Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bitte nehmen Sie Platz.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur
Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank
- Drucksachen 17/13829, 17/13901 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({0})-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union-
Haushaltsausschuss
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wir
kommen daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 17/13829 und 17/13901 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Tack, Elvira Drobinski-Weiß, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbraucherinnen und Verbraucher stärken Marktwächter einführen
- Drucksache 17/13709 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})-
Innenausschuss-
Rechtsausschuss-
Finanzausschuss-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Gesundheit-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit-
Ausschuss für Kultur und Medien-
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Tack, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Verbraucherschutz stärken - Finanzmarktwächter einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Finanzmärkte verbrauchergerecht regulieren - Finanzwächter und Finanz-TÜV einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzmarktwächter im Verbraucherinteresse einrichten
- Drucksachen 17/8894, 17/8764, 17/6503,
17/9759 Berichterstattung:Abgeordnete Mechthild HeilKerstin TackDr. Erik SchweickertCaren LayNicole Maisch
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch
hier gibt es keinen Widerspruch. Dann haben wir das so
beschlossen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Jetzt eröffne ich die Aussprache. Ich habe gerade die
Liste der Redner bekommen. Die erste Rednerin - ({3})
- Dann können wir doch tauschen.
({4})
Dann machen wir das problemlos, es sei denn, sie
kommt in diesen Sekunden noch herein. - Nein.
Dann ist der erste Redner für die Fraktion der CDU/
CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus. Bitte schön, Kollege Ralph Brinkhaus.
({5})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Um die Verwirrung
ein bisschen aufzulösen: Diese Debatte, die sehr wichtig
ist, wollten wir eigentlich am Donnerstagabend letzter
Woche durchführen. Wie der eine oder andere von den
Zuschauern in der Zeitung gelesen hat, ist der Bundestag
am Donnerstagabend bei einer Abstimmung nicht mehr
beschlussfähig gewesen. Ich finde es richtig, dass diese
Debatte nun heute stattfindet. Wundern Sie sich aber
gleich bitte nicht, wenn einige Kollegen und Kolleginnen aus dem Finanzausschuss wie eine Polonaise aus
dem Saal ziehen. Diese Debatte kollidiert nämlich mit
wichtigen Ausschusssitzungen, die schon lange angesetzt waren, bevor diese Verschiebung stattgefunden hat.
Grundsätzlich freue ich mich, dass ich als Finanzpolitiker über Verbraucherschutz reden kann. Ich freue mich
deswegen, weil es ein sehr wichtiges Thema ist. Ich
freue mich auch deswegen, weil wir sehr viel im Bereich
des finanziellen Verbraucherschutzes gemacht haben.
Das wird der Schwerpunkt meiner Ausführungen sein.
Ich werde gleich darauf zurückkommen. Aber zunächst
einmal drei Vorbemerkungen:
Die erste Vorbemerkung bezieht sich auf den Begriff
Finanzmarktwächter bzw. Marktwächter. Er ist sehr irritierend. Ich finde, Sie sollten sich dafür einen anderen
Begriff überlegen.
({0})
Der Begriff Wächter hört sich nach Überwachungsstaat
in einem schlechten Science-Fiction-Film an. Ich glaube,
mit diesem Begriff werden Sie dem Anliegen, welches
durchaus ehrenwert ist, nicht gerecht.
Zweite Vorbemerkung. Formulierungen in den einzelnen Anträgen, insbesondere im jüngsten Antrag der SPD
zu diesem Thema, sind ganz großes Drama. Im Antrag
steht zum Beispiel der Satz: „Die soziale Marktwirtschaft ist aus dem Lot geraten.“
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier kann man etwas
mehr in die Tiefe gehen.
Das leitet zu meiner dritten Vorbemerkung über: Die
Marktwirtschaft ist nicht aus dem Lot geraten. Es ist
auch nicht so, dass der Verbraucherschutz in Deutschland nicht existiert, dass wir in diesem Punkt eine Wüstenei sind, im Gegenteil: Es ist in der letzten Zeit sehr
viel gemacht worden. Ich glaube, Sie haben es auch
nicht nötig, Ihre Anträge so zu verbrämen.
Im Hauptantrag der SPD „Marktwächter einführen“
- wir besprechen heute ja mehrere Anträge - stehen
durchaus einige sehr interessante, richtige und gute
Dinge. So heißt es dort: „Die Märkte sind immer vielfältiger und … komplexer geworden.“ Das ist uneingeschränkt wahr. Das ist im Übrigen auch uneingeschränkt
gut. Es hat nämlich etwas mit Entscheidungsfreiheit zu
tun, wenn auf den Märkten Vielfalt herrscht. Es ist aber
auch uneingeschränkt richtig, dass Vielfalt auf den
Märkten dazu führt, dass sie komplexer werden. Es ist
auch richtig, wenn man sagt, dass daraus ein Handlungsbedarf resultiert. Ja, es ist ein Handlungsbedarf daraus
entstanden, dass die Märkte komplexer geworden sind.
Ja, es ist richtig, dass die Anbieter und Verbraucher nicht
mehr auf Augenhöhe miteinander argumentieren. Deswegen muss etwas getan werden.
Sie kommen in Ihrem Antrag zu dem Schluss, dass
wir eigentlich andere Aufsichtsstrukturen brauchen.
Auch das ist richtig. Das ist aber ein Schritt zu früh. Bevor andere Aufsichtsstrukturen implementiert werden,
brauchen wir erst einmal bessere Regeln. Diese Bundesregierung hat ziemlich viel dafür getan, dass wir bessere
Regeln im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes
und auch in den anderen Bereichen des Verbraucherschutzes - darauf wird meine Kollegin Heil gleich eingehen - bekommen haben. Ich möchte Ihnen das einmal
aufzählen:
Wir haben ganz früh in dieser Legislaturperiode das
Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz verabschiedet, im Rahmen dessen wir die Wertpapierberatung der Banken reguliert haben.
Wir haben uns mit offenen Immobilienfonds und der
Herstellung von möglichst viel Transparenz beschäftigt.
Wir haben die - das hört sich sehr kompliziert an OGAW-IV-Richtlinie umgesetzt, also europäisches Recht
im Bereich der Fonds umgesetzt. Das hat dazu geführt,
dass es Key Information Documents gibt und wir dadurch bessere Verbraucherinformation haben.
Wir haben uns mit Verjährungsfristen beschäftigt.
Wir haben darüber hinaus das Finanzanlagenvermittlergesetz verabschiedet. Wir haben damit einen Bereich,
der bisher kaum reguliert war, reguliert. Wir haben diesen Bereich als Erste angepackt und damit einen Bereich
aus dem grauen Kapitalmarkt herausgeholt.
Wir haben das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik für den Bereich der Wertpapierberatung ein
Honorarberatungsgesetz verabschiedet. Das ist neu. Daran werden wir weiter arbeiten. Das Gesetz muss noch
weiter aufgebaut werden. Aber auch das haben wir in
dieser Legislaturperiode noch hinbekommen.
Wir haben das große AIFM-Umsetzungsgesetz verabschiedet. Wir haben damit einen riesigen Bereich aus
dem grauen Kapitalmarkt herausgebrochen. Dadurch
wurden geschlossene Fonds, die in der Tat Problemprodukte waren, wie offene Fonds reguliert und vieles andere mehr auf den Weg gebracht.
Wir haben uns darüber hinaus mit vielen kleinen Themen beschäftigt: mit Kontonummern, mit Geldautomaten, mit E-Geld. Wir haben - das ist sehr interessant die Provision im Bereich der privaten Krankenversicherungen und der Lebensversicherungen gedeckelt.
Wir haben also sehr viel gemacht. Wir sind nicht nur
bei den Regeln stehen geblieben, sondern haben auch
das gemacht, was Sie fordern: Wir haben Aufsichtsstrukturen im Hinblick auf den Verbraucherschutz neu organisiert. Wir haben die deutschen Aufsichtsstrukturen reformiert. Wir haben den Begriff „Verbraucherschutz“
- auch das ist neu - in die Politik der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, eingeführt. Der
Verbraucherbeirat, der von uns eingerichtet worden ist,
wird in diesen Wochen das erste Mal tagen. Wir haben
darüber hinaus versucht, Beschwerdeverfahren weiter zu
normieren.
Es ist also ganz viel gemacht worden. Es ist jetzt natürlich das Privileg der Opposition, zu sagen: Es ist nicht
genug; es hätte noch höher, schneller und weiter gemacht werden können. Aber dafür sind Sie Opposition
und wir Regierung; wir müssen ja etwas haben, über das
wir uns kabbeln können. Ich denke, es ist ganz vernünftig gelaufen und wird auch weiterhin so laufen.
Jetzt kommen Sie, nachdem Sie die Aufsichtsstrukturen abgearbeitet haben, zu einer sehr interessanten Erkenntnis: Der Staat kann nicht alles regeln. Da müsste
jetzt eigentlich Beifall von der liberalen Seite kommen.
({2})
Das ist auch richtig: Der Staat kann in diesem Bereich
nicht alles regeln. Sie kommen nun zu der Erkenntnis
und sagen, na ja, es gibt ja neben dem Staat noch etwas
anderes: die NGOs und die Verbraucherzentralen. Diese
machen doch einen guten Job in Deutschland. - Das ist
richtig. Wir haben über 200 Beratungsstellen in
Deutschland, die tagtäglich viele Beratungen durchführen und darauf achten, dass die Verbraucherrechte, im
Übrigen auch die individuellen Verbraucherrechte, beachtet werden.
Sie von der Opposition haben nun eine Idee und sagen: Machen wir diese Verbraucherzentrale doch zu
Marktwächtern; ich benutze dieses Wort jetzt einmal,
obwohl ich es eigentlich nicht mag. Das hat einen gewissen Charme und hört sich gut an. Jetzt muss ich aber
zweimal Wasser in Ihren Wein gießen:
Erstens. Wenn die Verbraucherzentralen die Interessenvertreter der Verbraucher sind, dann sind sie parteiisch. Das heißt, sie müssten Partei ergreifen.
({3})
Sie müssten für den Verbraucher teilweise übertrieben
Partei ergreifen. Sie könnten also den Markt, der aus
Verbrauchern und Anbietern besteht, doch eigentlich
nicht objektiv beaufsichtigen. Das ist der erste Widerspruch.
({4})
Zum zweiten Widerspruch in Ihrem Anliegen: Der
Verbraucherzentrale Bundesverband und die einzelnen
Verbraucherzentralen, werden - je nachdem, in welchem
Bundesland sie sich befinden - bis zu 85 Prozent durch
staatliche Gelder refinanziert. Wenn sie dann - so steht
es zwar nicht in Ihrem Hauptantrag, aber in einigen
anderen Anträgen - quasi hoheitliche Aufgaben übernehmen, also das Recht haben, die BaFin zu etwas aufzufordern, dann stellt das eine Verlagerung in den außerdemokratischen Bereich dar; das muss man auch wissen.
({5})
Wer kontrolliert denn eigentlich dann das Verhalten der
Verbraucherzentralen? Wenn Sie dieser Zivilgesellschaft
Regierungsrechte übertragen, dann haben Sie damit ein
Problem. Das muss man anerkennen.
Dementsprechend weiß ich nicht, meine Damen und
Herren, ob es eine gute Idee ist, die Verbraucherzentralen zu Marktwächtern zu machen. Aber ich würde Ihnen
ein Angebot machen, denn wir haben eine Lücke: Wir
können die Informationen, die die Verbraucherzentralen
täglich in vielen Gesprächen in den 200 Beratungsstellen
generieren, viel besser nutzen, indem wir die BaFin auf
der einen Seite und die Verbraucherzentralen auf der anderen Seite zusammenbringen und einfach für einen vernünftigen Informationsfluss sorgen. Ich würde mir wünschen, dass der Verbraucherbeirat bei der BaFin diese
Aufgabe angeht.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Ich
glaube - da sind wir uns wohl alle einig -, dass die Verbraucherpolitik insbesondere im Bereich des finanziellen
Verbraucherschutzes noch nicht vollkommen ist; da sind
wir noch nicht fertig. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode eine Menge Projekte anpacken müssen. Wir
haben es bewusst so aufgeteilt; denn die beste Verbraucherschutzpolitik besteht darin, dass die Finanzmärkte
stabil sind. Wir haben in dieser Legislaturperiode angefangen, dafür zu sorgen, und haben fast alles, was auf
nationaler Ebene zu regeln war, geregelt, haben über
25 Gesetze auf den Weg gebracht. Ich denke, die nächste
Legislaturperiode ist für uns Finanzer zumindest im Hinblick auf das, was wir auf nationaler Ebene machen müssen, die Legislaturperiode, in der der Verbraucherschutz
noch viel stärker in den Fokus gerückt werden muss. Wir
müssen zusehen, dass die unglaublich vielen Informationen, die wir generiert haben, für den Verbraucher lesbarer werden. Wir müssen an der einen oder anderen Stelle
nachschärfen, wir müssen das Ganze unbürokratischer
machen. Das haben wir uns als Regierungskoalition fest
vorgenommen, und wir denken, wir bekommen auch den
Auftrag dafür.
Danke.
({6})
Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. - Nächste
Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Kerstin Tack.
Bitte schön, Frau Kollegin Tack.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 3. Juni,
also vor anderthalb Wochen, hatten wir den Deutschen
Verbrauchertag. Das ist traditionell der Tag, an dem sich
Vertreter aller Fraktionen vor die Kameras stellen und
die Wertschätzung für den Verbraucherschutz und die
hervorragende Arbeit der Verbraucherorganisationen
zum Ausdruck bringen, aber auch die Mängel ansprechen, die wir feststellen müssen, wenn es um Information, um Transparenz und um die Stärkung der Rechte
der Verbraucherinnen und Verbraucher geht.
Am 3. Juni hat auch die Bundeskanzlerin in ihrem
Beitrag bei der Veranstaltung des Verbraucherzentrale
Bundesverbands zum Deutschen Verbrauchertag sehr
deutlich gesagt, dass der Verbraucherschutz und die
Stärkung der Verbraucherrechte Anliegen dieser Bundesregierung seien. Jetzt geht es darum, zu schauen: Was
hat diese Behauptung mit den Taten zu tun, die wir vorfinden? Dazu sagen wir: Bei der Stärkung der Rechte der
Verbraucherinnen und Verbraucher geht es um mehr als
die Frage, ob man bei der BaFin oder anderen Aufsichtsbehörden Verbraucherbeiräte ohne jegliche Kompetenz
einrichtet, nur um zu zeigen, dass man da etwas für die
Verbraucher vorgesehen hat. Das kann es nicht sein.
({0})
Verbraucherpolitik - auch das sagen wir ganz deutlich - darf sich auch nicht nur auf den Bereich der Lebensmittel fokussieren. Beim Verbraucherschutz geht es
um Gesundheit, um die digitale Welt, um den Anlegerschutz, aber auch um Fragen der Datensicherheit und der
Energiewende. All das ist Verbraucherschutz. Wir in den
Oppositionsfraktionen sind uns sehr einig, dass wir für
die Finanzmärkte in unserem Land einen Finanzmarktwächter konzipieren sollten. Wir von der SPD sagen außerdem, dass wir auch für andere wesentliche Märkte so
etwas wie eine Marktwächterfunktion benötigen.
Was sollen diese Marktwächter denn nun tun? Sie sollen in unserem Gesamtsystem der Aufsicht ein Stück
weit die Funktion eines Sensors und Frühwarnsystems
übernehmen, quasi eine kollektive Wahrnehmung von
Verbraucherinteressen; und das ist auch richtig so. Denn
das, was der individuelle Verbraucher als sein Problem
wahrnimmt, ist doch in Wirklichkeit ein Problem, das
viele andere Verbraucherinnen und Verbraucher auch haben.
Vor dem Hintergrund, dass die Verbraucherzentralen
in unserem Land ein Höchstmaß an Vertrauen genießen
- und das ist gut so -, sagen wir: Es lohnt sich, die Verbraucherzentralen zu stärken, weil sie die Interessen der
Verbraucherinnen und Verbraucher vertreten, und zwar
einseitig. Das ist unser Konzept. Wir glauben, dass der
Verbraucherschutz in Deutschland letztendlich nur dann
gelingen kann, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt werden.
({1})
Deswegen wollen wir neben dem Finanzmarktwächter einen Marktwächter für Energie, für digitale Welt, für
Lebensmittel und für Gesundheit. Diese Marktwächter
haben fünf Funktionen: Sie sollen beobachten, beraten,
bewerten, bearbeiten und bekämpfen.
Was sollen sie beobachten? Sie sollen den Markt in
fünf Kernbereichen systematisch beobachten und stichprobenhaft analysieren, an welcher Stelle der Markt
Missstände aufweist. Auch Testkäufe sollen erfolgen.
Verbraucherministerin Aigner hat sie einmal gewollt,
konnte sich aber nicht durchsetzen. Jetzt schiebt sie es
auf angebliche Verfassungsprobleme; dabei sind die alle
ausgeräumt. Wir wollen, dass systematische Analysen
am Markt möglich sind.
Wir wollen, dass die Marktwächter beraten. Die derzeit bereits geleistete Beratung soll systematisch und
immens ausgeweitet werden. Wir wissen, dass die Verbraucherzentralen diese Kompetenz haben. Die Marktwächter sollen ihre Erkenntnisse bündeln. Sie sollen Informationsportale im Internet aufbauen, damit jeder,
auch derjenige, der keine Verbraucherzentrale fußläufig
in der Nähe hat, Beratung und Unterstützung findet.
Die Marktwächter sollen bewerten, und zwar das verbrauchergerechte Verhalten von Unternehmen; denn genau an dieser Stelle sind Transparenz und Vergleichbarkeit häufig nicht gegeben. Das kann der Verbraucher, die
Verbraucherin nicht alleine leisten. Deswegen wollen
wir, dass das Vorgehen ein Stück weit kollektiviert wird.
Auch die AGBs und andere Aspekte wollen wir in eine
Gesamtschau stellen.
Dann sollen die Marktwächter bearbeiten, und zwar
Hinweise. Diese sollen sie an die Aufsichtsbehörden mit
dem Recht auf Gehör und an die Politik weitergeben.
Schließlich sollen die Marktwächter bekämpfen, und
zwar rechtswidrige Marktpraktiken. Um hier die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher durchzusetzen, sollen sie kollektive Klagerechte erhalten.
Wir wollen 50 Millionen Euro für diese Arbeit bereitstellen. Finanzieren wollen wir das über die Kartell- und
Bußgeldstrafen. Gerade gab es einen Skandal wegen Absprache der Kartoffelpreise. Hier hat man den Verbraucherinnen und Verbrauchern Geld genommen.
({2})
Das geben wir ihnen zurück, indem wir die Arbeit der
Verbraucherzentralen unterstützen.
Man kann also heute sehen, wem Verbraucherschutz
wirklich wichtig ist. Sie hatten ja arge Probleme, unserem Konzept etwas Kritisches abzuringen. Deswegen
gehen wir davon aus, dass Sie heute zustimmen.
Danke.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Tack. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin
Frau Caren Lay. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir, die Linke, waren die erste Partei, die zu Beginn dieser Legislaturperiode einen umfangreichen Antrag zur Stärkung des finanziellen Verbraucherschutzes
eingebracht hat.
({0})
Das schien uns logisch und völlig richtig; denn wir
steckten mitten in der Finanzkrise. Viele Menschen hatten ihre Wertpapiere, ihre Lebensversicherungen verloren und hatten Angst, dass sie weiterhin Geld bei den
Banken und an den Börsen verlieren. Es ist nicht gerade
motivierend - das sage ich als jemand, der in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde -, wenn ich das Gefühl habe, dass
sich nichts geändert hat. Ich könnte den gleichen Antrag
heute noch einmal einreichen, ich könnte die gleiche
Rede noch einmal halten, weil diese Regierung ihre
Energien eher darauf verwendet hat, Banken zu retten,
statt die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen.
({1})
- Ich habe den Zwischenruf von der FDP „Völliger
Blödsinn!“ gehört. Ich will Ihnen einmal sagen, was
diese Koalition in dieser Legislaturperiode aus meiner
Sicht hätte tun müssen, um die Verbraucherinnen und
Verbraucher zu schützen.
({2})
Bevor wir anfangen, über Zinsen und Aufsichten zu
reden, müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass jeder
Bürger und jede Bürgerin ein Konto hat. Es ist allerdings
traurige Realität, dass immer noch über 600 000 Menschen in diesem Land kein Girokonto besitzen. Stellen
Sie sich das einmal vor! Sie haben nicht einmal die
Möglichkeit, die Miete per Dauerauftrag zu überweisen.
Wahrscheinlich bekommen Sie auch gar keinen Mietvertrag. Denn welcher Vermieter wird nicht skeptisch, wenn
der potenzielle Mieter keine Kontoverbindung nachweisen kann?
({3})
Die größte Ungerechtigkeit ist, dass diejenigen, die wegen ihrer Armut kein Girokonto bekommen, dann auch
noch die Überweisungs- und Einzahlungsgebühren zahlen müssen. Es ist beschämend, dass es diese Regierung
nicht geschafft hat, das Recht auf ein Girokonto einzuführen. Das wird höchste Zeit.
({4})
Ich komme zu einem weiteren Punkt: Was tun die
Banken, wenn sie kein Geld haben? Sie leihen sich Geld
bei anderen Banken. Die Europäische Zentralbank sorgt
da für günstige Konditionen. Der Leitzins liegt mit
0,5 Prozent auf einem historischen Tiefpunkt. Was machen die Verbraucher, wenn sie kein Geld haben? In aller
Regel müssen sie ihren Dispokredit in Anspruch nehmen. Dann zahlen sie im Schnitt sage und schreibe
12 Prozent Dispozinsen - bei manchen Banken müssen
sogar 18 Prozent Dispozinsen gezahlt werden -, das entspricht einer Gewinnspanne von 11,5 Prozentpunkten im
Schnitt, die die Banken auf Kosten der schwächsten Verbraucherinnen und Verbraucher erzielen. Ich finde, das
gehört sich nicht. Das ist unfair. Wir nennen das Abzocke.
({5})
Ich bin vor diesem Hintergrund froh, dass die Partei
Die Linke als erste Partei schon vor fünf Jahren gefordert hat, die Dispozinsen endlich einmal zu deckeln. Unser Vorschlag lautet seit fünf Jahren: 5 Prozentpunkte
über dem Basiszinssatz. Dann können die Banken immer
noch Gewinn machen, aber diese Regelung wäre fair für
die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich freue mich,
dass Grüne und SPD im Kern unserer Forderung gefolgt
sind. Das zeigt doch, dass die Linke wirkt.
({6})
- Ich freue mich, dass auch die SPD diese Forderung erhebt. Sie fordern maximal 8 Prozent Dispozinsen. Ich
kann mich sehr gut daran erinnern, dass Sie sich bei unseren Anträgen zu diesem Thema enthalten haben. Es ist
doch schön, dass wir diesbezüglich eine gemeinsame Linie gefunden haben.
Ich komme zum letzten Punkt, zum Thema Finanzaufsicht. Wir als Linke fragen zunächst einmal: Was
wollen die Verbraucher? Sie wollen, dass ihr Geld sicher
angelegt ist, sie wollen gut beraten werden, und sie wollen vertrauen können. Deswegen sagen wir ganz klar:
Wir brauchen vor allen Dingen erst einmal einen FinanzTÜV, damit Schrottpapiere überhaupt nicht auf den
Markt kommen. Diese Schrottpapiere gehören nicht auf
den Markt, sondern in den Schredder.
({7})
Stichwort „Finanzwächter“: Herr Kollege Brinkhaus,
Sie haben gesagt, dass die Aufsicht im Kern eine hoheitliche Aufgabe sein muss. Diese Position teilen wir als
Linke. Deswegen fordern wir beispielsweise in unserem
Antrag die Einrichtung einer auch für die Finanzmärkte
zuständigen Verbraucherbehörde. Das ist eine hoheitliche Aufgabe. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass es
zwar bezogen auf andere Märkte solche behördlichen
Strukturen gibt, bezogen auf die Finanzmärkte aber
nicht. Das alles ist aber kein Argument gegen die Finanzwächter.
Auch wir wollen die Verbraucherzentralen stärken.
({8})
Wir wollen in der Tat, dass sie sich parteiisch für die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher einsetzen können. Beispielsweise wollen wir das Recht auf
Sammelklagen und Verbandsklagerechte erweitern. Das
ist ein Weg, den Sie vielleicht mitgehen können. Sie
könnten ja dem Antrag der Linken gleich bei der Abstimmung zustimmen.
({9})
Meine Damen und Herren, die Menschen fragen sich
natürlich: Wo ist mein Geld sicher? Wo kann ich es anlegen? In den letzten Tagen konnten sie in den Zeitungen
lesen, dass sie, wenn sie es auf der Bank haben, faktisch
Geld verlieren, weil die Zinsen niedriger sind als die Inflationsrate. Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag ein
Signal aussenden sollte, dass wir den finanziellen Verbraucherschutz ernst nehmen. Deswegen sage ich: Es
wird Zeit, dass Sie endlich unseren Anträgen zustimmen.
Sonst dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen
irgendwann wieder anfangen, Omas Sparstrumpf zu
stopfen.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin Caren Lay. - Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Dr. Erik Schweickert. Bitte schön, Kollege Erik
Schweickert.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherschutz hat die Aufgabe, Informationsasymmetrien zwischen Wirtschaft und Verbrauchern auszubalancieren.
Der Markt der Möglichkeiten ist dabei meistens ein Segen; denn der Markt schafft Auswahl, Wettbewerb um
Qualität, Preis und Leistung, und er versetzt die Verbraucher in die Lage, zwischen innovativen Produkten und
Dienstleistungen das individuell Geeignetste auszuwählen.
Ich bestreite nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Opposition, dass die Auswahl manchmal zu Unübersichtlichkeit führt. Informationen bleiben zuweilen unverständlich, Angebote vielleicht sogar undurchschaubar. Das machen sich schwarze Schafe zunutze, um
Verbraucher hinters Licht zu führen. Klar ist: Verbraucher benötigen Orientierung, sie benötigen Schutz vor
Abzockern und Gesundheitsgefahren - ich denke, das
eint uns -, und sie benötigen Wissen über die Funktionsweise von Märkten, über wirtschaftliche Zusammenhänge, über die Konsumentenrolle und den Umgang mit
Dienstleistungen. Genau dafür haben wir eine Vielzahl
von Institutionen und Organisationen, die einen hervorragenden Job dabei machen, Verbrauchern genau diese
Orientierung zu geben und Verbraucherkompetenzen zu
vermitteln. Wir haben also bereits, wenn Sie es so nennen wollen, Marktwächter. Weil wir als schwarz-gelbe
Koalitionsfraktionen um die große Bedeutung und
Wichtigkeit dieser Institutionen und Organisationen wissen,
({0})
haben wir diese während unserer Regierungszeit gestärkt, und wir haben neue Ratgeber und neue Anlaufstellen für die Verbraucherinnen und Verbraucher geschaffen.
({1})
Wir haben an erster Stelle die Verbraucherzentralen.
Sie leisten einen unschätzbar hohen Beitrag für die Bildung von Verbrauchern, aber auch in der Beratung.
Durch das Instrument der Abmahnung ist es ihnen auch
möglich, Marktteilnehmer zur Räson zu rufen, die sich
nicht an die Gesetze halten und versuchen, Verbraucher
zu täuschen oder zu betrügen. Wir wissen um die Wichtigkeit der Verbraucherzentralen. Deshalb haben wir die
Mittel allein bei der institutionellen Förderung des Bundes von 8,7 auf jährlich 9,44 Millionen Euro erhöht. Wir
haben auch dafür gesorgt, dass die Verbraucherzentrale
ein Verbindungsbüro in Brüssel aufbauen konnte,
({2})
um insbesondere die Einflüsse auf europäischer Ebene
besser beobachten und somit auch besser auf die europäische Politik reagieren zu können.
({3})
Wir haben zusammen mit dem vzbv die Deutsche
Stiftung Verbraucherschutz ins Leben gerufen, die sich
insbesondere um die Verbraucherbildung kümmert. Es
war die schwarz-gelbe Bundesregierung, die die Gründung dieser Stiftung durch das Bereitstellen von Grundkapital in Höhe von 10 Millionen Euro ermöglicht hat.
Denn es ist uns wichtig, Verbraucherinnen und Verbraucher über die Herausforderungen der Märkte aufzuklären
und ihre Rolle als selbstbestimmte Marktteilnehmer zu
stärken.
Wir haben die Stiftung Warentest, die mit Informationen und Produkttests den Verbrauchern wichtige Hinweise über Angebote gibt und vor möglichen Gesundheitsgefahren sowie vor Abzockmaschen warnt.
({4})
Die schwarz-gelbe Regierung hat durch Aufstockung
des Stiftungskapitals um 50 Millionen Euro dazu beigetragen,
({5})
dass diese Stiftung von den jährlichen Zuweisungen des
Deutschen Bundestages unabhängiger wird, dass sie tatsächlich die Unabhängigkeit hat, die sie braucht. Wir haben außerdem mit weiteren 2 Millionen Euro im Haushalt 2013 für die Stiftung Finanztest dafür gesorgt, dass
auch ihr wichtiger Beitrag beim finanziellen Verbraucherschutz stärker zur Geltung kommt.
({6})
Da wir gerade beim Thema Finanzmarkt sind: Dazu
gehört natürlich auch, dass wir die nationale Finanzaufsicht in den Verbraucherschutz einbezogen haben. Auf
den Beirat bei der BaFin wurde vorhin schon hingewiesen. Ich kann mich da nur anschließen: Banken zu retten
heißt auch, das Vermögen der Verbraucherinnen und
Verbraucher zu retten.
({7})
Wir haben im Energiebereich nicht nur eine Schlichtungsstelle für Verbraucher eingerichtet, sondern auch
eine Markttransparenzstelle für Strom und Gas. Damit
haben wir neue Möglichkeiten geschaffen, dass zum
Beispiel die Verbraucher Beratung und Unterstützung
bekommen, wenn es Probleme gibt. Im Telekommunikationsbereich haben wir die Bundesnetzagentur. Es gibt
verschiedene Ombudsleute, beispielsweise für Banken,
Versicherungen und auch im Gesundheitsbereich. Dem
Verbraucher fehlt es also nicht an Informations-, Aufsichts- und Beschwerdestellen.
({8})
Nun soll nach dem Willen der Opposition ein Marktwächter nach dem Prinzip „Schnüffeln, Bellen, Beißen“
folgen. Ich sage Ihnen: Beim Schnüffeln wäre ich vorsichtig; nicht dass sich gemäß Ihrem Modell nachher
Google und Facebook noch Marktwächter nennen dürfen.
({9})
Ich bin nicht für einen Schnüffelstaat. Mir wäre es lieber, wir würden einen besseren Schutz der persönlichen
Daten schaffen.
({10})
Hinsichtlich des Beißens sage ich: Ich bin der Meinung, dass dies eine staatliche Aufgabe ist. Schwarze
Schafe haben am Markt nichts zu suchen. Mich wundert
schon, dass ausgerechnet die SPD das Beißen an eine
nichtstaatliche Stelle auslagern möchte.
({11})
Aber mir ist auch klar, warum Sie das möchten. Sie folgen dem Sprichwort: Hunde, die bellen, beißen nicht.
({12})
So ist es ja auch mit der SPD: Vorher wird ordentlich gebellt, aber dann, wenn man Regierungsverantwortung
hat, wird nicht gebissen.
({13})
Das zeigt sich auch daran - dieser Seitenhieb sei mir
gestattet -, dass die ehemalige Justizministerin Frau
Zypries im sogenannten Kompetenzteam von Herrn
Steinbrück jetzt plötzlich für Verbraucherschutz zuständig sein soll. Wir aber waren es, die schwarz-gelbe Regierungskoalition, nicht Frau Zypries, die die Abzocke
im Internet beendet haben. Wir haben Abofallen im Internet mit dem Bestätigungsbutton einen Riegel vorgeschoben.
({14})
Wir waren es, nicht Frau Zypries, die die Abzocke bei
Telefonwarteschleifen beendet haben. Wir waren es,
nicht Frau Zypries, die die Schlichtungsstelle Luftverkehr auf den Weg gebracht haben, um geprellten Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, ihre Rechte einzuklagen.
Wir waren es, nicht Frau Zypries und nicht Herr
Steinbrück, die dafür gesorgt haben, dass der Anlegerschutz besser wird. Sie haben die Hedgefonds eingeführt. Wir haben Produktinformationsblätter, Sachkundenachweise bei Beratern, die Regulierung des grauen
Kapitalmarkts und den Verbraucherbeirat bei der BaFin
eingeführt. Das waren wir und nicht Frau Zypries.
({15})
Es waren wir, diese schwarz-gelbe Regierungskoalition, und nicht Frau Zypries, die ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg gebracht haben, das seinen
Namen verdient.
({16})
Dabei mussten wir genau die Fehler ausmerzen, die Sie
im ersten Entwurf dieses Gesetzes gemacht haben.
({17})
Das VIG, das Verbraucherinformationsgesetz, ist nun unbürokratischer, es informiert auch über die Produktsicherheit, und es lässt eine schnellere Veröffentlichung
zu.
({18})
Meine Damen und Herren, wir haben die schwarzen
Schafe gebissen und ihre betrügerischen Geschäftsmodelle kaputt gemacht, und nicht Sie, Frau Zypries.
Insofern kann ich nur feststellen: Nicht immer steht
ein sogenanntes Kompetenzteam auch für Kompetenz.
Schwarz-Gelb hat im Bereich der Verbraucherschutzes
seinen Auftrag erfüllt. Einen besseren Marktwächter als
diese christlich-liberale Koalition
({19})
können sich die Verbraucherinnen und Verbraucher gar
nicht wünschen.
({20})
Vielen Dank, Kollege Dr. Schweickert. - Nächste
Rednerin für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen
ist unsere Kollegin Frau Nicole Maisch. Bitte schön,
Frau Kollegin Maisch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Debatte und ganz besonders die Beiträge der
Koalition zeigen deutlich, wie wenig sich konzeptionell
in acht Jahren unter Federführung der Union im Verbraucherschutzministerium getan hat.
({0})
Horst Seehofer und später Ilse Aigner haben die Verbraucherpolitik in zwei Legislaturperioden an den politischen Katzentisch manövriert.
({1})
Gravierende Fehlentwicklungen, etwa auf dem Finanzmarkt, und neue Herausforderungen wie im Bereich des
Verbraucherdatenschutzes wurden entweder ausgesessen, oder man hat so schlechte Regelungen getroffen,
dass sich für die Verbraucher kaum Verbesserungen ergeben haben. An entscheidenden Stellen hat sich Ihre
Koalition nicht für die Interessen der Verbraucherinnen
und Verbraucher, sondern einseitig für die Interessen der
Anbieter eingesetzt.
Ich nenne Ihnen gerne mehrere Beispiele. Die Lebensmittelampel haben Sie verhindert. Was die Veröffentlichung von Hygienekontrollen betrifft, haben Sie
Instrumente geschaffen, die vor keinem Gericht Bestand
haben; eine reife Leistung.
({2})
Sie lassen Millionen genervter und geschädigter Opfer
von unerlaubter Telefonwerbung, Abmahnfirmen und
betrügerischem Inkasso im Regen stehen. Es ist doch
jede Woche im Verbraucherausschuss das Gleiche: Wir
warten auf das Anti-Abzocke-Gesetz der FDP, und
wieder kommt es nicht;
({3})
ich finde, das ist eine verbraucherpolitische Bankrotterklärung.
({4})
Den Satz „Das kommt nächste Woche“ können Sie jetzt
noch genau einmal sagen; dann ist die Legislatur zu
Ende.
({5})
Sie lehnen eine einheitliche Finanzaufsicht mit klarem Verbrauchermandat immer noch ab. Sie blockieren
die Deckelung der Dispozinsen und das Girokonto für
jedermann. Mit dem Produktinformationsblatt und dem
Beratungsprotokoll haben Sie Instrumente geschaffen,
die kaum Verbraucherschutzwirkung entfalten, sondern
vor allem dazu dienen, dass sich Banken und Sparkassen
vor Gericht gegenüber den geschädigten Anlegern absichern.
Aber die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
durchschauen Ihre halbherzige Politik und sehen die negativen Konsequenzen. Zwei Drittel der Verbraucherinnen und Verbraucher vermuten, dass sie von Anbietern
von Produkten im Finanzbereich oder bei Lebensmitteln
getäuscht oder geschädigt werden.
({6})
Über die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher
fühlt sich schlecht oder falsch informiert.
Das schlägt sich natürlich auch in der Bewertung der
politischen Arbeit der Koalition nieder. In Sachen Verbraucherkompetenz wird der Union nach acht Jahren Regierungsverantwortung ein durchaus peinliches Zeugnis
ausgestellt. 9 Prozent der befragten Verbraucherinnen
und Verbraucher halten die CDU/CSU für die politische
Kraft, die sich am stärksten für die Verbraucherinnen
und Verbraucher einsetzt; 9 Prozent, wohlgemerkt nach
zwei Legislaturperioden, in denen das Verbraucherministerium in Unionshand war. Die Selbstzufriedenheit,
die Herr Brinkhaus hier zur Aufführung gebracht hat,
spiegelt sich also nicht in der Meinung der Bevölkerung
wider.
({7})
Ich denke, das ist die Quittung dafür, dass Sie konsequent auf PR statt auf Sacharbeit setzen.
({8})
Die Debatte um den Marktwächter ist eine strategisch
wichtige Debatte. Die Zustände auf dem Finanzmarkt
zeigen exemplarisch, wie notwendig neue Instrumente
der Verbraucherpolitik sind. Es war interessant, zu
sehen, wie Sie versucht haben, sich an dem Begriff „Finanzmarktwächter“ aufzuhängen, um Argumente gegen
systematische Marktbeobachtung zu finden. Wir können
das Ding auch „Ralph“ oder „Erik“ nennen, wenn es
Ihnen hilft und Sie unseren Konzepten dann folgen.
({9})
Ich finde diese verklausulierten Debatten um die Begriffe eher albern. Es geht uns darum, die Verbraucherzentralen in ihrer Marktwächterfunktion zu stärken nicht als Ersatz für staatliches Handeln, sondern als sinnvolle zivilgesellschaftliche Ergänzung. Es gibt in anderen Bereichen durchaus sinnvolle Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und staatlichem
Handeln. Denken Sie zum Beispiel an den Fall, dass bei
Ihnen zu Hause in der Kommune Baugebiete ausgewiesen werden: Bei der Regionalplanung bringen sich die
Träger öffentlicher Belange ein, arbeiten Umweltverbände mit. Das ist doch nicht vordemokratisch oder undemokratisch, sondern die moderne Art, die Zivilgesellschaft zu beteiligen.
({10})
Statt Finanzmarktwächter zum Schutz des Verbraucherinteresses weiterzuentwickeln, speisen Sie die Anlegerinnen und Anleger mit Placebos ab. Statt mehr Geld
in systematische Marktbeobachtung und Analyse der
Beratungen in den Verbraucherzentralen zu investieren,
richten Sie ein Verbrauchertelefon ein und schaffen so
eine teure und überflüssige Weiterverweisstruktur, die
als Datenbasis für zukünftige Verbraucherpolitik sicherlich nicht zu gebrauchen sein wird.
Statt Verbraucherschutz als Kernaufgabe der BaFin zu
etablieren und die Verbraucherzentralen mit einem formalen Anrufungsrecht - nicht mit Durchgriffsrechten auszustatten, bekommen die Verbraucherzentralen einen
Platz im Verbraucherbeirat. Da kann man dann darüber
reden; substanziell wird sich beim Verbraucherschutz
aber nichts tun.
({11})
Auch beim kollektiven Rechtsschutz für Verbraucherinnen und Verbraucher hat Schwarz-Gelb nichts vorzuweisen. Europa geht voran, und die Grünen waren unwesentlich schneller: Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf
zur Gruppenklage vorgelegt. Wir hoffen, dass Sie daraus
sinnvolle Inspiration für Ihre politische Arbeit ziehen
werden.
({12})
Die Debatte über die Marktwächter und über die Zukunft der Verbraucherpolitik in diesem Land ist mit unserem heutigen Antrag nicht zu Ende. Sie haben gezeigt,
dass Sie diese Zukunft nicht weiter gestalten sollten.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Nicole Maisch. - Nächste
Rednerin für die Fraktion von CDU und CSU ist unsere
Kollegin Frau Mechthild Heil. Bitte schön, Frau Kollegin Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Man sagt: Mit Speck fängt man Mäuse. Wenn der Wahlkampf beginnt, holt die Opposition große
Speckstücke heraus.
({0})
Sie glauben wohl, dass Ihre Finanzmarktwächter als
eine riesige Speckschwarte dienen können. „Finanzmarktwächter“, das klingt einfach super, eine tolle Wortschöpfung. Die SPD fordert sogar gleich mehrere Marktwächter. Sie wollen, dass nicht nur für Finanzen,
sondern auch für Energie, für die digitale Welt, für
Gesundheit und für Lebensmittel Wächter eingesetzt
werden. Sie malen das Bild eines Wächters, der die verunsicherten Verbraucher beschützen will und sie beruhigt, eines Wächters, der in seinem Bereich über alle
Produkte gleichermaßen wacht und sie in gute und
schlechte Produkte einteilt, eines Wächters, der alles
überprüft und auch in die letzte dunkle Ecke hineinleuchtet,
({1})
eines Wächters, der uns die Welt erklärt und sie in
mundgerechte Bissen zerlegt. Fragt sich, wer dieser
Wächter sein soll: Wer hat das Recht, das Wissen und
auch die Unabhängigkeit, ein solcher Wächter zu sein?
Gute, helfende Wächter - was für ein falsches, naives
Bild malen Sie da!
({2})
Mit der Realität hat dieses Bild überhaupt nichts zu tun.
Ihr Vorschlag löst auch gar keines der Probleme, vor
denen wir stehen. Im Gegenteil: Mit den Doppel- und
Dreifachstrukturen, die Sie schaffen, wachsen die Bürokratie und die Kosten.
Die Verbraucherpolitik der Union betrachtet dagegen
die Wirklichkeit.
({3})
Die Wirklichkeit ist viel komplexer, als Sie denken. Die
Finanzmärkte, die digitale Welt, der Energiemarkt, ja
sogar Lebensmittel lassen sich nicht einfach, wie Sie es
gerne hätten, in gut und schlecht oder in gesund und ungesund einteilen. Wir setzen deswegen nicht auf
Wächter, sondern auf Wissen, Erfahrung und Durchsetzungskraft.
({4})
Das beweisen auch die Maßnahmen, die wir in der Finanzkrise getroffen haben: Wir haben über 30 Gesetze
für den Verbraucherschutz im Bereich Finanzen beschlossen.
({5})
Ein Beispiel dazu: Seit 2011 müssen die Kunden bei
einer Wertpapierberatung ein kurzes, verständliches und
wertungsfreies Produktinformationsblatt erhalten. So
können sie die verschiedenen Finanzprodukte besser
vergleichen und herausfinden, welche Anlage sich für
sie am besten eignet. Wir wissen dabei: Produktinformation ist nie fertig. Sie ist immer im Fluss. Sie muss immer weiter entwickelt werden. Genau das verlangen wir
auch von den Anbietern. Sie dürfen eben nicht in dem
Bemühen nachlassen, ein noch so komplexes Anlageprodukt leicht verständlich und gleichzeitig umfassend
darzustellen. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Das
zeigt auch eine Studie, in deren Rahmen herausgefunden
wurde, dass fast alle Verbraucher - nämlich 80 Prozent die Produktinformationsblätter sehr interessiert lesen.
Die anderen haben sie zumindest überflogen. Verbraucher wollen also diese Information, und sie nutzen diese
auch.
({6})
Die Verbraucher benötigen dafür ein gewisses Maß an
Bildung bzw. Verbraucherbildung. Genau deshalb hat
das Bundesverbraucherministerium die Initiative
„Verbraucherbildung - Konsumkompetenz stärken“ gestartet. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt bei der
Stärkung der Finanzkompetenz. Verbraucher wollen
keine Politik, die sie bevormundet. Sie wollen einen
Markt, dem sie vertrauen können und in dem sie sich
nach ihren eigenen Vorstellungen für ein Produkt entscheiden können. Genau das ist es, was wir meinen,
wenn wir in der christlich-liberalen Koalition sagen: Wir
trauen den Menschen etwas zu.
({7})
Wir schaffen dafür gute Rahmenbedingungen, damit die
Verbraucherinnen und Verbraucher den Märkten vertrauen können. Deswegen haben wir mit dem Gesetz zur
Stärkung der deutschen Finanzaufsicht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, die BaFin, zu einer noch
schlagkräftigeren Behörde ausgebaut.
({8})
Die BaFin hat jetzt mehr Kompetenz bekommen. Sie
wurde ausdrücklich auch damit beauftragt, für mehr Verbraucherschutz zu sorgen. Es gibt den Verbraucherbeirat
bei der BaFin, in dem das Verbraucherministerium, aber
auch Vertreter von Verbraucher- und Anlegerschutzorganisationen vertreten sind. Für Verbraucher und
Verbraucherverbände wurde ein Beschwerdeverfahren
geschaffen, sodass die BaFin Verstöße gegen Verbraucherschutzbestimmungen jetzt auch verfolgen kann.
Die BaFin kennt den Finanzmarkt und seine Produkte
wie kein anderer auf dem Markt. Sie ist getragen von
hoher Sach- und Fachkompetenz. Warum sollte man
dann einen neuen Marktwächter einführen, der diese
Kompetenz nun einmal nicht hat und sich diese erst
mühsam erarbeiten müsste? Nein, wir sagen: Die BaFin
bleibt die zentrale Finanzaufsichtsbehörde.
({9})
Neben der BaFin stehen noch weitere Akteure auf
dem Marktplatz, die für den Verbraucherschutz sorgen.
Zum Beispiel haben wir die Stiftung Warentest. Ihr
Anspruch ist ein bisschen anders, nämlich den Verbrauchern die Informationen zu Finanzfragen zu geben, welche die allermeisten Verbraucher betreffen und interessieren. Die Stiftung leistet eine hervorragende Arbeit.
Deshalb unterstützen wir sie jetzt jährlich mit zusätzlich
2 Millionen Euro. Die Stiftung Warentest hat einen exzellenten Ruf und genießt ein hohes Vertrauen bei den
Menschen. Warum sollen wir dann daneben einen neuen
Wächter etablieren?
Wir haben auch noch die Verbraucherzentralen. Sie
leisten ebenfalls gute Arbeit, indem sie die Verbraucherinnen und Verbraucher individuell und unkompliziert
beraten. Man könnte es auch so ausdrücken: Sie arbeiten
niederschwellig. Auch sie weisen auf Missstände hin.
Deshalb kann man sagen, dass sie ebenfalls einen Teil
des Finanzmarktes überwachen. Sie sind - wie Sie, Frau
Tack, es gefordert haben - der „Sensor“ in dem Markt.
Die Verbraucherzentralen haben aber nicht genügend
Personal und nicht das Know-how, um die gewünschten
Marktwächterfunktionen wahrzunehmen. Außerdem
können sie keine öffentlich-rechtliche Überwachungsfunktion übernehmen.
Was für den Finanzmarkt gilt, trifft auch auf die anderen Märkte zu: Wir brauchen kein Mehr an Wachen, kein
Mehr an Bevormundung und auch kein Mehr an Behörden.
({10})
Wir haben gute Strukturen. Wir müssen diese guten
Strukturen nur nutzen und stärken. Genau das machen
wir in der christlich-liberalen Verbraucherpolitik sehr erfolgreich.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Mechthild Heil. - Letzte
Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Brigitte Zypries.
Bitte schön, Frau Kollegin Zypries.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Heil, wahrscheinlich ist
es in der Tat so, dass man sich darüber unterhalten muss,
wie man den Verbraucherschutz sinnvoll gestaltet. Sie
nehmen das für sich in Anspruch. Wir nehmen es ebenso
für uns in Anspruch.
({0})
- Sekunde; lassen Sie mich einfach ausreden. - Dann
muss man überlegen, was man Vernünftiges macht. Wir
haben Ihnen ein Konzept vorgestellt, das Sie zur Kenntnis nehmen und mit uns diskutieren sollten. Herr
Dr. Schweickert, es ist in der Tat so, dass Sie versucht
haben, die eine oder andere Lücke zu stopfen.
({1})
- Moment mal! - Das funktioniert nur nicht. Ich nenne
Ihnen ein Beispiel:
({2})
2001, nach den Vorfällen um die Mitternachtsnotare, als
den Leuten reihenweise Schrottimmobilien angedreht
wurden, haben wir das Gesetz geändert und gesagt: Zwischen Kaufvertrag und der notariellen Beurkundung
muss eine 14-Tage-Frist eingehalten werden. Was wurde
dann gemacht? Diese Frist wurde umgangen, indem der
Käufer unterschreiben sollte, dass er den Kaufvertrag
schon entsprechend lange vorliegen hatte, und deshalb
mussten der Bundesrat und der Bundestag das Gesetz
jetzt gemeinsam ändern und nachjustieren.
Ein anderes Beispiel sind die Warteschleifen. Wir haben gesagt: Anrufe auf einer 0180er-Nummer sollen
nichts mehr kosten. Was machen die Unternehmen jetzt?
Wenn man eine solche Nummer anruft, wird man gefragt, ob man erstens eine Auskunft möchte, zweitens
eine Frage hat oder drittens etwas anderes möchte, und
aufgefordert, 1, 2 oder 3 zu wählen. Sie wählen dann 1, 2
oder 3, und schon hängen Sie wieder in einer kostenpflichtigen Warteschleife. Das ist doch ein bisschen so
wie das Spiel „Hase und Igel“.
Herr Dr. Schweickert, dies ist Ihre erste Legislaturperiode hier. Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, dass es
für manche Dinge in diesem System einfach ein bestimmtes Verfahren gibt, und fangen Sie nicht an, hier
Beschuldigungen aufzustellen, die wirklich an den Haaren herbeigezogen sind.
({3})
- Ich habe Ihnen gerade schon Beispiele genannt, und
ich finde, wir können sinnvoll darüber diskutieren.
({4})
- Können Sie jetzt mal die - ({5})
Ich mache Ihnen das gerne noch einmal verständlich.
({6})
- Herr Präsident, können Sie dem jetzt nicht einmal sagen, dass er ruhig sein soll?
({7})
Frau Kollegin, wir kennen Sie natürlich; Sie haben es
noch immer geschafft, sich durchzusetzen. Aber natürlich haben Sie recht.
({0})
- Sie hat zumindest recht, dass sie das Recht hat, dass
alle ihr zuhören, Herr Kollege. - Bitte schön, Frau Kollegin Zypries, Sie haben das Wort.
({1})
Sie brauchen nicht zuzuhören, Sie sollen nur nicht dazwischenreden.
Mir geht es nur darum, Ihnen noch einmal zu erklären, was wir hinsichtlich der Marktwächter wollen. Wir
wollen, dass diese Marktwächter eine Funktion als Sensor und Frühwarnsystem für systemische Verbraucherprobleme übernehmen. Es geht nicht um individuelle
Verbraucherprobleme, sondern um systemische. Das
kann ich Ihnen an einem Beispiel schön deutlich machen, nämlich am Beispiel des Energiemarkts.
({0})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Herr Schweickert, Sie haben es gehört.
Wir wollen natürlich, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher den Wettbewerb am Energiemarkt durch einen Anbieterwechsel ankurbeln. Gleichzeitig haben wir
aber zugeschaut, wie Hunderttausende Verbraucher
durch die Pleiten von TelDaFax und FlexStrom geschädigt wurden. Wir glauben, das sollte nicht sein; denn so
verlieren die Verbraucherinnen und Verbraucher ihr Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft.
Deswegen sind wir froh, dass die Bundesnetzagentur
jetzt ihre Aufgabe wahrnimmt und dem Anbieter Care
Energy stärker auf die Finger schaut. Das ist genau unsere Idee: Wir wollen, dass systemische Probleme beobachtet und angegangen werden.
Die Verbraucherzentralen wussten in diesem Fall aus
ihrer Beratungstätigkeit früh, dass die genannten Anbieter die Rückzahlung von Abschlägen hinauszögerten
oder die Bonuszahlungen mit windigen Begründungen
verweigerten. Dieses Wissen wollen wir den Verbraucherschützern gerne zugänglich machen. Deswegen sagen wir auch gar nicht, Frau Heil, dass hier irgendjemand gegeneinander arbeiten oder dass die BaFin
bestimmte Aufgaben nicht mehr haben sollte, sondern
wir sagen: Die Verbraucherschützer sollen die Aufsichtsbehörden über genau solche systemischen Probleme informieren, damit die Aufsichtsbehörden handeln können.
({0})
Es geht um eine Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und den staatlichen Aufsichtsbehörden. Ich
meine, das ist ein vernünftiger Ansatz, weil es doch einfach nicht zu verkennen ist, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher in dieser digitalen und vernetzten Welt
- gerade in den Bereichen Finanzmarkt, Telekommunikation, Internet und digitale Welt und vor allem auch im
Bereich Gesundheit, wo die digitale Welt eine immer
größere Rolle spielt - unbedingt noch eine Unterstützung brauchen, um ihre Position zu stärken.
Viele wissen doch gar nicht mehr richtig, was eigentlich geschieht, was zum Beispiel Netzneutralität heißt,
und was die ganze Diskussion, die wir führen, bedeutet.
Oder zum Beispiel fragen sich Verbraucherinnen und
Verbraucher, die sich ein digitales Buch kaufen: Kann
ich das Buch, nachdem ich es gelesen habe, genauso verschenken wie ein Buch aus Papier?
Wie gehe ich mit diesen ganzen Sachen um? Es gibt
siebenundzwanzig verschiedene Modelle im Internet,
wie man so etwas regeln kann. Wie soll sich eine Verbraucherin oder ein Verbraucher, die oder der nicht den
ganzen Tag Zeit hat, sich um die Wahl eines sinnvollen
Modelles zur Befriedigung der entsprechenden Bedürfnisse zu kümmern, hier entscheiden können? Da brauchen wir einfach systemisch aufbereitete Hilfen und Unterstützungen und eine bessere Zusammenarbeit mit den
Aufsichtsstrukturen.
Auch im Bereich des Urheberrechts brauchen wir
dringend eine Änderung in Form des sogenannten dritten
Korbes des Urheberrechts, aus der in dieser Legislaturperiode nun leider nichts geworden ist, wo aus verbraucherpolitischer Sicht aber dringender Handlungsbedarf
besteht.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Brigitte Zypries. - Nun
hat das Wort zu einer Kurzintervention unser Kollege
Dr. Erik Schweickert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Zypries,
Sie sagten zwar, Sie ließen keine Zwischenfragen zu und
der Kollege solle irgendetwas halten. Aber ich möchte
Sie in einer Kurzintervention doch fragen, ob - das ist
der erste Punkt - Sie mir zustimmen, dass laut Novelle
des Telekommunikationsgesetzes dieser schwarz-gelben
Bundesregierung der automatisierte Dialog - da gebe ich
Ihnen recht -, sofern er zur Bearbeitung des Anliegens
dient, etwas kosten darf, die nachgelagerte Warteschleife
bei zeitabhängigen Tarifen aber nichts kosten darf. Sind
Sie mit mir einig, dass das im Gesetz steht und dass das,
was Sie gerade gesagt haben, nämlich dass diese Warteschleife kostenpflichtig sei, falsch ist?
Als zweiten Punkt, Frau Zypries, möchte ich von Ihnen gerne wissen, ob - das kann man Ihnen nicht vorwerfen, da Sie die bisherigen Diskussionen zur Verbraucherpolitik nicht verfolgt haben; Sie waren nicht im
Ausschuss - Ihre Vorstellung und auch die Vorstellung
der Opposition von einem Marktwächter der Definition
„schnüffeln, bellen, beißen“ entspricht? Das interessiert
mich doch sehr.
Frau Kollegin Brigitte Zypries, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. Bitte schön.
Herr Kollege, ich kenne leider den Text des Telekommunikationsgesetzes nicht auswendig. Ich weiß nur, dass
seit dem Zeitpunkt, seit dem ich im Kompetenzteam von
Peer Steinbrück für Verbraucherschutz zuständig bin,
mich 50 Leute auf diese besonderen Anrufnummern und
die neuen Warteschleifen angesprochen haben.
({0})
Alle sagen, da liege eine erneute Umgehung der gesetzlichen Regelungen vor, und ich habe keinen Grund, daran
zu zweifeln.
({1})
Der Kollege Kelber hat richtig darauf hingewiesen, dass
diese Sache bereits bei der Bundesnetzagentur anhängig
ist. Mir ging es nur darum, Ihnen zu sagen: Seien Sie
doch nicht so selbstgerecht, sondern erkennen Sie doch
die Bemühungen aller an, bestimmte Veränderungen zu
erreichen, wobei an vielen Stellen im Gesetz immer wieder nachjustiert werden muss.
Die Sache mit den Mitternachtsnotaren, bei der wir
damals Regelungen beschlossen haben und Sie jetzt
nachgebessert haben, ist doch das beste Beispiel dafür,
dass nachjustiert werden muss, weil immer wieder versucht wird, die gesetzlichen Regelungen zu umgehen.
Auf diesen Sachverhalt kann man sich doch verständigen; das ist doch kein Problem, oder?
({2})
Im Übrigen möchte ich gerne noch etwas zu den
Marktwächtern sagen. Nein, wir legen diese B’s nicht so
aus, wie Sie das tun. Wir sagen: Die Marktwächter sollen beobachten, beraten, bewerten, bekämpfen und beteiligen, nämlich die Aufsichtsbehörde. Bekämpfen geschieht in vielen Bereichen schon dadurch, dass man
Öffentlichkeit herstellt. Insofern ist das eine Vorstufe,
wenn Sie so wollen, und entspricht dem, was Verbraucherberatungen heute schon tun; denn inzwischen funktioniert schon eine Menge in der Selbstregulation.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Zypries. - Ich schließe
nun die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/9759.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8894 mit dem Titel
„Verbraucherschutz stärken - Finanzmarktwächter einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das
sind Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen.
Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8764 mit dem Titel „Finanzmärkte verbrauchergerecht regulieren - Finanzwächter und FinanzTÜV einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6503 mit dem Titel „Finanzmarktwächter im
Verbraucherinteresse einrichten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung - Energie auf neuen
Wegen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Herr
Enak Ferlemann. - Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung ist der konkrete Beitrag des Verkehrsbereichs, um die im Energiekonzept
festgelegten Ziele für den Sektor Verkehr umzusetzen:
10 Prozent Endenergieeinsparung bis 2020 und 40 Prozent Endenergieeinsparung bis 2050. Das Basisjahr dafür ist das Jahr 2005.
Der Verkehrssektor insgesamt muss seinen Beitrag zu
den Energie- und Klimaschutzzielen der Bundesregierung leisten. Um die Energiewende im Verkehr zukunftsfest auszurichten und ökonomisch, ökologisch und
sozialverträglich zu gestalten, bedarf es ebenso wie im
Gebäude- und Strombereich angemessener und rechtzeitiger politischer Weichenstellungen, damit sich Fahrzeugindustrie, Energiewirtschaft, Transportgewerbe sowie Bürgerinnen und Bürger hierauf einstellen können
und Investitionen mit einer langfristigen Perspektive erfolgen. Die MKS ist hierfür ein realistisches Zukunftskonzept und ein tragfähiger und nachhaltiger Fahrplan
für die konkrete Umsetzung.
Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss ist nicht das
Ende des Prozesses erreicht, sondern wird die Tür aufgemacht zu einer, wie wir es nennen, lernenden Strategie.
Damit soll in Zukunft die Weiterentwicklung im Bereich
Verkehr und Energie analysiert, das entstandene Netz31164
werk genutzt und auf Innovationen und neue Entwicklungen reagiert werden können.
Im Kern beschäftigt sich die MKS mit dem Themenbereich Verkehr und Energie. Sie beschreibt, welche Antriebs- und Kraftstoffoptionen der Verkehrssektor, und
zwar alle Verkehrsträger - Straße, Luft, Schiff und
Schiene -, hat und welche Energieinfrastrukturen benötigt werden, um bis 2050 die Ziele des Energiekonzeptes
und der Energiewende in Deutschland zu erfüllen.
Deutlich wird, dass wir eine 40-prozentige Endenergiereduktion im Verkehrsbereich bis 2050 nur erreichen,
wenn wir zusammengefasst folgenden Weg beschreiten:
Erstens müssen wir weiter konsequent den Weg der
Energieeffizienz gehen. Hier bekommen neue Antriebstechnologien mit Batterie und Brennstoffzelle und die
Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen
langfristig entscheidende Bedeutung für den Straßenverkehr.
Zweitens müssen wir die Energiebasis des Verkehrs
auf ein breiteres Fundament stellen. Der Slogan „Weg
vom Öl“ ist kein Selbstzweck, sondern ökonomisch und
ökologisch sinnvoll. In dem Zusammenhang erhält Erdgas im Übrigen auch als Speicher für Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen zunehmende Bedeutung, und zwar auch in Verbindung mit Biomethan
oder zum Beispiel als LNG, Liquefied Natural Gas, in
der Schifffahrt sowie ganz entscheidend Strom aus Wind
und Sonne für den Verkehrsbereich.
Drittens. Wir brauchen eine robuste Biokraftstoffstrategie. Hier herrschen vor dem Hintergrund sich derzeit
verändernder Rahmenbedingungen und Diskussionen
Unsicherheiten über die künftigen nachhaltigen Potenziale. Hier braucht der Verkehrsbereich Planungssicherheit: eine zentrale Aufgabe für die MKS als lernende
Strategie und Arbeitsauftrag für die kommenden Monate.
Viertens. In dem Zusammenhang müssen wir für den
Straßengüterverkehr sowie den Luftverkehr robuste Zukunftskonzepte entwickeln. Für beide Bereiche gibt es
eine besondere Herausforderungssituation. Hier müssen
wir zum Beispiel nicht nur die Rolle von Biokraftstoffen, die derzeit einzige Kraftstoffalternative beispielsweise in der Luftfahrt, bewerten, sondern auch die Technologieentwicklung insbesondere in den Blick nehmen.
Dies gilt zum Beispiel für die Elektrifizierung des Lkw
oder sogenannte Dual-Fuel-Lösungen mit Erdgas oder
LNG.
Bei alledem gilt: Es gibt nicht die eine Lösung. Deshalb bleibt es wichtig, technologieoffen und ohne ideologische Scheuklappen alle Optionen im Blick zu behalten. Bevor wir die Strategie formuliert haben, gab es ein
breites Beteiligungsverfahren mit Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik.
Vielen herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir
kommen nun zu den Fragen dieses Themenbereichs.
Erster Fragesteller ist der Kollege Stephan Kühn.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, im Koalitionsvertrag steht, dass Sie eine Mobilitätsund Kraftstoffstrategie vorlegen werden. Was Sie uns
aber vorgelegt haben, ist maximal eine Kraftstoffstrategie. Deshalb stellt sich die Frage: Warum gibt es nicht
wie versprochen eine Mobilitätsstrategie? Warum ist die
Kraftstoffstrategie an vielen Punkten so vage?
Ich habe gezählt: 24-mal kommt das Wort „prüfen“
und 43-mal das Wort „sollte“ vor. Aber als ich nach
Maßnahmen, die wirklich umgesetzt werden sollen, gesucht habe, habe ich festgestellt, dass das Wort „beschließen“ gar nicht vorkommt. Das heißt, Sie nennen
überhaupt keine konkreten Maßnahmen, geschweige
denn Etappenziele. Ich bin schon etwas enttäuscht. Warum haben Sie keine Mobilitätsstrategie vorgelegt, und
warum sind die Ziele und Maßnahmen, die Sie formulieren, so vage?
Sehr geehrter Kollege, wie der Begriff „Mobilitätsund Kraftstoffstrategie“ schon sagt, handelt es sich um
zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Kraftstoffstrategie beinhaltet natürlich eine Mobilitätsstrategie. Gleichwohl gebe ich Ihnen recht: Eine ausführliche
Mobilitätsstrategie wird ergänzend noch erarbeitet. Sie
muss in den Gesamtzusammenhang gestellt werden.
Kraftstoff ist dabei nur ein Teilbereich.
Ich freue mich, dass Sie die einzelnen Worte des Berichts intensiv gezählt haben, kann aber Ihre Conclusio
daraus nicht bestätigen. Sehr viele konkrete Ziele und
Maßnahmen sind genannt.
Nächster Fragesteller ist Kollege Martin Burkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
meine Frage befasst sich - wie kann es anders sein? mit der Schiene. Die Bundesregierung sieht besondere
Ausgleichsregelungen für die Schiene vor. Ich frage Sie,
ob bei der geplanten Novellierung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes diese Ausgleichsregelungen für die
Schiene beibehalten werden sollen und ob man, was die
Biotreibstoffe angeht, einen besonderen Schwerpunkt
auf der Schiene legt.
Sehr geehrter Kollege Burkert, Ihre Frage beantworte
ich wie folgt: Die Schiene ist für das Erreichen der Energie- und Klimaziele im Verkehr unabdingbar. Der Schienenverkehr stellt bereits seit Jahrzehnten den traditionellen Anwendungsfall für den Einsatz von elektrischer
Energie dar. Eine Umstellung auf 100 Prozent Strom aus
erneuerbaren Energiequellen bis zum Jahr 2050 ist zum
Beispiel in der Strategie der DB AG fest verankert. Daran sollten sich alle anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen nach unserer Auffassung orientieren.
Zu Ihrer Frage nach der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes: Ja, die Ausnahmen für die
Schiene sollten nach Möglichkeit erhalten werden.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist Herbert
Behrens.
Herr Staatssekretär, ich schließe mich der Feststellung
des Kollegen Kühn an, dass es sich, wenn überhaupt, um
eine Kraftstoffstrategie handelt. Aber selbst da beantworten Sie bestimmte Fragen nicht. Sie haben sich mit
300 Fachleuten beraten. Dabei wird die Energieversorgung mittels Biokraftstoffen sicherlich eine Rolle gespielt haben. Bitte sagen Sie uns doch, in welchen Größenordnungen Sie Biokraftstoffe einsetzen wollen, um
fossile Brennstoffe zu ersetzen. Für eine 100-prozentige
Deckung des Bedarfs durch Biokraftstoffe reichen unsere Ackerflächen bei weitem nicht aus. Das würde zu
einem massiven Kolonialismus führen, weil wir unseren
Biokraftstoffbedarf dann nur durch das Besetzen von
Ackerflächen irgendwo anders decken könnten.
Kollege Behrens, ich bin bereits in meinem Statement
auf die Frage nach der Bioenergie eingegangen. Man
darf nicht vergessen, dass es bei dieser Diskussion - ich
verkürze das sehr stark und formuliere es plastisch - um
die Frage „Tank oder Teller?“ geht. Es ist ganz klar, dass
für die Bundesregierung der „Teller“ und nicht der
„Tank“ Vorrang hat. Daran muss sich die Strategie orientieren. Gleichzeitig ist die Kraftstoffstrategie in weltweite Entwicklungen eingebunden. Wie Sie wissen, geht
es in der internationalen Diskussion, gerade wenn es die
Bioenergie betrifft, um andere Gesichtspunkte als um
die, über die wir diskutieren. Insofern hat die Bioenergie
sicherlich einen Vorteil, den sie auch in die Kraftstoffstrategie einbringen kann. Aber er ist begrenzt.
Vielen Dank. - Nun hat Kollege Gustav Herzog das
Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben im ersten Punkt Ihrer
einführenden Worte die Energieeffizienz angesprochen
und dabei auch die Brennstoffzelle erwähnt. Nun kann
man bei einem solchen kurzen einführenden Vortrag
keine langen Ausführungen machen. Deswegen will ich
die Gelegenheit nutzen, nachzufragen, was von Ihrer
Strategie in Sachen Wasserstoff und Brennstoffzelle zu
erwarten ist.
Herr Kollege Herzog, Sie wissen aus Ihrer Erfahrung
im Verkehrsausschuss, dass wir große Anstrengungen
unternehmen, um die Brennstoffzelle in vielen Bereichen zum Einsatz zu bringen. Das gilt insbesondere für
den Straßenverkehrssektor, aber auch für den Schienensektor; es gibt sogar Überlegungen, die Anwendung dieser Technologie auf den Luftsektor auszuweiten. Wir haben vor, in diesem Bereich erhebliche Fortschritte zu
machen. Wir fördern die Bemühungen im Rahmen der
Wasserstofftechnologieinitiative der Bundesregierung
mit erheblichen Mitteln, um zu einer breiteren Anwendung dieser eigentlich sehr guten und energieeffizienten
Form der Antriebe zu kommen.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist die Kollegin
Ulrike Gottschalck.
Herr Ferlemann, ich hätte gern von Ihnen im Hinblick
auf alternative Kraftstoffe - für die wollen wir ja werben erfahren: Plant die Bundesregierung, eine besondere Beschilderung zum Beispiel an Bundesautobahnen anzubringen, um die Menschen darauf hinzuweisen, wo sie
alternative Kraftstoffe tanken können?
Frau Kollegin Gottschalck, auch dieser Vorschlag ist
von uns geprüft und für gut befunden worden. Sie wissen, dass es an einigen Autobahnabfahrten bereits jetzt
Schilder gibt, die auf bestimmte Kraftstoffarten hinweisen. Auch für alternative Kraftstoffe wird es das geben,
sofern es eines Tages dieses engmaschig geknüpfte Netz
gibt.
Nächster Fragesteller ist Hans-Joachim Hacker. Bitte
schön, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Ferlemann, wie viele Elektrofahrzeuge sind in Deutschland insgesamt angemeldet, und wie hoch ist die Zahl
der angemeldeten reinen Elektrofahrzeuge im
Jahr 2013?
Die genaue Anzahl kann ich Ihnen im Einzelnen nicht
nennen. Ich kann sie Ihnen gerne schriftlich nachreichen.
In jedem Fall befinden wir uns nach wie vor in einer
Phase der Entwicklung. Das heißt, wir haben noch kein
Massenprodukt. Die deutsche Automobilindustrie wird
in diesem Jahr zum ersten Mal Massenfahrzeuge in diesem Bereich auf den Markt bringen. Ausländische Hersteller haben das schon getan und werden auch mit mehr
Modellen auf den Markt kommen. Wir gehen also davon
aus, dass bis 2015 die Marktreife so weit ist, dass diese
Fahrzeuge in großem Umfang gekauft werden können.
Wir gehen davon aus, dass wir bis 2020 1 Million Fahrzeuge mit Elektroantrieb auf Deutschlands Straßen haben werden.
Kollege Stephan Kühn.
Herzlichen Dank. - Damit nicht der Eindruck entsteht, ich hätte nur Wörter gezählt, komme ich zu einer
konkreten inhaltlichen Frage.
Sie haben eine Biokraftstoffstrategie im Rahmen der
Kraftstoffstrategie angemahnt. Ich komme in diesem Zusammenhang auf den Luftverkehr zu sprechen. Auf
Seite 44 haben Sie das theoretische Potenzial der Biokraftstoffe beschrieben. Wenn man alle verfügbaren Ressourcen für Biokraftstoffe in Europa zusammennehmen
und ins Verhältnis zu dem gesamten Kerosinverbrauch
der deutschen Luftfahrtwirtschaft setzen würde, dann
käme man zu dem Ergebnis, dass die Biokraftstoffe rein
theoretisch maximal 11 Prozent ausmachen würden. Das
heißt, eine Biokraftstoffstrategie allein wird dem Luftverkehr, was die Abhängigkeit von Kerosin angeht, nicht
helfen. Daher die Frage: Welche weiteren Instrumente
und Maßnahmen wollen Sie konkret ergreifen, um dieser
Branche bei der Lösung ihres Problems der Abhängigkeit vom fossilen Kerosin zu helfen?
Herr Kollege Kühn, in der Tat beschreiben Sie das
Problem sehr richtig. Wir haben beim Flugverkehr derzeit keine andere Möglichkeit, als auf diese Kraftstoffstrategie, wie Sie es geschildert haben, hinzuweisen
und daran zu arbeiten. Gleichwohl beschäftigen wir uns
intensiv damit, dass die Forschung, Wasserstoff als
Energieträger auch in diesem Bereich mehr zum Einsatz
zu bringen, vorangetrieben wird. Der Luftverkehr hat
bisher aber nur diese Möglichkeit. Deswegen ist er aus
Sicht der Kraftstoffstrategie unser größtes Sorgenkind.
Vielen Dank. - Die nächste Fragestellerin ist Frau
Kollegin Sabine Leidig.
Ich möchte in meiner Frage auf die Elektroautos zu
sprechen kommen, die Sie als ein zentrales Element der
Mobilitätsstrategie beschreiben. Sie sprechen jetzt von
1 Million Fahrzeugen, was etwa 2 Prozent des GesamtPkw-Bestandes im Jahr 2020 entspräche. Zugleich gehen Sie davon aus, dass der Pkw-Bestand insgesamt um
3 Prozent steigt. Es ist an dieser Stelle also gar nicht ersichtlich, worin die Kraftstoffsparstrategie eigentlich bestünde.
Ich möchte folgende Frage stellen: Wie wollen Sie
mit dem Problem umgehen, dass zur Herstellung von
Batterien in hohem Maße seltene Rohstoffe benötigt
werden, die praktisch komplett importiert werden müssen und um die es schon heute eine heftige Konkurrenz
gibt? Sie könnten sehr leicht dem Vorwurf ausgesetzt
sein, eine Art Rohstoffkolonialismus zu betreiben; denn
insbesondere im globalen Süden wehren sich immer
mehr Menschen dagegen, dass auf ihre Kosten seltene
Rohstoffe ausgebeutet werden.
({0})
Ihre Feststellung kann ich nicht bestätigen. Denn wir
glauben nicht, dass die Menschen sich dagegen wehren.
Wir glauben, dass sie vielmehr froh sind, wenn sie an der
Entwicklung der Weltwirtschaft teilhaben können. Das
gilt auch für den Abbau von Rohstoffen. Richtig ist, dass
wir auch Seltene Erden gerade für die Produktion von
Batterien und anderem brauchen. Darum werden wir
nicht herumkommen; diesem Problem müssen wir uns
stellen.
Auf der anderen Seite ist es so: Die Elektromobilität
ist die Antwort auf den Klimawandel. Sie haben zu
Recht darauf hingewiesen, dass das Ziel, dass bis
2020 1 Million Elektrofahrzeuge zugelassen sind, zwar
durchaus ehrgeizig klingt, wir aber natürlich versuchen
wollen, danach wesentlich höhere Ziele zu erreichen.
Die Zukunft des Automobils wird in der Elektromobilität liegen. Die Frage ist natürlich, ob wir auf direkte
Stromladung oder auf Transmissionsriemen, wie es etwa
beim Wasserstoff als Energieträger der Fall ist, setzen.
Das wird die Zukunft zeigen.
Wir sind technologieoffen; das habe ich in meinem
Eingangsstatement erwähnt. Wir machen dabei keine
Vorgaben und forschen und fördern deswegen in allen
Bereichen, um möglichst viele Elektromobile auf die
Straße zu bringen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Dirk Becker.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben eben mehrfach die Biokraftstoffstrategie angesprochen. Aktuell debattieren wir europäische Vorgaben,
sprich: die Deckelung der Biokraftstoffe der ersten Generation auf 5 Prozent. Die restlichen 5 Prozent sollen
unter anderem aus Altfetten bzw. aus Biokraftstoffen der
zweiten Generation stammen.
Das Problem bei den Altfetten ist die Zertifizierung;
darüber diskutieren wir parallel. Es wird in Zukunft so
sein, dass das vorgesehene Zertifizierungssystem der EU
dazu führt, dass Pflanzenkraftstoffe aus Deutschland
nicht mehr auf die Quote angerechnet werden können,
weil sie aufgrund globaler Abholzungen mit einem sehr
negativen Faktor belegt werden. Man kann aber Palmöl,
das nach einer Regenwaldrodung gewonnen wird und
das früher als Speisefett eingesetzt worden wäre, nach
Deutschland bringen und es auf die Quote anrechnen lassen, und zwar doppelt. Wie wird sich die Bundesregierung bezüglich dieser beiden Gegebenheiten in europäischen Diskussionen in Brüssel verhalten?
Sehr geehrter Herr Kollege, das ist in der Tat eine
schwierige Diskussion. Deswegen habe ich gesagt, dass
wir gerade bei den Biokraftstoffen im internationalen,
vor allem im europäischen Zusammenhang vor großen
Diskussionen stehen. Die Bundesregierung beteiligt sich
intensiv an der Diskussion, um zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist der Kollege
Martin Burkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
die deutsche Automobilbranche wünscht sich Unterstützung in Form von finanziellen Mitteln. Beabsichtigt die
Bundesregierung, einen Kaufpreisanreiz zu setzen,
sprich: Bargeld zu geben, wenn jemand ein Elektroauto
kauft? Wenn ja: Kann man etwas über die Höhe dieses
Betrages erfahren?
Sehr geehrter Kollege Burkert, die Antwort ist Nein.
Nächster Fragesteller ist unser Kollege Herbert
Behrens.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
noch einmal zu der Frage, die Sie mir vorhin beantwortet
haben, nämlich bezüglich der Reflexion des Problems:
Zielkonflikt bei biogenen Kraftstoffen. Sie haben erwähnt, dass Sie - wie haben Sie es genannt? - einen gewissen Anteil biogener Kraftstoffe einsetzen möchten.
Gibt es eine konkrete Zahl, die das ein bisschen präzisiert? Ich möchte eine Vorstellung davon bekommen, ob
es möglich ist, diesen Bedarf national zu decken, oder ob
es zu solchen Effekten kommen wird, wie sie eben beschrieben wurden. Gibt es in der Strategie - eine Strategie muss ja eigentlich mit einer Taktik unterlegt werden,
damit sie umgesetzt werden kann - dazu Zahlen?
Konkrete Zahlen wären genau das Falsche; denn es ist
eine lernende Strategie - so habe ich es bezeichnet -,
weil wir wollen, dass sich die Richtung, in die sich ein
Markt entwickelt, auch verändern kann. Ein Fragesteller
hatte sich vorhin danach erkundigt, wie es mit der Strategie hinsichtlich der biogenen Kraftstoffe aussieht. Es
kann sich durchaus ergeben, dass wir ihren Anteil deutlich reduzieren wollen. Von daher wäre jede Festlegung
einer Quote genau das Falsche.
Nächster Fragesteller: Kollege Hans-Joachim Hacker.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Ferlemann, Sie hatten in Ihrer Antwort auf die Frage
meiner Kollegin Ulrike Gottschalck darauf hingewiesen,
dass es notwendig ist, in der Fläche ein Netz von Wasserstofftankstellen zu errichten. Daran knüpfe ich die
Frage an: Unterstützt die Bundesregierung im Rahmen
der nationalen Wasserstoffstrategie noch das vor zwei
Jahren kreierte Projekt, mit Berlin und Hamburg gemeinsam eine sogenannte Wasserstoff-Autobahn einzurichten, das heißt, zu erreichen, dass auf der Autobahn
zwischen Hamburg und Berlin, durch entsprechende
Tankstellen an der Autobahn abgesichert, Fahrzeuge mit
Wasserstoffantrieb fahren können?
Ja.
({0})
Kollege Gustav Herzog ist der nächste Fragesteller.
Herr Staatssekretär, das Binnenschiff ist wohl das
energieeffizienteste Transportmittel. Unabhängig davon,
dass wir bei der WSV-Reform und der Kategorisierung
unterschiedlicher Auffassung sind, denke ich, stimmen
wir überein, dass eine Verlagerung auf das Binnenschiff
helfen kann, weniger Kraftstoff zu verbrauchen. Deswegen frage ich Sie: Welchen Stellenwert hat die Verlagerung auf das Binnenschiff in Ihrer Strategie?
Einen überragend wichtigen, Herr Kollege; das wissen Sie. Wir beide sind große Anhänger des Verkehrsträgers Binnenschiff, weil es in der Tat das effizienteste und
ökologisch sinnvollste Verkehrsmittel ist. Allerdings bedingt die Strategie der Verlagerung auf das Binnenschiff
große Investitionen in die Infrastruktur, was die Schleusenkammergröße, die Anzahl der Schleusen, aber auch
die Ertüchtigung von Flüssen, Kanälen usw. anbetrifft.
Das heißt, die Verlagerungsstrategie ist richtig, aber ihr
muss eine Investitionsstrategie vorausgehen, damit die
notwendige Tonnage erzielt werden kann. Vom Grundsatz her gilt: Die Verlagerung ist absolut richtig und
wichtig und ein großes Ziel der Bundesregierung.
Nächste Fragestellerin: unsere Kollegin Frau
Dr. Valerie Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, es
hört sich ja so toll an: Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie. - Das sind zwei Begriffe. Da steht nicht nur „Kraftstoff“. Aber in den Fragen vorhin ging es immer nur um
Kraftstoffe: Biokraftstoffe, Wasserstoff. Das hörte sich
so an, als ob das alles realisiert werden könnte.
Die Frage, die ich habe, lautet: Wo steckt denn eigentlich die Mobilitätsstrategie in Ihrem Papier? Die EUKommission sagt im Weißbuch Verkehr ganz eindeutig,
dass wir die CO2-Emissionen senken müssen. Da hilft
uns nicht der große Fächer. Ich vermisse die Vision. Wohin wollen Sie eigentlich? Wie wollen Sie das strategisch umsetzen? Es geht mir um die Ziele. Wo wollen
Sie landen? Wie stellen Sie sich das vor? Oder wollen
wir nur diese lernende Nummer haben und hoffen, dass
es dann irgendwann zu einem Ende kommt?
Sehr verehrte Frau Kollegin, die lernende Nummer,
wie Sie das nennen, ist schon einmal ein großer Fortschritt. Die bisherigen Bundesregierungen haben diese
lernende Nummer nie auf die Reihe bekommen. So sind
wir ganz froh, dass wir so weit sind, dass wir diese Strategie jetzt haben.
Vor allem geht es darum, die Dinge technologieoffen
zu diskutieren. Bei der Mobilität geht es unserer Regierung nicht darum, den Leuten vorzuschreiben, wie, wo
und wann sie zu fahren haben. Vielmehr sollen sie das
Verkehrsmittel ihrer Wahl nutzen können, nur muss das
Verkehrsmittel ihrer Wahl so umweltfreundlich wie nur
möglich sein. Zur Erreichung dieser Mobilität müssen
umweltgerechte Kraftstoffe und umweltgerechte Antriebstechnologien zur Verfügung stehen. Sie können in
der Strategie erkennen, wie wir diese Verknüpfung vorgenommen haben.
Der nächste Fragesteller ist Thomas Jarzombek. Bitte
schön, Kollege Jarzombek.
Herr Staatssekretär, ich komme noch einmal auf die
Frage nach der Subventionierung von Elektrofahrzeugen
zurück, die vorhin gestellt wurde. Hängt es in Anbetracht der Schaufenster für Elektromobilität und der gesamten Forschungsförderung, die vorgenommen wurden
sowie des Nachteilausgleiches, bei dem der Staat eine
Menge gemacht hat, jetzt nicht von der Industrie ab,
faszinierende Produkte auf den Markt zu bringen? Ich
habe gelesen, dass Tesla in Amerika von dem neuen Modell mehr Fahrzeuge verkauft hat als Audi und Mercedes
mit ihren entsprechenden Topmodellen zusammen. Dieses Auto ist total faszinierend. Die Kinder drücken sich
die Nase an der Scheibe platt. Ist die Industrie jetzt nicht
viel stärker gefordert, als dass es auf Subventionen ankäme?
Sehr verehrter Kollege, ihre Leidenschaft für ein bestimmtes Automobil teile ich vielleicht privat. Aus Sicht
der Bundesregierung muss ich deutlich machen: Wir
sind für alle Modelle von allen Herstellern offen.
({0})
Die Frage, ob wir diesen Bereich noch mehr fördern
sollten, habe ich beantwortet. Ich glaube, dass die Fördermöglichkeiten, die die Bundesregierung auf den Weg
gebracht hat, sehr umfangreich und umfassend sind. Ich
gebe Ihnen absolut recht: Jetzt ist die Industrie am Zuge,
das umzusetzen. Ich habe bereits gesagt, dass die deutsche Automobilindustrie noch in diesem Jahr eine Reihe
von neuen Fahrzeugen vorstellen wird, die elektromobil
sind. Wir hingen etwas zurück. Aber die deutsche Industrie hat absolut aufgeholt. Die Förderung der Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass wir jetzt vorankommen.
Ich glaube, dass sich diese Entwicklung weltweit fortsetzen wird.
Wenn Sie das Modell, das Ihnen vorschwebt, in
Deutschland genießen wollen, so können Sie das schon
jetzt tun.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Dirk Becker.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben vorhin die Rolle des Biomethans innerhalb der
Biokraftstoffstrategie erwähnt. Bei diesem Thema bin
ich an Ihrer Seite. Ich kämpfe schon seit vier Jahren für
eine Verbesserung des Umfeldes, um Biomethan stärker
in den Verkehr zu bringen. Es hat die beste CO2-Bilanz
und ist der günstigste Treibstoff. Leider sieht das keiner.
Es gibt wenig Hemmnisse, die zu beseitigen keine
Förderung erforderlich macht: Bei der Preisauszeichnung könnte das Eichgesetz angepasst werden - eine
Kleinigkeit -, und der steuerliche Nachteil im Vergleich
zum Erdgas könnte abgeschafft werden. Biomethan wird
im Unterschied zum Erdgas nämlich regulär besteuert.
Diese kleinen Hemmnisse sind innerhalb von zwei Minuten durch das Kabinett zu beseitigen. Gedenkt die
Bundesregierung, diesbezüglich etwas zu tun?
Ich teile Ihren Optimismus nicht, dass wir innerhalb
von zwei Minuten eine solche Regelung im Kabinett erledigen können.
({0})
Das Kabinett kann zwar in dieser Geschwindigkeit beschließen. Der Zeitbedarf für die Vorbereitung solcher
Maßnahmen ist aber erheblich größer.
Auch ich bin ein großer Anhänger des Methans. Wer
Chemie in der achten Klasse hatte, weiß, dass es ein
Stoff ist, der sehr umweltfreundlich ist und den wir sehr
gut nutzen können - Stichwort: Power to Gas. Sie werden dieses Prinzip kennen. Ich nehme Ihre Anregung
gerne auf und werde sie in die Regierungsarbeit einbringen.
Nächster Fragesteller: Stephan Kühn.
Herzlichen Dank. - Ich komme noch einmal auf das
Thema Erdgas zu sprechen. Wir wissen, dass es, je mehr
Erdgasfahrzeuge wir haben wollen, dann um die Frage
der Steuervergünstigungen geht. Die Hersteller brauchen
darüber Klarheit, weil sie ihre Produkte auf den Markt
bringen wollen. Auch für denjenigen, der ein solches
Produkt kaufen möchte, ist es relevant, wie es mit der
Steuervergünstigung nach 2018 weitergeht. Dies ist
keine allzu komplexe Frage, aber man muss sich zeitnah
entscheiden.
Ich dachte, beim Lesen der Kraftstoffstrategie finde
ich eine Erklärung. Aber: Der Satz, den ich dazu gefunden habe, beginnt so:
Die Bundesregierung wird prüfen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen in Betracht gezogen
werden können …
Warum ist es nicht gelungen, innerhalb von zwei Jahren,
die Frage, ob es nach 2018 diese Steuervergünstigungen
weiter geben wird, zu klären? Warum ist es in zwei Jahren in Zusammenarbeit mit dem BMF - diese Frage
könnte auch Herr Staatssekretär Kampeter beantworten - nicht gelungen, Klarheit für den Hersteller und für
die Kunden zu schaffen?
Sicherlich kann diese Frage auch der Kollege
Kampeter beantworten. Da ich sie aber auch beantworten kann, will ich die geschätzte Arbeit des Kollegen
Kampeter nicht stören und werde die Frage selber beantworten.
Die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: Das
steht im Moment nicht an. Wie Sie wissen, dient diese
Steuererleichterung der Markteinführung von Erdgasfahrzeugen. In den Jahren 2016, 2017 müssen wir sehen,
ob das, was wir gemeinsam beschlossen haben, gegriffen
hat oder nicht.
Ich sehe, dass wir jedes Jahr eine zunehmende Anzahl
an erdgasbetriebenen Fahrzeugen zu verzeichnen haben.
Es sind sogar meist Dual-Fuel-Fahrzeuge, die auf den
Markt kommen. Bei weiter steigenden Benzinpreisen
dürfte der Trend dorthin noch deutlich zunehmen. Das
liegt vor allem daran, dass Erdgas in der Bevölkerung
ein sehr positives Image hat und dieser Antrieb im Moment technologisch ausgereift zu sein scheint. Es gibt
immer Weiterentwicklungen. Zumindest in den Augen
der Bevölkerung ist das Produkt nun aber markt- und
serienreif.
Insofern stellt sich folgende Frage: Wenn es ein ganz
normales Produkt auf dem Markt ist, muss es dann noch
weiter steuerlich gefördert werden? Sie werden wahrscheinlich erleben, wie Herr Kampeter und ich im Jahr
2017 darüber intensiv verhandeln und dann auch zu guten Lösungen kommen werden.
({0})
- Vorschläge aus der Opposition nehmen wir an. Sie
werden auf Ernsthaftigkeit geprüft und dann abgewogen.
Nächster Fragesteller ist Martin Burkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Der ländliche Raum
ist der SPD ein besonderes Anliegen. Ich frage die Bundesregierung: Welche Marktanreize will man schaffen,
um die Betreiber von land- und forstwirtschaftlichen
Maschinen im ländlichen Raum dazu zu bringen, Bioreinkraftstoffe einzusetzen?
Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Bundesregierung ist, einen ganz speziellen Zweig extra zu fördern.
Das gilt für die ganze Breite der Produktion von landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Maschinen.
Aber wir fördern zum Beispiel Anwendungen, die auf
der Hybridisierung aufbauen. Das kann auch eine Möglichkeit für den forstwirtschaftlichen Bereich sein, muss
es aber nicht. Wir sind technologieoffen und überlassen
es der Industrie, die entsprechenden Fahrzeuge so zu
konstruieren, dass sie im ländlichen Raum eingesetzt
werden können.
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Sabine
Leidig.
Meine Frage lautet, wie Sie die Perspektive, die Sie
beschreiben, in Verbindung bringen mit dem Istzustand
und mit der Tatsache, dass heutzutage eine enorme
Menge an Subventionen in den Verbrauch konventioneller
Kraftstoffe fließt. Da ist das sogenannte Dienstwagenprivileg mit 500 Millionen Euro, die Steuervergünstigung
für Diesel mit 6,6 Milliarden Euro, die Mineralölsteuerbefreiung des Kerosins mit 7 Milliarden Euro bis hin zu
mehreren Milliarden Euro, die in den Lkw-Verkehr gesteckt werden; denn die Mauteinnahmen decken die gesellschaftlichen Kosten nicht.
Wenn Sie von Energieeinsparungen in der Perspektive sprechen: Wie stellen Sie sich vor, diese Subventionen abzubauen? Wie können Sie den Verbrauch von
konventionellem Kraftstoff mit den Zielen bezüglich
Kraftstoffeinsparungen und Klimaschutz in Deckung
bringen?
Frau Kollegin Leidig, ich teile Ihre Einschätzung
nicht, dass es hier zu einer ungewollten Ausnutzung von
Steuergeldern kommt. Jede Unterstützung, sei es für eine
Branche, sei es für eine bestimmte Antriebsart, sei es für
eine bestimmte Verbrauchsart, hat ihren Sinn. Denn wir
leben nicht auf einer Insel in Deutschland, so gern das
die Linken vielleicht hätten. Wir sind Teil des europäischen Verbundes und müssen uns im europäischen
Wettbewerb behaupten können. Deswegen gibt es diese
unterschiedlichen Unterstützungen. Daran wird die Bundesregierung auch festhalten.
Unabhängig davon analysieren wir - das steht im Bericht - die heutige Situation. Wir beschreiben relativ
deutlich, mit welchen Mitteln wir zum Ziel eines anderen Kraftstoffverbrauchs kommen wollen. Im Grunde
genommen kann man es relativ einfach zusammenfassen: Los vom Öl.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Thomas
Jarzombek. - Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ich möchte gern eine Frage in Bezug auf wasserstoffbetriebene Elektromobilität stellen.
Da findet sich im Bericht der Hinweis, dass mit Serienfahrzeugen ab 2017 zu rechnen sei. Jetzt hat ein asiatischer Hersteller - ich nenne die Marke jetzt nicht angekündigt, tatsächlich schon in diesem Jahr erste
Fahrzeuge für Kunden als Leasingfahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Wer mit einem solchen Auto gefahren
ist, merkt auch, dass die Serienreife nicht mehr fern ist.
Man hört von den Ingenieuren dieser Autos immer die
Klage, dass dieser Bereich in ihren Unternehmen zu wenig Beachtung findet, weil es noch keine ausreichende
Infrastruktur gibt. Denn es gibt für diese Art von Fahrzeugen nur 15 Tankstellen, wie auch in Ihrem Bericht erwähnt wird. Insofern würde ich Sie bitten, darzustellen,
wie diese Infrastruktur ausgebaut werden soll.
Nachdem schon andere Kollegen nach lokalen Besonderheiten gefragt haben, frage ich nach der Wasserstoffpipeline, die schon heute quer durch Nordrhein-Westfalen, an den Chemiestandorten entlang, verläuft.
Wir haben Wasserstoff als Energieträger sehr wohl im
Blick. Allerdings entscheidet die Industrie, was sie bei
den Kraftfahrzeugen zur Anwendung bringen will. Richtig ist, dass wir in den Testserien sehr gute Erfahrungen
mit den Testmodellen gesammelt haben. Auch hier in
Berlin gibt es Wasserstofftankstellen sowie Firmen, die
bereits Wasserstoff als Treibstoff für ihre Kraftfahrzeuge
nutzen. Das wird sicherlich noch ausgeweitet.
Ich glaube, dass die deutsche Industrie genauso leistungsfähig ist wie die asiatische. Wir haben schon viele
Ankündigungen gehört, was der eine und was der andere
kann. Als Vertreter der Bundesregierung vertraue ich der
deutschen Industrie. Sie wird die Produkte rechtzeitig so
weit entwickelt haben, dass sie marktreif und marktfähig
sind und im Wettbewerb bestehen können. Es kann im
Jahr 2017 so weit sein, es kann aber auch eher sein - je
schneller, desto besser. Wichtig ist aber, dass bei uns
Technologieoffenheit herrscht. Wir werden die Technologie nicht vorgeben, sondern lassen die Industrie forschen.
Wenn Sie Fragen zu Beschwerden innerhalb der Unternehmen haben, dann sollten Sie sich vielleicht an die
Unternehmen wenden. Wir tun das auch; wir sind täglich
in Kontakt.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller: Kollege Gustav
Herzog.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort auf die vorletzte
Frage des Kollegen Jarzombek, dass die Bundesregierung für alle Automodelle offen ist, hat mich spontan zu
der Frage animiert, ob Sie als Bundesregierung im Rahmen der verabschiedeten Strategie als Vorbild vorangehen wollen, ob es also Überlegungen gibt, die Fahrzeugflotte der Bundesregierung, insbesondere die Ihres
Ministeriums und der nachgeordneten Behörden, umzustellen, sodass die zahlreichen Vertreter der Bundesregierung, die jetzt anwesend sind, in Zukunft vielleicht
mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen und Elektroautos
anreisen. Der Außenminister im wasserstoffbetriebenen
Fahrzeug - das wäre doch ein schönes Bild. Ist in Ihrer
Strategie auch vorgesehen, die Beschaffungsrichtlinien
der Bundesregierung und aller Häuser dahin gehend zu
ändern, dass in Zukunft auf alternative Kraftstoffe und
Elektromobilität umgestellt werden muss?
Herr Kollege, ich bin Ihnen für Ihre Frage außerordentlich dankbar, weil sie zeigt, dass Sie davon ausgehen, dass ich auch in der nächsten Legislaturperiode
für diesen Aufgabenbereich zuständig sein werde.
({0})
Denn es macht letztlich keinen Sinn, für die letzten drei
Monate dieser Legislaturperiode die ganze Fahrzeugflotte umzustellen. Also macht es Sinn, dieses Thema in
der nächsten Legislaturperiode anzugehen. Ich freue
mich, dass Sie das Vertrauen in mich setzen, dass ich das
dann umsetzen kann.
({1})
Um die Frage konkret zu beantworten: Wir, das
Bundesverkehrsministerium, testen sowohl die Elektromobilität als auch die wasserstoffbetriebene Mobilität
direkt; wir haben unsere eigenen Erfahrungen mit diesen
Fahrzeugen. Wir sehen aber, dass diese Fahrzeuge noch
nicht so serienreif sind, wie wir es gerne hätten. Wenn
ich meinen geschätzten Kollegen Staatssekretären, den
Ministern und vor allem der Bundeskanzlerin ein solches
Fahrzeug zwangsweise per Verordnung oder Richtlinie,
wie Sie es sagen, zur Verfügung stellen soll, dann muss
die Technologie so ausgereift sein, dass die Bundeskanzlerin, jeder Bundesminister und jede Bundesministerin
sicher von A nach B kommen,
({2})
vor allem auch die Staatssekretäre mit ihren vielfältigen
Aufgaben.
({3})
Deswegen werde ich dies dann anregen, wenn wir technologisch so weit sind, dass wir dies umsetzen können.
Aber Ihre Anregung ist vom Grundsatz her für die fernere Zukunft richtig.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller: Kollege
Herbert Behrens.
Herr Präsident, vielen Dank. - Herr Staatssekretär,
warum setzt die Bundesregierung nicht stärker auf Verkehrsvermeidung? Energie nicht zu verbrauchen, ist,
glaube ich, die beste Strategie. In Ihrer Strategie, gerade
auch im Kapitel zur „lernenden Strategie“, ist sehr wenig
zum Thema Schienenpersonennahverkehr zu lesen. Das
einzig Konkrete ist, dass es dazu leider nur sehr schlechtes statistisches Material gibt. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Die zweite Frage ist - sie gehört dazu -: Inwieweit
sind die 300 Experten, mit denen Sie zusammengearbeitet haben, auf die Frage der Verkehrsverlagerung hin zu
mehr öffentlichem Personennahverkehr eingegangen?
Spiegelt das, was wir dazu in Ihrem Bericht lesen,
wirklich die Bedeutung dieses Themas in der Diskussion
wider?
Herr Kollege Behrens, Verkehrsvermeidung ist für ein
Verkehrsministerium eine einzigartige Provokation. Wir
sind dafür da, den Verkehr zu organisieren. Wir wollen
Verkehr - in jeder Form.
({0})
Der Bürger und die Wirtschaft sollen sich aussuchen,
welchen Verkehrsträger sie nutzen möchten. Wir
möchten Verkehr nicht vermeiden, sondern ihn intelligent organisieren.
Zu einer intelligenten Organisation gehört zum Beispiel das Verlagern des Individualverkehrs auf den öffentlichen Personennahverkehr. Wir haben derzeit in
Deutschland einen großen Zuzug in die großstädtischen
Ballungsräume zu verzeichnen. Deutschland verändert
sich damit in seinem Aufbau. Wir werden deutlich mehr
schienengebundenen Personennahverkehr und auch öffentlichen Personennahverkehr brauchen. Ein wichtiger
Ansatz in unserer Strategie ist, auch für diese Verkehrsträger eine entsprechende Kraftstoff- und Mobilitätsstrategie zu entwickeln; denn wir müssen dem steigenden
Anspruch der Bürger, diese Verkehrsmittel zu nutzen,
nachkommen - und das zu vertretbaren Preisen, umweltgerecht und umweltgünstig. Hierin liegt ein großer
Schwerpunkt unserer Arbeit.
Nächste Fragestellerin: Frau Kollegin Dr. Valerie
Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
das war ja eben eine richtige Steilvorlage.
({0})
Wir müssen in der nächsten Wahlperiode das Ministerium in „Mobilitätsministerium“ umbenennen, damit Sie
nicht nur an den Bau von Verkehrswegen denken; sogar
Ihr Kollege Außenminister hat eben gezögert.
({1})
Zu meiner Frage. Die Bundesregierung hat sich
- wenn wir das richtig wahrgenommen haben - gewisse
Ziele in Bezug auf die Reduzierung des Endenergieverbrauchs gesetzt. Dazu sagen Sie in Ihrem Bericht auch
etwas. Wie gedenken Sie diese ernsthaft umzusetzen?
In Ihrer Kraftstoffstrategie fehlen mir griffige Lösungen. Sie hoffen, dass Ihnen von der Industrie etwas zugeliefert wird. Ich erwarte schon etwas mehr. Es ist etwas
kursorisch über „Power to Gas“ sinniert worden, ohne
dass ein Gesamtkonzept dahintersteckt. Gerade LNG
und Ähnliches könnten wir nicht nur in der Schifffahrt,
sondern auch im Flugverkehr einsetzen. Mir fehlt eine
Erklärung, wie Sie das überhaupt machen wollen.
Sehr geehrte Frau Kollegin, zuallererst: Unser Ministerium als Mobilitätsministerium zu bezeichnen, darüber
kann man nachdenken.
({0})
Sie dürfen dabei aber nicht vergessen, dass wir auch für
den Baubereich zuständig sind. Wir werden häufig
fälschlicherweise als Verkehrsministerium bezeichnet,
aber wir sind genauso das Bauministerium. Darauf muss
ich hinweisen. Denn wir haben in diesem Bereich sehr
engagierte Kolleginnen und Kollegen; derzeit wird zum
Beispiel der Grundstein für das Stadtschloss gelegt.
({1})
Ich lege großen Wert darauf, dass wir nicht nur das
Ministerium für Mobilität sind - das auch gerne -, sondern genauso auch das Ministerium für das Bauwesen
und für die Raumordnung.
Zu Ihrer Frage. Wir haben beschrieben, wie wir die
Ziele erreichen wollen. Sie haben das Beispiel der Seeschifffahrt herausgegriffen. Natürlich ist unser großes
Ziel die Landstromversorgung. Es macht absolut Sinn,
dass wir die Schiffe in den Häfen an Landstrom anschließen. So könnten wir verhindern, dass die Energieversorgung der Schiffe durch Diesel, wie es derzeit der
Fall ist, erfolgt. Das ist technologisch, vor allem anwendungstechnologisch, heute in dem von uns gewünschten
Umfang leider noch nicht möglich.
Stellen Sie sich vor, in einem Welthafen wie Hamburg
würden alle Schiffe mit Landstrom versorgt. Wir brauchten einen Kraftwerkspark, um die dafür benötigte Menge
an Energie erzeugen zu können. Hier wird die Dimension des Problems deutlich.
LNG kann eine Lösung sein, sie wird auch Anwendung finden. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wir
haben die SECA-Gebiete ausgewiesen; das betrifft - Sie
wissen das - auch die Nord- und die Ostsee. Das wird
dazu führen, dass wir in der Schifffahrt vermehrt auf
LNG als Energieträger zurückgreifen müssen. Es gibt
also eine Bandbreite verschiedener Anwendungen, die
wir nutzen wollen. Diese sind auch beschrieben worden.
({2})
Vielen Dank. Wir sind am Ende dieses Komplexes.
Es gibt noch eine Frage zur heutigen Kabinettssitzung. Dazu gebe ich dem Kollegen Volker Beck das
Wort. - Bitte schön, Kollege Volker Beck.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Das Kabinett hat heute
infolge des Urteils vom letzten Donnerstag den Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit
der Ehe im Einkommensteuerrecht verabschiedet.
Bei der Lektüre des Gesetzentwurfes ist mir aufgefallen, dass einiges fehlt. Sie haben sich auf eine Regelung
beschränkt, die lautet:
Die Regelungen dieses Gesetzes zu Ehegatten und
Ehen sind auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden.
So weit, so schön, so gut.
Aber warum sind die Folgeänderungen bei der Abgabenordnung, beim Wohnungsbau-Prämiengesetz und bei der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung nicht enthalten?
Eine Frage beschäftigt mich wirklich; denn das ist
mehr als ein rechtstechnischer Fehler. - Herr Kampeter,
Sie müssen mir zuhören; denn man kann die Frage nicht
beantworten, wenn man sie nicht kennt. Das ist selbst
Ihnen nicht gegeben. - Sie haben zwar den im Einkommensteuergesetz festgelegten Kinderfreibetrag in den
Gesetzentwurf übertragen, das Kindergeld aber nicht angefasst. Steckt eine rechtspolitische Absicht dahinter,
oder wollen Sie das im Beratungsverfahren nachbessern?
Für die Bundesregierung: der Parlamentarische
Staatssekretär Steffen Kampeter aus dem Finanzministerium. - Bitte schön.
Herr Kollege, herzlichen Dank für die Frage. Sie gibt
mir die Möglichkeit, deutlich zu machen, dass der Bundesregierung daran gelegen war, das Verfassungsgerichtsurteil möglichst rasch eins zu eins umzusetzen.
Daher haben die Koalitionsfraktionen in dieser Woche
die politische Rückendeckung für eine Beschlusslage in
der heutigen Kabinettssitzung gegeben.
Die schlanke Lösung, die Sie ansprachen, hängt damit
zusammen, dass wir unmittelbar in den Beratungsprozess eintreten wollen. Sie haben sehr zutreffend analysiert, dass sich daraus weiter gehende Änderungen
ableiten. Wir halten die Vornahme dieser Änderungen
aber für eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode, da
wir der Sorgfaltspflicht in notwendiger und hinreichender Weise gerecht werden wollen. Angesichts der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts dürften keine Benachteiligungen entstehen. Mögliche Folgeänderungen
werden wir in der nächsten Legislaturperiode miteinander beschließen.
Ich gebe noch die Möglichkeit zu einer Nachfrage. Bitte schön.
Ich sehe da ein gravierendes neues verfassungsrechtliches Problem, das Sie schaffen, wenn Sie den Kinderfreibetrag übertragen, aber den Leuten, die keine Steuern
zahlen, das Kindergeld verweigern. Das kann doch
rechtspolitisch nicht Ihr Ernst sein. Man weiß doch, dass
man, wenn man an das eine herangeht, das andere entsprechend anpassen muss.
Herr Kollege, ich wiederhole, dass uns daran gelegen
war, rasch eine schlanke Eins-zu-eins-Umsetzung des
Verfassungsgerichtsurteils vorzunehmen. Wir haben
dafür den schnellstmöglichen Weg gewählt. Selbstverständlich werden von Ihnen angesprochene Fragestellungen im Gesetzgebungsverfahren zu erörtern sein. Die
von Ihnen schlussgefolgerten negativen Entscheidungen
wurden vom Kabinett allerdings nicht getroffen. Ich
habe ausdrücklich deutlich gemacht, dass wir davon ausgehen, dass wir weitere Folgeänderungen im Recht aus
der heutigen Entscheidung des Bundeskabinetts ableiten
werden.
({0})
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich danke auch dem Parlamentarischen Staatssekretär
Enak Ferlemann für die Beantwortung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU und
FDP
Aktuelle Situation in der Türkei
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der
Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. Guido
Westerwelle. - Bitte schön, Herr Außenminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei bereiten uns große Sorgen.
Deswegen ist es gut und richtig, dass der Deutsche
Bundestag sich jetzt in einer Aktuellen Stunde mit der
Situation in der Türkei befasst. Wir wollen dem Ernst
der Lage mit großer Ernsthaftigkeit in der Debatte begegnen.
Die Bilder, die uns vom Taksim-Platz in Istanbul und
aus anderen Städten in der Türkei erreichen, sind verstörend. Dazu gehört der erneute massive Polizeieinsatz bei
der Räumung des Platzes. Die türkische Regierung sendet mit dieser Eskalation das falsche Signal - das falsche
Signal ins eigene Land, aber auch das falsche Signal
nach Europa.
({0})
Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind unveräußerliche Grundrechte in
jeder Demokratie und in jedem modernen Staat.
Jetzt muss sich zeigen, dass sich die Modernisierung
der Türkei nicht nur auf die Wirtschaft beschränkt. Diese
Modernisierung muss auch gesellschaftliche Pluralität
und Bürgerrechte umfassen. Das ist die wohl größte Bewährungsprobe der türkischen Regierung seit Amtsantritt der Partei von Ministerpräsident Erdogan. Die türkische Regierung muss Europa und der Welt zeigen, dass
sie sich von den Grundsätzen leiten lässt, zu denen sie
sich im Rahmen des Europarates verpflichtet hat: Demokratie, Freiheitsrechte und die Herrschaft des Rechts.
({1})
Die Gewalt muss ein Ende haben. Der Konflikt wird
nicht durch harsche Rhetorik, sondern nur durch Dialog
und Deeskalation zu lösen sein. Deswegen möchte ich
um eine differenzierte Debatte bitten und erlaube mir
den Hinweis, dass es in der Türkei sehr differenzierte
Reaktionen gibt. Ich möchte hier ausdrücklich die sehr
besonnene Reaktion von Staatspräsident Gül positiv erwähnen und würdigen. Jetzt geht es darum, dass die Gesellschaft durch eine scharfe Eskalation der Worte und
durch eine Eskalation der Taten eben nicht gespalten
werden darf, sondern dass gesellschaftlicher Zusammenhalt gestiftet werden muss, um die Rechte der Einzelnen
zu schützen.
Ich kann Ihnen versichern, dass die deutsche Bundesregierung durch ihre diplomatischen und konsularischen
Vertretungen die Vorgänge, wie Sie mutmaßlich persönlich wissen, sehr genau verfolgt, nicht nur das, was in
den Nachrichten gesendet wird, die Bilder vom TaksimPlatz, sondern auch weitere Vorkommnisse, zum Beispiel gegenüber Rechtsanwälten, die zu kostenlosen Verteidigungen und Rechtsberatungen bereit gewesen sind.
Ich denke, dass wir hier keine Differenz zwischen
dem Parlament und der Regierung oder der Opposition
und der Koalition haben. Wir werden gemeinsam, jeder
an seiner Stelle, diese Entwicklungen genauestens beobachten und unsere Sorge zum Ausdruck bringen. Die
türkische Regierung muss jetzt sicherstellen, dass die
Bürger ihre Grundrechte wahrnehmen können. Demonstrationen, wie sie jetzt stattfinden, sind ein Zeichen der
Reifung und der Stärkung der Zivilgesellschaften. Darüber muss man sich freuen, und davor darf man sich
nicht fürchten.
({2})
Ich erwarte, dass Ministerpräsident Erdogan im
Geiste europäischer Werte deeskaliert und einen konstruktiven Austausch und friedlichen Dialog sucht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser Kollege Johannes Kahrs. Bitte schön, Kollege Johannes
Kahrs.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister Westerwelle, Sie haben hier in
Ihrer Rede das Richtige und Notwendige gesagt. Dazu
kann ich Sie nur beglückwünschen. Ich glaube, dass die
Situation in der Türkei so ernst ist, dass es wichtig ist,
dass wir als Deutscher Bundestag und die Bundesregierung gemeinsam das Signal an die Regierung Erdogan
aussenden, dass diese Zustände nicht tolerabel und nicht
haltbar sind.
({0})
Ich glaube, dass ganz besonders zu betonen ist, wie
wichtig es für uns ist, dass sich die Türkei jetzt nicht
spaltet. Wir alle kennen die innere Verfasstheit der Türkei, die Aufteilung nach Regionen, nach Nationalitäten,
nach Religionen. Wenn man sich die Situation in Syrien
und im Libanon anschaut, dann weiß man, dass genau
das in der Türkei nicht passieren soll und darf. Wichtig
ist, dass sich die Türkei als Ganzes findet und ihren Weg
nach Europa weiter fortsetzt.
({1})
Wenn man sich die Entwicklung anguckt, dann stellt
man fest - das ist eben dargestellt worden -, dass die Demonstrationen eher ein Zeichen dafür sind, dass sich die
Türkei in die richtige Richtung entwickelt, dass sich eine
Bürgergesellschaft, eine Zivilgesellschaft entwickelt,
dass dies aber auch das Ergebnis des jahrelang andauernden Beitrittsverfahrens ist; der EU-Beitritt der Türkei
wurde ja von großen Teilen dieses Hauses angestrebt. In
der Vergangenheit hatten wir durch das EU-Beitrittsverfahren immer auch die Möglichkeit, in der Türkei für die
Werte zu werben, für die Europa steht und für die die
Demonstranten kämpfen. Diese Werte fordern wir nicht
nur ein, sondern wir hoffen auch, dass sie sich in der
Türkei am Ende durchsetzen werden.
({2})
Die Türkei ist eine Demokratie auf dem Weg nach
Europa. Deswegen haben wir es als sehr bedauerlich erachtet, dass der EU-Beitrittsprozess von Sarkozy und
Frau Merkel gestoppt wurde, dass das Signal Europas an
die Türkei war: Wir wollen euch nicht.
({3})
Eine privilegierte Partnerschaft alleine hat nicht gereicht; diese Diskussion haben wir auch in der DeutschTürkischen Parlamentariergruppe geführt. Wichtig ist,
heute zu sagen, dass der EU-Beitrittsprozess weiter
gewollt wird, dass wir die Türkei auffordern, ihn weiter
voranzutreiben, dass wir uns wünschen, dass auch die
europäischen Staaten diesen Prozess weiter vorantreiben.
({4})
Keiner will die Türkei, so wie sie jetzt ist - eins zu
eins -, als Mitglied der Europäischen Union. Aber wir
alle wollen, dass es einen Beitrittsprozess gibt, und zwar
deshalb, weil Europa eine Wertegemeinschaft ist. Wir
wollen, dass der Beitrittsprozess die Türkei in die richtige Richtung führt und in der Türkei eine Entwicklung
befördert, die es uns erlaubt, die Türkei als Mitglied der
Europäischen Union begrüßen zu können. Dieser Weg
ist lang, und er wird hart, insbesondere für die Türkei.
Sie wird sich in vielen Punkten ändern und weiterentwickeln müssen. Ich glaube, jede Form der Unterstützung
ist dort wichtig. Die Werte, die die Demonstranten einfordern, sind zu einem wesentlichen Teil die Werte, die
auch im Rahmen des Beitrittsprozesses eingefordert
werden.
Da ich gerade Claudia Roth sehe, möchte ich sagen:
Bei unseren vielen Besuchen in der Türkei haben wir in
Anbetracht des Beitrittsprozesses immer wieder einfordern können, dass es in der Türkei zu Veränderungen
kommt, zu Veränderungen, die in die richtige Richtung
gehen und gegangen sind, auch zu Zeiten von AKP und
Erdogan. Das hat sich am Ende aber alles falsch entwickelt. Da ein EU-Beitritt als nicht mehr realistisch angesehen wird, gibt es bei den Menschen in der Türkei keine
Mehrheit für den Beitrittsprozess mehr; sie ist gebrochen. Die Zustimmung ist nicht mehr so groß wie früher.
Wenn die Menschen den Glauben daran verlieren, irgendwann einmal Mitglied der Europäischen Union sein
zu können, dann ist der Motor für eine positive Veränderung nicht mehr vorhanden.
Es ist an uns allen, an die Menschen in der Türkei das
Signal zu senden, dass wir die Werte, für die sie stehen
und für die sie kämpfen, im Rahmen des Beitrittsverfahrens weiter fördern wollen. Das wird ein schwieriger und
langer Prozess. Es würde mich freuen, wenn wir alle hier
im Deutschen Bundestag dieses Anliegen gemeinsam
vorantreiben und bei diesem Thema zusammenstehen
würden. Minister Westerwelle hat die richtigen Ansagen
gemacht. Ich glaube, wenn wir es schaffen, den Beitrittsprozess voranzutreiben, dann helfen wir der Türkei und
auch uns selber.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Johannes Kahrs. - Nächster
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von CDU und CSU unser Kollege Ruprecht Polenz.
Bitte schön, Kollege Ruprecht Polenz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mit einer Vorbemerkung beginnen. Heute Morgen konnte man in den Zeitungen lesen, dass der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker
Perthes, im Hinblick auf Syrien davor warnt, dass dort
Zustände wie in Somalia eintreten könnten. Analysten,
die sich mit der Region beschäftigen, sehen ein Zerbrechen der - in Anführungszeichen - „Ordnung“, die nach
dem Ersten Weltkrieg ausgehend vom Sykes-PicotAbkommen von 1916 entstanden ist und die wir auf der
Landkarte an den wie mit dem Lineal gezogenen Grenzen erkennen können. Diese Grenzen sind natürlich
nicht gut; sie sind aber - da sind sich bisher alle einig besser als Grenzen, die infrage gestellt sind. Wir stehen
jetzt vor der Situation, dass möglicherweise Syrien zerbricht, der Irak seine staatliche Einheit nicht wirklich
wiederfindet und der Libanon das gleiche Schicksal erleiden könnte. Auch Jordanien steht unter entsprechendem Druck.
In dieser Region ist die Türkei trotz aller Mängel,
über die wir heute leider sprechen müssen, ein demokratischer stabiler Staat. Wir hoffen, dass die Türkei in der
Lage sein wird, die rechtsstaatlichen Defizite, die in den
Ereignissen der letzten Tage noch einmal sehr deutlich
zutage getreten sind, zu überwinden. Diese Defizite sind,
wie man in den Fortschrittsberichten der Europäischen
Union immer wieder nachlesen konnte, auch struktureller Art.
Ich will eine zweite kurze Vorbemerkung machen:
Wenn wir uns heute mit dieser Frage beschäftigen, dann
ist das keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei.
({0})
Aus der Souveränität eines Staates folgt nicht, dass man
die Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte
nicht beachten müsse. Spätestens seit der Wiener Konferenz ist klar: Das geht uns alle an. - Deshalb bringen wir
das hier auch zur Sprache.
Im Falle der Türkei kommt hinzu, dass sie seit 1949
Mitglied im Europarat ist - übrigens ein Jahr länger als
die Bundesrepublik Deutschland - und dass die Türkei
Mitglied der Europäischen Union werden will. Verhandelt wird seit 2005 mit dem Ziel des Beitritts. Die Türkei
ist also aufgefordert - das haben die Vorredner zu Recht
gesagt -, die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der
Demonstrationsfreiheit zu respektieren. Angesichts der
überharten Polizeieingriffe in den zurückliegenden Tagen muss man sagen: Das hat die Türkei nicht getan. Ich fordere dazu auf, diese Vorfälle zu untersuchen und
die dafür Verantwortlichen auch zur Rechenschaft zu
ziehen.
({1})
Wenn man sich anschaut, wie aus einem Protest im
Zusammenhang mit einem sicherlich wichtigen zentralen Platz in Istanbul landesweite Proteste - jedenfalls in
den Städten der Türkei - geworden sind, dann wird deutlich: Es geht auch noch um etwas anderes. Es geht darum, dass es in der Türkei eine wachsende Zivilgesellschaft gibt, die sich nicht bevormunden lassen möchte
und die einen Teil der gegenwärtigen Regierungspraxis
im Allgemeinen und des Ministerpräsidenten im Besonderen als genau diese Art der Bevormundung von oben
herab empfindet und dagegen aufbegehrt. Es ist wichtig,
das anzusprechen; denn wie wir diese ganze Entwicklung beurteilen, hängt damit wesentlich zusammen.
Wenn es in der Türkei gelingen würde, dass alle Seiten
aufeinander zugehen und man die demokratischen
Grundtugenden Toleranz und Kompromissbereitschaft
an den Tag legt, dann besteht die Chance, dass die türkische Demokratie aus dieser Situation gestärkt hervorgeht
und dass Zivilgesellschaft und Staat einander in Zukunft
stärker auf Augenhöhe begegnen, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Was können wir tun? Ich denke, wir müssen den Prozess des EU-Beitritts neu beleben.
({2})
Ich möchte hier ganz bewusst Kapitel 23 - Justiz und
Grundrechte - ansprechen. Dieses Kapitel wäre ideal geeignet, um gerade jetzt mit der Türkei über die notwendigen strukturellen Veränderungen zu sprechen, die in
den Fortschrittsberichten der Europäischen Union immer
wieder angemahnt worden sind. Dort ist zu Recht festgestellt worden, dass es beim Demonstrationsrecht und bei
der Ahndung polizeilicher Übergriffe in der Vergangenheit keine wesentlichen Fortschritte gegeben habe; jetzt
mussten wir erleben, was in den letzten Tagen geschehen
ist. Die Verhandlungen über Kapitel 23 werden gegenwärtig durch Zypern blockiert. Es liegt also an der Europäischen Union selbst, diese Blockade aufzuheben.
({3})
Ich möchte dazu auffordern, auf Zypern in dieser Frage
einzuwirken; denn das Kapitel 23 wird allein von Zypern blockiert.
({4})
In diesem Falle bestünde die Möglichkeit, auch institutionell - über das, was wir in dieser Aktuellen Stunde
ansprechen, hinaus - nachhaltig auf die Türkei einzuwirken.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Ruprecht Polenz. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin
Frau Sevim Dağdelen. Bitte schön, Frau Kollegin
Dağdelen.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Polenz, ich kenne Sie aus dem Auswärtigen Ausschuss als einen sehr integren Vorsitzenden; aber eines muss ich Ihnen - auch angesichts der
Rede meines Kollegen Kahrs - schon sagen: Ihre Illusion über die Türkei verstellt Ihnen den Blick für die
Realität. Die Realität ist eben nicht so, dass es dort
Dinge wie Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und
Pressefreiheit gibt. All das gibt es nicht in der Türkei.
Deshalb gehen dort seit fast zwei Wochen Hunderttausende Menschen auf die Straße. Diese jedoch begegnen
einem Polizeiterror bzw. einem staatlichen Terror. Das
muss meines Erachtens Konsequenzen haben. Sie sollten
Politik nicht an Illusionen ausrichten, sondern an der
Realität in der Türkei.
({0})
Der Polizeiterror auf Befehl des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan hat gestern einen traurigen Höhepunkt erreicht. Wir alle zusammen sollten hier im Bundestag ein Zeichen dagegen setzen und sagen: Herr
Erdogan, stoppen Sie diesen staatlichen Terror gegen die
Demonstranten. - Wir als Linke sind mit der Protestbewegung und den Demonstranten, die für Freiheit,
Rechtsstaat und soziale Gerechtigkeit auf die Straße gehen, solidarisch.
({1})
Nachdem es bisher nicht gelang, diese vielfältige,
bunte, junge, breite und dynamische Protestbewegung
durch staatlichen Terror verstummen zu lassen, sollen
jetzt die einzig noch verbliebenen regierungskritischen
Fernsehsender mundtot gemacht werden. Ihr Vergehen
ist es, dass sie über den Protest der letzten 14 Tage berichtet haben. Dafür soll es jetzt Geldstrafen geben. Ich
finde das unerträglich. An dieser Stelle muss auch ein
klares Signal an Erdogan gesendet werden, dass dieser
Unterdrückungsstaat - der mittlerweile ein islamistischer Unterdrückungsstaat ist - auch vom Deutschen
Bundestag verurteilt wird.
({2})
Auch von Minister Westerwelle sind hier wohlfeile
Appelle in dem Sinne ergangen, dass in der Türkei jetzt
endlich die rechtsstaatlichen Normen umgesetzt werden
müssten. Das alles finde ich ganz toll. Politikerinnen und
Politiker werden aber nicht nur an dem gemessen, was
sie sagen, sondern auch an dem, was sie tun. Was macht
die deutsche Bundesregierung? Diese deutsche Bundesregierung kooperiert polizeilich, militärisch und geheimdienstlich mit der Türkei. Das ist meines Erachtens angesichts dieser harschen Menschenrechtsverletzungen in
der Türkei unverantwortlich. Diese Kooperation mit der
AKP-Regierung - das sagt die Linke ganz klar - muss
beendet werden. Es müssen Konsequenzen folgen.
({3})
Die Menschen in der Türkei gehen nicht nur gegen
eine Politik im Stil eines autoritären Neoliberalismus auf
die Straße, sondern auch gegen die Privatisierungspolitik. Bei ihnen handelt es sich nicht nur um Mitglieder der
Bürgergesellschaft, sondern das ist eine ganz breite Protestbewegung, die Linke ebenso wie Nationalisten einschließt. Sie sind gegen die islamistische Gängelung
durch den Tugendterror der AKP.
Bei meinem Besuch der Demonstranten im Istanbuler
Gezi-Park letzte Woche konnte ich erfahren, dass auch
sie Sehnsucht nach Frieden haben.
({4})
Sie möchten Frieden in der Türkei und eine auf Frieden
zielende Außenpolitik. Sie wollen keinen Krieg gegen
Syrien, und sie verurteilen die Unterstützung Erdogans
für die Al-Qaida-Milizen in Syrien.
Deshalb stehen wir solidarisch hinter dieser Protestbewegung. Die Bundesregierung wie auch die SPD und
die Grünen sollten diese gefährliche Militärpolitik des
Systems Erdogan nicht mehr unterstützen. Deshalb sagt
die Linke - dabei spricht sie auch für die Protestbewegung -: Ziehen Sie endlich die Bundeswehr und die Patriot-Raketen aus der Türkei ab.
({5})
Die Bundesregierung darf nicht länger wegschauen,
meine Damen und Herren. Wir dürfen die Demonstranten nicht länger alleinelassen. Auch dürfen wir das autoritäre AKP-Regime für den Amoklauf gegen Demokratie
und Menschenrechte nicht noch belohnen. Es ist doch
skandalös, dass die EU - auch Sie wollen das - neue
Beitrittskapitel eröffnen möchte. Die Menschen, mit denen ich gerade noch telefoniert habe - das sind die Sprecherinnen und Sprecher der auf dem Taksim-Platz demonstrierenden Solidaritätsbündnisse -, sagen: Das ist
eine Bestrafung der Bevölkerung, ein Schlag ins Gesicht
der Menschen, die dort für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit
und soziale Gerechtigkeit protestieren. - Ja, Sie belohnen die AKP-Regierung damit sogar;
({6})
denn Erdogan geht gestärkt aus dieser Situation hervor,
wenn die EU, wie er sagt, jetzt auch noch weitere Beitrittskapitel aufmacht.
({7})
Die Linke sagt: Angesichts dieser massiven systematischen Menschenrechtsverletzungen müssen die Beitrittsgespräche ausgesetzt werden, Herr Westerwelle.
Diese autoritäre AKP-Regierung darf nicht auch noch
belohnt werden. Das ist die Antwort der Linken auf
diese autoritäre AKP-Politik.
({8})
Lassen Sie mich dem Bundestag zum Schluss noch
einen Vorschlag machen. Ich sage Ihnen: Solidarität
muss sich in konkreten Handlungen ausdrücken. Es darf
nicht nur bei einem wohlfeilen Appell bleiben. Lassen
Sie uns gemeinsam als Deutscher Bundestag an diesem
Wochenende eine parlamentarische Delegation in die
Türkei entsenden, die mehr Öffentlichkeit herstellt und
sich dafür einsetzt, dass endlich statt der Gewalt ein tatsächlicher, wirklicher Dialog mit den Protestierenden
und nicht mit den AKP-nahen Organisationen eröffnet
wird. Lassen Sie uns das tun! Dies wäre ein Schritt in die
richtige Richtung und Ausdruck der praktischen Solidarität mit den Demonstranten. Die Linke ist jedenfalls bereit für diesen konkreten Schritt als Ausdruck unserer
Solidarität.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind mit unseren Herzen bei den Tausenden von
Menschen, die seit 14 Tagen in Istanbul, in Ankara, in
Adana, in Izmir, in Bodrum friedlich demonstrieren. Wir
sind in Gedanken bei den sehr vielen Verletzten und
trauern um die Opfer massiver staatlicher Repression.
Wir klagen brachiale Gewalt und den Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen an, und
wir sind wütend über die brutale Räumung des TaksimPlatzes gestern Abend, auf dem sich Zehntausende von
Menschen friedlich versammelt hatten - darunter sehr
viele Familien.
Erdogan hat gestern im Parlament gefragt - ich zitiere -:
Gibt es etwas, was wir nicht verstanden haben? - Ich
sage: Ja, Tayyip Bey, Sie haben nicht verstanden, dass
die Gewährung demokratischer Grund- und Freiheitsrechte kein Gnadenakt eines Ministerpräsidenten ist.
({0})
Sie haben nicht verstanden, dass das Demonstrationsrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die
Pressefreiheit Grundnahrungsmittel in jeder Demokratie
sind. Sie sperren diese Freiheit hinter Gitter und lassen
die Menschenrechte niederknüppeln. Sie verwechseln
Stärke mit bloßer Gewalt.
({1})
Ein Präsident, der Sie ja werden wollen oder wollten,
darf die türkische Gesellschaft aber nicht spalten, sondern muss sie zusammenführen. Er darf nicht rhetorisch
aufrüsten und, wie gestern wieder, Hass predigen, indem
er Demonstranten kriminalisiert und als Terroristen, von
außen gelenkte Spione und Vandalen bezeichnet.
Sind die jungen Frauen und Männer, die den GeziPark, eine der letzten grünen Oasen in Istanbul, schützen
wollen, die Vandalen, die der Türkei schaden? Schadet
nicht eher eine Politik, die nicht nur 600 Bäume, sondern
auch den demokratischen Protest plattmachen will?
({2})
Sie haben den Kern der neuen Protestbewegung nicht
verstanden, Tayyip Erdogan. Diese neuen Proteste und
ihre Akteure machen Schluss mit dem alten, klassischen
Kultur- und Machtkampf in der Türkei, der die Geschichte des Landes in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt hat: die kemalistische Elite zusammen mit
dem Militär gegen die sogenannten Traditionalisten und
Religiös-Konservativen.
Die aktuellen Proteste zeigen, dass dieses Muster der
Vergangenheit angehört. Sie zeigen, worum es geht: Es
geht gegen den Ausverkauf der Natur, gegen einen radikalen Umbau der Gesellschaft, gegen eine von Beton
überzogene Türkei, gegen riesige Staudammprojekte
und gegen den Bau von AKW in Erdbebengebieten. Es
geht gegen eine neoliberale Strategie ({3})
- warum fühlen Sie sich denn da gleich angesprochen? -,
der die Umwelt und das historische Erbe nichts wert
sind. Vor allem zeigen diese Proteste die Ablehnung eines mehr und mehr autokratischen, autoritären Politikstils, der an die gelenkte Demokratie Putins erinnert.
({4})
Die Menschen auf der Straße kämpfen für eine demokratische Teilhabe aller Bürger und Bürgerinnen in der Türkei, für mehr Selbstbestimmung, für Selbstverwaltung,
für eine rechtsstaatliche, transparente, bürgernahe Justiz.
Vor allem fordern sie die Gewährung demokratischer
Rechte.
Genau das ist doch unser gemeinsames Wertefundament. Dafür gehen die Menschen in der Türkei auf die
Straße. Hier sehen sie ihre Zukunft. Das sehe ich ganz
anders als Sevim Dağdelen. Diese Menschen sehen ihre
Zukunft in einer rechtsstaatlichen Türkei, die gleichberechtigtes Mitglied in der Europäischen Union ist. Dafür
gehen sie auf die Straße. Das müssen wir unterstützen.
({5})
Diese Türkei wird durch Erdogans Politik nicht repräsentiert. Wenn wir von der Türkei sprechen, dann ist
damit nicht Erdogans Politik gemeint. Wer jetzt den Beitrittsprozess abbrechen will, wer jetzt die Türen verschließen will,
({6})
fällt dem demokratischen Protest in den Rücken und
stärkt damit Erdogan.
({7})
Das ist das Gegenteil dessen, was die Linke angeblich
vertritt.
({8})
Genau das wäre ein gefährlich falsches Signal. Ich
stimme absolut mit Ruprecht Polenz überein, der sagt:
Genau das Gegenteil muss jetzt passieren, nämlich eine
Verstärkung des demokratischen Prozesses, indem wir
die Beitrittsperspektive offenhalten.
Was fordern wir? Wir fordern die türkische Regierung
zum sofortigen Ende der Gewalt auf. Wir fordern sie auf,
einen glaubwürdigen Dialog mit den Protestierenden
einzuleiten,
({9})
Claudia Roth ({10})
ernsthafte Gesprächsbereitschaft zu zeigen; denn es geht
darum, dass Politik im Interesse der Menschen und gemeinsam mit den Menschen gemacht wird und nicht in
einer Bulldozer-Logik à la Erdogan.
Nur die Schaffung und die Gewährung von demokratischer Teilhabe aller Menschen in der Türkei kann zum
sozialen Frieden führen, wobei die alten Konflikte, wie
die Kurdenfrage, die Armenierfrage und auch die Frage
der Religionsfreiheit für alle Glaubensrichtungen, weiterhin mit besonderem Augenmerk, mit besonderem
Elan und mit besonderem Krafteinsatz angepackt und
gelöst werden müssen.
Kollegin Roth, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Letzter Satz. - Angesichts dieses Demokratiewachstums und der damit verbundenen Glaubwürdigkeit in
Bezug auf die Beitrittsperspektive wollen wir die Demokraten und Demokratinnen in der Türkei aktiv unterstützen.
({0})
Der Kollege Hans-Werner Ehrenberg hat nun für die
FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in
der Türkei ist besorgniserregend. Die Proteste in Istanbul und in vielen anderen Städten haben in den letzten
Tagen eine gefährliche Dynamik entwickelt, die kaum
vorauszusehen war. Deshalb begrüßt auch die FDPFraktion ausdrücklich diese Aktuelle Stunde; denn sie
gibt uns nicht nur Gelegenheit, Schlüsse aus der aktuellen Entwicklung zu ziehen, sondern vor allem auch die
Chance, unseren Standpunkt hinsichtlich der Türkei zu
überdenken.
Wir alle haben uns in der Vergangenheit viel zu sehr
mit Europa beschäftigt und es darüber versäumt, uns mit
unserem Nachbarn und Partner Türkei ausführlich zu beschäftigen. Dabei gehört die Türkei zu Europa. Das haben wir als FDP schon seit langem erkannt und eine
Politik gefordert, die der Bedeutung dieses wichtigen
Landes gerecht wird.
Erdogans wirtschafts- und reformpolitische Leistungen der letzten zehn Jahre, zu denen im Übrigen auch die
Beschneidung der Macht des Militärs gehört, sind unbestritten. Die wirtschaftliche Reformpolitik hat der Türkei
ein Wachstum und einen Wohlstand beschert, der sie die
Finanzkrise fast unbeschadet hat überstehen lassen.
Die Türkei ist uns aber vor allem seit Jahrzehnten ein
verlässlicher Bündnispartner und seriöser Mittler im Nahen und Mittleren Osten. Ohne die Türkei wären unsere
Beziehungen zu den arabischen Ländern einseitiger und
unsere demokratischen Einflussmöglichkeiten weit geringer. Auch im Bereich der Bürger- und Menschenrechte hat die Türkei trotz der hier zu Recht angebrachten Kritik einige Fortschritte in Richtung Rechtsstaat
und Demokratie getan, zumindest wenn wir die Entwicklung als Ganzes betrachten.
Wir haben allerdings der Türkei in den letzten Jahren
nicht die Anerkennung gegeben, die sie im Grunde verdient hätte.
({0})
Noch schlimmer: Wir haben uns in der Vergangenheit
nicht die Mühe gemacht, eine bessere und engere Form
der Zusammenarbeit nachdrücklich anzubieten. Eine
einzigartige, enge Partnerschaft wäre möglich gewesen
und hätte uns die Chance verschafft, der Türkei beim
Lösen ihrer gesellschaftlichen Probleme behilflich zu
sein.
Es ist allerhöchste Zeit, hier umzudenken, meine sehr
verehrten Damen und Herren. Das gilt natürlich auch für
Präsident Erdogan. Er muss erkennen, dass Wasserwerfer, Tränengas und Verhaftungen das Problem nicht lösen, sondern verschärfen. Er muss bereit sein, vorhandene Konflikte gewaltfrei und konstruktiv auszutragen.
({1})
An der Stelle darf ich ruhig einmal an den klugen
Umgang mit der PKK in den letzten Monaten erinnern.
Dies zeigt, dass Erdogan auch durchaus fähig ist, über
seinen Schatten zu springen.
({2})
In gewisser Weise ist der Aufstand auch eine Folge der
Erdogan’schen Reformen. Denn unter seiner Regierung
hat sich die türkische Zivilgesellschaft entfalten können
wie nie zuvor. Jetzt offenbart sich sehr deutlich, dass
sich große Teile der türkischen Gesellschaft unversöhnlich gegenüberstehen. Das ist nicht allein Erdogans
Schuld. Die Entstehung der Risse in der türkischen Gesellschaft reicht weit in die Zeit vor seinem Regierungsantritt zurück.
Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Türkei ihren
Weg nach Europa findet, ohne dass Teile ihrer Gesellschaft auf der Strecke bleiben. Denn letztendlich sind die
Demonstrationen ein Schrei nach Europa, nach mehr
Freiheit, nach mehr Mitsprache. Es kann eigentlich auch
nur im Interesse der Türkei und der Regierung Erdogan
liegen, diesen Wunsch aufzunehmen und umzusetzen.
Genau hier sind wir jetzt gefragt. Auch wir sollten
über unseren Schatten springen und durch gewisse Vorleistungen der Türkei die Chance und den Anreiz geben,
ihren damals eingeschlagenen Reformweg weiterzugeHans-Werner Ehrenberg
hen. Das ist gut für uns, das ist gut für Europa, und das
ist vor allem gut für die Menschen in der Türkei.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schauen wir uns die Entwicklung in der Türkei in den
letzten Tagen an: Am Anfang ging es „nur“ um einen
Park bzw. um ein Bauvorhaben in Istanbul. Die Menschen haben sich zusammengetan, um friedlich ihre
Meinung kundzutun. Die Polizei hat diese Demonstration unverhältnismäßig gewaltsam niedergeschlagen und
Demonstrierende willkürlich festgenommen.
Die Reaktion der politischen Führung darauf war sehr
zwiespältig: Unter dem internationalen Druck hat sich
Gül entschuldigt und geschworen, es werde nicht mehr
vorkommen. Kurz darauf wurde aber wieder Gewalt gegen die Protestierenden eingesetzt. Letzte Nacht ist der
Taksim-Platz geräumt worden. Nun bietet Erdogan Gespräche mit den Demonstranten an. So kann es nicht gehen.
Aus dem Konflikt um den Park hat sich ein Aufbegehren gegen gesellschaftliche und politische Missstände, gegen eine restriktive, frauenfeindliche Gesetzgebung in der jüngsten Zeit und gegen die Wandlung der
Türkei - so empfinde ich es zumindest - von einem
laizistischen Staat in ein eher autokratisches Gemeinwesen entwickelt, in dem die Religion immer mehr Staatsziel ist.
Was denken Sie: Worüber hat die Presse informiert?
({0})
Mir wurde berichtet, man habe über Pinguine, Kochsendungen und Quizshows berichtet, immer nach dem
Motto: Was man nicht zeigt, das passiert vielleicht auch
nicht. Jedoch über die neuen Medien, über Twitter und
Facebook, wurde öffentlich, was die Regierung und die
regierungstreuen Medien meinten den Bürgern vorenthalten zu müssen. Die Ignoranz der Medien gegenüber
den Ereignissen draußen wurde im Internet heftig diskutiert und kritisiert und über die Grenzen der Türkei hinaus verbreitet. Die Selbstzensur der Fernsehsender erboste neben der ausufernden Gewalt die Menschen. Vor
allen Dingen Schauspieler, Schriftsteller, Musiker und
Intellektuelle prangerten die Berichterstattung an. Daraus hat sich der Konflikt gespeist und weiterentwickelt.
Die Ereignisse in Istanbul, Ankara und anderen Städten der Türkei in diesen Tagen führen uns ein Problem
vor Augen, welches den Kern der sich entwickelnden
türkischen Demokratie grundsätzlich berührt: die eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit sowie die mit
Selbstzensur behaftete Medienlandschaft. Gegen Journalisten, die versuchen, über Proteste vor Ort zu berichten,
geht die Polizei brutal vor; wir haben vorhin davon gehört. Mindestens 14 Journalisten sollen verletzt worden
sein. Die Meinungsfreiheit ist prinzipiell durch 14 Gesetzesparagrafen stark eingeschränkt. 2012 waren mindestens 42 Journalisten und 4 Medienmitarbeiter in der
Türkei inhaftiert. Das war der höchste Wert weltweit.
Den meisten Journalisten werden Straftaten nach dem
umstrittenen Antiterrorgesetz zur Last gelegt. Auf der
Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ rangiert die Türkei auf Platz 154 von 179 Ländern.
Die Medienlandschaft wird dominiert von wirtschaftlichen Interessen und bestimmt durch die Handlanger der
Regierung. Als eine von der Regierung unabhängige
vierte Gewalt kann man das meiner Ansicht nach wirklich nicht bezeichnen.
Was stellen wir in diesem Zusammenhang nun fest?
Ich denke, der EU-Beitrittsprozess hat zweifellos große
positive Entwicklungen in der Türkei angestoßen. Ich
weiß, wovon ich spreche; denn ich kenne die Türkei sowie ihre Politik und Entwicklung schon seit langem. Seit
einigen Jahren aber gerät dieser Prozess ins Stocken. Wir
sorgen uns nun über manche gegenläufige Entwicklung.
Johannes Kahrs hat bereits angesprochen, wie wenig effektiv es wäre, nun den Beitrittsprozess zu stoppen oder
ihn auszusetzen, und zwar gerade vor dem Hintergrund
der aktuellen Entwicklungen. Wer das in der Vergangenheit gefordert hat, sollte in sich gehen und sich fragen,
ob das wirklich die richtige Strategie in der jetzigen Situation ist.
({1})
In den jüngsten EU-Fortschrittsberichten werden vor allem die Defizite bei der Meinungs- und Pressefreiheit,
die zum aktuellen Konflikt in der Türkei geführt haben,
angemahnt. Es geht um die sich verschärfende Situation
der christlichen Kirchen sowie um die Kurden und ihre
kulturellen und sozialen Rechte, mit denen wir uns seit
vielen Jahren befassen. Immer wieder schütteln wir den
Kopf über Urteile, die wir nicht nachvollziehen können,
wie zum Beispiel das Urteil gegen Pinar Selek.
Ich hoffe, dass der Umgang mit den Verhafteten und
den Demonstranten nicht ein weiterer Punkt ist, mit dem
wir uns in den nächsten Jahren befassen müssen. Ich
glaube aber, dass wir den Beitrittsprozess dringend fortführen müssen. Daher ist es mir und meiner Fraktion
umso wichtiger, endlich das Kapitel der Rechtsstaatlichkeit in den Beitrittsverhandlungen anzugehen; Herr
Polenz hat das schon angesprochen. Dies scheint aus
meiner Sicht eine echte Chance zu sein, den Demokratisierungsprozess voranzutreiben. In der aktuellen Situation müssen aber auch Signale der Besonnenheit gesendet werden. Wir sollten uns - da bin ich bei allen, die das
schon angesprochen haben - ganz massiv um die Stabilität in der Region, vor allem mit Blick auf Syrien, sorgen.
Das geht nur in Gesprächen. Man kann nicht einfach sa31180
Angelika Graf ({2})
gen: Wir sprechen jetzt nicht mehr mit euch. - Wir müssen massiv Druck machen und dafür sorgen, dass in Zukunft entsprechende Gespräche stattfinden werden.
({3})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es erreichen uns schlimme Bilder aus Istanbul, Ankara
und anderen Städten der Türkei. Zehntausende Demonstranten hat die Polizei heute Nacht mit Gewalt auseinandergetrieben. Dieses gewaltsame Vorgehen ist ein
massiver Angriff auf die Freiheitsrechte der Bürger, auf
die Meinungsfreiheit, auf die Versammlungsfreiheit und
die Pressefreiheit, auf Grund- und Menschenrechte, zu
deren Gewährung sich die Türkei als Mitgliedstaat des
Europarats verpflichtet hat.
Deswegen müssen wir schon den Finger in diese
Wunde legen. Wir beobachten hier ein zunehmend autoritäres Regime, das die Grund- und Menschenrechte von
friedlichen Demonstranten und von regierungskritischen
Journalisten missachtet und diese Leute nach dem eigenen Antiterrorgesetz verfolgt. Die Botschaft dieser Stunden muss lauten: Die Europäische Union steht auf der
Seite der Freiheit und auf der Seite des Rechts.
({0})
Es müssen nun alle, die daran mitwirken können, einen Beitrag dazu leisten, diese Auseinandersetzung zu
deeskalieren, einen Dialog in Gang zu setzen. Das geht
auch uns etwas an. Die Türkei ist unser Partner im
Europarat, in der NATO, in den Beziehungen zur Europäischen Union, und diese Beziehungen müssen wir jetzt
nutzen; denn wenn Partnerschaft etwas wert sein soll,
dann jetzt. Jetzt besteht unsere Aufgabe darin, klare Erwartungen an die türkische Seite zu formulieren.
Erdogan hat in den letzten Tagen mehrfach Gespräche
mit den Demonstranten angekündigt. Bevor diese für
heute in Aussicht gestellten Gespräche stattgefunden haben, wurden die Demonstrationen mit Gewalt aufgelöst.
Das ist keine Basis für einen Dialog. Erdogan hat seine
Glaubwürdigkeit im Kern infrage gestellt, weil auf sein
Wort derzeit offenbar kein Verlass ist.
({1})
Deswegen muss die klare Botschaft sein: Erdogan muss
einlenken, wenn die Eskalation gestoppt werden und ein
Dialog in Gang kommen soll.
({2})
Auch wir als Europäische Union müssen konsequent
sein, damit wir glaubwürdig bleiben können. Die Türkei
ist offenkundig noch nicht reif für einen Beitritt zur Europäischen Union. Wir verzeichnen eher Rückschritte
und keine Fortschritte. Diese klare Analyse darf man
nicht ignorieren. Es gibt gravierende Verstöße gegen
Grund- und Menschenrechte von Demonstranten und
Journalisten, Religionsfreiheit wird nicht gewährleistet.
Ich bin der Meinung: Wir dürfen diese Vorkommnisse
nicht auch noch dadurch belohnen, dass wir ein weiteres
Kapitel in den Beitrittsverhandlungen eröffnen,
({3})
sondern wir sollten kritisch überprüfen, ob wir auch die
nötige Distanz zu der Regierung Erdogan halten.
({4})
Wir sollten uns bemühen, dies alles einmal aus der
Perspektive der Demonstrantinnen und Demonstranten
auf den Plätzen zu betrachten. Denn welche Botschaft
wird denen vermittelt? Wir dürfen doch nicht den Demonstranten den Eindruck vermitteln, dass wir Erdogan
einen Freibrief ausstellen,
({5})
sondern wir müssen ein Stoppschild gegen dieses gewaltsame Vorgehen aufstellen.
({6})
Deswegen halte ich es für notwendig, dass wir ein Signal
für Freiheit und Recht setzen, ein Signal für Meinungsfreiheit, für Versammlungsfreiheit, für Pressefreiheit und
für Religionsfreiheit.
({7})
Deswegen wäre jetzt der Zeitpunkt, um die Beitrittsverhandlungen zumindest auszusetzen und dieses Signal
für Recht und Freiheit zu setzen.
({8})
Es ist doch jetzt nicht die Zeit für einseitige Vorleistungen der Europäischen Union an die Türkei, sondern wir
müssen im Gegenteil klarmachen, dass es die türkische
Regierung ist, die jetzt liefern muss; sie muss von den
Rückschritten Abstand nehmen und zu Fortschritten gelangen.
({9})
Deswegen plädiere ich sehr dafür, unmissverständlich
klarzumachen, dass wir hinter den friedlichen Demonstranten stehen und sie auf ihrem Weg zu Demokratie, zu
Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei
unterstützen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Der Kollege Lars Klingbeil hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bilder, die uns in den letzten zwei Wochen aus der Türkei erreicht haben, haben uns, glaube
ich, alle schockiert. Ich begrüße es ausdrücklich, dass
wir heute in einer Aktuellen Stunde über die aktuelle Situation in der Türkei diskutieren. Die überzogene Härte
durch die Polizei und den türkischen Staat werden wir
hier kritisch diskutieren. Das haben wir gezeigt. Wir sind
der Meinung: Diese überzogene Härte, die wir erlebt haben, hat in einem demokratischen Staat nichts zu suchen.
Das autoritäre Auftreten des Ministerpräsidenten der
Türkei hat die Lage verschärft, anstatt sie zu beruhigen.
Es ist gut, dass aus dieser Aktuellen Stunde ein deutliches Signal an die friedlichen Demonstranten in der Türkei geht: dass wir an ihrer Seite stehen, wenn es darum
geht, für die Rechte in der Türkei zu kämpfen.
({0})
Sehr geehrte Kollegen, es macht Mut, die jungen
Menschen in der Türkei auf der Straße zu sehen. Die Zusammensetzung und Vielfalt der Demonstranten zeigt,
dass es hier nicht um einzelne Strömungen oder einzelne
Gruppen geht. Es sind verschiedene gesellschaftliche
Schichten mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen, die dort gemeinsam auf die Straße gehen, und
das nicht nur in Istanbul und Ankara, sondern in allen
Regionen und Provinzen des Landes. Sogar die Fans der
drei großen Istanbuler Fußballvereine haben sich zusammengetan - das ist eine besondere Situation -, und sie
demonstrieren gemeinsam für mehr Demokratie, für
Freiheitsrechte und für ein Ende der übertriebenen Härte
durch die Polizei.
Es geht auch nicht länger um die Frage von 600 Bäumen auf dem Taksim-Platz. Das harte Vorgehen der
Regierung gegen die jungen Demonstranten hat dazu geführt, dass sich in der türkischen Gesellschaft etwas entladen hat: Wir sehen, dass die Regierungspolitik als Ganzes infrage gestellt wird. Es geht um die Polarisierung in
der türkischen Gesellschaft. Es geht um Intransparenz
und um undemokratisches und autoritäres Verhalten. Die
Demonstranten haben das Gefühl, an ihnen werde vorbeiregiert. Hier setzt gerade die junge Generation ein deutliches Signal und kämpft für Veränderungen.
Die unter 30-Jährigen in der Türkei bilden 50 Prozent
der Gesellschaft, und sie kämpfen für Demokratie. Sie
wollen Demokratie, sie wollen Freiheit, und sie wollen
diese Freiheit verteidigen. Sie organisieren sich über
Facebook und Twitter und formulieren ganz deutlich den
Anspruch auf eine freie und demokratische Gesellschaft.
Ich sage Ihnen: Wir müssen an ihrer Seite stehen, wenn
es um diesen Kampf in der Türkei geht.
({1})
Für uns sollten daraus drei Punkte folgen:
Erstens. Die Menschen, die gerade in der Türkei
friedlich demonstrieren, gehen für Werte auf die Straße,
die auch unserem Verständnis von Demokratie entsprechen.
({2})
Sie gehen für die Meinungsfreiheit auf die Straße, für
das Recht auf Versammlungen, für das Recht auf freie
Berichterstattung, und sie kämpfen für eine freie Zivilgesellschaft. Diesen friedlichen Kräften müssen wir als
Parlament in aller Deutlichkeit sagen: Wir stehen an
eurer Seite. Wir teilen euren Wunsch nach Freiheit und
Demokratie. Wir unterstützen euch.
({3})
Zweitens. Wir als Parlament müssen unsere Bundesregierung auffordern, den Druck auf Ministerpräsident
Erdogan zu erhöhen, damit es einen ernsthaften Dialog
mit den Demonstranten gibt. Es muss in der Türkei zu
tiefgreifenden Reformen kommen. Das politische System und das Vorgehen der Sicherheitsbehörden müssen
sich an demokratischen Maßstäben messen lassen. Ich
füge auch an: Erdogan hat in den letzten Wochen versagt, wenn es darum ging, eine Vorbildfunktion in der
Region im Umgang mit Demonstranten und im Umgang
mit der politischen Opposition zu erfüllen.
({4})
Drittens. Wir müssen der Türkei eine deutliche, eine
klare europäische Perspektive aufzeigen. Da geht es
nicht um weniger europäische Perspektive, wie es mancher in der Diskussion heute gesagt hat, sondern um
mehr europäische Perspektive.
({5})
Selbst Mitglieder der Regierungsfraktionen haben sich
über Ihre Türkei-Politik in den letzten Jahren kritisch
geäußert. Die „privilegierte Partnerschaft“ gehört in
meinen Augen an dieser Stelle beerdigt. Wir müssen
endlich über eine ernsthafte europäische Beitrittsperspektive für die Türkei reden.
({6})
Herr Silberhorn, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, an dieser Stelle friedlich zu bleiben. Aber ich will
schon sagen: Wenn Sie davon sprechen, dass es um Belohnung geht, dann offenbart das ein Verständnis, das
doch nicht unseres sein kann.
({7})
Es geht darum, dass in Europa Menschen mit den gleichen Wertvorstellungen zusammenwachsen. Daher ist
die Zeit vorbei, wo die Deutschen in Europa Belohnungen verteilen; so ähnlich war Ihre Wortwahl. Ich bin
schockiert darüber. Ich denke, wir sind da weiter in der
Diskussion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was soll es für ein
Signal an die Demonstranten sein, wenn wir sagen: „Wir
wissen, ihr geht für dieselben Werte wie wir auf die
Straße“, aber wenn wir dann auch sagen: „Wir machen
die Tür an dieser Stelle zu“? Das ist das falsche Signal.
Noch einmal: Es geht um mehr Europa und nicht um
weniger. Das muss doch Linie des Parlaments, der Bundesregierung sein. Hier bitte ich um Unterstützung.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({8})
Das Wort hat der Kollege Gunther Krichbaum für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bilder, die uns gegenwärtig aus der Türkei erreichen, erfüllen uns mit großer Sorge. Sie dürfen uns nicht
gleichgültig sein, und sie sind uns auch nicht gleichgültig, wie allein schon die Aktuelle Stunde heute Nachmittag beweist. Es wurde schon mehrfach angesprochen:
Der geplante Bau eines Einkaufszentrums auf dem Gelände des Gezi-Parks ist nur der Anlass, aber keinesfalls
die Ursache dessen, was wir hier erleben. Es ist eine Protestbewegung, die erfüllt ist von der Sorge, dass genau
das infrage gestellt wird, was sich an politischer Entwicklung in den letzten 20 Jahren in der Türkei vollzogen hat. Nach einer schwierigen Geschichte, geprägt von
einer Militärdiktatur, befand sich die Türkei auf einem
guten Weg der Demokratisierung. Viele fürchten, dass
genau das, was mühsam erkämpft wurde, jetzt infrage
gestellt wird.
({0})
Es geht für die Zukunft um viel; denn das, was wir
heute erleben, bestimmt letztlich den Kurs der Türkei
über die nächsten Wochen, Monate und Jahre. Es geht
um die Positionierung eines ganzen Landes, eines
Schlüssellandes für die gesamte Region.
Wer sich anschickt, nach Europa, in die Europäische
Union zu gehen, ihr Mitglied zu werden, der muss auch
bereit sein, die Werte dieser Europäischen Union zu
teilen, Werte wie - um nur einige zu nennen - Rechtsstaatlichkeit und Friedenswahrung, aber natürlich auch
Demokratie. Demokratie setzt Teilhabe voraus, setzt
Pressefreiheit voraus; ohne Pressefreiheit natürlich keine
Meinungsfreiheit, ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie.
„Taksim“ heißt übersetzt letztlich nichts anderes als
„Teilung“. „Taksim“ könnte auch weiter interpretiert
werden, nämlich als eine Spaltung, die hier droht, die
Spaltung einer ganzen Gesellschaft. - Was die Übersetzung angeht, habe ich übrigens vor allem die Hilfe
meines Kollegen Kilic in Anspruch genommen. - Wir
dürfen genau diese Spaltung der Gesellschaft nicht zulassen.
Es wäre jetzt sicherlich falsch, eine Art TürkeiBashing zu betreiben - darum darf es nicht gehen -, dies
würde vor allem viele in Mithaftung zu nehmen, die genau die gegenteilige Entwicklung der Türkei wollen.
({1})
Es wäre, glaube ich, auch ein Fehler, die Regierung
Erdogan jetzt in Bausch und Bogen zu verurteilen; die
Sache liegt etwas differenzierter. Diese Regierung wurde
in demokratischen Wahlen wiederholt an die Macht gewählt. Aber es ist wichtig, zu erklären, was Demokratie
bedeutet: die Respektierung auch einer Minderheit. Es
darf nicht sein, dass die Mehrheit die Minderheit ignoriert, diese geradezu an die Wand drückt. Es entspricht
jedenfalls auch nicht unserem Demokratieverständnis,
wenn Ministerpräsident Erdogan fortwährend von
„unsere 50 Prozent“ spricht und die Protestbewegung
geradezu verunglimpft. Es werden Behauptungen aufgestellt wie die, dass die Demonstranten in den Moscheen
Alkohol trinken würden bzw. Frauen mit Kopftüchern
angreifen würden. Hier wird Stimmung gemacht, und
genau das dürfen wir an dieser Stelle nicht zulassen.
({2})
Wir dürfen auch nicht zulassen, wie hier Politik verstanden wird. Ministerpräsident Erdogan macht Politik
als Machtpolitik. Auch das ist nicht das Verständnis, das
wir von Politik haben.
Wie können die Konsequenzen aussehen? Ich denke,
ein Abbruch der Beitrittsgespräche wäre nicht das richtige Signal.
({3})
Leere Stühle führen keine Verhandlungen. In diesem
Moment würden wir uns der Einwirkungsmöglichkeiten
begeben, die wir an dieser Stelle aber brauchen. Es wird
wichtig sein, dass die Europäische Union mit einer
Stimme spricht. Es kann geradezu eine Sternstunde der
Europäischen Union werden, wenn wir hier mit einer abgestimmten europäischen Haltung aufwarten können.
({4})
Diese Signale müssen kommen. Es müssen auch
Signale aus der Türkei selbst kommen. Dann haben wir
die Chance, dass „Taksim“ noch in einer anderen Bedeutung gelesen werden kann, nämlich in der altosmanischen. Da bedeutet „Taksim“ nämlich „Einleitung“.
„Taksim“ kann auch die Einleitung eines demokratischen Prozesses bedeuten, den die ganze Region in jedem Fall dringend braucht.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Djir-Sarai für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir sind alle empört über die Bilder, die uns
derzeit aus der Türkei erreichen. Wir sind geschockt
über das Ausmaß der Gewalt, die dort stattfindet. Die
Demonstrationen auf dem Taksim-Platz haben friedlich
begonnen. Sie sind - das wissen wir inzwischen alle mittlerweile in heftige Auseinandersetzungen zwischen
der Polizei und den Protestierenden ausgeartet. Das besorgt uns alle sehr. Das muss uns auch besorgen. Dazu
muss hier in diesem Haus Stellung bezogen werden. Mit
dieser Aktuellen Stunde machen wir das. Es ist allerdings wichtig, dass wir diese Diskussion ohne Häme und
ohne Emotionen, sondern sachlich und nüchtern führen.
Frau Kollegin Dağdelen, ich möchte noch etwas zu
Ihrer Rede sagen.
({0})
- Selbstverständlich. - Wir beobachten selbstverständlich die Ausschreitungen in Istanbul und in anderen Teilen der Türkei. Aber man kann ja die Ereignisse in der
Türkei nicht mit dem arabischen Frühling gleichsetzen.
({1})
In Nordafrika und in der arabischen Welt lehnten sich
die Menschen gegen jahrzehntewährende autoritäre
Herrschaften auf. Dort sind die Menschen regelrecht unterdrückt worden. Das können Sie nicht mit der Situation
in der Türkei vergleichen. Das ist in der Türkei definitiv
nicht der Fall.
({2})
Die Türkei hat auf dem Weg zu einer demokratischen
Gesellschaft noch viele Herausforderungen vor sich. Sie
muss noch viele Probleme lösen. Aber insgesamt kennen
wir die Türkei als ein modernes, freundliches und dynamisches Land. Ich kann nur hoffen, dass sie auch nach
den Demonstrationen ein solch modernes und dynamisches Land bleibt.
Die anhaltenden Proteste sind viel eher Ausdruck eines demokratischen Verständnisses, an öffentlichen und
politischen Entscheidungen teilhaben zu wollen. Demonstrationen gehören zu einer offenen, demokratischen
Gesellschaft. Gerade deswegen bitten wir beide Seiten
- die Demonstranten wie die Sicherheitskräfte -, sich zu
mäßigen, sich zu beruhigen und endlich mit dem friedlichen Dialog zu beginnen. Das ist jetzt das Entscheidende, meine Damen und Herren.
({3})
Die Türkei ist ein stolzes Land, und sie hat auch allen
Grund dazu. In den letzten zehn Jahren hat sie eine
enorme Entwicklung hinter sich gebracht, wirtschaftlich
wie gesellschaftlich. Sie gilt als das Vorbild in Nordafrika und in der arabischen Welt, weil sie Demokratie
und eine islamisch geprägte Kultur modern vereint und
damit sehr erfolgreich ist. Die Demokratie ist das Fundament, auf dem dieser Erfolg ruht. Wenn die türkische
Regierung jetzt endlich mit den Demonstranten des Taksim-Platzes in den friedlichen Dialog einträte, wäre dies
ein weiterer Grund für die Türken, stolz auf ihr Land zu
sein. Es wäre nicht nur ein richtiger Schritt in der Gegenwart, sondern auch der richtige Schritt in eine weiterhin
erfolgreiche Zukunft.
Wir in Deutschland verstehen uns als enger Freund
der Türkei. Unter Freunden wird das offene Wort geschätzt. Europa ist eine demokratische Wertegemeinschaft. Die schrecklichen Bilder aus der Türkei sind daher für uns nicht akzeptabel. Das muss ganz deutlich
gesagt werden. Daher bitten wir alle Beteiligten, Gewalt
unter allen Umständen zu vermeiden. Unsere Botschaft
an die türkische Regierung lautet daher: Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind fundamentale Prinzipien eines demokratischen Staates. Einschränkungen
der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind nicht hinnehmbar. Bürgerrechte sind nicht nur zu achten, sie müssen auch in der Türkei gewährleistet sein.
({4})
Meine Damen und Herren, eine besondere Verantwortung, die Lage zu beruhigen, trägt natürlich auch der türkische Ministerpräsident Erdogan; viele Redner haben
darauf hingewiesen. Ich muss gestehen, dass ich die derzeitige Rhetorik des türkischen Ministerpräsidenten
nicht nachvollziehen kann. Ministerpräsident Erdogan
muss gerade in dieser schwierigen Situation der Ministerpräsident aller Türken sein und darf nicht durch einseitige Rhetorik das Land spalten. Die jetzigen Proteste,
die auf eine allgemeine Unzufriedenheit hindeuten,
sollte die Regierung eher als Chance statt als Bedrohung
wahrnehmen. Es ist die Chance, die Demokratie in der
Türkei zu stärken. Es ist die Chance, der internationalen
Gemeinschaft zu zeigen, wie selbstverständlich sich ein
islamisches Land zur Demokratie bekennt und sie auch
lebt.
({5})
Ich gebe zu: Die Proteste sind eine harte Probe für die
Türkei. Ich bin aber zuversichtlich, dass die türkische
Regierung diese Probe zusammen mit der türkischen Gesellschaft am Ende des Tages bestehen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung
machen: Mit Blick auf die Bilder aus der Türkei fühlen
sich in diesen Tagen all diejenigen bestätigt, die immer
der Meinung waren, die Türkei gehöre nicht nach Europa, und benutzen diese schrecklichen Bilder als Beweis dafür. Das ist falsch, und das ist unklug.
({6})
Herr Kollege Silberhorn, ich schätze Ihre Analyse
und Ihre Einschätzung. Ich glaube aber: In dieser Situation sollte Europa genau das Gegenteil tun. Gerade in
dieser Situation braucht die Türkei die europäische Perspektive. Gerade in dieser Situation sollte Europa auf die
junge türkische Generation vertrauen, die gerade zeigt,
dass die Türkei und Europa zu einer Wertegemeinschaft
gehören.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Hartwig Fischer für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin der festen Überzeugung, dass Rückschläge uns
nicht entmutigen dürfen. Das hat sich in der Vergangenheit auch gezeigt.
Es hat im deutsch-türkischen Verhältnis immer wieder Rückschläge gegeben. Ich erinnere an den Versuch
im Jahre 1997, das syrisch-orthodoxe Kloster Mor
Gabriel zu schließen. Ich erinnere daran, dass man dort
den Sprach- und Religionsunterricht verhindern wollte.
Der Dialog hat dazu geführt, dass der Unterricht trotz
der schwierigen Situation weitergeführt werden konnte.
2008 hat es erneut Ansätze staatlicher Repression gegeben, als versucht wurde, das Kloster zu enteignen. Wir
haben erlebt, dass die Bundesregierung und alle Fraktionen sich hinter dieses Kloster gestellt und durch Dialog
etwas erreicht haben. Wir haben erlebt, dass im März
2003 vier Stiftungen eingeschüchtert wurden, indem
man gerichtlich gegen sie vorgegangen ist. Dazu gehörte
auch die Orient-Stiftung, es ging also nicht nur um die
politischen Stiftungen.
Wie steht es in der Verfassung für Europa? Das Erbe
Europas ist, sich zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Rechten der Menschen sowie zu Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle
Werte zu bekennen. Europa will ein Kontinent bleiben,
der für Kultur, Wissen und sozialen Fortschritt offen ist.
Europa will Demokratie und Transparenz als Grundlage
seines öffentlichen Lebens stärken und auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt hinwirken.
Von dem Anspruch auf die Mitgliedschaft in der europäischen Familie mit allen Rechten und Pflichten entfernt sich Herr Erdogan nach meiner Überzeugung im
Augenblick. Er handelt entgegen den Interessen seines
Volkes und der Zivilgesellschaft. Das schadet. Es nützt
aber nichts, in Rhetorik zu verfallen. Es nützt nur, auf
beide Seiten zuzugehen und den Dialog zu führen. Denn
wir wissen, dass die Frage der Mitgliedschaft der Türkei
in der Europäischen Union in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland noch immer umstritten ist. Wir
müssen auch die eigene Bevölkerung mitnehmen, wenn
wir in dieser Frage weiterkommen wollen.
Ich sage: Es ist schändlich, dass jetzt die sozialen
Netzwerke in der Türkei einfach abgeschaltet werden.
Das ist eine Entwicklung, die wir während des arabischen Frühlings auch erlebt haben. Man versucht, Meinungsfreiheit und Transparenz, die Bewegung in alle
Welt transportieren, abzuhacken. Das wird nicht gelingen. Es bedeutet, dass von politischer Seite versucht
wird, Entwicklungen, die von einem Volk getragen werden, und deren Veröffentlichung zu verhindern.
Ich appelliere von meiner Seite mit unseren Kolleginnen und Kollegen - ich glaube, mit allen im Parlament -,
dass diese sozialen Netzwerke wieder freigeschaltet werden. Soziale Netzwerke können dazu benutzt werden,
Demokratie zu stärken. Gleichzeitig können sie, wie wir
sehen, auch Gefahren entwickeln, weil nicht alles, was
in sozialen Netzwerken richtig ist, die Grundlage für tatsächliches Handeln und tatsächliches Vorgehen ist.
Frau Dağdelen, ich wünsche Ihnen, dass Sie sich
nicht zu Trittbrettfahrern und Scharfmachern entwickeln. Wir müssen dem, was dort stattfindet, eine eigene
Entwicklung ermöglichen, und sollten nicht versuchen,
von außen auf die Zivilgesellschaft einzuwirken.
({0})
Wir können sie unterstützen, indem wir im Dialog mit
den Verantwortlichen aus der Politik deutlich machen,
dass wir die Tür nicht zuschlagen, weil es die Tür ist,
durch die in Zukunft die Bevölkerung der Türkei nach
Europa kommen soll.
({1})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
Bericht und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2012
- Drucksache 17/13660 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppierungen im Plenarsaal jetzt zügig vorzunehmen, sodass
ich dann die Aussprache geordnet eröffnen kann.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Vorsitzende des Petitionsausschusses, die Kollegin Kersten
Steinke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Ausschussdienstes! Seit 2006 habe ich einen Traum: Ich
träume davon, dass der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages seinen Jahresbericht am Donnerstagvormittag zur Kernzeit vortragen darf.
({0})
Leider hat sich mein Traum auch in diesem Jahr nicht erfüllt, aber ich werde ihn mir auf jeden Fall bewahren. Ich
möchte mich trotzdem ganz herzlich beim Präsidenten,
Herrn Lammert, und bei den Parlamentarischen Geschäftsführern aller Fraktionen dafür bedanken, dass ich
der Verwirklichung meines Traums mit der heutigen Debatte zu dieser Uhrzeit etwas näher gekommen bin.
({1})
Man sollte bedenken, dass der Petitionsausschuss seit
nunmehr 64 Jahren eine Art Innenrevision unseres
Grundgesetzes durchführt. Insofern bleibt zu hoffen,
dass diese Rolle endlich durch eine angemessene Platzierung auf der Tagesordnung gewürdigt wird.
Zwei Zahlen prägten die Arbeit des Petitionsausschusses im Jahr 2012 in besonderer Weise. Die erste
Zahl ist die Zahl der Gesamteingaben: 15 724 Petitionen
wurden im Berichtsjahr eingereicht. 6 748 davon gingen
auf elektronischem Weg ein; das sind 43 Prozent der Gesamteingaben, womit der Anteil an online eingereichten
Petitionen - die Möglichkeit besteht seit 2005 - einen
neuen Spitzenwert erreicht hat. Der Trend, dass jedes
Jahr mehr Bürgerinnen und Bürger das Internet nutzen,
um sich mit ihren Anliegen an das Parlament zu wenden,
setzt sich also fort.
Die zweite prägende Zahl ist weitaus imposanter:
1,4 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben sich bis
Ende 2012 auf der Internetseite des Petitionsausschusses
angemeldet, um auf elektronischem Weg eine Petition
einzureichen, eine öffentliche Petition mitzuzeichnen
oder auch zu diskutieren. Diese Zahlen zeigen: Der Petitionsausschuss hat in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert, und das Vertrauen in seine Arbeit ist gewachsen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses
Vertrauen gilt es jedes Jahr aufs Neue zu rechtfertigen
und vor allem auch zu stärken.
Eine uns häufig gestellte Frage ist die nach der Anzahl der positiv erledigten Eingaben. Diese Frage kann
man nicht mit einer absoluten Zahl beantworten, weil in
manchen, oft sehr komplexen Fällen zumindest Teilerfolge erzielt werden konnten. Jedoch können wir mehr
als ein Drittel der Vorgänge im Berichtsjahr im weiteren
Sinne als positiv erledigt ansehen, wobei oftmals schon
ein Rat, eine Auskunft oder ein Verweis auf die richtige
Institution geholfen hat.
Von den 15 724 Petitionen entfiel knapp ein Viertel
der Gesamteingaben, also 3 379 Vorgänge, auf das Ressort Arbeit und Soziales. Wie auch in den Vorjahren belegt es damit den Spitzenplatz unter den betroffenen
Bundesministerien; denn wenn es um Beruf, Einkommen, gerechte Renten und angemessene Hilfe geht,
kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Staat
und Bürgern. Allein zum Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung gab es 1 468 Petitionen. Hier ging es
zum Beispiel um die bisher unterbliebene Ost-WestRentenangleichung.
Auf dem zweiten Platz folgt das Bundesministerium
der Justiz mit 2 072 Eingaben, also 13 Prozent der gesamten Eingaben. Hier fordert ein Petent zum Beispiel
eine höhere Freiheitsstrafe für Angriffe auf Nothelfer.
Auslöser hierfür war unter anderem der brutale Angriff
auf einen jungen Mann am Alexanderplatz in Berlin, der
einem anderen zu Hilfe kommen wollte und dafür mit
dem Leben bezahlt hat. Der Petent fordert, solche Nothelfer unter den besonderen Schutz des Gesetzes zu stellen. Seine Petition wurde von Hunderten von Bürgerinnen
und Bürgern unterstützt. Nach Klärung des Sachverhalts
stellte der Petitionsausschuss zwar fest, dass Angriffe
auf Nothelfer schon jetzt hart bestraft werden können,
doch hielt er es für denkbar, die Nothilfe explizit als weitere Variante in den Straftatbestand der gefährlichen
Körperverletzung aufzunehmen. Als Anregung für mögliche Initiativen wiesen wir die Regierung und die Fraktionen auf diese Petition hin.
Neben seinen 23 regulären Sitzungen hat der Ausschuss 28 Berichterstattergespräche mit einzelnen Regierungsvertretern der Ministerien geführt, um Lösungen für schwierige Fälle zu finden. Hier wurden zum
Beispiel das Bankenwesen, der Lärmschutz im Luftver31186
kehr und die Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts thematisiert.
Hervorzuheben sind die vier öffentlichen Sitzungen,
in denen zwölf Petitionen in Einzelberatungen aufgerufen wurden. Themen waren unter anderem: die Vergütung von medizinischen Leistungen, die bedarfsgerechte
Versorgung mit Hospizplätzen, der Schutz von landwirtschaftlichen Nutzflächen, das Urheberrecht, das europaweite Verbot der Vorratsdatenspeicherung und die Einrichtung von Masterstudienplätzen.
In drei Fällen führte der Ausschuss Ortstermine
durch. Gemeinsam mit den Petenten und den Vertretern
der zuständigen Verwaltungen wurden die Liegenschaften des Bundes in Rottweil sowie das Thema Lärmbelästigung durch Bahnstrecken in Bremen-Walle und Duisburg-Neudorf besprochen.
Die Möglichkeit, Petitionen im Internet zu veröffentlichen und online zu unterstützen, erlaubt es interessierten Menschen, sich gemeinsam für ein Anliegen starkzumachen. Diese Möglichkeit wird seit 2005 rege genutzt,
die Zahlen beweisen das. Neben den bereits erwähnten
1,4 Millionen registrierten Nutzerinnen und Nutzern der
Internetseite wurden die im Berichtsjahr 526 veröffentlichten Petitionen mit über 500 000 Mitzeichnungen unterstützt.
Eine weitere Zahl, die ins Auge sticht und dem
scheinbar politischen Desinteresse der Bürgerinnen und
Bürger widerspricht: Mit 2 bis 3 Millionen Seitenaufrufen pro Monat ist das Internetportal des Petitionsausschusses klarer Spitzenreiter des Internetangebotes des
Deutschen Bundestages.
({2})
Die meist mitgezeichneten öffentlichen Petitionen im
Berichtsjahr sind die Forderungen nach Steuerfreiheit
für private Ballett-, Tanz- und Musikschulen mit über
97 000 Mitzeichnungen und die Forderungen nach Verbesserungen der Rahmenbedingungen in der Altenpflege
mit knapp 93 000 Mitzeichnungen.
Mit den öffentlichen Petitionen werden gesellschaftliche Probleme angesprochen, die zwar von allgemeinem
Interesse sind, aber nur eine relativ kleine Gruppe betreffen. Ein Beispiel: Im letzten Jahr reichte ein Petent eine
öffentliche Petition ein, mit der er die bedarfsgerechte
Versorgung mit Hospizplätzen forderte. In einer öffentlichen Sitzung schilderte uns der Petent eindrucksvoll,
wie seine Mutter in den letzten Monaten ihres Lebens
keinen Platz im einzigen Hospiz ihrer Heimatstadt bekommen habe und sie bis kurz vor ihrem Tod mehrfach
von zu Hause ins Krankenhaus und zurück verlegt
wurde. Dieser entwürdigende Umgang führte dazu, dass
die Mutter und die ganze Familie nie zur Ruhe kamen.
Ergriffen von der Geschichte waren wir uns fraktionsübergreifend einig, dass das sensible Thema des Sterbens weiter in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen
und politischen Interesses gerückt werden muss.
({3})
Bei all den Möglichkeiten, die das Petitionsrecht in
Verbindung mit dem Internet bringt, dürfen wir nicht
vergessen, dass die privaten Sorgen und Nöte des einzelnen Bürgers nach wie vor Hauptanteil unserer Arbeit
sind:
({4})
die Bearbeitung von persönlichen Bitten und Beschwerden, wie die falsch berechnete Rente, der nicht finanzierte Rollstuhl, das abgelehnte Besuchervisum. Dies alles sind für den Einzelnen, der sich an uns wendet,
existenzielle Probleme.
Unserer Arbeit sind aber auch Grenzen gesetzt; denn
der Petitionsausschuss kann die Bundesregierung zwar
auffordern, dem Anliegen von Petitionen zu entsprechen, zu einem positiven Handeln zwingen kann er sie
leider nicht. So hat der Petitionsausschuss auch im Jahr
2012 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sehr hohe
Voten gegenüber der Bundesregierung auszusprechen.
Unsere Erwartungen wurden in einigen Fällen aber nicht
erfüllt. Wir wünschen uns mehr Akzeptanz für unsere
Empfehlungen; denn Entscheidungen mit hohen Voten
werden von den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen
getragen.
({5})
Um unsere Arbeit immer weiter zu verbessern, pflegen wir eine intensive Zusammenarbeit mit den Petitionsausschüssen der Landesvolksvertretungen sowie
auf europäischer und internationaler Ebene. Turnusgemäß fand 2012 die Tagung der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Petitionsausschüsse des
Bundes, der Länder sowie der Bürgerbeauftragten aus
der Bundesrepublik Deutschland und dem deutschsprachigen Raum Europas in Erfurt statt. Viele internationale
Gäste führten auch 2012 informative Gespräche mit den
Mitgliedern des Petitionsausschusses. Zu den Besuchern
im Jahr 2012 gehörten Vertreterinnen und Vertreter aus
der Republik Usbekistan, Mitglieder der Volksanwaltschaft Tirol und der Generalsekretär des Europäischen
Ombudsmann-Instituts, Abgeordnete des südafrikanischen Parlamentsausschusses für Petitionen, Abgeordnete des mongolischen Petitionsausschusses sowie eine
Delegation des kambodschanischen Parlaments.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, mich bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Ausschussdienstes ganz herzlich
für ihre fleißige und engagierte Arbeit und für ihren Einsatz zu bedanken. Ohne sie wären wir aufgeschmissen.
Ich glaube, das gilt jedes Jahr.
({6})
Es geht eine Wahlperiode mit vielen Wechseln und einer dünnen Personaldecke zu Ende. Nach dreimaligem
Wechsel des Unterabteilungsleiters bin ich froh, dass
Herr Dr. Schotten nun schon über anderthalb Jahre für
eine konstruktive Zusammenarbeit sorgt. Herzlichen
Dank, Herr Dr. Schotten!
Mein besonderer Dank gilt Herrn Finger, der mich
seit zwei Wahlperioden kontinuierlich durch alle Höhen
und Tiefen der Petitionsausschussarbeit mit Seriosität
und Humor begleitet. Dafür ganz herzlichen Dank!
({7})
Darüber hinaus möchte ich mich natürlich ganz, ganz
herzlich bei meinen Ausschussmitgliedern für die sachliche und gute Zusammenarbeit bedanken. Bei aller Ernsthaftigkeit, mit der wir die vielen Petitionen behandeln,
bleibt es dabei: Eine sachliche und freundliche Arbeitsatmosphäre trägt in vielen Fällen zum Erfolg bei.
Ich habe mich stets um diese Atmosphäre bemüht. Sie
haben es mir aber auch leicht gemacht. Herzlichen Dank
dafür!
({8})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe,
möchte ich kurz etwas anmerken: Sie haben gesehen,
dass der Dank der Vorsitzenden an die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Petitionsausschusses vom gesamten
Haus getragen wurde.
({0})
Das halten wir an dieser Stelle fest. Wir wünschen Ihnen
weiterhin erfolgreiche Arbeit und natürlich die Unterstützung der Mitglieder des Petitionsausschusses in der
zukünftigen, der 18. Wahlperiode.
({1})
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die
Unionsfraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Besuchertribünen! Ich spreche insbesondere die jungen Leute an,
die hier zugegen sind: Sie erleben abermals eine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus. Dies ist eine der
wenigen Debatten, in denen wir oft gemeinsam klatschen. Das kommt in diesem Hohen Hause nicht so oft
vor. Ich bin von einem Kollegen aus meiner Fraktion gefragt worden: Warum klatscht ihr bei den Linken? - Da
habe ich gesagt: Weil das eine gute Frau ist, weil sie in
vielen Punkten recht hat.
Meine Damen und Herren! Gerne würden wir der
grundlegenden Bedeutung des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages gerecht werden. Dann müssten
wir statt einmal im Jahr jede Sitzungswoche über die Petitionen hier im Plenum debattieren. Frau Steinke, Sie
haben recht: Eigentlich hätten wir es verdient, am Donnerstagmorgen in der Kernzeit zu debattieren. Vielleicht
schaffen wir das in der nächsten Periode.
({0})
Die besondere Bedeutung des Petitionsausschusses
zeigt sich nicht nur an seiner verfassungsrechtlichen Verankerung, sondern auch in der Zahl der Eingaben, die
den Deutschen Bundestag jedes Jahr erreichen - Sie haben die Zahl bereits genannt -: Allein im Jahr 2012
durfte der Petitionsausschuss, also der Ausschussdienst
und die Abgeordneten, 15 724 Petitionen bearbeiten. In
Art. 17 sowie in Art. 45 c unseres Grundgesetzes ist dieser Weg normiert. Kein anderer Ausschuss des Deutschen Bundestages genießt diesen Verfassungsrang.
Auch das sollte uns selbstbewusst machen. In keinem
anderen Bereich haben die Bürgerinnen und Bürger die
Möglichkeit, ihre Interessen, ihre Sorgen und Nöte unmittelbar gegenüber ihren gewählten Vertretern zu artikulieren. Das sonst so stark repräsentativ geprägte parlamentarische Verfahren wird mit dem Petitionsausschuss
durch ein direktes plebiszitäres Element bereits jetzt ergänzt.
Nach meiner nunmehr achtjährigen Tätigkeit im Petitionsausschuss kann ich bestätigen, dass man in keinem
anderen Gremium eine derart unmittelbare Berührung
mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger hat. Der
Petitionsausschuss ist wahrlich nahe am Menschen.
Auch wenn dieser Ausschuss mit Sicherheit einer der arbeitsintensivsten ist, bin ich froh, hier mitarbeiten zu
dürfen. Der Erfolg unserer Arbeit ist mit jeder einzelnen
Petition, die wir positiv abschließen können, direkt sichtbar.
Wie auch in den Jahren zuvor war der Bereich des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, für den ich
hauptsächlich Bericht erstatten darf, der Bereich mit den
mit Abstand meisten Eingaben; Frau Steinke, Sie haben
bereits darauf hingewiesen. Von den insgesamt etwa
15 700 Petitionen stammten etwa 3 300, immerhin über
21 Prozent, aus dem Bereich Arbeit und Soziales.
({1})
Stellvertretend für die zahlreichen Eingaben an den
Deutschen Bundestag möchte ich im Folgenden von einer Petition berichten, die mir sehr am Herzen liegt. Mit
dieser Petition forderte der Petent für seinen Musikverein eine Befreiung von der Künstlersozialabgabe. Der
Musikverein, der seit 1979 gemeinnützige Tätigkeit im
Bereich der Kultur- und Jugendarbeit leistet, verfügt
über ein eigenes Blasorchester. Um später in diesem mitwirken zu können, können die Jugendlichen im Verein
Instrumentalunterricht nehmen. Die ehrenamtlichen und
laienhaften Tätigkeiten der Mitglieder erfolgen ausschließlich in deren Freizeit. Daher ist es für den Petenten nicht nachvollziehbar, weshalb der Musikverein zur
Künstlersozialabgabe verpflichtet wurde.
Ich denke, wir alle sind uns einig, dass die Künstlersozialversicherung, in deren Rahmen die Künstlersozialabgabe zu entrichten ist, für die soziale Absicherung der
Kunstschaffenden unverzichtbar ist.
({2})
Auch Künstler haben selbstverständlich Anspruch auf
soziale Absicherung und natürlich später auf eine auskömmliche Rente. Allerdings handelt es sich vorwiegend um einen sogenannten Laienmusikverein, dessen
Musikunterricht ausschließlich der Nachwuchsförderung
des vereinseigenen Orchesters dient. Der Verein fördert
das Musikleben der Stadt und Umgebung und probt hierfür einmal wöchentlich. Sämtliche Mitglieder sind ehrenamtlich tätig.
Da mir die Interessen der Blaskapellen und der Musikvereine besonders am Herzen liegen, bin ich persönlich sehr froh, dass wir alle uns darüber einig waren, dass
der gesellschaftlich wertvollen Arbeit unserer Musikvereine durch eine rechtssichere Regelung bezüglich der
Abgabepflicht für die Ausbildung des Nachwuchses
Rechnung getragen werden muss. Diese Frage wurde
von allen Gerichten, landauf, landab, Sozialgericht, Landessozialgericht bis zum Bundessozialgericht, bereits
behandelt. Wir haben jetzt in Kooperation mit einem
konstruktiv mitarbeitenden Ministerium eine Regelung
für eine Abgrenzung zwischen Musikschulen und Musikvereinen erreicht. Hierfür ein herzliches Wort des
Dankes.
Ich werde die entsprechende Sitzung im Januar 2013,
also vor wenigen Wochen, im Deutschen Bundestag
nicht vergessen, lieber Klaus Hagemann. Als die Obleute sich am Vorabend abgestimmt hatten, wurde gesagt, wir könnten doch warten, bis die Massenpetition
des Bayerischen Blasmusikverbandes kommt. Ich habe
dann darauf hingewiesen - so haben Sie es auch gerade
gesagt, Frau Steinke -, dass dieser Einzelfall, dieser einzelne Musikverein einen Anspruch darauf hat, dass wir
uns um sein Problem kümmern. Das haben wir getan.
Ich darf mich bei allen Kolleginnen und Kollegen dafür
bedanken, dass es uns gelungen ist, einstimmig, mit allen
Parteien, zu sagen: Jawohl, hier ist Handlungsbedarf. Wir reden nicht nur am Sonntag über das Ehrenamt, sondern handeln auch am Montag entsprechend. Wir haben
hier die bürokratische Belastung der Musikvereine, der
Vorstände und der Kassierer in den Vereinen, gemindert
und dafür eine Regelung geschaffen. Herzlichen Dank
dafür!
({3})
Mit Bescheid vom 25. April 2013, also vor genau
sechs Wochen, wurde die ursprünglich im Jahr 1996
festgestellte Abgabepflicht von Beginn an aufgehoben.
Der Verein hat recht bekommen. Zwischenzeitlich ist der
Musikverein Rehau, dessen Petition wir im Januar behandelt hatten, von der Abgabepflicht freigestellt worden. Wir haben innerhalb von wenigen Monaten eine
Befreiung des Vereins erreichen können. Dafür ein herzliches Wort des Dankes!
In meinem Manuskript stehen noch einige gute Gedanken, aber ich möchte, um es nicht zu vergessen, auf
jeden Fall meinen Dank vorziehen. Ich darf natürlich,
ebenfalls wie die Frau Vorsitzende, dem Ausschussdienst für die konstruktive Zusammenarbeit sehr herzlich danken. Die Mitglieder des Ausschussdienstes sitzen gerade auf der Bundesratsbank. Herzlichen Dank!
Wir machen es Ihnen ja nicht immer leicht. Oft genug
brauchen wir etwas länger, bis wir die Petitionen bearbeitet haben. Dann kommt ein ganzer Schwung zurück,
und dann wollen wir natürlich in einer Sitzung nach
Möglichkeit nicht mehr als 35 Petitionen behandeln. Von
daher herzlichen Dank für die nicht immer ganz einfache
Zusammenarbeit mit uns. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin viel Kraft für die Arbeit mit den Abgeordneten
dieser Legislaturperiode und der nächsten Legislaturperiode. Es wird spannend bleiben.
Bedanken darf ich mich auch bei den jeweiligen petitionspolitischen Sprechern, bei meinem, bei Günter
Baumann, bei Klaus Hagemann, bei Kollegen Röhlinger,
bei Kollegen Kilic, Kollegen Ott, Kollegin Remmers
und ganz besonders bei einem, bei Anton Schaaf.
Lieber Anton, du musst jetzt tapfer sein; das war ja
letzte Woche auch schon so. Ich habe dich erlebt bei der
Behandlung einer Petition. Hier geht es um die OstWest-Rentenangleichung, die Fremdrentenproblematik
und das Renten-Überleitungsgesetz. Da war die Frage:
Wie schaffen wir es, bei der Zusammenführung der beiden Rentensysteme etwas mehr Gerechtigkeit hinzubekommen? Du hast im Ausschuss für Arbeit und Soziales
einen Antrag formuliert. Dazu haben wir gesagt: So, wie
du das in dem Antrag formuliert hast, können wir das
nicht machen. - Aber wir behalten diese Petition im
Blick.
Vor wenigen Wochen haben wir ein sehr eingehendes
Gespräch geführt, an dem für die FDP der Kollege Kolb
teilgenommen hat. Wir haben darüber gesprochen, wie
wir die empfundene Ungerechtigkeit allmählich beseitigen können. Wir arbeiten daran. Es ist aber verdammt
schwierig. Das ist eine komplizierte, komplexe Materie;
({4})
wenn das einfach wäre, hätten es andere schon längst gemacht. Aber wir haben nicht lockergelassen. Wir werden
versuchen, hier eine Lösung zu finden. Das wird uns sicher nicht mehr in dieser Legislaturperiode gelingen.
Aber bei Petitionen hat man den Vorteil, dass sie über
eine Legislaturperiode hinaus bearbeitet werden können.
Ich bin zuversichtlich, dass wir es in der nächsten Legislaturperiode schaffen werden, erste Schritte hin zu einer
Angleichung der Renten zwischen Ost und West zu machen.
Wenn es um die Abgrenzung zwischen Renten-Überleitungsgesetz und Fremdrentengesetz ging, habe ich
dich - auch bei manch einem Bier in der Parlamentarischen Gesellschaft - immer als einen fairen Kollegen erlebt, der gesagt hat: Ich weiß, was ihr meint; da müssen
wir etwas hinbekommen. - Wir konnten uns über Parteigrenzen hinweg regelmäßig super abstimmen, lieber
Anton Schaaf. Du wirst dem nächsten Bundestag nicht
mehr angehören. Ich glaube, die Mitbürgerinnen und
Mitbürger in unserer Republik verlieren damit einen guten - zugegebenermaßen: einen sozialdemokratischen Anwalt für die Belange der kleinen Leute. Toni, ich
wünsche dir alles Gute. Auch den anderen Kollegen alles Gute und Gottes Segen. Danke für die Zusammenarbeit!
({5})
Der Herr Kollege Klaus Hagemann hat nun für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Ich darf gleich an das anschließen, was
der Kollege Lehrieder und die Frau Ausschussvorsitzende ausgeführt haben. Zuvor möchte ich noch eine
ganz kurze persönliche Bemerkung machen: Dies wird
voraussichtlich die letzte Rede sein, die ich im Deutschen Bundestag halte. Ich bin froh und dankbar, dass
ich diese Rede zum Jahresbericht des Petitionsausschusses halten darf; vielen Dank. Wenn meine Redezeit
reicht, komme ich nachher noch einmal kurz darauf zu
sprechen.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren, in den 15 Jahren, die ich dem
Petitionsausschuss angehöre - ich glaube, genauso
lange, Günter Baumann, wie du -, habe ich festgestellt,
dass das Petitionswesen, das Petitionsrecht eine Perle
- ich sage ausdrücklich: eine Perle - in den Kronjuwelen
des Deutschen Bundestages ist.
({1})
Das gilt sowohl für das Petitionsrecht als auch für den
Petitionsausschuss und den Petitionsausschussdienst.
Allerdings ist nicht allen bekannt, welch eine Perle hier
vorhanden ist; wenn ich mich jetzt umgucke, meine ich:
Auch den Vertretern auf der Regierungsbank ist das
nicht in dem Maße bekannt. Wir, die Mitglieder des Petitionsausschusses, können Menschen helfen, wenn es um
ihr persönliches Schicksal geht. Aber wir können auch
dazu beitragen, dass politische Fragen angepackt werden.
Es ist gut, dass wir im Jahre 2005 nach längeren Debatten, lieber Günter Baumann, das Petitionswesen erneuern und fortschreiben konnten, dass wir elektronische Petitionen und öffentliche Petitionen eingeführt
haben. Die Frau Ausschussvorsitzende hat ausdrücklich
und gut dargelegt, dass dies von den Bürgerinnen und
Bürgern angenommen wird. Die Zahlen sind beeindruckend. Ich glaube, das war der richtige Weg. Wir haben
die richtige Entscheidung getroffen. Diese Maßnahme
wurde auch wissenschaftlich evaluiert. Diese Untersuchung hat gezeigt, dass unsere Entscheidung richtig war
und dass durch diese Maßnahme weitere Bevölkerungsgruppen erreicht bzw. für Petitionen gewonnen werden
konnten.
Nach acht Jahren - wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen - wäre es eigentlich notwendig, einen
weiteren Schritt bei der Reformierung des Petitionswesens zu machen. Ich hatte große Hoffnungen darauf gesetzt, dass wir in dieser Legislaturperiode vorankommen. Das war einer der wenigen Fälle, in denen mich der
Koalitionsvertrag überzeugt hat. Da steht unter dem
Stichwort „Moderner Staat“ - ich darf zitieren -:
Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung
stärken.
Es ist vorgeschlagen worden, das Petitionsrecht über das
Anhörungsrecht bei öffentlichen Petitionen weiterzuentwickeln. Leider ist von der Koalition kein Antrag dazu
vorgelegt worden. Wir hätten daran gerne mitgewirkt.
Wir hätten sogar zugestimmt. Vielleicht schaffen wir das
noch in dieser Woche; ich weiß es nicht.
({2})
- Vielleicht ist diese Erwartung aber auch ein bisschen
überzogen. Wir jedenfalls wollen daran mitwirken, weil
dieser Schritt notwendig ist.
Ein kleines Reförmchen ist erreicht worden: Die Mitzeichnungsfrist bei öffentlichen Petitionen ist von drei
auf vier Wochen verlängert worden. Das ist ein Schritt in
die richtige Richtung, reicht aber nicht aus; deswegen
empfehle ich, diesen Punkt in der nächsten, 18. Legislaturperiode noch einmal zu behandeln und ihn zu diesem
Zweck in die - wie man das heute nennt - To-do-Liste
aufzunehmen.
({3})
Ich möchte an Beispielen noch einmal deutlich machen, wie wichtig es ist, dass die Mitzeichnungsfrist verlängert worden ist. Am Ende der letzten Legislaturperiode ging es um ein Gesetz zur „Internetzensur“. Frau
von der Leyen bzw. die damalige CDU/CSU-SPD-Koalition hat hier ein entsprechendes Gesetz vorgelegt und
dieses dann auch beschlossen. Es war nicht gut, dass wir
dieses Gesetz beschlossen haben. Es wurde nämlich
schnell deutlich, dass dies so nicht handhabbar ist, dass
Sperren hier nichts bringt und Löschen der richtige Weg
ist. Das haben wir dank einer Petition, die weit über
100 000 Unterschriften gewinnen konnte, erkannt. Der
Kollege Schwartze konnte in seiner ersten öffentlichen
Sitzung deutlich machen, dass hier Handlungsbedarf bestand. Leider wurde die Änderung von der Koalition
lange hinausgezögert. Erst nach einem Jahr hat man endlich ein Gesetz vorgelegt, um - das war richtig - dieses
alte Gesetz abzuschaffen. Dies wurde, wie gesagt, durch
eine Petition erreicht.
({4})
- Ja, gut; aber wir hatten schon früher gründlich nachgedacht, Frau Kollegin Vogelsang,
({5})
und hatten gleich Entsprechendes vorgelegt. Ihr solltet
öfter einmal unseren Ratschlägen folgen!
({6})
Die Frau Bundeskanzlerin tut das ja auch: Beim Mietrecht, bei der Ganztagsschule, beim Mindestlohn und in
vielen anderen Bereichen schlägt sie jetzt all das vor,
was wir schon seit Wochen diskutieren.
Aber wieder zurück zu den Petitionen. Uns liegt eine
Petition von Herrn Scheller aus Tübingen vor, diesmal
zur Netzneutralität: dass man nicht der Telekom überlassen soll, wer was wann wie ins Netz einstellen kann,
sondern dass dies gesetzlich geregelt werden muss. Gott
sei Dank konnten wir uns schnell einigen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, dass die öffentliche
Behandlung jetzt am 24. Juni stattfindet. Ich hoffe, liebe
Kollegin Vogelsang, dass wir die Beratung noch in dieser Legislaturperiode positiv abschließen können und
das spätestens im September so beschlossen werden
kann. Denn 130 000 Menschen haben die Petition mitgezeichnet.
({7})
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen: die
Petitionsbeschlüsse. Wir können sie leider nicht anordnen. Dazu haben wir nicht das Recht, sondern das ist Sache der Bundesregierung, die heute immerhin mit zwei
Staatssekretären vertreten ist - herzlich willkommen! -,
besser als sonst in den zurückliegenden Jahren. Wir haben in dieser Wahlperiode weniger hohe Voten als in der
letzten Legislaturperiode gefasst; aber wir haben auch
feststellen müssen - die Frau Vorsitzende hat darauf hingewiesen -, dass die Umsetzung manchmal fehlt. Zwei
Beispiele: Es war beantragt worden, dass Telefon- und
Internetkosten von Soldaten im Auslandseinsatz vom
Staat übernommen werden. Der Beschluss „Berücksichtigung“ wird nicht umgesetzt durch die Bundesregierung. Es war auch beantragt worden, dass Elternassistenz für Eltern von behinderten Kindern mitfinanziert
wird. Dazu haben wir von der Bundesregierung zwei
Meinungen von zwei Ministerien gehört; umgesetzt
wurde aber nichts Entsprechendes.
Im Hinblick auf meine Redezeit will ich noch einen
letzten Punkt ganz kurz anschneiden: Die öffentliche Beratung von Petitionen und die Vor-Ort-Termine sind
wichtig. Ich möchte an die Kolleginnen und Kollegen
des nächsten Petitionsausschusses - in der 18. Wahlperiode - weitergeben: Gehen Sie vor Ort! Reden Sie mit
den Menschen! - Ich habe gerade signalisiert bekommen, dass dank des Besuches des Petitionsausschusses
in Duisburg eine positive Entscheidung getroffen worden ist: die Entscheidung, dass Lärmschutzmaßnahmen
vorgenommen werden. Viele andere Beispiele sind noch
zu nennen.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Abschluss
kommen. Meine Redezeit ist um. Meine Dienstzeit ist
nach 19 Jahren hier im Deutschen Bundestag auch zu
Ende.
({8})
Ich bedanke mich sehr herzlich für die gute und faire Zusammenarbeit. Ich darf hier insbesondere meinen Kollegen Günter Baumann ansprechen, weil ich mit ihm am
längsten und am fairsten zusammengearbeitet habe.
Auch wenn wir mit unseren Ansichten manchmal aufeinandergeprallt sind, lieber Günter Baumann, möchte ich
dafür herzlichen Dank sagen. Auch den anderen Kollegen, den Obfrauen und Obmännern und der Frau Vorsitzenden ein herzliches Dankeschön und Glückauf für die
Demokratie und das Petitionsrecht im Deutschen Bundestag!
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Röhlinger für die
FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Vorsitzende. - Sehr geehrte Damen
und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Rängen! Sie kennen möglicherweise die Emilia Galotti von Lessing: Es
lüftet sich der Vorhang, und am Schreibtisch sitzt der
Prinz und sagt:
Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als
Bittschriften!
Der Petitionsausschuss sieht sich nicht als die Fortsetzung dessen, was Lessing damit gemeint hat, sondern
wir fordern die Bürger geradezu auf, dieses Recht wahrzunehmen, weil wir diejenigen sind, die einen besonders
engen Kontakt zu ihnen haben. Deshalb gibt es diese beeindruckende Zahl von Petitionen, die wir bearbeiten.
Was unseren Ausschuss bzw. unsere Arbeitsgruppe
angeht, möchte man meinen, dass darin nur Juristen vertreten sind. Das ist bei unserer Arbeitsgruppe, mit Verlaub gesagt, nicht der Fall. Ich habe gelernt, dass dies
auch ganz gut so ist. Wir lassen uns gerne von Juristen
beraten; aber die Entscheidungen dürfen auch andere
treffen.
({0})
Nachdem wir jetzt vier Jahre gut zusammengearbeitet
haben, kann man sagen: Es geht.
({1})
Besonders Ihre Arbeit, Frau Steinke, hat mir Spaß gemacht. Als Leiterin des Ausschusses zeichnen Sie sich
insbesondere durch Pünktlichkeit aus: pünktlicher Beginn, pünktlicher Abschluss.
({2})
Damit verbunden ist auch ein Time-out. Wenn die Leute
zu lange reden würden, könnten Sie nie pünktlich sein.
Es gelingt Ihnen immer, mit freundlichen Worten zu disziplinieren. Manchmal reicht auch die Körpersprache,
um deutlich zu machen: Es ist nun genug geredet worden. - Wir arbeiten in einer Stunde 30 und mehr Petitionen ab. Das geht natürlich nur, wenn man sich gut vorbereitet. Unsere Zuschauer würden ansonsten denken: Da
möchte ich dabei sein. Darüber kann doch gar nicht diskutiert werden. - Nein, es kann. Auf Wunsch und bei
Notwendigkeit kann jede aufgerufene Petition besprochen werden. Manchmal ist es so, dass eine Petition nur
aufgerufen wird und die Diskussion ausfällt. Wegen der
guten Vorbereitung und der guten Gesprächsführung
schaffen wir das, Frau Steinke. Daran haben Sie einen
hohen Anteil. Gestern haben Sie beim Bundestagspräsidenten auch erreicht, dass wir nicht in die Zeit geschoben worden sind, in der zu Protokoll gegeben wird. Vielmehr haben Sie erreicht, dass wir immerhin am frühen
Nachmittag - wenn andere Leute ihren Kaffee trinken zu Potte kommen können.
Ich möchte die Gelegenheit nehmen, mich herzlich
bei den Kolleginnen und Kollegen vom Ausschussdienst
zu bedanken, auf deren Zuarbeit wir immer rechnen können. Das ist auch notwendig, wenn wir uns der Juristerei
durch Dritte bedienen wollen.
Ich möchte noch kurz zwei fachliche Dinge ansprechen:
Erstens. Für einen Kommunalpolitiker ist es ein gutes
Gefühl, wenn man - und das bei unterschiedlichen
Grundpositionen - bisweilen fraktionsübergreifend - das
gelingt uns im Petitionsausschuss - zu einer einheitlichen Auffassung kommt. Darüber freuen wir uns eigentlich alle. Das wird durch Applaus und Willenskundgebungen deutlich gemacht.
Zweitens. Wir artikulieren die unterschiedlichen Positionen so, dass wir uns nicht provozieren oder verletzen.
Im Plenum erleben wir hin und wieder auch andere
Töne. Ich bin heilfroh, dass wir die Zeit nicht damit verschwenden, uns gegenseitig zu provozieren und zu beleidigen, sondern dass wir versuchen, bestimmte Dinge mit
Humor zur Kenntnis zu nehmen.
Ich möchte mich auch bei dieser Gelegenheit für die
angenehme Atmosphäre im Ausschuss bedanken.
({3})
Zum Schluss möchte ich mich auch an die Gäste und
Zuschauer wenden. Ich weiß, dass sich manche unter
dem Petitionsausschuss nicht sehr viel vorstellen können, und möchte Sie bitten: Nehmen Sie zumindest zur
Kenntnis - ich habe es mir extra noch einmal aufgeschrieben -, dass sich nicht nur deutsche Staatsbürger,
sondern alle Mitbürger in diesem schönen Lande mit ihren Petitionen an uns wenden können. Das sollte Sie ermuntern, sich mit Ihren Sorgen an uns zu wenden. Als
Kommunalpolitiker bin ich auch ganz froh, dass manches nicht auf dem Tisch des Bürgermeisters landet, sondern dass man „gleich nach Berlin geht“. Ich habe mich
ganz oben gemeldet, wie man früher sagte.
Seien Sie nicht traurig, wenn es nicht geklappt hat. In
immerhin 40 Prozent der Fälle - das habe ich mir aufgeschrieben - konnten wir den Petenten helfen; das ist viel.
Das heißt nicht, dass sie immer Recht bekommen haben,
aber wir haben wenigstens einen Weg aufgezeigt, wie
man in den Ländern und Städten mit dem Problem umgehen kann.
Auf eines legen wir Wert: Die Petenten sollen die
Antwort verstehen können. Das Deutsch und die Diktion
müssen so sein, dass sie sich nicht beleidigt oder als Bittsteller fühlen, sondern sagen: Sie konnten zwar nicht
helfen, hätten aber vielleicht ganz gerne helfen wollen.
In der Summe kann ich als jemand, der von vornherein gesagt hat, dass er nur für eine Wahlperiode zur
Verfügung steht, sagen: Es hat Spaß gemacht. Es ist
nicht unbedingt der Wirtschaftsausschuss oder der Auswärtige Ausschuss, in dem man am meisten bewegen
kann und mindestens einmal in der Woche die Hand für
wichtige Entscheidungen heben muss, sondern der Petitionsausschuss. Deshalb kann ich alle, die sich für den
Bundestag bewerben, nur ermuntern: Gehen Sie in den
Petitionsausschuss! Das ist eine tolle Truppe.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Memet Kilic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Ausschussdienstes! Sehr geehrter Herr Kollege
Röhlinger, Sie haben die Größe, hier das Defizit Ihrer
Fraktion zu erwähnen, nämlich die Tatsache, dass Sie in
Ihren Reihen keine Juristen haben. Das ist schlimm.
({0})
Beim nächsten Mal können Sie es besser machen. Juristen sind nämlich - darauf wollte ich hier hinweisen - immer gut.
({1})
Wir stellen heute den letzten Jahresbericht des Petitionsausschusses in dieser Legislaturperiode vor. In den
vergangenen vier Jahren haben wir vielen unterschiedlichen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger Gehör geschenkt. Wir waren vor Ort, um uns die geschilderten
Umstände anzusehen, und wir haben die Initiatoren der
Petitionen nach Berlin zu Berichterstattergesprächen
eingeladen. Wir beschäftigten uns mit unterschiedlichsten Themen, sind am Rande der Berichterstattergesprä31192
che mit den Sachverständigen ins Gespräch gekommen
und haben dadurch immer gewusst, wo der Schuh
drückt.
Das alles wäre ohne den unermüdlichen Einsatz der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes,
innerhalb unserer Fraktionen und in unseren Büros nicht
zu bewältigen gewesen. Dafür möchte ich mich bei ihnen herzlich bedanken.
({2})
Das Petitionsrecht nimmt schon dadurch eine Sonderstellung ein, dass es in der Verfassung verankert ist. Von
diesem Recht haben im vergangenen Jahr über
15 000 Bürgerinnen und Bürger Gebrauch gemacht.
Oft sind es jahrelange Leidenswege und bewegende
Schicksale, mit denen wir uns befassen und die unser
Engagement verlangen. Nicht selten wird eine Petition
verfasst, weil man keinen anderen Weg sieht, um auf das
Unrecht aufmerksam zu machen, das einem widerfahren
ist. Daher müssen wir jede einzelne Petition ernst nehmen und angemessen bearbeiten. Dies haben wir auch in
den vergangenen vier Jahren nach bestem Wissen und
Gewissen gemacht.
({3})
Unsere Arbeit steht vielleicht nicht immer im Mittelpunkt des Medieninteresses, aber wir sind immer an der
Seite der Bürgerinnen und Bürger. Der Petitionsausschuss ist immer nah dran an gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich erinnere nur an ACTA, an die vielen Petitionen zum Atomausstieg und aktuell an die Petition
zur Verpflichtung der Internetanbieter zur Netzneutralität. Ende Mai übersprang die Zahl der Petitionen zur
Verpflichtung der Internetanbieter zur Netzneutralität innerhalb von drei Tagen die 50 000er-Hürde, ein Rekord
für die aktuelle Legislaturperiode. Das ist enorm.
Schneller war nur 2009 die Petition zum bedingungslosen Grundeinkommen. Es ist gut, dass es der Ausschuss
noch vor dieser Sommerpause ermöglichen konnte, gemeinsam mit den Petenten das Anliegen in einer öffentlichen Anhörung zu beraten. Dafür herzlichen Dank.
({4})
Eine weitere Petition, die ich besonders erwähnen
möchte, befasste sich mit der Entschädigung ehemaliger
sowjetischer Kriegsgefangener der Nationalsozialisten.
Diese Menschen erlebten Hunger, Elend und Tod. Wir
müssen die Überlebenden dieser Gräueltaten angemessen entschädigen und ihre Lebensleistungen würdigen.
Das sind wir ihnen und all jenen, die nicht mehr am Leben sind, schuldig. Deshalb wünsche ich mir, dass der
Bundestag noch in dieser Legislaturperiode die entsprechenden vorliegenden Anträge beschließt.
({5})
Eine weitere Petition liefert den Beweis dafür, dass
unser Petitionsausschuss sehr empfindliche und lange
Sensoren hat. Diese reichen bis ins Ausland. Wir haben
vor gerade einer Stunde in einer Aktuellen Stunde über
die Verhältnisse in der Türkei debattiert. Vor einem Jahr
waren wir in der Türkei und haben dort ein Gefängnis
mit 10 000 Insassen besucht. Dort haben wir den Journalisten und Abgeordnetenkollegen von der Oppositionspartei, Herrn Mustafa Balbay, besucht. Er hat uns eine
Petition des Inhalts übergeben, insbesondere in den Gesprächen über die Beitrittsverhandlungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Türkei die Türkei
auf die Einhaltung von Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie eine faire Justiz hinzuweisen.
Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen
der Fraktionen, dass wir diese Petition, bevor die Demonstrationen in der Türkei überhaupt losgingen, einstimmig mit „Berücksichtigung“, dem höchsten Votum,
versehen haben. Ich bin stolz auf unseren Petitionsausschuss, dass er sich für die Menschenrechte in der ganzen Welt einsetzt.
({6})
Wie wichtig den Bürgerinnen und Bürgern die Einflussnahme auf politische Verfahren ist, sehen wir deutlich bei den finanziell ausufernden Großprojekten, wie
Stuttgart 21 oder dem leidigen Thema Flughafen. Es ist
nicht zu übersehen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger informieren und gegenseitig mobilisieren. Sie wollen
auf die Politik Einfluss nehmen. Lange, intransparente
Verfahrenswege werden in unserer heutigen, zunehmend
digitalisierten Gesellschaft nicht mehr wortlos hingenommen.
Rot-Grün hat 2005 mit der Einführung der elektronischen und öffentlichen Petition einen wichtigen Schritt
getan. Diesem müssen weitere folgen. Die Mitzeichnungsfrist ist immer noch zu kurz, die Anforderungen
des Quorums sind immer noch zu hoch.
({7})
In der nächsten Legislaturperiode muss der Ausschuss
diesbezüglich endlich eine einfache und für die Bürgerinnen und Bürger zufriedenstellende Lösung finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie am Infostand stehen oder Hausbesuche machen, erzählen Sie ruhig ein wenig über unseren Ausschuss. Ich bin mir sicher, dass der Petitionsausschuss seine Arbeit nach der
Wahl am 22. September weiterhin mit großem Elan fortsetzen wird. Wir bedanken uns bei allen Kolleginnen
und Kollegen in den unterschiedlichen Fraktionen herzlich für ihre kollegiale Zusammenarbeit, aber auch bei
unserer Vorsitzenden für ihre kompetente und sympathische Sitzungsleitung.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bericht des Petitionsausschusses für 2012 ist einmal mehr beeindruckend. Wir haben es schon gehört: Von Anfang an war
und ist das Petitionsrecht in der Bundesrepublik
Deutschland ein Grundrecht, verankert im Grundgesetz.
Diesem folgend ist auch die Einrichtung eines Petitionsausschusses zwingend vorgeschrieben. Man sollte vielleicht an dieser Stelle erwähnen und hervorheben: Das
ist leider bei weitem nicht überall der Fall.
Ich selbst bin erst mitten in der Legislaturperiode in
diesen Ausschuss gekommen, und ich gestehe, dass ich
diese Arbeit aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr
missen möchte, selbst wenn man manches Mal in das
Büro zurückkommt und erneut ein dicker Packen Akten
mit neuen Petitionen auf einen wartet.
Wir haben - die Kolleginnen und Kollegen können
das bestimmt bestätigen - in unseren Büros auch hin und
wieder Praktikanten, die uns überallhin begleiten, sowohl in die eigentlichen Fachausschüsse, aber eben auch
in diesen Ausschuss. Oft finden diese jungen Menschen
den Petitionsbereich am interessantesten und am spannendsten. Das hat sicher auch etwas damit zu tun, dass
sie die Themen auf Anhieb verstehen und dass es nicht
immer um Gesetzentwürfe und Anträge von Fraktionen
geht, die in einer manchmal auch für junge Menschen
schweren Sprache verfasst sind, sondern um Petitionen
zu Anliegen, die von Menschen aus der Mitte des Lebens formuliert und vorgetragen werden, so wie es diese
jungen Menschen auch selber erleben.
Es hat aber auch etwas mit der kollegialen Zusammenarbeit und der Atmosphäre im Ausschuss zu tun.
Auch wenn die eigentlich nicht vorgesehene politische
Diskussion schon mal die Gemüter erhitzt, gerade wenn
es um Brennpunktthemen wie Arbeit, Soziales oder auch
Energie geht, so kommt man doch eher wieder zusammen und ist eher bemüht, fraktionsübergreifend Einigkeit herzustellen.
Für diese Atmosphäre danke auch ich allen Kolleginnen und Kollegen am Ende der Legislaturperiode. Wir
haben es gehört: Einige werden dem neuen Parlament
nicht mehr angehören. Sie werden sicher diesen Ausschuss in einer ganz besonderen Erinnerung behalten.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind bereits viele Zahlen genannt worden. Allen gemeinsam ist,
dass sie stetig zunehmen, in den letzten Jahren teilweise
sprunghaft. Beschäftigt man sich damit, dann kann man
eine hohe Sensibilität und auch ein verstärktes Interesse
an politischen Inhalten der Bürgerinnen und Bürger erkennen. Manch eine Petition hätte es verdient, heute
noch mehr Erwähnung zu finden, als es schon geschieht.
Ausgehend von einem aktuellen Anlass möchte ich zunächst zwei ansprechen:
Wir erleben zurzeit eine dramatische Flutkatastrophe
in Teilen unseres Landes. Es geht nicht nur um materielle Werte, die verloren gehen. Die Menschen erleben
eine schwere, emotionale Zeit, und selbstverständlich
muss ihnen sehr schnell in der Existenzsicherung sowie
Schadensregulierung geholfen werden, Bund-Länderund parteiübergreifend.
Groß ist aber auch das Angebot der unmittelbaren
Hilfe, wie sie die Fernsehbilder zurzeit prägen: Nachbarn, Freunde, Einsatzkräfte von THW und Feuerwehren
aus allen Landesteilen. Die Allermeisten leisten diese
Arbeit unentgeltlich im Ehrenamt. Ihnen gehört unser
Dank.
({1})
Warum führe ich dieses Beispiel an? Zahlreiche Petitionen haben sich mit einer verbesserten Anerkennung
des Ehrenamtes befasst, beispielsweise mit einer Anpassung von Aufwandsentschädigungen, aber auch anderem, und fanden Eingang in den Bericht. Der Petitionsausschuss hielt es für erforderlich, hier tätig zu werden.
Im Februar dieses Jahres haben wir dann mit breiter
Mehrheit und ohne Gegenstimmen ein Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes hier im Parlament verabschiedet.
Das Ehrenamt ist uns allen wichtig, und was es zu leisten
imstande ist, sehen wir auch in Tagen wie diesen.
Gleichermaßen im Einsatz ist die Bundeswehr. Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten helfen Schulter an
Schulter mit den Menschen vor Ort, was ihnen Anerkennung und Respekt entgegenbringt. Auch ihnen gehört
unser Dank.
Die Bundeswehrreform brachte erneut eine hohe Zahl
an Petitionen. Eine möchte ich herausgreifen: Der Ausschuss unterstützt die Forderung eines Petenten, Dienstzeiten von Soldaten auf Zeit bei einer späteren Einstellung im öffentlichen Dienst als einschlägige
Berufserfahrung zu berücksichtigen. Wir wollen die Attraktivität der Arbeit in unserer Bundeswehr stärken. Im
öffentlichen Dienst können und müssen wir darauf Einfluss nehmen, dass diese Menschen nach ihrer Zeit im
Einsatz nicht Berufsanfängern gleichzustellen sind.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jeder Petent
erhält im Verfahren die gleiche Aufmerksamkeit. Wir
müssen auch in Zukunft darauf achten, dass wir bei der
stark steigenden Zahl der Online- oder Massenpetitionen
und dem Wunsch nach öffentlichen Petitionen den Blick
für das Einzelschicksal nicht vergessen. Stellvertretend
möchte ich abschließend eines benennen: Eine Petentin
beschwerte sich über das Geschäftsgebaren einer Bank
bzw. Bausparkasse, die ihr zum Kauf einer bestimmten
Immobilie geraten hatte. Zur Finanzierung musste sie
ihre gesamten Ersparnisse verbrauchen und einen hohen
Kredit aufnehmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Petentin
bereits 64 Jahre alt und hätte den Kredit ohnehin niemals
tilgen können. Ob und inwieweit durch die Bank Aufklä31194
rungspflichten verletzt wurden, ließ sich abschließend
nicht mehr klären, zumal ein Gericht zu diesem Zeitpunkt den Antrag der Petentin auf Prozesskostenhilfe
mangels Erfolgsaussichten bereits abgelehnt hatte. Wir
sind nicht befugt, gerichtliche Entscheidungen zu überprüfen, aufzuheben oder gar abzuändern. Aber wir konnten in mehreren Gesprächen - auch mit der zuständigen
Bank - der Petentin aus ihrer schwierigen Situation helfen, indem nun wenigstens auf die Zahlung noch bestehender Restforderungen verzichtet wurde.
Jede Petition bedarf der Vorbereitung und Aufarbeitung. Ich danke deshalb besonders den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Ausschussdienstes. Ihnen, meine
sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, habe ich schon
gedankt. Aber gestatten Sie mir, in Ihrem Namen auch
den Mitarbeitern in unseren Büros ausdrücklich Dank zu
sagen.
({3})
Sie haben es nicht immer einfach mit uns. Wir wissen,
welche Vorarbeiten sie leisten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Stefan Schwartze für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Liebe Frau Vorsitzende und ganz besonders liebe Bürgerinnen und Bürger! Die Vorstellung des
Jahresberichts des Petitionsausschusses ist das Ergebnis
Ihrer Eingaben an den Deutschen Bundestag, ein Recht,
das Ihnen nach dem Grundgesetz zusteht. Als Mitglieder
des Petitionsausschusses lernen wir bei jedem Anliegen
jeden Tag dazu. Wir lernen dazu, was die Menschen in
unserem Land bewegt.
Es gab viele Einzelanliegen und persönliche Probleme, aber auch viele Petitionen, die sich für das Wohl
der Gesellschaft, für Bedürfnisse anderer, also für das
Miteinander, einsetzten. Das Miteinander macht auch
wichtige Teile der Ausschussarbeit aus. Als Erstes
möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Ausschussdienstes herzlich danken. Wir als Berichterstatter sind ganz besonders auf ihre gute fachliche Zuarbeit angewiesen. Manchmal kommen wir nicht umhin,
den einen oder anderen Sonderwunsch an sie zu richten.
Dafür, dass sie uns immer zuarbeiten, helfen und unterstützen, danke ich ihnen ganz besonders. Ich hoffe weiterhin auf gute Zusammenarbeit; denn ich möchte sie dafür gewinnen, das Petitionswesen in der Zukunft noch
populärer zu machen. Im Netz tummeln sich mittlerweile Plattformen, die keinen Draht zum Parlament haben,
({0})
es aber schaffen, Scharen an Unterstützern für gewisse
Petitionen zu gewinnen. Ich möchte diese Leute zu uns
holen. Mit dem Petitionsausschuss des Bundestages und
dem Petitionsrecht kann man politisch etwas bewegen
und ändern. Bei uns kommt es zu einem parlamentarischen Prozess. Wir kümmern uns um jede Petition.
Die entscheidende Frage lautet: Wie erreichen wir
mehr Bürgerbeteiligung? Ich wünsche mir, die Mitzeichnungsfrist für öffentliche E-Petitionen zu verlängern und
das Quorum zu senken.
({1})
Vielleicht erreichen wir somit eine größere Bandbreite
für unsere öffentlichen Beratungen. Gerade im Bereich
der Netzpolitik haben wir gesehen, dass eine große Beteiligung an Mitzeichnungen erfolgt. Das Anliegen,
ACTA nicht zu ratifizieren, erreichte schon nach kurzer
Zeit das notwendige Quorum. In knapp zwei Wochen
geht es um die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. Da hat es tatsächlich ein 19-Jähriger bereits nach
drei Wochen geschafft, fast 80 000 Unterschriften zu
sammeln. Das heißt, man braucht keine große Organisation und auch keinen großen Verband. Auch der Einzelne kann das schaffen.
Wie Sie sehen, hat unser System viel Potenzial, und
das müssen wir weiter ausschöpfen. Wir wollen mehr direkte Demokratie. Es gibt viele Möglichkeiten und
Ideen, die wir als SPD in der nächsten Legislaturperiode
voranbringen möchten. Wir wollen besondere Petitionen
auch im Plenum behandeln.
({2})
Auch das stand in Ihrem Koalitionsvertrag. Ich hoffe,
dass wir uns in der nächsten Wahlperiode darauf einigen
können.
Ein weiterer Punkt ist die Ausgestaltung unserer Ortstermine. Die Ortstermine haben eine besondere, eine
ganz eigene Gewichtung. Es kommt nicht nur gut an,
wenn der Ausschuss vor Ort ist, sondern im persönlichen
Gespräch und durch Anschauung vor Ort kommen wir
oftmals zu einer anderen Sichtweise.
({3})
Dies wollen die Petenten erreichen, und wir wollen in
möglichst vielen Fällen weiterhelfen. Daher spreche ich
mich klar für die Ausweitung solcher Möglichkeiten aus.
Ein weiterer Punkt, den ich gerne ansprechen möchte,
ist, dass wir weiter mit der technischen Entwicklung mitgehen. Die E-Petition war eine große Bereicherung, lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, ob wir
nicht eine Petitions-App starten, um den modernen Medien Rechnung zu tragen.
({4})
- Danke. - An dieser Stelle möchte ich mich bei den
Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen bedanken.
Die Arbeit in den letzten vier Jahren hat mir sehr viel
Spaß gemacht. Das liegt nicht zuletzt an dem kollegialen
Umgang, den wir miteinander hatten. Der persönliche
Einsatz von jedem und das persönliche Gespräch haben
uns oft zum Erfolg gebracht.
An einer Stelle hätte ich mir aber ganz besonders einen gemeinsamen Erfolg gewünscht. Leider war das mit
der Union bisher nicht zu erreichen. Ich spreche von der
Petition des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbl zur
Wiedergutmachung des Schicksals der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Das Anliegen stammt aus
der letzten Wahlperiode. Mehr als zwei Drittel der ehemaligen Kriegsgefangenen haben unter den Nazis die
Kriegsgefangenschaft nicht überlebt. Sie wurden systematisch vernichtet. Im Moment leben noch ganze
4 000 von ihnen. Lassen Sie uns jetzt helfen, bevor es
auch für den letzten Überlebenden zu spät ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, geben Sie sich an dieser Stelle einen Ruck! Der gemeinsame Antrag von SPD
und Grünen liegt jetzt vor.
({5})
Zum Schluss noch einige persönliche Worte. Mein
persönlicher Dank und der Dank unserer Arbeitsgruppe
geht an die Mitglieder des Ausschusses, von denen wir
wissen, dass wir sie in der nächsten Wahlperiode nicht
wiedersehen werden. Ich möchte mich ganz herzlich bei
Herrn Dr. Röhlinger für die nette, freundliche und immer
sehr menschliche und an der Sache orientierte Zusammenarbeit bedanken. Ich möchte mich bei Frau
Vogelsang bedanken. Wir haben gemeinsam für die Sternenkinder wirklich etwas Gutes auf den Weg gebracht.
Ich habe gerne mit Ihnen zusammengearbeitet und wünsche Ihnen alles Gute.
({6})
Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Freund
Toni Schaaf, der uns allen nicht nur als Rentenfachmann
fehlen wird. Viel größer, Toni, ist die Lücke, die du als
Mensch, als ehrlicher Ratgeber und guter Freund in meinem Berliner Alltag hinterlässt. Danke Toni.
({7})
Meinen besonderen Dank und den Dank der ganzen
AG möchte ich an Klaus Hagemann richten. Lieber
Klaus, angefangen hast du in der Kommunalpolitik; sieben Jahre lang warst du Bürgermeister von Osthofen.
Diese Zeit hat dich geprägt und dafür gesorgt, dass du
immer dein Ohr und dein Herz bei den Menschen hast.
Seit 19 Jahren bist du im Bundestag. Seit 15 Jahren - wir
durften es eben noch einmal erleben - streitest du leidenschaftlich für das Petitionsrecht, für das Anliegen des
Einzelnen und für die Sache.
Du hast in dieser Wahlperiode das Sprecheramt unserer Arbeitsgruppe übernommen, mit lauter Neulingen an
deiner Seite, und hast uns mutig in das Petitionswesen
eingeführt. Eines bist du immer geblieben, nämlich Lehrer.
({8})
Deine Klassen hast du dir jede Sitzungswoche neu zusammengestellt. Die Zahl der Praktikanten über die
Jahre kann man nur schätzen. Dein Büro meint, es seien
deutlich über Tausend gewesen. Von Brasilien bis Usbekistan, von Kamerun bis Australien, alle Kontinente waren vertreten. Besonders wichtig war es dir, den jungen
Menschen aus Frankreich und Polen die Möglichkeit zu
geben, einen Einblick in die Politik in Deutschland, aber
auch in das Leben in unserem Land zu geben. Also: Lehrer aus Leidenschaft. Das ist dein ganz persönliches Programm der Völkerverständigung gewesen und wird es
wahrscheinlich auch noch bleiben.
Du hast uns allen Petitionen nahegebracht und unsere
Leidenschaft dafür geweckt. In unserer AG werden die
Ideen der Mitarbeiter und Praktikanten genauso ernst genommen wie die der Abgeordneten. Toni Schaaf hat es
auf den Punkt gebracht: AG kann auch Spaß machen.
({9})
Lieber Klaus, ich danke dir für deine Unterstützung
und das Vertrauen, das du mir und uns allen entgegengebracht hast. Ich habe mich über jeden Tag gefreut, den
wir zusammengearbeitet haben. Ich wünsche dir alles
Gute und sage an dieser Stelle einfach: Danke, Klaus.
({10})
Liebe Präsidentin, ich bedanke mich ganz herzlich
auch bei Ihnen.
Ich gestehe, in anderen Debatten nützt das Abdecken
des Lichtsignals nichts. Das sage ich vorsorglich mit
Blick auf die Folgenden.
Jetzt hat der Kollege Hagen Reinhold für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Bürger! Ich schließe
mich meinem Vorredner ganz ausdrücklich an: Ohne
Sie, die Bürger, und ihre fleißige Arbeit ständen wir
heute nicht hier. Jedem sollte bewusst sein, dass es nicht
nur uns viel Arbeit macht, Petitionen zu bearbeiten; vielmehr ist auch der Weg zu uns hin tatsächlich nicht immer ein kurzer, schon gar nicht, wenn die Bürgerinnen
und Bürger dafür viele Unterstützer sammeln.
Herr Kilic, ich muss Ihnen sagen: Ich sehe es übrigens
nicht als Defizit, dass ich nicht als Rechtsanwalt vor Ihnen stehe, sondern nur als Bauunternehmer. Ich finde das
sogar ganz angenehm und sage Ihnen auch gleich, warum. Frau Lips hat sich schon als eine Person geoutet,
der erst später dazugekommen ist. Mir ging es genauso:
Vor einigen Monaten stieß ich zu Ihnen und durfte im
Petitionsausschuss mitarbeiten. Ich kann aus meinem
Blickwinkel Aspekte nennen, die mir in diesen wenigen
Monaten aufgefallen sind.
Ein Aspekt ist, dass ich es ausgesprochen gut finde,
dass sich im Petitionsausschuss Abgeordnete einmal
über das Fachgebiet, das sie sonst vertreten, hinaus, um
Angelegenheiten kümmern können. Sie können dabei
eine Sichtweise einnehmen, die Fachpolitiker manchmal
nicht haben. Ganz aktuell ist mir eine Petition zur Dialyse in Erinnerung; dafür wurden in kurzer Zeit, ich
glaube, 80 000 Unterschriften gesammelt. Ich gehöre
nicht dem Gesundheitsausschuss an. Ich fand es unheimlich angenehm und auch sehr hilfreich, dass wir einmal
einen Blick über den Tellerrand hinaus wagen konnten.
Als Personen, die eben nicht im Gesundheitsausschuss
gefangen sind, konnten wir einen ganz anderen, offenen
Blick für die Dinge haben. Ich glaube, so etwas ist an
vielen Stellen sehr hilfreich.
({0})
Ich freue mich, in dieser Debatte feststellen zu können, dass wir über alle Fraktionen hinweg diese lebendige Bürgerbeteiligung unterstützen, weiter hegen und
pflegen wollen. Genauso wie Petitionen Legislaturperioden überleben - Herr Hagemann, da greife ich einmal
auf, worauf Sie und andere Ihrer Fraktion hingewiesen
haben -, überleben selbstverständlich gute Ideen. Auch
ich würde mich freuen, wenn wir es schaffen würden,
Bürgerplenarverfahren einzuführen. Es wäre dann möglich, dass Bürger Tagesordnungspunkte im Plenum bestimmen. Ich freue mich einfach darauf, dass Sie dem
Gesetzentwurf, den die Regierungsfraktion FDP in der
nächsten Legislaturperiode initiieren wird, zustimmen.
Ich bin ganz optimistisch, dass das passieren wird.
Es wurde schon viel darüber gesagt, inwiefern die
vielen Tausend Petitionen, die beim Petitionsausschuss
eingegangen sind, ein Seismograf der Gesellschaft sind.
Diese Petitionen zeigen uns Missstände und auch Auswirkungen von Gesetzen auf, die wir manchmal vielleicht nicht bedenken.
Um ein kurzes Beispiel zu nennen, verweise ich auf
einen ziemlich hartnäckigen Petenten, der es im rechtspolitischen Bereich bereits zweimal geschafft hat, dafür
zu sorgen, dass sein Anliegen im Bundesgesetzblatt Niederschlag findet. Sein Name ist wahrscheinlich vielen
bekannt; ich will ihn hier nicht nennen. Das zeigt, Petitionen sind nichts, was einfach an einem vorbeigeht.
Ganz im Gegenteil, sie wirken. Man kann mit ihnen die
Politiker sehr gut zum Nachdenken bringen. Manches
Anliegen erlangt tatsächlich Gesetzesform. Das sollte
den Leuten Mut machen, weiter an Petitionen zu arbeiten und sie einzureichen.
Selbstkritisch sei mit Blick auf meine Erfahrungen in
den vergangenen Monaten gesagt: Mir erscheint die Zeit
manchmal ziemlich lang, die es braucht, bis die Antwort
auf eine Petition den Petenten erreicht. Ich glaube, an
dieser Sache sollten wir alle arbeiten. Das zeigt zwar,
dass wir uns sehr viel Mühe machen bei der Prüfung, bei
Berichterstattergesprächen, wenn wir die Antworten der
Ministerien durcharbeiten, wenn wir Expertengespräche
führen - all das zeichnet unseren Ausschuss auch aus -,
aber, ich glaube, es ist wichtig, dass wir dem Petenten relativ schnell eine Antwort zur Verfügung stellen.
({1})
Ich rufe alle Bürger auf, weiterhin so fleißig zu sein,
würde mir auch wünschen - dafür muss noch Zeit sein -,
dass wir für den nächsten Bericht etwas mehr Petitionen
aus den neuen Bundesländern - bei aller Skepsis dem
Staat gegenüber; das hat historische Gründe; ich kann
das nachvollziehen - auf den Tisch bekommen. Wenn
wir uns den Bericht anschauen, können wir da eine Unausgewogenheit feststellen. Petitionen sind wichtig. Sie
zeigen uns Sachen auf, an die wir im politischen Alltag
manchmal nicht denken. Alle sind aufgerufen, hier weiter mitzumachen.
Ich will nicht versäumen, an dieser Stelle auch dem
Ausschussdienst zu danken. Den Mitarbeitern in den Büros ist schon gedankt worden. Aber auch den Mitarbeitern in den Fraktionen gilt mein Dank. Es ist schon gesagt worden: Es ist sehr viel Arbeit, Petitionen zu
beraten und darüber zu entscheiden. Viele haben einen
Anteil daran. Das sollte an dieser Stelle erwähnt werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Remmers für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren des Ausschussdienstes!
Bei so viel berechtigter Lobhudelei tut es mir fast schon
ein bisschen leid, jetzt doch etwas Essig in den Wein gießen zu müssen; es wäre sonst aber auch langweilig.
Nichtsdestotrotz habe ich dann gleich noch ein paar
positive Punkte.
Ich freue mich natürlich, auch in diesem Jahr wieder
zum Jahresbericht des Petitionsausschusses reden zu
können. Lieber aber noch würde ich über andere Themen reden, zum Beispiel über das bedingungslose
Grundeinkommen.
({0})
Zu diesem Thema gab es nämlich sage und schreibe
56 Petitionen, und sie wurden von mehr als 57 000 Menschen unterstützt. In fast allen Parteien wurden dazu
Vorschläge erarbeitet, und in der Öffentlichkeit gab es
breite Diskussionen dazu. Da kann man sich doch zu
Recht einmal fragen: Warum wird dieses Thema nicht
auch im Plenum des Deutschen Bundestages diskutiert?
({1})
Dieselbe Frage kann ich zu vielen anderen Themen
stellen, die sich in Form öffentlicher Petitionen als Themen von großem öffentlichen Interesse erweisen. Dazu
gehören zum Beispiel die Existenzfrage freiberuflicher
Hebammen, die große Empörungswelle gegen die Sperrung von Internetseiten, die Forderung nach Abschaltung der Atomkraftwerke, alles Themen mit überwiegend mehr als 100 000 Unterschriften, die beweisen,
dass das jeweilige Thema die Menschen in diesem Land
bewegt. Im Bundestag diskutiert werden dürfen sie aber
nur, wenn eine Fraktion einen Antrag dazu stellt.
({2})
Die Bevölkerung selbst hat keinen direkten Einfluss darauf. Wenn aber diese Fragen die Menschen so sehr bewegen, warum geben wir ihnen dann nicht endlich die
Möglichkeit, ihr Thema über den Weg der öffentlichen
Petition selber auf die Tagesordnung des Deutschen
Bundestages zu setzen?
({3})
Auch der Antrag meiner Fraktion dazu konnte die
Unionsfraktion leider nicht bewegen, den Bürgerinnen
und Bürgern zu erlauben, eigene Themen zu setzen, und
das, obschon vier von fünf Fraktionen in diesem Haus
genau das fordern. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, halten Sie sich nicht einmal
- das haben wir schon gehört - an Ihren eigenen Koalitionsvertrag, und Sie zeigen damit, was Sie von mehr
Bürgerbeteiligung tatsächlich halten, nämlich doch eher
wenig. Sie setzen weiterhin darauf, dass wir in Hinterzimmern Absprachen zu Petitionen treffen, sodass die
Bürgerinnen und Bürger außen vor bleiben und möglichst nicht ganz so genau erfahren, wie wir mit ihren
Anliegen umgehen. Das sollten wir dringend ändern.
({4})
Entscheidend bei einer Petition ist natürlich, was am
Ende herauskommt. Es gibt viele Themen, bei denen es
gar kein rechts oder links gibt, die Reform der GEMA
zum Beispiel. Sie wurde 2012 nun schon mit der zweiten
öffentlichen Ausschusssitzung allein in dieser Legislaturperiode gefordert. Zur Reform der GEMA gab es seit
1998 insgesamt 1 063 Petitionen. Herzlichen Dank an
den Kollegen Lemme für diese Zahl, wie immer du sie
herausbekommen hast. Wir haben es nicht geschafft. Die
Bundesregierung weiß spätestens seit dem Bericht der
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ aus dem
Jahr 2008, was geändert werden muss. Sie tut aber
nichts.
Ähnliches gilt für die Forderung nach einer Finanztransaktionsteuer. Sie wurde 2012 mit der Begründung,
dass dem Anliegen bereits „teilweise entsprochen“
wurde, von der Ausschussmehrheit abgesetzt. Diese
Formulierung ist eigentlich eine Zumutung für die mehr
als 66 000 engagierten Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
({5})
Was ist so schlimm daran, solche Anliegen mit einem
hohen Votum an die Regierung zu überweisen und dadurch zu gewährleisten, dass das Thema nicht versandet
und im Ausschuss regelmäßig über Fortschritte oder
Nichtfortschritte berichtet werden kann? Im Falle der
Transaktionsteuer haben sich schließlich sogar die Bundeskanzlerin und der Finanzminister dazu bekannt, sie
einführen zu wollen.
Ebenfalls im Jahr 2012 erhielten wir die Antwort der
Bundesregierung auf eine Petition, die die Schließung
des Bombenabwurfplatzes in Nordhorn in Niedersachsen forderte. Der Ausschuss hatte die Petition als
Material überwiesen, per einstimmigem Beschluss. Die
Bundesregierung antwortete im Mai 2012, dass „alternative Übungsmöglichkeiten für die Luftstreitkräfte geprüft“ und eine „gerechte Lastenverteilung“ angestrebt
würden. Der Presse mussten wir Abgeordnete entnehmen, dass nach der Schließung des Luft-Boden-Schießplatzes in Siegenburg/Bayern Nordhorn der einzige noch
verbleibende Luft-Boden-Schießplatz in ganz Deutschland sein wird. Als wäre es noch nicht genug, dass die
Einwohnerinnen und Einwohner seit mehr als 60 Jahren
unter dem Lärm und den Gefahren leiden, werden dort
jetzt zu allem Überfluss auch noch Drohneneinsätze trainiert. Wenn der Ausschuss seine Arbeit wirklich ernst
nehmen würde, dann müssten die zuständigen Staatssekretäre diese Vorgänge im Ausschuss erklären.
({6})
Um aber wenigstens zu kleineren Verbesserungen in
unseren Wirkungsmöglichkeiten zu kommen, möchte
ich etwas anregen: In der nächsten Legislaturperiode
sollte der Petitionsausschuss überlegen, einen Härtefallfonds einzurichten
({7})
- herzlichen Dank, Frau Kollegin -, mit dem der Ausschuss in Einzelfällen auch einmal schnell und unbürokratisch helfen kann.
({8})
Sie erinnern sich sicherlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen - Herr Schwartze hat es eben angesprochen -,
an die Petition des Vereins KONTAKTE, der sich für die
Einbeziehung der sowjetischen Kriegsgefangenen in die
Entschädigungszahlungen der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ eingesetzt hat. Am Ende
hieß es, die Stiftung habe kein Geld mehr, und die wenigen noch lebenden Hochbetagten gingen leer aus. Ich
denke, es würde dem Ausschuss gut zu Gesicht stehen,
wenn pro Jahr für solche oder ähnliche Fälle eine
Summe X zur Verfügung stünde. Der Ausschuss könnte
dann entscheiden, welche Petenten im Einzelfall eine
Zuwendung erhalten, zum Beispiel für medizinische
Leistungen oder andere Härtefälle, bei denen keine andere Rechtsgrundlage für Hilfe vorhanden ist. Der Petitionsausschuss in Thüringen hat übrigens einen solchen
Härtefallfonds. Ich würde mich freuen, wenn der künftige Petitionsausschuss diesem guten Beispiel folgen
würde.
Nichtsdestotrotz hat dieser Ausschuss - wir haben es
jetzt vielfach gehört - im vergangenen Jahr viel Gutes
geschafft. Ein Beispiel hat die Kollegin Lips eben schon
angesprochen. Es ging um den Fall einer alten Dame, die
wir in Zusammenarbeit mit der Kollegin Sabine Weiss
von der CDU entschulden konnten. Ich finde, dass das
ein sehr schönes Ergebnis ist. Das zeigt, dass man in solchen Fällen parteiübergreifend gut zusammenarbeiten
kann. Herzlichen Dank auch dafür!
({9})
Auch die öffentliche Ausschusssitzung zum Thema
ACTA - davon haben wir eben auch schon gehört - und
viele andere habe ich in guter Erinnerung. Die vielen
Zehntausend Unterschriften haben auf jeden Fall mitgeholfen, die geplante Internetüberwachung zu stoppen.
Von diesen guten Arbeitsergebnissen gibt es noch
eine ganze Reihe. Auch deshalb werde ich die Arbeit im
Petitionsausschuss in guter Erinnerung behalten. Ich bedanke mich bei den Ausschussmitgliedern für die, trotz
aller Kritik, gute Zusammenarbeit. Mein Dank gebührt
natürlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des Ausschussdienstes für ihre unermüdliche Arbeit mit
den vielen Tausend Akten. Ich wünsche dem neu zu
wählenden Petitionsausschuss viel Erfolg und hoffe natürlich, dass dann die Verfahrensgrundsätze, lieber
Klaus, wieder auf den Prüfstand kommen. Im digitalen
Zeitalter müssen wir auch neue Wege für bessere Bürgerbeteiligung in der Politik finden. Das kann uns niemand abnehmen.
Vielen Dank.
({10})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Stefanie Vogelsang von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich glaube, 7 oder 8 Mitarbeiter des Ausschussdienstes sitzen auf der Tribüne stellvertretend für die 85 Kolleginnen und Kollegen, die für
uns im Ausschussdienst tätigen werden, die hin und her
recherchieren, die der Regierung manchmal auf die
Nerven gehen, wenn sie einen Aktenvorgang zwei-, dreioder viermal an ein Regierungsmitglied schicken, und
mit viel Geduld unsere Arbeit vorbereiten. Ich möchte
ihnen stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen,
die dort mitwirken, herzlich danken.
({0})
Ein herzlicher Dank geht auch an die Kolleginnen
und Kollegen im Ausschuss. Ich arbeite nicht nur im Petitionsausschuss, sondern auch im Haushalts- und im
Gesundheitsausschuss, und ich kann Ihnen sagen: Die
Arbeit im Petitionsausschuss macht am meisten Spaß.
({1})
Normalerweise ist es so, dass man als letzte Rednerin
in einer Debatte versucht, einen versöhnlichen Endpunkt
zu finden, also das Ganze zu einem positiven Ende zu
führen. Insofern bin ich Ihnen, Frau Remmers, sehr
dankbar, dass ich hier mit Kritik nicht ganz alleine stehe.
Ich habe den Jahresbericht gelesen. Hier und vor allen
Dingen in Ihrer Rede, Frau Ausschussvorsitzende, zum
Jahresbericht haben Sie darauf hingewiesen, dass es in
diesem Jahr weniger hohe Voten gegeben hat als in den
Jahren davor.
({2})
- Ich glaube, neben Herrn Hagemann haben Sie es auch
gesagt. - Sie haben insbesondere kritisiert, dass die Bundesregierung von den Vorhaben mit einem hohen Votum,
die wir ihr also zur Berücksichtigung oder Erwägung
überwiesen haben, relativ wenig umgesetzt hat, dass sie
an relativ wenig herangegangen ist. Eine Möglichkeit,
warum das so ist, haben Sie dabei völlig außer Acht gelassen, nämlich die Arbeit des Gesetzgebers. Wenn Sie
sich einerseits die Petitionen mit den jeweiligen Voten
im Petitionsausschuss anschauen und andererseits die
verschiedenen Gesetze vergegenwärtigen, über die wir
beraten haben, dann werden Sie feststellen, dass es in
kaum einer anderen Wahlperiode so viele Petitionen gegeben hat, bei denen die besonders aktive Arbeit der
Kolleginnen und Kollegen in ihren Fachausschüssen
dazu geführt hat, dass es zu dem Votum kam: Abschluss,
weil erledigt bzw. teilweise erledigt.
Der Kollege von der FDP hat gesagt, dass es hilfreich
sei, wenn man im Petitionsausschuss Fachbereiche
behandle, mit denen man sich nicht im Fachausschuss
beschäftige, weil man so einen anderen Blick für die
Dinge habe. Ich glaube, dass auch die Kombination etwas Gutes hat: Einerseits sind Leute da, die einen anderen Blick haben, andererseits sind Leute da, die im Fachausschuss - vielleicht dank ihres offenen Blicks - den
Finger in die Wunde legen können.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel aus dem Jahre 2012
bringen. Wir hatten eine Petition der Deutschen
Schmerzliga,
({3})
vertreten durch Marianne Koch, die wir alle kennen. Wir
haben zur Zeit der Großen Koalition gemeinsam und mit
großer Unterstützung der Fraktion der Grünen ein Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung verabschiedet, durch das die Möglichkeit sogenannter Rabattverträge für die gesetzlichen
Krankenversicherungen eingeführt wurde. Mit diesen
Rabattverträgen sollen die Preise nach unten gedrückt
werden. Wir alle haben in unseren Wahlkreisen in den
Bürgerbüros mit Kritik der Bürgerinnen und Bürger an
diesen Rabattverträgen zu tun; gerade ältere Menschen
sind nicht ganz sicher, ob sie das Richtige bekommen,
wenn der Wirkstoff zwar der gleiche ist, aber das
Medikament ausgetauscht wurde. Bei Schmerzpatienten,
die mit sehr starken Opioiden oder anderen Schmerzmedikamenten behandelt werden müssen, geht es aber
nicht nur um den Austausch der Medikamente, sondern
auch um entsprechende Begleiterscheinungen, die mit
den Medikamenten einhergehen. Von diesen Begleiterscheinungen hängt das Wohlbefinden der Patienten
und die Wirksamkeit des Medikaments ab. Wir, der Petitionsausschuss, haben uns in einer öffentlichen Anhörung intensiv damit beschäftigt. Diejenigen, die Kontakt
zur Gesundheitspolitik haben, haben sehr stark dafür gekämpft, dass wir ein Gesetz bekommen, in dem Ausnahmen vorgesehen werden, damit der mit den Rabattverträgen verbundene Zwangsaustausch des Medikaments
insbesondere bei Schmerzpatienten nicht mehr stattfinden muss.
Wir als Gesetzgeber haben im Jahre 2012 dann ein
entsprechendes Gesetz verabschiedet; dafür haben wir
die Regierung gar nicht gebraucht. Dieses Gesetz ist im
Oktober 2012 in Kraft getreten. Man müsste nun annehmen: Der Petitionsausschuss hat das Anliegen aufgenommen, es ist von den Parlamentariern in den Gesundheitsausschuss transportiert worden, ein Gesetz wurde
erlassen und den Menschen ist geholfen.
Im Gesundheitswesen ist es nun so, dass konkrete
Entscheidungen eher von den Fachleuten im Gemeinsamen Bundesausschuss getroffen werden. Die gesetzliche Krankenversicherung und die Apotheker haben dieses ausgesessen. Wir haben entsprechende Hinweise
darauf bekommen, von der Deutschen Schmerzliga erhielten wir ein Schreiben, dass sich auch infolge der
Umsetzung der Petition nichts getan hat.
Wir als Petitionsausschuss haben das bei einem Gespräch mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss angesprochen. Heute Morgen hat der Gesundheitsausschuss
des Deutschen Bundestages eine Entschließung gefasst
und darin die Apotheker und die gesetzliche Krankenversicherung aufgefordert, endlich tätig zu werden. Wir
sind einstimmig übereingekommen: Ihr müsst das bis
1. August dieses Jahres tun und nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag.
Der Petitionsausschuss ist also nicht nur Seismograf
für Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, sondern
der Petitionsausschuss ist auch für uns Fachpolitiker sehr
wichtig. Wir sollten dabei nicht nur auf das Tun der Bundesregierung schielen, sondern selbst im Rahmen unserer Ausschussarbeit als Gesetzgeber tätig werden, und
die Regierung sollte dann gefälligst das tun, was wir ihr
sagen - Entschuldigung, Herr Staatssekretär. Dieser
ganze Aspekt hat mir in Ihrem Bericht, Frau Vorsitzende, gefehlt. Ich glaube, dass das zu berücksichtigen
ist.
Ich möchte mich bei meinen supernetten Kolleginnen
und Kollegen im Petitionsausschuss bedanken, bei meinem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, der immer
ein offenes Ohr für unsere Kümmernisse hat. Ich danke
auch Ihnen, Frau Vorsitzende, denn bei aller Kritik: Sie
haben das klasse gemacht. Herr Schwartze, vielen Dank
für die netten Worte.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes
- Drucksache 17/12370 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({0})
- Drucksache 17/13689 Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Börnsen ({1})Angelika Krüger-LeißnerDr. Claudia WintersteinKathrin Senger-SchäferClaudia Roth ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({4}), Marco
Wanderwitz, Johannes Selle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt
Müller-Sönksen, Reiner Deutschmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Originäre Kinderfilme aus Deutschland stärker fördern
- Drucksachen 17/12381, 17/13689 Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Börnsen ({5})Angelika Krüger-LeißnerDr. Claudia WintersteinKathrin Senger-SchäferClaudia Roth ({6})
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 8. November 2001 zum Schutz
des audiovisuellen Erbes und zu dem Protokoll
vom 8. November 2001 zum Europäischen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes betreffend den Schutz von Fernsehproduktionen
- Drucksache 17/12952 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({7})
- Drucksache 17/13690 Berichterstattung:Abgeordnete Johannes SelleAngelika Krüger-LeißnerBurkhardt Müller-SönksenKathrin Senger-SchäferTabea Rößner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Staatsminister Bernd Neumann.
({8})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen, die politisch zu diesem Bereich gehören, sind mittlerweile atemlos hier im Saal angekommen. Ich freue
mich, dass ich das Thema nicht alleine vertreten muss.
({0})
Das Filmförderungsgesetz ist ja ein zeitlich begrenztes Gesetz. Alle fünf Jahre ist eine Novellierung erforderlich. Ich selbst bin mittlerweile zum vierten Mal aktiv
daran beteiligt - passiv noch länger -: zweimal aus der
Perspektive des Abgeordneten und zweimal aus der
Perspektive des Kulturstaatsministers.
Bemerkenswert dabei war und ist, dass wir jedes FFG
mit großer Einmütigkeit beschlossen haben. Es gab immer so gut wie keine Gegenstimmen, so jetzt auch im
Kulturausschuss. Das heißt, in Bezug auf den Bereich
der Filmpolitik gibt es im Deutschen Bundestag, von
Einzelfragen abgesehen, prinzipiell einen fraktionsübergreifenden Konsens. Das tut dem deutschen Film und
der Filmwirtschaft gut.
Dass man ohne Übertreibung sagen kann, dass die
Filmpolitik in den letzten Jahren zu den besonders erfolgreichen Kapiteln der Kulturpolitik auf Bundesebene
gehört - so zumindest sieht es die gesamte Community -,
ist ein gemeinsamer Erfolg, an dem alle Fraktionen beteiligt sind. Deshalb danke ich Ihnen dafür sehr herzlich.
({1})
Das FFG ist immer wieder Spiegel der aktuellen
Filmpolitik. Meine Kollegen Selle und Börnsen werden
gleich aus Sicht der CDU auf die Veränderungen im
heute zu verabschiedenden Entwurf eingehen. Ich selbst
möchte zum Ende dieser Legislaturperiode gern eine
kurze filmpolitische Bilanz ziehen. Lassen Sie mich fünf
Punkte hervorheben:
Erstens. Deutschland ist wieder ein attraktiver internationaler Produktionsstandort. Der Deutsche Filmförderfonds, den es seit 2007 gibt, der also in der Zeit der
Großen Koalition aufgelegt wurde - damals hatte er ein
Volumen von 60 Millionen Euro - und von der jetzigen
Koalition fortgesetzt wurde - im Jahr 2013 wurde das
Volumen auf 70 Millionen Euro erhöht -, ist ein Erfolgsmodell. Viele kleine anspruchsvolle Filme werden stärker unterstützt. Über das Studio Babelsberg, das fast illiquide, fast zahlungsunfähig war, kann man mittlerweile
sagen: Babelsberg lebt und produziert. Internationale
Großproduktionen finden wieder in Deutschland statt.
Deutsche Schauspieler werden in diese internationalen
Produktionen einbezogen und können deshalb Weltstars
werden; dazu muss man ja eine gewisse Spielfläche haben. Seit 2007 wurden mehr als 375 Millionen Euro Fördermittel im DFFF bewilligt. Sie lösten Folgeinvestitionen in sechsfacher Höhe aus, also ohne staatliche Mittel.
Davon wurden allein 2,2 Milliarden Euro in Deutschland
ausgegeben. Ich kenne kein anderes Subventionsmodell
des Staates, das so rentierlich ist. Deshalb muss der
DFFF fortgesetzt werden, wenn es nach mir geht, zukünftig dauerhaft, ohne Begrenzung.
({2})
Zweitens. Die Kinodigitalisierung schreitet voran. Bis
Ende 2013 wird die Bundesregierung dafür 21 Millionen
Euro ausgegeben haben. Zurzeit sind in Deutschland fast
70 Prozent der Kinosäle digitalisiert. Damit ist auch die
technische Wettbewerbsfähigkeit der Kinos in der Fläche, der Arthouse- und Programmkinos erreicht; nur
diese Kinos unterstützen wir ja. Das war eine Gemeinschaftsleistung von Bund, Ländern und Filmwirtschaft,
die wahrscheinlich Ende dieses Jahres abgeschlossen
sein wird.
Drittens. Langfristig kann das Kino nur bestehen,
wenn es auch morgen noch wahrgenommen wird. Deshalb ist es wichtig, auch die junge Generation an das
Kino heranzuführen. Die Vision Kino GmbH leistet hier
wertvolle Arbeit. Im Schuljahr 2012/2013 nahmen bundesweit rund 684 000 Schülerinnen und Schüler sowie
Lehrkräfte an Kinovorstellungen in den SchulKinoWochen teil. So konnte Vision Kino seinen Status als wichtigstes filmpädagogisches Projekt in Deutschland erneut
untermauern.
Viertens. Um die entstandenen Filme auch langfristig
zu erhalten, müssen wir unser Filmerbe schützen.
Angelika Krüger-Leißner, da engagieren wir uns schon
seit Jahren; schrittweise bewegen wir uns sogar. Mit der
Novellierung des Bundesarchivgesetzes erfolgt die EinStaatsminister Bernd Neumann
führung einer Pflichtregistrierung aller deutschen Kinofilme, sodass alle neu produzierten Filme erfasst werden.
Der Produzent muss eine Kopie vorhalten; in der Regel
wird es eine digitale sein. Somit kann filmisches Erbe
zukünftig nicht mehr verloren gehen. Darüber hinaus
trägt der BKM durch Fördermittel beträchtlich dazu bei,
dass eine bedeutende Anzahl von Filmerbe-Klassikern
- es muss ja der Wunsch, sie zu sehen, erfüllt werden
können; das ist der besondere Sinn - digitalisiert wird
und auf diese Weise für die Öffentlichkeit zugänglich
bleibt.
Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf
zur Änderung des FFG wird die Digitalisierung des
Filmerbes zudem ausdrücklich in den Aufgabenkatalog
der FFA aufgenommen. Hierdurch wird der finanzielle
Beitrag der Filmwirtschaft zu dieser wichtigen Aufgabe
sichergestellt. Es ist ja nicht einzusehen, dass der Staat
allein das alles macht. Auch die Filmwirtschaft muss ihren Beitrag zum Erhalt ihres kulturellen Erbes leisten.
Fünftens. In Brüssel haben wir durch gemeinsames
Auftreten mit Frankreich bei der Überarbeitung der Kinomitteilung der Europäischen Kommission bereits
wichtige Erfolge erzielt. Im Vergleich zu den ersten Fassungen der Kinomitteilung enthält der aktuelle Entwurf
deutlich positive Aspekte, beispielsweise erkennt die
Kommission erstmalig an, dass Kinofilme und Kinos
Kultur sind - zu Recht. Für eine weitere wichtige Änderung kämpfe ich noch gemeinsam mit meiner französischen Kollegin Filippetti und dem italienischen Kollegen Bray. Wir verfolgen das Ziel, Fördersysteme wie
den DFFF in seiner jetzigen Ausgestaltung zu sichern;
denn wir wollen nicht zulassen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Films gegenüber der außereuropäischen Konkurrenz beeinträchtigt und die europäische Filmkultur ernsthaft gefährdet wird.
({3})
Abschließend, meine Damen und Herren: Der Bund
der Steuerzahler hat jüngst plakativ gefordert - manche
Zeitungen haben sich dem angeschlossen -: „Das Päppeln der Filmbranche mit Subventionen muss ein Ende
haben!“ Das ist in jeder Hinsicht zu kurz gesprungen.
Der Kinofilm ist wie das Theater Ausdruck unserer weltweit einzigartigen kulturellen Vielfalt, die wir erhalten
wollen. Was für das Theater gilt, trifft auch auf den Film
zu. Beide kommen ohne Förderung nicht aus. Da der
Film nicht nur ein Kulturgut, sondern auch ein Wirtschaftsgut ist,
({4})
ist die Filmförderung auch noch eines der erfolgreichsten Wirtschaftsförderprogramme, wie es am Beispiel des
DFFF deutlich wird.
Ich danke allen Fraktionen für die Unterstützung bei
den von mir genannten wichtigen erfolgreichen Punkten.
Sie waren ja nicht streitig. Man kann sehen: Wenn man
sich über die eigene Partei hinaus mit den anderen einig
ist, dann kann man etwas bewirken. Das haben wir gemeinsam erreicht.
Vielen Dank.
({5})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin
Angelika Krüger-Leißner von der sozialdemokratischen
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade hat es Staatsminister Neumann gesagt.
Passend zur Verabschiedung der siebten Novelle des
Filmförderungsgesetzes meldete sich wieder einmal der
Bund der Steuerzahler über seinen Präsidenten und verkündete letzte Woche: „Schluss mit den Millionen für
Kassenschlager!“ Gute Filme bräuchten keine Förderung, sie würden auch ohne entstehen.
Auch wenn diese Einstellung des Bundes der Steuerzahler nicht wirklich überrascht, da wir ihn kennen, so
ist es dennoch sehr ärgerlich, dass es immer noch so viel
Unkenntnis über die Filmförderung in Deutschland gibt.
Aufgrund unserer föderalen Strukturen wird sie von
mehreren Säulen getragen: über die Länderförderung,
über den Beauftragten für Kultur und Medien, über den
DFFF, bei internationalen Projekten auch über EU-Mittel, von den Fernsehsendern und eben über die Filmförderung des Bundes auf der Grundlage des Filmförderungsgesetzes, das wir heute novellieren wollen. Zudem
wollen wir es an die technischen und wirtschaftlichen
Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre anpassen.
Gerade dieses Gesetz erbringt seine Leistung für die
Branche aus der Branche, nämlich über die Filmabgabe
der Kinos, die Abgabe der öffentlich-rechtlichen und
privaten Sender sowie der Verleiher, die Videoabgabe
sowie die Rückzahlung und Tilgung der Projektträger.
Hier werden also keine Steuermittel, sondern Mittel aus
der Filmbranche eingesetzt. Dies habe ich jetzt noch einmal dargelegt, damit es in diesem Land wahrgenommen
wird. Darum ist es auch so wichtig, dass wir uns das Ziel
setzen, die Leistungsfähigkeit und die Strukturen der
deutschen Filmwirtschaft mit jeder Novelle zu verbessern.
Die Filmförderungsanstalt wird in diesem Jahr
45 Jahre alt. Viereinhalb Jahrzehnte hat sie für erfolgreiche Filmförderung gewirkt. Die ersten Monate dieses
Jahres haben wieder einmal gezeigt, dass die Filmakteure, die Regisseure, die Drehbuchautoren, die
Schauspieler und die Produzenten, wirklich gute Arbeit
leisten - aber auch die Filmförderung.
Der Marktanteil deutscher Filme liegt in diesem Jahr
noch bei über 30 Prozent - das ist gut -, und es gibt bereits vier Besuchermillionäre, drei davon gefördert von
der FFA, ob über Drehbuch-, Projekt- oder Verleihförderung oder Referenzförderung, die für den Erfolg des vor31202
hergehenden Films gezahlt wird. Bei durchschnittlichen
Herstellungskosten zwischen 4 und 6 Millionen Euro für
einen abendfüllenden Spielfilm leuchtet eigentlich jedem ein, dass solche Filmprojekte ohne Förderung gar
nicht zu realisieren sind.
Der große deutsche Filmregisseur und Produzent
Bernd Eichinger hat einmal gesagt:
Der deutsche Film kann ohne Förderung nicht
leben! Das muss allen klar sein. Bei kleinen Projekten ist die Bewilligung der Förderung oft existentiell, bei großen, auch internationalen Koproduktionen hilft sie wesentlich, das Vorhaben auch
tatsächlich in absolut höchster Qualität zu realisieren.
Ich finde, das stimmt. Darum ist es wichtiger denn je, die
überregionale bundesweite Förderung durch das FFG zu
stärken. Diese Novellierung steht unter einem besonderen Zeichen und, ich glaube, auch unter vielen Blicken.
Wir alle wissen, dass das Bundesverfassungsgericht
derzeit die Klage einer Kinokette prüft und entscheiden
muss, ob das FFG verfassungsgemäß ist und der Bund
die Zuständigkeit für diese gesetzliche Regelung hat.
Aus unserer Sicht ist das so. Schließlich haben wir das
auch in einer gemeinsamen Stellungnahme so formuliert; das ist nachzulesen. Dieser besondere Umstand ist
auch ein Beleg dafür, dass es keine grundlegenden Änderungen an der Systematik des FFG gibt. Viele aus der
Filmbranche hätten sich mutigere Schritte, mehr Balance, mehr Gerechtigkeit bei den Abgaben und Förderungen gewünscht. Ich sage: Das läuft uns nicht weg.
Das Urteil aus Karlsruhe sollten wir abwarten. Dann
werden wir uns an die große Arbeit machen; das verspricht meine Fraktion.
Auch wenn ich das Ergebnis etwas einschränkend beurteilt habe, glaube ich dennoch, dass uns nach einigem
Entgegenkommen von allen Seiten ein guter Kompromiss gelungen ist.
({0})
Dafür mein Dank an alle Kollegen, besonders an Herrn
Börnsen!
({1})
- Also wirklich! Wenn ich ihm einmal danke, bekommt
er es nicht mit.
({2})
Ich darf im Folgenden auf die für meine Fraktion
wichtigen Änderungen eingehen.
Als zukunftsweisend sehe ich die Verbesserung der
Möglichkeiten der Teilhabe behinderter Menschen an
geförderten Filmen und zum Besuch eines Kinos an. Mit
Untertitelung und Audiodeskription eröffnen wir mehr
als 1,4 Millionen behinderten Bürgern das Recht, Filme
im Kino zu erleben, später auf DVD oder im Fernsehen.
Der neue Förderbereich, die Digitalisierung des alten
Filmerbes, ist dazugekommen. Dass es Zeit wurde, bestätigen die vielen schon vorliegenden Anträge. Hier
geht es uns nicht nur um die Langzeitsicherung, sondern
vor allem auch um die Zugänglichmachung des deutschen Filmerbes. Hier liegt noch ein Stück Arbeit vor
uns; da sind wir uns einig.
Einiges ist uns wirklich gut gelungen, so zum Beispiel
das zukünftige Heranziehen der Video-on-Demand-Anbieter, die ihren Sitz im Ausland haben. Damit haben wir
einen Akteur mehr im Boot, der sich an der Abgabe beteiligt, weil auch er am deutschen Film verdient. Das ist
unser Prinzip.
Sie wissen: Ich hätte gern auch die Internet- und Kabelzugangsanbieter mit im Boot gehabt, zumindest mit
einem freiwilligen Beitrag wie anfangs die Fernsehanstalten. Aber die Anhörung hat gezeigt, dass es noch
zu früh dafür ist. Dennoch: Das ist der Markt der Zukunft. Momentan beträgt sein Anteil an der Nutzung des
deutschen Films circa 10 Prozent, aber die Zuwachsraten, sagen die Experten, liegen bei 50, 60, 70 Prozent.
Das ist ein künftiges Aufgabenfeld.
Sehr positiv ist auch die Konzentration auf Förderschwerpunkte, hier besonders die Stärkung der Absatzförderung, zu bewerten.
Auch die Referenzfilmförderung ist ein hocheffizientes Förderinstrument; hier werden besonders erfolgreiche Filme belohnt, und es soll auch Antrieb für Folgeprojekte gegeben werden. Die im Gesetzentwurf der
Bundesregierung vorgesehene Verschlechterung für den
Dokumentar- und Kinderfilm und für den Low-BudgetFilm bei der Referenzfilmförderung konnten wir abwenden. Es bleibt bei der bisherigen Regelung. Das war uns
wichtig, und das hat nichts mit Privilegien für diesen besonders sensiblen Filmbereich zu tun. Die Resonanz auf
diese Entscheidung zeigt mir, dass sie richtig war.
Überhaupt ist die Initiative, „den besonderen Kinderfilm“ zu fördern und dieses Modell als weiteren Baustein
in die Förderung einzubauen, geradezu genial. Es wurde
ein Fördermodell entwickelt, das das Ziel verfolgt, dem
Kinderfilm in Deutschland wieder mehr Präsenz und ein
stärkeres Gewicht zu verleihen. In dieser Initiative steht
der reale Kinderfilm im Mittelpunkt. Er beruht nicht auf
bekannten Literaturvorlagen, sondern auf originären
Stoffen, in denen sich die Kinder wiederfinden, weil sie
etwas mit ihrer Beziehungs- und Gefühlswelt zu tun haben. Ich begrüße das außerordentlich, und ich werde
diese Entwicklung im Auge behalten. Wir haben für diesen Bereich außerdem auch eine Evaluierung vorgesehen.
({3})
- Vielen Dank. Ich weiß: Das liegt auch Ihnen am Herzen.
Zuletzt möchte ich einen Punkt ansprechen, der meiner Fraktion sehr wichtig war: Die Arbeitsbedingungen
bei Filmproduktionen haben sich in den letzten Jahren
unter dem zunehmenden Kostendruck verschärft. Dazu
tragen übrigens auch die öffentlich-rechtlichen Sender
bei. Dieser Kostendruck wird weitergeleitet an die Filmschaffenden vor und hinter der Kamera. Es kommt immer wieder zu Verstößen gegen soziale und tarifliche
Standards. Ich finde, da es sich hier um öffentliche Förderung handelt, stehen wir in der politischen Verantwortung und müssen handeln.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen unser
Engagement für diesen Bereich. Daher ist es nicht neu
für Sie, dass wir wollen, dass soziale Standards eingehalten werden. Die bisherigen Regelungen - aus der letzten
Novellierung des Filmförderungsgesetzes - reichen
nicht aus. In dem Bewusstsein, dass bei deutschen Koproduktionen mit internationaler Beteiligung das EURecht wirkt, haben wir einen Weg gesucht, soziale Mindeststandards deutlich sichtbar im FFG zu verankern.
Unser Vorschlag, dass erhoben wird, inwiefern die Standards am Set geförderter Produktionen eingehalten werden - er ist weder bürokratisch noch mit Sanktionen verbunden -, ist legitim; die Erhebung wäre ein deutliches
Signal an die Branche gewesen. Ich gehe, da ich viele
Produzenten in diesem Bereich kenne, davon aus, dass
es zum Selbstverständnis eines jeden Produzenten gehört, dass er gute Arbeitsbedingungen am Set bietet. Ich
kann nur sagen: Es ist schade, dass Sie uns in diesem
Punkt nicht weiter entgegengekommen sind; aber wir
werden dranbleiben.
Zum Schluss möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen und Ihnen, Herr Kulturstaatsminister Neumann,
meinen Dank aussprechen. Wir haben diese siebte Novelle ganz gut hinbekommen. Sie ist ein Gewinn für die
weitere Entwicklung des deutschen Kinofilms, für die
Entfaltung seiner Qualität und für die Gewährleistung
der Vielfalt des deutschen Films. Dieses Signal mögen
draußen alle hören!
Danke.
({5})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin
Dr. Claudia Winterstein das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als das Filmförderungsgesetz 1967 erstmals in
diesem Hause diskutiert wurde, ahnte wahrscheinlich
kaum jemand, welche Erfolgsgeschichte es in den nächsten 45 Jahren tatsächlich schreiben würde. Das Filmförderungsgesetz ist eine Erfolgsgeschichte, weil alle an der
Filmbranche Beteiligten die Finanzierung gemeinsam
tragen: die Kinos, die Videowirtschaft, die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten und die privaten Rundfunkanbieter; die Branche steht zusammen. Genauso
wichtig ist es, dass wir, die Parlamentarier, zusammenstehen; auch das ist gelungen. Das ist für die Filmbranche, denke ich, ein wichtiges Signal.
({0})
Durch den Konsens von Union, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen senden wir auch ein deutliches Zeichen an das Bundesverfassungsgericht: Wir stehen zu
dem System der Filmförderung und der Erhebung der
Filmabgabe, wir stehen hinter der Filmförderungsanstalt
als nationaler Förderinstitution. Das, meine Damen und
Herren, ist die Botschaft aus dem Parlament.
({1})
Ich möchte mich bei meinen Kollegen Wolfgang
Börnsen, Angelika Krüger-Leißner und Claudia Roth für
die gute Zusammenarbeit an dieser Stelle bedanken.
Der FDP war bei der Novelle des Filmförderungsgesetzes Folgendes besonders wichtig: Wir wollen die Barrierefreiheit für hör- und sehbehinderte Menschen verbessern. Deshalb muss jetzt von jedem geförderten Film
auch eine barrierefreie Fassung hergestellt werden.
Wir wollen den Dokumentarfilm und den originären
Kinderfilm stärken. Deshalb erleichtern wir Kinderfilmen, die auf Originalstoffen beruhen, den Zugang zu
Förderung. Weil die Produktion von Kinder- und Dokumentarfilmen ein besonderes wirtschaftliches Risiko
darstellt, erweitern wir den Zeitraum für die Sammlung
von Referenzpunkten von zwei auf drei Jahre.
({2})
Das Filmförderungsgesetz, wie wir es heute beschließen, ist auf drei Jahre angelegt. Mit unserem Entschließungsantrag, der von allen Fraktionen mitgetragen
wurde, machen wir deutlich, dass bei der nächsten Novelle gegebenenfalls auch die Anpassung des Abgabesystems angepackt werden muss; denn wir wollen die
Erfolgsgeschichte des Filmförderungsgesetzes fortsetzen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Diese Erfolgsgeschichte liegt in der Geschlossenheit der Branche; sie liegt darin begründet, dass alle Beteiligten
einzahlen.
Meine Damen und Herren, mit dieser siebten Novelle
werden wir den deutschen Film weiter stärken. Dieses
Ziel sollten wir auch alle gemeinsam weiterverfolgen.
Ich glaube, wir empfinden alle so, wie es Bruno Ganz,
der ehemalige Präsident der Filmakademie, einmal gesagt hat: Es gibt keine Magie, die so groß ist wie die,
wenn im Kino das Licht ausgeht und die Leinwand zu
leuchten anfängt.
({3})
In diesem Sinne - und weil dies meine letzte Rede im
Deutschen Bundestag ist - bedanke ich mich für die kollegiale Zusammenarbeit im Kulturausschuss, im Rechnungsprüfungsausschuss und in besonderem Maße im
Haushaltsausschuss. Es war eine spannende Zeit,
manchmal wie im Film. Auch hier im Plenum hat so
manch ein Kollege seine schauspielerischen Fähigkeiten
gezeigt. Aber Spaß beiseite: Bei aller notwendigen parteipolitischen Auseinandersetzung war es ein faires Miteinander. Wir haben in der Sache gestritten, aber auch
miteinander gelacht. Es hat mir viel Freude gemacht,
insbesondere in den letzten vier guten Jahren, in denen
ich so viel mitgestalten konnte. Ich freue mich auf neue
Herausforderungen und wünsche allen - ob Sie nun weiter in diesem Parlament arbeiten oder zu neuen Ufern
aufbrechen - alles erdenklich Gute für die Zukunft.
Vielen herzlichen Dank.
({4})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin
Kathrin Senger-Schäfer das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Koalition,
ganz so harmonisch, wie es Staatsminister Neumann beschworen hat, ist es dann doch nicht gewesen. Wir sind
der Meinung, dass heute eher eine halbherzige Gesetzesänderung vorliegt. Deshalb werden wir dieser Novelle
nicht zustimmen.
({0})
Die Linke hat von vornherein auf den sozialen Standards für die Filmschaffenden beharrt. Das heißt für uns
ganz klar: gute Löhne für gute Arbeit. Wir haben die
konkrete Ausgestaltung der Digitalisierung des Filmerbes angemahnt. Auch haben wir - das ist uns ganz
wichtig - für die Weiterführung der filmberuflichen Weiterbildung gekämpft. In Ihrem Gesetz sind diese Punkte
für uns jedoch nur ungenügend berücksichtigt worden;
daher werden wir nicht zustimmen.
Es ist zumindest - das gebe ich gerne zu - gelungen,
fraktionsübergreifend in einer Entschließung das Gesamtproblem zu erfassen. Gut ist Ihre Erkenntnis, dass
Filmförderung zugleich Wirtschafts- und Kulturförderung ist. Gut ist auch, dass die soziale Lage der Filmschaffenden dem Deutschen Bundestag ein besonderes
Anliegen ist. Weiterhin gut ist die Aufforderung an den
Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt, die Digitalisierung des Filmerbes in einer Richtlinie zu konkretisieren. Die Linke stellte diese Forderung übrigens schon
2008 auf.
Diese Entschließung ist also durchaus wegweisend.
Allerdings kann man nicht alle Schwierigkeiten und
Missstände dauerhaft in die Zukunft delegieren. Regierung und Teile der Opposition machen das in diesem
Hause oft. Das hat bei Ihrem Management in der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht geklappt und wird auch
bei der Lösung der anstehenden Probleme bezüglich der
Filmförderung nicht klappen. Kein Autor, keine Regisseurin, kein Kameramann und auch keine Cutterin kann
sich im Ernstfall auf eine Entschließung des Deutschen
Bundestages berufen. Ich bitte Sie!
({1})
Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit über die
schlechte Bezahlung der Kolleginnen und Kollegen im
Film- und Fernsehbereich debattiert. Dass etwas Nachhaltiges für sie getan werden muss, meinen wir doch
alle. Die Erfahrung zeigt aber: Was nicht in Gesetzesbuchstaben gegossen wird, ist am Ende nicht mehr als
Schall und Rauch. Deshalb ist die Linke nicht dafür, dass
der Paragraf, der die filmberufliche Weiterbildung regelt, wegfällt; denn nur aufgrund dieser Regelung wissen die Antragstellerinnen und Antragsteller, was ihnen
zusteht. Wir brauchen diesen Paragrafen; denn was nicht
explizit angeboten wird, wird auch nicht abgefordert.
Wir sagen, dass die Weiterbildung Bestandteil der
Filmförderung sein muss, und halten daher die ersatzlose
Streichung von § 59 des Filmförderungsgesetzes für ein
völlig falsches Signal. So geht das nicht!
({2})
Ein weiterer Punkt: ARD und ZDF werden ja schon
seit längerem von der Öffentlichkeit dazu gedrängt, sich
zum Kinofilm zu bekennen und sich für die Koproduktionen von Kinofilmen und die Ausstrahlung kulturell
ausgewiesener Werke einzusetzen. Die Entschließung
zum Filmförderungsgesetz betont nun, dass der Deutsche Bundestag dies als elementaren Bestandteil des kulturellen Auftrages der Öffentlich-Rechtlichen ansieht,
der allein den Rundfunkbeitrag rechtfertigt.
Ich frage Sie nun ganz ernsthaft: So etwas muss der
Deutsche Bundestag extra betonen? Gehört es nicht zum
Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks,
dass der Verfassungsauftrag eingehalten wird?
Was aber ist die Realität? Es wird weiter rücksichtslos
auf die Quote geschielt. Anspruchsvolle Spiel- und Dokumentarfilme verschwinden im Nachtprogramm. Auf
das völlig veränderte Nutzerverhalten der jüngeren Generationen reagieren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten weitgehend mit Ratlosigkeit.
({3})
Sehr bald sind dann eben auch die Zuschauerinnen und
Zuschauer öffentlich-rechtlicher Angebote völlig verschwunden.
Der Rundfunkbeitrag für alle ist nur dann wirklich gerechtfertigt, wenn sich auch alle von dem Programmangebot angesprochen fühlen.
({4})
Deshalb frage ich Sie: Warum werden die finanziellen
Mittel für die öffentliche Förderung des Kinderfilms eiKathrin Senger-Schäfer
gentlich nicht aufgestockt? Warum soll es lediglich bei
einer Selbstverpflichtung von ARD und ZDF zur Steigerung der Mittel für die Kinderprogramme bleiben? Auf
greifbare Resultate dieser Selbstverpflichtung kann man
nach Lage der Dinge lange warten.
Die Fraktion Die Linke lehnt den Kinderfilmantrag
der Koalition vor allem aus diesen beiden Gründen ab.
Ich wünsche mir sehr, dass die folgende Novellierung
des FFG tatsächlich auch die sozialen Interessen der
Filmschaffenden, Fragen der Integration und die verstärkte Förderung von Frauen berücksichtigt.
({5})
Wir denken: Wer heute nicht kritisiert, wird morgen keinen Fortschritt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war meine
letzte medienpolitische Rede als Mitglied des Deutschen
Bundestages. Auch ich möchte mich herzlich für die
gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken.
Vielen Dank.
({6})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin
Claudia Roth das Wort.
({0})
Oh, danke schön. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich zuerst bei
allen - inklusive Bernd Neumann - für die wirklich konstruktiven Diskussionen, die wir im Vorfeld der Novelle
geführt haben, herzlich bedanken. Wir haben verantwortlich beraten, gerade - Frau Dr. Winterstein, da haben Sie recht - angesichts der Angriffe durch die großen
Kinoketten, die aus der solidarischen Filmförderung des
Bundes aussteigen wollen und deswegen eine Klagewelle losgetreten haben.
Es ist wirklich so: Unser gemeinsames Signal ist auch
ein deutliches Zeichen dafür, dass eine sehr breite Mehrheit im Deutschen Bundestag hinter unserer Filmförderung steht und dass wir dem bornierten und aus kurzfristigem Profitdenken erwachsenen Versuch, diese
Filmförderung auszuhebeln, gemeinsam entgegentreten.
Das war schon einmal sehr viel wert.
({0})
Wir Grüne freuen uns sehr, dass wichtige Anliegen
aufgenommen worden sind. Meine Vorrednerinnen haben zu Recht den barrierefreien Film benannt. Dass jetzt
für Filme, die mit Bundesmitteln gefördert werden, Autodeskriptionen und Untertitel angefertigt werden müssen, ist zwar nur ein kleiner, aber dennoch sehr wichtiger
Schritt hin zu mehr Teilhabegerechtigkeit für Menschen
mit einer Seh- oder Hörbehinderung.
({1})
Demokratie lebt von Teilhabe, und ich glaube, hiermit
haben wir ein großes Stück dazu beigetragen.
Erste Schritte sind auch auf dem Weg der Filmerbedigitalisierung gegangen worden, die nach der Kinodigitalisierung ja nur eine logische Konsequenz ist; denn wir
dürfen unser unendlich reiches Filmerbe nicht von den
neuen technischen Entwicklungen abkoppeln lassen,
sondern müssen es breiter zugänglich machen. Ich hätte
mir hier noch mehr vorstellen können, aber immerhin:
Der Einstieg ist ein wichtiger erster Schritt.
Richtig gut - das muss man wirklich sagen - war,
dass die ursprünglich beabsichtigte Absenkung der Mittel für die Referenzfilmförderung in unserem Ausschuss
buchstäblich im allerletzten Moment verhindert werden
konnte. Danke, Wolfgang Börnsen. Er hat dazu wesentlich beigetragen. Die Kürzung dieser Förderung hätte
vor allem die kleineren Player wie die Dokumentar- oder
die Kinderfilmer getroffen.
({2})
Auch positive Veränderungen im Gesetzentwurf will
ich explizit benennen. Eine Änderung erfolgte hinsichtlich der Gremienbesetzungen der FFA. Dass es für die
Vertreter der Vergabekommission nun 13 Sitze gibt, ist
gut. Das ist wichtig, weil nun gerade die AG Kino-Gilde,
die sich sehr um die Kulturkinos kümmert, einen Vertreter oder eine Vertreterin eigenständig entsenden kann
und auch die Regisseure und die AG Kurzfilm angemessen berücksichtigt werden. Der zusätzlich vom BKM zu
vergebende Sitz in dieser Kommission sollte in Zukunft
auch den Kreativen zufallen, so wie es eigentlich vorgesehen ist.
Unser gemeinsamer Entschließungsantrag schließlich umfasst wichtige Aufgaben für die Zukunft. Klar ist:
Das darf jetzt nicht nur eine freundliche und unverbindliche Absichtserklärung sein, sondern die Entschließung
muss Bindungswirkung haben.
Als Grüne freue ich mich natürlich ganz besonders,
dass es ein ausdrückliches Bekenntnis zum „Green
Film“ und zu der auch in der Filmwirtschaft möglichen
und nun anstehenden Ökologisierung von Produktion,
Vertrieb und Abspiel gibt, die dringend nötig ist.
({3})
Einige sind hier vorangegangen, zum Beispiel die Film
Commission der Filmförderung Hamburg SchleswigHolstein mit einem Grünen Drehpass - das ist richtig
gut - und anderen Aktivitäten. Wir fordern die FFA auf,
in diesem Bereich aktiv zu werden, und bieten einen
kreativen Austausch an.
Claudia Roth ({4})
In der Frage der Sozialstandards kam es zu erweiterten Formulierungen. Natürlich ist klar: Es muss so sein,
dass derjenige, der Mittel aus der öffentlichen Filmförderung erhält, gültige Sozialstandards und bestehende
Tarifverträge nicht unterlaufen darf, dass er sie respektieren und zur Anwendung bringen muss. Das ist nun
wirklich eine elementare Grundfrage der sozialen Gerechtigkeit.
({5})
Summa summarum: Es ist viel Gutes hinzugekommen. Wir haben gemeinsam wirklich etwas erreicht. Ich
bedanke mich noch einmal dafür, dass diese Zusammenarbeit möglich war, weil es ein deutliches Signal ist. Wir
werden dieser Novelle aus Überzeugung zustimmen
können.
({6})
Jetzt hat der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen für
die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der diesjährige Oscar-Preisträger Amour und der im
Vorjahr nominierte Film Pina sind einige von zahllosen
Beispielen großartiger deutscher Filmproduktionen und
deutscher Koproduktionen. Diese Erfolgsgeschichte
wollen wir fortsetzen. Deshalb freue ich mich über die
breite parlamentarische Unterstützung für die heute zu
beschließende Novelle des Filmförderungsgesetzes. Das
ist ein gutes Zeichen.
Die zahlreichen Erfolgsgeschichten fußen auf einem
stabilen Fundament. Bis heute sichert das Prinzip „Wer
profitiert, der zahlt“ den verlässlichen Rückfluss an die
Filmförderungsanstalt. Wir müssen gemeinsam an diesem Prinzip festhalten. Deshalb ist es das richtige Signal,
dass wir uns heute fraktionsübergreifend zu diesem wirtschaftlichen Prinzip bekennen.
({0})
Der Film ist nicht nur ein Kulturgut, sondern - das ist
schon gesagt worden - auch ein Wirtschaftsgut. Gerade
weil die Förderung auf dem Rückflussprinzip beruht,
müssen wir uns aber auch um die wirtschaftliche Verwertbarkeit Gedanken und leider auch Sorgen machen.
Nur wenn die Verwertungskette lückenlos funktioniert,
stehen Fördergelder auch für Neuproduktionen verlässlich zur Verfügung.
Ich will einmal auf ein Themenfeld aufmerksam machen, das heute noch nicht zur Sprache gekommen ist,
nämlich die Filmpiraterie. Wir dürfen bei diesem Thema
nicht untätig bleiben. Wo kriminelle Netzwerke entstanden sind, greift das geltende Strafrecht. Das zeigen die
Verurteilungen am Beispiel Kino.to oder aktuell die Ermittlungserfolge bei Movie2k.
({1})
Leider gleicht der Kampf der Urheberrechtsschützer
dem gegen die Hydra: Sobald ein Portal geschlossen
worden ist, wird die Datenbank anderswo gehostet oder
geht irgendwo anders unter einem neuen Namen online.
Wir müssen deshalb das Übel an der Wurzel packen.
Es macht mich beispielsweise wütend, dass Movie2k in
der vorvorletzten Woche auf Platz 17 der meistbesuchten
Webseiten in Deutschland stand. Auch wenn die wenigsten Besucher in krimineller Absicht unterwegs sind,
fehlt es ihnen offensichtlich an Unrechtsbewusstsein.
Das sollten wir nicht nur durch Gesetze, sondern auch
durch Diskussionen und gesellschaftspolitisches Handeln auch im Deutschen Bundestag entsprechend fördern. Meine Damen und Herren, hier muss Abhilfe geschaffen werden.
({2})
Wenn wir die Förderung der Filmwirtschaft im digitalen Zeitalter ernst nehmen, dann müssen wir die gesellschaftliche Akzeptanz für den Wert kreativer Leistung
stärken. Das schaffen wir nur gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Bereichen. Schon in den Schulen wünsche ich mir eine entsprechende Wertediskussion, damit
Medienkompetenz ganzheitlich vermittelt wird.
Neben der Filmbranche selbst ist insbesondere auch
die Internetwirtschaft gefragt. Bei der jetzigen FFGNovelle hat es keine Ausweitung des Einzahlerkreises
gegeben. Wenn aber über Umwege Erlöse erzielt werden, erwarten wir auch größeres Engagement zum Beispiel der Provider. Auch die Werbewirtschaft muss sich
fragen lassen, warum sie auf illegalen Portalen noch so
intensiv Werbung schaltet. Ich freue mich sehr, dass eine
Selbstverpflichtung gegen diese Praxis angestrebt wird.
Es ist auch allerhöchste Zeit.
({3})
Bevor ich zum Schluss komme, möchte auch ich meinen Dank an unseren Kollegen Wolfgang Börnsen richten. Lieber Wolfgang, du hast die Kulturpolitik dieses
Hauses so viele Jahre erfolgreich gestaltet, und ich persönlich schätze dich für deine Erfahrung ebenso wie für
deine norddeutsche Knorrigkeit - auch ich stamme aus
Norddeutschland -, die du immer positiv für die Sache
eingesetzt hast. Ab jetzt freue ich mich auf die außerparlamentarischen Debatten mit dir, und dann sage ich am
Ende: Kiek mol wedder in!
Vielen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Johannes Selle das Wort.
({0})
Das kann gar nicht oft genug kommen. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute
neben dem Entwurf der siebten Novelle des Filmförderungsgesetzes den Antrag zur Stärkung des originären
Kinderfilmes. Die parlamentarische Finte der Linken
letzte Woche hat es möglich gemacht, dass heute unser
Kollege Börnsen sprechen kann, der letzte Woche verhindert war:
({0})
eine wichtige Stimme, die sich um den Film sehr verdient gemacht hat. Kollege Börnsen hat es stets verstanden, Humor, große Ernsthaftigkeit und konsequentes Engagement auf das Glaubwürdigste zu verbinden,
({1})
ein Kollege, der trotz seines klaren Standpunktes hohe
Anerkennung über die Fraktionsgrenzen hinweg genießt.
({2})
Auch in Bezug auf seine letzte Rede im Plenum zu
dem für Deutschlands Filmwirtschaft so wichtigen Filmförderungsgesetz erwarten wir Leidenschaft und Fachkompetenz.
({3})
Kollege Börnsen lag es daran, dass bei diesem Gesetz
deutlich wird: Alle Fraktionen unterstützen die Filmförderung in Deutschland und halten sie für die weitere
Entwicklung für wichtig. Ihm lag daran, dass das Filmförderungsgesetz nicht nur ein Gesetz der Regierungsfraktionen wird, sondern dass alle Fraktionen zustimmen.
({4})
Denn gegen die Filmförderung wird von wenigen, aber
beharrlichen Verweigerern in Deutschland immer noch
geklagt.
Wir setzen dem heute unsere Entschlossenheit entgegen, Filmförderung in Deutschland fortzuführen.
({5})
Beim FFG ist uns das gelungen. In der vorletzten Ausschusssitzung haben in diesem Sinne Kollege Börnsen
und Kollegin Krüger-Leißner den Weg freigemacht.
Bei dem vorliegenden Antrag „Originäre Kinderfilme
aus Deutschland stärker fördern“ ist uns das leider nicht
gelungen. Eigentlich sollte das Thema nicht strittig sein.
({6})
Tatsache ist: Es gibt zu wenig Filme aus der Lebenswirklichkeit der Kinder. Sie haben aber Anspruch darauf, wie
Erwachsene ernst genommen zu werden. Ihre Themen
müssen vorkommen, lebensbejahend wirken und Zuversicht ermöglichen.
Am Zustandekommen des Antrags hat die Kinderfilmbranche großen Anteil genommen und wesentlich
mitgewirkt. Stellvertretend sei hier dem Förderverein
Deutscher Kinderfilm und Margret Albers, Geschäftsführerin und Festivalleiterin der Deutschen Kindermedienstiftung Goldener Spatz gedankt.
({7})
Die Arbeit für den Kinderfilm hat an Schwung gewonnen, als der Freistaat Thüringen sich entschied, medienpolitisch einen Schwerpunkt auf Kindermedien zu
legen und Kindermedienland zu werden.
({8})
Begleitet und unterstützt von der Mitteldeutschen Medienförderung wurde mit „Kids regio“ eine internationale Plattform in Erfurt initiiert, die in der Analyse auch
auf internationalem Niveau zu gleichen Erkenntnissen
kommt und 2009 in der Erfurter Deklaration fünf
Schwerpunkte herausarbeitet, die in unseren Antrag eingegangen sind.
Seit dem Sommer 2000 veranstaltet die Akademie für
Kindermedien in Erfurt in Thüringen jährlich einen
Workshop für Autoren zu originären Kinderfilmstoffen,
dessen Ergebnisse dann in einem professionellen Pitching
Produzenten und Sendern vorgestellt werden. Die wenigen originären Kinderfilme, die es gegeben hat, entstammen überwiegend der Akademie für Kindermedien.
Diese und weitere Initiativen, zum Beispiel vom Bundesverband Jugend und Film, sowie das Internationale
Filmfestival für Kinder und junges Publikum, Schlingel,
waren Vorläufer und Wegbereiter, bis es dann zum Antrag und zu einem parlamentarischen Verfahren kommen
konnte. Und da war es auch Kollege Börnsen, der das
parlamentarische Verfahren hier im Deutschen Bundestag stark beförderte. Ich denke dabei nur an die erfolgreichen Anhörungen. Alle Vorschläge an die Bundesregierung aus diesem Antrag sind, soweit das FFG betroffen
ist, in die Novellierung eingeflossen.
({9})
Dazu zählt, dass der originäre Kinderfilm nun zu den
Schwerpunkten gehört und insbesondere mit einer sogenannten vorgezogenen Verleihförderung schon in der
Produktionsphase unterstützt werden kann.
Der Antrag kommt zur rechten Zeit. Die Filmbranche
ist der Initiative der Intendantin des Mitteldeutschen
Rundfunks, Frau Professor Wille, zur Produktion von
jährlich zwei besonderen Kinderfilmen mit unglaublicher Resonanz gefolgt. Die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Sender sowie die Bundes- und Länderförderer
unterstützen das Anliegen. Dem ersten Aufruf folgten
108 Anträge, darunter die vieler namhafter Autoren und
Produktionsfirmen. Zum Filmfest in München werden
die Auswertungsergebnisse der Jury öffentlich vorgestellt.
Nachlassen dürfen wir allerdings nicht im Engagement
für unsere Kinder und Jugendlichen. In Erfurt wird auch
die erfolgreichste Kinderfernsehserie Schloss Einstein
produziert, die auf originären Stoffen beruht. Inzwischen
sind wir bei 800 Folgen. Eine großartige Leistung der
Autoren und der Produzenten! Die Qualität ist unbestritten. Die Zuschauerquote ist hervorragend. Trotzdem gefährden Partikularinteressen diese erfolgreiche Serie.
Auch das muss erwähnt werden. Das Thema originäre
Stoffe hat eben viele Facetten und benötigt weiteres Engagement. Kinder brauchen einen starken Partner. Den
haben sie im deutschen Parlament.
({10})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Beabsichtigt man,
diese Debatte über das Filmförderungsgesetz zu dramatisieren, reicht die Feststellung: Sie findet im Schatten der
Guillotine statt. Das Fallbeil steht in Karlsruhe. Noch in
diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht darüber
befinden, ob der Bund eine Kulturkompetenz für die
Filmförderung hat. Große Kinoketten, aus dem Ausland
gesteuert, haben dem Film als Kulturgut bei uns den
Krieg erklärt. Ihnen reicht die Privilegierung durch eine
ermäßige Mehrwertsteuer nicht aus. Ihre Gier geht weiter. Sie wollen frei von jeder Abgabe sein, sich der Mitverantwortung für das Filmland Deutschland entziehen.
Das ist nicht akzeptabel.
({0})
Ich betrachte es genauso wie Claudia Winterstein als
einen elementaren Gewinn für Politik und Gesellschaft
unserer Republik, dass Bundestag und Bundesrat, alle
Filmverbände genauso wie alle Fraktionen des Deutschen Bundestages einstimmig in ihrer Stellungnahme
zu Karlsruhe erklärt haben: Wir stehen an der Seite der
Filmschaffenden. Für uns ist der Film beides: Kulturwie Wirtschaftsgut. Dabei bleiben wir auch.
({1})
Die Verfassungsrichter werden registrieren, ob unsere
Einmütigkeit über alle Fraktionen hinweg auch bei der
aktuellen Novellierung anhält. Wir vonseiten der Regierungskoalition haben nachweislich eine klare Kompromissbereitschaft gezeigt. Claudia Roth, die Filmbegeisterte, ist Zeugin.
({2})
Wir setzen auf einen gemeinsamen parlamentarischen
Erfolg. Das neue Filmförderungsgesetz ist eine Gemeinschaftsleistung von Regierung und Parlament; damit
schließe ich die Opposition ausdrücklich ein.
Dieses FFG ist ein Quantensprung in der deutschen
Filmpolitik. Erstmalig wird dem lebensnahen Kinderfilm eine Plattform geboten, erstmalig erhalten die Kreativen Sitz und Stimme bei der FFA, erstmalig wird dem
grünen Film eine Perspektive gegeben und dem Dokumentarfilm eine Breitenwirkung, erstmalig werden verbindliche Rahmenbedingungen für den barrierefreien
Film geschaffen. Auf mehr als 9 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land, die seh-, hör- und
körperbeschädigt sind, wird endlich mehr Rücksicht genommen. Das war lange überfällig.
({3})
Was aussteht und noch angepackt werden muss, wenn
die Karlsruher Entscheidung gefallen ist, ist ein konsequentes Konzept für die Verbesserung der sozialen Lage
der Künstler. Meine Fraktion wird sich daran aktiv beteiligen. Das gilt auch für die KSK, die Künstlersozialkasse. Sie grundsätzlich infrage zu stellen, wie es große
Verbände derzeit tun, halte ich für falsch, unsozial und
für unerträglich.
({4})
Künstler mit einem Jahresdurchschnittseinkommen von
12 500 Euro haben einen Anspruch auf Finanzleistung.
Die KSK ist eine notwendige und zu erhaltende soziale
Errungenschaft.
({5})
Was bei ihrer Gründung galt, gilt auch heute: Die
Kreativen sind ein Gewinn für unser Land, sie haben
Förderung verdient. Sollte eine Beitragserhöhung notwendig werden, wird auch ein Bundeszuschuss dazukommen können. Das halte ich für sachgerecht. Eine
Rückkehr zum alten Satz, wie er einmal gewesen ist, ist
eine mögliche Lösung für dieses Problem.
Dieser Beitrag heute wird meine letzte Bundestagsrede sein - nach 26 Jahren ununterbrochener Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag und davor 24 Jahren
ehrenamtlicher kommunalpolitischer Arbeit in meiner
Heimatregion Flensburg-Schleswig, die immer noch
südlich von Kopenhagen liegt. Das sind 50 Jahre Dienst
für unser Land,
({6})
50 Jahre für unseren Staat und 50 Jahre Einsatz für unsere Demokratie: Diese Arbeit habe ich gern geleistet.
Wolfgang Börnsen ({7})
Der Abschied fällt mir schwer. Es ist meine persönliche
Entscheidung.
Ich gehöre einer Generation an, die durch die Nachkriegszeit geprägt wurde, die noch den langen Schatten
von Krieg und Diktatur gespürt hat. Danach habe ich
auch mein politisches Handeln ausgerichtet, nämlich alle
Kraft dafür einzusetzen, dass in unserem Land eine Diktatur für alle Zeit ausgeschlossen wird, Freiheit und
Recht in unserem Land garantiert sind.
({8})
Demokratiesicherung ist mein Leitmotiv über alle
Jahrzehnte geblieben. Mein erstes Parlamentsbuch
- dem habe ich dieses Thema gewidmet - Vorbild mit
kleinen Fehlern ist inzwischen in zehn Sprachen übersetzt worden. Gerade in den vielen jungen Republiken
Osteuropas möchte man wissen, weshalb in Deutschland
der Parlamentarismus so erfolgreich praktiziert wird.
Das Wort „Vorbild“ im Titel wurde ganz bewusst gewählt. Ob wir wollen oder nicht, wir Abgeordnete sind
Vorbilder. Wir haben eine Vorbildfunktion. Entsprechend sollten wir uns verhalten; das tun wir nicht immer.
({9})
Die Regierung spielt in unserem System zwar die
erste Geige, aber die Musik wird im Parlament gemacht.
Die Legislative ist der Kern unserer Demokratie. So will
es unsere Verfassung. Dieses Herzstück unseres politischen Systems benötigt nach meiner Auffassung eine
neue Faszination. Dazu gehört eine Reform an Haupt
und Gliedern, angefangen bei mehr Bürgeremanzipation
und -partizipation über eine fünfjährige Legislaturperiode bis hin zu einer neuen Dramaturgie unserer Parlamentsdebatten. Es ist doch peinlich, dass Fernsehtalkshows und nicht wir, das Parlament, versuchen, die
Debattenkultur in unserem Land zu bestimmen.
({10})
In meinem neuen Parlamentsbuch wird darüber mehr zu
erfahren sein. Damit ist der Werbeblock abgeschlossen.
({11})
Die Präsidentin ist hoffentlich gnädig und wird mir
noch eine kurze Bemerkung erlauben.
Ein weiterer Punkt treibt mich um. Will ich Rechtsanwalt werden, benötige ich vorher ein Jurastudium. Als
Handwerksmeister komme ich ohne eine Lehre nicht
aus. Nur beim Abgeordneten, der mitverantwortlich für
die Gesetzgebung von über 80 Millionen Menschen ist,
genügt allein der gesunde Menschenverstand. Ein bisschen mehr sollte es schon sein.
Für junge Politiker aus 30 verschiedenen Ländern
praktiziert der Deutsche Bundestag seit 25 Jahren eine
Art Parlamentsertüchtigung. Fast 2 000 Stipendiaten haben dieses Turbotraining bereits absolviert. Sie alle sind
daran beteiligt. Für sie ist unser Bundestag ein Lernmodell. Ich habe dieses weltweit einmalige Konzept von
Beginn an mitverantworten dürfen wie auch den
deutsch-amerikanischen Schüleraustausch. Ich möchte
alle Fraktionen ermutigen, daran festzuhalten.
({12})
Wir stärken Freiheit und erhalten Freunde. Das gilt auch
für das Sonderprogramm mit den arabischen Staaten. Es
ist großartig, dass unser Land mit seiner schwierigen Geschichte jetzt auch Demokratie und Parlamentarismus
exportiert.
Die 26 Jahre als Volksvertreter haben - damit komme
ich zum Ende - mein Leben bereichert. Ich habe viele
gute Freunde gefunden, nicht nur in meiner eigenen
Fraktion, nicht wahr, Claudia Roth?
({13})
Ich weiß um den Fleiß und die Verantwortung und die
Hingabe der Kollegen dieses Parlamentes im Hinblick
auf ihre selbst gewählte Aufgabe. Das gilt auch für unsere Mitarbeiter. Das gilt auch für die Mitarbeiter in der
Bundestagsverwaltung. Unser Parlament ist besser als
sein Ruf.
({14})
Bei aller Freude gab es auch zweimal Momente, in
denen ich kurz davor war, aufzuhören. Beide Male ging
es um Morddrohungen. Damals wurde meine Familie
mit vier Kindern monatelang unter Polizeischutz gestellt. Auch das gehört zur Wirklichkeit eines Abgeordnetendaseins.
So, jetzt werden wir über das FFG entscheiden. Lassen Sie uns das gemeinsam tun.
Danke.
({15})
Herr Kollege Börnsen, ich erlaube mir, Ihnen im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich für 26 Jahre gute
Zusammenarbeit und für Ihren wunderbaren Humor zu
danken. Danken muss ich Ihnen auch für Ihren großen
Einsatz für die Sache, manchmal auch auf Platt, und vor
allen Dingen für Ihren nachhaltigen Einsatz für Zusammenarbeit und Demokratie. Ganz herzlichen Dank!
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13689, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12370 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen bitte das Handzeichen geben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom31210
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
men. Enthalten hat sich die Fraktion Die Linke. Alle übrigen Fraktionen waren dafür.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,
möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie vorher in dritter Beratung angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Originäre Kinderfilme aus Deutschland stärker fördern“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13689, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/12381 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die
Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und ohne Enthaltungen; die übrigen
Fraktionen waren dafür.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13689 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Entschließung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem
Europäischen Übereinkommen vom 8. November 2001
zum Schutz des audiovisuellen Erbes und zu dem Protokoll
vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes betreffend den
Schutz von Fernsehproduktionen. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13690, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12952 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Wer will dem Gesetzentwurf
zustimmen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen; die Oppositionsfraktionen haben sich enthalten; Gegenstimmen gab es keine.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/13810 Wir beginnen mit den Fragen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser bereit.
Ich rufe die Frage 1 von Frau Kotting-Uhl auf:
Für wann ist die Abgabe der in der Antwort der Bundesregierung auf meine mündliche Frage 3 ({1}) genannten Überarbeitung der Stellungnahme der
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, GRS, mbH
vereinbart bzw. zu erwarten - bitte möglichst genaues Datum
angeben; falls nicht möglich, bitte hilfsweise Kalenderwoche
oder notfalls zumindest grob geschätzte Angabe -, und welche „Prüfaufgaben für alle Beteiligten“ wurden ganz konkret
bei dem in der Antwort genannten Gespräch am 24. und 25.
Januar 2013 vereinbart - bitte Angabe der Aufgaben im Wortlaut und möglichst mit Zeitplan?
Es geht um die Abgabe der überarbeiteten Stellungnahme der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit zur beantragten Leistungserhöhung des AKW
Gundremmingen. - Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin Kotting-Uhl,
bei der Genehmigung, deren Erteilung Gegenstand Ihrer
Frage ist - das Verfahren zur Erteilung der Genehmigung läuft -, handelt es sich um eine Veränderungsgenehmigung für eine komplexe kerntechnische Anlage.
Die Prüfaufgaben beziehen sich auf technische Sachfragen zu einzelnen Aspekten der umfangreichen technischen Genehmigungsunterlagen. Dabei werden Sachfragen zu den Themenfeldern der Reaktorphysik, der
Störfallanalysen, Fragen zu Komponentenprüfungen und
Fragen der Nachwärmeabfuhr sowie der im Einzelfall
heranzuziehenden technischen Bewertungsmaßstäbe angesprochen.
Ein genauer Zeitpunkt - das ist der andere Teil Ihrer
Frage -, zu dem die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit ihre Stellungnahme zur geplanten Leistungserhöhung in Gundremmingen abgibt, kann bedingt
durch die noch laufende ergebnisoffene Klärung der
technischen Sachfragen nicht angegeben werden. Diese
Klärung bedarf eines intensiven fachlichen Austausches
der beteiligten Experten und einer sorgfältigen Dokumentation.
Frau Kotting-Uhl, haben Sie eine Nachfrage? - Das
sieht so aus. Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Um vielleicht
auch für die Zuhörer diese technischen Dinge ein bisschen zu erklären: Es geht um das Atomkraftwerk Gundremmingen, für das eine Leistungserhöhung beantragt
worden ist. Das ist ein ganz besonderer Fall; das gab es
bei Atomreaktoren in Deutschland sonst noch nicht. Es
geht nun darum, das zu genehmigen bzw. zunächst eine
Stellungnahme der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit zu bekommen.
Meine Frage ist: Ist es beabsichtigt, auch von der
Reaktor-Sicherheitskommission eine Stellungnahme
einzuholen? In meinen einleitenden Worten habe ich
begründet, dass der Antrag auf Leistungserhöhung von
Atomreaktoren in Zeiten eines Atomausstiegs ein singulärer Fall ist.
Ihre Darstellung bezüglich der Leistungserhöhung
des AKW Gundremmingen muss ein bisschen korrigiert
werden. Bereits seit 1999 wird eine Leistungserhöhung
angestrebt. 2001 lag der Antrag des Betreibers in der jetzigen Form vor. Es gab immer wieder - ich darf das so
salopp formulieren - ein Schleifen der Überprüfungen.
Heute sind wir in einem neuen Genehmigungsverfahren
zu Gundremmingen. Inwieweit die Reaktor-Sicherheitskommission damit befasst ist, kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Das müsste ich Ihnen nachliefern. Ich gehe davon aus, dass sich auch die RSK noch
einmal damit befassen wird. Zurzeit geht es darum - das
habe ich vorhin geschildert -, dass die sehr komplexen
technischen Fachpunkte abgearbeitet werden.
Frau Kotting-Uhl, Sie haben eine zweite Nachfrage? Bitte sehr.
Danke schön; diese Möglichkeit nutze ich gerne. 2009 gab es eine Ablehnung des Genehmigungsentwurfs
durch die bayerische Atomaufsichtsbehörde, unter anderem mit der Begründung, dass die GRS Defizite festgestellt hat. Außerdem spiegelte der Entwurf nicht den
Stand von Wissenschaft und Technik wider, der heutzutage zur Schadensvorsorge maßgeblich ist. Insofern
fände ich es wichtig, dass das BMU tatsächlich verlangt,
dass auch die Reaktor-Sicherheitskommission neben der
GRS eine Stellungnahme abgibt.
Noch eine eher politische Frage. Sie haben gesagt,
wie lange dieser Genehmigungsantrag schon vorliegt.
Dieser lag schon deutlich vor dem Atomausstieg vor.
Deutlich vor dem in dieser Legislaturperiode von vier
Fraktionen gemeinsam beschlossenen Atomausstieg gab
es eine Ablehnung des Genehmigungsentwurfs. Spielt in
der politischen Entscheidung, die zwar mit der Genehmigung selbst nichts zu tun hat, sehr wohl aber mit dem
Understanding, das es von Umweltminister zu Umweltminister gibt, die Tatsache eines Atomausstiegs, dass wir
also die Stromproduktion aus Atomkraftwerken zurückfahren wollen, eine Rolle?
Zum ersten Teil Ihrer Frage zur Befassung der Reaktor-Sicherheitskommission darf ich sagen: Im Jahr 2007
- das haben Sie zu Recht gesagt - wurde uns schon einmal ein Antrag auf Genehmigung vorgelegt. Damals gab
es eine umfangreiche Stellungnahme und eine Liste sehr
konkreter Fragen der Reaktor-Sicherheitskommission. In
Bayern ist dies sehr gut abgearbeitet worden, und zwar
mit verschiedenen Nachträgen zu TÜV-Gutachten usw.
Das, was damals gefordert wurde, ist entsprechend nachgearbeitet worden.
Wir warten jetzt erst einmal die technischen Überprüfungen ab, bei denen es um die Leistungsänderung geht.
Dann wird es sicherlich von uns als oberste Aufsichtsbehörde entsprechend bewertet.
Herzlichen Dank. - Wir kommen zu Frage 2 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl:
Wann genau ({0}) gab es seit April 2013
bis dato Treffen, insbesondere zur Frage einer Zwischenlagerung der 26 aus Frankreich und England zurückzuführenden
Behälter mit verglasten radioaktiven Wiederaufarbeitungsabfällen an anderen Zwischenlagerstandorten als Gorleben,
zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, BMU, und den vier großen, Atomkraftwerke betreibenden Energieversorgungsunternehmen
sowie eventuell deren gemeinsamer Tochterfirma GNS,
Gesellschaft für Nuklear-Service mbH ({1}), und für wann genau ({2}) sind weitere derartige Treffen geplant, insbesondere auf Spitzenebene?
Liebe Kollegin Kotting-Uhl, dieses Thema beschäftigt uns zurzeit sehr intensiv im Rahmen unserer Diskussion über das Standortauswahlgesetz. Zwischen Bundesminister Altmaier und den Vorstandsvorsitzenden der
kernenergienutzenden Energieversorgungsunternehmen
wurde am 24. April 2013 vereinbart, die genehmigungstechnischen, rechtlichen und logistischen Fragen sowie
die Kostenfragen im Zusammenhang mit der Rückführung von fünf Behältern mit verglasten mittelradioaktiven Abfällen aus Frankreich sowie von bis zu 21 Behältern mit verglasten hochradioaktiven Abfällen aus
Großbritannien vertieft zu erörtern.
In mehreren Gesprächen wurden die offenen Fragen
auf unterschiedlichen Ebenen detailliert erörtert. Weitere
Gespräche zwischen Bundesminister Altmaier und den
Vorstandsvorsitzenden haben stattgefunden, eines davon
in dieser Woche. Um Ihre nächste Frage vorwegzunehmen, damit Sie Raum für weitere Fragen haben, Frau
Kotting-Uhl, kann ich Ihnen sagen, dass das Gespräch in
dieser Woche sehr konstruktiv verlaufen ist, aber Details
noch geklärt werden müssen.
Frau Kotting-Uhl, haben Sie dennoch eine Nachfrage? - Bitte schön.
Ich bin ganz gerührt davon, wie gut mich Frau
Heinen-Esser zu kennen glaubt. Von den Gesprächen
hatte ich tatsächlich schon in der Zeitung gelesen. Ich
hatte diese Frage eingereicht, bevor ich den neuen
Kenntnisstand hatte.
Aber ich würde in dem Zusammenhang gerne eines
wissen. Es gibt immer wieder Gerüchte und Hinweise,
dass man zumindest in Sellafield, Großbritannien, vielleicht erleichtert wäre, wenn man noch ein bisschen
mehr Zeit bekäme. Haben Sie vielleicht aus dem
Kontakt mit dem Betreiber in Großbritannien Erkenntnisse gewinnen können, wann die Transportbehälter dort
überhaupt transportbereit wären?
Es tut mir leid, Frau Kotting-Uhl, dazu habe ich keine
Erkenntnisse. Aber ich werde Ihre Frage gern zum
Anlass nehmen, das zu recherchieren. Wir können es
vielleicht morgen im Rahmen des Berichterstattergespräches vertieft erörtern.
Haben Sie eine zweite Nachfrage?
Ich hatte eigentlich eine zweite Nachfrage, aber ich
glaube, dass ich sie angesichts der aktuellen Gemengelage und der Debatten, die geführt werden, besser vertage, eventuell auf morgen, in der Hoffnung, dass dann
gute Ergebnisse vorliegen und diese Frage überflüssig
ist. - Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Bitte!
Damit kommen wir zu Frage 3 der Kollegin
Schwarzelühr-Sutter:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Staatsvertrag mit der Schweiz wegen des unmittelbar in Grenznähe
geplanten Atomendlagers für hochradioaktiven Abfall notwendig ist, vor dem Hintergrund, dass die Schweiz weder die
sogenannte Espoo- noch die Aarhus-Konvention unterzeichnet hat, und welche rechtliche Handhabe hat nach Auffassung
der Bundesregierung die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Schweiz?
Sehr geehrte Kollegin Schwarzelühr-Sutter, zur wirksamen Einbringung der Belange Deutschlands bei der in
der Schweiz derzeit durchgeführten Suche eines Standorts für ein atomares Endlager für hochradioaktive Abfälle ist der Abschluss eines Staatsvertrags aus Sicht der
Bundesregierung nicht erforderlich. Vielmehr gewährleisten bereits die bestehenden Vereinbarungen, dass die
deutschen Behörden sowie betroffene Gemeinden in
vielfältiger Weise in den Prozess der Standortsuche einbezogen werden.
Die Schweiz ist, anders als in Ihrer Frage vorausgesetzt, Vertragspartei der Espoo-Konvention. Danach ist
die Schweiz verpflichtet, vor der Zulassung eines Endlagers für hochradioaktive Stoffe eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Eine solche grenzüberschreitende UVP wäre auch im Verhältnis zu
Deutschland notwendig, wenn sich die Schweiz für einen Endlagerstandort entscheidet, bei dem erhebliche
nachteilige Umweltauswirkungen auf deutsches Gebiet
auftreten könnten.
Bei dem derzeit in der Schweiz durchgeführten Verfahren handelt es sich zunächst um ein vorgelagertes
Standortauswahlverfahren. Gleichwohl wird Deutschland schon heute sehr intensiv von der Schweiz an der
laufenden Standortsuche beteiligt. Bilateral wurde 1983
die Deutsch-Schweizerische Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen eingesetzt, deren
Hauptaufgabe es unter anderem ist, die beide Seiten interessierenden Fragen der Entsorgung radioaktiver Abfälle
auszutauschen und zu bewerten.
Die derzeitige Standortsuche in der Schweiz erfolgt
auf der Grundlage des schweizerischen Kernenergiegesetzes und des vom Schweizer Bundesrat gebilligten
Sachplans „Geologische Tiefenlager“. In der begonnenen Etappe 2 wirken 190 schweizerische Gemeinden
und 13 deutsche Gemeinden am Prozess mit. In den
kommenden Jahren werden zum einen die vorgeschlagenen Standortgebiete sicherheitstechnisch vertieft untersucht und zum anderen in Regionalkonferenzen die
mögliche Ausgestaltung der Oberflächeninfrastruktur
unter Berücksichtigung möglicher Umweltauswirkungen
erarbeitet und konkretisiert. Die Regionalkonferenzen
sind anteilig mit deutschen und schweizerischen Vertretern besetzt. Das BMU ist im Ausschuss der Kantone,
der aus Regierungsmitgliedern zusammengesetzt ist,
vertreten.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich hatte es
durch den Wissenschaftlichen Dienst noch einmal prüfen lassen. Es ist tatsächlich so: Für Pläne und Programme, wie den Sachplan „Geologische Tiefenlager“,
die den Rahmen für eine zukünftige Genehmigung eines
Vorhabens wie dem eines Endlagers festlegen, sieht das
Protokoll zur Espoo-Konvention über die strategische
Umweltprüfung ein grenzüberschreitendes Beteiligungsverfahren vor - ja -, aber die Schweiz hat dieses Protokoll nicht unterzeichnet.
Wir befinden uns mitten in diesem Endlagerverfahren. Alle Standorte für die Lagerung hochradioaktiven
Abfalls befinden sich in direkter Nähe. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen: Wie steht es um die
Rechtsverbindlichkeit, die der deutsche Staat von der
Schweiz einfordert, wenn das Protokoll tatsächlich nicht
unterzeichnet wurde?
Frau Kollegin, der Wissenschaftliche Dienst und das
Bundesumweltministerium scheinen in dieser Frage unterschiedlicher Auffassung zu sein. Wir müssen die
Frage, inwieweit die Schweiz Vertragspartei der EspooKonvention ist, gesondert klären. Ich werde Ihnen die
entsprechende Antwort zukommen lassen. Zum jetzigen
Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass das UVP-Verfahren
durchgeführt wird.
Ich muss dazusagen, dass wir, gerade was die Suche
eines Endlagers angeht, mit der Schweiz sehr eng zusammenarbeiten. Ich habe als Staatssekretärin an entsprechenden Veranstaltungen mit den schweizerischen
Behörden teilgenommen.
Es gibt regionale Partizipation, auch auf deutscher
Seite. Wir finanzieren zum Beispiel mit dem Land
Baden-Württemberg zu gleichen Teilen eine entsprechende Geschäftsstelle vor Ort. Seit 2005 gibt es die Begleitkommission Schweiz des BMU, die sich zweimal
im Jahr mit Vertretern der betroffenen Landkreise trifft.
Es gibt eine „Expertengruppe Schweizer Tiefenlager“,
die das gesamte Verfahren begleitet.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, im Mittelpunkt bleibt aber die
Frage nach der Rechtsverbindlichkeit. Inwieweit kann
die deutsche Seite bei den Regionalkonferenzen mitentscheiden? Es stimmt: Die deutschen Kommunen und
Kreise sind mit dabei; aber sie haben kein Beteiligungsrecht, sie dürfen nicht mitstimmen, sie sitzen quasi am
Katzentisch.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen: Auf
welche Rechtsverbindlichkeit kann sich der deutsche
Staat stützen? Denn es geht um ganz andere Laufzeiten
als bei AKWs. Bei einem Endlager geht man davon aus,
dass es mindestens 100 Jahre dauert, bis es verschlossen
wird. Sie wissen, dass man die Zeiträume danach, also
bis der letzte Stoff nicht mehr giftig ist, gar nicht abschätzen kann.
Im Gegensatz zum Wissenschaftlichen Dienst des
Bundestages gehen wir davon aus, dass die Schweiz Espoo-Mitgliedstaat ist und verpflichtet ist, eine grenzüberschreitende UVP durchzuführen. Wir gehen aufgrund der geografischen Situation und aufgrund der
bilateralen Zusammenarbeit mit der Schweiz davon aus,
dass die Schweiz nach Vorliegen der erforderlichen
Voraussetzung eine entsprechende Notifizierung gegenüber Deutschland vornehmen wird. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten für eine umfassende Beteiligung der deutschen
Öffentlichkeit einsetzen.
Vielen Dank. - Die Frage 4 des Kollegen Holger
Krestel wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Holger Krestel auf:
Wie viele Mitarbeiter des UBA waren vor ihrer dortigen
Tätigkeit für Klimaschutz- und Umweltorganisationen tätig,
und wie viele Mitarbeiter sind neben ihrer Arbeit für das UBA
für solche Organisationen tätig?
Es gibt also nur eine Frage des Kollegen Krestel. Kein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes ist derzeit für
Klimaschutz- und Umweltorganisationen tätig.
Was Vortätigkeiten angeht: Entsprechende Daten können mangels elektronischer Erfassung und Auswertbarkeit
mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand kurzfristig
nicht erhoben werden. Das UBA hat - das wissen Sie
wahrscheinlich selbst, Herr Krestel - 1 500 Mitarbeiter,
davon 635 wissenschaftliche Mitarbeiter. Es war uns in der
Kürze der Zeit nicht möglich, deren Lebensläufe durchzuchecken.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Sie schauten eben ein bisschen erstaunt. Die Frage 5
sollte auf der Frage 4 aufbauen. Die Frage 4 ist aber
- das wurde mir heute Mittag mitgeteilt - „konsumiert“
worden, weil hier im Plenum bereits über ein ähnliches
Thema gesprochen worden ist. Deswegen ist diese Frage
abgehakt.
Ich danke für die Information.
Bitte, gerne. - Meine erste Nachfrage: Können die
Öffentlichkeit und ich davon ausgehen, dass personelle
Verflechtungen zwischen dem Umweltbundesamt und
Klimaschutz- und Umweltorganisationen keinen besonderen Einfluss auf die Studie des Umweltbundesamtes
mit dem Titel „Und sie erwärmt sich doch“ gehabt haben?
Inwiefern Mitarbeiter des Umweltbundesamtes genauso wie wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages
oder wie Mitarbeiter im Bundesumweltministerium nicht
auch Mitglied von Umweltschutz- oder Naturschutzorganisationen sind, kann ich Ihnen - Stand heute - nicht sagen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass kein Mitarbeiter zusätzlich für eine entsprechende Organisation tätig ist,
was, wie ich glaube, ein Unterschied ist.
Sie sprachen die Studie des Umweltbundesamtes an,
die vor einiger Zeit für regen Wirbel gesorgt hat, vor allen Dingen in der Twitter-Community. Ich habe das verfolgt. Es gab auch den einen oder anderen Zeitungsartikel dazu. Lassen Sie mich dazu nur ganz kurz deutlich
sagen, dass wir das unterstützen, was das Umweltbundesamt in seinen jüngsten Veröffentlichungen dargelegt
hat.
Sie haben eine zweite Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Ich muss noch einmal nachfragen: Wie stellen die
Bundesregierung und das Umweltbundesamt sicher, dass
alle wissenschaftlichen Positionen in der Klimadebatte
bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden,
und wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die genannte Studie inhaltlich, wenn man in Rechnung stellt,
dass es nicht Aufgabe einer staatlichen Behörde sein
kann, Schiedsrichter in einer wissenschaftlichen Debatte
zu sein? Welche Auswirkungen hat das Handeln des
Umweltbundesamtes für die Freiheit der Wissenschaft?
Sehr geehrter Herr Kollege Krestel, wir sind nicht Ihrer Auffassung, die Sie in Ihrer Frage durchklingen lassen. Wir sind nicht der Meinung, dass das Umweltbundesamt in dieser Frage Schiedsrichter ist. Das
Umweltbundesamt stellt den zurzeit gesicherten Stand
im Bereich der Klimawissenschaft dar. Dieser Stand
wurde insbesondere auch im letzten Sachstandsbericht
des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen sowie in übergreifenden allgemeinverständlichen
Veröffentlichungen von Klimawissenschaftlern dargestellt. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass der
durch menschliches Handeln verursachte Ausstoß von
Treibhausgasen eine Hauptursache für die beobachteten
und projizierten Veränderungen des Weltklimas ist.
Wir sind der Meinung, dass das Umweltbundesamt zu
Recht die in der Öffentlichkeit geführten Debatten skizziert. Damit erfüllt das UBA seine in § 2 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes verankerte Informationsaufgabe.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. - Alle übrigen Fragen zu diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet. Es handelt sich dabei um die Fragen 6
und 7 des Abgeordneten Dirk Becker, die Fragen 8 und 9
der Abgeordneten Ute Vogt, die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, die Fragen 12 und 13
des Abgeordneten Gerd Bollmann, die Fragen 14 und 15
der Abgeordneten Waltraud Wolff, die Fragen 16 und 17
des Abgeordneten Marco Bülow, die Fragen 18 und 19
des Abgeordneten Hans-Josef Fell, die Fragen 20 und 21
des Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott sowie die Fragen 22 und 23 der Abgeordneten Bettina Herlitzius.
Auch die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 24 und 25
des Abgeordneten Michael Gerdes, die Fragen 26 und 27
des Abgeordneten Oliver Kaczmarek, die Fragen 28 und 29
des Abgeordneten Willi Brase, die Fragen 30 und 31 des
Abgeordneten Swen Schulz, die Fragen 32 und 33 der
Abgeordneten Ulla Burchardt, die Fragen 34 und 35 des
Abgeordneten René Röspel, die Fragen 36 und 37 der
Abgeordneten Marianne Schieder, die Fragen 38 und 39
der Abgeordneten Sabine Zimmermann sowie die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Klaus Hagemann.
Wir haben uns entschieden, die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes jetzt zu beantworten. Ich hatte gehört, dass die Frau Staatsministerin
noch im Haushaltsausschuss ist, aber jetzt sehe ich sie
hier. Insofern rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes auf.
Wir kommen zu Frage 44 des Kollegen HansChristian Ströbele:
Schließt die Bundesregierung aus, dass in US-Einrichtungen in Deutschland - etwa Ramstein Air Base, AFRICOM in
Stuttgart - gezielte Tötungen mittels Drohnen insbesondere in
Afrika ({0}) geplant, durchgeführt, unterstützt werden, dass also die Antwort der Bundesregierung
vom 27. März 2013 auf meine dahin gehende schriftliche
Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 17/12949 möglicherweise
unzutreffend war, und was unternimmt die Bundesregierung
nach den kürzlichen Berichten über solche Praktiken vor allem in Panorama, ARD, und der Süddeutschen Zeitung vom
30./31. Mai 2013, um die Begehung solcher schwerster Straftaten von Deutschland aus aktiv aufzuklären sowie für die Zukunft nachhaltig zu verhindern?
Frau Staatsministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, und Dank auch für die
Rücksichtnahme auf mein verspätetes Kommen. Ich
hatte Pflichtpräsenz im Haushaltsausschuss.
Ich möchte die Frage des Abgeordneten Ströbele wie
folgt beantworten: Der Bundesregierung liegen keine eigenen gesicherten Erkenntnisse zu von US-Streitkräften
in der Bundesrepublik Deutschland angeblich geplanten
oder geführten Einsätzen vor. Die Bundesregierung ist
mit den US-amerikanischen Partnern in einem kontinuierlichen und vertrauensvollen Dialog. Dieser umfasst
auch aktuelle Fragen.
Herr Ströbele, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Frau Staatsministerin, erst einmal meine Anerkennung für Ihren schnellen Fuß, dafür, dass Sie so schnell
hierherkommen konnten. Ich hatte schon auf die schriftliche Beantwortung warten wollen. Ich bin mit Ihrer
Antwort natürlich trotzdem nicht zufrieden.
Das habe ich erwartet.
Hat die Bundesregierung aufgrund der Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in der Sendung Panorama,
aber auch in Zeitungsartikeln, nicht Anlass, mehr zu tun,
als in einem kontinuierlichen Dialog mit den US-amerikanischen Freunden zu sein? Sollte sie hier nicht einmal
ganz konkret nachfragen und möglicherweise auch
selbst Ermittlungen anstellen, etwa - das soll sich ja alles in Deutschland abgespielt haben - in Stuttgart - sie
hat einen Verbindungsbeamten bei den US-Militärs von
AFRICOM - oder gar in Ramstein, was ja bekanntermaßen deutsches Gebiet ist?
Herr Ströbele, ich habe mir schon gedacht, dass Sie
mit der Beantwortung der Frage durch die Bundesregierung nicht ganz zufrieden sein werden. Da ich das Protokoll der letzten Fragestunde nachlesen konnte, in der
ähnliche Fragen an meinen Kollegen Staatsminister
Michael Link gestellt wurden, war ich über Ihre Unzufriedenheit informiert. Trotzdem kann ich Ihnen an dieser Stelle nur sagen, dass der Bundesregierung dazu
keine Erkenntnisse vorliegen und dass Außenminister
Westerwelle zuletzt bei seinem Besuch in den USA beim
Zusammentreffen mit dem Außenminister John Kerry
auch über dieses Thema gesprochen hat. Der amerikanische Außenminister hat ihm versichert, dass jedwedes
Handeln der USA, auch auf deutschem Staatsgebiet,
streng nach den Regeln des Rechts erfolgt.
Herr Ströbele, haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Staatsministerin, ich bekomme immer dieselbe
Antwort. Es ist, glaube ich, nicht nur die gleiche Antwort, sondern dieselbe. - Was hat denn der Herr Bundesaußenminister den US-Außenminister konkret gefragt?
Hat er diesen Fall angesprochen? Hat er seine Empörung
darüber, wenn es stimmen sollte, zum Ausdruck gebracht? Was hat der US-Außenminister darauf geantwortet? Hat er nur eine allgemeine Floskel dergestalt verwendet, dass man sich immer an das Recht halte, oder
hat er gesagt, dass das nicht stimmt, dass das nicht richtig ist, dass das eine Falschbehauptung von Panorama
und anderen ist?
Herr Abgeordneter, bitte gehen Sie davon aus, dass
wir unsere Erkenntnisse natürlich nicht aus Fernsehsendungen erzielen können. Wir haben großes Vertrauen in
die Zusicherung des amerikanischen Außenministers;
das sagte ich bereits. Er hat versichert, dass jedweden
Einsätzen, auch die von deutschem Staatsgebiet ausgehen, und gesagt, dass streng nach den Regeln des Rechts
gehandelt wird. Ich glaube, dass man über Details des
Gesprächs der beiden Außenminister nicht hier im Plenum berichten sollte. Dass es ein vertrauliches Gespräch
war, ist, glaube ich, selbstverständlich.
({0})
Herr Nouripour dazu, bitte schön.
Frau Staatsministerin, Sie haben gesagt: „streng nach
den Regeln des Rechts“. Welches Recht ist da angesprochen worden: amerikanisches Recht, deutsches Recht,
amerikanisches Verständnis von Völkerrecht oder deutsches Verständnis von Völkerrecht?
Die Rechtstellung und damit die Befugnisse der in der
Bundesrepublik Deutschland stationierten US-Streitkräfte - Herr Abgeordneter, das wissen Sie - richten sich
nach dem NATO-Truppenstatut und dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut. Gemäß Art. II des
NATO-Truppenstatuts haben Streitkräfte aus NATOStaaten das Recht des Aufnahmestaats zu beachten und
sich jeder mit dem Geiste des NATO-Truppenstatus
nicht zu vereinbarenden Tätigkeit zu enthalten.
Weitere Nachfragen gibt es dazu nicht.
Die Frage 45 des Kollegen Andrej Hunko wird
schriftlich beantwortet.
Die Frage 46 des Kollegen Andrej Hunko wird nicht
beantwortet. Herr Hunko ist nicht anwesend. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 47 und 48 der Kollegin Erika Steinbach
und die Frage 49 des Kollegen Memet Kilic werden
schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zur Frage 50 des Kollegen
Gehrcke:
Trägt es zur Glaubwürdigkeit der kritischen Kommentierung der Bundesregierung zum Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstrantinnen und Demonstranten in der
Türkei und in der Vergangenheit zum Vorgehen russischer Sicherheitskräfte gegen Demonstrantinnen und Demonstranten
bei, wenn deutsche Sicherheitskräfte in vergleichbarer Art
und Weise in Frankfurt am Main gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten vorgegangen sind?
Frau Staatsministerin.
Vielen Dank. Ich bin auf die Frage des Abgeordneten
Gehrcke vorbereitet, Frau Präsidentin. - Aufgrund der
föderalen Aufgabenverteilung ist es nicht Aufgabe der
Bundesregierung, Herr Abgeordneter, das Demonstrationsgeschehen anlässlich der Blockupy-Demonstrationen in Frankfurt am Main zu bewerten und auf die jeweilige polizeiliche Strategie und Taktik Einfluss zu
nehmen. Für die Durchführung des Versammlungsgesetzes sind, wie Sie wissen, die Länder zuständig. Damit
liegt der polizeiliche Einsatz anlässlich dieser Demonstration in Frankfurt am Main im Juni 2013 ausschließlich in hessischer Zuständigkeit und Verantwortung. Die
Bundesregierung hat stets unterstrichen, dass entsprechende Einsätze an den selbst eingegangenen internationalen Verpflichtungen zur Einhaltung von Grund- und
Menschenrechten zu messen und vor dem Hintergrund
der jeweils aktuellen Situation zu betrachten sind.
Herr Gehrcke, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, ich möchte ein bisschen Ihre Fantasie bzw. Ihr
Erinnerungsvermögen oder möglichst beides strapazieren, wenn Sie gestatten. Rufen Sie sich die Bilder des
Vorgehens der Polizei in Moskau anlässlich der Demonstrationen gegen Putin ins Gedächtnis, rufen Sie sich die
Bilder ins Gedächtnis, die zeigen, was gerade in der Türkei passiert ist - ich will das nicht eins zu eins übertragen -, und rufen Sie sich dann die Bilder ins Gedächtnis,
auf denen zu sehen war, was bei den Blockupy-Demonstrationen im Frankfurter Kessel passiert ist. Finden Sie
nicht, dass sich diese Bilder ungeheuer und auf beängstigende Weise ähneln?
Ich kann nur wiederholen, Herr Abgeordneter
Gehrcke, dass die Verantwortung für Polizeieinsätze bei
den Ländern liegt. Sie haben der Aktuellen Stunde gerade entnehmen können, dass die Bundesregierung verurteilt, wie die Menschenrechte bei den Demonstrationen in der Türkei, gerade auch das Versammlungsrecht,
verletzt werden. Die Bundesregierung hat im Hinblick
auf die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisationen in Russland wiederholt Respekt und eine faire
Behandlung gefordert.
Ich glaube allerdings, wir bewegen uns hier auf unterschiedlichen Feldern. Man sollte das eine aus meiner
Sicht nicht mit dem anderen vergleichen; denn die Verletzungen der Menschenrechte sind zurzeit gerade in der
Türkei und in Russland dramatisch. Ich glaube, dass wir
im Deutschen Bundestag gut daran tun, sehr oft darüber
zu diskutieren und die Einhaltung der Menschenrechte
anzumahnen.
Sie haben eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.
Frau Staatsministerin, dass wir uns hier auf unterschiedlichen Feldern bewegen, ist für mich selbstverständlich; das werden Sie mir zugestehen.
Der Außenminister, Herr Westerwelle, hat heute in
der Aktuellen Stunde gesagt, er freue sich, dass demonstriert wird; er sprach allerdings von den Demonstrationen in der Türkei und nicht von denen in Frankfurt am
Main. Meinen Sie nicht, dass es eine Geste der Bundesregierung wäre, zu sagen: „Wir freuen uns, dass Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und viele Gäste aus
anderen europäischen Ländern in Frankfurt am Main
von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht haben, und sind betroffen, dass sie eingekesselt worden
sind“?
Ich glaube, Herr Abgeordneter, Sie können allen Äußerungen der Bundesregierung entnehmen, dass die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit ein sehr wichtiges verfassungsrechtliches Gut ist. Daran wollen wir gar
keinen Zweifel aufkommen lassen.
({0})
Sie können keine weiteren Nachfragen stellen; das ist
richtig.
({0})
Die Frage 51 der Kollegin Sevim Dağdelen und die
Frage 52 des Kollegen Dr. Ilja Seifert werden schriftlich
beantwortet.
Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit.
Die Frage 53 des Kollegen Dr. Ilja Seifert und die
Frage 54 der Kollegin Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit bei dem Themenbereich BlockupyProteste am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main.
Wir kommen zunächst zur Frage 55 der Kollegin
Gohlke:
Haben Angehörige der Bundespolizei im originären Zuständigkeitsbereich oder unter Führung des Landes Hessen
Reizmittel ({1}) gegen Personen im Bereich der Demonstrationsroute der Blockupy-Demonstration
am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main eingesetzt, und, wenn
ja, wie schätzt die Bundesregierung die Verhältnismäßigkeit
dieses Einsatzes mit Reizmitteln ein?
Frau Präsidentin, ich würde gerne die Fragen 55 und 56
gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 56 der Kollegin Gohlke
auf:
Wie viele Personen sind durch den Einsatz von Reizmitteln durch die Bundespolizei verletzt worden, und welche
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Umstände erlauben es nach Auffassung der Bundesregierung
der Polizei, Journalisten, die eine Demonstration bzw. einen
damit in Zusammenhang stehenden Polizeieinsatz journalistisch begleiten, mit Reizmitteln anzugreifen?
Im Zusammenhang mit den Blockupy-Aktionstagen
vom 31. Mai bis 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main
haben Einsatzkräfte der Bundespolizei im eigenen Aufgabenbereich keine Reizstoffsprühgeräte eingesetzt.
Aussagen zu polizeilichen Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Landes Hessen obliegen den dort zuständigen Behörden.
Die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die
Bundespolizei richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls auf der Grundlage der jeweiligen gesetzlichen
Bestimmungen.
Frau Kollegin Gohlke hat keine Nachfragen.
Dann kommen wir zu Frage 57 der Kollegin
Dr. Enkelmann:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
Medienberichten über die Blockupy-Demonstration am
1. Juni 2013 in Frankfurt am Main, laut denen sich der Polizeieinsatz gegen eine friedliche Demonstration gerichtet hat,
und erwägt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang,
künftig die Bereitstellung von Einheiten der Bundespolizei
zumindest für solche Bundesländer, aus denen gravierende
Verstöße gegen Grundrechte berichtet werden, restriktiver zu
handhaben und an Bedingungen zu knüpfen?
Frau Enkelmann, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Aufgrund der föderalen Aufgabenverteilung obliegt die
Zuständigkeit für die Anordnung und Durchführung
polizeilicher Maßnahmen grundsätzlich allein den Ländern.
Rechtsgrundlage für eine Unterstützung der Länder
durch die Bundespolizei ist § 11 Bundespolizeigesetz.
Danach werden die Einsatzkräfte der Bundespolizei dem
jeweiligen Land rechtlich und tatsächlich unterstellt. Die
Rechtmäßigkeit des Einsatzes liegt mithin allein in der
Verantwortung des anfordernden Landes. Dies gilt auch
für die Einhaltung des Grundgesetzes.
Daher ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, das
Demonstrationsgeschehen anlässlich der BlockupyDemonstrationen in Frankfurt am Main zu bewerten und
auf die polizeiliche Strategie und Taktik des Landes
Hessen Einfluss zu nehmen. Im Hinblick auf die föderale Aufgabenverteilung verfügt die Bundespolizei über
keine Evaluierungsmechanismen, wie sie in der Frage
beschrieben wurden.
Frau Enkelmann hat eine Nachfrage. - Bitte schön.
Wir halten also fest:
Erstens. Die Bundespolizei war im Einsatz. Insofern
gibt es auch eine Verantwortung der Bundesregierung.
Zweitens. Diese Demonstration war genehmigt. Sie
verlief friedlich, bis es tatsächlich zu einem massiven
Polizeieinsatz - richtig: in diesem Falle von Landespolizei, übrigens nicht nur aus Hessen - kam.
Drittens spreche ich die Bedingungen an - daraus ergibt sich jetzt meine Frage -, unter denen die Bundespolizei zum Einsatz kam: Eine friedliche Demonstration
ist sozusagen mit Gewalt bekämpft worden. Führt das
möglicherweise dazu, dass die Bundesregierung sagt:
„Wir müssen die Bedingungen, die wir an solche Einsätze knüpfen, deutlich korrigieren“?
Zunächst einmal, Frau Enkelmann: Demonstrationen
müssen in Deutschland nicht genehmigt werden, sondern sie müssen
({0})
angemeldet werden; das ist ein ganz großer Unterschied.
Zum Zweiten ist es so, dass die Ausführung des Versammlungsrechts allein den Ländern unterliegt. Die Einsatzkräfte werden den Ländern vom Bund übertragen.
Wir haben rein rechtlich überhaupt keinen Einfluss auf
das Einsatzgeschehen. Deshalb können wir das Einsatzgeschehen auch nicht bewerten. Wir übergeben die Einsatzkräfte den Ländern auch nicht unter Vorbehalt.
Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass die Bundespolizei in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich tätig
war: im Bereich des Bahnhofs. Die Bundespolizei hat in
das von Ihnen kritisierte Geschehen auch nicht eingegriffen. Selbst wenn sie dort im Einsatz gewesen wäre,
würden wir keine Bewertung vornehmen. Aber in diesem konkreten Fall war es so, dass die Bundespolizeikräfte an der von Ihnen kritisierten Separierung von bestimmten Demonstrationsteilnehmern nicht beteiligt
war.
Sie haben eine zweite Nachfrage, Frau Enkelmann.
Halten wir noch einmal fest: Bei dem Einsatz in
Frankfurt am Main war die Bundespolizei mit dabei.
Nicht nur von uns wird der Einsatz der Landespolizei
kritisiert.
({0})
Das Umgehen mit den Demonstranten wird nicht nur
von uns kritisiert, sondern auch von sehr vielen Journalistinnen und Journalisten sowie von Beobachtern. Auch
sind Journalisten erheblich verletzt worden. Das heißt,
Kritik kommt von vielen Seiten.
Haben Sie nicht Sorge, dass die Bundesregierung sozusagen in Verantwortung für einen Polizeieinsatz ge31218
nommen wird, der sich eindeutig - ich sage das mal so hart am Rande der Legalität befunden und dazu beigetragen hat, dass erhebliche Zweifel an der Versammlungsfreiheit, am Rechtsstaat und an der Demokratie in diesem Lande aufgekommen sind?
Diese Befürchtung teilen wir nicht.
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Hunko.
Vielen Dank. - Herr Schröder, auch ich musste leider
Zeuge dieses rechtswidrigen Polizeieinsatzes in Frankfurt gegen die Blockupy-Proteste sein. Ich war erfreut,
als ich zwei Tage später folgende Aussage von Regierungssprecher Seibert lesen konnte - ich zitiere -:
Ein rechtsstaatliches Verständnis erfordert auch,
dass die Sicherheitsbehörden stets verhältnismäßig
und angemessen vorgehen.
Bei genauerem Hinsehen musste ich feststellen, dass
sich das auf die Türkei und nicht auf Frankfurt bezog.
Die Bundesregierung ist also in der Lage, auch einen
solchen Polizeieinsatz wie den in der Türkei zu beurteilen. Von daher habe ich, auch wenn es Ländersache ist,
die Frage: Würden Sie diese Aussage auch in Bezug auf
den Einsatz in Frankfurt machen?
Die Bundesregierung bewertet nicht die Polizeieinsätze der Länder. Selbstverständlich sind die Länder verpflichtet, verhältnismäßig zu handeln.
Frau Dittrich hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es geht um die Legalität des Verhaltens der Bundes- oder der Länderpolizei. Wie empfinden Sie es als Vertreter der Bundesregierung, dass ich als
Bundestagsabgeordnete vor Ort nicht von einem Teil der
Demonstration in den anderen Teil, zum Kessel, durfte?
Die Polizisten haben mich als Bundestagsabgeordnete
trotz Ausweis nicht durchgelassen. Wie finden Sie dieses
Verhalten der Polizei? Damit war mein Mandat für die
Bürger sozusagen gar nicht einsetzbar.
Ich kann den Vorfall nicht konkret beurteilen. Es ist
Sache des jeweiligen Einsatzleiters bzw. der Polizei vor
Ort, die Frage zu beurteilen, ob ein Bundestagsabgeordneter durch Polizeisperren durchgelassen werden darf
oder nicht. Natürlich ist das immer eine Sache des Einzelfalls.
({0})
Frau Dittrich kann keine weitere Frage mehr stellen;
tut mir leid. - Bitte schön, Frau Gohlke.
Wir wissen alle um die föderalen Zuständigkeiten, die
Sie hier schon mehrfach betont haben. Bevor Sie noch
einmal wiederholen, dass die Bundesregierung den Einsatz nicht beurteilen möchte, möchte ich Sie fragen, ob
Sie nicht einen offenkundigen Widerspruch darin erkennen, dass die Bundesregierung zwar die Einsätze in
Russland und der Türkei beurteilen kann, aber nicht den
Einsatz in einem Bundesland wie Hessen.
({0})
Für die Einsätze der Landespolizeien sind einzig und
allein die Länder verantwortlich. Im föderalen Gefüge
ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, diese konkreten Einsätze zu beurteilen und zu bewerten. Das haben
wir noch nie gemacht, und das werden wir auch zukünftig nicht tun. Natürlich ist es in einer außenpolitischen
Debatte auch Aufgabe der Außenpolitiker des Deutschen
Bundestages, sich darüber auszutauschen, wie Einsätze
in anderen Staaten zu beurteilen sind.
Jetzt stellt der Kollege Gehrcke die nächste Frage.
Herr Staatssekretär, nachdem ich Ihre Kollegin Frau
Pieper nicht zu Kreativität und Erinnerung habe verführen können, versuche ich noch einmal, das ein bisschen
aufzublättern.
Sie finden es in Ordnung, dass die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages und die Bundesregierung von
hier aus beurteilen, ob die Einsätze in Moskau und in der
Türkei in Ordnung waren. Gleichzeitig sagen Sie aber,
dass es nicht in Ordnung und nicht möglich ist, einen
Einsatz in Frankfurt am Main zu beurteilen. Frankfurt
am Main ist inmitten der EU und liegt nicht hinter dem
Ural.
({0})
Es muss doch möglich sein, auch das zu beurteilen.
Es ist selbstverständlich das gute Recht des Deutschen Bundestages, jeden Polizeieinsatz zu bewerten
und die entsprechenden politischen Schlussfolgerungen
daraus zu ziehen. Das ist das gute Recht des Plenums,
und das ist heute offensichtlich auch geschehen; ich
selbst war nicht dabei.
Aber noch einmal: Die Bundesregierung bewertet
keine Polizeieinsätze der Länder.
Frau Buchholz.
({0})
- Das mag ja sein, Frau Dittrich; aber zu den gestellten
Fragen anderer Abgeordneter können Sie jeweils nur
eine Zusatzfrage stellen, und die haben Sie gestellt.
({1})
- Ich bedanke mich für die Hilfestellung. - Bitte schön,
Frau Buchholz.
Herr Kollege Schröder, Sie waren selbst nicht zugegen. Ich war bei der Demonstration und Augenzeugin
dieses rechtswidrigen Einsatzes. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen noch eine Frage stellen.
Genauso wie mehrere meiner Kolleginnen und Kollegen bin auch ich von der Polizei nicht durch die Ketten
zu den Demonstrationsteilnehmern gelassen worden. Ich
musste mehrfach intervenieren und belegen, dass ich
tatsächlich Abgeordnete bin, bis ich dann endlich durchgehen durfte. Anderen Kolleginnen und Kollegen gegenüber wurde sogar die Echtheit ihres Abgeordnetenausweises angezweifelt.
Hier stellt sich für mich schon die Frage, wie Sie als
Bundesregierung sicherstellen wollen, dass unsere Abgeordnetenrechte in Zukunft auch bei Polizeieinsätzen in
den Bundesländern gewahrt werden, und ob es vielleicht
zweckmäßig wäre, die Länderpolizeien über die Ausgestaltung der Abgeordnetenausweise zu unterrichten, damit solche Behinderungen unserer parlamentarischen
Tätigkeit
Frau Kollegin, denken Sie bitte auch an die Zeit.
- in Zukunft nicht mehr vorkommen.
Bitte schön.
Noch einmal: Inwieweit es Abgeordneten gestattet
wird, durch Polizeisperren zu gehen, ist immer eine
Frage des Einzelfalls.
Ich war heute beispielsweise in Lauenburg und habe
dort die Einsatzkräfte besucht. Wenn ein Deich droht zu
brechen, wenn sich weitere Personen auf diesem Deich
bewegen, dann können Sie nicht mit Ihrem Abgeordnetenausweis in der Hand sagen: Ich möchte jetzt gerne auf
den Deich. - Es gibt also auch Grenzen. Das ist immer
eine Frage des Einzelfalls.
({0})
Selbstverständlich sind die Einsatzkräfte der Polizei
darin geschult, zu beurteilen, inwieweit Abgeordnete
durch Polizeisperren dürfen und inwieweit nicht. Wie
das in dem konkreten Einzelfall war, kann ich nicht beurteilen. Das möchte ich auch nicht, weil das offensichtlich ein Einsatz der Landespolizei war.
Jetzt hat Frau Vogler das Wort. Danach würde ich
gerne zur nächsten Frage übergehen.
Herr Staatssekretär, an dieser Stelle würde ich jetzt
gerne noch einmal nachhaken. Sie sagen, die Einsatzkräfte seien darin geschult, Abgeordnetenausweise zu
identifizieren und den Abgeordneten bei der Erfüllung
ihrer Aufgaben behilflich zu sein, wie das in unserem
Abgeordnetenausweis ja auch steht. Nun habe ich persönlich schon die Erfahrung gemacht - das gilt für viele
Kolleginnen und Kollegen ebenfalls -, dass viele Beamte dieses Dokument überhaupt noch nie gesehen, geschweige denn in der Hand gehabt haben. Ich möchte
von Ihnen jetzt gerne wissen, ob Sie Erfahrung damit haben, wie in den Bundesländern und bei der Bundespolizei die von Ihnen zitierte Schulung im Umgang mit dieser Frage aussieht.
({0})
Ich kann nur für die Bundespolizei sprechen. Es ist
natürlich sichergestellt, dass die Bundespolizisten wissen, was die Aufgaben von Abgeordneten sind, und sie
wissen auch, damit entsprechend umzugehen.
Ich rufe nun die Frage 58 des Kollegen Birkwald auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Tatsache, dass während der Blockupy-Proteste am 1. Juni
2013 in Frankfurt am Main mehreren Hundert eingekesselten
Demonstrantinnen und Demonstranten stundenlang durch die
Bundes- und die Landespolizeien lebenswichtige Grundrechte, wie zum Beispiel die Versorgung mit Trinkwasser oder
der Zugriff auf Maßnahmen der Ersten Hilfe, verwehrt wurden?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung sind für den originären Zuständigkeitsbereich
der Bundespolizei keine der in der Fragestellung genannten Vorkommnisse bekannt. Die Bundesregierung
nimmt zu polizeilichen Einsätzen, soweit sie im Verantwortungsbereich eines Landes liegen, hier des Landes
Hessen, keine Stellung und bewertet diese nicht.
Ich verweise diesbezüglich auf die Zuständigkeit des
Landes Hessen und auf die Verpflichtung der Polizei und
Ordnungsbehörden, das durch die Verfassung garantierte
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Rahmen der
gesetzlichen Vorgaben und gerichtlichen Entscheidungen zu gewährleisten.
Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Kollege Birkwald.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben jetzt mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass
Sie als Bundesregierung in der Lage sind, Einsätze der
Polizei und deren Umgang mit Demonstrantinnen und
Demonstranten in fernen Ländern zu beurteilen, aber
nicht in Hessen. Das nehme ich sehr verwundert zur
Kenntnis. Sie haben auch immer davon gesprochen, dass
Sie keine rechtliche Bewertung vornehmen. Ich möchte
Sie um eine politische Bewertung bitten.
Darf ich jetzt Ihrer Antwort entnehmen, dass es in
Ordnung ist, dass Bundespolizistinnen und Bundespolizisten, wenn ihnen die Verletzung von Grundrechten bekannt wird, nicht auf Landespolizeien einwirken sollen
oder müssen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Auch
ich war als parlamentarischer Beobachter meiner Fraktion vor Ort, um zur Deeskalation beizutragen und zu
verhandeln. Wenn man Kenntnis von Grundrechtsverletzungen erlangt, kann man doch nicht sagen: Die Landespolizei trägt die Verantwortung, das geht uns als Bund
nichts an.
Dass hier Grundrechte verletzt worden seien, ist Ihre
Bewertung. Ich schließe mich dieser Bewertung nicht
an, weil wir solche Polizeieinsätze - ich sage es noch
einmal - nicht bewerten. Das fällt einzig und allein in
den Zuständigkeitsbereich der Länder. Auch mögliche
gerichtliche Beschwerden richten sich gegen das Land
Hessen und nicht gegen den Bund, weil der Bund diese
Polizeieinsätze nicht zu verantworten hat.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Es wurde den Demonstrierenden im Kessel über mehrere Stunden die Bereitstellung einer Toilette verwehrt.
Es wurde ihnen über mehrere Stunden verwehrt, mit
Trinkwasser versorgt zu werden. Es wurde ihnen über
mehrere Stunden verwehrt, mit Erster Hilfe versorgt zu
werden. Das sind eindeutig Verletzungen der Grundrechte. Da hat sich meines Erachtens die Bundespolizei,
wenn sie in Kenntnis dessen gelangt, so zu verhalten,
dass sie mit der Landespolizei darüber in Verhandlungen
tritt und versucht, mäßigend einzuwirken und auf die
Einhaltung der Grundrechte hinzuwirken. Mit welcher
Begründung lehnen Sie eine solche Position ab?
Wir nehmen keinen Einfluss auf die Polizeieinsätze
der Länder, weil die Länder in eigener originärer Zuständigkeit Versammlungen genehmigen und auch die Polizeieinsätze entsprechend durchführen und der Bund
überhaupt keine Zuständigkeit hat, hier einzugreifen. An
diese Verteilung der Zuständigkeiten halten wir uns sehr
strikt. Inwieweit diese Einsätze jetzt verhältnismäßig
waren, haben selbstverständlich unabhängige Gerichte
zu überprüfen.
Frau Leidig.
Ich möchte an die Fragen meines Kollegen Birkwald
anschließen. Auch ich war in Frankfurt vor Ort. Meine
Beobachtungen waren eindeutig die, dass das Recht auf
körperliche Unversehrtheit für eine große Zahl von Demonstrierenden eklatant verletzt worden ist.
Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben,
was passiert, wenn Polizisten mit Kanistern voller Pfefferspray auf dem Rücken dieses so versprühen, als ob es
sich dabei um Insektenvernichtungsmittel handeln
würde, nämlich wahllos in die Menge. Es gab Schwerverletzte, weil es durch das Pfefferspray zu Verätzungen
kam. Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, wie dieses Gift wirkt. Es zerstört die Schleimhäute.
Es kann zur Erblindung führen. Selbst völlig Unbeteiligte, die weit weg von dem Einsatzort waren, sind durch
das Pfefferspray, das durch den dort herrschenden Wind
verteilt wurde, verletzt worden und haben Verätzungen
erlitten. Ich glaube, dass zumindest unterlassene Hilfeleistung ein Thema sein könnte, wenn die Bundespolizei
sieht, was dort geschieht, und nicht eingreift, um das
Recht auf körperliche Unversehrtheit der Bürgerinnen
und Bürger dieser Republik sicherzustellen.
Diese Unterstellung weise ich zurück. Die Bundespolizei ist im Rahmen der Unterstellung unter die Landespolizei nach dem Bundespolizeigesetz nicht dazu da,
in die Einsätze der Landespolizei einzugreifen.
Ich darf die Fragesteller noch einmal bitten, die EinMinuten-Regelung im Blick zu behalten, die ich bisher
sehr großzügig ausgelegt habe. Da wir viele Wortmeldungen haben, kommen umso weniger zu Wort, je großzügiger verfahren wird. - Frau Vogler.
Vielen Dank. - Herr Schröder, ich muss Ihre bisherigen Auslassungen, glaube ich, so verstehen, dass die
Bundesregierung sich für unzuständig erklärt, wenn es
um die Einhaltung von Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes
geht. Sie haben jetzt mehrfach erklärt, dass im Falle einer Verletzung von Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes
durch Landesbehörden die Bundesregierung nicht zuständig ist. Nun stelle ich Ihnen die Frage: Macht sich
die Bundesregierung eigentlich Gedanken darüber, inwiefern sie vielleicht wenigstens anständig sein könnte,
wenn sie sich schon für nicht zuständig hält?
Generell berührt es uns alle, wenn Grundrechte nicht
eingehalten werden. Ob in diesem konkreten Fall Grundrechte eingehalten wurden oder nicht, haben unabhängige Gerichte zu überprüfen. Es ist nicht Aufgabe der
Bundesregierung, Polizeieinsätze der Länder zu überprüfen und zu kontrollieren.
({0})
Frau Gohlke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Schröder, Sie haben gerade in Zweifel gezogen, dass
Grundrechte verletzt worden seien, bzw. Sie sagen:
Diese Prüfung obliegt jetzt den Gerichten, die Bundesregierung möchte sich kein Bild machen.
Ich frage Sie nach den Wellen, die dieser Einsatz innenpolitisch und medial geschlagen hat inklusive einer
Rüge der OSZE wegen Behinderung bzw. Beschränkung
der journalistischen Freiheit und vermehrter Einsprüche
auch der journalistischen Verbände: Sieht die Bundesregierung keine politische Notwendigkeit, sich ein genaueres Bild zu verschaffen und diese Vorwürfe zumindest zu prüfen, statt es allein auf die juristische Ebene zu
schieben?
Die Bundesregierung ist keine Kontrollinstanz für
Polizeieinsätze der Länder, sondern die Gerichte sind die
Kontrollinstanz. Wir sind ein Rechtsstaat, und das ist
auch richtig so. Aber natürlich lässt es uns alle nicht kalt,
wenn wir solche Bilder sehen. Aber ob es am Ende verhältnismäßig war oder nicht, entscheiden die Gerichte,
und das obliegt nicht mir als Parlamentarischem Staatssekretär.
Frau Dittrich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, in
der Antwort auf die Frage meines Kollegen Birkwald,
der darauf hingewiesen hat, dass Essen, Trinken und andere Grundbedürfnisse nicht erfüllt worden sind, haben
Sie gesagt, das sei Ihnen nicht bekannt. Aber als Demonstrationsteilnehmerin habe ich gesehen, und es
wurde auch gefilmt, dass ein Wassereimer vom dritten
Stock eines Hauses in den Kessel herabgelassen wurde,
um die Demonstranten zu versorgen. Das heißt, die Bevölkerung oder die Beschäftigten in dem Haus haben
sich solidarisch gezeigt.
Das ist also an die Öffentlichkeit gelangt. Wie können
Sie denn dann sagen, Sie hätten keine Kenntnis davon,
dass die Menschen im Kessel nichts zu trinken hatten?
Das habe ich gar nicht gesagt. Ich habe lediglich gesagt, dass es nicht meine Aufgabe ist und ich das rechtlich nicht beurteilen kann, sondern dass das Aufgabe der
Gerichte ist. Das habe ich gesagt.
Frau Enkelmann.
Herr Staatssekretär, ich halte erstens noch einmal fest:
Die Bundespolizei war in Frankfurt am Main im Einsatz.
Zweitens. Es gibt deutliche Hinweise auf polizeiliche
Übergriffe, die den Rahmen des Zulässigen überschritten
haben. Ist die Bundesregierung bereit, ihren Beitrag zur
Aufklärung der Ereignisse in Frankfurt am Main zu leisten?
Es macht relativ wenig Sinn, Frau Enkelmann, wenn
Sie etwas zusammenfassen, das nicht dem entspricht,
was ich gesagt habe.
({0})
Ich habe gesagt: Die Bundespolizei war im Einsatz. Aber auch durch Weglassen kann man ein falsches Bild
malen. Die Bundespolizei war jedenfalls an der Separierungsmaßnahme, um die es Ihnen geht, nicht beteiligt.
Aber, Herr Staatssekretär, unbeschadet der Frage, ob
Sie die Zusammenfassung teilen, ist die Frage zulässig,
ob die Bundesregierung sich an der Aufklärung der Vorgänge beteiligen kann oder beteiligen will.
Noch einmal: Die Bundesregierung beteiligt sich
nicht an der rechtlichen Bewertung. Natürlich ist es unsere Aufgabe, das Parlament darüber in Kenntnis zu setzen, was dort passiert ist. Aber das ist Ihnen bekannt,
wie gerade zu vernehmen war. Schließlich waren Sie alle
selbst dabei. Aber eine rechtliche Bewertung nehmen
wir nicht vor.
Herr Kollege Hunko.
Wir fragen nach einer politischen und nicht nach einer
rechtlichen Bewertung. Aber das ist nicht der Punkt, den
ich ansprechen wollte.
Eben wurde angesprochen, dass die Polizeieinsätze
bei den Blockupy-Protesten eine internationale Dimension bekommen haben. Das ist kein Wunder, denn es ist
eine internationale Demonstration gewesen, die vor der
Europäischen Zentralbank stattfinden sollte. Die OSZE
hat sich sehr kritisch dazu geäußert. In der Pressemitteilung heißt es:
OSCE media freedom representative expresses concern about police treatment of media at „Blockupy“
protests in Germany.
Es wird ausdrücklich gefordert, die Sicherheit von Journalisten in solchen Situationen zu gewährleisten.
In der OSZE ist die Bundesregierung vertreten und
nicht das Land Hessen. Argumentieren Sie in der OSZE,
wenn Sie dort auf den Polizeieinsatz bei dieser Demonstration angesprochen werden, genauso wie hier, nach
dem Motto: „Damit haben wir nichts zu tun; das ist Ländersache“, oder gehen Sie dort anders damit um? Das interessiert mich.
Auch gegenüber diesem internationalen Gremium
nehmen wir auf das Bezug, was die Länder berichten.
Für die politische Bewertung ist zunächst einmal die
rechtliche Bewertung entscheidend, ob das am Ende als
verhältnismäßig angesehen wird oder nicht. Sie können
doch eine politische Bewertung nicht völlig frei von einer rechtlichen Bewertung vornehmen. Was dort geschehen ist, ist in Ihren Augen unverhältnismäßig und rechtswidrig. Es gibt aber auch noch andere Bewertungen, die
öffentlich gemacht wurden.
({0})
Nun müssen unabhängige Gerichte eine rechtliche Beurteilung vornehmen.
Herr Kollege Movassat.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich
möchte darauf hinweisen, dass die Grundrechte alle
Staatsgewalt binden. Die Grundrechte sind nicht so ausgestaltet, dass der Staat zuerst mutwillig draufhauen und
vorsätzlich die Grundrechte verletzten darf und dass die
Gerichte das dann retten. Das darf nur der Ausnahmefall
sein. Das grundrechtskonforme Verhalten des Staates
sollte die Regel sein. Das ist eigentlich die Intention des
Grundgesetzes und insbesondere der Grundrechte.
Sie als Exekutive sollten sicherlich keine rechtliche
Einschätzung vornehmen. Das Urteil sprechen letztlich
die Gerichte. Aber Sie sind als Exekutive kraft Grundgesetz dazu berufen, eine politische Abwägung und Entscheidung vorzunehmen. Sie können sich nicht herausreden und sagen: Das machen dann die Gerichte; wir
warten ab. - Natürlich können Sie nicht alles im Detail
bewerten; das sehe ich genauso. Aber Sie können eine
grundlegende politische Einschätzung abgeben, wie Sie
zur Versammlungsfreiheit und zu anderen Grundrechten
wie der Unverletzlichkeit der Person stehen. Sie kennen
die Bilder aus Frankfurt. Ist eine grundlegende Einschätzung der Bundesregierung nicht möglich? - Danke
schön.
Eine solche Einschätzung kann ich sofort vornehmen.
Die Versammlungsfreiheit ist für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend. Sie ist eines
der wichtigsten Grundrechte. Die verfassungsgemäße
Ordnung ist selbstverständlich von aller staatlichen Gewalt zu respektieren.
Wir alle setzen uns in den unterschiedlichen Gremien
und in unseren unterschiedlichen Funktionen dafür ein,
dass genau das passiert. Wir nehmen natürlich auch politische Bewertungen vor, wie das Versammlungsrecht
weiterzuentwickeln ist. Dafür sind nach der Föderalismusreform die Länder zuständig. Das gilt auch für die
Rechtsetzung im Bereich des Versammlungsrechts. Wir
nehmen aber keine Bewertung von konkreten Polizeieinsätzen der Länder vor, weil wir nicht die Supervisionsinstanz für die Exekutivmaßnahmen der Länder sind.
Letzte Nachfrage zu diesem Komplex, Frau
Buchholz.
Herr Kollege Schröder, wir haben in diesem Jahr
nicht das erste Mal schlechte Erfahrungen mit Maßnahmen im Rahmen der Blockupy-Demonstrationen
gemacht, sondern bereits im letzten Jahr wurden die
Blockupy-Proteste kriminalisiert und das Recht auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt, und zwar wegen einer
aberwitzigen Gefahrenanalyse, aufgrund derer 1 000 Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer rechtswidrig, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, von der
Demonstration abgehalten wurden und letztendlich nur
eine einzige Veranstaltung zugelassen wurde.
Angesichts der Erfahrung von 2012 und der Erfahrung von diesem Jahr stellt sich für mich die Frage, ob es
nicht langsam an der Zeit wäre, dass die Regierung überlegt, wie sie denn mit den Protesten im nächsten Jahr
umgehen wird; denn es ist klar, dass es auch 2014 wieder
Blockupy-Proteste in Frankfurt geben wird. Deshalb
müssen Sie doch Schlussfolgerungen ziehen und
schauen, was Sie der nächsten Regierung raten werden,
wie auf die Länderpolizeien einzuwirken ist, um tatsächlich das Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten und dieses durchzusetzen. Nach den Erfahrungen
von zwei Jahren muss man doch politische Konsequenzen ziehen. Dazu würde mich Ihre Meinung interessieren.
Für uns alle ist die Versammlungsfreiheit wichtig.
Wir alle setzen uns dafür ein, dass Versammlungen friedlich stattfinden können. Der Bund und insbesondere die
Bundesregierung ist aber nicht die für Versammlungen
zuständige Behörde. Das sind vielmehr die Länder; die
sind sowohl für die Rechtsetzung im Bereich des Versammlungsrechts als auch für die Ausführung des Versammlungsrechts zuständig.
Zu den Fragen 59 und 60 der Kollegin Sabine Leidig
stelle ich fest, dass die Fragestellerin nicht im Saal ist.
Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen jetzt zur Frage 61 der Kollegin
Buchholz:
Von wem wurde die Bundespolizei im Rahmen der Blockupy-Demonstration am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main
angefordert - bitte mit Angabe des Datums -, und welche
Stellen innerhalb der Bundespolizei oder des Bundesinnenministeriums haben unabhängig von Polizeieinsatzleiter
Harald Schneider vor dem Einsatzbefehl eine Lageeinschätzung vorgenommen?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Hessische
Ministerium des Innern und für Sport hat die Bundespolizei um Unterstützung ersucht. Die Lagebeurteilung
für den Polizeieinsatz im Zuständigkeitsbereich des Landes Hessen oblag alleine dem anfordernden Land, also
Hessen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Frau Buchholz.
Mir stellt sich die Frage, ob es keinerlei eigene Einschätzung der Bundespolizei über die Situation vor Ort
gibt und ob es keinerlei Mechanismen gibt, zu einer gemeinsamen Lageeinschätzung während eines laufenden
Einsatzes zu kommen. Diese Vorstellung halte ich wirklich für absurd; denn offensichtlich war klar - das berichten auch mehrere Journalisten -, dass diese Eskalation kurz vor der EZB geplant war. Daher würde es mich
schon sehr wundern, wenn die Bundespolizei nicht zumindest im Rahmen der Gesamtlageeinschätzung über
diese Eskalationsschritte informiert gewesen wäre. Dazu
musste sie sich dann auch positionieren.
Im eigenen Zuständigkeitsbereich nehmen wir selbstverständlich solche Lagebeurteilungen vor, also im Bereich des Bahnhofs, weil die Bundespolizei dafür zuständig ist. Wenn die Bundespolizeikräfte allerdings dem
Land unterstellt sind, dann ist es Sache des Landes, diese
Lagebeurteilung vorzunehmen.
Zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Buchholz.
Das Ganze gilt auch für diesen Fall, bei dem wir es
mit einer Demonstration zu tun haben, von der keinerlei
Gewalt ausging, bei der die Vermummung darin bestand,
dass die Menschen Sonnenbrillen trugen und Regenschirme dabeihatten? Dann gilt diese Einschätzung genauso? Das halte ich für völlig absurd. Wir hatten die
Situation, dass Journalisten, Sanitäter und parlamentarische Beobachter von ihrer Arbeit abgehalten wurden;
das hat doch eine Auswirkung auf den Einsatz am Bahnhof selbst gehabt, wo die Menschen an- und abreisten.
Ich frage mich, warum diese Schnittstelle nicht funktioniert hat und wie Sie sicherstellen wollen, dass, wenn
es beispielsweise im nächsten Jahr oder zu anderen Anlässen zu einer ähnlichen Situation kommt, solch ein Desaster, solch eine offensichtliche Unkenntnis der Bundespolizei hinsichtlich der Fehler der Landespolizei
ausbleiben und dass es ein Einwirken auf das Agieren
der Landespolizeien gibt.
Im Bereich des Bahnhofs, also im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei, gab es keine Zwischenfälle.
Herr Movassat.
Herr Staatssekretär, mich würde interessieren, inwiefern die Bundespolizei in Vorbereitung und Koordination des Einsatzes eingebunden war. Waren Vertreter der
Bundespolizei Teil der Einsatzleitung?
Da er in den originären Zuständigkeitsbereich des
Landes fiel, ist dieser Einsatz einzig und allein durch die
Landespolizei geleitet worden.
Ich rufe die Frage 62 der Abgeordneten Buchholz auf:
Wie will die Bundesregierung künftig bei Protesten von
bundesweiter Bedeutung sicherstellen, dass die Bundespolizei
nicht zu Maßnahmen missbraucht wird, die das Grundrecht
auf Versammlungsfreiheit sowie die unbeschadete Teilnahme
an Demonstrationen von Journalisten, Rechtsanwälten, Sanitätern und Demonstrationsbeobachtern missachten?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt, Frau Kollegin
Buchholz: Polizeiliche Einsatzlagen im Zusammenhang
mit Demonstrationslagen fallen in die Zuständigkeit der
Länder. Es wird diesbezüglich auf die Zuständigkeit der
Länder und auf die Verpflichtung der Polizei- und Ordnungsbehörden, das verfassungsmäßig garantierte
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Rahmen der
gesetzlichen Vorgaben und gerichtlichen Entscheidungen zu gewährleisten, verwiesen.
Zur Gewährleistung der inneren Sicherheit in
Deutschland wird die Bundespolizei auch weiterhin in
Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf
Anforderung die Polizeien der Länder unterstützen.
Zusatzfrage.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie nicht bereit sind,
aus dem Desaster von Frankfurt Konsequenzen zu ziehen. Ich will noch einmal nachfragen. Angesichts der
Tatsache, dass sich die Blockupy-Proteste, die sich gegen die Politik der EU-Troika und der Bundesregierung
vor allen Dingen gegenüber den südeuropäischen Ländern gerichtet haben, liegt nahe: Solche Demonstrationen werden wir in den nächsten Zeiten vermehrt erleben.
Glauben Sie nicht, dass es aus der Perspektive der Bundesregierung sinnvoll ist, eine Diskussion in dem von ihr
zu verantwortenden Bereich darüber zu führen, wie man
sicherstellt, dass Meinungsäußerungen, Pressefreiheit,
Berichterstattung über diese legitimen Proteste tatsächlich gewährleistet werden? Schließlich wollen wir uns
alle gemeinsam - das ist bisher in der Fragestunde, auch
in Ihren Antworten, deutlich geworden - an den hohen
Maßstäben von Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit
und Einhaltung des Grundgesetzes messen lassen. Daher
ist meine Frage: Wie wollen Sie die Einhaltung dieser
Maßstäbe in Zukunft sicherstellen?
Für uns alle ist das ein wichtiges Anliegen; wir sind
uns da einig. Das Bundesministerium des Innern ist für
die Bundespolizei zuständig. Zur originären Zuständigkeit der Bundespolizei gehört in diesem konkreten Fall
der Bereich Bahnhof.
Für alle anderen Bereiche und auch für die Ausführung des Versammlungsrechts sind die Länder zuständig,
in diesem konkreten Fall das Land Hessen. Das Land
Hessen hat selbstverständlich sicherzustellen, dass die
Versammlungsfreiheit auch in diesem Kontext gewährleistet wird. Es ist jetzt Sache des Landes Hessen, die
notwendigen Schlussfolgerungen aus den bisherigen
Einsätzen zu ziehen. Das ist aber nicht Sache der Bundesregierung. Noch einmal: Wir sind nicht die Kontrollinstanz für die einzelnen Länderpolizeien.
Frau Buchholz hat das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Auch Sie haben schon deutlich geäußert, dass es offensichtlich ein Problem mit dem Einsatz der hessischen
Polizei gab. Für mich stellt sich die Frage: Beabsichtigen
Sie, den Kontakt zu dem Kollegen Boris Rhein, dem
hessischen Innenminister, aufzunehmen und das Gespräch mit ihm darüber zu suchen, wie die Versammlungsfreiheit in Frankfurt, in Hessen in Zukunft gesichert werden kann?
Ich habe nicht gesagt, dass es ein Problem mit Polizeieinsätzen des Landes Hessen gab. Ich habe nun schon
- ich weiß nicht, wie häufig - gesagt, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, die Polizeieinsätze des
Landes Hessen zu bewerten. Diese Bewertung ist vielmehr allein Sache des Landes Hessen. Dort wird diese
entsprechend vorgenommen.
Frau Vogler.
Herr Staatssekretär, obwohl Sie glauben, keine Zuständigkeit zu haben, und obwohl Sie angeben, über keinerlei Kenntnisse zu verfügen, würde ich doch noch
fragen wollen, ob diese Kenntnis- und Zuständigkeitslosigkeit in irgendeinem Zusammenhang damit steht, dass
Hessen, wie der Bund auch, schwarz-gelb regiert wird
und dass Sie Ihrem Parteifreund Boris Rhein, der parallel mit Ihnen im Wahlkampf steht - in Hessen wird ja
auch neu gewählt -, an dieser Stelle nicht auf die Zehen
treten möchten.
Die Frage könnte ich jetzt auch beantworten.
({0})
Sie können das gern überprüfen: Die Bundesregierung hat noch nie Polizeieinsätze der Länder bewertet.
Wir bewerten zum Beispiel auch nicht die Polizeieinsätze des Landes Hamburg am 1. Mai; das ist einzig und
allein Sache des Landes Hamburg, unabhängig davon,
wer da gerade Erster Bürgermeister ist.
Letzte Zusatzfrage, Frau Dittrich.
Vielen Dank für die Zulassung der Frage. - Würde es
der Bundesregierung und Ihnen bei der organisierten
Verantwortungslosigkeit der Bundesländer und der Bundesregierung vielleicht helfen, wenn wir als Linke bei
Demonstrationen Nichtregierungsorganisationen herbeiholen, um dort zu beobachten, so ähnlich wie das Delegationen von Menschenrechtsorganisationen und Wahlbeobachter in der Türkei tun, wie das Mitglieder des
Europarats tun?
({0})
Wäre das vielleicht nötig, um dem verfassungsmäßigen
Recht der freien Meinungsäußerung zum Durchbruch zu
verhelfen?
Wir haben klare Zuständigkeiten. Das ist auch wichtig für einen Rechtsstaat; denn nur bei klaren Zuständigkeiten, gerade im Bereich des Versammlungsrechts, hat
der Bürger die Möglichkeit, rechtlichen Schutz zu erhalten.
In diesem Fall wird der Polizeieinsatz, weil es ein
Polizeieinsatz des Landes Hessen ist, vom Land Hessen
zu verantworten sein. Die Gerichte werden jetzt überprüfen, ob das verhältnismäßig war oder nicht. Das ist nicht
Sache der Bundesregierung, und das finde ich auch richtig, gerade unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten. Es
ist nicht Sache der Bundesregierung, sondern Sache der
unabhängigen Gerichte, zu überprüfen, ob dieser Polizeieinsatz rechtmäßig oder rechtswidrig war.
Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich ab.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz:
Die Fragen 63 und 64 des Kollegen Kolbe sind zurückgezogen worden.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen: Die Frage 65 des Kollegen Hofreiter, die Fragen 66
und 67 des Kollegen Troost sowie die Fragen 68 und 69
der Kollegin Höll werden schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales: Die Frage 70 der Kollegin Pothmer sowie
die Fragen 71 und 72 der Kollegin Hiller-Ohm werden
schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Die
Fragen 73 und 74 der Kollegin Behm, die Frage 75 des
Kollegen Ostendorff sowie die Fragen 76 und 77 des
Kollegen Ebner werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt steht für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 78 des Kollegen Dr. Tobias Lindner
auf:
Welche Kosten waren zum 3. März 2011 im Euro-HawkProgramm bereits beglichen worden, und welche Zahlungsverpflichtungen standen zu diesem Zeitpunkt aus?
Herr Präsident! Lieber Kollege, zunächst wollte ich
eigentlich sagen, dass die Zuständigkeit für Verteidigung
so dezidiert beim Bund liegt, dass die Beantwortung der
Fragen in kürzerer Zeit erfolgen kann. Dann habe ich
mich daran erinnert, dass im Rahmen der Amtshilfe für
die Bundesländer im Katastrophenschutz die Bundeswehr wegen des Hochwassers gerade mit 17 000 Soldaten im Einsatz ist.
({0})
Ihre Frage, Herr Kollege, beantworte ich wie folgt:
Am 3. März 2011 betrug der Ausgabenstand 395,5 Millionen Euro. Mit bereits eingegangenen, aber noch offenen vertraglichen Verpflichtungen von 158,97 Millionen
Euro belief sich die Gesamtbindung auf 554,47 Millionen Euro.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, dass Sie die Hoffnung haben, Fragen beantworten zu können; diese Hoffnung hatten wir aufseiten der Opposition in den letzten
Wochen nicht immer.
Ich entnehme Ihrer Antwort, dass etwa im Vergleich
zu den Mitteln, die heute gebunden sind, durchaus noch
eine Differenz besteht, weshalb das Bundesministerium
der Verteidigung im Laufe dieses Programms auch verschiedene Varianten geprüft hat.
Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob im Verlauf der
Prüfung das Bundesministerium der Verteidigung überlegt hat, die Entwicklung des ISIS-Moduls auf der Basis
der Euro-Hawk-Plattform zu stoppen und das ISIS-Modul auf einem anderen Trägersystem weiter zu entwickeln.
Sehr verehrter Kollege, die vertragliche Vereinbarung
im Programm Euro Hawk hat die zwei Komponenten
umfasst und umfasst sie noch. Der Vertrag hat nach wie
vor Bestand für die Entwicklung eines Full Scale Demonstrators, also eines Prototypen - wenn man es so
sagen darf -, im fliegerischen Bereich und in der Integration dieses zu entwickelnden Aufklärungssystems Integrated SIGINT-System. Deswegen sind zu diesem
Zeitpunkt solche Fragen natürlich nicht anständig gewesen. Dass sich im Verlaufe der Diskussion und im Rahmen der im Verteidigungsausschuss und Haushaltsausschuss in den letzten Tagen sehr intensiv diskutierten
Fragen auch die Frage nach alternativen Trägerplattformen stellt, versteht sich von selbst. Vertraglich eingebunden ist dieses allerdings nicht.
Weitere Zusatzfrage.
Die Diskussion - das schildern Sie zu recht - dreht
sich um die Frage, ob die Probleme lösbar oder unlösbar
sind. Mein landläufiges Verständnis von unlösbar ist,
dass man es mit Sicherheit weiß, wenn das Problem unlösbar ist. Lösbarkeit ist eher eine Annahme darüber,
etwas lösen zu können. Hat Ihr Haus mit Blick auf die
Probleme, die Sie als lösbar einstufen, eine Risikoanalyse gemacht oder auf irgendeine Art und Weise eine
Annahme gehabt, mit welcher Wahrscheinlichkeit etwas
lösbar sein könnte, oder war es vielmehr eine Annahme
nach dem Motto „Da bietet sich ein weiterer letzter
Strohhalm, nach dem man greifen könnte“?
Zur Risikoanalyse will ich vorneweg sagen, Herr
Kollege, dass wir uns bei den sehr komplizierten Beschaffungsvorgängen des Bundes, über die wir reden
- übrigens reden wir nicht über das erste Entwicklungsprogramm, das entweder Verzögerungen oder Veränderungen erfahren hat -, im Rahmen des sogenannten
CPM befinden. Was heißt CPM? Es heißt Customer
Product Management. Es ist ein Beschaffungssystem,
das den EBMat alter Fassung abgelöst hat. Wieso führe
ich das aus? Das damalige CPM wurde von Rudolf
Scharping als Minister eingeführt, weil er gegenüber
dem alten EBMat die Risk Reduction Phase, also Risikoreduzierung, hatte. Das heißt, dass man bei der Bestellung nicht gleich in Serie gegangen ist, sondern ein einzelnes Demonstratorstück hat entwickeln lassen, um zu
verhindern, dass daraus der gesamte Kostenrahmen, der
in Aussicht genommen war, sozusagen im Feuer ist.
Ich will der Beantwortung Ihrer Antwort nicht ausweichen, aber ich gebe zu, dass ich in den letzten drei
Wochen sehr viel über Zulassungswesen und technische
Fragen gelernt habe. Ob ich es verstanden habe, weiß ich
nicht. Ich möchte darum bitten, diese Detailfragen zum
Zeitpunkt einer Risikoreduzierung heute nicht zu beantworten.
Nein, schon gar nicht in der längst überschrittenen
Zeit.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident.
Ich bitte, die Zeit im Auge zu behalten, zumal es
reichlich Nachfragen gibt. Die nächste Nachfrage
kommt von Frau Dittrich.
Geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Schmidt, haben wir jetzt zu befürchten, dass bei jeder
Erwähnung der Bundeswehr zunächst der positive Einsatz der Bundeswehr als Katastrophenhelfer bei der Flut
zu hören ist, aber die Schülerinnen und Schüler, die vor
Ort sind, oder auch Abgeordnete der Linken, wie Harald
Koch in seinem Wahlkreis, nicht genannt werden?
({0})
Wollen Sie damit davon ablenken, dass die Drohne,
um die es bei dieser Frage geht, zum Töten entwickelt
wurde und wir eine Bundeswehr nicht brauchen?
({1})
Herr Präsident, es gibt selten Fragen, bei denen ich
der Meinung bin: Ich lasse sie stehen, ohne sie zu beantworten. - Ich erlaube mir, dass ich diese Frage in diese
Kategorie einordne.
({0})
Kollege Brandl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, dass das Aufklärungssystem ISIS, das jetzt kurz vor der Vollendung steht,
nicht hätte weiterentwickelt werden können und jetzt
auch dieses Geld verloren wäre, wenn das Euro-HawkProjekt am 3. März 2011 oder im Laufe des Jahres 2011
abgebrochen worden wäre?
Herr Kollege Brandl, das ist insofern richtig, als die
Integration und Entwicklung auf der Plattform von Euro
Hawk geplant war. Das System an sich kann nach Entwicklung natürlich auch auf einer anderen Plattform aufgebaut werden. Die Integrationskosten, die Entwicklungskosten und möglicherweise Kosten weiterer Art
wären dann allerdings in der Tat verloren gegangen.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Schmidt, meine Frage bezieht sich auf die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung von heute. Der Minister
hat sowohl im Verteidigungsausschuss als auch in der
Aktuellen Stunde behauptet, er sei nicht vor dem
13. Mai über gravierende Probleme informiert gewesen.
({0})
Nun informiert uns die Süddeutsche Zeitung von heute
über ein 50-seitiges Papier, in dem - so wird es in der
Zeitung dargestellt - auf schwere Probleme hingewiesen
wird, und zwar am 10. Dezember. Wie erklären Sie sich
diese Diskrepanz: Obwohl am 10. Dezember auf
schwere Probleme hingewiesen wurde, behauptete Herr
de Maizière in der letzten Woche, er sei am 13. Mai erstmalig über gravierende Probleme informiert worden?
({1})
Frau Kollegin, wenn Sie gestatten: Ich will der Frage
nicht ausweichen oder die Antwort verlängern, aber derart komplizierte technologische Entwicklungen gebären
regelmäßig sehr schwere Probleme. Manchmal lösen sie
sich schneller als gedacht.
({0})
- Die Information, die ich nicht im Einzelnen kenne und
in der Süddeutschen Zeitung kursorisch zitiert wird,
diente der Vorbereitung eines Besuchs, bei dem übrigens
das Thema Euro Hawk, soweit ich das weiß, gar nicht im
Mittelpunkt stand, und ist sozusagen eine allgemeine
Übersicht über den gegenwärtigen Stand bei Problemen,
aber kein Hinweis darauf, dass sozusagen keine Möglichkeit mehr bestünde, in dem Programm fortzufahren.
Herr Nouripour.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich
stelle fest:
Erstens. Das ISIS-System ist nicht auf der Plattform
des Euro Hawk zertifizierbar, weil dies nicht die endgültige Plattform ist. Das heißt, erst muss die Alternative
beschafft werden, dann kann es zertifiziert werden. Das
heißt, die Behauptung, jetzt werde das integrierte System
zu Ende entwickelt, stimmt nicht; denn die Erprobung
muss komplett neu anfangen, wenn die Alternative da
ist.
Zweitens. Es geht hier nicht um gravierende technische Mängel, so wie Sie es beschrieben haben. Wir haben es hier mit Zulassungsproblemen zu tun. Es geht
nicht um Hightech oder darum, dass es nicht funktioniert.
Meine Frage bezieht sich auf den Zeitpunkt, der in
Frage 78 genannt wird: 3. März 2011. Inwieweit war
sich die Führung des Hauses und wer war sich in der
Führung des Hauses im März 2011 darüber im Klaren,
dass im Vertrag zum Euro Hawk explizit eine Bemühensklausel steht, die dazu führen könnte, dass eine Haftung der Hersteller ausgeschlossen ist?
Herr Präsident, jetzt habe ich zwei Probleme: Zum einen hören wir, dass ein formulierter Antrag besteht, einen Untersuchungsausschuss einzurichten; er ist noch
nicht beschlossen.
({0})
- Danke für den Hinweis, Frau Kollegin. Ihre Erfahrung
führt gepaart mit meiner dazu, dass ich vielleicht doch
darauf hinweise, dass diese Detailfragen, auf die ich aus
zwei Gründen nur begrenzt antworte, im Untersuchungsausschuss ihren Platz finden mögen.
Lieber Kollege Nouripour, Ihre technischen Kenntnisse sind sehr beachtlich, aber ich kann sie weder bestätigen noch bewerten; denn - das gebe ich zu - ich bin
kein Entwicklungsingenieur. Ich habe gelernt, dass man
sehr gut beraten ist, sich bei der Bewertung, ob ein Zulassungsproblem ein technisches oder ein rechtliches
Problem ist, sehr zurückzuhalten. Wir bewegen uns da
beide auf sehr dünnem Eis.
Ich verstehe, dass Ihr Drang, mich zu einer Aussage
zu bringen, sehr groß ist. Ich will mir die Anempfehlung
erlauben, Frau Kollegin Haßelmann, dass wir das im Untersuchungsausschuss vertiefen. Ich hoffe nicht, dass ich
auf Ihren Widerstand stoße.
Ihre zweite Frage befasst sich mit der Bemühensklausel in Bezug auf die Zulassung insgesamt. Das ist in der
Tat ein Thema, gerade wenn es um die Struktur im Beschaffungswesen geht. Hier wurden übrigens gerade Änderungen vorgenommen.
Die Bemühensklausel ist keine Erfindung des Vertrages, sondern in den allgemeinen Bedingungen für Entwicklungsverträge mit Ingenieuren enthalten, weil der in
Entwicklungsverträgen vereinbarte Erfolg grundsätzlich
regelmäßig nicht geschuldet werden kann. Im entsprechenden Vertrag wurde sogar noch einiges von der Bemühensklausel ausgenommen und in eine Erfolgsklausel
umgesetzt. Aber das sind rechtliche Fragen, deren Bewertung wir en détail ebenso wenig vornehmen können
wie die Bewertung der technischen Fragen.
Ich weiß, dass es gelegentlich schwierig ist, die Fragen innerhalb des engen Zeitlimits zu beantworten, aber
die Uhr läuft - sowohl bei den Fragen als auch bei den
Antworten. Demnächst versuche ich es mit Winken.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Meßmer.
Herr Präsident! - Herr Staatssekretär, ich habe jetzt
sowohl durch die Veröffentlichung, aber auch durch die
Ausschusssitzung gelernt, dass bei der Zulassung die
Unterscheidung zwischen lösbaren Problemen und unlösbaren Problemen eine große Bedeutung hat.
({0})
Können Sie zeitlich ungefähr beziffern, wann im Ministerium - ich formuliere das jetzt untechnisch - von „lösbar“ auf „unlösbar“ geschaltet wurde? Welche Informa31228
tion von wem lag zum Zeitpunkt der Einschätzung
„lösbar/unlösbar“ zugrunde?
Die Frage „lösbar/unlösbar“ ist eine für jedermann
durchaus nachvollziehbare: Kommt man mit dem Thema
voran, oder muss man umschalten? Das hat im Zuge der
Vorbereitung der Entscheidungsvorlage vom 13. Mai
stattgefunden. Ein solcher Prozess kann sich natürlich
über einen gewissen Zeitraum hinziehen.
Die Frage „lösbar/unlösbar“ war vorher allerdings
noch nicht zu beantworten. Das mögen Sie meiner Antwort auf eine Frage des Kollegen Lindner vom Januar
- wenn ich mich recht entsinne - entnehmen, als ich von
Zeitverzögerungen berichtet habe, nicht von unlösbaren
Problemen. Der Kollege Kossendey hat sich im März in
ähnlicher Weise geäußert.
Das entsprang natürlich nicht der Vorstellung, dem
Parlament etwas zu verheimlichen. Vielmehr war es in
der Tat so, dass der Euro Hawk damals im Dezember
zum ersten Mal flog. Es gab also Hoffnung.
({0})
Frau Brugger möchte jetzt diese Hoffnung aufgreifen.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Staatssekretär,
wie Kollegin Haßelmann möchte auch ich auf den Artikel der Süddeutschen Zeitung Bezug nehmen. Vielleicht
ist Ihnen die Presseerklärung Ihres Hauses, die aufgrund
des Artikels der Süddeutschen Zeitung heute veröffentlicht wurde, vertrauter.
Der Minister sagte, er sei nicht informiert worden.
Daraus wurde später, er sei nicht schriftlich über die unlösbaren Probleme informiert worden. Ihre Presseverlautbarung von heute räumt ein, dass für das Gespräch
mit der Firma Cassidian am 10. Dezember letzten Jahres
folgende Formulierungshilfe gegeben war: Es ist „keine
Grundlage gegeben …, um eine Entscheidung für eine
Serienbeauftragung zu befürworten oder gar zu beschaffen“. Das ist für mich ein Widerspruch zu den Aussagen
des Ministers, den Sie uns hoffentlich jetzt erklären können.
Gerne. Frau Kollegin Brugger, das ist überhaupt kein
Widerspruch. Wir haben zwei Verträge. Der eine betrifft
einen Demonstrator; das habe ich vorhin ausführlich
dargelegt. Der andere betrifft die Beschaffung der Serie.
Solange beim Demonstrator nicht alle Fragen geklärt
sind, denke ich doch nicht im Traum daran, einen Vertrag mit Northrop Grumman abzuschließen, um die Serie
zu beschaffen. Genau dies stand in der Erklärung. Das ist
ein Hinweis auf die Notwendigkeit der Lösung von Problemen.
Ich rufe die Frage 79 des Kollegen Lindner auf:
Zu welchen Zeitpunkten hat das Bundesministerium der
Verteidigung, BMVg, Zahlungen in welcher Höhe zur Begleichung von Forderungen im Zusammenhang mit dem EuroHawk-Programm geleistet?
Ich verweise auf die Anlage C des Berichts der Adhoc-Arbeitsgruppe Euro Hawk vom 5. Juni 2013. In dem
sehr langen Konvolut wird das im Einzelnen dargestellt;
das müsste Ihnen bereits vorliegen, Herr Kollege.
Eine detaillierte Aufstellung zu den Zahlungen aller
Verträge im Projekt Euro Hawk wie Entwicklungsvertrag, Foreign-Military-Sales-Verträge - das sind die
speziellen amerikanischen Verträge - und CustomerLogistics-Support-Verträge wird derzeit erarbeitet. Ich
bitte, mir zu erlauben, das nachzuliefern.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
hat denn das Bundesministerium der Verteidigung, bevor
es zu den einzelnen Zeitpunkten Zahlungen geleistet hat,
jeweils überprüft, ob Leistungen, die vertraglich vereinbart wurden, auch korrekt erbracht wurden und sich in
den Fällen, in denen sich, um Sie zu zitieren, „lösbare
Probleme“ ergaben, informiert, ob Schadenersatzansprüche bestehen? Oder ist die Realität so, dass auch während dieser Zahlungen eine Unklarheit oder verschiedene Rechtsauffassungen darüber bestanden, ob die
Bemühensklausel für einzelne Verfahren des Zulassungsverfahrens anzuwenden ist? Sieht die Realität so
aus, dass dies jetzt im Nachhinein über eine externe
Anwaltskanzlei geklärt werden muss?
Zur ersten Frage: Es hat einen Fall einer Kostenreduzierung bzw. einer Inanspruchnahme gegeben - ich will
das nicht rechtlich qualifizieren, ob es sich um Schadenersatz oder um verminderte Leistung handelte -, und
zwar, wie ich glaube, in der Höhe von 7 Millionen Euro.
„Ich glaube“ heißt, ich muss Ihnen auch dies konkret
noch sagen. Ich gehe davon aus - ich habe keinerlei andere Hinweise -, dass die Meilensteine im Vertragsverlauf natürlich auch in den Zahlungen entsprechend
beachtet worden sind. Aber das würde sich dann auch
aus den Details der Auflistung ergeben.
Zu Ihrer zweiten Frage, ob die Bemühensklausel in
der Bewertung eine Rolle gespielt hat und wieso eine
Anwaltskanzlei eingeschaltet wurde: Unsere RechtsParl. Staatssekretär Christian Schmidt
abteilung kommt in der Tat zu dem Ergebnis, dass diese
Bemühensklausel gewisse Einschränkungen hat. Ich will
als Rechtsanwalt, der nicht beteiligt ist - wie ich gehört
habe, hat die eine oder andere Kollegin schon Interesse
gezeigt, sich mandatieren zu lassen -,
({0})
doch sagen: Es ist manchmal gut, eine zweite Meinung
zu hören, vor allem, wenn man mit öffentlichem Geld
und möglichen Ersatzansprüchen umgehen muss. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir zur Versicherung
noch einmal eine Kanzlei eingeschaltet haben.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, dass
der Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der
Befehls- und Kommandogewalt der oberste Disziplinarvorgesetzte der Bundeswehr ist und ihn insofern die
Pflicht zur Dienstaufsicht nach § 10 Abs. 2 des Soldatengesetzes trifft?
Herr Kollege Lindner, ich bestätige Ihnen, welche
Aufgaben der IBuK hat. Ich unterstreiche, dass der IBuK
nicht die Aufgabe hat, jede einzelne Kostenrechnung
selber nachzurechnen.
Kollege Nouripour.
Ich habe Sie bisher so verstanden, dass sich der
Minister erst dann mit Problemen beschäftigt, wenn sie
unlösbar sind, und vorher liege die Verantwortung woanders. - Sie haben ja selbst gerade von anderen Tätigkeiten, die auch Sie ausüben könnten, gesprochen. Mich
würde interessieren, ob Sie der Meinung sind, dass es im
Falle eines Prozesses die Chancen der beauftragten
Rechtsanwaltskanzlei und des Mandanten, also des
Bundesverteidigungsministeriums, erhöht, Schadensersatz oder Haftungsmöglichkeiten bei der Industrie zu
ersuchen, wenn vorher von Ihnen und vom Minister öffentlich erklärt wird, dass Sie davon ausgehen, dass es
diese Haftung gar nicht gibt?
Ich habe das nicht öffentlich erklärt. Ich habe nur darauf hingewiesen, Herr Kollege, dass die Bemühensklausel manche Einschränkungen in dieser Frage mit sich
bringen kann und dass die Rechtsabteilung hieraus
Schlüsse zieht.
Sie haben mich auf meinen beruflichen Hintergrund,
der sich im Arbeitsrecht bewegt, angesprochen. Durch
diesen kenne ich das Gebot, dass man an jeder Stelle des
Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken hat.
Der Gerichtsprozess ist das letzte Mittel. Aber man muss
sich die Instrumente einmal vor Augen führen und sich
fragen, was unsere Positionen sind und wie man das eine
oder andere vielleicht doch zu einem Erfolg bringen
kann. Das ist der Verhandlungsprozess, den ich sehe. In
diesem befinden wir uns schon allein dadurch, dass der
Auftragnehmer mit Zahlenwerken Angebote zur Verbesserung macht, die aber mit unseren Kenntnissen nicht
korrespondieren.
Herr Kollege Brandl.
Herr Staatssekretär, könnten Sie erläutern, wer im
Bundesministerium für Verteidigung im Rahmen des
bisher gültigen Geschäftsverteilungsplans für die Entscheidung, eine Serie nicht zu beschaffen, zuständig war
und immer noch ist?
Herr Kollege, im Bundesministerium der Verteidigung betrifft dies den Bereich des Beschaffungswesens.
Ich will nicht auf die neue Regelung eingehen, weil dieses Verfahren nach der alten Regelung, nach der sogenannten Scharping-Regelung, abgewickelt wird.
({0})
- Ja, es gibt eine De-Maizière-Regelung - das ist die
neue - und eine Scharping-Regelung; das ist die alte.
({1})
Der Flieger ist schon so lange unterwegs, dass er nach
der alten Regelung bewertet wird. Die Entscheidungskompetenz liegt bei dem beamteten Staatssekretär, der
nach Innenverteiler für den Bereich „Beschaffung und
Ausrüstung“ zuständig ist.
({2})
Frau Brugger, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Euro Hawk ist ja sozusagen mit dem Ausdruck, dass
eine Reißleine gezogen wurde, in die Schlagzeilen geraten. Deshalb würde ich Sie gerne fragen, ob durch den
bisherigen Vertrag mögliche weitere Testflüge des Full
Scale Demonstrators abgedeckt sind oder ob man hierfür
neue vertragliche Vereinbarungen schließen muss und ob
diese dann Zahlungen an das auftragnehmende Unternehmen enthalten.
Frau Kollegin, das geschlossene Auftreten des Bundesministeriums der Verteidigung auch in meiner Person
umfasst nicht die Übernahme jeder Begrifflichkeit in
bildhafter Art. „Reißleine“ könnte den falschen Eindruck erwecken, hier wäre jemand im freien Fall und
müsse die Reißleine ziehen.
({0})
Das ist mitnichten so. Gerade vorgestern ist das Flugzeug sicher gestartet und nach stundenlangem Flug sicher gelandet.
({1})
Das heißt, es ist funktionsfähig mit einer vorläufigen
Verkehrszulassung. Das Argument der Ausrichtung der
Zulassung - ich weiß nicht, ob das technisch richtig ist dieses Aufklärungssystems erfordert Flüge. Deswegen
kann man auch in Zukunft mit diesem Gerät sicher fliegen.
({2})
Deswegen würde ich sagen: keine Reißleine, sondern
Testflüge.
({3})
- Bitte? Bitte wiederholen Sie die Frage.
({4})
- Ach so, nein, die Verträge beinhalten ja bereits die
Testflüge mit dem Abschluss dieses ISIS-Tests. Dies ist
bereits jetzt Teil des Auftrags.
Herr Kollege Hellmich.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich habe
eine Frage nach dem Zeitpunkt der ersten Testflüge.
Mich interessiert, wann sie absolviert wurden und welche Kosten und welche Punkte der Vertragserfüllung dadurch ausgelöst wurden. In den Berichten, die Sie dazu
abgeben, heißt es, dass Anfang dieses Jahres das Gesamtsystem mit 80 Prozent geflogen und entsprechend
positiv bewertet worden ist, also weiterfliegen konnte.
Auf welcher Grundlage haben Sie diese Entscheidung
getroffen? Wie verhält sich dies zu den Ankündigungen
im Wiener Dokument, Stand 1. Januar 2013, gegebenenfalls die Nutzung anderer Plattformen zur Schließung
dieser Fähigkeitslücke zu avisieren?
Das Wiener Dokument? Was ist das?
({0})
Das ist der Bericht, den Ihr Haus, vielmehr die Bundesregierung, der OSZE zum Stand der Rüstungsbemühungen und der Ausrüstung der Bundeswehr abgeben
muss.
Ach so, das OSZE-Dokument. Darin sind aber keine
Hinweise auf technische Fragen enthalten. Da geht es
nur um Abrüstung und gegenseitige Vertrauensbildung.
Frau Haßelmann.
Moment!
Ach, Sie waren noch nicht fertig?
Nein, ich habe die Frage noch gar nicht beantwortet.
Entschuldigung.
Mit den Testflügen wurde - ich liefere Ihnen das genaue Datum gerne nach - nach meiner Kenntnis im Frühjahr dieses Jahres begonnen. Wieso? Weil die vorläufige
Verkehrszulassung des Fluggerätes erst im Dezember letzten Jahres erteilt worden war; so lange war nach dem
Überführungsflug Pause. Dann wurde das SIGINT-System eingebaut. Danach hat es - Sie mögen das auch den
deutschen Zulassungsregelungen zuschreiben - über ein
halbes Jahr gedauert, bis klar wurde, ob der Hersteller, die
Euro Hawk GmbH, ein luftfahrtlizenziertes Unternehmen
ist; das ist also nur der administrativen Seite und nicht der
technischen oder fliegerischen Seite zuzurechnen. Das
Programm muss jetzt abgewickelt werden. Ohne das Wiener Dokument, den Bericht, den wir zum Thema Euro
Hawk im Rahmen der OSZE abgegeben haben, zu kennen, gehe ich davon aus, dass genau dies darin steht, soweit es der OSZE zu berichten ist.
Nun Frau Haßelmann.
Danke. Ich habe schon gedacht, ich solle erklären,
was das Wiener Abkommen ist.
({0})
Nein, nein. Es gibt übrigens mehrere Wiener Abkommen. Wir können uns gerne darüber unterhalten.
Nein. Ich will eine kurze Frage stellen. - Mir geht es
um die Beurteilung der Aussage von Herrn de Maizière,
vor dem 13. Mai dieses Jahres habe er nicht von unlösbaren Problemen gehört, und der Darstellung in diesem
Bericht, der das Datum 10. Dezember 2012 nennt. Sie
sind ja sehr interessiert daran, zu sagen: Das Erste waren
gravierende, das Zweite schwere und das Dritte unlösbare Probleme. - Um das beurteilen zu können, wäre es
für uns Parlamentarier sehr wichtig, diesen 50-seitigen
Bericht zu bekommen. Deshalb möchte ich wissen,
wann er uns zugestellt wird.
({0})
Wenn es so wäre, dass über Probleme berichtet wird
- das ist jetzt hypothetisch, weil uns der Bericht nicht vorliegt -, dann gestatte ich mir, die Gegenfrage zu stellen:
Zu welchem Nutzen? Was will ich herausfinden? Ich
denke, wir alle wollen wissen, ob dieses Projekt zu einem
Erfolg geführt werden kann - wenn ja, zu welchem - und
ob es einen Zeitpunkt gegeben hat - so verstehe ich Sie -,
zu dem klar erkennbar war, dass dieses Projekt nicht mehr
zu einem Erfolg geführt werden kann und deswegen die
Reißleine hätte gezogen werden müssen.
({0})
- Ja, und ich antworte.
Ich erlaube mir, festzuhalten, dass die Information des
Ministers verfahrensmäßig nicht ganz optimal gewesen
ist. Aber was die Entscheidung angeht, auch vom Zeitpunkt her, konnte mir bisher noch niemand sagen - es
gab lediglich den Versuch, innerhalb des Hauses nachzuweisen bzw. dem Haus zu unterstellen, hier hätte es
Unregelmäßigkeiten gegeben -, was man falsch gemacht
hat. Man hat gar nichts falsch gemacht. Es ist richtig entschieden worden.
Sie gestatten, Frau Kollegin, dass ich auch sage:
({1})
Wenn wir uns auf die sachlichen Themen konzentrieren,
werden wir relativ schnell fertig.
({2})
- Soweit ich weiß, hat der Minister diese Frage bereits
angesprochen und gesagt, dass das in einer Klärung ist.
({3})
- Diese Frage wurde doch im Verteidigungsausschuss
gestellt.
({4})
- Entschuldigung! Ich will darauf hinweisen, dass da ein
Klärungsprozess stattfindet. Ich hoffe, dass wir uns bei
den Informationen, die gegeben sind, nicht in Wortklaubereien verlieren, sondern dass es um Fakten geht.
({5})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind
jetzt, was unser Zeitregime angeht, am Ende der Fragestunde angelangt. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten
für ihre Bemühungen um die Klärung komplizierter
Sachverhalte.
Wir sind damit zugleich am Ende unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 13. Juni, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung mit allen guten Wünschen für
einen hoffentlich angenehmen Verlauf des verbleibenden
Abends.
({0})