Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere
ich dem Kollegen Johannes Singhammer nachträglich
zu seinem 60. Geburtstag, den er in den vergangenen Tagen gefeiert hat. Alle guten Wünsche im Namen des
ganzen Hauses!
({0})
Für den am 12. Mai verstorbenen Kollegen Dr. Max
Stadler ist der Kollege Gerhard Drexler nachgerückt.
Im Namen des ganzen Hauses begrüße ich den neuen
Kollegen sehr herzlich und wünsche eine gute Zusammenarbeit.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 52 abzuset-
zen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 51 a und 51 b auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit
Nukleare Entsorgung im Konsens regeln
b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Suche und Auswahl eines Standortes für ein
Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze ({2})
- Drucksache 17/13471 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier. Bitte schön.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der
heutigen ersten Lesung des Standortauswahlgesetzes zur
Endlagerung hochradioaktiver Abfälle schlagen wir ein
neues Kapitel in der langen und zugleich auch wechselvollen Kernenergiepolitik unseres Landes auf. Es wird
eines der letzten Kapitel sein. Wir wollen und wir werden dieses Kapitel gemeinsam gestalten.
In Deutschland hat man sich frühzeitig, früher als in
vielen anderen Ländern, die Kernkraftwerke gebaut und
betrieben haben, mit der Frage der sicheren Entsorgung
beschäftigt. Der Standort Gorleben wurde nach den damaligen Vorstellungen ausgewählt. Es wurde mit der Erkundung des Salzstocks begonnen; aber ein Endlager
haben wir bis zum heutigen Tage nicht. Die Entscheidungen waren fachlich und politisch umstritten. Nie ist
es gelungen, einen Konsens, eine allgemein akzeptierte
Lösung zu gestalten. Damit gehört die 30-jährige Debatte über diese Frage zu den großen, aber nicht unbedingt zu den vorbildlichen Debatten in der Geschichte
der alten Bundesrepublik und des wiedervereinigten
Deutschlands.
Nach einem jahrzehntelangen Streit und gesellschaftlichen Konflikten in der Frage, wo und wie radioaktive
Abfälle langzeitsicher entsorgt werden können, ist der
nun erzielte Konsens ein historischer Durchbruch. Er
folgt dem breiten Konsens aus dem Jahre 2011 über den
schrittweisen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der
Kernenergie bis zum Jahre 2022. Damit geht das Zeitalter der Kernenergie in Deutschland definitiv zu Ende.
Egal wie man in den letzten Jahren zur friedlichen Nutzung der Kernenergie stand oder wie man heute dazu
steht, egal welche Überzeugungen auf den unterschiedlichen Seiten dieses Hauses vorherrschten: Es gibt heute
einen breiten, einen soliden, einen parteiübergreifenden
Konsens, dass die Kernenergie für die Energieversorgung der Zukunft in Deutschland keine Option mehr darstellt. Es ist wichtig, dass wir diesen Konsens über alle
kontroversen Debatten hinweg aufrechterhalten und
nach außen sichtbar machen.
({0})
Dies entspricht auch dem Wunsch der großen Mehrheit der Menschen in Deutschland, wie Umfragen immer
wieder zeigen. Ein jahrzehntelanger tiefer Konflikt in
Politik und Gesellschaft, vermutlich der größte und
längste in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes, ist
damit gelöst worden, ein Konflikt, der unsere Gesellschaft auch gespalten und die Politik manchmal geradezu gelähmt hat, ein Konflikt, der mit heftigen Demonstrationen, großen Polizeiaufgeboten und leider
manchmal auch mit Gewalt und Verletzten einherging.
Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben - alle hier im Saal
wissen, wovon ich spreche. Deshalb liegt es mir am Beginn der Beratungen auch am Herzen, all den friedlichen
Demonstranten, die jahre- und oftmals jahrzehntelang
für ihre Überzeugung gekämpft haben, aber auch den
vielen Tausend Polizisten, die all die Jahre unter Einsatz
ihres Lebens und ihrer Gesundheit für Sicherheit und
Rechtsstaatlichkeit gesorgt haben, meinen Respekt und
meine Hochachtung auszusprechen. Herzlichen Dank!
({1})
Wenn wir uns die Dimension dieses Konfliktes vor
Augen halten, dann wird klar, dass die Einigung in der
Endlagerfrage, die wir am 9. April 2013 erzielt haben,
mit Fug und Recht als Durchbruch bezeichnet werden
darf. Einige der Teilnehmer, die nicht meiner Partei angehören, sprachen sogar von einem historischen Durchbruch. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Das Erreichte
hat nicht nur für die Gegenwart Bedeutung. Es wirkt vor
allem für unsere Zukunft; denn Maßstab des politischen
Handelns heute müssen Sicherheit und Lebensqualität
der nach uns kommenden Generationen sein. Darum
muss die Generation, die das Problem verursacht hat, es
auch lösen. Sie muss zumindest die Lösung auf den Weg
bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Problem
der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle heute für die
Zukunft gemeinsam anpacken, und zwar partei- und
fraktionsübergreifend.
Im Übrigen: Wir haben diese Gespräche in einer Zeit
geführt, in der wir uns auch auf eine wichtige Wahlentscheidung vorbereiten. Dass alle Beteiligten sehr konkrete, aber zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen
darüber haben, wie diese Wahlentscheidung ausfallen
wird, muss nicht negativ sein. Wahrscheinlich ist es sogar positiv, wenn es darum geht, gemeinsam etwas auf
die Beine zu stellen, was die Wahlauseinandersetzungen
übersteht.
Die Herausforderung ist groß. Der Ministerpräsident
von Baden-Württemberg, Herr Ministerpräsident
Kretschmann, hat pointiert von einem Gesetz nicht für
die nächsten drei, sondern für die nächsten 300 000
Jahre gesprochen. Ich weiß nicht, ob wir ein Mandat haben, das so weit reicht, und ich weiß nicht, ob man die
Geschichte so weit vorhersehen kann. Wir haben aber
die Verantwortung, heute Entscheidungen zu treffen, die
uns in den nächsten 300 000 Jahren keine Probleme machen; wir, unsere Generation, müssen dieser Verantwortung gerecht werden.
({2})
Das haben wir übrigens mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle aus
der Schachtanlage Asse II, dem Asse-Gesetz, getan, das
am 25. April 2013 in Kraft getreten ist. Auch dort geht
es darum, eine schwärende Wunde in der Natur zu behandeln und eines Tages hoffentlich zu schließen, sodass
wir unserer Verpflichtung für künftige Generationen gerecht werden. Ich möchte deshalb allen Beteiligten danken, die diesen Konsens durch ihre konstruktive Mitwirkung und ihre Kompromissbereitschaft ermöglicht
haben. Wir setzen ein wichtiges Signal dafür, dass die
Politik trotz allen notwendigen Streites in elementaren
Fragen zusammenfinden und gemeinsam tragfähige und
zukunftsfähige Lösungen zum Wohle der Bürgerinnen
und Bürger beschließen kann.
Die Bemühungen um ein Endlager reichen lange zurück, die Bemühungen um einen Konsens ebenfalls. Mir
liegt daran, heute vor allen Dingen die Arbeit zu würdigen, die unmittelbar zu diesem Gesetzentwurf geführt
hat. Deshalb werden Sie verstehen, dass ich ganz besonders Herrn Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann
aus Baden-Württemberg und meinem unmittelbaren
Vorgänger, Norbert Röttgen, dafür danken möchte, dass
sie im November 2011 die Initiative ergriffen haben, um
in dieser so wichtigen Frage zu einer Lösung zu kommen.
({3})
Auch wenn es länger gedauert hat, als damals einige
glaubten: Es war wichtig, dass Sie, lieber Herr Röttgen,
und Sie, lieber Herr Kretschmann, den Mut hatten, auch
in den eigenen Reihen für diesen Konsens zu werben,
weil es ohne das Springen über den eigenen Schatten
nicht möglich gewesen wäre, zu einer Lösung zu kommen, die für alle akzeptabel ist. Dafür ganz herzlichen
Dank!
({4})
Ich möchte mich bei meinen weiteren Vorgängern
bedanken, bei Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin, mit denen ich in den Sommermonaten in manchen Gesprächen
und Diskussionen versucht habe, das, was Winfried
Kretschmann und Norbert Röttgen vorbereitet hatten, in
eine konsensfähige finale Fassung zu bringen.
Ich möchte mich auch bei den Verantwortlichen des
Landes Niedersachsen bedanken. Ich habe einmal gesagt, Niedersachsen sei ein Premiumpartner bei der Suche nach einem Endlager; denn alle vorhandenen, genehmigten und erkundeten möglichen Endlager befinden
sich in Niedersachsen: die Asse, Schacht Konrad und
eben auch Gorleben. Deshalb war es wichtig, diese Arbeit in enger Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen
Landesregierung voranzutreiben. Ich möchte mich für
die sehr konstruktive Zusammenarbeit bei David
McAllister und Stefan Birkner bedanken. Ich habe mich
bemüht, diese Zusammenarbeit mit Stefan Wenzel und
Stephan Weil fortzusetzen, und bin froh und erleichtert,
dass es gelungen ist, gerade auch in Niedersachsen Verständnis für den Prozess zu finden, den wir vor über einem Jahr auf die Schiene gesetzt haben.
({5})
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch bei
all denen bedanken, die in den letzten Jahrzehnten dafür
gesorgt haben, dass die Kernkraftwerke in Deutschland
die sichersten in der Welt waren und immer noch sind.
Das hat der Bericht der Reaktor-Sicherheitskommission
noch einmal bestätigt. Das ist kein Grund, sich zurückzulehnen. Das ist kein Grund, in den Anstrengungen
nachzulassen. Aber es ist eine beeindruckende Leistung.
Ich sage das, weil es mir wichtig ist, deutlich zu machen:
Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet nicht, dass
die Lebensleistung all derer, die über Jahrzehnte für die
Sicherheit von Kernanlagen gesorgt haben, nicht anerkannt würde, ganz im Gegenteil. Ich schließe auch die
Bergleute und die Wissenschaftler in Gorleben sowie die
Beschäftigten in den Kernkraftwerken in diesen Dank
ein. Ich weiß, vor uns allen liegen noch große und herausfordernde Aufgaben beim Rückbau der Anlagen.
Vertrauen und Sicherheit, das ist der Kompass beim
Umgang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie. Mit diesem Kompass ist der Ausstieg bisher eine Erfolgsgeschichte. Wir haben acht Kernkraftwerke abgeschaltet.
Parallel dazu ist ein nationaler Aktionsplan erarbeitet
worden, um die Robustheit der noch laufenden Kernkraftwerke zu erhöhen. Die Stromversorgung ist bisher
gesichert, weil wir eine solide Grundstruktur unserer
klassischen Energieversorgung haben. Zugleich haben
wir die erneuerbaren Energien in den letzten Jahren
schneller und deutlicher ausgebaut, als viele es für möglich gehalten hätten. Deutschland ist und bleibt ein Land,
das Elektrizität exportiert, nicht importiert.
Vertrauen und Sicherheit, das ist der Kompass für die
Energiewende; es ist aber auch der Kompass für das
Standortauswahlgesetz. Dabei leitet uns ein Grundsatz,
der uns alle eint: Die in Deutschland angefallenen Abfälle müssen auch in Deutschland entsorgt werden; das
gebietet das Prinzip der nationalen Verantwortung. Deshalb haben wir bei der Erreichung unseres großen Konsenses vereinbart, dass wir nach der Bundestagswahl bei
der Umsetzung der entsprechenden europäischen Richtlinie noch einmal ganz klar zum Ausdruck bringen werden, dass für uns eine Entsorgung dieser Abfälle im Ausland nicht in Betracht kommt. Die Abfälle, für die wir in
Deutschland verantwortlich sind, wollen und werden wir
auch in Deutschland entsorgen.
({6})
Mit dem Standortauswahlgesetz wird ein Fahrplan für
die Endlagersuche erstmals auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Wir haben das Endlager noch nicht, wir suchen es erst. Aber es ist ein Paradigmenwechsel, weil es
bisher in vielen Fällen darum ging, ein Endlager zu verhindern. Jetzt geht es darum, ein Endlager zu finden. Damit haben sich die Voraussetzungen grundlegend geändert. Wir werden deshalb mit diesem Gesetz ein
gestuftes Standortauswahlverfahren neu einrichten. Wir
wollen den bestmöglichen, bestgeeigneten Endlagerstandort mit Blick auf die Sicherheit der Endlagerung,
die Sicherheit der Menschen, die Sicherheit der Natur
und der Umgebung erreichen.
Die Standortsuche erfolgt nach dem Prinzip der weißen Landkarte. Das heißt, es gibt keine Vorfestlegungen
auf bestimmte Gesteinsformationen, aber auch nicht den
Ausschluss einzelner Standorte. Dies gilt für das Erkundungsbergwerk Gorleben. Das gilt aber auch für jeden
anderen denkbaren Standort in der Republik.
Die Endlagersuche ist zugleich demokratisch legitimiert, transparent und nachvollziehbar. Sie erfolgt in einem transparenten Prozess mit breiter Beteiligung der
Bürgerinnen und Bürger. Das ist mir besonders wichtig,
und das habe ich zum Ausdruck gebracht, als ich am
22. Januar im Wendland mit über 500 Bürgerinnen und
Bürgern, die zum Teil seit vielen Jahren in dieser Frage
aktiv sind, einen ganzen Abend lang diskutiert habe. Mir
ist wichtig, dass wir Vertrauen und Akzeptanz dadurch
schaffen, dass wir Transparenz herstellen und gewährleisten; denn wir müssen auch verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewinnen. Deshalb wollen wir mit
dem Gesetz Lösungen erreichen, die, so weit es geht,
den Belangen aller Betroffenen gerecht werden: denen,
die sich im Wendland seit 30 Jahren mit dieser Frage
auseinandersetzen, aber auch denen in allen anderen Teilen der Republik, die sich Gedanken darüber machen, ob
eventuell demnächst in einigen Jahren bei ihnen konkret
nach einem Standort für ein Endlager gesucht wird, das
dann vielleicht auch eines Tages gebaut werden soll.
So wollen wir bis zum Ende des Jahres 2031 in einem
schrittweise auf der Basis fachlich begründeter und wissenschaftlicher Kriterien basierenden Prozess den Standort für ein Endlager suchen. Es wird oft darüber diskutiert, ob dieser Termin, 2031, zu lang oder zu kurz
gegriffen ist. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand
wissen. Aber wenn es richtig ist, dass wir in unserer Generation den Grundstein für eine Lösung der Endlagerfrage legen wollen - das haben Sie eben alle mit Ihrem
Beifall unterstützt -, dann können wir auch die Entscheidung über den Endlagerstandort nicht beliebig lange vor
uns herschieben. Dann werden wir irgendwann um die
Jahreswende 2030 zu einer solchen Entscheidung kommen müssen. Wir werden sie übrigens umso eher treffen
können, je weniger das Verfahren angreifbar ist. Deshalb
habe ich mit Ministerpräsident Weil und mit Umwelt30522
minister Wenzel in sehr intensiven persönlichen Gesprächen darüber diskutiert, wie man die Einbeziehung der
Öffentlichkeit und die Transparenz so herstellen kann,
dass wir verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und dass
wir das Vertrauen in die Ergebnisoffenheit der Endlagersuche über jeden Zweifel erhaben stellen.
Aus diesem Grund wollen wir die Standortsuche
durch eine 24-köpfige Bund-Länder-Kommission vorbereiten. Sie wird zwei Jahre lang bis 2015 die Grundfragen für die Entsorgung dieser Abfälle klären. Sie wird
sie diskutieren und Vorschläge machen. Das Gewicht
dieser Vorschläge wird von der Autorität dieser Kommission maßgeblich abhängig sein. Deshalb ist es wichtig, dorthin Persönlichkeiten zu entsenden, die kraft ihrer
Autorität und Kompetenz imstande sind, diesen Debatten Gewicht und Autorität zu verleihen. Sie werden über
Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwägungskriterien diskutieren sowie über unterschiedliche
Lagerkonzepte und über die Anforderungen an das
Suchverfahren. Sie werden auch Vorschläge zur Evaluierung dieses Gesetzes machen. Der Deutsche Bundestag
wird dann seine Arbeiten im Lichte der Kommissionsergebnisse aufnehmen können. Möglicherweise wird die
Kommission am Ende nicht zu einer Verzögerung, sondern sogar zu einer Beschleunigung der Arbeiten beitragen.
Die Entscheidung über die weiteren Schritte des Auswahlverfahrens, die über- und untertägige Erkundung
sowie den abschließenden Standortvorschlag trifft der
Bundestag per Gesetz. Damit unterstreichen wir die Bedeutung dieser Aufgabe. Wir wollen aber nicht, dass dadurch Rechtswege verkürzt werden und dass einzelne
Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass sie weniger Möglichkeiten haben, ihre Vorstellungen und Interessen geltend zu machen. Auch dafür haben wir gemeinsam eine gute Regelung gefunden.
Mehr Transparenz bedeutet dabei auch: Die Entscheidung über die unterirdisch zu erkundenden Standorte
wird so ausgestaltet, dass sie verwaltungsgerichtlich
überprüft werden kann. Für den dann gesetzlich festgelegten Standort wird es ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren zur Sicherheitsprüfung geben, das wiederum verwaltungsgerichtlich überprüfbar sein wird.
Mit diesem am Kriterium der Sicherheit orientierten Verfahren setzen wir übrigens zusammen mit der Schweiz
auch international Maßstäbe.
Um den wissenschaftsbasierten Such- und Auswahlprozess und ein transparentes Verfahren zu gewährleisten, ist die Einrichtung eines Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung erforderlich, das die Tätigkeit des
Vorhabenträgers überwacht. So verwirklichen wir den
international üblichen und auch von der EU vorgegebenen Grundsatz der Trennung zwischen Betreiber und
Aufsichtsbehörde. Das Bundesamt muss Erkundungsprogramme und Prüfkriterien entwickeln und festlegen.
Es muss die Standortentscheidung effizient und sachgerecht vorbereiten. Es muss die Öffentlichkeit aktiv und
korrekt unterrichten. Das Bundesamt für Strahlenschutz
wird als Vorhabensträger eine entscheidende, eine ganz
wichtige Rolle in diesem Prozess zu übernehmen haben.
Wer über die Endlagersuche spricht, kann über die
Kosten nicht schweigen. Für mich ist klar: Die Kosten
des Auswahlverfahrens müssen von den Abfallverursachern getragen werden. Das ist die gesetzliche Regelung,
und an dieser gesetzlichen Regelung halten wir fest.
({7})
Allerdings liegt mir daran - das sage ich mit gleicher
Bedeutung und Betonung -, dass wir in den Konsens,
den wir zwischen den Parteien gefunden haben, die Umweltverbände, die Bürgerinitiativen und die Zivilgesellschaft, aber auch die Kernkraftwerksbetreiber einbeziehen und dass wir in einem offenen Dialog mit allen
Beteiligten dafür sorgen, dass das Gesetz, das wir hier
beschließen, die nötige Unterstützung in der Praxis und
vor Ort erfährt. Deshalb bin ich in Gesprächen mit den
Kraftwerksbetreibern. Ich möchte sicherstellen, dass wir
alle Entscheidungen unseres Kompromisses im vorgesehenen zeitlichen Rahmen und mit den vorgegebenen
Konsequenzen tatsächlich durchsetzen können. Dazu gehört zentral auch die Frage, wie wir mit den Zwischenlagern umgehen.
Für mich war von Anfang an, seit dem ersten Tag
meiner Amtszeit, klar: Wenn wir zu einer ergebnisoffenen Suche kommen, wenn wir von dem Prinzip der weißen Landkarte ausgehen, dann dürfen wir die Akzeptanz
des Ergebnisses nicht dadurch gefährden, dass in der
Frage der Zwischenlagerung alles so weiter geht wie bisher. Deshalb besteht die Herausforderung darin, dass wir
die 26 Behälter mit abgebrannten Kernbrennstäben, die
wir in den nächsten Jahren nach der Wiederaufbereitung
im Ausland zurücknehmen müssen, in anderen Zwischenlagern in der Republik sicher verwahren. Wir haben Einigkeit zwischen allen Beteiligten, dass keine weiteren Castortransporte nach Gorleben durchgeführt
werden.
({8})
Deshalb wollen wir vor der abschließenden zweiten und
dritten Lesung und vor der Zustimmung durch den Bundesrat Klarheit darüber schaffen, wohin diese Transporte
gehen, und dafür sorgen, dass die notwendigen Anträge
gestellt werden.
Ich danke denjenigen Ländern, die bereits jetzt ihre
politische Bereitschaft für weitere Zwischenlagerstandorte erklärt haben. Ich werde meine Gespräche mit den
anderen Ländern fortsetzen. Ich werde keine öffentlichen Ratschläge geben, weil es der Respekt vor dem Föderalismus verbietet. Ich will aber sagen, dass mich in
allen Gesprächen dasjenige leitet, was mich von Anfang
an geleitet hat, nämlich nicht die Frage nach irgendwelchen parteipolitischen Farben und Präferenzen, sondern
die Frage, wie diese Transporte so sicher und verantwortlich wie möglich durchgeführt werden können. Das
ist eine Frage der technischen Vorrichtungen vor Ort,
eine Frage der Transportwege, eine Frage der Sicherheit
bei der Begleitung und vieles andere mehr. Ich bin aufBundesminister Peter Altmaier
grund der geführten Gespräche optimistisch und überzeugt, dass wir diese Frage nicht nur gemeinsam mit den
Bundesländern, sondern auch gemeinsam mit den Betreibern in den nächsten Wochen klären können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird großer Anstrengungen bedürfen, um dieses Gesetz in die
Praxis umzusetzen. Wir haben für die parlamentarische
Beratung großen Wert darauf gelegt - obwohl uns die
Zeit am Ende knapp wurde -, dass wir ein Verfahren haben, das ohne Fristverkürzungen auskommt, dass wir ein
Verfahren mit allen Anhörungen und Ausschussberatungen, die notwendig sind, haben. Wir haben uns gemeinsam darauf geeinigt, ein dreitägiges Symposium zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft durchzuführen, das Ende
Mai und Anfang Juni stattfinden wird.
Für mich sind aber der Konsens und die Gemeinsamkeit mit der Verabschiedung des Endlagersuchgesetzes
am 5. Juli im Bundesrat nicht beendet. Dann geht es erst
wirklich los. Deshalb müssen sich alle Beteiligten innerhalb und außerhalb dieses Parlaments darüber im Klaren
sein, dass das, was wir erreicht haben, nämlich den partei- und fraktionsübergreifenden Konsens, ein hohes Gut
ist. Ich weiß, wie schwierig das manchmal für alle Seiten
ist. Schließlich sind bei vielen von uns noch die alten
Reflexe lebendig. So kommt es, dass sich manchmal die
Emotionen, nachdem die große Frage entschieden ist,
bei kleinen Details entzünden. Diese Details sind wichtig. Wir werden sie sorgfältig behandeln. Aber ich werbe
und plädiere dafür, dass wir uns auch immer dessen bewusst sind, dass wir gemeinsam das Signal geben müssen, dass wir dieses Problem lösen, dass wir es lösen
können, dass wir, egal wie die Bundestagswahl ausgeht,
egal wie der Souverän entscheidet, auch nach der Bundestagswahl alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam und im Konsens treffen wollen, weil wir damit die
große Chance, die uns dieses Gesetz eröffnet, nutzen und
wahrnehmen, die letzte große Herausforderung des
Kernenergiezeitalters geschlossen anzugehen und zu bewältigen.
Ich bitte Sie um Unterstützung für das weitere parlamentarische Verfahren und für die Zeit darüber hinaus.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort erhält nun der Ministerpräsident des Landes
Niedersachsen, Stephan Weil.
({0})
Stephan Weil, Ministerpräsident ({1}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Gesetzesvorhaben, das der Deutsche Bundestag heute erstmals berät. Ich kenne kein anderes Vorhaben, das seit
sage und schreibe fast 40 Jahren umstritten ist - politisch, wissenschaftlich, gesellschaftlich. Ich kenne kein
anderes Vorhaben, das für sage und schreibe fast 1 Million Jahre Sicherheit schaffen soll. Ich kenne kurzum
kein anderes Vorhaben, wo Anspruch und Wirklichkeit
bislang so weit auseinanderklaffen wie bei der Suche
nach einem Endlager für den Atommüll. Das zeigt: Wir
brauchen dringend einen Neuanfang bei der Endlagersuche.
({2})
Als Niedersachse weiß ich, wovon ich da spreche. Für
alle anderen Bundesländer ist die Endlagerdebatte abstrakt; für uns ist sie konkret. In Niedersachsen tobt seit
dreieinhalb Jahrzehnten der Streit um Gorleben. Bei jedem neuen Castortransport hat es in unserem Land immer und immer wieder heftige Auseinandersetzungen
auf den Straßen und den Schienen gegeben, und bei uns
liegt der Salzstock Asse II, wo radioaktiver Müll in unbekannter Menge in Fässern unbekannten Zustands an
unbekannten Orten das Grundwasser zu verseuchen
droht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die
Folgen einer falschen Endlagerpolitik kennenlernen
möchte, der ist in Niedersachsen richtig; der wird in Niedersachsen fündig.
({3})
Wenn wir es künftig besser machen wollen, dann
brauchen wir einen Neustart. Wir brauchen eine ergebnisoffene Suche überall in Deutschland. Die Fixierung
auf Gorleben war ein schwerer Fehler.
({4})
Wir brauchen Transparenz und Öffentlichkeit. Mit der
Endlagerpolitik hinter verschlossenen Türen muss endlich Schluss sein.
({5})
Deswegen betrachte ich die Bund-Länder-Kommission
zur Klärung der vielen offenen Fragen tatsächlich als einen entscheidenden Fortschritt, der mit diesem Gesetzesvorhaben verbunden ist. Wir brauchen aber vor allem
eines: Vertrauen. Ohne Vertrauen, dass es alle Beteiligten ernst meinen mit dem Konsens und dass alle - alle
16 Bundesländer, die ganze Bundespolitik - diesen Konsens über viele Jahre hinweg durchhalten, wird es nichts
werden mit dem Neustart in der Endlagersuche.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns offen reden! Schon bei seiner Einbringung steht dieses Gesetzesvorhaben auf der Kippe. Die partei- und
ebenenübergreifende Verständigung vom 9. April war
der erste und überaus wichtige Schritt - nicht mehr, aber
auch nicht weniger. Jetzt folgt der erste Test auf die Belastbarkeit dieser Verständigung - nicht mehr, aber auch
nicht weniger. Was heißt das? Das heißt, dass alle Punkte
unserer Verständigung auch tatsächlich gesetzlich umgesetzt werden müssen. Da haben wir zum Beispiel bei der
Enteignungsregelung noch Klärungsbedarf. Vor allem
darf es - da sind wir uns alle einig; der Bundesumweltminister hat es eben wiederholt - keine weiteren Castortransporte nach Gorleben geben.
Ministerpräsident Stephan Weil ({6})
({7})
Das ist wichtig und auch zwingend notwendig. Kein
Mensch würde sonst an eine ergebnisoffene Suche bei
der Endlagerung glauben.
So weit, so gut. Aber der Bundesumweltminister
muss auch die Frage beantworten, wohin die nächsten
Castoren gehen sollen. Um ein in der Regierungskoalition geflügeltes Wort aufzugreifen, Herr Minister
Altmaier: Sie müssen liefern.
({8})
Es ist Aufgabe des Bundesumweltministers, ein verbindliches Konzept für die weitere Zwischenlagerung auf
den Tisch zu legen. Sie, Herr Minister Altmaier, müssen
für eine Verständigung mit den Energieversorgern sorgen. Davon sind wir zur Stunde noch weit entfernt. Sie
müssen eine Vereinbarung mit Schleswig-Holstein und
mit Baden-Württemberg herbeiführen. Beide Länder
verhalten sich sehr konstruktiv. Dafür gebührt ihnen
Dank und Anerkennung.
({9})
Aber es kann nicht nur die Aufgabe von rot-grün regierten Ländern sein, sich einer gemeinsamen nationalen
Herausforderung zu stellen.
({10})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss,
um eine extrem schwierige Aufgabe gemeinsam meistern zu können, ein Kompromiss, den Niedersachsen unter Zurückstellung gewichtiger Argumente mitträgt - wir
halten bekanntlich Gorleben als Endlagerstandort für ungeeignet -, ein Kompromiss, den Niedersachsen aber aus
Überzeugung mitträgt. Dieser Kompromiss muss jetzt in
allen - ich wiederhole: in allen - seinen Teilen umgesetzt werden. Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie die Bundesregierung. Werden Sie dieser Verantwortung gerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({11})
Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine große Chance
für einen echten Neustart in der Endlagersuche. Sorgen
wir gemeinsam dafür, dass wir diese Chance auch nutzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat nun Angelika Brunkhorst für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenige
Monate nachdem wir in diesem Hause und im Bundesrat
den Beschluss über die Lex Asse fraktionsübergreifend
beschlossen haben, können wir heute wiederum fraktionsübergreifend das Standortauswahlgesetz auf den
Weg bringen. Ich bedanke mich vorab - Herr Minister
Altmaier hat sich schon bei allen bedankt - ganz herzlich
bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMU und
bei Herrn Altmaier. Ich bedanke mich aber auch bei meinen Kollegen und Kolleginnen aus den Fraktionen. Wir
haben uns intensiv auseinandergesetzt und sehr stark gerungen, haben aber sehr konstruktiv zusammengearbeitet. An dieser Stelle vielen Dank.
({0})
Bereits Umweltminister Röttgen hat im Dezember
2011 in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, in der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die wesentlichen Punkte
eines Endlagergesetzes erarbeitet, hat einem Zeitplan zugestimmt. Auf Grundlage dieser Vereinbarung konnten
wir im April dieses Jahres verkünden, dass wir unter der
weisen Moderation von Bundesumweltminister Altmaier
den Gesetzentwurf vorlegen können. Tatsächlich hat
diese christlich-liberale Regierung einen Kabinettsbeschluss gefasst. Das ist besonders. Das haben die anderen Regierungen zuvor nicht geschafft. Auch das kann
man hier erwähnen.
Ich möchte noch einiges dazu sagen, was der Inhalt
dieses Gesetzes sein wird.
Für meine Fraktion ist ganz klar, dass wir die Ausfüllung dieses Gesetzes mithilfe eines wissenschaftsbasierten Ansatzes angehen. Für uns ist wichtig, dass die Einhaltung der strengen Maßstäbe des Atomgesetzes,
nämlich Stand von Wissenschaft und Technik sowie für
einen langen Zeitraum Schadensvorsorge, für den neuen
Standort, den wir finden wollen, hundertprozentig gewährleistet sein muss.
({1})
Ich komme auf den Standort Gorleben, der lange
Thema war, zu sprechen. Wir haben bislang keinen geowissenschaftlichen Grund gefunden, der Gorleben als
Standort ausschließt.
({2})
Das bedeutet für uns, dass Gorleben im Topf bleibt.
Selbst Gerhard Schröder und Herr Trittin haben im Rahmen ihres Atomkonsenses bestätigt,
({3})
dass dieser Standort weiterhin eignungshöffig ist.
({4})
Somit wird der Standort Gorleben im Topf landen. Er
wird anhand der gleichen wissenschaftlichen Kriterien
bewertet wie alle anderen möglichen Standorte auch.
Das heißt: Die Endlagerstandortsuche wird offen geführt.
({5})
Wir wollen alle gesellschaftlichen Gruppen in die
Standortsuche einbinden. Es soll Transparenz geschaffen
werden. Deshalb haben wir entschieden, dass es eine
Kommission geben wird, in der die eigentliche Gesetzesausfüllung vorbereitet wird. Diese Kommission wird
noch zu bilden sein. Sie wird circa zwei Jahre arbeiten
und dann eine wissenschaftsbasierte Empfehlung vorlegen. Sie wird aus politisch legitimierten Vertretern aus
Bund und Ländern gebildet. Es werden Experten dazukommen. Es werden alle gesellschaftlich relevanten
Gruppen vertreten sein.
Es gibt natürlich Kritiker, die sagen, man hätte erst
einmal abwarten müssen und erst dann das Gesetz auf
den Weg bringen sollen. Das stimmt so nicht. Die Kritiker übersehen, dass dieses Gesetz ein Rahmen für das
Suchverfahren darstellen soll. Es handelt sich um ein
Verfahrensrahmengesetz. Es ist genau der richtige Zeitpunkt, dieses Gesetz jetzt auf den Weg zu bringen.
({6})
Wann hat es das letzte Mal einen großen umfassenden
gesellschaftlichen Konsens in der Entsorgungsfrage gegeben? Das ist sage und schreibe 33 Jahre her. Es war im
Jahre 1979, als es einen solchen Konsens zum letzten
Mal gab.
({7})
Das ist für uns jetzt eine große Chance. Ich gehe davon
aus, dass durch die Wissenschaftseinrichtungen, die Ressortforschungseinrichtungen und die geologischen
Dienste der Länder sehr viel Expertise in diese Kommission eingebracht wird. Ich hoffe, dass wir die bisherigen
Forschungsergebnisse nicht ausblenden werden. Denn
wir haben bereits einen großen Fundus an Ergebnissen.
Deutschland ist in der Endlagerforschung auch an vielen
internationalen Forschungsprojekten beteiligt und hat
sehr viel geleistet.
Zum eigentlichen Verfahren. Das BMU hat ein dreitägiges Symposium vorbereitet, an dem Bürger und Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema befasst haben,
die davon betroffen sind und die sich dafür interessieren,
teilnehmen können. Wir laden alle herzlich ein, daran
teilzunehmen, dort einen Beitrag abzugeben oder eben
einfach nur als Gast dabei zu sein. Das Symposium wird
am 31. Mai 2013 sowie am 1. und 2. Juni 2013 hier in
Berlin stattfinden. Darüber hinaus wird am 10. Juni 2013
eine öffentliche Anhörung des Umweltausschusses des
Deutschen Bundestages stattfinden, bevor das Gesetz in
die zweite und dritte Lesung geht. Ich bitte alle Kritiker
und all diejenigen, die interessiert sind, sich darum zu
kümmern, an dieser Anhörung teilnehmen zu können.
Zur Castorfrage. Herr Weil, Sie haben angesprochen,
dass das für Niedersachsen nicht verhandelbar gewesen
ist. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass auch
die vorherige Regierung unter Herrn McAllister und
dem Landesumweltminister Birkner die Forderung gestellt hat, dass man die anderen Bundesländer doch bitte
an der Lastenverteilung beteiligt.
({8})
Sie haben darum gebeten, dass man auch andere Bundesländer in diese gesamtstaatliche Aufgabe einbeziehen
möge.
Ich möchte daran erinnern: Wir haben in der Sitzung
im April gesagt, dass wir für die noch zurückzunehmenden 26 Castoren kurze Wege brauchen. Daraus ergibt
sich natürlich, dass vielleicht doch eher küstennahe
Standpunkte geeignet sind.
({9})
Ich begrüße auf jeden Fall das Zugeständnis der beiden
Bundesländer Baden-Württemberg
({10})
- ja, gut - und Schleswig-Holstein, dass sie sich bereit
erklären, darüber nachzudenken, ob es einen Weg gibt.
({11})
Es gibt noch viele offene Fragen und Probleme, aber
ich bin sehr zuversichtlich, dass die Gespräche, die bereits sehr fruchtbar sind und einen guten Zwischenstand
haben, in den nächsten zwei oder drei Wochen zu einer
Lösung führen. Ich setze hohes Vertrauen in den Bundesumweltminister Altmaier.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Herr Minister! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Dem vorliegenden Gesetzentwurf liegen drei Grundirrtümer zugrunde; ich möchte
sie an dieser Stelle sehr deutlich benennen.
Der erste Grundirrtum ist, die Zeit würde drängen.
Planmäßig, nach jetziger Gesetzeslage, werden spätestens Silvester 2022 die Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland vom Netz gehen. Wir alle wissen, dass die Brennelemente dann noch vier Jahre in der
Anlage, im Abklingbecken, und weitere 40 Jahre oberirdisch abkühlen müssen. Das bedeutet, frühestens 2068
werden die letzten Brennelemente überhaupt einer Endlagerung zugeführt werden können. Das ist ein Zeit30526
punkt, von dem ich annehme, dass die meisten hier im
Hause ihn nicht mehr erleben werden. - So viel zu der
Frage, wie sehr die Zeit drängt.
({0})
Zweiter Grundirrtum. Sie formulieren hier fraktionsübergreifend, es würde sich hier um einen Konsens handeln. Es ist im besten Falle ein Kompromiss zwischen vier
Fraktionen. Es ist kein gesamtgesellschaftlicher Konsens,
dem eine Meinungsbildung in der Gesellschaft, ein gesellschaftlicher Dialog und eine Diskussion, die diesen Namen verdienen würde, vorausgegangen wären. Jetzt können Sie einwenden: Über die Kommission sind noch
Veränderungen möglich. - Richtig, aber dafür sind relativ hohe Hürden gesetzt: Für Entscheidungen des Gremiums ist eine Zweidrittelmehrheit der 24 Mitglieder
notwendig; neun Mitglieder bilden also eine Sperrminorität. Wenn man sich anschaut, wie sich die Kommission
zusammensetzt, kommt man sehr schnell zu dem
Schluss, dass es optimistisch ist, anzunehmen, dort
könnte es zu grundlegenden Veränderungen kommen.
Denn in diesem Gremium sitzen nur zwei Vertreter von
Umweltverbänden, zwei Vertreter der Gewerkschaften
und zwei Vertreter von Religionsgemeinschaften; das
macht insgesamt sechs. Somit wird es ganz schwierig,
überhaupt neun Stimmen für eine Sperrminorität zusammenzubekommen, selbst wenn sich diese drei gesellschaftlichen Gruppen einig wären.
Der dritte Grundirrtum ist, wir hätten gemeinsam aus
den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Abgeordnete aller
Fraktionen haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit und
Energie aufgewendet, um diese Fehler zu durchleuchten,
sowohl im Untersuchungsausschuss „Asse“ des Niedersächsischen Landtags als auch im Untersuchungsausschuss „Gorleben“ hier im Bundestag; den entsprechenden Bericht und die Voten der Fraktionen diskutieren wir
nächste Woche, insgesamt über 1 000 Seiten. Ich wage
die Behauptung, dass nur wenige hier im Haus, die nicht
selber in diesem Ausschuss saßen, bis heute das Thema
durchdrungen, die Fehler realisiert und daraus Schlussfolgerungen gezogen haben.
Der nächste Aspekt. Bis heute findet kaum eine wissenschaftliche Aufarbeitung statt. Es ist nicht nur eine
parlamentarische Aufarbeitung, sondern auch eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit notwendig.
({1})
Da ist relativ wenig zu sehen. Das Desaster bei der Asse
ist nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, das vermurkste
Verfahren im Zusammenhang mit Gorleben auch nicht.
Ich merke nur, dass für die Anhörung im Juni nun diejenigen Personen als Sachverständige gehandelt werden,
die wir im Untersuchungsausschuss immer wieder als
treibende Kräfte auf wissenschaftlicher Seite gesehen
haben, die Probleme verursacht haben.
Der letzte Punkt. Bei der juristischen Aufarbeitung ist
bis heute komplett Fehlanzeige.
Es gibt einen weiteren Grundirrtum, von dem hier immer wieder ausgegangen worden ist. Es heißt: Dieses
Gesetz würde den gesellschaftlichen Großkonflikt befrieden. Aber solange es keine ergebnisoffene Debatte
gibt, solange Gorleben nicht aus dem Topf ist, solange
Öffentlichkeit, Verbände und kritische Wissenschaftler
nicht oder nur unzureichend einbezogen werden und
nicht wissen, in welcher Form sie sich einbringen können und ob sie Gehör finden werden, wage ich die Prognose, dass dieser gesellschaftliche Großkonflikt nicht
zu befrieden ist.
({2})
Angesichts der Tatsache, dass es hier darum geht, atomaren Müll mindestens 1 Million Jahre sicher vor der Biosphäre abzuschirmen, ist mehr Sorgfalt, mehr Transparenz und mehr echte öffentliche Beteiligung notwendig.
({3})
Meine Fraktion hat dazu vor geraumer Zeit ein FünfPunkte-Konzept vorgelegt, das wir gemeinsam mit Antiatominitiativen, Wissenschaftlern und Verbänden erarbeitet haben. Ich möchte diese fünf Punkte kurz benennen. Sie sind aus unserer Sicht die Grundvoraussetzung
dafür, dass ein gesellschaftlicher Konsens zustande kommen kann, der diesen Konflikt befriedet.
Der erste und unabdingbare Punkt ist ein unverzüglicher und unabkehrbarer Atomausstieg und die Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit.
({4})
Wenn wir das nicht tun, können wir keine Lehren für die
Zukunft ziehen. Das betrifft Gorleben, Asse, natürlich
auch Morsleben und Schacht Konrad - der Standort, der
aufzugeben ist -, und es betrifft auch mögliche Rechtsverstöße, die juristischer Aufarbeitung bedürfen. Wichtig ist auch, dass endlich eine Kostenübernahme nach
dem Verursacherprinzip eingeführt wird.
({5})
Zweitens ist es dringend notwendig, ein Verfahren zu
entwickeln, das eine Einbeziehung der Öffentlichkeit
über Beirats- und Beraterstrukturen, über Volksabstimmungen, aber auch über ein Klagerecht für Kommunen
ermöglicht.
({6})
Es muss transparent sein, und es muss von vornherein
klar sein, wo demokratisch legitimierte Stellen wie in
das Verfahren eingreifen können.
Erst dann kann - das ist der dritte Punkt - überhaupt
die Suche nach einem Verwahrkonzept erfolgen. Es ist
noch gar nicht klar: Was ist unser Konzept? Ist das, was
wir jahrzehntelang postuliert haben, nämlich die Nichtrückholbarkeit, überhaupt noch Stand der Wissenschaft
und Technik? Es gilt, die Vor- und Nachteile abzuwägen
und ethische Fragen - wir befinden uns in einem ethischen Dilemma - zu werten, um dann zu einem allgemein akzeptierten Kompromiss zu kommen.
Wenn das erfolgt ist, kann in einem vierten Schritt
überhaupt über eine Festlegung von standortunabhängiDorothée Menzner
gen Kriterien nachgedacht werden. Sie können erst festgelegt werden, wenn wir wissen, nach welcher Methode
wir lagern wollen.
({7})
Erst in einem fünften und letzten Schritt - das hat eine
gewisse Logik - kann es darum gehen, Standorte zu benennen und vergleichend zu untersuchen, um sich dann
einer Entscheidung zu nähern.
Als Fazit halte ich fest: Sie satteln hier heute ein totes
Pferd. Sie sagen, dass wir ganz schnell ans Ziel kommen
müssen. Deswegen haben Sie das erste Pferd genommen, das Sie im Stall gefunden haben, leider ist es ein totes. Damit werden Sie nicht weit kommen. Sie müssen
nach dem besten Pferd im Stall suchen.
Ich ahne, Sie wissen das, aber Sie haben die Hoffnung, dass es bis zur Bundestagswahl keinem auffällt.
Ich sage Ihnen: Es ist nicht gut, die Bürgerinnen und
Bürger für so doof zu halten.
({8})
Sie durchschauen das. Sie werden schon seit Jahrzehnten
in der Frage der Atompolitik immer wieder an der Nase
herumgeführt. Jetzt werden sie sich einmischen, sie werden mitdiskutieren, und sie werden sich wehren. Genau
da ist der Platz der Linken.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat nun Maria Flachsbarth für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Menzner: Schade! Es ist
schade, dass aus Ihrer Rede nur Verweigerungshaltung
hervorgeht, weil ich Sie über weite Teile der Legislaturperiode anders kennengelernt habe, weil wir in den Verhandlungen über die Asse sehr konstruktiv zusammengearbeitet haben, weil wir in den Verhandlungen, auch
im Gorleben-Untersuchungsausschuss, äußerst kontrovers und dennoch konstruktiv miteinander umgegangen
sind. Weil ich weiß, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode diesem Bundestag nicht mehr angehören werden, möchte ich mich für diese Arbeit herzlich bedanken
und Ihre Fraktion einladen, sich zu beteiligen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der GorlebenUntersuchungsausschuss ist eben schon genannt worden.
Er hat tatsächlich gezeigt, wie tief die Gräben zwischen
den Fraktionen und in der Gesellschaft in Bezug auf die
Vorgänge um Gorleben sind. Je nachdem, durch wessen
Brille man denn schaut, wird ein und derselbe Vorgang
gänzlich unterschiedlich wahrgenommen und mit geradezu konträren Kommentaren versehen. Leider war
aus diesem Grund noch nicht einmal ein gemeinsamer
Feststellungsteil, also ein Konsens über die bloße
Faktenerhebung, möglich. Dass das bei der Wertung
nicht möglich war - okay, geschenkt. Aber bei der
Faktenerhebung? Das hat letztendlich gezeigt, wie tief
die Gräben sind, wie groß das gegenseitige Misstrauen
und wie notwendig ein Neuanfang ist.
Wenn wir uns denn jetzt unserer gemeinsamen Verantwortung stellen wollen und uns nun, nach über
40 Jahren der Stromproduktion aus Kernenergie, endlich
der Endlagerung der hochradioaktiven, hochgiftigen Abfälle in unserem Land ergebnisorientiert annehmen wollen, dann braucht es für diesen Neuanfang politischen
Mut. Es ist über all die Jahre so bequem gewesen, den
Schwarzen Peter nach Niedersachsen zu schieben.
Deshalb bedanke ich mich und adressiere meine ausdrücklich große Anerkennung an Ministerpräsident
Kretschmann, an unseren ehemaligen Bundesumweltminister Röttgen und auch an David McAllister, diese Gespräche wieder in Gang gebracht zu haben.
Es ist doch klar, dass diese Gespräche kein Spaziergang sind, dass immer wieder - wie möglicherweise
auch jetzt - Scheitern drohen kann. Dennoch hat der
Prozess den Ministerwechsel in Berlin zu Peter Altmaier
und einen Regierungswechsel in Niedersachsen zu
Stephan Weil und Stefan Wenzel überstanden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die beiden ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel ihre
Fachkompetenz, vor allen Dingen aber auch ihren politischen Willen eingebracht haben, die Chance zur Einigung nicht verstreichen zu lassen.
Wir haben uns am 9. April darauf verständigt, ein Gesetz noch in dieser Legislaturperiode einzubringen und
es im Deutschen Bundestag und im Bundesrat auch zu
verabschieden. Diese Standortauswahl soll wissenschaftlichen Kriterien genügen, in einem vergleichenden Verfahren den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit
finden, in jedem Schritt von der Öffentlichkeit begleitet
und dann vom Deutschen Bundestag schrittweise legitimiert werden.
Das Verfahren orientiert sich an den Ergebnissen des
Arbeitskreises Endlager, die bereits seit 2002 auf dem
Tisch liegen. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass wir
auf der einen Seite keine Vorfestlegungen treffen können, dass wir auf der anderen Seite aber auch keinen
Standort von vornherein herausnehmen können. Deshalb
bleibt Gorleben wie jeder andere Standort im Verfahren.
Die bergmännische Erkundung in Gorleben bleibt beendet, und auch auf die Errichtung eines Forschungslabors wird verzichtet. Das nimmt Druck aus dem Verfahren. Auf der anderen Seite möchte ich die Bundes- und
die Landesregierung aber bitten, alles dafür zu tun, die
bergtechnische Expertise zu sichern und nicht zuletzt
den Bergleuten und ihren Familien eine berufliche Perspektive zu bieten.
({1})
Dem eigentlichen Standortauswahlverfahren wird
zunächst die Arbeit einer pluralistisch besetzten BundLänder-Kommission, bestehend aus 24 Mitgliedern, vorausgehen. Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und Umweltverbände
sollen bis Ende 2015 das Auswahlverfahren bezüglich
der Sicherheitsmindestanforderungen, der Ausschlussund Auswahlkriterien und bezüglich des methodischen
Vorgehens vorbereiten. Wie gestern in einem Berichterstattergespräch klar wurde, gibt es nicht nur aus meiner Fraktion noch einige Anfragen zu Besetzung,
Arbeitsweise und politischer Anbindung dieser Kommission. Das wird dann im parlamentarischen Verfahren
zu erörtern sein.
In allen Phasen des Prozesses, aber auch in die Arbeit
der Bund-Länder-Kommission wird die Öffentlichkeit
intensiv einbezogen. Transparenz sowie Beteiligung der
Bürgerinnen und Bürger werden bei jedem Verfahrensschritt notwendige Voraussetzungen sein. Die im Gesetzentwurf festgeschriebene frühzeitige, umfassende, aber
auch dynamische Öffentlichkeitsbeteiligung soll im weiteren Verfahren im Sinne eines lernenden Systems fortentwickelt werden.
Die parlamentarische Beratung, die wir ja nun heute
beginnen, soll durch eine intensive öffentliche Diskussion begleitet werden. Das Bundesumweltministerium
veranstaltet deshalb ein Endlagersymposium. Vom
31. Mai bis zum 2. Juni können sich interessierte Bürgerinnen und Bürger beteiligen und sich mit eigenen Redebeiträgen einbringen. Ihre Einlassungen werden dann
auch in der Anhörung, die der Umweltausschuss des
Deutschen Bundestages am 10. Juni 2013 durchführen
wird, berücksichtigt.
Zentraler Kern des Gesetzentwurfs sind demokratisch
legitimierte, nachvollziehbare Entscheidungen. Über die
einzelnen Schritte des Auswahlverfahrens entscheidet
das Parlament per Gesetz. Dazu gehören am Ende des
Verfahrens die Beschlüsse über die Standorte für die
über- und untertägige Erkundung sowie über den endgültigen Standortvorschlag. Zwischendurch, also vor der
untertägigen Erkundung, soll über das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz noch ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gewährt werden. Dann kommt ein Planfeststellungsverfahren, sodass es ab dem Jahr 2031 an dem
Standort an die Errichtung eines Endlagers gehen kann.
Außerdem haben sich alle Beteiligten darauf verständigt, dass die Castortransporte in das Zwischenlager
Gorleben eingestellt werden sollen. In diesen Tagen werden die Voraussetzungen dafür mit den Energieversorgungsunternehmen diskutiert. Die Gespräche machen
nach den Aussagen der Bundesregierung gegenüber den
Berichterstatterinnen gestern gute Fortschritte. Herr Ministerpräsident, ob die scharfen Töne aus Niedersachsen,
die ein Scheitern des Gesetzentwurfs androhen, falls der
Bundesminister sich nicht endlich kümmere, nötig und
hilfreich sind, wage ich zu bezweifeln.
({2})
Im Übrigen handelt es sich bei der Forderung nicht
um eine Idee der rot-grünen Landesregierung, sondern
bestenfalls um eine niedersächsische Forderung.
({3})
Ich darf auf einen Artikel auf Seite 1 der Hannoverschen
Allgemeinen Zeitung vom 5. November 2011 verweisen.
Die Überschrift lautete damals:
Schwarz-gelbe Castor-Gegner stellen sich quer.
Damit sind der ehemalige niedersächsische Umweltminister Sander und ich gemeint. Wir fordern gemeinsam, dass keine weiteren Castoren nach Niedersachsen
kommen,
({4})
weil die Menschen vor Ort das natürlich als weitere Vorfestlegung verstehen würden. Das hat mir in meiner eigenen Fraktion übrigens nicht nur Freunde eingebracht,
wie Sie sich vorstellen können.
({5})
Das Wegducken der anderen Länder - ich schließe
Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ganz ausdrücklich aus - hat nichts mit Rot-Grün oder SchwarzGelb zu tun, sondern ist bestimmt durch das seit Jahrzehnten bekannte Agieren aufgrund von Länderegoismen.
({6})
Deshalb sage ich: Lassen Sie uns den Weg der Sachpolitik, der in diesem verminten Politikfeld nur im Konsens
zu gehen ist, weitergehen. Es ist viel einfacher, sich in
den Schützengräben einzumauern, als neue Wege zu wagen.
({7})
Der niedersächsischen Landesregierung sage ich
- das sage ich als Niedersächsin -: Gerade wir Niedersachsen haben ein extremes Interesse daran, dass dieses
Gesetz gelingt;
({8})
denn sollte es scheitern, gilt der Status quo. Gorleben ist
der einzige Standort in Deutschland, der für ein Endlager
für hochradioaktive Abfälle erkundet wird.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit der
Lex Asse, der kleinen Schwester dieses Vorhabens, gezeigt, dass Politik handlungsfähig sein kann und auch
schwierige Fragen gelöst werden können, wenn der politische Mut und der Wille dazu da sind. Beides wünsche
ich uns sehr.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun Jürgen Trittin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in dieser Situation: Wir führen gemeinsam eine
seit über 30 Jahren umstrittene Frage einem breiten Konsens, einer Lösung zu. Man hat sich vor 50 Jahren dafür
entschieden, Atomkraftwerke zu betreiben, ohne dass
man sich klar darüber war, was anschließend mit dem
Atommüll geschehen sollte. Man träumte von billiger
Energie, aber den Müll wollte niemand haben. Die Diskussionen waren von kleinlichen Kostenerwägungen
und zum großen Teil bornierter Standortpolitik geprägt.
Der Untersuchungsausschuss Asse in Niedersachsen und
der Untersuchungsausschuss Gorleben legen beredt
Zeugnis von dieser Praxis ab.
Wir in Niedersachsen haben es nicht nur mit dem einzigen genehmigten Endlager für schwach und mittel radioaktiven Müll in Salzgitter zu tun. Wir haben auch das
Forschungsendlager, die sogenannte Asse, und in unmittelbarer Nähe das Endlager Morsleben, in dem Sie, liebe
Frau Bundeskanzlerin, einst zusätzlichen Müll einlagern
wollten. Darunter wird heute ein Schlussstrich gezogen.
Frau Flachsbarth, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu:
Diese Praxis, mit Atommüll umzugehen, beenden wir
heute. Wir beenden damit auch die unselige Vorfestlegung auf Gorleben. Dass wir das im Konsens gemeinsam tun können, ist eine gute Nachricht.
({0})
Wir gehen jetzt einen Weg, bei dem wir ausgehend
von wissenschaftlich festgelegten Kriterien, und zwar
vorher festgelegten Kriterien - wir bestimmen die Kriterien nicht anhand eines konkreten gewünschten Standortes -, schauen, welche Standorte für eine solche Endlagerung nicht geeignet sind. Dann schauen wir, welche
geeignet sein könnten, vergleichen diese miteinander
- oberirdisch wie unterirdisch - und treffen am Ende
eine Entscheidung. Die wesentlichen Entscheidungen
hierzu werden nicht mehr, wie es einst bei Gorleben der
Fall gewesen ist, im Hinterzimmer von einem Kabinettsausschuss eines Landeskabinetts mit ein paar zugereisten
Bundesministern getroffen, sondern hier im Deutschen
Bundestag nach öffentlicher Anhörung und in öffentlicher Debatte transparent für das gesamte deutsche Volk.
Das ist der einzige Weg, angemessen mit den Problemen
der Entsorgung des sehr gefährlichen Atommülls umzugehen.
({1})
Wir stehen in der Endlagerfrage also vor einem Neustart. Dieser Neustart hat auch viel damit zu tun, Vertrauen zu schaffen. Wir haben viel Wert darauf gelegt,
bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf, insbesondere auch nach den Erfahrungen im Gorleben-Untersuchungsausschuss und durch die Arbeit von Sylvia
Kotting-Uhl und Doro Steiner, für umfassende Beteiligung zu sorgen.
Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass gerade ein Ministerpräsident, der für sich selbst die Politik des Gehörtwerdens zum Motto gewählt hat, die Tür für diese
Lösung aufgestoßen hat. Dadurch, dass Winfried
Kretschmann gesagt hat: „Wir in Baden-Württemberg
entziehen uns nicht länger dieser Verantwortung“, hat er
dies ermöglicht. Ich finde, es ist ein schönes Geburtstagsgeschenk für ihn, dass wir heute dieses Gesetz beraten.
({2})
Transparenz und Vertrauen müssen aber immer wieder erworben werden. Lieber Peter Altmaier, ich bin ja
bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass wir uns nicht immer
über Petitessen echauffieren dürfen. Ich glaube aber,
dass die Frage, wie man mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgeht, eben gerade keine Petitesse
ist. Ich vermute, Sie sehen das genauso. Die Frage, ob es
in Gorleben als Folge der vorherigen Festlegung zu Enteignungen kommt oder nicht, ist entscheidend und keine
Petitesse.
({3})
Wir wollen eine weiße Landkarte, und eine weiße Landkarte kennt weder schwarze Löcher noch Vorfestlegung.
Jedwede Vorfestlegung muss rechtssicher - ich betone
das - beendet werden, wenn dieses Gesetz den Deutschen Bundestag verlassen und den Bundesrat passieren
soll.
({4})
Das gilt auch für die Frage des Umgangs mit den
Transporten in die Zwischenlager. Wir haben in
Deutschland mehrere Zwischenlager; diese hat damals
übrigens eine rot-grüne Bundesregierung genehmigt und
durchgesetzt. Wir werden praktisch zu entscheiden haben, in welches dieser Zwischenlager wir die zusätzlichen 26 Castoren bringen, die zurückzunehmen wir verpflichtet sind. Es ist unsere Pflicht, den Müll, der von
uns stammt, aus den anderen Ländern zurückzunehmen.
Ich muss sagen, Frau Brunkhorst, ich hätte mir von
Ihnen - ich weiß, wie Sie persönlich das sehen - klare
Worte gewünscht. Wer regiert denn in Hessen mit?
({5})
Wer regiert in Bayern mit? Wollen Sie wirklich warten,
bis wir Sie da im Herbst abgewählt haben, sodass das
wieder eine grüne Regierung macht?
({6})
Oder: Was sagen Sie zu dem bekennenden Atomkraftgegner Herrn Kubicki, der die Landesregierung in
Schleswig-Holstein dafür beschimpft, dass sie im Sinne
unseres gemeinsamen Konsenses hier Verantwortung
übernimmt, und schon ankündigt, dass er sich an Sitzblockaden beteiligen möchte?
({7})
Ich finde, so kann man das Vertrauen der Bürgerinnen
und Bürger in einen solchen Prozess auch zerstören.
({8})
Wir legen heute gemeinsam einen Gesetzentwurf vor,
der einen Neustart bei der Endlagersuche ermöglicht;
mit diesem Gesetz soll wissenschaftlich fundiert, transparent und demokratisch legitimiert eine Grundlage dafür geschaffen werden, dass die Gefährdung künftiger
Generationen durch den von unserer Generation produzierten Atommüll so weit minimiert bzw. gemindert
wird, wie es nach bestem Wissen und nach dem Stand
von Wissenschaft und Technik möglich ist. Dass dies im
Konsens heute möglich ist, das ist ein gutes Zeichen.
({9})
Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist
heute ein guter Tag, nämlich ein Tag, an dem wir ein klares Verfahren beschließen, wie wir ergebnisoffen einen
Endlagerstandort finden können. Heute sprechen wir
über das Verfahren. Damit ist aber das Problem noch
nicht gelöst; darüber sollten wir uns auch im Klaren sein.
Es wird im weiteren Verfahren genügend Gelegenheiten
geben, bei denen immer wieder die Gefahr besteht, dass
sich irgendjemand vom Acker macht und sagt: „Ich will
die Verantwortung dafür nicht übernehmen“, oder: „Gut,
wir haben ein Verfahren; aber in meinem Wahlkreis geht
das überhaupt nicht.“ - Es ist ja nicht das erste Mal, dass
wir nationale Aufgaben zu bewältigen haben, und immer
wieder haben wir den Reflex „In meinem Wahlkreis aber
nicht“ gesehen. Jeder, der dem Gesetzentwurf, den wir
heute einbringen, schließlich zustimmt, sollte sich auch
darüber im Klaren sein, dass es letztendlich auch seinen
eigenen Wahlkreis treffen kann. Auch dann muss man zu
dem, was man hier beschlossen hat, stehen. Ich glaube,
auch das gehört zur Wahrheit über die Konsensfindung
dazu.
Das gilt genauso, wenn es um die Castoren geht.
Auch hier müssen alle bereit sein, einen Beitrag zu leisten. Aber, Herr Trittin, ich finde es schon ein bisschen
billig, wenn Sie sich hier hinstellen und auf Bayern und
Hessen einschlagen.
({0})
Ich komme ja selbst aus NRW. Aber ich habe noch nicht
gehört, dass der nordrhein-westfälische Umweltminister
geschrien hat: Bitte, bitte, gebt mir Castoren!
({1})
Herr Sailer dagegen sagt: Grundsätzlich sind alle Zwischenlager geeignet. Das ist also eine billige parteipolitische Zuspitzung gewesen, die, glaube ich, an dieser
Stelle nicht der Sache dient.
({2})
Herr Kauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, das möchte ich jetzt nicht.
({0})
Deshalb, meine Damen und Herren: Wir wollen hier
einen Konsens finden. Diese Konsensorientierung sollten wir auch im Umgang miteinander weiterhin beibehalten und nicht, wie es Herr Trittin heute im Fernsehen,
im Morgenmagazin, wieder einmal gemacht hat, versuchen, Haare in der Suppe zu finden, um sich dann irgendwann doch vom Acker zu machen. Wer jetzt dem
Standortauswahlgesetz zustimmt, der muss auch im gesamten Verfahren zu dem stehen, was wir hier gemeinsam vereinbaren.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Ute Vogt für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Atomenergie in Deutschland ist eine Geschichte großer Irrtümer. Die einen haben diese Irrtümer
früher bemerkt, die anderen erst kürzlich. Es ist in der
Tat gut, dass wir uns in diesem Haus heute einig sind,
dass wir es den nachfolgenden Generationen schuldig
sind, mit dem Problem Atommüll so umzugehen, dass es
zumindest in den nächsten Jahrzehnten - endgültig lösen
können wir es wohl nicht - gelöst werden kann.
Um zu illustrieren, welchen Irrtümern man unterlag,
will ich beispielhaft zitieren, was im Jahr 1969 zum
Thema Atommüll gesagt wurde:
Ich habe mir … sagen lassen, daß der gesamte
Atommüll, der in der Bundesrepublik im Jahr 2000
vorhanden sein wird, in einen Kasten hineinginge,
der ein Kubus von 20 m Seitenlänge ist. Wenn man
das gut versiegelt und verschließt und in ein Bergwerk steckt, dann wird man hoffen können, daß
man damit dieses Problem gelöst hat.
So Carl Friedrich von Weizsäcker, immerhin ein sehr renommierter Wissenschaftler, im Jahr 1969. Ich denke,
das zeigt, in welchem Ausmaß man das Risiko, das von
hochstrahlendem Atommüll ausgeht, unterschätzt hat.
Angesichts der Größe der Aufgabe, die vor uns liegt,
sollten wir nicht unterschätzen, dass die Einigung, die
wir gefunden haben, Herr Minister Altmaier, durchaus
fragil ist; denn die lange Vorphase bis zu dieser Einigung
ist gegenüber dem, was jetzt noch an Aufgaben auf uns
zukommt, vergleichsweise kurz. Wir haben in dieser Republik schon mehrfach erlebt, dass Anstrengungen unternommen worden sind, die Suche nach einem Standort
für ein atomares Endlager wieder aufzunehmen. Ich erinnere daran, dass zuletzt im Jahre 2006, also noch zu
Zeiten der Großen Koalition, der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel eine erneute Endlagersuche auf
den Weg bringen wollte. Das damalige Vorhaben ist an
den Reihen der Union gescheitert, insbesondere an den
Ländern Baden-Württemberg und Bayern. Seinerzeit
waren Unionsregierungen, auch mit FDP-Beteiligung,
nicht bereit, diese nationale Verantwortung zu übernehmen, obwohl sie selbst gut daran verdient haben, dass
ihre Länder Atomkraftwerksstandorte haben.
({0})
Herr Kollege Kauch, genau darum geht es in dieser
Diskussion. Es geht nicht darum, dass man die Castoren
breit über Deutschland verteilt, sondern um zwei Dinge:
zum einen, dass wir lange Wege möglichst vermeiden,
denn jeder Transport ist mit Gefahren verbunden; zum
anderen, dass die Länder, die noch Atomkraftwerksstandorte haben, an der Übernahme nationaler Verantwortung beteiligt werden.
({1})
Deshalb sind auch Bayern und Hessen selbstverständlich
gefordert, dazu beizutragen, Niedersachsen zu entlasten,
das in der Tat schon viele Jahrzehnte für uns alle diese
Verantwortung getragen hat.
Die Einigung über die Grundlinien, die wir in den
Bund-Länder-Verhandlungen unter Beteiligung der
Fraktionen jetzt gefunden haben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im Gesetzesverfahren die entscheidende Arbeit noch leisten müssen. Ich bin froh,
dass sich der Herr Bundesminister eindeutig bekannt hat:
Für uns ist es unabdingbar, dass klargestellt wird, dass
die Finanzierung dieser Lasten durch die Verursacher,
nämlich durch die Betreiber, also durch die Energieversorgungsunternehmen, erfolgen muss.
({2})
Für uns ist es unabdingbar, dass in diesem Gesetz steht,
dass, bevor die unterirdische Erkundung in Angriff genommen wird, die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Betroffene, die Chance haben, eine Überprüfung
der Rechtmäßigkeit des Vorgehens vornehmen zu lassen.
Hierzu muss wahrscheinlich in den Gesetzestext noch
eine vernünftige und rechtssichere Formulierung aufgenommen werden.
Und schließlich: Der Verbleib der Castoren ist nicht
beliebig, sondern ihm zugrunde liegt eine zentrale Zusage, die der Bundesminister gegeben hat. Deshalb erwarten wir, dass diese Zusage vor der Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs eingehalten wird.
({3})
Wir haben im Gorleben-Untersuchungsausschuss erfahren, wie es durch eine falsche Politik und ein sehr
willkürliches Vorgehen gelungen ist, im Grunde nicht
nur die betroffenen Anwohner, sondern auch viele Menschen aus der ganzen Bundesrepublik gegen das in Gorleben geplante Endlager aufzubringen bzw. zumindest
gegen die Art und Weise, wie man ohne wissenschaftliche Expertise, zumindest unter Missachtung vieler wissenschaftlicher Erkenntnisse schlichtweg aus politischen
Gründen eine Entscheidung getroffen und sie der Bevölkerung übergestülpt hat. Wir haben erfahren, dass man
nicht etwa vorher Kriterien hatte, anhand derer man sukzessive geprüft hat, ob das Bergwerk in Gorleben diese
Kriterien erfüllt, sondern man hat umgekehrt im Grunde
jedes Mal, wenn man ein Untersuchungsergebnis hatte,
die Kriterien entsprechend angepasst.
Ich glaube an den Erfolg dieses Gesetzes, weil wir
dieses Mal anders vorgehen, weil im Vorfeld Kriterien
festgelegt werden. Diese stehen von vornherein fest; sie
werden nicht den Erkenntnissen aus der Erkundung angepasst, sondern unter Beteiligung auch kritischer Wissenschaftler, liebe Frau Menzner, vorher festgelegt. Dafür werden wir sorgen. Es werden nicht nur diejenigen
beteiligt, die in den letzten Jahrzehnten einschlägig aufgefallen sind - ich denke zum Beispiel an diejenigen im
Umfeld des Atomforums -, sondern es werden auch diejenigen einbezogen, die eine kritische Meinung haben
und am Gorleben-Prozess beteiligt gewesen sind.
Ich glaube, wenn man so vorgeht, dass man vorher
die Regeln festlegt und anschließend die verschiedenen
Standorte miteinander vergleicht, dann wird es uns zwar
nicht gelingen, das supersichere Endlager zu finden
- denn wer von uns kann sagen, was in 1 Million Jahren
sein wird? -, aber es wird uns jedenfalls gelingen, das sicherstmögliche Endlager in Deutschland ausfindig zu
machen.
Ich bedanke mich bei allen, die konstruktiv an diesem
Prozess teilnehmen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die
Hürden, die jetzt noch zu überwinden sind, auch vonseiten des Bundesumweltministers, zu überwinden, damit
dieses große Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht
werden kann. Ich hoffe, dass uns heute nicht nur die Einbringung des Gesetzentwurfes mit Freude erfüllt, sondern möglichst noch in dieser Legislaturperiode auch die
Verabschiedung des Gesetzes erfolgt, damit keiner mehr
hinter dieses Gesetz zurück kann.
({4})
Das Wort hat nun Andreas Jung für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte über die Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle führt uns in aller Deutlichkeit noch einmal zwei Dinge vor Augen. Sie zeigt uns zum einen,
dass die Kernenergie eine Technologie ist, die Risiken
mit sich bringt, und sie zeigt uns zum anderen, wenn wir
uns die Kosten der Endlagersuche und die Kosten der
Errichtung eines Endlagers vor Augen führen, dass die
Kernenergie keine billige Form der Energieerzeugung ist
und dass unser gemeinsamer Weg, aus der Kernenergie
auszusteigen und mit der Energiewende den Weg hin zu
erneuerbaren Energien zu gehen, richtig ist. Deshalb
können wir heute betonen, welch große Bedeutung der
Energiekonsens von vor zwei Jahren für die Zukunft der
Energieversorgung hat.
({0})
Auf diesen Energiekonsens bauen wir jetzt mit dem
Endlagerkonsens auf. Ich begrüße diesen Konsens ausdrücklich. Ich schließe mich der Wortwahl von Peter
Altmaier an, der gesagt hat: Es ist ein hohes Gut, dass
wir diese wichtige Frage in einem möglichst breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens lösen. - Es
geht hier eben nicht um Fragen mit Auswirkungen von
vier, acht oder zwölf Jahren, auch nicht von Jahrzehnten,
sondern es geht um Fragen mit Auswirkungen von Jahrhunderten und Jahrtausenden; so lange bringen diese
Abfälle noch Gefahren mit sich.
Deshalb halte ich es für richtig, dass wir gemeinsam
voranschreiten und damit eine Diskussion überwinden,
die Verhärtungen mit sich gebracht hat, die Verzögerungen mit sich gebracht hat und die von einem Gegeneinander von Parteien, Bund und einzelnen Ländern gekennzeichnet war. Es ist gut, dass wir diesen Konsens
erreichen. Wir wissen, dass es dafür notwendig war, von
einer alleinigen Erkundung von Gorleben abzurücken.
Umgekehrt ist es aber genauso notwendig, dass Gorleben bei der Suche nach einem Endlagerstandort nicht
von vornherein ausgeschlossen wird.
Die Suche muss nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen. Wir brauchen einen transparenten Vergleich. Es
ist richtig, dass wir dies im Konsens gemeinsam angehen.
({1})
Dabei kommt es darauf an, dass wir gemeinsam in den
Mittelpunkt stellen: Bei der Suche nach einem Endlagerstandort soll nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen werden, entscheidend soll die bestmögliche
Sicherheit sein. Ich finde, dagegen gibt es keine Argumente. Das ist die Diskussion, die wir jetzt zu führen haben. Darüber soll eine Enquete-Kommission beraten,
und der Deutsche Bundestag wird dann darüber beraten.
Dass dieses Verfahren, wie Herr Trittin gesagt hat, einen Neustart darstellt, trifft zu. Gleichwohl können wir
bei den wissenschaftlichen Erkenntnissen an einen jahrzehntelangen Diskurs anknüpfen. Sie, Herr Trittin, haben den AK End eingesetzt, der Empfehlungen ausgesprochen hat, was bei der Endlagersuche zu
berücksichtigen ist: Es werden klare Anforderungen an
die geologischen Gegebenheiten, aber auch an die Erdbebensicherheit gestellt. Meine Auffassung ist, dass wir
auf diesen Erkenntnissen aufbauen müssen und sie berücksichtigen müssen. Gerade nach Fukushima dürfen
beim Thema Erdbebensicherheit keine Kompromisse gemacht werden, darf es keine Aufweichungen geben.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Kontext der Endlagersuche gehört natürlich auch die Frage
der Zwischenlager. Ich will zunächst einmal vorausschicken, dass, nur weil wir in der Frage der Endlagersuche
jetzt einen Konsens haben und diesen umsetzen, die
Frage der Zwischenlager und des Transports von Castoren an Sensibilität nichts verloren hat. Es gibt Ängste bei
den betroffenen Menschen; diese Ängste müssen wir
weiterhin ernst nehmen. Es ist klar, dass hier nicht über
die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden
darf. Wir brauchen auch im Hinblick auf die Zwischenlager ein transparentes Verfahren. Die Bevölkerung
muss einbezogen werden, und die Länderparlamente
müssen einbezogen werden. Im Übrigen - das wurde
hier mehrfach gefordert - müssen die Lasten gerecht
verteilt werden.
Deshalb will ich mich der Forderung, die hier mehrfach erhoben wurde, anschließen: Weitere Länder müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Bisher haben
Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein angekündigt, dass sie sich konstruktiv einbringen wollen. Aber
auch andere Länder müssen sich konstruktiv einbringen.
Es gibt - das sage ich völlig unabhängig von der parteipolitischen Farbenlehre - weitere große Länder, die in
der Vergangenheit Atommüll produziert haben und dies
Andreas Jung ({3})
auch weiter tun. Wir erwarten, dass sich auch diese Länder konstruktiv einbringen. Wir setzen darauf, dass Peter
Altmaier, der diese Gespräche intensiv und mit Engagement führt, auch hier wesentliche Fortschritte erzielen
wird.
({4})
Ich wünsche mir - das will ich zum Abschluss sagen -,
dass auch die Diskussion über mögliche Zwischenlager
im Geiste dieses Konsenses geführt wird und nicht mit
einer Rhetorik einseitiger Erwartungshaltungen. Gestatten Sie mir, Herr Ministerpräsident Weil, deshalb eine
Bemerkung: Wir betonen hier den Konsens. Sie wissen,
dass es ohne die Beteiligung der betroffenen Länder
nicht geht und der Bundesumweltminister niemanden
zwingen kann, dass man nur durch konstruktive Gespräche weiterkommen kann. Daher war ich verwundert,
Herr Weil, dass Sie hier zu der oben angesprochenen
Rhetorik gegriffen haben, indem Sie gesagt haben: „Herr
Minister Altmaier: Sie müssen liefern.“
({5})
Diese Haltung ist nicht getragen von einem konstruktiven Miteinander. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass
wir konstruktiv weiterdiskutieren sollten, auch über die
Frage der Zwischenlager. In diesem Sinne wird sich die
Unionsfraktion auch einbringen.
Herzlichen Dank.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Georg Nüßlein
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube
nicht, dass es Sinn macht, jetzt - am Ende der Debatte Streitpunkte zu eröffnen, laut zu werden oder in größerem Ausmaß Zwischenrufe zu starten,
({0})
sosehr ich auch für mich in Anspruch nehme, dass ich in
den Debatten im Deutschen Bundestag gerne Zurufe mache. Das wäre jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt und
dem Thema nicht angemessen.
Wir beraten jetzt in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der einen partei- und länderübergreifenden Konsens zu einem besonders wichtigen Thema markiert;
aber ich sage auch ganz klar: „In erster Lesung“ heißt,
dass wir kurz vor dem Ziel, aber noch nicht am Ziel sind.
Genauso wichtig ist: Wir haben uns jetzt erst einmal
über ein Verfahren verständigt. Das ist ein großer Schritt,
aber trotzdem sind wir eben leider noch nicht am Ende.
Natürlich muss unser gemeinsames Vorgehen abbilden, dass die Generationen, die die Kernenergie genutzt
haben, verantwortlich mit der Entsorgung umgehen
müssen. Das liegt in ihrer Verantwortung. Ich möchte an
der Stelle betonen: Genutzt haben sie alle, und über die
Einführung der Kernenergie in Deutschland haben auch
alle damals etablierten Parteien im Konsens entschieden.
Deshalb, Herr Ministerpräsident - da hat Andi Jung natürlich recht -, muss nicht nur der Bundesumweltminister liefern, sondern wir alle müssen liefern. Ich glaube,
darüber gibt es hier gar keinen Streit.
({1})
Das sind die Prämissen des heute zu debattierenden
Entwurfs, der Zeugnis einer über Partei- und Landesgrenzen hinweggehenden Konsensfindung ist. Ich sage
auch ganz klar: Wer Parteipolitik kennt - alle hier sind
fachkundig -, der weiß, wie schwierig so etwas ist und
dass das alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.
Wir haben somit hier heute eine außerordentlich große
Chance, gemeinsam Handlungsfähigkeit zu dokumentieren. Diese sollten wir nutzen und bei so einer Gelegenheit auch einmal gemeinsam aufzeigen und nach draußen tragen, dass Politik in Deutschland auch bei noch so
strittigen Themen handlungsfähig und einigungsfähig
ist.
Es geht auf der einen Seite um die sichere Endlagerung, aber auf der anderen Seite eben auch darum - das
möchte ich am Schluss der Debatte noch einmal ganz
klar herausstellen -, zu zeigen, dass wir im modernen
Rechtsstaat auch über besonders streitige und besonders
wichtige gesellschaftspolitische Themen überparteilich
verhandeln und am Ende auch im Konsens eine Lösung
umsetzen können; denn das Umsetzen ist ja die eigentliche Herausforderung.
Herr Trittin, ich habe vorhin gesagt, dass ich gerne
streite. Weil es hier nicht hineinpasst, verkneife ich mir
an dieser Stelle aber einen Spruch zu der von Ihnen angekündigten Regierungsübernahme durch die Grünen in
Bayern. Ich habe von Andi Jung ja gerade gehört, es
gehe hier um Jahrhunderte, wenn nicht gar um Jahrtausende.
({2})
Unter dem Gesichtspunkt betrachte ich die zeitliche
Schiene, von der Sie da gesprochen haben.
({3})
Wir debattieren hier in erster Lesung natürlich einen
Kompromiss. Im parlamentarischen Verfahren wird das
eine oder andere Detail natürlich noch auszugestalten
sein. Es gibt eine ganze Menge an Themen: die Frage
der Zusammensetzung und des Vorsitzes der einzurichtenden Enquete-Kommission, die Frage, wer das ganze
Verfahren bezahlt bzw. wie die Kosten verteilt werden,
die Frage, wie diese Kommissionsarbeit letztendlich abgerechnet wird, und ähnliche Dinge. Verglichen mit der
Grundsatzbedeutung, die dem Inhalt des Gesetzentwurfs
beizumessen ist, sind das aber nur Marginalien, die im
regulären parlamentarischen Verfahren noch eingebracht
und verhandelt werden können. Ich will diesen Aspekten
damit nicht ihre Bedeutung absprechen. Ein gutes Gesetz muss natürlich bis ins letzte Detail durchdacht sein,
aber alles hat seine Zeit. Diese Punkte können wir noch
in Debatten, Anhörungen und Ausschüssen beraten. Wir
sind nämlich Gott sei Dank so vorgegangen, dass jetzt
am Ende der Wahlperiode noch genügend Zeit ist, das
ordentlich zu regeln; auch das möchte ich betonen. Das
ist ein Verdienst all derjenigen, die das letztendlich mit
angestoßen und mit organisiert haben.
Weil heute insbesondere der Bundesumweltminister
allen gedankt hat, möchte ich das an dieser Stelle auch
einmal umgekehrt tun, nämlich dem Bundesumweltminister danken. Es war ein großer Kraftakt, den er hier
vollzogen hat, und er hat das hervorragend gemacht. Lieber Peter Altmaier, vielen Dank! Großartige Leistung!
({4})
In der Thematik Gorleben muss man drei Dinge ganz
klar festhalten:
Erster Punkt. Um zu zeigen, dass wir es ernst meinen,
ist es sinnvoll, darauf zu verzichten, jetzt zusätzliche
Castoren nach Gorleben zu transportieren, denn sonst
würden wir die Entscheidung für eine Standortsuche infrage stellen, und dann würde der Eindruck entstehen:
Die spielen mit uns, die meinen das nicht ernst.
Zweiter Punkt. Genauso sinnvoll ist es, das Wissen,
das wir bei der Erkundung erworben haben, jetzt nicht
ad acta zu legen.
Dritter Punkt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, darauf
zu achten, dass es bei der Endlagersuche auf der weißen
Landkarte nicht von Anfang an einen schwarzen Fleck
gibt, nämlich Gorleben. Auch das würde niemand verstehen.
({5})
- Es freut mich, dass der Kollege Trittin an dieser Stelle
klatscht. - Wichtig ist auch - das muss sich bei den Linken noch herumsprechen -: Ich kann nicht beschließen,
mit der Suche neu zu beginnen, und dann einen Ort komplett ausschließen, nur weil es dort nachvollziehbare
Schwierigkeiten mit der Bevölkerung gibt. Ich habe großes Verständnis für die Betroffenen vor Ort. Aber es gibt
zum jetzigen Zeitpunkt, jedenfalls bei den Geologen,
kein Argument, warum man Gorleben ausschließen
sollte. Es bringt auch politisch keinen Nutzen, die weiße
Landkarte mit einem schwarzen Fleck zu versehen. Lassen Sie uns wirklich von vorne anfangen.
Das ist unser Anliegen. Nur so können wir nicht nur
einen Konsens über das Verfahren schaffen, sondern am
Schluss auch ein konsensfähiges Vorgehen erreichen. In
diesem Sinne: Glück auf für dieses Gesetz!
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/13471 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 53 a und 53 b
sowie Zusatzpunkt 9 auf:
53 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des
Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben
im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank
- Drucksache 17/13470 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen
- Drucksachen 17/12601, 17/13035 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 17/13523, 17/13539 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial verringern Geschäfts- und Investmentbanking trennen
- Drucksachen 17/12687, 17/13523, 17/13539 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben in dieser Woche im Deutschen Bundestag
über wichtige Meilensteine im Hinblick auf einen stabilen Finanzrahmen mit notwendiger Konsequenzziehung
aus der Finanzmarktkrise debattiert. Heute werden wir
über einen weiteren Meilenstein für eine stabile Finanzsystemordnung in Europa und darüber hinaus debattieren, nämlich über die Schaffung einer einheitlichen EUweiten Bankenaufsicht.
Wir erinnern uns: Am 29. Juni des vergangenen Jahres haben die Staats- und Regierungschefs des EuroWährungsgebietes in ihrer Gipfelerklärung den Weg für
einen einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus unter Beteiligung der Europäischen Zentralbank politisch freigemacht. Das politische Hauptziel ist,
dass durch einen solchen einheitlichen Aufsichtsmechanismus der Teufelskreis aus Banken und Staatsanleihen
durchbrochen werden soll.
({0})
Wir wollen die gleiche Durchsetzung europäischer Aufsichtsstandards in den an ihm teilnehmenden Mitgliedstaaten. Damit soll das Vertrauen in unsere europäische
Währung und in ein stabiles Bankensystem in Europa
gefestigt werden.
Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben in ihrer Gipfelerklärung die Rechtsgrundlage für
diesen einheitlichen Aufsichtsmechanismus klar vorgegeben: Art. 127 Abs. 6 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Darin ist vorgesehen,
dass der Rat einstimmig durch Verordnung besondere
Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über die
EZB übertragen kann.
Die Europäische Kommission hat dann am 12. September des vergangenen Jahres einen Vorschlag für eine
Verordnung des Rates vorgelegt. Diese Verordnung trägt
den schönen Titel „Single Supervisory Mechanism“,
kurz: SSM-Verordnung.
Es folgten dann intensive Verhandlungen im Rat. Nur
drei Monate nachdem die Vorschläge vorgelegt worden
waren, konnte am 13. September des vergangenen Jahres
unter den 27 EU-Finanzministern eine erste einstimmige
politische Einigung über Texte erreicht werden. Natürlich war es wichtig und notwendig, auch das Europäische Parlament in die Verhandlungen einzubeziehen.
Jetzt haben wir einen Verordnungstext mit Datum vom
18. April, mit dem die inhaltlichen Voraussetzungen für
eine formelle Verabschiedung dieser Verordnung vorliegen.
Mit dem heute eingebrachten Entwurf eines Zustimmungsgesetzes soll der deutsche Vertreter im Rat ermächtigt werden, dieser ausgehandelten Verordnung
über eine einheitliche europäische Aufsichtsstruktur im
Bankenwesen zuzustimmen. Durch die Verordnung sollen besondere Aufgaben im Bereich der Bankenaufsicht,
die bislang nur auf nationaler Ebene wahrgenommen
werden, auch auf die EZB verlagert werden.
So wird die Europäische Zentralbank die zuständige
Behörde für die Überwachung der Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen und die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis sein. Zudem wird sie die Einhaltung
von Bestimmungen zum Verschuldungsgrad und zur
Mindestliquiditätsquote überwachen und entsprechende
Kapitalpuffer festlegen.
Deutschland hat sich in den Verhandlungen über eine
gemeinsame europäische Bankenaufsichtsstruktur stets
und entschieden für eine klare Aufteilung der Aufgaben
zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden und
für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eingesetzt.
Wir konnten uns durchsetzen. Die direkte Aufsicht der
EZB wird sich nur auf die bedeutenden Kreditinstitute
der teilnehmenden Mitgliedstaaten konzentrieren. Kriterien für die Bedeutsamkeit eines Kreditinstituts sind die
Größe,
({1})
seine Bedeutung für die Wirtschaft der EU oder des Mitgliedstaates oder der Umfang der grenzüberschreitenden
Tätigkeit des Instituts. Zum Beispiel gelten Kreditinstitute mit einer Bilanzsumme von über 30 Milliarden Euro
als bedeutend.
Unabhängig von diesen Kriterien soll die EZB mindestens
({2})
die drei bedeutendsten Kreditinstitute eines jeden teilnehmenden Mitgliedstaates direkt beaufsichtigen.
({3})
- Lieber Herr Kollege Kahrs, Sie können nachher reden
und Ihren Sachverstand zu diesem Sachverhalt in freier
Rede deutlich machen.
({4})
Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn - mit Unterstützung
des Präsidenten - Sie mich jetzt fortfahren lassen würden, lieber Kollege Kahrs.
({5})
- Ich wusste gar nicht, dass Sie bei diesem Thema so
kompetent und engagiert sind.
Jedenfalls kommt es darauf an, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir durch den heute zu verabschiedenden
Entwurf des Zustimmungsgesetzes den Weg dafür freimachen, dass im Hinblick auf die Situation der europäischen Bankenlandschaft mehr Stabilität eintritt. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass es bei der strikten
Trennung im Hinblick auf die Verantwortung der Europäischen Zentralbank, was die Geldwertstabilität in diesen Aufsichtsfragen anbelangt, bleibt.
Des Weiteren haben wir uns dafür eingesetzt, dass es
zu einer abgestimmten Aufsichtsstruktur kommt. Die bewährten nationalen Aufsichtsstrukturen werden die
nichtbedeutenden Kreditinstitute weiter überwachen.
Die bedeutenden Kreditinstitute - ich habe die Definition genannt - werden in Zukunft von der Europäischen
Zentralbank überwacht werden. Wir werden natürlich
auch genau darauf achten, dass die technischen Details,
die jetzt noch auszuformulieren sind, auch unter Mitwirkung sowohl des Europäischen Parlaments als auch der
nationalen Parlamente ausformuliert werden.
Die strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsicht war ein ganz entscheidender Punkt. Für uns ist es
aber auch wichtig, dass eine Schlichtungsstelle eingerichtet wird, die im Falle eines Einspruchs des EZBRates gegenüber einem Entscheidungsvorschlag des
Aufsichtsgremiums die Meinungsverschiedenheiten beilegen soll. Auch die Aufsichtstätigkeit bei der EZB soll
durch Abgaben finanziert werden. Diese Abgaben werden von den beaufsichtigten Kreditinstituten zu zahlen
sein. Das heißt, es wird nicht zu Belastungen der öffentlichen Haushalte durch diese neue Aufsichtsstruktur
kommen.
({6})
- Ich weiß gar nicht, lieber Herr Kahrs, warum Sie in
eine sachliche Debatte über ein wichtiges europäisches
Gesetzesvorhaben eine solch komische Stimmung hineinbringen.
({7})
Ist Ihnen heute irgendetwas über die Leber gelaufen?
(Beifall des Abg. Peter Aumer ({8})
Wahrscheinlich ist Ihnen wirklich etwas über die Leber
gelaufen;
({9})
denn der Sachverhalt, lieber Herr Kahrs, mit dem wir
uns heute auseinandersetzen, erfordert doch ein wenig
Ernsthaftigkeit und Seriosität und nicht plumpe Pöbelei.
Vielleicht versuchen Sie jetzt, der Debatte ein bisschen
angemessener zu folgen.
({10})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine vermutlich
sachliche Zwischenfrage des Kollegen Schneider?
Ja. Der Kollege Schneider zeichnet sich immer durch
sachliche Beiträge und Zwischenfragen aus.
({0})
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin den Teufelskreis
aus Staatsfinanzen und Bankfinanzen beschrieben, der
durchbrochen werden soll. In der Erklärung der Regierungschefs vom Juni 2012, die die Bundeskanzlerin mit
unterschrieben hat, wird auch die Öffnung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die Refinanzierung der
Banken genannt. Das heißt, der Staatsrettungsfonds wird
zu einem Bankenrettungsfonds. Sie haben bisher noch
nichts dazu gesagt. Ich möchte gern wissen, wann Sie
hier dem Haus den geänderten Gesetzentwurf dazu vorlegen wollen; denn der Bundestag hat das ausgeschlossen. Eine der Bedingungen für die Öffnung des ESM ist
- ich denke, die Bundesregierung steht bei ihren europäischen Partnern im Wort - die Bankenaufsicht. Sind
Sie noch der Auffassung, dass der ESM die Rekapitalisierung der Banken, also die Schuldenübernahme, durch
europäisches Geld vornehmen soll, oder ist das jetzt
nicht mehr Ihr Punkt?
Lieber Herr Kollege Schneider, wenn Sie die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates aufmerksam verfolgt haben, werden Sie festgestellt haben, dass dort eine
klare Prioritätensetzung vorgenommen wurde. Jetzt geht
es darum, die Regeln für den einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter Dach und Fach zu bringen. Der nächste
Schritt ist der Abschluss der Bankenrestrukturierungsrichtlinie. Dann werden wir uns mit wirksamen Instrumenten einer möglichst gemeinsam abgestimmten europäischen Einlagensicherung beschäftigen. Danach wird
- genau das sind die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates - mit der Erarbeitung von Möglichkeiten einer direkten, konditionierten Rekapitalisierung von Banken durch den ESM begonnen werden. Alles schön der
Reihe nach, so wie es in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates festgelegt wurde.
Ich gehe davon aus, lieber Herr Kollege Schneider,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
dass Sie dieses Gesamtwerk, das uns mehr Stabilität des
Finanzsystems in Europa bringen soll, konstruktiv unterstützen. Es wäre völlig falsch, hier die Schritte unkoordiniert und nicht in der Reihenfolge, wie sie in den
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vorgesehen
ist, zu unternehmen. Ich lade Sie dazu ein, dies konstruktiv zu begleiten. Darüber würde ich mich freuen.
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Interesse der
Opposition und Deutschlands liegt, wenn wir uns zum
Beispiel an das schwierige Thema der direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM wagen, ohne die anderen Grundvoraussetzungen, wie ich sie beschrieben
habe, deutlich darzulegen. Das müsste sogar der Kollege
Kahrs verstanden haben.
({1})
In diesem Sinne werden wir mit dem heute eingebrachten Entwurf eines Gesetzes, das die Zustimmung
des deutschen Ratsvertreters zu der Verordnung des Rates ermöglichen soll, einen wichtigen Meilenstein auf
den Weg bringen. Das zeigt übrigens auch, welch hohen
Grad der Parlamentsbeteiligung wir in Deutschland haben. Bevor der deutsche Vertreter im Rat zustimmen
kann, holen wir die Zustimmung des Deutschen Bundestages durch dieses Gesetz ein.
Wir werden uns heute in zweiter und dritter Lesung
mit einem weiteren wichtigen Gesetz der Bundesregierung befassen, zu dem dann auch noch andere Kollegen
aus den Koalitionsfraktionen Stellung nehmen werden.
Ich will nur sehr deutlich sagen: Auch beim Thema
Trennbanken geht Deutschland wieder einmal voran,
setzt Deutschland wieder einmal Zeichen. Wir haben das
beim Thema Leerverkaufsverbot getan. Wir haben das
beim Thema Hochfrequenzhandel getan. Wir haben das
beim Thema Honorarberatung getan. Wir tun es jetzt - es
geht dabei um erste Konsequenzen aus dem Liikanen-Bericht - durch das Gesetz, das man als Trennbankengesetz
bezeichnen kann. Es wäre schön gewesen und wir hätten
uns in Europa viel erspart, wenn Deutschland auch in
den elf Jahren sozialdemokratischer Verantwortung im
Bundesfinanzministerium Schrittmacher für mehr und
für notwendige Regulierung auf europäischer Ebene gewesen wäre.
({2})
Diese Aufgabe hat diese Bundesregierung mit Bundesfinanzminister Schäuble und der christlich-liberalen
Koalition übernommen. Wir können am Ende dieser Legislaturperiode sagen, dass wir durch unseren entschiedenen Einsatz die richtigen Konsequenzen aus der Krise
gezogen und die Finanzsysteme in Europa und damit unsere gemeinsame Währung stabiler gemacht haben.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute über den wichtigsten Souveränitätstransfer, den es in der Europäischen Union bisher gegeben hat,
({0})
und über ein - angebliches - Trennbankensystem, das
nicht trennt. Wir stellen fest, dass der Minister nicht da
ist. Ich kann nur sagen: Dies ist ein Armutszeugnis für
diese Bundesregierung.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, blicken wir noch
einmal zurück: Es war die Bundeskanzlerin, die auf einer Ratssitzung im Juni letzten Jahres ihre Zustimmung
dazu gab, dass Banken in Zukunft direkt aus dem ESM
rekapitalisiert werden können, wenn eine gemeinsame
Bankenaufsicht eingerichtet ist. Wir haben von Anfang
an gesagt, dass es ein großer politischer Fehler war, den
die Bundeskanzlerin da gemacht hat. Nun versucht die
Bundesregierung krampfhaft, Nebelkerzen zu werfen,
Chaos zu produzieren, um ihr politisches Versagen zu
vertuschen.
Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Zustimmung des Bundestages zu einer europäischen Bankenaufsicht einzuholen. Ja, eine europäische Bankenaufsicht, eine Bankenunion in Europa, ist unserer Meinung
nach notwendig; denn das europäische Bankensystem ist
nach wie vor marode. Es fehlen nach Meinung von Experten mindestens 500 Milliarden bis 1 Billion Euro an
Kapital.
Die Bankenkrise verschlimmert die Rezession im
Euro-Raum massiv. In vielen Ländern gibt es eine dramatische Kreditklemme. Die traditionelle Geldpolitik
der Zentralbank wirkt in vielen Ländern nicht mehr. Mit
der andauernden Rezession werden auch die Probleme
vieler Banken größer. Die Bankenunion soll helfen. Sie
muss deshalb kommen.
Man hat sich in Europa verständigt - der Herr Staatssekretär hat das eben deutlich gemacht - auf eine gemeinsame Bankenaufsicht bei der EZB. Wenn man so etwas kurzfristig einrichten will, dann kann man im
Moment sicherlich keine andere Institution beauftragen,
die in der Lage ist, dies in Europa fachkundig zu erledigen. Aber die Probleme liegen auf der Hand. Geldpolitik
und Aufsicht lassen sich nicht wirklich trennen, auch
wenn Sie, Herr Koschyk, hier eben etwas anderes dargestellt haben.
Nach den Gesetzen kann nur der EZB-Rat Entscheidungen treffen. Die juristische Prüfung hat dies eindeutig ergeben. Interessengegensätze zwischen Geldpolitik
und Aufsicht sind damit vorprogrammiert. Wie - das
frage ich Sie - soll die EZB eine Bank beaufsichtigen,
wenn sie gleichzeitig Geschäftspartner und Gläubiger
ist?
({2})
Wir fordern deshalb, die Übertragung der Aufsicht über
systemrelevante Institute an die EZB zeitlich zu begrenzen. Wir brauchen auf Dauer eine von der Geldpolitik
unabhängige Institution, die diese Aufgabe übernimmt.
Zur Bankenunion gehören notwendigerweise auch
eine unabhängige europäische Abwicklungsbehörde, die
das Recht hat, Banken zu rekapitalisieren und auch abzuwickeln, und ein entsprechender Abwicklungsfonds,
der aus den Beiträgen der Banken gespeist werden muss,
so wie wir es hier vorgeschlagen haben, damit die Banken selber und nicht die Steuerzahler die Risiken übernehmen.
({3})
Jetzt wird es interessant: Der Bundesfinanzminister
übt sich im Moment im Tarnen, Täuschen, Tricksen und
Verzögern.
({4})
In einem Namensartikel der Financial Times geht er auf
Konfrontation zur EZB und verkündet: Ohne Vertragsänderung kein Abwicklungsfonds. Stattdessen will er ein
Netzwerk nationaler Behörden. Man überlege einmal:
Selbst in Deutschland gibt es keinen entsprechenden
Fonds, der in der Lage ist, die Aufgabe zu erfüllen. Die
Bankenabgabe, die Sie beschlossen haben, war doch viel
zu gering. Da ist doch überhaupt nichts, was national
eingebracht werden kann.
({5})
- Die Banken selber zahlen das.
({6})
Sie wollen die Banken doch immer schonen. Wir sagen:
Die Banken müssen das selber bezahlen und nicht die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
({7})
Mit seinem Vorstoß versucht der Minister, eine Bankenunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Damit würde automatisch die Zusage von Frau
Merkel wieder gelten, dass sich Krisenbanken zukünftig
aus dem ESM rekapitalisieren können. Das würde bedeuten: Nun ist dank dieser Bundesregierung wieder der
Steuerzahler in der Haftung. Die nächste Pleitebank wird
vom Steuerzahler bezahlt. Sie darf sich bei dieser Bundesregierung bedanken.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo bleibt eigentlich
die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, die Glaubwürdigkeit von Frau Merkel und Herrn Schäuble, wenn
derartig getrickst und getäuscht wird, wenn einem Juristen auf einmal einfällt, die Bankenaufsicht kann gemäß
Art. 127 Abs. 6 AEUV problemlos eingerichtet werden,
aber die Abwicklung nicht? Dann entsteht die Situation,
dass die „lähmende Herrschaft der Zombie-Banken“, so
hat es Herr Münchau auf Spiegel Online formuliert, fortgesetzt wird.
Auch die EZB und die Kommission haben sich entsprechend geäußert. In einem Artikel heißt es: EZB gegen zweistufige Bankenabwicklung; Asmussen hält
nichts von Schäubles Idee. - Das ist auch nachvollziehbar; denn diese Idee wäre genauso unsinnig, wie es wäre,
wenn die Polizei keine Knöllchen schreiben dürfte.
({9})
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum Stichwort
Bankentrennung sagen. Bankentrennung? Schön wäre
es, wenn Banken tatsächlich getrennt würden. Dieser
Gesetzentwurf trennt aber nichts. Der Kommentator auf
der Wirtschaftsseite der Süddeutschen Zeitung nennt den
Gesetzentwurf völlig zu Recht „Blendwerk“. Warum?
Die Idee einer Trennbank ist die Unterbindung der
Finanzierung des Casinos durch die Kreditbank. Dies
gelingt der Bundesregierung nicht. Die Abtrennung des
risikoreichen Geschäfts vom Kundengeschäft wird nicht
wirklich vorgenommen. Das hat die Anhörung des
Finanzausschusses eindeutig ergeben. Dies ist kein
Trennbankensystem. Die Schwellenwerte sind viel zu
hoch. In der Anhörung wurde klar: Weniger als 1 Prozent der Bankaktivitäten sind von der Trennungsvorschrift betroffen. Herr Vickers hat das in der Anhörung
als „befremdlich“ bezeichnet. Die Süddeutsche Zeitung
formulierte: „… die Banken-Lobby hat ganze Arbeit geleistet.“ Man will dem Wähler signalisieren: Nie mehr
musst du für riskante Geschäfte der Banken zahlen.
Doch erfüllt der Gesetzentwurf diese Hoffnung? Wohl
kaum. Nein, das ist der Entwurf eines weiteren Placebogesetzes dieser Bundesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen Vorschläge zur Bankentrennung in Form eines Holdingmodells vorgelegt.
Wir werden dafür sorgen, dass das Zockergeschäft vom
normalen Kundengeschäft getrennt wird und diese toxischen Geschäfte nicht mehr durch Kundeneinlagen
finanziert werden können.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich bezogen auf die
Rede von Herrn Kollegen Zöllmer festhalten: Als Peer
Steinbrück Finanzminister war, haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Restrukturierung von
Banken bezahlen müssen. Das zu ändern, ist unser Ziel.
Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg
bringen. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik.
({0})
Wenn man in dieser schwierigen Krise Vertrauen zurückgewinnen will, muss man den Menschen die Wahrheit sagen.
({1})
Man muss sich bei der Regulierung auch an der Wahrheit orientieren. Die Wahrheit ist: Nicht Universalbanken haben diese Krise ausgelöst, sondern Spezialbanken.
In Amerika waren es Investmentbanken. Die Banken,
die in Deutschland als Erste umgefallen sind, waren
ebenfalls keine Universalbanken. Es waren Banken mit
einem eindimensionalen spezifischen Bankengeschäft,
beispielsweise Landesbanken oder auch die Hypo Real
Estate.
({2})
Diese Banken waren keine Universalbanken. Deshalb ist
die Botschaft, die Sie den Menschen wahrheitswidrig
verkaufen, nämlich dass Universalbanken das Problem
und Trennbanken die Lösung seien, falsch. Deswegen
befinden Sie sich bei der Finanzmarktregulierung auch
nicht auf dem richtigen Weg.
({3})
Gleichwohl kann die Komplexität einer Bank zu einem Problem werden. Sie darf nicht dazu führen, dass
die Restrukturierung im Krisenfall am Ende unhandelbar
ist, man die Bank dann nur noch im Ganzen retten kann
und dafür so viel Geld braucht, dass nur der Staat einspringen kann. Deswegen ist es richtig, dass man Vorkehrungen in Form von Bankentestamenten trifft. Es ist
auch richtig, dass man die Geschäftsbereiche abtrennt,
die von der Bank nicht verantwortet und auch nicht besichert werden können. Das bringen wir mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg. Das ist an der Wahrheit orientierte Finanzmarktregulierung spezifisch für unseren
nationalen Finanzplatz, der eine wichtige Funktion zur
Finanzierung der deutschen Wirtschaft hat.
Das, was Sie so lapidar und auch wahrheitswidrig als
überflüssig toxisches Geschäft bezeichnen, dient in
Wahrheit der Industriefinanzierung in Deutschland und
sichert unzählig viele Arbeitsplätze.
({4})
Auch das muss irgendjemand in Deutschland einmal klar
aussprechen, weil die Sozialdemokratie offensichtlich
nicht mehr ansteht, Finanzmarktpolitik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu machen.
({5})
Wie auch die Französische Republik streben wir eine
Lösung des Problems der Komplexität der Banken an
und haben parallel mit Frankreich einen Entwurf verfasst. Deutschland geht zwar etwas weiter als Herr
Hollande, aber im Wesentlichen haben wir den gleichen
Weg eingeschlagen. Wir machen das, was wir in dieser
Krise von Anfang an gemacht haben:
({6})
Wir haben die Eckpunkte gesetzt, die wir für richtig und
für wichtig halten. Wir haben das frühzeitig vor den anderen getan, um der Bundesregierung, auch auf europäischer Ebene, ein klares Verhandlungsmandat mitzugeben.
Wenn man die Geschichte seit 2009 verfolgt, stellt
man fest: Der Deutsche Bundestag war federführend.
Wir haben vieles parallel mit der Assemblée Nationale
in Frankreich auf den Weg gebracht - in vielen Fällen ist
das gelungen - und dann mit klaren Vorgaben, mit einem
klaren Mandat die Bundesregierung gebeten, das zum
europäischen Standard zu machen. Das ist Schritt für
Schritt gelungen. So sieht seriöse und gute Finanzmarktregulierungspolitik aus.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick?
Ja. Bitte.
({0})
Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, dass das Problem in Deutschland eigentlich überhaupt nicht die Universalbanken gewesen seien. Das hat mich gewundert.
Denn die Sachsen LB hat sowohl Investmentbanking als
auch Kreditgeschäft betrieben. Die WestLB war im
Investmentbanking und im Kreditgeschäft tätig. Die
Commerzbank ist im Investmentbanking und im Kreditgeschäft aktiv. Das zeigt, dass schon einmal drei wesentliche Problemfälle in Deutschland Universalbanken gewesen sind. Die Frage ist, wie man das im Hinblick auf
jede einzelne Bank bewertet. Ich möchte dennoch einmal nachfragen, ob Ihre Aussage, dass in Deutschland
nur Spezialbanken von den Rettungen betroffen waren,
generell richtig ist.
Bitte nehmen Sie außerdem zur Kenntnis, dass das
Hauptargument ein anderes ist, nämlich dass es eine
Quersubventionierung gibt. Dieses Argument wurde
auch von BaFin und Bundesbank in der Anhörung bestätigt.
Herr Kollege Schick, meine Aussage war und ist richtig. Sie haben sie nur bewusst falsch verstanden und
eben bewusst falsch wiedergegeben. Ich habe gesagt: Es
waren im Wesentlichen nicht Universalbanken, die diese
Krise verursacht haben, sondern es waren überwiegend
Spezialbanken. Diese Aussage ist richtig, und sie steht
auch nicht im Widerspruch zu dem, was Sie gesagt haben.
({0})
Deswegen müssen wir hier gar keinen Popanz errichten,
sondern können bei dem bleiben, was ich hier gesagt
habe; denn es ist die Wahrheit. Es ist in der Tat notwendig, dass man reguliert; sonst würden wir dieses Gesetz
nicht machen. So einfach ist das. Man muss eben nur
sinnvoll regulieren und sich an der Wahrheit orientieren,
und das tut die christlich-liberale Koalition.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch Teil der
Wahrheit, dass wir eine europäische Aufsicht brauchen.
Der Deutsche Bundestag hat sich, wenn ich mich recht
erinnere, schon im Jahr 2005 in einem Entschließungsantrag dafür ausgesprochen, ein europäisches Aufsichtsregime zu schaffen. Wir waren damals in diesen Fragen
sehr weit voraus, übrigens fraktionsübergreifend. Natürlich war es die Krise, die am Ende den Druck erhöht hat,
aber es war auch die Erkenntnis, dass wir unbewusst bereits Risiken in den Bilanzen von Banken tragen, die ihren Sitz in anderen Ländern unseres Währungsgebietes
haben. Das ist eine bittere Erfahrung auch der letzten
Monate, und die Antwort darauf muss sein, dass man
jetzt so schnell wie möglich eine europäische Bankenaufsicht auf den Weg bringt, weil es nicht verantwortbar
ist, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger Risiken tragen, aber keinen Einfluss auf die Behörden haben, die
die Banken kontrollieren und beaufsichtigen, bei denen
sich diese Risiken aufbauen. Deswegen: Danke schön an
die Bundesregierung, dass sie zügig vorangeht, aber das
Kind nicht mit dem Bade ausschüttet, sondern dies alles
mit der notwendigen Sorgfalt und Präzision ausarbeitet.
Nachdem die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene
die Eckwerte verhandelt hatte, hat der Deutsche Bundestag schnell einen Entschließungsantrag angenommen und
klargemacht: Für uns ist die Unabhängigkeit der EZB,
aber auch die Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsichtspolitik wichtig. Jetzt haben wir eine sehr präzise,
maßgenaue Regelung. Das Maximum dessen, was auf europäischer Ebene verhandelbar war, wurde ausgehandelt;
das Maximum dessen wurde in der SSM-Verordnung niedergeschrieben. Wir können das voll und ganz unterstützen.
Herr Kollege Zöllmer, natürlich ist es wichtig, dass
sich die Unabhängigkeit und die strikte Trennung zwischen geldpolitischer Verantwortung und Aufsichtsverantwortung in der Praxis beweisen. Darauf werden wir
ein strenges Auge haben müssen. Aber Sie sehen schon,
wie gut die SSM-Verordnung gelungen ist. Niemand, der
bei der EZB geldpolitische Verantwortung trägt, darf
dem Aufsichtsgremium angehören.
Haben Sie bitte auch ein Auge auf die Zeit.
Das ist der richtige Weg. Wir können auf das, was auf
den Weg gebracht worden ist, stolz sein. Wir vervollständigen Schritt für Schritt unser Werk einer guten Finanzmarktregulierung in Europa.
({0})
Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. - Nächster
Redner für die Fraktion Die Linke: unser Kollege
Dr. Axel Troost. Bitte schön, Kollege Dr. Axel Troost.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit der Verabschiedung des heute vorgelegten
Gesetzentwurfs, dem nächsten Meilenstein - wir hören
das jetzt in jeder Debatte -,
({0})
soll der Bundestag der Bundesregierung die Erlaubnis
geben, im Europäischen Rat die Einrichtung einer europäischen Bankenaufsicht bei der EZB zu beschließen.
Ich kann Ihnen diese Erlaubnis namens unserer Fraktion
nicht erteilen.
({1})
Als Linke lehnen wir natürlich nicht die Idee ab, dass
bei immer größer werdenden Banken eine Europäisierung der Aufsicht notwendig ist. Eine Europäisierung ist
aber kein Selbstzweck. Die übergeordnete Leitfrage
muss vielmehr lauten: Wie wird die Bankenaufsicht insgesamt schärfer und handlungsfähiger und verhindert
damit Bankenkrisen besser als bisher? Eine verbesserte
Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg
muss hier natürlich ein wichtiger Aspekt sein. Sie muss
aber mit dem politischen Bekenntnis verbunden sein, die
Banken nicht länger mit Samthandschuhen anzufassen.
Genau dieses Bekenntnis vermissen wir aber.
({2})
Bei dieser Europäisierung droht insbesondere der
Verlust der in Deutschland sehr erfolgreichen Allfinanzaufsicht. Wir haben mit der BaFin bewusst eine Einrichtung geschaffen, in der alle drei Säulen - Kreditinstitute,
Versicherungswirtschaft und Börsen - in einzelnen Abteilungen beobachtet werden, aber auch die Vernetzung
zwischen diesen Institutionen unter die Lupe genommen
wird. Der Verwaltungsrat der BaFin ist gerade dabei,
diese Vernetzung weiter zu verstärken. Mit dem, was Sie
hier jetzt vorschlagen, läuft es auf das Gegenteil hinaus:
Gerade die besonders riskanten systemrelevanten Banken werden sozusagen aus der deutschen Bankenaufsicht
herausgenommen und der Aufsicht durch die EZB unterstellt. Das ist aus unserer Sicht kontraproduktiv und wird
die Aufsicht eher verschlechtern statt verbessern.
({3})
Der zweite Grund für meine Befürchtung ist, dass die
Rechtsgrundlage - das ist angesprochen worden - völlig
unklar ist. In allen Fraktionen im Finanzausschuss ist die
Erkenntnis gewachsen, dass die juristische Konstruktion
einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht durch
die EZB über Art. 127 AEUV bestenfalls ein Behelf ist.
Alle haben gesagt: Wenn wir eine schlagkräftige Aufsicht haben wollen, müssen die EU-Verträge verändert
werden. Das gehen Sie aber nicht an.
Ein dritter Grund für meine Skepsis ist, dass die Bankenaufsicht nicht besser sein kann als die Ausstattung
und die Spielregeln, die sie zu überwachen hat. Die europäische Bankenaufsicht braucht Respekt. Die Großbanken müssen wirklich Bammel haben, wenn wirklich eine
Veränderung im Finanzsektor durchgesetzt werden soll.
Auch heute, sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise,
gibt es eine Menge Investmentbanker, die mit verächtlicher Arroganz auf die Beamten der Finanzaufsicht herunterschauen und sagen: Was will der oder die denn
schon? Die verdienen im Jahr so viel, wie ich für einen
Satz Reifen ausgebe. - Die jüngsten Schritte auf dem
Weg zur Finanzmarktregulierung - Ihre Meilensteine
von gestern, das beschlossene Paket zu Basel III - reichen bei weitem nicht aus, um einer europäischen Bankenaufsicht den nötigen Respekt zu verschaffen. Ohne
eine entsprechende Regulierung wird es aber keine Veränderung geben.
Damit komme ich zu dem zweiten Gesetzentwurf,
dem Trennbankengesetz der Koalition. Dazu ist schon
eine Menge vom Kollegen Zöllmer gesagt worden. Das,
was eigentlich gemacht werden soll - das riskante Wertpapier- und Investmentgeschäft vom Rest des Bankgeschäftes zu isolieren -, nehmen Sie in einem viel zu geringen Umfang in Angriff. Die Zocker-Banking-Teile
bleiben in einer gemeinsamen Bankenholding.
Das, was Sie ausgliedern wollen, ist in der Tat viel zu
gering. Denn Ihr Gesetz gilt nur für Banken, deren Eigenhandel mehr als 20 Prozent ihrer Bilanzsumme oder
mehr als 100 Milliarden Euro ausmacht. Diese Regulierung ist viel zu gering. Eine Bank wie die pleitegegangene IKB wäre davon kaum betroffen gewesen.
Auch die weiteren Definitionen laufen weitestgehend
ins Leere, weil die Verbindung zwischen den Bankteilen
bestehen bleibt. Wenn dann eine Banksäule zusammenbricht, wird das gemeinsame Dach auf Dauer nicht halten, weil es auch auf die andere Banksäule einen Run geben wird. Wir werden schon sehen, welche Probleme
sich daraus ergeben.
Aus unserer Sicht müssen die Banken wesentlich
kleiner, ihre Geschäfte müssen wesentlich einfacher
werden. Nur dann hat demokratische Politik überhaupt
eine Chance, den Bankensektor zu kontrollieren, Schieflagen frühzeitig zu erkennen und die Gesellschaft vor
Schaden zu bewahren.
({4})
Ich fasse zusammen: Ihr Trennbanken-Light-Gesetz
ist nicht nur theoretisch recht mutlos, sondern geht auch
an den praktischen Problemen vorbei. Lassen Sie mich
das sehr plastisch - das mache ich in meinen Vorträgen
sonst auch immer - am Beispiel der Deutschen Bank
deutlich machen, deren Zentrale in Frankfurt zwei große
Türme hat.
({5})
Im Prinzip gibt es drei verschiedene Modelle. Ihr Modell lautet: Wir sortieren ein bisschen um, lassen aber
letztlich alles zusammen, auch alle Verbindungen, und
dann läuft alles so weiter. Das Modell von SPD und Grünen sieht vor: Wir führen eine wirkliche Trennung herbei, der eine Turm bleibt eine Bank und der andere Turm
wird als Spielbank umfirmiert; aber beide bleiben voll
am Markt. Das Modell der Linken lautet: Wir sortieren
um. Von den beiden Türmen schließen wir den einen
Turm vollständig. Die Zockerei hört auf. Das gefährliche
Geschäft wird vom Markt genommen. Von einem Finanz-TÜV wird nur noch das genehmigt, was für die Gesellschaft zur Finanzierung der Realwirtschaft sinnvoll
ist. Alles andere muss unterbunden werden.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank, Kollege Dr. Axel Troost. - Nächster
Redner in unserer Aussprache für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: unser Kollege Dr. Gerhard Schick.
Bitte schön, Kollege Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum ist es denn so wichtig, diese Trennung durchzuführen, über die wir heute sprechen? Nun, es ist so: Die
Einlagen der Kundinnen und Kunden sind ja über die
Einlagensicherung gesichert. Wenn das riskante Investmentbanking mit diesem Einlagengeschäft untrennbar
verbunden ist, dann weitet sich der Schutz des Staates,
der eigentlich nur für die Sparerinnen und Sparer gelten
soll, auch noch auf die riskanten Aktivitäten aus. Das ist
der Grundgedanke, und der ist wichtig.
Natürlich ist es im Interesse großer Banken, dass sie
diesen Schutz ausweiten können; denn dann können sie
im Investmentbanking viel mehr Risiken eingehen, viel
mehr Gewinne machen, weil ja im Zweifelsfall die staatliche Sicherheit, die für die Einlagen gilt, auch für diese
Aktivitäten gilt. Deswegen fordern wir seit langem, dass
hier eine Trennung vorgenommen wird.
({0})
Allerdings ist der Grundgedanke, dass man diese Subventionierung eines riskanten Bankgeschäfts abschaffen
sollte, im Finanzministerium lange nicht angekommen.
Am 17. Oktober 2011 berichteten die Medien dann von
einer überraschenden Kehrtwende des Bundesfinanzministers auf Druck der Opposition beim Thema Trennbankensystem.
({1})
Ich zitiere:
Darüber sollte auf internationaler Ebene intensiv
diskutiert werden.
Also erst einmal international.
Ein Jahr später, weil der Druck aus Opposition und
Öffentlichkeit stärker geworden ist, macht sich dann im
Herbst 2012 die Bundesregierung daran, ein nationales
Gesetz schnell auf den Weg zu bringen, um im Wahlkampf zu zeigen, man tue doch etwas - völlig getrieben
und außerdem erst nach drei Jahren verlorener Zeit, bei
der Bankenregulierung wirklich etwas zu machen. Das
ist die Antwort auf Ihre selbstgefällige Äußerung gestern
zu angeblich vier tollen Jahren Bankenregulierung.
({2})
Sie haben entscheidende drei Jahre verloren.
({3})
Das könnte man ja noch in Kauf nehmen, wenn dann
ein anständiges Gesetz auf dem Tisch läge. Aber es ist
schon gesagt und in der Anhörung sehr deutlich geworden: Es kommt nicht zu einer wirklichen Trennung der
Aktivitäten. Sie fallen hinter das zurück, was auf europäischer Ebene im Liikanen-Report vorgeschlagen worden ist, und sind daher auf europäischer Ebene nicht
Vorreiter, sondern Bremser; denn Sie werden dazu beitragen, dass auch auf dieser Ebene kein handfestes
Trennbankensystem durchkommt. Das sollten wir im
Bundestag nicht durchgehen lassen.
({4})
Warum ist das Gesetz schlecht? Zum einen wird die
Trennung nicht sinnvoll vollzogen. Man kann, so wie es
dort vorgesehen ist, nicht das Market Making und das
Eigenhandeln der Banken voneinander trennen, sondern
man muss insgesamt zwischen dem einlagengesicherten
Geschäft und dem marktnahen Investmentgeschäft trennen. Das tun Sie nicht. Die Schwellen sind wesentlich zu
hoch.
Es bestehen zum einen einige handwerkliche Fehler:
so die Tatsache, dass die steuerlichen Regelungen noch
nicht vorhanden sind und viele Experten sagen, da sei
noch einiges, was man nachbessern müsse. Zum anderen
muss man feststellen: Mit diesem Gesetz sind vor allem
zwei zufrieden, auf der einen Seite die Großbanken, weil
sich nichts ändern wird, und auf der anderen Seite die
Bundesregierung, weil sie so tun kann, als würde sie
handeln, obwohl sie in Wirklichkeit nichts tut.
({5})
Genau deswegen müssen wir dieses Gesetz ablehnen. Es
bringt nicht nur nichts; es ist auch schädlich, weil es auf
europäischer Ebene falsche Impulse setzt.
Zum zweiten Thema des heutigen Vormittags, zur europäischen Bankenaufsicht. Auch hier werfe ich einen
Blick zurück: „Bankenaufsicht: Ohne uns!“ Dies ist ein
Artikel in der Zeit vom Juli 2010, wo sehr detailliert
nachgewiesen wird, wie die Bundesregierung bei der
Gründung der drei europäischen Aufsichtsinstitute alles
darangesetzt hat, dass die europäische Bankenaufsicht
keinen wirklichen Durchgriff auf die nationalen Institute
hat und ihrer Kontrollaufgabe nicht gerecht wird. Ich
empfehle Ihnen den Artikel zur Lektüre, in dem noch
einmal genau dargelegt wird, wie die Beamten dieser
Bundesregierung auf Brüsseler Ebene alles getan haben,
um eine effektive Bankenaufsicht auszubremsen.
Jetzt, drei Jahre später, wird dieser Fehler endlich korrigiert. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert? Wenn
wir schon vor drei Jahren bei der Gründung der EBA
eine wirklich knackige europäische Bankenaufsicht auf
den Weg gebracht hätten, dann hätte man bereits bei den
spanischen Cajas und den zypriotischen Banken von europäischer Ebene aus durchgreifen können, ebenso jetzt
bei den slowenischen Banken.
({6})
Daran sieht man: Das ist keine leichte Verzögerung, sondern diese Verzögerung hat einen Milliardenschaden für
die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler angerichtet.
({7})
Leider geht die Geschichte des Verzögerns und Ausbremsens weiter. Nicht nur beim Trennbankensystem,
nicht nur bei der Bankenaufsicht, sondern auch bei der
Abwicklungsbehörde steht die Bundesregierung auf der
Bremse. Da gibt es ein paar fachliche Fragen, die zu klären sind. Das muss man in aller Gründlichkeit tun - dazu
sind wir auch sehr gerne bereit -; der Punkt ist aber, dass
Sie diese Idee in den letzten Jahren stets abgelehnt haben
und Sie den Prozess, das auf den Weg zu bringen, damit
verhindert haben. Das Europäische Parlament und die
Europäische Kommission haben schon 2009 und 2010
ein europäisches Abwicklungsregime gefordert. Der
Bundesfinanzminister unterstützt diese Grundidee erst
seit den letzten Tagen, gleichzeitig hat er aber so hohe
Hürden formuliert, dass klar ist, dass wir das nicht unmittelbar umsetzen können.
({8})
Warum ist das so wichtig? Weil die Tatsache, dass wir
kein europäisches Abwicklungsregime haben, dazu geführt hat, dass bei grenzüberschreitend tätigen Banken
immer wieder der Steuerzahler einspringen musste, weil
keine Mechanismen vorhanden waren, um die Gläubiger
heranzuziehen und die Banken abzuwickeln, zu schließen oder zu restrukturieren. Während in den USA seit
Ausbruch dieser Krise über 400 Banken abgewickelt
wurden, ohne dass Kosten für den Steuerzahler angefallen sind, sind Banken gleicher Größe in Europa zulasten
der Steuerzahler gerettet worden. Das müssen wir endlich korrigieren.
Wir fordern Sie auf: Gehen Sie von der Bremse, und
seien Sie auf europäischer Ebene endlich diejenigen, die
den Steuerzahler effektiv schützen. Das ist notwendig.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. - Nächster
Redner für die Fraktion von CDU und CSU ist der Kollege Peter Aumer. Bitte schön, Kollege Peter Aumer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich bewundere die hellseherischen Fähigkeiten des Herrn Dr. Schick. Ich glaube aber, verantwortungsvolle Politik ist etwas anderes, als alle Dinge
schlechtzureden, die wir in den letzten vier Jahren, die
gerade in der Finanzpolitik gut für Deutschland waren,
erarbeitet haben.
({0})
Die Opposition liefert heute beim Thema Finanzen ein
trauriges Bild ab - und ich glaube, nicht nur in diesem
Bereich.
Herr Dr. Troost, Sie sprachen von Meilensteinen. Ja,
die heutigen Beschlüsse sind ein weiterer Meilenstein in
der Finanzpolitik. Wir sind in Europa Vorreiter in der
Finanzpolitik. Wir bringen Dinge auf den Weg, die in
Europa nach und nach zum Vorbild genommen werden
({1})
und manchmal noch strikter in Angriff genommen werden. Die deutsche Politik ist verantwortungsvoll; dies ist
die Politik der christlich-liberalen Koalition.
({2})
Wir wollen funktionierende und stabile Finanzmärkte.
Es ist Aufgabe der Gesetzgebung, sicherzustellen, dass
die Finanzmärkte ihre zentrale Funktion, der Realwirtschaft zu dienen, wahrnehmen. Dieses Ziel haben wir in
den vier Jahren, in denen wir die Regierung stellen, verfolgt. Sie haben sehr wenig dazu beigetragen, dass wir
dieses Ziel erreichen.
({3})
Unser Finanzminister Wolfgang Schäuble hat vor kurzem in einer seiner Reden gesagt, dass funktionierende
Finanzmärkte Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge
sind. Wir, die Partei der sozialen Marktwirtschaft, helfen, diese Daseinsvorsorge zu sichern.
({4})
- Lieber Herr Dr. Troost, als wenn das immer so einfach
wäre. Der Begriff „Zockerbuden“ trifft, glaube ich, auf
Sparkassen und Raiffeisenbanken nicht zu.
({5})
Man kann nicht alle in einen Topf schmeißen, wie Sie
das tun.
({6})
Man muss bei diesem Thema differenzieren. Wir machen das. Man kann nicht alles in einen Topf werfen, wie
die Opposition das macht.
Wir sind Vorreiter - der Herr Staatssekretär hat das
vorhin schon gesagt -: Bei den ungedeckten Leerverkäufen, beim Restrukturierungsgesetz, beim Hochfrequenzhandel und vielen anderen Dingen haben wir Maßstäbe
in Europa gesetzt.
({7})
Das machen wir auch bei der Bankenaufsicht. Sehr
geehrter Herr Kollege Zöllmer, wir legen Wert darauf
- Herr Wissing hat das vorhin schon angesprochen -,
dass es eine klare Trennung zwischen Geldpolitik und
Aufsicht der EZB gibt.
({8})
Was Sie erzählen, ist einfach nicht wahr. Herr Zöllmer,
das ist das, was wir als christlich-liberale Koalition in
Europa verhandelt haben. Verdrehen Sie die Wahrheiten
doch nicht. Ich denke, das ist der SPD nicht würdig.
({9})
Wir wollen, dass die nationale Aufsicht gestärkt wird
und dass die Arbeit der EZB mit der der nationalen Aufsicht verknüpft wird; sie sollen einheitliche, gemeinsame
Aufsichtsmechanismen bekommen. Das ist verantwortungsvolle Politik. Die großen Banken unterstehen der
Aufsicht der EZB und die anderen der nationalen Aufsicht, wobei einheitliche Standards gelten. Das ist, denke
ich, ein gutes Vorgehen.
Zum Trennbankengesetz. Herr Zöllmer, Sie haben gesagt, dass das Trennbankengesetz nicht trennt.
({10})
Wir bringen diesen Gesetzentwurf zeit- und inhaltsgleich mit den französischen Kollegen ein. Das ist
zwischen Deutschland und Frankreich abgestimmt. Sie
sollten einmal mit Ihren sozialistischen Kollegen reden,
wenn Sie der Meinung sind, dass keine Trennung erfolgt. Wir versuchen gemeinsam, etwas auf den Weg zu
bringen, was es so bisher in Europa nicht gibt.
Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen und nicht
mit Ihren Parolen durch die Gegend laufen und Dinge
verkünden, die nicht der Wahrheit entsprechen.
({11})
Wir wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren und
auch meine sehr geehrte Kollegin der Linken - wenn
man im Finanzbereich nicht so fit ist, sollte man nicht
dazwischen schreien -, verbesserte Abschirmungen von
Risiken aus spekulativen Geschäften vom Kundengeschäft. Das ist unsere Aufgabe. Das bringen wir mit dem
Trennbankengesetz auf den Weg.
({12})
- Hätten Sie den Gesetzentwurf gelesen, lieber Herr
Kollege Binding, dann wüssten Sie, wie es funktioniert.
({13})
Wir bringen dies verantwortungsvoll für unser Land
auf den Weg. Verantwortungsvolle Finanzmarktregulierung ist etwas, das Sie noch lernen müssen.
Vorhin wurde angesprochen - ich glaube, von Herrn
Zöllmer -, dass der Minister nicht da ist.
({14})
Er hat sicherlich in diesem Kabinett die Aufgabe, wesentliche Entscheidungen zu treffen. Ich frage mich, wo
Ihr Kanzlerkandidat ist,
({15})
der sich die Finanzmärkte als großes Thema auf die Tagesordnung geschrieben hat. Er ist bei dieser wesentlichen Debatte nicht da.
({16})
- Bei einer so entscheidenden Debatte zum Finanzmarkt
hat er Angst vor uns?
({17})
Das könnte durchaus sein. - Wir bringen etwas auf den
Weg, das er nur in seinen Programmen beschreibt, aber
nicht in konkrete Politik für Deutschland umsetzen kann.
Ich hoffe, dass die Regierung, die wir heute haben,
die christlich-liberale Koalition, in die Zukunft geht.
Denn wir machen nicht Wahlkampf,
({18})
wie Sie es in der letzten halben Stunde getan haben. Wir
machen verantwortungsvolle Politik für die Finanzmärkte.
({19})
Wir geben den Finanzmärkten in Deutschland den Regulierungsrahmen, den sie brauchen. Wir kämpfen auch
dafür, dass das in Europa umgesetzt wird.
({20})
- Sehr geehrter Herr Poß, das ist verantwortungsvolle
Politik. Das müssen Sie noch lernen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({21})
Vielen Dank, Kollege Peter Aumer. - Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege
Dr. Sieling.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition aus CDU/CSU und FDP können hier
so oft, wie sie wollen, mit einem freundlichen Augenaufschlag die Märchengeschichte erzählen, was sie alles erbracht und geschafft hätten.
({0})
Die Wahrheit ist: Sie haben in dieser Legislaturperiode
verzögert und gezaudert. Das hat dazu geführt, dass wir
hier im Bundestag erst jetzt zu diesen Fragen kommen.
({1})
Sie sind dafür verantwortlich, dass wichtige Maßnahmen
der Finanzmarktregulierung nicht stattgefunden haben.
Das zeigt das Scheitern Ihrer Politik.
({2})
Ich will das einmal im Zusammenhang darstellen.
Uns wird jetzt hier vorgeworfen - das sagt doch alles -,
dass wir beklagen, dass der verantwortliche Bundesfinanzminister nicht anwesend ist.
({3})
Dass der Bundesfinanzminister zu dieser Zeit andere
Termine hat, wird jetzt als Argument vorgetragen.
({4})
An diesem Punkt wird es richtig lächerlich.
({5})
Trotzdem würde ich sagen: Der Kollege Dr. Carsten
Sieling hat das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Es sollte nicht so sein, dass der Redner stört. - Bitte
schön, Herr Dr. Sieling. Sprechen Sie weiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Diese Aufregung
zeigt, dass die Betreffenden genau wissen, dass sie danebenliegen. Es war Peer Steinbrück, der zu den Themen,
über die wir heute diskutieren, im Herbst 2012 ein Papier vorgelegt hat, über das wir hier gemeinsam diskutiert haben. Das hat Sie erst geweckt.
({0})
Das war der Weckruf für Sie. Erst seitdem werden Sie
aktiv. Reden Sie hier nicht so ein Zeug.
({1})
Es geht darum, dass wir in diesem Land etwas verändern
wollen und dies auch angehen.
({2})
Ich will noch etwas anderes sagen. Man kann Ihre
Politik in dieser Legislaturperiode in drei Phasen einteilen. Von 2009 bis 2010 haben Sie leider zu denen gehört,
die auf der europäischen Ebene blockiert haben; wir haben im Finanzausschuss ganz oft erlebt, dass Sie gemeinsam mit den Briten dafür gesorgt haben, dass nichts
passiert. Dann sind Sie aufgewacht und haben gemerkt,
dass man etwas verändern muss; dazu kam es im Zusammenhang mit der europäischen Krise und den ersten Rettungsmaßnahmen für Griechenland und andere Länder.
Im letzten Jahr haben Sie gemerkt, dass Sie noch nichts
richtig hinbekommen haben. Es folgten Wenden und
Halsen.
Kollege Schick hat das schöne Datum genannt, an
dem der Bundesfinanzminister plötzlich vom Saulus
zum Paulus wurde, weil er gemerkt hat, dass man beim
Thema Trennbanken nicht mehr blockieren und Nein sagen kann. Nachdem das alles vorher die Hölle war, sagte
man plötzlich, jetzt sei das der richtige Weg. Das ist auch
gut und eine vernünftige Einsicht; das will ich deutlich
sagen. Trotzdem sind die Vorschläge, die Sie uns hier
vorlegen, völlig harmlos; sie werden nichts ändern. Mit
Ihren Vorschlägen zum Trennbankensystem wird nur
1 Prozent des Geschäftsvolumens der Banken erfasst.
Das ist eine Trennung light.
({3})
- Das ist bei jeder Bank anders, richtig. Aber im Hinblick auf die Banken, für die wir wirklich eine Lösung
finden müssen, ist das die geballte Harmlosigkeit. Die
deutschen Großbanken, die Privatbanken lassen Sie in
Ruhe. Da machen Sie es anders. Denn da wollen Sie verzögern. Diese Banken wollen Sie verschonen. Nichts anderes haben Sie im Sinn.
({4})
Unser Vorschlag, auch der Vorschlag von Peer
Steinbrück,
({5})
ist nahezu identisch mit dem, was die Kommission unter
Vorsitz von Herrn Liikanen vorgeschlagen hat. Das ist
der entscheidende Punkt: Wir sagen, dass von dieser Regelung alle Aktivitäten erfasst werden müssen, auch solche, die im Kundenauftrag stattfinden, wenn sie zu
Eigenhandel werden. Das schlägt auch Liikanen vor. In
den hier schon zitierten Kommentaren ist zu Recht gesagt worden, dass Ihre Trennungsvorschläge sozusagen
eine moralische Entscheidung der Banken verlangen.
Würden wir unsere Vorschläge umsetzen, würden wir
wirklich in ihr Geschäftsgebaren eingreifen.
Sehr gut gefallen hat mir das Bild des Kollegen Axel
Troost, der von den zwei Türmen der Deutschen Bank
gesprochen hat. Das ist nämlich genau der Punkt, der
Ihre Politik und den Vorschlag von SPD und Grünen
charakterisiert. Wir wollen die problematischen Geschäfte in einem der Türme bündeln. In der Denkweise
der Linkspartei hingegen gibt es einen Fehler:
({6})
Sie glauben, man müsse die Spielbank schließen. Das ist
aber ein Fehlgedanke. Unser Vorschlag würde dazu führen, dass sich die Geschäfte, um die es dort geht, gar
nicht mehr lohnen und dass sie keinen Sinn mehr machen würden.
Ich will Ihnen sagen: Natürlich muss man gewisse
Geschäfte verbieten. Wir waren immer dafür, eine entsprechende Regelung zu Rohstoffspekulationen und
Ähnlichem zu treffen. Wir sind aber vor allem dafür,
diese Dinge zu verteuern. Deshalb sind wir auch dringend für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer.
Nach unseren Trennungsvorschlägen werden die Haftungsvorschriften für Geschäfte, die in dem einen Turm
abgewickelt werden, so stark ausgeweitet und das Risiko
wird so groß, dass daraus eine Verteuerung resultiert, sodass der Spielbankturm abgetragen werden muss, weil
gar nicht mehr so viele hineingehen. Diejenigen, die dort
trotzdem aktiv sind, werden, falls es zu krisenhaften Entwicklungen kommt, selbst die Verantwortung dafür tragen müssen. Der Steuerzahler, die Einlagen der Sparkassen und Banken und die kleinen und größeren Einleger
werden dafür nicht mehr in Anspruch genommen. Diesen marktgesteuerten Mechanismus streben wir an. Ich
halte diesen Weg für richtiger, als schlicht und einfach
zu sagen: Wir mauern die Tür dieses Turmes zu. - Das
ist nicht nötig. SPD und Grüne machen einen Vorschlag,
der funktionieren wird, meine Damen und Herren.
({7})
Zum Schluss möchte ich gerne die Vorschläge auf der
europäischen Ebene und die Debatte, die der Bundesfinanzminister ausgelöst hat, ansprechen. Ich will nur
ganz kurz die Frage nach der Motivation aufgreifen. Die
Bundeskanzlerin hat erklärt, dass man Banken, wenn die
Bankenunion steht, auch über den ESM rekapitalisieren
kann und soll. Jetzt ist man auf diesem Weg und kann relativ schnell zu einem Ergebnis kommen. Mein Eindruck
ist: Dieser Zweistufenvorschlag ist nichts anderes als
Taktik. Da in Deutschland bald ein Entscheidungstermin
ansteht, ist dieser Vorschlag von der Absicht getrieben,
die jetzt notwendige Entscheidung über diesen Termin
hinaus zu verzögern, meine Damen und Herren.
({8})
Das ist sachlich nicht geboten. Es geht nämlich darum, dass wir jetzt ein Abwicklungsregime schaffen, das
den Steuerzahler nicht belastet und so ausgestaltet ist,
dass der Finanzsektor selber in die Verantwortung genommen wird. Die Umsetzung des Vorschlags von
Herrn Schäuble wird dazu führen, dass der Steuerzahler
weiterhin zuständig ist. Er macht ihn nur, damit man vor
der Bundestagswahl keine Entscheidungen mehr treffen
muss, die einem nicht gefallen. Das halte ich für eine unredliche Politik. Auch deshalb brauchen wir am 22. September einen Wechsel.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank, Kollege Dr. Carsten Sieling. - Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Björn
Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege Sieling, Sie haben eben erneut
gesagt - das kommt ja in jeder Ihrer Reden vor -,
({0})
es gehe alles viel zu langsam; man zögere und zaudere
zu viel. Wenn ich jetzt etwas mehr Redezeit hätte, würde
ich Ihnen die entsprechenden 32 Gesetzesvorhaben noch
einmal herunterleiern.
({1})
Aber ich bin ziemlich sicher: Das wird mein Nachredner
Ihnen noch einmal erklären. Er wird es so lange machen,
bis Sie es verstanden haben. Insofern wird das meines
Erachtens noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen.
({2})
Uns liegt heute ein Gesetz vor, das im Gegensatz zu
dem gestern beratenen vollkommen ohne Abkürzungen
auskommt. Man hätte es auch nennen können: Gesetz
zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft. Die Grundprinzipien unseres überlegenen Wirtschaftssystems bringen wir in den Finanzsektor zurück, in Ergänzung zum
Bankenrestrukturierungsgesetz, das wir im Übrigen bereits 2010 hier auf die Schiene gesetzt haben.
Meines Erachtens ist der wichtigste Teil in diesem
Gesetz der Bereich Abwicklung und Sanierung. Das
heißt: Banken müssen sich für den Ernstfall rüsten, wenn
sie in ein schwieriges Fahrwasser geraten und möglicherweise eine Insolvenz bevorsteht. Sie müssen einen,
wie man so schön sagt, Living Will ausarbeiten. Sie
müssen sich überlegen, welche Teile der Bank in welchem Bereich liegen und wie man sie im Ernstfall daraus
herauslösen kann. Darauf kommt es doch an: Wenn eine
Bank in Schwierigkeiten gerät, dann muss man sie abwickeln können, ohne dass es zu Schäden für die Volkswirtschaft kommt. Genau das würde die Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs in Kombination mit dem Bankenrestrukturierungsgesetz leisten.
({3})
Wir verabschieden ihn, um für den gesamten Finanzsektor etwas zu tun. Davon ist keine Bank ausgenommen; schließlich kann es jede Bank an irgendeiner Stelle
treffen. Wir haben wieder mit Augenmaß gehandelt und
daher im Gesetzentwurf ein Proportionalitätsprinzip verankert.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang sind die Strafbarkeitsvorschriften. Natürlich gibt es
in der Bevölkerung keine große Akzeptanz hinsichtlich
dessen, was in der Krise passiert ist: Unternehmensführer haben großen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet; allerdings hat eine aus Sicht der Bevölkerung
verständlicherweise notwendige strafrechtliche Verfolgung bislang noch nicht im erforderlichen Umfang stattgefunden.
Die Tatsache, dass jemand unternehmerisch falsch gehandelt hat und in die Insolvenz geht, ist allein noch kein
Strafgrund. Entscheidend ist doch: Hat er entsprechende
Regeln missachtet, hat er sich also rechtlich falsch verhalten oder nicht? Insofern haben wir auch hier eine
rechtlich gute Lösung gefunden: Wenn eine Bank in die
Insolvenz geht und eine Anordnung der BaFin missachtet hat, dann muss man damit rechnen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Das ist der richtige Weg. Denn nur dann
ist auch das Scheitern einer Bank möglich. Zumindest
wir wollen schon, dass eine Bank von Persönlichkeiten
mit unternehmerischen Fähigkeiten, von Bankiers geleitet wird, die natürlich auch scheitern können müssen,
und nicht von Regulierungsjuristen, die jede einzelne
Entscheidung am Gesetz ausrichten.
({4})
Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird der
BaFin mehr Verantwortung geben, aber auch die Qualität des Aufsichtsdialogs verbessern.
Insofern trifft es die Charakterisierung als Gesetz zur
Stärkung der sozialen Marktwirtschaft ganz gut. Das ist
ein weiterer Baustein in dem großen Konzert. Es waren
vier gute Jahre für Deutschland.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. - Der letzte Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/
CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus. Bitte schön, Kollege Ralph Brinkhaus.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Kolleginnen
und Kollegen! Es war wieder einmal etwas pflichtschuldig, was die Opposition hier geboten hat: Wir sitzen hier,
wir müssen etwas kritisieren. - Es kam das übliche Versprechen: höher, schneller, weiter. Wir haben es eher gewusst, wir hätten schneller gehandelt, wir hätten weitergehende Entscheidungen getroffen. - Aber im Prinzip
sind Sie doch eigentlich einverstanden mit dem, was wir
machen. Das muss man an dieser Stelle einmal feststellen.
({0})
Kommen wir zu den zwei Gesetzen, die wir heute
- das erste schließen wir heute noch nicht ab - beraten.
Es geht um die gemeinsame europäische Bankenaufsicht. Herr Staatssekretär Koschyk hat das gerade ausführlich vorgestellt. Wir als Union - ich glaube, ich spreche auch für die Liberalen - finden es richtig, dass
bedeutende Banken europäisch beaufsichtigt werden.
({1})
Entscheidend ist, dass es sich um bedeutende Banken
handelt. Dafür hat sich diese Bundesregierung eingesetzt. Es soll nicht sein, dass bei der Sparkasse Versmold
oder der Volksbank in Kaunitz auf einmal ein europäischer Aufseher auftaucht. Wir wollen diese Trennung.
Wir sind aber der Meinung, dass bedeutende Banken europäisch beaufsichtigt werden müssen. Die Bundesregierung hat einen guten Verhandlungserfolg in diesem Prozess erzielt.
({2})
Wir werden im weiteren parlamentarischen Verfahren
- wir haben am 3. Juni eine Anhörung; wir werden uns
im Ausschuss und auch im Plenum damit noch einmal
beschäftigen - auf drei Dinge ganz besonders achten.
Erstens. Wie bekommt es die Europäische Zentralbank hin - das hat Kollege Zöllmer schon angesprochen -,
gleichzeitig Notenbank und Aufseher zu sein? Das ist
eine spannende Frage. Wir müssen genau hinschauen,
wie das gelingen kann.
Zweitens. Ganz wichtig ist, wie es eigentlich mit der
demokratischen Kontrolle der Europäischen Zentralbank
aussieht. Bekommen unsere Kollegen im Europäischen
Parlament, so wie es angedacht worden ist, das hin? Was
haben die nationalen Parlamente in diesem Prozess eigentlich noch für eine Funktion? Ich denke, damit müssen wir uns sehr intensiv beschäftigen.
Drittens. Die Europäische Zentralbank hat sich viel
vorgenommen. Sie will innerhalb eines Jahres Strukturen errichten, mittels derer solche Tanker wie die Deutsche Bank, die Bank Santander und ähnliche Banken
überwacht werden können. Auch da werden wir genau
hinschauen, ob das gelingen kann oder ob von der Verlängerungsoption Gebrauch gemacht werden muss.
Eine weitere Frage, die sich nicht unmittelbar auf diesen Gesetzentwurf bezieht, die aber auch ganz wichtig ist,
betrifft den anschließenden europäischen Restrukturierungsmechanismus. Dabei geht es knallhart auch um
Geld. Es geht darum, wer wie viel einzahlt. Lieber Kollege Zöllmer, es wird nicht reichen, wenn nur die Banken
einzahlen. Am Ende des Tages wird immer der Steuerzahler bluten. Wir müssen sicherstellen, dass der deutsche
Steuerzahler nicht für eine verfehlte Politik - zum Beispiel Frankreichs - blutet, die dafür sorgt, dass in solchen
Ländern Banken unter Umständen gegen die Wand laufen. Das ist eine ganz wichtige Frage.
({3})
Eine weitere Frage, die in diesem Zusammenhang
aufgeworfen wird, ist folgende: Es gibt Menschen in
Brüssel, die der Idee verhaftet sind, wir brauchten ein
gemeinsames europäisches Einlagensicherungssystem.
({4})
Diese Leute schielen mit sehr gierigen Augen auf die
deutschen Einlagensicherungstöpfe. Da sollten wir sehr
vorsichtig sein. Ich halte es für eine Zumutung - es wird
auch schwierig sein, das den Menschen hier in Deutschland zu erklären -, dass die Einlagensicherung der Sparkassen, Volksbanken und Privatbanken dafür benutzt
werden soll, gegebenenfalls Banken in Griechenland
und Spanien zu sanieren. Wir sollten darauf achten, dass
das nicht passiert.
({5})
Der zweite Gesetzentwurf beschäftigt sich nicht nur
mit Trennbanken, sondern auch - das ist ganz wichtig mit Sanierungs- und Abwicklungsplänen und mit strafrechtlichen Vorschriften für Banker. Darauf hat Herr
Kollege Sänger gerade hingewiesen. An diesem Gesetz
zeigt sich, wie Finanzmarktpolitik hier in den letzten
Jahren abgelaufen ist.
Während wir uns damit beschäftigt haben, wie es zu erreichen ist, dass Banken weniger Fehler machen - durch
bessere Verbriefungsvorschriften, durch bessere Vergütungsvorschriften, durch einen besseren Umgang mit Ra30548
tingagenturen und viele andere Dinge -, während wir uns
damit beschäftigt haben, wie es zu erreichen ist, dass die
Fehlertragfähigkeit von Banken größer wird - beispielsweise durch Eigenkapital- und Liquiditätsregeln, dadurch
dass wir bestimmte Geschäfte wie Leerverkäufe aus dem
Rennen genommen und sichere Derivatemärkte hergestellt haben -, während wir uns damit beschäftigt haben,
die Aufsichtsstrukturen zu verbessern - dadurch dass die
Aufsicht überhaupt bessere Informationen erhält, durch
eine bessere deutsche Aufsicht und eine bessere europäische Aufsicht -, während wir uns damit beschäftigt haben, hier in Deutschland den Restrukturierungsmechanismus aufzubauen, der auf europäischer Ebene seit drei
Jahren nicht gelingt,
({6})
und während wir den finanziellen Verbraucherschutz
hier gestärkt haben, hat sich die Opposition intellektuell
genau mit zwei Ideen beschäftigt: In der ersten Hälfte
der Legislaturperiode war das die Finanztransaktionsteuer, und in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode
waren es die Trennbanken.
Das war mit einem Heilsversprechen verbunden,
nämlich dem Versprechen, dass dann, wenn wir die Finanztransaktionsteuer oder Trennbanken haben, alles gut
wird, nichts mehr passieren kann und die Finanzmärkte
sicher sind.
({7})
Dann, meine Damen und Herren, kommt die Mühe
der Ebene. Es reicht nicht, eine Idee zu haben, sondern
man muss die Idee auch umsetzen. Genau das hat die
Bundesregierung gemacht:
({8})
Sie hat ein Trennbankengesetz auf den Weg gebracht. Da
stellen sich dann - oh Wunder! - Fragen, die Sie nie beantwortet haben, so zum Beispiel die Frage: Welche
Banken beziehen wir denn überhaupt in dieses Trennbankensystem ein? Ihnen, lieber Axel Troost, wäre es
wahrscheinlich am liebsten, wenn wir folgendes Gesetz
machen würden: § 1: Die Deutsche Bank wird zerschlagen; § 2: In Zweifelsfällen gilt § 1.
({9})
Das reicht aber nicht, meine Damen und Herren. Man
muss sich auch damit beschäftigen, wie man ein solches
Trennbankensystem organisiert.
Im Wahlprogramm der SPD - das die SPD etwas ambitioniert „Das Regierungsprogramm 2013-2017“ nennt,
({10})
steht: „Wir wollen … eine klare Trennung von Investment- und Geschäftsbanken.“ Dazu muss ich Ihnen leider sagen: Investmentbanking findet sogar in Sparkassen
statt.
({11})
Sie müssen einmal erklären, was es bedeutet, das komplett zu trennen! Erklären Sie einmal einem Mittelständler, der bei seiner Bank einen Firmenkundenkredit beantragt, dass er dann bei derselben Bank leider keine
Unternehmensanleihe auflegen kann, dass er dann bei
derselben Bank leider keine Sicherungsgeschäfte machen kann, dass er dann bei derselben Bank seine
nächste Unternehmensfusion nicht organisieren kann!
Das ist die Wahrheit.
({12})
Genau deswegen haben wir Schwellenwerte eingeführt
und eine vernünftige Abgrenzung vorgenommen.
({13})
Die zweite Frage, die Sie auch nie beantwortet haben:
Was sind denn jetzt überhaupt diese schädlichen Geschäfte, wie grenzt man die ab? Sie wollen irgendwie alles da mit hineinbringen: Market Making, alles, was mit
Eigenhandel zusammenhängt. Doch auch da liegt der
Teufel im Detail, auch da muss man Regelungen treffen
- die wir an dieser Stelle getroffen haben.
Herr Kollege Ralph Brinkhaus, Sie haben gesehen,
der Kollege Dr. Sieling möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Der Kollege Dr. Sieling will gleich mit mir noch zu
einer Podiumsdiskussion. Deswegen machen wir mal
lieber weiter!
({0})
- Nein.
Der dritte Punkt: Wenn man Banken aufspaltet, muss
man sich auch überlegen, wie man das organisiert. Das
hat Folgen gesellschaftsrechtlicher Art: Der Gläubiger
muss jetzt mit einem anderen Institut Geschäfte machen.
Das hat auch steuerrechtlich unglaublich komplizierte
Folgen: Es betrifft zum Beispiel Ertragsteuern, Grunderwerbsteuern, Umwandlungssteuerrecht. Diese Fragen
müssen beantwortet werden.
Ich sage Ihnen eines: Über all die Kritikpunkte, die Sie
hier momentan monieren, werden wir im europäischen
Prozess sehr intensiv diskutieren müssen. Das, was Herrn
Liikanens Expertengruppe aufgeschrieben hat, waren
Ideen, aber keine Umsetzung. Wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten, wir würden Liikanens Maßnahmen
nicht umsetzen, dann vergessen Sie, zu erwähnen, dass
die vorgeschlagenen Maßnahmen im Detail überhaupt
nicht ausgearbeitet sind. Das, meine Damen und Herren,
ist Irreführung der Menschen in diesem Land.
({1})
Ich möchte die ganze Sache zusammenfassen: Die
Bankenunion mit einer Bankenaufsicht ist der richtige
Weg. Trennbanken, Sanierungs- und Abwicklungspläne,
strafrechtliche Vorschriften, das ist auch alles richtig. Ich
kann mich dem Kollegen Sänger nur anschließen: Die
letzten vier Jahre waren vier gute Jahre für die Finanzmarktregulierung in Deutschland, und wir werden weitermachen.
({2})
Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. - Kollege
Brinkhaus war auch der letzte Redner in unserer Aussprache, die ich nun damit schließe.
Wir sind bei Tagesordnungspunkt 53 a. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13470 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann haben wir dies
gemeinsam so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 53 b. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Abschirmung von Risiken und zur
Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksachen 17/13523 und 17/13539, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/12601
und 17/13035 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen?
- Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Nun auch
wieder die Frage nach Enthaltungen. - Hier erhebt sich
niemand. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen.
Zusatzpunkt 9. Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksachen 17/13523 und 17/13539 fort. Unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss
die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12687 mit
dem Titel „Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial verringern - Geschäftsund Investmentbanking trennen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Das sind
die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/
Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 54, den
ich damit auch aufrufe:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Hubertus
Heil ({0}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert
- Drucksache 17/13476 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer gemeinsamen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Alle
sind damit einverstanden. Dann haben wir dies auch gemeinsam so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Sind alle bereit? - Die anschließenden Redner noch
nicht, wie ich gerade sehe. - Erste Rednerin in unserer
Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten
unsere Kollegin Frau Kerstin Tack. Bitte schön, Frau
Kollegin Tack.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeitswelt verändert sich - in den letzten Jahren ganz besonders schnell. Der demografische Wandel, die zunehmende Digitalisierung, die Arbeitsverdichtung und auch
die Finanz- und Wirtschaftskrise führen nicht zuletzt
dazu, dass wir auf der einen Seite eine Fachkräftelücke
haben, auf der anderen Seite aber leider auch eine zunehmende Prekarisierung im Arbeitsleben. Ein tief gespaltener Arbeitsmarkt ist heute Wirklichkeit - nicht zuletzt
auch mit der Folge neuer Herausforderungen insbesondere für die Gesundheit am Arbeitsplatz.
Bei diesen Entwicklungen dürfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht auf der Strecke bleiben. Die betriebliche Mitbestimmung ist ein besonders
wichtiges Instrument zum Schutz der Beschäftigten, aber
auch zur Mitgestaltung von Rahmenbedingungen und zur
Kontrolle. Momentan hinken die Mitbestimmungsrechte
inhaltlich der aktuellen Situation und Entwicklung deutlich hinterher. Fakt ist: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen vor Machtmissbrauch durch Unternehmen geschützt werden. Um das sicherzustellen,
brauchen wir eine funktionierende Mitbestimmung in
den Unternehmen, und Änderungen des Arbeitsmarktes
müssen vom Mitbestimmungsrecht begleitet werden.
Physisch und psychisch sind mit den neuen Bedingungen am Arbeitsmarkt Herausforderungen verbunden,
die auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu30550
kommen. Der Arbeitsplatz muss so gestaltet sein - im
Zweifel so gestaltet werden -, dass er physischen und
psychischen Belastungen vorbeugt. Dabei müssen wir
die Menschen einzeln in den Blick nehmen.
Heute nehmen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Last ihrer Arbeit mit nach Hause und mit in
die Freizeit. Das müssen wir dringend ändern.
({0})
Auch das spezifische Leistungsvermögen älterer Beschäftigter muss berücksichtigt werden. Ein 60-jähriger
Arbeitnehmer hat häufig ein anderes Leistungsvermögen
als ein 25-jähriger. So etwas muss auch bei der Bereitstellung des Arbeitsumfeldes stärker Berücksichtigung
finden.
Betriebsräte brauchen daher auch in diesem Bereich
ein echtes Mitbestimmungsrecht. Gerade wenn es um
präventive Maßnahmen geht, wenn es darum geht, gesundheitlichen Risiken vorzubeugen, ist die Beteiligung
unverzichtbar. Dazu müssen die Betriebe auch finanziell
stärker mit in die Verantwortung genommen werden.
Gesundheitlichen Verschleiß können und wollen wir uns
am Arbeitsmarkt nicht leisten. Natürlich spielt auch der
Kostenfaktor eine Rolle. Aber entsprechende Maßnahmen
bringen den Unternehmen im Ganzen einen Mehrwert,
nämlich gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und damit Stabilität für das Gesamtunternehmen.
({1})
Dasselbe gilt auch für den Bereich der betrieblichen
Weiterbildung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
wird heute einiges abverlangt. Wir erwarten, dass sie
sich auch im fortgeschrittenen Berufsalter kontinuierlich
fortbilden. Ein Informatiker, der seine Ausbildung vor
30 Jahren abgeschlossen hat, steht heute vor ganz anderen Problemen als damals. Wir wollen Kontinuität in der
Fortbildung und in der Weiterbildung. Auch hierfür benötigen wir starke Betriebsräte mit echten Mitbestimmungsrechten.
({2})
Außerdem halten wir es für geboten, dass ein Betriebsrat auch Mitspracherechte zum Umfang und zur
Qualität von Angeboten der Fort- und Weiterbildung erlangen kann. Wir möchten dafür und auch für Freistellungs- und Rückkehrrechte ein Initiativrecht für den Betriebsrat.
({3})
Auf Beschäftigtenseite sind heute neben betriebszugehörigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch
zunehmend Leiharbeiter oder Mitarbeiter mit Werkverträgen zu finden. Natürlich wollen wir ihren Anteil auf
das Allernötigste begrenzen. Diese Herausforderung sehen wir, denke ich, alle miteinander. Ein echtes Mitbestimmungsrecht brauchen die Betriebsräte aber gerade
auch hinsichtlich der Anzahl, der Dauer der Überlassung
und des Einsatzbereichs von Leiharbeiterinnen und
Leiharbeitern. Die bestehenden Unterrichtungs- und Informationspflichten des Arbeitgebers über die Personalplanung müssen deshalb auch im Hinblick auf Fremdpersonal gelten. Der Betriebsrat muss schließlich über
die Beschäftigten insgesamt im Bilde sein, um seine Arbeit allumfassend, ziel- und passgenau leisten zu können.
({4})
Das Betriebsverfassungsgesetz wurde vor zwölf Jahren zuletzt novelliert. Damals wurde es auf einen guten
Stand gebracht. Damals hat Rot-Grün Vertrauen in mehr
Mitbestimmung gesetzt. Heute wissen wir: Das war richtig. Nun ist Zeit für den nächsten Schritt hin zu mehr
Mitbestimmung. Dafür steht die SPD. Übrigens, erinnern wir uns: In der Krise waren die Betriebsräte solide
und unverzichtbare Partnerinnen und Partner.
So wichtig wie ein Arbeitsplatz ist, der gesundheitlichem Verschleiß vorbeugt, so wichtig Fort- und Weiterbildungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sind, so wichtig Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bei Leiharbeit und Werkverträgen sind, genauso wichtig ist auch die Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes. Darum bitten wir heute um Ihre
Zustimmung. Lassen Sie uns gemeinsam an der Weiterentwicklung arbeiten. Die Beschäftigten werden es uns
danken.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Tack. - Nächster
Redner für die Fraktion von CDU und CSU Kollege
Peter Weiß.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ein Antrag wie der hier vorliegende mit dem Titel „Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert“ - man
fragt sich, warum nicht gleich geschrieben wird „für das
dritte Jahrtausend“ - weckt hohe Erwartungen. Bei denjenigen, die die Mitbestimmungsdebatte in Deutschland
vielleicht schon über Jahrzehnte verfolgt haben, weckt
das natürlich Erinnerungen an die Vorgeschichte des
Mitbestimmungsgesetzes 1976.
Eine entscheidende Rolle spielte damals Kurt Biedenkopf; denn dieser hatte als fortschrittlicher und kreativer
Ökonom erkannt, dass Mitbestimmung nicht allein die
Rechte der Beschäftigten sichert, sondern auch den Betrieben insgesamt gut bekommt.
({0})
Der Diskussionsprozess, der sich von 1968 bis 1976
- das war ein langer Zeitraum - erstreckte, war sicherlich der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Themas angemessen und führte am Ende dazu, dass das Mitbestimmungsgesetz 1976 mit einer großen Mehrheit hier im
Peter Weiß ({1})
Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. Jawohl,
das deutsche Parlament steht voll und ganz hinter der
Idee der betrieblichen Mitbestimmung. Das ist seit 1976
immer wieder deutlich geworden.
({2})
Wir wissen auch, dass in der Folge nach 1976 nicht
jeder und jede das Thema Mitbestimmung in Deutschland mit Begeisterung verfolgt hat.
({3})
Besonders bemerkenswert ist sicherlich die Äußerung
des damaligen Präsidenten des BDI Michael Rogowski,
der 2004 - in der Regierungszeit von Gerhard Schröder die Mitbestimmung als einen Irrtum der Geschichte bezeichnete. Diese Auffassung ist, glaube ich, bei allen, die
solche oder ähnliche Äußerungen tätigten, durch das,
was sie in der Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise
2008, 2009 und 2010 erlebt haben, nachdrücklich korrigiert worden.
Es ist schon erwähnt worden, dass Vorstände und
Aufsichtsräte der Unternehmen durch die Mitbestimmung handlungsfähige und kompetente Ansprechpartner
auf der Arbeitnehmerseite gefunden haben und finden
und dass sie mit diesen kompetenten Vertretern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allem den Betriebsräten und den Vertretern der Arbeitnehmerseite in
den Aufsichtsräten, kompetente Ansprechpartner haben,
um wirtschaftliche Probleme ihrer Unternehmen einer
Lösung zuzuführen und auch die Kurzarbeitermodelle zu
realisieren.
Spätestens diese Krise hat gezeigt und bewiesen, dass
unser Modell der Sozialpartnerschaft und zugleich auch
unser Mitbestimmungsmodell ein echter Standortvorteil
für Gesamtdeutschland ist.
({4})
Für uns ist Mitbestimmung ein Kernelement einer sozialen Marktwirtschaft. Deswegen darf ich auch erwähnen,
dass die wesentlichen Grundlagen dafür unter einer
CDU/CSU-geführten Bundesregierung gelegt worden
sind, nämlich mit dem Montan-Mitbestimmungsgesetz
von 1951 und dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952,
und es waren Christdemokraten wie Kurt Biedenkopf,
die am Mitbestimmungsgesetz von 1976 maßgeblich
mitbeteiligt waren.
Nun zu dem Antrag: Findet sich in dem Antrag etwas
grundsätzlich Neues zum Thema Mitbestimmung?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind jetzt
fast am Ende der Legislaturperiode. Wir haben noch drei
Sitzungswochen des Parlaments vor uns. Jetzt, zum
Schluss der Legislaturperiode, fällt den Sozialdemokraten ein, man könnte auch noch einen Antrag zum Thema
Mitbestimmung einbringen. Sagenhaft, welch hohen
Stellenwert die Mitbestimmung bei den Sozialdemokraten hat!
({5})
- Doch, so ist es, und zwar deswegen, weil in dieser Legislaturperiode die Mitbestimmung durchaus auf der
politischen Tagesordnung stand, nämlich mit diversen
Initiativen auf europäischer Ebene, vor allen Dingen im
Gesellschaftsrecht Regelungen zu treffen, die geeignet
gewesen wären, die bewährte deutsche Mitbestimmung
teilweise auszuhebeln.
Es war diese Koalition und es war diese Bundesregierung, die sich in Europa standhaft dagegen gewehrt haben, dass wir Regelungen bekommen, die die deutsche
Mitbestimmung schwächen. Nein, wir haben in Europa
eine starke Mitbestimmung mit allem, was uns zur Verfügung gestanden hat, verteidigt.
({6})
Deswegen hätte man von den Sozialdemokraten erwarten können, dass sie, wenn ihnen die Mitbestimmung
am Herzen liegt, irgendwo in ihrem Antrag auf diese aktuelle Auseinandersetzung eingegangen wären. Das ist
aber nicht der Fall.
Es ist ein Argument vorgetragen worden, nämlich
dass wir in der Tat dringend einen qualitativen Sprung
beim betrieblichen Gesundheitsmanagement brauchen.
Wir haben - ich glaube, in der nächsten Sitzungswoche noch eine Debatte vor uns, in der wir uns vor allen Dingen mit dem Thema der Zunahme psychischer Erkrankungen im Arbeitsumfeld befassen.
({7})
- Auch wenn die Debattenbeiträge zu Protokoll gehen,
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, kann trotzdem jeder
seine Argumente vortragen, und die Rede wird auch
nachzulesen sein.
In der Tat ist es so, dass wir im technischen Arbeitsschutz - demzufolge man dort, wo es gefährlich ist, einen Helm, Ohrstöpsel oder Sicherheitsschuhe tragen
oder eine Maschine abstellen muss, bevor man mit der
Hand hineingreift, damit sie nicht etwa abgehackt wird gut vorangekommen sind. Aber was die seelische Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben und die Gefährdung durch eine psychische
Erkrankung angehen, stehen wir eigentlich noch am Anfang unserer Bemühungen. Deswegen ist es richtig: Wir
brauchen ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das
schon präventiv darauf abstellt, dass psychische Erkrankungen nicht zum Alltag in unseren Betrieben gehören,
und vor allem dafür sorgt, dass der dramatische Anstieg
der Zahl der Krankheitstage und der Frühverrentungsanträge wegen psychischer Erkrankungen wieder eingedämmt wird. Wir haben im Rahmen der Gemeinsamen
Deutschen Arbeitsschutzstrategie - das Bundesministerium für Arbeit und Soziales führt in diesem Jahr hier
den Vorsitz - zusammen mit den Sozialpartnern Regelungen angestoßen, um das zu verstärken.
Wir haben die Bundesforschungsministerin gebeten,
die Forschung hinsichtlich psychischer Erkrankungen
und ihrer Prävention zu verstärken. Sie hat einen großen
Peter Weiß ({8})
Etatanteil dafür zur Verfügung gestellt. Wir haben außerdem ein Präventionsgesetz vorgelegt, in dem wir den
Themen Gesundheitsmanagement und Prävention zusätzliche Bedeutung geben. Es geht hier nicht um Mitbestimmungsregelungen. Vielmehr ist entscheidend, ob
alle Akteure einen gemeinsamen Weg einschlagen und
ob die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung
gestellt werden, um das Gesundheitsmanagement in
Richtung Prävention psychischer Erkrankungen auszurichten. Da haben wir gehandelt. Deshalb kommt der
Antrag der SPD, das Gesundheitsmanagement im Rahmen der Mitbestimmung zu regeln, reichlich spät.
({9})
Ohnehin frage ich mich, was passieren würde, wenn
wir folgende Formulierung aus dem SPD-Antrag in das
Betriebsverfassungsgesetz aufnehmen würden - das ist
sicherlich ein wichtiges Thema -:
Den Betriebsratsgremien wird ein echtes Mitbestimmungsrecht eingeräumt … hinsichtlich von Arbeitsplätzen, die nicht ausreichend auf spezifisches
Leistungsvermögen von Älteren Rücksicht nehmen …
Oder was sind angemessene Mittel zur betrieblichen
Gesundheitsförderung? Das alles sind allgemeine Formulierungen, die zuallererst einen tollen Juristenstreit
und dann Prozesse auslösen werden, die uns in der Sache
aber nicht voranbringen. Da ist es mir lieber, dass wir ein
Präventionsgesetz machen, in dem wir klipp und klar sagen: Künftig müssen die Krankenkassen eine bestimmte
Summe für betriebliches Gesundheitsmanagement und
Prävention zur Verfügung stellen. - Genau das machen
wir.
({10})
Mein Eindruck ist, dass die SPD den Antrag gestellt
hat nach dem Motto: Am Schluss der Legislaturperiode
ist uns noch etwas eingefallen, was wir eigentlich vergessen hatten. - Im Übrigen folgt der Antrag dem für die
Sozialdemokraten leider typischen allgemeinen Motto
„Steine statt Brot“. Wir wollen Brot, Inhalte und Qualität
für die Mitbestimmung in Deutschland.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. - Nächste Rednerin
in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Jutta Krellmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Jutta Krellmann.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der
Antrag der SPD trägt den Titel „Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert“. Wenn ich das lese, ergeht
es mir ähnlich wie Herrn Weiß: Ich erwarte angesichts
eines solchen Titels, dass die aktuellen Probleme der betrieblichen Mitbestimmung aufgegriffen werden. Weitere aktuelle Entwicklungen des 21. Jahrhunderts werden allerdings im Antrag der SPD nicht aufgegriffen,
beispielsweise die Notwendigkeit zur Stärkung von Betriebsräten insgesamt. Ein Großteil der Betriebe hat
überhaupt keinen Betriebsrat, wie ich leider feststellen
muss. Dort, wo es welche gibt, herrscht nicht immer nur
Freude und Sonnenschein. Es gibt Betriebe, in denen Betriebsräte regelrecht gemobbt und in ihrer Existenz bedroht werden.
Ich will Ihnen als Beispiel die Modekette H&M nennen, die in ganz Deutschland vertreten ist und landauf,
landab bekannt ist. In Trier hat die dortige Geschäftsleitung dem Betriebsratsvorsitzenden bereits vor Weihnachten 2012 zum ersten Mal gekündigt. Mittlerweile
liegt die dritte fristlose Kündigung auf dem Tisch. Der
Kollege muss sich gegen die erneute Kündigung durch
seine Firma wieder vor dem Arbeitsgericht wehren. Warum? Er macht eine engagierte Arbeit. Im Grunde hat er
nur die Möglichkeiten genutzt, die das Betriebsverfassungsgesetz ihm bei den Punkten bietet, die er angepackt
hat. Aber das war der Firma anscheinend zu viel. Zu
engagiert, zu sehr im Interesse der Beschäftigten, zu
konsequent - solche Leute will man nicht haben.
Die Begründung für die Kündigung vonseiten des Arbeitgebers lautet jetzt auch: Der Betriebsrat hat als
Beisitzer der Einigungsstelle nicht die wirtschaftlichen
Interessen der Firma vertreten. - Das ist Realität in
Deutschland!
({0})
Betriebsräte werden schikaniert. Es wird versucht, ihnen - und ihrer Familie gleich mit - mit einer Kündigung praktisch die Existenzgrundlage zu entziehen. Wir
brauchen eine Betriebsverfassung, die so etwas unterbindet
({1})
und die es Firmen unmöglich macht, so zu handeln.
({2})
Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem sich
Firmen wie H&M nicht trauen, sich so zu verhalten.
({3})
Die SPD schreibt in ihrem Antrag, dass auch die Arbeitgeber ein Interesse an einer funktionierenden Mitbestimmung hätten. Ja, aber nur solange es nicht wehtut
und es nichts kostet. Das ist die eine Seite.
Aber es gibt noch eine weitere Seite. Ein systematischer Umbau vieler Unternehmen hat die Mitbestimmung schleichend ausgehöhlt. Viele Unternehmen haben
in den letzten Jahren ihre gesamte Unternehmensstruktur
neu organisiert. Sie haben einzelne Betriebsteile ausgegliedert, und dadurch wurde die Mitbestimmung geschwächt.
Das zeigt das Beispiel Edeka. Gut 300 000 Beschäftigte arbeiten in Märkten unter dem Edeka-Logo. Fast
die Hälfte davon ist in ausgegliederten Betrieben angestellt; aber diese sind wirtschaftlich weiterhin Teil des
Edeka-Verbunds. Die Ausgliederung ist ein Mittel zur
Tarifflucht und zur Aushöhlung der Mitbestimmung. Die
ausgegliederten Beschäftigten werden nicht mehr vom
Konzernbetriebsrat vertreten bzw. müssen zum Teil Betriebsräte neu gründen, und sie bekommen bis zu 30 Prozent weniger Geld als vorher im Edeka-Verbund.
({4})
Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten
ausbauen, auch das ist in dem Antrag der SPD nicht enthalten. Wir brauchen ein VW-Gesetz für alle. Bei VW
haben Betriebsräte im Aufsichtsrat ein Vetorecht bei Investitionsentscheidungen und Produktionsverlagerungen. Diese Regelungen sollten ausgebaut und auf alle
Bereiche übertragen werden.
({5})
Die deutsche Wirtschaft befindet sich immer noch in
einem unglaublichen Umbauprozess. Betriebsräte und
Personalräte müssen in jedem Betrieb aktiven Einfluss
auf diese Entscheidungen nehmen können; sonst können
sie den Plänen des Managements nichts entgegensetzen.
({6})
Wir brauchen mehr Mitbestimmung und Demokratie.
Genau das müssen wir wagen, und das geht nur mit echter wirtschaftlicher Mitbestimmung.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Jutta Krellmann. Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte schön,
Kollege Pascal Kober.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre für
Deutschland,
({0})
und die vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.
({1})
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland gab es so viele Beschäftigte wie zurzeit.
Nicht jede Beschäftigungsform ist genau die, die sich die
Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer als ideale Beschäftigung wünscht; das ist richtig. Aber wir alle waren uns im
letzten Jahrzehnt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
einig, dass ein Arbeitsplatz eine Chance ist und dass eine
Arbeit besser ist als gar keine Arbeit. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben zu Ihrer Regierungszeit die Hartz-IV-Reformen auf den Weg gebracht,
({2})
um genau das zu erreichen, wovon wir heute sagen können, dass es glücklicherweise gelungen ist, nämlich dass
so viele Menschen in Arbeit sind wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Es ist auch festzuhalten, dass dieser Aufwuchs an Beschäftigung nicht zulasten sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung gegangen ist.
({4})
Wir haben derzeit so viele sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte in Deutschland wie seit der deutschen Einheit nicht mehr.
({5})
Gleichzeitig ist die Zahl der Transferempfänger so weit
zurückgegangen wie noch nie seit der Einführung des
Hartz-IV-Systems. Wir können zum Glück sagen, dass
sich die Schere bei den Einkommen langsam wieder
schließt. Das ist das Ergebnis von höheren Tarifabschlüssen, die möglich sind. Das verdanken wir der Tatsache, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ihre Rechte auch tatsächlich in die Verhandlungen einbringen und durchsetzen können. Das ist das Ergebnis
einer guten Politik, die die Grundlage dafür geschaffen
hat, dass wirtschaftliches Wachstum möglich ist und
dass Arbeitsplätze entstehen können.
({6})
Das ist ganz wesentlich darauf zurückzuführen, dass
diese Regierungskoalition mit Finanzpolitikern wie
Volker Wissing und mit Wirtschaftspolitikern wie Ernst
Burgbacher eine gute weitsichtige Finanz- und Wirtschaftspolitik gemacht hat, bei der Arbeitsplätze entstanden sind.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern in Ihrem Antrag beispielsweise eine Rückführung der Zeitar30554
beit in Deutschland. Sie verkennen an dieser Stelle, dass
Sie die Zeitarbeit bei der Reform des Arbeitsmarktes als
eine Chance eingeführt haben, damit Menschen in Arbeit kommen. Diese möchten Sie jetzt mit Ihrem Antrag
zurückführen.
({8})
- Herr Strengmann-Kuhn, was sind Sie denn so aufgeregt? Hören Sie doch einmal zu!
({9})
- Herr Strengmann-Kuhn, Sie müssen offensichtlich
sehr nervös sein. Die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt scheint Ihnen keine Ruhe zu lassen.
({10})
Wir sind jetzt bei der Zeitarbeit.
Das Volumen der Zeitarbeit soll durch die Maßnahmen, die in Ihrem Antrag formuliert worden sind, zurückgeführt werden. Das Ausmaß der Zeitarbeit gefällt
Ihnen nicht und ist Gegenstand vieler Anträge, die Sie
hier einbringen, so auch heute.
({11})
Deshalb komme ich, wie gesagt, zur Zeitarbeit. Sie haben die Zeitarbeit flexibilisiert, damit mehr Menschen
durch sie einen Job bekommen. Das ist gelungen. Wir
haben in unserer Regierungszeit an den entsprechenden
Stellen eingegriffen und bei der Zeitarbeit etwas nachjustiert und so den Missbrauch, der mitunter vorgekommen ist, weil Sie es nicht richtig gemacht haben, bekämpft und abgestellt.
Am 19. Februar dieses Jahres haben Sie einen Antrag
in den Bundestag einbringen können, in dem Sie schreiben: „Bisher war unter anderem die Leiharbeit“ - Sie
nennen es Leiharbeit, richtiger wäre Zeitarbeit - ein beliebtes Instrument zum Lohndumping.“ Sie haben also
selber im Februar dieses Jahres erkannt, dass diese Bundesregierung klug interveniert hat. Sie hat die Sozialpartner in der Zeitarbeit darauf hingewiesen, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen sollen. Wir haben also
keine zusätzlichen gesetzliche Regelungen geschaffen,
sondern angemahnt, dass dort etwas passieren muss. Dadurch ist es gelungen, dass über Branchentarifzuschläge
in der Zeitarbeit das Lohnniveau steigt.
({12})
Das haben Sie in einem Ihrer Anträge selber dokumentiert. Deshalb ist es eine kluge Politik, maßvoll an
die Dinge heranzugehen und nicht das Kind mit dem
Bade auszuschütten, wenn man Chancen für Menschen
in Deutschland haben will. Insofern ist Ihre Politik ein
frontaler Angriff auf die Chancen der Menschen in unserem Land.
({13})
Die Grünen beschlossen auf ihrem Parteitag einen
Frontalangriff auf die Chancen der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie fordern Steuererhöhungen, die die Substanz der Unternehmen besteuern.
({14})
Sie fordern Steuererhöhungen, obwohl die Arbeitgeber
schon heute sagen, dass sie Hunderttausende von Arbeitsplätzen kosten werden. Das wird am Ende die Mitbestimmung schwächen; denn derjenige, der keinen Arbeitsplatz hat, kann im Betrieb auch nicht mitbestimmen.
Die Politik, die Sie machen, ist unverantwortlich.
({15})
Glücklicherweise gibt es in Ihrer Partei noch Vernünftige
wie Boris Palmer und Winfried Kretschmann, die dies
zumindest punktuell erkennen und kritisieren; zuletzt
war es auch Christine Scheel. Ihre Politik ist eine verantwortungslose Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wir werden ab September diese Bundesregierung erfolgreich weiterführen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, das es schon seit 60 Jahren in Deutschland gibt. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass die
Menschen in unserem Land eine Chance auf Arbeitsplätze haben und dass sie gleichzeitig innerhalb des
Arbeitsmarktes Aufstiegschancen haben, um sich vom
Einstieg in den Arbeitsmarkt in eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung heraufzuarbeiten, wenn
sie es mögen. Die Voraussetzung dafür ist eine gute und
kluge Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Grundlage
einer guten Bildungspolitik.
({16})
Deshalb kürzen wir keine Lehrerstellen, so wie Sie es in
Baden-Württemberg unter Grün-Rot machen.
({17})
Diese Regierung wird auch die nächsten vier Jahre
eine gute Politik machen. Auch die nächsten vier Jahre
werden gute vier Jahre für Deutschland sein.
Vielen Dank.
({18})
Vielen Dank, Kollege Pascal Kober.
Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke. Bitte schön, Frau Kollegin Müller-Gemmeke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kober, in sieben Minuten Redezeit nicht einmal das Wort „Mitbestimmung“ zu
nennen, ist schon eine Leistung.
({0})
Die Mitbestimmung ist ein hohes Gut. Zur sozialen
Marktwirtschaft gehört eine starke Mitbestimmung.
Ebenso gehört die Mitbestimmung zu unserer demokratischen Kultur. Die Betriebsräte achten darauf, dass es
im Betrieb und bei der Entlohnung gerecht zugeht. Sie
sind auch das Sprachrohr für die Beschäftigten. Die Betriebsräte verbinden also wirtschaftliche Ziele mit guten
Arbeitsbedingungen und relativieren so den Gegensatz
zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Diese Möglichkeit muss es auch in Zukunft
geben, und zwar ausreichend.
({1})
Auch die Unternehmen profitieren von der Mitbestimmung.
({2})
Denn die Betriebsräte garantieren die interne Kommunikation. Damit werden Entscheidungen transparent
und auch nachvollziehbar. So entstehen auch bei schwierigen Entscheidungen Vertrauen und Akzeptanz in der
Belegschaft. Mitbestimmung ist also Konfliktmanagement. Wenn das funktioniert, entstehen Zufriedenheit
und Loyalität. Das ist wichtig; denn Unternehmen brauchen engagierte und gute Belegschaften.
Sehr geehrte Koalitionsfraktionen, wie sieht es mit
der Mitbestimmung in der Realität aus? In Westdeutschland profitieren von der Mitbestimmung 48 Prozent, in
Ostdeutschland gerade noch 38 Prozent der Beschäftigten. Wir haben also immer mehr betriebsratsfreie und somit demokratiefreie Zonen. Sozialpartnerschaft sieht anders aus.
({3})
Die traditionell betrieblichen Strukturen lösen sich
durch befristet Beschäftigte, durch Leiharbeit und insbesondere durch Werkverträge in Stamm- und Randbelegschaft auf. In der Folge zersplittern die Belegschaften.
Das schwächt nicht nur die betriebliche Interessensvertretung, sondern auch die Tarifautonomie insgesamt.
Diesen Wandel in der Arbeitswelt dürfen Sie nicht länger ignorieren. Handeln ist angesagt.
({4})
Wir Grünen begrüßen die heutige Debatte und den
Antrag der SPD. Das Thema ist wichtig. Die Richtung
stimmt. Denn wir brauchen wieder eine Mitbestimmung,
und zwar auf Augenhöhe. Notwendig ist ein fairer Interessensausgleich. Die Betriebsräte müssen bei Veränderungen im Unternehmen und beim Einsatz von
Leiharbeit und Werkverträgen mitreden können.
Zu Recht verweist die SPD noch auf andere Stichworte; gerade am Montag haben wir darüber in der Anhörung diskutiert: Mit Blick auf den demografischen
Wandel und den drohenden Fachkräftemangel sind alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen dringend
notwendig. Dabei geht es um Strategien gegen Arbeitsverdichtung und entgrenzte Arbeitszeit. Es geht also um
Stress am Arbeitsplatz. Denn die Beschäftigten müssen
bis zur Rente gesund arbeiten können.
Das alles sind zentrale Themen und große Herausforderungen. Das schaffen die Unternehmen nur gemeinsam mit engagierten Belegschaften. Eine funktionierende und starke Mitbestimmung ist dafür unerlässlich.
Ich bin mir sicher: Wer zukünftig ausreichend Fachkräfte halten und auch gewinnen will, der muss auf Fairness und auf demokratische Strukturen setzen.
({5})
Wenn es um die Mitbestimmung geht, dann reagiert
die Arbeitgeberseite immer gleich: die Mitbestimmung
würde verzögern, sie würde behindern und verhindern.
Die positiven Effekte werden nicht quantifiziert. Die
Kosten aber werden kritisiert. Die Lehren aus der letzten
Wirtschaftskrise sind jedoch eindeutig. Die Belegschaften, die Betriebsräte und die Gewerkschaften haben gemeinsam mit den Unternehmen nach tragfähigen Lösungen gesucht. Voreilige Entlassungen wurden verhindert.
Arbeitszeitverkürzungen, Arbeitszeitkonten und Kurzarbeitergeld waren erfolgreiche Strategien, und nur so
konnte Deutschland besser und schneller als vergleichbare Länder durch die Krise kommen. Deshalb verstehen
wir Grünen die Mitbestimmung als Chance und Standortvorteil.
({6})
Sehr geehrte Mitglieder der Koalitionsfraktionen, lassen Sie sich auf eine konstruktive Diskussion ein und
verzichten Sie einfach mal auf alte Reflexe. Nur in einem fairen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Belegschaft entsteht wirtschaftliche Dynamik. Nicht nur die
Kunden sind die Partner eines Unternehmens, sondern
auch die Beschäftigten. Vor allem ist die Mitbestimmung
eine besondere Errungenschaft unserer Demokratie, und
damit müssen wir behutsam umgehen. Der Wandel in
der Arbeitswelt erfordert eine Konstante, und das ist eine
starke Mitbestimmung. Nur durch gleiche Augenhöhe
und Partizipation entstehen soziale Wertschätzung und
Zusammenhalt und in der Folge wirtschaftlicher Erfolg.
Schalten Sie endlich Ihren Ruhemodus aus! Tun Sie etwas! Noch haben Sie die Zeit dafür.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke. Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist Kollege Dr. Johann Wadephul. Bitte schön.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist sicherlich aller Anstrengungen des Hohen
Hauses wert, miteinander über die betriebliche Mitbestimmung zu sprechen, darüber zu diskutieren und zu
schauen, wo nachjustiert werden muss. Mitbestimmung
ist auf allen Ebenen, auf denen sie stattfindet, eine große
soziale Errungenschaft Deutschlands. Da kann ich nur
das unterstreichen, was zuletzt die Kollegin MüllerGemmeke gesagt hat; da sind wir alle einer Meinung. In
der Tat: Betrieblicher Frieden ist wichtig.
Peter Weiß hat auf die Ursprünge des aktuellen Betriebsverfassungsgesetzes hingewiesen. Es hat Vorläufer
aus den 50er-Jahren und den 20er-Jahren. Schon in der
Weimarer Republik wurde erkannt, dass Demokratie,
Rechtsstaat und Mitbestimmung nur dann erfolgreich
gelingen können, wenn es auch auf betrieblicher Ebene
gelingt, einen Ausgleich zwischen den Eigentümerinteressen des Unternehmers und den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten. Das
gelang in Deutschland schon in Weimarer Zeiten, gelingt
aber auch in der bundesrepublikanischen Zeit in hervorragender Weise. Der betriebliche Frieden, den wir hier
haben, ist in der Tat ein hohes Gut, das wir alle schützen
sollten, zu dem wir uns bekennen sollten. Es ist ein Teil
des Erfolgsmodells Deutschland.
({0})
Deswegen muss man Verschiebungen immer mit
Sorge sehen. Es fängt auf der Ebene der Tarifautonomie
an. Ich will hier ausdrücklich sagen: Wir sind dafür, dass
es starke Gewerkschaften, starke Tarifverträge und Flächentarifverträge gibt. Es ist nicht gut, wenn ein Unternehmen wie Karstadt meint, hier ausscheren zu müssen;
das will ich ausdrücklich sagen. Es ist eine freie unternehmerische Entscheidung. Aber ich glaube, jeder trägt
eine Verantwortung für das Gemeinwohl; auch Unternehmer haben hier eine Verantwortung. Ich finde, die
Entscheidung ist insofern kein gutes Signal. Denn Unternehmer müssen erkennen, was in der Debatte schon gesagt worden ist: Manchmal müssen auch schwierige Entscheidungen getroffen werden. Gerade Karstadt hat das
erleben müssen. Das Unternehmen entwickelt sich jetzt
positiv, und zwar nur deshalb, weil Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer einen Teil dazu beigetragen haben,
weil sie auf Gehalt verzichtet haben und es Gewerkschafter gegeben hat, die ihnen das erklärt haben und sie
mitgenommen haben. Deswegen ist es aus meiner Sicht
keine Petitesse, zu sagen: Es geht uns wieder etwas besser, jetzt brauchen wir Tarifverträge nicht mehr so sehr;
wir haben schwierige Zeiten hinter uns, und jetzt verzichten wir darauf. ({1})
Nein, Mitbestimmung braucht man in guten wie in
schlechten Zeiten, und dazu gehören ein gutes Tarifvertragssystem, aber auch funktionierende Betriebsräte in
Deutschland.
({2})
Weil das unsere Auffassung ist, bin ich angesichts einer gewissen Lieblosigkeit, mit der dieser Antrag zusammengeschrieben worden ist, in der Tat etwas enttäuscht; das sage ich jetzt nicht in einer Reflexreaktion,
die uns sozusagen schon vorher von der Opposition unterstellt wurde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es fängt natürlich schon damit an, dass Sie diesen
Antrag in einer der letzten Sitzungswochen dieser Legislaturperiode stellen. Jetzt merken Sie, dass dringender
Handlungsbedarf besteht. Das ist nun wirklich sehr spät.
Zudem beschreiben Sie diesen Handlungsbedarf in einer
Art und Weise, die man natürlich nicht ganz ernst nehmen kann.
({3})
- Sie als Opposition fordern die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Machen Sie es doch
bitte selber! Wir sind die gesetzgebende Körperschaft.
Setzen Sie sich hin! Sie haben kluge Juristen in Ihren eigenen Reihen und in Ihrer Mitarbeiterschaft, fragen Sie
die Gewerkschaften. Machen Sie konkrete Vorschläge
zum Betriebsverfassungsgesetz:
({4})
- Herr Barthel, das werden wir wahrscheinlich gleich
von Ihnen hören. - Was soll in § 80, § 92, § 87 und § 99
konkret textlich geändert werden, damit Ihre vermeintlichen Anliegen durchgesetzt werden können? Sie bieten
gar nichts!
Der vorliegende Antrag ist eine Enttäuschung - das
muss ich Ihnen so sagen - und wird dem Anspruch moderner Mitbestimmung im 21. Jahrhundert nicht gerecht;
({5})
denn auf das Thema, das Sie angesprochen haben, nämlich dass es zu wenig Betriebsräte gibt, wird überhaupt
nicht eingegangen.
Frau Krellmann, das hat im Übrigen nichts damit zu
tun, dass einzelne Betriebsräte auf Druck der Arbeitgeberseite immer wieder Kündigungen ausgesetzt sind.
Das will ich nicht rechtfertigen, das ist nicht in Ordnung,
dagegen muss man sich wehren, und ich habe Betroffene
schon arbeitsgerichtlich vertreten. Aber man darf nicht
vergessen, dass sie in Deutschland einen einmaligen
Schutz genießen. Suchen Sie einen entsprechenden
Schutz im europäischen Ausland.
Ich weiß nicht, was der Grund für die fristlose Kündigung bei H&M gewesen ist. Es ist auch nicht unsere
Aufgabe, darüber zu richten, ob die richtig oder falsch
war. Das ist die Aufgabe der Arbeitsgerichte. Wir sorgen
für einen Schutzrahmen.
Wir haben in Deutschland ein geltendes Betriebsverfassungsgesetz, zu dem wir stehen. Es sorgt dafür, dass
Betriebsräte einen Schutz genießen, wie ihn Betriebsräte
in anderen Ländern Europas nicht haben. Das ist gut so.
Dabei soll es bleiben.
({6})
- Frau Krellmann, das will ich Ihnen sagen: Wenn die
Kündigung deshalb erfolgt sein sollte, weil der Betriebsratsvorsitzende sehr aktiv war, dann ist die Kündigung
mit hoher Wahrscheinlichkeit unwirksam. Genau das
steht im Betriebsverfassungsgesetz. Vielleicht gibt es
aber auch andere Gründe, darüber müssen die Arbeitsgerichte entscheiden. Sie sollten nicht generell die Arbeitgeber, die sich zu solchen Schritten genötigt fühlen, verurteilen.
Ich will Sie abschließend auf einen zweiten Punkt
hinweisen, der für uns wichtig ist. Es gibt einen großen
Unterschied zwischen den Tarifverträgen unterworfenen
Arbeitnehmern und denjenigen, die dem Betriebsrat unterworfen sind.
Im Übrigen gilt die Betriebsvereinbarung auch für befristet Beschäftigte. Diese werfen Sie in Ihrem Antrag
mit Leiharbeitnehmern in einen Topf. Man kann darüber
reden, dass es in diesem Bereich Probleme gibt, aber
Tatsache ist: Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer ist
bei der Betriebsratswahl stimmberechtigt, und wenn eine
Betriebsvereinbarung getroffen ist, dann ist er ihr unterworfen. Ich weiß deshalb nicht, was befristete Arbeitsverhältnisse in Ihrem Antrag zu suchen haben; denn die
spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Auch das
ist in Ihrer Begründung sehr unsubstanziell.
Es gibt einen wichtigen Unterschied, zu dem wir stehen. Materielle Arbeitsbedingungen - Bezahlung, Dauer
der Arbeitszeit - sollen die Gewerkschaften regeln, indem sie Tarifverträge schließen. Das sollen nicht die Betriebsräte beschließen. Das steht im Betriebsverfassungsgesetz in § 77 Abs. 3. An diesem wichtigen
Unterschied sollten wir festhalten.
Es gibt zwei Seiten. Die eine Seite ist: Man kann sich
einer Betriebsvereinbarung als Arbeitnehmer nicht entziehen. Jeder, der in einem Betrieb arbeitet, ist ihr automatisch unterworfen, sie wirkt wie ein Gesetz im Betrieb. Die andere Seite ist: Der Betriebsangehörige kann
nicht einfach streiken. Der Betriebsrat kann im Betrieb
keinen Streik ausrufen. Das können nur Gewerkschaften
für die Tarifunterworfenen machen, und ob man tarifunterworfen sein will, kann man selbst entscheiden, indem
man einer Gewerkschaft beitritt oder es eben lässt. Dieser wichtige Unterschied wird in Ihrem Antrag nicht
deutlich. Es gibt diesen wichtigen Unterschied zwischen
dem Tarifvertragsbereich und dem Bereich, den wir im
Betriebsverfassungsgesetz geregelt haben. Das Betriebsverfassungsgesetz kann nur für den Betrieb gelten.
Auf der Ebene des Betriebsverfassungsgesetzes können wir im Bereich der Leiharbeitnehmer nichts machen
- man darf aber in der Tat nicht in einen Ruhemodus verfallen, sondern man sollte über Verbesserungen nachdenken -; denn sie gehören nicht zum Betrieb, sondern
zum Betrieb des Verleihers. Diesen Konflikt haben Sie
in Ihrem Antrag völlig verkannt. Das finde ich bedauerlich. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode sicherlich mit mehr Substanz an das Thema herangehen
müssen.
In wichtigen Punkten besteht Konsens.
({7})
Die betriebliche Mitbestimmung ist ein Kernbestandteil
des sozialen Friedens in Deutschland, und Union und
FDP werden auch in diesem Bereich weitere vier gute
Jahre regieren.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Dr. Wadephul. - Letzter Redner
in dieser Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Klaus Barthel. Bitte schön, Kollege
Klaus Barthel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag muss schon ganz gut sein, weil sich alle, die sich irgendwie kritisch dazu geäußert haben, zu allem Möglichen gesprochen haben, nur nicht zu dem Antrag. Frau
Müller-Gemmeke war dabei eine löbliche Ausnahme;
sie hat sich positiv darauf bezogen. Aber ansonsten haben wir hier doch nur Nebelkerzen gesehen. Da hören
wir irgendetwas von Kündigungen von Betriebsratsvorsitzenden, was jetzt schon verboten ist. Wir hören, dass
Herr Wissing irgendetwas mit Mitbestimmung zu tun haben soll.
({0})
Der Kollege Weiß erzählt uns hier etwas vom Präventionsgesetz. Da könnte man noch sagen - das hat er aber
nicht erwähnt -, dass ein Präventionsgesetz auch nur bei
betrieblicher Mitbestimmung sinnvoll umgesetzt werden
kann, weil man dafür Akteure und nicht einfach nur
Geld braucht, das Krankenkassen zahlen.
({1})
Aber all das sei einmal dahingestellt.
Außerdem ging es um den Zeitpunkt, zu dem wir diesen Antrag einbringen. Wir wollen am Ende dieser Legislaturperiode, nachdem die Sozialdemokratie ja die
Partei der Mitbestimmung ist, dies schon seit Jahren diskutiert und es auch in ihrem Wahlprogramm stehen hat,
einfach einmal von den anderen hören, wie sie sich zur
Zukunft der Mitbestimmung stellen. Das ist doch legitim. Wenn man die Antworten hört, dann muss man sagen: Das ist doch erbärmlich.
({2})
Schon allein deswegen hat es sich gelohnt, diesen Antrag zu stellen.
Es wurde schon gesagt: Ohne Mitbestimmung wären
wir nicht so gut durch die Krise gekommen. Interne Flexibilität mit Arbeitszeitkonten und mit Kurzarbeiterregelung geht nur mit Mitbestimmung. Auch der jetzt immer
wieder gelobte hohe Industrieanteil in Deutschland hat
etwas mit Mitbestimmung zu tun und eben nicht mit den
Rezepten von „hire and fire“, nicht mit Lohnsenkungen,
nicht mit dem Herr-im-Hause-Standpunkt.
Ein Zeitungsartikel vor einiger Zeit, übrigens nicht in
einem sozialistischen Blatt, enthielt die Aussage, dass Betriebsräte, dass die Mitbestimmung - wörtliches Zitat Bollwerke gegen Betriebsschließungen sind. Man muss
doch ganz klar sagen: Viele Betriebe, gerade in der Industrie, gäbe es ohne Mitbestimmung, ohne Betriebsräte
heute überhaupt nicht mehr. Deshalb ist die Frage - Ankündigungen oder Lobhudeleien sind ja billig -: Was folgt
daraus?
Den historischen Teil will ich mir schenken, weil Herr
Dr. Wadephul dankenswerterweise darauf hingewiesen
hat, dass es keine Idee von Union und FDP war, Betriebsräte einzuführen, sondern dass es sie seit 1918/19
gibt und dass die Nazis sie aus gutem Grund vor ziemlich genau 80 Jahren aus den Ämtern gejagt und verdrängt haben, weil das eben ein Bollwerk der Demokratie ist.
({3})
1945 waren Betriebsräte die Ersten, die die Wirtschaft
wieder ans Laufen gebracht haben, weil die Chefs teilweise im Gefängnis saßen oder sich aus dem Staub gemacht hatten. Dann waren sie als Getriebene durch
Streiks der Gewerkschaften gezwungen, betriebliche
Mitbestimmung einzuführen, und so ging es weiter. Alle
substanziellen Änderungen an der Mitbestimmung haben Sozialdemokraten eingeführt,
({4})
beispielsweise beim Mitbestimmungsgesetz 1972, 1976
und zuletzt 2001. Auch die erleichterte Wahl von Betriebsräten war ein Fortschritt, der von der SPD zusammen mit den Grünen durchgesetzt worden ist.
({5})
Das alles heißt aber nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen können. Wir können es nicht, weil sich die
Arbeitswelt und betriebliche Strukturen und damit auch
die Anforderungen an Betriebsrätinnen und Betriebsräte
verändern. Wir erleben, dass durch Leiharbeit, durch die
Praxis von Werkverträgen Menschen in den Betrieben
beschäftigt sind, die aber letzten Endes nicht von Betriebsrätinnen und Betriebsräten vertreten werden können, weil die rechtliche Situation in diesem Punkt nicht
klar ist.
Es hat zwar jetzt hinsichtlich der Leiharbeit ein Bundesarbeitsgerichtsurteil die Zuständigkeiten der Betriebsräte verbessert. Aber wir brauchen hier klare gesetzliche
Regelungen, damit auch Werkauftragsnehmerinnen und
-nehmer oder Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter an dem
Ort, an dem sie arbeiten, geschützt werden können und es
für sie eine Kontrolle zum Beispiel bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen, Löhne, Arbeitszeiten usw. in dem Betrieb, in dem sie arbeiten, gibt und nicht irgendwo, von
wo sie ausgeliehen werden. Wenn Sie das nicht hinbekommen, dann können Sie hier noch so viele heilige Reden auf Mitbestimmung und Betriebsräte halten, aber in
Wahrheit entziehen Sie den Betriebsräten dann die Wirkungsmöglichkeiten. Auch dadurch, dass es keine Freistellungen und zusätzlichen Mandate für Betriebsräte
gibt, entziehen Sie ihnen die Arbeitsmöglichkeiten. Was
hier gemacht wird, ist ein bisschen eine Strategie des ZuTode-Lobens. Da muss man aufpassen.
Wir brauchen - das ist der zweite Bereich, um den es
hier geht - eine Zuständigkeitsausweitung für Betriebsräte. Sie reden immer darüber, dass Sie die Rente mit 67
wollen.
({6})
Wir hingegen wollen erst einmal dafür sorgen, dass die
Leute mit 65 gesund arbeiten und gesund in Rente gehen
können. Wenn Sie die Rente mit 67 wollen, dann müssen
Sie auch dafür sorgen, dass auf betrieblicher Ebene Strategien zur Qualifizierung entwickelt und umgesetzt werden. Dafür brauchen die Betriebsräte Initiativrechte auch
beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Diese Rechte haben sie im Moment nicht. Das muss man betrieblich
durchsetzen, da helfen sonst die besten Gesetze nichts.
Also: Wer Mitbestimmung auch in Zukunft will, wer
vernünftige Betriebsratsarbeit auch in Zukunft will, der
muss die Rechtsgrundlagen reformieren. Wir brauchen
eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes.
Im Übrigen sage ich: Wenn Sie alle der Meinung sind,
dass die Mitbestimmung vorbildhaft und ein ExportKlaus Barthel
schlager ist, dann sollten Sie dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerrechte im restlichen Europa gestärkt und
nicht durch die Austeritätspolitik von Frau Merkel kaputtgemacht werden.
({7})
Denken Sie einmal darüber nach! Vielleicht können Sie
doch noch etwas Positives an unserem Antrag finden.
Wir werden das in der nächsten Legislaturperiode
umsetzen. Sinn dieses Antrages ist ja auch, dass wir sagen, was wir ab September machen werden.
({8})
Vielen Dank, Kollege Klaus Barthel. - Der Kollege
Klaus Barthel war der letzte Redner in dieser Aussprache, die ich damit schließe.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13476 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Jan
Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern
und Parteienfinanzierung transparenter gestalten
- Drucksachen 17/9063, 17/13530 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Dr. Stefan Ruppert
Wolfgang Wieland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind
alle damit einverstanden? - Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser
Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unser
Kollege Ingo Wellenreuther. Bitte schön, Kollege Ingo
Wellenreuther.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Verständnis, dass heute wenige hier im Plenum sind, weil parallel die Trauerfeier
für den Kollegen Stadler stattfindet, an der auch ich
gerne teilgenommen hätte; aber die Tagesordnung sieht
vor, dass dieser Punkt jetzt behandelt wird. Mein Beileid
noch einmal an die Familie Stadler. Max Stadler war ein
sehr lieber Kollege, mit dem ich 13 Jahre lang sehr eng
zusammengearbeitet habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, Parteien haben nach dem Grundgesetz den Anspruch, aber
auch den Auftrag, an der politischen Willensbildung des
Volkes mitzuwirken. Um dieser Aufgabe gerecht werden
zu können, haben sie einen berechtigten Finanzierungsbedarf. In Deutschland haben wir uns bewusst gegen
eine rein staatliche Alimentierung entschieden und die
gesellschaftliche Verankerung als Wesenselement politischer Parteien definiert. Im Wesentlichen wird dieser Finanzierungsbedarf durch Mitgliedsbeiträge, staatliche
Zuwendungen und durch Spenden gedeckt. Spenden
sind zu Recht ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung
von Parteien und haben verfassungsrechtliche Bedeutung. Das Grundgesetz sieht die Staatsfreiheit von Parteien vor. Die staatliche Finanzierung darf deshalb nicht
so weit gehen, dass sich Parteien nicht mehr um die finanzielle Unterstützung durch ihre Mitglieder und durch
ihr nahestehende Bürger bemühen müssen.
Umgekehrt ist das Spendenrecht des Bürgers Ausdruck seines Rechts auf Teilhabe an der politischen Willensbildung. Im Gegenzug ergibt sich die Verpflichtung,
dass die Parteien über die Herkunft und die Verwendung
ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft ablegen müssen. Das ist im Parteiengesetz so geregelt. Spenden über 10 000 Euro sind im Rechenschaftsbericht anzugeben, und Spenden über 50 000 Euro sind
dem Bundestagspräsidenten zu melden, der diese binnen
24 Stunden im Internet zu veröffentlichen hat. Diese
Transparenzvorschriften haben sich bei Parteispenden in
Deutschland sehr gut bewährt.
Meine Damen und Herren von den Linken, Sie schlagen jetzt in Ihrem Antrag fünf Maßnahmen vor, mit denen
Sie das Parteiengesetz ändern wollen. Damit wollen Sie
angeblich die Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern und die Parteienfinanzierung transparenter gestalten.
Meines Erachtens betreiben Sie damit Etikettenschwindel. Denn was Sie in Wahrheit wollen, ist, in Deutschland
die Parteienfinanzierung diskreditieren, Spender verunsichern und sich damit Vorteile im politischen Wettbewerb
verschaffen.
({0})
Ich werde Ihnen jetzt im Einzelnen erläutern, warum Ihr
Antrag nicht taugt - wenn Sie zuhören, verstehen Sie es
auch -, um die von Ihnen benannten Ziele zu erreichen.
Ich werde auch zeigen, welche Auswirkungen Ihre beabsichtigten Gesetzesänderungen hätten.
Sie wollen ein Spendenverbot für juristische Personen.
({1})
Das heißt, Sie wollen, dass Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft, aber
auch eingetragene Vereine nicht mehr Spenden an politische Parteien leisten dürfen.
({2})
Entgegen Ihrem im Antrag formulierten Ziel, die Demokratie dadurch stärken zu wollen, wäre dies im Gegenteil
eine demokratiefeindliche Maßnahme, weil Sie dadurch
Unternehmen eine Teilnahme an der politischen Willensbildung durch Unterstützung jener Partei,
({3})
die ihre eigenen politischen Interessen am besten vertritt,
behindern würden.
({4})
Hierin liegt wiederum ein Etikettenschwindel, weil damit
unsere Demokratie nicht gestärkt, sondern geschwächt
würde. Dies sieht auch das Verfassungsgericht so, das bereits 1992 eindeutig erklärt hat, dass Spenden juristischer
Personen an politische Parteien in beliebiger Höhe zulässig sind.
Die politische Teilhabe äußert sich nämlich nicht allein in der Teilnahme an Wahlen, sie manifestiert sich
auch dadurch, dass Organisationen, gesellschaftliche
Gruppierungen, aber auch Unternehmen ihre Interessen
wahrnehmen und sich an der politischen Willensbildung
beteiligen dürfen, auch mittels Spenden, die natürlich im
Einklang mit unserer Rechtslage transparent gewährt
werden müssen. Berechtigterweise darf es auch juristischen Personen darauf ankommen, die politischen Ziele
von Parteien zu unterstützen. Genau dies ist nach dem
Grundgesetz, dem Parteiengesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch vorgesehen.
Jetzt zu Ihrem Hauptargument: Wer nicht wählen
darf, darf auch keinen Einfluss auf politische Parteien
nehmen. Dies wird nicht nur von den Linken vertreten,
sondern auch von Ihnen, Herr Beck; das habe ich gelesen. Dieses Argument halte ich für entlarvend. Mit einer
Spende erleichtern die Spender lediglich die politische
Arbeit der Partei, die im politischen Meinungskampf am
besten ihre Interessen unterstützt. Sie nehmen dadurch
gerade nicht inhaltlich Einfluss auf eine Partei oder ein
Parteiprogramm.
({5})
Spenden zu leisten, ist im Übrigen die private Entscheidung der Bürger, aber auch der Unternehmen in unserem Land, die dies gegenüber ihrem Aufsichtsrat, ihrem Vorstand, ihren Aktionären, ihren Gesellschaftern,
ihrer Belegschaft und gegenüber der Öffentlichkeit zu
rechtfertigen haben, sicherlich aber nicht gegenüber dem
politischen Gegner.
Meine Damen und Herren von den Linken, wenn Ihre
Partei keine nennenswerten Spenden juristischer Personen erhält, muss deshalb nicht das Parteiengesetz geändert werden - darauf hat Kollege Schuster schon hingewiesen -, Sie sollten sich vielmehr über die Inhalte Ihres
Parteiprogramms Gedanken machen.
({6})
Auch Ihr zweiter Vorschlag, es zu verbieten, Spenden
natürlicher Personen über 25 000 Euro anzunehmen,
schadet dem Kern unserer Demokratie. Sie rücken Parteispenden damit in die Nähe des Anrüchigen. Ich halte
es - das muss ich ehrlich sagen - für unerträglich, dass
Sie damit in der Öffentlichkeit wiederholt und bewusst
den Eindruck erwecken, man könne in Deutschland politische Entscheidung kaufen.
({7})
Ein weiterer Grund für Ihren Vorschlag eines Verbotes
von Spenden über 25 000 Euro ist, dass die Partei der Linken einfach keine größeren Einzelspenden erhält. Sie
handeln deshalb nach dem Motto: Eine Regelung, die uns
nicht nutzt, müssen wir abschaffen. Damit wollen Sie vor
allem dem politischen Gegner schaden; denn andere Parteien verzeichnen höhere Spendeneingänge. Wenn es darum ginge, anderen Parteien zu schaden, dann müsste die
Union eigentlich fordern, dass Parteien keine Beteiligungen an Medienunternehmen halten dürfen.
({8})
Die Stichworte Neues Deutschland und Deutsche Druckund Verlagsgesellschaft seien an dieser Stelle genannt.
Das eigentliche Thema, das die Menschen in unserem
Land beschäftigt, ist nicht die Höhe der Spende, sondern
die Transparenz; das heißt, dass man ab einer bestimmten Summe über die Herkunft und über die Spender Bescheid wissen möchte. Dies ist in unserem bestehenden
Parteiengesetz ausreichend klar geregelt.
Ihr dritter Vorschlag, den ich aufgreifen möchte, ist,
dass Sie Parteiensponsoring verbieten wollen. Sponsoring ist im Parteiengesetz nicht ausdrücklich geregelt.
Eine gesetzliche Definition fehlt. Nach dem Sponsoringerlass des Bundesfinanzministeriums aus dem Jahre
1998 handelt es sich um die Gewährung von Geld durch
Unternehmen zur Förderung von Parteien, mit der unternehmensbezogene Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit
verbunden sind. So damals das Bundesfinanzministerium. Der Unterschied zur Spende - das ist schon mehrfach angesprochen worden - liegt darin, dass die Partei
eine Gegenleistung schuldet. Diese besteht - das möchte
ich auch für die Zuschauer ausdrücklich betonen - natürlich nicht in der Gewährung eines politischen Vorteils,
sondern in der Zurverfügungstellung von Werbemöglichkeiten. Das ist der gegenseitige Vertrag, um den es
beim Sponsoring geht.
Als Beispiel nennt die Linke in ihrem Antrag die Vermietung von Standflächen auf Parteitagen. Sie erwähnen
in diesem Zusammenhang alle im Bundestag vertretenen
Parteien, außer übrigens sich selbst. Man weiß aber,
dass, ich glaube, der Apothekerverband regelmäßig auch
bei Ihnen gesichtet wird. Auch hier sage ich Ihnen: Bleiben Sie bitte bei der Wahrheit.
({9})
- Das werden wir nachprüfen.
Inhaltlich vertreten Sie mit der Forderung nach einem
Verbot des Parteisponsorings eine absolute Mindermeinung. Keiner der sieben Sachverständigen hat in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses im Juni 2010
ein Verbot des Parteisponsorings für gut befunden. Das
überrascht auch nicht; denn Sponsoring ist eine zulässige
Form der Finanzierung politischer Veranstaltungen. Im
Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der
Staatsfreiheit sind solche finanziellen Unterstützungen
auch wünschenswert.
Im Rechenschaftsbericht der Parteien sind Einnahmen aus Sponsoring als Einnahmen aus Veranstaltungen
und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeit
anzuführen. Die Staatengruppe gegen Korruption,
GRECO, der Deutschland gleich nach der Gründung
1999 beigetreten ist, hat dazu Stellung genommen.
GRECO hatte in dem Evaluierungsbericht vom Dezember 2009 zu Deutschland empfohlen, zu klären, unter
welchen Bedingungen Parteisponsoring erlaubt ist und
welches Rechnungslegungs- und Finanzsystem gelten
soll. Dieser Aufforderung sind wir nachgekommen.
GRECO hat dementsprechend in seinem Umsetzungsbericht vom November 2012 diesen Punkt als umgesetzt
deklariert. Ich sage ganz offen: Ich hätte nichts dagegen,
wenn in Zukunft Sponsoringvorgänge in einem Erläuterungsteil im Rechenschaftsbericht zusammengefasst dargestellt würden und damit für noch mehr Transparent gesorgt wäre.
Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zu den
Berichten von GRECO über die Transparenz der Parteienfinanzierung machen. Die Linke erwähnt diese Berichte in ihrem Antrag und erweckt den Eindruck, als
hätten wir hier in Deutschland große Defizite. Ich
möchte zunächst einmal klarstellen, dass der Bericht von
GRECO aus dem Jahr 2009 die deutschen Rechtsvorschriften zur politischen Finanzierung unmissverständlich gewürdigt hat. Wörtlich führt der Bericht aus, dass
das deutsche Parteiengesetz mindestens fünf unbestreitbare Qualitäten besitzt:
Erstens. Es ist eine der ältesten Rechtsgrundlagen in
diesem Bereich auf dem europäischen Kontinent. Zweitens. Es ist dank der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich tief verwurzelt. Drittens. Es legt großen Wert auf die Transparenz der
Finanzquellen der Parteien. Viertens. Es trägt zu einem
intelligenten Gleichgewicht zwischen privater und staatlicher Finanzierung von Parteien bei, sodass diese nicht
ausschließlich auf staatliche Unterstützung angewiesen
sind. Fünftens. Es führt zu einer Konsolidierung der Parteifinanzen.
Im Grundsatz bescheinigt GRECO also, dass Deutschland hoch anerkannte, verfassungsfeste, vorbildliche und
transparente Regelungen zur Parteienfinanzierung besitzt. Das ist zunächst einmal eine ganz wichtige Botschaft, die Sie von den Linken eigentlich nicht hätten
verschweigen sollen.
Es ist zutreffend, dass GRECO aber auch zehn Änderungsempfehlungen abgegeben hat. In dem Umsetzungsbericht vom Dezember 2012 werden drei davon als von
Deutschland zufriedenstellend umgesetzt bzw. zufriedenstellend behandelt deklariert, sechs Empfehlungen
werden als teilweise und nur eine wird als nicht umgesetzt angesehen.
Ich möchte an zwei Beispielen erläutern, dass wir hier
keineswegs wichtige Empfehlungen ignorieren, sondern
dass wir in manchen Punkten inhaltlich anderer Auffassung sind als GRECO. GRECO hatte beispielsweise
empfohlen, die Grenze von 50 000 Euro für die unmittelbare Berichterstattung und Veröffentlichung von
Spenden zu senken und anonyme Spenden zu verbieten.
Diese Empfehlung ist zum einen von den gemeinsamen
Regeln des Europarates gegen Korruption aus dem Jahre
2003 nicht gedeckt, und sie verkennt zum anderen, dass
Spenden nach dem deutschen Parteiengesetz nicht erst
ab 50 000 Euro, sondern schon ab 10 000 Euro mit
Spendernamen im Rechenschaftsbericht veröffentlicht
werden. Eine weitere Herabsetzung erscheint uns von
der Union willkürlich. Eine zu niedrige Grenze würde
außerdem zu einer Überfülle an Daten führen, was wiederum der Transparenz und der Übersichtlichkeit abträglich wäre. Die Empfehlung, anonyme Spenden zu verbieten, widerspricht außerdem den gemeinsamen Regeln
des Europarates, die nur heimliche Spenden vermeiden
wollen und sogar anonyme Kleinspenden akzeptieren.
Spenden unter 500 Euro erfolgen schon jetzt ohne Identifizierung, sind aber öffentlich.
Weitere Empfehlungen von GRECO gehen dahin,
Spenden an Abgeordnete zumindest Rechenschafts- und
Offenlegungspflichten aufzuerlegen, die denen der Parteien vergleichbar sind, und wirksame Sanktionen bei
Verstößen festzulegen.
Auch hier wird die deutsche Rechtslage verkannt,
nach der die Pflichten der Abgeordneten zum Umgang
mit Spenden und etwaige Verstöße ganz klar geregelt
sind. Erhalten nämlich Abgeordnete Spenden für ihre
Partei, sind diese unverzüglich an das zuständige Parteiorgan weiterzuleiten. Sie unterliegen dann den weiteren
Regelungen des Parteiengesetzes. Verstöße gegen diese
Weiterleitungspflicht sind strafbewehrt. Bei den sogenannten Direktspenden für den Abgeordneten selbst
bestehen nach dem Abgeordnetengesetz und den Verhaltensregeln des Bundestages laut Geschäftsordnung
Pflichten zur gesonderten Rechnungsführung und zur
Anzeige gegenüber dem Bundestagspräsidenten sowie
eindeutige Annahmeverbote. Wenn dagegen verstoßen
wird, gibt es ebenfalls wirksame Sanktionen. Insofern
sind die genannten Empfehlungen von GRECO in
Deutschland bereits vollkommen ausreichend geregelt.
Zurück zum Antrag der Linken. Dazu möchte ich als
Fazit sagen: Er ist insgesamt scheinheilig. Er nimmt es
mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau. Und vor allem: Er schwächt unsere Demokratie. Aus diesen Gründen lehnen wir von der Union diesen Antrag ab.
Danke schön.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Gabriele Fograscher. Bitte
schön, Frau Kollegin Gabriele Fograscher.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zum wiederholten Mal diskutieren wir in dieser Legislaturperiode Änderungen des Parteiengesetzes, und das
nicht nur hier im Plenum; wir haben darüber bereits
mehrfach auch im Innenausschuss diskutiert. Grundlage
waren verschiedene Anträge und immer wieder die Evaluierungsberichte der zum Europarat gehörenden Staatengruppe gegen Korruption, GRECO.
Nach all den Diskussionen lässt sich feststellen: Die
Linksfraktion hat übertriebene Forderungen, und die Regierungskoalition will gar nichts ändern. Dabei würde es
Ihnen von den Regierungsfraktionen gut zu Gesicht stehen, sich einmal intensiv mit den Empfehlungen von
GRECO auseinanderzusetzen. Es ist einfach nur peinlich, regelmäßig von GRECO aufgefordert zu werden,
die Empfehlungen umzusetzen. Sie von der Koalition
wollen sich nicht festlegen und schieben zum Beispiel
das Thema der Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung von Woche zu Woche und hoffen, sich so über die
Legislaturperiode retten zu können. Wir sehen durchaus
Handlungsbedarf und würden die Empfehlungen von
GRECO aufgreifen.
Ich will trotzdem auch darauf hinweisen, dass
Deutschland ein gutes Parteiengesetz hat, das die meisten Fragen der Parteienfinanzierung angemessen regelt.
Ich zitiere aus dem GRECO-Bericht:
Viele Bestimmungen des Parteiengesetzes zur Parteienfinanzierung sind lobenswert: Es verlangt eine
konsolidierte Rechnungslegung, welche alle territorialen und sonstigen Strukturen der Parteien bis zur
untersten Ebene sowie alle wirtschaftlichen Strukturen erfasst, es nimmt eine klare Unterscheidung
zwischen Parteien einerseits sowie Fraktionen und
politischen Stiftungen andererseits vor, und es regelt Themen wie Sachspenden, freiwillige Arbeit
und Sponsoring.
Sie von der Linksfraktion vermitteln schon allein mit
dem Titel Ihres Antrags ein völlig anderes Bild. Vor allem verspricht der Titel, was der Inhalt nicht hält. Mehr
Demokratie schaffen Sie mit Ihren Forderungen nicht,
mehr Transparenz auch nicht. Mit der Verhinderung von
Lobbyismus hat Ihr Antrag nichts zu tun. Um Lobbyismus einzudämmen, brauchen wir unter anderem ein
Lobbyregister und klare Informationen und Regeln für
externe Berater, vor allem in den Bundesministerien.
Dazu sagt Ihr Antrag aber nichts.
Sie fordern das Verbot von Unternehmensspenden.
Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die
Kommission des Bundespräsidenten zur Reform der Parteienfinanzierung haben Spenden von juristischen und
natürlichen Personen als zulässig angesehen. Entscheidend sei dabei die Transparenz. Es muss durchschaubar
sein, welche Unternehmen oder Personen die Parteien
unterstützen und gegebenenfalls Einfluss nehmen wollen. Mir ist es lieber, dass spendende Unternehmen in
den Rechenschaftsberichten genannt werden und diese
Zuwendungen nicht über Privatpersonen oder gar Strohmänner erfolgen.
({0})
Das würde nämlich zu weniger Transparenz führen.
({1})
Professor Heinig erklärte in der Anhörung des Innenausschusses 2010:
In einem freiheitlichen Parteienwesen bedürfen
Einschränkungen der Finanzierungsfreiheit politischer Parteien einer besonderen Rechtfertigung.
Kontrolle durch Öffentlichkeit hat Vorrang vor Verboten. Ein generelles parteiengesetzliches Verbot,
Spenden juristischer Personen anzunehmen, sähe
sich beachtlichen verfassungsrechtlichen Anfragen
ausgesetzt. Es ist nicht zu empfehlen.
Bei Spenden von Unternehmensverbänden allerdings
ist die Transparenz nicht gegeben. Hier erfolgen Spenden indirekt von Unternehmen über die Verbände, ohne
dass die Unternehmen genannt werden. Oftmals wissen
die einzelnen Mitglieder solcher Verbände gar nicht,
dass sie an eine bestimmte Partei über ihre Mitgliedsbeiträge spenden. Deshalb fordern wir ein Verbot von Spenden von Unternehmensverbänden.
({2})
Statt die Spendenobergrenze so restriktiv festzulegen,
wie Sie es fordern, sollte die Grenze für die sofortige
Veröffentlichung von Spenden durch den Bundestagspräsidenten auf 25 000 Euro gesenkt werden. Zudem
würde eine Nennung von Spendern mit Namen und
Adresse ab einer Jahresgesamtsumme von 5 000 Euro
im Rechenschaftsbericht zu mehr Transparenz führen.
({3})
Sponsoring wollen Sie ganz verbieten, doch Sponsoring von Parteiveranstaltungen ist parteienrechtlich erlaubt, ja sogar erwünscht. Auch dazu möchte ich noch
einmal Professor Heinig zitieren:
Die Vermietung von Werbeflächen und andere Formen des Sponsorings von Parteiveranstaltungen
sind von der Parteienfreiheit nach Art. 21 Abs. 1 GG
geschützte und parteiengesetzlich zulässige Formen
der Parteienfinanzierung. Das Grundgesetz fordert
von den Parteien, dass sie eigene Einnahmen generieren, und verbietet eine staatliche Vollfinanzierung …. Die Aktivitäten von Parteien zielen auf Öffentlichkeit. Sie erzeugen aber auch Öffentlichkeit.
Wenn Parteien daraus Einnahmen erzielen …, ist
das im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Parteienfinanzierung zunächst einmal
nicht problematisch, sondern im Gegenteil erwünscht. Denn wie Spenden bilden auch andere
Formen der Förderung von Parteien einen gewissen
Indikator für ihre Verwurzelung und gesellschaftliche Akzeptanz …
Allerdings unterstützen wir auch die Forderung, dass
Sponsoring in Zukunft als gesonderte Einnahme in den
Rechenschaftsberichten ausgewiesen wird.
Warum es Demokratie stärken oder mehr Transparenz
herstellen soll, wenn Parteimitglieder, die für geleistete
Arbeit eine Aufwandsentschädigung erhalten, diese
nicht an die Partei spenden dürfen - das fordern Sie -,
erschließt sich mir nicht. In der SPD ist die ehrenamtliche Mitarbeit grundsätzlich unentgeltlich. Ein Kostenersatz ist jedoch möglich. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung ist ein Vorstandsbeschluss, bevor die
zum Aufwand führende Tätigkeit beginnt. Der Beschluss darf nicht unter der Bedingung der Spende gefasst werden, der Aufwand muss im Einzelnen aufgeführt werden, und die Gliederung muss wirtschaftlich
leistungsfähig sein, das heißt, sie muss diese Aufwandsentschädigung zahlen können.
Im Innenausschuss haben Sie einen Änderungsantrag
eingebracht und damit einen völlig falschen Eindruck erweckt. Sie werfen § 31 d Abs. 1 Satz 2 Parteiengesetz,
den Sie streichen wollten, mit dem Begriff der Selbstanzeige in der Abgabenordnung in einen Topf. § 31 d
Abs. 1 regelt unter anderem, dass eine Partei straffrei
bleibt, wenn sie gegenüber dem Bundestagspräsidenten
eine Fehlmeldung im Rechenschaftsbericht anzeigt und
korrigiert, bevor diese öffentlich wird.
Die Rechenschaftsberichte werden bei uns von circa
10 000 ehrenamtlichen Kassiererinnen und Kassierern
mit hoher Verantwortung und gewissenhaft erstellt.
Trotz aller Sorgfalt kann es zu Buchungsfehlern kommen. Dass dies für die Partei dann nach Meldung und
Berichtigung eine Strafe nach sich ziehen soll, ist nicht
einzusehen. Ein anderer Fall wäre es, wenn ein Kassierer
vorsätzlich Spenden verschleiern oder unterschlagen
würde. Wenn dies dann die Partei aber richtigstellt, wird
sie nicht bestraft. Der Kassierer aber muss mit Konsequenzen seitens der Partei rechnen. Das ist die geltende
Rechtslage. Die derzeit viel diskutierte Straffreiheit bei
Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung ist somit etwas völlig anderes als die Regelung des § 31 d Abs. 1
Parteiengesetz.
Sie fordern in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf,
Änderungen vorzunehmen. Bisher war das die Angelegenheit des Parlaments, der Fraktionen, und so soll das
unserer Meinung nach auch bleiben. Wir sind jederzeit
bereit, zum Beispiel über die Umsetzung der Empfehlungen von GRECO zu sprechen, und ich fordere von
dieser Stelle die Koalitionsfraktionen nochmals auf, die
Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung noch in dieser
Wahlperiode zu regeln. Dem Antrag der Linken können
wir nicht folgen.
Danke schön.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Stefan
Ruppert das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kennen diesen Antrag aus der Vergangenheit
- er ist sozusagen ein Wiedergänger -; leider ist er im
Laufe seiner parlamentarischen Karriere nicht besser geworden. Es hat auch schon ein leichtes Geschmäckle,
wenn im unmittelbaren Vorfeld einer Bundestagswahl
eine Fraktion einen Antrag ins Schaufenster stellt, in
dem es insbesondere darum geht, Spenden von juristischen Personen gänzlich zu verbieten.
Wenn man sich die Parteienfinanzierung in Deutschland anschaut, stellt man fest, dass die Parteien in
Deutschland höchst unterschiedlich finanziert sind. Die
einen haben größeres Vermögen aus Beteiligungen an
Unternehmen, wie etwa die SPD, andere ziehen ihre
Mitglieder und Mandatsträger stark heran, wieder andere
bekommen Spenden von kleinen und mittleren Unternehmen aus gewissen Branchen, wie etwa die Grünen.
Unsere Parteienfinanzierung ist sehr gut austariert.
Sie beruht sowohl auf Beiträgen als auch auf Spenden
von juristischen und natürlichen Personen und auf einer
staatlichen Parteienfinanzierung. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Dreisäulenmodell immer wieder
bestätigt. Dieses Modell ist gerade deswegen positiv,
weil es die Parteien nicht abhängig macht vom Staate,
die Parteien nicht zu reinen Staatsparteien werden, die
darauf angewiesen sind, dass der Staat sie alimentiert.
Die Parteien müssen vielmehr dafür sorgen, dass sie
auch aus anderen Quellen Einnahmen erzielen.
({0})
Eine dieser drei Säulen, nämlich die Spenden von juristischen Personen, will die Linke nun beseitigen. Dieser Vorschlag erstaunt nicht; denn die Linke selbst erhält
keine Spenden von juristischen Personen. Insofern ist es
nicht ganz uneigennützig, wenn die Linke einen Tatbestand beseitigen will, der sie persönlich nicht betrifft. Allerdings würde allen anderen Parteien, die Spenden von
juristischen Personen erhalten, ein Nachteil zugefügt.
Das ist durchsichtig und findet nicht unsere Zustimmung.
Wir sind im Einzelfall durchaus gesprächsbereit, zum
Beispiel was die Ausweisung von Sponsoring angeht.
Auch wir sind dafür, dass in den Rechenschaftsberichten
der Parteien ein Höchstmaß an Transparenz hergestellt
wird. Es wäre denkbar, Sponsoringeinnahmen im Rechenschaftsbericht durch eine eigene Kategorie schärfer
abzusetzen und so deutlicher zu dokumentieren, woher
die Einnahmen stammen. An Widerstand von uns soll
das nicht scheitern. Unsere Partei ist in der Lage, auf
Euro und Cent genau auszuweisen, woher die Einnahmen stammen, auch wenn die Abgrenzung nicht immer
ganz einfach ist. Die FDP wäre durchaus bereit, Sponsoringeinnahmen und Spendeneinnahmen getrennt darzustellen. Darüber würden wir mit Ihnen und anderen gern
ins Gespräch kommen.
Wir wollen nicht, dass Spenden von juristischen Personen pauschal untersagt werden. Ich finde es gerade
richtig, wenn Menschen und Firmen bzw. juristische
Personen der Auffassung sind, dass die Demokratie ihnen eine Spende wert ist. Es wird ja häufig beklagt, dass
Unternehmen und andere sich nicht ausreichend für das
Gemeinwohl einsetzen. Eine Spende für die Politik, für
die Demokratie ist nicht unehrenhaft oder in irgendeiner
Form eine Spende zweiter Klasse und hat auch kein Geschmäckle. Sie ist vielmehr eine Beteiligung an der Parteienfinanzierung und damit an der Demokratie. Deswegen sollten wir solche Spenden nicht pauschal verbieten.
Ein Letztes. Die Linken verweisen immer wieder auf
den GRECO-Bericht. Dazu ist zu sagen: Deutschland
hat die allermeisten Anforderungen aus dem GRECOBericht sicherlich besser und stringenter erfüllt als viele
Länder, die den GRECO-Bericht ebenfalls erhalten. Ich
glaube, Deutschland hat ein Höchstmaß an Transparenz
in der Parteienfinanzierung, was nicht heißt, dass das
eine oder andere nicht noch weiter verbessert werden
könnte. Die FDP will daran mitwirken. Den Antrag der
Linken lehnen wir allerdings ab.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Raju Sharma für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun, da
Sie alle fleißig Ihre Vorurteile gepflegt haben, wollen
wir einmal zu den Fakten kommen.
({0})
Gerade wurde bekannt, dass Parteien mehr Geld aus
der staatlichen Teilfinanzierung bekommen werden. Als
Schatzmeister meiner Partei freut mich das natürlich.
Andererseits löst eine solche Meldung immer gewisse
Reflexe und Diskussionen aus, ähnlich wie bei Parteispendenskandalen. Manche fordern, dass die Parteien
zukünftig gar keine staatlichen Mittel mehr bekommen
und sich ausschließlich durch Spenden und Beiträge finanzieren. Wieder andere fordern ein totales Verbot von
Spenden und wollen eine Parteienfinanzierung ausschließlich aus Steuermitteln.
Wie bei vielen anderen Themen ist die Linke auch
hier die Partei des Ausgleichs und der Vernunft.
({1})
Wir stehen zu dem gemischten System der Parteienfinanzierung, und das aus guten Gründen - sie sind hier
auch schon genannt worden -: Die teilweise Steuerfinanzierung hat das Parteienspektrum demokratisiert, weil es
nicht nur eine Frage des Geldbeutels ist und sein darf, ob
sich Interessen in Parteien organisieren können. Gleichzeitig müssen die Parteien in der Bevölkerung um Unterstützung werben - und das nicht nur am Wahltag -, weil
sie freiwillige Spenden und Beiträge brauchen.
Für uns ist nur Bedingung, dass die Parteienfinanzierung transparent, demokratisch und fair ist.
({2})
Das System muss sicherstellen, dass sich niemand eine
Partei oder einen Politiker und damit Einfluss im Parlament kaufen kann.
({3})
Es muss sicherstellen, dass die Parteienfinanzierung
transparent ist, dass also stets erkennbar ist, wer wen wofür bezahlt hat. Außerdem muss die Parteienfinanzierung einen fairen demokratischen Wettbewerb der Parteien gewährleisten und fördern.
Das hört sich gut an, vielleicht zu gut, um wahr zu
sein. Stimmt; denn in der Tat gibt es einige Schwachstellen, die behoben werden müssen. Das sehen nicht nur
wir so; auch die Staatengruppe gegen Korruption,
GRECO, und der Bundestagspräsident haben Vorschläge
dazu unterbreitet. Diese sind allerdings sämtlich an der
Koalition abgeprallt, wie auch heute, was wohl nicht anders zu erwarten war.
({4})
Doch zum Glück gibt es die Linke.
({5})
Wir haben diese und ähnliche Forderungen in einem Antrag zusammengefasst: Wir wollen keine Unternehmensspenden an die Parteien. Wir wollen eine Spendenhöchstgrenze für natürliche Personen in Höhe von
25 000 Euro pro Jahr.
({6})
Wir wollen Parteiensponsoring verbieten, und wir wollen keine Barspenden über 1 000 Euro.
({7})
Das sind ein paar ganz einfache, verständliche und praktikable Vorschläge von uns, von der Linken, von
GRECO und vom Bundestagspräsidenten. Eigentlich
sollte man meinen, niemandem würde ein Zacken aus
der Krone brechen, wenn er dem zustimmt.
({8})
Zu unserem Antrag haben wir nun noch einen Änderungsantrag vorgelegt; denn im Zusammenhang mit der
Debatte um die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht sind wir darauf aufmerksam gemacht worden, dass
es auch im Parteiengesetz eine solche Regelung gibt.
Kaum zu glauben, aber wahr! Nach § 31 d des Parteiengesetzes kommt nämlich auch derjenige ohne Strafe davon, der wissentlich und willentlich die Herkunft oder
Verwendung von Parteigeldern verschleiert hat, um die
Öffentlichkeit zu täuschen. Es gibt also Straffreiheit für
absichtlich falsche Rechenschaftslegung, Straffreiheit
für schweren Betrug.
Frau Fograscher, ich empfehle Ihnen wirklich, das im
Parteiengesetz einfach noch einmal nachzulesen. Es geht
eben nicht nur um die versehentlich falsche Darstellung.
Wir kennen das auch. Es gibt genug ehrenamtliche
Schatzmeisterinnen und Schatzmeister, denen ein solcher Fehler einmal unterlaufen kann. Es ist richtig, dass
man dies, sobald man es erkennt, berichtigen kann und
die Partei ohne Strafe davonkommt. Diese Regelung
aber besagt, dass man auch dann ohne Strafe davonkommt, wenn man das wissentlich, absichtlich macht.
Richtig absurd ist Folgendes: Überlegen Sie sich einmal, wann diese Regelung ins Parteiengesetz aufgenommen wurde! Das war just nach dem Spendenskandal um
Leisler Kiep, Wolfgang Schäuble, Helmut Kohl und
Roland Koch. Alle Parteien in diesem Haus - mit Ausnahme der PDS natürlich - haben für die Einfügung dieser Regelung ins Gesetz gestimmt, um die absichtliche
Verschleierung der Herkunft und Verwendung von Parteispenden zu ermöglichen. Das geht aus unserer Sicht
überhaupt nicht.
({9})
Wir fordern daher, genau diesen Passus zu streichen.
Vorsätzliche Straftaten gehören geahndet und nicht mit
Straffreiheit belohnt. Das gehört unserer Meinung nach
im Parteienrecht nicht anders geregelt als im Steuerrecht.
Diese Vorschläge verfolgen gemeinsame Ziele: die
Vermeidung unerwünschter Verquickungen zwischen
Wirtschaft und Politik und die Sicherstellung, dass die
Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme entscheiden
und nicht Unternehmen und Lobbyisten mit dicken
Scheckbüchern. Union und FDP hätten hier ja einmal
darlegen können, warum sie das so engagiert blockieren.
({10})
Wir finden das falsch.
Die Linke ist übrigens - das wurde schon gesagt längst vorgeprescht und nimmt freiwillig und bewusst
keine Spenden von Unternehmen an.
({11})
Das kann übrigens auch Spaß machen. Vertreter von
Grünen und CSU zelebrieren im Moment wechselseitig
ihre persönliche Abneigung. Das kann man machen,
muss man aber nicht machen. Wenn Sie es machen, dann
kann ich Ihnen etwas empfehlen, was richtig lustig ist,
um dem anderen eins mitzugeben.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Sie können einfach auf eine Plakatspende der Linken
zugreifen. Gehen Sie auf www.die-linke.de, geben Sie
dort die Adresse Ihres Lieblingsgegners ein, und lassen
Sie dann zum Beispiel Herrn Ramsauer oder Frau Roth
pünktlich vor der Bundestagswahl ein rotes Großflächenplakat vor die Tür stellen. Was glauben Sie, wie die
sich freuen!
Schöne Pfingsten.
({0})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde
es gut, dass wir diese Debatte führen, und möchte, Herr
Ruppert, Ihr Angebot, über das Sponsoring und die
Transparenz in diesem Bereich zu reden, gerne aufgreifen. Unsere Fraktion hat keinen Antrag, sondern einen
Gesetzentwurf zur Parteienfinanzierung, das Transparenzgesetz, eingebracht - er liegt beim Innenausschuss -,
in dem diese Dinge geregelt werden. Der Gesetzentwurf
enthält auch Punkte, von denen ich erfahren habe, dass
Sie sie nicht mittragen wollen.
Ich finde es grundsätzlich richtig, zu sagen, dass wir
eine Obergrenze für Spenden brauchen. Sie selber haben
es in Ihrer Partei gesehen: Wenn jemand Millionen spendet, dann bekommen die politischen Entscheider das
nicht mehr aus dem Kopf, selbst wenn es gar keine Unrechtsvereinbarung gegeben hat. Es nimmt auf eine bestimmte Art und Weise auf die Integrität parlamentarischer Entscheidungen der Parteien Einfluss und schadet
der Legitimität unseres gemeinsamen Handelns. Wir haben das im Zusammenhang mit der Mövenpick-Affäre
ausführlich diskutiert. Dieses Problem sollten wir durch
eine Spendenobergrenze angehen.
({0})
- Das gilt für alle. Aber diese sind von ihrer Spendentätigkeit her für uns nicht so relevant.
Ich finde den Vorschlag der Linken richtig - wir
haben das ebenfalls in unserem Gesetzentwurf aufgegriffen -, die Möglichkeit der Spende auf natürliche Personen zu beschränken; dann kann trotzdem jeder spenden.
Ich finde das vernünftig. Schließlich dürfen Unternehmen auch nicht an Wahlen teilnehmen, obwohl sie legitime Interessen haben.
({1})
Wir wissen doch, dass inzwischen über juristische Personen Geldflüsse verschleiert werden: Es wird an Vereine
und an Berufsverbände gespendet, die dann an die Parteien weiterspenden. Am Ende ist der Rechenschaftsbe30566
Volker Beck ({2})
richt nicht mehr wirklich transparent; denn man weiß
nicht, wer hier eigentlich wem Geld gegeben hat. Mit einer solchen Regelung wäre klar: Jeder kann spenden.
Auch der Unternehmer kann aus seinem versteuerten
Einkommen an die Parteien spenden. Die ersten paar
Tausend Euro kann er von der Steuer absetzen, den Rest
eben nicht. Damit wäre allen Genüge getan.
Wenn die Spenden in ihrer Höhe gedeckelt sind, sorgen wir auch dafür, dass das Werben um Spenden für die
Parteien wichtig bleibt. Ich würde die Grenze nicht bei
25 000 Euro sehen; das wäre ein bisschen sehr niedrig.
Aber man kann darüber reden, wo der Höchstbetrag liegen muss. Bei einem vernünftigen Betrag wäre jedenfalls sichergestellt, dass eine Einzelspende nicht dazu
führt, dass sich die politische Willensbildung einer Partei
an ihren Spendeneinnahmen orientiert.
({3})
- Ich wusste gar nicht, dass man von der Regierungsbank aus Zwischenrufe machen darf.
({4})
Wenn wir hier jetzt nicht weiterkommen - wir sind ja
am Ende der Wahlperiode -, wäre ich bereit, mit Ihnen
zunächst einmal eine Regelung auf Grundlage unseres
Gesetzentwurfs zu treffen, damit wir wenigstens bei der
Transparenz des Parteiensponsorings weiterkommen.
Gegenwärtig ist es so, dass der Bürger, die Öffentlichkeit
insgesamt und auch die politische Konkurrenz gar nichts
darüber erfährt, außer es gibt einen Skandal. Im allgemeinen Geschäftsbetrieb der Parteien wird das als Einnahme im Gesamtvolumen verbucht, ohne dass wir wissen, woher das Geld kommt. Übrigens kann auch der
Bundestagspräsident, wenn er keinen Hinweis bekommt,
nicht feststellen, ob in einem Sponsoringvertrag Spenden versteckt sind. Stichwort „marktübliche Preise“:
Wenn 1 Million Euro für einen kleinen Infostand von
2 Quadratmetern auf einem Parteitag bezahlt wird, dann
ist das kein marktgerechter Preis.
({5})
Dennoch muss meines Erachtens das Buchen von
Ständen auf Parteitagen gegen Gebühr als Sponsoring
grundsätzlich zulässig sein. Deshalb halte ich Ihr Sponsoringverbot auch nicht für sachgerecht. Parteien müssen die Möglichkeit haben, zu sagen: Wir eröffnen ein
Forum. Wer dabei sein will, muss den Standpreis bezahlen. - Der Preis muss sich aber an den üblichen Messepreisen orientieren und darf davon nicht exorbitant abweichen; ansonsten wäre es eine verdeckte Spende.
({6})
Das alles sehen wir gegenwärtig noch nicht. Das sollten wir dringend regeln. Je mehr Transparenz wir gemeinsam erreichen, desto mehr wird das Ansehen von
Parlament und Parteiendemokratie gestärkt.
({7})
Da es hier immer wieder Nachfragen gibt - manche zu
Recht, manche zu Unrecht -, sollten wir uns als politische Parteien darum bemühen, hier einen Schritt voranzukommen. Wir sollten nicht auf den nächsten Skandal
warten, sondern aus eigener Initiative handeln. Wir haben bis Ende Juni noch ein paar Wochen Zeit. Unser Gesetzentwurf liegt vor. Ich biete ihn als Träger für eine
solche Regelung an, Herr Ruppert. Wenn wir dazu ins
Gespräch kommen, würde ich mich freuen.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Demokratie stärken,
Lobbyismus verhindern und Parteienfinanzierung transparenter gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13530, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9063
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung beim Verkauf
der TLG
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Heidrun Bluhm von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch
korrekt oder moralisch vertretbar. Dabei hat vor allem
der Bund eine entsprechende Vorbildwirkung. Im Zusammenhang mit dem Verkauf der TLG Wohnen GmbH
und auch der TLG Gewerbe GmbH haben wir über
Kleine Anfragen Dinge herausgefunden, die hier öffentlich vorgetragen werden müssen.
Meine Kritik geht im Wesentlichen in drei Richtungen. Der erste und für die Mieterinnen und Mieter sicherlich wichtigste Punkt ist: Die vielgerühmte Sozialcharta, die mit der TAG Immobilien AG vereinbart
worden ist, ist keinen Pfifferling wert.
({0})
Sie schützt vor allem nicht vor Mieterhöhungen. Wir sehen schon jetzt an ganz konkreten Beispielen wie in
Dresden, dass eine Wohnung nach der Weitervermietung
25 Prozent teurer ist, obwohl sich an der Wohnung selHeidrun Bluhm
ber nichts verändert hat. Genau das wollten wir verhindern, als es um die Privatisierung ging; aber es ist nun so
eingetreten. Das muss sich die Regierung vorwerfen lassen.
({1})
Der zweite Punkt ist der Skandal um die Grunderwerbsteuer und die Verkaufserlöse. Der Bund hat offenbar ganz bewusst
({2})
- so jedenfalls muss man das aus den Antworten der
Bundesregierung auf unsere Anfragen herauslesen - bei
beiden Verkäufen Share Deals gewählt, um möglichst
viel Geld zum Löcherstopfen für den Haushalt herauszuschlagen, und zwar auf Kosten der ostdeutschen Bundesländer, die um insgesamt 80 Millionen Euro Grunderwerbsteuer gebracht worden sind.
({3})
Die ostdeutschen Bundesländer werden also ein zweites Mal über den Tisch gezogen. Denn nachdem sich die
Bundesrepublik zum ersten Mal die Immobilien einverleibt hat, ohne selber einen roten Heller dafür zu zahlen,
wird sie jetzt ein zweites Mal ein Geschäft damit machen, indem sie diese Verkaufsform gewählt, sich selbst
die Kassen gefüllt und die Bundesländer, die diese Wohnungen als öffentliche Wohnungen verloren haben, um
80 Millionen Euro geprellt hat.
({4})
Ob die Bundesregierung damit durchkommt, wird sich
noch zeigen.
Der andere Teil dieses Skandals ist der Verkaufserlös.
Die Bundesregierung hat die gewählte Art des Verkaufs
auch damit begründet, dass man bei einem Unternehmensverkauf mehr erzielen könne als bei einer Immobilienveräußerung im Einzelnen. Was aber hat sie zuwege
gebracht? Ein bewusstes Verschleudern von öffentlichem Eigentum weit unterhalb des Verkehrswertes. Die
Bundesregierung hat den Verkehrswert bei der TLG Unternehmen mit insgesamt 1,858 Milliarden Euro angegeben, bevor der Verkaufsvorgang in Angriff genommen
wurde. Offenbar hat sie dabei mit dem Zwölffachen der
jeweiligen Jahresmiete gerechnet. Verscherbelt hat sie
das ganze Paket aber für 1,571 Milliarden Euro, also
287 Millionen Euro unter dem Verkehrswert. Es waren
aber keine Schrottimmobilien, die verkauft worden sind,
sondern Wohn- und Gewerbeimmobilien zum großen
Teil in besten Lagen, in gutem Zustand, mit einem hohen
Vermietungsstand und vor allem durchsaniert. Es bestand also angesichts der Nachfragesituation auf dem
deutschen Immobilienmarkt überhaupt keine Notwendigkeit, private Investoren auf diese Weise zu beschenken.
Da die Bundesregierung sich in dem ganzen Verfahren und in ihren Antworten auf unsere Kleinen Anfragen
so gern auf das europäische Beihilferecht beruft, ist jetzt
nicht nur zu fragen, ob dieser Verkauf nach der Bundeshaushaltsordnung zulässig war, sondern auch, ob ein
Verstoß gegen das europäische Beihilferecht vorliegt.
Das verbietet nämlich den Verkauf öffentlichen Eigentums unterhalb des Verkehrswertes.
({5})
Auch in der Bundeshaushaltsordnung heißt es in § 63
Abs. 3 Satz 1, dass Beteiligungen des Bundes nur zu ihrem vollen Verkehrswert veräußert werden dürfen.
Der dritte Punkt - das ist der Punkt, den wir hauptsächlich ankreiden - ist die offensichtliche Kungelei
zwischen dem Finanzministerium, der Barclays Bank
und der TAG. Die Bundesregierung heuerte die Barclays
Capital Bank als Transaktionsberaterin für die Privatisierung der TLG-Unternehmen an und honorierte sie dafür.
Barclays versicherte dafür hoch und heilig, dass sie ausschließlich für die Verkäuferseite handele und für niemanden sonst. Das tat sie aber nicht. Die Barclays Bank
verschaffte der TAG innerhalb des Bieterverfahrens die
finanziellen Mittel, damit sie sich überhaupt beteiligen
konnte. Eine Bank tut so etwas nicht umsonst, sondern
lässt sich dafür ebenfalls honorieren. Aus einer Antwort
der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage geht
Folgendes hervor:
Nur durch eine Beteiligung der Barclays Bank PLC
an dem Bankenkonsortium war es den Erwerbergesellschaften aus dem Konzern der TAG Immobilien
möglich, sich … gegenüber dem Bund zur Zahlung
des Kaufpreises zu verpflichten.
Mit anderen Worten: Ohne diese Beteiligung der Barclays Bank hätte die TAG keine Transaktionssicherheit
nachweisen können und hätte am Bieterverfahren nicht
weiter teilnehmen dürfen. Die Bundesregierung hat von
diesem doppelten Spiel nicht nur gewusst. Sie hat es
auch aktiv befördert.
Zur Krönung des Ganzen will uns die Bundesregierung auch noch weismachen, dass dieses Geschäftsgebaren keine Verletzung der Prinzipien eines strukturierten
Bieterverfahrens bedeutete, weil zwischen den Teams
innerhalb der Barclays Bank eine sogenannte Chinese
Wall bestanden habe. Für wie dumm wollen Sie uns eigentlich verkaufen? Chinesische Mauern waren vielleicht beeindruckend, als die Menschen noch mit Pfeil
und Bogen aufeinander losgegangen sind und die Kommunikation über Brieftauben und Rauchzeichen verlief.
Aber heute? Kennen Sie eine Bank, die bei einem dreistelligen Millionenengagement nicht ganz genau wissen
will, welche Farbe die Blümchen auf den Socken des Erwerbers haben?
Dieser Verkaufsvorgang der TLG Immobilien mag
vielleicht rechtlich möglich gewesen sein. Aber ganz sicher war er politisch nicht zu verantworten und gegenüber den mit verkauften Mieterinnen und Mietern moralisch nicht vertretbar.
({6})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Mein letzter Satz. - Jeder Privatperson hätten Sie die
Steuerfahndung auf den Hals gehetzt, wenn diese Gleiches getan hätte.
Danke schön.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Norbert Brackmann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde mit dem Vorwurf
irgendeiner Kungelei einzuleiten, finde ich sehr vermessen.
({0})
- Ja, bei der Wahrheit muss man bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, 28 Mitglieder Ihrer
Fraktion haben die FAIRWOHNEN gegründet und wollten sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen - unter
anderem haben sie behauptet, sie hätten ein Finanzierungsmodell - am Verfahren zum Erwerb der TLG Immobilien beteiligen. Sie sind nicht zum Zuge gekommen,
weil sich herausgestellt hat, dass die Finanzierung nicht
sichergestellt ist. Sie haben uns im Haushaltsausschuss
jedes Mal über den aktuellen Stand ausfragen wollen, obwohl sie selbst einer der Bewerber waren. Wenn das nicht
moralisch anrüchig ist, dann weiß ich nicht, was Sie mit
Kungelei meinen.
({1})
So geht es weiter. Sie haben die heutige Aktuelle
Stunde beantragt. Ich weiß nicht, was für Sie aktuell ist.
Ist es für Sie noch aktuell, wenn es sich um einen Vorgang aus diesem Jahr handelt? Sie weisen jedenfalls auf
eine große Mieterhöhung hin. Ich habe noch gestern bei
TAG Immobilien nachgefragt, ob es einen solchen Fall
gibt. Unter den rund 11 500 Mietverträgen gibt es keinen
einzigen Fall einer derartigen Mieterhöhung.
({2})
- Es gibt keinen einzigen Fall. - Sie spielen offenbar
- deswegen übe ich Kritik an dieser Aktuellen Stunde auf einen Fall vom 5. März in Report an. Damals ging es
darum, dass einem Neumieter ein Vertrag angeboten
wurde, der eine Miete vorsah, die um 20 Prozent höher
war als die nach dem alten Vertrag.
({3})
Das mögen Sie und andere beklagen, aber das ist ein
ganz anderer Fall. Es handelt sich nicht um einen Fall
von Mieterhöhung, in dem der Mieterschutz mit Füßen
getreten wurde, wie Sie das suggerieren. Das Gegenteil
ist der Fall.
Sie werden kaum einen anderen Verkaufsvertrag finden, der eine so komfortable Sozialcharta beinhaltet wie
der hier infrage stehende.
({4})
- Was heißt „nichts wert“? - Es gibt bislang - auch das
habe ich gestern erfragt - keine einzige Klage eines Mieters, die dem Ombudsmann vorgetragen wurde. Wir als
Verkäufer finanzieren eine Ombudsstelle, die durchaus
in der Lage ist, den Mietern zu helfen, wenn diese es
selbst nicht können. Ich frage Sie: Wo sonst gibt es eine
solch soziale Verkaufspolitik, bei der man diesen Mieterschutz auch noch nachträglich über mehrere Jahre anbietet? Dafür gibt es kein zweites Beispiel, meine sehr verehrten Damen und Herren. Eine Bundespolitik, die
darauf gerichtet ist, den Mietern einen guten Mieterschutz zu geben, sich selbst von Aufgaben zu trennen,
die man nicht mehr braucht, im Nachhinein so sehr in
Misskredit zu ziehen, das ist durch nichts zu rechtfertigen.
({5})
Last, but not least finde ich es auch etwas vermessen,
davon zu sprechen, hier seien die neuen Länder bei der
Grunderwerbsteuerklausel über den Tisch gezogen worden. Es sind bei der Vorbereitung 20 Millionen Euro an
Grundsteuer fällig geworden. Weil Sie, Frau Kollegin
Bluhm, darauf verweisen, dass wir hier europäisches
Wettbewerbsrecht zu beachten haben, muss Ihnen eigentlich auch klar sein, dass der Bund als Verkäufer auf
die unternehmensrechtliche Gestaltung der Käufer - hier
hat der Käufer die geltenden Rechtsvorschriften, wie sie
nun einmal sind, in der Weise ausgenutzt - überhaupt
keinen Einfluss nehmen darf. Man kann die Vorschriften
beklagen, aber man kann nicht beklagen, dass ein Käufer
das so gestaltet. Jedenfalls wir als Verkäufer hatten
rechtlich überhaupt keine Chance, auf den Käufer einzuwirken,
({6})
mit ihm zu kungeln - um Ihr Wort aufzugreifen -, um
das in der Form zu gestalten, wie Sie das hier heute ansprechen. Das geht schon ein Stück in die falsche Richtung.
Mit solch falschen Vorwürfen den Bund zu behelligen, ist nicht nur unmoralisch; es dient auch den Mietern
nicht. Das hier ist offenkundig die Fortsetzung dessen,
womit Sie diese Diskussion begonnen haben. Es ist der
Versuch, als Linke einmal jemanden zu finden, der die
eigene Politik unterstützt.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker
von der SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Kollege Brackmann, es geht hier nicht
darum, die Position der Linken oder die Politik der Linken im Allgemeinen zu unterstützen. Wir befassen uns
mit einem gravierenden Vorgang. Ich finde, wir befassen
uns hier heute mit einem Skandal. Das ist der Punkt.
({0})
Wir führen in diesem Hause seit einem halben Jahr
eine Diskussion zum beabsichtigten und jetzt vollzogenen Verkauf der TLG-Wohnungen. TLG Wohnen und
TLG Immobilien, zwei Firmen, die abgespalten worden
sind, beschäftigen uns seit über einem halben Jahr. Die
Position der Sozialdemokratie war immer, beim Verkauf
des Wohnungsbestandes auch lenkende Elemente, strukturpolitische Elemente mit ins Spiel zu bringen,
({1})
nämlich zu überlegen: Was können wir in einer Situation
tun, in der der Wohnungsmarkt in vielen Regionen angespannt ist? Suchen Sie in Berlin mal eine Wohnung! Gehen Sie mal am Wochenende los! Dann sehen Sie, wie
viele Leute da jeweils stehen. Das ist in Hamburg, in
Stuttgart, in München und auch in anderen Städten so.
({2})
In einer solchen Situation die begrenzten Chancen einer
Steuerung nicht zu nutzen, das ist wohnungspolitisch
nicht zu verantworten.
({3})
Sie wissen, dass Mieten und Nebenkosten steigen. Hier
hätte ein Akzent gesetzt werden können, auch wenn es
sich nur um 11 500 Wohnungen handelt.
Die SPD hat aus gutem Grund gesagt: Wir wollen diesen Verkauf am Wohnungsmarkt nicht. Wir wollen, dass
den Kommunen, den kommunalen Wohnungsgesellschaften und den Wohnungsgenossenschaften Angebote
gemacht werden. Im vorigen Jahr war das Jahr der Genossenschaften. Ihre Bundeskanzlerin war beim Genossenschaftstag und hat die Bedeutung der Genossenschaften in Deutschland über den grünen Klee gelobt. Als ich
das gelesen habe, habe ich mich gefragt: Warum setzt sie
das eigentlich nicht beim Verkauf der TLG-Wohnungen
um? Da hätten wir einen schönen Akzent setzen können.
({4})
Zu dem gravierenden Fehler, dass die Steuerungsmöglichkeit durch den Verkauf an kommunale Unternehmen und Genossenschaften aufgegeben worden ist,
kommt jetzt das Problem hinzu, dass Grunderwerbsteuer
verloren gegangen ist. Das bringt die Diskussion heute
auf den Punkt.
({5})
- Im Bundesrat, Herr Staatssekretär, war in Verbindung
mit dem Jahressteuergesetz eine von mehreren Forderungen, dass genau dieses Steuerschlupfloch geschlossen
wird. Jetzt kommt der Bundesrat zum dritten Mal mit einem Gesetzgebungsverfahren, bei dem es wieder gefordert wird. Wer hat das in diesem Haus blockiert? Das
waren die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten
Seite des Hauses.
({6})
Wir hätten den Kompromiss des Vermittlungsausschusses beschließen können. Dann wäre das Steuerschlupfloch geschlossen. Es wäre allerdings für den Verkauf im
vorigen Jahr zu spät gewesen. Das muss ich dazusagen.
Wir hätten den Verkauf aber anders abwickeln können.
Deswegen sage ich an dieser Stelle: Sowohl strukturpolitisch als auch steuerrechtlich ist es ein schwerer
Fehler, Herr Staatssekretär. Das müssen Sie sich ins
Stammbuch schreiben lassen. Ins Stammbuch schreiben
lassen muss sich das auch das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Herr Bundesminister Dr. Ramsauer ist heute nicht anwesend. Herr
Ferlemann, Sie müssen immer das ausbaden, was Ihr
Minister öffentlich verkündet und nicht einhält. Sie müssen immer Ihren Kopf hinhalten. Ich erinnere daran, dass
der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Ramsauer, Chef einer Taskforce ist, die BImALiegenschaften vermarkten soll.
({7})
Ich erinnere daran, dass Herr Dr. Ramsauer am Sonntagabend in seinem Wahlkreis anscheinend immer Anwandlungen bekommt, was man in Berlin machen
könnte. Von Dr. Ramsauer ist die Errichtung eines Konversionsfonds vorgeschlagen worden. Das war sicherlich
keine schlechte Idee. Hier hätte man strukturpolitisch etwas machen können, man hätte nicht generell Bundesvermögen verschenken müssen, aber mit Einnahmen aus
dem Konversionsprogramm gestalten können. Der
Minister hat vorgeschlagen, aus Bundeswehrkasernen
Studentenwohnungen zu machen. Was ist aus dem Konversionsfonds geworden? Ich habe die Bundesregierung
dazu befragt. Die Bundesregierung hat gesagt: Das wird
nicht verfolgt. Von Studentenwohnungen in Bundeswehrkasernen tief im Walde - im Odenwald oder der Lüneburger Heide - ist mir bisher noch nichts bekannt geworden.
({8})
Deswegen frage ich: Wozu haben wir einen Bundesminister Ramsauer, der hierfür zuständig ist, wenn er
sich dieser Thematik hier nicht stellt und keine konkreten Vorschläge vorlegt und diese dann umsetzt? In einer
Zeit, in der wir über Steuersünder-CDs, über Fälle von
bekannten Managern in Fußballklubs sprechen, sage ich
auch, dass es eine schreiende Ungleichbehandlung zwischen großen Konzernen, die gewinnorientiert arbeiten,
und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften gibt. Es ist noch viel mehr eine Ungleichbehandlung gegenüber dem kleinen Häuslebauer,
der in den Ländern natürlich fleißig seine 4 oder 5 oder
5,5 Prozent Grunderwerbsteuer bezahlen muss und sich
in kein Schlupfloch zurückziehen kann.
Jetzt geht es darum - ich will die Forderungen zusammenfassen -, dieses Steuerschlupfloch zu schließen. Das
liegt auch in der Verantwortung dieses Hauses. Nutzen
Sie die Chance, den Schaden, den Sie für die Länder angerichtet haben, bei den Beratungen über die gesetzliche
Regelung zu den Ausgleichsmaßnahmen für den Wohnungsbau in den neuen Ländern einzustellen. Machen
Sie endlich eine Politik, die zu mehr Wohnungsbau
führt. Setzen Sie endlich eine Politik fort, die Steuerhinterziehung, die Steuerschlupflöcher ausschließt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist meine Botschaft aus dieser Diskussion.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick
Kurth das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde bietet sich an, noch einmal darzustellen,
wer in diesem Land „Privat vor Staat“ repräsentiert und
wer es anders sieht. Linke und Privatisierung - Teufel
und Weihwasser. Jetzt muss auch die TLG dafür herhalten, die weltanschauliche Lehre darzustellen. Sie arbeiten sich seit Monaten mit Kleinen Anfragen und Anträgen ab. Wenn es aber konkret wird, wenn Sie wirklich
entscheiden könnten, dann tun Sie nichts. Sie glänzen
durch Abwesenheit.
Das Bundesfinanzierungsgremium tagte am 26. April.
Ein Punkt auf der Tagesordnung war die Privatisierung
der TLG. Abwesend: Die Linke. Kein ordentliches Mitglied, kein stellvertretendes Mitglied. Schönes Wahlkampffeuerwerk mit zum Teil aberwitzigen Vorwürfen,
das Sie hier abfackeln.
({0})
- Herr Hacker, ich habe Sie gerade angesprochen. Gut,
dass Sie hereinrufen, dann können wir das diskutieren.
Gerade Sie haben eben behauptet - damit komme ich zu
meinem ersten Punkt -, dass der Wohnungsmangel und
die starke Wohnungsnachfrage, zum Beispiel in Berlin,
begrenzt werden könnten, indem man staatlichen Wohnungsbau oder staatliches Wohneigentum forciert. Gerade hier in Berlin - das wissen Sie - sind es doch die
staatlich Verantwortlichen, die Nachbau, Umbau, Ausbau und Neubau verhindern, die bremsen und dadurch
diesen Mangel herbeiführen.
({1})
Wenn Sie dann auch noch im Zusammenhang mit
dem Thema, über das wir hier reden, von Stuttgart, München und Hamburg sprechen, dann finde ich das ein
Stück weit putzig. Ich sage Ihnen: Neben den genannten
Großstädten gibt es eine ganze Menge kleinerer Regionen, Orte und Städte, die ebenfalls betroffen sind,
({2})
in denen es diesen Mangel nicht gibt. Wem sage ich das?
Meine ostdeutschen Kollegen kennen den Sachverhalt.
Denn gerade bei uns bestehen diese Probleme doch.
({3})
Zweiter Punkt. Die entgangene Grunderwerbsteuer
kann man durchaus kritisch betrachten; das ist richtig. Es
ist doch aber ein rot-grünes Gesetz gewesen, in das diese
Klausel hineingeschrieben wurde. Dieses Gesetz wurde
im Jahr 2001 verabschiedet. Wir haben jetzt eine Bundesregierung, die dieses Land seit vier Jahren gut regiert.
Diese Bundesregierung will diese Rechtslage im Jahressteuergesetz 2013 ändern. An wem scheitert es aber? An
Rot-Grün im Bundesrat. So funktioniert es nun auch
nicht.
({4})
- Werfen Sie uns nicht den Unsinn vor, den Sie selber
verzapfen.
({5})
Dritter Punkt. Sie fordern gewissermaßen, den Gewinner des Bieterverfahrens vorher auszusuchen. Das ist
in einem Bieterverfahren schwierig. Wie soll man es in
rechtsstaatlicher und vertraglicher Hinsicht machen, sich
vorher vorzustellen, wer denn der Gewinner sein kann?
Bitte werfen Sie der Bundesregierung, die vier Jahre gut
regiert hat, nicht vor, dass sie sich an Recht und Gesetz
hält. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, ein Land zu
regieren.
Vierter Punkt. Es heißt, die Bundesregierung hätte
Volksvermögen unter Wert verschleudert. Erst einmal
muss man fragen: Was ist denn ein Verkehrswert? Selbst
die, die diesen Verkehrswert ermitteln, sind manchmal
sehr unterschiedlicher Auffassung. Meistens gibt es eben
keinen festen Marktpreis.
Patrick Kurth ({6})
({7})
- Ich will es ja nur sagen. - Den Endverbrauchspreis hatten wir lange. Er hat sich aber eben nicht bewährt. Die
Bundesregierung versucht, darauf zu verzichten. Sie darf
einen staatlich festgelegten Verkaufspreis in einem Bieterwettbewerb auch gar nicht in irgendeiner Weise einfügen. Wie soll das funktionieren? Es ist quasi unmöglich,
im Bieterwettbewerb einen Preis festzulegen.
Folgendes muss gesagt werden: Der Preis, der erzielt
wurde, ist nicht niedrig. Es handelt sich nicht um eine
kleine Summe. Es wurde ein ordentlicher Preis gezahlt.
Ich weiß nicht, was Sie persönlich in Ihrer Preisbewertung vorgesehen oder was Sie sich erhofft haben. Ich
kann nur sagen: Der Preis ist in Ordnung.
Fünfter Punkt. Sie sagen, die Mieter seien Opfer. Sie
schüren Ängste und sprechen zum Teil von Heuschrecken und Ähnlichem. Die Bundesregierung hat vier
Jahre lang Verantwortung getragen. Das hat sie gut gemacht.
({8})
In die Verkaufsverträge wurde die sogenannte Sozialcharta aufgenommen, auch mit Blick auf die Mieterhöhungen. Es wurde außerdem eine vom Bund finanzierte
Ombudstelle eingerichtet. Wie viele Mieter haben denn
jetzt Verstöße gemeldet? Wissen Sie das? - Keiner.
({9})
Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein weiterer guter
Grund, warum diese Bundesregierung dieses Land offensichtlich vier Jahre sehr gut regiert hat.
Unterm Strich: Die Vorwürfe sind haltlos. Die Erfahrung zeigt - das sehen Sie an Dresden; Dresden ist durch
eben einen solchen Verkauf schuldenfrei geworden -: Es
funktioniert.
({10})
Manchmal ist Privat vor Staat besser. Dieser Teil des
Hauses, die Bundesregierung und die Koalition, wird es
weitere vier Jahre für Deutschland gut machen.
Herzlichen Dank.
({11})
Für das Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Daniela Wagner.
Herr Kurth, ob Dresden hier ein leuchtendes Beispiel
ist, sei dahingestellt.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns schon seit Monaten mit dem Vorgang der Privatisierung der bundeseigenen TLG Wohnen GmbH.
Obwohl wir im Parlament versucht haben, den Verkaufsprozess so intensiv wie möglich zu begleiten, kommen
immer wieder neue Informationen ans Licht. Sie haben
uns Parlamentarier nicht ausreichend informiert und tun
das bis heute nicht wirklich. Die Fraktion Die Linke und
wir haben mittlerweile jeweils zwei Kleine Anfragen gestellt, die SPD eine, und aus den Antworten ergeben sich
immer wieder nur neue Fragen. Das ist eine Salamitaktik, und dieses Verhalten ist nicht nur in Bezug auf die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages äußerst bedenklich, sondern auch und gerade in Bezug auf die
Mieterinnen und Mieter der Wohnungen aus dem bundeseigenen Bestand der TLG Wohnen.
({1})
Sie wissen nämlich eigentlich gar nicht mehr, welche
Firma eigentlich ihr Vermieter ist und wer oder was sich
eigentlich hinter all diesen verschachtelten Konstrukten
verbirgt: Wem gegenüber können sie ihre Rechte einklagen und die Regelung der Sozialcharta gegebenenfalls
geltend machen? Wer genau ist eigentlich bei einem derart verschachtelten Konstrukt der Ansprechpartner, der
den Mietern gegenüber Rechenschaft schuldig ist?
Auch Sie scheinen den Überblick längst verloren zu
haben. Immerhin geben Sie zu, dass Ihnen nicht bewusst
war, dass die Barclays Capital Bank zumindest zeitweise
9,3 Prozent der Stimmanteile an der TAG Immobilien
AG gehalten hat. Was wussten Sie denn bei dem Vorgang noch alles nicht?
Zudem verfolgen Sie eine Doppelstrategie: Zum einen sah der Entwurf des Jahressteuergesetzes noch 2012
vor, die sogenannten Share Deals und die entsprechenden Regelungen abzuschaffen. Auf der anderen Seite
entschieden Sie sich für einen Anbieter, der die RETTBlocker-Struktur, also eine Strategie zur Vermeidung der
Zahlung der Grunderwerbsteuer, gewählt hat. Damit
sind den Ländern Grunderwerbsteuern in Millionenhöhe
entgangen; hier ist von 20 Millionen Euro oder von
80 Millionen Euro die Rede. Sie wollen uns gar nicht so
genaue Angaben machen. Angesichts der Schuldenbremse und der absolut notwendigen Haushaltskonsolidierung können wir uns diese Strategie keineswegs leisten.
({2})
Geht man davon aus, dass der Staat bei einer Privatisierung wie ein privater Unternehmensveräußerer handelt, dann muss er das höchste Gebot wählen. Aber der
Staat ist eben nicht ein gewinnmaximierender Akteur,
sondern übernimmt in seinem Regierungshandeln Verantwortung, vor allem für die Folgen seines Handelns.
Das muss er umso mehr tun, wenn es sich bei der
„Ware“ um vermietete Wohnungen handelt. Damit Mieterinnen und Mieter nicht verunsichert werden, muss
größtmögliche Transparenz gewährleistet sein. Doch
was hier bleibt, ist ein ziemlich fader Beigeschmack, insbesondere was die Rolle der Barclays Bank betrifft.
({3})
Die Barclays Bank sollte für die TAG Immobilien AG
30 Millionen Aktien verkaufen, damit genügend Kapital
für den Kauf der bundeseigenen TLG Wohnen GmbH
zur Verfügung steht. Wenn das nicht ausreichte, ermöglichte die Barclays Bank der TAG eine Brückenfinanzierung über einen Kredit in Höhe von 200 Millionen Euro.
Zwischenzeitlich übernahm sie sogar 9,3 Prozent der
Stimmanteile der TAG. Auch auf der Verkäuferseite
spielt die Barclays Bank mit: Sie wird zum Transaktionsberater für das Bundesfinanzministerium.
Sogenannte Chinese Walls sollten den Informationsaustausch verhindern. Dass das keineswegs funktioniert,
wissen Sie so gut wie ich. Es stellt sich also die Frage:
Wer kontrolliert das überhaupt? Vor allem im Hinblick
auf den Prozess der Erstellung der Sozialcharta ist fraglich, welche Rolle die Barclays Bank da gespielt hat. Hat
sie tatsächlich nur als Transaktionsberater fungiert? Warum konnte sie als Dritte an der Erstellung der Sozialcharta beteiligt sein, nicht aber der Mieterbund? Die
Barclays Bank war in ihrer Rolle als Käufer und Transaktionsberater beteiligt, aber andere Berater, zum Beispiel der Mieterbund, nicht. - All das sind Fragen, die
völlig ungeklärt sind. Das ist nicht hinzunehmen.
In Ihrer Antwort auf die Frage 21 unserer Kleinen
Anfrage schreiben Sie:
Stattdessen ist die letztendlich vereinbarte „Sozialcharta“ das Ergebnis von bilateralen Verhandlungen
mit dem Erwerber ({4}).
In einer vorhergehenden Antwort schreiben Sie aber,
dass die Barclays Bank auch als Transaktionsberater beteiligt war. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann so nicht sein.
Angesichts dieser Konstruktion wird mir immer klarer - ich verstehe es immer besser -, weswegen die Bundesregierung nie ein ernsthaftes Interesse daran gehabt
hat, die Wohnungen direkt an kleine kommunale Wohnungsunternehmen oder an Genossenschaften zu verkaufen, obwohl dies wohnungspolitisch in dieser Situation
das einzig Vernünftige gewesen wäre:
({5})
Die Barclays Bank war für Sie der perfekte Dienstleister,
sowohl für die Käufer- als auch für die Verkäuferseite.
Die Frage bleibt nur - sie wird auch heute wieder nicht
beantwortet werden -: Ist das tatsächlich auch die perfekte Situation für die Mieterinnen und Mieter? - Ich
kann ihnen heute schon sagen: Das wird sie nicht sein.
Wir werden feststellen, dass sich dort genau die Prozesse
abspielen werden, die sich bei Privatisierungen anderer
Art, übrigens auch in Dresden, abgespielt haben, als zum
Schluss die Einhaltung der Sozialcharta auf dem Rechtsweg erstritten werden musste. Das kann es ja wohl nicht
sein.
({6})
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Wagner, Herr Hacker, ich möchte zu Beginn die Frage
stellen, ob wir einen Vorgang wie diesen tatsächlich auf
der Basis sachfremder Mutmaßungen und irreführender
Vorwürfe diskutieren wollen.
({0})
Diese Diskussion dient aus meiner Sicht nicht der Sache.
Ich weiß auch nicht, welches Anliegen Sie - bei der Linken ist es mir eher klar - damit verfolgen.
Vielleicht hilft es dem Verständnis, wenn ich noch
einmal in Erinnerung rufe, dass die TLG Immobilien seinerseits aus der Treuhandgesellschaft hervorgegangen ist
und damit die Aufgabe hatte, die gewerblichen Liegenschaften und Wohnobjekte bzw. ihre Beteiligungsunternehmen aus dem ehemaligen Volksvermögen der DDR
nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu verwerten, zu verwalten und zu entwickeln.
({1})
Diese Aufgabe - hier scheint möglicherweise ein Missverständnis vorzuliegen - ist seit dem Jahr 2000 im Wesentlichen abgeschlossen.
Seit diesem Jahr ist die TLG Immobilien GmbH in
Ostdeutschland auf der Basis geltenden Rechts ein gewinnorientiertes Immobilienunternehmen. Es hat sich im
Markt entwickelt, übrigens mit jährlichen Gewinnmargen im zweistelligen Bereich und einem ansehnlichen
Bestand sowohl an Gewerbeimmobilien als auch an verwalteten Wohneinheiten. Daraus hat sich ein attraktives
Portfolio gebildet.
({2})
- Das Betreiben eines Immobilienunternehmens ist nicht
die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Die Bundeshaushaltsordnung - ich verweise auf § 63 der
Bundeshaushaltsordnung - verpflichtet die Bundesregierung seit 2000 zur Privatisierung dieses Unternehmens.
Ich war mir in meiner Funktion als Beauftragter für
die neuen Länder immer bewusst, dass das eine sehr sensible Entscheidung ist, gerade auch, weil es vorher eine
Phase gab, in der es einen klaren Entwicklungsauftrag
gegeben hat. Ich habe mich deshalb mehrmals darum gekümmert, zu erfahren, wie es mit den Entscheidungen
steht. Insbesondere mit dem Finanzministerium habe ich
intensiven Kontakt gesucht.
Weil das so gewesen ist und weil ich mich als Beauftragter für die neuen Länder wiederholt damit auseinandergesetzt habe, möchte ich heute ausdrücklich aus meiner Funktion heraus den beteiligten Häusern attestieren,
dass sie die Privatisierungsentscheidungen verantwortungsbewusst im Rahmen des geltenden Rechts vorgenommen haben und dadurch die Interessen der Mieterinnen und Mieter im Blick gehabt haben.
({4})
- Sie mögen ein politisches Interesse haben, die Dinge
ganz anders darzustellen,
({5})
aber lassen Sie mir bitte, als demjenigen, der versucht
hat, die Interessenlage der Betroffenen im Blick zu behalten, die Möglichkeit, mein Ergebnis der bisherigen
Überprüfung hier öffentlich mitzuteilen.
({6})
Meine Damen und Herren, dafür sprechen nun Entscheidungen wie die Entscheidung der Sozialcharta für
den Mieterschutz. Ich muss wahrscheinlich, da Sie die
Dinge alle aus dem Fachausschuss kennen, hier nicht
noch einmal die einzelnen Punkte zitieren; aber vielleicht ist es ja auch für andere Zuhörer wichtig. Dies sind
der Schutz vor Kündigung wegen Eigenbedarfs und wegen einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung für
die Dauer von fünf Jahren, der Schutz vor Mieterhöhung
wegen Luxussanierung für die Dauer von zehn Jahren
sowie der Schutz vor Kündigung für ältere Bestandsmieter. Den Mietern und deren Angehörigen wird im Falle
des Verkaufs einzelner Wohnungen ein weitreichendes
Vorkaufsrecht eingeräumt.
({7})
Bereits erwähnt wurde die vom Verkäufer finanzierte
Einrichtung eines Ombudsmanns, bei dem bis heute dieser Umstand müsste Ihnen doch zu denken geben ({8})
nicht eine einzige Klage aus der Mieterperspektive eingegangen ist.
({9})
Ich rede jetzt im Moment noch gar nicht von den Zugeständnissen an die TLG-Beschäftigten, die in diesem Zusammenhang ebenfalls gemacht wurden.
Was nun den Kaufpreis betrifft, so kann ich an dieser
Stelle nur mit einer gewissen Verwunderung feststellen,
dass Sie auf der einen Seite Anlass dafür sehen, zu sagen, hier sei Volksvermögen an irgendeinen Investor
verschleudert worden, aber auf der anderen Seite doch
die große Sorge haben, die öffentliche Hand habe hiermit im Grunde genommen unter dem Gesichtspunkt der
Gewinnmaximierung etwas aus der Hand gegeben, für
das sie eigentlich eine soziale Vorsorge hätte treffen sollen. Beides passt nicht zusammen.
({10})
- Auf die Steuerrechtsfrage muss ich jetzt nach dem,
was gesagt wurde, wahrscheinlich überhaupt nicht mehr
eingehen.
({11})
Im Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern kann ich Sie nur auffordern, an diesem Punkte nicht
mit Unterstellungen und mit diffamierenden Mutmaßungen zu arbeiten. Wir haben allen Grund, dies als eine
verantwortbare Entscheidung darzustellen.
({12})
Dazu fordere ich Sie herzlich auf.
Herzlichen Dank.
({13})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Andrea Wicklein.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie von der Bundesregierung, Herr
Staatssekretär Bergner, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen: Sie haben 11 500 ostdeutsche Wohnungen
verscherbelt und verjubelt.
({0})
Dabei machen wir einen ganz klaren Unterschied zwischen Gewerbeimmobilien und Wohnungen.
Sie haben dafür gesorgt, dass der TLG-Wohnungsbestand an die Börse geht, dass am Ende Aktionärsinteressen über die Interessen der Mieterinnen und Mieter gestellt werden und dass sich die Mietenspirale weiter
ungebremst dreht. Wir als SPD haben Sie davor immer
gewarnt. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die TLGWohnungen an die Kommunen zu übertragen,
({1})
weil wir wussten, dass dort die Mieterinteressen am
ehesten geschützt werden und gut aufgehoben sind.
({2})
Dieser Vorschlag wurde von Ihnen, von der Regierungskoalition, zurückgewiesen. Sie haben die Bedenken einfach in den Wind geschlagen.
Ich frage Sie: Erinnern Sie sich noch daran, dass es
auf der anderen Seite möglich war, die bundeseigenen
Seen an die Länder zu übertragen?
({3})
Dafür haben wir doch gemeinsam ein sehr gutes Modell
gefunden.
({4})
Warum war es nach EU-Recht bei den Seen möglich,
und warum musste es bei den TLG-Wohnungen ein börsennotiertes Unternehmen sein? Das kann ich nicht begreifen,
({5})
das kann ich nicht nachvollziehen. Hier fallen die Mieter
und die Mieterinnen hinten herunter.
Über den Deal mit Barclays will ich jetzt nichts mehr
sagen. Dazu wurde heute schon genug gesagt.
Sie haben mit der sogenannten Sozialcharta und einer
Ombudsstelle im Bundesfinanzministerium den Mieterinnen und Mietern eine Beruhigungspille verabreicht.
Hier sagen Sie, es sei ja alles in Ordnung, dort seien
noch gar keine Beschwerden angekommen. Haben Sie
einmal auf Ihrer Homepage geguckt, ob Sie da eine Telefonnummer finden? Ich habe das gemacht und gar keine
solche Nummer gefunden. Vielleicht wissen die Mieterinnen und Mieter einfach gar nicht, wie sie diese
Ombudsstelle erreichen können,
({6})
und vielleicht liegen deshalb keine Beschwerden vor.
({7})
Das ist nicht das, was wir uns unter einer Politik vorstellen, die den Mieterinteressen zugute kommt.
({8})
Sie hinterlassen am Ende einen Wohnungsbestand,
der nur noch den Marktinteressen folgt. Das ist ein fatales Signal nicht nur an die Mieterinnen und Mieter,
({9})
sondern es diskreditiert Politik insgesamt. Während die
Mieterinnen und Mieter vor massiven Problemen stehen,
haben Sie nichts Besseres zu tun, als auch noch die Mieterrechte per Gesetz abzubauen. Auch diesen Punkt
muss man an dieser Stelle nennen. Auch diesbezüglich
haben Sie unsere Vorschläge außer Acht gelassen und
auch die des Deutschen Mieterbundes ignoriert.
Wir haben in Potsdam gezeigt, dass es anders geht.
Dort vermieten die Kommunen ihre eigenen Wohnungen
in vernünftiger Weise. Die SPD hat dort die Mieterrechte
für den kommunalen Wohnungsbestand gestärkt: Wir
haben bei Neuvermietung eine sogenannte Mietenbremse von 10 Prozent eingezogen, wir haben die Mietsteigerung auf 15 Prozent in vier Jahren begrenzt, und
wir haben die Umlage der Kosten sämtlicher Modernisierungsmaßnahmen auf die Miete auf 9 Prozent beschränkt.
Ich sage Ihnen: Ihre unsoziale Mietenpolitik werden
wir nach der Bundestagswahl wieder rückgängig machen. Wir werden dafür sorgen, dass die Mieterinnen
und Mieter wieder bezahlbaren Wohnraum finden können. Wir Sozialdemokraten werden gegen Wuchermieten und gegen Wohnungsmangel vorgehen. Mit uns gibt
es eine klare Alternative zu Ihrer unsozialen Mietenpolitik. Wir werden gemeinsam mit den Ländern und Kommunen, den Mieter- und Sozialverbänden, der Bau- und
Wohnungswirtschaft und den Gewerkschaften ein Aktionsprogramm für eine solidarische Stadt und für
bezahlbares Wohnen initiieren. Wir werden auch dafür
sorgen, dass der Bund wieder mehr Geld für Wohnungsneubau und für Modernisierungen zur Verfügung stellt.
({10})
Damit werden wir den Wohnungsmarkt entlasten und
auch denjenigen die Möglichkeit geben, eine vernünftige
Wohnung zu finden, die kein dickes Portemonnaie haben. Es muss Schluss damit sein, dass Wohnen zur Luxussache wird. Wir werden dafür sorgen.
Ganz herzlichen Dank.
({11})
Jetzt hat das Wort der Kollege Steffen Bockhahn von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass diese Aktuelle Stunde
bisher wunderbar gezeigt hat, dass die Regierung keine
einzige Antwort auf die offenen Fragen hat, die im Zusammenhang mit diesem Transaktionsverfahren auf dem
Tisch liegen.
({0})
Sie drücken sich die ganze Zeit davor, auf die konkreten
Fragen zu antworten. Sie kommen hier mit irgendwelchen scheinheiligen Argumenten, Behauptungen oder
Klassenkampftheorien der FDP, aber Sie antworten auf
keine einzige der gestellten Fragen.
Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, was einer der größten Skandale in diesem Geschäft ist: Die
Bundesregierung beauftragt eine Bank, Barclays, sie objektiv in einem Verkaufsverfahren mit großer Sensibilität
zu begleiten. Dafür zahlt sie an Barclays. Dieses Unternehmen betreut das Unternehmen, das kaufen will. Ein
und dasselbe Unternehmen kassiert also als Verkaufsberater und als Käuferfinanzierer. Es hat am gleichen Geschäft zweimal verdient, und die Bundesregierung findet
das in Ordnung. Ich nicht.
({1})
Und dann werden wir damit vertröstet, dass man Barclays mitgeteilt habe, es hätte eine Chinese Wall geben
müssen. Uns wird auch mitgeteilt, dass das aber nicht
kontrolliert worden ist, weil man sich darauf verlassen
habe. Wissen Sie, meine Damen und Herren, ich bin im
Verwaltungsrat einer größeren Sparkasse. Ich habe mal
nachgefragt, wie man das dort sieht, ob sie daran glauben würden, dass man sich an so eine Chinese Wall hält.
Alle haben mir gesagt: Na ja, das Gegenteil ist schlecht
zu beweisen; aber: nein.
({2})
Ich kann nur feststellen: Diese Sparkasse funktioniert
sehr gut. Deswegen habe ich Vertrauen zu dieser Sparkasse. Zur Barclays-Bank und zur Bundesregierung habe
ich es an dieser Stelle nicht, und das aus gutem Grunde.
({3})
Die Frage: „Warum haben Sie die Wohnungen nicht
den kommunalen Genossenschaften oder den Kommunen angeboten?“, ist natürlich ganz interessant. Die Bundesregierung antwortet tatsächlich immer wieder, dass
sie sie angeboten hätte. Die Nummer geht so weit, dass
man sagt, es hätten sich ja kommunale Wohnungsgesellschaften zusammenschließen und ein gemeinsames Angebot unterbreiten können.
({4})
Dazu muss man allerdings wissen, Herr Kollege
Kampeter, dass die meisten Kommunalverfassungen und
die meisten landesrechtlichen Regelungen es verbieten,
dass ein kommunales Wohnungsunternehmen außerhalb
der eigenen Kommune tätig wird.
({5})
Insofern hätten solche Gemeinschaften gar nicht gebildet
werden können. Ich helfe Ihnen aber immer wieder
gerne nach im Bereich Kommunalpolitik. Immer wieder
gerne!
({6})
Das heißt, Sie haben ein Angebot unterbreitet, das so
gar nicht angenommen werden konnte, weil Sie nur das
Paket verkaufen wollten. Sie haben nie darüber nachgedacht, die Wohnungsbestände in den Kommunen zu belassen und an die Kommunen zu übergeben. Das haben
Sie auch deswegen nicht gemacht, weil Sie sich der Gesellschaft in Gänze entledigen wollten, weil Sie sich
auch des Personals entledigen wollten. Wenn dann vorhin von den Zugeständnissen an die Beschäftigten gesprochen wurde, frage ich mich natürlich ganz interessiert, was das für Zugeständnisse sein sollen. Etwa, dass
weiterhin der Tarif der Wohnungswirtschaft gezahlt wird
oder dass nicht sofort alle entlassen werden, obwohl man
sie sowieso braucht? Was für Zugeständnisse sind das?
Hier tauchen schon wieder die nächsten Fragen auf.
Zu sagen, es habe bisher keine einzige Änderung gegeben, ist nur die halbe Wahrheit. Wir haben nie behauptet, dass es im Bestand Mieterhöhungen gegeben hätte.
Aber richtig ist, dass bei Neuvermietungen, ohne dass
auch nur eine Sache an der gesamten Wohnung geändert
wurde, 20 bis 25 Prozent aufgeschlagen werden.
({7})
Das ist auch nicht verboten. Wir kritisieren jedoch, dass
Sie einen solchen Verkauf machen, sich aber überhaupt
keine Gedanken über Gentrifizierungsprozesse in angespannten Wohnungsmärkten machen. Sie laden Käufer
noch regelrecht dazu ein, solche Prozesse zu befördern.
Somit machen Sie ganze Quartiere kaputt. Das ist Ihr
Versagen.
({8})
Sie zerstören damit auch das soziale Gefilde in solchen
Gebieten.
Ich sage Ihnen noch etwas. Die Ombudsstelle ist noch
sehr neu. Dass noch nicht alle Mieterinnen und Mieter
darüber Bescheid wissen, muss man verstehen. Viele
werden sich auch fragen: Warum soll ich mir diesen
Stress jetzt antun, ich verliere doch sowieso? Denn man
erlebt es immer wieder, dass man nicht gewinnt.
Ich nenne Ihnen ganz konkret ein Beispiel. Obwohl in
der Sozialcharta nichts dazu steht, obwohl Sie den Mieterinnen und Mietern versprochen haben, dass sich für sie
nichts ändern werde, gibt es Änderungen. Diese sind
zwar laut BGB zulässig, aber sie waren nicht eingeplant.
Kleinstreparaturen werden inzwischen offenkundig
durch die Mieterinnen und Mieter der TAG selbst bezahlt. Das ist zulässig. Es war aber vorher anders, und Sie
hatten versprochen, dass sich für die Mieterinnen und
Mieter nichts ändert. Dieses Versprechen ist gebrochen.
({9})
Ich will Ihnen noch einen Satz zu unserem Finanzierungsmodell sagen, das Sie immer wieder angesprochen
haben. Sie können sich gerne weiter das Maul darüber
zerreißen, ob wir ein seriöses Angebot unterbreitet hatten oder nicht. Das hat übrigens mit den Fragen, über die
wir hier diskutieren, gar nichts zu tun. Ich kann Ihnen
nur sagen: Die Wohnungsgenossenschaft, die mitgeboten hat, hatte ein sehr seriös finanziertes Angebot. Sie
alle kennen denjenigen - ich nenne den Namen jetzt
nicht -, der uns da unterstützt hat. Dem sollten Sie Liquidität nicht absprechen.
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Eckhardt Rehberg.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn SPD, Linke und Grüne hier davon reden,
dass mit den 11 300 Wohnungen in den neuen Bundesländern Strukturpolitik, Stadtentwicklungspolitik hätte
gemacht werden können,
({0})
muss man erst einmal die Frage stellen, ob Sie sich hier
im Deutschen Bundestag überhaupt anmaßen sollten,
uns auf solche Dinge hinzuweisen und diese anzusprechen.
({1})
Sie haben im letzten Jahrzehnt Zehntausende, Hunderttausende Wohnungen in Berlin, in Dresden, in ganz
Deutschland unter Rot-Grün - Steinmeier und Steinbrück
waren in der Verantwortung - privatisiert.
({2})
Sie haben Hunderttausende Wohnungen an private Investoren verkauft. Deswegen können Sie hier heute nicht
mit dem Finger auf uns zeigen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Berlin
unter Rot-Rot wurde die GSW privatisiert. Unter
Steinmeiers Verantwortung wurden 200 000 Wohnungen
der Eisenbahner privatisiert, unter Steinbrück 86 000
Wohnungen der BfA. Grün-Rot in Baden-Württemberg
privatisiert aktuell 22 000 Wohnungen, die der Landesbank Baden-Württemberg gehört haben. Die 11 300
Wohnungen sind im Vergleich dazu strukturpolitisch für
ganz Deutschland gesehen Peanuts.
({4})
Wenn Ihre Forderung, es zuerst Kommunen anzubieten, umgesetzt worden wäre, dann wäre bestimmt eine
wahnsinnige Rosinenpickerei vonstattengegangen. Das
heißt, die Kommunen hätten sich die Rosinen herausgepickt und die Preise ohne Ende gedrückt,
({5})
und die TLG, das heißt wir, der Bund - wir sind Bundespolitiker und haben Verantwortung für das Bundesvermögen -, wären auf dem Rest sitzen geblieben. Dann hätten
Sie sich hier hingestellt, Frau Kollegin Bluhm, und unter
Hinweis darauf, dass der Verkehrswert 1,8 Milliarden Euro
beträgt, während wir vielleicht nur 500 oder 600 Millionen
Euro Erlös erzielt hätten, hätten Sie uns vorgeworfen,
dass wir mehr als 1 Milliarde Euro verschwendet hätten.
Das wäre nach der Bundeshaushaltsordnung und nach
meinem Verständnis als Haushaltspolitiker politisch verantwortungslos gewesen.
({6})
Wenn Sie, Kollege Hacker, sagen, man hätte andere
Akzente setzen sollen,
({7})
man hätte das Ganze anders abwickeln sollen, dann ist
doch wirklich die Frage zu stellen, ob Sie sich einmal
damit auseinandergesetzt haben, wie ein rechtssicheres,
diskriminierungsfreies Bieterverfahren abläuft.
Frau Kollegin Bluhm, über Verkehrswerte im Immobilienbereich kann man sich trefflich streiten. Dort, wo
ich wohne, fallen die Immobilienpreise gerade massiv,
weil es in der Nähe drei Windparks gibt.
({8})
Das haben wir gemerkt, da mehrere ältere Leute ihre
Häuser an junge Leute verkauft haben, weil sie sie nicht
mehr bewirtschaften konnten. Da guckt man sich um,
wie fix der Daumen bei den Käufern um eine Etage gesenkt wird.
Wenn Sie sich das Portfolio der 11 300 Wohnungen
ansehen, stellen Sie fest: In manchen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns, zum Beispiel in Rostock, beträgt
die Leerstandsquote bei den Wohnungen 3 Prozent. Aber
im Rest des Landes beträgt sie 6 Prozent. Ich behaupte,
dass der Verkehrswert der Wohnungen in Rostock aufgrund einer Leerstandsquote von 3 Prozent höher ist als
der Verkehrswert von Wohnungen in Gegenden mit einer
Leerstandsquote von 6 Prozent. Insoweit: Nur vom Verkehrswert auszugehen, halte ich an dieser Stelle für völlig daneben.
({9})
Jetzt komme ich zu der Aktion FAIRWOHNEN. Wissen Sie: Sie haben mit den 51 Euro pro Quadratmeter,
die Sie in Genossenschaftsanteile umwandeln wollten,
nicht einmal ansatzweise die Chance gehabt, eine vernünftige und sinnvolle Eigenkapitalquote aufzubringen.
({10})
- Lieber Kollege Bockhahn, warum sind Sie, wenn es
diesen ominösen Finanzier denn wirklich gegeben hat,
schon in der ersten Runde herausgeflogen, weil Sie
keine Finanzierung aufbieten konnten?
({11})
Wenn Sie die Kriterien doch erfüllt haben, meine sehr
verehrten Damen und Herren, frage ich Sie - trotz all des
Theaters und des politischen Klamauks, den Sie hier an
einem Freitagnachmittag veranstalten -:
({12})
Warum beschreiten Sie nicht den Rechtsweg? Warum
klagen Sie nicht? Wenn Sie meinen, dass gekungelt worden ist, dass das nicht rechtsstaatlich sauber und rechtssicher abgelaufen ist, dann haben Sie in einem Rechtsstaat die Chance, dagegen zu klagen.
({13})
Solange Sie den Rechtsweg nicht beschreiten, sind Sie
aus meiner Sicht den Beweis schuldig, dass hier irgendetwas nicht sauber abgelaufen ist und dass gekungelt
worden ist.
Ich denke, das ist ein gutes Ergebnis für den Bund, für
die Sozialpartner und für die Mieter.
Herzlichen Dank.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Iris Gleicke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man konnte aus den Reden der Koalitionsabgeordneten
und des Vertreters der Bundesregierung sehr deutlich das
Herumgeeiere heraushören.
({0})
Natürlich hat es Privatisierungen gegeben, Herr
Rehberg; ganz klar. Durchgeführt wurden sie in einer Situation, in der es Wohnungsüberschüsse gab, in der wir
Stadtumbau betrieben und Wohnungen abgerissen haben. Heute gibt es in diesen Orten drängende Wohnungsprobleme.
({1})
Es geht um die Abläufe, Herr Rehberg. Diese Wohnungsprivatisierung hat nicht nur ein Geschmäckle, sondern sie stinkt zum Himmel.
({2})
500 Millionen Euro für knapp 12 000 Wohnungen,
das bedeutet, dass pro Wohnung im Durchschnitt
42 000 Euro geflossen sind.
({3})
Wo in Dresden, im Berliner Umland, in Potsdam, in
Halle/Leipzig bekommt man denn eine 70-Quadratmeter-Wohnung für unter 100 000 Euro? Das ist doch wirklich abenteuerlich! Alle Branchenkenner, die sagen, dass
die 500 Millionen Euro für die TAG ein echter Schnäppchenpreis waren, haben recht.
({4})
Zu den anderen Fakten. Das Umgehen der Grunderwerbsteuer beim Verkauf halte ich für genauso skandalös
wie den Kaufpreis an sich. Diese Umgehung der Steuerpflicht hat etwas mit der - na ja, sagen wir es freundlich
- kreativen Gestaltung der Unternehmenskonstruktion
zu tun.
({5})
Warum hat die TAG den Kauf denn über ihre beiden
Tochterfirmen, die kurz vorher gegründet worden sind,
abgewickelt? Doch nur, um genau diese Möglichkeit
auszunutzen.
Herr Kurth, es ist einfach nicht richtig, was Sie hier
gesagt haben.
({6})
Wir haben damals tatsächlich für kleine Immobilienfirmen die Möglichkeit geschaffen, Wohnraum zu erwerben. Wir haben das aber gemacht, um gerade Kommunen
zu helfen. Damals gründeten sich zahlreiche Mietergenossenschaften.
({7})
Um dieses Schlupfloch zu stopfen, hat der Bundesrat
den Vermittlungsausschuss angerufen, und es hat ein Vermittlungsausschussverfahren gegeben. In diesem Verfahren ist eine Einigung erzielt worden.
({8})
Diese Einigung haben Sie als Koalitionsfraktionen mit
Ihrer Mehrheit hier abgelehnt. Das ist die Wahrheit.
({9})
Zur Barclays Capital ist schon etwas gesagt worden.
Diese Vorgänge sind genau so anrüchig, wie hier dargestellt worden ist. Hinzu kommt, dass diese Bank nicht
nur die Bundesregierung als Verkäufer vertreten hat,
sondern auch für die Käufer tätig geworden ist. Wenn
man dann noch weiß, dass diese Bank die Sozialcharta
mit ausgehandelt hat, während der Mieterbund daran
nicht beteiligt war, dann bleibt einem doch - Entschuldigung! - echt die Spucke weg.
({10})
Die Liste der Ungereimtheiten zieht sich wie Kaugummi durch das gesamte Verkaufs- bzw. - das sollte
ich vielleicht besser sagen - Schenkungsverfahren.
({11})
Vieles haben wir gehört, und genauso vieles deutet darauf hin.
Was mich aber besonders wurmt, ist, dass hier gegen
den Willen der Kommunalpolitik, gegen den Willen der
Länder und der Mieterinnen und Mieter skrupellos vorgegangen worden ist.
({12})
Zum Angebotstext des Bundes hieß es - das muss
man sich wirklich einmal anschauen -:
Es kommen keine Erwerber zum Zug, die nur einen
schnellen Euro machen wollen.
Klar ist nur: Diese Bundesregierung wollte hier einen
schnellen Euro machen.
({13})
Es ist auch ökonomisch absurd und deshalb Verschleuderung von Volksvermögen. Die Treuhand Liegenschaftsgesellschaft hat nämlich in den Jahren 2009 und
2010 jährlich 30 Millionen Euro an den Bundeshaushalt
abgeführt. Das heißt, wir, der Bund, haben dort Einnahmen erzielt. Hätten Sie dieses Geld in den sozialen Wohnungsbau investiert, hätten Sie es in Kindergärten oder
in Ganztagsschulen investiert, dann wäre es sinnvoll angelegt gewesen.
({14})
Sie haben für die Wohnungsknappheit in Dresden und
in anderen Städten in Ostdeutschland gesorgt.
({15})
Sie haben den Stadtumbau Ost geschleift. Sie haben das
Programm „Die soziale Stadt“ geschleift. Sie haben in
die soziale Wohnraumförderung eingegriffen.
({16})
Sie haben bei dieser Privatisierung die Chance vertan,
den Kommunen tatsächlich zu helfen. Ihre Kürzungsprogramme sind mit eine Ursache für die Wohnraumverknappung. Daher sage ich ganz klar: Es ist nichts los mit
der sozialen Verantwortung dieser Bundesregierung.
({17})
Ich will Ihnen noch etwas sagen; das geht insbesondere an die Adresse von Herrn Staatssekretär Bergner.
Wir Ostdeutschen gehen mit dem Thema Privatisierung
nach all den Erfahrungen mit der Treuhand sehr sensibel
um.
({18})
Die Betrugsfälle bzw. die Verkäufe an dubiose Geschäftemacher oder sogenannte Entflechtungen von Unternehmen haben sich bei vielen von uns Ostdeutschen bis
heute tief ins Bewusstsein gegraben. Ich will Ihnen aus
dieser Zeit - auch damals haben Sie, Schwarz-Gelb, regiert - zwei Beispiele in Erinnerung rufen:
Da war die Leuna-Raffinerie, bei deren Verkauf zusammen mit der sehr profitablen Minol Schmiergeldzahlungen geflossen sind.
({19})
Außerdem war da das Kombinat Schiffbau, bei dessen Privatisierung 900 Millionen D-Mark EU-Fördermittel für die Sanierung der ostdeutschen Werften bestimmt waren. Diese Mittel sind in die Sanierung der
Stammbetriebe der Bremer Vulkan umgelenkt worden.
({20})
Das sind Vorgänge, die in Ihrer Regierungszeit stattgefunden haben.
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Nach all dem, was
wir zum Verkauf der TLG-Wohnungen und -Immobilien
bisher gelesen haben, könnte es sein, dass damit ein weiteres Kapitel zu all den dubiosen Geschichten hinzukommt. Deshalb sage ich Ihnen: Mir reicht kein Testat
eines Mitglieds der Bundesregierung gegenüber einem
anderen Mitglied der Bundesregierung, das sei alles sauber gelaufen.
({21})
Ich will hier eine ordentliche Aufklärung. Denn wir wissen: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Schönen Dank.
({22})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. Michael Luther das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich hätte nicht geglaubt, dass heute, so kurz
vor Pfingsten, noch so viel Emotionalität aufkommen
kann.
({0})
Ich will an dieser Stelle Folgendes festhalten, meine
liebe Frau Kollegin Gleicke: Wenn Sie schon den Vorwurf erheben, dass geltende Steuergesetze von jemandem angewendet werden, und sich darüber beschweren,
dass das zu einem bestimmten Ergebnis führt, also die
Grundsteuer jetzt nicht fließt, dann sollten Sie wenigstens auch sagen, woran das liegt. Wer hat diese Steuergesetzgebung eingeführt? Ich denke, das war Rot-Grün.
({1})
Sie waren in der Regierungsverantwortung. Wenn Sie
sich über das beschweren, was Sie selber gemacht haben, dann ist das nicht besonders glaubwürdig.
({2})
Das Thema der Aktuellen Stunde ist der Verkauf der
TLG-Immobilien. „Aktuelle Stunde“ springt einem als
erstes Wort ins Auge. Ich habe mir die Frage gestellt, um
was es eigentlich geht. Es geht um einen Verkauf aus
dem Jahre 2012.
({3})
Ich weiß nicht, warum das so besonders aktuell ist.
({4})
Ich habe mir also die Frage gestellt, warum wir darüber
heute diskutieren. Ich habe das Gefühl, dass wir deshalb
heute darüber diskutieren, weil die Mieter kurz vor dem
Wahlkampf verrückt gemacht werden sollen und die
Linken gerne glauben machen möchten, dass sie die Einzigen sind, die überhaupt noch Mieterinteressen in
Deutschland vertreten. Ich glaube, das entlarvt zum Teil,
warum die Aktuelle Stunde heute stattfindet.
Noch bemerkenswerter finde ich den Umstand, dass
die Aktuelle Stunde durch unsere Kollegin Frau Heidrun
Bluhm eröffnet worden ist, die Aufsichtsratsvorsitzende
von FAIRWOHNEN ist, einer Genossenschaft, die sich
am Bieterverfahren beteiligt hat.
({5})
Klar geht das. Sie dürfen das natürlich machen. Sie dürfen auch die Funktion ausüben.
({6})
- Genau. In der vorhergehenden Debatte ging es genau
um dieses Thema.
({7})
Hier wird nämlich eine Macht ausgenutzt, die man als
Parlamentarier hat, um auf den Umstand hinzuweisen,
dass man in einem Bieterverfahren, das Sie im Nachhinein nicht kritisiert haben, der zweite Gewinner war. Das
Verfahren fand 2012 statt. Sie haben versucht, daran teilzunehmen, waren aber nicht erfolgreich. Wenn Sie damals der Meinung gewesen wären, dass das alles rechtlich nicht in Ordnung ist, hätten Sie damals auf die
Instrumente des Rechtsstaats zurückgreifen können, die
es heute gibt. Vielleicht haben Sie das schon vergessen.
({8})
Sie haben das nicht gemacht. Ich glaube, das entlarvt,
was Sie wollen.
({9})
Auch Ihre Sorge, dass die Wohnungen jetzt möglicherweise in die Hand böser Privateigentümer gelangen,
könnte ein Grund für diese Aktuelle Stunde gewesen
sein.
({10})
Ich will einmal feststellen: Es gibt Zehntausende von
privaten Vermietern in Deutschland und natürlich entsprechend viele Mietverhältnisse.
({11})
Es gibt eine rechtliche Grundlage in diesem Land.
({12})
Ich glaube, dieses Land hat sich mit dieser rechtlichen
Konstruktion gut entwickelt.
({13})
Ich habe keine Angst vor Privateigentum, und ich
habe auch keine Angst davor, dass sich ein Wohnungsmarkt entwickelt und dass sich auch Mietpreise entwickeln. Das muss so sein. Das, wovor ich Angst habe,
ist Volkseigentum. Das habe ich erlebt.
({14})
Damals gab es nämlich eine Mietpreisbindung, die ein
bestimmtes Ergebnis hatte, das in der DDR mit dem geflügelten Wort umschrieben wurde: Ruinen schaffen
ohne Waffen.
({15})
Es wurde nicht mehr saniert, die Gebäude sind verfallen.
Wir können uns noch gut daran erinnern, auch Sie vielleicht noch. Aus diesem Grunde sollte man das Privateigentum nicht verteufeln; denn das ist eine der wesentlichen Grundlagen unseres Landes.
({16})
Müssen Mieter Angst haben? Auch das ist hier schon
mehrfach deutlich angesprochen worden. Das, was die
Bundesrepublik tun konnte - Sozialcharta, Ombudsmann -, hat sie getan. All das sind Instrumente, um letztendlich zu helfen, dass der Übergang gelingt. Man kann
sich an öffentliche Stellen wenden und erfährt Unterstützung. Wenn das bislang nicht der Fall gewesen ist, sollte
man das überprüfen. Vielleicht gibt es Ursachen dafür,
dass es nicht in jedem Fall dazu gekommen ist. Aber es
gibt diese Möglichkeit.
Sie haben ja mit vielen Mietern Kontakt gehabt. Sie
haben versucht, sie in die FAIRWOHNEN zu bringen.
Wenn es Ungerechtigkeiten gegeben hätte, dann hätten
Sie schon längst auf den Ombudsmann hingewiesen.
Dann wären schon längst Klagen erfolgt. Aber das ist
nicht der Fall.
({17})
Am Anfang habe ich mich gefragt, ob diese Aktuelle
Stunde wirklich sein muss. Jetzt, am Ende, sage ich: Es
ist gut, dass sie stattgefunden hat, weil sie sehr deutlich
gemacht hat, mit welcher Motivation Sie in diesem Land
agieren und für wen oder was Sie eintreten. Das sind auf
jeden Fall nicht die Mieterinteressen.
Danke schön.
({18})
Als letzte Rednerin des heutigen Tages hat das Wort
die Kollegin Stefanie Vogelsang für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident, vielen Dank. - Meine Damen und
Herren! Wenn man als letzte Rednerin in einer Aktuellen
Stunde ans Rednerpult treten darf, kann man sich vornehmen, die Ergebnisse der Debatte zusammenzufassen
und zu würdigen, dass man eine Stunde miteinander diskutiert hat. Voraussetzung ist allerdings, dass man irgendwelche Erkenntnisse gewonnen hat.
({0})
Das gilt gerade für Ihren Beitrag, Frau Gleicke! Was
meinen Sie eigentlich, für wen Sie geredet haben? Für
die Kollegen hier im Raum? Diese haben gemerkt, dass
Sie in jedem zweiten Satz Dinge durcheinandergebracht
haben,
({1})
dass Sie viele Dinge, die Sie selber beschlossen haben,
Beschlüsse, für die Sie Ihre eigene Stimme abgegeben
haben,
({2})
jetzt als große Schande verkaufen wollen. Die Bürgerinnen und Bürger draußen verstehen diesen großen Zusammenhang aber gar nicht; für die hätten Sie in etwas
einfacheren Worten, in etwas verständlicherer Form herüberbringen müssen, was Ihr Anliegen ist.
({3})
Ich habe die ganze Zeit überlegt: Was will uns die SPD
damit sagen? Ich glaube, es ging einfach nur darum, in
dieser Aktuellen Stunde auf Verlangen der Linken einen
Beitrag zu leisten. - Wo sind übrigens Ihre Kolleginnen
und Kollegen?
({4})
Warum ist in dieser Aktuellen Stunde, die auf Antrag der
Fraktion Die Linke auf die Tagesordnung gesetzt wurde,
kaum jemand anwesend?
({5})
Frau Gleicke, es wäre positiv gewesen, wenn Sie etwas
dazu gesagt hätten.
({6})
Lieber Kollege Bockhahn und liebe Kollegin Bluhm,
spätestens Anfang 2012 war auch für Sie klar, dass für
die Fraktion Die Linke die große Gefahr besteht, dem
nächsten Deutschen Bundestag nicht wieder anzugehören.
({7})
Daraufhin haben Sie sich dann überlegt: Wie können wir
große Aktionen machen? Wie gewinnen wir ein großes
Potenzial an Zustimmung?
({8})
Dann haben Sie sich dickegetan und gesagt: Wir gehen
in den Wohnungsmarkt, wir werden selber zur Genossenschaft, wir übernehmen. - Das hat dann nicht geklappt: Ihre Träume sind alle geplatzt, Sie sind wieder
auf dem Boden angekommen.
({9})
Ich glaube, an der aktiven Politik, die die Partei Die
Linke betrieben hat, wenn sie wie zum Beispiel hier in
Berlin - der Kollege Rehberg hat das vorhin umfangreich dargestellt - an der Regierung beteiligt war, können die Leute ganz genau sehen, wie Sie agieren, wenn
Sie denn die Möglichkeit des Handelns haben. Wenn ich
an die Machtübernahme hier in der Hauptstadt denke - ({10})
- Entschuldigung! „Machtübernahme“ ist vielleicht ein
etwas unglücklicher Ausdruck.
({11})
Ich nehme das zurück.
({12})
Wenn ich an die Regierungsübernahme in Berlin durch
SPD und Linke im Jahre 2001 denke, muss ich feststellen: Sie haben die Politik sofort verändert. Sie haben die
Strukturen in Berlin auf schrumpfende Stadt gesetzt, haben Wohnungsbauförderung gestrichen,
({13})
haben die städtischen Wohnungsbaugesellschaften gemolken,
({14})
sind zu nichts anderem gekommen, als die GSW zu verkaufen, und haben zum Beispiel in Neukölln - einem sozialen Ballungsraum - 5 000 Wohneinheiten an einen
Hedgefonds verkauft, ohne auf einer Sozialcharta zu bestehen.
({15})
Es hat Sie nicht interessiert, wie es den Mieterinnen und
Mietern ergeht. Sie haben sich nicht eingesetzt für die
Einrichtung einer Ombudsstelle, in der die Mieterinnen
und Mieter einen Ansprechpartner und Unterstützung
gefunden hätten. Das ist das Ergebnis Ihres Regierungshandelns.
({16})
Wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt, und wir
haben das Pfingstfest vor uns. Manchmal denke ich mir,
der Heilige Geist müsste ein bisschen öfter
({17})
zu Ihnen kommen, damit auch Sie ein bisschen erleuchtet werden.
({18})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
({0})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. Juni 2013, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ein schönes Pfingstfest!