Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist er-
öffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 e auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Ulrich Schneider,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Abschaffung des Optionszwangs - Ausdruck
einer offenen Gesellschaft
- Drucksache 17/13488 -
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Volker
Beck ({0}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Streichung des
Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht
- Drucksache 17/542 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 17/13312 Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Mayer ({2})
Hartfrid Wolff ({3})
Ulla Jelpke
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger
Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren Mehrfache bzw. doppelte Staatsbürgerschaft
ermöglichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Diana Golze, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für gleiche Rechte - Einbürgerungen erleichtern
- Drucksachen 17/7654, 17/12185, 17/13312 Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Mayer ({5})
Hartfrid Wolff ({6})
Ulla Jelpke
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler,
Dr. Konstantin von Notz, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des assoziationsrechtlichen Rechtsstatus
Staatsangehöriger der Türkei im Aufenthalts-,
Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht
- Drucksache 17/12193 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7})
- Drucksache 17/13299 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Serkan Tören
Memet Kilic
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({8}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen - Assoziationsrecht wirksam umsetzen
- Drucksachen 17/7373, 17/13299 30590
Abgeordnete Reinhard Grindel
Serkan Tören
Memet Kilic
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zur Streichung des Optionszwangs aus dem
Staatsangehörigkeitsrecht werden wir später namentlich
abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zehn Minuten erhalten soll. - Sind
alle damit einverstanden? - Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.
Ich eröffne nun die Aussprache. Als Erste hat in unserer Aussprache unsere Kollegin Frau Renate Künast für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte
schön, Frau Kollegin Renate Künast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle reden
immer über Integrationspolitik. Schauen wir einmal, was
darunter verstanden wird. Ich denke, nachhaltige Integrationspolitik sollte für eines sorgen, nämlich dass Zuwanderer am Ende schnellstmöglich Deutsche werden
können und werden wollen.
({0})
- Beides gehört dazu. Es wäre ja ein weißer Schimmel,
wenn Integrationspolitik heißen würde, dass man integriert ist. Ich meine, das Ziel - man muss ja eine Vorstellung davon haben - von Integrationspolitik muss sein,
diesen Weg zu eröffnen, dass man möglichst schnell die
Staatsangehörigkeit haben kann und auch den Wunsch
entwickelt, sie zu haben.
({1})
- Dann kommt er ja nicht zu Wort, wenn er nicht von
Anfang an dazwischenruft. Oder?
Das grüne Motto ist jedenfalls, eine Perspektive auf
die Staatsangehörigkeit zu haben. Ich will klarstellen,
dass das natürlich Verantwortung auf beiden Seiten hervorruft: zum einen die Verantwortung von Staat und Gesellschaft, von denen, die schon hier sind und hier leben,
jedem Menschen Teilhabe zu ermöglichen und ihn aufzunehmen, jedem Menschen die Chance zu geben, Teil
zu sein bzw. zu werden und die Chance auf sozialen
Aufstieg zu geben. Zum anderen haben die Zuwanderer
eine spiegelbildliche Aufgabe, nämlich einen eigenen
Beitrag zu leisten, um tatsächlich teilzuhaben. Was gehört alles dazu? Was sind die Leitlinien?
Dazu gehört die Förderung des Spracherwerbs bzw.
der Nutzung solcher Maßnahmen. Es gehört dazu, dass
das Bildungssystem gezielt ausgerichtet wird für Menschen, die mit bestimmten Schwächen, zum Beispiel
Sprachschwächen oder kulturellem Anderssein, kommen, damit sie sich im System aufgenommen fühlen und
sich entwickeln können.
Genauso verhält es sich auf dem Arbeitsmarkt. Auch
dort muss es Chancengleichheit geben. Diese Chancen
sollen die, die zuwandern, dann bitte auch ergreifen.
Es geht aber auch um politische Teilhabe, und zwar
um mehr, als in irgendwelchen Ausländerbeiräten mitarbeiten zu können, und um den Schutz vor Diskriminierung.
Wenn ich all das sage, fühle ich mich selber fast
schon wieder unwohl. Warum? Weil ich weiß, dass es in
diesem Land unheimlich viele Leute mit Migrationshintergrund gibt, die sich mit großen Augen ansehen und
fragen: Wieso sagen die mir das? Ich mache das schon
alles. - Es gibt wahnsinnig viele Leute mit Migrationshintergrund in diesem Land, die besser Deutsch sprechen als mancher Deutsche und manche Deutsche. Die
sind längst integriert, sie gestalten das Land mit, sie leisten ihren Beitrag und fördern am Ende als Mentoren sogar andere. Auch das gilt es in dieser Debatte anzuerkennen.
({2})
Was uns immer noch fehlt, ist, anzuerkennen, dass zu
dieser Vielfalt auch Mehrstaatigkeit gehört. Wir haben
ein komisches System: Auf der einen Seite akzeptieren
wir Mehrstaatigkeit bei US-Bürgern, wir akzeptieren
Mehrstaatigkeit bei ungefähr 2 Millionen EU-Bürgern,
wir akzeptieren Mehrstaatigkeit bei circa 3 Millionen
Spätaussiedlern und Spätaussiedlerinnen. Gleichzeitig
haben wir ein Staatsangehörigkeitsgesetz, das Mehrstaatigkeit bei vielen jungen Leuten, die hier geboren und
aufgewachsen sind, nicht zulässt. Dabei sind sie Deutsche und fühlen sich auch so, oder sie fühlen sich zumindest wie die Mitglieder des Vereins DeuKische Generation, weil sie eben auch andere Wurzeln und Bezüge
haben. Das „D“ steht aber vorne: DeuKische Generation.
Das ist doch eine Identifikation. Unsere Frage ist daher:
Warum zwingen wir diese jungen Deutschen eigentlich,
sich zu entscheiden, ob sie diesen oder jenen Pass haben
wollen? Dieser Optionszwang ist ein politischer Fehler;
darum geht es heute.
({3})
Wir machen Menschen, die zum Großteil sogar hier
geboren sind, also geborene Deutsche sind, zu Ausländern in ihrem eigenen Land. Das ist doch Irrsinn. Derzeit
sind 300 000 junge Deutsche dem Optionszwang, sich
zwischen der einen und der anderen Staatsangehörigkeit
zu entscheiden, unterworfen. 70 Prozent von ihnen haben türkische Wurzeln. Das zeigt uns, dass dieser Optionszwang zielgerichtet in eine Richtung ausgeübt wird.
Meine Damen und Herren, was für ein Bild vermitteln
wir eigentlich diesen jungen Leuten?
Bis 2017 gibt es jährlich 3 000 bis 7 000 optionspflichtige Menschen. Ab 2018 werden es sogar noch
deutlich mehr sein. Zwei Drittel aller Optionspflichtigen
sagen, sie würden gerne den Doppelpass haben, und
warten auf eine neue Mehrheit im Deutschen Bundestag.
Ich glaube, heute und hier ist der Tag gekommen ({4})
- Dass Sie jetzt als weltläufige FDP hier einen Zwischenruf machen, ist putzig. Aber gut.
({5})
- Dass der Regierungswechsel erdacht ist - ja, den Zwischenruf verstehe ich angesichts der neuesten Umfragen
für die FDP. Ich stand ein bisschen auf der Leitung. Entschuldigen Sie bitte.
({6})
Wieder zum Thema: Es wäre richtig, meine Damen
und Herren, dass wir jetzt aus dem jahrzehntelangen
Tiefschlaf erwachen; das gilt vor allem für die Konservativen. Wir müssen endlich Schluss machen mit der
Politik des erhobenen Zeigefingers und der Politik des
Stillstands. Fragen Sie doch einmal Leute wie Navid
Kermani oder Shermin Langhoff, die als Kulturschaffende hier hochgehalten und sozusagen beweihräuchert
werden, wie sie sich fühlen, wenn ihnen so entgegengetreten wird. Fragen Sie doch einmal junge Leute in
Deutschland, wie sie sich fühlen, wenn auf die Frage,
woher sie kommen, und sie „aus Deutschland“ oder „aus
Berlin“ antworten, geantwortet wird: Nein, so siehst du
doch gar nicht aus.
Lassen Sie uns mit einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht den Leuten die Chance geben, ein Teil von uns zu
sein und sich in dieser Frage nicht mehr zwangsweise
entscheiden zu müssen. Ich glaube, zu einem modernen
Land gehört der Respekt davor, dass Menschen, die hier
geboren und aufgewachsen sind, ihren Teil zur Struktur
des Landes beigetragen haben. Damit alle die gleichen
Chancen bekommen,
({7})
sollten wir am heutigen Tag - dazu fordere ich Sie auf den Optionszwang abschaffen. Davon profitieren nicht
nur die, die jetzt unter Druck stehen. Davon werden am
Ende ganz Deutschland und Europa profitieren. Darum
geht es heute.
({8})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder. Bitte schön, Herr Parlamentarischer
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Künast, als ich Ihre Rede gerade
eben gehört habe, ist mir klar geworden, dass Sie von Ihrem Konzept, jedem voraussetzungslos die Staatsbürgerschaft zu geben, auch nicht mehr wirklich überzeugt
sind.
({0})
Ich finde es gut, dass wir gerade im Vorwahlkampf
diese Anträge der Opposition zur Einbürgerung und zum
Optionsmodell diskutieren.
({1})
Es ist wichtig im Vorwahlkampf, weil dadurch die Unterschiede insbesondere zur Unionspolitik deutlich werden. Sie wollen die Voraussetzungen für die Einbürgerung deutlich absenken. Sie wollen das Optionsmodell
abschaffen.
({2})
Unabhängig davon, ob sich jemand integriert hat und bereit ist, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden,
will die linke Seite dieses Hauses die Staatsangehörigkeit vergeben.
({3})
Ihre Vorschläge dazu lauten unter anderem: Sie wollen
die Zeit, die man vor der Einbürgerung in Deutschland
gelebt haben muss, reduzieren. Sie wollen auch diejenigen einbürgern, die weder Deutsch lesen noch schreiben
können.
({4})
Nicht zuletzt wollen Sie auch diejenigen einbürgern, die
in Deutschland von Sozialleistungen leben. Nach diesen
Vorstellungen wäre es in Deutschland leichter, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten als eine Niederlassungserlaubnis. Das ist mit Sicherheit nicht das richtige
Konzept.
({5})
Sie wollen aus parteipolitischen Gründen - das ist hier
eben deutlich geworden, als Sie die möglichen Wählerschichten angesprochen haben ({6})
die deutsche Staatsbürgerschaft verramschen; um nichts
anderes geht es Ihnen.
({7})
Für uns, die Union, steht die Einbürgerung am Ende
eines gelungenen Integrationsprozesses, und nicht, wie
Sie es eben gesagt haben, am Anfang,
({8})
nach dem Motto: Wenn ich jemandem die deutsche
Staatsbürgerschaft schenke, dann ist er automatisch integriert. So funktioniert es eben nicht.
Das geltende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht eröffnet jedem, der sich wirklich integrieren will, seinen
Weg zum deutschen Pass. Wer nach acht Jahren bei uns
Deutscher werden will, kann sich nicht nur einbürgern
lassen, nein, er hat sogar einen Anspruch darauf. Das ist
im internationalen Vergleich die absolute Ausnahme.
Voraussetzungen hierfür sind im Wesentlichen ausreichende Sprachkenntnisse, Integrationsbereitschaft und
die Bereitschaft, selbst für den Lebensunterhalt aufzukommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist positiv, dass
die Zahl der Einbürgerungen unter dieser Regierung
deutlich gestiegen ist und heute 17 Prozent über dem Niveau von 2008 liegt,
({9})
und das eben ohne eine Absenkung der Einbürgerungsvoraussetzungen. Denn es zeigt sich, dass diese Voraussetzungen akzeptiert sind, gerade bei denjenigen, die sie
betreffen.
Jetzt komme ich zum Optionsmodell. Aufgrund des
Jus Soli bekommen in Deutschland geborene Kinder
ausländischer Eltern bereits in der ersten Generation mit
der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit.
({10})
Das geht deutlich weiter als die Regelungen in den vielen Ländern, die Sie als vermeintlich glorreiche Vorbilder hinstellen. Über 450 000 Kinder ausländischer Eltern
haben auf diesem Wege die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Sie müssen sich allerdings nach Erreichen
der Volljährigkeit zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden.
({11})
Jeder junge Mensch, der sich dabei für Deutschland entscheidet, kann seinen deutschen Pass behalten.
({12})
Die jungen Menschen entscheiden sich für Deutschland: Über 98 Prozent der jungen Menschen, die ihr Optionsrecht bisher ausgeübt haben,
({13})
sprechen sich für die deutsche Staatsangehörigkeit aus.
Dieser Trend sollte uns doch optimistisch stimmen.
Denn wir sehen: Wer sich jahrelang in Deutschland aufhält, wer hier geboren ist, wer Deutschland kennt, der
hält unser Land für so attraktiv, dass er hier seine Zukunft sieht und sich für Deutschland entscheidet.
Vor diesem Hintergrund ist es umso bedauerlicher,
dass Sie von der Opposition gerade jetzt das Optionsmodell abschaffen wollen, das wir quasi in einer Großen
Koalition beschlossen haben.
({14})
Sie wollen das Optionsmodell ohne fundierte Sachgrundlage abschaffen. Lassen Sie uns doch, bevor wir
diesen Diskurs starten, zumindest den ersten Optionsjahrgang abwarten. Dann können wir uns gerne darüber
unterhalten. Aber momentan sieht es so aus, dass dieses
Optionsmodell eher ein Erfolgsmodell ist.
Meine Damen und Herren, Sie wollen aber nicht nur
das Optionsmodell abschaffen; Sie wollen Mehrstaatigkeit generell zulassen
({15})
und es dem Einzelnen überlassen, wie viele Staatsangehörigkeiten er denn nun sammelt. Wir lehnen diese generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit ab,
({16})
da sie zu großen Problemen führen kann. Für uns ist es
Ausdruck gelungener Integration, dass sich ein Mensch
positiv für Deutschland entscheidet und sich zu diesem
Land bekennt. Dies geschieht eben auch ganz wesentlich
durch die Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft,
({17})
wenn dies für den Betroffenen zumutbar ist. Wir müssen
doch der Realität ins Auge sehen: Durch die Mehrstaatigkeit wird eben auch die Gefahr erhöht, dass andere -
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie
eine Zwischenfrage?
Ich möchte diesen Satz noch zu Ende führen. - Durch
die Mehrstaatigkeit wird gerade die Gefahr erhöht, dass
sich andere Staaten als eine Art Nebenregierung für
Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten sehen.
({0})
In der Vergangenheit haben wir Versuche gerade vonseiten der türkischen Regierung erlebt, sich in interne deutsche Angelegenheiten einzumischen,
({1})
und sich geradezu als Parallelregierung für die Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit in Deutschland
zu gerieren.
({2})
Herr Kollege Volker Beck, bitte schön.
Herr Kollege Schröder, Sie haben eben gesagt, die
Optionspflicht richte sich vor allen Dingen gegen die
Menschen, die aus der Türkei stammen. Das ist folgerichtig. Wir dagegen sind wie die USA und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union
({0})
der Auffassung, dass das Bekenntnis zu Deutschland
nicht dadurch infrage gestellt wird, dass die Menschen
ihren alten Pass, den ihrer Eltern und Großeltern, einfach
behalten.
({1})
Warum muten wir den Menschen, die aus der Türkei
zu uns eingewandert sind, und ihren Kindern, die hier
geboren sind, diese Entscheidung zwischen der Tradition
ihrer Familie und dem Land, in dem sie leben und leben
wollen und das sie als einziges richtig kennen, zu? Warum spalten Sie Familien und treiben die Kinder zu dieser Entscheidung?
({2})
Lieber Kollege Beck, das Optionsmodell richtet sich
überhaupt nicht gegen ein bestimmtes Land oder gegen
Menschen mit einem bestimmten Migrationshintergrund.
({0})
Das ist schlichtweg falsch. Es ist doch so: Innerhalb
Europas, mit den gemeinsamen Institutionen, mit der
Idee der gemeinsamen europäischen Staatsbürgerschaft,
die sich entwickelt,
({1})
gibt es weniger Loyalitätskonflikte als beispielsweise
mit einer Regierung eines Drittstaates, insbesondere mit
der türkischen Regierung.
({2})
Es ist auch zu beobachten, dass sich Doppelstaatler zum
Beispiel durch Flucht in das entsprechende Herkunftsland einer Strafverfolgung entziehen.
({3})
Diese Probleme müssen wir im Blick behalten.
Die Betroffenen, die einen deutschen Pass haben, entscheiden sich nicht gegen ihre soziale und kulturelle
Herkunft, wie Sie ihnen das immer einreden wollen, sondern für eine Zukunft in Deutschland. Sie können weiterhin ihre Muttersprache pflegen, Kontakt zu ihrer
Familie halten, und sie können immer wieder in das Herkunftsland ihrer Eltern reisen. Durch die Einführung des
Optionsmodells ändert sich das doch nicht. Kulturelle
und gesellschaftliche Vielfalt ist nicht abhängig von
Mehrstaatigkeit.
Die Studie des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge hat auch ganz deutlich gemacht - anders als
Sie es immer darstellen -, dass sich kein Riss durch die
Familien zieht, wenn sich die Kinder für Deutschland
entscheiden. Im Gegenteil: Das wird akzeptiert, weil es
als Ausdruck der Integration gesehen wird.
Sie achten auf Ihre Redezeit?
Die Fakten zeigen: Wir sind ein weltoffenes Land.
Wir haben eine Willkommenskultur.
({0})
Ein solches erfolgreiches System muss man nicht ändern.
({1})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Thomas
Oppermann. Bitte schön, Kollege Thomas Oppermann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Schröder, wo immer Sie politisch herkommen,
({0})
Ihre Rede hat gezeigt: In Europa jedenfalls sind Sie politisch noch nicht angekommen.
({1})
Nach Ihrer Vorstellung gibt es in der Europäischen
Union 26 Nebenregierungen, die 2 Millionen EU-Bürger
in Deutschland dirigieren.
({2})
Das scheint ein Eingriff in unsere nationalstaatliche Souveränität zu sein. So haben Sie eben sinngemäß argumentiert.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihrem Festklammern
an der doppelten Staatsangehörigkeit befinden Sie sich
mental immer noch auf der Höhe des nationalistischen
Denkens aus der Kaiserzeit.
({3})
Ihr Standpunkt ist aus dem letzten bzw. vorletzten Jahrhundert. Kommen Sie endlich aus Ihrer Ecke heraus, und
gestalten Sie mit uns zusammen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht für ein modernes Deutschland!
({4})
Rot-Grün und Bundeskanzler Schröder haben vor
14 Jahren die erste große Modernisierung unseres Staatsangehörigkeitsrechtes auf den Weg gebracht. Erstmals
wurde geregelt, dass die Kinder von längerfristig in
Deutschland lebenden Einwohnern automatisch die
deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Das war eine
fundamentale Abkehr vom Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht der Kaiserzeit, und es stellte eine klare Zäsur
in der Einwanderungspolitik dar mit einer klaren Absage
an nationalistische Deutschtümelei, meine Damen und
Herren.
({5})
Endlich haben wir der Tatsache Rechnung getragen,
dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind.
({6})
In diesem Land leben 15 Millionen Menschen, Herr
Kauder, die entweder Einwanderer sind oder direkt von
Einwanderern abstammen. Diese Menschen dürfen nicht
länger Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sein.
({7})
Sie leben ganz überwiegend dauerhaft bei uns. Sie arbeiten hier, zahlen ihre Steuern, zahlen Sozialversicherungsbeiträge. Deshalb brauchen wir faire Regeln beim
Zugang zur vollen Staatsbürgerschaft. Wir wollen die
Einbürgerung erleichtern, wir wollen die doppelte
Staatsangehörigkeit ermöglichen, und wir wollen endlich Schluss machen mit der unwürdigen Praxis des Optionszwanges.
({8})
Fast eine halbe Million junger Menschen muss sich in
den nächsten 15 Jahren entscheiden, ob sie Deutsche
bleiben wollen oder Ausländer werden müssen. Dabei ist
für zwei Drittel von ihnen völlig klar, dass sie beide
Staatsangehörigkeiten behalten wollen. Was ist das für
ein Signal an junge Menschen, die 23 Jahre lang Deutsche sind und sich jetzt gegen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und Großeltern, gegen ihre Herkunft entscheiden müssen, um Deutsche bleiben zu können? Was ist
das für ein Staatsangehörigkeitsrecht, das aus Deutschen
Ausländer macht? - Das ist ein absurdes Staatsangehörigkeitsrecht, meine Damen und Herren.
({9})
Frau Merkel hat sich auf dem jüngsten Integrationsgipfel für eine Willkommenskultur ausgesprochen. Dieses
Staatsangehörigkeitsrecht ist keine Willkommensgeste,
kein Angebot zur Integration, sondern eine Aufforderung,
sich gegen die eigene Herkunft, gegen die eigenen familiären und kulturellen Wurzeln abzugrenzen. Das muss
aufhören, das müssen wir schnell ändern; denn wir sind
in Deutschland auf Einwanderer angewiesen.
Deutschland wird in Europa und der Welt nur bestehen, wenn wir junge Menschen dafür begeistern können,
nach Deutschland zu kommen und hier zu bleiben. Es
mag ja sein, dass in Zeiten strukturell hoher Arbeitslosigkeit viele die Einwanderung als Belastung gesehen
haben. In Zeiten des Fachkräftemangels aber ist die Einwanderung keine Belastung, sondern eine Chance. Das
müssen Sie endlich begreifen, meine Damen und Herren
von der Union.
({10})
Wir müssen den jungen Menschen dafür das Gefühl geben: Ihr seid willkommen, ihr gehört zu uns. Ihr könnt
hier in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen,
ihr könnt hier arbeiten und Staatsbürger sein.
Deutschland muss endlich auch auf Augenhöhe mit
anderen modernen Demokratien dieser Welt - wie den
USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Schweden,
Finnland und Dänemark - kommen. Die Mehrheit der
Länder auf dieser Welt akzeptiert bereits die doppelte
Staatsangehörigkeit. In diesen Ländern gibt es viel höhere Einbürgerungsquoten. In ihnen können Menschen
mit Migrationshintergrund die Gesellschaft aktiv mitgestalten. Sie können mitbestimmen, wofür der Staat sein
Geld ausgeben soll. Sie haben volle Rechte bei den Wahlen, und sie können den Kurs des Landes beeinflussen.
Deshalb, meine Damen und Herren: Statt Ausbürgerungen brauchen wir mehr Einbürgerungen in Deutschland!
({11})
Damit diejenigen, die einen Anspruch auf Einbürgerung haben, sich auch einbürgern lassen, müssen wir darum werben. Olaf Scholz als Erster Bürgermeister in
Hamburg verschickt jeden Monat - wenn ich das zum
Schluss noch berichten darf - 4 000 Briefe an solche Zuwanderer, die die Voraussetzungen für eine Einwanderung erfüllen. Er lädt sie ein, Deutsche zu werden.
({12})
Olaf Scholz versteht das als große Einladung, weil der
Zusammenhalt der Gesellschaft davon abhängt, dass wir
uns als Bürgerschaft verstehen. Diejenigen, die sich für
die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden und eingebürgert werden, werden zu einer Einbürgerungsfeier eingeladen. Die Folge ist, dass die Zahl der Einbürgerungen
in Hamburg innerhalb eines Jahres um 40 Prozent gestiegen ist. So müssen wir es machen, meine Damen und
Herren, damit unsere Einwanderungsgesellschaft zu einer Bürgergesellschaft wird, zu einer Gesellschaft
gleichberechtigter Bürger.
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Hartfrid Wolff. Bitte
schön, Kollege Wolff.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder
einmal fordert die SPD die Abschaffung des Optionsmodells. Dieses Modell hat sie selbst - das gilt übrigens
auch für die Grünen - vor gut zehn Jahren mit beschlossen. Im Herbst 2012 überraschte die SPD die Nation mit
ihrer angeblich neuen Forderung nach Hinnahme der
Mehrstaatsangehörigkeit.
({0})
Kurz danach haben wir über einen Antrag der SPD aus
dem Jahr 2010, mit dem das gleiche Ziel verfolgt wurde,
diskutiert. Ohne die heutige Bundestagsdebatte abzuwarten, hat die baden-württembergische Integrationsministerin, natürlich von der SPD, angekündigt, eine
weitere Bundesratsinitiative zum selben Thema zu starten.
({1})
Ich glaube, deutlicher kann ich nicht zum Ausdruck zu
bringen, dass dieser Opposition nichts wirklich Neues
einfällt.
({2})
Das ist Oppermann’sche Schaumschlägerei und nichts
anderes.
({3})
Meine Damen und Herren, die FDP schätzt die freie
Entscheidung des Individuums und die Integrationsleistung jedes einzelnen Menschen, der zu uns gekommen
ist, weitaus höher ein als die Beschwörung von Herkunft
und ethnischen Milieus.
({4})
Dabei ist die FDP durchaus bereit, über die vermehrte
Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit nachzudenken und in diese Richtung zu gehen.
({5})
Dafür haben wir uns auf dem Bundesparteitag in Nürnberg ausdrücklich ausgesprochen.
({6})
Aber wir sind uns auch bewusst, liebe Kollegen von den
Grünen, dass die Staatsangehörigkeit für den Erfolg von
Zuwanderung und Integration nicht primär entscheidend
ist, sondern die persönliche und berufliche Perspektive
der Menschen, die nach Deutschland kommen. Das ist
entscheidend, damit sie hierbleiben wollen.
({7})
Ausländer- und zuwanderungsrechtlich waren die
vergangenen vier Jahre gute Jahre für Deutschland. Als
Koalition haben wir hier Maßstäbe gesetzt. Ich will nur
einige Beispiele nennen:
({8})
Erstmals gibt es für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der
Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz.
Wir haben zwangsverheirateten Frauen in Not durch ein
Rückkehrrecht die Chance gegeben, sich zu befreien und
zurückzukommen.
({9})
Was haben SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit eigentlich diesbezüglich unternommen? Die rechtlichen
Hürden für die Zuwanderung von Fachkräften wurden
durch uns deutlich gesenkt und entbürokratisiert, und
wir haben zusätzliche Integrationsanreize geschaffen.
Eine zukunftsgerichtete Zuwanderungspolitik gibt
den Menschen Perspektiven. Bereits 2011 haben wir im
Bund das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse verabschiedet. 2011 wurde dieses Anerkennungsgesetz verabschiedet. Herr Oppermann, ich muss
Hartfrid Wolff ({10})
zugeben, dass Hamburg Vorreiter ist. Aus meiner Sicht
ist es aber trotzdem peinlich, dass gerade SPD-regierte
Länder und das von den Grünen geführte Bundesland
Baden-Württemberg in der Folge noch immer kein Anerkennungsgesetz für ausländische Abschlüsse geschaffen haben, zum Beispiel in Bezug auf Pflegeberufe, Ingenieure und Fachausbildungsabschlüsse.
({11})
- Frau Kollegin, ich habe es ja gerade gesagt: Hamburg
war Vorreiter. Baden-Württemberg steht leider hintan.
({12})
Schaffen Sie doch endlich Perspektiven, und stellen Sie
diese Anerkennungsgesetze nicht immer hintan, liebe
Kollegen von den Grünen.
Der erste Schritt ist nun einmal tatsächlich gelungene
Integration. Geben Sie den Menschen Perspektiven! Den
Menschen etwas zuzutrauen und ihnen neue Chancen zu
geben, ist auch Ausdruck einer aktiven Integrationspolitik. Das bedeutet Fordern und Fördern. Hier müssen wir
ansetzen.
({13})
Forderungen aufzustellen, liebe Kollegen von der Opposition, ist leicht. Diese Koalition aus CDU/CSU und
FDP hat gehandelt.
({14})
Es ist richtig, auch darüber nachzudenken, weitere
Anreize zu geben, damit sich die Menschen stärker in
unsere Gesellschaft einbringen. Die Vereinfachung der
Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit kann dazugehören, zum Beispiel durch eine Verkürzung der entsprechenden Frist. Aus meiner Sicht ist es aber entscheidend, eine Willkommenskultur zu schaffen.
({15})
- Nachher, Herr Beck.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nachher, Herr Präsident. Von mir aus auch nach meiner Rede als Kurzintervention. Meine Stimme ist etwas
angeschlagen. Deshalb gerne nachher.
Also auch mögliche weitere Zwischenfragen nicht?
Keine Zwischenfragen. - Meine Damen und Herren,
es war damals einer der vielen wichtigen Erfolge von
Max Stadler, einem wahren Liberalen,
({0})
die festgefahrenen Fronten im Staatsangehörigkeitsrecht
endlich aufzubrechen. Das Optionsmodell war damals
ein von der FDP vorbereiteter Kompromiss, um zwischen Rot-Grün und dem Bundesrat endlich weiterzukommen. Vor vier Jahren haben wir in der Koalition die
sinnvolle Vereinbarung getroffen,
({1})
erst einmal Erfahrungen zu sammeln, wie sich diese Regelungen auswirken, und danach zu schauen, wie wir damit umgehen. Alles andere wäre wohlfeiler Aktionismus
gewesen.
Jetzt erst kommen die ersten Jahrgänge tatsächlich in
die Entscheidungsphase. Die bisher gesammelten Daten
- der Herr Staatssekretär hat sie vorgetragen - bestätigen
unser Vorgehen. Gleichwohl heißt es, nicht wegzusehen
und die Augen nicht vor der Realität zu verschließen.
({2})
Deshalb wollen die Liberalen eine Modernisierung des
Staatsangehörigkeitsrechts. Aber wir bestehen darauf
- anders als es sich zum Teil bei Vorschlägen der Opposition darstellt -,
({3})
dies nicht gedankenlos, nicht ohne Augenmaß und nicht
ideologisch anzugehen.
({4})
Für die FDP gilt: Jeder, der dauerhaft in Deutschland
leben und hier dazugehören will, soll die Chance haben,
gleichberechtigter Deutscher zu werden.
({5})
Dieses Vorhaben wollen wir aber - anders als die Opposition - nicht aktionistisch oder ideologisch angehen,
sondern mit Sachverstand und auf der Basis der notwendigen Erfahrungen.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Sevim
Dağdelen. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Herr Wolff, wer an Ideologie leidet, sieht
man an den Aussagen Ihres Herrn Staatssekretärs
Schröder
({0})
und an Ihrer unentwegten Abneigung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, die sich eine erleichterte Einbürgerung in Deutschland wünschen. Das ist
Ideologie!
({1})
Den Sachverstand besitzen die Oppositionsfraktionen,
die Ihnen hier auf Grundlage der Fakten, der Zahlen und
der Statistiken aufzeigen, dass diese Bundesregierung
nicht im Interesse der Migrantinnen und Migranten und
vor allen Dingen nicht im Interesse der Jugendlichen mit
Migrationshintergrund in Deutschland handelt. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.
({2})
Wir sprechen heute über zwei Themen, die meines
Erachtens zusammenpassen und sehr viele Gemeinsamkeiten haben: zum einen über das Staatsangehörigkeitsrecht - Stichwort „Optionszwang“ -, zum anderen über
das deutsch-türkische Assoziationsrecht. Auf den ersten
Blick sind dies verschiedene Themen, aber beide verbindet meines Erachtens der Aspekt der gezielten Ungleichbehandlung von Migrantinnen und Migranten und ganz
besonders von türkischen Staatsangehörigen in Deutschland. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Weltmeister im Einfordern von Integration, aber Sie schaffen
nicht die Rahmenbedingungen, die es Menschen in
Deutschland ermöglichen, sich zu integrieren.
Schlimmer noch: Sie bzw. die Bundesregierung nehmen bewusst, sehenden Auges Rechtsbrüche in Kauf
und verbinden das sozusagen mit Ihrer bisherigen Praxis. Es geht nicht nur um die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten, sondern es geht auch um die
Türkenfeindlichkeit dieser Bundesregierung.
({3})
- Ja, Sie haben es richtig gehört: Es geht um die türkenfeindlichen Aspekte in den entsprechenden Debatten.
Denn es werden insbesondere die Rechte von türkischen
Staatsangehörigen verletzt; bei der Optionspflicht sind
es sogar 70 Prozent.
({4})
Ich sage Ihnen: Hören Sie endlich damit auf, durch
Ihre Türkenfeindlichkeit der autoritären AKP und
Erdogan die Migrantinnen und Migranten in Deutschland in die Arme zu treiben! Sie fördern diese Parallelregierung in Deutschland in Gestalt der Außenpolitik der
AKP-Regierung, indem Sie diese Menschen ungleich
behandeln, diskriminieren und ihnen die ihnen zustehenden Rechte einfach nicht einräumen. All das machen Sie.
({5})
Die Quote für die Akzeptanz der Mehrstaatigkeit bei
Einbürgerungen beträgt bei nicht türkischen Staatsangehörigen etwa 59 Prozent, bei türkischen Staatsangehörigen liegt sie bei nur 27 Prozent. Das heißt, die Mehrstaatigkeit bei nicht türkischen Staatsangehörigen in
Deutschland wird doppelt so häufig akzeptiert wie bei
türkischen Staatsangehörigen.
Wie wollen Sie den hier in Deutschland geborenen
Jugendlichen erklären, dass sie, nur weil sie zufällig Eltern haben, die aus der Türkei kommen, anders behandelt werden als Kinder, die von Eltern stammen, die aus
Mitgliedstaaten der Europäischen Union kommen? Wie
wollen Sie ihnen diese diskriminierende Praxis erklären?
Es gibt dafür keine Erklärung, außer dass Sie türkenfeindlich sind und deshalb auf diesen Gesetzen beharren.
Darum geht es Ihnen eigentlich im Kern.
({6})
Sagen Sie den türkischen Jugendlichen, die hier in
Deutschland geboren und aufgewachsen sind, doch: Ihr
seid hier nicht willkommen; ihr werdet hier anders behandelt, weil eure Eltern aus der Türkei kommen. - Darum geht es doch. Sagen Sie den Jugendlichen offen ins
Gesicht, dass Sie nur an ihrer Diskriminierung interessiert sind. Ich kann Ihnen sagen: So treiben Sie die Hasen in die Küche der türkischen Nationalisten und Islamisten. Das ist wirklich unverantwortlich.
({7})
Erklären Sie den Jugendlichen diese Ungleichbehandlung! Haben Sie den Mut dazu!
Eines kann man sehen: Ab 2018 werden von Ihren
Ausgrenzungen pro Jahr etwa 40 000 junge Menschen
betroffen sein. In diesem Jahr sind es 3 300. Mehr als
zwei Drittel von ihnen besitzen derzeit neben der deutschen Staatsangehörigkeit eben auch die türkische
Staatsangehörigkeit; darum geht es Ihnen doch im Kern.
Versuchen Sie, diesen Menschen einmal zu erklären,
dass sie nicht aufgrund der Tatsache, dass sie türkische
Eltern haben, diskriminiert werden. Ich finde, Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang ist nicht nachzuvollziehen.
({8})
Ihr Rechtsstaatsverständnis sollte die Bundesregierung auch an anderer Stelle überprüfen. Was das
deutsch-türkische Assoziationsrecht betrifft, finden nur
Rechtsbrüche statt. Auch hier zeigt sich das komische
Rechtsstaatsverständnis dieser Bundesregierung. Ob es
Ihnen passt oder nicht: Mit dem 1963 zwischen der Eu30598
ropäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschlossenen Assoziationsabkommen und den nachfolgenden Vereinbarungen wurde eine Reihe besonderer
Rechte für türkische Arbeitsmigranten festgeschrieben,
darunter auch das sogenannte Verschlechterungsverbot.
Es ist kein Gebot, sondern ein Verbot; Sie verstehen das
nämlich die ganze Zeit falsch.
({9})
Das Verschlechterungsverbot besagt, dass der einmal erreichte Stand der Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger in der Europäischen Union nicht verschlechtert
werden darf. Die Bundesregierung ignoriert das Verschlechterungsverbot systematisch. Von den Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland leben, fordern
Sie immer wieder Rechtstreue. Aber Sie als Bundesregierung sind das schlechteste Vorbild, das man sich in
Sachen Rechtstreue vorstellen kann.
({10})
Würden Sie die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Assoziationsrecht umsetzen, wäre dies das Eingeständnis, mit allen maßgeblichen aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen der letzten
Jahre faktisch gescheitert zu sein.
({11})
Ein Beispiel ist Ihre diskriminierende Praxis, was die
Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug angeht.
Diese Regelung ist wegen des Assoziationsrechts auf
türkische Staatsangehörige in keiner Weise anwendbar.
Im Hinblick auf Drittstaaten höre ich von Ihnen immer
wieder Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit. Aber
wenn es Sie selbst betrifft, scheren Sie sich einen Dreck
darum.
({12})
Diese Heuchelei fällt inzwischen immer mehr Menschen
auf; Herr Kauder, das müssen Sie einsehen.
({13})
Während Österreich, Dänemark und die Niederlande
Konsequenzen gezogen haben und zum Beispiel bei türkischen Staatsangehörigen beim Ehegattennachzug auf
Sprachanforderungen im Aufenthaltsrecht und auf hohe
Gebühren längst verzichten, ignoriert die Bundesregierung konsequent die Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Während man gar nicht so schnell schauen kann,
wie Sie die arbeitnehmerfeindlichen Urteile des Europäischen Gerichtshofes - ich erinnere an die Fälle Laval,
Rüffert oder Viking Line - in nationales Recht umsetzen, wird die Notwendigkeit für verbesserte Regelungen
für türkische Staatsangehörige von Ihnen immer noch
ignoriert.
Die Linke weist die Bundesregierung seit 2009 in
zahlreichen Anfragen darauf hin, dass zum Beispiel die
Gebührenerhebung bei Aufenthaltstiteln türkischer
Staatsangehöriger gegen das Assoziationsrecht verstößt
- im März dieses Jahres bestätigte dies auch das Bundesverwaltungsgericht -, aber Sie ignorieren das noch immer. Das finde ich unerträglich.
({14})
Die Linke fordert die Abschaffung des Optionszwangs. Einbürgerungen müssen massiv erleichtert werden, und die Mehrfachstaatsangehörigkeit muss generell
akzeptiert werden. Im Hinblick auf das Assoziationsrecht fordert die Linke nichts anderes, als dass die Bundesregierung die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr mit Füßen tritt und die Rechte vor allen Dingen türkischer
Arbeitsmigranten und ihrer nachfolgenden Generationen
endlich anerkennt. Die Linke jedenfalls steht an der
Seite der Migrantinnen und Migranten, besonders an der
Seite der türkischen Staatsangehörigen, die von dieser
Bundesregierung immer wieder diskriminiert werden.
Vielen Dank.
({15})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Reinhard Grindel.
Bitte schön, Kollege Reinhard Grindel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Künast, Sie haben bei der Rede von
Staatssekretär Schröder dazwischengerufen: „Die sind
doch alle integriert!“ Da kann ich nur sagen: Schön
wär’s!
({0})
Die Realität sieht völlig anders aus,
({1})
und Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität:
Auch von den Kindern, die hier in Deutschland geboren
sind, haben viele nicht die Sprachkompetenz, die man
haben muss, um zum Beispiel in der Grundschule erfolgreich zu sein. Zu viele Schüler verlassen die Schule ohne
Schulabschluss.
({2})
Jugendliche mit Migrationshintergrund kommen weniger oft in Ausbildung, als das im Durchschnitt der Fall
ist. Es gibt Parallelgesellschaften.
({3})
Darauf die Antwort zu geben: „Ihr bekommt aber die
deutsche Staatsbürgerschaft“, das ist Steine statt Brot.
({4})
Diese Menschen brauchen Arbeit, sie brauchen Ausbildung, sie müssen die deutsche Sprache lernen, sie brauchen Förderung für ihre Kinder; das würde helfen. Die
deutsche Staatsbürgerschaft allein hilft da wenig.
({5})
Herr Kollege Grindel, es gibt einige Zwischenfragen.
Lassen Sie Zwischenfragen zu?
Was ist das für eine Debattenkultur - ich sage das in
Richtung einer Partei, die behauptet, es gehe ihr um Toleranz und Offenheit -, dass, wenn jemand seine Meinung vorträgt, nur noch herumgeschrien wird? Das ist
doch keine Art des Umgangs miteinander!
({0})
Ich lasse jetzt gerne Fragen zu, wenn wir zu einer ordentlichen Debattenkultur kommen und ich dann meine
Argumente so vortragen kann, wie Sie das auch konnten.
Wir sollten uns zumindest gegenseitig ertragen.
({1})
Frau Kollegin Deligöz.
Vielen Dank für die Gelegenheit, Ihnen eine Frage zu
stellen, Herr Kollege. - Nur damit ich das richtig verstehe: Stimmen Sie mir zu, dass das jetzige Optionsrecht
es zulässt, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund unabhängig von ihren Schulnoten die
deutsche Staatsangehörigkeit behalten können, auch
wenn sie nicht so ganz in das Schema der Personen passen, die Sie gerne einbürgern würden?
Frau Deligöz, Sie haben mir nicht richtig zugehört.
({0})
Es geht doch gar nicht um die Frage, ob Schülerinnen
und Schüler deutsche Staatsbürger werden können.
({1})
Es geht darum, dass die Integration, die Herr Oppermann
gefordert hat - Stichworte „Willkommenskultur“ und
„sein Glück machen können in Deutschland“ -, nicht allein an der Staatsbürgerschaft hängt.
({2})
Eine erfolgreiche Integration hängt davon ab, dass man
die deutsche Sprache spricht, dass man in der Schule Erfolg hat, dass man eine Ausbildung machen kann, dass
man arbeiten kann, dass man eine Firma gründen kann.
Darum geht es mir: Integration umfasst viel mehr als nur
die Staatsbürgerschaft.
({3})
Wenn die Grünen die Staatsbürgerschaft unter erleichterten Bedingungen anbieten wollen, dann ist das
Wahlkampftaktik; damit will man Stimmen gewinnen.
Dass die Menschen hier in Deutschland ihr Glück machen können, wird mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft allein nicht erreicht.
Ich will Ihnen noch etwas sagen - Sie können sich ruhig hinsetzen, Frau Deligöz; aber es gehört noch zur
Antwort auf Ihre Frage -: Es ist in der Tat so gewesen
- Sie haben das richtig beschrieben -, dass man bei der
Schaffung des Optionsmodells vor allen Dingen die Situation der Kinder in den Schulen im Blick hatte. Man
hat - frei nach der Position von Frau Künast - gesagt:
Die integrieren sich sowieso, und es kann doch nicht angehen, dass bei einer Klassenfahrt ins Ausland die drei
türkischstämmigen Kinder ein Visum benötigen.
({4})
Das Problem ist aber, Frau Künast, dass heute zwar alle
mitfahren können, viele aber - gerade türkische Mädchen - nicht mitfahren dürfen, weil ihre Eltern es verbieten.
({5})
Solange wir solche Parallelstrukturen haben, die dafür
sorgen, dass Kinder nicht gemeinsam Sport machen dürfen - Herr Steinbrück findet das auch noch gut -, dass
Kinder nicht gemeinsam auf Klassenfahrt gehen dürfen,
so lange zementieren wir Parallelgesellschaften
({6})
und erreichen trotz Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft keine echte Integration. Das ist - dies wollte
ich deutlich machen - der eigentliche Kern des Problems.
({7})
Herr Oppermann, Sie haben den Kollegen Schröder
hier in einer Weise behandelt, die ich nicht in Ordnung
finde.
({8})
Es ist doch in der Tat richtig, dass Herr Erdogan mit seinen Forderungen bei seinen Auftritten hier in Deutschland und auch mit der Gründung eines Ministeriums für
Auslandstürken bestimmte Absichten verfolgt. Es wird
durch das Handeln dieses Ministeriums und auch durch
Erdogans Auftritte hier in Deutschland gezielt versucht,
türkische Staatsbürger zur Einbürgerung mit der Argumentation zu drängen, dann könne man in Deutschland
türkische Interessen besser verwirklichen. Als Beweis
dafür gibt es zig Zitate von seinen Auftritten in Köln, in
Düsseldorf und in anderen Städten.
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Einbürgerung
darf kein Instrument der türkischen Politik sein, Einfluss
in Deutschland zu gewinnen. Vielmehr ist die Einbürgerung der Schlussstein eines gelungen Integrationsprozesses. Die Regierungschefin für diese Mitbürger ist Angela
Merkel und nicht Herr Erdogan; auch das müssen wir
einmal deutlich machen.
({9})
Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie trotz der
aktuellen Situation in der Türkei Anträge präsentieren,
die der derzeitigen türkischen Regierung im Grunde genommen in die Hände spielen. Auch der Fakt, dass Sie,
Herr Oppermann, als Innenminister in spe kein einziges
Wort der Distanzierung zum wirklich demokratiefeindlichen Verhalten der Erdogan-Regierung gesagt haben, ist
bemerkenswert und muss festgehalten werden.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Özoğuz?
Ja.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich möchte das Ganze
einfach verstehen. Es ist doch so, dass hier junge Menschen mit Migrationshintergrund schon bei ihrer Geburt,
wie Sie selber sagten, die deutsche Staatsangehörigkeit
bekommen. Daher ist es natürlich etwas eigenartig,
wenn Sie sagen, diese seien später nicht integriert und es
gebe viele Probleme. Ich frage mich jetzt: Was wollen
Sie damit sagen? Diese Menschen sind von Geburt an
Deutsche und bleiben erst einmal Deutsche. Wir sagen:
Diese Menschen sollen sich nicht gegen ihre Herkunft
entscheiden müssen.
Sie haben von einem gelungenen Integrationsprozess
gesprochen. Muss ich Sie so verstehen, dass diejenigen,
die Sie für nicht integrierbar halten, mit der Volljährigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft wieder verlieren
sollen? Diese Möglichkeit besteht doch nicht. Deswegen
frage ich mich, was Sie mit Ihrer Aussage bezwecken.
Wenn wir es nicht schaffen, die jungen Leute für dieses Land zu gewinnen, dann wird es uns nichts bringen.
Es kann doch nicht sein, dass diese Menschen, die hier
leben, die sich hier wohlfühlen und sich auch dazugehörig fühlen, sich gegen ihre Herkunft entscheiden sollen.
Das kann doch von Ihnen nicht gewollt sein.
({0})
Zunächst einmal will ich deutlich machen, dass der
Ansatz, beim Thema Integration einzig und allein auf die
Staatsbürgerschaft zu schauen, zu kurz greift.
({0})
Hier müssen wir wesentlich größere Anstrengungen unternehmen. Vor allen Dingen müssen wir immer wieder
das Signal senden, dass wir kein Nebeneinander haben
wollen. Wir leben in unterschiedlichen Stadtquartieren.
Wir kommunizieren in unterschiedlichen Sprachen. Unsere Kinder gehen - Sie sind doch vom Fach; Sie wissen
das - zu unterschiedlichen Zeiten in die Kitas: morgens
mehr Deutsche, nachmittags mehr Migrantenkinder.
({1})
- Natürlich ist das so. Schauen Sie sich doch einmal die
Situation in den einzelnen Kindertagesstätten an; Frau
Özoğuz weiß es ebenfalls.
({2})
Wir haben in unserer Gesellschaft zu viel Nebeneinander. Wir brauchen auf allen Ebenen ein Miteinander.
Deswegen sage ich: Wenn wir auf Dauer zulassen, dass
es auch bei der Staatsbürgerschaft ein Nebeneinander
gibt, sogar mit unterschiedlichen Loyalitäten - ich erinnere an ein entsprechendes Zitat von Erdogan -, dann
führt das in die Irre.
({3})
Wer Ja zu Deutschland sagt, wer gerne bei uns leben
will, von dem kann ich auch die Entscheidung für die
deutsche Staatsbürgerschaft unter Ablegung seiner alten
Staatsbürgerschaft erwarten.
({4})
Herr Kollege Grindel, habe ich Sie richtig verstanden,
dass Sie jetzt keine weiteren Fragen mehr zulassen?
Ich habe die Zwischenfrage beantwortet. Wenn aber
noch andere das Bedürfnis haben, zu fragen, dann bitte.
Eine weitere Zwischenfrage wird vom Kollegen
Grindel zugelassen. Bitte schön, Herr Kollege Röspel.
Vielen Dank, dass das möglich ist. - Ich habe jetzt
verstanden, dass Sie eine doppelte Staatsbürgerschaft für
integrationshemmend oder -feindlich halten
({0})
und Sie der Auffassung sind, dass man, wenn man in
einem anderen Land lebt, seine alte Staatsbürgerschaft
abgeben muss. Jetzt frage ich Sie in der Konsequenz dieser Logik, ob wir dann auch anraten müssten, dass im
Ausland lebende Deutsche, die zusätzlich die Staatsbürgerschaft des neues Landes annehmen, die deutsche
Staatsbürgerschaft abgeben müssen.
({1})
Muss mein Schwager, der mit seiner Frau und seinen
Kindern in Schweden lebt und der die schwedische
Staatsbürgerschaft angenommen hat, auf die deutsche
Staatsbürgerschaft verzichten, die er behalten will, weil
Deutschland sein Heimatland ist?
({2})
Das Klatschen zeugt leider nicht von großer rechtlicher Kenntnis und auch, so glaube ich, von einem
falschen Staatsverständnis. Herr Röspel, wenn Sie die
Situation im Verhältnis zwischen Deutschland und
Schweden, also zwischen zwei EU-Staaten, mit der
Situation zwischen Deutschland und der Türkei vergleichen und sagen: „Das verstehe ich nicht“, dann verstehe
ich Sie nicht.
({0})
Deutschland und Schweden sind Mitglieder in der
Europäischen Union; sie gehören also zu einer europäischen Werteunion.
({1})
Das, was zurzeit in der Türkei passiert, hat mit den Werten der Europäischen Union nichts zu tun.
({2})
Deshalb ist es in Ordnung, eine doppelte Staatsbürgerschaft im Zusammenhang mit Schweden zu haben, aber
nicht, schon gar nicht in der aktuellen Situation, mit der
Türkei.
({3})
Die Türkei gehört nicht zur EU.
({4})
Das ist ein gewaltiger staatsrechtlicher und völkerrechtlicher Unterschied. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Als Nächstes hat sich die Frau Kollegin Künast zu einer Zwischenfrage gemeldet. - Bitte schön.
Was wollten Sie jetzt eigentlich gerade sagen, Herr
Grindel?
({0})
Ziehen Sie die Dinge nicht ins Lächerliche! Setzen
Sie sich mit der Argumentation auseinander! Diesen Stil
haben Sie früher im Studentenparlament pflegen können; das gilt aber nicht für den Deutschen Bundestag.
({0})
Jetzt erst die Frage und dann die Antwort.
Ich war noch nicht fertig mit meiner Frage, will aber
für das Protokoll darauf hinweisen, dass ich nie im
Studentenparlament war.
Weil Sie nicht gewählt worden sind!
({0})
Herr Kollege Grindel, geben Sie ihr die Chance zur
Frage.
Was wollten Sie uns eigentlich damit sagen, als Sie
im Hinblick auf die Türkei feststellten, sie gehöre nicht
zu Europa, und einen Zusammenhang zur Staatsbürgerschaft herstellten? Ich muss ehrlich sagen: Ich bin
gerührt von dem, was gerade in der Türkei - am TaksimPlatz und in vielen anderen Orten in der Türkei - passiert; nennen wir es Revolte, Demonstration oder Kampf
um Meinungsfreiheit.
Wäre nicht eigentlich jetzt der richtige Zeitpunkt,
dem Mut der Menschen Respekt zu zollen,
({0})
Mitgefühl für die Verletzten oder auch für die Angehörigen der Toten zu haben und der Türkei klar zu sagen:
„Toll, dass ihr so engagierte Bürger habt! Der Weg in die
EU ist zwar offen, aber nur über den KopenhagenAcquis und über die Verwirklichung demokratischer
Rechte!“?
({1})
Was sagen Sie dazu?
Frau Künast, darin stimme ich Ihnen selbstverständlich hundertprozentig zu. Das, was wir in der Türkei zurzeit an demokratischem Einsatz und Engagement von
vielen erleben, und zwar für ihre zutiefst berechtigten
Forderungen, erfüllt uns mit Respekt und Anerkennung,
und wir bedauern das unverhältnismäßige Vorgehen der
türkischen Staatsorgane. Das ist gerade das entscheidende Problem, dass es bei dem EU-Beitritt der Türkei
auf die realen Verhältnisse in diesem Land ankommt. Es
zeigt doch, wie richtig unsere Position als CDU/CSU im
Gegensatz zur Position der Grünen ist. Die Realität in
der Türkei dieser Tage zeigt, dass sie sehr weit von der
EU entfernt ist.
({0})
Deshalb gibt es keine Grundlage, Staatsbürger der
Türkei - das war die Frage von Herrn Röspel - so zu behandeln wie Staatsbürger aus EU-Staaten. Das ist der
Unterschied. Das habe ich, glaube ich, sehr deutlich gesagt.
({1})
Wir sind in einer Wertegemeinschaft mit Schweden,
Österreich und allen anderen EU-Ländern. Deswegen
sagen wir: Deren Staatsbürger können, wenn sie es wollen, beide Staatsbürgerschaften beibehalten. Aber von
der Türkei sind wir meilenwert entfernt.
({2})
Deswegen vergleicht Herr Röspel Äpfel mit Birnen,
wenn er mit dem Beispiel Schweden kommt und mich
damit wegen meiner Position gegenüber türkischen
Staatsangehörigen zu kritisieren versucht. Ich glaube, jeder hier im Saal hat das jetzt verstanden.
({3})
Herr Kollege Grindel, Sie werden es nicht glauben:
Es gibt noch zwei weitere Fragen an Sie. Wollen Sie sie
gestatten?
Ich glaube, ich habe jetzt reichlich Fragen beantwortet. Ich möchte auch gerne, dass die Debatte weiter vorangehen kann und die anderen Kollegen auch eine
Chance haben, sich zu äußern. Ich will gerne noch auf
einen Punkt eingehen, den Frau Dağdelen hier angesprochen hat, nämlich die erneute Kritik an unserer Forderung, denjenigen, die im Zuge des Ehegattennachzugs zu
uns kommen, einfache deutsche Sprachkenntnisse abzuverlangen. Darauf zu verzichten, wäre nach meiner Auffassung völlig verfehlt. Ich habe vor geraumer Zeit gemeinsam mit dem Kollegen Wiefelspütz, den ich im
Augenblick nicht sehe, mit den Leitern aller Goethe-Institute über deren Erfahrungen mit diesem von uns eingeführten Instrument der Vorintegration diskutiert. Ausnahmslos alle haben gesagt, das sei eine richtige
Entscheidung gewesen, weil die Kurse nicht nur Sprachkenntnisse vermittelten, sondern weil sie auch über das
Leben in Deutschland, über unsere Gesetze, über unsere
Verfassung, über unsere Werte informierten, weil sie insbesondere Frauen mit Selbstbewusstsein und Stärke ausstatteten, sodass sie besser vorbereitet nach Deutschland
kommen würden, als das früher der Fall gewesen sei.
Damals hätten viel zu viele dieser Menschen in Parallelgesellschaften gelebt.
Deswegen sage ich Ihnen: Wer auf dieses Instrument
verzichtet, ist frauen- und integrationsfeindlich. Deshalb
werden wir an diesem Instrument festhalten. Es ist besser für die Integration, wenn Frauen vor dem Nachzug
Deutschkenntnisse erlangen, wenn sie wissen, was auf
sie in unserem Land zukommt. Auf diese Weise kommen
die Frauen stärker und selbstbewusster in unser Land als
früher. Das ist eine richtige Entwicklung, die wir weiter
ausbauen müssen.
({0})
Ich komme zum Schluss. Es ist schon bemerkenswert,
dass alle Vorschläge, die hier von der Opposition gemacht werden - mitten im Wahlkampf -, eigentlich nur
bei denjenigen Migranten Widerhall finden können, die
in Wirklichkeit nicht integriert sind oder sich nicht integrieren lassen wollen. Das ist ein Armutszeugnis. Auch
im Wahlkampf ist das unverzeihlich und verantwortungslos.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Daniela Kolbe. Bitte schön,
Frau Kollegin Daniela Kolbe.
({0})
Zumindest von der Größe her ist mir der Kollege von
der Union überlegen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Es fällt selbst Konservativen schwer, plausibel zu erklären, was das Optionsmodell konkret bringen
soll. Da helfen auch allerlei Verrenkungen nicht. Es geht
hier um die Frage, warum junge Menschen, die qua Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen - das
haben wir gemeinsam beschlossen -, im Alter zwischen
18 und 23 Jahren erklären müssen, ob sie Deutsche bleiben wollen oder nicht. Was ist der Sinn dieses erneuten
Bekenntnisses?
Wir haben jetzt allerlei gehört, was nicht zum Thema
gehört hat und eher Ausdruck von Ressentiments bis hin
zum Anklang von Rassismen war.
({1})
Ich meine auch, es war Ausdruck einer merkwürdigen
Grundhaltung gegenüber türkeistämmigen Menschen,
die in unserem Land leben.
({2})
Welche Argumente aber gibt es denn nun tatsächlich
von Ihrer Seite für das Optionsmodell? Damit solle
Mehrstaatigkeit verhindert werden. Dabei wird gegenwärtig bei mehr als der Hälfte der Einbürgerungen in
Deutschland Mehrstaatigkeit akzeptiert. Im Moment leben - geschätzt - 4,5 Millionen Mehrstaatler in unserem
Land. Meines Wissens ist der Untergang des Abendlandes trotzdem ausgeblieben.
({3})
Sie sagen, die deutsche Staatsangehörigkeit stehe am
Ende eines Integrationsprozesses. Damit erkennen auch
viele Konservative an, dass es natürlich auch Teil eines
gelingenden Integrationsprozesses sein kann, irgendwann deutscher Staatsangehöriger zu sein. Schauen wir
uns doch einmal die Realität an, die das Optionsmodell
hervorruft: Für manche junge Menschen steht im Moment am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses
der Rausschmiss aus der deutschen Staatsangehörigkeit.
Das ist doch verkehrte Welt.
({4})
Sehr konservative Menschen - Herr Schröder möchte
auch sehr konservativ sein; so ist zumindest heute mein
Eindruck - sagen, die doppelte Staatsangehörigkeit entwerte die deutsche Staatsangehörigkeit. Aus meiner
Sicht ist das totaler Quatsch.
An dieser Stelle wünsche ich mir das Selbstbewusstsein der US-Amerikaner. Diese laden Menschen, die
dauerhaft in den Vereinigten Staaten leben wollen, ein
und fordern sie geradezu auf, sich zu den USA zu bekennen und US-Amerikanerinnen oder US-Amerikaner zu
werden. Welche Staatsangehörigkeit die betreffenden
Menschen mitbringen, ist dabei vollkommen egal. Das
ist ein selbstbewusster Umgang mit dem Staatsangehörigkeitsrecht. Ehrlich gesagt, ein solches Selbstbewusstsein wünsche ich uns im Zusammenhang mit dem deutschen Staatsangehörigkeitsrecht.
({5})
Ich möchte zwei Punkte aus der Anhörung, die wir zu
diesem Thema durchgeführt haben, aufgreifen: zum einen die Bürokratie und zum anderen den Rausschmiss
von gut integrierten Menschen aus der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Praktiker Herr Jungnickel, den wir
als Sachverständigen geladen hatten, hat uns berichtet,
was im Moment passiert. Derzeit sind die Fallzahlen
noch niedrig. Er hat uns berichtet, dass er in seinem
Zuständigkeitsbereich elf jungen Leuten - das ist nach
seinen Angaben etwa 1 Prozent der Fälle in Gesamtdeutschland - die deutsche Staatsangehörigkeit hat aberkennen müssen, und zwar nicht, weil diese zu dumm
waren, sich zu melden. Diese jungen deutsch-türkischen
Leute haben sich gemeldet und wollten Deutsche bleiben. Sie haben sich recht spät gemeldet und haben einen
Antrag gestellt, um ihre türkische Staatsbürgerschaft zu
behalten. Das kann ich nachvollziehen. Aber Herr
Jungnickel und seine Beamten mussten diese Anträge
nach geltendem Recht ablehnen.
Dann hatten diese jungen Leute folgendes Problem:
Sie mussten einen Antrag auf Entlassung aus ihrer türkischen Staatsangehörigkeit stellen. Das dauerte aber.
Zwischenzeitlich sind diese jungen Leute 23 Jahre alt
geworden. Damit war ihre deutsche Staatsangehörigkeit
futsch. Wie gesagt, diese elf Leute stellen etwa 1 Prozent
der Fälle dar. Die Fallzahlen werden aber dramatisch
steigen. 2018 wird es etwa 40 000 Fälle pro Jahr geben.
Damit komme ich zum abschließenden Punkt. Herr
Jungnickel meint, dass die hier in Rede stehenden Fälle
in etwa mit Einbürgerungsfällen vergleichbar sind, was
den bürokratischen Aufwand angeht. Die Frage an Sie
lautet also: Was macht es im Hinblick auf den bürokratischen Aufwand für einen Sinn, 40 000 zusätzliche Einbürgerungsverfahren durchzuführen? Wenn Sie wirklich
für Bürokratieabbau sorgen und etwas für Integration in
diesem Land tun wollen, dann nutzen Sie doch diese Gelegenheit und schaffen Sie endlich das Optionsmodell
ab. Es ist bürokratischer Wahnsinn und unter integrationspolitischen Aspekten Unsinn.
({6})
Sie haben heute die Möglichkeit, unserem Vorschlag
zu folgen. Es wird auch noch eine Bundesratsinitiative
Daniela Kolbe ({7})
geben. Nutzen Sie die Gelegenheit! Wenn Sie es nicht
tun, dann werden wir das nach dem 22. September für
Sie erledigen.
({8})
Nächster Redner für die Fraktion der FDP: unser Kollege Serkan Tören. Bitte schön, Kollege Serkan Tören.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Kolbe, ich finde es geradezu unverschämt, dass Sie dem
Kollegen Grindel Rassismus vorwerfen.
({0})
Ich kann nur sagen: Sorgen Sie erst einmal in Ihren eigenen Reihen dafür, dass es keinen Rassismus gibt. Ich
brauche nur den Namen Thilo Sarrazin zu nennen,
({1})
der sieben Jahre eine verantwortliche Position hier in
Berlin bekleidet hat und seine Gentheorien im ganzen
Land verkündet. Sorgen Sie erst einmal in Ihren eigenen
Reihen dafür, dass es keinen Rassismus gibt, bevor Sie
andere angreifen. Es ist unverschämt, was Sie hier machen.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Rawert?
Nein, das gestatte ich jetzt nicht; schließlich habe ich
gerade erst angefangen. Vielleicht lasse ich nachher eine
zu.
({0})
Bei der Optionspflicht geht es für die betreffenden
jungen Menschen gar nicht so sehr um eine Loyalitätsentscheidung, also für welches Land sie eintreten, sondern oft um die Frage, ob es Brüche im Lebenslauf gibt;
das ist manchmal eine sehr schwierige Entscheidung.
Eine Studie des BAMF zeigt: 66 Prozent der Betroffenen
wünschen sich tatsächlich die Beibehaltung der Herkunftsstaatsangehörigkeit. Meine Damen und Herren
von der Opposition, darauf sollten wir Antworten finden.
({1})
Wir haben auf unserem letzten Parteitag die grundsätzliche Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit in unser Wahlprogramm aufgenommen.
({2})
Wir hatten im Jahre 2011 107 000 Einbürgerungen zu
verzeichnen, davon rund 51 Prozent unter Inkaufnahme
der doppelten Staatsangehörigkeit. Für mich ist es eine
Frage der Gerechtigkeit, wie wir mit den anderen
49 Prozent verfahren.
({3})
Es geht dabei nicht nur um Bürger aus EU-Staaten, sondern auch um Menschen aus vielen anderen Nationen.
Ich glaube, dass die doppelte Staatsbürgerschaft die
Teilhabe und die Integration vieler Menschen fördert.
Ein Beispiel: Ich bin mit Anfang 20 seinerzeit eingebürgert worden, und zwar unter Inkaufnahme der doppelten
Staatsangehörigkeit, weil ich nicht aus der türkischen
Staatsangehörigkeit entlassen werden konnte; denn ich
hatte meinen Militärdienst in der Türkei nicht abgeleistet. Der nächste Schritt, nachdem ich eingebürgert worden bin - das war für mich ein Signal dafür, dass die
Gesellschaft mich will und ich Teil dieser Gesellschaft
bin -, war einer der besten Schritte überhaupt, die man
machen kann: Ich bin einige Monate später zur FDP gegangen und bin Mitglied dieser Partei geworden, weil
ich selbst etwas gestalten und in dieser Gesellschaft mitwirken wollte.
({4})
Gegner der doppelten Staatsangehörigkeit reden von
Loyalitätskonflikten. Ich frage dann manchmal, wie
diese Loyalitätskonflikte eigentlich aussehen. So richtig
konkrete Antworten bekomme ich selten. Ein Problem
- darüber kann man durchaus diskutieren - war der
Wehrdienst; aber den haben wir - auch dank der FDP mittlerweile nicht mehr. Insofern ist ein wichtiger Grund
für einen Loyalitätskonflikt, wie man ihn sonst kannte,
weggefallen.
Die Anhörung im Ausschuss ist vorhin erwähnt worden. Einige Sachverständige haben uns gesagt, dass es
eine aktive Staatsangehörigkeit da gibt, wo man lebt, wo
man Grundrechte ausüben kann und wo man Pflichten
erfüllt, dass es aber auch eine passive Staatsangehörigkeit gibt, und zwar da, wo man nicht lebt. Das ist für
mich sehr einleuchtend. Auch an meinem Beispiel zeigt
sich, dass ich die Grundrechte in der Türkei nie geltend
machen konnte, weil ich dort eben nicht gelebt habe. Das
Einzige, was gestört hat, war die Pflicht zum Militärdienst. Deswegen habe ich vor einigen Jahren meine türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben.
Wir sind ein Land, das um Fachkräfte ringt. Wir brauchen Hochqualifizierte. Diese Regierung hat deswegen
die Einführung der Bluecard beschlossen, etwas, was Sie
von der Opposition jahrelang nicht geschafft haben. Sie
haben nur darüber geredet, aber nichts geleistet. Wir haben das hinbekommen. Wir kämpfen jetzt im weltweiten
Wettbewerb um die besten Köpfe.
({5})
Dazu gehört auch, dass man Anreize schafft. Die angelsächsischen Staaten erlauben im Grundsatz die doppelte Staatsangehörigkeit. Im Wettbewerb mit diesen
Staaten müssen wir Anreize schaffen und ebenfalls über
die doppelte Staatsangehörigkeit nachdenken. Auch
sonst gibt es kaum noch rechtliche Probleme. Im Zivilrecht bzw. internationalen Privatrecht werden diese Probleme gelöst.
({6})
Lasen Sie mich noch ganz kurz etwas zur SPD und
zur Scheinheiligkeit sagen. Einen Namen habe ich hier
schon genannt. Ich möchte dazu aus der Bild-Zeitung
von vor einigen Monaten zitieren: „Mehrstaatlichkeit erleichtert Kriminalität und dient denen, die Unrechtes im
Schilde führen.“ Sie wissen, wer das gesagt hat: ein
SPD-Bürgermeister hier in Berlin. Daran erkennt man
die Scheinheiligkeit.
({7})
Sie machen andauernd Wahlkampf mit diesem Thema,
sprechen bestimmte Gruppen an, agieren dort und senden eine bestimmte Botschaft aus. Aber auf der anderen
Seite wird die Botschaft an die Mehrheitsgesellschaft
gesendet: Wir sind gegen die doppelte Staatsangehörigkeit. - Deshalb kann man Ihnen Scheinheiligkeit vorwerfen. Sie lassen andere für sich in der Öffentlichkeit
reden
({8})
und merkwürdige Thesen und Argumente verbreiten.
Das gehört sich einfach nicht.
({9})
Noch etwas.
Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege.
Was die Regelung nach dem Jahr 2000 angeht - vorhin kam von einem Fragesteller die Frage, die einen
deutschen Staatsangehörigen betraf, der die Staatsangehörigkeit eines fremden Landes haben möchte -, muss
ich sagen: Wer hat denn das Gesetz geschaffen, wonach
nach dem Jahr 2000 ein Betroffener automatisch die
deutsche Staatsangehörigkeit verliert, wenn er der Optionspflicht nicht nachkommt? Das ist übrigens ein Riesenschaden, den viele türkische Staatsangehörige erlitten
haben. Dafür sind Sie verantwortlich. Von doppelter
Staatsangehörigkeit reden, aber so etwas einführen!
({0})
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
Auch wenn wir heute noch nicht den Optionszwang
abschaffen können, eines ist klar: CDU/CSU und FDP
haben Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland gemacht. Wir sind mit der Bluecard in die gesteuerte Anwerbung von Fachkräften eingestiegen.
({0})
Wir haben die Integrationskurse qualitativ verbessert.
Wir haben das Anerkennungsgesetz für ausländische Berufsabschlüsse verabschiedet. Die vergangenen vier
Jahre waren für Deutschland als Einwanderungsland vier
gute Jahre.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Memet
Kilic. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Serkan Tören, Sie haben gefragt, wer denn verantwortlich für die Optionsregelung
sei. Ich kann die Frage beantworten: Ihre Partei. Sie haben diese unsinnige Optionspflicht eingeführt. Ohne
diese hätte Herr Rainer Brüderle diesem Gesetz nicht zugestimmt. Wir haben das in Kauf genommen, damit die
Kinder von Immigranten in ihrem Geburtsland nicht länger als Ausländerinnen und Ausländer geboren werden.
Wir haben gerettet, was zu retten war; sonst nichts.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wolff?
Immer, Herr Präsident. - Bitte, Herr Kollege.
Bitte schön, Herr Wolff.
Herr Kollege Kilic, wir sind uns doch einig, dass Sie
diesem Staatsangehörigkeitsrecht, das hier mit großen
Krokodilstränen seitens Ihrer Fraktion und auch seitens
der SPD als etwas sehr Problematisches dargestellt wird,
zugestimmt haben. Herr Röspel, Mitglied des Deutschen
Bundestages, und ebenfalls Frau Künast waren anwesend, als damals das Staatsangehörigkeitsrecht mit dem
Optionsmodell eingeführt worden ist. Sie haben dem zu30606
Hartfrid Wolff ({0})
gestimmt - vielleicht nicht Sie persönlich, aber die große
Mehrheit der beiden damaligen Regierungsfraktionen.
Sind wir uns darin einig?
Herr Wolff, ich bin sehr dankbar für diese Frage. Ich
war damals sogar ein Lobbyist der Immigranten. Als
Vorsitzender des Bundesausländerbeirates habe ich dieser Regelung sogar zugestimmt.
({0})
Rot-Grün hat es damals geschafft, eine Jahrhundertreform durchzuführen: Die Kinder von Immigranten in
der dritten oder vierten Generation werden seitdem in ihrem Geburtsland nicht mehr als Ausländer geboren. Dafür haben wir die von Ihnen für Ihre Zustimmung zur
Bedingung gemachte Optionspflicht in Kauf genommen.
Zuvor hatten die Unionsparteien unselige Unterschriftenkampagnen gegen Ausländer geführt. Insofern bin ich
dankbar, dass SPD und Grüne diese Reform durchgeführt haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mich hat vor zehn
Minuten die Meldung erreicht, dass ein dritter Demonstrant in Istanbul an seinen Kopfverletzungen gestorben
ist. Herr Kollege Grindel, es ist nicht angemessen, wenn
Sie ein ganzes Volk mit einem breitbeinigen despotischen Islamisten identifizieren
({2})
und alles über einen Kamm scheren. Täglich gehen in Istanbul über 1 Million Menschen auf die Straße. Sie treten ein für ihre Freiheit, für die Werte der Europäischen
Union, aber auch für die universellen Menschenrechte.
Sie sind bereit, dafür ihre Gesundheit und ihr Leben zu
opfern. Das muss man anerkennen.
({3})
Man muss sagen: Diese Leute gehören zu Europa, und
auch die Türkei gehört zu Europa. - Sie werden solche
breitbeinigen Islamisten abschütteln; davon sind wir
überzeugt.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland geborene Kinder nichtdeutscher Eltern müssen sich bis
zum 23. Geburtsjahr für eine ihrer Staatsbürgerschaften
entscheiden. Wer den Stichtag verpasst, verliert die
deutsche Staatsangehörigkeit. Insgesamt unterliegen
300 000 Deutsche der Optionspflicht.
Schon 2009 hat die Bundesregierung angekündigt, die
Optionspflicht zu prüfen. Während die Bundesregierung
weiterhin nicht prüft, verlieren immer mehr junge Menschen ihren deutschen Pass. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Missstand muss endlich behoben werden.
({5})
Der Optionszwang setzt die Betroffenen einem erheblichen und unnötigen Entscheidungsdruck aus. Der
Optionszwang besagt: Ihr seid lediglich Deutsche unter
Vorbehalt. - Das ist ein fatales Signal. Es darf keine
Deutschen erster und zweiter Klasse geben.
({6})
Weltweit ist Deutschland das einzige Land, in dem es
einen solchen Optionszwang gibt. In der globalen
Gesellschaft ist die Mehrstaatigkeit nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Außerdem ist diese Optionsregelung willkürlich. Denn neben Jugendlichen aus binationalen Familien sind Jugendliche aus der EU und
aus der Schweiz vom Optionszwang praktisch ausgenommen. Diese Ungleichbehandlung ist im Hinblick auf
den Gleichbehandlungsgrundsatz in unserer Verfassung
problematisch. Hinzu kommt der bürokratische Aufwand für unsere eh schon überlasteten Behörden und
Gerichte. Deshalb appelliere ich vor allem an die Bundesregierung: Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf
und beenden Sie endlich Ihre strikte Dagegen-Politik.
Ein Doppelpass à la Mesut Özil und Ilkay Gündogan
sorgt im Fußballstadion für großen Jubel.
({7})
Ich bin mir sicher, dass ein Doppelpass im Staatsangehörigkeitsrecht für einen noch größeren Jubel sorgen wird.
({8})
Deshalb: Geben Sie Ihre strikte Dagegen-Politik auf und
stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!
({9})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU:
unser Kollege Stephan Mayer. Bitte schön, Kollege
Stephan Mayer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist Vorwahlkampfzeit.
Und was macht die Opposition? Sie holt stereotyp ihre
Stephan Mayer ({0})
alten Anträge zum Staatsangehörigkeitsrecht bzw. zur
Abschaffung des Optionsmodells aus der Mottenkiste
und versucht hier, plump Wahlkampf zu machen.
({1})
Das ist ja durchaus legitim. Meines Erachtens wirklich
unanständig ist aber, dass Sie, Frau Kollegin Kolbe, meinem Kollegen Grindel unterstellen, er sei ein Rassist, er
habe Tendenzen zum Rassismus,
({2})
und dass Sie, Frau Kollegin Dağdelen, behaupten, die
deutsche Regierung würde eine Antitürkeipolitik betreiben und sei türkeifeindlich.
({3})
Das gehört sich hier nicht. Man kann bei diesem Thema
ja durchaus unterschiedlicher Auffassung sein; aber ich
finde es wirklich ungehörig, dass die Debatte mit dieser
Verve und teilweise auch mit dieser Wortwahl geführt
wird.
({4})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, was
will die Opposition? Sie will mit diesen Vorlagen doch
nur davon ablenken, dass sie zwischen 1998 und 2005
integrationspolitisch versagt hat. Erst seit 2005, seitdem
die CDU/CSU in Berlin an der Regierung ist, steht das
Thema Integration wirklich ganz oben auf der bundespolitischen Agenda.
({5})
Seit 2005 haben wir seitens des Bundes über 1 Milliarde
Euro zum Beispiel für Integrations- und Sprachkurse
ausgegeben. Über 1 Million Bürgerinnen und Bürger
haben mittlerweile diese Integrations- und Sprachkurse
besuchen können. Wir haben eine Staatsministerin, die
eigens für das wichtige Thema Integration zuständig ist.
Es gibt einen Nationalen Integrationsplan. Es gibt in jedem Jahr einen Integrationsgipfel. Dies alles gibt es erst,
seitdem die CDU/CSU in Berlin in der Regierung ist.
({6})
Dies zeigt auch: Tatsächliche Integration wird nicht
mit dem Erwerb einer Staatsangehörigkeit erreicht;
({7})
tatsächliche Integration wird dadurch erreicht, dass den
Migrantinnen und Migranten in Deutschland ganz konkrete Unterstützungsmaßnahmen und Angebote zuteilwerden.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein
bewährter Grundsatz des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, dass wir die Mehrstaatigkeit vermeiden wollen.
({9})
Es gibt verschiedene Fälle, die eindrucksvoll beweisen,
dass Mehrstaatigkeit zu Loyalitätskonflikten führt. Die
Rosinenpickerei führt in vielen Fällen zu großen Dilemmata, sei es im Strafrecht, sei es im Wahlrecht. Es kann
nicht sein, dass jemand in zwei Ländern gleichermaßen
befugt ist, das nationale Parlament zu wählen.
Auch was den Bezug von Sozialleistungen anbelangt,
gibt es erwiesenermaßen schwere Konfliktsituationen,
wenn die Gefahr besteht, dass aus zwei Ländern Sozialleistungen in Anspruch genommen werden und kein
Abgleich zwischen diesen beiden Ländern und damit natürlich auch keine Missbrauchskontrolle erfolgt.
Auch was das Thema Grundstückserwerb oder das
Thema Erbrecht anbelangt, gibt es ganz konkrete Konfliktfälle. Nicht zuletzt die Ausübung diplomatischen
Schutzes sei hier genannt. Zum Beispiel gibt es den Fall,
dass Doppelstaatlern die deutsche Staatsangehörigkeit
im Konfliktfall nichts bringt, dann nämlich, wenn andere
Länder diese nicht akzeptieren.
({10})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte einmal aktuelle Zahlen aus Bayern vortragen,
die im Mai veröffentlicht wurden. Es geht um die bisher
Eingebürgerten. Aus dem Geburtsjahrgang 1990 zum
Beispiel haben sich von 637 Optionspflichtigen 626 für
die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Das sind
98,3 Prozent. Aus dem Geburtsjahrgang 1991 haben sich
von 717 Optionspflichtigen 708 für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Das sind 98,7 Prozent. Aus
dem Geburtsjahrgang 1992 haben sich von 597 Optionspflichtigen 594 für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Das sind sage und schreibe 99,5 Prozent.
Dieser Prozentsatz liegt sogar noch deutlich über dem
Bundesdurchschnitt - das mag daran liegen, dass die
Optionspflichtigen davon ausgehen, dass sie neben der
deutschen Staatsangehörigkeit die bayerische Staatsangehörigkeit mit dazubekommen -;
({11})
aber auch bundesweit liegt der Anteil mittlerweile bei
über 98 Prozent. Das zeigt doch sehr eindrucksvoll, dass
der überwiegende Teil derjenigen, die bisher aufgefordert worden sind, sich zu erklären, in Deutschland angekommen ist. Sie empfinden Deutschland als ihre neue
Heimat und haben sich dann auch mit vollem Herzen für
die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden.
Es ist auch interessant, sich einmal die Einbürgerungsstudie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2011 anzusehen: 70 Prozent der Eingebürgerten haben erklärt, dass sie Deutschland jetzt als
Stephan Mayer ({12})
ihre neue Heimat sehen und dass sie in Deutschland verwurzelt sind. Das ist doch ein wirklich beredtes Zeichen
dafür, dass Integration erfolgreich ist.
({13})
Das zeigt meines Erachtens auch, dass das Ausreichen der deutschen Staatsangehörigkeit am Ende einer
erfolgreichen Integration stehen kann. Die Ergebnisse
sind deutlich. Jene, die die deutsche Staatsangehörigkeit
angenommen haben, weisen, was die Schulleistungen
anbelangt, bessere Ergebnisse auf
({14})
und sind in geringerem Maße arbeitslos. Das ist eine erfolgreiche Integration und, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das lassen wir
uns auch nicht nehmen.
({15})
Eine offene und tolerante Gesellschaft, wie es sie in
Deutschland gibt - ich stehe zu dieser Willkommenskultur; ich glaube, wir haben sie in Deutschland mittlerweile implementiert -, zeichnet sich nicht dadurch aus,
dass wir die doppelte Staatsangehörigkeit akzeptieren.
Wir haben insbesondere in den vergangenen vier Jahren
ein modernes und zeitgemäßes Zuwanderungsrecht geschaffen, das wirklich jedem, der nach Deutschland
kommen will, der sich in Deutschland integrieren und in
Deutschland arbeiten will, die Chance gibt, hierherzukommen.
({16})
Das ist ein Zeichen und der Erfolg einer guten Integrationsleistung, nicht aber plumpe und publikumswirksame Anträge, die sich nur vordergründig auf Integration
beziehen, dies tatsächlich aber gar nicht zum Inhalt haben.
({17})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt
noch zwei Redner bis zu unseren Abstimmungen. Ich
würde mich freuen, wenn wir den Rednern die notwendige Aufmerksamkeit schenken könnten.
Bitte, Kollege Rüdiger Veit für die Fraktion der Sozialdemokraten.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Einigen Rednern aus den Regierungsfraktionen
und auch von der Regierung muss ich zu Beginn sagen,
dass wir uns heute schon in einem konstruktiveren Dialog auseinandergesetzt haben, wohingegen ich jetzt bei
einigen Redebeiträgen in dem Bemühen - ich bitte um
Entschuldigung -, das Niveau noch oberhalb der Grasnarbe zu erkennen, nicht immer erfolgreich gewesen bin.
({0})
Zunächst einmal: Sie brauchen uns im Zusammenhang mit den Namen Sarrazin und Buschkowsky keine
Scheinheiligkeit vorzuwerfen. Ich sage Ihnen dazu ganz
klar meine Position, die vielleicht nicht in der Härte und
in der Formulierung, wohl aber im Inhalt von weiten
Teilen meiner Partei geteilt wird: Ich persönlich bin der
Auffassung, dass viele der Thesen von Herrn Sarrazin
durch das Wesen eines menschenverachtenden Psychopathen gekennzeichnet sind - und damit Ende der Diskussion.
({1})
Nachdem Herr Buschkowsky - ähnlich wie leider
auch Herr Staatssekretär Dr. Schröder - in der BildZeitung hat verlautbaren lassen, die doppelte Staatsbürgerschaft sei etwas, um sich am einfachsten strafrechtlicher Verfolgung zu entziehen, musste ich leider auch
öffentlich, in einer Tageszeitung, meine Auffassung dazu
äußern. Ich wiederhole sie hier und sehe allen juristischen Auseinandersetzungen, die da kommen könnten,
mit Gelassenheit entgegen: Ich bin der Überzeugung,
dass Heinz Buschkowsky mit dieser Auffassung endgültig von allen guten Geistern verlassen ist. Sie sollten sich
also an ihm kein Beispiel nehmen. Sonst müsste ich über
Sie genauso sprechen.
({2})
Es geht hier und heute auch nicht um Wahlkampf,
wobei es schon interessant ist: Der eine von Ihnen beklagt, dass die Vorlagen der Opposition überraschend
kommen, der andere beklagt sich darüber, dass sie immer wieder eingebracht würden, der Dritte schließlich
behauptet, er beispielsweise habe das Ganze genau so
gewollt und er bzw. seine Fraktion, die FDP, wasche die
Hände in Unschuld. Alles das ist verkehrt.
Aber wenn Sie Wahlkampf haben wollen, dann gehe
ich gern noch einmal auf die Frage ein, wie es zu diesem
Gesetz gekommen ist. Das fällt mir aus meiner Erinnerung deshalb relativ leicht, weil es das erste wichtige Gesetz war, an dem ich 1998 im Bundestag mitarbeiten
durfte. Ich kann Ihnen definitiv sagen, dass es die Absicht und der Kern der sozialdemokratischen Politik war,
allen in Deutschland geborenen Kindern, deren Eltern
sich bereits langfristig hier aufhalten, endlich die deutsche Staatsbürgerschaft zu geben.
({3})
Wir mussten erleben, dass im damaligen Landtagswahlkampf der spätere Ministerpräsident Roland Koch
und seine Landes-CDU eine Unterschriftenkampagne
gegen die doppelte Staatsbürgerschaft losgetreten hatten,
um sich auf diese Art und Weise einer drohenden Wahlniederlage zu entziehen. Leider haben bei dieser Landtagswahl im Februar 1999 die Grünen so viele Stimmen
verloren, dass wir Sozialdemokraten diesen Verlust nicht
kompensieren konnten.
Ich will Ihnen jetzt sagen, was an dieser Kampagne so
maßlos verlogen war. Bevor wir dieses Thema endlich
angepackt haben, war die Rechtslage folgendermaßen
gekennzeichnet: Der vormalige Bundeskanzler Helmut
Kohl - das war vor meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter - hat bei seinem türkischen Amtskollegen dringend
darum gebeten, dass die türkischen Konsulate und Botschaften davon Abstand nehmen mögen, offensiv für
folgende Praxis zu werben: Die Türken gehen zu ihrem
Konsulat oder ihrer Botschaft, beantragen die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft und bekommen gleichzeitig gesagt: Wenn ihr die deutsche Staatsbürgerschaft habt, dann kommt ihr bitte wieder und dann
erhaltet ihr die türkische Staatsbürgerschaft ebenfalls. Das war damals die Rechtslage, bevor wir dieses Thema
in Angriff genommen haben.
({4})
Wir mussten uns leider von der generellen Hinnahme
der doppelten Staatsbürgerschaft verabschieden und
mussten die Optionsregelung deswegen mitmachen, weil
dies die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat erzwungen
haben. Wir wollten das nie. Wir wollten eine andere Regelung und haben deshalb entsprechende Anläufe unternommen. Es war niemand anders - auch daran kann ich
mich gut erinnern - als der vormalige Justizminister von
Rheinland-Pfalz Caesar, der die Idee des Optionsmodells
hatte. Werfen Sie uns das heute also bitte nicht vor. Wir
waren seit 1998 immer klar in unserer Auffassung; das
betrifft jedenfalls Rot-Grün.
({5})
Wer in einer Zeit, in der die Ausnahme zur Regel geworden ist, dass nämlich 53 Prozent der Einbürgerungen
nach heute geltendem Recht unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft erfolgen, noch der Auffassung ist,
man solle dieses Modell beibehalten, dem sage ich ganz
klar und deutlich: Wir Sozialdemokraten - die anderen
Antragsteller nehmen das auch für sich in Anspruch sind der Überzeugung, dass die Einbürgerung nicht der
endgültige Schlusspunkt jedweder Integration ist, sondern ein ganz wichtiger Zwischenschritt.
Wer demgegenüber der Meinung ist, es möge möglichst wenig Einbürgerungen und möglichst viele Hindernisse geben, der kann die Auffassung weiterhin vertreten,
dass man gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sei. Der
Verlust der ausländischen Staatsbürgerschaft bei zwei
Dritteln derjenigen, die in Deutschland eingebürgert werden wollen und könnten, aber von einem Antrag Abstand
nehmen, ist der wirkliche Grund bzw. das Hindernis, dass
wir zu wenige Einbürgerungsverfahren haben. Damit
wollen wir endlich aufräumen und bitten allenthalben um
Unterstützung. Die FDP sollte sich überlegen, ob sie nun
dafür oder dagegen ist - heute oder in Zukunft.
Danke.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzter Redner in
unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU und
CSU unser Kollege Ingo Wellenreuther. Bitte schön,
Kollege Ingo Wellenreuther.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Zur Abstimmung stehen mehrere Anträge und Gesetzentwürfe, die die Abschaffung der sogenannten Optionspflicht und im Kern die Zulassung von
doppelten und mehrfachen Staatsangehörigkeiten zum
Inhalt haben. Kollege Veit, Sie beklagen, dass die Debattenkultur knapp über der Grasnarbe angekommen ist,
gleichzeitig bezeichnen Sie aber einen Parteifreund von
Ihnen als menschenverachtenden Psychopathen. Ich
muss sagen: Das spricht für sich.
Die Opposition hat schon mehrfach dieses Thema zur
Debatte gestellt, und zwar - der Kollege Mayer hat darauf hingewiesen - meistens kurz vor Wahlen, mit dem
Ziel, hieraus Kapital zu schlagen.
Ich komme auf die Fakten zurück. Im März haben wir
eine Sachverständigenanhörung durchgeführt, und es
liegen die Ergebnisse zweier Studien des BAMF vor, die
die Koalition in Auftrag gegeben hatte, um das Optionsmodell bzw. das Staatsangehörigkeitsrecht zu überprüfen. Zum einen handelt es sich um eine nicht repräsentative qualitative Studie zur Optionspflicht, in deren
Rahmen ausführliche Interviews mit 27 betroffenen jungen Menschen geführt wurden. Zum Zweiten gibt es Ergebnisse einer repräsentativen Studie. Im Rahmen dieser
sogenannten Einbürgerungsstudie 2011 wurden unter anderem 401 Optionspflichtige befragt.
Unsere Auffassung war immer, die Anhörung und die
Studien abzuwarten. Das war auch genau richtig; denn
es wurden klare und bemerkenswerte Ergebnisse zutage
gefördert. Die Sachverständigen haben deutlich gemacht: Das Optionsmodell und das Prinzip der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeiten sind rechtlich
nicht zu beanstanden. Sie sind vor allem verfassungsund europarechtskonform. Die zugrunde liegenden Fragen sind deswegen vor allem eine politische Entscheidung. Wir von der Union haben dazu eine ganz klare
Haltung: Für uns gilt der Grundsatz der Vermeidung von
Mehrstaatigkeit. Deshalb halten wir an der Optionspflicht fest.
Unsere Position wird durch die Studienergebnisse
eindeutig gestützt. Der Kollege Mayer hat bereits darauf
hingewiesen; ich werde nachher darauf zurückkommen.
Die Studien widerlegen nämlich die Argumentation der
Opposition, die immer wieder vorgebracht wird. Ein beliebtes Argument ist, dass es die jungen Menschen in
schwere Konflikte bringe und verunsichere, sich zwischen einer der Staatsangehörigkeiten entscheiden zu
müssen. Nun wurde bestätigt: Diese Behauptungen treffen weitestgehend nicht zu. Über 70 Prozent der betroffenen jungen Menschen bestreiten, dass das Aufgeben
der anderen Staatsangehörigkeit Gewissenskonflikte
verursacht. Nur 6 Prozent der Befragten geben an, dass
die Verpflichtung, sich für eine Staatsangehörigkeit zu
entscheiden, sie hinsichtlich ihrer familiären oder beruflichen Lebensplanung verunsichert. Das zeigt: SPD,
Grüne und Linke haben jahrelang einen Popanz aufgebaut und Ängste geschürt, die sich nun in Luft auflösen.
Auch die zweite immer wieder vorgebrachte Behauptung ist schlichtweg falsch, dass die jungen Optionspflichtigen sich von Deutschland abwenden würden;
auch das hat der Kollege Mayer angesprochen. 98 Prozent der jungen Menschen, die sich aufgrund der Optionspflicht zu entscheiden hatten, haben sich für die
deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Fast alle bekennen sich also zu unserem Land. Das ist ein eindeutiges Votum für Deutschland und zeigt: SPD, Grüne und
Linke haben ein vollkommen falsches Bild von den jungen Menschen ausländischer Herkunft in unserem Land.
({0})
Die Gründe der optionspflichtigen jungen Menschen,
sich für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden,
sind ganz pragmatisch. Sie entscheiden sich auch deshalb für uns und für die deutsche Staatsangehörigkeit,
weil sie in Deutschland bessere Zukunftsperspektiven
sehen, der Arbeitsmarkt für sie erfolgversprechend ist,
die Qualität von Bildung und Ausbildung in unserem
Land überzeugt, aber auch weil sie der hohe Standard
unseres Rechtssystems beeindruckt. Bemerkenswert ist,
dass gerade junge Frauen als Motiv für die Wahl der
deutschen Staatsbürgerschaft angegeben haben, dass sie
das Frauenbild in ihrem Herkunftsland als problematisch
empfinden.
Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie ist für mich
aber noch eine ganz andere: Fast durchgängig geben die
jungen Menschen an, sich mit Deutschland emotional
verbunden zu fühlen. Das entspricht doch gerade dem,
was wir immer gesagt haben: Integration ist eine Sache
des Herzens. Ein Zugehörigkeitsgefühl kann nicht mit
der Aushändigung von Papieren geschaffen werden.
Deshalb bleibt es für uns dabei: Der Erwerb der Staatsangehörigkeit sollte nicht am Anfang eines Integrationsprozesses stehen,
({1})
sondern die Folge sein, wenn der Prozess gelingt.
Ich sage ganz klar: Wir wollen, dass dieser Prozess
bei uns möglichst vielen gelingt. Wir tun auch einiges
dafür. Ich möchte nur die Stichworte „Integrationskurse“
und „Sprachlehrgänge“ nennen. Für uns, für die Union,
steht eine gute Integration im Vordergrund. Dafür ist das
Erlernen der deutschen Sprache der entscheidende
Schlüssel. Wir wollen im Übrigen auch, dass sich möglichst viele derer, die die Voraussetzungen erfüllen, dann
auch tatsächlich einbürgern lassen. Dadurch wird die
Zugehörigkeit zu unserem Land am besten ausgedrückt.
Es entsteht damit vor allem auch eine tiefe wechselseitige Verantwortung.
In diesem Zusammenhang ist positiv darauf hinzuweisen, dass die Gesamtzahl der Einbürgerungen das
vierte Jahr in Folge gestiegen ist. Das ist ein ganz erfreuliches Zeichen. Zum einen zeigt dies, dass wir in
Deutschland ganz überwiegend eine offene Gesellschaft
haben, in der sich Menschen anderer Herkunft wohlfühlen. Zum anderen spiegeln sich darin Erfolge der integrationspolitischen Bemühungen der unionsgeführten
Bundesregierung wider.
Die Studie zum Einbürgerungsverhalten hat auch
deutlich gemacht, dass wir keine übertriebenen Einbürgerungsvoraussetzungen und -anforderungen stellen.
Denn nur 16 Prozent der Eingebürgerten empfinden sie
als zu hoch. Bei denjenigen, die noch im Verfahren stehen, sind es auch nur 22 Prozent.
Als Fazit lässt sich feststellen: Aktuell gibt es keinen
gesetzgeberischen Handlungsbedarf, was das Staatsangehörigkeitsrecht und das Optionsmodell angeht.
({2})
Das lässt sich heute aufgrund der Studienergebnisse
sagen, auch wenn die Ausübung der Optionspflicht für
die ganz überwiegende Zahl der betroffenen jungen
Menschen erst noch bevorsteht. Aus diesem Grund sowie aus all den weiteren von mir genannten Gründen
lehnen wir Ihre Anträge ab.
({3})
Danke schön.
({4})
Der Kollege Ingo Wellenreuther war der letzte Redner
in unserer Aussprache.
Wir kommen nun unter Tagesordnungspunkt 1 a zur
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 17/13488 mit dem Titel
„Abschaffung des Optionszwangs - Ausdruck einer of-
fenen Gesellschaft“. Das ist noch nicht die namentliche
Abstimmung, sodass wir hier jetzt zunächst so abstim-
men, wie wir es regulär immer machen. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Das sind die Fraktionen von Bünd-
nis 90/Die Grünen, Sozialdemokraten und Linksfrak-
tion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitions-
fraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Antrag ist
abgelehnt.
Wir kommen nun unter Tagesordnungspunkt 1 b zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen zur Streichung des Optionszwangs
aus dem Staatsangehörigkeitsrecht. Der Innenausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
Vizepräsident Eduard Oswald
lung auf Drucksache 17/13312, den Gesetzentwurf der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/542
abzulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen namentlich über den Ge-
setzentwurf ab.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, darf ich be-
kannt geben, dass mehrere Erklärungen zur Abstimmung
vorliegen.1)
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen,
ob die Plätze an den Urnen überall besetzt sind? - Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch jeman-
den, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat?
Hat jemand jemanden gesehen, der noch mit Stimmkarte
in der Hand herumläuft und dem droht, die Abstimmung
zu verpassen? - Auch dazu sehe ich kein Signal. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die Auszählung durchzuführen.
Das Ergebnis der Abstimmung geben wir Ihnen - wie
immer - bekannt, sobald es vorliegt.2)
Wir haben jetzt noch eine Reihe einfacher Abstimmungen. Dazu bitte ich Sie, sich wieder auf die Plätze zu
begeben.
Wir setzen unter Tagesordnungspunkt 1 c die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf der Drucksache 17/13312 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion
auf Drucksache 17/7654 mit dem Titel „Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren - Mehrfache bzw. doppelte
Staatsbürgerschaft ermöglichen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/12185 mit
dem Titel „Für gleiche Rechte - Einbürgerungen erleichtern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist offenkundig mit Mehrheit angenommen gegen die geballten Stimmen der Fraktion Die Linke.
({0})
- Entschuldigung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
legt Wert darauf, mit der Enthaltung im Protokoll ver-
merkt zu sein. Das ist hiermit sichergestellt.
Tagesordnungspunkt 1 d. Hier geht es um die Abstim-
mung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zur Klarstellung des assoziationsrechtlichen
Rechtsstatus Staatsangehöriger der Türkei im Aufent-
halts-, Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 17/13299, den
1) Anlage 3
2) Ergebnis Seite 30612 D
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 1 e. Auch hier empfiehlt der Innenausschuss auf seiner Drucksache 17/13299 unter
Buchstabe b die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/7373 mit dem Titel „50 Jahre
deutsch-türkisches Anwerbeabkommen - Assoziationsrecht wirksam umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich
angenommen. Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung
über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit in den Jahren 2011 und 2012.
Das Wort für einen einleitenden Kurzbericht hat der
Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat heute den Bericht über die Maßnahmen
zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundesvertriebenengesetz für die letzten beiden Jahre - 2011 und
2012 - beschlossen. Dieser § 96 betrifft meinen Verantwortungsbereich, also die Kultur. Zu diesem an sich sehr
umfänglichen Bereich heißt es in § 96:
Die Bundesregierung berichtet jährlich dem Bundestag über das von ihr Veranlasste.
Auf Grundlage dieses Paragrafen fördern wir vielfältige
Institutionen und Projekte, die das kulturelle Erbe der
früheren deutschen Ost- und Siedlungsgebiete erhalten,
vermitteln und erforschen. Für diese Aufgaben stehen
aufseiten des Bundes jährlich 16 Millionen Euro zur
Verfügung. Der Bund nimmt diesen Auftrag mit den
Ländern wahr.
Von welchen Regionen sprechen wir? Ich nenne einige
Beispiele: Wir sprechen von den früheren deutschen Ostprovinzen wie zum Beispiel Pommern, Ostpreußen,
Schlesien und Westpreußen, von den Siedlungsgebieten
der Deutschen in Böhmen und Mähren oder auch zum
Beispiel von den Siebenbürger Sachsen.
Deutsche Bewohner haben jahrhundertelang die Kultur und Geschichte dieser Regionen geprägt. Es handelt
sich also um ein großes Erbe deutscher und europäischer
Geschichte und Kultur, das wir heute - 20 Jahre nach dem
Ende der kommunistischen Herrschaft - gemeinsam mit
unseren Partnern im östlichen Teil Europas erschließen
können. Inzwischen hat auch das nachkommunistische
östliche Europa dieses Erbe entdeckt und begegnet ihm
mit großer Wertschätzung. Hieraus ergeben sich vielfältige Anknüpfungspunkte für fruchtbare Kooperationen,
aber auch für versöhnende Projekte im Umgang mit teils
belasteten geschichtlichen Erfahrungen. Zu den geförderten Projekten gehören in meinem Ressort 14 Einrichtungen, darunter sieben Museen, drei Wissenschaftseinrichtungen und drei Kultureinrichtungen.
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt dieser Förderung
der letzten beiden Jahre lag auf der Nachwuchsförderung.
Es wurden drei akademische Förderprogramme umgesetzt bzw. in die Wege geleitet, die sich speziell an Universitäten richteten. Zudem haben wir zwei Juniorprofessuren besetzt und eine weitere Stiftungsprofessur im
Ausland neu geschaffen. Wir haben Stipendien an Nachwuchswissenschaftler und einen neuen Forschungspreis
vergeben sowie zahlreiche internationale Projekte gefördert. All dies ist im Bericht im Einzelnen nachzulesen.
Erst vor wenigen Monaten hat der von Bund und Ländern mit der Evaluation von Forschung in Deutschland
beauftrage Wissenschaftsrat die gute Qualität der aufgrund von § 96 Bundesvertriebenengesetz stattfindenden
Forschung ausdrücklich gewürdigt. Unsere Aktivitäten
bzw. die Aktivitäten der genannten Einrichtungen werden, meine Damen und Herren, auch vor Ort in den osteuropäischen Ländern durchgehend begrüßt. Ich habe
das selbst in Siebenbürgen - in Rumänien - erlebt, wo
ich ein gemeinsames Projekt mit der Stiftung von Peter
Maffay ins Leben gerufen habe. Das habe ich auch in
meiner eigenen Heimat Westpreußen erlebt, wo unser
Landesmuseum eine Dependance hat. Die Leute vor Ort
- also in dem Fall die Polen - sind dankbar und froh,
dass wir uns gemeinsam der europäischen Vergangenheit
widmen.
Dies alles bereichert den europäischen Kulturraum
und dient der Entfaltung einer offenen Erinnerungskultur, aus der verbindende Elemente einer gemeinsamen
europäischen Identität gewonnen werden können. Neue
Generationen interessieren sich verstärkt für dieses gemeinsame historische Erbe. Sie können sich ihm mit
größerer innerer Freiheit zuwenden als wahrscheinlich
die Erlebnisgeneration.
Erlauben Sie mir, abschließend etwas zur Stiftung
Flucht, Vertreibung und Versöhnung in Berlin zu sagen.
Diese hat in den letzten zwei Jahren wichtige Schritte
- nicht immer einfache - zurückgelegt. Dazu gehören die
einvernehmliche Verabschiedung der Stiftungskonzeption als Grundlage für die Tätigkeit der Stiftung und der
Abschluss des Architektenwettbewerbs für den Umbau
des Deutschlandhauses. In wenigen Tagen, am 11. Juni,
wird Frau Bundeskanzlerin das Startsignal für den Baubeginn geben.
Der Ihnen vorgelegte Bericht - das sage ich abschließend - ist ein überzeugender Beitrag zur Versöhnung
und auch für das Zusammenwachsen in Europa. Das
Kulturerbe der Deutschen im östlichen Europa hat sich
mittlerweile zum verbindenden Baustein einer europäischen Erinnerungskultur entwickelt. Das gestiegene Interesse daran führt Deutsche und Menschen anderer europäischer Länder zusammen. Das ist genau das, was wir
in Europa wollen.
So weit, Herr Präsident, das Eingangsstatement.
Ich bedanke mich sehr.
Bevor ich die bereits notierten Fragesteller aufrufe,
will ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zur Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht bekannt
geben: abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt
267, mit Nein haben 307 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Enthaltungen gab es keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon
ja: 267
nein: 307
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
({1})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({2})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({5})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({6})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Präsident Dr. Norbert Lammert
Christine Lambrecht
Christian Lange ({7})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({8})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({9})
Michael Roth ({10})
Marlene Rupprecht
({11})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({12})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({13})
Werner Schieder ({14})
Ulla Schmidt ({15})
Silvia Schmidt ({16})
Carsten Schneider ({17})
Swen Schulz ({18})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
FDP
Marco Buschmann
Johannes Vogel
({19})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({20})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({21})
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({22})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Undine Kurth ({23})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({24})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({25})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({26})
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Nein
CDU/CSU
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
({27})
Manfred Behrens ({28})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({29})
Dirk Fischer ({30})
Axel E. Fischer ({31})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({32})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({33})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({34})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({35})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({36})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({37})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({38})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({39})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({40})
Anita Schäfer ({41})
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({42})
Dr. Kristina Schröder
({43})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({44})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({45})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Vogel ({46})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({47})
Peter Weiß ({48})
Sabine Weiss ({49})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({51})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Martin Lindner ({52})
Michael Link ({53})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Petra Müller ({54})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({55})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({56})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({57})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt, womit nach unserer Geschäftsordnung die dritte
Beratung entfällt.
Wir kommen jetzt zu den Fragen zum Bericht der
Bundesregierung. Ich erteile das Wort zunächst der Kollegin Krumwiede.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Kulturstaatsminister, ich bin ein bisschen verwundert
über Ihr Eingangsstatement; denn eigentlich sollte die
Kulturarbeit in den Jahren 2011 und 2012 im Zentrum
Ihrer Ausführungen stehen.
Ich möchte zu einem Gebiet, das Sie angesprochen
haben, eine Frage stellen, zur Kulturförderung auf der
Grundlage des § 96 Bundesvertriebenengesetz; denn
dazu haben wir viele offene Fragen. Auch die Menschen
jüdischen Glaubens in den ehemals von Deutschen besiedelten Gebieten in Osteuropa sind Deutsche. Wir sind
der Überzeugung, dass Sie bei Ihrer Förderarbeit auf
Grundlage des § 96 BVFG der Geschichte der Vertreibung und Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens
und von Sinti und Roma zu wenig Beachtung schenken.
Jetzt erst einmal meine Frage: Warum sind bei der Förderung des Substanzerhalts auf Grundlage des § 96
BVFG keine Synagogen dabei?
Nächste Nachfrage: Nach welchen Maßstäben sind
Sie vorgegangen, als Sie in der Bereinigungssitzung aktuell 10 Millionen Euro an das Sudetendeutsche Museum in München gegeben haben? Sie haben die 16 Millionen Euro jährlich erwähnt, die auf Grundlage von
§ 96 BVFG fließen. Das ist ja eine ganz schöne Summe.
Nach welchen Förderkriterien haben Sie die Förderung
des Sudetendeutschen Hauses in München mit 10 Millionen Euro bewilligt?
Ich will mit Ihrer letzten Frage beginnen: Ich bitte
Sie, diese Frage an die Mitglieder des Haushaltsausschusses zu stellen; denn dies wurde in der Bereinigungssitzung beschlossen. Ich sage Ihnen, damit ich
nicht missverstanden werde: Ich begrüße dies durchaus.
Es gibt viele Landesmuseen zum Thema Vertreibung aus
ehemaligen deutschen Ostgebieten. Es gibt ein Westpreußisches Landesmuseum, ein Schlesisches Museum
und ein Ostpreußisches Landesmuseum. Es gibt bisher
aber kein Sudetendeutsches Landesmuseum. Solche Museen sind eine Bereicherung für den Kontakt und den
Kulturaustausch mit den verantwortlichen Leuten in diesen Gebieten.
Das hat der Haushaltsausschuss beschlossen. Ich weiß
nicht, ob er dazu besondere Kriterien braucht. Er wollte
diese Lücke schließen. Ich begrüße dies. Weitere Aspekte
sind mir nicht bekannt, die von mir genannten Aspekte
reichen aus meiner Sicht aber für einen Beschluss aus.
Eingangs hatten Sie formuliert, mein Beitrag habe Sie
etwas überrascht. Wenn das gelungen ist, bin ich erst
einmal zufrieden. In diesem Fall verstehe ich das aber
nicht. Ich soll hier ja berichten.
Ja, aber innerhalb einer Minute, Herr Staatsminister.
Ich wollte sie nicht so kurz abfertigen. - Gut. Ich habe
mich an das gehalten, was hier im Bericht steht. Das
mag ein Stück weit auch aus dem Jahr 2010 gewesen
sein. Das kann man nicht immer so genau trennen. Das,
was ich gesagt habe, war auch der Schwerpunkt der Arbeit in den Jahren 2011 und 2012.
Um es kurz zu machen: Zur Beantwortung Ihrer eigentlichen Frage verweise ich auf die Antworten, die Sie
schon früher einmal erhalten haben. Das scheint Ihnen
ein großes Anliegen zu sein. Ich habe Ihnen gesagt:
Selbstverständlich spielt auch das deutsch-jüdische Kulturerbe eine Rolle.
Ich will es anders ausdrücken: Wenn wir die Geschichte eines ehemals deutsch orientierten und besiedelten Gebiets in Osteuropa betrachten - dabei geht es
im Übrigen nicht nur um 20 oder 30 Jahre, sondern
manchmal um Hunderte von Jahren -, wird der jüdische
Teil der Bevölkerung - dieser war häufig bedeutend natürlich einbezogen. Das wird in allen Museen, die wir
verantworten, so gemacht. Das ist wichtig und richtig.
Insofern, finde ich, müssten Sie eigentlich zufrieden
sein.
Ich bin insofern nicht zufrieden, als wir jetzt für die
erste Antwort zu dieser fraglos bedeutenden Thematik
dank der Großzügigkeit des Präsidiums mehr als doppelt
so viel Zeit eingeräumt haben, als unsere Geschäftsordnung vorsieht. Ich erinnere noch einmal daran, dass für
die Fragen und Antworten jeweils eine Minute zur Verfügung steht.
Der Kollege Brähmig hat die nächste Frage.
Herr Präsident! Herr Staatsminister! Meine Fraktion
und ich sind erfreut über die Unterrichtung über die
Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96
Bundesvertriebenengesetz in den Jahren 2011 und 2012,
welche die Bundesregierung vorlegt. Ich bin übrigens
der festen Überzeugung, dass das Bundesvertriebenengesetz 60 Jahre nach seiner Verabschiedung hier im
Deutschen Bundestag eine einzigartige Erfolgsgeschichte für Deutschland, aber auch für Europa ist. Daher möchte ich mich ganz herzlich bei der Bundesregierung für ihr langfristiges Eintreten bedanken.
Lieber Herr Staatsminister, vielleicht können Sie noch
kurz Ausführungen dazu machen, wie sich die Zusammenarbeit mit den Bundesländern in diesem Bereich gestaltet. Die Einrichtungen der verschiedenen Landsmannschaften, die Sie angesprochen haben, befinden
sich in verschiedenen Regionen Deutschlands, und es ist
vorgesehen, dass sich die Bundesländer finanziell beteiligen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
Ich bin übrigens auch der festen Überzeugung, dass
die Förderung des jetzt geplanten Sudetendeutschen Museums in München ein ähnlich nachhaltiger Einsatz von
Steuergeldern sein wird wie die Förderung der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hier in Berlin.
Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist gut. Das Engagement der Länder in diesem Bereich ist unterschiedlich ausgeprägt. Eine Reihe von Einrichtungen finanzieren wir gemeinsam mit den Ländern, zum Beispiel das
Pommersche Landesmuseum in Greifswald, das Schlesische Museum zu Görlitz und das Herder-Institut in Marburg. Darüber hinaus werden in den Ländern zum Teil
wirklich innovative Projekte auf den Weg gebracht. Ich
erwähne das 2012 eröffnete Zentrum zur Erforschung
deutscher Geschichte und Kultur in Südosteuropa an der
Universität Tübingen.
Wir sind also mit den Ländern in Kontakt. In manchen Ländern geschieht nichts. Ich bedaure sehr, dass
Berlin da sehr zögerlich ist, was ja nicht der Art Berlins
entspricht, die wir kennen. In dem Punkt verhält sich
Berlin so; das muss ich akzeptieren. Prinzipiell arbeiten
wir mit vielen Bundesländern in diesem Bereich ausgezeichnet zusammen.
Frau Jochimsen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
die Kollegin Krumwiede hat ja schon darauf hingewiesen, dass es zu diesem Förderungsbereich vonseiten der
Mitglieder des Ausschusses für Kultur und Medien immer wieder viele verschiedene Fragen gibt. Ich möchte
von Ihnen Folgendes wissen: Wir befinden uns hier in
der Befragung der Bundesregierung. Um 14 Uhr, also
vor einer Stunde, habe ich den 44-seitigen Bericht der
Bundesregierung auf meinen Schreibtisch bekommen.
Nun soll ich Sie zu den in diesem Bericht neu zusammengetragenen Fakten und Erkenntnissen befragen.
Können Sie mir sagen, wie ich das machen soll? Ist das
hier eine Showveranstaltung, die man besser „Erklärung
des Staatsministers zum heute im Kabinett verabschiedeten Bericht“ nennen sollte?
Bevor der Staatsminister dazu Stellung nimmt, muss
ich mit Blick auf unsere Geschäftslage darauf aufmerksam machen, dass sich, wenn wir Wert darauf legen, dass
Themen, die im Kabinett behandelt werden, am gleichen
Tag anschließend in der Befragung der Bundesregierung
zum Thema gemacht werden, aus logischen Gründen
nicht vermeiden lässt, dass umfangreiche Berichte noch
nicht von den Mitgliedern gelesen sein können. Die
Konsequenz wäre, dass wir darauf verzichten, die Befragung am gleichen Tag durchzuführen, und sagen: Wir
nehmen uns das für die jeweils nächste Sitzungswoche
vor, weil es bis dahin jeder gelesen haben kann.
Dieser Konflikt ist also von uns so entschieden worden, wie wir ihn entschieden haben, und insofern nicht
von der Bundesregierung zu vertreten.
Aber 44 Seiten in 60 Minuten durchzuarbeiten, um
dann verständliche Fragen zu stellen -
Es ist noch viel schlimmer, Frau Jochimsen. Wir haben hier die gleiche Prozedur bei wesentlich längeren
Berichten durchgeführt
({0})
und dennoch darauf bestanden, dass wir sie am gleichen
Tag zum Gegenstand der Befragung machen.
({1})
Herr Staatsminister.
Ich muss sagen: Ich bin überrascht. Ich hätte es meiner Verwaltung gar nicht zugetraut, dafür zu sorgen, dass
Ihnen dieser Bericht, obwohl wir erst vor drei Stunden
getagt haben, schon vorliegt.
({0})
Ja, manchmal traut das Parlament der Regierung mehr
zu als diese sich selbst, Herr Minister. - Nun hat der
Kollege Lindemann das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
würden Sie als Erstes vielleicht noch einige Ausführungen dazu machen, wie es um das kulturelle Erbe der
Russlanddeutschen und Spätaussiedler steht und wie sie
in die Förderung einbezogen werden? Würden Sie uns
als Zweites bitte erläutern, wie sich das, was in Ihrer
Amtszeit auf diesem Gebiet getan worden ist, finanziell
auswirkt?
Was die finanziellen Auswirkungen in der Zeit der
Regierung Merkel anbetrifft - sie ist ja gleichbedeutend
mit meiner Amtszeit -, kann ich sagen, dass wir die Mittel für diesen Bereich deutlich erhöht haben, nämlich um
30 Prozent. Mittlerweile sind es sogar mehr als 30 Prozent. Einstmals wurden dafür 12 Millionen Euro ausgegeben, jetzt sind es 20 Millionen Euro. Aber ich füge
hinzu: für besondere Aufgaben wie die wissenschaftliche Erarbeitung.
Wir wollen junge Leute in die kulturelle Bildung einbeziehen. Es ging also nicht nur um die Fortsetzung der
vorangegangenen Arbeit, sondern wir haben auch versucht, zeitgemäß weitere Akzente zu setzen. Wir wollten
dies nicht nur zum Thema einer Vertriebenengeneration
machen, sondern auch zum Thema der jungen Generation. Wir wollten dafür sorgen, dass diejenigen, die aus
ehemals deutschen osteuropäischen Gebieten stammen,
wissen, woher sie kommen, und dass die Leute vor Ort
wissen, wie ihre Geschichte ist. Diese Bemühungen haben wir gemeinsam verstärkt. Ich glaube, einen besseren
Beitrag zur Versöhnung in Europa kann man nicht leisten.
Was die Russlanddeutschen angeht, ist zu sagen: Es
leben derzeit 3,2 Millionen -
Herr Staatsminister.
Ach so, das war die eine Minute.
Das war schon wieder der Sympathiezuschlag des
Präsidenten. - Als Nächste ist Frau Zypries dran.
Herr Minister, ich möchte gerne wissen, ob Sie die
Einrichtungen, die Sie fördern, auch evaluieren. Gibt es
also eine Erhebung, wie viele Menschen die geförderten
Einrichtungen pro Jahr jeweils besuchen?
Ja. Zunächst einmal sind sie vom Wissenschaftsrat
evaluiert worden - darauf hatte ich schon hingewiesen -,
und zwar im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Provenienz und Qualität; das Ergebnis war exzellent. Natürlich liegen für jede Einrichtung auch Verlaufskurven,
was die Besucherzahlen betrifft, vor. Wenn diese nicht
im Bericht enthalten sein sollten - ich vermute das -, bin
ich gern bereit, sie Ihnen im Hinblick auf eine bestimmte
Einrichtung oder, wenn Sie mir etwas Zeit geben, auch
im Hinblick auf alle Einrichtungen zuzustellen.
Herr Kollege Poland.
Herr Staatsminister, würden Sie bitte erläutern, welche finanziellen Aufwendungen gerade für Einrichtungen im Bereich Flucht und Vertreibung und zur Förderung der Russlanddeutschen getätigt werden?
Wie schon gesagt: Im Haushalt stehen insgesamt
20,2 Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel wurden
in den letzten Jahren deutlich erhöht, insbesondere die
Mittel für die fünf Regionalmuseen und den AdalbertStifter-Verein. Außerdem haben wir eigenverantwortlich
arbeitende Kulturreferentinnen und -referenten, die für
die jeweilige Einrichtung vor Ort, also in den osteuropäischen Ländern, tätig sind, eingestellt und sie finanziell
besser ausgestattet. Wir haben gemeinsam mit dem Land
Niedersachsen den Ausbau und die Modernisierung des
Ostpreußischen Landesmuseums vorgenommen, und wir
haben auch die Mittel für das Herder-Institut in Marburg
deutlich erhöht. Das war der richtige Weg; das besagt
auch ein Gutachten des Wissenschaftsrates aus dem letzten Jahr, der hier ebenfalls zu einem sehr guten Ergebnis
gekommen ist.
Nächste Wortmeldung: Frau Rößner.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Staatsminister,
Sie wissen vielleicht, dass im Kulturbetrieb, was die
Gleichstellung von Frauen angeht, noch einiges im Argen liegt. Sie haben erwähnt, dass Sie in Ihrem Projekt
Juniorprofessuren eingerichtet und Forschungspreise
vergeben haben. Ich wüsste gerne, wie Sie sichergestellt
haben, dass Frauen besonders gefördert werden, bzw.
wie bei der Preisvergabe und bei der Einrichtung der
Professuren die Geschlechterverteilung aussieht.
Sie können davon ausgehen - das ist meine Grundsatzeinstellung -, dass ich diesem Ziel, welches wir in
dem Falle gemeinsam verfolgen, immer Aufmerksamkeit widme. Die Gleichstellung von Frauen ist bei Entscheidungen immer auch ein Kriterium.
Ich kann Ihnen jetzt nicht nach Geschlecht aufschlüsseln, wer wann welchen Preis bekommen hat. Wenn ich
Ihnen das konkret beantworten soll, müsste ich Ihnen
das zustellen; das tue ich gerne.
Herr Kollege Pols? - Hat sich erledigt.
Frau Krumwiede.
Herr Staatsminister, aus Ihrer Beantwortung der Frage
von Frau Zypries, ob Sie die Einrichtungen, die Sie fördern, auch evaluieren, schließe ich, dass Sie den Bericht
ebenfalls noch nicht richtig gelesen haben. Da haben wir
etwas gemeinsam; denn meinem Büro liegt der Bericht
noch gar nicht vor. Das erklärt ein bisschen meine Überraschung.
Trotzdem gehe ich davon aus - danach haben wir, wie
Sie vorhin schon erwähnt haben, tatsächlich vor kurzem
gefragt -, dass sich unter den Substanzfördermaßnahmen des § 96 zwar viele Kirchen, aber keine jüdischen
Einrichtungen, keine Synagogen befinden. Darauf bezieht sich meine Frage: Wäre es nicht auch möglich, im
Rahmen von § 96 Fördermaßnahmen im Hinblick auf
die KZ-Gedenkstätten in Polen zu ergreifen? Ich meine
zum Beispiel das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager in Sobibor, das, wie Sie wahrscheinlich
wissen, unter akutem Finanzierungsmangel leidet und
von Substanzverlust bedroht ist. Die Bundesregierung
hat sich hier bisher gesträubt, Verhandlungen aufzunehmen und sich an der Finanzierung zu beteiligen.
Jetzt habe ich wieder nur eine Minute. - Frau
Krumwiede, Ihre Vermutung, dass ich den Bericht nicht
gelesen hätte, ist falsch. Ich habe ihn vor einiger Zeit gelesen, muss mich nur noch daran erinnern können.
({0})
Wir sind den Bericht heute noch einmal durchgegangen
und haben festgestellt: Die Besucherzahlen sind darin
nicht enthalten. Ich hatte das etwas unter Vorbehalt gestellt; aber es ist wohl so.
Das Zweite: Sie haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gesagt, dass mit diesen Fördermaßnahmen
keine Synagogen gefördert werden. Im Rahmen von
§ 96 werden im Normalfall auch keine Kirchen gefördert
- dafür gibt es das Denkmalschutzprogramm -, sondern
es wird über Kulturpflege nachgedacht. Dazu gehören
sicherlich die Arbeit der Kirchen und manchmal auch
das, was bei der Förderung des Denkmalschutzes übrig
geblieben ist. Ich bin ganz sicher: In einem vergleichbaren Fall würde eine Synagoge genauso gefördert. Mir ist
jetzt nicht in Erinnerung, dass es bei diesen Fördermaßnahmen direkt um Kirchen ginge. Die Kirchen gelten lediglich als Beispiel für Einrichtungen, die bei der kulturellen Entwicklung eine Rolle gespielt haben. Dazu
gehören - uneingeschränkt natürlich - auch die Synagogen. Der jüdische Einfluss auf die Kultur Deutschlands
und Europas war ja beträchtlich, und das ist gut so.
({1})
Jetzt habe ich die dritte Frage vergessen;
({2})
aber ich habe auch gar keine Zeit mehr, sie zu beantworten.
Richtig. Deswegen hilft jetzt Frau Jochimsen.
Vielen herzlichen Dank. - Wie steht es unter diesem
Fördergesichtspunkt eigentlich um die Gründung und
Finanzierung von multinationalen Stiftungen zur Förderung von Kultur und Wissenschaft in multiethnischen
Regionen Europas? Diese Forderung hat die EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ schon 2005 aufgestellt. Jetzt schreiben wir das Jahr 2013. Meine Frage ist:
Kommen wir irgendwann aus der Kulturförderung nach
dem Bundesvertriebenengesetz heraus und in eine neuzeitliche Normalität hinein?
Ihre in der Frage formulierte Sachverhaltsfeststellung
teile ich nicht, aber die Frage als solche beantworte ich
wie folgt: Natürlich ist die Förderung im Rahmen von
§ 96 Bundesvertriebenengesetz auch für eine Beteiligung
im Ausland möglich. Es gibt lediglich eine verfahrensrechtliche Struktur, die im Übrigen durch den Rechnungshof vorgegeben ist und für alle ähnlichen Förderungen
gilt - ich nenne hier die internationale Filmförderung -,
wonach formal der Projektträger im Inland angesiedelt
sein muss. Aber diese Vorschrift hindert überhaupt nicht
daran - das geschieht im Rahmen von § 96 BVFG -, international zusammenzuarbeiten.
Das gilt auch für Stiftungsprofessuren. Wir verleihen
Stiftungsprofessuren, zum Beispiel an der Universität
Pécs in Ungarn und anderswo, an ausländische Wissenschaftler und auch Stipendien an Studenten, die sich mit
diesem Thema befassen. Die formale Vorgabe, dass der
Projektträger in Deutschland leben muss, schließt die internationale Zusammenarbeit und die Beteiligung im
Ausland, insbesondere die der Betroffenen vor Ort, nicht
aus. Diese Vorgabe ist kein Hindernis. Wir praktizieren
diese Förderung.
Die letzte Wortmeldung kommt vom Kollegen
Brähmig.
Herr Staatsminister, bei Besuchen im Baltikum, in der
Slowakei, in Ungarn, in Rumänien und Kroatien, aber
auch in Böhmen und Mähren habe ich festgestellt, dass
sich vor allem die jungen Menschen dort sehr intensiv
mit dem deutschen Kulturerbe beschäftigen und dazu
viele Projekte entstehen.
Meine Frage ist: Wie können wir die Jugend in
Deutschland mit der Jugend in diesen Ländern zusammenführen? Ich denke hier konkret an Maßnahmen der
Bildungsminister, durch die sich junge Menschen noch
intensiver mit der Geschichte der Deutschen in den ehemaligen Siedlungsgebieten beschäftigen können. Könnte
man dadurch ebenfalls in der Europapolitik eine feste
Brücke zwischen den jungen Menschen schaffen?
Das geht einerseits über Projekte im Bereich der kulturellen Bildung. Damit können wir das Interesse der
jungen Leute für diese Thematik wecken. Andererseits
geschieht das noch viel intensiver über die Universitäten. Ich habe davon geredet, dass wir zunehmend Stiftungsprofessuren zu diesem Thema haben, dass sich in
Tübingen sogar ein ganzer Bereich dieses Themas angenommen hat.
Das Erfreuliche ist, dass gerade bei den jungen Menschen ein größeres Interesse für diese Thematik, für OstStaatsminister Bernd Neumann
europa und auch die ehemals deutschen Gebiete mit ihrer Kultur, spürbar ist, als das noch vor 10 oder 15
Jahren der Fall war. Deshalb haben auch die Regelungen
des § 96 Bundesvertriebenengesetz Zukunft. Sie sind
eben nicht nur eine Reminiszenz, eine Erinnerung an
frühere deutsche Gebiete, sondern sie sind ein wichtiger
Beitrag für die Zukunft der jungen Generation. Die jungen Menschen müssen wissen, was früher war, sie müssen wissen, woher sie kommen. Nur so können sie sich
austauschen und ein Identitätsgefühl in Europa schaffen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Wir schließen damit die Fragen zu diesem angemeldeten Themenbereich
ab. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Vor dem Hintergrund der
sich gerade weiter verschärfenden aktuellen Hochwasserkatastrophe, die bereits gestern vonseiten der Regierung thematisiert worden ist und die, soweit wir wissen,
heute Thema im Kabinett war, frage ich als Erstes - es
sind schon Hilfen zugesagt worden; wir wissen aber,
dass nun ein ganz anderes Ausmaß an Hilfen vonseiten
des Bundes für die betroffene Bevölkerung erforderlich
sein wird -: Welche Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen plant jetzt die Bundesregierung in der Eile bei den
Aufräumarbeiten nach der Flut für die betroffene Bevölkerung?
Herr Staatsminister.
Frau Kollegin, das Thema hat in der Tat heute im Kabinett eine Rolle gespielt. Die verschiedenen Minister
haben dazu auch berichtet. Welche Aufräumarbeiten erforderlich sein werden - das betrifft sowohl Fragen der
Verkehrsinfrastruktur, aber zum Beispiel auch der Landwirtschaft und der Kultur -, werden wir allerdings erst
dann abschließend beurteilen können, wenn das Wasser
wieder zurückgegangen ist und wir das ganze Ausmaß
der Schäden erkennen können. Selbstverständlich ist
aber, dass wir die Bürgerinnen und Bürger, die Kommunen und die Länder in diesen Fragen nicht alleinlassen.
Frau Kipping.
In diesem Zusammenhang sind seitens der Bundesregierung unbürokratische Hilfen zugesagt worden.
Mich interessiert, was mit „unbürokratisch“ konkret gemeint ist, und ob die betroffenen Kommunen, die teilweise jetzt schon wissen, dass durch die Schäden Kosten
in Höhe von über 50 Millionen Euro auf sie zurollen,
schon eine schriftliche Bestätigung bekommen haben,
({0})
dass man jetzt den Menschen, die Hab und Gut verloren
haben, unbürokratisch mit Geld helfen kann und sie dafür die Rückendeckung der Bundesregierung haben.
Kurzum, liegt den Kommunen bereits etwas schriftlich
vor, damit sie schnell agieren können?
Frau Kollegin, die Bundesregierung ist in einem ständigen Dialog sowohl mit den Ländern als auch mit den
betroffenen Kommunen, um so schnell wie möglich helfen zu können. Was die genauen Maßnahmen angeht und
welche Maßnahmen ergriffen werden, kann man in der
Tat erst beurteilen, wenn man einen Überblick über das
Ausmaß der Schäden hat. Sie können aber davon ausgehen, dass diese Maßnahmen so schnell wie möglich ergriffen werden.
({0})
- Was stellen Sie sich denn vor?
({1})
Die nächste Frage hat die Kollegin Herlitzius.
Herr Präsident! Vielen Dank, dass wir das Thema auf
die Tagesordnung setzen können.
Einen Augenblick. - Wir haben im Augenblick nicht
den Tagesordnungspunkt Debatte, Frau Kollegin Künast,
sondern den Tagesordnungspunkt Befragung der Bundesregierung.
({0})
Ich notiere Sie auch gerne für eine Frage, falls es eine
gibt. - Frau Herlitzius.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut, dass
wir dieses Thema noch auf die Tagesordnung setzen
können. Aktuell betrifft es viele Wahlkreise. Viele Menschen sind vom Hochwasser betroffen. Insofern haben
Sie Nachsicht, dass wir ein drängendes Interesse haben,
wie die Maßnahmen der Bundesregierung aussehen. Ich
glaube, wir alle sind uns darüber im Klaren, dass die
100 Millionen Euro nur ein Auftakt sind und dass wesentlich mehr folgen müssen.
Weil die Berichterstattung zu den Hochwasserschutzmaßnahmen, die in den letzten Jahren nicht ausgeführt
worden sind, in den Medien zum Teil durchaus sehr kritisch ist, möchte ich gerne nachfragen: Haben Sie einen
Überblick darüber, wie die Länder die geplanten Maßnahmen der letzten Jahre umgesetzt haben? Was ist liegen geblieben? Können Sie uns das ein bisschen ausführlicher sagen, damit uns das dann nicht seitens der
Medien auf die Füße fällt?
Frau Kollegin, zunächst einmal müssen wir auch hier
trotz der schwierigen Situation natürlich an die verfassungsmäßige Aufgabenverteilung denken und uns an sie
halten. Dazu gehört zunächst einmal, dass für die Hochwasserschutzmaßnahmen die Länder - mit finanzieller
Unterstützung des Bundes - zuständig sind.
Dafür, dass bestimmte Maßnahmen möglicherweise
nicht ausgeführt worden sind, kann es unterschiedliche
Gründe geben. Ich habe zum Beispiel heute im Deutschlandfunk ein Interview mit dem thüringischen Wirtschaftsminister Machnig zu diesem Thema gehört, der
darauf hingewiesen hat, dass auch Einsprüche von Bürgern dazu geführt haben, dass bestimmte Maßnahmen
nicht umgesetzt werden konnten. Ich will daraus nicht
die Konsequenz ableiten, dass man deswegen in Zukunft
auf solche Einsprüche verzichten sollte, sondern das nur
mit dem Hinweis verbinden, dass wir die Dinge sehr
sorgfältig untersuchen und im Rahmen unserer Zuständigkeiten so schnell wie möglich helfen werden. Dann
werden wir natürlich auch die Frage erörtern müssen,
was beim nächsten Mal besser gemacht werden kann.
Kollege Brähmig.
Herr Präsident! Herr Staatsminister, als Abgeordneter
eines außerordentlich betroffenen Wahlkreises, an der
Elbe liegend, wo eventuell in der Nacht oder sogar erst
am morgigen Tag der Höhepunkt des Hochwassers erreicht wird und wir mit Pegelständen des Jahres 2002
rechnen, will ich mich zuallererst einmal ganz herzlich
bei der Bundesregierung bedanken. Ich hatte gestern die
Möglichkeit, mit Frau Bundeskanzlerin im Wahlkreis
unterwegs zu sein. Ich denke, die 100 Millionen Euro
Soforthilfe seitens der Bundesregierung, die durch die
Bundesländer ergänzt werden, sind eine gute Geste.
Ich möchte Sie gerne fragen, ob dann, wenn das Wasser wieder abgeflossen sein wird, eine konzertierte Aktion seitens des Kanzleramtes und der Ministerien stattfinden wird, damit wir so schnell wie möglich wieder
den Zustand erreichen, der vor dem Hochwasser geherrscht hat, was ja ganz wichtig ist.
Ergänzend möchte ich Sie fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, bei den Genehmigungsverfahren für Hochwasserschutzmaßnahmen das Gemeinwohl vor das Eigenwohl der einzelnen Bürger zu stellen. In meinem
Wahlkreis liegen nämlich viele Einsprüche vor, mit denen einige Einzelpersonen zum Teil auch größere Hochwasserschutzprojekte zu verhindern versuchten. Das
kann nicht im Sinne des Gemeinwohls in diesem Bereich
sein.
Herr Kollege Brähmig, zunächst bedanke ich mich für
Ihre lobenden Worte, die vor allem den Einsatzkräften
gelten, die vor Ort mit unermüdlichem Einsatz tätig sind.
Wenn man einmal die Situation im Jahre 2002 mit der
Situation in diesem Jahr vergleicht, dann kann man wohl
feststellen, dass die Zusammenarbeit vor Ort an vielen
Stellen wesentlich besser klappt, als dies vor elf Jahren
der Fall gewesen ist. Das ist nicht eine Kritik an den Verhältnissen von vor elf Jahren, sondern es ist ein Ausweis
der Tatsache, dass diese Zusammenarbeit, die auch alle
staatlichen Ebenen einbezieht, verbessert worden ist.
Trotzdem hat man in diesem Jahr nicht mit einem solchen Ausmaß gerechnet. Ich darf daran erinnern, dass
wir zum Beispiel in Passau die höchsten Pegelstände seit
500 Jahren haben.
Die Frage, was an den Verfahren möglicherweise zu
ändern sein wird, sollten wir in Ruhe besprechen, wenn
das Wasser wieder zurückgegangen ist. Jetzt geht es zunächst darum, dass wir den Betroffenen helfen, die
Grundlage ihrer Existenz zu sichern, dass Menschen
nicht an Leib und Leben gefährdet werden und dass wir
an der Seite derjenigen stehen, die sich jetzt für die Menschen in den Hochwassergebieten engagieren. Danach
werden wir die anderen Fragen in aller Ruhe besprechen
müssen. Dabei ist es selbstverständlich, dass wir uns
auch an die verfassungsmäßige Ordnung halten müssen.
Im Rechtsstaat gehört es dazu, dass man gegen eine
Maßnahme auch Einspruch oder Widerspruch einlegen
darf. Wenn solche Verfahren an bestimmten Stellen zu
lange gedauert haben, dann wird man sich auch dies in
Ruhe ansehen müssen. Aber diese Frage kann man vor
dem Hintergrund der derzeitigen Situation so abstrakt
nicht beantworten.
Kollege Ostendorff.
Herr Staatsminister, natürlich wird den Hilfskräften,
den vielen Tausend Ehrenamtlichen, die in den Hochwassergebieten Tag und Nacht Leib und Leben retten
und den größten Schaden abwenden, auch von unserer
Seite aller Respekt gezollt. Das ist völlig klar. Trotzdem
bleiben Fragen.
Wir haben jetzt schon die zweite Jahrhundertflut, obwohl dieses Jahrhundert noch gar nicht so alt ist. VielFriedrich Ostendorff
leicht sind es Jahrzehntfluten, vielleicht ist aber auch der
Begriff falsch.
Aus Sicht der Landwirtschaft, auf die ich mich kaprizieren möchte, stellen sich konkrete Fragen. Ein Beispiel: An der Elbe, in Torgau, sollte ja ein großer Retentionsraum geschaffen werden. Es war zwischen allen
Beteiligten abgestimmt, dass dort etwas passieren sollte,
Herr Brähmig. Wie weit ist das denn gediehen? Ich habe
noch vor wenigen Wochen gesehen, dass dort nichts passiert ist. In dem festgelegten Raum hat es Widerstand gegeben. Der Bauernverband und die betroffenen Landwirte, vor allem einer, wollen das nicht. So etwas ist ja
üblich.
Aber wie kommen wir weiter? Was machen wir, um
das in den Griff zu bekommen? Allein das, was heute
Morgen die Ministerin verkündete - Sicherung und Erhöhung der Deiche -, verhindert nach unserer Einschätzung in Hitzacker oder in Passau noch kein Hochwasser.
Vielleicht wird die Situation dadurch sogar noch verschlimmert, wie auch ich meine. Wie kommen wir in der
Frage der Überflutungsräume weiter? Uns ist ja allen
klar, dass keiner freiwillig Flächen hergibt. Was gedenkt
die Bundesregierung insoweit zu tun?
Herr Kollege, was die konkreten Beispiele Hitzacker
oder Passau angeht, kann ich Ihnen jetzt keine konkrete
Antwort geben. Auch in diesen Fällen gilt aber das, was
ich zuvor gesagt habe. Auch die Schaffung von Überflutungsräumen wird von den entsprechenden verwaltungsrechtlichen Verfahren begleitet werden. Ob man einen
solchen Widerspruch in der konkreten Situation für richtig und die Verzögerung für hinnehmbar hält oder ob
man den Widerspruch und die Verzögerung für falsch
hält, hängt nach meiner Auffassung im Wesentlichen
nicht so sehr von dem einzelnen verwaltungsrechtlichen
Verfahren ab, sondern von dem politischen Standpunkt,
den man zu der jeweiligen Infrastrukturmaßnahme hat.
Da ist die Bandbreite relativ groß.
Wie gesagt, spätestens wenn das Wasser abgeflossen
ist, beginnen Überlegungen, was möglicherweise gemacht werden muss. Aber jetzt stehen die konkrete Hilfe
und die Bewältigung der Katastrophenfälle im Vordergrund.
Kollegin Wilms.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, dem, was Herr
Ostendorff eben gesagt hat, schließe ich mich voll an.
Ich glaube, das ist Meinung des ganzen Hauses. Es gibt
sicherlich noch genug zu tun. Aber wir sehen jetzt auch,
in welche Zwangslage wir durch das gekommen sind,
was wir an vielen Stellen mit unseren Flüssen gemacht
haben. Wir haben bislang nur Schnelligkeit und Sicherheit des Schiffsverkehrs in den Vordergrund gestellt und
den gesamtökologischen Zustand als Nebenschauplatz
abgetan.
Vor diesem Hintergrund frage ich gezielt nach. Bis
2012 mussten Überschwemmungsgebiete ausgewiesen
werden. Wie ist der Stand? Ist das erfolgt? Die Elbaue
bei Dresden wird jedenfalls fleißig weiter bebaut. Wie
kommen wir jetzt weiter? Müssen wir uns nicht langsam
Gedanken über neue Verfahrensabläufe machen, wohlgemerkt im Rahmen eines rechtsstaatlichen Systems?
Frau Kollegin, nach meiner Kenntnis sind für diese
Verfahren die Länder zuständig. Damit will ich die Diskussion über die Frage, was sich verändern muss, nicht
verhindern. Aber wir müssen uns an die verfassungsmäßige Ordnung halten. Ihre Einschätzung, dass es in den
letzten Jahren bei der Gestaltung der Flussläufe ausschließlich um die Verbesserung der Schiffbarkeit gegangen sei und ökologische Aspekte keine Rolle gespielt
hätten, teile ich nicht. Aber wie gesagt, wir werden uns
alles ansehen müssen; denn natürlich geben die Katastrophenfälle, die wir täglich in den Medien verfolgen
können, Anlass, darüber nachzudenken. Das ist doch
selbstverständlich.
Es gibt erstaunlich viele Nachfragen. Hoffentlich
kommen alle noch zum Zuge, jedenfalls solange ich hier
bin. Dann schauen wir einmal. - Kollege Schwanitz.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie im Hinblick auf
die heutige Kabinettssitzung fragen: Hat es heute im Zusammenhang mit den Themen Flut und Fluthilfe konkrete Arbeitsaufträge an einzelne Ressorts gegeben und,
wenn ja, welche?
Herr Kollege, es ist davon berichtet worden, dass die
Arbeitsgruppe im Kanzleramt eingesetzt ist, dass die
Ressorts koordinieren und dass jeder seine Aufgaben
macht. Aber die Minister sind nicht angetreten, um konkrete Arbeitsaufträge von der Bundeskanzlerin entgegenzunehmen. So etwas gibt es in einer Kabinettssitzung
nicht.
Frau Behm.
Vielen herzlichen Dank. - In der Tat ist die momentane Situation ziemlich dramatisch. Daher ist es wichtig,
dass wir zuerst sehen, wie den Opfern geholfen werden
kann. Ich bin aber überzeugt, dass wir natürlich Konsequenzen ziehen müssen, und zwar ernsthaftere als nach
den letzten Überflutungen durch Oder und Elbe.
Heute wurde im Agrarausschuss unter anderem thematisiert, dass Bürgerinitiativen den Bau von Retentionsflächen verhindert hätten. Ich finde solche Aussagen angesichts der Betroffenheit zahlreicher Menschen
zynisch.
Was ich sehr gut finde, ist, dass die Bundesregierung
sofort reagiert und gesagt hat: Wir werden 100 Millionen
Euro als Hochwasserhilfe zur Verfügung stellen. - Ich
möchte gerne wissen - das interessiert auch die meisten
Betroffenen -, auf welche Art und Weise diese 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, wie sie verteilt werden und wer diese Hochwasserhilfe in Anspruch
nehmen kann. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was die
betroffenen Menschen erst einmal beruhigt.
Frau Kollegin, es ist richtig, dass dieses Geld zur Verfügung gestellt wird. Es muss dorthin gehen, wo es erstens nach den rechtlichen Voraussetzungen eingesetzt
werden kann und wo zweitens die Not am größten ist.
Angesichts der derzeitigen Situation kann man dazu
nicht viel mehr sagen.
Was die Bürgerinitiativen angeht, so finde ich, dass
jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist, pauschale
Schuldzuweisungen vorzunehmen, aber auch nicht, pauschale Entschuldigungen auszusprechen. Deswegen
bleibt das, was ich jetzt schon mehrfach gesagt habe,
gültig, nämlich dass wir uns die Dinge in Ruhe ansehen
müssen, wenn das Wasser wieder zurückgegangen ist,
aber es jetzt zunächst einmal darum geht, die Katastrophenfälle zu bewältigen und den Menschen so gut wie
möglich zu helfen.
Jetzt will ich eine Mitteilung zum Verfahren machen
und dazu Ihr Einvernehmen herbeiführen. Wir sind erkennbar über der Zeit, die üblicherweise für die Regierungsbefragung vorgesehen ist. Das scheint mir unter
Berücksichtigung des jetzt aktuell diskutierten Themas
mindestens plausibel, wenn nicht zwingend.
Mein Vorschlag ist, dass ich jedenfalls die notierten
Kolleginnen und Kollegen - Frau Zypries, Frau
Herlitzius, Herrn Drexler und Frau Kipping - noch aufrufe. Dann kommt die Kollegin Enkelmann, die sich
schon früh zu einer Frage an die Bundesregierung zu einem anderen Themenbereich als diesem gemeldet hat.
Besteht Einvernehmen, dass wir mit dem Aufrufen dieser Frage die Regierungsbefragung komplettieren? Dann verfahren wir so.
Frau Zypries.
Herr Staatsminister, ich habe eben verstanden, dass
Sie sagten, das Kabinett habe heute beschlossen, dass die
Ressorts koordinieren. Ich habe immer gedacht, dass das
Kanzleramt die Ressorts koordiniert und nicht die Ressorts sich selber. Wie soll denn jetzt die Organisationsstruktur sein? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage ist: Habe ich Sie tatsächlich richtig
verstanden, dass Sie die 100 Millionen Euro erst dann
ausgeben werden, wenn alle Schäden festgestellt sind?
Das Zweite ist nicht richtig, und das Erste hängt sehr
davon ab, welche Aufgabe man sich stellt. Zum Beispiel
wäre es relativ unsinnig, die Koordination der Einsatzkräfte, die vom Bund zur Verfügung gestellt werden, im
Kanzleramt vorzunehmen. Das geschieht im Bundesinnenministerium oder im Bundesverteidigungsministerium. Deswegen ist meine Aussage nach wie vor zutreffend, dass die Koordination von den Bundesministerien
vorgenommen wird. Sie als ehemaliges Kabinettsmitglied kennen ja das Ressortprinzip ganz gut.
Wollen Sie uns dann vielleicht noch erklären, wie die
100 Millionen Euro ausgegeben werden und wie die Soforthilfe aussehen soll? Es ist jetzt dreimal nachgefragt
worden, aber es gibt noch keine einzige Antwort von Ihnen. Man weiß nicht, ob die Leute, die jetzt tatsächlich
betroffen sind, Geld bekommen oder nicht.
Es war allerdings möglicherweise vor zehn Jahren
ähnlich, dass man das am gleichen Tag schwerlich genau
sagen konnte.
({0})
Frau Herlitzius.
Herr Staatsminister, Sie haben mich jetzt zu dieser
Nachfrage veranlasst, und zwar mit Ihrer Aussage, die
Länder seien zuständig. Das ist natürlich nicht so, weil
die Flüsse nicht an den Ländergrenzen haltmachen. Sie
fließen vielmehr weiter. Insofern ist eine Koordination
über die Ländergrenzen hinweg notwendig, sowohl bei
den Hilfsmaßnahmen, nach denen Frau Zypries gerade
gefragt hat, als auch bei den vorbeugenden Maßnahmen.
Wir hatten die Debatte darüber im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Vielleicht kann Ihnen
Herr Ferlemann helfen.
Im Raumordnungsbericht wird der Bundesregierung
gesagt, wie sie es machen soll und dass länderübergreifende Abstimmungen erforderlich sind. Die Frage ist:
Was ist in dieser Hinsicht passiert? Haben Sie das heute
in der Kabinettsrunde thematisiert? Wie wollen Sie die
koordinierende Aufgabe, die Sie als Bund haben, zukünftig wahrnehmen?
Ich glaube, die Katastrophe ändert nichts an der Zuständigkeit der Länder für den Hochwasserschutz. Wenn
einer der anderen Kollegen das ergänzen möchte, kann
er das selbstverständlich gerne tun.
Noch einmal: Die Frage der Kompetenzordnung hat
angesichts der aktuellen Krisensituation für uns nicht die
Hauptrolle gespielt, sondern die Hauptrolle hat die Hilfe
für die Menschen gespielt.
Herr Drexler.
Herr Staatsminister, ich komme aus Passau, mein
Wahlkreis ist Deggendorf. Wir sind selber betroffen. Ich
war gestern mit der Kanzlerin vor Ort. Da wurde die
Summe von 100 Millionen Euro - Bayern soll die Hälfte
erhalten - genannt. Oberbürgermeister Dupper hat gestern vor Ort kurz eine Grobschätzung vorgenommen.
Wir in Passau kennen uns mit Hochwasser aus; denn das
haben wir öfter. Dieses Mal allerdings ist es dramatisch.
Wird die Summe ausreichen? Kann sie erhöht werden? Allein in Passau beträgt der geschätzte Schaden
20 Millionen Euro. Dann kommt noch Deggendorf
hinzu. Passau hat 50 000 Einwohner. Wenn man das
hochrechnet: Reichen dann die 100 Millionen Euro aus,
oder gibt es noch andere Planungen?
Diese 100 Millionen Euro, Herr Kollege, sind ja nicht
die einzige finanzielle Unterstützung, die zur Verfügung
stehen wird. Zum Beispiel ist es möglich, für provisorische Hilfsmaßnahmen Mittel der Europäischen Union in
Anspruch zu nehmen.
Wir müssen der Frage nachgehen, ob und inwieweit
Gelder von Versicherungen zur Verfügung stehen. Es ist
unser Ziel, so schnell wie möglich, aber eben auch so effizient wie möglich zu helfen. Effizient helfen wir dann,
wenn wir einerseits einen Überblick über das Ausmaß
der Schäden haben und andererseits darüber, welche
Mittel für den jeweiligen Schaden zur Verfügung stehen.
Dass das alles so schnell wie möglich geschieht, das
ist eine Selbstverständlichkeit.
({0})
Frau Kipping.
Unser Dank und Respekt sollte allen Helfern, vor allen Dingen den ehrenamtlichen, gelten, die meist nicht
vor den Kameras aktiv sind.
Ich möchte jetzt noch einmal nachfragen: Ist der Bundesregierung bekannt, dass betroffene Kommunalpolitiker auf eine schriftliche Information warten? Ich habe
erst gestern mit einer betroffenen Landrätin telefoniert.
Ergebnis: Man wartet auf eine solche Information. Denn
Fakt ist: Viele Menschen haben Hab und Gut verloren.
Die Kommunen müssen in die Vorhand gehen. Das betrifft auch Kommunen, die wirklich eine knappe Haushaltslage haben.
In dem Zusammenhang möchte ich fragen: Hat die
Bundesregierung in Erwägung gezogen, dass man an die
Versicherungsgesetze herangeht? Denn es ist so, dass
nach der Flut 2002 gerade die Hauseigentümer in den
Risikogebieten von den Versicherern im Stich gelassen
wurden.
Die zweite Frage wird im Zusammenhang mit der Erörterung der Konsequenzen aus dieser Flutkatastrophe
sicherlich eine Rolle spielen.
Was die erste Frage angeht, muss ich wieder darauf
hinweisen, dass jedenfalls dafür eine rudimentäre Feststellung des finanziellen Umfangs der Schäden notwendig ist und, zum Zweiten, dass nach unserer Verfassungsordnung die Länder für die Kommunen zuständig
sind. Selbst wenn der Bund es wollte: Es ist ihm untersagt, den Kommunen unmittelbar finanzielle Mittel zukommen zu lassen. Ich habe aber auch keine Sorge, dass
es dadurch zu einer Verzögerung kommt. Denn ich vertraue darauf, dass die zuständigen Minister in den jeweiligen Landeskabinetten darauf achten werden, dass so
schnell wie möglich geholfen wird.
Aber, wie gesagt, wenn Sie unter unbürokratischer
Hilfe verstehen „unter Umgehung unserer verfassungsmäßigen Ordnung“, dann muss ich Ihre Frage mit Nein
beantworten. Wenn sie unter unbürokratischer Hilfe verstehen, dass sie so schnell und so effizient wie möglich
geleistet wird, dann beantworte ich sie mit Ja.
Nun hat Frau Kollegin Enkelmann das Wort.
Danke, Herr Präsident. - Uns alle haben am Sonnabend erschreckende Bilder aus Frankfurt am Main im
Zusammenhang mit einer Demonstration von Blockupy
erreicht. Es gab Hunderte Verletzte, verletzte Journalistinnen und Journalisten. Es gab eine unverhältnismäßige
Anwendung von Gewalt durch die Polizei gegenüber einer genehmigten Demonstration. Wie bewertet die Bundesregierung diese Ereignisse, insbesondere mit Blick
auf die Akzeptanz von Rechtsstaat und Demokratie in
diesem Land?
Herr Präsident, die Bundesregierung würde gerne antworten, vermute ich mal.
Dem steht ja auch nichts im Wege. - Herr Staatssekretär Schröder, bitte schön.
Die Anwendung und die Auslegung des Versammlungsrechts sind alleinige Aufgabe der Länder. Auch zu
den Einsätzen der Landespolizeien können wir deshalb
keine Auskunft geben, weil wir dafür schlicht und ergreifend nicht die Verantwortung tragen.
({0})
Weitere Fragen an die Bundesregierung gibt es im
Augenblick nicht. Dann schließen wir damit die Regierungsbefragung.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:
Fragestunde
- Drucksachen 17/13667, 17/13697 Nachdem die Fragen gemäß Nr. 15 der Richtlinien für
die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen
- das sind die Fragen auf Drucksache 17/13697, die aufgrund der Fristüberschreitung bei der Beantwortung zur
mündlichen Beantwortung aufgerufen werden sollten zurückgezogen worden sind, rufe ich die Fragen auf der
Drucksache 17/13667 in der üblichen Reihenfolge auf.
({0})
- Kann es sein, dass Ihre Frage vorgesehen ist, aber nicht
als erste aufgerufen wird, weil es nach der üblichen Reihenfolge geht? - Wir müssen das noch klären. Ich bekomme gerade die Auskunft, wir hätten über Ihre Fraktion den Hinweis erhalten, die Frage sei zurückgezogen.
Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich jetzt zunächst
den Geschäftsbereich des Umweltministeriums auf. Hier
steht die Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin
Reiche für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Ostendorff auf:
Was sind die Gründe für den Anstieg des Ammoniakwertes
in 2011 gegenüber 2010 und die erneute Überschreitung des
Grenzwertes der NEC-Richtlinie von 550 Kilotonnen pro Jahr
({1}),
und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung im Bereich
der Landwirtschaft, um den Grenzwert dauerhaft einzuhalten?
Herr Präsident! Herr Kollege Ostendorff, der Anstieg
der deutschen Ammoniakemissionen im Jahr 2011 gegenüber denen im Jahr 2010 ist bedingt durch die erhöhten Emissionen aus landwirtschaftlichen Böden. Diese
vorläufigen Berechnungen beruhen auf den statistischen
Angaben zu den Mineraldüngermengen, die im Bilanzzeitraum abgesetzt wurden. Diese stiegen durch marktbedingte Preiseffekte 2011 an - 2010 waren sie im langjährigen Vergleich niedrig -, dies bedingt eine entsprechend
höhere Überschreitung der derzeit geltenden nationalen
Emissionshöchstmenge von 550 Kilotonnen pro Jahr im
Jahr 2011.
Zur Verminderung der Ammoniakemissionen hat die
Bundesregierung verschiedene Maßnahmen ergriffen
bzw. eingeleitet, zum Beispiel die Konkretisierung der
Vollzugshinweise zur unverzüglichen Einarbeitung von
Rinder- und Schweinegülle auf unbestelltem Ackerland,
die Erarbeitung eines Entwurfs für die Änderung der
Düngeverordnung unter Berücksichtigung verschiedener
Elemente, zum Beispiel Maßnahmen zur Erhöhung der
Stickstoffeffizienz oder die Verwendung emissionsarmer
Ausbringungstechniken, die Einbeziehung von Biogasgärresten in die Berechnung der Obergrenze von 170 Kilogramm pro Hektar oder auch - das betrifft schon die
zweite Frage von Ihnen - die Verringerung der Emissionen aus Stallgebäuden.
Die Bundesregierung erwartet, dass mit den genannten Maßnahmen die Ammoniakemissionen in den nächsten Jahren mindestens so weit abnehmen werden, dass
die zulässige Emissionshöchstmenge eingehalten wird.
Zusatzfrage? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, schönen Dank für die Beantwortung. - Sie haben sehr geschickt zwei Fragen verbunden, sodass mir die Rückfrage erschwert wird. Ich
möchte - ich bitte auch darum, das so festzuhalten -,
dass wir uns zunächst der ersten Frage widmen.
Sie haben verschiedene Maßnahmen aufgeführt. Ich
habe diese Frage auch schon in den Vorjahren gestellt.
Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, haben Sie als
Bundesregierung - nicht Sie als Person - diese Frage in
den Vorjahren genauso beantwortet. Da frage ich mich
natürlich: Wieso sind diese wenigen kleinen Maßnahmen, die relativ schnell zu ergreifen sind, auch nach drei
Jahren noch nicht umgesetzt?
Sie wissen, Herr Kollege Ostendorff, dass in der Zwischenzeit zweierlei passiert ist: Zum einen ist das Göteborg-Protokoll, das von den Parteien der Luftreinhaltekonvention beschlossen worden war, novelliert worden.
Zum anderen wird die NEC-Richtlinie gerade auf europäischer Ebene novelliert. Ich nehme an, dass Sie sich
auf das Düngermanagement und die Düngemittelverordnung beziehen. In der Tat gab es hier nach intensiven
Verhandlungen, auch unter Einbeziehung der beteiligten
Kreise, zum Beispiel des Deutschen Bauernverbands, einen Strauß von Maßnahmen. Sie wissen möglicherweise
auch, dass dieser ganze Strauß jetzt im Bundesrat hängt,
weil er im Agrar- und Umweltausschuss keine Mehrheit
fand. Insofern warten wir ab, ob der Bundesrat den Maßnahmen seine Zustimmung erteilt.
Zweite Frage?
Ja, zweite Rückfrage zur ersten Frage. - Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen, dass es in den
letzten beiden Jahren gerade noch so geschafft wurde,
die Grenzwerte irgendwie einzuhalten, weil der Verkauf
von mineralischen Düngemitteln, der immer schwer abschätzbar ist - das richtet sich nach dem Preis -, etwas
zurückgegangen ist; ein Zufallsprinzip, so würde ich das
nennen. Wollen Sie weiterhin die Ammoniakrichtlinie
einhalten, indem Sie den Zufall bemühen? Glauben Sie,
dass das immer funktionieren wird?
Wir bemühen hier nicht den Zufall, sondern beteiligen uns aktiv an der Erarbeitung der Novelle, so wie wir
uns auch aktiv an der Novellierung des Göteborg-Protokolls beteiligt haben. Ich glaube auch, dass sehr exakte
Vorhersagen über den Düngemittelverbrauch nicht möglich sind. In Deutschland werden ja weder der Verbrauch
von Mineralöldünger noch die Ausbringung statistisch
erfasst. Sie wissen auch, dass die Emissionsberechnungen auf Bilanzzeiträumen und verkauften Düngermengen beruhen. Welche Kultur angebaut und wie viel Dünger dementsprechend am Ende des Tages ausgebracht
wird, ist vorher nicht zu sagen.
Wir streben, wie gesagt, an, die Grenzwerte einzuhalten. Ich möchte sie noch einmal ganz kurz referieren.
Das Soll von 550 Kilotonnen pro Jahr habe ich angesprochen. Im Jahr 2010 waren es 552 Kilotonnen, und
im Jahr 2011 waren es 563 Kilotonnen. Das ist eine Abweichung von 0,4 Prozent bzw. von etwa 2 Prozent. Mir
scheint, das liegt noch in einem vertretbaren Rahmen.
Wir wissen allerdings, dass wir in der Zukunft weitere
Maßnahmen ergreifen müssen. Das liegt, wie gesagt, im
Bundesrat. Wir werden schauen, wie weit wir dort kommen.
Die nächste Frage, bitte.
Jetzt müssen wir zunächst das Verfahren klären.
Wenn Sie eine Zusatzfrage haben, können Sie sie
gerne stellen.
Ich frage, weil die Frau Staatssekretärin beide Fragen
zusammengefasst hatte.
Herr Kollege, ich habe eine gesonderte Antwort für
Sie auf Frage 2.
Wir sind jetzt bei den Rückfragen zur Antwort auf
Frage 1. Nachdem Sie, Herr Ostendorff, Ihre beiden Zusatzfragen gestellt haben, können jetzt weitere Zusatzfragen gestellt werden. - Wenn Sie fragen möchten, Frau
Kollegin, haben Sie jetzt das Wort.
Auch ich möchte unter dem Gesichtspunkt der Luftreinhaltung auf den Anstieg des Ammoniakwertes im
Jahr 2011 gegenüber den vorherigen Jahren eingehen.
Die Frau Staatssekretärin hat ja verschiedene Ursachen
dafür bemüht: die Düngeverordnung, die Biogasgärreste,
die ausgebrachte Gülle auf den Feldern. Diese erklären
aber den rapiden Anstieg nicht. - Ich beziehe mich jetzt
auf die Werte aus dem Emsland. In Bösel gibt es eine
Messstation, die die steigenden Werte zeigt.
Frau Staatssekretärin, ich frage Sie vor diesem Hintergrund: Mag das nicht vor allem damit zusammenhängen, dass Sie bundesseitig nichts gegen den Ausbau und
die Ausweitung von Schweinemastställen unternommen
und das Problem von daher nicht an der Wurzel eingedämmt haben?
Unsere Zahlen zeigen, dass der Hauptanteil aus dem
Bereich Boden kommt. Zu den Ställen kommen wir ja
bei der Frage 2 des Kollegen Ostendorff noch. Wir meinen zum Beispiel, dass sich durchaus auch ein Anteil aus
den Gärresten ergibt. Beim Thema Gärreste gibt es übrigens - völlig unabhängig davon, wer in einem Bundesland gerade die Regierung stellt - nicht nur Zustimmung, weil dieser Bereich momentan nicht reguliert ist.
Wir wollen das gerne regulieren. Dabei sind wir, wie gesagt, jetzt darauf angewiesen, dass der Bundesrat entsprechend mitentscheidet.
Ich rufe jetzt die Frage 2 des Kollegen Ostendorff auf
- Sie bekommen zu Ihrer eigenen Überraschung noch
eine eigene Antwort auf diese Frage und haben dann
noch zwei Zusatzfragen -:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
den Initiativen einiger Bundesländer zur Verbesserung des
Immissionsschutzrechtes im Hinblick auf Tierhaltungsanlagen?
Nun also die Antwort auf die Frage bezüglich der
Tierhaltungsanlagen.
Rechtliche Anforderungen zur Immissionsbegrenzung finden sich in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, kurz TA Luft. Diese gibt den nach Anlagenarten differenzierten Stand der Technik wieder. Seit
dem Inkrafttreten der TA Luft im Jahr 2002 haben sich
die Technik, die Wirtschaftlichkeit und die Marktdurchdringung von Abluftreinigungsanlagen zur Immissionsminderung in der Tierhaltung, insbesondere in der
Schweinemast, jedoch deutlich weiterentwickelt. Mittlerweile steht eine Reihe zertifizierter Systeme zur Abluftreinigung zur Verfügung.
Konkret fordern die Länder Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen die Abluftreinigung bei großen Schwei30626
nemastanlagen nach dem Stand der Technik. Die Länderarbeitsgemeinschaft „Immissionsschutz“ hat zudem
auf ihrer 125. Sitzung im März 2013 festgestellt, dass für
große Anlagen zur Haltung von Schweinen Abluftreinigungsanlagen als Stand der Technik anzusehen sind.
Auch im Rahmen der Erarbeitung der Merkblätter zur
Besten Verfügbaren Technik, BVT, auf Grundlage der
Richtlinie über industrielle Immissionen wird geprüft,
ob es sich bei der Abluftreinigung in Tierhaltungsanlagen, bei Wasch- und Filtersystemen, inzwischen um
BVT handelt. Durch diese Weiterentwicklung dürfte zukünftig eine Ergänzung des in der TA Luft dokumentierten Standes der Technik für bestimmte Tierkategorien
und -haltungsformen nötig werden. Die Bundesregierung wird den diesbezüglichen Überarbeitungsbedarf der
TA Luft unter anderem im Rahmen der Umsetzung
neuer BVT zur Intensivtierhaltung sorgfältig evaluieren.
Dazu gehört auch die Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und der Anlagengrößen.
Bitte schön, Nachfrage.
Schönen Dank. - Es führt zur Verwirrung in der politischen Auseinandersetzung, da wir im Agrarbereich
immer beinharten Widerstand vonseiten der Bundesministerin erleben. Sie haben betont, dass mithilfe von
Abluftreinigungsanlagen sehr wohl die Hauptemissionen
durch Filteranlagen wirksame Minderungen erfahren.
Für uns wäre wichtig, zu wissen - um auf der sachlichen
Ebene zu bleiben; eine Auseinandersetzung über die
Politik von Bundesländern in dieser Frage würde zu
nichts führen -: Wie schätzen Sie das Einsparpotenzial
ein, wenn wir die Schweineställe - es gibt genügend Anlagen - mit Filteranlagen nachrüsten oder aufrüsten? Im
Hühnerbereich ist es anders. Hier gibt es nur eine zugelassene Anlage. Wir müssen unsere Anstrengungen dringend erhöhen, um mehr Anlagen zu bekommen, die die
Anforderungen erfüllen.
Herr Kollege Ostendorff, konkrete Zahlen in Kilotonnen pro Jahr und pro Anlage kann ich Ihnen nicht sagen;
mir fehlen Informationen und Zahlen. Wenn Sie das
wünschen und wir sie haben, reiche ich sie nach.
Wünsche ich.
Gut.
Danke schön. - Die zweite Frage ist: Wird das Bundesumweltministerium die Initiative übernehmen? Sie haben
darauf hingewiesen, dass zwei Bundesländer vorangehen. Ich habe gerade von dem „beinharten Widerstand“
gesprochen. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen - es wäre hilfreich, wenn das Bundesumweltministerium das machen würde -, dass wir einen bundesweiten
Standard bekommen, damit es keine Wettbewerbsverzerrung zwischen einzelnen Bundesländern gibt?
So wie ich es aus der Amtschefkonferenz der Agrarminister verstanden habe, hat man sich dort geeinigt,
dass diese Abluftanlagen Stand der Technik sind und
- obwohl sie noch nicht vollständig abgebildet sind - in
der TA Luft als Stand der Technik definiert und verlangt
werden können. Der Bund muss nicht nachziehen, aber
wir wissen, dass wir die TA Luft novellieren müssen,
wollen dies aber im Zuge zweier in Rede stehender Maßnahmen tun. Wir müssen zum einen die IED umsetzen.
Dies diskutieren wir derzeit intensiv mit den Ländern.
Zum Zweiten gilt es, die BVT-Merkblätter, die ebenfalls
auf europäischer Ebene erarbeitet werden, in die TA Luft
einzufügen. Dieser Prozess wird seitens der Kommission
für das Jahr 2014 angesetzt. Wir meinen, dass dieser aus
Ihrer Sicht sicherlich kritikwürdig lange Zeitraum zu
entschuldigen und zu rechtfertigen ist, weil die Amtschefs festgelegt haben, dass bereits jetzt die Voraussetzungen dafür vorliegen, eine solche Anlage einbauen zu
lassen. Der Bund wird die TA Luft im Zuge der BVTDiskussion auf europäischer Ebene erweitern.
Frau Steiner.
Frau Staatssekretärin, das ist fast die Antwort auf
meine Frage. Ich frage unter Umweltgesichtspunkten:
Was unternimmt das Bundesumweltministerium in seiner Politik, wenn man weiß, dass die Grenzwerte bei der
Luftbelastung ohne den Einsatz von Filteranlagen überschritten werden? Durch eine bundesweite Festlegung
auf den Einbau von Filtern könnte man die Luftreinhaltung beeinflussen. Ich gehe noch weiter und frage: Denken Sie darüber nach, nicht nur - wie von Ihnen gerade
in Aussicht gestellt - eine bundesweite Regelung zu veranlassen, sondern auch die Werte zu verschärfen?
Noch einmal: Wir haben zwei Verhandlungsstränge.
Der eine ist das Arbeitsprogramm für den Abschluss der
europäischen Arbeiten am BVT-Merkblatt zur Intensivtierhaltung. Der zweite Arbeitsstrang ist die Industriemissionsrichtlinie; da geht es in diesem Zusammenhang
um die Differenzierung von Kapazitätsschwellen für
verschiedene Tierarten usw. usf. Diese beiden Dinge
werden 2014 so weit sein, dass wir sie bei der Umsetzung in nationales Recht in die TA Luft einarbeiten können. Bis dahin meinen wir, dass die jetzige bestehende
Regelung, abgesprochen auf der Agrarministerkonferenz
vom März 2013, ausreichend ist. Danach planen wir eine
kompakte Weiterentwicklung der TA Luft.
Vielen Dank. - Die Fragen 3 und 4 der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet. Die
Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Marco Bülow hätten
beantwortet werden können, wenn der Kollege Bülow
anwesend wäre. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 7 und 8 des Kollegen
Schwabe werden ebenso wie die Fragen 9 und 10 des
Kollegen Krischer schriftlich beantwortet. Die Fragen 11
und 12 des Kollegen Ott, die Fragen 13 und 14 der Kollegin Vogt sowie die Frage 15 des Kollegen Fell werden
schriftlich beantwortet.
Damit haben wir den Geschäftsbereich des Umweltministeriums abgearbeitet. Ich bedanke mich bei Frau
Reiche.
Nach nicht wortgenauer, aber sinngemäßer Umsetzung unserer vereinbarten Verfahrensabläufe kommen
wir jetzt vereinbarungsgemäß zu den Fragen 12 bis 15
des Kollegen Schwanitz auf Drucksache 17/13697, bei
denen es erkennbar ein Missverständnis gegeben hat, das
wir durch freundliches Einvernehmen mit dem Kollegen
Kossendey klären können, der zur Beantwortung dieser
Fragen zur Verfügung steht:
12. Welche Baumaßnahmen sind beim Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“ zur Aufnahme der Euro Hawk
und Global Hawk realisiert worden, und welche Kosten sind
dabei entstanden?
13. Welche Nutzung ist für die für den Euro Hawk gebauten Hallen nach dem Scheitern des Projekts vorgesehen, und
welche Betriebskosten entstehen?
14. Welche Verpflichtungen ist die Bundesregierung gegenüber der NATO beim Beschaffungsprojekt AGS eingegangen?
15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich einer regulären Musterzulassung für die beabsichtigte Beschaffung von vier Global Hawk?
Bitte schön.
Nach unserer Geschäftsordnung - hier geht es ja um
schriftliche Fragen, die nicht fristgemäß beantwortet
worden sind - stelle ich jetzt die Frage, warum diese
Fragen nicht fristgemäß beantwortet worden sind.
Lieber Kollege Schwanitz, Sie wissen, dass aufgrund
der Entscheidung des Ministers all die Dinge, die mit
Euro Hawk zusammenhängen, in einem zusammenfassenden Bericht für die heutige Sitzung des Verteidigungsausschusses aufgearbeitet wurden. Weil bei uns Sorgfalt
vor Eile geht, haben wir gesagt: Lasst uns alle schriftlichen Fragen, die uns vorliegen, zurückstellen, damit alle
Antworten, die wir auf diese schriftlichen Fragen geben,
auch wirklich mit dem Bericht, den der Minister im Verteidigungsausschuss gibt, übereinstimmen.
Dass es dabei auch bei Fragen zu Verzögerungen
kam, die möglicherweise schon vorher hätten beantwortet werden können, will ich gerne einräumen und bitte
ich, zu verzeihen, aber aus Gründen der Gleichbehandlung haben wir alle schriftlichen Fragen für heute Morgen zurückstellen lassen.
Kollege Schwanitz.
In meiner ersten Nachfrage will ich eine Aussage des
Ministers aus seinem Bericht - seinen Bewertungen und
Konsequenzen - von heute ansprechen und zwei Sätze
zitieren, in denen er sich dazu äußert und mit denen er
auf meine Frage Bezug nimmt. Er schreibt:
Es wurde in den vergangenen drei Wochen oft gefragt, warum das Ministerium oder ich auf berechtigte Fragen und berechtigte Kritik nicht antworten.
Die Diskussion von Einzelheiten wird aber dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit an Gesamtaufklärung nicht gerecht.
Mit welcher Legitimation nehmen Sie sich das Recht,
mein Fragerecht als Abgeordneter zurückzusetzen und
zu beurteilen, welche Diskussion von Einzelheiten zu
welchem Zeitpunkt im Interesse der Öffentlichkeit ist?
Herr Kollege Schwanitz, ich bin mir sicher, dass der
Minister damit nicht die nach der parlamentarischen Geschäftsordnung eingereichten schriftlichen Fragen, sondern die in der Öffentlichkeit, in der Presse, von den Medien erhobenen Fragen gemeint hat.
Weitere Zusatzfrage.
Ich habe die Regierungspressekonferenz der vergangenen Woche nachgelesen, bei der der Pressesprecher
Ihres Ministeriums auch nach diesem Thema befragt
wurde. Dort hat der Pressesprecher Ihres Hauses nicht
nur mitgeteilt, dass ich von Ihnen einen Brief bekommen
habe, in dem mir mitgeteilt worden ist, dass diese vier
schriftlichen Fragen nicht fristgemäß beantwortet werden, sondern auch, dass Sie zugleich auch den Bundestagspräsidenten angeschrieben und ihn um eine Fristverlängerung gebeten haben.
Mit welcher Legitimation bitten Sie den Bundestagspräsidenten und nicht mich, den Inhaber des Fragerechts,
um eine Fristverlängerung?
Ich weiß nicht, was Herr Paris in der Pressekonferenz
gesagt hat; das liegt mir im Augenblick auch nicht vor.
Wir haben durch Anschreiben der Abgeordneten versucht, den ganz normalen, üblichen Weg, den wir sonst
auch immer gehen, einzuhalten. Der Kollegen Christian
Schmidt hat das in Ihrem Falle, meine ich, auch getan.
({0})
Na gut. - Das Thema wird heute und morgen ja auch
an anderer Stelle weiter verfolgt.
Ich will nur, weil wir darüber ja offenkundig auch gar
keine Meinungsverschiedenheit haben und hoffentlich
auch keine bekommen werden, noch einmal festhalten,
dass die Regierung für die in der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages festgelegten Fristen kein eigenes Dispositionsrecht hat.
({0})
Wenn es denn - was übrigens im Einzelfall vorkommt entweder zwingende Gründe gibt, die die Einhaltung der
Frist nicht ermöglichen, oder jedenfalls nachvollziehbare Überlegungen, die zu einer anderen Handhabung
Anlass geben, ist in jedem Fall ein Benehmen mit den
Fragestellern bzw. den Fraktionen herbeizuführen. Jedenfalls kann die Regierung das nicht anstelle des Parlaments entscheiden.
({1})
Damit haben wir diesen Fragenkomplex abgearbeitet.
Ich danke nochmals für die Bereitschaft auf beiden
Seiten, das jetzt ein bisschen in die Fragestunde einzufädeln.
Wir fahren in der Reihenfolge der Fragestunde mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fort. Hier steht der Kollege Rachel
für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Brase sowie die
Fragen 18 und 19 des Kollegen Gerdes werden schriftlich beantwortet. Die Kollegin Burchardt, die die Fragen
20 und 21 gestellt hat, sehe ich nicht. Es wird verfahren,
wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die
Fragen 22 und 23 des Kollegen Schulz sollen ebenfalls
schriftlich beantwortet werden.
({2})
- Das setzt voraus, dass die Regierung flexibel genug ist,
eine Frage, die gar nicht mehr für die mündliche Beantwortung vorgesehen war, zu beantworten. - Geht das?
Ja.
Der Kollege Rachel bemüht sich also, die Frage aus
der Hüfte heraus präzise, abschließend und zur allgemeinen Begeisterung zu beantworten.
({0})
Ich rufe also Frage 22 auf:
Handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung um
einen Zufall, dass der „nanoTruck“ bis zur Bundestagswahl
unter anderem die Wahlkreise von drei Parlamentarischen
Staatssekretären - Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Bundesministerium für Gesundheit -,
von dem im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
für das Bundesministerium für Bildung und Forschung zuständigen Berichterstatter der Fraktion der CDU/CSU, von
dem für Bildung und Forschung zuständigen stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, von drei Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen
Bundestages, von zwei stellvertretenden Mitgliedern der
CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages sowie den Wahlkreis der Bundeskanzlerin besucht?
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege
Schulz, es wird so geplant, dass der „nanoTruck“ in allen
Regionen des Landes - in großen Städten, in kleinen
Städten, in ländlichen Gebieten - zum Einsatz kommen
kann. Anfragen zum Einsatz des „nanoTrucks“ erfolgen
über die Internetseite www.nanotruck.de. Die ganz überwiegende Zahl der Anträge kommt von Schulen und öffentlichen Einrichtungen, die ein Interesse daran haben,
mit dem „nanoTruck“ das Thema Nanotechnologie
sichtbar zu machen sowie die Chancen und Risiken zu
diskutieren. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von
Terminen, die das Bundesforschungsministerium mit
dem „nanoTruck“ wahrnimmt, beispielsweise den Tag
der offenen Tür im Bundesforschungsministerium, aber
auch Präsenzen des Bundesforschungsministeriums auf
Messen wie der CeBIT oder der Hannover Messe.
Schließlich - das sind allerdings nur ganz wenige Fälle gibt es auch Anfragen, die darauf beruhen, dass Abgeordnete angesprochen werden, bei denen also Standorte
über Abgeordnete vermittelt werden. Diese Anfragen
werden selbstverständlich unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Abgeordneten bearbeitet und umgesetzt.
Wir sind insgesamt sehr froh, dass es ein breites Interesse gibt, das Angebot des „nanoTrucks“ wahrzunehmen. Alle sind herzlich eingeladen, ihr Interesse zu bekunden.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Parlamentarischer Staatssekretär. Nach meinen Informationen ist es so, dass der „nanoTruck“ bis zur Bundestagswahl noch 18 Standorte besucht. 17 dieser 18 Standorte liegen in Wahlkreisen, in denen Abgeordnete von
der CDU/CSU direkt gewählt worden sind. Nur bei eiSwen Schulz ({0})
nem Standort ist das anders; das ist der Wahlkreis der
Kollegin Rosemarie Hein von den Linken. Aufgrund der
zufälligen Häufung, wie Sie sagen, stellt sich die Frage
- es gibt doch sicherlich sehr viel mehr Anfragen nach
dem „nanoTruck“, als Besuche durchgeführt werden
können -: Nach welchen Kriterien werden die Anfragen
aussortiert? Wie und von wem wird entschieden, wo der
„nanoTruck“ tatsächlich hält? Ich frage das auch vor
dem Hintergrund - wenn ich das sagen darf, Herr Staatssekretär -, dass der „nanoTruck“ ausgerechnet in Ihrem
Wahlkreis zweimal hält.
Herr Schulz, Ihrer Frage liegt ein Missverständnis zugrunde, nämlich das Missverständnis, dass der „nanoTruck“ zu Abgeordneten kommt. Das tut er nicht.
Vielmehr kommt er zu denen, die ihn anfragen, zu Einrichtungen und Schulen, die das Informationsangebot
des „nanoTrucks“ wahrnehmen wollen.
Wenn Sie bedauern, dass es nicht so viele direkt gewählte Abgeordnete der SPD gibt, so kann ich das nachvollziehen - es gibt 63 direkt gewählte Abgeordnete der
SPD und 211 direkt gewählte Bundestagsabgeordnete
der CDU/CSU; das sei nur der Vollständigkeit halber gesagt -, aber das ist für die Frage völlig irrelevant; denn
Antragsteller sind die Einrichtungen und die Schulen,
die sich um den „nanoTruck“ bemühen.
Sie haben nach den Kriterien gefragt. Selbstverständlich freuen wir uns über jede Anfrage. Bei der Planung
geht es unter anderem auch um Logistik; Norden und
Süden müssen in eine Reihenfolge gebracht werden.
Selbstverständlich sind alle Anfragen - von SPD, Grünen, Linkspartei, FDP und CDU/CSU-Fraktion, soweit
sie vorgelegen haben - beantwortet und positiv beschieden worden.
Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Danke schön. - Herr Staatssekretär Rachel, Sie sagen,
der „nanoTruck“ komme nicht zu den Abgeordneten,
sondern zu den Schulen. Da dieser Truck zwei Standorte
in Ihrem Wahlkreis besuchen wird, frage ich Sie: Planen
Sie, an den Veranstaltungen des „nanoTrucks“ in Ihrem
Wahlkreis teilzunehmen?
Herr Kollege Schulz, ich freue mich sehr darüber,
dass es möglich ist, dass der „nanoTruck“ innerhalb der
gesamten Legislaturperiode an zwei Tagen hintereinander an zwei Schulen in meinem heimatlichen Kreis hält.
Selbstverständlich werde ich den Schülerinnen und
Schülern als Staatssekretär im Bundesforschungsministerium Rede und Antwort stehen, so wie ich das auch an
anderen Standorten des „nanoTrucks“, soweit mir das
zeitlich möglich war, getan habe.
Der „nanoTruck“ bietet eine gute Möglichkeit, sich
mit den Chancen und Risiken der Nanotechnologie
auseinanderzusetzen. Es ist gut, dass dieses sachliche Instrumentarium deutschlandweit angeboten wird.
Herr Rossmann, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade versucht, die
Relation von 17:1 zu erklären, was die direkt gewonnenen Wahlkreise von CDU/CSU-Abgeordneten angeht.
Ich will Sie ganz präzise fragen: Sind alle Abgeordneten,
und zwar unterschiedlos, darauf hingewiesen worden,
dass der „nanoTruck“ in ihren Wahlkreis kommen
könnte? Sind die Abgeordneten von CDU/CSU - Sie
haben gesagt, dass sich diese an Sie gewandt hätten - genauso informiert worden wie alle übrigen Abgeordneten,
oder hat es für sie eine spezielle Information gegeben?
Eine weitere Frage. Sie tun so, als könne man den
„nanoTruck“ jetzt noch anfordern. Wie realistisch ist die
Umsetzung? Wenn diese Möglichkeit noch besteht, würden Sie das dann bitte an alle Abgeordneten weitergeben, sodass eine realistische Chance besteht, dass sich in
Deutschland die Debatte über das Zukunftsthema Nanotechnologie nicht einseitig, nach Parteifarben sortiert,
abbildet?
Herr Kollege Dr. Rossmann, Ihren Unterton weise ich
mit aller Klarheit zurück. Die Relation habe nicht ich
zum Gegenstand gemacht, sondern Sie.
({0})
Ich weise darauf hin, dass keine Fraktion in irgendeiner
Weise eine Extrainformation über den „nanoTruck“ bekommen hat. Die Abgeordneten - Sie gehören dem
Forschungsausschuss seit vielen Jahren an -, aber auch
viele andere wissen selbstverständlich, dass sie sich über
den „nanoTruck“ informieren können. Ich habe die
Homepage bereits angegeben. Sie können sich den „nanoTruck“ im Übrigen auch über die Homepage des
BMBF zu eigen machen und dort Ihre Wünsche äußern.
Wir freuen uns sehr darüber, dass sich Abgeordnete
dafür interessieren. Es handelt sich aber um eine kleine
Minderheit; nur 5 Prozent aller Anfragen zu dem
„nanoTruck“ kommen über Abgeordnete. Sie werden
genauso bearbeitet wie die Anfragen der verschiedenen
öffentlichen Einrichtungen und Schulen. Ausgangspunkt
ist eine vorliegende Anfrage. Alle Anfragen werden bearbeitet und umgesetzt. Dieses Angebot ist präsent; es ist
im Internet abrufbar. Man kann seinen Wunsch äußern.
Wir freuen uns, dass das in der Vergangenheit viele
wahrgenommen haben.
Jetzt muss ich Herrn Schulz fragen, ob er auch
Frage 23 mündlich beantwortet haben möchte.
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Sie soll schriftlich beantwortet werden.
Dann rufe ich Frage 24 des Kollegen Rossmann auf:
In welcher Höhe plant das Bundesministerium für Bildung
und Forschung Haushaltsmittel im Haushalt für die kommunikative Begleitung der Hightech-Strategie, HTS, für 2014 vorzusehen, und welche Verbesserungen in der kommunikativen
Begleitung der HTS plant das BMBF angesichts der Kritik
des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, DIHK
({1}), der festgestellt
hat, dass nur ein Drittel der Unternehmen die Zukunftsprojekte der HTS kennt?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Rossmann, Sie haben in Ihrer Frage
zwei Themen angesprochen. Das Verfahren zur Aufstellung des Regierungsentwurfs zum Bundeshaushalt 2014
ist noch nicht abgeschlossen. Insofern kann ich Ihnen
noch keine genauen Auskünfte zur kommunikativen Begleitung der Hightech-Strategie geben.
Was die DIHK-Einschätzung angeht, möchte ich auf
Folgendes hinweisen: Die in der DIHK-Publikation genannte Umfrage erfolgte im Oktober 2012, sieben
Monate nach der Verabschiedung des Aktionsplans der
Bundesregierung zu den Zukunftsprojekten der Hightech-Strategie im März 2012. Der Aktionsplan markiert
den Übergang von der konzeptionellen Entwicklung der
Zukunftsprojekte zur konkreten Umsetzung durch alle
Innovationsakteure in Deutschland. Wenn nach dieser
relativ kurzen Zeit bereits ein Drittel der befragten
Unternehmen die Zukunftsprojekte kennt, ist dies nach
Einschätzung der Bundesregierung eher ein Beleg für
die Sichtbarkeit und Akzeptanz als für das Gegenteil. In
der Zwischenzeit sind Zukunftsprojekte wie „Industrie 4.0“ zum Beispiel durch die Hannover Messe auch
den interessierten Zeitungslesern bekannt.
Es gibt eine Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, da Sie sagen, dass erst ab 2012 der
Begriff der Hightech-Strategie im Bereich der Wirtschaft
aufgenommen werden konnte, muss ich Sie fragen, ob
dies tatsächlich das Datum ist, an dem das erste Mal seitens einer Regierung davon gesprochen worden ist. Ich
erinnere mich daran, dass die Ministerin Schavan, die
2012 schon eine gewisse Zeit im Amt war, viel länger davon gesprochen hat, dass in Deutschland endlich eine
Hightech-Strategie mit allen programmatischen Zuspitzungen aufgebaut worden sei. Darauf bezieht sich natürlich auch die Umfrage des DIHK. Von daher noch einmal
die Frage: Wie kann man diese Hightech-Strategie, die
vernünftig ist, parteiübergreifend so profilieren, dass sie
tatsächlich bei den Partnern in der Wirtschaft ankommt?
Ein Drittel ist als Ergebnis sicherlich etwas mager.
Herr Kollege Dr. Rossmann, hier unterliegen Sie in
gewisser Weise einem Missverständnis; denn die
Stellungnahme des DIHK beruht auf der Aussage dazu,
welche Zukunftsprojekte der Hightech-Strategie den
Unternehmen bekannt sind. Die Zukunftsprojekte sind
allerdings erst in der zurückliegenden kurzen Zeit entwickelt worden. Insofern kommen wir zu der Einschätzung, dass sehr erfreulich ist, wie viele Unternehmen die
Zukunftsprojekte der Hightech-Strategie kennen.
Überhaupt haben wir feststellen können, dass die
Hightech-Strategie deutliches Interesse in der Wissenschaft, an den Hochschulinstituten, aber auch in der
Wirtschaft gefunden hat. Wir haben so viele Kooperationen zwischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen
und Hochschulinstituten auf den Weg bringen können,
wie es das in der Form - jedenfalls nach meiner Erinnerung - noch nicht gegeben hat. Insofern sind wir, glaube
ich, auf gutem Wege. Selbstverständlich sind wir aber
dabei, auch die Vermarktung des Gesamten noch zu intensivieren.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.
Ich habe noch eine Nachfrage. Sie insinuieren, dass es
allein darum ging, nach den konkreten Zukunftsprojekten zu fragen. Ich will die Frage umgekehrt stellen: Haben Sie irgendeinen Hinweis dafür, dass deutlich mehr
Unternehmen wissen, was die Hightech-Strategie ist?
Ihre Antwort legt ja nahe, dass zwei Drittel oder sogar
alle wissen, was die Hightech-Strategie ist, sie lediglich
die Zukunftsprojekte nicht genau benennen können. Ich
glaube, so darf man das, was der DIHK gefragt hat, nicht
interpretieren.
Ich interpretiere nicht. Ich beziehe mich ausschließlich auf das, was der DIHK formuliert hat. Er hat sich
auf die Zukunftsprojekte der Hightech-Strategie bezogen. Es steht mir nicht an, dies umzuinterpretieren. Ich
bleibe bei dem, was der DIHK als Bezugspunkt genommen hat, soweit mir das bekannt ist. Insofern bleibt die
Aussage korrekt.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Rossmann auf:
Mittels welcher Nachweise/Gutachten/wissenschaftlichen
Analysen kann die Bundesregierung den direkten Zusammenhang zwischen der Hightech-Strategie und der Zunahme der
Beschäftigungszahlen in Forschung und Entwicklung in
Deutschland belegen ({0})?
Herr Kollege Dr. Rossmann fragt nach dem Zusammenhang zwischen der Hightech-Strategie und der Zunahme der Beschäftigtenzahlen im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Es ist tatsächlich so: In Deutschland
hat es einen Personalaufwuchs im Bereich Forschung
und Entwicklung gegeben. Rund 92 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich haben im Bereich „Forschung und Entwicklung“ in den Jahren 2005 bis 2011
Arbeit gefunden, stehen seitdem in Lohn und Brot. Diese
Steigerung setzt sich zusammen aus einer Steigerung der
Beschäftigtenzahlen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen - das macht rund 47 000 Stellen aus - sowie
einer Steigerung der Beschäftigtenzahlen in Unternehmen um rund 45 000.
Die Zusammenhänge zwischen einem Ausbau der öffentlichen Förderung von Forschung und Entwicklung
und einem Aufwuchs der Kapazitäten in der Wirtschaft
werden in einer Reihe von Studien und Gutachten ausführlich erläutert. Ich werde Ihnen gerne im Nachgang
zu der heutigen Sitzung eine Liste dieser Studien zukommen lassen.
Vielleicht noch eine Bemerkung zu der Hebelwirkung
der staatlichen Forschungs- und Innovationspolitik. Nach
unserem Eindruck geschieht das auf verschiedenen Wegen. Hier ist zunächst die direkte Wirkung der FuE-Förderprogramme in der Wirtschaft selber zu nennen, welche
für Deutschland positiv evaluiert wurde. Zweitens ist die
Impulswirkung eines Ausbaus der öffentlichen Grundlagenforschung für die im FuE-Bereich tätigen Unternehmen zu nennen, für die Partner im Wissens- und Technologietransfer insgesamt. Schließlich ist auch die Signalund Impulswirkung staatlicher FuE-Politik zu nennen.
Denken Sie nur an das klare Commitment der Bundesregierung, an Aktivitäten und Förderung im Bereich der
Elektromobilität oder die Förderung von Spitzenclustern.
Dies alles dient auch als Leitplanke, als Orientierung für
private FuE-Investitionen.
Wahr ist natürlich auch, dass Investitionen im Bereich
Forschung und Entwicklung letztlich Folge unternehmerischer Entscheidungen sind, die einer Vielzahl von Faktoren unterliegen. Nach der Untersuchung des DIW sind
hier unter anderem die Situation auf den Technologiemärkten, aber auch konjunkturelle Faktoren und schließlich Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung von Rahmenbedingungen zu nennen. Insgesamt kommt man zu
dem Ergebnis, dass die innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen, die wir in den letzten Jahren mithilfe
der Bundesregierung in Deutschland geschaffen haben,
für den Bereich Forschung und Entwicklung eine stimulierende Wirkung haben, auch was die Beschäftigung
von F-und-E-Personal angeht.
Herr Rossmann, bitte.
Das, was Sie eben gesagt haben, ist alles wohlfeil.
Niemand bezweifelt, dass es Zusammenhänge gibt. Hier
wurde aber nach den direkten Zusammenhängen gefragt.
Es wurde auch um Aufklärung hinsichtlich eines breiten
Zahlenhorizonts gebeten. In Diskussionen hören wir
immer wieder, dass die Hightech-Strategie zwischen
100 000 und 400 000 zusätzliche Arbeitsplätze in der
Wissenschaft generiert hätte etc. Deshalb wäre es gut gewesen, wenn Sie nicht die Übersendung schriftlicher
Gutachten und Expertisen in Aussicht gestellt hätten,
sondern präzise gesagt hätten, auf welche wissenschaftliche Untersuchung genau Sie welche Zahlen gründen.
Ich muss Ihnen zugestehen, dass Sie an dieser Stelle passen, weil Sie das eigentlich Interessante nachreichen
werden. Das Übrige hat man mit Wohlgefallen noch einmal gehört; aber es war im Grunde nichts Neues. Die
Frage zielte auf den präzisen Zusammenhang und die
gutachterliche Belegung von Zahlen in einem immens
weiten Spread.
Die Formulierung „weiter Spread“ möchte ich mir
nicht zu eigen machen. Ich bleibe bei den belegten Zahlen. Die belegten Zahlen sind 92 000 zusätzlich Beschäftigte in Forschung und Entwicklung. Das ist der
Bezugspunkt, den ich in einer konservativen Schätzung
wahrnehme. Ganz ohne Zweifel wären die 47 000 zusätzlich Beschäftigten in den Forschungseinrichtungen
und in den Hochschulen ohne staatliche Finanzierung
und Aktivität - ich formuliere es bewusst so allgemein nicht denkbar. Durch die Förderaktivitäten auch im Rahmen der Hightech-Strategie ist bei den Unternehmen
eine entsprechende Wirkung erzielt worden. Die Liste
der einzelnen Gutachten wird Ihnen im Nachgang zur
Verfügung gestellt werden.
Sie haben keine weitere Nachfrage, Herr Rossmann? Gut.
Die Fragen 26 und 27 des Kollegen René Röspel werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 28 und 29
des Kollegen Klaus Hagemann, die Fragen 30 und 31
der Kollegin Marianne Schieder, die Fragen 32 und 33
des Kollegen Oliver Kaczmarek sowie die Fragen 34
und 35 der Kollegin Christel Humme.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Britta Haßelmann werden
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Staatsminister Link steht zur Beantwortung bereit.
Die Frage 38 des Kollegen Tom Koenigs wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Warum sprach die Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag unzutreffend von einer Verbesserung der Sicherheitslage in Afghanistan sowie
der Kampfbereitschaft der afghanischen Sicherheitskräfte
ANSF, während der Konteradmiral Rainer Brinkmann gegen30632
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
über Journalisten nun eingestand, dass 2012 die Zahl „sicherheitsrelevanter Zwischenfälle“ allein in der Nordregion gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent auf 1 228 rapide
angestiegen sei ({0}), und obwohl der Generalinspekteur Volker Wieker einige Bundestagsabgeordnete vertraulich darüber unterrichtete, bei dem
tödlichen Angriff auf deutsche KSK-Soldaten am 4. Mai 2013
seien die zuvor von Deutschen ausgebildeten begleitenden 25
afghanischen Elitepolizisten, PRC, zweimal „unkoordiniert“
geflüchtet ({1}), was zuvor das Bundesministerium der Verteidigung in seiner offiziellen Unterrichtung des Parlaments 19/13 vom 7. Mai 2013 dem Deutschen
Bundestag verschwiegen hatte, und ist die Bundesregierung
endlich bereit, der deutschen Öffentlichkeit nun die volle
Wahrheit über die Sicherheitsentwicklung in Afghanistan dahin gehend einzugestehen, dass vermeintliche Fortschritte in
der Nordregion zumindest nicht mehr bestehen, die Bemühungen darum während der letzten Jahre alles in allem vergeblich waren und die ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte nun in „Absetzbewegungen“ zu den Taliban
überlaufen ({2})?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Ströbele, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Sicherheitslage in Afghanistan muss nach wie vor sehr
differenziert betrachtet werden. Sie bietet weiterhin ein
extrem heterogenes Bild, das sich in jedem Regionalkommando von Provinz zu Provinz und von Distrikt zu
Distrikt unterschiedlich darstellt. Deshalb ist eine landesweit einheitliche Bewertung kaum möglich. Maßgeblich ist aber: Trotz der Neuzählung der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle und der daraus resultierenden
Ergebnisse ergibt sich für uns keine Änderung der Einschätzung der Gesamtlage in Afghanistan.
Herr Ströbele, eine Nachfrage? - Bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich bin ja Kummer gewöhnt. Ich hatte schon heute Morgen im Auswärtigen
Ausschuss das zweifelhafte Vergnügen, eine ähnliche
Antwort zu bekommen. Ich habe aber ziemlich konkret
gefragt. Deshalb frage ich Sie hier noch einmal: Will die
Bundesregierung nach wie vor behaupten, dass es sich
bei den von der deutschen Polizei ausgebildeten Einheiten der Sicherheitskräfte in Afghanistan um zuverlässige
Verteidiger der Sicherheit der Bevölkerung handelt? Was
schließt die Bundesregierung aus dem Vorfall vom
4. Mai 2013 - auf diesen nehme ich hier Bezug -, bei
dem 25 Elitepolizisten, die von Deutschen ausgebildet
worden sind, beim Beginn eines Schusswechsels fluchtartig das Gelände verlassen und sich etwa 700 Meter entfernt haben und die deutschen Soldaten offenbar alleingelassen haben? Später soll sich ein ähnlicher Vorfall
ereignet haben.
Nehmen Sie doch konkret Stellung dazu! Erstens.
Stimmt das so? Zweitens. Was schließt die Bundesregierung hinsichtlich der Ausbildung und der Zuverlässigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte daraus?
Herr Kollege Ströbele, selbstverständlich sind die
afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht ausreichend
- im Sinne von abschließend - befähigt und ausgebildet.
Wir haben beim Aufbau handlungsfähiger, zuverlässiger
und wirklich starker und rechtsstaatlich handelnder
afghanischer Sicherheitskräfte immer noch große Aufgaben zu bewältigen. Aber wir sollten trotz punktueller
Rückschläge sehen, dass große Fortschritte erzielt worden sind.
Die afghanischen Sicherheitskräfte - ANSF, wie man
es so schön offiziell abkürzt - sind natürlich noch nicht
mit den Kräften, die sie ausbilden, Bundeswehr, Bundespolizei oder Landespolizei, vergleichbar. In einer Vielzahl von Bereichen werden die Fähigkeiten weiter verbessert. Vor diesem Hintergrund haben wir uns klar dazu
bekannt - ich möchte nicht darum herumreden, Herr
Kollege Ströbele, und hoffentlich keine enttäuschende
Antwort geben -, dass die afghanischen Sicherheitskräfte auch nach 2014 unsere Hilfe in Form von Ausbildung, Beratung und Unterstützung brauchen und dass
wir bereit sind, ihnen weiterhin zur Seite zu stehen.
Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage in der Sache immer noch nicht beantwortet. Stimmt der Vorfall,
so wie ich ihn in meiner Frage schildere, und hat die
Bundesregierung daraus konkrete Schlussfolgerungen
gezogen?
Ich will das erweitern - auch das steht in der Frage;
auch dazu habe ich noch keine Silbe von Ihnen gehört -:
Stimmt es, dass von den afghanischen Sicherheitsbehörden erhebliche Verluste, viel größere als früher, zu tragen sind und dass sich die Zahl der Getöteten im Jahr
2012 von vier auf sechs pro Tag, also um 50 Prozent, erhöht hat? Will die Bundesregierung daraus nicht endlich
Schlussfolgerungen ziehen?
Herr Kollege Ströbele, einer der Hauptgründe für die
Zunahme der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle ist aus
unserer Sicht in der Zunahme der Tätigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte im Regionalkommando Nord zu
sehen. Wenn man die ersten zwei Monate der Jahre 2012
und 2011 vergleicht, stellt man fest, dass sich die Operationstätigkeit erheblich erhöht hat, insbesondere in der
Provinz Faryab. Insofern ist der Anstieg der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle für uns eine direkte Folge der
erweiterten Stabilisierungsbemühungen und der aktiven
bewaffneten Einsätze der afghanischen Sicherheitskräfte. Diese verstärkte Einsatzzahl kommt bedauerlicherweise auch in einer messbaren Zunahme von Zwischenfällen zum Ausdruck. Ich möchte aber sagen: Dass
der Zwischenfall so, wie Sie ihn in Ihrer Frage beschreiben, stattfand, bestreiten wir.
Die Fragen 40 und 41 des Kollegen Dr. Rolf
Mützenich werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 42 der Kollegin Heike
Hänsel:
Wie erklärt die Bundesregierung ihre Unkenntnis in Bezug
auf die US-Drohnen-Kriegsführung von deutschem Boden
aus, das heißt von der US-Militärbasis Ramstein und dem
AFRICOM Stuttgart ({0})?
Bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Hänsel,
diese Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung sind aus den vergangenen Jahren Medienberichte
über Einsätze unter anderem von bewaffneten unbemannten Luftfahrzeugsystemen - „US-Drohnen“, wie
Sie sie in Ihrer Frage nennen -, in der Republik Somalia,
die den Vereinigten Staaten von Amerika zugeschrieben
wurden, bekannt. Darüber hinausgehende eigene gesicherte Erkenntnisse zu von US-Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland angeblich geplanten oder geführten Einsätzen liegen der Bundesregierung jedoch
nicht vor. Gemäß Art. II des NATO-Truppenstatuts haben Streitkräfte aus NATO-Staaten „das Recht des Aufnahmestaates zu beachten und sich jeder mit dem Geiste
des NATO-Truppenstatuts nicht zu vereinbarenden Tätigkeit zu enthalten“.
Frau Hänsel, haben Sie eine Nachfrage?
Ja.
Bitte.
Danke für die Antwort. Aber wollen Sie damit uns
und der Bevölkerung sagen, dass Sie nicht wissen, was
in den US-Militärstützpunkten in Deutschland passiert,
was dort geplant wird, und dass Sie keinen Zugang zu
Informationen haben, während Journalisten der Süddeutschen Zeitung und von Panorama Zugang zu Informationen bekommen haben? Wollen Sie der Bevölkerung
allen Ernstes erklären, dass Sie keine Ahnung haben,
was in den US-Militärstützpunkten in Deutschland passiert?
Frau Kollegin, ein regelmäßiger Informationsaustausch bezüglich der konkret laufenden aktuellen bzw.
täglichen Aktivitäten der US-Streitkräfte in Deutschland
findet nicht statt. Die Bundesregierung führt mit den USamerikanischen Partnern allerdings einen kontinuierlichen, sehr vertrauensvollen und offenen Dialog darüber,
auch zuletzt beim Besuch des Bundesministers des Auswärtigen in Washington.
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Frau Hänsel?
Ja.
Bitte.
Danke schön. - Nun liegen diese Informationen ja
vor; sie sind in der Öffentlichkeit. Meine konkrete
Frage: Welche weiteren Schritte werden Sie einleiten?
Werden Sie sich jetzt Kenntnis darüber verschaffen, was
an diesen Informationen der Medien dran ist? Werden
Sie gegebenenfalls auch strafrechtlich vorgehen?
Schließlich gibt es die gesetzliche Grundlage, dass völkerrechtswidrige Akte, die von deutschem Boden ausgehen, strafbar sind. Es ist strafbares Handeln, von deutschem Boden aus völkerrechtswidrige Akte zu begehen
und Angriffskriege gegen andere Länder zu führen. Sie
machen sich auch strafbar, wenn Sie nichts tun und das
tolerieren. Meine Frage: Wie werden Sie jetzt vorgehen
- politisch und auch strafrechtlich -, um solche völkerrechtswidrigen Akte zu unterbinden?
Frau Kollegin, im Rahmen des Austauschs mit den
Vereinigten Staaten von Amerika über völkerrechtliche
Fragen wird mit allen Teilen der US-Regierung auch genau über die Frage des Einsatzes von Drohnen gesprochen. Dabei hat die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung sehr klar erläutert, wie wir sie im Übrigen auch
schon mehrfach in Antworten auf parlamentarische Anfragen dargestellt haben. Wir sind klar der Meinung
- das hat Außenminister Westerwelle bei seinem Besuch
in Washington gegenüber seinem Amtskollegen Kerry
auch noch einmal klar angesprochen -, dass es wichtig
ist, dass alles im Rahmen des Völkerrechts erfolgen
muss. Der amerikanische Außenminister hat Herrn
Westerwelle daraufhin versichert, dass jedwedes Handeln der USA - auch von deutschem Staatsgebiet aus streng nach den Regeln des Rechts und des Völkerrechts
erfolgt.
Der Kollege Gehrcke hat eine Nachfrage.
Danke sehr, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
Botschafter Lucas hat im Auswärtigen Ausschuss heute
mitgeteilt, dass die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt von den USA weitergehende Informationen
über den Drohneneinsatz, der möglicherweise von Stuttgart oder von Ramstein aus gesteuert worden ist, angefordert hat. Kann ich daraus schlussfolgern, dass die
Bundesregierung die bisherigen Auskünfte der USA für
nicht ausreichend, für unzuverlässig hält, und ist die
Bundesregierung bereit, wenn sie weitergehende Informationen erhält, diese öffentlich zu machen?
Herr Kollege Gehrcke, der Grundsatz, dass von deutschem Staatsgebiet aus keine völkerrechtswidrigen militärischen Einsätze ausgehen dürfen, gilt ohne Wenn und
Aber. Deshalb hat die Bundesregierung auf verschiedenen Ebenen - das hat Ihnen Herr Lucas berichtet; genauso wie ich es hier dem Plenum berichte - noch einmal klar mit den amerikanischen Partnern gesprochen.
Ich wiederhole aber: Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Grundsatz nicht eingehalten wird.
Herr Schäfer, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
noch einmal zu Ihrer Antwort, dass der Bundesregierung
dazu gegenwärtig keine Erkenntnisse vorlägen. Meiner
Kenntnis nach sind im AFRICOM-Kommando in Stutt-
gart Verbindungsoffiziere der Bundeswehr tätig. Nun
gibt es drei Möglichkeiten: a) Die haben Erkenntnisse,
müssen aber schweigen. b) Die haben keine Erkennt-
nisse, weil sie bei solchen heiklen Fragen außen vor ge-
lassen werden. c) Die haben Erkenntnisse und haben
diese Erkenntnisse auch an die Bundesregierung weiter-
gegeben, aber Sie sagen nichts darüber. Was gilt nun, a),
b) oder c)?
Ich wiederhole noch einmal, was ich gesagt habe: Der
Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über völkerrechtswidrige Aktionen vor.
({0}), null!)
Herr Ströbele.
Herr Staatsminister, die Bundesregierung hat sich
heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss genauso um
Angaben gedrückt, wie Sie das jetzt wieder praktizieren.
Die Berichte in Panorama und in der Süddeutschen
Zeitung waren mit konkreten Anhaltspunkten unterlegt;
ich will sie nicht im Einzelnen aufzählen, weil ich nicht
so viel Zeit habe. Es handelt sich hierbei um mögliche
Beihilfe zum Mord, um mögliche Beihilfe zur Führung
eines Angriffskrieges. Beides sind Straftaten, die in
Deutschland mit der höchsten Strafe bedroht sind: mit
lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Deshalb frage ich Sie
ganz klar: Hat die Bundesregierung die US-Behörden
- insbesondere den US-Außenminister - ganz konkret
gefragt, ob AFRICOM oder AOC an mit Drohnen
durchgeführten Kill-Aktionen in Somalia in irgendeiner
Weise beteiligt ist, ja oder nein? Das können Sie doch
beantworten. Und wie war die Antwort der amerikanischen Stellen?
Herr Kollege Ströbele, ich kann nur noch einmal wiederholen: Wir haben die amerikanische Regierung noch
einmal ausdrücklich auf die in Deutschland geltende
Rechtslage und auf das Völkerrecht hingewiesen und haben sehr intensiv alle damit zusammenhängenden Fragen angesprochen.
Die Fragen 43 und 44 von Frau Dağdelen werden
schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 45 von Herrn
Seifert.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 46 und 47 von
Herrn Kilic werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 48 von Herrn Seifert
und die Frage 49 von Frau Jelpke werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 50 von Herrn
Hunko, die Fragen 51 und 52 von Frau Höll, die Fragen
53 und 54 von Herrn Troost und die Frage 55 von Herrn
Hofreiter werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe ist zur Beantwortung
hier.
Wir kommen zur Frage 56 der Kollegin Kipping:
Welche Vorarbeiten ({0}) liegen der Bundesregierung zur Ausführung ihrer Berichtspflicht nach § 10 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zur Weiterentwicklung der
Methode zur Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch aktuell vor, und wann
wird die Bundesregierung ihre politischen Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Vorarbeiten dem Deutschen Bundestag zur Debatte vorlegen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Kipping, Ihr Einverständnis voraussetzend, beantworte
ich Ihre beiden Fragen aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam.
Dann rufe ich auch die Frage 57 der Kollegin Kipping
auf:
Welche Vorschläge werden in diesen Vorarbeiten gemacht,
um die spezifischen Bedarfe von weiteren volljährigen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln, und wie bewerten diese Vorarbeiten den Status quo?
Die beiden Fragen beantworte ich Ihnen wie folgt:
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat für
den nach § 10 des Gesetzes zur Ermittlung der RegelbeParl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
darfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
zu erstellenden Bericht über die Weiterentwicklung der
für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden
Methodik zwei Forschungsprojekte im Rahmen von
nationalen freihändigen Vergaben mit öffentlichem
Teilnahmewettbewerb in Auftrag gegeben. Ein Forschungsprojekt bezieht sich auf eine mikroanalytische
Untersuchung zur Abgrenzung und Struktur von Referenzgruppen für die Ermittlung von Regelbedarfen auf
Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008.
Dieser Forschungsauftrag wird vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung durchgeführt. Im zweiten
Forschungsprojekt befassen sich Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum mit
der Überprüfung der bestehenden und Entwicklung
neuer Verteilungsschlüssel zur Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008.
Die zur Durchführung der Forschungsprojekte benötigten Daten und verschiedene Berechnungen wurden
vom Statistischen Bundesamt bereitgestellt. Die Ergebnisse werden derzeit aufbereitet und gehen in den Bericht ein. Der Bericht wird dem Deutschen Bundestag
rechtzeitig bis zum 1. Juli 2013 vorgelegt. Im Zuge der
Berichtslegung werden auch die erstellten Forschungsberichte veröffentlicht.
Frau Kipping, Sie können jetzt insgesamt vier Nachfragen stellen, weil beide Fragen zusammen beantwortet
worden sind. - Bitte schön, Ihre erste Nachfrage.
Weil es ein sehr komplexer Themenbereich ist,
möchte ich mich gerne auf einen Schwerpunkt konzentrieren. Im Zuge all dieser Beratungen, auch über die
Höhe der Hartz-IV-Regelsätze, hat es im Vermittlungsausschuss zu Hartz IV eine Protokollnotiz gegeben. Ich
zitiere aus der Protokollnotiz:
Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit
dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem
25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft.
Das Ziel war, sicherzustellen, dass der Regelsatz für
Menschen mit Behinderung, die mit den Eltern zusammenleben, nicht gekürzt wird.
Meine Frage ist, ob das in diesem Forschungsprojekt
eine Rolle gespielt hat, und wenn ja, welcher Weg der
Bundesregierung gewiesen wird, damit diese Protokollnotiz, die jetzt schon länger auf ihre Umsetzung wartet,
wirklich umgesetzt wird.
Frau Kollegin Kipping, selbstverständlich ist auch
diese Frage Gegenstand dessen, was hier zu erforschen
ist, wobei ich hier noch einmal darauf hinweise - Sie haben korrekt zitiert -: Es geht um eine Überprüfung mit
einem Ziel, in der Tat, aber es geht um eine Überprüfung
und nicht darum, eine Rechtfertigung für ein bestimmtes
Ziel zu finden.
Selbstverständlich ist dies Teil der Forschung, die hier
zu leisten ist. Es geht darum - so ist es in § 10 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes vereinbart -, wie sich die
Regelbedarfsstufen 2 und 3 und auch die Regelbedarfsstufen 4 bis 6 für Kinder verhalten. Das ist Gegenstand
eines dieser beiden Forschungsprojekte. Ich habe es Ihnen schon gesagt und wiederhole mich da gerne: Die
Forschungsergebnisse werden zusammen mit dem entsprechenden Bericht bis zum 1. Juli veröffentlicht.
Sie haben eine zweite Nachfrage, bitte sehr.
Ich möchte gerne nachfragen. Es ist so, dass es im
Zuge der Neuberechnung eindeutig zu einer Verschlechterung der Situation behinderter Menschen gekommen
ist, die mit anderen Erwachsenen zusammenleben, zum
Beispiel mit ihren Eltern. Hier ist es seit dem Jahr 2011
zu einer Kürzung um 20 Prozent gekommen.
Vor diesem Hintergrund frage ich nach der politischen
Absicht der Bundesregierung: Beabsichtigen Sie, diesen
Prüfauftrag schnell zu einem positiven Ergebnis zu führen?
({0})
Frau Kollegin Kipping, die von Ihnen gemachte Sachverhaltsdarstellung entspricht nicht der Wahrnehmung
der Bundesregierung und auch nicht der Rechtslage.
({0})
Ich bitte dafür um Verständnis.
Es gab schon nach früherer Rechtslage und es gibt
nach heutiger Rechtslage drei Unterscheidungsstufen für
Erwachsene, die hier Leistungen bekommen. Das sind
zum einen diejenigen, die einen Haushalt alleine führen
und einen Anspruch auf 100 Prozent des entsprechenden
Regelsatzes haben. Es gibt zum anderen diejenigen, die
einen Haushalt gemeinsam führen und jeweils Anspruch
auf 90 Prozent haben, und es gibt diejenigen, die als Erwachsene in einem Haushalt wohnen, ohne ihn allein
oder mit jemand anderem zu führen. Das sind die drei
Regelsätze, die es auch schon vor den entsprechenden
gesetzgeberischen Entscheidungen gegeben hat. Es gab
keine Lex specialis für Menschen mit Behinderungen,
sondern es hat diese Unterscheidung gegeben.
Es hat dann verschiedene Urteile gegeben, die Menschen mit Behinderungen erstritten haben. Sie haben
recht bekommen, weil das Gericht gesagt hat: Die
Gründe für die Unterscheidung, ob 80, 90 oder 100 Prozent des Regelsatzes zu zahlen sind, hat der Gesetzgeber
noch nicht ausreichend deutlich gemacht.
Das sind Gerichtsentscheidungen, die zu akzeptieren
sind. Es war aber vorher schon die Absicht des Gesetzgebers, bei Erwachsenen genau diese Unterscheidung
vorzunehmen: Führt ein Erwachsener einen Haushalt allein, führt er ihn gemeinsam mit jemand anderem, oder
lebt er mit in einem Haushalt, ohne ihn zu führen? Im
Zuge der gesetzlichen Änderungen ist dann genau diese
gerichtlich geforderte Klarstellung, worin der politische
Wille des Gesetzgebers besteht, auch eingefordert worden.
Von daher war das aus Sicht des Gesetzgebers und
aus Sicht der Bundesregierung die gerichtlich gewünschte erforderliche Klarstellung. Die Bundesregierung hält grundsätzlich eine solche Unterscheidung danach, ob jemand einen Haushalt alleine führt, ob er ihn
mit jemandem zusammen führt oder ob er in einem
Haushalt lebt, ohne ihn zu führen, für sachgerecht, weil
damit, wie, denke ich, unmittelbar einleuchtend ist, auch
unterschiedliche Kostenbelastungen verbunden sind.
Frau Kipping, Sie haben noch eine weitere Frage,
bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Angesichts Ihrer
Ausführungen steht die Frage im Raum, warum sich die
Bundesregierung überhaupt auf eine Protokollnotiz eingelassen hat, die das klare Ziel formuliert, sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung, die älter als
25 Jahre sind, tatsächlich den vollen Regelsatz bekommen. Deswegen ist meine Frage: Was sollte dann überhaupt die Protokollnotiz? Diente sie womöglich nur
dazu, die SPD mit einer vollkommen folgenlosen Notiz
zur Zustimmung zu bringen?
Frau Kollegin Kipping, gemäß unserer verfassungsmäßigen Ordnung in dem demokratischen Rechtsstaat,
in dem wir leben, gehören dem Vermittlungsausschuss
Vertreter des Bundestages und des Bundesrates an. Die
Bundesregierung respektiert selbstverständlich das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens und die entsprechenden Beschlüsse in den gesetzgebenden Körperschaften,
die nach unserer verfassungsmäßigen rechtsstaatlichen
Ordnung genau für die Fassung solcher Beschlüsse zuständig sind.
({0})
Wir haben gemäß § 10 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes einen klaren Auftrag bekommen. Der sieht vor,
dass wir einen entsprechenden Bericht vorlegen. Darin
werden selbstverständlich alle im Vermittlungsverfahren
von den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat
getroffenen Vereinbarungen berücksichtigt. Den Auftrag, den wir vom Gesetzgeber bekommen haben, setzen
wir um.
Sie haben jetzt noch die Gelegenheit zu einer weiteren Nachfrage.
({0})
- Dann Ihre Kollegin. Bitte schön.
Kollege Brauksiepe, wir waren zu diesem Zeitpunkt
beide im Vermittlungsausschuss und in der Arbeitsgruppe.
Meine Frage ist: Welchen Wert haben die Protokollerklärungen, die ab und zu im Vermittlungsausschuss beschlossen werden, wenn sie am Ende nicht umgesetzt
werden?
Frau Kollegin, ich persönlich war noch nie Mitglied
des Vermittlungsausschusses, weder als Vertreter des
Bundestages noch des Bundesrates.
({0})
Aber selbstverständlich ist die Bundesregierung im Vermittlungsverfahren dienstleistend tätig. Ich kann nur
wiederholen: Alles das, was im Vermittlungsverfahren
vereinbart worden ist und was in Gesetzesform gegossen
wird, wird umgesetzt. Ich schlage vor, dass Sie in aller
Ruhe und Gelassenheit abwarten, bis die Bundesregierung ihren Bericht vorlegt und die Forschungsergebnisse
veröffentlicht werden. Ich bin fest davon überzeugt, es
lohnt sich, sie dann sehr genau zu studieren.
({1})
Wir kommen jetzt zur Frage 58 des Kollegen
Birkwald:
Welche Vorschläge werden in Vorarbeiten zur Ausführung
der Berichtspflicht der Bundesregierung nach § 10 des
Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zur Weiterentwicklung der
Methode zur Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Studien, Gutachten, Berechnungen etc. - gemacht, um aus der statistischen Referenzgruppe diejenigen Haushalte verlässlich auszuschließen, deren „eigene Mittel nicht zur Deckung des jeweils zu
unterstellenden Bedarfs nach dem Zweiten oder Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch ausreichen“ ({0}), um der verfassungsrechtlichen Vorgabe, Zirkelschlüsse bei der Festlegung der Regelbedarfe zu vermeiden, gerecht zu werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Birkwald, da es sich um ähnliche Sachverhalte handelt
und auch hier beide Fragen in einem Sachzusammenhang stehen, bitte ich auch um Ihr Einverständnis, dass
ich beide Fragen gemeinsam beantworte. Ich möchte
auch für die Zuschauer erläutern: Die Fragen sind sehr
ähnlich, und konsequenterweise kann für die Antwort
nichts anderes gelten.
Dann rufe ich auch Frage 59 des Kollegen Birkwald
auf:
Wie bewerten die vorliegenden Vorarbeiten die von der
Bundesregierung ermittelten Regelbedarfe von Kindern und
Jugendlichen, und welche Vorschläge werden für die zukünftige eigenständige Ermittlung der Bedarfe von Kindern und
Jugendlichen vorgelegt?
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat
für den nach § 10 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
zu erstellenden Bericht über die Weiterentwicklung der
für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden
Methodik zwei Forschungsprojekte im Rahmen von nationalen freihändigen Vergaben mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb in Auftrag gegeben. Ein Forschungsprojekt bezieht sich auf eine mikroanalytische Untersuchung
zur Abgrenzung und Struktur von Referenzgruppen für
die Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008. Dieser Forschungsauftrag wird vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung durchgeführt. Im zweiten Forschungsprojekt
befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
der Ruhr-Universität Bochum mit der Überprüfung der
bestehenden und Entwicklung neuer Verteilungsschlüssel
zur Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008. Dabei geht es
zum einen darum, die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben in Mehrpersonenhaushalten gemäß § 10 Abs. 2
Nr. 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes sachgerecht
auf Eltern und Kinder aufzuteilen, und zum anderen darum, eine begründbare Abstufung der Regelbedarfe bei
mehreren Erwachsenen im Haushalt in die Regelbedarfsstufen 2 und 3 zu entwickeln.
Die zur Durchführung der Forschungsprojekte benötigten Daten und verschiedene Berechnungen wurden
vom Statistischen Bundesamt bereitgestellt. Die Ergebnisse werden derzeit aufbereitet und gehen in den Bericht ein. Der Bericht wird dem Deutschen Bundestag
rechtzeitig bis zum 1. Juli 2013 vorgelegt. Im Zuge der
Berichtslegung werden auch die erstellten Forschungsberichte veröffentlicht.
Der Zwischenruf der Kollegin Enkelmann gibt mir
Gelegenheit, noch einmal die Bitte zu äußern, dieses
zwischen den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat gefundene Ergebnis zu akzeptieren
({0})
und bitte auch die Tatsache zu akzeptieren, dass der
1. Juli 2013 noch nicht eingetreten ist und Sie deswegen
so lange warten, weil dies so lange zwischen den Verfassungsorganen vereinbart worden ist.
Herr Birkwald, auch für Sie würden vier Nachfragen
zur Verfügung stehen, sofern Sie mögen; Sie müssen
nicht.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
auch Ihnen Dank für die Antwort. Ich will meine Nachfragen auf wenige Punkte beschränken. Einer ist mir
ganz besonders wichtig.
Ist es zutreffend, dass der gesetzlich formulierte Berichtsauftrag der Bundesregierung voraussetzt, dass mit
der bisherigen Methodik verdeckt arme Haushalte zur
Ermittlung der Regelbedarfe einbezogen werden, obwohl es den expliziten Auftrag des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 gab, dies zu vermeiden,
und obwohl es mit der Expertise des Statistischen Bundesamtes, das Sie ja eben angesprochen haben, für die
Fraktion Die Linke auch ein statistisch einfaches Verfahren zum Ausschluss verdeckt armer Haushalte gibt, und,
wenn ja, wie rechtfertigt die Bundesregierung dieses
Vorgehen?
Herr Kollege Birkwald, auch mit genau dieser Frage
beschäftigen sich die Institute, die die Forschungsaufträge erhalten haben. Ebenso wie die Frage der Regelbedarfsstufen 4, 5 und 6 und möglicher Begründung und
ebenso wie die Frage von entsprechenden Differenzierungen im Bereich der Erwachsenen ist auch das Thema
„verdeckt Arme“ Gegenstand dieser Forschungsarbeiten. Wir haben politisch nicht die Absicht, verdeckt
Arme in die Berechnungen einzubeziehen mit dem Ziel,
dadurch zu einem geringeren Regelsatz zu kommen, um
einmal ganz klar das auszusprechen, was politisch hinter
Ihrer Frage steckt. Wir haben nicht die Absicht,
({0})
Werte künstlich niedrig zu rechnen. Die von uns ermittelten Werte wie auch die Verfahren haben jeder gerichtlichen Prüfung standgehalten, wie Sie wissen.
Ich bitte um Verständnis, dass das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung und die Wissenschaftler der
Ruhr-Universität Bochum den Zuschlag für die Forschungsaufträge erhalten haben und nicht die Fraktion
Die Linke. Ich kann Ihnen von daher zu diesem Zeitpunkt kein überlegenes statistisches Verfahren nennen
oder gar ein entsprechendes Ergebnis mitteilen.
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wir haben einen Auftrag erhalten. Er ist in den Endzügen der Ausführung. Wir müssen das Ergebnis bis zum 1. Juli abliefern, und das werden wir tun. Daraus wird sich alles
Weitere ergeben. Die Forschungsergebnisse werden zusammen mit dem Bericht veröffentlicht.
Sie haben eine weitere Nachfrage, bitte schön.
Ich nehme die Chance wahr. - Herr Staatssekretär, es
gibt Vorarbeiten, und Sie kennen sie. Wir hatten eine
ähnliche Situation schon im Ausschuss. Deshalb frage
ich Sie noch einmal: Zu welchen Ergebnissen kommen
die Ihnen vorliegenden Vorarbeiten in Bezug auf die
Zahl der verdeckt armen Haushalte in der Referenzgruppe, und welche Auswirkungen hat das auf die ermittelte Höhe des Regelbedarfs? Mit anderen Worten, um
Ihrer Erwartungshaltung Genüge zu tun: Um wie viel
Euro wurde der Regelbedarf einer allein lebenden Person aufgrund dieser Unterlassung der Bundesregierung
kleingerechnet? Falls diese Fragen nicht Teil des Auftrags an das Statistische Bundesamt oder andere Sachverständige waren: Warum waren sie das nicht?
Noch einmal, Herr Kollege Birkwald: Das Thema
„verdeckt Arme“ und wie man damit statistisch umgeht,
vor dem Hintergrund des politisch völlig unstreitigen
Ziels, Zirkelschlüsse zu vermeiden, ist Gegenstand dessen, worüber geforscht wird. Das ist Teil des Arbeitsauftrags. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir sind dabei, diesen
Arbeitsauftrag zu erfüllen. Zum jetzigen Zeitpunkt, wo
das Verfahren noch läuft, kann ich Ihnen nur sagen, dass
die Bundesregierung und diejenigen, die sich auf dieses
Verfahren verständigt haben, den Ergebnissen sehr zuversichtlich entgegensehen können. Es ist bisher jeder
Versuch gescheitert, der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag oder dem Bundesrat in ihren Beschlüssen in irgendeiner Weise nachzuweisen, dass geltendes
Recht verletzt worden ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf die Rechtslage, wie sie seit
dem Jahr 2005 bestanden hat. Wir haben darauf mit den
gesetzgeberischen Maßnahmen reagiert, die ergriffen
worden sind. Die Bundesregierung ist sehr zuversichtlich, dass diese Regelungen genauso wie in der Vergangenheit einer gerichtlichen Überprüfung in der Zukunft
standhalten.
Herr Birkwald, Sie haben eine weitere Frage, bitte.
Dass mich diese Antwort nicht befriedigt, werden Sie
sich vorstellen können, Herr Dr. Brauksiepe. Aber ich will
zu einem anderen Thema nachfragen. Inwieweit ist die im
Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vorgesehene Überprüfung und Weiterentwicklung der Verteilungsschlüssel
hinsichtlich der Verbrauchsausgaben für Kinder und Jugendliche nach Ansicht der Bundesregierung und der vorliegenden Vorarbeiten ausreichend, um den Bedarf von
Kindern und Jugendlichen eigenständig zu ermitteln, und
welche alternativen Ermittlungsverfahren wurden mit
welchem Ergebnis geprüft? Das ist doch das, was in der
jetzigen Phase interessiert.
Auch das ist Gegenstand der Untersuchung, und die
entsprechenden Ergebnisse werden veröffentlicht. Ich
bitte wirklich darum, Herr Kollege Birkwald, die
Rechtslage zu respektieren. Wir tun das - wie im Gesetz
vorgesehen - bis zum 1. Juli. Dann werden alle diese
Fragen beantwortet. Ich vermute, dass die dann vorliegenden inhaltlichen Antworten Sie letztlich auch nicht
befriedigen werden.
({0})
Aber das kann ich gegebenenfalls nicht ändern. Ich sage
Ihnen noch einmal: Der Bericht ist noch nicht fertig. Er
wird in einem geordneten Verfahren erstellt und wird Ihnen dann gemeinsam mit den Forschungsergebnissen zur
Verfügung gestellt. Ich jedenfalls sehe dem Tag der Veröffentlichung dieser Ergebnisse sehr ruhig und gelassen
entgegen.
({1})
Herr Birkwald, eine weitere Frage.
Meine vierte Nachfrage würden Sie mir genauso unbefriedigend beantworten, Herr Staatssekretär. Deswegen verzichte ich auf sie. Herzlichen Dank.
Die Fragen 60 und 61 der Kollegin Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Fragesteller der
Frage 62, der Kollege Fritz Rudolf Körper, ist nicht anwesend, wie ich sehe. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 63 des Kollegen Ströbele auf:
Inwieweit trifft es zu, dass die Koblenzer Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter der Bundeswehr-Beschaffungsbehörde, BAAINBw, und den Ministerialrat G. C. wegen Untreue
sowie wegen Anstiftung hierzu gegen Verantwortliche der
Firma Heckler & Koch ermittelt ({0}), weil die Bundeswehr Anfang 2012 mehr als 12 000 Gewehre G 36 ankaufte
({1}), obwohl die Bundeswehr-Materialprüfer der
Wehrtechnischen Dienststelle 91 sowie der Bundesrechnungshof 2011 ungenügende Treffgenauigkeit der Gewehre, sicherheitsgefährdende Überhitzung etwa im Afghanistan-Einsatz
sowie zu hohen Verschleiß gerügt hatten ({2}), und warum hat das Bundesministerium der Verteidigung dies in seiner Antwort vom
12. Dezember 2012 auf meine mündliche Frage 77 ({3}) geleugnet ({4}) und angegeben, gegen die
Eignung des Herstellers Heckler & Koch gebe es „keine Bedenken“?
Herr Kossendey steht zur Beantwortung bereit.
Herr Kollege Ströbele, dem Ministerium ist durchaus
bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz im Zusammenhang mit dem Ankauf von Gewehren G 36 gegen einen Mitarbeiter des Ministeriums ermittelt. Das zum ersten Teil der Frage.
Über mögliche Mängel beim G 36 haben wir im Verteidigungsausschuss lange gesprochen. Wir haben dem
Verteidigungsausschuss dazu einen Bericht vorgelegt,
den der Verteidigungsausschuss in der 123. Sitzung am
17. Oktober erbeten hat. Der Bericht wurde dann dem
Ausschuss gegeben. Als Ergebnis dieses Berichtes haben
wir festgestellt, dass das G 36 keinen Mangel hat, dass
die technischen Lieferbedingungen eingehalten worden
sind und dass die festgestellten Effekte, nämlich das
Nachlassen der Treffergenauigkeit bei heißgeschossener
Waffe, letztendlich auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten basieren.
Der Kollege Schmidt hat auf Grundlage dieses Berichts an den Verteidigungsausschuss Ihre Frage am
12. Dezember 2012 hier von dieser Stelle aus beantwortet.
Herr Ströbele, eine Nachfrage, bitte.
Danke. - Der Kollege Schmidt hat aber behauptet
- so steht es im zweiten Teil meiner Frage -, es bestünden keine Bedenken, diese Waffe sei zuverlässig und
tauglich. Er hat mit keinem Wort erwähnt, wie auch Sie
das hier nicht erwähnen, obwohl auch das in der Frage
steht, dass immerhin der Bundesrechnungshof und die
Bundeswehr-Materialprüfer der Wehrtechnischen Dienststelle 91 sehr wohl festgestellt haben, dass es sich um erhebliche Mängel handelt.
Offenbar sind diese Argumente so gravierend - die
Staatsanwaltschaft marschiert ja nicht gleich los -, dass
die Staatsanwaltschaft nicht nur ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, sondern auch im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens gegen die Verdächtigen - darunter auch
einen Ministerialrat, einen Mitarbeiter Ihres Ministeriums - strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt hat.
Halten Sie das alles für Quatsch, und halten Sie das
Tätigwerden der Staatsanwaltschaft für übertrieben oder
für falsch? Wie stellen Sie sich dazu?
Ich gehe davon aus, dass das zwei verschiedene Sachverhalte sind. Zum einen gibt es die Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft gegen den Mitarbeiter unseres Hauses, zum anderen geht es um die Frage, wie verlässlich
das G 36 ist.
Wir haben aus dem Einsatz - das hat General Fritz gerade in den letzten Tagen ausdrücklich bestätigt - keine
Beschwerden über dieses Gewehr bekommen. Wenn allerdings ein Gewehr nicht gemäß den Bestimmungen bedient wird, sondern Dauerfeuer mit 200 Schuss innerhalb kürzester Zeit abgegeben wird, dann ergeben sich in
der Tat ab einer Entfernung von 200 Metern Streueffekte. Allerdings ist das Gewehr nicht das einzige Mittel,
das unsere Soldaten zur Verfügung haben. Für bestimmte Distanzen und für bestimmte Zwecke haben unsere Soldaten vor Ort in Afghanistan andere Möglichkeiten, zu wirken.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Herr Ströbele,
bitte.
Danke. - Es ist mir bekannt, dass die Bundeswehr
auch über Panzer verfügt, aber hier geht es um ein bestimmtes Gewehr. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft
ist, dass dieses Gewehr beschafft und offensichtlich bezahlt worden ist, obwohl bekannt war, dass es mit erheblichen Mängeln behaftet ist. Sie haben die Materialprüfer angesprochen, die offenbar keine Ahnung haben.
Sind Sie der Auffassung, dass auch der Bundesrechnungshof, der die Beschaffung bereits 2011 gerügt hat,
nicht über die notwendige Sachkunde verfügt, sondern
nur die Spitze des Ministeriums?
Ich könnte mir die Antwort jetzt leicht machen und Ja
sagen, aber ich tue es nicht, weil wir den Bericht, den
wir dem Verteidigungsausschuss gegeben haben, natürlich mit allen verantwortlichen Stellen bei uns im Hause
und in den nachgeordneten Behörden besprochen haben.
Ich wiederhole: Es ist nichts zutage getreten, was an einen grundsätzlichen Mangel des G 36 erinnert. Ich bin
sicher, dass, wenn sich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auf diesen Punkt beziehen sollten, ein ähnliches Ergebnis dabei herauskommen wird.
Alle übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir sind somit am Ende der Fragestunde angekommen.
Ich unterbreche die Sitzung kurz bis zum Beginn der
Aktuellen Stunde. Die Unterbrechung wird einige Minuten dauern. Der Haushaltsausschuss hat seine Sitzung
unterbrochen. Insofern können wir hier fortfahren, wenn
die Kolleginnen und Kollegen aus diesem Ausschuss
den Weg hierhin geschafft haben.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zum Zusatzpunkt 1:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Verwendung von Drohnentechnologie durch
die Bundeswehr
Als Erstes gebe ich das Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff. Bitte
schön.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Drohnentechnologie ist aus der militärischen
Entwicklung nicht mehr wegzudenken. Künftig wird
jede gut und modern ausgestattete Armee diese Technologie besitzen und einsetzen. Die Zukunft der militärischen Luftfahrt ist unbemannt.
({0})
Die Stiftung Wissenschaft und Politik kommt hinsichtlich einer Beschaffung von Drohnen zu dem Ergebnis - ich zitiere -:
Ihre militärischen Vorteile können in legitimen, parlamentarisch kontrollierten Einsätzen der Bundeswehr zum Schutz eigener Truppen genutzt werden.
Sie reduzieren die Gefährdung des Einsatzpersonals
und bündeln die Fähigkeiten zur intrusiven Aufklärung und zum präzisen Waffeneinsatz. Damit verbessern sie die technischen Möglichkeiten, die
Wirksamkeit militärischer Einsätze im Einklang mit
den Geboten des humanitären Völkerrechts zu gewährleisten.
Aus diesen guten Gründen hat bereits die rot-grüne Bundesregierung die Entwicklung der Euro-Hawk-Drohne
auf den Weg gebracht. SPD und Grüne haben dann im
Haushaltsausschuss im Jahr 2007 der Beschaffung zugestimmt.
Der Vorsitzende des sogenannten SPD-Kompetenzteams dreht sein Fähnchen nun in den Wahlkampfwind
und will überhaupt keine Drohnen mehr anschaffen.
({1})
Wörtlich hat er gestern in seiner Rede an der FU gesagt:
Die Bundesrepublik Deutschland bedarf keiner Drohnen.
({2})
Was denn nun, Herr Steinbrück? So billig kommen Sie
nicht von der Mitverantwortung von SPD und Grünen an
der Entwicklung der Drohnen weg.
({3})
Im Fall der Aufklärungsdrohne Euro Hawk hält die
Opposition dem Minister vor, er hätte das Projekt früher
stoppen müssen.
({4})
Wenn wir komplizierte Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben hektisch beenden würden, sobald Probleme auftauchen, statt erst einmal zu prüfen und abzuwägen,
({5})
dann hätten wir keine moderne Ausrüstung der Bundeswehr; dann würden wir uns schon heute von Technologien der Zukunft verabschieden und unverzichtbare
Fähigkeiten aufgeben.
({6})
Meine Kolleginnen und Kollegen, es geht um die
Frage, ob die Probleme, die mit dem Trägersystem Euro
Hawk aufgetreten sind, lösbar sind. Wenn das mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist, kann man nicht in
die Beschaffung einsteigen. Aus dieser nüchternen Erwägung heraus hat Minister de Maizière sich entschieden, die Euro-Hawk-Drohne nicht zu beschaffen. Hinsichtlich der Vorhaltungen der Opposition entlastet der
Bundesrechnungshof den Minister ohne Wenn und Aber.
({7})
Der Bericht an den Haushaltsausschuss stellt erstens
unmissverständlich klar, dass die Fehler bei Euro Hawk
vor der Zeit von Minister de Maizière gemacht wurden.
({8})
Der Bundesrechnungshof kommt zweitens zu dem
eindeutigen Ergebnis: Sobald die Leitung des Hauses
von den Problemen Kenntnis hatte, wurde gehandelt, um
weitere Kosten zu vermeiden.
({9})
Und drittens kommt der Bundesrechnungshof auch zu
einem klaren Urteil hinsichtlich der Frage, was die Konsequenzen gewesen wären, wenn das Projekt bereits
2011 oder 2012 abgebrochen worden wäre: Dann hätte
die Sensorik, also das Aufklärungssystem, nicht auf dem
Träger selbst, also unter Einsatzbedingungen, getestet
werden können.
({10})
Auch diesbezüglich war der Zeitpunkt der Entscheidung
schadensbegrenzend. Die Aufklärungsfähigkeit wäre
sonst nicht weiterentwickelt worden. 232 Millionen
Euro Entwicklungskosten wären umsonst ausgegeben
worden.
Es ging Minister de Maizière also nicht darum, wie
Sie von der Opposition behaupten, etwas zu vertuschen.
Der Bericht des Bundesrechnungshofs lässt keinen
Zweifel. Minister de Maizière hat vielmehr weiteren
Schaden abgewendet und eine unverzichtbare Entwicklung für die Bundeswehr gesichert.
({11})
Die Opposition muss also spätestens heute erkennen,
dass sie einen Popanz aufgebaut hat.
({12})
Der Verteidigungsminister hat aus den richtigen Erwägungen heraus zum richtigen Zeitpunkt, nicht früher,
aber auch nicht später, gehandelt. Das ist nicht Taktik,
sondern in einer schwierigen Entscheidungssituation die
Wahrnehmung politischer Verantwortung bei einem Projekt, das lange vor Amtsantritt des Ministers begonnen
wurde.
({13})
Dafür gebührt Ihnen, Herr Minister, Respekt, und dafür
haben Sie unsere volle Unterstützung.
({14})
Die Opposition reagiert auf eine konsequente und
sachgerechte Entscheidung mit durchsichtigen Wahlkampfmanövern. Herr Steinbrück und Herr Trittin stehen nicht dazu, was ihre eigene rot-grüne Regierung beschlossen hat und was die Fachpolitiker aus ihren
eigenen Reihen seither stets als richtige Grundsatzentscheidung verteidigt haben.
({15})
Minister de Maizière hingegen schreckt vor schwierigen Entscheidungen nicht zurück, auch wenn es ungemütlich wird. Durch die Entscheidungen des Ministers
ist kein zusätzlicher Schaden entstanden,
({16})
sondern größerer Schaden verhindert worden, und es
sind wichtige Fähigkeiten für die Bundeswehr gesichert
worden. Nochmals, Herr Minister: Respekt!
({17})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Rainer
Arnold das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Minister hat 40 Leute und drei Wochen gebraucht,
um das Debakel aufzuarbeiten. Herausgekommen ist
überhaupt nichts Neues. Die Fakten haben wir alle schon
gekannt.
({0})
Entschuldigung. Doch, etwas Neues ist herausgekommen: Mit all dem hat der Minister überhaupt nichts zu
tun. Herr Schockenhoff erzählt hier: Der Minister hat abgewogen. Herr Schockenhoff, Ihr Minister hat jahrelang
nichts gewusst, weil er wahrscheinlich auch nichts wissen wollte. Da kann er doch nicht wirklich abwägen.
({1})
Herr Minister, es werden über 500 Millionen Euro
verpulvert,
({2})
und Sie weisen jede Verantwortung von sich. Sie übertragen die Verantwortung für das Debakel Ihren beamteten Staatssekretären, den nachgeordneten Ämtern und
den nachgeordneten Behörden und Abteilungen. Herr
Minister, dies ist ein schäbiges Verhalten, gerade für einen Mann, der die ganze Zeit von Verantwortung redet.
({3})
Sie haben eingestanden, dass Sie von Ihrem Staatssekretär, Ihrem langjährigen Weggefährten, persönlich
überhaupt nicht unterrichtet wurden. Es gab keine Ministervorlage zu Euro Hawk. Sie haben dieses Projekt
angeblich nie in der Leitungsbesprechung Ihres Ressorts
gehabt.
({4})
Ich frage mich: Worüber reden Sie eigentlich, wenn Sie
öffentlich ankündigen, alle Großvorhaben stünden auf
dem Prüfstand, Sie würden die Prioritäten neu überdenken? Worüber reden Sie eigentlich in den Leitungsbesprechungen miteinander? Reden Sie überhaupt noch
miteinander in Ihrem Ressort, oder regiert statt früher
das Gespräch heute das Diktat des Aktendeckels in Ihrem Haus? Diesen Eindruck gewinnt man ja.
({5})
Herr Minister, Sie haben heute nichts aufgeklärt. Sie
bezeichnen ein finanzielles Fiasko - Herr Schockenhoff
unterstützt das noch - als „angemessen“ und den Ab30642
bruch zu dem Zeitpunkt, als es eigentlich schon am Ende
war, als „zeitgerecht“. Sie bemängeln, dass die beamteten Staatssekretäre 15 Monate vorher von dem voraussichtlichen Scheitern gewusst hätten und Sie nicht eingebunden haben.
Sie haben heute erklärt - das ärgert mich als Parlamentarier am meisten -, Sie fänden es ganz normal, dass
das Parlament bei solchen Problemen nicht eingebunden
wird, und es wäre in der Vergangenheit auch so gewesen.
Das ist einfach falsch. Das stimmt nicht. Ich kann Ihnen
die Aktenberge zum Eurofighter, zu den Hubschraubern,
zu den Korvetten und den Fregatten usw. zeigen. Hier
hat uns das Ministerium mit allen Problemen betraut.
({6})
Nicht einmal die Berichterstatter im Haushaltsausschuss
wurden von Ihren Gesprächen in Kenntnis gesetzt. Sie
sagen heute immer noch, das sei in Ordnung. Das finde
ich ganz schlimm. Das zeigt ein wenig, wie Sie Politik
machen. Hierbei handelt es sich nämlich um kein lernfähiges System.
Die Probleme liegen auf dem Tisch, und Sie fahren
nach Chicago und erklären bei der NATO: Wir zahlen
weitere 83 Millionen Euro für ein Projekt, von dem wir
nicht wissen, ob es überhaupt fliegen darf.
({7})
Die Probleme liegen auf Ihrem Schreibtisch, und Sie erklären jahrelang weiter: Wir brauchen auch eine Kampfdrohne, und möglicherweise kaufen wir auch die amerikanische. - Und unsere Warnungen, dass sie hier nicht
zugelassen werden, schlagen Sie ziemlich arrogant in
den Wind. Wir haben es Ihnen gesagt. Trotzdem halten
Sie an solchen Debatten tatsächlich fest.
Herr Minister, das einzig Vernünftige, das Sie heute
gesagt haben, ist, dass jetzt tatsächlich Verantwortung
übernommen werden muss und Konsequenzen gezogen
werden müssen. Welche Konsequenzen sind zu ziehen,
Herr Minister, und zwar nicht bei Nachgeordneten?
Denn wenn Informationen bei Ihrem Staatssekretär anlangen, sind sie politisch in Ihrem Verantwortungsbereich angekommen.
({8})
Diese Verantwortung dafür kann man, wenn man noch
einen Funken Respekt für seine Aufgabe hat, niemand
anderem auf die Schulter legen.
({9})
Herr Minister, ich rate Ihnen: Halten Sie es mit Helga
Schäferling, die gesagt hat: „Auch derjenige, der zuläßt,
trägt seinen Teil der Verantwortung.“
({10})
- Ja, es mag sein, dass Ihnen die Soziologin zu popelig
ist. Das merke ich an Ihrem Zuruf. Dann nehmen wir
doch Winston Churchill, der Ihnen sicherlich nicht zu
klein sein wird. Der sagte nämlich: „Der Preis der Größe
heißt Verantwortung.“
Herr Minister, Sie sind Inhaber der Befehls- und
Kommandogewalt der Bundeswehr. Der Soldatenberuf
ist etwas Besonderes. Dieses Ministeramt ist auch etwas
Besonderes. Es funktioniert nämlich nicht, wie manche
glauben - ich habe den Eindruck, manche in der Spitze
Ihres Hauses glauben das auch -, nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam: Oben wird entschieden, nach unten
wird weitergegeben, und dort hat man es dann umzusetzen. - Wenn die nachgeordneten Stellen nun aber etwas
bemängeln, beklagen, Kritik üben oder Ideen haben,
dann werden sie noch als Jammerlappen von Ihnen beschimpft, statt deren Anregungen aufzunehmen. Wenn
zum Beispiel die Beschaffer beim Drohnenprojekt Euro
Hawk sagen: „Wir sind persönlich gar nicht in der Lage,
dies seriös abzuarbeiten“, und dies Ihrem Ministerium
melden, dann bekommen sie kein Feedback. Die rennen
gegen Wände. Herr Minister, das ist das eigentliche Problem: Dadurch, wie Sie dieses Haus führen, dadurch,
dass Sie die Soldaten hängen lassen, wenn sie Probleme
melden, haben Sie den Geist des Hauses ein Stück verändert und geprägt. Ein Minister der Verteidigung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt braucht gerade bei einer schwierigen Reform bei den Soldaten
starken Rückhalt. Und die wichtigste Säule hierbei ist
Vertrauen und nicht Befehl und Gehorsam.
Herr Arnold.
Herr Minister, da Sie dieses Vertrauen nicht mehr haben, bleibt nur noch eines: Verzichten Sie auf dieses Amt
und treten Sie zurück. Damit könnten Sie der Bundeswehr am Ende einen letzten wichtigen Gefallen tun.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege
Dr. Jürgen Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Arnold, so viel Selbstgerechtigkeit, wie
Sie hier präsentiert haben, habe ich in vielen Jahren Bundestag noch nicht erlebt.
({0})
- Ich komme gleich darauf zurück. - Denn Sie zeigen
mit einem Finger auf den Minister, und viele Finger zeigen auf Sie.
Warum sprechen Sie nicht davon, dass Sozialdemokraten in dieses ganze Projekt von Anfang an voll eingeDr. h. c. Jürgen Koppelin
bunden waren? Der Minister Scharping hat die Entscheidung getroffen.
({1})
Sie haben dann dem Minister gesagt, die Sozialdemokraten hätten hinsichtlich der Zulassung dieses und jenes
gesagt. Wissen Sie, warum sie ihm das sagen konnten?
Das konnten sie, weil sie genau wussten, dass die Zulassung unter ihrer Verantwortung überhaupt nicht geregelt
war. Das wussten sie. Deswegen konnten sie dem Minister das auch sagen.
Ich zeige Ihnen einmal etwas, was Sie wahrscheinlich
gar nicht mehr kennen, nämlich die Drucksache 2782
des Haushaltsausschusses aus der 16. Wahlperiode.
Schauen Sie sich das hier einmal an.
({2})
- Ja, das sage ich Ihnen: Das ist eine Vorlage vom
22. Dezember 2006 aus dem Bundesministerium der Finanzen. Wissen Sie, wer das geschrieben hat? Das war
der sozialdemokratische Staatssekretär Gatzer aus dem
Ministerium von Herrn Steinbrück. Er hat das dem
Haushaltsausschuss zugeleitet.
({3})
Das mussten wir beschließen. Haben Sie das denn nicht
gelesen?
({4})
Das Nächste: Staatssekretär Karl Diller, Sozialdemokrat, im Finanzministerium unter Steinbrück, hat dem
Haushaltsausschuss einen weiteren Vertrag zugeleitet.
Wir haben ihm zugestimmt. Tun Sie aber doch nicht so,
als hätten Sie damit nie etwas zu tun gehabt. Tun Sie
doch nicht so! Sie sind diejenigen!
({5})
Herr Kollege Oppermann, ich schätze Sie ja sonst
sehr, aber das muss ich doch loswerden: Sie haben hier
ein Theater aufgeführt, weil Fragen aus dem Ministerium nicht in der entsprechenden Frist beantwortet wurden. Darüber kann man sich beklagen. Soll ich Ihnen etwas sagen? Mit all den Fragen, die, wie ich erleben
musste, von Ihrer Regierung in meiner Oppositionszeit
nicht beantwortet wurden, kann ich mir die Wände tapezieren.
({6})
Leider hatten wir zu der Zeit einen Bundestagspräsidenten, der den Abgeordneten nicht geholfen hat. Das will
ich hier auch einmal sehr deutlich machen. Kommen Sie
in mein Büro und schauen Sie sich das an.
({7})
Ich muss jetzt auch einmal etwas in Richtung der
Grünen sagen: Sie stellen jetzt den Antrag, dass wir wieder ein Kontrollgremium einführen und dass das Ministerium uns als Parlamentarier laufend informiert. Dafür
habe ich sehr viel Sympathie; das ist richtig so.
({8})
Diesen Vorschlag der Grünen halte ich für vernünftig. Darüber werden wir uns unterhalten. Nur, Herr Trittin - auch
den anderen muss ich das einmal sagen -, bis Rot-Grün an
die Regierung kam, hatten wir so ein Gremium. Das lag
daran, dass einem Verteidigungsminister Apel, den ich
immer sehr geschätzt habe, die Kosten für den Tornado
aus dem Ruder gelaufen sind. Deshalb hat der Deutsche
Bundestag beschlossen: Wir schaffen einen sogenannten
Bewilligungsausschuss mit dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses. Kaum war Rot-Grün dran, wurde dieses Kontrollgremium, das einmal im Monat tagte und
dem das Ministerium alles vorlegen musste - Zeitpläne,
Kostenpläne -, von Rot-Grün abgeschafft.
({9})
An der Spitze war jemand von den Grünen. Die einzige
Entschuldigung, die ich Ihnen heute anbieten kann, ist,
dass dieser Grüne, der Herr Metzger, nicht mehr bei den
Grünen, sondern bei der CDU ist.
({10})
Herr Bundesverteidigungsminister, ich finde die Konsequenzen, die Sie, wie Sie im Verteidigungsausschuss
und eben im Haushaltsausschuss vorgetragen haben
- der Kollege Arnold hat anscheinend überhaupt nicht
zugehört -, ziehen wollen, schon beeindruckend. So ist
ein Minister noch nie in einem Ausschuss aufgetreten.
Er hat ganz ehrlich gesagt, wie schwierig die Situation
ist - auch für ihn ganz persönlich. Aber, Herr Kollege
Arnold, Sie haben ihm wohl überhaupt nicht zugehört.
Eben im Haushaltsausschuss hätten Sie erleben können,
dass der Minister ausdrücklich gesagt hat: Ich schiebe
nicht einem Staatssekretär, einem Beamten die Verantwortung in die Schuhe; ich trage die Verantwortung.
({11})
Das war schon sehr, sehr beeindruckend. Dafür haben
Sie, Herr Minister, meinen ganz großen Respekt.
({12})
Wenn Sie sich aufseiten der Opposition alle wieder ein
bisschen beruhigt haben, auch der Kollege Oppermann,
({13})
dann sollten wir uns wirklich zusammensetzen und überlegen, was wir aus dieser Situation machen. Ich glaube
nämlich, dass jede Krise, auch diese, die unglaubliche
Chance bietet, dass wir alle daraus lernen. Auch das Parlament insgesamt, egal ob Regierungskoalition oder Opposition, sollte daraus lernen, stärker seine Kontrollfunktion wahrzunehmen. Zugleich sollten wir vernünftig und
anständig miteinander umgehen, auch mit einem Minister, der die Verantwortung trägt. Sie können ihn politisch
kritisieren; aber was Sie, Herr Kollege Arnold, hier geboten haben, wie Sie hier mit dem Minister umgegangen
sind, das war menschlich unanständig.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, dass Union, SPD, FDP und die Grünen eine gravierende und in einem negativen Sinne leider auch sehr
gelungene Reform zustande gebracht haben, nämlich die
Umstellung der Bundeswehr: Aus einer Armee zur Landesverteidigung wurde eine Armee zur weltweiten
Kriegsführung und Intervention. Ich finde, das ist nicht
nur eine Fehlentwicklung, sondern eine Katastrophe.
({0})
Spionage- und Kampfdrohnen sind Waffen der modernsten Kriegsführung. Sie dienen erst der Aufklärung
und Spionage und dann dem gezielten Töten von Menschen. Eine große Mehrheit von Völkerrechtlerinnen und
Völkerrechtlern hält Kampfdrohnen für völkerrechtswidrig. Aber ich muss sagen: Das hat die vier Fraktionen
nicht interessiert. Denn SPD, Grüne, Union und FDP haben - anders als die Linken - am 31. Januar 2007 im
Haushaltsausschuss die Beschaffung der Euro Hawks
({1})
- Moment, Moment! - und die Bereitstellung von Mitteln in Höhe von 431 Millionen Euro beschlossen, obwohl sie schon wussten oder hätten wissen müssen, dass
Kampfdrohnen folgen werden und folgen sollen.
({2})
Wozu brauchen wir eigentlich diese Spionagedrohnen? Wozu brauchen wir eigentlich die Kampfdrohnen?
Wer soll eigentlich getötet werden? Glauben Sie wirklich, die Probleme der Menschheit mit gezieltem Töten
lösen zu können? Ich glaube, dass gezieltes Töten zu
Hass und Hass zu mehr Terrorismus führt. Die ganze Logik ist falsch.
({3})
Die Anschaffung der Spionagedrohnen wurde von einer Regierung beschlossen, die aus Sozialdemokraten
und Grünen bestand. Da liegt, wie Herr Bundesverteidigungsminister sagte, der Geburtsfehler. Nur, Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben den Geburtsfehler
fortgesetzt und wollen ihn weiter fortsetzen.
Mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass
Peer Steinbrück jetzt in einer außenpolitischen Grundsatzrede von der Drohnenkriegsführung Abstand genommen hat,
({4})
und zwar, weil er sie für völkerrechtswidrig hält. Ich
muss natürlich sagen: Schon als Sie die Anschaffung beschlossen haben, stand fest, dass es völkerrechtswidrig
ist. Aber immerhin hat er sich korrigiert, und das will ich
anerkennen.
Nun wurde das Projekt Euro Hawk vom Bundesverteidigungsminister gestoppt, und zwar, weil eine Zulassung nicht zu erreichen ist. Spionageflugzeuge soll ja
keiner erkennen. Deshalb wird es keine Antikollisionseinrichtungen geben. Nun hatte man sich überlegt, eine
Einrichtung zu schaffen, die dafür sorgt, dass die Drohnen selbst den anderen Flugzeugen ausweichen. Wer soll
sich denn darauf verlassen? Wer soll denn derart verantwortungslos eine Zulassung erteilen? Meines Erachtens
war von Anfang an klar, dass das muntere Fliegen der
Drohnen zwischen den Linienflugzeugen niemals eine
Genehmigung erhalten wird.
Der Bundesrechnungshof hat nun ermittelt, dass spätestens seit Februar 2012, Herr Bundesverteidigungsminister, klar war, dass es keine Zulassung geben wird,
sodass das Jahr 2012 hinsichtlich des Geldes der neuralgische Punkt ist. Damals wäre nämlich der europäische
Rüstungskonzern EADS noch verpflichtet gewesen, im
Rahmen der Gewährleistung zu zahlen. Dieser Rüstungskonzern hatte sich definitiv verpflichtet, die Drohne
komplett mit Zulassung zu liefern.
Sie behaupten nun, Herr Bundesminister, ein Abbruch
damals wäre teurer geworden. Sie erklären das in erster
Linie damit, dass Ihnen die gesamten Spionagegeräte,
die der Konzern entwickelt und herstellt, so wichtig gewesen seien und dass, wenn man die Entwicklung der
Drohne gestoppt hätte, die Entwicklung der Spionagegeräte entweder hätte eingestellt oder vom europäischen
Konzern selbst finanziert werden müssen, was dieser natürlich nicht wollte. Das bedeutet aber - überlegen Sie
sich das einmal -, dass wir über 100 Millionen Euro der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für ein völlig sinnloses Projekt ausgeben, nur um Spionagegeräte, also das
berühmte ISIS-System, zu entwickeln.
Mit anderen Worten: Der Konzern verfügt durch die
sinnlosen Zahlungen unserer Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler in den Euro Hawk über ein Topspionagesystem, das er weltweit verkaufen kann. Es tut mir leid:
Das ist Rüstungslobbyismus hoch zehn.
({5})
Abenteuerlich ist, dass Sie jetzt ein neues Trägersystem für die Spionagegeräte suchen und noch mehr Steuergelder verschleudern wollen. Abenteuerlich ist auch,
dass Sie an der Planung der NATO-Drohnen festhalten
und dafür weiteres Geld ausgeben wollen, obwohl auch
diese keine Zulassung erhalten dürften.
Herr Bundesverteidigungsminister, weshalb haben
Sie es eigentlich unterlassen, die zuständigen Ausschüsse des Bundestages zu unterrichten? Das ist eine
Verletzung der Prinzipien unserer parlamentarischen Demokratie.
({6})
Herr Minister, Sie erklären, welche anderen Personen
in Ihrem Bundesministerium verantwortlich waren. Aber
Sie wissen doch auch, dass Sie die politische Verantwortung tragen, und das sagen Sie ja auch. Werden Sie nicht
zu einem Bundesminister auf der Flucht, auf der Flucht
vor Ihrer eigenen Verantwortung.
Die USA starten von deutschem Boden aus - auch
wenn Sie erklären, es nicht genau zu wissen; es ändert
sich nichts daran - Drohnen zum gezielten Töten nach
Somalia und Jemen. Das Ganze ist völkerrechtswidrig.
Wenn Deutschland ein souveräner Staat ist, ist die
Bundesregierung verpflichtet, diese Nutzung unseres
Territoriums durch die USA unverzüglich zu unterbinden.
({7})
Herr Gysi.
Ich bin gleich fertig. - Sie machen uns sonst alle mitschuldig an der Tötung von Menschen.
Wir sollten Dänemark und Kanada folgen, die gesagt
haben, sie machen bei diesem Milliardengrab nicht mehr
mit. Sie steigen aus dem Drohnenprojekt aus. Es geht
aber um mehr als nur um Geld. Es geht darum, dass wir
das Drohnenprojekt stoppen müssen, weil es ein kriegspolitischer Irrweg ist. Kampfdrohnen gehören verboten
und nicht angeschafft!
({0})
Das Wort für die Bundesregierung hat der Bundesminister Dr. Thomas de Maizière.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Gysi, auch ich habe eine Weile
gebraucht, um die verschiedenen Drohnenarten unterscheiden zu können.
({0})
Aber dass Sie bei der Debatte über den Euro Hawk davon reden, man solle keine Kampf- oder Killerdrohnen
anschaffen,
({1})
ist weit weg von der Wirklichkeit.
({2})
Sie hätten sich besser auf Ihre Rede vorbereiten müssen.
Das machen Sie doch sonst auch.
({3})
Ich will die Aktuelle Stunde gerne nutzen, um - in einem etwas anderen Tonfall, wie er vielleicht sonst in
Aktuellen Stunden üblich ist - zu versuchen, einiges zu
klären. Die Rede des Kollegen Arnold hat mich dazu ermuntert.
Ich möchte zunächst auf die Frage eingehen: Warum
habe ich mir so lange Zeit genommen? Das hat natürlich
mit dem Fakt zu tun - auf den komme ich gleich noch
näher zu sprechen -, dass ich in die Entscheidungsfindung nicht eingebunden war.
({4})
- Tun Sie mir den Gefallen und hören Sie einen Moment
zu. - Der Vorgang liegt zehn, zwölf Jahre zurück. Ich
habe mir - auch wenn das Kommunikationsberater hundertmal anders sagen würden - die Freiheit genommen,
mich mit dem Sachverhalt zu beschäftigen, weil ich mir
ein eigenes, gründliches Urteil bilden wollte.
({5})
Das brauchte Zeit; jedenfalls brauchte ich die Zeit. Deswegen fand ich das richtig.
({6})
Zur Entscheidung selbst. Als die Entscheidung gefallen war - ich will das im Einzelnen nicht erläutern haben viele gesagt, das amerikanische Unternehmen
vorneweg: Die Entscheidung ist falsch. - Ich war, ehrlich gesagt, ein bisschen erstaunt, wie viele diesen Argumenten blitzschnell geglaubt haben. Ich halte viele
Aussagen von Rüstungsunternehmen in diesem Zusammenhang im Prinzip für interessegeleitet. Das ist auch
okay, aber man muss ihnen nicht gleich glauben.
({7})
Nach dem heutigen Tag steht fest, dass die Entscheidung selbst richtig war.
Erstens. Die Musterzulassung für die Serie wäre zu
teuer gewesen.
Zweitens. Die Missionsplanung ging nur von den
USA aus. Bis 2017 hätten wir nicht einmal bei Erpro30646
bungsflügen von Deutschland aus bestimmen können,
ob dieses unbemannte Flugzeug von A nach B fliegt.
Drittens hatten die Amerikaner den dem Euro Hawk
zugrunde liegenden älteren Typ des Global Hawk eingestellt, weshalb die Versorgung viel teurer als geplant gewesen wäre. Ich habe heute im Laufe des Tages - das
möchte ich gerne festhalten - keine einzige Kritik mehr
an der Entscheidung selbst gehört.
({8})
Viertens. In Bezug darauf, was wir in den letzten drei
Wochen diskutiert haben - ohne mich; aber heute mit
mir -, stellt sich die Frage: War das zu spät? Hätte man
das nicht im Oktober 2011 oder im Frühjahr 2012 entscheiden können?
({9})
- Oder müssen. - Was wäre die Folge gewesen? Ich sage
Ihnen - das hat Herr Schockenhoff schon vorgetragen -:
Wenn Probleme auftreten, dann versucht man, sie zu lösen, und bricht nicht gleich ab.
({10})
Ich sage noch eines: Es gibt nahezu kein großes Rüstungsprojekt ohne Probleme. Wenn wir jedes Mal bei
Kenntnis von Problemen aus Projekten ausgestiegen
wären, hätte die Bundeswehr heute überhaupt keine
Ausrüstung - zumindest keine moderne.
({11})
Es kommt also - wenn man eine solche Entscheidung
trifft - nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnis von Problemen, sondern auf den Zeitpunkt der Kenntnis von unlösbaren Problemen an.
({12})
Ich komme zum nächsten Argument. Hätte eigentlich
eine frühere Entscheidung die Geldausgaben verhindert?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Auch das haben wir
heute in den verschiedenen Ausschüssen erörtert. Als ich
mein Amt angetreten habe, war das meiste Geld schon
weg. Das heißt, es ging nicht darum, zusätzliche Geldausgaben zu vermeiden, sondern darum, alles dafür zu
tun, mit dem Geld, das ausgegeben worden war, noch etwas Vernünftiges hinzukriegen. Das bestand darin, das
Aufklärungssystem, welches nicht zu Ende getestet war,
in einen Stand zu bringen, dass es gegebenenfalls für ein
anderes Trägersystem genutzt werden kann. Ein Abbruch früher hätte diese Investition in der Größenordnung von 360 Millionen Euro sinnlos gemacht. Deswegen war die späte Entscheidung genau richtig. Sie hat
Schaden vermindert und nicht vergrößert.
({13})
Herr Abgeordneter Arnold, ich möchte Sie gerne zu
dem Punkt, der mich persönlich betrifft, ansprechen. Ich
habe heute in meiner Stellungnahme mit als Erstes gesagt, dass die Staatssekretärsebene diese Entscheidung
getroffen hat, ich sie im Nachhinein - am 13. Mai dieses
Jahres - zur Kenntnis bekommen und sie dann allerdings
gebilligt habe. Eben habe ich begründet, dass ich sie
auch nach Überprüfung für richtig halte, was das Ob und
den Zeitpunkt angeht.
Nicht gemacht habe ich aber - ich verwende jetzt
nicht die Vokabeln von Herrn Koppelin -, dass ich es
den Staatssekretären in die Schuhe geschoben habe.
Vielmehr habe ich versäumt, das Haus im Rüstungsbereich so zu organisieren, dass ich frühzeitig selbst von
Problemen erfahren habe.
({14})
Das schiebe ich niemandem in die Schuhe, sondern ich
hätte das früher so machen sollen.
({15})
Das bedaure ich, und daraus werden Konsequenzen gezogen, Herr Oppermann.
({16})
- Die Konsequenz ist die - das war eine der Konsequenzen, über die wir gesprochen haben -, dass ich mir als
Bundesverteidigungsminister in Zukunft periodisch,
ohne dass es einen Anlass gibt, über alle größere Rüstungsvorhaben vortragen lasse: Welche Probleme gibt
es? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Herr Arnold hat gesagt: Wir haben aber doch über
Probleme geredet. - Das ist auf den ersten Blick ein starkes Argument. Haben wir nicht über den A400M geredet? Haben wir nicht über den Eurofighter geredet? Ja,
wir haben über die Rüstungsprojekte geredet, bei denen
es offenkundig Probleme gab. Hier hatten wir aber das
Problem - und das müssen wir lösen -: Wie werden der
Leitungsebene und dem Minister die Dinge vorgetragen,
bei denen es scheinbar kein Problem gibt?
({17})
- Herr Trittin, es ist, glaube ich, unstreitig, dass die
Leitung erst am 8. Februar 2012 in Kenntnis gesetzt
worden ist. Das war zu spät. Deswegen brauchen wir
einen Mechanismus, dass die Leitung - der Minister eingeschlossen -, ohne dass es scheinbar Probleme gibt und
ohne dass es einen Anlass gibt, regelmäßig alle großen
Rüstungsprojekte auf solche Probleme - verdeckt, verzögert oder verschleppt - hin prüft und dann Entscheidungen trifft. Wir haben auch gesagt - das hat es früher
offenbar gegeben -: Das soll gerne mit dem Parlament
geschehen, indem wir periodisch entsprechende Vorlagen erstellen.
Herr Arnold, für mich besteht Verantwortung darin,
dass ich selber einen Beitrag dazu leiste, dass aus Fehlern gelernt wird und die Fehler in der Zukunft abgestellt
werden. Das ist mein Verständnis von Verantwortung.
Das ist übrigens hier leichter, weil es ja nicht darum
geht, eine falsche Entscheidung zu einem falschen Zeitpunkt im Nachhinein irgendwie schönzureden, sondern
es war so, dass es eine richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt war, die aber auf dem falschen Weg
zustande gekommen ist. Die Verfahren dafür kann man
ändern, was nicht ausschließt - das habe ich gesagt -,
dass nach Erledigung von allerlei Prüfaufträgen, die ich
aus Zeitgründen hier jetzt nicht wiederholt nennen will,
gegebenenfalls personelle Konsequenzen zu ziehen sind,
die ich mir vorbehalte. Sie sind zu einem Zeitpunkt zu
treffen, den ich für richtig halte. Wir müssen eine Reihe
von Dingen abwarten: die Fehleranalyse im Detail, die
Klärung der Rechtsansprüche und vieles andere mehr.
({18})
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein bisschen in die
Zukunft schauen. An die Adresse der SPD sage ich: Ich
kenne den genauen Wortlaut, den Herr Steinbrück verwendet hat, nicht. Sie haben heute bestritten, dass er das
so gesagt hat. Ich weiß nur eines: Die Bundeswehr hat
längst Drohnen, auch kleine Drohnen, die Aufklärungsdrohne LUNA, und sie nutzt Drohnen, darunter Drohnen
für den Einsatz in mittlerer Höhe, die Heron, die wir mit
breiter Zustimmung der Sozialdemokraten geleast haben.
({19})
Diese Heron schützt jeden Tag das Leben deutscher Soldaten in Afghanistan.
({20})
Auch ein Euro Hawk würde das Leben deutscher Piloten
bei einem Einsatz, den sie gegebenenfalls auf Basis eines UNO-Mandats absolvieren - einen solchen Einsatz
halten Sie für falsch, Herr Gysi -, schützen.
({21})
Das ist auch eine Aufgabe, die ich als Teil meiner Verantwortung sehe. Dazu gehören viele Fragen europäischer Art. Aber den Kopf in den Sand zu stecken und zu
sagen: „Deutschland braucht keine Drohnen“, ist falsch.
({22})
- Es wäre falsch, wenn er es denn gesagt hätte. Einverstanden.
Es geht darum, dass wir eine seriöse, vernünftige Debatte über die ethischen, über die technischen, über die
rechtlichen, über die finanziellen und über die europäischen Aspekte aller Drohnenarten führen. Dazu lade ich
uns ein. Das verdient eine große Diskussion - vielleicht
nicht heute.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, Sie haben Anfang des Jahres ein Buch mit dem
Titel Damit der Staat den Menschen dient veröffentlicht.
Ich zitiere:
Ich hatte mit einem Schulfreund verabredet, dass
wir, wenn wir Unsinn machen und erwischt werden
und nach unseren Namen gefragt werden, einen anderen, falschen Namen angeben … Da hatten wir
uns auf den Namen Thomas Bockenheimer verständigt.
({0})
Sie werden an anderer Stelle gefragt:
Würden Sie sich heute manchmal eine Tarnkappe
wünschen?
Antwort:
Nicht für Streiche. Aber ansonsten: Ja.
Ich kann nur feststellen: Thomas Bockenheimer ist wieder da.
({1})
Wir haben heute in den Ausschüssen beraten. Sie haben viele, viele Fehler eingeräumt - die meisten sollen
andere begangen haben. Sie haben heute gesagt, dass
jetzt alles anders werden muss. Ich erinnere mich, dass
Sie sich, als Sie das Amt und die sogenannte Bundeswehrreform von Ihrem Vorgänger übernommen haben,
hier hingestellt haben und verkündet haben, dass alle
laufenden und geplanten Projekte überprüft werden würden. Das haben Sie doch gemacht? Oder haben Sie es
nicht gemacht? Ich weiß es nicht. Das Ergebnis, das wir
hier heute vorliegen haben, zeugt jedenfalls davon, dass
die Überprüfungen rein gar nichts gebracht haben. Deshalb ist es wahnsinnig schwierig, Ihnen zu glauben,
wenn Sie sagen: Jetzt werde ich alles besser machen und
die Fehler wieder ausbügeln.
({2})
Sie haben völlig recht. Ihr Hauptversagen liegt darin,
dass Sie bei der Bundeswehrreform die Beschaffung
nicht neu strukturiert haben. Sie hatten damals die
Weise-Kommission, die Ihnen vorgeschlagen hat - ich
zitiere -:
Eine nur graduelle Anpassung der bestehenden Beschaffungsorganisation der Bundeswehr ist aufgrund der Komplexität des Veränderungsbedarfs
nicht ausreichend.
Die Kommission wies auch darauf hin, dass ein „radikaler
Veränderungsansatz erforderlich“ ist. Das alles haben Sie
nicht gemacht. Sich zwei Jahre und viele Hunderte Millionen Euro später hier hinzustellen und vorzuschlagen,
jetzt eine Taskforce - das Wort haben Sie nicht benutzt einzurichten und eine Analyse, was eigentlich in der Struktur falsch ist, durchzuführen, zeigt: In den letzten zwei Jahren haben Sie eigentlich nur für einen Trümmerhaufen gesorgt. Jetzt geht es nur noch darum, dass Sie über die Wahl
kommen, statt darum, die Probleme zu lösen. Das werden
wir uns nicht gefallen lassen, Herr Minister.
({3})
Sie haben in Ihrer Dresdener Rede gesagt - ich zitiere -:
Wir brauchen wieder eine Organisationskultur, die
diejenigen belohnt, die Mut beweisen und Verantwortung übernehmen.
Wem in Ihrem Hause machen Sie eigentlich Mut, wenn
Sie sich hier hinstellen und sagen, dass es einen Haufen
Fehler von anderen gab, wenn Sie sich personelle Konsequenzen vorbehalten und dann noch einen Arbeitskreis
machen wollen, weil Ihnen sonst nichts anderes einfällt?
Glauben Sie, so fördern Sie Verantwortung in Ihrem
Haus? Ich nicht.
({4})
Wir werden am Montag in der Sondersitzung des
Ausschusses, die jetzt notwendig geworden ist, drei Fragen ins Zentrum stellen, die Sie zu beantworten haben.
Der Rechnungshof hat gesagt, 2009, spätestens 2011
hätte das Ganze komplett neu bewertet werden müssen.
Warum ist das nicht geschehen? Sie sagen, Sie seien von
niemandem informiert worden. Sie sagen, Sie seien erst
im März 2012 überhaupt darüber informiert worden,
dass es Probleme gibt.
Damit bin ich bei der zweiten Frage. Ab März 2012
wussten Sie, dass es ein Problem gibt. Zwei Monate später fand in Chicago der NATO-Gipfel statt. Sie gingen
dorthin und sprachen über Global Hawk, über das
NATO-Projekt AGS, bei dem sehr ähnliche Probleme
drohen. Aber Sie sprachen nicht an, dass es Probleme
geben kann. Noch viel gravierender ist: Am 23. Mai
2012 sind Sie in die Ausschüsse gegangen, haben
482 Millionen Euro für Global Hawk bewilligen lassen
und mit keinem einzigen Wort gesagt, dass es ein Problem gibt, durch das das Risiko besteht, dass es keine
Zulassung geben wird.
({5})
Herr Kollege Koppelin, das hätte er in den Ausschüssen machen müssen. Dafür braucht man kein Geheimgremium und keinen Bewilligungsausschuss. Es war gut,
dass der Bewilligungsausschuss abgeschafft wurde.
Diese Informationen gehören in die normalen Ausschüsse. Das ist schlichtweg nicht geschehen. Das ist
das, was wir dem Minister jetzt vorwerfen.
({6})
Geht es von meiner Redezeit ab, wenn ich warte, bis
der Minister mir zuhört?
({7})
Herr Minister, die dritte Frage ist: Wie kommt es eigentlich, dass es in Ihren Ausführungen eklatante Widersprüche zum Vertragswerk gibt? Sie sagen, die Musterzulassung sei von der Industrie vertraglich gar nicht
geschuldet, und Sie sagen, die Bemühungsklausel, wonach die Industrie für ihre Unfähigkeit nicht haftbar gemacht werden könne, wäre darin enthalten. Das ist nicht
richtig. Das steht im Widerspruch zu dem, was der Rechnungshof festgestellt hat, und auch im Widerspruch zu
dem, was in den Verträgen steht.
Mein Eindruck ist: Hier geht es nicht darum, dass die
Menschen, die Steuern zahlen, geschützt werden. Vielmehr arbeiten Sie so, dass der Staat der Industrie dient.
Wir werden alles dafür tun, dass wir von Ihnen Antworten auf diese Fragen bekommen. Wenn dies nicht geschieht, müssen wir einen Untersuchungsausschuss beantragen.
({8})
Dann werden wir sehen, ob wir uns selbst die Antworten
organisieren können, die wir von Ihnen nicht bekommen
konnten.
({9})
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen der Öffentlichkeit
eines Tages Ihre Personalentscheidungen erklären. Ich
meine jetzt damit nicht ehemalige Bundespräsidenten;
über diese sollte man aber auch einmal reden. Warum
wir nach Felix Krull einen Thomas Bockenheimer bekommen, das müssen Sie der Öffentlichkeit einmal erklären.
({1})
Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege
Dr. Hans-Peter Bartels.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, viele Fragen sind heute noch offen:
({0})
Verheimlichung von Informationen, Kosten, Verantwortung, Konsequenzen. Aber eines ist heute doch schon
ganz klar geworden: Dieser Minister ist entzaubert.
({1})
Von großer Regierungskunst kann bei Minister de
Maizière nun wirklich keine Rede sein.
({2})
Dieses angeblich so Preußische, dieses VornehmHugenottische, dieses besonders Korrekte und Akkurate,
({3})
das steckt in seinen großen Reservekanzler-Interviews.
Damit kokettiert er in seinem Buch. Aber dieses Preußisch-Korrekte gibt es in Wirklichkeit gar nicht.
({4})
Dieser Minister kennt sein Ministerium nicht, und er will
es nicht kennen. Dieser Minister kennt seine Rüstungsprojekte nicht, und er will sie nicht kennen. Dieser
Minister ist weder stark im Überblick über die Aktenlage, noch überblickt er den Gesamtzusammenhang.
Aber im Reden über sein Büroklammerimage, über seine
Akkuratesse, über Pflicht und Verantwortung, da ist er
stark.
Herr Minister, wie können Sie, Monate nachdem die
Euro-Hawk-Probleme Ihre Hausspitze erreichten, bei
der NATO für genau so ein neues Projekt werben
- NATO-AGS - und eine halbe Milliarde Euro deutscher
Haushaltsmittel dafür zusagen? Warum sagen Sie der
NATO nichts von den Problemen?
({5})
Weil man Sie angeblich selbst nicht informiert hat? Das
ist nicht akkurat, Herr Minister. Das ist fahrlässiges Vorenthalten von Informationen.
Warum legen Sie Ihren Kabinettskollegen einen
Schönwetterbericht vor, in dem unter den 30 strukturbestimmenden Hauptwaffensystemen der Bundeswehr
auch Euro Hawk und Global Hawk stehen? Am Tag dieser Kabinettssitzung entscheidet Ihr Staatssekretär: Wir
stoppen das. - Warum haben Sie das nicht selbst gestoppt, Herr Minister? War es nicht wichtig genug? Und
warum nicht vorher? Was heißt überhaupt „gestoppt“?
Bisher ist überhaupt kein Vertrag gekündigt. Das Haushaltsgeld fließt weiter an die Firmen, oder? Das ist nicht
akkurat. Das ist Vortäuschung falscher Tatsachen. Herr
Minister, Ihr preußisches Image steht heute nicht für Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit. Es steht für einen obrigkeitlichen Stil, den Sie pflegen, und der ist nicht gut
für die Bundeswehr.
({6})
Bei der Vorstellung Ihrer Bundeswehrreform sagten
Sie wörtlich:
Wer sich einbringen und mitgestalten kann, wird
schnell seinen Platz finden … Wer dies nicht kann,
hat keinen Platz.
Was sollte das heißen: „hat keinen Platz“? Heißt das,
Kritik ist nicht erwünscht? Grundstellung einnehmen
und „Jawohl, Herr Minister“? Sie müssen sich nicht
wundern, wenn in Ihrem Ministerium nicht mehr offen
geredet wird.
({7})
Das ist zum Schaden der Bundeswehr und zu Ihrem persönlichen Schaden; denn Sie sind verantwortlich für den
Geist, in dem das Ministerium arbeitet. Das ist ganz offensichtlich kein guter Geist.
({8})
Ihre obrigkeitlich bestimmte Bundeswehrreform und
all die Übergangsschmerzen, die sie macht, sind Beispiele für schlechtes Regieren. Die Drohnenaffäre ist ein
weiteres Beispiel für den unguten Geist, in dem Sie regieren.
({9})
Sie haben gesagt, Sie behielten sich personelle Konsequenzen vor. Was ist das für ein Satz: „Sie behalten
sich vor“? Wissen Sie nicht, was Sie tun sollen? Wissen
Sie immer noch nicht, wer was zu verantworten hat?
Dann, Herr Minister, sage ich Ihnen, wer dafür verantwortlich ist, wem er im Verteidigungsministerium Verantwortung überträgt, wer etwas zu entscheiden hat und
wie Ihr Ministerium arbeitet. Die Verantwortung tragen
Sie, und Sie werden ihr nicht gerecht.
({10})
Ziehen Sie die Konsequenzen, Herr Minister, und ziehen
Sie sie für sich selbst!
Vielen Dank.
({11})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Rainer Erdel
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema Drohnen beschäftigt die Medien und die Öffentlichkeit seit Monaten. Da wir jetzt über Euro Hawk
reden, ist es um eine Facette reicher. Euro Hawk ist aber
nicht an der gesellschaftlichen Diskussion über den wer30650
teorientierten Einsatz solcher Waffen gescheitert, sondern Euro Hawk ist an anderen Dingen gescheitert. Ich
bin Ihnen sehr dankbar, Herr Minister, dass Sie heute
Morgen im Ausschuss die Zusammenhänge und die Abläufe sehr deutlich, sehr nüchtern und sachlich dargestellt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns als Abgeordneten des Deutschen Bundestages obliegt die Aufgabe, unseren Soldaten das beste, das technisch anspruchsvollste Material für ihre Einsätze zur Verfügung
zu stellen.
({0})
Deswegen war es für mich und meine Fraktion immer
wichtig, vor jeder Beschaffung eine sicherheitspolitische
Begründung zu geben. Diesem Anspruch, Herr Arnold,
sind auch Sie damals im Jahr 2002 nachgekommen, indem Sie eine Fähigkeitsanalyse durchgeführt haben.
Es erstaunt mich, wenn Sie - Sie sind seit dem Jahr
2002 der verteidigungspolitische Sprecher der SPDBundestagsfraktion - sich heute hier an dieses Rednerpult stellen und so tun, als wüssten Sie über die Probleme, die mit Euro Hawk bzw. mit der Beschaffung
verbunden sind, gerade erst seit einigen Wochen und als
wäre dieses Problem erst virulent geworden, seitdem
Thomas de Maizière als Minister Verantwortung trägt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen eines:
Rüstungsprozesse sind komplex. Die entsprechenden
Beschaffungen sind technisch anspruchsvoll, und sie beruhen auf Kooperationen von Firmen. Ich gebe Ihnen
sehr recht, Herr Kollege Arnold, wenn Sie in dieser Woche in einer militärtechnischen Zeitschrift feststellen,
dass sich Deutschland zukünftig Rüstung nur noch in internationalen Kooperationen leisten kann. Rüstungsprojekte sind sehr anspruchsvoll. Deswegen haben sich
diese Projekte in den letzten Jahrzehnten nicht auf eine
Legislaturperiode beschränkt, sondern waren immer legislaturperiodenübergreifend. Es gab immer einen Konsens in diesem Haus, das versucht wird, Rüstungsprojekte über das Ende von Legislaturperioden hinweg
fortzusetzen. Ich erwarte von der Opposition, dass sie
auch in diesem Fall diesen Konsens mit uns sucht.
Wir haben ein System entwickelt, das, wie sich zeigt,
viel Geld kostet. Wir müssen jetzt feststellen: Es ist
schwierig, für die Plattform Euro Hawk eine flugrechtliche Zulassung zu bekommen. - Mit der Riesensumme,
die investiert wurde, wurde aber auch eine Fähigkeit entwickelt, die in ganz besonderer Weise dem Schutz unserer Soldaten dient. Ich glaube, wir sollten uns Gedanken
darüber machen, wie wir das Aufklärungssystem, das
entwickelt wurde, in den Einsatz bringen können, wie
wir aus dem Geld, das ausgegeben wurde, Nutzen ziehen
können.
Da sind Äußerungen, dass Deutschland keine Drohnen brauche, wenig hilfreich. Ganz im Gegenteil: Sie
zeigen sogar, dass sich maßgebliche und wichtige Politiker in diesem Haus mit dem Thema ganz offensichtlich
nicht beschäftigt haben; denn es sind schon Drohnen im
Einsatz. Wenn Sie unsere Soldatinnen und Soldaten in
den Einsatzgebieten fragen, dann werden sie Ihnen sehr
deutlich sagen, wie wichtig die kleine Drohne Mikado
ist, wie wichtig ALADIN ist, wie wichtig LUNA ist und
wie wichtig vor allen Dingen Heron in Afghanistan ist.
({2})
Was zeigt uns diese ganze Entwicklung, meine sehr geehrten Damen und Herren? Sie zeigt, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr und die damit verbundene
Strukturreform der richtige Ansatz sind. Aber heute ist
auch klar geworden: Es gibt Abläufe im Ministerium, die
intransparent sind und es schwer machen, bestimmte Beschaffungsvorgänge den Soldaten, aber auch den Menschen im Lande zu erklären. Deswegen halte ich es für
richtig, dass wir - auch und vor allem in der Regierungskoalition - diese Strukturreform angestoßen haben, um
bestimmte Prozesse transparenter zu machen und um
nachvollziehbarer zu machen - auch für die Bevölkerung
in diesem Land -, wie die Steuergelder eingesetzt werden.
({3})
Ich glaube, wir sollten uns zusammensetzen und gemeinsam nach einem Weg suchen, wie wir das System
Euro Hawk mit seiner hervorragenden Fähigkeit, nämlich dem Integrierten Signal-Intelligence-System, künftig einsetzen können.
Vielen herzlichen Dank.
({4})
Bernhard Brinkmann hat jetzt das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
durchaus Verständnis dafür, dass bei diesem sehr sensiblen Thema von den Regierungsfraktionen versucht
wird, Nebelkerzen zu werfen. Nur, diese Nebelkerzen
kommen letztendlich nicht auf des Pudels Kern zurück,
({0})
der sowohl heute Morgen im Verteidigungsausschuss als
auch heute Nachmittag im Haushaltsausschuss die entscheidende Rolle gespielt hat.
Wenn spätestens seit November 2011 - das geht klar
und deutlich aus dem vorliegenden Bericht des Bundesrechnungshofes hervor - bekannt war, dass bei diesem
Entwicklungsvertrag nicht abschätzbare technische, zeitliche und finanzielle Risiken vorhanden sind, dann können Sie alles Mögliche versuchen. Lieber Jürgen
Koppelin, auch der Verweis auf rot-grüne Zeiten zieht
nicht. Ich meine, seit 2005 hießen die Bundesverteidigungsminister Jung, zu Guttenberg und heute de
Maizière.
Bernhard Brinkmann ({1})
In dieser Zeit hat es Entwicklungen dergestalt gegeben, dass man in der Führung des Hauses, aus welchen
Gründen auch immer, den Herrn Minister nicht informiert hat. Der ganz entscheidende Punkt ist: Warum hat
es über zwei Jahre gedauert, bevor man dann im März
oder auch erst am 13. Mai Informationen weitergeleitet
hat und zumindest die Reißleine gezogen hat? Genau in
dieser Zeit, nämlich vom November 2011 bis zum Mai
2013 - das sind 19 Monate -, haben die Prüfer des Bundesrechnungshofes vergeblich versucht, Unterlagen zu
bekommen, um all das zu prüfen, was dann erst mit Ministerverfügung Mitte Mai an die Prüfer des Bundesrechnungshofes gegangen ist. Auch das macht deutlich,
dass es hier, aus welchen Gründen auch immer, Informationsdefizite gegeben hat.
Nun gibt es einen weiteren Punkt - auch der regt zumindest zum Nachdenken an -: Die Haushälter und auch
viele andere Kolleginnen und Kollegen wissen, dass wir
im Haushaltsausschuss Vorlagen ab einer Summe von
25 Millionen Euro beschließen. Im Zusammenhang mit
Euro Hawk ist es von November 2009 bis einschließlich
April 2013 zu acht Änderungsverträgen gekommen, deren Volumen eigenartigerweise immer unter 25 Millionen Euro lag, sodass das Parlament nicht beteiligt werden musste. Auch diese Frage ist zu klären. Auch diese
Frage wird durch den Bundesrechnungshof einer genauen Prüfung unterzogen; das haben wir jedenfalls vorhin im Haushaltsausschuss so verabredet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass bei Rüstungsvorhaben die Kosten aus dem Ruder laufen, ist nichts
Neues. Darum geht es auch überhaupt nicht, sondern es
geht um Folgendes: Wenn jedes Beschaffungsvorhaben
auf den Prüfstand soll, wie es der Minister ausgeführt
hat, warum wird er 19 Monate lang nicht darüber informiert, dass es für diese Drohne im Rahmen des Entwicklungsvertrages keine Zulassung geben wird? Das ist der
ganz entscheidende Punkt.
Dafür trägt der Minister ganz alleine die volle Verantwortung. Er hat vorhin im Haushaltsausschuss ausgeführt, dass er dafür niemand anderem die Schuld in die
Schuhe schiebt. Wenn er dafür die volle Verantwortung
trägt, dann kann man das, Herr Minister, nicht damit entschuldigen, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Die hat er für
alle anderen auch. In der Hildesheimer Börde sagt man
gelegentlich: Wenn ich Frühstück und Mittag durcharbeite, sind es 26 Stunden. - Damit jedenfalls kann man
nicht entschuldigen, dass die Leitungsebene Ihres Hauses
bei der Pflicht zur rechtzeitigen Information offensichtlich mehr als versagt hat.
Vielen Dank.
({2})
Florian Hahn hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich zu Beginn bei Herrn Minister de Maizière
bedanken. Sie haben uns vor zwei Wochen versprochen,
heute einen umfassenden Bericht zu dem Entwicklungsprojekt Euro Hawk vorzulegen, und das haben Sie heute
im Ausschuss getan und dabei eine persönliche Bewertung des gesamten Entwicklungsprozesses abgegeben,
die vollständig und schlüssig ist - übrigens eine Entwicklung, die völlig zu Recht unter Rot-Grün auf den
Weg gebracht wurde, um die inzwischen entstandene Fähigkeitslücke einer luftgestützten Nachrichtengewinnung zu schließen. Bis auf die Linke waren sich damals
alle Fraktionen dieses Hauses über die Notwendigkeit
dieser Fähigkeit einig.
Es liegt in der Natur einer komplexen neuen Hightechentwicklung, dass es zu Problemen kommen kann,
die nicht vorhersehbar bzw. nicht einfach oder sogar gar
nicht zu lösen sind. Das kennen wir auch aus vielen zivilen Bereichen.
Genau solche Probleme sind beim Euro Hawk aufgetaucht und haben dazu geführt, dass von einer Serienbeschaffung der Plattform nun abgesehen wird - eine richtige Entscheidung, Herr Minister, wie unter anderem der
Bundesrechnungshof bestätigt hat.
Sie haben heute deutlich gemacht, dass die bisherigen
Investitionen dafür nicht umsonst waren,
({0})
sondern Entwicklungsergebnisse zu einem sehr großen
Teil genutzt werden können. Damit meine ich vor allem
das Aufklärungssystem ISIS, das ein enormes Potenzial
hat und seinen Dienst auch auf anderen Plattformen tun
wird. Es ist deswegen notwendig, die Tests für dieses
System fertigzustellen. Ein Stopp dieser Qualifizierung
wäre rausgeschmissenes Geld, aber dazu kommt es ja
Gott sei Dank nicht.
Es freut mich außerdem, dass Sie einen Mangel beim
Thema Kommunikation und Berichtswesen angemerkt
haben. Probleme müssen in Zukunft früher an den
Minister und auch an das Parlament gemeldet werden.
Da kann ich Ihnen nur ausdrücklich zustimmen.
Das neue Beschaffungswesen, zentraler Punkt der
Bundeswehrreform, wird außerdem dafür Sorge tragen,
dass viele Probleme der Beschaffung, wie sie eben auch
beim Euro Hawk entstanden sind, in Zukunft nicht mehr
vorkommen. Außerdem haben Sie eine ganze Reihe weiterer wichtiger Maßnahmen angekündigt. Dazu gehören
die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Zulassungswesens, die Verbesserung des Berichtswesens
im Haus und eine regelmäßige Information des Parlaments.
Meine Damen und Herren, unbemanntes Fliegen ist
Zukunftstechnologie. Der Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge hat viele Vorteile für unsere Soldatinnen und
Soldaten. Wie wichtig Drohnen im Einsatz sind, zeigen
die Erfahrungen, die wir in Afghanistan täglich machen.
Dort werden verschiedene Modelle von LUNA bis
Heron eingesetzt. Sie dienen der Aufklärung bei den
Einsätzen, können drohende Gefahren frühzeitig erkennen und schützen somit die Truppe im Einsatz.
Ich finde es deswegen unverantwortlich, wenn einige
von Ihnen versuchen, durch eine Dämonisierung des Begriffs „Drohne“ politisches Kapital zu schlagen.
({1})
Ich sage Ihnen eines: Das werden Ihnen die Wähler im
Herbst nicht abnehmen.
Ich finde es wirklich bezeichnend, dass der Kanzlerkandidat der SPD aktuell im Stern fordert, dass sich mit
Blick auf den Euro Hawk die Regierung fragen sollte
- ich zitiere -:
Gegen wen oder was sollen sich die Drohnen richten, wozu brauchen wir sie, wo würden wir sie denn
auf wessen Befehl einsetzen?
Ja hat sich denn die Regierung diese Frage etwa nicht
gestellt, als 2007 der Vertrag zum Euro Hawk geschlossen wurde? Wer war eigentlich damals Finanzminister
und hat das Geld dafür bereitgestellt? Richtig: Es war
derselbe, der jetzt Kanzlerkandidat ist und feststellt, dass
er sich damals keine Gedanken gemacht hat.
Vielen Dank.
({2})
Der Kollege Ernst-Reinhard Beck hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich muss mich schon ein bisschen wundern, wenn sonst vernünftige und sachkundige Kollegen
wie der Kollege Bartels, aber auch der Kollege
Brinkmann hier eine Schärfe in die Diskussion bringen,
die ich gar nicht nachvollziehen kann. Ich meine, mit
persönlichen Attacken und persönlichen Angriffen wird
man dieser wichtigen Frage im Grunde nicht gerecht.
({0})
Herr Brinkmann, Sie sagen, bei jedem Rüstungsprozess gebe es Überziehungen, zweifach, dreifach, vierfach, wie übrigens bei Großprojekten auch. Und Sie sagen, darum gehe es nicht. Nein, genau darum geht es.
({1})
Und genau deshalb hat der Minister die Notbremse gezogen und deshalb auch verantwortungsvoll gehandelt. Im
Grunde sollten Sie ihn dafür loben und nicht tadeln.
({2})
Der Kollege Nouripour droht mit einem Untersuchungsausschuss. Ich wundere mich nur darüber, welche
Fragen Sie dann noch stellen wollen, nachdem wir heute
Morgen mit einer Unmenge von Informationen eingedeckt worden sind.
({3})
- Mit Ausnahme der Fragen, die Sie heute gestellt haben, die aber längst beantwortet worden sind. Vielleicht
reden wir am Montag darüber.
({4})
- Herr Kollege Nouripour, ich will Sie ja nicht weiter ärgern. Aber ich möchte Ihnen sagen: Wir haben überhaupt keine Angst vor einem Untersuchungsausschuss;
denn wir haben nichts zu verbergen. Im Prinzip würden
Sie damit ja auch nur zeigen, dass Sie im Grunde kein
Munitionspulver mehr haben.
({5})
- Richtig.
Lassen Sie mich aber vielleicht noch ein paar Dinge
klarstellen; denn ich habe die Mixtur der letzten Wochen
für unerträglich gehalten. Man hat Begriffe wie Killerdrohnen und Aufklärungsdrohnen bis hin zum G 35,
G 36 und G 3 in einem großen Topf gemischt und so getan, als ginge es hier um die Anschaffung von Killerdrohnen. Herr Kollege Gysi, auch Sie haben eben diesen
Eindruck erweckt. Die Bundeswehr hat Drohnen zur
Aufklärung. Sie braucht diese Drohnen auch, um die Sicherheit der Soldaten zu gewährleisten.
({6})
- Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin nicht auf Ihrer Seite.
Ich bin auch der Auffassung, dass wir bewaffnete Drohnen brauchen, ganz im Gegensatz zu unserem verehrten
Exfinanzminister Peer Steinbrück, der den Vertrag unterschrieben hat, durch den der Euro Hawk überhaupt erst
möglich geworden ist.
Nun muss ich doch die Kollegen fragen: Kann es
denn sein, dass sich der Kanzlerkandidat der SPD hier
hinstellt und sagt: „Deutschland braucht keine Drohnen“?
({7})
Ich darf ihn einfach mal zitieren:
Hinter … dem Euro-Hawk verschwinden die eigentlich wirklichen Fragen: „Gegen wen oder was
sollen sich die Drohnen richten, wozu brauchen wir
sie, wo würden wir sie denn auf wessen Befehl einsetzen?“
Ernst-Reinhard Beck ({8})
Die Kollegen Verteidigungspolitiker der SPD würden
ihm das wahrscheinlich gerne mal erklären. Wenn es
nicht reicht, würde ich auch noch mithelfen. Wir setzen
sie täglich ein zum Schutz unserer Soldaten; auch darauf
ist hingewiesen worden. Sie leisten einen wichtigen
Dienst.
({9})
Deutschland ist ein Hochtechnologieland, und als solches täten wir gut daran, uns nicht abzukoppeln von Entwicklungen, die anderswo bereits längst im Gange sind.
({10})
- Das ist auch richtig, und das wir tun auch nicht, sondern wir setzen es sinnvoll ein, lieber Kollege
Nouripour.
Aber - und damit komme ich zum Schluss - jedes
Ding hat etwas Gutes, aus dem man lernt. Das Projekt
Euro Hawk ist ein Kind von Rot-Grün.
({11})
Die Ideen, die damals leitend und richtig waren, sind
auch heute nicht überholt. Es wäre für uns ein guter Rat,
wenn wir zusammen versuchen würden, die Lücke, die
wir bei der Fähigkeit der Drohnen, bei der Aufklärung
und damit bei der Nachrichtenversorgung und der Sicherheitsvorsorge für unser Land haben, gemeinsam zu
schließen.
Der Minister hat, wie ich meine, zielführende Vorschläge gemacht, wie ein solches Aus-dem-Ruder-Laufen in Zukunft nicht mehr möglich sein könnte. Wir haben ein weiteres großes, transatlantisches Projekt:
MEADS. Bereits hier könnten die neuen Verfahrensregeln ihre Feuertaufe erleben und mit Ihrer Hilfe dazu
beitragen, dass wir in diesem Technologiebereich führend bleiben.
Herzlichen Dank.
({12})
Henning Otte hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière hat Wort gehalten. Er hat dem Verteidigungsausschuss und dem
Haushaltsausschuss heute umfassend Bericht erstattet.
Die Vorwürfe der Opposition sind entkräftet worden.
Fragen sind nicht offen geblieben. Er hat vor allem schonungslos die Fehler im System und im Vorgang selbst
angesprochen. Das ist der richtige Weg: geradlinig,
transparent und in die Zukunft gerichtet. Deswegen ist
heute ein guter Tag.
({0})
Er hat ganz bewusst gesagt: Sorgfalt geht hier vor
Eile. - Vielleicht ist das ein Fremdwort für Rot-Grün.
Diesen Eindruck hat man zumindest, wenn man sich die
Regierungszeit von Rot-Grün anschaut. Ich habe mich
über viele Redebeiträge gewundert, insbesondere über
die Konsequenzen, die - quasi wie aus der Hecke
geschossen - von Herrn Dr. Bartels und Herrn Arnold
gezogen wurden. Das waren Reden von braven Parteisoldaten, die gerade einmal die Flughöhe eines Stubenhockers erreicht haben.
({1})
Die Abläufe in den politischen Prozessen werden verbessert, genauso wie die Interaktion zwischen Parlament
und Ministerium. Der Bundesrechnungshof hat dem
Minister recht gegeben und bestätigt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und zwar zum richtigen
Zeitpunkt. Eine frühere Entscheidung hätte einen Totalverlust der Investition bedeuten können. Die Entscheidung des Ministers kam nicht zu spät. Sie hat, wenn man
sie betriebswirtschaftlich betrachtet, auch etwas Gutes;
denn so können wir das System weiter nutzen. Nur weil
die betriebswirtschaftliche Bewertung gut ist, ist sie
noch lange nicht falsch. Das war richtig, das war gut.
Wenn Baustellen auftreten, müssen sie zu einem guten
Ende gebracht werden. Wohin würden wir denn kommen, wenn bei jedem Problem sofort nach einem Baustopp gerufen würde? Dann hätten wir so viele Baustellen wie zur Regierungszeit von Rot-Grün.
Die richtigen Schlussfolgerungen sind gezogen worden. Es gibt eindeutige Indizien dafür, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr auch für den Beschaffungsprozess richtig und notwendig ist. Es ist zudem zu
begrüßen, dass das CPM-Verfahren im Lichte der EuroHawk-Beschaffung erneut unter die Lupe genommen
wird. Vor allem soll es eine klare Regelung und Koordinierung bei den Zulassungsverfahren geben. Herr
Brinkmann, ich darf darauf hinweisen, dass Sie 2004,
also während Ihrer Regierungszeit, die Zulassungsansprüche reduziert haben. Sie haben aus Mussregelungen
Kann- und Sollregelungen gemacht. Das war nicht das
erste Mal, dass Sie starke Kriterien aufgeweicht haben.
({2})
Der Minister lässt sich als politische Spitze nun alte
und neue Rüstungsvorhaben genau vorlegen, und zwar
einschließlich der Darstellung der Probleme und der
richtigen Lösungsansätze.
({3})
Vor allem werden der Verteidigungsausschuss und der
Haushaltsausschuss periodisch unterrichtet. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie waren es, die 1998
den Bewilligungsausschuss - vielleicht lagen dem zen30654
tralistische Überlegungen zugrunde - geschlossen haben. Nun ist der richtige Weg vom Minister eingeschlagen worden: Das Parlament wird zur richtigen Zeit
unterrichtet.
Nachhaltige und richtige Rückschlüsse sind gezogen
worden. Aufgrund der Fehlentwicklung beim Euro Hawk
hat der Minister die Beendigung entschieden. Dies eröffnet eine Chance zur Verbesserung der Prozesse, eine
Chance zur Verbesserung der Kommunikationslinie und
eine Chance, die Parlamente und vor allem die Ausschüsse noch intensiver einzubeziehen. Vor allem eröffnet dies die Chance, die Fähigkeit zum Schutz unserer
Soldaten zu erhalten; wir erachten sie für notwendig. Dies
dient einer noch besseren Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zum Schutze unseres Landes.
({4})
Klaus-Peter Willsch hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Wir erleben
eine Aktuelle Stunde zu einem Thema, das die Zeitungen und die Rundfunk- und Fernsehsender in den letzten
Tagen gefüllt hat. Es handelt sich hier um ein übliches
parlamentarisches Ritual; so könnte man es bezeichnen.
({0})
Die Opposition will wegen eines vermeintlichen Fehlers
einen Minister abschießen. Die Regierungsfraktionen
bringen Entsatz und stellen sich vor den Minister. So
weit, so normal; so weit, so gut.
Im Haushaltsausschuss haben wir bezüglich der Landesverteidigung die Situation, dass wir uns - mit Ausnahme der Linken - miteinander bemühen, ein breites
Einvernehmen herzustellen, weil wir wissen, dass unsere
Soldaten bei der Frage, wie wir mit der Bundeswehr umgehen, auf uns schauen. Was ich der Opposition vorwerfe, ist, dass mit einer hohen Geschwindigkeit und einer völligen Beliebigkeit unterschiedliche Beträge, die
mit dem Vorgang überhaupt nichts zu tun haben, in die
Welt gesetzt wurden, nur um zu verunsichern und die
Leute durcheinanderzubringen. Unsere Soldaten haben
es aber nicht verdient, dass so mit ihnen umgegangen
wird.
({1})
Ich trage die Solidaritätsschleife für die Kameraden
und grüße sie bei dieser Gelegenheit herzlich in den Einsätzen und Heimatstandorten.
({2})
Sie sollen sicher sein, dass wir sehr sorgsam mit dem
Geld, das wir für Verteidigungszwecke ausgeben, umgehen
({3})
und dass wir die Aufgabe sehr ernst nehmen, ihnen den
bestmöglichen Schutz im Einsatz zukommen zu lassen.
Wie war die Lage? Ich will das einmal nüchtern darstellen. Es gab das Vorgängersystem, die Breguet Atlantic, ein Flugzeug, das nicht mehr tauglich war und deshalb nicht mehr eingesetzt werden konnte. Wir
brauchten daher eine neue Fähigkeit zur Aufklärung in
der Tiefe des Raumes. Seinerzeit ist über die Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen worden, das neue System
zu entwickeln und einen Träger zu bauen, der zeitgemäß
ist.
Dass Ihr Kanzlerkandidat davon nicht viel versteht,
hat er in Interviews nachhaltig zum Ausdruck gebracht.
Wenn man sich aber von einer begründeten und rationalen Haltung, die man bis dahin eingenommen hat, verabschieden und ein politisches Spiel mit Rücktrittsforderungen und allem Drum und Dran treiben will, dann
sollte man die Bataillone vorher sortieren und ordentlich
aufstellen. Schauen Sie sich an, wie viele noch in Ihren
Reihen sitzen. Der Kanzlerkandidat wusste, warum er
nicht kommt. Ihr Fraktionsvorsitzender hat 20 Minuten
lang peinlich berührt in der letzten Reihe gesessen, und
dann ist er, nicht unter Absingen schmutziger Lieder,
aber doch peinlich berührt, von dannen gezogen, weil er
gemerkt hat, dass das Pulver nass ist und ein Fehlangriff
erfolgt ist. Man muss schon ein bisschen an die Aufstellung der eigenen Truppen denken, wenn man zur Revolution bläst.
({4})
Wir als Bundesverteidigungsministerium haben einen
Entwicklungsauftrag vergeben. Entwicklungsauftrag
heißt, dass man ein System zusammen mit der Industrie
entwickelt, weil es auf dem Markt nicht zu kaufen ist.
Wenn man schon ein solches System kaufen könnte,
dann brauchte man keinen Entwicklungsauftrag zu vergeben und hätte nicht das Risiko, dass bei der Entwicklung etwas schiefgehen kann. Es liegt im Wesen von
Forschung und Entwicklung, dass sie glücken kann oder
nicht.
({5})
Hier haben wir erlebt, dass das Projekt nicht geglückt ist.
Dann kommt es darauf an, dass man richtig damit umgeht, und genau das hat der Minister heute sowohl im
Haushaltsausschuss als auch, wie ich höre, im Verteidigungsausschuss nachdrücklich gezeigt.
({6})
Es ist zu überprüfen, wann der richtige Zeitpunkt zum
Ausstieg ist. Ich glaube, das ist richtig gemacht worden,
insbesondere angesichts der Tatsache, dass ein Großteil
der zur Verfügung stehenden Mittel bereits ausgezahlt
oder gebunden war und man für das ausgezahlte Geld
eine möglichst große Gegenleistung haben wollte. Wir
haben das Aufklärungssystem, und wir müssen uns jetzt
über den Träger neue Gedanken machen. Auch die
Frage, was wir mit dem alten Träger machen, haben wir
gestellt, und auch diese wird uns noch beantwortet werden.
({7})
Wir haben zum Zweiten das Thema Regress auf dem
Tisch. Ist all das gemacht worden, was geschuldet war,
oder gibt es eine Differenz? Auch das wird geprüft werden. Wir als Parlament haben vor allen Dingen die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Kameraden, wenn
wir sie in einen Einsatz schicken, mit bestmöglicher
Aufklärung dorthin gehen, damit sie geschont werden,
damit sie ihren Auftrag erfüllen können und damit wir
keine unnötigen Opfer erleiden. Das ist in diesem Zusammenhang unsere Hauptaufgabe.
({8})
Ich komme zum Schluss. Als letzter Redner in dieser
Debatte will ich eine Bilanz ziehen. Ich muss sagen: Die
Opposition bemüht sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Der Minister räumt ab und zeigt, dass er rückhaltlos
aufgeklärt hat und offene Fragen noch beantworten wird.
Der Aufstand ist abgesagt. Die ermüdeten Kämpfer ziehen ergebnislos von der Barrikade.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
({9})
Damit beende ich die Aktuelle Stunde.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Juni 2013,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.