/11040 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6}) - Drucksache 17/13949 - Berichterstattung:- Abgeordnete Norbert Geis- Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Stephan Thomae- Halina Wawzyniak- g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhandlung auf Augenhöhe - Das Urheber- vertragsrecht reformieren - Drucksachen 17/12625, 17/13949 - Berichterstattung:- Abgeordnete Norbert Geis- Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Stephan Thomae- Halina Wawzyniak- Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll ge- geben: Stephan Thomae, Burkhard Lischka, Ansgar Heveling und Jerzy Montag.1) Ich erteile Frau Kollegin Petra Sitte das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Petra Sitte. ({8})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das geltende Urheberrecht bietet bekanntermaßen Urheberinnen und Urhebern vielfach keine ausreichende ökonomische Grundlage. Das - so haben es verschiedene Studien gezeigt - liegt nun nicht am bösen Internet. Vielmehr dient das Urheberrecht weit mehr den Interessen der großen Medienkonzerne. Darüber hinaus passt das Urheberrecht nicht mehr zu der Art, wie eine digitale Gesellschaft Informationen erarbeitet und vermehrt. ({0}) 1) Anlage 8 Schließlich und noch schlimmer: Die Kultur des Teilens von Inhalten wurde durch Rechtsverschärfungen in der jüngsten Vergangenheit zusätzlich behindert. Wir brauchen also dringend eine umfassende Urheberrechtsreform. Allerdings haben die Regierungsfraktionen - obwohl sie es immer wieder angekündigt hatten bis heute keine substanziellen Vorschläge unterbreitet. Stattdessen haben sie das Problem durch Schutzfristverlängerungen und Änderungen im Leistungsschutzrecht für Presseverlage am Ende noch verschärft. Wir dagegen wollen heute einen ganzen Strauß von Reformideen zur Abstimmung stellen. Unser Leitprinzip über alle Anträge hinweg ist: eine faire Vergütung für Kreative bei gleichzeitig möglichst freizügiger Nutzung kreativer Werke. ({1}) Erstens. Dazu gehört der private Weiterverkauf von E-Books und Co. Ich frage Sie: Warum bitte soll digital verboten sein, was analog möglich ist? Zweitens. Für die Wissenschaft, für Museen, Bibliotheken und Archive wollen wir die digitale Bereitstellung und Nutzung verwaister und vergriffener Werke wesentlich erleichtern. Unser Vorschlag ähnelt dabei in der Rechtssystematik dem Herangehen der EU-Kommission und im Übrigen auch einem Gesetzentwurf des Justizministeriums. Wir sind allerdings mit unserem Vorschlag deutlich näher an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Museen und Archive als der Regierungsentwurf. Dabei werden von uns alles in allem die Rechte der Urheberinnen und Urheber gewahrt. Drittens. Unser Antrag auf Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechts für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren stärkt die Rechte der Urheber gegenüber den Verlagen. Er hilft zugleich, das Prinzip der Open-Access-Veröffentlichungen in der Wissenschaft auszubauen. Wir haben uns dabei ganz stark an die Vorschläge der Wissenschaftsorganisationen und der Open Access Community angelehnt. Dagegen hat die Regierung ihren Gesetzentwurf zum Zweitveröffentlichungsrecht mit Passagen vergiftet, zu denen man einfach sagen muss, dass die Urheberinnen und Urheber dadurch einmal mehr zugunsten der Verlage enteignet werden. Aber selbst über diese verlegerfreundliche Fassung wird innerhalb der Koalitionsfraktionen noch kontrovers diskutiert. Deshalb bin ich schon einmal sehr gespannt darauf, ob Sie es wirklich schaffen, diesen Gesetzentwurf in der letzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode hier vorzulegen. Viertens. Die Rechte der Urheberinnen und Urheber zu stärken, ist auch das Ziel unseres Gesetzentwurfs zum Urhebervertragsrecht. Auch diesen Gesetzentwurf haben wir nicht still und heimlich erarbeitet, sondern wir haben ihn über mehrere Monate ins Netz gestellt. Wir haben ihn transparent gemacht und offen mit Interessierten und Engagierten sowie mit Verbandsvertretern diskutiert, und wir haben den Gesetzentwurf schließlich aufgrund der Hinweise verbessert. Das Ergebnis sind Regelungen, die sich die Kreativen selbst wünschen. Dies war im Üb31430 rigen auch die Grundlage der Reformempfehlungen der Enquete-Kommission des Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“. Diese Reformempfehlungen sind einstimmig verabschiedet worden. Ich werde die zu Protokoll gegebenen Reden der Abgeordneten der anderen Fraktionen interessiert lesen, um herauszufinden, warum Sie unserem Vorschlag heute nicht zustimmen. Danke schön. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Digitalisierung vergriffener und verwaister Werke. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13946, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4661 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass nach unserer Geschäftsordnung damit die weitere Beratung entfällt. Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wissenschaftliche Urheberinnen und Urheber stärken - Unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht einführen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13946, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5479 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Die Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Die Chance der Digitalisierung erschließen - Urheberrecht umfassend modernisieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13942, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6341 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 18 e. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Ermöglichung der privaten Weiterveräußerung unkörperlicher Werkexemplare. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13943, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8377 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/ Die Grünen und Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 18 f. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13949, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11040 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? Das sind alle anderen Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 18 g. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Verhandlung auf Augenhöhe Das Urhebervertragsrecht reformieren“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13949, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12625 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes - Drucksache 17/13705 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 17/13935 Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelGabriele FograscherDr. Stefan RuppertWolfgang Wieland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Alle sind damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Reinhard Grindel spricht für die Fraktion von CDU/CSU. Bitte schön, Herr Kollege.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche eigentlich sogar für alle Fraktionen außer der Linken; denn wir wollen mit der Änderung des Europawahlgesetzes den Rechtsschutz in Wahlsachen in gleicher Weise verbessern, wie wir das bei der Bundestagswahl bereits geregelt haben. Wir führen eine 3-ProzentSperrklausel ein; denn aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2011 würde ansonsten bei der nächsten Europawahl 2014 keine Sperrklausel gelten. Das Gericht hat uns als Gesetzgeber in seiner Entscheidung eine Beobachtungspflicht auferlegt. Die die Wahlgleichheit und die Chancengleichheit berührenden Normen müssen dann geändert werden, wenn sich die Verhältnisse ändern, die der verfassungsrechtlichen Beurteilung zugrunde liegen. Die Fraktionen von CDU/ CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind der Auffassung, dass sich die Lage zur Beurteilung der Verhältnisse in Zusammenhang mit der Europawahl verändert hat. Im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat das Europäische Parlament am 22. November 2012 mit großer Mehrheit eine Entschließung verabschiedet, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, Art. 3 des Direktwahlaktes in ihrem Europawahlrecht zur Durchsetzung zu verhelfen und Sperrklauseln zu verabschieden, um die Funktionalität des Europäischen Parlaments zu wahren. Es ist die Überzeugung aller Fraktionen mit Ausnahme der Linken, dass sich angesichts des Vertrages von Lissabon die Grundlagen im Verhältnis zwischen Parlament und Kommission fundamental verändert haben. Wir teilen die in der Entschließung des EU-Parlaments zum Ausdruck kommende Überzeugung, dass sich durch das Wahlverfahren der Kommission und der Notwendigkeit, den Kommissionspräsidenten mit qualifizierter Mehrheit zu wählen, die Frage der Funktionsfähigkeit völlig neu stellt. Angesichts der veränderten Verhältnisse zwischen Parlament und Kommission ab der Europawahl 2014 sind verlässliche Mehrheiten im Europäischen Parlament für die Stabilität der Legislativverfahren der EU und das reibungslose Funktionieren ihrer Exekutive von entscheidender Bedeutung. Bei der EU-Wahl wird es Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten geben, die in nahezu allen Mitgliedstaaten Wahlkampf machen. Damit soll die Legitimation des Europäischen Parlaments gestärkt und für mehr Bürgernähe gesorgt werden. Gleichzeitig bedeutet dies eine größere Parteipolitisierung des EU-Parlaments, was die Mehrheitsbildung erschweren wird, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die in der parlamentarischen Praxis bisher häufig praktizierte Konsensbildung zwischen den großen Fraktionen so fortsetzen lassen wird. ({0}) Fraktionslose Abgeordnete würden damit einen die Entscheidungsprozesse behindernden Einfluss erhalten. ({1}) Bei einer starken Zersplitterung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments steigt sogar das Risiko einer anhaltenden Blockade der politischen Willensbildung. Wir erleben einen Bedeutungswandel der europäischen Institutionen, der die Frage nach deren Funktionsfähigkeit mit besonderer Intensität stellt, weil sich ein Antagonismus zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen herausbilden wird, der auch auf die übrige Arbeit des Parlaments Rückwirkungen haben wird. Deshalb ist es für den Deutschen Bundestag noch wichtiger, ein Wahlrecht zu beschließen, das Rahmenbedingungen schafft, die diese Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen. Der Deutsche Bundestag legt Wert auf die Feststellung, dass er vor diesem Hintergrund die Entscheidung über die Einführung einer 3-Prozent-Klausel in Ausfüllung des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums trifft. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder klargestellt, dass es sich gerade in den Kernbereichen der Legislativmacht des Parlaments nicht zum Ersatzgesetzgeber aufschwingen will. Das schließt dann aber mit ein, dass durch eine sehr weitgehende Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe wie der der Funktionsfähigkeit des Parlaments der Beurteilungsspielraum des Bundestages nicht quasi durch die Hintertür praktisch auf null reduziert werden darf. ({2}) Einer unserer Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung hat das auf die folgende Formel gebracht: Eine vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers dürfe nicht durch eine vertretbare Einschätzung des Gerichts ersetzt werden. In der Entschließung des Europaparlaments drückt sich mit Verweis auf die Verträge von Lissabon die Sorge aus, dass bereits die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und nicht erst ihre Blockade angesichts des Bedeutungswandels des Parlaments erhebliche Schwierigkeiten zur Folge habe, die der Deutsche Bundestag ausdrücklich durch das von ihm verabschiedete Wahlrecht verhindern will. Angesichts von demnächst 28 Mitgliedstaaten und fehlenden europaweiten Parteien ist es völlig klar, dass es formal eine große Zahl von Parteien gibt, die zum Teil auch nur wenige Abgeordnete haben, wobei es durch die Verteilung der Parlamentsmandate auf die einzelnen Mitgliedstaaten in vielen Ländern ohnehin sozusagen natürliche Sperrklauseln gibt. Im Schnitt kommen aus den EU-Staaten zwischen fünf und sechs Parteien ins Parlament. Für dessen Funktionsfähigkeit ist jedoch nicht die Zahl der Parteien als solche entscheidend, sondern dass es in allen Mitgliedstaaten parteipolitische Verhältnisse gibt, die denen der im Europaparlament vertretenen Parteifamilien entsprechen. Es gibt konser31432 vativ-christlich-demokratische, sozialistische und sozialdemokratische, liberale, grüne und kommunistische Parteien. Ohne Sperrklausel kämen aus Deutschland etwa 13 oder 14 Parteien, und zwar - darauf kommt es an zusätzlich gerade solche, die weder den Parteifamilien angehören, die sich im Europäischen Parlament zu Fraktionen zusammenfinden, noch von diesen integriert werden könnten. Insofern würden wir ohne Sperrklausel eine Zahl von fraktionslosen Parlamentariern produzieren, die das immer wichtigere Funktionieren des Zusammenwirkens der Institutionen massiv gefährden könnten. Wenn das Verfassungsgericht gesprochen hat, trifft den Gesetzgeber kein Normwiederholungsverbot. Ganz im Gegenteil: Die Kompetenzordnung unserer Verfassung sieht gerade den Bundestag als berufen an, über die Wahlgesetzgebung zu befinden. Wir tun dies heute nahezu einmütig. Deswegen bin ich mit allem Respekt vor unserem höchsten deutschen Gericht angesichts der Entschließung des Europäischen Parlaments, die eine neue Grundlage für unsere Änderung des Europawahlgesetzes bedeutet, zuversichtlich, dass uns im Falle eines Falles die Karlsruher Richter bestätigen werden, dass wir uns im Rahmen des uns zustehenden Gestaltungsspielraums bewegt haben. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Reinhard Grindel. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Axel Schäfer. Bitte schön, Kollege Axel Schäfer. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion, die wir heute über die Änderung des Europawahlgesetzes führen, ist sicherlich eine besondere Diskussion. Denn wir als nationales Parlament treffen solidarisch eine Entscheidung, die die Zusammensetzung, Funktionsfähigkeit und politische Führungsfähigkeit eines supranationalen Parlaments betrifft. Deshalb ist der erste Punkt, dass wir uns noch einmal vergewissern, auf welchem Terrain wir uns befinden. Wir alle miteinander waren bis 2011 der Meinung, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1979, das zur ersten Direktwahl des EP ausdrücklich die damals bestehende Fünfprozentklausel mit der Verfassung im Einklang sah, natürlich auch in der Gegenwart weiterhin gilt. Denn damals, 1979, hatte das Europäische Parlament - bis auf sehr begrenzte Haushaltsrechte - in der Gesetzgebung, bei der Wahl des Kommissionspräsidenten und bei anderen zentralen Aufgaben nichts zu entscheiden. Nach dem Lissabon-Vertrag sind wir in der Situation, dass sich die parlamentarische Entwicklung in vielen Stufen - über Vertragsänderungen, die alle parlamentarisch ratifiziert worden sind, und zwar mit sehr großen Mehrheiten im Bundestag wie im Bundesrat - auf eine Weise dynamisch fortgesetzt hat, von der diejenigen, die die Direktwahl in den 70er-Jahren erkämpften, wirklich nur träumen konnten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll nun für ein Parlament mit außergewöhnlicher Stärke in der Gesetzgebung und Macht gegenüber der Kommission - der faktischen und funktionalen Regierung keine Sperrklausel mehr gelten, die der Gewährleistung seiner Funktionsfähigkeit dient. Es gibt da ein paar Missverständnisse, über die wir diskutieren müssen. Wir sind die erste Gewalt und müssen mit der dritten Gewalt diskutieren, vor allen Dingen dann, wenn Vertreter der dritten Gewalt über Bundespressekonferenzen mit uns kommunizieren und nicht nur durch Urteile. ({0}) - Lieber Kollege Wieland, Sie wissen, warum ich heute hier spreche: Ich bin ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und jetzt als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Angelegenheiten der EU zuständig. So fühle ich mich berufen, über dieses Thema zu reden. ({1}) Das grundlegende Missverständnis ist, dass manche denken, dass, weil im Europäischen Parlament 160 Parteien vertreten sind, es auf 10 oder 20 Parteien mehr auch nicht mehr ankommt; dass das Europäische Parlament schon irgendwie funktionieren wird. Im Hinblick darauf, wie die Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, politisch und finanziell und auch, was die Entscheidungen über Personen angeht, konstituiert sind, könnte man argumentieren: Die CDU gibt es 15-mal, die SPD sogar 16-mal, und für FDP, Grüne und Linkspartei gilt das Gleiche. Die Landesverbände haben in Deutschland eine außergewöhnliche Stärke. Auch ein Parteivorsitzender oder eine Kanzlerin kann nicht von Bundesebene aus vorschreiben, was die Landesverbände zu entscheiden haben. Das ist die Realität bei uns. Die Realität in Europa ist: Im Europäischen Parlament gibt es sieben Fraktionen, die bei einem Parlament mit Abgeordneten aus 27 Mitgliedstaaten natürlich aus mehr als nur sieben Parteien gebildet werden. Die Parteifamilien, die sich herausgebildet haben, sind etwas Neues, etwas Besonderes und haben eine höhere Verbindlichkeit bekommen, als wir uns das in der Gründungsphase in den 70er-Jahren hätten vorstellen können. Bei dem gemeinsamen Gesetzentwurf, den vier Fraktionen hier in den Deutschen Bundestag eingebracht Axel Schäfer ({2}) haben, geht es - der Kollege Grindel hat geschätzterweise darauf hingewiesen - um drei zentrale Punkte: Der erste Punkt sind die Verbundenheit und die Solidarität mit dem Europäischen Parlament und auch der Respekt vor diesem Parlament, das ausdrücklich für sich definiert hat: Es wäre gut, wenn in den Mitgliedstaaten eine Mindestsperrklausel eingeführt würde. - Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Hintergrund ist aber auch: Außer in Spanien haben die nationalen Parlamente von bereits 26 Mitgliedstaaten der EU eine solche Sperrklausel in ihr Europawahlgesetz aufgenommen. Dieser Punkt ist ganz wichtig; wir sprechen ja immer über das Verhältnis der nationalen Parlamente zum EP. Das ist auch eine Frage von praktizierter Solidarität. Der zweite Punkt ist - das hat eine neue Qualität; der Kollege Grindel hat ja etwas angekündigt, was die EVP noch nicht beschlossen hat, aber hoffentlich beschließen wird -, dass es bei der Europawahl 2014 tatsächlich darum gehen wird, dass der Präsident der Kommission - der faktische Regierungschef in der EU - durch das Parlament gewählt wird. Das ist eine fundamentale Änderung, die zur Konsequenz haben wird, dass wir - so hoffe ich, und das wünschen wir, glaube ich, auch alle zum ersten Mal einen europäischen Wahlkampf führen werden, in dem sich die Wählerinnen und Wähler nicht nur dafür entscheiden können, entweder ihre nationale Regierung abzuwatschen oder ihren Regierungschef zu loben. Es wird 2014 auch darum gehen, wie wir uns als Sozialdemokraten, als Christdemokraten, als Grüne, als Liberale oder als Linke im Europäischen Parlament inhaltlich definieren. Gleichzeitig sagen wir den Wählerinnen und Wählern damit: Wenn ihr uns wählt - ich hoffe, es wählen viele die SPD -, dann werden wir mit den Grünen und vielleicht noch mit anderen, die guten Willens sind, zusammen einen Kommissionspräsidenten wählen - wenn wir die Mehrheit dafür haben. Wenn nicht, werden die anderen das tun. Das ist die Voraussetzung. Damit wird deutlich, dass die parlamentarische Verantwortung dieses Regierungschefs eine andere ist. Als Verfassungswirklichkeit wird auch etwas anderes eintreten: Die Staats- und Regierungschefs werden nach der Europawahl einen Vorschlag für das Amt des Kommissionspräsidenten machen, so wie der deutsche Bundespräsident nach dem Ergebnis der Bundestagswahl einen Vorschlag für den zu wählenden Regierungschef macht, und nicht vorher im stillen Kämmerlein irgendetwas aushandeln. Das wird die Konsequenz sein. Denn das Parlament wählt, das Parlament entscheidet dabei. Der dritte Punkt. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie sich auch die Gesetzgebung in Europa entwickelt hat. Manche glauben ja, es würde alles auf Gipfeln entschieden. Gott sei Dank ist das nicht so. Das allermeiste, was die Frage „Wirtschaft und Währung“ anbelangt, wird immer noch in Europa entschieden, wo die Kompetenzen bestehen. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind der Meinung, es müsse dort auch noch mehr parlamentarisiert werden. Dafür braucht man stabile Verhältnisse; das ist überhaupt keine Frage. Zu den stabilen Verhältnissen gehört auch, dass es eine Mehrheit gibt, die größer ist als diejenige, die den Kommissionpräsidenten gewählt hat. Um dieses zu ermöglichen, brauchen wir eine Form bzw. einen Rechtsrahmen durch die Veränderung des Europawahlgesetzes. Wir sollten uns in die Augen schauen und uns in die Hand hinein versprechen, dass wir diesen Europawahlkampf in dem Geiste führen, in dem wir heute diskutiert haben: als einen wirklich europäischen Wahlkampf. Dafür brauchen wir europäische Parteifamilien. Dafür brauchen wir auch Vereinbarungen oder rechtliche Regeln, was Mindestnormen anbelangt, also eine Sperrklausel. Es braucht vor allen Dingen den gemeinsamen Willen, das durchzusetzen. In diesem Sinne leisten wir heute etwas Gutes. Deshalb ist es auch gut, dass man noch um 23.31 Uhr ({3}) öffentlich darüber diskutiert und diese Debatte nicht nur zu Protokoll gibt. Vielen Dank. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Axel Schäfer. - Nächster Redner für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Stefan Ruppert. Bitte schön, Kollege Dr. Ruppert. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Karlsruhe hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von wahlrechtlichen Entscheidungen getroffen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass man dort in Teilen Spaß an sehr detaillierten Vorgaben gewonnen hat. So hat Karlsruhe aus Art. 38 der Verfassung herausgelesen, dass ziemlich genau 15 Überhangmandate verfassungsgemäß seien. Man hat weiterhin herausgelesen, dass im Ausland lebende Deutsche bestimmte kulturelle Bezüge brauchen, um unser Wahlrecht genießen zu können. Man hat aus dieser Verfassung auch herausgelesen, dass die Fünfprozenthürde ein zu starker Gleichheitseingriff in die Gleichheit der Wahl sei. Als Verfassungsrechtler stehe ich der Tendenz, den Spielraum des Gesetzgebers bis auf wenige Gestaltungsmöglichkeiten drastisch zu beschränken, ausgesprochen skeptisch gegenüber. Der Demokrat in mir sagt natürlich: Wir müssen diese Entscheidung respektieren. Gleichwohl ist es, glaube ich, gar nicht so schlecht, dass man auch in Karlsruhe noch einmal darüber nachdenkt, ob es eigentlich richtig ist, den politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers - hier des Deutschen Bundestages - in Fragen, die ihn ureigen angehen - das Wahlrecht ist nun einmal ureigene Parlamentsangelegenheit -, so drastisch zu beschneiden. Genau diese Überlegung hat auch eine Rolle gespielt, als wir uns gefragt haben: Hat man hier formal über 5 Prozent oder zumindest politisch auch über 3 Prozent mitentschieden? Nein, eine Fünfprozenthürde ist ein größerer Eingriff in die Gleichheit der Wahl als eine Dreiprozenthürde. Ich glaube, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag haben sich die Überlegungen dazu ausgesprochen schwer gemacht. Wir haben Anhörungen durchgeführt. Wir haben aber auch in einem Zeitraum von über einem Jahr in mehreren Gesprächen intern fachlich diskutiert und sind zu der politischen und verfassungsrechtlichen Abwägung gekommen, dass 3 Prozent verfassungsgemäß sind, ({0}) weil, ganz einfach gesagt, drei eben nicht fünf ist. ({1}) Wir müssen weitere Argumente in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Das erste Argument ist, dass wir in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach noch 96 Abgeordnete aus Deutschland im Europäischen Parlament haben werden. Jetzt könnte man sagen, eine Zersplitterung dieser Delegation in vielleicht sieben, acht oder neun weitere Fraktionen sei allein eine machtpolitische Frage und betreffe alleine den machtpolitischen Einfluss Deutschlands auf europäischer Ebene. Nein, es ist auch ein Repräsentationsproblem, weil es einem einzelnen Abgeordneten eben nicht gelingen kann, die Brüsseler oder Straßburger Entscheidungen gegenüber dem deutschen Wahlbürger zu vertreten. Insofern wird aus diesem machtpolitischen Argument auch ein verfassungsrechtliches. Das Europäische Parlament - so sagt es auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - soll sich weiter parlamentarisieren. Wenn man etwa die Lissabon-Entscheidung betrachtet, so liest man dort, dass auf europäischer Ebene nach wie vor Demokratiedefizite bestünden. Aber gerade die Funktionsfähigkeit eines solchen Parlaments ist eine Voraussetzung für eine weitere Parlamentarisierung. Insofern, glaube ich, ist eine Dreiprozenthürde auch eine notwendige Voraussetzung für diese Funktionsfähigkeit. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum subjektiven Wahlrechtsschutzrecht sagen. Hierzu gibt es, soweit ich weiß, 40 oder 45 Entscheidungen Karlsruhes. Sie sind in einer sehr guten Dissertation von Heinrich Lang aufgeführt. Sie können in Deutschland gegen alles klagen, gegen die Anbringung einer Dachrinne durch Ihren Nachbarn oder gegen die Beförderung Ihres Kollegen. Aber das urdemokratische Recht, als Partei an einer Wahl teilzunehmen, konnten Sie bisher auf europäischer Ebene und bis vor kurzem auch auf deutscher bzw. nationalstaatlicher Ebene nicht einklagen. Wir gehen auch den wichtigen Schritt, dass man mehr Demokratisierung, mehr rechtliche Überprüfung, mehr Rechtsschutz bei der Frage hat, ob man bei einer Wahl antreten darf oder ob vielleicht der Bundeswahlausschuss oder ein anderes Gremium dies untersagt. Das wird in Zukunft rechtlich überprüfbar werden. ({2}) Am Ende werden wir uns wohl in Karlsruhe wiedersehen. Es wird Gruppierungen geben, die gegen diese Dreiprozenthürde klagen. Dann sollten wir uns an die, wie ich finde, bisher sehr gute Diskussion an diesem Abend und an unsere politischen und verfassungsrechtlichen Abwägungen erinnern. Wir sollten Karlsruhe unsere meiner Meinung nach guten Argumente vortragen. Es bleiben auch bei mir Restzweifel, ob ein Berichterstatter, der eine Fünfprozenthürde vehement für verfassungswidrig gehalten hat, seine Haltung in einem zukünftigen Urteil revidieren wird. Die Zusammensetzung des Zweiten Senats hat sich ja insofern geändert, als die beiden Richter, die abweichende Voten abgegeben hatten, nicht mehr vertreten sind. Ich glaube aber, es gibt sehr gute Argumente dafür, dass wir heute das Richtige tun, nicht nur politisch, sondern auch verfassungsrechtlich. Die FDP-Fraktion wird dem von vier Fraktionen eingebrachten Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Stefan Ruppert. - Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Halina Wawzyniak. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Ruppert dankbar dafür, dass er den Wahlrechtsschutz noch einmal angesprochen hat. Denn in vier von fünf Punkten sind wir uns bei diesem Gesetzentwurf einig. Wir sind uns nur an einer Stelle nicht einig, und das ist die Frage der Dreiprozentsperrklausel. Ich komme nicht umhin, zu Anfang noch etwas zum Verfahren zu sagen. Wir haben die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs ohne Debatte durchgeführt. Am Mittwoch der vergangenen Sitzungswoche hat der Innenausschuss beschlossen, eine Anhörung durchzuführen. Die Anhörung ist am Montag durchgeführt worden. An dieser Anhörung haben der Kollege Ruppert, der Kollege Wieland und ich teilgenommen. Nach dem Höferlin’schen Gesetz aus dem Rechtsausschuss dürfte heute gar nicht abgestimmt werden. Der Kollege Höferlin hatte seinerzeit, als es um die Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung ging, darauf hingewiesen, dass noch gar kein Protokoll vorliege. Ich nehme zur Kenntnis: Wir stimmen heute über einen Gesetzentwurf ab, obwohl auch noch kein Protokoll über die Anhörung vorHalina Wawzyniak liegt. Das kann man machen, muss man aber nicht machen. Wir haben rechtliche und politische Bedenken gegen eine Dreiprozenthürde. Ich will - das ist zumindest den Berichterstattern bekannt - nochmals auf die Randnummer 118 des Bundesverfassungsgerichtsurteils hinweisen. Ich zitiere: Deshalb fehlt es an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen, so dass der mit der Anordnung des Verhältniswahlrechts auf europäischer Ebene verfolgte Gedanke repräsentativer Demokratie … im Europäischen Parlament uneingeschränkt entfaltet werden kann. ({0}) Das Verfassungsgericht spricht bewusst von Sperrklauseln. Jetzt kann man sich darüber streiten, ob deswegen eine Sperrwirkung für den Gesetzgeber eintritt oder nicht. Das ist zumindest ein Indiz dafür, dass es sich das Bundesverfassungsgericht mit der Dreiprozentsperrklausel auch nicht so einfach machen würde. Herr Grindel, der ja nicht bei der Anhörung war, weswegen er das vielleicht nicht besser wissen konnte ({1}) - okay, akzeptiert; Sie sind in der Flut stecken geblieben -, hat hier vorgetragen, es gebe neue rechtliche und tatsächliche Gründe. Ich gebe zu: Ich finde das ein wenig abenteuerlich. Das Bundesverfassungsgericht hat den Lissabon-Vertrag in seinem Urteil ausdrücklich und eingehend dekliniert, bewertet und zur Kenntnis genommen. Eine Entschließung des Europäischen Parlaments wird hier als neuer rechtlicher und tatsächlicher Grund angeführt. Seit wann richtet sich die Verfassungslage danach, was politisch gewollt ist? Das Europäische Parlament ist noch immer ein Parlament und kein Rechtsetzungsorgan. ({2}) Daneben ist gesagt worden, die 3 Prozent seien das deutlich mildere Mittel. Herr Wieland sagt dann immer: Fünf ist mehr als drei. ({3}) Durch die schriftliche Stellungnahme von Wilko Zicht von Wahlrecht.de ist erwiesen, dass es faktisch leider nicht so ist. Denn auch bei einer Dreiprozenthürde, hochgerechnet auf die Europawahl 2009, wären 10 Prozent der gültigen Stimmen - das sind die Stimmen von 2,8 Millionen Wahlberechtigten - nicht an der Sitzverteilung des Europaparlaments beteiligt gewesen. Auch von daher ist das Argument nicht ganz überzeugend. Zum Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen will ich nur kurz sagen: In der Anhörung ist darauf hingewiesen worden, dass es Bedenken hinsichtlich der Unmittelbarkeit und der Gleichheit der Wahl gibt. Wir teilen diese Bedenken. ({4}) Nun möchte ich aber noch etwas zu den politischen Bedenken sagen. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass die Bevölkerung der Souverän ist. Wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen damit umgehen, was der Souverän gewählt hat. Es kann doch nicht sein, dass sich der Souverän danach zu richten hat, wie wir unsere Arbeit organisieren, und dass Stimmen des Souveräns einfach hinten runterfallen, wenn wir unsere Arbeit nicht organisiert bekommen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. ({5}) Deswegen lehnen wir auch aus politischen Gründen eine Sperrklausel ab. ({6}) Ich komme zum Schluss und will Ihnen sagen: Lassen Sie uns doch einfach die Chance nutzen, ein Parlament ohne Sperrklauseln zu haben, ein Parlament, in dem vielleicht das Argument, das Zuhören und die freie Debatte zählen. Am Ende sage ich Ihnen: Wer will, dass alles bleibt, wie es ist, der will nicht, dass es bleibt. Ich möchte, dass der Parlamentarismus bleibt. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Wawzyniak. - Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Wolfgang Wieland. Bitte schön, Kollege Wolfgang Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße besonders die zwei Zuhörer auf der Tribüne, die uns hier die Ehre ihrer Anwesenheit geben. Wir sollten uns hier nichts vormachen, Frau Kollegin Wawzyniak: Wir begeben uns auf dünnes Eis. Das ist so etwas wie ein Ritt über den Bodensee, und die vier Fraktionen, die diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, können nur hoffen, dass wir am Ende nicht tot wie dieser Reiter sind, der über den Bodensee geritten ist. Ich sehe hier aber gar keinen Grund zur Aufregung. Diese Frage wird wieder in Karlsruhe entschieden werden; das ist absolut sicher. Jede der kleinen Parteien, die hier betroffen sind, wird klagen - auch schon vorher, weil sie natürlich sagen, dass sich ihre Chancen mindern, wenn die Leute von diesen 3 Prozent hören und sie nicht mehr wählen, weil ihre Stimme dann möglicherweise verschwendet ist. Wir gehen dieses Risiko ein, weil wir zum einen sagen: Diese Entscheidung aus Karlsruhe ist höchst umstritten. Das war sie von Anfang an. Zum anderen - die Kollegen Grindel und Schäfer haben hier ja sehr ausführlich vorgetragen; ich hätte mir gewünscht, dass Ihre Rechts- und Innenpolitiker diese Reden gehört hätten, ({0}) weil sie diese Nachhilfe in Sachen Europa nötig haben waren alle Argumente, die hier genannt wurden, richtig. Wir alle wollten den Präsidenten des Europaparlamentes, Herrn Martin Schulz, hören - vor der Klammer sozusagen, keinen Platz wegnehmend. Die SPD-Fraktion wollte das nicht. Wir haben es nicht verstanden, aber so war es. ({1}) Das Europäische Parlament entwickelt sich weiter. Die Momentaufnahme, die Karlsruhe 2011 gemacht hat, war schon damals kritisch. Für die Wahl 2014 ist sie falsch; das sage ich ganz deutlich. Die andere Funktionsweise des Parlaments, auch die Europäisierung der Parteien und der Parteizusammenschlüsse wurde nicht richtig vorausgesehen und nicht richtig eingeschätzt. Deswegen ist es richtig, hier noch einmal diesen Versuch zu machen. Der Kollege Ruppert hat scharfsinnig erklärt, dass fünf nicht drei ist und dass drei nicht fünf ist. Nur die Fünf ist in den Tenor eingeflossen. Natürlich, Frau Wawzyniak, steht in den Gründen ganz allgemein etwas von Sperrklauseln. Deswegen sage ich: Es wird schwierig werden in Karlsruhe; aber diese Auseinandersetzung sollten wir führen. Wir als Deutscher Bundestag müssen akzeptieren, dass das letzte Wort im Grunde nicht immer wir sprechen, sondern ein Verfassungsgericht. Das war so von den Eltern des Grundgesetzes gewollt. Damit soll man nicht hadern; aber die hohen Damen und Herren in Karlsruhe müssen dann auch akzeptieren, dass wir dort unsere Argumente vorbringen. Ich denke, es sind die besseren Argumente; deshalb sollten wir das tun. In diesem Sinne: Lassen Sie uns dem entgegensehen. Inzwischen haben wir den europäischen Wähler. Wir werden immer mehr europäische Parteien haben. Auch müssen wir sehen, dass wir auf ein europäisches Wahlrecht hinarbeiten. Dies ist ein erster und nicht der letzte Schritt. Das ist die Zukunft, und da müssen wir hingehen. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Wolfgang Wieland. - Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Thomas Silberhorn. Bitte schön, Kollege Thomas Silberhorn. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung einer Dreiprozentklausel - nachdem die Fünfprozentklausel vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde - ist sicherlich juristisch gewagt, aber sachlich gerechtfertigt und politisch geboten. Eine Dreiprozentsperrklausel ist nach unserer festen Überzeugung geboten, um eine weitere Funktionsbeeinträchtigung des Europäischen Parlaments zu verhindern. Insoweit kann die Einschätzung des Europäischen Parlaments selbst nicht ganz unbeachtet bleiben. Es hat in seiner Entschließung vom 22. November 2012, die schon zitiert worden ist, die Mitgliedstaaten aufgefordert, in ihrem Wahlrecht geeignete und angemessene Mindestschwellen für die Zuteilung der Sitze festzulegen. Diese Entschließung belegt, dass es nicht allein um ein Anliegen des Deutschen Bundestages geht. Es gibt kein Kartell der etablierten Parteien, neue, kleine Parteien außen vor zu halten; aber wir haben bei der Ausgestaltung des Wahlrechts sehr wohl einen deutlichen Spielraum und als Parlamentarier eine originäre Kompetenz in Bezug auf die Beurteilung von parlamentarischen Funktionsrisiken. Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten Organs wie des Europäischen Parlaments hängt noch viel stärker als im Deutschen Bundestag davon ab, dass es große Gruppen von Abgeordneten gibt, die durch gemeinsame politische Zielsetzungen miteinander verbunden sind. Das war das überzeugende Argument des Bundesverfassungsgerichts 1979, mit dem es damals die Sperrklausel für die Europawahl noch ausdrücklich gebilligt hatte - und das, obwohl das Europäische Parlament damals im Wesentlichen nur Beratungs- und Kontrollbefugnisse besaß. Angesichts der seither stetig gewachsenen Kompetenzen und Aufgaben des Europäischen Parlaments ist es schon erstaunlich, dass das Gericht in seiner Entscheidung 2011 die Fünfprozentsperrklausel nicht erst recht gebilligt, sondern verworfen hat. Dabei ist es für mich wenig überzeugend, darauf abzustellen, dass sich das Europäische Parlament bisher mit den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen gut arrangiert habe und diese Funktionsbeeinträchtigungen noch nicht zu einer Lähmung des Parlamentsbetriebs führen würden. Das kann doch beim besten Willen kein Grund dafür sein, dem Europäischen Parlament jetzt noch mehr zuzumuten. Der Umstand, dass im Europäischen Parlament Mehrheiten oft nur durch ein Zusammenwirken der beiden größten Fraktionen erzielt werden können, macht deutlich, dass die bereits vorhandene Zersplitterung mit sehr vielen Parteien aus 27 und bald 28 Mitgliedstaaten die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Parlaments spürbar schwächt. Vor dem Hintergrund der gewachsenen Mitentscheidungsbefugnisse des Parlaments besteht deshalb die reale Gefahr, dass dieses Europäische Parlament in seiner Funktion beeinträchtigt wird, wenn man auf eine Sperrklausel vollständig verzichten würde. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht angehen, dass Splitterparteien, die in Deutschland nirThomas Silberhorn gendwo, bei keiner Bundestagswahl, bei keiner Landtagswahl, einen Fuß auf den Boden bekommen, ausgerechnet zum Europäischen Parlament leichter zugelassen werden sollen und so die Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments weiter schwächen könnten. Das kann nicht der Stellenwert sein, den wir in Deutschland unserer parlamentarischen Vertretung in der Europäischen Union einräumen. Das Europäische Parlament benötigt Handlungsfähigkeit, wenn es im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als gleichberechtigter Akteur neben dem Rat eine Position durchsetzen will. Es muss in der Lage sein, eine mehrheitsfähige Willensbildung in den eigenen Reihen herbeizuführen. Jeder Mitgliedstaat trägt Mitverantwortung dafür, dass das Europäische Parlament auch in Zukunft handlungsfähig bleibt, dass es seine gesetzgeberische Funktion und auch die Kontrolle über die Kommission effektiv wahrnehmen kann. Sicherlich ist es so, dass Staaten wie Deutschland, die ein größeres Sitzkontingent als andere haben, eine besondere Verantwortung dafür tragen, eine weitere Zersplitterung im Europäischen Parlament zu verhindern. Wir brauchen ein starkes Europäisches Parlament, das zusammen mit dem Deutschen Bundestag und den anderen nationalen Parlamenten die demokratische Legitimation des Handelns der Europäischen Union sichert. Deswegen ist eine moderate Sperrklausel von 3 Prozent ein Mittel, das sachlich gerechtfertigt und politisch geboten ist, um dieses Ziel zu erreichen. ({0}) Mit unserem Gesetzentwurf reagieren wir auch darauf, dass mit dem Vertrag von Lissabon die Anzahl der deutschen Sitze im Europäischen Parlament von 99 auf 96 reduziert worden ist. Wir sind das einzige Mitgliedsland, das auf Sitze verzichtet hat, aus meiner Sicht ein völlig unnötiges und überflüssiges Zugeständnis. ({1}) Abgesehen davon geht das aus meiner Sicht grundsätzlich in die falsche Richtung; denn im Lissabon-Vertrag wurde das sogenannte Prinzip der degressiven Proportionalität festgeschrieben. Das bedeutet: Je mehr Mitgliedstaaten beitreten, desto weniger repräsentativ wird die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Wir in der CSU sind ganz im Gegenteil der Ansicht, dass die Völker der Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament repräsentativ vertreten sein müssen. Das wäre ein Quantensprung für die Vertiefung der europäischen Integration. Vielen Dank. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Thomas Silberhorn war der letzte Redner in dieser Aussprache, die ich damit schließe. Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung vor.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/13935, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/ 13705 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Niemand. Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/ Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes - Drucksache 17/11076 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 17/13321 Berichterstattung:Abg. Katja Mast - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13344 Berichterstattung:Abgeordnete Axel E. Fischer ({2})Bettina HagedornDr. Claudia WintersteinDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({3}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Mast, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über Pas- siv-Aktiv-Transfer ermöglichen - Teilhabe für alle durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im allgemeinen Arbeits- markt 1) Anlage 6 Vizepräsident Eduard Oswald - zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Einstieg in gute öffentlich geförderte Be- schäftigung beginnen - Drucksachen 17/11199, 17/12377, 17/13321 - Berichterstattung:- Abgeordnete Katja Mast c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Katrin Kunert, Katja Kipping, Sabine Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wirksamkeit der Arbeit der Beiräte bei den Jobcentern erhöhen - Drucksachen 17/7844, 17/13807 - Berichterstattung:- Abgeordnete Brigitte Pothmer Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Alle sind damit einverstanden. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20 a. Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13321, den Gesetzentwurf der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11076 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Zustimmen wollen Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Koalition und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 20 b. Wir setzen die Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/13321 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der SPD auf Drucksache 17/11199 mit dem Titel „Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über Passiv-Aktiv- Transfer ermöglichen - Teilhabe für alle durch sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Links- fraktion. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bünd- nis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Noch Tagesordnungspunkt 20 b. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12377 mit dem Titel „Einstieg in gute öf- 1) Anlage 10 fentlich geförderte Beschäftigung beginnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 20 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wirksamkeit der Arbeit der Beiräte bei den Jobcentern erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13807, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7844 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer - Drucksache 17/10487 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6}) - Drucksache 17/13944 - Berichterstattung:- Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth- Christoph Strässer- Marco Buschmann- Jens Petermann- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) - Alle sind damit einverstanden. Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/13944, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10487 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitions- fraktionen. Wer stimmt dagegen? - SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - So- zialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltun- gen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenom- men. 2) Anlage 9 Vizepräsident Eduard Oswald Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung Deutscher Auslandsschulen ({7}) - Drucksache 17/13058, 17/13618 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({8}) - Drucksache 17/13957 Berichterstattung:Abgeordnete Philipp MißfelderUlla Schmidt ({9})Patrick Kurth ({10})Stefan LiebichKerstin Müller ({11}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13958 - Berichterstattung:- Abgeordnete Herbert Frankenhauser- Klaus Brandner- Dr. h. c. Jürgen Koppelin- Michael Leutert- Sven-Christian Kindler Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden. Widerspruch erhebt sich nicht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13957, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/13058 und 17/13618 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages- ordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({14}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Eine gesetzliche Obergrenze für verbrauchergerechte Dispositionszinsen - Drucksachen 17/10988 ({15}), 17/13778 - 1) Anlage 11 Berichterstattung:- Abgeordnete Marco Wanderwitz- Ingo Egloff- Marco Buschmann- Halina Wawzyniak- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Begrenzung der Zinssätze für Dispositionsund Überziehungskredite - Drucksachen 17/10855, 17/13950 Berichterstattung:Abgeordnete Marco WanderwitzIngo EgloffMarco BuschmannRaju SharmaIngrid Hönlinger Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum mittlerweile vierten Mal in dieser Legislaturperiode hat die Opposition das Thema „gesetzliche Deckelung von Zinssätzen bei Dispositions- und Überziehungskrediten“ auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt. Zum vierten Mal tauschen wir damit die gleichen Argumente aus. Auch heute wird die Botschaft der christlich-liberalen Koalition sein: Eine gesetzliche Deckelung wird es mit uns nicht geben, weil es dafür keinen Bedarf gibt. Der seit Jahren von der Opposition pauschal vorgetragene Vorwurf, Banken würden günstige Konditionen, die ihnen bei der Geldbeschaffung von der Europäischen Zentralbank eingeräumt werden, nicht an ihre Kunden weitergeben, ist falsch. Wir hatten in der letzten Befassung im Oktober 2012 zunächst auf die Ergebnisse einer von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner in Auftrag gegebenen Studie zum Zinsanpassungsverhalten der Banken hingewiesen. Wichtigste Botschaft: Der Durchschnitt der Überziehungszinsen in Deutschland lag noch bei knapp über 10 Prozent, ein Wert, der angesichts eines europäischen Mittels von 8,8 Prozent in den vergangenen Jahren im Toleranzbereich liegt. Wenn wir von einem Mittelwert sprechen, heißt das aber auch: Es gibt Ausreißer nach oben, ebenso aber auch günstigere Angebote. Das gibt es bei einer Flugreise, beim Kauf eines Haushaltsgerätes und eben auch bei Banken und ihren Zinsen. Das nennt man Markt. Der Markt gibt den Verbrauchern die Möglichkeit, durch entsprechende Informationsgewinnung günstigere Konditionen zu erhalten, und der Bankenwettbewerb in Deutschland ist intensiv. In diesem Zusammenhang hatte ich im Oktober auf folgende interessante Ergebnisse einer Forsa-Umfrage hinge31440 wiesen: Nur 43 Prozent der Verbraucher kennen überhaupt ihren Dispozinssatz; lediglich 13 Prozent würden allein aufgrund eines deutlich günstigeren Dispozinssatzes ihre Bank wechseln. Durch die Opposition wird regelmäßig der Eindruck vermittelt, dass die Zinsdifferenz zwischen Geldmarktzinsen - oder dem Hauptrefinanzierungssatz der EZB - und dem Dispozinssatz die Gewinnmarge einer Bank sei. Dies ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Faktoren wie Refinanzierungskosten, Eigenkapitalkosten, Risikoprämien, Kosten des operativen Geschäfts etc. nehmen starken Einfluss auf die Höhe des jeweiligen Dispozinssatzes. Die Kundennähe der klassischen Filialbanken in Deutschland wie Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken kostet. Der Dispositionskredit räumt dem Kunden größtmögliche Flexibilität ein; er ist jederzeit abrufbar. Das heißt andererseits für die Banken: Sie müssen dauerhaft diese Liquidität vorhalten. Die Inanspruchnahme ist nicht planbar, womit die Banken letztlich ein größeres Risiko gehen als bei klassischen Krediten mit festen Laufzeiten und monatlichen Tilgungsraten. Diese Flexibilität hat ihren Preis. Der Dispositionskredit ist zudem für den kurzfristigen Gebrauch gedacht. Wer aus seinem Dispo dauerhaft schöpft, muss eben mit hohen Zinsbelastungen rechnen. Für diese Fälle sind Ratenkredite günstiger. Wer die Bonität für den Dispo hat, hat sie üblicherweise auch für den Ratenkredit. Man muss es dann eben auch machen. Die Stiftung Warentest hat im Dezember berichtet, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Banken mittlerweile nicht nur transparenter agiert, sondern ihre Dispozinsen weiter heruntergefahren hat. Das zeigt deutlich: Der Markt funktioniert. Die in der genannten Studie vorgeschlagenen weniger tief eingreifenden Maßnahmen wie Frühwarnsysteme oder verpflichtende Umschuldungsangebote oder auch der von der SPD aufgeworfene Gedanke einer Hinweispflicht auf günstigere Produkte bleiben in meinen Augen grundsätzlich überlegenswert. Angesichts der Marktentwicklung sehe ich aber derzeit keinen Handlungsbedarf.

Ingo Egloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Thema Dispozinsen hat uns schon mehrfach beschäftigt. Der hier heute vorliegende Antrag der SPDFraktion hat einen Vorschlag gemacht, wie das Missverhältnis zwischen der im Moment sehr günstigen Refinanzierung für die Banken und der Tatsache, dass sie trotzdem hohe Zinsen für Überziehungskredite nehmen, aufgelöst werden kann. Niemand verlangt von den Banken, dass sie der barmherzige Samariter sind. Niemand verlangt auch, dass sie draufzahlen, wenn Verbraucher einen Überziehungskredit in Anspruch nehmen. Aber verlangt werden kann, dass Vorteile, die der Staat durch billiges Geld angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und der Finanzkrise gewährt, nicht von den Banken als Zusatzgewinn vereinnahmt werden und gar nichts an den Verbraucher weitergegeben wird. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW, und das Institut für Finanzdienstleistungen e. V., iff, erstellten im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im letzten Jahr eine Studie. Danach betragen die durchschnittlichen jährlichen Überziehungszinsen für private Haushalte 10,27 Prozent. Die Bandbreite liegt allerdings bei 6 bis 20 Prozent pro Jahr. Angesichts der Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken ist dies inakzeptabel. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht, die Dispozinsen auf 8 Prozent oberhalb des Basiszinssatzes festzulegen. Dieser Vorschlag hat den Vorteil, dass er flexibel auf das Marktgeschehen reagieren kann. Ändert sich der Basiszinssatz, steigt oder senkt sich der Zinssatz insgesamt, je nach Marktgeschehen. Feste Obergrenzen verbieten sich aus marktwirtschaftlichen Gründen und auch deshalb, weil sie nicht praktikabel sind; denn es müsste gegebenenfalls jedesmal der Gesetzgeber tätig werden, um den Zinssatz anzupassen. Aber auch die von den Linken geforderten 5 Prozent über Basiszinssatz schießen über das Ziel hinaus, weil die von uns geforderten 8 Prozent jedenfalls dem Niveau der letzten Jahre entsprechen. Und auch die Ausfallraten der Banken im Privatkundengeschäft sind so, dass sie eine höhere Verzinsung nicht rechtfertigen, im Gegenteil. Außerdem nähern wir damit den Zinssatz für Überziehungskredite dem Zinssatz nach § 288 BGB an, der für Verzug gesetzlich zu zahlen ist. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes angemessen. Auch unsere zweite Forderung, dass die Banken dem Kunden verpflichtet sein sollen, den Kunden bei längerer Inanspruchnahme von Überziehungskrediten auf die Möglichkeit des Abschlusses eines Vertrages über ein günstigeres Produkt hinzuweisen, ist unter Verbraucherschutzgesichtspunkten angemessen. Warum die Koalition angesichts dieser Marktsituation nicht mit unserem Vorschlag einverstanden ist, verstehe ich nicht. Über Verbraucherschutz reden ist das eine. Verbraucherschutz aber aktiv zu betreiben und sich dann eventuell mit den mächtigen Banken in diesem Land anzulegen, ist etwas anderes. Dazu sind Sie anscheinend nicht bereit. Noch etwas kommt hinzu. Die Banken haben unendlich von der Stabilitätspolitik des Staates in der Finanzkrise profitiert. Der Staat - das heißt: letztendlich die Steuerzahler - haben dies finanziert. Dann kann man allerdings auch verlangen, dass die Banken nicht noch zusätzliche Vorteile aus der Bewältigung der Finanzkrise ziehen, Extraprofite einstreichen und der Verbraucher und der Steuerzahler am Ende die Dummen sind. Zu Protokoll gegebene Reden

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die vorliegenden Anträge verlangen etwas objektiv Unmögliches: Die Bundesregierung solle in der vorletzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode aufgefordert werden, ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Dabei weiß jeder, dass ein solcher Gesetzentwurf scheitern muss - und zwar unabhängig davon, welchen Inhalt er hat. Denn selbst wenn die Bundesregierung in der nächsten Sitzungswoche einen perfekten Entwurf vorlegte, lassen es die parlamentarischen Abläufe gar nicht zu, dass dieser Entwurf vom Parlament in zweiter und dritter Lesung angenommen werden kann. Der Gesetzentwurf fiele zwangsläufig der Diskontinuität anheim und wäre gescheitert. Schon deshalb sollte man diesem Antrag - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - als seriös arbeitender Abgeordneter nicht zustimmen. Jetzt dient er offenbar nur noch zu Ausstellungszwecken im Schaufenster des Wahlkampfs. Aber nicht nur aus Verfahrensgründen, sondern auch in der Sache lehnen wir die Vorschläge ab: Natürlich kann ich die Frage verstehen, warum Dispozinsen hoch sind und die Refinanzierungszinsen der Banken im Moment sehr niedrig. Als Student habe ich mich chronisch immer wieder „im Dispo“ befunden, um den einen oder anderen Monat überbrücken zu können, und habe auch horrende Zinsen gezahlt. Aber bedenken wir bitte eines: Zinsen sind der Preis für Verschuldung. Der Gesetzgeber tut nie gut daran, Preise staatlich festzuschreiben. Preise sollen sich in der sozialen Marktwirtschaft im Wettbewerb bilden, damit die richtigen volkswirtschaftlichen Preissignale zustande kommen. Sonst drohen Fehlsteuerungen, was gerade jedermann am Beispiel des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, studieren kann. Und was für die Preise von Energie falsch ist, das ist auch für den Preis von Verschuldung nicht richtig. Die Senkung der Preise ist die Aufgabe des Wettbewerbs. Nun sagen einige in der Opposition: Das mag ja grundsätzlich stimmen, hier aber liege Marktversagen vor. Es kommen keine sinnvollen Preise zustande. Aber ist das Preissignal für Konsumkredite denn so falsch? Wir leben in einer Zeit mit zu viel Verschuldung - sei es staatlich oder auch privat. Darüber sind sich alle einig. Hohe Zinsen signalisieren: Vermeide Schulden, baue Schulden ab! So absurd finde ich das gar nicht, zumal die Zinsen ja auch das Ausfallrisiko des Kredites widerspiegeln sollten. Und das ist meist höher, wenn man permanent überzieht. Ich persönlich bin offen dafür, dass man darüber nachdenken kann, ob man den Wechsel von Bank zu Bank vereinfachen kann, um den Wettbewerb unter den Anbietern von Girokonten und damit Dispositionskrediten zu intensivieren. Aber ich bin dagegen, den Wettbewerb abzuschaffen, indem man einen staatlichen Festpreis diktiert. Daher lehnen wir die vorgelegten Anträge ab.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Dispozinsen liegen derzeit bei durchschnittlich 10,51 Prozent, und das, obwohl der Leitzins der Europäischen Zentralbank, bei der sich die Banken ihr Geld leihen, seit Mai bei erneut historisch niedrigen 0,5 Prozent liegt. Zuvor war der Leitzins ebenfalls extrem niedrig mit 0,75 Prozent. Laut Bundesbank stehen die Verbraucherinnen und Verbraucher aktuell mit 41 Milliarden Euro nur mit ihren Dispositionskrediten bei den Banken in der Schuld. Ein guter Grund, um erneut die Deckelung von Dispo-Zinsen auf 5 und von Überziehungskreditzinsen auf 8 Prozent zu fordern. Die Banken verdienen gut an den überhöhten Dispozinsen und damit auch an ihren ärmsten Kunden. Denn die, die gezwungen sind, den Dispo auszuschöpfen, haben eh in der Regel schon zu wenig Geld und verstricken sich in einen Teufelskreis aus immer neuen Krediten, die zu immer neuen Schulden führen. Derzeit ist fast jeder zehnte Erwachsene in Deutschland überschuldet, Tendenz steigend. Ein wichtiger erster Schritt in die Überschuldung sind nach Angaben der Verbraucherzentrale Hamburg die völlig überhöhten Dispozinsen. Die Banken begründen die Höhe der Dispozinsen mit angeblichen Ausfallrisiken. Das Argument ist jedoch längst wissenschaftlich widerlegt. Die Risiken für die Banken sind extrem gering und liegen laut einer Studie des Institutes für Finanzdienstleistungen bei gerade einmal 0,3 Prozent, während das Ausfallrisiko bei klassischen Konsumkrediten bei 2,5 Prozent liegt. Damit gehören Dispokredite zu den sichersten Krediten für Anbieter und sind doch gleichzeitig die teuersten Kredite für die Kundinnen und Kunden. Ein überhöhter Dispozinssatz ist also ein lukratives Geschäft für die Bankinstitute und keine Serviceleistung an ihre Kunden. Dazu ein aktuelles Beispiel: In der vergangenen Woche wurde der Fall eines Erwerbslosen bekannt, der sich hilfesuchend an die Verbraucherzentrale in Hamburg gewandt hat. Nach dem Verlust seiner Arbeit geriet er finanziell ins Straucheln und war gezwungen, den Dispo-Kredit auszuschöpfen, den die Bank ihm gewährt hatte. Der Dispozinssatz seines Kontos liegt bei stolzen 18,95 Prozent. Jetzt möchte er auf einen regulären Kredit mit einem Zinssatz von 12 Prozent umsatteln, um nicht immer weiter in die Verschuldung zu rutschen. Mit dem fadenscheinigen und zynischen Argument, dass er ja über kein geregeltes Einkommen verfügt, wird es ihm von seiner Bank verwehrt. Die Bundesregierung setzt auch hier immer noch auf Selbstverpflichtungen. Doch auch hier funktionieren sie nicht. Als Anfang Mai der Leitzins erneut durch die EZB auf ein Rekordtief gesenkt wurde, gaben dies gerade einmal vier Institute an ihre Kunden weiter. Wenig überraschend verzichteten die meisten Institute nicht auf ihre Sondereinnahmen. Gesetzliche Regelungen sind dringend notwendig. Wie in so vielen Bereichen hat Schwarz-Gelb in den Zu Protokoll gegebene Reden vergangenen Jahren auch hier geschlafen und keine Maßnahmen eingeleitet, um Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke zu schützen. Mehrfach hat Die Linke das Thema hier auf die Agenda gesetzt. Ich freue mich, dass SPD und Grüne unserem Vorschlag, Zinsen zu deckeln, im Kern folgen. Auch in den Ländern sind wir dran: Die Fraktion Die Linke im Saarland wird bald ein Volksbegehren gegen hohe DispoZinsen starten. Trotz unserer Kritik, die von Forschern und Verbraucherverbänden geteilt wird, sieht die Koalition nach wie vor keinen Grund zum Handeln und bestreitet sogar, dass es hier ein Problem gibt, obwohl sogar ein Bericht des Verbraucherministeriums das anders sieht. Als wir das Thema zuletzt im Oktober vergangenen Jahres diskutiert haben, hieß es, dass die Ministerin Aigner ja mit den Banken das Gespräch gesucht habe. Es ist ja schön für die Ministerin und auch die Bankenvertreter, wenn man mal die Gelegenheit hat, zwanglos zu plaudern. Aber es war auch verschenkte Zeit, denn das Problem besteht trotz Ministerinnenunterredung nach wie vor. Wie Sie es drehen und wenden, wir kommen nicht drum herum: Gesetzliche Regelungen müssen her, und zwar schnell. Dabei orientieren wir uns am Bürgerlichen Gesetzbuch, welches bereits eine Deckelung der Zinsen bei Zahlungsverzug auf 5 Prozent über den Basiszinssatz vorsieht. Es gibt keinen Grund, warum Dispozinsen viel höher liegen müssen. Das müssen sich übrigens auch die Sozialdemokraten fragen lassen, die den Banken immer noch ein sattes Plus von 8 Prozent über dem Basiszinssatz beim Dispo gönnen wollen. Dass das Thema derzeit wieder in aller Munde ist, zeigt, dass Die Linke nach wie vor der soziale Motor ist. Gut verdienen werden die Banken trotzdem noch. Selbst bei unserer Forderung einer Deckelung von Dispo-Zinsen auf 5 und von Überziehungskreditzinsen auf 8 Prozent über dem Basiszinssatz verdienen die Banken nach wie vor gutes Geld, und trotzdem entlasten wir Hunderttausende Menschen, die eh schon wenig haben.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungsstellen sind sich einig: Überhöhte Dispositionszinsen sind für eine Vielzahl der Verbraucher und Verbraucherinnen keinesfalls ein kleines Übel, sondern ein erster Schritt in die Schuldenspirale. Seit dem Runden Tisch im September 2012 und Frau Aigners Appell an die Kreditwirtschaft, für mehr Transparenz und günstigere Zinsen zu sorgen, hat sich nicht viel geändert. Die große Mehrheit der Banken und Sparkassen ist immun gegen gut gemeinte Appelle. Jetzt ist politisches Handeln gefragt, das über Showveranstaltungen und Pressearbeit hinausgeht, um das Marktversagen im Dispobereich zu beenden. Mehr Transparenz über die Höhe der Zinsen ist ja nett, aber keine Entlastung für die Geldbeutel der Bankkunden. Die aktuelle durchschnittliche Höhe der Dispositionszinsen liegt laut Europäischer Zentralbank in Deutschland bei 10,5 Prozent, während der Leitzins in der Eurozone bei 0,5 Prozent liegt. Einzelne Banken nehmen sogar 15 Prozent Zinsen und für eine weitere Überziehung dann schon mal 18 Prozent. Die Zahlen zeigen: Die Kreditwirtschaft verweigert sich, günstigere Konditionen für Dipositionszinsen zu schaffen, gleichzeitig klagen mehr und mehr Verbraucher und Verbraucherinnen über die Weigerung der Bank, ihnen einen günstigeren Ratenkredit zu ermöglichen oder grundsätzlich keinen Dispo einzuräumen, wenn es der Kunde wünscht. Dass der Dispo- und Überziehungsbereich eines Kontos nur ein Notpuffer sein soll - wie Herr Professor Schweickert in der letzten Debatte feststellte -, bleibt ja unumstritten, nur leider ohne Konsequenzen für Bankkunden, wenn die Bank die Umwandlung in einen günstigeren Ratenkredit verweigert. Ein Teufelskreis für verschuldete Menschen und ein Versagen der Bundesregierung, aus ihrer eigenen Studie keine regulatorischen Schlüsse gezogen zu haben. Einwände der Kreditwirtschaft, ein Überziehungskredit berge ein höheres Ausfallrisiko und damit seien auch höhere Zinsen gerechtfertigt, wurden in Frau Aigners Studie widerlegt. Wir fordern eine gesetzliche Deckelung von Dispound Überziehungszinsen, die sich durch die Orientierung an einem verbindlichen Leitzins flexibel an die Marktbedingungen anpasst. In einer aktuellen Studie der Verbraucherzentrale Bundesverband haben 63 Prozent der Bürgerinnen und Bürger kein Vertrauen in den Finanzbereich, sie vermuten dort bei Produkten und Anbietern eine Täuschungsabsicht. Wucherische Überziehungszinsen schüren das Misstrauen der Kunden und Kundinnen bei Banken und Sparkassen. Wir finden, dass die Zeit der Appelle an die Kreditinstitute definitiv vorbei ist. Jetzt muss gesetzliches Handeln folgen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt 31 a. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13778, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10988 ({0}) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. ({1}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns bei Abstimmungen und sind froh, dass wir dies auch um diese Uhrzeit diszipliniert gemeinsam durchführen. Froh sind wir auch, dass dies alles abgewickelt werden kann. Vizepräsident Eduard Oswald ({2}) Tagesordnungspunkt 31 b. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13950, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10855 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Stübgen, Michael Grosse-Brömer, Stefan Müller ({3}), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim Spatz, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP Politische Mechanismen zum Schutz europäi- scher Grundwerte etablieren - Rechtsstaats- initiative konsequent vorantreiben - Drucksache 17/13888 - Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/13888. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Antrag ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten - Drucksache 17/11593 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 17/13939 Berichterstattung:Abgeordnete Helmut BrandtMichael Hartmann ({5})Dr. Stefan RuppertFrank TempelDr. Konstantin von Notz Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erlauben Sie mir zunächst eine Vorbemerkung: Wenn man über eine Neuregelung hinsichtlich des Am- tes des Bundespräsidenten sprechen und einen neuen Gesetzentwurf einbringen möchte, war es stets guter Brauch in diesem Hause, bereits vor der Einreichung eines solchen Entwurfs zunächst mit den übrigen 1) Anlage 12 Fraktionen ein Gespräch zu führen. Aufgrund der besonderen Stellung des Bundespräsidenten in diesem Staat ist dies auch richtig und notwendig, da man von Beginn an bestrebt sein sollte, eine einvernehmliche, von allen Fraktionen getragene Lösung herbeizuführen. Schade, dass die SPD von dieser langjährigen Übung abgewichen ist. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Entgegen allen Beteuerungen auch des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, man wolle hieraus kein Wahlkampfthema schaffen und die Initiative habe mit dem bedauerlichen Rücktritt des Bundespräsidenten a. D. Christian Wulff nichts zu tun, zeigt sich sowohl durch den Inhalt des Gesetzentwurfs als auch durch das Verhalten der SPD-Fraktion, dass das Gegenteil richtig ist. Gerne möchte ich nun auf einzelne Punkte des Gesetzentwurfs eingehen. Die SPD möchte einem gewählten Bundespräsidenten überhaupt nur dann einen Anspruch auf ein Ruhegehalt zusprechen, wenn dieser mindestens zweieinhalb Jahre sein Amt ausgeübt hat. Scheidet er vor Ablauf einer zweieinhalbjährigen Amtszeit aus, soll er gar kein Ruhegehalt erhalten. Die Höhe des Ruhegehalts soll sich in drei Stufen vollziehen. Nach Ablauf einer zweieinhalbjährigen Amtszeit soll das Ruhegehalt 50 Prozent der jetzigen Amtsbezüge ohne Aufwandsgelder betragen. Nach einer vollen Amtszeit von fünf Jahren soll sich das Ruhegehalt auf 75 Prozent und nach einer Amtszeit von zehn Jahren auf 100 Prozent der Amtsbezüge ohne Aufwandsgelder erhöhen. Der vorliegende Gesetzentwurf verkennt die Besonderheit des Amtes des Bundespräsidenten und seine herausgehobene Stellung in unserem Land. Beides verbietet es, eine Ruhegehaltsregelung mit Sanktionscharakter zu schaffen. Auch berücksichtigt der Gesetzentwurf nicht hinreichend, dass mit diesem Amt auch nach Ausscheiden Nachwirkungen verbunden sind, die in aller Regel eine Rückkehr in den alten Beruf oder die Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit ausschließen. Und nicht zuletzt möchten wir auch keine Anreize schaffen, nur zur Erlangung der vollen Ruhebezüge eine zweite Amtszeit anzustreben. Bei allen Gesprächen zwischen den Berichterstattern der Fraktionen sowie dem Austausch mit dem Bundespräsidialamt wurde deutlich, dass eine Regelungslücke nicht besteht und der vorliegende Gesetzentwurf in dieser Form von allen übrigen Fraktionen abgelehnt wird. Dabei möchte ich zum Schluss betonen, dass nach mehr als 60 Jahren, die seit der Schaffung dieses Amtes vergangen sind, und den Erfahrungen, die wir in diesen Jahren gewonnen haben, es angebracht sein mag, über eine Neuregelung zu diskutieren. So erscheint heute der Begriff „Ehrensold“ für die Ruhebezüge der ausgeschiedenen Bundespräsidenten antiquiert, obgleich der Begriff von seinem Sinngehalt her durchaus noch seine Berechtigung hat. Gerne hätten wir auch ernsthaft darüber diskutiert, ob eine gene31444 relle Absenkung der derzeit geltenden Bezüge sinnvoll wäre. Auch über eine Anrechnung über die aus öffentlichen Kassen fließenden Bezüge hinaus auf Einkünfte bei erneuter beruflicher Tätigkeit ließe sich nachdenken. Schlussendlich ließe sich auch über eine Erhöhung des derzeit vorgesehenen Eintrittsalters für das Amt des Bundespräsidenten oder einer Bundespräsidentin reden sowie eine Verlängerung der Amtszeit ohne Möglichkeit der Wiederwahl. Über all dies ließe sich in der nächsten Legislaturperiode trefflich diskutieren, um dann gegebenenfalls gemeinsam und bereits vor Einführung eines entsprechenden Gesetzentwurfs zu einer übereinstimmenden Regelung zu kommen. Sie haben mit Ihrem Gesetzentwurf dem Ansehen des Amtes des Bundespräsidenten und des Parlamentes geschadet. Den von Ihnen vorgelegten Entwurf lehnen wir jedenfalls aufgrund der von mir aufgezeigten Unzulänglichkeiten ab.

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trotz aller Steine, die uns boshaft in den Weg gelegt wurden, beraten und beschließen wir heute über den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Neuregelung der Ruhebezüge des Bundespräsidenten. Seit Ende November des vergangenen Jahres liegen unsere Vorschläge dem Hohen Haus vor. Es wäre deshalb absurd, uns Wahlkampfgeplänkel bei diesem Thema vorzuwerfen. Weder Form noch Inhalt unserer Aktivitäten berechtigten zu dieser Polemik. Tatsächlich geht es uns einzig und allein darum, den Missstand einer Überversorgung zu beseitigen. Zu diesem Urteil gelangten nach dem Rücktritt des unglückseligen Herrn Wulff hohe und höchste Vertreter aller Fraktionen. Gehandelt hat jedoch alleine die SPD. Alle anderen setzen entweder darauf, dass doch bitte Gras über die Sache wachsen möge, man in jedem Fall aber mit diesem peinlichen Thema nicht mehr befasst sein möchte. Wir sind fest davon überzeugt, dass das derzeitige „Rundum-sorglos-Paket“ für das Amt des Bundespräsidenten, das ein Wahlamt wie jedes andere ist - wenn auch mit unbestreitbar besonderer Bedeutung -, abgelöst werden muss, und zwar abgelöst werden muss durch ein System, das nicht mehr wie eine Apanage für einen Fürsten wirkt und nicht wie die Altersversorgung für ein ehemaliges Staatsoberhaupt einer Republik. Derzeit ist es ja so, dass unabhängig von Amtsdauer und Lebensalter des Amtsinhabers ab dem Moment seines Ausscheidens die vollen aktiven Bezüge zu 100 Prozent weitergezahlt werden, und zwar bis zum Lebensende. Diese Summe beläuft sich auf runde 200 000 Euro im Jahr. Das war in der Geschichte der zweiten Demokratie auf deutschem Boden keineswegs immer schon so. Zunächst schied ein Bundespräsident mit - immer noch üppigen - 50 Prozent aus. Erst 1959 wurde - angespornt vom Liebäugeln Konrad Adenauers mit dem höchsten Staatsamt - das aktuelle Versorgungsniveau geschaffen. Als unsere Vorgängerinnen und Vorgänger das Gesetz schufen und dann veränderten, hätte sich niemand zu irgendeiner Zeit den Rücktritt eines Präsidenten vorstellen können. Vielmehr wurden mit größter Sorgfalt würdige ältere Herren ausgewählt. Das geschah nie im politikfreien Raum und nie ohne politische Absicht. Es geschah aber immer im Bewusstsein, dass die Würde des Amtes durch die richtigen Persönlichkeiten, ihre Herzensbildung und charakterliche Eignung hergestellt wird. Das beweist unser amtierender Bundespräsident Joachim Gauck in unvergleichlich hervorragender Weise. Nun haben wir zu unser aller Nachteil den allerdings unvermeidlichen Rücktritt von Herrn Wulff erlebt. Mit Anfang 50 und bis zum Ende seiner Tage stehen ihm nun jene derzeit 200 000 Euro im Jahr zu. Das wurde damals nicht nur in den Medien und einer breiten Öffentlichkeit, sondern auch von vielen von uns als inakzeptabel angesehen. Mehr als nur bemerkenswert ist übrigens, dass der Petitionsausschuss in seinem diese Woche vorgelegten Bericht erneut darauf hingewiesen hat, dass eine Reform überfällig ist. Ein Votum, das durch eine beeindruckende Zahl von Bürgerzuschriften an ihn geradezu eingeklagt wird. Nachdem aber nichts geschah, kein Zeichen aus den anderen Fraktionen kam und unsere Signale ignoriert wurden, haben wir als SPD einen eigenen Gesetzentwurf entwickelt und eingebracht. Stets und immer wieder erklärten wir dabei, dass darin nichts in Stein gemeißelt ist. Offenheit und Verhandlungsbereitschaft bestimmten unser Vorgehen. War uns doch an einer möglichst einvernehmlichen Regelung gelegen. In drei Berichterstatterrunden und einem weiteren Termin mit dem Staatssekretär des Bundespräsidenten haben wir diese Offenheit immer wieder unter Beweis gestellt. Alle anderen Fraktionen verweigerten sich jedoch. Die seitens der Koalition, aber auch von Linken und Grünen vorgetragenen Argumente erspare ich Ihnen aus christlicher Nächstenliebe zur Schonung Ihres Gemüts. Dass allerdings unser Vorschlag mit nahezu verleumderischer Argumentation heute in den Orkus verbannt werden soll, ist ein Skandal; denn die Kritik an unseren Vorschlägen hätte alle verpflichtet, mit eigenen Vorschlägen aufzuwarten. Die gibt es nicht. Regierungsfraktionen, Linke und Grüne hätten es angesichts der weit auseinander gehenden Meinungen dort auch schwer gehabt, einen Vorschlag zu Papier zu bringen. Da ist es halt einfacher, unser Gesetz zurückzuweisen. Verantwortungsvoll ist dies aber nicht. Da wir - wie Sie - vollkommen überzeugt sind von der einzigartigen Bedeutung des höchsten Staatsamtes, unterbreiten wir den Vorschlag, bereits nach einer halben Amtszeit 50 Prozent der Bezüge, nach einer ganzen 75 Prozent und nach zwei Wahlperioden schließlich 100 Prozent als Versorgung zu gewähren. Damit wäre der Bundespräsident in jeder Hinsicht Zu Protokoll gegebene Reden Michael Hartmann ({0}) weit über dem stehend, was wir beispielsweise dem Bundeskanzler unseres Staates gewähren. Natürlich nimmt auch ein ausgeschiedener Bundespräsident immer noch viele Verpflichtungen aller Art für unser Land wahr. Deshalb soll er in Sachen Versorgung nicht wie irgendwer sonst behandelt werden. Unser Gesetzentwurf weist den Weg. Mit Neid oder Boshaftigkeit, Missgunst oder Rache an einem mit Schimpf und Schande ausgeschiedenen Präsidenten hat dies nichts zu tun. Wohl aber mit dem Willen, aus einem an feudalem Denken orientierten Ehrensold eine immer noch hochnoble Ruhestandsregelung zu machen. Ihre Verweigerung ist eine Schande! Unseren Willen, auch bei diesem Thema nicht locker zu lassen, sollten die übrigen Fraktionen nicht unterschätzen. Wir werden nach den Bundestagswahlen einen erneuten Anlauf starten. Die Mehrheitsverhältnisse in der 18. Wahlperiode und das Vertrauen in Ihre Läuterungsfähigkeit werden der SPD den verdienten Erfolg bringen bei ihrem Ziel, aus dem Bundespräsidenten auch in puncto Versorgung ein Staatsoberhaupt einer parlamentarischen Demokratie zu machen.

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Den heute zur endgültigen Abstimmung vorliegenden Antrag der SPD lehnen wir aus zwei grundsätzlichen Erwägungen ab. Erstens. Das von der SPD eingeschlagene Verfahren, das zu diesem Antrag führte, ist kritikwürdig. Zweitens ist der Antrag auch inhaltlich nicht ausgewogen gestaltet, trotz eines durchaus berechtigten Anliegens. Zunächst ein paar Anmerkungen zum Verfahren. Die SPD hat ihren Antrag nur kurze Zeit nach dem Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff erarbeitet und vorgelegt. Zwar haben die Sozialdemokraten immer betont, es gehe ihnen nicht um eine „Lex Christian Wulff“. Aber der Zeitpunkt der Geburt des Gesetzes lässt diesen Eindruck leider nicht verblassen. Zudem hat die SPD leider durch das vorschnelle Vorlegen eines Gesetzentwurfs die weiteren interfraktionellen Gespräche gelähmt. Schon in der Vergangenheit hat sich gezeigt: Wenn es ein Anliegen gibt, bei dem sich alle Fraktionen im Bundestag einig sind, dass es Reformbedarf gibt, dann sollte man zuerst das gemeinsame Gespräch suchen und sich danach auf einen Textentwurf einigen. Die SPD hat durch ihr einseitiges Handeln die anderen Fraktionen eher brüskiert und der Sache an sich geschadet. Ich konnte mich in dieser Legislaturperiode schon mehrfach davon überzeugen, dass der andere Weg - zuerst gemeinsame Gespräche und dann einen Gesetzentwurf - deutlich besser funktioniert. Sowohl beim subjektiven Wahlrechtsschutz als auch bei der großen Wahlrechtsreform haben wir in sehr sachlicher und konstruktiver Atmosphäre unter allen Fraktionen gemeinsame Reformpunkte ausgelotet und dann zusammen einen Gesetzentwurf entwickelt. Mit diesem Weg hätten wir sicher auch bei den Ruhebezügen etwas Gemeinsames erreicht. Doch dazu kam es wegen der SPD nicht. Inhaltlich hat der Entwurf ebenso Schwächen offenbart, auf die die SPD keine überzeugenden Antworten geliefert hat. Erstens hat der Verfassungsrechtler in mir durchaus Bauchschmerzen, ob die SPD einen Fall von Rückwirkung normiert; eine rückwirkende Änderung für ehemalige Bundespräsidenten und deren Hinterbliebene wäre nämlich schlicht verfassungswidrig. Zweitens hat die SPD keine Regelungen für den Fall getroffen, dass ein Bundespräsident krankheitsbedingt aus dem Amt ausscheiden muss; das hätte man in der Entstehung zumindest einmal bedenken können. Drittens finde ich es kritisch, dass über die Abstufung der Höhe der Ruhebezüge - erst nach zwei vollen Amtsperioden soll die volle Höhe der Ruhebezüge gewährt werden - ein finanzieller Anreiz für eine zweite Amtszeit geschaffen wird. Ein Bundespräsident sollte aus tiefster innerer Überzeugung für eine weitere Amtszeit kandidieren und nicht wegen seiner Ruhebezüge. In den Beratungen im Innenausschuss waren sich alle Fraktionen einig, dass wir in der kommenden Legislaturperiode das Thema erneut aufgreifen wollen. Das begrüße ich ausdrücklich. Dann sollen aber sachorientierte Gespräche am Anfang einer Reform stehen und nicht ein einseitiger Vorstoß einer einzelnen Fraktion. So erreichen wir gemeinsam in der Sache mehr.

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Gesetz über Ruhebezüge des Bundespräsidenten in der Fassung von 2009 ist geregelt, dass der Bundespräsident beim Ausscheiden aus seinem Amt einen Ehrensold in Höhe seiner Amtsbezüge erhält. Mit dem Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff vom Amt aus persönlichen Gründen gerieten in den Medien und im politischen Raum die Ruhebezüge in den Blick. Christian Wulff selbst brachte die unangemessene Höhe der Ruhebezüge in die Diskussion. Nicht nur vonseiten der Linken wurde auch über die Frage nachgedacht, inwieweit das Amt des Bundespräsidenten überhaupt noch zeitgemäß ist. Doch das geht über das hier vorliegende Thema hinaus und sollte sehr gründlich in einem breiteren Rahmen diskutiert werden. Seit November vorigen Jahres liegt der Gesetzentwurf der SPD auf dem Tisch. Es gab dazu mehrere Berichterstattergespräche sowie ein Treffen der Berichterstatter mit der Präsidialverwaltung. Alle Fraktionen bekannten sich dazu, dass Regelungsbedarf besteht und ein gemeinsamer Antrag die beste Lösung ist, um das Amt nicht zu schädigen. Ich möchte ganz ausdrücklich betonen, dass ein solcher gemeinsamer Antrag auch möglich gewesen wäre, wenn die SPD nicht im Zeichen des kommenden Wahlkampfes die Vorreiterrolle für sich besetzt hätte und mit einem eigenen - auch noch schlechten - Antrag einen Pflock in den Verhandlungstisch eingeZu Protokoll gegebene Reden schlagen hätte. Ein gemeinsamer Antrag heißt: erst miteinander reden, Gemeinsamkeiten finden und dann einen gemeinsamen Antrag formulieren. Die SPD war somit nicht Vorreiter, sondern Verhinderer einer gemeinsamen Lösung. So ist das nun mal, wenn Wahlkampf wirklich wichtiger ist als alles andere. Vorschläge hat es in den mündlichen Beratungen umfangreich gegeben. Ich denke, in der Summe der Ideen aller Fraktionsvertreter war auch der Ansatz einer guten Lösung vorhanden. Nun wird also doch über den ursprünglichen Antrag der SPD diskutiert und abgestimmt. Er sieht eine Mindestamtszeit von zwei Jahren und sechs Monaten vor, um 50 Prozent der Ruhebezüge zu erhalten. Nach einer vollen Amtszeit von fünf Jahren sind es 75 Prozent. Erst nach zwei Amtszeiten würden 100 Prozent der Amtsbezüge erreicht. Die Linke begrüßt die Idee der zeitlichen Staffelung, sieht aber in einer nicht vorhandenen Grundversorgung in der ersten Hälfte der Amtszeit einen Mangel. Bei einem Ausscheiden zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen gäbe es keinerlei Ruhebezüge. Wer will vermitteln, dass ein Bundespräsident, der nach einem Jahr Amtszeit schwer erkrankt, keinen Anspruch auf Ruhebezüge hat? Der grundsätzliche Fehler im Antrag ist aber der Vorschlag zur Erreichung der vollen Ruhebezüge nach zwei Amtszeiten. Das allein macht den SPD-Ansatz bereits völlig unannehmbar. Es kann folgende Situation entstehen: Am Ende einer ersten Amtszeit unterzeichnet der Bundespräsident ein umstrittenes Gesetz. Ob berechtigt oder nicht, hier entsteht automatisch der Vorwurf, bereits die eigene Wiederwahl im Blick zu haben. Das Amt des Bundespräsidenten allein durch die Möglichkeit eines solchen Vorwurfs zu belasten, ist unverantwortlich. Im Übrigen war genau dies auch Inhalt der Beratungen der Berichterstatter. Der Fakt, dass der SPD-Antrag mit diesem deutlichen Makel aufrechterhalten wurde, zeigt, dass es der SPD nie um eine Lösung, sondern nur um die parlamentarische Show ging. Die Linke ist nach wie vor an einer gemeinsamen Lösung interessiert, dann halt in der nächsten Legislatur. Die Höhe der zu erreichenden Ruhebezüge ist zweitrangig. Ob die bis 1959 geltende Regelung wieder eingeführt wird, sodass die Höhe der Ruhebezüge wieder bei 50 Prozent oder weiter bei 100 Prozent liegt, ist sekundär. Wichtig ist uns eine Regelung, die eine Grundversorgung von Beginn der Wahlperiode an und eine zeitliche Stufung enthält. Dabei muss die Unabhängigkeit des Amtes gewahrt bleiben. Einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen in diese Richtung wird sich die Linke nicht verschließen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Bundespräsident steht als Staatsoberhaupt protokollarisch an der Spitze des Staates. Er ist das Verfassungsorgan, das die Bundesrepublik Deutschland nach innen und nach außen repräsentiert. Dies geschieht, indem der Bundespräsident durch sein Handeln und öffentliches Auftreten den Staat selbst - seine Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit - sichtbar macht. Darin kommen zugleich die Integrationsaufgabe und die rechts- und verfassungswahrende Kontrollfunktion seines Amtes zum Ausdruck. Sie wird ergänzt durch eine politische Reservefunktion für Krisensituationen des parlamentarischen Regierungssystems. Besonders seine Mitwirkung bei der Ausfertigung der Gesetze, seit Jahrzehnten wegen der streitigen Reichweite ein Dauerbrenner in der juristischen Ausbildung, macht eines deutlich: Bei aller Kritik am Amt des Bundespräsidenten handelt es sich eben nicht nur um eine Art „Ersatzkönig“, wie es salopp gerne behauptet wird. Dem Bundespräsident kommen vielmehr durchaus bedeutende Mitwirkungshandlungen im Regierungssystem zu. Er hat als Staatsoberhaupt maximale Sichtbarkeit und symbolische Vertretungsmacht für das gesamte deutsche Volk, er ist der höchste Repräsentant. Zudem ist er Leiter des Bundespräsidialamtes, einer obersten Bundesbehörde, und verfügt damit über einen eigenen bürokratischen Stab, um seinen Amtsgeschäften nachkommen und die ihm durch das Gesetz zugesprochenen Aufgaben erfüllen zu können. All das - Sie ahnen schon, worauf ich damit hinauswill - klingt so gar nicht danach, als sollte man in großer Eile, auf die noch nachklingende öffentliche Kritik an einem bislang einmaligen Vorgang - der Niederlegung des Amtes bereits während der ersten Amtszeit -, die Parameter dieses Amtes in Gestalt der Ruhebezüge auf die Schnelle grundlegend ändern. Das verlangt die Würde des Amtes, die kein nebulöser Begriff sein soll, sondern unter der wir die Aufgaben und die verfassungsrechtlich bestimmte Rolle des Bundespräsidenten bezeichnen. Die Causa Wulff - weniger staatstragend könnte man auch formulieren: sein unrühmlicher Abgang nach kurzer Zeit; immerhin standen und stehen Vorwürfe möglicher Strafbarkeit im Raum - hatte die Frage aufgeworfen, ob Bundespräsident a. D. Wulff die ihm nach dem Gesetz zustehenden Ruhebezüge, den sogenannten Ehrensold, überhaupt beanspruchen könne. Denn dieser setzt einen Rücktritt ausschließlich aus gesundheitlichen oder politischen Gründen voraus. Folglich wurde argumentiert, Wulff sei aus persönlichen Gründen aus dem Amt geschieden und damit nicht anspruchsbefugt. Doch lassen sich politische und persönliche Gründe beim Amt des Bundespräsidenten schwer voneinander trennen. Es blieb deshalb dabei, dass Wulff nach der geltenden Rechtslage der Ehrensold nicht abzuerkennen war.