Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/16/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen zunächst einige Vereinbarungen für die heutige Tagesordnung mitteilen. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Pläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein allgemeines „Tempolimit 120“ auf Autobahnen ({0}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Ergänzung zu TOP 56 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dopingbekämpfung im Sport ({1}) - Drucksache 17/13468 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum Abschluss bringen - Drucksache 17/12507 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände einführen - Drucksache 17/13477 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({5}), Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich - Drucksache 17/13478 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({6}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ländliche Räume als Lebensräume bewahren und zukunftsfähig gestalten - Drucksache 17/13490 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({7}) Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine kohärente Politikstrategie zur Überwindung des Hungers - Drucksache 17/13492 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Atomrisiken ernst nehmen - Auch in Bezug auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien - Drucksache 17/13491 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Ergänzung zu TOP 57 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes ({10}) - Drucksache 17/13032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11}) - Drucksache 17/13532 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Valerie Wilms b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) - zu der Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen ({13}) - zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Verordnung zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung ({14}) - Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525 Berichterstattung: Abgeordneter Ingo Egloff ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier - Bilanz der Chancen, Reden und Ergebnisse ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Organspende in Deutschland transparent organisieren - Drucksache 17/11308 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker Beck ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern - Demokratischen Protest unterstützen - Drucksache 17/13489 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({17}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz ({18}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bologna-Reform - Positive Entwicklungen stützen, Fehler korrigieren und Verbesserungen durchsetzen - Drucksache 17/13475 Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energiewende sichern - Solarwirtschaft stärken - Drucksache 17/9742 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({20}) zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial verringern Geschäfts- und Investmentbanking trennen - Drucksachen 17/12687, 17/13523 Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Björn Sänger ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung beim Verkauf der TLG Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll dabei, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 15, 18 b, 27 und 57 i werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Ich mache schließlich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 28. September 2012 ({21}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({22}) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Förderung des Sports ist Aufgabe des Staates - Drucksache 17/6152 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({23}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Der am 28. September 2012 ({24}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({25}) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kultur gut stärken - Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern - Drucksache 17/10785 ({26}) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({27}) Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Der am 29. November 2012 ({28}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({29}) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sportförderung neu denken - Strukturen verändern - Drucksache 17/11374 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({30}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Bevor wir nun in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun- destag trauert um sein langjähriges Mitglied Max Stadler, der am vergangenen Sonntag gestorben ist. Max Stadler war fast 20 Jahre, seit 1994, Mitglied des Parla- ments und hat in dieser Zeit wichtige Funktionen und Aufgaben übernommen. Zwei große Interessenfelder gab es in seinem Leben: zum einen das Interesse an allen Fragen des Rechts, zum anderen sein Wunsch, Politik zu gestalten. Er durchlief zunächst eine juristische Ausbil- dung, wirkte als Staatsanwalt und Richter. Bald schon engagierte er sich politisch, zunächst auf kommunaler Ebene, bevor er später in die Landes- und dann in die Bundespolitik wechselte. Gerade in dem Amt, das er zu- letzt, seit Beginn dieser Legislaturperiode, innehatte - als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustiz- ministerium -, konnte er seine beiden Interessenschwer- punkte Recht und Politik auf eine Weise zusammenbrin- gen, von der sowohl das Ministerium als auch das Parlament profitiert haben. Zu seinen Aufgaben als Abgeordneter und Parlamen- tarischer Staatssekretär hat er weitere Funktionen über- nommen. Er war Lehrbeauftragter an der Universität Präsident Dr. Norbert Lammert Passau und Präsident der Thomas-Dehler-Stiftung. Vor- gestern sollte und wollte er an einer Veranstaltung anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Deutsch- Tschechischen Gesprächsforums teilnehmen, dessen Beiratsvorsitzender er war und das er persönlich wesent- lich vorbereitet hatte. Seine politische Heimat hat Max Stadler in der FDP gefunden - er war ein überzeugter Liberaler. Zugleich war er von ganzem Herzen Bayer, in Passau und dem Umland fühlte er sich zu Hause. „Suaviter in modo, fortiter in re“ war sein persönli- ches Lebensmotto, und wer ihn kannte, weiß, dass dies für ihn zweifellos zutreffend war. So klar und fest er für seine liberale Haltung einstand, so verbindlich kollegial war sein persönliches Auftreten. Er war ein Kollege, mit dem man einfach gerne zusammengearbeitet hat. Mit seiner sachlichen, ruhigen, stets freundlich-ausgleichen- den Art war Max Stadler in allen Fraktionen geschätzt. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für das, was er in diesem Haus und für dieses Parlament über viele Jahre hinweg geleistet hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Angehörigen spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteil- nahme aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 27. April ist Jürgen Warnke im Alter von 81 Jahren verstorben, an den im Unterschied zu Max Stadler die meisten jetzigen Mitglieder des Bundestages nicht in gleicher Weise per- sönliche Erinnerungen haben werden. Er hat dem Deut- schen Bundestag fast 30 Jahre angehört. Seine Familie stammte aus Mecklenburg, und sie hat nach dem Zwei- ten Weltkrieg in Oberfranken eine neue Heimat gefun- den. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften hat er sich früh beruflich in der Wirtschaft engagiert und poli- tisch in der CSU. Er war einige Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der CSU-Landesgruppe als Assistent von Hermann Höcherl. Er hat sich parallel zu seiner berufli- chen späteren Tätigkeit in der Partei engagiert, war Kreisvorsitzender, später stellvertretender Landesvorsit- zender, wurde 1962 in den Bayerischen Landtag gewählt und 1969 in den Bundestag, dem er bis 1998 angehört hat. In der Regierungszeit von Helmut Kohl war er bis Anfang 1991 Bundesminister für wirtschaftliche Zusam- menarbeit, für eine kurze Zeit auch Bundesverkehrsmi- nister, und er hat sich in dieser Zeit insbesondere darum bemüht, die Entwicklungshilfe im Kontext der Interes- sen der deutschen Außenpolitik als Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren. Auch ihm bleiben wir für viele Jahre seines Engagements für unser Land verbunden, und sei- ner Familie gilt unsere Anteilnahme. Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim ersten Tages- ordnungspunkt unserer heutigen Plenarsitzung geht es um die Neuausrichtung der Bundeswehr. Dabei wird der Bundesverteidigungsminister auch auf den Tod eines Soldaten Bezug nehmen, der am 4. Mai dieses Jahres während des Einsatzes für unser Land in Afghanistan ge- tötet wurde. Wir wollen diesen Soldaten und seine Ange- hörigen in unser Gedenken einbeziehen. Ich danke Ihnen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Verteidigung Neuausrichtung der Bundeswehr - Stand und Perspektiven b) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Bernhard Brinkmann ({31}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bundeswehr - Einsatzarmee im Wandel - Drucksachen 17/9620, 17/13254 Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Also ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. ({32})

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestagspräsident hat eben darauf hingewiesen: Am 4. Mai dieses Jahres ist ein deutscher Soldat in Afghanistan gefallen. Die Trauerfeier für ihn war am Montag. Frau Kollegin Kastner und ich waren dort. Die Beisetzung hat gestern stattgefunden. Wir trauern um diesen Kameraden, sind in Gedanken mit den Angehörigen, mit denen der Generalinspekteur und ich auch sprechen konnten. Der Tod unseres Soldaten wie der aller Gefallenen ist uns Auftrag und Verpflichtung für unsere Arbeit in Afghanistan, in allen Einsätzen und auch in Deutschland, auch im Grundbetrieb und auch in der Neuausrichtung. Diese Neuausrichtung der Bundeswehr ist eines der grundlegenden und großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode. Sie ist ein tiefgreifender Umbruch in der Geschichte der Bundeswehr. Die Neuausrichtung ist für die Bundeswehr keine weitere Etappe in einer Reihe von Reformen. Sie ist nicht die soundsovielte Reform. Sie ist mehr als die Aussetzung der Wehrpflicht und mehr als Standortschließungen. Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr setzen wir einen verteidigungspolitischen Schlussstrich unter den Kalten Krieg und auch seine Nachwehen. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist die grundlegende Antwort auf die veränderte sicherheitspolitische Lage, und sie ist die grundlegende Vorbereitung auf absehbare, ja auf unabsehbare zukünftige Aufgaben. Das hat viel zu tun mit Organisationen und Verfahren, mit dem Aufbau und dem Umbau und dem Abbau von Behörden, mit StandortBundesminister Dr. Thomas de Maizière schließungen und Umgruppierungen von Einheiten. Ich komme darauf noch zu sprechen. Aber neben diesen wahrlich nicht zu unterschätzenden Strukturveränderungen ist die Neuausrichtung der Bundeswehr auch ein geistiger Prozess, der das Selbstverständnis der Bundeswehr berührt. Die geistige Dimension der Neuausrichtung schafft zugleich die Grundlage für eine neue Organisationskultur. Die Übernahme von Verantwortung vor Ort soll Freude machen. Wir wollen dem Prinzip des Führens mit Auftrag wieder mehr Geltung verschaffen. Eine Fehlerkultur auf allen Ebenen wollen wir ermöglichen, damit wir aus Fehlern lernen. Wir wollen, dass die Bundeswehr den Soldatinnen und Soldaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Heimat bietet und Kameradschaft lebt. Wir wollen, dass sie Respekt, Achtung und Wertschätzung unserer Gesellschaft erfahren; denn unsere Soldaten und Mitarbeiter dienen wie keine andere Berufsgruppe unserem Land. ({0}) Ausgangspunkt und Ziel der Neuausrichtung ist der Auftrag der Bundeswehr. Bis 1990 bestand die sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands vor allem darin, unser Land und Mitteleuropa durch Abschreckung zu verteidigen, ohne die Anwendung von militärischer Gewalt, nur durch die Balance von Sicherheit und Entspannung. Das haben wir Schulter an Schulter mit unseren NATO-Alliierten gemacht. Oft haben wir dabei auf die starken Schultern der anderen verwiesen. Heute tragen wir als vereintes, starkes und souveränes Land im Herzen Europas Mitverantwortung für Stabilität und Sicherheit in der Welt. Wir gehören heute selbst zu den starken Schultern. Wir werden gefragt. Unser Einfluss ist erwünscht und anerkannt. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr - mit historischem Bewusstsein und politischem Augenmaß. Wir sollten uns nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen. Die Neuausrichtung der Bundeswehr schafft die Voraussetzung dafür, dass wir unsere internationale Verantwortung sicherheitspolitisch und auch militärisch erfüllen können. Sie ist ein deutliches Signal an unsere Verbündeten und Partner. Dort wird dies erkannt und anerkannt. Deutschland ist auch und gerade wegen seiner Einsätze und auch und gerade wegen der Art und Weise seines Vorgehens bei Einsätzen ein angesehenes Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Unsere Bundeswehr ist nicht das einzige, aber sie ist ein zentrales Instrument deutscher Sicherheitspolitik. Voraussetzung dafür aber sind die passenden Mittel, die richtigen Instrumente, gut ausgebildete Menschen und eine nachhaltige Finanzierung. Die Bundeswehr war nicht umfassend auf die sicherheitspolitischen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Das - ich füge es hinzu - ist für die Vergangenheit auch nicht kritikwürdig. Wir hatten mit den Veränderungen durch und seit 1990 wahrlich genug zu tun. Für die Zukunft wäre der Status quo aber nicht ausreichend. Das Ziel der Neuausrichtung ist deshalb eine einsatzbereite und leistungsfähige Bundeswehr, die der Politik ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Handlungsoptionen bietet, eine Bundeswehr, die sich durch effektive Strukturen und effektive Prozesse auszeichnet, eine Bundeswehr, die nachhaltig finanziert und gut ausgerüstet ist, über eine ausgewogene Personalstruktur verfügt und als Freiwilligenarmee fest in unserer Gesellschaft verankert ist. ({1}) Unsere Bundeswehr ist ein hochkomplexes Gebilde. Sie scheint äußerlich vergleichbar mit einem global agierenden Konzern - mit bisher rund 300 000 Mitarbeitern an rund 400 Standorten im In- und Ausland, mit Kampftruppe, einem Luftfahrtunternehmen, einer Reederei, einem Krankenhausverbund, einem Logistikunternehmen, einer entsprechenden Verwaltung; die Liste ließe sich lange fortsetzen. Ein solch komplexes Gebilde bei laufendem Betrieb grundlegend zu verändern, ist überall schwierig. Nur: Die Bundeswehr ist kein global agierender Konzern. Wir sind die Bundeswehr mit einem hoheitlichen Auftrag. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Von niemandem sonst verlangen wir Tapferkeit, von niemandem sonst erwarten wir, sich bewusst in Gefahr zu begeben, von niemandem sonst verlangen wir, notfalls im Gefecht zu bestehen, und von niemandem sonst verlangen wir einen solch treuen Dienst. Es geht bei der Neuausrichtung um eine Reform aus einem Guss, die keine Ecke der Bundeswehr, keinen in der Bundeswehr und auch keinen im Verteidigungsministerium ausspart. Ich weiß, dass das kritisiert wird. Das sei zu viel auf einmal, das sei zu schnell, sagen einige. Es ist aber notwendig, dass wir alles gleichzeitig und gemeinsam auf den Prüfstand stellen und anpacken, weil die Dinge nämlich ineinandergreifen. Unsere Entscheidungen sind 2011 und 2012 gefallen. Nun setzen wir sie systematisch nacheinander um. Im Ministerium haben wir angefangen, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Knapp 5 000 der 6 400 Organisationselemente der Bundeswehr werden umstrukturiert und sind direkt betroffen; die restlichen mindestens indirekt. Der Zeitplan für die Umsetzung ist ehrgeizig, aber realistisch. Bis Ende dieses Jahres sind über die Hälfte der neuen Organisationselemente arbeitsfähig. Die neue Führungsorganisation wird bis Ende 2014 vollständig eingenommen sein. Die Verbände und Dienststellen werden bis Ende 2016 umstrukturiert sein. Spätestens 2017 wollen wir fertig sein. Wo stehen wir nun, und was ist noch zu tun? Ich möchte mich heute auf drei Punkte konzentrieren. Erstens. Die geplanten Fähigkeiten der Bundeswehr sind sicherheitspolitisch begründet. Was heißt das? Die Bundeswehr wird im multinationalen Verbund eingesetzt. Das erfordert bündnisfähige Strukturen. „Bündnisfähigkeit“ bedeutet für ein Land von unserer Größe, auch als Rahmennation, ein breites Spektrum von Fähigkeiten vorzuhalten, in das sich kleinere Nationen einfü30124 gen können. Die Bundeswehr muss neben bekannten auch für neue Aufgaben vorbereitet sein, ohne sie schon genau zu kennen. Das ist so, wenn man in einer unsicheren Welt agiert. Für so viel wie nötig vorbereitet zu sein, verlangt ein breites Fähigkeitsspektrum. Wir müssen nicht alles können, aber viel. Wir sprechen hier nicht über abstrakte Prinzipien. In den letzten sechs Monaten hat der Deutsche Bundestag drei neue Einsatzmandate beschlossen. Kleinere Kontingente der Bundeswehr wurden in die Türkei sowie in den Senegal und nach Mali entsandt - mit unterschiedlichem Auftrag. Aus diesen Erwägungen - unsere Erfahrungen mit dem Einsatz, die Rolle im Bündnis und unsere internationale Verantwortung - haben wir uns für das Prinzip „Breite vor Tiefe“ entschieden. Das macht eine enge Arbeitsteilung mit unseren Partnern in Europa und in der NATO überhaupt erst möglich. Natürlich gibt es für Fähigkeiten kritische Untergrenzen. Das ist wahr. Wir unterschreiten sie auch nicht. Wir wollen uns sicherheitspolitische Optionen in verschiedener Weise offenhalten. Deshalb darf unser Fähigkeitsspektrum nicht so aufgestellt sein, dass wir uns militärisch nur dann beteiligen können oder quasi müssen, wenn wir eine bestimmte Fähigkeit in größerem Umfang vorhalten, die mal gerade gebraucht wird. Wir müssen in der Lage sein, auch in kleinerem Umfang Kontingente zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel: mal Flugzeuge zur Durchsetzung einer Flugverbotszone, mal Spezialkräfte, mal Ausbilder, mal Infrastruktur oder mal Sanität jedes für sich Teil eines Pakets im Bündnis. Frankreich und Großbritannien, meine Damen und Herren, machen es im Übrigen ganz genauso. Ein zweiter Punkt. Die geplanten Strukturen der Bundeswehr sind demografiefest. Was heißt das? Die demografischen Bedingungen sind auch für die Bundeswehr absehbar schwierig. Die Zahl der potenziellen Bewerberinnen und Bewerber eines Jahrgangs für den Dienst in der Bundeswehr haben sich seit 1990 ungefähr halbiert. Die Bundeswehr brauchte deshalb eine realistische Personalplanung. Dabei bleibt es. Notwendig war und ist ein gleichzeitiger Abbau, Umbau und Aufbau des Personalkörpers Bundeswehr. Nach derzeitigem Stand sieht es danach aus, dass wir unsere Ziele erreichen - quantitativ und qualitativ, über alle Statusgruppen hinweg. Die jungen Menschen bewerben sich bei uns. Wir können unter Bewerbern auswählen. Ich freue mich darüber. Die Bewerberzahlen sind insgesamt gut. Es gibt allerdings Ausnahmen, zum Beispiel bei der Marine. Wir sind uns jedoch bewusst: Wir stehen mit Blick auf die Personalgewinnung vor großen Herausforderungen. Deshalb haben wir auch gerade den gesamten Organisationsbereich Personal so umgestaltet, dass er den Erfordernissen der Bundeswehr und denen des Arbeitsmarktes entspricht. Die bisher zersplitterten Zuständigkeiten für Personal werden gebündelt. Interessenten und Bewerber, aktive Mitarbeiter und Soldaten haben bei der Bundeswehr künftig einen zentralen Ansprechpartner. Dort fassen wir die Personalführung für zivile Mitarbeiter und Soldaten zusammen und führen sie als einen Personalkörper aus einer Hand. Mitarbeiter und Soldaten, militärische und zivile Organisationsbereiche: Sie alle sind eine Bundeswehr. Aus einem Nebeneinander von zivilen Mitarbeitern und Soldaten machen wir ein Miteinander. Auch das verlangt ein Umdenken. Die Bundeswehr wird künftig im Verhältnis über weniger Berufssoldaten und mehr Zeitsoldaten verfügen, mehr als zwei Drittel. Deswegen werden wir auch keine Berufsarmee, sondern wir sind eine Freiwilligenarmee. Unser Personal verlässt die Bundeswehr höher qualifiziert, als es in sie eingetreten ist. Das unterscheidet uns von vielen anderen Streitkräften in der Welt. Wir sind deswegen mit der Wirtschaft keine Konkurrenten um junge Menschen, sondern in Wahrheit Partner. Die Wirtschaft wird wie bisher Zeitsoldaten einstellen, wenn sie die Bundeswehr verlassen. Sie tut damit etwas für unser Land und etwas Gutes für sich. Bessere Bewerber findet sie nicht. Für junge Menschen gehört zur Attraktivität eines Arbeitgebers neben einem guten Gehalt auch ein guter Ruf. Seit Jahren gehört die Bundeswehr für Schüler zu den attraktivsten Arbeitgebern. Auch in diesem Jahr belegt sie in den Umfragen den dritten Platz. Jüngst wurde der Bundeswehr von Studenten bescheinigt, zum oberen Drittel der Toparbeitgeber zu gehören. Wir waren der Aufsteiger des Jahres. ({2}) Das hat sich an der Humboldt-Uni vielleicht noch nicht herumgesprochen. Gleichzeitig müssen wir aber besser daran arbeiten, diejenigen zu halten, die wir haben. Das hat mit guten Dienstbedingungen zu tun. Das hat viel zu tun mit der noch nicht ausreichenden Vereinbarkeit von Familie und Dienst und mit Aufstiegschancen. An all dem arbeiten wir. Hier werden wir weiter investieren. Das Reformbegleitprogramm und das Attraktivitätsprogramm sind deshalb wichtige Eckpunkte der Neuausrichtung. Ein dritter Punkt: Die Neuausrichtung ist solide finanziert. Die neu ausgerichtete Bundeswehr ist nachhaltig finanzierbar. Was heißt das? Wir stellen die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung. Der aktuelle Haushalt, die Eckwerte für den Haushalt 2014 und die mittelfristige Finanzplanung schaffen eine stabile Grundlage für die nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr in ihren neuen Strukturen. Unser Haushalt bleibt im Wesentlichen gleich. Höhe und Stabilität unseres Haushalts in den nächsten Jahren halten jedem Vergleich mit unseren vergleichbaren Partnern in Europa stand, insbesondere dem Vergleich mit Großbritannien und Frankreich. Der Verteidigungshaushalt dieser Bundesregierung ist ein Bekenntnis zur Bundeswehr und zu unserer internationalen Verantwortung. ({3}) Die Neuausrichtung der Bundeswehr beendet zudem unzureichende Abläufe der Rüstungsbeschaffung und -nutzung. Das liegt auch im Interesse der Steuerzahler. Wir alle waren - übrigens nicht nur in Deutschland mit den Beschaffungsprozessen der Bundeswehr für moderne Rüstungsgüter unzufrieden. Ein kritischer Blick richtete sich dabei oft auf die Industrie; das ist aber heute nicht mein Thema. Denn auch in der Bundeswehr gab es Schwachstellen. Die sogenannten Bedarfsträger wollten schnell das Allerbeste kaufen bzw. haben. Die sogenannten Bedarfsdecker mussten es irgendwie beschaffen. Die Haushälter sollten es irgendwie finanzieren. Die Beschaffungskosten wurden von den Nutzungskosten entkoppelt. Wünsche an ein neues Großgerät wurden auch nach der Bestellung ständig verändert. Der IT-Bedarf wurde unterschätzt. All dies wird mit der Neuausrichtung der Bundeswehr grundlegend verändert. Das neue Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung ist aufgestellt und beginnt, mit neuen Verfahren zu arbeiten. Wir planen nur, was wir uns leisten können. Wir beschaffen nur, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten wird. ({4}) Die Nutzungskosten werden von Beginn an in die Kostenkalkulation einbezogen. Nachträgliche Veränderungen werden erschwert. Gerade die Erfahrungen der letzten Tage zeigen, wie notwendig ein integriertes Beschaffungs- und Nutzungsverfahren ist, das von Beginn an alle denkbaren Gesichtspunkte in den Blick nimmt. ({5}) Wenn Probleme bei neuartigen Modellen auftauchen, wie bei dem Fall, über den wir jetzt diskutieren, so wird erst daran gearbeitet, sie zu lösen. Wenn wir dann sehen, dass diese Probleme nicht adäquat behoben werden können, wenn Kosten aus dem Ruder zu laufen drohen, dann ziehen wir lieber die Reißleine - auch in Zukunft. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Das werden wir auch in diesem Fall chronologisch genau dokumentieren. ({6}) Die Neuausrichtung wird umgesetzt, und zwar konsequent von oben nach unten. Mit dem Ministerium haben wir angefangen. Dazu gehört auch die Verringerung der Zahl der Mitarbeiter von 3 500 auf 2 000. Seit dem 1. April 2012 arbeiten wir mit der neuen Struktur. Ab der zweiten Jahreshälfte 2012 folgten nach und nach die Aufstellung der drei neuen Bundesoberbehörden, die Auflösung der bisherigen Strukturen und die Aufstellung der höheren militärischen Kommandobehörden. Ende 2012 wurde mit der Aufstellung der sogenannten Fähigkeitskommandos, also der Ebene unter den Inspekteuren, begonnen. Die Neuausrichtung beginnt, im Alltag zunehmend sichtbar zu werden: die Konzentration von Aufgaben an einer Stelle, der Verzicht auf Doppelstrukturen, die Stärkung der Verantwortung unterhalb des Ministeriums, der Abbau einer ganzen Kommando- und Verwaltungsebene, die erstmalige Unterstellung der gesamten Streitkräfte unter den Generalinspekteur der Bundeswehr als wirklich obersten Soldaten der Bundeswehr und ein umfassendes Programm zur Deregulierung, um den Entscheidern die erforderliche Gestaltungsfreiheit zu geben. All diese Maßnahmen greifen. Aber: Die Neuausrichtung verlangt den Mitarbeiterinnen und Soldaten viel ab. Der Abschied von gewohnten Rollen und Aufgaben, von eingespielten Strukturen und Abläufen, von vertrauten Orten und Netzwerken und der Personalabbau und -umbau kosten Kraft und führen zu Unsicherheiten. Wer hätte dafür kein Verständnis? Die Sachentscheidungen in einem derartig tiefgreifenden Veränderungsprozess - mögen sie auch noch so logisch und sinnvoll sein - werden nur dann von den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgesetzt und gelebt, wenn sie ausreichend bekannt sind, verstanden und mitgetragen werden. Hier gab es Kritik, auch berechtigte Kritik. Wir haben sie aufgenommen. Enttäuschungen und Kritik begleiten jeden großen Veränderungsprozess. Die Angehörigen der Bundeswehr wissen aus eigener Anschauung am besten, warum die Neuausrichtung notwendig ist; sie sind von der Notwendigkeit der Veränderungen überzeugt und tragen sie trotz mancher einschneidender persönlicher Nachteile insgesamt mit. ({7}) Das Wie der Neuausrichtung müssen wir besser vermitteln; aber wir werden trotzdem nicht jeden zufriedenstellen können. Personalabbau, Versetzungen, Abgabe von Aufgaben an andere Ressorts - da hat das „Mitnehmen“, wie es immer gefordert wird, objektive Grenzen. Dennoch: Die Erfolge bei der Umsetzung werden Woche für Woche sichtbarer. Auf diesem Weg sollten wir weitergehen. Ich will ihn mit möglichst vielen gemeinsam gehen. Nichts, meine Damen und Herren, fürchtet die Bundeswehr mehr als eine neue Reform. Verlässlichkeit und Kontinuität bei der Neuausrichtung - das sollten wir anstreben. Das schließt Kritik an Details natürlich nicht aus. Auch wir werden im Laufe des nächsten Jahres die Neuausrichtung evaluieren und an dem einen oder anderen Punkt möglicherweise nachsteuern. ({8}) Ein Nachsteuern ist aber keine grundlegende Revision der Neuausrichtung. Lassen Sie mich mit der Bitte schließen, dass wir die Umsetzung der Neuausrichtung entschlossen und so gemeinsam wie nur irgend möglich fortsetzen. Das deckt sich im Übrigen auch mit der Aussage des Kanzlerkandidaten der SPD, der nach einem Besuch bei der Bundeswehr gesagt hat, die Neuausrichtung würde nur schleppend vorangetrieben. Daraus kann ich nur schließen: Sie sollte entschlossen vorangetrieben werden. Recht hat er mal sehen, ob es die folgenden Redner auch so sehen. ({9}) Alles, was wir tun, meine Damen und Herren, dient nicht den Interessen von Einzelnen, auch nicht innerhalb der Bundeswehr. Es dient auch nicht den Interessen von Parteien, ja, nicht einmal der Bundesregierung. Alles, was wir tun, hat den Interessen und der Sicherheit unse30126 res Landes zu dienen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verdienen unser Vertrauen, auch bei der Neuausrichtung. Sie dienen Deutschland. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass heute das Thema Bundeswehrreform an exponierter Stelle im Parlament behandelt wird. Schlecht, dass es dazu einer Großen Anfrage der Sozialdemokraten bedurfte; denn sonst hätte das nicht stattgefunden. Und schlecht, Herr Minister, dass Sie sich zwölf Monate Zeit gelassen haben, diese Große Anfrage überhaupt zu beantworten. Sie wollten über den Stand der Neuausrichtung reden; so heißt es im Titel Ihres Berichtes. In Wirklichkeit sprechen Sie aber darüber, was Sie angeordnet haben, was Sie sich wünschen. Wo wir stehen und welche Probleme auf dem Tisch liegen, das blenden Sie aus. Sie nutzen nicht einmal die Gelegenheit, die aktuelle Debatte über die Euro-Hawk-Drohne hier dem ganzen Parlament zu erläutern und die veränderte Position zu begründen. ({0}) Es gibt im Internet einen interessanten BundeswehrBlog. Ich möchte Ihnen ein paar Zitate daraus vortragen. Einer schreibt: … ich habe selten einen so schlechten Bericht gesehen. Über die Qualität … und das Ausmaß der Realitätsbeugung bin ich regelrecht entsetzt. Zweiter Eintrag: … hat das der Presse-/Info-Stab selbst geschrieben oder direkt eine Werbeagentur beauftragt? Der Nutzer „Oberleutnant“ schreibt: Sagenhaft … Wo finde ich diese Bundeswehr, welche in diesem Bericht erwähnt wird? Herr Minister, so schreiben die Menschen, die den Truppenalltag kennen und erleben. Es sind keine Menschen, die nach Anerkennung gieren, sondern solche, die sich Sorgen machen, ob ihr Berufsstand so attraktiv bleibt, dass auch in Zukunft die Richtigen gefunden werden; denn wenn das nicht gelingt, werden wir eine völlig veränderte Bundeswehr haben. Diese Menschen, Herr Minister, wissen, dass Ihre Neuausrichtung eine Mogelpackung ist. Noch ein Eintrag: Der Anlaß für die Reform war das Einsparen … nun wird es teuer bei geringer werdender …fähigkeit … ({1}) Jeder Mittelständler hätte seinen Geschäftsführer mit so einem Bericht entlassen. Dem muss man eigentlich nichts mehr hinzufügen. ({2}) Nur, Herr Minister, warum legen Sie die Messlatte bei Ihrer Reform so hoch? Die Anforderungen an diese Reform braucht man nicht zu überhöhen. Es geht nicht um eine völlige Neuerfindung der Bundeswehr. Sie behaupten: Es wird alles neu. - Herr Minister, am Ende wird bei der Bundeswehrreform gar nichts Neues herauskommen - Sie benennen auch nichts Neues -, heraus kommt von allem weniger: weniger Geld, weniger Personal und weniger Gerät. Die Reform ist auch sicherheitspolitisch überhaupt nicht begründet, sondern nur fiskalisch. Die Welt hat sich in den letzten drei Jahren doch nicht verändert. ({3}) Deswegen tragen wir so wichtige Eckpunkte wie die Aussetzung der Wehrpflicht mit; man müsste es nur besser machen. Aber eines hat sich ein Stückchen verändert: Wer glaubt, mit einem Einsatz wie in Afghanistan, mit einer Masse von Soldaten von außen kommend, NationBuilding, Staatsaufbau betreiben zu können, der irrt. Das wird sich die Staatengemeinschaft eher nicht mehr antun. Sie selbst, Herr Minister, sprachen von kleinen Einsätzen. Genau auf diese neuen Herausforderungen - mehrere kleine parallele Einsätze logistisch zu unterstützen, Sicherheitsbündnisse auszubilden, vor Ort zu qualifizieren - gibt Ihre Reform keine Antwort. Gerade für die drängendsten Zukunftsfragen haben Sie keine Lösung. ({4}) Gewiss: Sie haben eine schwere Hypothek übernommen. Ihr Vorgänger hat Ihnen in der Tat eine Reformruine hinterlassen. Sie haben zu Beginn gesagt, Sie würden alles auf den Prüfstand stellen. In Wirklichkeit haben Sie aber bei der Reformvorgabe überhaupt nichts geändert. Sie haben nicht einmal - und das tut richtig weh - die Chance genutzt, aus dem freiwilligen Wehrdienst ein breites gesellschaftliches Projekt der Freiwilligendienste zu machen. Jetzt lese ich, dass die Kanzlerin in 14 Tagen einen Gipfel zum Thema Freiwilligendienste einberufen will. Das ist nun wirklich der Gipfel. ({5}) Es kommt doch nicht darauf an, vier Monate vor den Wahlen zu sagen: Schön, dass wir mal darüber geredet haben. Herr Minister, Sie haben nichts wirklich auf den Prüfstand gestellt. Sie haben vor allem die Beschaffung von Großgeräten nicht ordentlich geprüft und begleitet. Deshalb führen wir im Augenblick so eine schwierige Debatte über den Euro Hawk. Es ist schon richtig, dass er mit großer Mehrheit des Parlaments gewollt wurde, ({6}) aber im Jahr 2011 sind gravierende Probleme aufgetreten. Staatssekretär Beemelmans hat gestern erklärt, alle Projektbeteiligten hätten diese Probleme vorgetragen bekommen. Herr Staatssekretär, Herr Minister, ja sind denn das Parlament und der Haushaltsausschuss nicht projektbeteiligt? Uns hat man im Dunkeln gelassen; man hat sogar zwei Jahre lang Haushaltsbeschlüsse zu diesem Projekt fassen lassen. Sehr interessant ist: Sie haben sogar Ihr eigenes Kabinett vor einer Woche regelrecht getäuscht. In Ihrer Kabinettsvorlage zum Stand der Neuausrichtung haben Sie so getan, als ob die Beschaffung strukturrelevanter Hauptwaffensysteme - Euro Hawk mit fünf Stück, Global Hawk mit vier Stück ({7}) ohne Probleme verfolgt werde. So gehen Sie mit Ihrem eigenen Kabinett um! ({8}) Ich frage mich schon: Erhebt die Kanzlerin nicht mehr den Anspruch, dass Probleme bei der Strukturreform, die sowohl im internationalen als auch im finanziellen Maßstab gravierend sind, im Bericht zum Stand der Neuausrichtung korrekt vorgetragen werden? ({9}) Herr Minister, Sie und Ihr langjähriger Weggefährte, Staatssekretär Beemelmans, sagen fast in jeder Rede vor Soldaten, Sie seien dafür und sorgten dafür, dass bei der Bundeswehr die Verantwortung in einer Hand liegt. Nach dem finanziellen Desaster wäre jetzt eine gute Gelegenheit, diesem Anspruch gerecht zu werden. Oder soll ich Ihnen wirklich wünschen, Herr Minister, dass die Kanzlerin in den nächsten Tagen sagt, sie stehe voll und ganz hinter Ihrem Verteidigungsminister? ({10}) Herr Minister, ich spreche das auch deshalb an, weil der Umgang mit dem Parlament in dieser Frage ein Stück weit symptomatisch dafür ist, wie Sie mit den Menschen in der Bundeswehr insgesamt umgehen, nämlich: Von oben nach unten anordnen, und alle sollen widerspruchslos folgen. Wer das nicht tut, wird von Ihnen beschimpft. Herr Minister, Sie haben oft gesagt: Die Reform ist eine schwierige Operation; sie entspricht einer Operation am offenen Herzen. Ich finde, das ist ein schönes Bild, weil es bei einer Operation am offenen Herzen wie dieser Reform insbesondere darauf ankommt, dass die Blutzirkulation des Patienten am Laufen gehalten wird. Das tun Sie aber nicht. Sie operieren ohne Herz-Lungen-Maschine. Sie lassen die Bundeswehr gerade in diesem Übergangsprozess, der sechs bis sieben Jahre dauert, personell regelrecht ausbluten. Sie haben Ihre Reform nicht mit einem wirklichen Übergangsmanagementkonzept unterlegt. Darunter leiden die Soldaten. Das merken die Soldaten im Augenblick, da bei der Feinplanung sichtbar wird, wo die Defizite liegen. Über diese Probleme reden Sie aber in keiner Weise. ({11}) Im Gegenteil, Herr Minister, Sie sagen ganz schlicht: Der Mensch folgt den Aufgaben. Herr Minister, Sie haben auch heute in Ihrer Rede ein Bonbon verteilt: Sie haben gesagt, wir sollten den Soldaten vertrauen. Das sollten wir in der Tat. Wir sollten mit den Soldaten respektvoll und mit ihren persönlichen Bedürfnissen und den Bedürfnissen ihrer Familien achtsam umgehen. Wenn man von oben herab sagt: „Der Soldat folgt den Aufgaben“, dann ist das entschieden zu wenig. Das spüren die Soldaten. ({12}) Wir Sozialdemokraten werden die Reform zwar nach der Wahl im September nicht völlig über den Haufen werfen. ({13}) Vieles kann man auch gar nicht ändern. Manches ist ja auch vernünftig, die Organisation des Ministeriums zum Beispiel. Aber wir werden an den Stellen, an denen man nachsteuern kann, zügig nachsteuern. Wir werden nicht, wie Sie es vorhaben, bis zum Jahr 2014/15 warten, ({14}) dann evaluieren und dabei feststellen, dass man es gar nicht mehr ändern kann, weil der Prozess schon zu weit vorangeschritten ist. Wir wissen, dass man in vielen Bereichen etwas ändern kann. Ein wichtiger Punkt ist die Einhaltung der Vorgabe - das hat auch das Parlament gewünscht -, dass Soldaten, nachdem sie 4 Monate im Einsatz waren, 20 Monate zu Hause sein können, um in ihrem sozialen Gefüge zu leben, um teilzunehmen am gesellschaftlichen Leben in ihrer Heimat. Diese Vorgabe wird bei der Hälfte der Einsatzsoldaten inzwischen nicht mehr erfüllt. Machen Sie sich darüber keine Gedanken? Reden Sie nicht darüber? Erreichen Sie nicht die Briefe von Soldaten, in denen steht, dass sie nicht, wie vorgegeben, maximal 21 Tage auf Beihilfezahlungen zur Begleichung ihrer Arztrechnungen warten, sondern teilweise monatelang, und das vor dem Hintergrund, dass, wie Sie am Sonntag im ZDF ja noch gesagt haben, ein großer Teil der Soldaten zu wenig verdient. Macht Ihnen das keine Sorgen? Macht es Ihnen keine Sorgen, dass das Fehlen eines Übergangsmanagements dazu führt, dass zwei von drei Offizieren und fünf von sieben Unteroffizieren im Beförderungsstau stecken, also nicht die Aufstiegschancen bekommen, die sie eigentlich verdient hätten? Auch das hat etwas mit Respekt zu tun. Macht es Ihnen keine Sorgen, dass die Soldaten sagen, dass es keine wirkliche Personalplanung gibt, dass sie manchmal von einem Tag auf den anderen die Botschaft erhalten, wo sie jetzt hingehen sollen? Macht es Ihnen keine Sorgen, dass es nach der Abschaffung der Wehrpflicht kein vernünftiges Verhältnis zwischen externer und interner Personalgewinnung gibt? Herr Minister, Sie sagen, dass die Reform an der einen oder anderen Stelle Geld kostet, zum Beispiel, wenn es um die Ermöglichung besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Es gibt einen einfachen Ansatz - das wäre schnell umzusetzen -: Herr Minister, Sie selbst haben dem unsäglichen Betreuungsgeld im Kabinett und hier im Bundestag zugestimmt. ({15}) Dies führt dazu, dass entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung der Bundeswehretat bis zum Jahr 2017 auf 1 Milliarde Euro verzichten muss. Dieses Geld fehlt für Attraktivitätsmaßnahmen. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, das werden wir im Herbst als Erstes ganz schnell ändern. ({16}) Herr Minister, Sie haben den Soldaten Hoffnungen gemacht und ihnen die Zusage gegeben, dass sie im Jahr 2013 wissen, was aus ihnen persönlich wird. Das ist auch eine Frage des Vertrauens, nämlich umgekehrt eine Frage des Vertrauens in die Regierung. Nehmen Sie nicht wahr, dass 70 Prozent der Soldaten bis zum heutigen Tag überhaupt noch nicht wissen, wohin sie gehen werden, was aus ihrer Familie, dem Arbeitsplatz und der Ausbildung ihrer Kinder wird? Darüber reden Sie nicht. Das führt zu Vertrauensverlusten. Es ist einfach Fakt, dass 90 Prozent der in einer Umfrage des BundeswehrVerbandes befragten Soldaten gesagt haben, sie seien der Auffassung, diese Reform habe keine Zukunft. Angesichts dessen können Sie doch nicht einfach hier behaupten, dass die Soldaten die Reform gut finden. In welcher Welt lebt man, wenn man angesichts dieser Zahlen so etwas feststellt? Ich habe Ihren Bericht gründlich gelesen. Am Schluss habe ich gedacht: Siehe da, jetzt kommt doch noch etwas. Ich war guten Mutes. Da steht nämlich, dass Sie eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben haben und einen Maßnahmenkatalog erarbeiten wollen, der auf die „Beseitigung erkannter Defizite“ abzielt. Jetzt geht es weiter: „… erkannter Defizite bei der Vermittlung der Kernbotschaften der Neuausrichtung …“ Das heißt, Sie glauben immer noch, die Soldaten kapierten nicht, um was es geht. Sie kapieren sehr wohl, um was es geht. Es geht nicht in erster Linie um Kommunikation und Vermittlung, sondern darum, dass Sie den Rat und die berufliche Expertise der Soldaten endlich aufnehmen, dass Sie zuhören und dort Änderungen vornehmen, wo sie notwendig und angesagt sind. ({17}) Herr Minister, halten Sie doch bitte nicht weiter starr an Ihren falschen Vorgaben fest. Manchmal stehen wir ja zu Politikern, die dicke Bretter bohren; den Eindruck, als ob Sie dies tun, erwecken Sie ja auch mit Ihrem starren Festhalten. Ich glaube aber, im Augenblick bohren Sie eher Luftlöcher - siehe Veteranendebatte, ein Projekt, das eher im Sande verlaufen wird. Nein, Herr Minister, steuern Sie jetzt um, und zerstören Sie nicht dieses für die Bundeswehr wichtige Gut, nämlich dass die großen Parteien hier im Parlament eigentlich einen Grundkonsens hinsichtlich der gemeinsamen Verantwortung für die Menschen bei den Streitkräften bewahren wollen. Wir stehen zu diesem Grundkonsens. Er wird aber nur tragen, wenn Sie auch zuhören und an der einen oder anderen Stelle etwas ändern. Wir werden dies ab September tun, Herr Minister. Niemand muss Sorge haben, dass es eine neue Reform geben wird; vielmehr kann sich jeder darauf verlassen, dass das, was gut ist - das gibt es bei der Bundeswehr an vielen Stellen -, bewahrt wird und das, was schlecht läuft, mit Augenmaß und in für die Menschen verträglichen Schritten geändert wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So werden wir das ab der Bundestagswahl angehen. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist für jemanden, der nicht so tief in den Strukturen der Bundeswehr steckt, immer schwierig, ein Bild über die tatsächliche Lage zu bekommen. Wenn man das, was der Kollege Arnold gerade eben vorgetragen hat, genauer analysiert, bekommt man das Gefühl, dass es einen völlig demotivierten Apparat gibt, der überElke Hoff haupt nicht mehr in der Lage ist, seinen Auftrag auszuführen, und dass es am besten wäre, all das, was auf den Weg gebracht worden ist, wieder einzustampfen. Mein Eindruck aus acht Jahren Tätigkeit im Bereich der Verteidigung und aus vielen Truppenbesuchen sowohl im Inland als auch im Ausland ist, dass eher das Bild zutrifft, dass Herr Minister de Maizière eben in seiner Rede gezeichnet hat, nämlich dass wir Soldaten haben, die ihren Beruf lieben, dass sie es in den seltensten Fällen bereuten, diesen Beruf ergriffen zu haben, und dass sie nach wie vor davon überzeugt sind, einen richtigen Auftrag zu erfüllen. Gleichzeitig haben sie die Erwartung an uns Politikerinnen und Politiker, dass wir alles dafür tun, dass sie diesen Auftrag auch erfüllen können. ({0}) Ich glaube, dass diese Reform, die seit langer Zeit überfällig war und die sicherheitspolitisch dringend geboten war, zum richtigen Zeitpunkt auf den Weg gebracht worden ist. Ein Jahr! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wer kann ernsthaft erwarten, dass eine solche umfassende Reform innerhalb eines Jahres sozusagen ein Selbstläufer wird, ohne Strukturen zu erschüttern? Genau das sollte doch auch mit der Reform bezweckt werden: Strukturen, die nicht mehr funktionierten, sollen so geändert werden, dass sie in Zukunft funktionieren. Das bedeutet natürlich auch, dass sich an vielen Stellen vertraute Mechanismen ändern und auch vertraute Gesichter nicht mehr da sind. Das führt zu Widerständen, das führt zu Fragezeichen, das führt zu Problemen. Ich selbst habe dies in meiner Zeit außerhalb des Parlamentes, als ich Leitungsaufgaben in einer reformierten Behörde übernommen habe, erlebt. Natürlich gibt es sehr viel Verunsicherung. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir in dieser Zeit Erhebliches für unsere Bundeswehr erreicht haben. Ich würde mich wirklich freuen, wenn bei aller berechtigten Kritik - nobody is perfect - an der einen oder anderen Stelle auch einmal die Verdienste dieser Reform dargelegt werden. ({1}) Ich werde dies jetzt tun, damit sie deutlich werden; dies kann dann auch später im Protokoll nachgelesen werden. Wir haben eine deutliche Verbesserung der Einsatzversorgung für unsere Soldatinnen und Soldaten erreicht. Wir haben das Reformbegleitgesetz verbessert, indem wir für den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen und eine Verdoppelung der Einmalzahlung gesorgt haben. Wir haben die Verbesserung der Behandlung unserer seelisch verwundeten Soldatinnen und Soldaten erreicht. Wir haben die Härtefall-Stiftung eingerichtet. ({2}) Wir haben gemeinsam die Verbesserung der Betreuungskommunikation erreicht. Wir haben die Verbesserung der Ausrüstung und des Schutzes unserer Soldaten im Einsatz erreicht. Wir werden in Zukunft die Fähigkeit zur Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger selbst zu 100 Prozent, in toto, haben. Wir haben mit dem Soldatengesetz eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Dienst aller Soldaten erreicht. Wir haben einen einheitlichen Gerichtsstand für Auslandseinsätze der Bundeswehr geschaffen. Wir haben die zentrale Zuständigkeit des Bundes für die Versorgung der Verwundeten, Geschädigten und Hinterbliebenen erreicht. Das ist ein wesentlicher Schritt nach vorne, um auch den schlimmen Auswirkungen von Auslandseinsätzen gerecht werden zu können. ({3}) Wir werden für Verbesserungen im Hinblick auf das Altersruhegeld, die Steuerfreiheit der Reservistenbezüge und die teilweise Steuerfreiheit der Bezüge von freiwillig Wehrdienstleistenden sorgen. Die Gehälter von Beamten, Richtern und Soldaten wurden in den letzten vier Jahren um insgesamt 8 Prozent erhöht: Gehaltssteigerung im öffentlichen Dienst plus Wiedergewährung des Weihnachtsgeldes. Der finanzielle Ausgleich für mehrgeleisteten Dienst der Soldatinnen und Soldaten wurde fast verdoppelt. ({4}) Und: Die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskosten und Trennungsgeld blieb erhalten. All das sind Dinge, die, mit Verlaub, auch im Rahmen der erfolgreichen Zusammenarbeit in dieser Koalition erreicht werden konnten. ({5}) Ich möchte die letzte Minute meiner Rede, die wahrscheinlich meine letzte Rede in diesem Parlament sein wird, dazu nutzen, mich an erster Stelle aus tiefster Überzeugung und aus tiefstem Herzen bei unseren Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien für das zu bedanken, was sie für uns tun und was sie für uns erleiden müssen. Es ist für uns alle eine Verpflichtung, das nie zu vergessen. Ich möchte mich besonders bei den Kolleginnen und Kollegen des Verteidigungsausschusses bedanken - bei allen. Es hat viel, viel Freude gemacht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, an dieser Stelle sagen zu können - gerade auch im Hinblick auf die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne -: Trotz vieler Unterschiede in der parteipolitischen Ausrichtung war es allen Kollegen ein Herzensanliegen, für unsere Soldatinnen und Soldaten das Beste zu erreichen. Das hat mich zu einem tief überzeugten Anhänger des Prinzips der Parlamentsarmee gemacht. Ich glaube, meine Damen und Herren, trotz aller parteipolitischen Unterschiede ist das, was wir hier erreicht haben, ein Gut, das wir alle sorgfältig pflegen sollten, für das wir einstehen sollten. Wir müssen immer wieder klarmachen, dass dieses Parla30130 ment für die Sicherheitspolitik unseres Landes, aber auch für das Wohlergehen unserer Soldatinnen und Soldaten einsteht. Wir sollten allen möglichen Überlegungen, das Prinzip der Parlamentsarmee bzw. die Rechte des Parlamentes an dieser Stelle zu verwässern, auszuhöhlen oder abzuschaffen, mit allem Nachdruck gemeinsam entgegentreten. Die Soldaten brauchen uns alle! ({6}) Es war eine tolle Zeit mit Ihnen. Es war eine tolle Zeit mit den Soldaten. Ich melde mich ab. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kollegin Hoff, da Sie für den nächsten Deutschen Bundestag nicht wieder kandidieren, ist dies eine gute Gelegenheit, Ihnen herzlich für die Arbeit zu danken, die Sie in diesem Parlament insbesondere, aber nicht nur in dem Aufgabenfeld, das Gegenstand dieser Debatte heute Morgen ist, geleistet haben. Ich hoffe sehr, dass Sie sich, auch wenn Sie sich aus dem Deutschen Bundestag verabschieden, nicht von der Politik abmelden, und wünsche Ihnen für die nächsten Jahre alles Gute. ({0}) Paul Schäfer ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({1})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Werter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestagspräsident hat zu Beginn unserer Debatte an den deutschen Soldaten erinnert, der letzte Woche umgekommen ist. Auch wir trauern um ihn. Nach den Momenten des Innehaltens stellen sich Fragen: Warum? Wofür? Musste das sein? - Diese Fragen kann man nicht abweisen, man darf sie nicht abweisen. Sie verbinden sich für uns damit, dass wir den Einzelfall beklagen, aber zugleich alle Opfer eines Gewalteinsatzes, nicht zuletzt die zivilen Opfer des Krieges, in den Blick nehmen. Daher geht es für uns immer auch um mahnendes Erinnern, nicht um verklärendes. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über den Stand der Bundeswehrreform. Der Verteidigungsminister sagt gerne „Neuausrichtung der Bundeswehr“. - In Wahrheit haben wir diese Ausrichtung seit 20 Jahren, und Sie wollen nun das Tüpfelchen auf dem i anbringen: Die Rede ist vom Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee. Sie schreiben, Herr Minister, die Neuausrichtung der Bundeswehr orientiere sich streng an den sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen. Nun ja, zunächst, was die Wirtschaft anbetrifft: Vor drei Jahren hieß es angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise noch, dass auch die Streitkräfte ihren Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte leisten müssten. Heute haben wir immer noch Finanzkrise; aber jetzt heißt es wieder: Sicherheit hat ihren Preis. - Der Verteidigungshaushalt soll im nächsten Jahr statt wie eigentlich geplant 27,6 Milliarden Euro jetzt doch wieder 32 Milliarden Euro umfassen. Sie mögen sich das als Erfolg ans Revers heften, Herr Minister; aber das geht alles zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Deshalb bleiben wir bei dem Schluss: Die Bundeswehr ist und bleibt auch nach ihrem Umbau überdimensioniert und entschieden zu teuer. ({0}) Das Merkwürdige ist: Gleichzeitig werden die Mittel für einen sozialverträglichen Umbau - also einen Umbau im Interesse der Soldatinnen und Soldaten - nicht ausreichen. Warum? Weil das Geld an der falschen Stelle ausgegeben wird. Das jüngste Beispiel dafür ist der Fall Euro Hawk: Über 600 Millionen Euro müssen als verbrannt gelten, weil man jetzt beschließen musste, das Projekt dieser Riesenaufklärungsdrohne zu beenden. Reichlich spät ist man auf die Idee gekommen, dass auch und gerade Drohnen eine Zulassung für den zivilen Luftraum brauchen. Das hätte man früher wissen müssen. Man hätte früher handeln müssen. ({1}) Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Politik zulasten der Steuerzahler und zugunsten der Rüstungswirtschaft gemacht wird. Man verspricht jetzt - wir haben es gestern im Ausschuss erlebt -, der Rüstungslobby künftig weniger gutgläubig gegenübertreten zu wollen. Dieses Mantra kennen wir zur Genüge. Passieren tut nichts, wird nichts. Man muss eben den ehrlichen Willen haben, den Einfluss dieser starken Lobbygruppe nachhaltig zu beschneiden, ({2}) und es wird allerhöchste Zeit, dass das geschieht. Was die sicherheitspolitische Einordnung betrifft, so schreiben Sie, Herr Minister de Maizière - ich darf das einmal zitieren -: Da Bedrohungen für die Freiheit und Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten heute nicht mehr vorrangig geographisch oder militärisch definiert sind, müssen Streitkräfte im 21. Jahrhundert ein hohes Maß an Einsatzbefähigung in einem breiten Spektrum gewährleisten … Na, das müssen Sie uns und dem Wahlvolk näher erläutern. Also, weil die globalen Risiken nicht primär militärischer Natur sind, reagieren Sie darauf mit qualitativer, breit angelegter Aufrüstung? Diese Logik ist doch absurd, und sie ist gefährlich obendrein. ({3}) Ein zweites Beispiel: Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört es Paul Schäfer ({4}) - so ist es in Ihrem Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, den wir jetzt diskutieren, zu lesen -, … die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen zu reduzieren … Richtig, genau das ist eine der wichtigsten Ursachen für die konfliktträchtigen und gewaltförmigen Entwicklungen, die es in der Welt gibt. Aber die Mittel, die notwendig sind, um diese Kluft zu schließen, müssen doch irgendwo herkommen. Dafür braucht es nicht zuletzt Abrüstung. Die Ausgaben der Welt für das Militär summieren sich auf mehr als 1 Billion Euro; das ist viel zu viel. ({5}) Im Klartext: Wir müssen aus der Rüstungsspirale raus. Sie aber wollen - siehe Kampfdrohnen - in die nächste Runde einsteigen. Wir wollen das nicht. ({6}) Herr Minister, Sie leiten die Reform der Bundeswehr wieder einmal aus Ihrer Einschätzung der globalen Risiken und Bedrohungen ab. Sie stellen Behauptungen auf. Warum man auf diese neuen Risiken militärisch reagieren müsse, das wird nicht plausibel begründet, und das kann man auch nicht. Ich nenne Beispiele: Kritische Infrastrukturen und Informationsnetzwerke seien gefährdet, sagen Sie in Ihrem Bericht. Was, bitte, wollen Sie gegen Trojaner im Netz mit militärischen Mitteln ausrichten? Oder will man vielleicht selber Schadware platzieren? Nächstes Beispiel: Transnationale organisierte Kriminalität breite sich aus. Um dieser zu begegnen, braucht man aber doch keine Panzer - das ist Sache der Polizei. ({7}) Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen drohe. Und Sie wollen der Verbreitung dieser Waffen jetzt begegnen, indem Sie selber an der nuklearen Abschreckung festhalten? Das Gegenteil ist doch richtig. Wir müssen diese Schreckensvorstellung beenden und endlich aus der nuklearen Teilhabe der NATO heraus. Das ist doch die Aufgabe, die sich stellt. ({8}) Der internationale Terrorismus bedrohe uns nach wie vor, wird dort gesagt. Wollen Sie wirklich behaupten, die militärische Seite der Terrorbekämpfung hätte den gewünschten Erfolg gebracht? Wenn wir jüngst wieder Soldaten entsandt haben, weil ein Terrorstaat in Afrika drohte - ja, die Rede ist von Mali -, dann zeigt das doch, dass wohl eher einiges schiefgelaufen ist. Die Lehre heißt aus meiner Sicht vielmehr: Den militanten Dschihadismus bekämpft man vor allem, indem man Entwicklungs- und Demokratisierungsprozesse nicht zuletzt in der arabischen Welt fördert. Panzerlieferungen an Saudi-Arabien gehören ganz gewiss nicht dazu. ({9}) Last, not least: der Dauerbrenner der gescheiterten Staaten, in denen wir - sprich: die NATO oder die EU den Staat wieder aufbauen müssten. Die Realität zeigt doch, dass das, was wir nach westlichen Maßstäben gerne als „Failed“ oder „Failing States“ bezeichnen, eher der Normal- als der Ausnahmefall in der Welt ist. Ihre Schlussfolgerung kann doch nicht ernsthaft lauten, überall militärisch intervenieren zu wollen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines Forschungsprojekts an der FU Berlin, die sich intensiv mit Afghanistan beschäftigt haben, sind zu dem Schluss gekommen, externe militärische Interventionen seien in der Regel nicht effektiv, weil ihnen meist auch in den Augen der betroffenen Bevölkerung die Legitimität fehle, und oft trügen sie, weil sie lokale Widerstände hervorriefen, zu mehr Unsicherheit und sogar zu mehr Gewalt bei. Das ist ein Punkt, über den man nachdenken muss. Ich setze noch eins drauf - ich weiß, der nächste Satz ist sehr plakativ; ich könnte das am Beispiel der pleitegegangenen Kabul Bank aber durchaus aufzeigen -: Der aggressive, auf Militär gestützte Export des neoliberalen Wirtschaftsmodells hat schon genug Schaden in den Ländern des globalen Südens angerichtet. So kann es nicht weitergehen. ({10}) Nachhaltige Fortschritte - auch das ist eine Konsequenz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind nur zu erreichen, wenn sich Akteure vor Ort finden, die sich für die Emanzipation und die demokratische Entwicklung ihres Landes einsetzen. Das ist der Schlüssel, den man in der Hand haben muss. Spätestens angesichts der gescheiterten Intervention in Afghanistan müssen Sie doch zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt sein. In Afghanistan geht es jetzt um eine Verhandlungslösung, um den NATO-Truppenabzug und um den zivilen wirtschaftlichen Aufbau. Dafür sind wir hier vor Jahren angegriffen und als naiv verspottet worden. Manchmal wäre es nicht schlecht, auf die Linke zu hören. ({11}) Der Interventionismus ist gescheitert, aber Sie bauen die Instrumentarien für eine solche Interventionsarmee aus. 10 000 Kampftruppen will man für künftige Einsätze bereithalten, das Heer soll über mehr Kampfverbände verfügen, und die Division Schnelle Kräfte wird zu einem Schlüsselelement ausgebaut. Eine solche Interventionstruppe brauchen wir nicht, und wir wollen sie auch nicht. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig: Wir müssen über die deutsche Sicherheitspolitik reden und darüber, welche Rolle die Bundesrepublik künftig international spielen will. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat einen breiten Dialog dazu eröffnet. Das ist zu begrüßen. Dazu gehört für mich auch der kritischkonstruktive Dialog mit den Soldatinnen und Soldaten. Sie haben diesen Respekt verdient. Paul Schäfer ({13}) In diesem Kontext kommen jetzt immer auch Stimmen hoch - gestützt auf die neue deutsche Dominanz in der EU -, dass wir, Deutschland, jetzt endlich als europäische Führungsmacht auftreten müssen - auch militärisch. Die Bundesregierung hat hier bislang eine eindeutige Positionierung vermieden. Sie reden wenig darüber, aber durch den Aufbau dieser militärischen Fähigkeiten schaffen Sie Fakten. Ich finde, darüber muss klar gesprochen werden. Selbst das, was ich als Schlingerkurs bezeichne - einerseits ein bisschen zurückhalten, andererseits mitmachen, was man dann bündnispolitisch verbrämt -, ist schon alles andere als harmlos und kann in einer gefährlichen Eskalationsspirale münden, wie wir am Beispiel der Patriot-Stationierung in der Türkei sehen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, hier so schnell wie möglich ein deutliches Zeichen zu setzen, dass man weder an vorderster Front noch im Hinterland für eine Intervention zur Verfügung steht und im Gegenteil alles unternehmen wird, um eine Deeskalation zu erreichen. Das fordern wir - also auch den Abzug der Patriots aus der Türkei. ({14}) Ich habe es erwähnt: Es gibt eine beunruhigende Debatte darüber, dass - leider hat auch der Minister einen entsprechenden Tonfall in seine Rede hineingebracht sich Deutschland künftig als Führungsmacht präsentieren sollte, an die sich dann die kleineren europäischen Länder anlehnen könnten, dass es also sozusagen als Big Brother, als großer Bruder, auftreten soll, auf den man sich auch aufgrund seiner militärischen Fähigkeiten stützen kann. Es ist altes Denken, dass sich Macht und Machtentfaltung in letzter Konsequenz in militärischer Potenz ausdrücken. Unser Gegenentwurf heißt: Deutschland als zivile Gestaltungsmacht. ({15}) Deutschland kann sich künftig als globaler Partner für Konfliktprävention und Wiederaufbau positionieren. Durch Abrüstung würden Mittel frei, die dafür gebraucht werden. Die Vereinten Nationen sind in ihren Bemühungen um Krisennachsorge, um Peacebuilding chronisch unterausgestattet. Sie können in der vorbeugenden Friedensarbeit jegliche Unterstützung gebrauchen. Das ist eine Aufgabe, die sich stellt. Hier könnte sich die Bundesrepublik Deutschland engagieren. Das ist unser Modell. Ich höre schon wieder den Einwurf: deutsche Drückebergerei! George W. Bush hat im Zuge des Irakkrieges geurteilt, die Deutschen seien nun einmal Pazifisten. Angesichts des Desasters und der Verwüstung durch diesen Angriffskrieg frage ich: War es nicht richtig, damals Pazifist zu sein? ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Die Linke ist für Deutschland als Zivilmacht - nicht nur, weil das eine Konsequenz aus der deutschen Gewaltgeschichte ist, sondern weil das grundvernünftig ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es sehr, dass der Verteidigungsminister heute eine inhaltlich breit angelegte sicherheitspolitische Debatte zur Neuausrichtung der Bundeswehr angestoßen hat. Dabei hat er auch zum Thema Rüstung, insbesondere zum Zusammenhang zwischen Beschaffung und Nutzung auch von Großgeräten, das Notwendige gesagt, und er hat in dieser Woche auch zum Thema Euro Hawk eine folgerichtige Entscheidung getroffen. Herr Arnold, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, war nichts als der billige Versuch, von der eigenen Mitwirkung der SPD-Fraktion an diesem Projekt abzulenken. ({0}) Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben das schlüssige Gesamtkonzept zur Ausrichtung der Bundeswehr völlig konfus kritisiert. Sie haben es tatsächlich geschafft, hier zwölf Minuten lang zu reden, ohne auch nur einen einzigen eigenen Vorschlag der SPD zur Neuausrichtung der Bundeswehr zu unterbreiten. ({1}) Damit haben Sie eine Gelegenheit versäumt. Es hätte uns interessiert, wie die Sozialdemokraten die künftige Rolle der Bundeswehr in einer weiterentwickelten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und in der NATO sehen, Herr Arnold. Es hätte uns interessiert, wie sich die SPD die Reaktion auf die neuen Herausforderungen für die Sicherheit Europas, vor allem im Hinblick auf unsere südliche Nachbarschaft, vorstellt. Allein diese Fragen - das zeigt die heutige Debatte erfordern eine breite und aus unserer Sicht auch regelmäßige sicherheitspolitische Debatte hier im Bundestag. Wir haben keinen Mangel an Debatten über die verschiedenen Auslandseinsätze, auch nicht über Teilaspekte der Umgestaltung der Bundeswehr, zumal wir heute Nachmittag zum Thema Atalanta bereits die nächste Mandatsdebatte führen werden. Um es mit konkreten Zahlen deutlich zu machen: Seit dem Urteil des BundesverfasDr. Andreas Schockenhoff sungsgerichts im Jahr 1994 zur Parlamentsbeteiligung beschließt der Deutsche Bundestag heute exakt das 120. Mandat. Wir haben also in knapp 20 Jahren rund 240 Mandatsdebatten geführt. Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungen und Fragen unserer Zeit, wie sie der Minister heute dargestellt hat, gehen weit über die konkreten Aspekte der jeweiligen Mandate hinaus, zumal die sicherheitspolitische Lage Europas - auch das wurde in der Regierungserklärung deutlich - erheblichen Veränderungen unterliegt. Es geht zum Beispiel darum, welche Auswirkungen der Wandel in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten für unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit auch ganz praktisch für die Aufgaben der Bundeswehr hat - und dies in einer Zeit, in der Europa, auch das wurde gesagt, mit der Bewältigung der Schuldenkrise zu kämpfen hat. Es ist notwendig, unsere übergreifenden Sicherheitsinteressen der deutschen Öffentlichkeit und unseren Partnern in der NATO und in der EU umfassend zu vermitteln. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Werte, die Ziele und die Instrumente unserer Sicherheitspolitik. Für alle diese Fragen brauchen wir eine regelmäßige Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands. ({2}) - Guter Vorschlag! - Um auch hier die Zahlen zu nennen: In den knapp 20 Jahren, in denen wir rund 240 mandatsspezifische Debatten geführt haben, haben wir nicht einmal zehn übergreifende Debatten zur sicherheitspolitischen Lage geführt. Anlass dafür waren die Neuausrichtung der Bundeswehr, die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011, das neue Strategische Konzept der NATO 2010, die beiden Weißbücher von 2006 und 1994, die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 sowie die von meiner Fraktion erarbeitete Sicherheitsstrategie von 2008. Angesichts der Bedeutung und des Gewichts unseres Landes in EU und NATO und mit Blick auf die vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen halten wir es für erforderlich, zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands regelmäßig eine Debatte auf der Grundlage einer Regierungserklärung, möglichst in einem jährlichen Rhythmus, zu führen. ({3}) Eine solche Debatte soll und kann kein Ersatz für die Mandatsdebatten sein. Aber sie soll für die einzelnen Einsätze auch den größeren sicherheitspolitischen und strategischen Gesamtzusammenhang sichtbar werden lassen und damit auch das Verständnis und die Akzeptanz für die Einsätze verbessern. Deshalb danken wir dem Verteidigungsminister, dass er mit der heutigen Debatte den Anfang einer regelmäßigen Generaldebatte gemacht hat. Eine solche Generaldebatte ist heute beispielweise auch mit Blick auf die erforderliche Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendig, über die der Verteidigungsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember zu beraten hat. Worum geht es? Die vergangenen Monate haben deutlich gemacht, dass wir Europäer nicht mehr in ähnlichem Umfang wie bisher auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten bauen können, wenn es um die Wahrung und Durchsetzung europäischer Sicherheitsinteressen geht. Das bedeutet: Wir brauchen nicht nur mehr Handlungsbereitschaft bei der Sicherung und Gestaltung unseres strategischen Umfeldes, sondern wir brauchen dafür auch die notwendige Handlungsfähigkeit. Der Trend geht jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Schon heute müssen wir nicht zuletzt auch als Folge der Schuldenkrise durch unabgestimmte Kürzungsmaßnahmen zunehmend nationale Fähigkeitsverluste feststellen. Diese werden zu empfindlichen europäischen Fähigkeitsverlusten führen, wenn diese Prozesse weiterhin unkontrolliert ablaufen. ({4}) Dem entgegenzusteuern, wird eine der wichtigsten Aufgaben des EU-Verteidigungsgipfels im Dezember mit dem Ziel sein müssen, eine weitaus engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit sowie aktive, mutige Schritte in Richtung einer Vertiefung der militärischen Integration zu erreichen. ({5}) - Dazu komme ich jetzt gerade. - Das alles hat natürlich auch Konsequenzen für die künftige Rolle der Bundeswehr. Im SPD-Wahlprogramm, weil Sie gerade danach fragen, heißt es, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer Europäisierung der Streitkräfte führen soll. Ja, es ist sogar von dem langfristigen Ziel die Rede, die Bundeswehr solle in einer europäischen Armee aufgehen. - In diesen grundsätzlichen Zielen sehe ich durchaus eine Übereinstimmung. Ich finde es aller Mühe wert, uns hier in diesem Hause darüber zu unterhalten, welche Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel erforderlich sind. ({6}) Was heißt das konkret? Nur ein Beispiel: Seit Jahren sind in der Europäischen Sicherheitsstrategie und im Strategischen Konzept der NATO die Aufgaben der Streitkräfte definiert. Aber hinsichtlich der Frage der geografischen Räume, in denen Europa künftig prioritär handlungsfähig sein soll, gibt es keine Übereinstimmung. Solange es diese nicht gibt, wird es auch keine echte Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben. Das aktuelle Krisen- und Konfliktpotenzial im nördlichen Afrika und im Nahen und Mittleren Osten legt es nahe, dieses als die geografisch nächstliegende Herausforderung für die europäische Sicherheit zu betrachten. Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten von regionalen Partnern oder von Regionalorganisationen, wie beispielsweise der ECOWAS, durchgeführt werden, die dazu noch mehr ertüchtigt werden müssen. Allein das Beispiel Mali zeigt jedoch, wie weit der Weg noch ist, obwohl für eine solche Ertüchtigung in den letzten Jahren viel getan wurde und auch jetzt viel getan wird. Aber sind wir uns denn hier im Hause oder in der EU über eine solche geografische Prioritätensetzung einig? Das sehe ich noch nicht. Deshalb brauchen wir hier im Bundestag eine strategische Diskussion, was die EU mit ihren zivilen und militärischen Missionen erreichen will und erreichen kann. Eine solche Debatte ist auch deshalb notwendig, weil eine derartige geografische Prioritätensetzung Folgewirkungen für die erforderlichen Fähigkeiten, die Ausrüstung und Ausbildung europäischer Streitkräfte und damit auch für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hätte. Europäisierung der Streitkräfte heißt natürlich auch mehr Pooling und Sharing, also die Vertiefung der militärischen Integration deutlich über das hinaus, was wir derzeit haben. Das bedeutet, sich noch mehr in gegenseitige Abhängigkeit zu begeben, so wie wir es bei den AWACS-Flugzeugen oder bei den Battle Groups tun. Wer sich durch Pooling und Sharing in eine Abhängigkeit von seinen Bündnispartnern begibt, will auch wissen, ob diese im entscheidenden Moment ihren militärischen Beitrag zu leisten bereit sind. Es ist die Frage, ob wir das in der Breite oder in der Tiefe tun. Der Verteidigungsminister hat zu Recht auch diese Debatte heute angestoßen. Wir wissen, dass viele unserer Bündnispartner eine stärkere militärische Integration mit Deutschland mit Skepsis sehen, weil sie mit Blick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz fragen, wie zuverlässig und berechenbar unser Land ist. Um es gleich zu sagen: Ich halte diese Vorbehalte nicht für gerechtfertigt, aber sie sind nun einmal da und behindern bisher die notwendige Vertiefung der militärischen Integration. ({7}) Deshalb müssen wir prüfen, wie weit mit Blick auf integrierte Streitkräfte eine behutsame Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes hilfreich sein kann und wie weit eine jährliche Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands vertrauensbildend bei den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und vor allem bei unseren Partnern in der EU wirken kann. Mit Blick auf den EU-Verteidigungsgipfel im Dezember können wir am Ende dieser Wahlperiode nur einige konkrete Ziele formulieren. Aber die Ergebnisse des Gipfels werden dem nächsten Bundestag Anlass bieten, die heutige sicherheitspolitische Generaldebatte fortzusetzen und zu einer ständigen Einrichtung zu machen. Dies jedenfalls ist die feste Absicht meiner Fraktion, weil wir eine solche Debatte für unverzichtbar halten und weil der Bundesverteidigungsminister dazu heute einen guten und konstruktiven Anfang gemacht hat. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, dass die Bundeswehr vor immensen Herausforderungen steht: die gesellschaftliche Veränderung, der Wandel in der Welt, der finanzielle Druck, die EU-Integration, die immense Anpassungen mit sich bringen wird, und natürlich die Tatsache, dass vor zehn Jahren niemand von uns im Traum oder auch im Albtraum daran gedacht hätte, dass die Bundeswehr heute in Mali oder im Libanon unterwegs sein kann. Genauso wenig wissen wir, was in zehn Jahren für die Bundeswehr von Belang sein wird. Deshalb ist die zentrale Aufgabe einer Veränderung der Bundeswehr, dass sie flexibel wird und flexibel auf die nächsten Herausforderungen eingehen kann. Das geht über das Zusammenhalten von Geld, und das geht über bessere Strukturen. Meine Damen und Herren, es gibt ein Märchen, das häufig zu hören ist. Viele Leute denken: Die Konservativen haben es nicht so mit sozialer Gerechtigkeit; ökologisch blind sind sie auch ein bisschen, und moderne Gesellschaft können sie auch nicht. ({0}) Aber sie können wenigstens Sicherheit, und sie können auch mit Geld umgehen. ({1}) Die Bundeswehrreform, die sogenannte Neuausrichtung, begann mit dem Spardruck. Es gab Sparbeschlüsse dieser Bundesregierung. Es war nicht der wildgewordene Guttenberg, sondern es waren die Bundeskanzlerin, der ehemalige Gesundheitsminister, der Außenminister und der ehemalige Innenminister und heutige Verteidigungsminister: Sie haben alle die Hand dafür gehoben, dass die Bundeswehr bis Ende 2014 8,3 Milliarden Euro spart. Sie haben sie nicht nur nicht gespart, sondern Sie haben jährlich noch mindestens 1 Milliarde Euro zusätzlich im Einzelplan 60 versteckt. Sie wissen ganz genau, dass diese Blase irgendwann platzen wird und dass eine Gesamtstärke von 185 000 Mann, die Sie vorgegeben haben, Herr Minister, auf Dauer überhaupt nicht finanzierbar ist. Vom Märchen der tüchtigen Konservativen ist nichts mehr übrig geblieben. ({2}) Damit bin ich beim Euro Hawk. Das kann man nicht in drei Sätzen abhandeln, wie das heute getan wurde. Sie sprechen vom Ende des Schreckens, Herr Minister. Gestern trat Ihr Rüstungsstaatssekretär vor die Presse. Erste Frage: Wie viel kostet das jetzt eigentlich zusätzlich? Wie viel Geld ist verschwendet worden? - Antwort: Wir wissen es noch nicht; wir können es noch nicht absehen. Das Ende des Schreckens ist überhaupt noch nicht absehbar. Wir wissen nicht, was alles noch kommen wird. Sie haben ein Millionenloch gegraben, von dem Sie selbst nicht mehr wissen, wie tief es eigentlich ist. ({3}) Der Rüstungsstaatssekretär hat gesagt, Ende 2011 habe er erste Zweifel gehabt, dann habe man noch einmal diskutiert, und jetzt habe man endlich die Reißleine gezogen. Am 10. Juni 2011 schreibt die Website Flightglobal.com, eine bekannte Fachzeitschrift für Rüstung, dass es einen Bericht des Pentagon gibt, der bereits deutlich mache, dass es an der Version des Global Hawk, die die Bundeswehr bestellt hat, immense Zweifel gibt und dass das Pentagon zu dem Schluss kommt, dass hier die Effizienz nicht gegeben ist. Ich frage mich: Wofür gibt es eigentlich einen Rüstungsstaatssekretär? Lesen Sie das eigentlich nicht? Wie kann es sein, dass Sie zwei Jahre brauchen, bis Sie die Reißleine ziehen? ({4}) Noch dramatischer wird es, wenn man hört, dass der Rechnungshof den Vertrag nicht einsehen darf. Die Begründung lautet: Es steht im Vertrag, dass der Rechnungshof das nicht darf. - Das ist eine massive Missachtung der demokratischen Gremien in diesem Land. Ich frage mich, ob es legal ist, in einem solchen Vertrag festzulegen, dass der Rechnungshof ihn nicht sehen darf. ({5}) Jahrzehntelang hieß die Rüstungsphilosophie: Wir machen Industriepolitik; es geht nicht um Bedarf. - Das ist ein Problem. Nun sieht man an den Verhandlungen, die Sie über die Hubschrauber geführt haben: Am Ende gibt es keine relevanten Einsparungen, wohl aber weniger Maschinen. Und so geht es weiter. Die Lehre, die Sie ziehen, hat Ihr Sprecher gestern verkündet: Wir sollten nicht mehr im Ausland kaufen. - Das heißt, Sie setzen jetzt deutlich mehr auf EADS und andere Firmen, die in vielen anderen Bereichen - Sie kennen die Beispiele genauso gehandelt haben. Ich glaube, dass das Problem hier überhaupt nicht erkannt worden ist. Meine Damen und Herren, diese Konservativen können keine Sicherheit, und sie können erst recht nicht mit Geld umgehen. ({6}) Weder ist die Neuausrichtung neu - denn in der Vergangenheit gab es schon sehr viele Reformansätze, auf die aufgebaut wurde -, noch hat sie wirklich eine Ausrichtung. Es gab am Anfang keine Ausgabenkritik, sondern Sparbeschlüsse. Dann haben Sie die Verteidigungspolitischen Richtlinien nachgelegt und gesagt, das sei eine nachgereichte Begründung, warum wir das alles eigentlich machen sollten. Dass es sich um Verteidigungspolitische Richtlinien und nicht um einen Kabinettsbeschluss handelt, ist an sich ein Beleg dafür, dass es keine ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. In Ihrem aktuell vorliegenden Bericht habe ich den Menschenrechtsbegriff ein einziges Mal gefunden. Was ich nicht gefunden habe, ist die zivile Krisenprävention. Eine solche Prävention ist nur möglich, wenn es eine ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. Aber eine solche Zusammenarbeit gibt es bei Ihnen nicht. Das führt am Ende nicht nur zu weniger Frieden, sondern auch zu deutlich mehr Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten. Das ist das Problem. Sie werden die Bundeswehr nicht dahin führen, dass sie fit für die Zukunft und VN-fähig ist, sondern Sie werden weiterhin alle verunsichern. ({7}) Die entscheidende Frage lautet: Wollen Sie das denn? Ich sehe ihn gerade nicht, aber Volker Kauder hat vor ein paar Monaten ein Interview gegeben, in dem er gesagt hat: Natürlich haben wir Werte, auch in der Außenpolitik. Aber wir haben auch Interessen, und diese sind nun einmal nicht immer deckungsgleich. Manchmal ist es so: Ja, die Saudis sind Antisemiten. Aber man muss denen eben Panzer liefern, weil sie andere für uns bekämpfen müssen. - Es gab schon einmal zwei große Kriege, die der Westen geführt hat und die das Ergebnis von Ausbalancierungsfantasien waren, nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Das haben wir in Afghanistan und auch im Irak gesehen. Sie haben daraus schlicht und ergreifend nichts gelernt. ({8}) Die entscheidende Frage lautet, ob nicht eine Kernaufgabe des Rechtsstaats darin besteht, alles daranzusetzen, dass Werte und Interessen nicht auseinandergehen. Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass Interessen werteungebunden, einfach frei florieren. ({9}) Wenn Sie Rüstungsgüter nach Katar und Saudi-Arabien verkaufen, kann ich nur darauf hinweisen - das haben wir bereits häufig getan, und das kann man nicht oft genug wiederholen -, wie moralisch verwerflich das ist und was das für die Menschenrechtssituation vor Ort und für die Abrüstungsbilanz der Bundesrepublik bedeutet. Aber man muss Sie auch darauf hinweisen, dass Sie Waffen an Länder liefern, die wiederum Gruppen mit Waffen beliefern, die in einzelnen Einsätzen auf die Bundeswehr schießen. Das heißt, Sie liefern indirekt Waffen, die am Ende gegen die Bundeswehr, die wir entsenden, eingesetzt werden. Ich glaube, das ist nicht nur moralisch verwerflich, das ist nicht nur verheerend für die Abrüstungsbilanz, sondern diese Regierung ist auch ein Risiko für die nationale Sicherheit Deutschlands. ({10}) Herr Minister, Sie sagen so häufig, Sie hätten gerne eine breite Debatte. Kommen Sie doch her! Ich schenke Ihnen Redezeit, sagen Sie doch einmal drei Sätze dazu. Sagen Sie etwas dazu, was es eigentlich bedeutet, wenn Katar Waffen bekommt und gleichzeitig die Dschihadisten, die gegen die Bundeswehr kämpfen, beliefert und finanziert. Sie wollen die Debatte und führen eine Evaluation der Bundeswehrreform 2014 durch. Das ist nach dem Wahlkampf. Dafür kann es sachliche Gründe geben. Aber es geht nicht, dass Sie sagen, Sie wollten Sicherheitspolitik an sich aus dem Wahlkampf heraushalten. Das habe ich am 8. Mai 2013 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gefunden. Das mutet nach einem Minister an, der zwar immer eine Debatte fordert, aber der einfach nicht bereit ist, vor Wählerinnen und Wählern Rechenschaft abzulegen. Wenn man sich die Bilanz anschaut, dann weiß man auch, warum. ({11}) Die Soldaten bekommen das natürlich alles mit. Die Stimmung in der Truppe ist dementsprechend. Ihre Antwort darauf ist: Nicht jammern, nicht gieren nach Anerkennung. - Das, was Sie heute „geistige Dimension“ genannt haben, besteht bei Ihnen in dem Motto „Indianer kennen keine Schmerzen“. Das ist aber ein massiv überholtes Bild vom Soldatenberuf. Es geht hier im 21. Jahrhundert um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Rechten, denen man mit ein bisschen mehr Respekt, gerade bei dem harten Job, den sie haben, begegnen sollte. Sie aber vergrößern immer nur die Verunsicherung. Die Neuausrichtung ist nicht neu, sie hat keine Richtung. Das Ziel hätte sein müssen, dass die Bundeswehr effizienter wird. Das Ziel hätte sein müssen, dass sie billiger wird. Das, was Sie vorlegen, ist teurer, vergrößert die Effizienzlücken und führt am Ende dazu, dass der Beschaffungswahnsinn weitergeht, dass die Millionenlöcher, die Sie weiterhin graben, immer größer werden. Das muss ein Ende haben. Aber es dauert nur noch vier Monate, und dann gibt es ein Ende. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Schnurr für die FDP-Fraktion. ({0})

Christoph Schnurr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004147, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der vorangegangenen Debatte bleibt nur noch zu sagen: Die Bundeswehrreform ist ein echter Erfolg. Obwohl die Opposition hier in der ersten Runde nicht über die Aspekte der Bundeswehrreform diskutiert und debattiert, sondern die Problematik Euro Hawk - die Thematisierung ist berechtigt - und die Frage von Rüstungsexporten anspricht, so wird aus der Debatte doch deutlich, dass diese Regierungskoalition viel für die Bundeswehr erreicht hat, auch mit der Bundeswehrstrukturreform. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, zur Euro-Hawk-Thematik: Ja, hier sind nicht nur Missstände aufgedeckt worden, sondern das gesamte Verfahren ist äußerst ärgerlich. Da sind wir, glaube ich, einer Meinung. Der Minister hat aus guten Gründen gleich zu Beginn seiner Rede gesagt, dass er auf diese Thematik heute an dieser Stelle nicht eingehen möchte, sondern dass wir darüber zu einem anderen Zeitpunkt debattieren werden. Wir werden dies nicht nur im Haushaltsausschuss, sondern auch im Verteidigungsausschuss noch einmal thematisieren; aber heute geht es um die Neuausrichtung. Wenn wir uns die Thematik anschauen, dürfen wir uns nicht nur darauf konzentrieren, warum es in der letzten Woche zu der Entscheidung gekommen ist, die sogenannte Reißleine zu ziehen, sondern wir müssen uns auch ganz genau anschauen, wann die ersten Vorüberlegungen angestellt wurden und die Entscheidung, dieses System zu kaufen, getroffen wurde. Letztendlich geht es auch darum, welche Fehler von 2004 bis 2013 gemacht wurden. Die Euro-Hawk-Problematik zeigt auch auf, dass wir ein Problem im Bereich der Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr haben. Deswegen ist es gut, dass im Rahmen der Bundeswehrstrukturreform in Zukunft klare Zuständigkeiten, klare Kompetenzen und eine klare Verantwortung bei Beschaffungsvorhaben vorliegen sollen. ({1}) Ich hätte, ehrlich gesagt, auch erwartet, dass die Opposition am heutigen Tag einmal erklärt, dass sie die Entscheidung, eine Reform durchzuführen, grundsätzlich befürwortet, ({2}) auch wenn sie natürlich einzelne Kritikpunkte hat. Das ist ausgeblieben. Von den Grünen hätte ich erwartet, dass sie positiv erwähnen, dass diese Regierungskoalition das umgesetzt hat, was sie seit Jahren und Jahrzehnten gefordert haben - genauso wie die FDP -, nämlich die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie ist eine Erfolgsgeschichte für die Bundeswehr. Das belegen die aktuellen Bewerberaufkommen. Die Bundeswehr hat momentan kein Nachwuchsproblem, wenngleich die Nachwuchsgewinnung eine große Herausforderung bleibt; der Minister hat es zu Recht angesprochen. Insofern ist es unser aller Aufgabe, die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu gestalten. Ja, dem Reformprozess sind eine breite Diskussion und eine breite Beteiligung im Parlament und auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Zunächst wurde die Weise-Kommission eingesetzt. Dazu fanden Meinungsbildungen in den Fraktionen, beim BundeswehrVerband und auch beim Reservistenverband statt. Der Generalinspekteur hat die verschiedenen Modelle im Verteidigungsausschuss vorgestellt, und anschließend gab es eine Festlegung der Regierungskoalition über die Eckpunkte der Neuausrichtung und daraufhin die Entscheidung des Bundesministers. Diese Reform steht in der Tat auf einem soliden Fundament, so wie man es sich wünschen kann. Meine Redezeit geht zu Ende. Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, und zwar auf die Frage der Finanzierbarkeit. Herr Arnold beispielsweise hat nämlich gesagt, es fehle an jeder Ecke Geld, unter anderem für Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war diese Bundesregierung bzw. diese Koalition, die es geschafft haben, die Bundeswehr auf eine solide Finanzierungsgrundlage zu stellen, auch durch ganz bestimmte Maßnahmen, etwa dadurch, dass wir das Sparziel gestreckt haben; das ist richtig. Aber heute ist der Finanzierungsrahmen besser als vor vier Jahren. Mit Blick auf das Wahlprogramm der Grünen möchte ich einen Satz zitieren - Herr Präsident, dann komme ich zum Ende -: Wir wollen über 10 % des derzeitigen Wehretats einsparen. ({3}) Daran sieht man in der Tat: Die einen wollen bei der Bundeswehr sparen; die anderen wollen die Bundeswehr zukunftsfit gestalten. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Wort zur Euro-Hawk-Debatte: Es ist schon bemerkenswert, dass am Mittwoch vergangener Woche im Kabinett ein Bericht zu den 30 Hauptwaffensystemen der Bundeswehr vorgelegt wurde ({0}) - ja, ja -, die strukturrelevant sind. Dieser Bericht enthält Obergrenzen hinsichtlich der Anzahl der Panzer und der geschützten Fahrzeuge; vorgesehen waren auch fünf Euro Hawk und vier Global Hawk. Zwei Tage später, am Freitag, entscheidet ein Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, dass die beiden Hauptwaffensysteme Euro Hawk und Global Hawk aus diesem Bericht herausgestrichen werden. Es ist schon bemerkenswert, wer das entscheidet. ({1}) - Herr Präsident, Herr Brandl ruft dazwischen. Geben Sie ihm Redezeit?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da Sie dem Haus nicht erst seit gestern angehören, sollten Sie mit Zwischenrufen als gelegentlichen parlamentarischen Übungen hinreichend vertraut sein. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Herr Brandl eine Zwischenfrage stellt, habe ich mehr Redezeit. Das wäre besser. ({0}) - Jetzt will er eine Zwischenfrage stellen. Da eine Zwischenfrage meine Redezeit verlängert, bin ich einverstanden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wenn ich dem zustimme, was ich ausnahmsweise tue. Bitte schön. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bartels, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Tabelle, die Sie zitiert haben, die Überschrift trägt: „gebilligte Obergrenzen“? Es geht um Obergrenzen, die vom Minister gebilligt worden sind. Es geht also nicht um etwas, was endgültig beschafft wird.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Überschrift dieser Tabelle lautet: „Strukturrelevante Hauptwaffensysteme der Streitkräfte“. Sie befindet sich auf Seite 24 des vom Kabinett gebilligten Berichts über die Neuorganisation der Bundeswehr. Ich bemerke, dass zwei Tage später ein Staatssekretär zwei dieser Hauptwaffensysteme aus der Tabelle herausstreicht. Es ist wohl mit einer gewissen Absicht geschehen, dass es der Staatssekretär und nicht der Minister war, der dies getan hat. Der Minister hat das Wort „Euro Hawk“ auch heute nicht in den Mund genommen. Das Problem, das Ihr Haus hat, ist, dass Sie seit zwei Jahren wissen, dass es gravierende Probleme bei diesen Hauptwaffensystemen der Bundeswehr gibt, und dass Sie den Bundestag nicht darüber unterrichtet haben und sich zweimal über den Haushalt weiteres Geld dafür haben beschließen lassen. Wir als Bundestagsabgeordnete wissen darüber nichts. Wir bekommen es erst auf Nachfrage mit, und dann sagen Sie: Jetzt ziehen wir die Reißleine. So geht es nicht! Das Verhältnis von Parlament und Ministerium muss anders gestaltet werden. Das ist kein vertrauensvolles Miteinanderumgehen. Sie haben die Verantwortung dafür, dass das Parlament über zwei Jahre getäuscht worden ist. ({0}) Ihre Bundeswehrreform, Herr Minister, steht unter keinem guten Stern. Sie haben noch einmal eine rein nationale Reform versucht. Das ist altes Denken. Wir Europäer stehen in den gleichen Auslandseinsätzen - auf dem Balkan, in Afghanistan, in Afrika und auf hoher See. Wir vertreten die gleichen Werte. Wir haben in Europa manche alten Strukturen. Wir alle beschließen Sparhaushalte, auch für das nationale Militär. Deshalb wäre es besser gewesen, vorher mit den Briten, den Franzosen, den Italienern, den Spaniern, den Polen darüber zu reden: Wer will wo Schwerpunkte setzen, und was kann man gemeinsam organisieren? Stattdessen hat der Verteidigungsminister erst im April in einem Interview mit dem britischen Guardian beteuert, er wolle ausdrücklich keine europäische Armee. Das scheint er für eine Art sozialdemokratisches Hirngespinst zu halten. Aber wie, um Gottes willen, ist dann diese gefährliche SPD-Politik in Ihren schwarzgelben Koalitionsvertrag geraten? ({1}) Dort steht nämlich das Ziel einer europäischen Armee. Oktober 2009! Da steht ausdrücklich: „Langfristiges Ziel bleibt für uns der Aufbau einer europäischen Armee“, übrigens „unter voller parlamentarischer Kontrolle“; das steht da auch. Recht haben Sie, vollkommen recht! Das ist ganz und gar die Meinung der deutschen Sozialdemokratie. Das darf man aber nicht nur aufschreiben; das muss man auch machen. Man muss Schritte auf dieses langfristige Ziel zu machen, wenn man es denn ernst meint. Aber Ihnen ist es nicht wirklich ernst damit, Herr Minister; siehe Guardian-Interview. ({2}) Wieso machen Sie ein Geschäft mit der bayerischen Hubschrauberindustrie, nach dem die Ihnen nun 25 Prozent weniger Hubschrauber liefert, der Bund bei der Beschaffung aber nur 2 Prozent vom Vertragsvolumen spart? Das klingt wie ein ganz besonders schlechtes Geschäft. Warum lassen Sie die überzähligen Tiger und NH90 nicht bauen und verkaufen sie zum Freundschaftspreis weiter an EU-Partner, die ihre Streitkräfte auch gerade modernisieren? Das wäre gut für die Partner, gut für die Standardisierung in Europa, gut für die Ausbildung und Instandhaltung, die man in Europa gemeinsam machen könnte, gut also auch für Europa, und ein bisschen Geld hätte es auch gebracht, jedenfalls mehr als 2 Prozent Ersparnis, für die Sie persönlich so kraftvoll mit Herrn Enders von EADS verhandelt haben. Wenn es Ihr mitgebrachter Staatssekretär gewesen sein sollte, der Sie da so schlecht beraten hat, dann wechseln Sie ihn aus! Er ist zu teuer für Sie und zu teuer für unsere Bundeswehr. Es ist der gleiche, der das Drohnendesaster zu verantworten hat. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Ihr langfristiges Reformziel eine europäische Armee ist, dann hat dieses Ziel bei dieser Reform erkennbar keine Rolle gespielt. Wenn das Ziel gewesen sein sollte, Geld zu sparen - das war der Ausgangspunkt bei Minister zu Guttenberg; wir erinnern uns: die Schuldenbremse als höchster strategischer Parameter der Bundeswehrreform -, wenn es also ums Sparen gegangen sein sollte, dann ist es damit auch wieder nichts. Fehlanzeige! Wir schauen auf die Haushaltszahlen: Sie steigen. Wohlgemerkt: Wir kritisieren nicht die steigenden Zahlen - das hatten wir Ihnen vorhergesagt -; wir kritisieren die Politik der dröhnenden Ankündigungen - 8,3 Milliarden Euro sollten eingespart werden -, die man hinterher stillschweigend wieder einkassiert. Das ist es, was die Öffentlichkeit als schlechtes Reformmanagement wahrnimmt. ({4}) Hören Sie auf mit den Tricks, die es so aussehen lassen sollen, als würde doch kräftig gespart! In Wirklichkeit werden nur Kostenblöcke verschoben. Das passt nicht zu Ihrem seriösen Image, Herr Minister. Wenn 2 500 Zivilbeschäftigte aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministers in die nachgeordneten Bereiche des Innenministers und des Finanzministers outgesourct werden mit der gleichen Aufgabe, nämlich für die gleiche Bundeswehr Bezüge und Beihilfen zu berechnen und Dienstreisen abzurechnen, nur hinter einem anderen Türschild, dann ist das nahe an haushaltspolitischer Täuschung. Es spart nicht. Im Gegenteil: Ihre eigenen Fachleute geben zu, dass sogar noch Zusatzkosten für neue IT anfallen. Wir lehnen diese Verstöße gegen den Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit ab. ({5}) Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warum diese fünfte Bundeswehrreform innerhalb von 20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges noch einmal mit diesem großen Pathos des ganz Neuen, endlich einmal vernünftig Durchdachten, objektiv Richtigen angepriesen wurde. Eine Nummer kleiner hätte es vielleicht auch getan. Es war bisher nicht alles Murks, und es wird in Zukunft nicht alles Gold. Man muss nicht an jedem Schräubchen drehen, nur weil man es kann. Dass so viele Soldatinnen und Soldaten, so viele Zivilbeschäftigte heute immer noch nicht wissen, wie es mit ihrer beruflichen Zukunft weitergeht, das ist kein Zufall, das ist kein Versehen; das ist strukturell so gewollt. Minister de Maizière hat selbst immer wieder die Metapher benutzt, er wolle die Treppe von oben kehren, also mit den Veränderungen oben anfangen. So läuft das jetzt auch ab. Das heißt für viele an der breiten Basis, in den Bataillonen und Dienststellen: Sie werden die Letzten sein, die Sicherheit über Dienstposten und die eigene Verwendung haben. Wenn dieses personalwirtschaftliche Prinzip „die Treppe von oben kehren“ ein Experiment gewesen sein sollte, dann würde ich empfehlen, es als gescheitert zu betrachten. Es hat sich nicht bewährt. Drei Jahre nach Ausrufung der neuen Reform durch Minister zu Guttenberg herrschen immer noch Unsicherheit und Unbehagen bei den meisten Reformbetroffenen vor. Der BundeswehrVerband hat das mit seinen Umfragen eindrucksvoll bestätigt. Das Bild vom Burn-out der Bundeswehr, mit dem Oberst Kirsch die Lage gekennzeichnet hat, ist sehr treffend. Deshalb werden wir Sozialdemokraten diese Reform nicht wieder komplett umkrempeln, wenn die Regierung wechselt. Manches ist ausgezeichnet gelungen und sollte von Dauer sein: Das Heeresmodell der sechs Standardbrigaden ist gut, ebenso das Festhalten am gepanzerten Kern. Zum Schluss noch ein Wort zur Amtsführung des Ministers, der diese Reform zu verantworten hat. Es gab viele Vorschusslorbeeren ({6}) und auch weithin anerkannte Verdienste aus der Zeit der vorherigen Regierung. Thomas de Maizière ist in jeder Beziehung ein anderes Kaliber als Karl-Theodor zu Guttenberg. Aber es läuft im Moment nicht so gut für den Minister. ({7}) Wenn ich mir das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit anschaue, stelle ich fest: Es wachsen die Irritationen und die Kritik. ({8}) Der Satz mit den Worten „Gier nach Anerkennung“ hat viele Soldaten vor den Kopf gestoßen. So sollten Sie als oberster Dienstherr nicht über Ihre Untergebenen reden, Herr Minister. ({9}) Ihre Debatte um den Veteranentag hatte etwas sehr Künstliches. Gut, dass Sie hier keine allzu hohen Erwartungen mehr wecken. Der seltsame HubschrauberEADS-Deal und das Euro-Hawk-Debakel zeugen nicht von hoher Regierungskunst. In der Kampfdrohnenfrage haben Sie sich offenbar erst von den eigenen Leuten wieder auf den Boden der Realität holen lassen. Nichts überstürzen; es gibt heute keine Fähigkeitslücke. Und dass alle Waffen ethisch neutral seien, haben Sie natürlich nicht ernst gemeint. Das können Sie nicht ernst gemeint haben, Herr Minister. Die Bundeswehr hat heute im Einsatz und in der Reform schwierige Zeiten zu bestehen. Es ist nicht die Aussicht auf geniale neue Strukturen, die gegenwärtig sozusagen den Laden am Laufen hält, sondern es sind die Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten, die nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern kameradschaftlich und kollegial das Chaos meistern und dem täglichen Wahnsinn trotzen, weil sie ihren Dienst und die ihnen anvertraute Aufgabe mögen. Sie tun oft sehr viel mehr als ihre Pflicht. Ich danke Ihnen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Burkhardt Müller-Sönksen hat nun für die FDP-Fraktion das Wort. ({0}) Nein, es ist gar nicht wahr. Entschuldigung, ich habe den Kollegen Otte übersehen. ({1}) - Ja, ist gut. Wir können das aber friedlich lösen, bevor beide gleichzeitig am Pult stehen. ({2}) Bitte schön, Herr Kollege Otte. ({3})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Bartels, Ihre Rede war kein wirklicher Ansatz von Kritik. Sie haben um Argumente gerungen, haben aber kein wirklich gewichtiges Argument genannt. Ich habe mich zudem gefragt, warum Ihr Spitzenkandidat heute nicht eine Minute bei dieser Regierungserklärung anwesend war. Entweder hat er den Anspruch verloren, oder ihm ist das zentrale Thema der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht wichtig. ({0}) Der erfolgreiche Einsatz für Frieden auf dieser Erde und für die Sicherheit unseres Landes ist nicht selbstverständlich. Es bedarf dazu einer andauernden Anstrengung und eines konsequenten Handelns. Ich danke daher ausdrücklich zu Beginn meiner Rede unserem Verteidigungsminister Thomas de Maizière dafür, dass er die Neuausrichtung der Bundeswehr als konsequente Antwort auf die sicherheitspolitische Analyse gleichsam mit Ruhe, Stärke und Weitsicht erfolgreich vorangetrieben hat. ({1}) Diese Neuausrichtung stellt die wohl intensivste Anpassung der Streitkräfte in der Geschichte der Bundeswehr an die Erfordernisse der Gegenwart und der Zukunft dar. Die Aussetzung des verpflichtenden Wehrdienstes, die damit einhergehende Reduzierung des Truppenumfangs und die Schließung von Standorten sind - das ist ganz klar - eine Herausforderung für die Beteiligten. Unter dem Strich war und ist die Neugestaltung der Bundeswehr eine zwingende Schlussfolgerung der sicherheitspolitischen Analyse. Die christlich-liberale Koalition hat sich dieser Aufgabe angenommen und den Umbau der Armee sicherheitspolitisch begründet, demografiefest ausgestaltet und finanzpolitisch abgesichert. Diese Neuausrichtung gibt der Bundeswehr bis weit in die Zukunft hinein Handlungssicherheit. Viel mehr noch: Die Sicherheit Deutschlands - darum geht es bei der Bundeswehr in erster Linie - kann auf diese Weise gewährleistet und gestärkt werden. Es darf und wird aber keine weitere Reduzierung des Umfangs geben, schon gar nicht aus finanziellen Gründen. Dafür stehen wir von der Union auch nach der Wahl. Das unterscheidet uns von der Opposition. ({2}) Eng mit einer soliden Finanzierung hängt die Modernität der Ausrüstung zusammen. Die Bundesregierung hat mit einer soliden Planung und einer moderaten Verringerung von Stückzahlen den finanziellen Handlungsspielraum der Bundeswehr verbessert. Erstmals seit Jahrzehnten ist der Druck auf den Ausrüstungstitel gesunken und Geld für andere Dinge verfügbar gemacht worden. ({3}) Die Bundeswehr ist während unserer Regierungszeit zu einer der modernsten Armeen der Welt geworden. Wir haben die richtigen Lehren aus den Einsätzen für die Beschaffung gezogen. ({4}) Vor der Neuausrichtung waren die Systeme zum Teil erheblich verzögert geliefert worden. Das hat sich mit dem neuen Beschaffungs- und Nutzungsprozess wesentlich verbessert. Wir Verteidigungspolitiker haben die langen Entwicklungs- und Lieferzeiten nicht geduldet. Das neue Beschaffungskonzept ist der richtige Schritt. Es dokumentiert den Willen der notwendigen engen Zusammenarbeit aller Beteiligten aus der Truppe und mit der Fachexpertise der Wirtschaft, mit dem Ziel, das Gerät zu beschaffen, das unsere Soldaten für den Einsatz in allen denkbaren Szenarien benötigen. Daraus abgeleitet wurde das Prinzip „Breite vor Tiefe“. Dieses Prinzip ist richtig; denn es ermöglicht uns politische Handlungsoptionen und macht uns flexibel in der Gestaltung von Mandatsausübungen. Auf diese Weise kann Deutschland seiner sicherheitspolitischen Verantwortung in Europa und der Welt nachkommen. Die Neuausrichtung - „Breite vor Tiefe“ und Steigerung der Durchhaltefähigkeit auch durch multinationale Ergänzungen - steht für das, was wir wollen; denn sie ist Ausdruck von Souveränität, von Kooperationsfähigkeit und von Bündnistreue. Dafür steht die Union. Dafür steht auch Deutschland. ({5}) Meine Damen und Herren, ich sehe auch in sicherheitspolitischer Hinsicht zum jetzigen Zeitpunkt keine Alternative zu dieser Maßgabe. Wir sind uns einig: Deutschland kann und will Konfliktvermeidung und -verhütung in mandatierten Einsatzgebieten nicht alleine durchführen. Kein Land in einer eng vernetzten Welt kann das. Eine immer engere Zusammenarbeit der Nationen innerhalb von UN-Mandaten, innerhalb der NATO und der EU-Staaten durch Pooling und Sharing ist ein gangbarer, ja zukunftsfähiger Weg, und zwar auch um unterschiedliche Fähigkeiten in einem Einsatz bereitzustellen. Es stellen sich aber zwei grundlegende Fragen: Erstens. Wie erhalte ich die einzelnen Fähigkeiten in den Bündnisstaaten? Zweitens. Wann und wie beginne ich mit der Zusammenarbeit unter den neuen Bedingungen? Visionen von einer europäischen Armee sind gut und schön. Wir sollten aber nicht euphorisch damit umgehen. Wir sollten nicht nur den großen Wurf suchen, sondern uns ganz pragmatisch um die Umsetzung kümmern. Die Europäische Union wurde schließlich auch nicht an einem Tag erschaffen, sondern Schritt für Schritt. Die Sicherheitspolitik ist für die christlich-liberale Koalition zu wichtig, um aus ihr ein Experimentierfeld zu machen. Ich warne davor, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Vielmehr müssen wir Smart Defense auch smart betreiben und Pooling und Sharing vom Kopf auf die Füße stellen. Wenn das Motto „Train as you fight“ für die Bundeswehr richtig ist, dann bestimmt das auch die multinationale Ebene. Wir arbeiten im Einsatz sehr erfolgreich mit unseren Partnern zusammen. Meines Erachtens beginnt die Zusammenarbeit als solche aber zu spät. Wir sollten vielmehr früher ansetzen und in Form einer gemeinsamen Ausbildung beginnen, und zwar dort, wo es schon heute möglich ist. Es gibt hier gute Beispiele, etwa bei der Tiger-Ausbildung oder der gemeinsamen Nutzung des Gefechtsübungszentrums. Wenn wir abwarten, bis im europäischen Abstimmungsprozess für jede Nation Kernfähigkeiten definiert sind, werden wir nirgends in Europa funktionierende Streitkräfte erhalten können. Es kann gelingen, mit einer gemeinsamen Ausbildung zu beginnen, ohne damit einhergehende staatsrechtliche Probleme, etwa die Parlamentsbeteiligung usw., usf., sofort regeln zu müssen. Durch die Multinationalisierung der Ausbildung und der Ausbildungseinrichtungen würde die europäische Interoperabilität auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Das ist aus meiner Sicht die Fortführung einer erfolgreichen Neuausrichtung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die christlich-liberale Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben bei der notwendigen Konsolidierung nicht nur in der Wirtschaftsund Finanzpolitik, sondern mit der Neuausrichtung der Bundeswehr auch in der Sicherheitspolitik erledigt. Es zeigt sich, Herr Nouripour: Wir können zusätzlich Umwelt, wir können Bildung, wir können Soziales, wir können Arbeit, und deswegen werden wir am 22. September das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler bekommen. ({6}) Ich komme nun zu denjenigen, die für uns bei der Neuausrichtung die wichtigsten Beteiligten sind: die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr, die die Reform bei laufendem Einsatz gestalten müssen. Für sie muss die Bundeswehr trotz aller reformbedingten Veränderungen ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Ich bin der Überzeugung, dass wir hier eine ordentliche Bilanz vorweisen können und einen guten Job gemacht haben. Mit der Besoldungsverbesserung und der Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes wurden Bezugserhöhungen um durchschnittlich 8,1 Prozent sichergestellt. Mit dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz ({7}) wurde die Versorgung von im dienstlichen Einsatz Geschädigten und der Hinterbliebenen wesentlich verbessert. Gerade im Bereich PTBS konnte viel gemacht werden. Ich weise auch auf die Härtefall-Stiftung für Radargeschädigte und auf das Bundeswehrreform-Begleitgesetz hin, mit dem wir gemeinsam den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen erreicht haben, aber auch auf die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die über einen sehr kompetenten Background verfügt und sich jetzt mit Vorfällen im Einsatz auseinandersetzen kann. Bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie ist noch Luft. Hier haben wir die gemeinsame Absicht, noch vieles zu erreichen. Aber noch nie wurden in einer Legislaturperiode so viele Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten erreicht. ({8}) All das dokumentiert: Die christlich-liberale Koalition ist für die Bundeswehr und für unser Land richtig. Meine Damen und Herren, ich habe skizziert, woher wir gekommen sind und wohin wir wollen. Ich freue mich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit unserem Bundesverteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière. Mein Dank gilt auch unserem Koalitionspartner, der FDP, mit dem wir immer sehr gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben. ({9}) Ich grüße an dieser Stelle unseren verteidigungspolitischen Sprecher Ernst-Reinhard Beck, der heute nicht hier sein kann. Vor allem danke ich im Namen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern, die in der Bundeswehr ihren Dienst leisten. Ihnen gilt unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie stehen für unsere Bundeswehr, für Frieden und Freiheit, für Verlässlichkeit und Professionalität, für die Sicherheit unseres Landes, und dafür danken wir ihnen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Müller-Sönksen das Wort. ({0})

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist eine Erfolgsgeschichte der koalitionsgeführten Bundesregierung; das muss angesichts der heute hier teilweise neben dem Thema des Tagesordnungspunktes geäußerten Kritik gleich am Anfang unterstrichen werden. ({0}) Der Fokus der Neuausrichtung liegt völlig zu Recht auf der Optimierung der Einsatzfähigkeit. Die Reform ist kein Selbstzweck, sondern wird die Bundeswehr flexibler machen, damit sie ihre zukünftigen Aufgaben bestmöglich erfüllen und unseren Verbündeten weiterhin ein verlässlicher Partner sein kann. Die grundsätzlichen strukturellen Veränderungen dieser Legislaturperiode gehen mit einem Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung unserer Soldaten und Soldatinnen einher. So hat die Aussetzung der Wehrpflicht - ein lang verfolgtes Ziel der FDP - eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen. Mit dem Reformbegleitprogramm und legislativen Grundlagen wie dem novellierten Einsatzversorgungsgesetz reagieren die Koalitionsfraktionen auf diese gesellschaftlichen Veränderungen. ({1}) Die Bundeswehr soll auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein, der motivierte und engagierte junge Menschen anspricht. Wenn ich die Opposition heute so höre, dann weiß ich gar nicht, ob Sie mit Ihren Reden überhaupt noch motivierte Menschen ansprechen und adressieren wollen, um sie für unsere Bundeswehr zu gewinnen. ({2}) Wenn wir gemeinsam wollen, dass die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber bleibt, müssen wir dafür sorgen, dass die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass sie sich im Worst Case auf die Unterstützung der Bundesrepublik verlassen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten sollen wissen, dass wir im Ernstfall für sie und ihre Angehörigen sorgen. Sie sollen sich nicht als Bittsteller fühlen. Anerkennung für die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten drückt sich in jeder öffentlichen Würdigung aus, auch zum Beispiel im Umgang mit den Verwaltungsbehörden. Es ist deshalb ein großer Erfolg, dass traumatisierte Soldatinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt werden als ihre Kameraden, die sichtbare körperliche Schäden erlitten haben. Ich bin dankbar, dass wir dieses wichtige Thema gemeinsam, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, angepackt haben. ({3}) Wir haben auch eine Härtefall-Stiftung ins Leben gerufen, damit niemand in Bezug auf die Absicherung durch das Raster fällt. Ich denke dabei vor allem an die Soldatinnen und Soldaten, bei denen sich die Verfahren auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung über Monate, manchmal Jahre hinziehen und die hierdurch in eine finanzielle Schieflage geraten, von dem psychologischen Druck in dieser Situation ganz zu schweigen. Neben den konkreten Verbesserungen in der Versorgung brauchen wir vor allem einen Paradigmenwechsel, was die öffentlichen Anerkennung der Veteranen und der Gefallenen angeht. Das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften wurde einmal sehr passend als „freundliches Desinteresse“ beschrieben. Im Rahmen dieser Reform gilt es, deutlich zu machen: Die gefallenen Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft. ({4}) Wir brauchen keine zur Schau gestellte Symbolpolitik - nein, weiß Gott nicht -, sondern Aufrichtigkeit im Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten, die wir aufgrund der Beschlüsse unseres Parlamentes in die Einsätze schicken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die Neuausrichtung der Bundeswehr weiter vorantreiben und die wichtige Debatte um die Verankerung der Truppe in der Gesellschaft offensiv führen. Die Bundeswehr wird gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam beschreiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich auf diese Legislaturperiode zurückblicke und nachdem ich die heute vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage gelesen habe, bin ich schon etwas stolz darauf, was der Bundeswehr unter ihren Verteidigungsministern und mit der großen Unterstützung des Parlaments in den letzten Jahren gelungen ist. Die Bundeswehr ist 23 Jahre nach Ende des Kalten Krieges im Jetzt angekommen. Sie hat sich in den 23 Jahren Schritt für Schritt von einer Armee der Landesverteidigung zu einer modernen Einsatzarmee entwickelt. Es war ein langer Weg mit vielen schweren Schritten. Der größte und letzte Schritt war die Aussetzung der Wehrpflicht. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben uns in der Union gerade mit dem letzten Schritt, der Aussetzung der Wehrpflicht, sehr schwergetan; aber am Ende haben wir uns dafür entschieden, weil wir wussten, dass dieser Schritt notwendig ist. Wir haben den Soldaten in den letzten vier Jahren ziemlich viel zugemutet. Einen Apparat wie die Bundeswehr bewegt man nicht so einfach. Vom Kabinettsauftrag bis zur Verkündigung der Feinausplanung vergingen zwei Jahre Planungszeit. Das bedeutete: Zwei Jahre lang Unsicherheit für jede einzelne Organisationseinheit. Erst danach konnte der einzelne Soldat der Frage nachgehen: Was passiert mit mir? Kann ich bleiben? Wie sehen die Modalitäten aus, wenn ich ausscheide? Wo finde ich meinen Platz in der neuen Bundeswehr? Es gibt viele Soldaten, für die diese Fragen immer noch nicht endgültig geklärt sind. Hinzu kommt, dass wir in der Übergangsphase noch die alten Strukturen haben, aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht aber plötzlich viel weniger Soldaten, die diese Strukturen ausfüllen müssen. Als Betroffener wäre ich mit dieser Situation auch unzufrieden. Ich werbe aber auch um Verständnis. Jeder Soldat und jeder Zivilbeschäftigte hat neben dem Anspruch auf Information auch einen Anspruch darauf, dass eine einmal verkündete Entscheidung gültig bleibt. Darauf muss man sich verlassen können. Wenn man diesen beiden Ansprüchen gerecht werden will, dann muss gründlich geplant werden, und alle Abhängigkeiten, die in einer Armee bestehen, müssen berücksichtigt werden. Das braucht Zeit. Ich habe großen Respekt vor denen, die diese Neuausrichtung fachlich planen. Ich habe großen Respekt vor den Vorgesetzten, die vor der nicht immer einfachen Aufgabe stehen, ihren Soldaten erklären zu müssen, dass noch nichts sicher ist. Sie müssen ihren Soldaten die Neuausrichtung erklären und ihnen sagen, dass es noch ein bisschen dauern wird, bis endgültige Entscheidungen getroffen werden und der Nutzen sichtbar wird. Ich habe auch großen Respekt vor den Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien, die diese Phase der Unsicherheit aushalten müssen. ({0}) Sie alle leisten das neben ihrem normalen Auftrag und den Einsätzen, bei denen wir nicht einfach eine Pause einlegen können. Dafür möchte ich ihnen von dieser Stelle aus meinen Dank und meine große Anerkennung aussprechen. Die Unsicherheit, die uns in dieser Phase der Umsetzung der Neuausrichtung begleitet, wird mit jedem Tag kleiner werden. Ich bin sicher, dass eine vergleichbare Reform auf absehbare Zeit nicht notwendig sein wird. Für mich hat die Bundeswehr ihre Zielstruktur erst einmal erreicht. Ich möchte das kurz begründen: Maßgeblich für die Neustrukturierung war der Bedarf an einem möglichst breiten Fähigkeitsspektrum. Daneben waren die verfügbaren Finanzmittel und das verfügbare Nachwuchspotenzial strukturbestimmend. Ich weiß noch sehr genau, dass wir im Bundestag und im Verteidigungsausschuss in den Jahren 2009/2010 über das Fähigkeitsspektrum gesprochen haben. Wir haben uns die Köpfe zermartert, wie mögliche Einsatzszenarien der Bundeswehr in der Zukunft aussehen könnDr. Reinhard Brandl ten: Wo wollen bzw. müssen wir unsere Bundeswehr in fünf oder zehn Jahren einsetzen? Damals hat niemand von uns gedacht, weder von der Opposition noch von der Regierung, dass wir nur zwei Jahre später - 2013 - mit Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien stehen würden, ({1}) und keiner von uns hat damals gedacht, dass wir einen Einsatz in Mali haben könnten - Pionierausbildung oder Einsätze im Senegal mit Lufttransport und Luftbetankung. Das war für mich prägend. Ich habe daraus die Erkenntnis gezogen, dass man das vielleicht gar nicht vorhersehen kann. Wir wissen heute nicht, welche Aufgaben wir 2015 mit der Bundeswehr zu bewältigen haben werden. Wir wissen nur, dass wir als größte Volkswirtschaft in Europa auch in Zukunft mit Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt tragen werden. Wir wissen auch, dass die Bedrohungen, insbesondere die Bedrohungen durch zerfallende, schwache Staaten, in Zukunft eher größer als kleiner werden. Deswegen war der Ansatz „Breite vor Tiefe“ richtig; denn eine erneute Verkleinerung oder ein anderer Ansatz hätten bedeutet, dass wir auf substanzielle Fähigkeiten hätten verzichten müssen. Ich tue mich wirklich schwer, zu sagen, auf welche Fähigkeiten wir verzichten können, weil ich nicht weiß, was wir in Zukunft brauchen werden; denn es gibt nun einmal Unsicherheiten in der Welt. Ich hoffe, dass wir mit der Zeit immer mehr Fähigkeiten in der NATO und in Europa gemeinsam erlangen werden. Aber das werden kleine Schritte sein, Stück für Stück. Kollege Otte hat die Ausbildung angesprochen, die man stärker europäisieren kann. Diese kleinen Schritte werden in der nächsten Zeit nicht strukturbestimmend für die Bundeswehr sein. Der zweite Grund, warum ich glaube, dass diese Struktur Bestand haben wird, ist die Finanzierung. Es ist gelungen, die Struktur der neuen Bundeswehr nachhaltig zu finanzieren. Sie erleben es in den Haushaltsverhandlungen. Die Armee insgesamt wird kleiner, die Anzahl der Soldaten und Zivilbeschäftigten nimmt ab, das Budget bleibt aber konstant. Was bedeutet das? Das heißt, dass wir das Geld, das wir sparen, in die Verbesserung der Attraktivität, in effektivere Strukturen und in die Verbesserung der Ausrüstung für unsere Soldatinnen und Soldaten stecken können. Da haben wir große Fortschritte gemacht. Das erkennen wir, wenn wir daran denken, welche Diskussionen wir am Anfang dieser Legislaturperiode geführt haben, insbesondere über die Ausrüstung der Soldaten in Afghanistan. Der Wehrbeauftragte hat damals mehrmals auf Probleme hingewiesen. Wenn ich sehe, welchen hohen, guten Ausrüstungsstand wir gerade in diesem Einsatz erreicht haben, dann muss ich sagen, dass das ein riesengroßer Erfolg für die gesamte Bundeswehr ist. ({2}) Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, dann kann ich feststellen: Niemand kritisiert, dass wir zu wenig Geld für die Bundeswehr ausgeben, sondern die Kritik richtet sich darauf, dass wir zu wenig sparen. Aber damit kann ich als Verteidigungspolitiker sehr gut leben. Ich sage auch, wem wir die gute Situation zu verdanken haben. Das ist vor allem ein Verdienst unseres jetzigen Ministers Thomas de Maizière, der gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dafür gesorgt hat, dass die Bundeswehr in Zukunft nachhaltig finanziert ist. Dafür meinen herzlichen Dank! ({3}) Der dritte Grund, warum ich glaube, dass diese Struktur hält, ist der starke Zulauf an Freiwilligen zur Bundeswehr trotz einer historisch guten Situation auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben so wenig Arbeitslose wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Wir hatten große Angst, dass die Bundeswehr nach dem Aussetzen der Wehrpflicht Probleme hat, genügend qualifizierten Nachwuchs für die Strukturen zu finden, und wir sie deswegen irgendwann verkleinern müssen. Aber heute zeigt sich, dass diese Angst unberechtigt war. Dank einer aktuellen Anfrage der Linken wissen wir, dass die Bundeswehr zum Beispiel bei den Offizieren im letzten Jahr über 10 000 Bewerber bei knapp 1 800 Einstellungen hatte. In einzelnen Bereichen, zum Beispiel bei der Marine und auch bei den IT-Kräften, gibt es Probleme, Nachwuchs zu finden. Aber wenn ich die gesamte Bundeswehr betrachte, dann ist es überhaupt kein Problem, den Bedarf zu decken, und das, obwohl die neu aufgestellte Organisation zur Nachwuchsgewinnung noch gar nicht richtig angefangen hat, zu arbeiten. Das ist ein Riesenerfolg und sagt auch etwas über den Stellenwert der Bundeswehr in der Gesellschaft aus. Jeder, der heute zur Bundeswehr geht, weiß, dass er wahrscheinlich auch in einen Einsatz gehen muss. Aber er hat das Vertrauen in die Bundeswehr und in uns Abgeordnete, dass wir über die Einsätze nicht leichtfertig entscheiden. Dieses Vertrauen haben wir uns in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der Opposition hart erarbeitet. Wir müssen dem immer wieder neu gerecht werden. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit der Neuausrichtung der Bundeswehr ein großes Projekt erfolgreich aufs Gleis gesetzt. Wir sind damit aber noch nicht am Ziel. Die Umsetzung dauert noch an. Wir werden auch in den nächsten Jahren noch kräftig anschieben müssen. Wir als christlich-liberale Koalition haben die Bundeswehr erfolgreich in das Jetzt geführt. Ich wünsche mir, ich werbe dafür und ich kämpfe dafür, dass wir im September vom Wähler den Auftrag bekommen, die Bundeswehr auch erfolgreich in die Zukunft zu führen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich Kollegen Volker Kauder.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In seinem Redebeitrag hat der Kollege Nouripour auf ein Interview von mir hingewiesen, in dem ich formuliert habe, dass es in der Politik durchaus Dilemmata geben kann. Ich habe darauf hingewiesen, dass in Saudi-Arabien keine Religionsfreiheit herrscht und dass dort Christen auch verfolgt werden. ({0}) Aber ich habe auch darauf hingewiesen, dass es in dieser Region einen Zielkonflikt zwischen der Religionsfreiheit, die wir einfordern, und den Interessen in der Außenpolitik gibt. Wer den Eindruck erweckt, dass es solche Dilemmata, solche Zielkonflikte nicht gibt, der macht den Menschen etwas vor. Ich bekenne mich in meinen Vorträgen zum Menschenrecht auf Religionsfreiheit; ich äußere mich also zu genau diesem Dilemma und verschweige es nicht. Sich aber hier hinzustellen und zu sagen, dies sei wohl ein typisches Problem einer konservativen, schwarz-gelben oder christlich-liberalen Regierungskoalition, das ist von einer Moral getragen, lieber Herr Nouripour, die ich nicht akzeptieren kann. Ich habe in diesen Tagen ohnehin den Eindruck, dass Sie von den Grünen, was Ihre moralischen Vorgaben angeht, sich zunächst einmal an die eigene Nase fassen sollten, bevor Sie anderen Leuten ständig die Moralkeule um die Ohren hauen. ({1}) Jetzt komme ich zum Thema. Ich möchte auf einen Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 18. Februar dieses Jahres und auf einen Bericht von Spiegel Online vom 12. Juni 2011 zu sprechen kommen und nur einmal die Fakten nennen, damit Sie Ihr Gewissen ein bisschen schärfen können. ({2}) - Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen: Wenn man hier in diesem Haus von einem Kollegen in dieser Art und Weise moralisch angegriffen wird, wird man wohl noch das Recht haben, sich zu verteidigen, ohne von Ihnen vorgeworfen zu bekommen, ein Oberlehrer zu sein. Das ist ja unglaublich! Sie sollten sich dafür schämen! ({3}) Jetzt komme ich zum Thema. Im Jahr 2004 wurden von der rot-grünen Bundesregierung Genehmigungen für Ausfuhren nach Saudi-Arabien erteilt. Dabei ging es um Teile für Patrouillenboote, Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Logistikausrüstung und mehr. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu: Die Geschäfte mit den Scheichs gingen also auch damals schon ziemlich gut. Auch Spiegel Online befasst sich damit, was Sie damals alles gemacht haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Kauder, Sie wollten eine Erklärung zur Aussprache abgeben ({0}) und nicht die Aussprache verlängern. ({1})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich wollte das nur sagen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich bitte sehr darum, die Grenzen der GO zu beachten. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. - Bei Spiegel Online ist zu lesen: Ich kann nur sagen: Jeder blamiert sich - so gut es geht - selbst. ({0}) Dann heißt es dort: Ein bisschen gilt das in diesen Tagen aber auch für SPD und Grüne. Das ist die Wahrheit. Geben Sie zu, dass es diesen Konflikt gibt, und tun Sie nicht so, als ob Sie sich immer astrein verhalten hätten. Sie haben nach Saudi-Arabien geliefert, obwohl Sie die Menschenrechtslage dort gekannt haben. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13480. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Linke stimmt dafür. Dagegen stimmen die beiden Koalitions- fraktionen, die Grünen und die SPD. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael Gerdes, Ulrike Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Gottschalck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Projekt Zukunft - Deutschland 2020 - Bildungschancen mit guten Ganztagsschulen für alle verbessern - Drucksache 17/13482 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aydan Özoğuz, Willi Brase, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Projekt Zukunft - Deutschland 2020 - Eine moderne Integrationspolitik für mehr Chancengleichheit - Drucksache 17/13483 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte all diejenigen, die an der Debatte jetzt nicht teilnehmen wollen, den Saal zu verlassen, damit wir in Ruhe weiter debattieren können. So, Kollege Steinmeier, Sie haben das Wort. ({3})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ja eigenartig: Kaum ist die Bundeswehrdebatte vorbei, verlassen die Kabinettsmitglieder geradezu fluchtartig die Regierungsbank, keine Bundeskanzlerin mehr da, keine Arbeitsministerin mehr da, die Plätze verwaist. ({0}) Aber genau das, meine Damen und Herren, ist eben symptomatisch: Entweder haben die Beteiligten immer noch nicht begriffen, dass es beim Thema Bildung um die zentrale Schlüsselfrage unserer gesamten Zukunft geht, ({1}) oder es ist die magere Bilanz von vier schwarz-gelben Regierungsjahren, die Ihnen so peinlich ist, dass Sie sich nicht hertrauen. ({2}) Diese Regierung hat wahrlich keinen Grund, stolz zu sein. Die bildungspolitische Bilanz dieser Regierung ist nicht nur ernüchternd, sie ist aus meiner Sicht sogar katastrophal: Statt mit vereinten Kräften den Kitaausbau voranzutreiben, haben Sie sich lieber im Hickhack um das Betreuungsgeld zerlegt. ({3}) Statt Kindern aus benachteiligten Familien gleiche Chancen zu eröffnen, haben Sie mit Ihren Bildungsgutscheinen - ich sage: erwartungsgemäß - einen Flop gelandet. Statt gemeinsam mit den Ländern zu arbeiten, beharken Sie sich gegenseitig. Ich sage Ihnen: Das Kooperationsverbot ist ein Fehler. In der Praxis taugt es nichts. Die Eltern, die Menschen verstehen es nicht. Schwarz-Gelb schafft es nicht einmal, im eigenen Laden eine gemeinsame Linie zu finden. ({4}) Ich sage für uns: Dieses Kooperationsverbot ist ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum, der beseitigt werden muss. ({5}) Wir sind dazu bereit - seien Sie es auch! Vor Jahren - Sie werden sich erinnern - fand Ihre Bundeskanzlerin es schick, von der „Bildungsrepublik Deutschland“ zu reden. Bildungsrepublik wird man aber nicht durch bloßes Beschwören. Der Begriff klingt schön, klingt anspruchsvoll; aber es braucht Taten und Entscheidungen, die den Weg dahin ebnen. Das Einzige, was Sie geebnet haben, ist der Weg in die Einbildungsrepublik: Inszenierung statt echter Politik, Simulation statt Weichenstellungen. ({6}) Aber Sie wissen es, Sie ahnen es: Das reicht nicht für unser Land. Die Menschen draußen haben es in den letzten vier Jahren immer wieder erleben müssen: Anstatt Politik zu machen, anstatt Entscheidungen zu treffen, anstatt hier in diesem Hause Gesetzentwürfe vorzulegen, tummelt sich die Regierung auf Bildungsgipfeln, Zukunftsgipfeln oder - vor wenigen Tagen erst - auf sogenannten Demografiegipfeln. Sie erstürmen einen ganzen Himalaya von Gipfeln; nur, erreicht haben Sie bisher nichts. ({7}) „Über allen Gipfeln ist Ruh“ - wenn Sie Goethe schätzen; aber ich kann Ihnen versichern: Als Goethe das geschrieben hat, hat er nicht an Politik und erst recht nicht an Ihre Regierung gedacht. Er hätte gesagt: „Über allen Gipfeln ist Ruh; aber aus Ruhe und Stillstand entsteht eben keine Zukunft“, und damit hätte er recht gehabt, meine Damen und Herren. ({8}) Sie veranstalten einen Demografiegipfel, machen aber nichts gegen den Fachkräftemangel. Sie veranstalten einen Frauengipfel, machen aber nicht wirklich etwas für Gleichstellung. Sie veranstalten Energiegipfel, machen aber keine Energiewende. Sie veranstalten IT-Gipfel, schaffen es aber nicht, den Breitbandausbau voranzutreiben. In 45 Monaten schwarz-gelber Regierung haben Sie 45 Gipfel veranstaltet. Das ist simulierte Politik in Serie. ({9}) Deshalb sage ich Ihnen: Kommen Sie hierher in den Bundestag! Legen Sie Konzepte vor für die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für gleiche Chancen von Frauen - mit einer ehrlichen Frauenquote! Und machen Sie den Weg frei für den Ausbau von Ganztagsschulen, wie wir das heute vorschlagen! ({10}) So geht Politik, die etwas will. Aber ich befürchte, Sie wollen nichts außer wiedergewählt zu werden. Mit dieser Bilanz - das kann ich Ihnen versprechen - wird daraus nichts, und das ist gut für unser Land. ({11}) Wir haben in Deutschland alle Chancen, wir könnten die erreichte Stärke nutzen und jetzt richtig loslegen; aber Sie legen unser Land lahm. Deshalb ist die Bundestagswahl in 18 Wochen eine wirklich wichtige Wahl. Entweder wir packen es und bereiten Deutschland auf die Zukunft vor, oder unser Land fällt wieder zurück. Wenn wir über Zukunft reden, dann gibt es aus meiner Sicht nur drei wichtige Themen in diesem Land, nämlich erstens Bildung, zweitens Bildung und drittens Bildung, ({12}) weil wir wissen und wissen sollten: Bildung ist der Schlüssel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für die Zukunft unserer Kinder und - das sage ich Ihnen deutlich - auch für unsere wirtschaftliche Stärke. Das erfahren Sie doch auch von Ihren Leuten. Schon heute drückt der Fachkräftemangel auf Innovation und Wachstum. Wir können es uns überhaupt nicht leisten, auch nur ein einziges Kind zurückzulassen. Jedes Jahr verlassen 60 000 Jugendliche ohne einen Abschluss die Schulen, und nach den Arbeitslosenstatistiken sind über 1 Million Menschen ohne die Chance auf geregelte Arbeit. Das sind die, um die wir uns zu kümmern haben. Für sie müssen wir uns anstrengen. Deshalb brauchen wir mehr und gute Ganztagsschulen, wie wir sie heute in unserem Antrag fordern. ({13}) Keiner bleibt zurück, jeder kriegt eine Chance: Das ist mehr als nur das Schließen von Lücken bei den Facharbeitskräften. Wir müssen am Ende die Antwort auf die Frage geben, ob unsere Gesellschaft lebenswert bleibt. Nicht der Geldbeutel, das Stadtviertel oder die Herkunft dürfen darüber entscheiden, welchen Schulabschluss ein Kind macht, sondern es muss wieder das gelten, womit wir, unsere Generation, groß geworden sind: Aufstieg durch Bildung. Die Frage ist aber doch: Was ist eigentlich von diesem großen Versprechen an die Gesellschaft - Aufstieg durch Bildung - übrig geblieben? Wenn man genau hinschaut, dann sieht man doch: Ob man heute nach oben kommt, hängt mehr denn je davon ab, ob man sich das leisten kann. ({14}) 1,5 Milliarden Euro geben heute Eltern jedes Jahr für den privaten Nachhilfeunterricht aus. Das ist nichts anderes als die teilweise Privatisierung von Bildungschancen. Kleiner Geldbeutel, kleine Chancen: Diese Rechnung darf nicht gelten. Dafür, dass sie nicht gilt, gibt es die Politik. ({15}) Gerade Kinder aus Zuwandererfamilien kommen heute nicht oder zu wenig nach oben. Ich finde schon, dass Sie sich hier besonders ignorant zeigen - ich nenne Ihnen ein Beispiel, das ich Ihnen nicht ersparen kann -, weil Sie mit dieser unsinnigen Betreuungsprämie auch noch einen Anreiz geben, dass gerade die Kinder zu Hause bleiben, die dringend auf Förderung angewiesen wären. Sie vernichten die Chance, die diese Kinder brauchen. Sie alle haben Einzelbeispiele im Kopf und sind ihnen begegnet. Ich habe erst vor wenigen Monaten ein Mädchen türkischer Abstammung getroffen, dem nach dem Hauptschulabschluss Gott sei Dank ein Lehrer gesagt hat: Hör jetzt nicht auf, mach deinen Realschulabschluss. Sie hat ihren Realschulabschluss gemacht, ist weiter gefördert worden und hat schließlich ihr Abitur gefeiert. InzwiDr. Frank-Walter Steinmeier schen hat sie das Studium schon hinter sich. Individuelle Förderung, Ermutigung in der Bildungspolitik - darum geht es! ({16}) Ich will, dass solche Beispiele keine Einzelbeispiele bleiben. Das wird uns aber nur mit mehr Ganztagsschulen gelingen. Wir haben hier zu unseren eigenen Regierungszeiten einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Das war nicht ganz einfach. Ich glaube aber, das erste Ganztagsschulprogramm, das es damals gegeben hat, war ein Durchbruch. Wenn der Anfang auch gemacht ist, so heißt das aber natürlich noch nicht, dass das Ziel erreicht ist. Die Qualität in den Ganztagsschulen, die es gibt, ist nicht überall so, wie wir uns das wünschen. ({17}) Das ist der Grund dafür, weshalb wir heute vor Sie treten und sagen: Wir brauchen ein Ganztagsschulprogramm 2.0. ({18}) Das soll den Ländern zu einem neuen Schub beim Ausbau verhelfen und dabei helfen, einen starken Akzent auf Betreuungs- und Bildungsqualität zu setzen. Ja, das kostet am Ende Geld. Unsere Programme kosten 8 Milliarden Euro über mehrere Jahre. Das geht eben nur über eine gemeinsame Anstrengung. Das funktioniert nicht mit einem Kooperationsverbot und Steuersenkungen und darf nicht über die Erhöhung der Neuverschuldung finanziert werden. Deshalb sagen wir vorneweg: Für den, der Investitionen in Bildung wirklich ernsthaft will, ({19}) darf auch ein höherer Spitzensteuersatz kein Tabu sein. Das sagen wir ehrlich vor den Wahlen. ({20}) Ich bin mir sicher, die Menschen draußen im Land sind da ein bisschen weiter als manche hier in Berlin. Die wissen oder ahnen zumindest, dass es Bildung zum Nulltarif nicht gibt, dass sich Investitionen in Bildung aber am Ende auszahlen. Ja, Bildung ist teuer, das stimmt. Aber es gibt eine Sache - hat John F. Kennedy gesagt -, die ist noch teurer als Bildung, und das ist: keine Bildung. Damit hat er immer noch recht, meine Damen und Herren. ({21}) Wir bieten Ihnen deshalb an: Beschließen Sie mit uns ein neues Ganztagsschulprogramm. Lassen Sie uns jetzt einen kräftigen Schub geben, damit 2020 jedes Kind in Deutschland, egal wo es wohnt, vor allem egal woher es stammt, egal wie arm oder reich die Eltern sind, einen Ganztagsschulplatz finden kann. Wir stehen bereit, wir stehen auch jetzt vor den Wahlen noch bereit, dafür die Weichen zu stellen. Sie können davon ausgehen, dass die Mehrheit dafür im Bundesrat steht. Wir haben keine Zeit zu vergeuden, und wir sind bereit, dafür jeden Sitzungstag zu nutzen. Wenn Sie dafür den Weg frei machen, dann können Sie sich in Zukunft Bildungsgipfel und Demografiegipfel sparen, dann können wir endlich wieder anfangen, Bildungspolitik in diesem Land zu machen. Herzlichen Dank. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Dorothee Bär für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Steinmeier, ich verstehe Ihre Nervosität, weil Sie merken, dass es im September schwierig werden wird. Dennoch finde ich es schade, dass Sie hier die Chance vertan haben, dass Sie hier einfach nur laut waren und ganz bewusst und wider besseres Wissen die ganzen Erfolge, die wir in den letzten Jahren erzielt haben, hier auch noch negieren. ({0}) Wenn sich die einzige Kritik darin erschöpft, zu fragen, wo ist denn der Minister oder die Ministerin, kann ich nur sagen: Wir sind ja da, wir reden gern mit Ihnen, und ich erkläre Ihnen auch gern, was wir alles geleistet haben. Danach werden Sie aus der Debatte rausgehen und sagen: Entschuldigung, Frau Bär, Sie hatten recht! ({1}) - Deshalb wäre es gut, einfach einmal zuzuhören. Wenn Sie behaupten, die bildungspolitische Bilanz sei katastrophal, wenn Sie sagen, der Kitaausbau gehe schleppend voran, dann ignorieren Sie Fakten. Erstens einmal war es unsere Fraktion, die diesen Kitaausbau überhaupt auf den Weg gebracht hat. ({2}) Wir waren diejenigen, die gesagt haben: Der Bund ist zwar nicht zuständig, aber wir machen das eben. ({3}) - Herr Kollege Oppermann, ich komme noch zum Betreuungsgeld, dann erkläre ich Ihnen, wie auch Sie das in Anspruch nehmen können. ({4}) Also, wir haben den Kitaausbau angestoßen. Im April haben wir beispielsweise in Bayern den 100 000. Krippenplatz eröffnet. ({5}) Damit haben wir in Bayern momentan eine Abdeckung in Höhe von 50 Prozent. Diese Woche hatten wir ein Gespräch mit Vertretern der CSU-Landesgruppe und des Bayerischen Städtetages. Der Bayerische Städtetag ist kein Gremium, in dem zu 100 Prozent CSU-Politiker sitzen. Der Präsident beispielsweise ist ein SPD-Oberbürgermeister. In unserem Gespräch gab es auch vonseiten der SPD-Oberbürgermeister und Ersten Bürgermeister einen ganz, ganz großen Dank an die CSU-Landesgruppe dafür, dass wir uns dafür eingesetzt haben. ({6}) - Ja, die Wahrheit tut weh. Spannenderweise war es eben so, dass auch Ihre SPDOberbürgermeister zu uns gesagt haben, als ich sie nach dem Rechtsanspruch gefragt habe: Rechtsanspruch, das ist ja beeindruckend, damit haben wir überhaupt kein Problem, das kriegen wir locker hin. Das hat mir zum Beispiel der Nürnberger Oberbürgermeister gesagt. Er hat auch darauf hingewiesen, dass er Angst hat oder zumindest denkt, dass einige Boulevardmedien versuchen werden, jemanden zu finden, der dann klagt. ({7}) Aber all unsere Oberbürgermeister, egal ob sie von den Freien Wählern, SPD oder CSU kommen, haben gesagt: Das ist locker ab dem 1. August 2013 einzuhalten. Es hieß nicht nur: „Danke, Bundesregierung“, sondern ganz besonders: „Danke, CSU!“ - Das sehen wir natürlich als Auftrag. ({8}) Herr Kollege Steinmeier, mir ist eines wieder aufgefallen: Ich finde es schade, dass Sie Ihre Redezeit nur dazu genutzt haben - ich kenne Sie noch von früher aus dem Auswärtigen Ausschuss, da waren Sie anders -, ({9}) unser Land und unsere Menschen systematisch schlechtzureden. Das finde ich schade. Ich finde es schade, dass unsere ganzen Bemühungen und Ansätze, die wir auf den Weg gebracht haben, schlechtgeredet werden und es nur heißt: Ja, es gibt vielleicht auch ein paar positive Beispiele. Warum werden diese ganzen Bemühungen, die vor Ort stattfinden, so kaputtgemacht, indem man sagt, das sei alles zu wenig oder das, was da an Engagement laufe, funktioniere nicht? Bei Ihnen läuft es immer auf das Gleiche hinaus. Ihre Haltung widerspricht aber völlig unserem Menschenbild. In Ihrer Rede ging es immer nur um Zwang und Bevormundung. ({10}) Schauen wir uns an, was SPD-Politiker gefordert haben: Buschkowsky fordert eine Kitapflicht für jedes Kind mit Migrationshintergrund. Hannelore Kraft hat in ihrem Wahlkampf eine grundsätzliche Kitapflicht gefordert. Herr Steinmeier fordert jetzt einen Ganztagsschulenzwang. ({11}) Was soll das eigentlich? Warum akzeptieren Sie nicht auch Optionen? ({12}) Wir sind diejenigen, die sagen: Nicht alle Kinder sind gleich. ({13}) Natürlich brauchen wir Ganztagsschulen, aber wir brauchen nicht für jedes Kind einen Platz in einer solchen Schule. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass unser Vereinswesen kaputtgemacht wird. Ich möchte nicht, dass funktionierende Familienstrukturen kaputtgemacht werden. Herr Oppermann hat eben wieder das Betreuungsgeld angesprochen. Für uns liegt der Schlüssel zu Integration und zu Bildung an allererster Stelle in den Familien. Ich lasse nicht zu, dass suggeriert wird, Bildung könne es nur außerhalb von Familien geben. ({14}) Es ist auch spannend, zu sehen, wie die SPD hier wieder versucht, publikumswirksam im Zusammenhang mit dem bösen B-Wort die Gefahr heraufzubeschwören, dadurch würden Frauen von der Erwerbstätigkeit abgehalten. ({15}) Das Betreuungsgeld mit zunächst 100 Euro und dann 150 Euro wird längstens 22 Monate und in dem Zeitraum gezahlt, in dem die Kinder zwischen 14 und 36 Monate alt sind. Die SPD dagegen plant, das Kindergeld für Geringverdiener um monatlich 140 Euro aufzustocken, ({16}) und zwar 25 Jahre lang. Damit Sie verstehen, was in diesem Wahlkampf läuft, sage ich deutlich, dass hier ganz bewusst versucht wird, Tatsachen zu verfälschen. Sie wollen 25 Jahre lang mehr Geld zahlen, während wir ein Betreuungsgeld für 22 Monaten übrigens nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter, die eine familiennahe Betreuung möchten, eingeführt haben. Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie das Betreuungsgeld kritisieren. ({17}) Herr Kollege Steinmeier, Sie sind ja nicht bei uns im Ausschuss. Erkundigen Sie sich einmal bei Ihren Familienpolitikerinnen und Familienpolitikern. Ich möchte ein positives Beispiel, ein Erfolgsmodell, herausgreifen, eines von vielen, zum Beispiel die bundesweite Offensive „Frühe Chancen“, die wir auf den Weg gebracht haben. ({18}) Auch Ihre SPD-Kolleginnen und -Kollegen loben uns andauernd dafür, auch im Ausschuss. ({19}) Wir haben 4 000 Schwerpunktkitas ausgewählt, vor allem in sozialen Brennpunkten, um da Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung zu begleiten und zu fördern. ({20}) Was ganz wichtig ist: Das gilt nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund, sondern selbstverständlich auch für Kinder aus Familien, bei denen die Spracherziehung nicht an allererster Stelle steht. Mit dieser Offensive konnten wir in den Schwerpunktkitas sehr viel Positives schaffen. Wir haben im Zusammenhang mit den Jugendfreiwilligendiensten ganz besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund angesprochen und gefördert. Wir haben die „Aktion zusammen wachsen“ ins Leben gerufen. Wir haben die Mehrgenerationenhäuser geschaffen. Schauen Sie sich einmal vor Ort an, wie da Integrationspolitik funktioniert, wie gut die Treffen für Eltern von Babys und Kleinkindern sowie die Deutschkurse angenommen werden. Insbesondere der Deutschkurs „Komm voran“ ist hier zu nennen. ({21}) - Natürlich ist das neu. Wir haben in dieser Legislaturperiode das Thema Integration extra für die zweite Förderwelle dieses Bundesprogramms auf den Weg gebracht. Hätten Sie zugehört, wüssten Sie das. Mehr Integration kann man sich überhaupt nicht vorstellen. ({22}) Uns ist wichtig: Wir stellen uns nicht so wie Sie hier hin und sagen: Alles muss vom Bund gemacht werden, Berlin kann es am besten. - Es war die unsinnige Idee von ehemaligen SPD-Ministern, alles zentralistisch nach Berlin zu verlagern. ({23}) Wir sagen: Es gilt das Subsidiaritätsprinzip. Erledigen sollen die Aufgaben vor Ort diejenigen, die es am besten können: Das sind die Menschen in den Kleinstädten, die sich für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzen und die Patenschaften übernehmen. Wir sind auf einem hervorragenden Weg. Ich möchte unseren Bundeswirtschaftsminister zitieren, der gesagt hat: Wir leben im coolsten Land der Welt. - Wir werden auch die nächsten vier Jahre für das coolste Land der Welt Politik machen. Vielen Dank. ({24})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es für die CSU gerade die richtige Zeit ist, sich so ausführlich zur Familienpolitik zu äußern. ({0}) Aber davon abgesehen haben wir ein gravierendes gesellschaftspolitisches Problem, das sich über viele Jahre entwickelt hat. Ich werde es Ihnen ganz kurz zusammengefasst wie folgt nennen: Kinder waren mal für die Familien ein Sicherheitsfaktor - Kinder sind inzwischen für die Familien ein Unsicherheitsfaktor. Wenn wir das nicht ändern, dann nutzt Ihr komischer Gipfel, auf dem Sie erzählen, dass wir irgendwann nur noch 63 Millionen statt 80 Millionen sind, überhaupt nichts. ({1}) Sie müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass die Leute wieder gerne Kinder bekommen. ({2}) Sie haben es nicht handwerklich verlernt, sondern die Bedingungen stimmen nicht. Das Bildungssystem in Deutschland ist altmodisch und antiquiert, chronisch unterfinanziert und unterscheidet die Bildungschancen ganz klar nach sozialer Herkunft. ({3}) Andreas Schleicher, der PISA-Koordinator der OECD, hat gesagt: Wenn wir die Kinder des 21. Jahrhunderts von Lehrern mit einem Ausbildungsstand des 20. Jahrhunderts in einem Schulsystem unterrichten lassen, das im 19. Jahrhundert konzipiert wurde, dann kann das so nicht funktionieren. Das gegliederte Schulsystem stammt aus dem Kaiserreich. Wir haben es bis heute nicht überwunden. Das ist ein Skandal sondergleichen. ({4}) Jetzt komme ich zum nationalen Bildungsbericht der Bundesregierung, also unser aller gemeinsamen Bundesregierung, gesetzt von CDU, CSU und FDP, von 2012. Was steht da drin? 50 000 junge Menschen sind ohne Schulabschluss. 300 000 Ausbildungssuchende - das sind 30 Prozent - landen in Übergangsschleifen. 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren sind ohne Berufsabschluss. 7,5 Millionen Menschen - das alles laut Bundesregierung - oder 14,5 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabeten. 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren wachsen in sogenannten Risikolagen auf, also mit armen oder bildungsfernen Elternhäusern. ({5}) Der Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft wird an einem Beispiel deutlich - mehr Zeit habe ich nicht -: 24 Prozent der Kinder von Nichtakademikern studieren sowie 71 Prozent der Kinder von Akademikern. Da ist doch ganz klar, welcher soziale Unterschied hier durch eine falsche Struktur im Bildungssystem manifestiert wird. ({6}) Die öffentlichen Bildungsausgaben sind bei uns im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um 20 Prozent geringer als in den meisten Industriestaaten, im Vergleich zu Skandinavien sogar um 50 Prozent. Der Gipfel ist, dass Lehrerinnen und Lehrer zum Teil prekär beschäftigt sind. ({7}) Wenn dann gesagt wird: „Das sind ja bloß Vertretungen“, dann sage ich: Dann sorgen Sie doch dafür, dass sich endlich die Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer verbessern und es an allen Schulen in Deutschland eine ausreichende Zahl von Lehrerinnen und Lehrern gibt! ({8}) Das Ganze machen wir als ein Industriestaat, der kaum über Rohstoffe verfügt und schon deshalb, aber auch wegen der sozialen Gerechtigkeit auf eine gute Bildung angewiesen ist. Wir haben 16 Bundesländer, 16 verschiedene Schulsysteme und 16 verschiedene Lehrpläne. Ich bitte Sie, da hat der Mann doch recht. Das ist 19. Jahrhundert. Das ist die Zeit der Postkutschen. Es hat mit dem 21. Jahrhundert rein gar nichts zu tun. ({9}) Es ist doch die Union, die immer den flexiblen Arbeitsmarkt predigt und sagt: Ein Ingenieur oder eine Lehrerin müssen eben dahin umziehen, wo sie einen Job kriegen, ob in Bayern, in Hessen oder in MecklenburgVorpommern. - Aber sie sollen auch Kinder haben, nach Ihren Vorstellungen am besten drei. Aber dann frage ich Sie: Wie sollen sie das gegenüber den Kindern verantworten, wenn sie jedes Mal das Schulsystem wechseln? Das wäre völlig unverantwortlich. Schaffen Sie endlich Bedingungen, dass wir von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern ein Top-Bildungssystem haben, sodass man umziehen kann, ohne sich Sorgen zu machen! ({10}) Wir können nicht - ich habe es schon gesagt - von der einfachen Reproduktion der Bevölkerung ausgehen. Sie haben gerade gesagt: Bis zum Jahr 2060 wird die Bevölkerung von 81,7 Millionen auf 65 Millionen Menschen sinken. Das wollen Sie dadurch ausgleichen, dass Sie Fachkräfte aus der Dritten Welt nach Deutschland holen wollen. ({11}) Vielleicht braucht die Dritte Welt ihre Fachkräfte selbst. Vielleicht sollten wir andere Wege gehen. Es geht schließlich auch um Integration. Ich nenne Ihnen eine spannende Zahl: 2,87 Millionen Menschen, zum Teil auch Deutsche, leben in Deutschland mit Bildungsabschlüssen aus anderen Ländern, die hier nicht anerkannt sind. Warum eigentlich nicht? ({12}) - 500 Anerkennungen im letzten Jahr. Das ist ja eine tolle Zahl. ({13}) Wir brauchen eine gebührenfreie Anerkennung ausländischer Abschlüsse. ({14}) Dort, wo es erforderlich ist, muss eine Nachqualifikation gebührenfrei angeboten werden; anders geht es überhaupt nicht. Das wäre einmal eine Leistung bei der Integration. ({15}) Welche Schule brauchen wir? Ich sage Ihnen ganz klar, auch wenn Sie das nicht hören wollen: Ja, die Gemeinschaftsschule ist die Lösung. Ich weiß, dass Sie die Gemeinschaftsschule immer Einheitsschule nennen. Das ist großer Quatsch. Gemeinschaftsschulen lassen sich ganz unterschiedlich ausrichten. ({16}) - Warten Sie doch! - Man kann Gemeinschaftsschulen für alte Sprachen, für neue Sprachen, für Musik, für Sport, für Tanz und für Mathematik und Naturwissenschaften einrichten. Man kann das sehr unterschiedlich gestalten. Ich will Ihnen die Vorteile der Gemeinschaftsschule, wie wir sie in Berlin eingerichtet haben, nennen: Es gibt keinen Schulwechsel mehr und keine feste Aufteilung in nach Leistung sortierten Gruppen, sondern einen individualisierten Unterricht und Förderung nach den jeweiligen individuellen Fähigkeiten. Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen. Das alles ist ein großer Vorteil. Als die Gemeinschaftsschulen in Berlin gegründet wurden, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeitgleich begonnen, die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, die eine Gemeinschaftsschule in Berlin besuchen, mit der von Schülerinnen und Schülern in Hamburg zu vergleichen. Bei dieser Untersuchung ist etwas Interessantes herausgekommen: Die leistungsschwachen Schüler in Berlin sind deutlich stärker als die in Hamburg, und die leistungsstarken Schüler in Berlin sind auch besser als die in Hamburg. ({17}) Die Mär, dass gerade die Leistungsstarken unter einer Gemeinschaftsschule leiden, ist damit für immer wissenschaftlich widerlegt. ({18}) Ich werde Ihnen auch sagen, warum diese Mär schon immer Quatsch war. Wenn Sie Kinder auf Eliteschulen schicken, dann isolieren Sie sie. Wenn Sie sie isolieren, dann lernen sie nicht sozial. Diese Kinder haben zwar ein größeres Faktenwissen, aber sie können letztlich nicht sozial damit umgehen. ({19}) Übrigens hat die Studie noch ergeben - auch das ist interessant -, dass das Faktenwissen der bayerischen Abiturienten größer ist als das der Berliner. Das glaube ich sofort, weil ich Abiturienten aus beiden Bundesländern kenne. Andererseits ist auch festgestellt worden, dass die Berliner Abiturienten Zusammenhänge besser erklären können. Nun frage ich Sie: Was ist eigentlich so schlimm daran? ({20}) Die bayerischen Abiturienten wissen genauer, wer wann geboren und gestorben ist, und die Berliner, warum. Warum darf man das eigentlich nicht zusammenführen? Ich verstehe es nicht. ({21}) Dann sage ich Ihnen noch etwas zur Gemeinschaftsschule. Es gibt wahrscheinlich mehrere Abgeordnete im Bundestag, die eine Gemeinschaftsschule besucht haben, aber zumindest von zwei Abgeordneten weiß ich es. Das sind Angela Merkel und Gregor Gysi. Wir beide haben eine Gemeinschaftsschule besucht. Glauben Sie im Ernst, dass wir beide die Dümmsten im Bundestag sind? Das kann sein, aber ich habe meine Zweifel. Ich will nur sagen: Gemeinschaftsschulen sind sinnvoll. Alles andere ist soziale Ausgrenzung. Wir müssen jede Begabung fördern. Das haben die Kinder verdient, und das haben wir verdient. Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sind. Kinder dürfen nach der vierten oder sechsten Klasse nicht aussortiert werden. Ich finde das abenteuerlich. Lassen Sie uns endlich ein wirklich modernes Bildungssystem in Deutschland einführen, und zwar für alle Kinder. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDPFraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Steinmeier, wenn ich nicht ganz irre und den zeitlichen Ablauf genau Revue passieren lasse, dann müssen Sie ab dem Jahre 2005 Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein. Wenn Sie sich dann hier hinstellen und eine Verfassungsreform, die Sie selbst mitgetragen haben, als „in Verfassungsform gegossenen Irrtum“ bezeichnen, dann kann ich nur eines sagen: Sie sind der hier sitzende fleischgewordene Irrtum. Das ist die Verantwortung, die Sie eigentlich wahrnehmen und der Sie sich stellen sollten. ({0}) „Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug.“ Das schreiben Sie von der SPD als ersten Satz in Ihrem Antrag. Ich sage Ihnen: Das deutsche Bildungswesen ist gut, nur nicht dort, wo Sie regieren. ({1}) Sie stellen mittlerweile Dreiviertel aller Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland. Sie tragen die Verantwortung für Dreiviertel aller Schülerinnen und Schüler in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn es also aus Ihrer Sicht in der Schule nicht gut und nicht richtig läuft, dann tragen Sie die Verantwortung dafür. ({2}) Dass ich noch erleben darf, dass es eine gemeinsame Presseerklärung des Deutschen Philologenverbandes und des Verbandes Deutscher Realschullehrer gibt - ich zitiere -: ({3}) Mit großer Sorge sehen die Verbandsvorsitzenden des Deutschen Philologenverbandes … und des Verbandes Deutscher Realschullehrer … die schulpolitische Entwicklung in Baden-Württemberg. Die von der dortigen Landesregierung bereits ergriffenen oder geplanten bildungspolitischen Maßnahmen würden nach Ansicht beider Verbände nicht nur zu einer Zerstörung und inneren Aushöhlung erfolgreicher Schularten wie der Realschule und des Gymnasiums führen, sondern mittel- und langfristig zu einem gewaltigen Qualitäts- und Niveauverlust. … Beide Verbände kündigten im Vorfeld der Bundestagswahl eine bundesweite Aufklärungskampagne über die fatalen Auswirkungen der in BadenWürttemberg und einigen anderen Bundesländern betriebenen, gegen Realschulen und Gymnasien gerichteten Bildungspolitik an. Sie sollten sich das einmal in Ihr Stammbuch schreiben lassen und Ihre Bildungspolitik verändern. ({4}) In diesem Hohen Hause wird nie irgendjemand, der in bildungspolitischer Verantwortung steht, irgendetwas dagegen sagen, dass es gute Ganztagsangebote an Schulen geben muss. Sie müssen aber vor Ort, in den Schulen, in den Regionen befürwortet werden und aus der Region heraus wachsen. Wir brauchen kein flächendeckendes Beglückungsprogramm, ({5}) wir brauchen Ganztagsschulen vor Ort, wo sie notwendig sind, und deswegen mehr Eigenverantwortung für die Schulen. ({6}) Wenn es darum geht, wer was wo finanzieren soll, so ist zu fragen: Was passiert denn in Sachsen, dem Bundesland mit dem höchsten Anteil - 73 Prozent - an Ganztagsschulen? ({7}) Ich zitiere die sächsische Kultusministerin, Frau Kurth: Wir bauen das Angebot an Ganztagsschulen ohne Bundesmittel aus. Das Geld im Landeshaushalt für Bildung ist ganz einfach eine Frage der Priorität. ({8}) Nehmen Sie sich ein Vorbild an dem, was die bürgerliche Koalition in Sachsen, was die Landesregierung an dieser Stelle tut. Ich glaube, wir müssen an dieser Stelle auch deswegen ansetzen, weil wir das Gegenprojekt gerade in meinem Heimatland Baden-Württemberg sehen. 11 600 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer werden gestrichen. ({9}) Zwei Drittel - per Presseerklärung der damaligen Kultusministerin mitgeteilt und bestätigt durch den jetzigen Kultusminister - der demografischen Rendite werden per Kabinettsbeschluss aus dem Bildungsetat herausgenommen, und dann stellen Sie sich hier hin und fordern vom Bund das Geld, das Sie auf Landesebene kürzen. ({10}) Das ist an Heuchelei und Unverschämtheit nicht zu überbieten. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Kollege Steinmeier hatte genügend Zeit, die Position der SPD darzustellen. ({0}) Ich glaube, dass wir dann vernünftig miteinander umgehen können, wenn keine Schaufensteranträge gestellt werden. Diese Bundesregierung hat gezeigt und zeigt weiterhin, was sie im Bereich der Bildungs- und Forschungspolitik zu Wege gebracht hat: über 13 Milliarden Euro Investitionen, intensive Förderprogramme, 13,8 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das ist der größte Haushalt für Bildung und Forschung, den es je in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, ein Rekordhaushalt. Das ist ein Zeichen und zeigt, wer für Bildungsaufstieg steht und für Bildungsgerechtigkeit kämpft. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre frühere nordrhein-westfälische Kultusministerin Gabriele Behler hat den Bereich der Bildungspolitik als das „Ventil für das sozialistische Gären in der SPD“ bezeichnet. Lasst uns alle in diesem Hohen Hause, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP, dafür kämpfen, dass dieses Ventil auf der Bundesebene zubleibt. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Meinhardt, Sie haben jetzt zwar ganz viel zu den Ländern gesagt, was aber Sie auf der Bundesebene machen wollen, das haben Sie uns verschwiegen. ({0}) Ich muss jetzt bedauernd feststellen, dass Sie das verschwiegen haben. Aber es ist gut, wenn man eine Debatte nutzt, um über die Sache zu reden. Ich will mit etwas anderem anfangen. In den letzten Tagen haben Sie sehr viel über die Forderungen der Grünen zur Steuerpolitik gesprochen. ({1}) Da haben Sie genauso reflexartig wie jetzt ein komplettes Zerrbild gezeichnet, Stichwort „Abzocker“. Allein das ist schon falsch. Grüne Steuerpläne entlasten 90 Prozent der Steuerzahler. ({2}) 10 Prozent der Steuerzahler hingegen werden - ja, dazu stehen wir - zusätzlich belastet. Ich will Ihnen auch sagen, warum. In dieser Gesellschaft geht die Schere zwischen Reich und Arm auseinander. Die Tatsache, dass Sie irgendwelche Berichte schönen, ändert nichts daran. ({3}) Die privaten Vermögen im Land werden größer, die öffentlichen Haushalte verarmen. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel. Wenn die Bibliotheken schließen, wenn die Schwimmbäder nicht mehr funktionieren, wenn Familien- und Jugendhilfe nicht mehr zu finanzieren sind, dann werden auch Sie feststellen, dass das Betreuungsgeld den Familien nichts, aber auch gar nichts bringen wird. ({4}) Am deutlichsten wird Ihr Irrweg in der Bildungspolitik. Ja, wir Grünen wollen hierfür mehr Geld, weil wir noch den Anspruch haben, zu gestalten, weil wir dieses Land voranbringen wollen und weil wir das Geld gezielt dorthin bringen wollen, wo wir es dringend brauchen, nämlich in der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, in der Daseinsfürsorge. Wir wollen dieses Geld in die Kinder, in Institutionen investieren. Wir wollen Armutsbekämpfung. Das ist unser Ziel. 72 Prozent der Menschen in diesem Land stimmen uns darin zu, weil sie verstanden haben, dass Gestaltung nur über diese Infrastruktur funktioniert. 90 Prozent der Menschen halten Bildung für einen der wesentlichen Faktoren der sozialen Gerechtigkeit in diesem Land. Dafür müssen wir einstehen ({5}) und nicht dafür, dass wir noch mehr privatisieren. ({6}) Von Ihnen hören wir dazu nichts. Ihr komisches Gerede von einer Bildungsrepublik ist doch nur eine Worthülse. Sie wagen doch nicht einmal selber, das hier zu verteidigen. Das spricht doch für sich. ({7}) Lesen Sie Ihre eigenen Berichte. Wir brauchen weder die PISA-Studie noch OECD-Berichte. Schon die Berichte Ihrer Häuser besagen: In diesem Land gibt es zu viele Bildungsverlierer; der Bildungserfolg in diesem Land hängt vom Einkommen des Elternhauses ab. - In Ihrer Regierungszeit hat sich daran nichts, aber auch gar nichts geändert. ({8}) Sie verstetigen diesen Zustand sogar noch, anstatt irgendetwas daran zu verändern. Die Zahlen sprechen für sich. Gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund bleiben auf der Strecke. Gestern präsentierte Frau Böhmer Zahlen, aus denen hervorgeht, dass Kinder mit Migrationshintergrund zu 46 Prozent sprachliche Defizite haben. Die Frage ist aber: Warum schauen Sie darauf? Schauen Sie sich auch deutsch-deutsche Kinder, also Kinder ohne Migrationshintergrund, an: Auch von ihnen haben 32 Prozent sprachliche Defizite. Wenn Sie die sprachlichen Defizite der Kinder der ersten Gruppe mit deren Migrationshintergrund begründen, was sagen Sie dann zu den Sprachdefiziten der deutsch-deutschen Kinder? Bei ihnen sprechen die Eltern zu Hause Deutsch, und diese Kinder haben trotzdem sprachliche Defizite. Machen Sie doch endlich einmal Ihre Augen auf! ({9}) Sie sollten endlich aufhören, ständig eine Unterscheidung zwischen deutschen Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund vorzunehmen. Schauen Sie sich einfach einmal die soziale Lage der Kinder in diesem Land an! Wir sollten uns endlich einmal darüber streiten, was der beste Weg ist, um alle Kinder, egal welchen Hintergrund sie haben, gleichermaßen bestmöglich zu fördern. Das tun Sie nicht. Das werfe ich Ihnen vor. ({10}) Was wir brauchen, ist offensichtlich: einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Kindertagesstätte. Dabei geht es um mehr als um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Reduzieren Sie diesen Rechtsanspruch nicht darauf. Gerade die Kinder, deutsche Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund - über sie rede ich -, werden die großen Verlierer Ihrer Betreuungsgeldeinführung sein; denn die Sprachbildung fängt in der frühesten Kindheit an, und Sie halten diese Kinder davon ab, bestmöglich gefördert zu werden. ({11}) Wir brauchen eine Aktion im Bereich der Ganztagsschulen. Wir müssen da entschlossener vorangehen. Ihr Protest gegen die Aufhebung des Kooperationsverbotes hindert uns daran, an dieser Stelle weiterzukommen, ({12}) Kein Mensch redet hier von Zwang. Wenn die Jugendlichen heute nicht mehr so aktiv sind - in der Feuerwehr, in den Vereinen; gerade in Bayern, Frau Bär -, dann liegt das nicht an den Ganztagsschulen, sondern an der von Ihnen vorangetriebenen Einführung von G8. Viele Kinder haben heute überhaupt keine Zeit mehr, sich um etwas anderes als um die Schule zu kümmern. ({13}) Wenn wir nicht in Bildung investieren, dann sparen wir an der Substanz dieser Gesellschaft. Wenn wir aber in die Bildung investieren, dann profitieren alle davon: die Familien, die Wirtschaft, die Gesellschaft und auch die 10 Prozent, die das am Ende mitfinanzieren. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bundesministerin Johanna Wanka. ({0})

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der SPD, ich war von Ihrem Antrag zu Ganztagsschulen positiv überrascht; denn in diesem Antrag wird ganz deutlich, dass Sie davon ausgehen: Wenn man ein neues Ganztagsschulprogramm will, muss man das Grundgesetz ändern. - Diese Erkenntnis ist schon mal ein Anfang. Ihre SPD-Länderkollegen sehen das ganz anders. ({0}) - Lassen Sie mich ausreden! ({1}) - Die kenne ich. Wahrscheinlich haben Sie die Begründung des Gesetzes zur Föderalismusreform I nicht richtig gelesen. In der Begründung steht explizit, dass man diese Änderung unter anderem macht, weil man kein Ganztagsschulprogramm will. Das hat Herr Müntefering mit Herrn Stoiber erarbeitet, und das hat die SPD mitbeschlossen. ({2}) Jetzt will ich nicht nachkarten, sondern einfach sagen: Das ist im Moment der Stand. Das ist die Verfassungslage. ({3}) Förderung und Finanzierung von Schulen sind zurzeit Länderkompetenz. Wenn Sie die Bundeskompetenz ausweiten wollen - ich bin sehr dafür -, ({4}) dann sollten Sie, wenn es Ihnen wirklich ernst ist, sich um die kümmern, die das ablehnen. Unter Annette Schavan gab es große Runden - ich war als Landesministerin dabei - zu der ganz klaren Frage: Gibt es eine Bereitschaft der Länder, sich auf eine Grundgesetzänderung für die Kompetenz im Schulbereich zu verständigen? Es ist eindeutig gesagt worden: Nein. ({5}) - Ich rede von der Diskussion, Herr Steinmeier; da waren Sie nicht dabei. ({6}) Sie müssen mir zuhören. Ich bin zwar nicht so laut wie Sie, aber ich rede deutlich. ({7}) Das heißt, wir haben die Tür aufgemacht und gesagt: Bringt einen Vorschlag, eine Einigung der Länder, und dann kann auch vonseiten des Bundes darüber diskutiert werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Burchardt?

Not found (Minister:in)

Nein, ich würde gern erst zu Ende reden; ({0}) das können wir gern am Schluss machen. ({1}) - Ja, bin ich. Herr Steinmeier sagte vorhin, es gebe alle möglichen Gipfel; wir bräuchten Gesetzesvorschläge. Wenn es um das Kooperationsverbot geht: Ein konkreter Gesetzesvorschlag zu Art. 91 b Grundgesetz liegt schon seit längerem auf dem Tisch. ({2}) Er ist wichtig. ({3}) Jeder im Hochschulbereich und im Wissenschaftsbereich weiß: Das ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wir haben an dieser Stelle kein großes Zeitfenster. Das ist eindeutig. Vorhin kam die Behauptung, wir machten nichts gegen den Fachkräftemangel. Ich erwarte, dass man auch in der SPD zumindest die Presse liest oder sich entsprechend zuarbeiten lässt. Was ist denn der Hochschulpakt, den wir Gott sei Dank hinbekommen haben und in dessen Rahmen wir Milliarden mehr ausgeben? ({4}) Das sind die Fachkräfte für die 20er-, 30er- und 40erJahre dieses Jahrhunderts. Das haben wir gemacht. Nennen Sie mir ein Beispiel dafür, dass zu Ihrer Zeit einmal frisches Geld ins Hochschulsystem gekommen ist! Über viele Jahre gar nichts! ({5}) Was bringen Sie jetzt? Großes Geschrei: Das Kooperationsverbot muss weg! - Ich bin sehr dafür. Was ist Ihr Angebot? Grundgesetzänderung; neuer Art. 104 c. Worum geht es da? Finanzierung durch den Bund. Wir können mehr zahlen, aber nicht mitentscheiden. ({6}) Nehmen Sie doch den Dialog zur Kenntnis, den Ihre Partei für das Wahlprogramm geführt hat! Da haben die Bürger gesagt, sie wollten die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sogar für Bildungsfragen. Davon will ich an dieser Stelle ja gar nicht reden. Aber dass wir nur neues Geld geben, ohne mitreden zu können, das geht nicht. Wenn Sie jemanden brauchen, der Ihnen das bestätigt: Gucken Sie doch einmal in die dpa-Meldung zu Herrn Steinbrück! Der sieht das genauso. ({7}) Ich will zu drei Punkten etwas sagen. Das war der erste. ({8}) Zweiter Punkt. Ich bin sehr für die Ganztagsschule. Ich freue mich auch über die Entwicklung der letzten Jahre. Es gibt viele Gründe für Ganztagsschulen. Für mich sind zwei Gründe besonders wichtig. Der eine - das will ich gar nicht abwerten - ist die Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und Kindern. Ich will, dass die jungen Frauen und auch die jungen Männer, die mithilfe des Pakts studieren können und später Fachkräfte sind, auch arbeiten sollen - und das nicht nur aus volkswirtschaftlichen Gründen. Vielmehr sollen sie Freude haben. Deswegen finde ich Ganztagsschulen außerordentlich wichtig. Der zweite Grund. Wir sind eine reiche Nation. Es ist so, dass das Elternhaus natürlich einen Einfluss auf Bildung hat; sonst wäre es ja auch anormal. Das bezieht sich nicht allein auf ökonomische Gründe: Es gibt auch bildungsferne Elternhäuser mit sehr viel Geld. Ich bin der Meinung: Gerade weil wir eine reiche Kulturnation sind, müssen wir dann, wenn das Elternhaus, aus welchen Gründen auch immer, keine Anregungen bietet, versuchen, durch unsere Möglichkeiten - das ist in der Schule; das ist im Kindergarten - das auszugleichen. Hierbei sind Ganztagsschulen wichtig. Man kann nicht sagen: Ganztagsschule ist per se gut oder schlecht. Irgendwo habe ich etwas Irriges dazu gelesen, dass nämlich Ganztagsschulprogramme eine Konsequenz aus der PISA-Studie gewesen wären. Gucken Sie sich das doch einmal an: PISA 2000 war eine europaweite Untersuchung. Seit diesem Zeitpunkt - das war im letzten Jahrhundert - haben fast alle Länder ihre Schulform so verändert, dass es de facto Ganztagsprogramme sind. Gucken Sie sich einmal die Leistungen in Spanien, Frankreich und anderen Ländern an! Das heißt: Das war nicht die Folge, sondern es handelte sich um einen Vergleich. Deswegen ist nicht die Form, sondern die Qualität, was und wie man es macht, wichtig. Das bestätigen immer wieder alle Untersuchungen. ({9}) Wenn Sie sich die Studie zur Entwicklung der Ganztagsschulen, StEG, ansehen, dann sehen Sie, dass die Angebote der Ganztagsschulen, ({10}) die bundesweit vorhanden sind, wesentlich stärker genutzt werden und Kindern aus höheren sozialen Schichten zugutekommen. Wollen Sie das so lassen? Ich will da Einfluss haben. ({11}) Ich will Einfluss haben, wenn wir Geld zahlen sollen. Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, warum jemand, der hier im Bundestag sitzt, von einer Bildungsrepublik redet, jeden Gestaltungsanspruch abgeben und nur Geld rüberschieben will. ({12}) Deswegen ist für Sie der neue Art. 104 c, den Sie in das Grundgesetz einfügen wollen, wichtig. Sie können lesen. ({13}) - Nein. Zudem: Der Bund gibt da, wo er die Möglichkeit hat, schon jetzt Geld. ({14}) Hierzu zählt zum Beispiel das Begleitprogramm für die Ganztagsschulen, wo der Bund zwei Drittel der Kosten trägt. Das ist außerordentlich wichtig. Die Begleitforschung ist ganz wichtig, weil man dort auf Defizite aufmerksam gemacht wird; denn das hat eine breite Wirkung; das ist anregend. Schauen Sie sich einmal die Begleitforschung, den letzten Bericht von StEG an! Was sind die Probleme, die die Schulleiter von Ganztagsschulen sehen? Über 60 Prozent sagen, mit Abstand das Hauptproblem ist die Rekrutierung von gutem Personal. ({15}) Deswegen geben wir im Rahmen der Qualifizierungsinitiative „Lehrerbildung“ genau dafür Geld. ({16}) Nun zum dritten Punkt: Bundesländer, die ja die Kompetenz haben. Die Untersuchungen besagen: Es gibt ein Ost-West-Gefälle. Das hat etwas mit unterschiedlicher Sozialisation und der unterschiedlichen Ausgangsposition zu tun. In Niedersachsen sind wir mit 150 Ganztagsschulen zu Beginn der Amtszeit von Schwarz-Gelb gestartet. Am Ende war es das Zehnfache: 1 500. ({17}) Thüringen - Herr Matschie ist hier und wird später reden - hat eine klasse Zahl: 75,5 Prozent der öffentlichen Angebote sind praktisch Ganztagsangebote. 51 Prozent der Schüler sind dort. Sachsen ist natürlich besser: In Sachsen sind es 98 Prozent. ({18}) Sachsen ist bei allen Rankings, gerade auch bei der Nichtabhängigkeit vom Elternhaus, Spitzenreiter. Dort ist die CDU seit 1990 an der Macht. ({19}) Es ist auch keine Frage des Geldes. Ich sehe, dass im Schulgesetz von Thüringen die Ganztagsschule als eigene Schulform außerhalb des Grundschulbereiches überhaupt nicht verankert ist. Es gibt Probleme mit den Verkehrsbetrieben, weil sie sich nicht darauf einstellen können. Ferner ist die Tatsache zu nennen, dass es keinerlei Qualitätskriterien für Ganztagsschulen gibt, und die Tatsache, dass bisher nur Ganztagsschulen im Grundschulbereich finanziert und unterstützt werden. Das sind Dinge, die nicht vom Bund abhängen, sondern sie sind vom Land zu regeln. Oder nehmen wir Mecklenburg-Vorpommern. Mecklenburg-Vorpommern hat in Bezug auf die Ganztagsschulen eine gute Ausgangsposition.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie überziehen Ihre Redezeit deutlich, Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ja. Ich bin gleich fertig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

- zulasten der nachfolgenden Redner der Unionsfraktion.

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Das erträgt meine Fraktion. ({0}) Ich komme aber zum Schluss, Herr Präsident. Also: 39 Prozent der Schulangebote in MecklenburgVorpommern sind Ganztagsschulangebote. Bayern hat eine schlechte Ausgangsposition, holt aber rasant auf. Dort sind es mittlerweile über 43 Prozent. Bayern gibt richtig Geld hinein, auch zusätzliches Personal. Das gilt auch für andere Länder. Deswegen glaube ich: Der Weg ist an vielen Stellen frei. Vielleicht sollten Sie sich bemühen, dass die Kultusminister von der SPD und den Grünen, die in den Ländern am Ruder sitzen, das machen, was möglich ist, und uns hier nicht mit Schaufensteranträgen belästigen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Aydan Özoğuz für die SPD-Fraktion. ({0})

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wanka, ich finde es sehr schade, dass Sie als Wissenschaftsministerin bei den vorliegenden Anträgen nicht auch ein Stück weit auf das Einwanderungsland Deutschland eingegangen sind. Da ich aber weiß, dass es noch einen Beitrag geben wird, der sich explizit mit den von Ihnen aufgeworfenen Punkten befasst, will ich mich auf diesen Bereich konzentrieren. Ich glaube, wenn man es mit unserer Gesellschaft, mit dem Zusammenwachsen, mit der Notwendigkeit von Zuwanderung - diese Einsicht ist im Kabinett nicht geschlossen gegeben - und mit Teilhabe und Chancengleichheit für alle Mitglieder in unserer Gesellschaft ernst meint, muss man nicht nur ernsthafter über die Punkte, die Frank-Walter Steinmeier angesprochen hat - das Kooperationsverbot und die Zusammenarbeit von Bund und Ländern - nachdenken und diese fördern. Man muss auch Kategorien und Begrifflichkeiten wie Bildungsinländer, Integration oder auch Migranten perspektivisch überwinden und aufhören, diese Begriffe immer wieder zu zementieren, wie es diese Bundesregierung tut als seien Migranten per se eine andere Art von Mensch. ({0}) Deutschland ist ein Einwanderungsland. Vielfalt ist eine Zukunftsressource. Sie sollte endlich zu unserem Selbstverständnis gehören. Es geht schließlich darum, ein „Wir“ zu entwickeln, und nicht darum, immer wieder zwischen „uns“ und „denen“ zu unterscheiden. Für uns gilt das ursozialdemokratische Aufstiegsversprechen durch Bildung. Herkunft darf kein Schicksal sein, das sagen wir immer und immer wieder. Weder die Bildung der Eltern noch das Geburtsland der Eltern oder der Großeltern dürfen ausschlaggebend sein. Ich möchte einmal daran erinnern, dass der FDP-Generalsekretär Döring an dieser Stelle in seiner Plenarrede am 16. März 2010 gesagt hat, die Zeit der Bibliotheken für Migrantenmädchen sei vorbei. Unabhängig davon, wie unsinnig eine solche Aussage ist: Das unterscheidet uns ganz klar von Ihnen. ({1}) Wir sagen: Wir brauchen mehr Bildung. Wir brauchen Ausbildungsgarantien. Wir brauchen mehr Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Wir brauchen mehr Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir brauchen eine verstärkte und früher ansetzende Sprachförderung. ({2}) - Wir hatten da schon einige Ideen mehr, die Sie partout nicht wollten. ({3}) Und wir brauchen das Wiederaufleben des Programms „Soziale Stadt“, das Sie von der Regierungskoalition in einen Komazustand gefahren haben. ({4}) So viel zu den Aktivitäten vor Ort, Frau Bär. Es hat etwas Absurdes, wenn Menschen, deren Angehörige über mehrere Generationen hinweg in Deutschland leben und die auch hier geboren wurden, kategorisch Ausländer bleiben. Deswegen musste dieses alte Staatsangehörigkeitsrecht reformiert werden. Bekanntermaßen ist dies nur zum Teil gelungen. Wenn ich mich richtig erinnere, hat das mit Blockaden von der rechten Seite des Hauses, nämlich der FDP, zu tun, die heute munter für die doppelte Staatsangehörigkeit wirbt. Sie tun so, als hätte das gar nichts mit Ihnen zu tun, dass es all diese Einschränkungen gibt. Das ist schon erstaunlich. ({5}) Wir wollen, dass Kinder, die in Deutschland geboren wurden, immer Deutsche werden, sein und bleiben, aber gleichzeitig - unter bestimmten Voraussetzungen - ihre Herkunft nicht aufgeben müssen. Das geltende Optionsmodell bewirkt aber genau das Gegenteil: Es zwingt sie nämlich, mit dem Erwachsenwerden sich gegen ihre eigene Herkunft zu entscheiden. Die Lebenswirklichkeit von Menschen, die wandern, ist eben eine andere. Außerdem müssen Sie auch zugeben: 19 EU-Staaten leben mit dem Doppelpass, ohne dass die angeblich drohenden Schreckensszenarien eintreten, die einige Mitglieder Ihres Kabinetts gerne entwickeln, so als ob es hier um etwas ganz Schwieriges ginge. Sie verheimlichen natürlich auch gerne, dass bereits bei über der Hälfte der Einbürgerungen die doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen wird. Wenn man aus Marokko, Iran oder Afghanistan kommt, ist das etwas anderes, als wenn man türkischer Herkunft ist. Dann ist man - auch bei Geburt in diesem Land - immer nur Deutscher unter Vorbehalt. Das wird von den Betroffenen als ein Misstrauensvotum aufgefasst, wie es auch die BertelsmannStiftung ganz richtig festgestellt hat. Die Optionspflicht gehört also endlich abgeschafft. ({6}) Ich möchte auf eine weitere Sache eingehen. Sowohl Familienministerin Schröder als auch Bundesinnenminister Friedrich haben in den letzten Jahren wirklich großes Versagen an den Tag gelegt, wenn es darum ging, dass diese Gesellschaft ein Stück zusammenkommen soll. Frau Schröder hat viel Geld für Studien ausgegeben, die immer wieder zeigen sollten, wie es nun um junge Muslime bestellt ist. Aber sie hat sich nicht einmal an die Ergebnisse der Forscher gehalten, sondern hat immer wieder versucht, auf Pressekonferenzen die Ergebnisse zu verzerren. Das ist schon der Gipfel an Unseriosität im Umgang mit seriöser Forschung. Es hat die Wissenschaftler dazu getrieben, der Ministerin deutlich zu widersprechen - Gott sei Dank. Bundesinnenminister Friedrich hat es fertiggebracht, Studienergebnisse an die Bild-Zeitung weiterzugeben, dies sogar zu leugnen und erst Wochen später, auf eine Kleine Anfrage der Linken hin, zuzugeben, dass er dies überhaupt getan hat. Ich glaube, auf diese Art und Weise kann man nun wirklich keine vernünftige Gesellschaftspolitik für unser Land gestalten. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Schluss. - Anfang dieser Woche sagte die Bundeskanzlerin, wir bräuchten mehr Zuwanderung. Bundesinnenminister Friedrich widersprach ihr natürlich sofort. Das bringt es doch auf den Punkt: Diese Regierung hat gar keinen klaren Plan, wo es hingehen soll. Wie man dann eine vernünftige Bildungspolitik gestalten will, das bleibt ihr Geheimnis. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. ({0}) - Ich sehe in meiner Liste einen ganz dünnen Pfeil von ganz unten nach oben. - Bitte schön, Kollege Kaufmann. ({1})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD hört sich zunächst gut an: Ganztagsschulen für alle, Qualitätsverbesserungen, bessere Schulgebäude und anderes mehr. Jetzt muss man den Antrag nicht wie ich von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen haben, um zu erkennen, dass es sich wieder einmal um nichts anderes als bloßen Wahlkampfpopulismus handelt. ({0}) Warum das? Zunächst dachte ich, ich hätte mich verlesen: Auf Seite 14 Ihres Antrags fordern Sie nicht weniger als - hören Sie! - 20 Milliarden Euro zusätzlich, und das jährlich. Davon sollen allein die Länder 10 Milliarden Euro jährlich tragen. Jetzt frage ich Sie: Wie soll das denn funktionieren? Jeder von Ihnen, der schon einmal an der Regierung beteiligt war, wird berichten können, dass die Länder um jeden Cent feilschen, und selbst kleinste Ausgabensteigerungen zugunsten unserer Studierenden sind mit den Ländern nicht zu machen. Ich darf nur an die letzte BAföG-Erhöhung im Jahr 2010 oder auch an das Deutschlandstipendium erinnern. Das alles stört Sie aber nicht. Sie laufen mit einem großen Füllhorn durch die Gegend und haben schlicht vergessen, vorher etwas hineinzugeben. ({1}) Wenn man nun schon etwas so hemmungslos fordert wie Sie, dann müssen zumindest die eigenen Hausaufgaben gemacht werden, und davon sind Sie leider weit entfernt. Im Gegenteil: Rot-grüne Länder sparen eisern an der falschen Stelle. Das merken mittlerweile auch die Betroffenen: Warnstreiks der Lehrer im rot-grünen Bremen, Proteste wegen der Kürzungen sowohl im Wissenschafts- wie auch im Bildungsbereich in Niedersachsen, blankes Entsetzen - der Kollege Meinhardt hat es ausgeführt - angesichts der radikalen Kürzungen und des massiven Bildungsabbaus in meiner Heimat Baden-Württemberg. Dort, wo Sie regieren, sind die Wähler mit realer Streichpolitik konfrontiert, und dort, wo Sie nicht regieren, erzählen Sie den Wählern von dem Huhn, das goldene Eier legt und jedes Jahr 10 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben wird. Aber wie heißt es so schön: Eine Henne, die viel gackert, legt wenig Eier. ({2}) Ich weiß, jetzt erzählen Sie uns wieder etwas von einer soliden Gegenfinanzierung und von Steuererhöhungen. Die Grünen haben gerade erst unter heftiger Kritik grüner Realpolitiker, wie Ministerpräsident Kretschmann, beschlossen, die Steuern vor allem für die breite Mittelschicht zu erhöhen - egal wie die Kollegen hier das darstellen. ({3}) In Stuttgart trifft ihre Steuererhöhung beispielsweise jeden leistungsstarken Facharbeiter; auch das muss einmal gesagt werden. ({4}) Ich muss nicht erwähnen, dass der Staat über Rekordsteuereinnahmen von über 600 Milliarden Euro verfügt. Wenn Sie also mehr Geld für Bildung in den Ländern ausgeben möchten, dann machen Sie es so wie die Bundesregierung: Setzen Sie die richtigen Prioritäten zugunsten von Bildung und Forschung, statt Steuern zu erhöhen und Kredite aufzunehmen! ({5}) Zur der leidigen Zuständigkeitsdebatte. Nur weil der Bund weniger Schulden macht als die meisten Länder, ({6}) kann dies doch noch lange nicht bedeuten, dass der Bund alles bezahlen muss, obwohl er gar nicht zuständig ist. Genau dieses Geschäft betreiben Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD. ({7}) Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Art. 91 b GG, der dem Bund begrenzte Mitspracherechte einräumen würde - Ministerin Wanka hatte es erwähnt -, lehnen Sie in Ihrem Antrag explizit ab. ({8}) - Herr Steinmeier, stattdessen fordern Sie einen neuen Art. 104 c. Demnach sollen Finanzhilfen des Bundes fließen, ohne dass der Bund überhaupt eine Zuständigkeit erhält. Das heißt, wir überweisen das Geld, haben aber weiterhin keine Kontrolle über die Verwendung. ({9}) Und das kann nicht sein! Mittel ohne Zweckbindung wird es mit uns nicht geben. ({10}) Darüber hinaus sollten Sie auch einmal bedenken, wie das Ende Ihrer Politik aussieht: Wenn Sie den Weg für Finanzhilfen des Bundes für den Schulbereich freimachen, dann werden die Milliarden für die Ganztagsschule nur ein Anfang sein. Ich erinnere Sie an die Länderaufgabe Inklusion, die notwendige Sanierung von Schulgebäuden, den Bau von Wohnheimplätzen und, und, und. Wenn der Bund in diesem Bereich auf einmal Verpflichtungen in Milliardenhöhe eingehen soll, werden wir sie auf der anderen Seite, im Wissenschaftsbereich, einsparen müssen. Damit spielen Sie selbst den einen Bereich gegen den anderen aus. Und auch das kann nicht sein! Unser gemeinsames Ziel sollte doch sein, dass die Länder endlich selbst mehr für Ganztagsschulen, für bessere Lernbedingungen und auch für ein besseres Schulsystem tun. ({11}) Schließlich: Ihr Ganztagsschulprogramm ist nicht nur aus förmlichen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen abzulehnen; denn mit Ihrem Antrag fördern Sie zum einen versteckt die Einheitsschule. Darüber hinaus sollen nach Ihrem Willen gebundene, also verpflichtende Ganztagsschulen mehr Geld erhalten als Ganztagsschulen mit einem offenen Angebot. Auch dies lehnen wir ab. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland zur Ganztagsschule zu verpflichten, das kann nicht das Ziel sein. ({12}) Sie sprechen diesen Punkt in Ihrem Antrag ja auch selbstkritisch an. Denn es stellt sich die Frage: Wie ist eine zwangsweise Ganztagsschule mit der Jugendarbeit oder mit Vereinsaktivitäten vereinbar? Wie soll ein Schüler, der in einer Sportart sehr begabt ist oder ein Instrument gut spielen kann, diesem Hobby weiter nachgehen, wenn er den ganzen Tag in der Gemeinschafts- oder Ganztagsschule eingespannt ist? Ich darf auch darauf hinweisen, dass Ihr ständiger Ruf nach mehr Ganztagsschulen noch lange kein besseres Schulsystem zur Folge hat. Entgegen Ihren Schlussfolgerungen kann man anhand der KMK-Zahlen feststellen, dass Berlin zwar einen der höchsten Anteile an Ganztagsschulen vorzuweisen hat, während Länder wie Baden-Württemberg und Bayern eher geringere Anteile vorzuweisen haben, und dass trotzdem das Schulsystem in diesen beiden Ländern nach einhelliger Auffassung wesentlich besser und effizienter ist. Das heißt, Ganztagsschulen führen nicht automatisch zu einem besseren Schulsystem, wie Sie das suggerieren. ({13}) Abschließend darf ich den früheren SPD-Politiker Hans Schwier zitieren: Die Bildungspolitik ist ein Teil von einer Kraft, die stets das Gute will und oft Probleme schafft. Genau das trifft leider auf Ihren Antrag zu. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Frau Wanka, Herr Kaufmann, bei der Bundesbeteiligung an der Bildungsfinanzierung nehme ich wahr: Die größten Bremser dabei kommen immer noch aus Bayern. Aber lassen wir das, kommen wir zum Antrag der SPD. Unsere Kritik an diesem Antrag fängt schon mit dem ersten Satz an. Dort steht: Das deutsche Bildungssystem ist gut … Nein, wir haben zwar gute Schulen und gute Lehrerinnen und Lehrer, aber das Bildungssystem ist nicht gut. Die Gründe hat Ihnen Gregor Gysi vorhin ziemlich deutlich erklärt. ({0}) Wir haben noch weitere Kritikpunkte: Erstens. Sie bürden Ganztagsschulen die ganze Last notwendiger Reparaturen an diesem Schulsystem auf. Das können sie gar nicht leisten; diesbezüglich gebe ich meinem Vorredner teilweise recht. Ganztagsschulen, die Gymnasien sind, bleiben Gymnasien, und Sekundarschulen oder Sekundarschulen plus - wie sie in den einzelnen Ländern auch immer heißen mögen - bleiben in einem gegliederten System immer Sekundarschulen. Sie wollen von den Schulformen ja nicht weg. Zweitens. Die unterschiedlichen Schulsysteme verschwinden nicht durch Ganztagsschulen, sondern bleiben erhalten. Das ist aber ein wesentlicher Punkt in Ihrem Antrag. Das können die Ganztagsschulen doch gar nicht leisten. Drittens. Sie erwarten von den Ganztagsschulen die Umsetzung von Inklusion. Auch das können sie so nicht leisten. Wenn Sie nicht auch die Schulformen reformieren und ein tatsächlich inklusives Schulsystem etablieren, bürden Sie der Schulform, die überwiegend von Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern besucht wird, auch noch die schwierigsten Inklusionsaufgaben auf. Das kann nicht funktionieren. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich glaube, Sie haben seit langem Ihren Frieden mit dem gegliederten Schulsystem gemacht. Noch einmal: Das kann nicht funktionieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber gerne.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, bevor Sie die Suada fortsetzen, darf ich Ihnen den ganzen ersten Satz des SPD-Antrags vorlesen? Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug. Das ist der ganze Satz. Daraus können Sie entnehmen, dass wir weder blind sind noch alles schlecht finden, sondern die klassische sozialdemokratische Reformpolitik weitergeführt sehen wollen, unter anderem in Richtung Ganztagsschule, unter anderem in Richtung Inklusion, unter anderem in Richtung gemeinsames Lernen. Ist es nicht politisch fair, ganze Sätze zu zitieren? Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug. ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich finde, verehrter Herr Kollege, dass dieser Nachsatz den ersten Teil des Satzes nicht besser macht. Das deutsche Bildungssystem ist nicht gut. Es stammt aus dem 19. Jahrhundert, und da gehört es hin. Wir müssen endlich Schritte weitergehen. ({0}) Diesbezüglich war die SPD einmal Vorreiter. Das vermisse ich bei Ihnen jetzt einfach. ({1}) Sie haben in fast allen Ländern, in denen Sie regieren, Ihren Frieden mit dem gegliederten Schulsystem gemacht. Es gibt kaum noch intensive Versuche, das System aufzubrechen. Ich fahre fort. Ich verstehe auch nicht, warum die Schulsozialarbeit in Ihrem Antrag nicht mehr explizit vorkommt. Das ist ein wesentlicher Punkt in einer Ganztagsschule. ({2}) Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, über den in den Ausschüssen noch zu debattieren ist. Den finden Sie offensichtlich so gut, dass Sie sich darauf beziehen. Das ist in Ordnung - wir werden sehen, ob Sie dem zustimmen -, aber mir fehlt das Thema trotzdem in diesem Antrag. Wir plädieren aus den genannten Gründen für eine Gemeinschaftsschule. Diese muss natürlich nicht nur inklusiv sein, sondern selbstverständlich auch eine Ganztagsschule. Ich muss meinem Kollegen Kaufmann auch insofern recht geben: Sie fordern zwar - richtigerweise die Zusammenarbeit mit regionalen Bildungslandschaften, mit kulturellen und sportlichen Akteuren vor Ort, vergessen dabei aber, dass das nur exemplarisch immer gut funktioniert. Sobald es in der Fläche funktionieren muss, wird es schwierig, dann fehlt die Kapazität, dann fehlt es an Möglichkeiten vor Ort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Musikschulen in der Lage sind, jeder Ganztagsschule ein dauerhaftes Angebot zur musikalischen Förderung der Kinder zu unterbreiten. Das wird nicht funktionieren. ({3}) Das ist auch in anderen Bereichen so. Außerdem darf man nicht vergessen, dass dieser Bereich sehr stark an die Ehrenamtlichkeit gebunden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vor etwa 20 Jahren war die SPD die Lokomotive in der Bildungspolitik, zumindest in meinen Augen. Jetzt stehen Sie auf der Bremse, lassen unglaublich viel Dampf ab, freuen sich über die Wolken und wundern sich, dass es nicht wirklich vorwärts geht. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Sibylle Laurischk für die FDPFraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst möchte ich der Bildungsministerin sagen: Chapeau! Das war eine gute und klare Rede, die auch davon geprägt war, dass sie die Landespolitik versteht und sich insofern in der Bundespolitik gut bewegen kann. ({0}) Ich erinnere mich noch ganz gut daran, dass der damalige Arbeitsminister von der SPD, Herr Scholz, auf einem Integrationsgipfel gesagt hat, die Berufsanerkennung sei so schwer zu erreichen wie ein Flug auf den Mond. Ich nehme an, dass er sich jetzt als Ministerpräsident des Landes Hamburg mit den Niederungen der Ebene etwas mehr abgibt und gerade die Berufsanerkennung vorantreibt. Ich wende mich dagegen, dass Herr Gysi hier sagt, Kinder seien ein Armutsrisiko. Ich möchte das nicht so stehen lassen. Ich weiß, dass Eltern, die sich für Kinder entscheiden und Kinder haben wollen, sehr positiv dazu stehen und sich nicht gegen Kinder entscheiden, weil sie in ihnen ein Armutsrisiko sehen. Vielmehr wollen sie dieser Gesellschaft etwas geben. ({1}) Sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Zukunft und gute Bildungschancen haben. Wir sind aufgerufen, dafür zu arbeiten. ({2}) Das tun wir auch hier im Bundestag und in allen politischen Gremien. Ich stimme durchaus zu, dass es sinnvoll wäre - ich persönlich bin dieser Auffassung -, die Optionspflicht abzuschaffen. Ich bearbeite im Moment den Fall eines jungen türkischen Mannes, geboren in Deutschland und deutschsprachig, der versucht, sein Aufenthaltsrecht zu halten, um hier eine Ausbildung zu machen. Es gibt eine Menge zu tun, gerade in den Kommunen und auf Landesebene. Das sollten wir nicht vergessen. Gerade deshalb sage ich hier sehr deutlich: Wir sind ein Einwanderungsland. Diese Diskussion führen wir nicht mehr; das ist die Realität, und dieser Realität stellen wir uns. Wir wissen, dass bundesweit in den Grundschulen 50 Prozent der Kinder und in allen Schultypen ungefähr 30 Prozent der Kinder mittlerweile einen Migrationshintergrund haben. Deswegen ist mein Petitum - das wissen Sie; das prägte meine Arbeit in den ganzen Jahren hier im Bundestag -, dass man sich gerade auch für den Spracherwerb einsetzt. Wir brauchen gute Möglichkeiten für alle Kinder, die deutsche Sprache so zu lernen, dass sie nicht nur von ihren körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten her schulreif sind, sondern auch sprachlich. Denn nur die Kinder, die verstehen, was in der Schule passiert, haben echte Bildungschancen. Darum haben wir uns auf Bundesebene gekümmert. Wir sind in vielen Fällen für die Bildungspolitik leider nicht zuständig - leider. Aber dort, wo wir zuständig sind, haben wir uns darum gekümmert. Wir haben als Familienpolitiker das Programm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ aufgelegt. Das wird hier gerne vergessen, weil es genau das widerlegt, was die Opposition mit ihren Anträgen darstellen will, nämlich dass wir nichts getan hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben 4 000 Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen bzw. mit einem hohen Anteil an Kindern mit Sprachförderbedarf als „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ Geld gegeben und diese ausgebaut. Ich habe sie mir vor Ort angeschaut. Dort wird ganz gezielt mit Kindern gearbeitet, die es schwer haben, aus ihrem familiären Rahmen heraus die deutsche Sprache ausreichend zu lernen. Hier gibt es eine sehr sinnvolle Entwicklung, die zeigt, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten durchaus einen Beitrag leisten können. ({3}) Aber wir können nichts daran ändern, dass die Länder - hier in der Mehrzahl die SPD- und mittlerweile auch grün regierten Länder - das nicht schaffen und die Bildungspolitik möglicherweise gegen die Wand fahren. Ich will ihnen nicht unterstellen, dass sie dies wissentlich und willentlich tun, aber die Ergebnisse sind leider mangelhaft. Entsprechend sehen wir das, was auf Landesebene geschieht, kritisch. Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Die FDP will Bildungschancen für alle Kinder und Jugendliche. Wir haben bei der frühkindlichen Bildung ein klares Zeichen gesetzt und werden diese Politik bei der Bildung aller Kinder in ihrem weiteren Lebensverlauf, gerade auch im Berufsschulbereich und in der Ausbildung, fortsetzen. Dafür stehen wir. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine moderne Bildungs- und Integrationspolitik entscheidet über das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und den Alltag jedes Einzelnen, darüber, ob alle Menschen gleiche Chancen auf Teilhabe innehaben oder ob Herkunft oder Geldbeutel der Eltern maßgeblich sind, darüber, ob sich Menschen zu dieser Gesellschaft zugehörig und in ihrer Vielfalt anerkannt fühlen oder ob ihre Bildungschancen und Lebensperspektiven blockiert werden. In beiden Politikfeldern, sowohl bei Bildung als auch bei Integration, hat die Union die Erneuerung dieses Landes jahrzehntelang ausgebremst und sich den gesellschaftlichen Realitäten verweigert. Das war und ist falsch. ({0}) Beispiel Bildung. Es ist noch nicht lange her, dass von Konservativen Kindertagesstätten und Ganztagsschulen als Kinderverwahranstalten diskreditiert wurden. Ich erinnere mich noch sehr genau an die ideologischen Unionsblockaden in den 2000er-Jahren, während die rotgrüne Bundesregierung mit ihrem 4-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm für mehr als 8 000 Ganztagsschulen die überfällige Wende hin zu einer modernen Schulpolitik eingeleitet hat. ({1}) Erst gut zehn Jahre danach kann man sagen: Jetzt gibt es hier einen gewissen politischen Konsens. Das gilt auch für eine Vielzahl von Konservativen. Sie haben inzwischen ihren Frieden damit geschlossen - Frau Wanka vielleicht noch nicht so ganz -, dass gute Ganztagsschulen doppelt gut sind, ({2}) nämlich gut zur individuellen und inklusiven Förderung für die Kinder und Jugendlichen und gut für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern. Deshalb war das ein großer Modernisierungsfortschritt. ({3}) Bei dieser Erkenntnis darf man aber nicht stehen bleiben. Es braucht dringend eine zweite Offensive zum quantitativen und qualitativen Ganztagsschulausbau. Das wollen wir, und dafür streiten wir gemeinsam mit der SPD. Wir wollen ein Land der Chancengleichheit, der Durchlässigkeit und des Bildungsaufstiegs. ({4}) Dafür ist es dringend notwendig, dass das im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot gekippt wird. Es ist 2006 gegen unseren erbitterten Widerstand eingeführt worden. Das Kooperationsverbot muss weg, damit Bund und Länder bei der gesamtstaatlichen Finanzierung unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems wieder verlässlich zusammenarbeiten dürfen. ({5}) Es geht um Kooperationskultur, es geht um eine Ermöglichungsverfassung für bessere Bildung und Wissenschaft, und es geht darum, dass man kooperieren darf, um gesamtstaatlich Verantwortung für bessere Bildung in diesem Land zu übernehmen. Das haben Sie mit Ihrem Vorschlag hintertrieben. Sie haben nur die Eliteunis dauerhaft finanzieren wollen. Wir wollen früher anfangen. Wir wollen, dass auch Schulen gefördert werden können; denn auf den Anfang kommt es an. ({6}) Schwarz-Gelb hat es an Kraft und Konsenswillen gefehlt. Beispiel Zuwanderung. Es ist noch nicht lange her, da haben konservative Politiker behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland, und Debatten über Leitkultur angezettelt. Das war das Gegenteil einer Willkommenskultur auf der Basis des gemeinsamen Wertefundaments unseres Grundgesetzes, einer Willkommenskultur, die wir so dringend brauchen. Auf dem vorgestrigen Demografiegipfel hat Kanzlerin Merkel mit Blick auf die Zuwanderung von Fachkräften gesagt - Zitat -: Unser Ruf ist … sehr schlecht. Wir gelten als abgeschlossen, wir gelten als ein Land, in das zu kommen sehr kompliziert ist. ({7}) Ja, das stimmt leider, Frau Merkel. Es wäre aber ehrlicher gewesen, wenn Sie als Kanzlerin hinzugefügt hätten: Das ist auch das Resultat von Lebenslügen und Fehlern von CDU und CSU in den letzten Jahrzehnten, angefangen bei der Gastarbeiterpolitik. ({8}) Sie sagen den Leuten lieber: „Multikulturalität ist tot“, anstatt Integrationsprobleme zu lösen und Rassismus und Islamophobie in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Als jemand, der vor kurzem dort gewesen ist, sage ich Ihnen: Deutschland sollte mehr Kanada wagen. Dort ist tagtäglich spürbar, was ein modernes Einwanderungsland wirklich auszeichnet, nämlich gelebte Willkommenskultur und Wertschätzung von Multikulturalität. Dort gibt es ein kluges Punktesystem zur Steuerung und Gestaltung von Zuwanderung. Dort gibt es regelhaft die doppelte Staatsbürgerschaft statt eines Optionszwangs. Dort gibt es eine gute Bildungspolitik, die in jeder Kita und jeder Schule sehr aktiv Mehrsprachigkeit und Inklusion fördert. Wie kanadische Schulen müssen auch deutsche Schulen je nach sozialer Lage und Vielfalt der Schülerschaft mehr Unterstützung erhalten: mehr Mittel, mehr Lehrkräfte, mehr Schulsozialarbeit, mehr Elternarbeit, mehr Ganztagsbetreuung. Das Schlagwort „Brennpunktschulen“ wird so zum Fremdwort. Das ist genau der Weg, den die rot-grün und grün-rot regierten Länder einschlagen. Das alles macht Kanada zum Integrationsweltmeister. Auch Deutschland hat das Potenzial dazu. Mit dieser Bundesregierung gelingt das aber offensichtlich nicht, weil sie sich einem modernen Zuwanderungsrecht verKai Gehring schließt. Ein modernes Zuwanderungsrecht würde auch dabei helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Hier brauchen wir endlich eine echte Doppelstrategie. Es reicht nicht aus, wenn eine solche Strategie von Frau von der Leyen lediglich verbal vorgetragen wird. Vielmehr brauchen wir klares politisches Handeln: einerseits gute Bildung und lebenslange Qualifizierung, um das inländische Potenzial besser auszuschöpfen, andererseits gesteuerte Zuwanderung, verknüpft mit Integrationsmaßnahmen und Sprachförderung für alle. Wenn man wie wir für Bildungsgerechtigkeit und für Strategien zur Fachkräftesicherung kämpft, dann darf man keine Bildungsverlierer produzieren, dann darf niemand zurückgelassen werden. Schwarz-Gelb hat es nicht geschafft, die eklatante Bildungsspaltung in unserem Land zu mildern. Es darf nicht sein, dass weiterhin jeder zehnte Bürger als funktionaler Analphabet gilt, dass jeder fünfzehnte Jugendliche die Schule abbricht und über 2 Millionen junge Erwachsene keinen Berufsabschluss haben. Solange diese Zahlen nicht gravierend sinken, so lange ist Frau Merkels Bildungsrepublik ein Jammertal. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb sage ich: Eine andere Bildungs- und Integrationspolitik ist nötig, und sie ist möglich, aber ganz sicher nicht mit dieser Bundesregierung. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Marcus Weinberg für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Deligöz von den Grünen hat den Kollegen Patrick Meinhardt gebeten, er solle doch einmal erklären, was der Bund gemacht hat. Liebe Frau Kollegin Deligöz, Sie müssen eigentlich nur drei Schriftstücke lesen. Sie müssen in den Haushaltsplan schauen, Sie müssen das aktuelle Integrationsbarometer lesen, und Sie müssen die aktuellste Bildungsuntersuchung lesen. Dann werden Sie feststellen: Noch nie hat eine Bundesregierung so viel in Bildung und Forschung investiert, noch nie waren die Ergebnisse im Bildungsbereich so gut wie heute, ({0}) und noch nie - das ist eine Wahrnehmung der Betroffenen - wurde der Bereich Integration so positiv wahrgenommen. Das heißt, hier erkennen Sie ganz deutlich stringentes Regierungshandeln. ({1}) Kai Gehring hat noch einmal das Modell der Bildungsgerechtigkeit formuliert. Bei dem Koalitionspartner, den die ehemals selbstständigen Grünen in ihrem Regierungsprogramm schon fixiert haben, der SPD, findet man nicht Bildungsgerechtigkeit, Herr Gehring, sondern Gleichheit. Sie sollten einmal darüber nachdenken, wo im Wertekanon Sie eigentlich stehen: Wollen Sie Gerechtigkeit, ({2}) oder wollen Sie Gleichheit durch Gleichmacherei? Das ist Ihre Linie, Herr Schulz, nicht unsere Linie. ({3}) Die Grünen werfen uns vor, wir wären in der Integrationspolitik rückständig. Daher frage ich Sie, Herr Gehring: Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass der Koalitionspartner, auf den Sie sich festgelegt haben, ({4}) namentlich Herr Steinbrück, eine Trennung von Jungs und Mädchen beim Sportunterricht gefordert hat? Das ist in Ihrer Linie, glaube ich, nicht auffindbar. Sie sollten sich einmal Gedanken darüber machen, wo Sie eigentlich stehen. ({5}) Um aus der Parallelwelt wieder ein bisschen in die Realität zurückzukommen, liebe Aydan Özoğuz: Sie haben kritisiert - das sage ich als Hamburger zu einer Hamburgerin -, dass sich die Ministerin in ihrer Rede nicht mit dem Thema Integration beschäftigt hat. Nun, wenn man viele Erfolge hat, dann braucht man auch viel Redezeit. Leider ist die bei uns auch begrenzt; wir bräuchten, glaube ich, zwei bis drei Stunden, um hier die Erfolge der Regierung in den Bereichen Bildung, Familie und Integration darzustellen. ({6}) Deshalb will ich nur einige Daten aus dem Integrationsbarometer wiedergeben: Erstens. Über zwei Drittel der jungen Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich in diesem Land wohl. Dieser Wert war noch nie so hoch wie heute. ({7}) Marcus Weinberg ({8}) Zweitens - um auf den Bereich „Arbeitsmarkt und Beschäftigung“ zu kommen -: In Deutschland findet man leichter als in jedem anderen westeuropäischen Land eine Beschäftigung. ({9}) Drittens. 70 Prozent der unter 25-Jährigen glauben an eine gute Zukunft in Deutschland, und die Hälfte der jungen Menschen geht davon aus, dass die Unterschiede in zehn Jahren abnehmen werden. Das bestätigen übrigens auch die Bildungsergebnisse in diesem Bereich. Die Anzahl der jungen Migranten ohne Hauptschulabschluss ist um 40 Prozent zurückgegangen, ({10}) wesentlich stärker als bei den jungen Menschen ohne Migrationshintergrund. Das ist eine hervorragende Bilanz. ({11}) Sicherlich ist das - auch das sei gesagt - in weiten Teilen noch nicht ausreichend. Das streiten wir auch nicht ab. Wir verkünden keine heile Welt. Wir sagen weiter: Nutzen wir die Riesenchance der Integration! Wenn man Gerechtigkeit will, Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit, dann kann man die Chance der Integration nutzen. Das ist aber ein anderes Konzept, Herr Dr. Rossmann, als das Konzept der Gleichheit. Mit Gleichmacherei wird man dieser Gesellschaft nicht gerecht. ({12}) Wir wollen die Familien stärken, wir wollen die Individuen fördern, wir wollen Talente und Begabungen fördern, aber nicht alles nivellieren auf einem gewissen Niveau. ({13}) - Man muss immer die Realität darstellen. ({14}) Ich finde ja, Sie leben hier in einer Parallelwelt. In Ihrem Antrag findet sich eine nette Lyrik; aber Sie müssen das schon konkretisieren und die Fakten klar benennen. ({15}) Sie müssen sagen, was getan wurde, was erreicht wurde und wie die Ziele sind. Ich möchte jetzt noch ein bisschen auf Herrn Steinmeier eingehen, ({16}) der uns kritisierte, indem er sagte, wir würden nichts für den Kitaausbau tun. Wir haben über 4 Milliarden Euro für den Krippenausbau ausgegeben. Wir haben - das wurde von den Kollegen bereits angesprochen 400 Millionen Euro für das Programm „Offensive Frühe Chancen“ ausgegeben. ({17}) Deswegen kann ich das, was die Kollegin von der FDP gesagt hat, nur bestätigen. Gehen Sie einmal in eine Kita in Hamburg, in unserer gemeinsamen schönen Stadt! Über 70 Kindertagesstätten profitieren dort von diesem Programm. Wenn Sie mit den Mitarbeitern, den pädagogischen Fachkräften, diskutieren, dann erfahren Sie, dass sie für dieses Programm sehr dankbar sind. ({18}) Ein anderes Programm hat die Ministerin bereits angesprochen. Wenn wir ernsthaft über Bildungsimplikationen sprechen, dann stehen natürlich zuallererst die Qualifizierung und die Ausbildung der Lehrkräfte vornean. Wir haben hier vor wenigen Wochen darüber diskutiert, dass wir endlich ein exzellentes Programm für die Ausbildung unserer Lehrkräfte haben. Das hat diese Bundesregierung mit 500 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Liebe Frau Hein, hier geht es um die Qualität und nicht nur um eine reine Strukturreform, wie Sie sie immer fordern, in Richtung einer Einheitsschule unter Abschaffung des gegliederten Schulsystems. Es geht um die Qualität, und die steigern wir auch mit diesem Programm. ({19}) Daneben gibt es weitere Fortbildungsprogramme im Bereich der pädagogischen Fachkräfte und das Programm „Lesestart“. Damit versuchen wir - und wir werden es schaffen -, früh Bildungsgerechtigkeit zu produzieren, indem wir junge Menschen für das Lesen begeistern. Jeder junge Vater und jede junge Mutter weiß, wie wichtig es für Kinder ist, dass sie für das Lernen und Lesen begeistert werden. Über 2 Millionen Kinder profitieren bereits von diesem Programm. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. - Ich glaube, dass wir in den nächsten Monaten Zeit und Gelegenheit haben, noch vieles deutlich zu machen. Es gibt den Schein, und es gibt das Sein. Hier regiert das Sein. Das ist gut für die Bildungslandschaft in Deutschland und ein Erfolg der Nachhaltigkeit. Darauf werden wir auch in den nächsten vier Jahren aufbauen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Ernst Dieter Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weinberg, wir haben Debattenbeiträge gehört, bei denen man sich bemühte, den Kern der Bildungspolitik - das heißt dann immer, sich an der Sache zu orientieren - in den Mittelpunkt zu stellen. Ich will Ihnen deshalb nur ganz knapp sagen: Mal eben einen Patsch auszuteilen, nach dem Motto, die Sozialdemokratie oder andere seien für Gleichmacherei, trifft es nicht. ({0}) Wir erkennen an, dass die Menschen unterschiedliche Begabungen und Talente haben und dass sie sich unterschiedlich entwickeln. Wir sagen aber: Sie müssen alle die gleiche Chance haben, diese entwickeln zu können. ({1}) Das ist doch etwas anderes als Gleichmacherei. Es geht doch um die Gleichheit bezogen auf die Entwicklung der Chancen. So haben wir das aufgeschrieben, und dafür arbeiten wir. Wir verlangen Respekt vor diesen Menschen und möchten, dass Sie dies so anerkennen, statt hier einen billigen Patsch auszuteilen. Das ist unter Ihrem Niveau und auch unter dem Niveau des Bildungskonsenses in Deutschland. ({2}) Wenn Sie es handfester wollen: Sie haben in Hamburg unter anderem mit einem Schulkonsens parteiübergreifend - die CDU, die SPD, die Grünen und andere waren dabei - dafür gesorgt, dass es diese Chancengleichheit über verschiedene Schulangebote, die nicht gleich, aber gleichwertig sind, gibt. Auch aus Respekt vor sich selbst könnten Sie doch vielleicht einmal anerkennen, dass andere dies teilen und dass es mitnichten eine Gleichmacherschule ist, wenn es verschiedene Bildungswege gibt, aber alle die gleichen Bildungschancen entwickeln können. Entschuldigen Sie diesen emotionalen Vortrag, aber ich will ausdrücken: Es gibt einen Kern, den man bei allem parteipolitischen Streit, der hier manchmal ziemlich billig geführt wird, nicht aus den Augen verlieren darf. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Weinberg, wollen Sie reagieren? - Nein. Dann erteile ich das Wort dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Thüringen, Christoph Matschie. ({0}) Christoph Matschie, Minister ({1}): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es hat mich schon überrascht, dass es hier noch Rednerinnen oder Redner gibt, die den Ausbau von Ganztagsangeboten grundsätzlich infrage stellen. ({2}) Ich verstehe das nicht. Der Kollege Kaufmann hat hier in Zweifel gezogen, dass es überhaupt sinnvoll ist, ganztägige Angebote zu machen. ({3}) Dann kam der Vorwurf von der Kollegin Bär, hier würde ein Zwangsprogramm aufgelegt. Das ist ein solcher Unfug, den ich aus der Unionsfraktion gehört habe. Gehen Sie doch einmal raus, und erklären Sie das den Eltern! ({4}) Frau Kollegin Wanka, ich habe hier von Ihnen keine klare Stellungnahme dazu gehört, wie Sie als Bundesministerin zum Ausbau von Ganztagsschulen stehen. Sie haben hier deutlich gemacht - auch ganz stolz -, dass Sie als Ministerin in Niedersachsen die Ganztagsschulen ausgebaut hätten. Warum stehen Sie heute nicht hier und sagen: „Auch als Bundesministerin halte ich das, was ich als Landesministerin gemacht habe, für sinnvoll und setze mich gemeinsam mit der SPD dafür ein, dass ein neues Bund-Länder-Programm für mehr Ganztagsschulen kommt“? Warum tun Sie das nicht, Frau Wanka? ({5}) Stattdessen verbreiten Sie hier Unwahrheiten. Sie haben von einer Gesprächsrunde von Bildungsministern aus den Ländern mit der damaligen Bundesministerin, Frau Schavan, gesprochen und gesagt, da hätten SPDBildungsminister gesessen, die gegen die Ausweitung der Grundgesetzänderung auf die Schulen gewesen seien. Nennen Sie mir einen einzigen! Ich war damals dabei: Die Meldungen dagegen kamen aus Bayern, aus Hessen und von Ihnen als damalige niedersächsische Bildungsministerin. Auf der Seite erfolgte eine Blockade der Länder, nicht vonseiten der SPD-Bildungsminister. ({6}) Dann wurde hier der absurde Vorwurf geäußert, es solle alles auf den Bund delegiert werden. Darum geht es doch überhaupt nicht, Kolleginnen und Kollegen. Schauen Sie sich einmal die Zahlen aus dem Bildungsfinanzbericht an! Die Länder tragen 80,4 Milliarden Euro, die Kommunen tragen 22,6 Milliarden Euro und der Bund trägt 7,3 Milliarden Euro, also rund 5 Prozent, an den öffentlichen Bildungsaufwendungen. Wenn jemand behauptet, da wäre keine Luft mehr nach oben, dann irrt er ganz gewaltig. Wir brauchen eine gemeinsame An30166 Minister Christoph Matschie ({7}) strengung von Bund und Ländern für eine bessere Bildungspolitik. ({8}) Es ist auch nicht so, dass nur einzelne Bundesländer, dass nur SPD-geführte Bundesländer mehr Geld vom Bund wollen. Ich darf einmal aus dem letzten Protokoll über die Besprechung der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin zitieren. Darin haben die Länder einvernehmlich festgehalten: Die Länder erwarten, auch im Hinblick auf ihre laufenden Aufgaben im Bildungsbereich, dass neben zusätzlichen Bildungsausgaben des Bundes dieser die Länder im Rahmen der verfassungsmäßigen Kompetenzordnung mit zusätzlichen Umsatzsteuermitteln unterstützt. Die Länder waren einstimmig der Meinung, dass sie zu knappe finanzielle Ressourcen haben. Ich kann Ihnen das einmal aus Sicht eines Bildungsministers in einem Land, und zwar in einem ostdeutschen Land, schildern: Wir haben in dieser Legislaturperiode unsere Bildungsausgaben um 400 Millionen Euro angehoben. Gleichzeitig sinken die Mittel im Landeshaushalt. Versuchen Sie sich doch einmal vorzustellen, wie wachsende Bildungsausgaben in einem abgesenkten Landeshaushalt untergebracht werden sollen. ({9}) - Jetzt rufen Sie „Sachsen“ dazwischen. Dazu kann ich Ihnen etwas sagen; ({10}) das Beispiel kam ja schon. Eben wurde von Frau Wanka Frau Kurth zitiert. Herr Kollege, ich habe eine Erinnerung an Sachsen. Da gab es einen Kollegen, den Vorgänger von Frau Kurth, Professor Wöller. Der ist zurückgetreten, weil die sächsische Staatsregierung insgesamt nicht bereit war, ihm eine ausreichende Anzahl an Lehrerstellen zu finanzieren. Das ist inzwischen die Bildungswahrheit in Sachsen. ({11}) Jetzt gibt es da eine Kollegin - mit Verlaub, ich möchte ja niemanden schlechtmachen -, deren Worte, dass Sachsen mit seinen Ausgaben hinkommen wird, angesichts dieses Rücktritts nicht besonders glaubhaft erscheinen. ({12}) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, hat eine Forderung nach einer gemeinsamen Bund-LänderAnstrengung Aussicht auf Erfolg? Ich meine: Ja, das hat sie. Es gibt dafür auch schon ein erfolgreiches Beispiel. Die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 ein gemeinsames Bund-Länder-Programm für den Ausbau von Ganztagsschulen aufgelegt. Ich selber habe damals auf Bundesseite die Gespräche mit den Ländern mit geführt. Am Anfang gab es da von einer ganzen Reihe von Ländern viel Widerstand. Aber schauen Sie sich einmal die Zahlen an: 2002 lag das Angebot an Ganztagsschulen für Schüler bei 10 Prozent. 2009, am Ende dieses Programms, lag das Angebot an Ganztagsschulen bei knapp 30 Prozent. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist es gelungen, das Angebot innerhalb eines knappen Jahrzehnts zu verdreifachen. Warum packen wir das nicht wieder gemeinsam an? Warum sagen wir nicht: „Wir ändern das Grundgesetz; ({13}) wir schaffen die Voraussetzung für diese gemeinsame Anstrengung“? ({14}) Das, was im Moment vorliegt, eine Änderung des Art. 91 b Grundgesetz, reicht nicht aus. Wir brauchen eine umfangreichere Änderung, die eine Zusammenarbeit nicht nur im Hochschulbereich ermöglicht, sondern im gesamten Bildungsbereich. Ich kann Ihnen nur eines raten - lassen Sie mich das zum Schluss sagen -: Machen Sie einen Praxistest! Reden Sie mit Eltern, und versuchen Sie einmal, denen zu erklären, warum es dem Bund möglich ist, ein „Kita-Invest“-Programm gemeinsam mit den Ländern zu gestalten - eine sinnvolle Sache -, aber warum es dem Bund nicht möglich ist, gemeinsam mit den Ländern ein neues Ganztagsschulprogramm aufzulegen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Spaß und hoffe, dass es Ihnen gelingt. ({15}) Ich glaube, es ist höchste Zeit für eine gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern über die Parteigrenzen hinweg. Lassen Sie uns die Verfassung so ändern, dass wir einen kooperativen Bildungsföderalismus bekommen, in dem Bund und Länder gemeinsam an einem Strang ziehen! ({16}) Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Sylvia Canel für die FDP-Fraktion. ({0})

Sylvia Canel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004024, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mein lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist heute eine interessante Veranstaltung. Wenn man allerdings schon so viele Argumente gehört hat, dann bleiben nicht mehr viele übrig, die man nennen kann, ohne das Plenum damit zu langweilen. Es ist ganz bezeichnend, wie hier gegensätzlich argumentiert wird. Wir haben hier einen Antrag der SPD vorliegen, und Herr Rossmann hat sehr leidenschaftlich darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, auch einmal die Gegenseite zu loben, deren Leistungen anzuerkennen und sie nicht willentlich falsch zu verstehen. Ich finde das richtig, Herr Rossmann. Aber das gilt für unsere Seite genauso. Der vorliegende Antrag ist voll des Lobes für Ganztagsschulen. Ich kann mich diesem Lob unbenommen anschließen. Natürlich brauchen wir viel mehr Ganztagsschulen, die mit gut ausgebildeten Lehrern ausgestattet sind. Natürlich brauchen wir in der heutigen Zeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber nicht nur das: Wir brauchen auch gemeinschaftliche Erziehung, damit es in den Schulen überhaupt zum Unterrichten kommt. Wer aus der Großstadt kommt, weiß, was ich damit meine. Ja, da sind wir ganz beieinander. Aber ich verstehe nicht, warum Sie das noch nicht vorangetrieben haben. Mitglieder Ihrer Partei sind in den Bundesländern dafür zuständig. Und was sehen wir zum Beispiel in Hamburg? Ich komme aus Hamburg. In Hamburg regiert die SPD mit absoluter Mehrheit. Die Priorität für gut ausgebaute Ganztagsschulen statt „schlechte Schulen den ganzen Tag“ haben wir in Hamburg so noch nicht wiederfinden können, wie Sie das hier so richtig verkaufen. Aber genau dort liegt die Verantwortung, vor Ort in den Ländern, und das ist auch richtig so. ({0}) Vor Ort sollte man am besten wissen, was für die Schule wichtig ist. In Hamburg laufen Vermessungsteams über die Schulhöfe und prüfen, ob da nicht vielleicht zu viele Quadratmeter pro Schüler vorhanden sind. In diesem Fall könnte man die Fläche nämlich gut für den Wohnungsbau nutzen. Meine Damen und Herren, wie passt das zu Ihrem Anspruch, gute Ganztagsschulen einzurichten? Man weiß doch, dass Kinder Bewegung brauchen und ein Mindestmaß an Raum. In Berlin ist es ähnlich. Auch in Berlin wird nicht der Schwerpunkt auf gute Ganztagsschulen gelegt, obwohl dort Sozialdemokraten in der Verantwortung sind. ({1}) Warum setzen Sie das nicht einfach einmal um? Sie haben die Priorität gesetzt: Wir wollen unsere Infrastruktur ausbauen. - Deshalb wird es dort irgendwann einmal einen Flughafen geben, der so teuer wird wie der Kölner Dom. Bitte sehr! Aber Sie hätten auch eine ganze Menge für gute Ganztagsschulen abzweigen können. Warum ist Sachsen denn so erfolgreich? Weil sie dort nicht im ideologischen Schulkampf verharren und Strukturmodelle bis zum Erbrechen diskutieren, sondern einfach nur in guten Unterricht investieren. Das ist ein Vorbild. ({2}) Der Antrag ist auch deshalb interessant, weil er die eigene Arbeit sehr lobt, etwa das Ganztagsschulprogramm: Unsere Arbeit ist die tollste; alle anderen sind Versager. - Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass die Lehrer in guten Ganztagsschulen ein anderes Miteinander vorleben als das, was heute im Parlament zu erleben ist. ({3}) - Das steht im Antrag so drin. Ich habe ihn sehr genau gelesen, Herr Rossmann. Das Nächste ist: Der Antrag schließt nicht nur mit dem eigenen Lob und blendet alles aus, was in diesen vier Jahren an Gutem investiert und umgesetzt wurde, sondern auch mit der Forderung nach mehr Geld. Herr Steinmeier hat es selbst gesagt: Es geht um Bildung, Bildung, Bildung. In diesem Antrag heißt es nur: Mehr Geld! Mehr Geld! Mehr Geld! Das ist für eine gute Bildungspolitik eindeutig zu wenig. ({4}) Was geben wir den Leuten von unserer Bildungspolitik mit, die wir in vier guten Jahren gemacht haben? Das ist zunächst einmal die Priorität: Ja, Bildung braucht Geld. Wir haben knapp 14 Milliarden Euro draufgelegt, mehr als jede Koalition zuvor. ({5}) Darüber hinaus haben wir eine sehr gute Bilanz vorgelegt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Sylvia Canel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004024, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke sehr. Auch dann sind Sie noch mein Präsident. Ich möchte nicht überziehen. Man braucht eine ganze Menge Geld, aber Sie wissen auch, dass das nicht alles ist. Strengen Sie sich in den Bundesländern an! Sehen Sie zu, dass Ihre Ministerpräsidenten, Bürgermeister und wie sie alle heißen das tun, was Sie hier fordern und in völlig überzogener Art und Weise vorbringen. Danke sehr. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Thomas Feist für die CDU/CSUFraktion.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Vielleicht hätte der eine oder andere die Losung für den heutigen Tag lesen sollen. Sie lautet: Ich will Frieden geben an dieser Stätte, spricht der Herr Zebaoth. So ein Gepolter, dabei hatte ich mich auf eine sachliche Debatte gefreut. Ich will manches auslassen, das in dem Antrag enthalten ist. Ich will nicht über kollektive Zwangsbeglückung sprechen. Ich will auch nicht darüber sprechen, dass man aus dem Antrag herauslesen könnte, der Weg führe weg von der Bildungseinrichtung hin zur Erziehungsinstitution. Das alles will ich nicht tun. Aber eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Sehr geehrte Kollegen von der SPD, Sie waren schon mit Ihrem Wahlkampfslogan nicht sehr erfolgreich. Sie haben nämlich den Slogan von einer Zeitarbeitsfirma geklaut. Nun habe ich mich gefragt: Was ist denn „Projekt Zukunft“ für ein putziger Spruch? Wo kommt der her? Im Internet habe ich entdeckt, dass es eine Firma gibt, die unter dem Stichwort „Projekt Zukunft“ wirbt - das können Sie sich vielleicht merken -: „Ihr zuverlässiger Partner für professionelle Verkaufsaktionen, Aktionsmarketing, Krisenmanagement und Insolvenzen“. ({0}) Sie sollten vielleicht nächstes Mal aufpassen, was Sie über Ihren Antrag schreiben, und vielleicht erst einmal googeln. ({1}) Sie beginnen den Antrag mit dem Satz: „Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug.“ Das könnte auch als Überschrift über dem Antragsentwurf vom 7. Mai stehen. Einen derart lieblos hingeklitterten Antragsentwurf mit einem Haufen Rechtschreibfehlern, grammatikalischen Unwuchten und Satzwiederholungen, die irgendwo im Nirgendwo enden, habe ich noch nie gesehen. Man sollte sich genau überlegen, ob man einen Referentenentwurf nicht besser durchliest, bevor man seinen Namen darüberschreibt. ({2}) Ein Blick in den Antrag zeigt: Es gibt Forderungen, Forderungen, Forderungen, aber keine Lösungen. Es hätte der Ehrlichkeit halber zumindest bedurft, dass man abschließend nicht nur den Ländern und Kommunen für die enormen Anstrengungen dankt, sondern vielleicht auch einmal die Leistungen des Bundes erwähnt. Denn den 400 Millionen Euro, die damals von Ländern und Kommunen für das Ganztagsschulprogramm aufgebracht wurden, stehen 4 Milliarden Euro des Bundes gegenüber. Das wäre eine kleine Erwähnung an dieser Stelle wert gewesen. Forderungen statt Lösungen - das kann man nachlesen. ({3}) - Das ist doch Quatsch. So bescheiden sind Sie doch sonst auch nicht, Herr Rossmann. ({4}) Sie erheben nur Forderungen, bieten aber keine Lösungen. Das gilt vor allen Dingen für die Diskrepanz zwischen der schulischen Arbeit und der Freizeitgestaltung der Jugendlichen; das ist schon angesprochen worden. ({5}) Die Jugendlichen brauchen auch Zeit, um Sportvereine, Kirchengemeinden oder Musikschulen zu besuchen. Sie schreiben in Ihrem Antrag dazu: Als ungelöst muss weiterhin das Problem gelten, einen tragfähigen Ausgleich in der Zeitkonkurrenz insbesondere zur freien Jugendarbeit oder zu den Sportvereinen zu schaffen. Ungelöst! Eine Lösung wäre schön gewesen, wenn Sie schon einen so blumigen Antrag vorlegen. Oder ist das zu viel erwartet? ({6}) Zu den Ganztagsschulen möchte ich Ihnen noch eines sagen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Begriff noch gar nicht genau definiert ist. Das ist an mehreren Stellen Ihres Antrags zu lesen. Sie weisen außerdem darauf hin, dass die Auslastungszahlen ganz unterschiedlich sind. So liegt die Ganztagsteilnahmequote in Bayern bei 11,4 Prozent, während sie in Sachsen mit fast 80 Prozent den Spitzenwert erreicht. Doch auf die Ergebnisse hat die Ganztagsschule anscheinend gar keinen Einfluss. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sieht, dass die Ergebnisse in der Bildung sowohl in Bayern als auch in Sachsen hervorragend sind. Oder geben Sie mir da nicht recht? ({7}) Sie sagen, dass wir mehr Qualität in den Ganztagsschulen brauchen. Ich finde es bezeichnend, dass kein Bildungspolitiker der SPD heute hier gesprochen hat, abgesehen von einem Zwischenruf des Kollegen Rossmann. Sie sagen, dass wir eine bessere Ausgestaltung der Ganztagsschulen brauchen. Ich begreife daher nicht Ihre ablehnende Haltung, wenn wir 230 Millionen Euro für die kulturelle Bildung zur Verfügung stellen, die unserer Meinung nach zur Bildung - auch in den Ganztagsschulen - gehört. Sie erheben ständig Forderungen, aber wenn es darum geht, etwas zu tun, machen Sie nichts. Die Exzellenzinitiative „Lehrerbildung“ wird genau in die richtige Richtung weisen. Wir werden das in den nächsten vier Jahren weiterhin begleiten. Für Ihr Projekt „Zukunft - Deutschland 2020“ haben Sie noch ein paar Jahre Zeit. Machen Sie Ihre Hausaufgaben! ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Feist. - Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege Helmut Brandt. Bitte schön, Kollege Helmut Brandt. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner will ich zum Schluss die Debatte auf den zweiten thematischen Teil, die Integrationspolitik, lenken; denn die Bildungspolitiker aus meiner Fraktion sind auf jeden Fall schon zu Wort gekommen. Im Übrigen möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, danken. Sie haben zwar etwas von unserer Redezeit in Anspruch genommen. Sie haben aber recht: Wir haben das gerne hingenommen; denn Sie haben ganz entscheidend zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen. Jeder Satz von Ihnen war jede von Ihnen in Anspruch genommene Minute wert. ({0}) Im Gegensatz dazu steht der Aufschlag des SPDFraktionsvorsitzenden. Er hat zwar lautstark artikuliert, die Regierungsbank sei nicht hinreichend besetzt. Er selber hat aber das Ende der Debatte nicht erlebt und einem großen Teil der Debatte nicht beigewohnt. Ich finde das nicht gut. Man sollte schon mit gleichem Maß messen. ({1}) - Sie müssen diese drei Minuten nicht ertragen. Sie können - genauso wie Ihr Fraktionsvorsitzender - nach draußen gehen. ({2}) Ich möchte einen Punkt ansprechen, auf den ich Wert lege. ({3}) Sie fordern in Ihrem Antrag eine Grundgesetzänderung und wollen erreichen, dass der Bund zukünftig in der Lage sein soll, mehr Geld für Bildung auszugeben. Aber Sie haben keinen einzigen Satz dazu verloren, dass dann damit auch mehr Einfluss verbunden sein muss. Ich kann Ihre Ausführungen nicht würdigen, Herr Matschie, weil auch Sie dazu keinen einzigen Satz gesagt haben. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland haben wir ein großes Interesse daran, dass alle hier lebenden Menschen, auch diejenigen mit Migrationshintergrund, an unserem Bildungssystem teilhaben und davon profitieren. Nach dem Grundsatz „Fördern und fordern“ erwarten wir von den Migranten allerdings, dass sie sich den Herausforderungen stellen, die ein Leben in Deutschland mit sich bringt. Für mich und, wie ich denke, für uns alle bedeutet das in erster Linie das Erlernen der deutschen Sprache. Ohne Bildung und ohne eine gute Ausbildung, für die die deutsche Sprache nun einmal unabdingbar ist, erleiden die Betroffenen selbst große Nachteile, und - das muss man ganz klar sehen - unserem Land droht damit die Gefahr, dass nachwachsende Generationen ganz oder teilweise verloren gehen. Das können wir alle nicht wollen. Deshalb war und bleibt es richtig, dass die Maßnahmen zur Sprachförderung besser geworden sind, dass auch da mehr Koordination stattgefunden hat. Die jüngsten Zahlen der Integrationsbeauftragten belegen, dass - und das ist etwas Trauriges, das eben auch schon Erwähnung gefunden hat - in manchen Bundesländern beinahe jedes zweite Kind bei Eintritt in die Grundschule nicht mehr über das erforderliche Sprachniveau verfügt. Das ist ein, wie ich finde, dramatischer Befund, wenn man bedenkt, dass in Deutschland bei den unter fünfjährigen Kindern 35 Prozent einen Migrationshintergrund haben; denn dieser Nachteil zu Beginn des Schullebens ist nur schwer aufzuholen und wirkt sich - das ist die Erfahrung - während der ganzen Schulzeit aus. Deshalb müssen wir hier weitere Anstrengungen unternehmen. Zum Schluss - meine Redezeit geht zu Ende möchte ich auf eines hinweisen, was hier noch nicht gesagt worden ist. Im letzten Jahr hat die Zuwanderung in Deutschland extrem zugenommen, was wir begrüßen. Menschen aus europäischen Ländern und von außerhalb Europas sind zu uns gekommen. Deshalb werden in Zukunft - davon bin ich überzeugt - die Bildungs- und die Integrationspolitik einen immer höheren Stellenwert haben. Ich würde mir wünschen, dass wir da jedenfalls einer Meinung wären. Besten Dank. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Helmut Brandt war der letzte Redner in unse- rer Aussprache, die ich nun schließe. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13482 und 17/13483 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 l sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g auf: 56 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Prävention - Drucksache 17/13401 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({0}) Sportausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung - Drucksache 17/13402 30170 Vizepräsident Eduard Oswald Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken ({2}) - Drucksache 17/13403 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften - Drucksache 17/13404 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({4}) Sportausschuss Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsa- chen - Drucksache 17/13415 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. Januar 2013 über die Vorrechte und Immunitäten der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien - Drucksache 17/13416 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes zu dem OCCAR-Überein- kommen vom 9. September 1998 - Drucksache 17/13417 - Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Abkommens vom 20. März 1995 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundes- fernstraßen und der polnischen Landesstra- ßen an der deutsch-polnischen Grenze - Drucksache 17/13418 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung i) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes - Drucksache 17/13427 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({6}) Ausschuss für Arbeit und Soziales j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die Bekanntmachungen zum Ausstellungsschutz - Drucksache 17/13428 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tabakprävention und Schadensminderung stärken - EU-Tabakprodukterichtlinie weiter verbessern - Drucksache 17/13244 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Serkan Tören, Joachim Günther ({10}), Dr. Lutz Knopek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im und durch den Sport nachhaltig stärken - Drucksache 17/13479 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({11}) Innenausschuss Haushaltsausschuss ZP 2a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dopingbekämpfung im Sport ({12}) - Drucksache 17/13468 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({13}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Vizepräsident Eduard Oswald b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum Abschluss bringen - Drucksache 17/12507 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({14}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände einführen - Drucksache 17/13477 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({16}), Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich - Drucksache 17/13478 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({17}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ländliche Räume als Lebensräume bewahren und zukunftsfähig gestalten - Drucksache 17/13490 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({18}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für eine kohärente Politikstrategie zur Überwindung des Hungers - Drucksache 17/13492 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({19}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Atomrisiken ernst nehmen - Auch in Bezug auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien - Drucksache 17/13491 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({20}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a und b, 57 d bis h sowie 57 j bis q sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 57 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 - Drucksache 17/13059 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({21}) - Drucksache 17/13302 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13302, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13059 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das Ergebnis ist wie vorhin, alle stimmen dafür. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Nachnutzung der ehemaligen deutsch-österreichischen gemeinschaftlichen Grenzzollämter - Drucksache 17/12954 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({22}) - Drucksache 17/13346 Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips Petra Hinz ({23}) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13346, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12954 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die Verordnung ({24}) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung ({25}) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar - Drucksache 17/13029 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({26}) - Drucksache 17/13349 Berichterstattung: Abgeordneter Herbert Behrens Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13349, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13029 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind wiederum alle Kolleginnen und Kollegen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Ebenfalls niemand. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen. Tagesordnungspunkt 57 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({27}) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung ({28}) Nr. 2006/ - Drucksache 17/13031 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({29}) - Drucksache 17/13350 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Gottschalck Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13350, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13031 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Enthaltungen? - Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes - Drucksache 17/13028 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({30}) Vizepräsident Eduard Oswald - Drucksache 17/13352 Berichterstattung: Abgeordnete Kirsten Lühmann Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13352, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13028 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Gegenstimmen? - Niemand. Enthaltungen? Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 11. April 1955 über die Internationale Finanz-Corporation - Drucksache 17/12953 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({31}) - Drucksache 17/13366 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Dr. Barbara Hendricks Harald Leibrecht Heike Hänsel Ute Koczy Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13366, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12953 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 h: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes - Drucksache 17/13027 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({32}) - Drucksache 17/13465 Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Beckmeyer Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13465, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13027 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkte 57 j bis q; das sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 57 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33}) Sammelübersicht 582 zu Petitionen - Drucksache 17/13260 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 582 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34}) Sammelübersicht 583 zu Petitionen - Drucksache 17/13261 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Sammelübersicht 583 ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Tagesordnungspunkt 57 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35}) Sammelübersicht 584 zu Petitionen - Drucksache 17/13262 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 584 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 585 zu Petitionen - Drucksache 17/13263 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? Niemand. Die Sammelübersicht 585 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37}) Sammelübersicht 586 zu Petitionen - Drucksache 17/13264 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion. Sammelübersicht 586 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38}) Sammelübersicht 587 zu Petitionen - Drucksache 17/13265 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sammelübersicht 587 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39}) Sammelübersicht 588 zu Petitionen - Drucksache 17/13266 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 588 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 57 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40}) Sammelübersicht 589 zu Petitionen - Drucksache 17/13267 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 589 ist angenommen. Zusatzpunkt 3 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes ({41}) - Drucksache 17/13032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({42}) - Drucksache 17/13532 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Valerie Wilms Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13532, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13032 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zusatzpunkt 3 b: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({43}) - zu der Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen ({44}) - zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Verordnung zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung ({45}) - Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525 Berichterstattung: Abgeordneter Ingo Egloff Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, der Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen auf Drucksache 17/13308 in der Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung auf Drucksache 17/13309 in der Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmungen haben wir geschafft. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier - Bilanz der Chancen, Reden und Ergebnisse Ich habe eine Änderung der Rednerliste bekommen. Diese wird den Fraktionen bekannt gegeben. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Ulrich Kelber. Bitte schön, Kollege Ulrich Kelber. ({46})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor etwa einem Jahr löste Frau Bundeskanzlerin Merkel den damaligen Umweltminister Röttgen wegen Erfolglosigkeit ab. Peter Altmaier sollte nun verhindern, nachdem die CDU alle Landtagswahlen seit 2009 verloren hat, dass das Missmanagement bei der Energiewende auch das Bundestagswahlergebnis verhageln könnte. Nach einem Jahr Umweltminister Altmaier können wir eine Bilanz ziehen: netter Typ, bunte Show, praktisch keine Ergebnisse. Es ist natürlich viel angenehmer, mit Peter Altmaier zu sprechen und ihm zuzuhören als früheren oder aktuellen Energiepolitikern von CDU/CSU. Da schwärmt einer von den Chancen der Erneuerbaren. Da betont einer die Wichtigkeit von Klimaschutz. Da redet einer von Biodiversität. Da beschwört einer den Ressourcenschutz. Aber dann kommt leider die Methode Norbert Röttgen: Nach den warmen Worten folgt nichts oder sogar das Gegenteil des Angekündigten. Dieser Altmaier bremst dann die Erneuerbaren aus. Dieser Altmaier kämpft dann gegen wichtige Instrumente zum Klimaschutz. Dieser Altmaier folgt dann dem Landwirtschafts- und dem Wirtschaftsministerium und tut nichts für die Biodiversität. Dieser Altmaier legt dann kein Wertstoffgesetz vor. Das ist die Nullbilanz von Peter Altmaier. ({0}) Unsere vier Redner werden das an den Themen Energie, Fracking, Klimaschutz und internationale Atompolitik exemplarisch darlegen. Leider haben wir nur vier Redner in der Debatte. Es hätte sicherlich mehr Themen gegeben, an denen man das Ganze hätte veranschaulichen können. Ich widme mich dem Thema Energie. Da staunt die Öffentlichkeit seit etwa einem Jahr über den Dauerstreit Altmaier und Rösler. Sie muss diesem Dauerstreit zuschauen. Das ist immerhin soziale Gleichheit; denn auch die Bundeskanzlerin schaut diesem Dauerstreit nur zu. Eine bessere Koordinierung der Energiepolitik hatte Peter Altmaier vor einem Jahr versprochen. Ein einfacher Faktencheck: Gestern haben wir ein Jubelpapier der Regierung zu ihrer Energiepolitik erhalten. Sucht man dort nach dem Thema „Interne Koordinierung“, findet man tatsächlich einen Punkt: Die Staatssekretäre der beteiligten Ministerien träfen sich jetzt zweimal im Jahr. Das ist die Koordinierung der Energiepolitik. Lieber Peter Altmaier: Man kann sich nicht aussuchen, mit wem man regiert. Ich gestehe Ihnen zu, dass Herr Rösler wirklich eine Prüfung ist, wenn man mit ihm zusammen Ergebnisse erzielen muss. Die Frage allerdings ist: Warum müssen Sie immer nachgeben? Warum darf Herr Rösler die Energieeffizienzrichtlinie in Brüssel blockieren? Warum darf er verhindern, dass der Emissionshandel repariert wird? Warum können Sie nicht durchsetzen, dass Deutschland ambitionierte Klimaschutzziele nach Brüssel meldet? Warum kämpfen Sie gemeinsam mit Herrn Rösler dafür, dass auch neue Autos weiterhin viel Benzin verbrauchen dürfen? Das verstehen wir nicht, Peter Altmaier. Was hat die Umwelt von einem Umweltminister, der keine Umweltpolitik macht? Gar nichts. ({1}) Ein besonderes Bubenstück war die sogenannte Strompreisbremse. In dem Papier ist richtig analysiert worden, dass nicht der Zubau der Erneuerbaren den Strompreis treibt, sondern das gesetzlich erzwungene Verscherbeln des aus erneuerbaren Energien gewonnenen Stroms an der Spotmarktbörse. Aber genau für die30176 ses Problem legt der Minister dann keinen Vorschlag vor, sondern sagt: Ich will den Zubau der erneuerbaren Energien ausbremsen. Das ist das, was stört. Und dann geht er auch noch mit Pathos hin und sagt: Wenn meinen Vorschlägen nicht gefolgt wird, dann kostet das 1 Billion Euro. Ging es nicht eine Nummer kleiner, Peter Altmaier? ({2}) Bis heute weigert er sich, diese Zahl zu erklären. Auf eine schriftliche Anfrage antwortete er, er könne das nur mündlich unter vier Augen und nicht in der Öffentlichkeit machen. Peter Altmaier vermittelt immer mehr den Eindruck, man müsse bei der Energiewende auf die Wendebremse treten. Er stellt den Zuwachs der erneuerbaren Energien als Problem dar. Dabei ist der Zuwachs, ein schneller Zuwachs, die Chance und die Lösung. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass der weltweite Erfolg erneuerbarer Energien immer mit dem Namen und dem Wirken unseres verstorbenen Parteifreundes Hermann Scheer verbunden bleiben wird. Wir wollen nicht auf die Bremse treten. ({3}) In Wirklichkeit haben Sie längst alle Regierungsversuche eingestellt. Im Rahmen des Beirats der Bundesnetzagentur haben wir Staatssekretär Becker, Herr über Hunderte Fachbeamte, gefragt, welche Vorschläge die Regierung für diese konkreten Probleme vorlegen würde. Einige, die hier sitzen, waren anwesend. Die Antwort lautete: Wir werden keinen Vorschlag machen. Machen Sie doch einen Vorschlag an dieser Stelle. - Dazu passt das, was Sie mir letzte Woche auf Twitter geschrieben haben; wir treffen uns da häufiger virtuell. Sie haben mich tatsächlich gefragt, was denn eine SPD-Regierung in Zukunft zur Förderung der erneuerbaren Energien machen wird. ({4}) So sehr hat sich wohl noch kein Minister die eigene Ablösung herbeigesehnt. Vielen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Ulrich Kelber. Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Dr. Christian Ruck. - Bitte schön, Kollege Dr. Ruck. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde der SPD hat nur den einen durchsichtigen Sinn: eine polemische Kampagne gegen unseren engagierten Umweltminister Peter Altmaier zu führen. Das ist sowohl schäbig als auch scheinheilig. ({0}) Es ist schäbig, weil die Vorwürfe entweder an die falsche Adresse gerichtet oder schlichtweg falsch sind. Das nennt man Verleumdung. Scheinheilig ist es, weil die Opposition von ihrem eigenen umweltpolitischen Versagen ablenken will. ({1}) In Wahrheit hat Bundesumweltminister Altmaier in knapp einem Jahr Amtszeit mehr erreicht und angestoßen als so mancher rote und grüne Amtsvorgänger zuvor in einer ganzen Legislaturperiode. ({2}) Zu den erneuerbaren Energien: Entgegen Ihren Behauptungen und falschen Thesen haben die erneuerbaren Energien unter der Amtszeit Peter Altmaiers gewaltig zugelegt. ({3}) 2012 wurden 10 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als 2011, und das, obwohl Peter Altmaier völlig zu Recht und entgegen dem erbitterten Widerstand mit seiner PV-Novelle dafür gesorgt hat, ({4}) dass die Photovoltaik heute nicht mehr der Hauptkostentreiber bei der Energiewende ist. ({5}) Zum Bundesbedarfsplangesetz: Auch hier hat Peter Altmaier gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister den Netzausbau vorangetrieben und die Grundlagen für einen weiteren Ausbau gelegt. Ich erinnere an dieser Stelle auch an die neue Haftungsregelung im Bereich Offshore und die Bundeskompensationsverordnung, ({6}) bei denen Peter Altmaier für ein einheitliches Verfahren, für mehr Transparenz und Effektivität gesorgt hat. ({7}) Zu den KfW-Förderprogrammen für dezentrale Stromspeicher: Auch hier hat Peter Altmaier die Integration der erneuerbaren Energien gefördert und die Speichertechnologien stärker in den Markt gebracht. ({8}) Zur organisatorischen Neuordnung des BMU: Mit den drei neuen Unterabteilungen hat der Minister Kompetenzen gebündelt ({9}) und die Strukturen für die großen Herausforderungen der Umwelt- und Energiepolitik geschaffen. ({10}) Zum Asse-Gesetz: Im großen Konsens aller Akteure hat der Minister sichergestellt, dass die Rückholung der Abfälle die bevorzugte Lösung ist. Auch das ist das Verdienst von Peter Altmaier. Zum Standortauswahlgesetz: Wir haben morgen die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf. Der parteiübergreifende Konsens in dieser so wichtigen und auch generationenübergreifenden Frage ist ebenfalls das Ergebnis einer wirklich unermüdlichen Anstrengung von Peter Altmaier. ({11}) Ich möchte die Opposition warnen, diesen Kompromiss jetzt mit parteitaktischen Spielchen zu gefährden. Wer jetzt noch Absetzbewegungen vornimmt, betreibt Sabotage auf dem Rücken zukünftiger Generationen. ({12}) - So ist es. Weitere Beispiele: die Mittelstandsinitiative Energiewende und die kostenlose Energieberatung für einkommensschwache Haushalte. Kurz: Alle Vorhaben des 10-Punkte-Programms, das Peter Altmaier am 16. August letzten Jahres vorgestellt hat, hat er entweder engagiert umgesetzt ({13}) oder sind in der Mache. ({14}) Hier möchte ich insbesondere auf seinen Verfahrensvorschlag für die mehr als notwendige Überarbeitung des EEG hinweisen. ({15}) Die Vorarbeiten für eine grundlegende Reform des EEG hat Peter Altmaier vorangetrieben. Ich glaube schon, dass diese Reform des EEG entscheidend für den Erfolg der Energiewende ist, entscheidend dafür ist, ob wir es trotz Energiewende schaffen, dass die Industrie das Rückgrat unserer Wirtschaft bleibt, sodass wir ein Beispiel für die Welt sein können. Gerade beim EEG und bei Peter Altmaiers Vorschlag zur Strompreisbremse zeigt sich die Scheinheiligkeit der Opposition: ({16}) Auf der einen Seite lamentieren Sie laut über steigende Energiepreise, auf der anderen Seite lehnen Sie über die Länder die preisdämpfenden Vorschläge von Peter Altmaier ab. Das ist keine verantwortungsvolle Energiepolitik. ({17}) Der Höhepunkt Ihrer verantwortungsvollen Haltung war Ihr jämmerlicher Auftritt im Zusammenhang mit der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Das bleibt ein Skandal, und da lassen wir Sie auch nicht aus der Verantwortung. ({18}) Scheinheilig ist auch Ihre Nummer, dem Umweltminister bei seinem mutigen Eintreten für internationale Umweltbelange ständig in den Rücken zu fallen, ({19}) und das bei dem massiven Gegenwind, den gerade der internationale Umweltschutz in dieser Zeit verspürt; das sehen wir auch beim Klimaschutz. Wenn ich mir dann auch noch die zwielichtige Haltung etwa der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen - Stichwort „Kohle“, Stichwort „Backloading“ ({20}) oder die schwachbrüstige Bilanz der rot-grünen Landesregierung von Baden-Württemberg bei den erneuerbaren Energien anschaue, dann bleibt als Resümee der rot-grünen Umweltpolitik nur übrig: Scheinheiligkeit als Parteitaktik. ({21}) Das ist für eine zukunftsfähige Umweltpolitik zu wenig. Wir jedenfalls stärken Peter Altmaier bei seiner Umweltpolitik den Rücken. ({22}) Mut in der Umweltpolitik birgt natürlich viele Risiken und ruft Kritik hervor, vor allem, wenn es sich um große internationale Herausforderungen oder um ein Megaprojekt wie die Energiewende handelt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerade in der Umweltpolitik gilt: Wer nicht kämpft, der hat schon verloren. Darum sind wir sehr froh darüber, dass Peter Altmaier unser Bundesumweltminister ist. ({0}) Wir brauchen ihn, die Umwelt braucht ihn; aber die Umwelt braucht keine rot-grünen Saboteure. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Eva Bulling-Schröter. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Peter Altmaier ist ein angenehmer Zeitgenosse. Ich persönlich nehme dem Umweltminister auch ab, dass er die Energiewende tatsächlich will. Aber im politischen Geschäft ist das letztlich unerheblich; denn die Bundesregierung als Ganzes will diese Wende offensichtlich nicht bzw. nur gebremst oder verzögert. ({0}) Da nutzt weder Nettigkeit noch ein tatkräftig federnder Gang - es zählt, was am Ende herauskommt. In Sachen Klimaschutz bescheinigt gerade das Umweltbundesamt der Bundesregierung, dass mehr herauskommt, nämlich mehr CO2 aus deutschen Kohlekraftwerken und Industriebetrieben, und zwar deshalb, weil der EU-Emissionshandel versagt hat. Auf dem Markt befinden sich rund 1,7 Milliarden CO2-Emissionszertifikate zu viel, vor allem aufgrund von Überzuteilungen an die Wirtschaft und einer Schwemme fauler Zertifikate aus Auslandsprojekten. Die deutsche Regierung enthält sich in Brüssel, wenn es darum geht, diese Überschüsse auch nur zeitweise stillzulegen. Und diese Entscheidung ist gegen den Klimaschutz und pro Erderwärmung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ich kann jetzt nicht beurteilen, wie hart Peter Altmaier und Philipp Rösler in Sachen Emissionshandel verhandelt haben; ich weiß es nicht. Am Ende hat jedenfalls die Industrie- und Kohlelobby gesiegt, also der FDP-Wirtschaftsminister. Eine Reform des Emissionshandels wird in Brüssel aber nicht nur von den Liberalen, sondern auch von den deutschen Abgeordneten der Union mehrheitlich blockiert. Herr Altmaier, ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben offensichtlich Ihren eigenen Laden nicht im Griff. Wir Linke streiten nach dem Scheitern des Emissionshandels für ein Kohleausstiegsgesetz; denn ein radikales Umsteuern im Kraftwerksbereich ist dringend notwendig. ({2}) Grüne und SPD schlagen hingegen so etwas wie Preisuntergrenzen für CO2-Zertifikate vor. Sehr mutige Politik, muss ich sagen. Viel Spaß beim Rumdoktern! Der Vollständigkeit halber sollte man ohnehin anfügen, dass die Ursachen für die gegenwärtige Zertifikatsschwemme nicht bei Schwarz-Gelb liegen, sondern bei Rot-Grün bzw. Schwarz-Rot. Leute wie Schröder, Clement, Trittin oder Gabriel ({3}) haben die Spielregeln für den Emissionshandel genauso mit aufgestellt ({4}) bzw. in Brüssel maßgeblich beeinflusst wie Bundeskanzlerin Merkel. Kostenlose Zuteilung statt Versteigerung, großzügige Anrechnung windiger Auslandszertifikate, Überzuteilung an die Industrie, irrsinnige Extraprofite für Energieversorger - das alles geht auf Ihr Konto und fällt auf Sie zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt haben wir den Salat. Mir wird auch ganz mulmig, wenn ich an das Endlagersuchgesetz denke, zu dem diese ganz große Koalition gerade so einen tollen Konsens erbrütet hat. Auch hier wurde die Linke wieder einmal von den anderen vier Fraktionen ausgegrenzt. Das Ergebnis: ein Endlagersuchverfahren, das die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu einer Alibiveranstaltung macht. ({5}) Weder die Linke noch die engagierten Bürgerinnen und Bürger um Gorleben, Morsleben, Schacht Konrad oder die Asse wurden zu den Gipfelgesprächen mit den Fraktionen des Bundestages hinzugezogen. Angesichts jahrzehntelangen Widerstands und der Sachkenntnis dieEva Bulling-Schröter ser Bewegung halte ich das für eine Ohrfeige für die Demokratie. ({6}) Obwohl die Castoren mit ihrem Atommüll noch Jahrzehnte oberirdisch abkühlen müssen, setzen die etablierten Parteien wieder auf Tempo statt auf Qualität und Transparenz. ({7}) Richtig wäre es aber gewesen, zunächst eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie Deutschland grundsätzlich mit dem Atommüll umgehen soll, und die Fehler der Vergangenheit schonungslos aufzuarbeiten. Schließlich werden jetzt die Weichen für eine Atommüllverwahrung über mehrere Hunderttausend Jahre gestellt. Dabei sollten Profilneurosen und Wahlkampfgetöse eigentlich mal außen vor bleiben können - sind sie aber leider nicht. Ein Endlagersuchgesetz dürfte erst am Ende einer gesellschaftlichen Debatte stehen, nicht am Anfang. ({8}) Dass Mitreden nicht gewollt ist, darauf gibt das merkwürdige Endlagersuchgesetz-Symposium Ende Mai einen Vorgeschmack. Hier soll nun die Öffentlichkeit an der Diskussion über dieses Thema beteiligt werden: bei einer zweieinhalb Tage dauernden Veranstaltung, für die zwei Wochen vor Beginn - heute habe ich die Einladung gesehen - weder die Tagesordnung feststeht noch klar ist, welche Referentinnen und Referenten da sein werden. Kein Wunder, dass die Antiatominitiativen überlegen, diese Alibiveranstaltung zu boykottieren - zu Recht, wie ich finde. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Eva Bulling-Schröter. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde für die Fraktion der FDP unser Kollege Michael Kauch. Bitte schön, Kollege Michael Kauch. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das waren vier gute Jahre mit dieser Regierungskoalition für den Umweltschutz in Deutschland. ({0}) Wir waren es, die die Energiewende beschlossen haben. ({1}) Sie haben es nicht hinbekommen, aus der Kernkraft auszusteigen ({2}) und gleichzeitig in das Zeitalter der erneuerbaren Energien einzusteigen. Das war die Koalition aus Union und FDP, die das gemacht hat. ({3}) Deshalb waren es vier gute Jahre für den Umweltschutz. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben eine dynamische Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien erreicht und gleichzeitig die Subventionen für die Solarenergie massiv gesenkt. Als wir die Regierungsverantwortung übernahmen, haben wir 43 Cent für die Kilowattstunde Solarstrom bezahlt, genauer gesagt: haben die Stromkunden mit ihrer Rechnung bezahlt. Jetzt vergüten wir weniger als 16 Cent; dennoch konnten wir in den letzten vier Jahren den stärksten Ausbau der Solartechnik in Deutschland verzeichnen. Das ist kluge Politik. ({5}) Mehr Ökostrom für weniger Geld - das ist unser Ansatz. Ihr Ansatz ist: mehr Geld, möglichst viel Geld und dann gucken, was dabei herauskommt. ({6}) Wir haben für die Gebäudesanierung dauerhaft ein Finanzvolumen von 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt. ({7}) Selbst jetzt, wo wir Probleme mit dem Energie- und Klimafonds haben, ist an dieser Stelle kein einziger Euro gekürzt worden. Wir haben das Mietrecht in Bezug auf energetische Sanierungen modernisiert. Wir waren auch diejenigen, die eine weitere Förderung der Gebäudesanierung mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben, nämlich die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung. Das haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im Bundesrat abgelehnt. Sie stellen die Blockademehrheit im Bundesrat. Sie können es nicht dieser Regierung anlasten, wenn Sie im Bundesrat ständig blockieren. Wir haben unsere Hausaufgaben in Sachen Energieeffizienz gemacht. ({8}) Diese Regierung hat auch den Großkonflikt um die Atomkraft beendet. ({9}) Wir haben einen Bundesumweltminister, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen gesellschaftlichen Konsens herbeizuführen. Und es ist diese Regierung, die die Mittel für den internationalen Klima- und Umweltschutz sowie den Waldschutz erhöht hat. Auch im Bereich der internationalen Umweltpolitik waren das vier gute Jahre für den Umweltschutz. Aber auch auf nationaler Ebene hat diese Regierung viel auf den Weg gebracht, gerade für den Naturschutz. Es ist diese Bundesregierung gewesen, die endlich ein Bundesprogramm Biologische Vielfalt aufgelegt hat. ({10}) Es ist diese Regierung, die ein Bundesprogramm zur Wiedervernetzung von zerschnittenen Lebensräumen eingeführt hat. Es ist diese Regierung, die die Luftreinhaltung vorangebracht hat, indem sie die Standards für Kraftwerke erhöht hat, ({11}) indem sie die Standards für Kleinfeuerungsanlagen erhöht hat, indem sie die Rußpartikelfilter für Pkw gefördert hat. Auch für den Naturschutz und die Luftreinhaltung waren das vier gute Jahre für Deutschland. ({12}) In Sachen Lärmschutz haben die SPD und ihre Umweltminister jahrelang geschlafen. Sie haben alle unsere Anträge zum Lärmschutz bei der Bahn abgelehnt. Wir haben lärmabhängige Trassenpreise eingeführt. Wir haben den Schienenbonus abgeschafft. Auch hier waren das vier gute Jahre für den Lärmschutz in Deutschland. ({13}) Wir haben unsere Hausaufgaben auch bei anderen Dingen gemacht. Wir sind diejenigen, die dafür sorgen wollen, dass die Strompreise zum 1. Januar 2014 nicht weiter steigen. Deshalb haben die Minister Altmaier und Rösler ein Konzept vorgelegt. Dieses Konzept haben die Koalitionsfraktionen noch einmal verbessert. Und wer blockiert wieder? Die rot-grünen Länder im Bundesrat signalisieren: Nein, wir wollen, dass die Strompreise zum 1. Januar 2014 weiter steigen, damit keine Lobby auf irgendetwas verzichten muss. ({14}) Das ist rot-grüne Politik. Unsere Politik ist es, die Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken. ({15}) Meine Damen und Herren, auch beim Thema Emissionshandel wird hier viel heiße Luft verbreitet. Die Kollegin Bulling-Schröter hat dankenswerterweise schon deutlich gemacht, dass nicht die FDP dafür verantwortlich ist, dass übermäßig viele Zertifikate in den vergangenen Handelsperioden verteilt worden sind. ({16}) Die FDP macht aber zugleich deutlich, dass dieser Emissionshandel nicht gescheitert ist; ({17}) denn das wesentliche Ziel des Emissionshandels ist erreicht worden, nämlich die Klimaschutzziele in Deutschland und Europa bei möglichst niedrigen Kosten einzuhalten. ({18}) Anders als in den Sektoren, in denen wir keinen Emissionshandel haben, ist das Klimaschutzziel in den Emissionshandelssektoren eingehalten worden. In den Sektoren, in denen wir Probleme haben, gibt es keinen Emissionshandel. Deshalb ist es ein Märchen, dass der Emissionshandel gescheitert ist. ({19}) Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({20})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Michael Kauch. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Bärbel Höhn. Bitte schön, Frau Kollegin Bärbel Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man von Herrn Kauch gehört hat, welch tolle Politik die FDP gemacht hat, kann man gar nicht verstehen, warum die FDP momentan in den Umfragen so schlecht dasteht. - Es wird Zeit, dass endlich wieder Taten sprechen und nicht Worte. Es wird Zeit für eine Veränderung. Ab dem 22. September ist es so weit. ({0}) Herr Minister Altmaier, Sie sind jetzt seit einem Jahr im Amt. Ich wünsche Ihnen, dass das für Sie persönlich ein gutes Jahr war. Für die Energiewende, für den Umweltschutz und für den Klimaschutz war es ein schlechtes Jahr. 20 Jahre lang ging der Ausstoß an Klimagasen zurück. Das erste Mal, dass wir wieder einen Anstieg verzeichnet haben, war das erste Jahr Ihrer Amtszeit, Herr Altmaier. Dieses Jahr ist das erste Jahr, in dem die CO2-Werte wieder gestiegen sind, und zwar um 1,6 Prozent. Für ein Jahrzehnt fungierte der Ausbau der erneuerbaren Energien als Jobmotor für Deutschland. In Ihren ersten zwölf Monaten ist die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich durch den Zusammenbruch der Photovoltaikwirtschaft in großen Teilen Deutschlands zum ersten Mal zurückgegangen. Sie sind der erste Umweltminister in der Geschichte Deutschlands, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Ausbau der Erneuerbaren auszubremsen, anstatt ihn zu fördern. Sie haben nicht die Entscheidung des Europaparlaments verhindert, wodurch es jetzt weniger Klimaschutz geben wird. Ein Beschluss für mehr Klimaschutz ist an Deutschland gescheitert, an deutschen Abgeordneten, an Konservativen und Liberalen, die sich gegen einen ehrgeizigen Klimaschutz in Europa ausgesprochen haben. Deutschland ist in Ihrer Amtszeit letzten Endes zum Hindernis für europäischen Klimaschutz geworden. Morgen werden Sie Ihren einzigen Erfolg erzielen. Morgen wird nämlich das sogenannte Atommüllendlagersuchgesetz in den Bundestag eingebracht. Aber auch diesen Erfolg haben Sie nur Rot-Grün zu verdanken. Denn es war Ministerpräsident Kretschmann, der diesen Prozess wieder eröffnet hat, indem er gesagt hat: Ich bin bereit, auch in Baden-Württemberg nach einem Endlagerstandort suchen zu lassen. ({1}) Es sind rot-grüne Regierungen wie die von Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, die sagen: Okay, damit es keinen Castortransport mehr nach Gorleben gibt, sind wir bereit, den Müll in Zwischenlagern bei uns aufzubewahren. Wo ist Bayern? Wo ist Hessen? Herr Ruck, Sie sind scheinheilig: Sie wollen die Zwischenlagerung und das Endlager nicht in Ihren konservativen Bundesländern, stellen sich hier aber hin und versuchen, Rot-Grün die Schuld zu geben. Das ist nicht in Ordnung. ({2}) Die Bilanz dieses ersten Jahres als Bundesumweltminister ist eine traurige Bilanz für den Umweltschutz. Ich komme noch einmal auf die Entscheidung im Europaparlament zurück. Herr Altmaier, Sie hatten einen flehenden Brief an die Kollegen von CDU und CSU geschrieben. Was war der Erfolg? Die CSU hat fast geschlossen nicht in Ihrem Sinne, sondern gegen den Klimaschutz gestimmt. Es war der Kollege Reul von der CDU, der den Widerstand gegen den Klimaschutz auf EU-Ebene massiv nach vorne getrieben hat. Auch die FDP - dazu steht sie - hat gegen den Klimaschutz gestimmt. ({3}) - Geschlossen dagegen gestimmt. - Das heißt, auch die Kanzlerin zeigt Ihnen die kalte Schulter und hat nur ein paar warme Worte übrig. Das bedeutet andersherum: Sie stehen mit Ihrer Politik und Ihren Positionen alleine da. Sie werden von den eigenen Kollegen alleine gelassen. ({4}) Was machen Sie? Sie schreiben eine Zeitungskolumne. Das machen Sie gar nicht so schlecht. Die eigentliche Frage ist doch, ob Sie das nicht sogar besser können. Also lautet mein guter Rat: Ab dem 22. September sollten Sie Zeitungskolumnen schreiben, statt Bundesumweltminister zu sein. ({5}) Gerade beim Naturschutz, Herr Ruck, der Ihnen eigentlich so am Herzen liegt, ist die Bilanz nach diesem einen Jahr verheerend. Bei der Kompensationsverordnung geht es nun nur noch um die Frage: Wie machen Sie es Naturzerstörern einfacher, das zu tun, was die wollen? Sie wollen es ihnen einfacher machen, indem sie sich freikaufen können. Das Einzige, was Sie in diesem Jahr für den Naturschutz zu bieten haben, ist, dass Sie einen Ablasshandel zulasten der Natur auf den Weg bringen wollen. Das wird nicht mehr Geld für den Naturschutz bringen, sondern weniger. Dieses Vorgehen ist nicht in Ordnung und nicht gut für den Naturschutz. ({6}) Nehmen wir das Thema Fracking. Sie sind dabei, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den erlaubt wird, hochgiftige Chemikalien in den Untergrund zu pumpen. ({7}) Sie sagen zwar, dass Sie Fracking verbieten wollen, aber tatsächlich würde durch den Gesetzentwurf Fracking auf über 80 Prozent der Landesfläche freigegeben werden. Das ist letzten Endes kein Fracking-Verbotsgesetz, sondern ein Fracking-Ermöglichungsgesetz, was Sie da machen. Das lehnen wir ab. ({8}) Wenn ich mir Ihre Amtszeit, Herr Altmaier, anschaue, dann habe ich den Eindruck, Sie sind der Ritter von der traurigen Gestalt. Sie haben keinen Rückhalt in den eigenen Reihen, kämpfen buchstäblich gegen Windmühlen und bremsen die Erneuerbaren aus. Sie wollen gerne Heldentaten vollbringen, aber das, was Sie beim Thema Fracking machen, ist am Ende ein schlechter Kompromiss. Deshalb kann ich nur sagen: Sie sind immer noch in Ihrer Rolle als Parlamentarischer Geschäftsführer: Sie wollen unbedingt den Kompromiss, aber die Sache inte30182 ressiert Sie nicht. Das merkt man all den Entscheidungen, die Sie treffen, an. Wir wollen die Energiewende zum Erfolg führen. Wir wollen wieder zum Vorreiter beim Klimaschutz werden. Wir wollen, dass Naturschutz nicht nur ein Ablasshandel ist. Wir wollen eine andere Politik, meine Damen und Herren, und deshalb brauchen wir eine andere Regierung. Dafür kämpfen wir am 22. September dieses Jahres. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Bärbel Höhn. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister Peter Altmaier. Bitte schön, Herr Bundesminister Peter Altmaier. ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei Ihnen, lieber Herr Kelber, und bei Ihnen, lieber Herr Miersch, ganz herzlich für das nette Geburtstagsgeschenk, das Sie mir gemacht haben, bedanken. Nicht jeder Minister hat die Möglichkeit, nach einem Jahr im Amt über all das, was in dieser Zeit geschehen ist und angestoßen worden ist, vor dem deutschen Parlament und der deutschen Öffentlichkeit zu berichten. ({0}) Einige haben gemeint, ich hätte meinem alten Freund Thomas Oppermann etwas versprochen, damit er dafür sorgt, dass dieser Punkt auf die Tagesordnung kommt. Ich sehe das eher als eine Bestätigung des guten Verhältnisses an, das wir jenseits aller Polemik und allen Streits in den letzten zwölf Monaten in fast allen wesentlichen Fragen hatten. Deshalb möchte ich die verbleibenden Redner ermuntern und bitten, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, indem sie das, was wir erreicht haben, kleiner machen, als es in Wirklichkeit ist. Nicht nur die letzten vier Jahre, sondern auch das letzte Jahr waren gute Jahre für den Umweltschutz und die Energiewende in Deutschland. Manches hat diese Koalition vorangebracht, vieles haben wir gemeinsam bewegt. Lassen Sie mich das im Einzelnen anhand der drei großen Gesetzesvorhaben, die wir bereits verabschiedet haben oder bis zur Sommerpause auf den Weg bringen werden, erläutern: anhand des Asse-Gesetzes, der Reform der Photovoltaik und des Endlagersuchgesetzes. Nachdem die Energiewende nach Fukushima beschlossen war, haben wir noch lange Zeit Debatten darüber geführt, ob der Ausstieg aus der Kernenergie endgültig ist oder nicht. Als ich Minister wurde, hat jede Äußerung von mir in dieser Richtung Agenturmeldungen und öffentliche Aufmerksamkeit provoziert. Inzwischen ist es so, dass der Ausstieg aus der Kernenergie eindeutig, umfassend und überall - nicht nur auf grünen Parteitagen, sondern auch in der Wirtschaft, auch im Mittelstand - akzeptiert ist und unterstützt wird. ({1}) Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es richtig, dass wir für die Hinterlassenschaften dieser Ära gemeinsam und im Konsens nach Lösungen suchen. ({2}) Es war doch meine Entscheidung, als Erstes die Asse zu besuchen, und zwar nicht alleine, sondern gemeinsam mit dem vor Ort zuständigen Wahlkreisabgeordneten Sigmar Gabriel - auch auf die Gefahr hin, dass die Statik des Förderkorbes vielleicht überbeansprucht wird, wenn wir beide gemeinsam drinsitzen. Jedenfalls haben wir damit deutlich gemacht: Die Asse ist ein Thema, das nicht innerhalb von Vierjahresschritten behandelt werden kann, sondern über Wahltermine hinaus geregelt werden muss. Bei meinem damaligen Besuch habe ich angekündigt: Wir machen ein Asse-Gesetz. - Das, was die Betroffenen vor Ort über viele Jahre gefordert hatten, was weder Sigmar Gabriel noch Jürgen Trittin erreichen konnten, was die Betroffenen bis dahin von keinem anderen Bundesumweltminister bekommen konnten, habe ich ihnen zugesagt, unter der Voraussetzung eines Konsenses im Deutschen Bundestag. Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich bei Frau Kotting-Uhl, bei Frau Brunkhorst, bei Maria Flachsbarth und auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, die damals daran mitgewirkt haben, dass es möglich wurde, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir haben die finanziellen Mittel erhöht. Wir haben die Zahl der Planstellen erhöht. Wir werden dort einen neuen Schacht bauen. Wir sind dabei, dafür zu sorgen, dass das Thema Asse, das ein skandalöses Thema war, aus den Skandalschlagzeilen herauskommt. Die Menschen vor Ort sehen das, und sie schöpfen Hoffnung. Deshalb war das ein gutes Jahr für die Bewohner aus dem Umkreis der Asse und darüber hinaus. ({3}) Es war, meine Damen und Herren, auch ein gutes Jahr für die Suche nach einem Endlager. Wir haben in all dieser Zeit unabhängig von Wahlkämpfen, unabhängig von vielem öffentlichen Geschrei immer wieder über das Thema Endlager gesprochen: mit Sigmar Gabriel, mit Jürgen Trittin, aber auch in Niedersachsen mit David McAllister und Stefan Birkner, anschließend mit Stephan Weil und Stefan Wenzel sowie mit Herrn Kretschmann in Baden-Württemberg. Wir haben damit aufgegriffen, was Norbert Röttgen angefangen hat. Wir haben darüber gesprochen, dass es wichtig ist, das Signal zu geben, dass wir diese generationenübergreifende Aufgabe gemeinsam lösen. Jürgen Trittin, Winfried Kretschmann und Sigmar Gabriel waren nach dem Kompromiss fast noch euphorischer als ich. Deshalb tun Sie mir den Gefallen, wenn wir morgen darüber sprechen: Reden Sie diesen Kompromiss jetzt nicht schon wieder klein! Haben Sie vielmehr den Mut, zu sagen: Das haben wir parteiübergreifend und gemeinsam erreicht. ({4}) Nun zum Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Ich bin zutiefst überzeugt, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht nur für unser Land, sondern für den Umwelt- und Klimaschutz weltweit die richtige Entscheidung war und ist. Aber damit diese Entscheidung am Ende nicht eine deutsche Sonderlösung bleibt, sondern auch von anderen Ländern - China, Indien, Ländern in Afrika und in Lateinamerika - übernommen werden kann, muss diese Energiewende so organisiert werden, dass sie funktioniert und dass sie ein Erfolgsprojekt ist, von Anfang an. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte sprechen Sie einmal mit Matthias Platzeck und mit Klaus Wowereit. Ich bin überzeugt: Auch vom BER aus werden eines Tages Flugzeuge starten. ({6}) Genauso wird die Energiewende gelingen. Aber ich möchte, dass - im Unterschied zum BER - die Energiewende als Erfolgsprojekt wahrgenommen wird, und zwar vom allerersten Tag an. Dafür müssen wir die Weichen jetzt stellen. ({7}) - Lieber Herr Fell und lieber Herr Ott, wenn Sie jetzt versuchen, die Energiewende Ihrerseits schlechtzureden, ({8}) dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass wir auch die Verpflichtung haben, den Bürgerinnen und Bürgern offen und ehrlich zu sagen, was auf sie zukommt. ({9}) Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wer den Bürgerinnen und Bürgern etwas anderes erzählt, ({10}) der führt sie hinter die Fichte. Ich lese Ihnen jetzt einmal ein Zitat vor: Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kostet - so viel wie eine Kugel Eis. Das hat Umweltminister Jürgen Trittin im Jahre 2004 gesagt. ({11}) Meine Damen und Herren, wer mit den Bürgerinnen und Bürgern so umgeht, wer sie so wenig darüber informiert, was diese Energiewende bedeutet, der wird seinen demokratischen Verpflichtungen nicht gerecht. Deshalb muss über die Kosten geredet werden. ({12}) Über die Kosten muss auch geredet werden, damit wir die Kosten begrenzen können. Wir müssen die Kosten begrenzen, damit die Energiewende ein Exportschlager wird. Wir müssen die Kosten auch im Interesse der Rentnerinnen und Rentner und der Familien mit niedrigem Einkommen begrenzen. ({13}) Eine Begrenzung der Kosten liegt auch im Interesse der vielen Handwerker und des mittelständischen Gewerbes, das viele Arbeitsplätze in Deutschland schafft. ({14}) - Liebe Frau Höhn, ich nenne Ihnen jetzt einmal ein Beispiel. Wir haben mehrere wichtige Gesetze verabschiedet. Eines davon war das Gesetz zur Reform der Förderung der Photovoltaik. Dieses Gesetz, das die Opposition im Bundestag bekämpft hatte und das der Bundesrat noch im Mai 2012 mit 16 zu 0 Stimmen abgelehnt hatte, haben wir wenige Wochen später nach intensiven Verhandlungen, an denen einige von der Opposition beteiligt waren, mit breitester Mehrheit im Bundestag und mit 16 zu 0 im Bundesrat beschlossen. Wozu hat dieses Gesetz geführt? ({15}) Dieses Gesetz, lieber Herr Fell, hat dazu geführt, dass die Photovoltaik in Deutschland weiterhin stark ausgebaut wird. ({16}) Der Ausbau findet in einem Tempo statt, wie wir es noch nie in Deutschland hatten. ({17}) Trotzdem wird der Bürger in seiner Stromrechnung weniger belastet, weil die Menschen und die Betriebe PV-Anlagen für den Eigenverbrauch installieren. Sie haben damals diesen Regelungen zugestimmt. Hinterher haben Sie versucht, sich vom Acker zu machen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Photovoltaik bezahlbar bleibt und in Deutschland eine Zukunftsperspektive hat. ({18}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem einen Jahr sind nicht alle Probleme der Welt gelöst worden. ({19}) Wir haben aber über vieles diskutiert, zum Beispiel über die Strompreisbremse. ({20}) Ich habe vorgeschlagen, die Finanzierbarkeit der erneuerbaren Energien auch dadurch zu verbessern, dass wir Einschränkungen bei den Ausnahmeregelungen für energieintensive Unternehmen vorsehen. Unter anderem habe ich mit dem Kollegen Rösler vorgeschlagen, dass wir die Förderung von Steinkohle und Braunkohle nicht mehr mit der Besonderen Ausgleichsregelung nach dem EEG subventionieren. Das fanden die Grünen gut. Frau Kraft und Herr Platzeck haben dann böse geguckt, und dann war es mit Ihrem Mut vorbei. Ich habe selten erlebt, dass jemand so als Tiger gestartet und anschließend als Bettvorleger gelandet ist. ({21}) Wir haben es in den letzten zwölf Monaten geschafft, die Umwelt- und Energiepolitik wieder auf einen ganz prominenten, vorderen Platz in der politischen Agenda zu setzen. ({22}) Die Menschen interessieren sich dafür und diskutieren darüber. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Umweltund Energiepolitik nicht in Hinterzimmern stattfindet, sondern den Stellenwert bekommt, den sie verdient hat. Darauf bin ich stolz. Dies habe ich in Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU/CSU erreicht. Auch der eine oder andere von Ihnen hat daran einen Anteil, weil Sie mit dazu beigetragen haben, viele Gesetzentwürfe im Bundestag gemeinsam zu verabschieden. Deshalb sollten wir bei allem Streit über Einzelregelungen beim Fracking, beim Backloading und bei vielen anderen Dingen eines nicht vergessen: Diejenigen, die hier sitzen, sind die Unterstützer der Umwelt- und Energiepolitik in Deutschland, und wir sollten uns auch ein bisschen bemühen, Gemeinsamkeiten nach außen zu zeigen. In diesem Sinne noch einmal herzlichen Dank für die Gelegenheit, Ihnen und der Öffentlichkeit meine Leistungen und meine Erfolge darstellen zu dürfen. Vielen Dank. ({23})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Matthias Miersch. Bitte schön, Kollege Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zunächst vielen Dank, dass Sie uns würdigen, weil wir die Umweltpolitik hier zum Zentrum der Aktuellen Stunde gemacht haben. Es ist in der Tat ein wichtiges Thema. ({0}) Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass Sie hier auch zu den relevanten energie- und umweltpolitischen Themen Stellung nehmen, wenn es um Ihre Bilanz geht. Zu den wirklich wichtigen Dingen haben Sie hier aber leider geschwiegen, Herr Minister. ({1}) Sie haben vor einem Jahr in einer Hochglanzbroschüre mit vielen netten Fotos - der Minister im Watt, der Minister mit Windmühle, der Minister mit Photovoltaikanlage - zehn Punkte aufgeschrieben und Ihre Pläne vorgelegt. Am Ende müssen wir fragen: Was ist eigentlich aus diesen zehn Punkten geworden? Bis auf ganz wenige Ausnahmen, die wir nicht Ihnen und nicht Schwarz-Gelb, sondern wenn, dann unserer gemeinsamen Vernunft zu verdanken haben, haben Sie nichts geliefert, Herr Minister. ({2}) Deswegen zu Beginn mein Hinweis: Das Thema Endlagerung sollten wir auch in diesem Raum sehr sensibel besprechen; denn das ist kein Verdienst von einem Minister oder einer Abgeordneten. All das, was dort in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren passiert, ist hochfragil. Wenn Sie von einem Endlagerkonsens sprechen, ohne zu wissen, wie die Suche wirklich gestaltet wird und wo sie tatsächlich stattfindet, dann sage ich: Vorsicht! Frau Bulling-Schröter und Herr Ruck, wir sollten den politischen Schlagabtausch hier nicht auf Kosten dieses Konsenses führen. Für die SPD und auch für das Land Niedersachsen ist wichtig, dass - wir werden das morgen diskutieren Vereinbarungen, die getroffen worden sind, eingehalten werden. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Menschen bei dieser Frage überhaupt Vertrauen bekommen, ein Vertrauen, das wir sicherlich Jahrzehnte brauchen werden. ({3}) Mir und uns geht es heute in dieser Aktuellen Stunde aber darum, wie es mit den großen Themen weitergeht. Sie haben heute zum Beispiel ein Thema, zu dem ich hier reden will, völlig außer Acht gelassen - Sie haben es als Randthema beschrieben -, nämlich das Thema Fracking, die Förderung von unkonventionellem Erdgas. Wir stellen fest: Inzwischen versprechen Sie hier seit Jahren, wir würden eine gesetzliche Regelung treffen. Wenn Pinocchio Ihre Reden und die Ihres Vorgängers hier zitieren würde, dann könnte man nur froh sein, dass die Kuppel nach oben hin offen ist, weil seine Nase dann länger wäre als dieser Raum. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem 10-PunkteProgramm haben Sie aufgeschrieben: Dem Prinzip der Nachhaltigkeit fühle ich mich verantwortlich. Nachhaltige Ressourcennutzung und nachhaltige Energieversorgung stehen ganz oben. Lieber Herr Bundesumweltminister Altmaier, gerade bei einer solchen Diskussion würde ich mir von einem Umweltminister wünschen, dass er die grundsätzliche Frage stellt, ob es denn Sinn macht, in einem Land wie Deutschland zu diesen Zeiten auch noch das Letzte aus dem Boden herauszupressen. Wir hören leider gar nichts davon, hierzu eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln, lieber Herr Minister. ({5}) Wenn Sie sich dann schon bemühen und sagen, wir wollen ein Gesetz machen, stellt sich die Frage: Was legen Sie vor? Dazu kann man von Tag zu Tag neue Meldungen verfolgen. Plötzlich soll das Kabinett etwas entscheiden. Zwei Stunden später liest man: Es ist wieder von der Tagesordnung genommen. Dann kommen Abgeordnete aus ihren Wahlkreisen und sagen: Wir müssen da etwas tun! - Das geht seit Monaten so, und es bewegt sich nichts. ({6}) Oder Sie versuchen, ebenso wie Ihr Vorgänger - der Kollege Krischer weist zu Recht darauf hin, dass das schon seit drei Jahren so geht -, irgendwelche Fragmente in einem Gesetz zu regeln. Der neue Entwurf scheint eine Länderklausel zu beinhalten, nach der die Bundesländer selbst entscheiden sollen. Was ist das für eine Verantwortungsübernahme dieser Bundesregierung? ({7}) Man kann diese Frage nicht in Kleinstaaterei lösen; hier brauchen wir eine bundesgesetzliche Regelung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Es geht darum, Giftstoffe im Grundwasser zu unterbinden. Warum können wir uns auf diese Regelung hier nicht im Konsens einigen - zumal die Vertreter der großen Konzerne sagen, dass man in zwei Jahren so weit ist, ohne Chemikalieneinsatz daran zu arbeiten? ({9}) Nicht einmal das bekommen Sie mit einem Gesetzentwurf hin, Herr Meierhofer. Sagen Sie uns, wo dieser Gesetzentwurf ist - wir würden uns sofort an der Debatte beteiligen. Aber bei Ihnen ist nichts, aber auch gar nichts zu dieser Frage zu sehen. ({10}) Lieber Herr Altmaier, am Ende Ihres 10-Punkte-Programms haben Sie zum Thema Umweltpolitik geschrieben: Gerade in einem Politikbereich wie der Umweltpolitik ist es wichtig, kurzfristigen Aktionismus und ständige politische Richtungsänderungen zu vermeiden, damit sich alle Akteure auf bestimmte Sachverhalte und Entwicklungen einstellen können. Die Energiepolitik dieser schwarz-gelben Regierung und dieser schwarz-gelben Koalition, durch die zunächst die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert wurden und dann eine Rolle rückwärts gemacht wurde, ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man Energie- und Umweltpolitik nicht machen darf. Das Beispiel Fracking ist ein zweites Lehrbeispiel dafür, dass Sie ganz einfach durch Nichthandeln Fakten schaffen, die der Bevölkerung und den nachfolgenden Generationen gerade nicht guttun. Sie können an dieser Stelle leider nichts vorweisen. Deshalb dient diese Aktuelle Stunde dazu, dass sich auch die Bevölkerung, um die es geht, mit den Themen auseinandersetzen kann. Ihre Bilanz ist an dieser Stelle erschütternd. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Horst Meierhofer. Bitte schön, Kollege Horst Meierhofer. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil wir gehört haben, wie die Grünen gebrüllt haben, als der Herr Altmaier am Rednerpult war, wie sich der Herr Ott, die Frau Höhn und der Herr Krischer nicht mehr eingekriegt haben vor Eiferei, möchte ich als Erstes sagen: Die grüne Krawatte würde ich noch einmal überdenken, Herr Altmaier. ({0}) Wenn man sich die Herrschaften hier anschaut, muss man denen nicht zu sehr entgegenkommen. Aber das nur nebenbei. Angesichts dessen, was die Kollegen von der SPD, die ja diese Aktuelle Stunde beantragt haben, uns aus der Zeit, als der Umweltminister noch Sigmar Gabriel hieß, hinterlassen haben, ({1}) ist es eine Frechheit, die aktuelle Situation zu kritisieren; das ist vollkommener Wahnsinn. Da frage ich mich wirklich, ob Sie sich überhaupt noch an irgendetwas erinnern, was Sie damals geleistet haben. Können Sie sich noch daran erinnern, wie viel erneuerbare Energien wir damals hatten? Es gab 1,1 Cent EEG-Umlage in einer Zeit, in der wir fast keine Erneuerbaren ausgebaut hatten. Wissen Sie, wie viel erneuerbare Energien, wie viel aus Photovoltaik, wie viel aus Wind und wie viel aus Biomasse, wir heute haben? ({2}) Wissen Sie, wie viel es zu der Zeit gab, als Sie noch die Verantwortung für den Umweltschutz hatten? Wissen Sie von den Grünen noch, wie viel erneuerbare Energien damals ausgebaut waren, als Trittin Umweltminister war? ({3}) Und da trauen Sie sich, sich hier hinzustellen und so zu tun, als würde jetzt zu wenig passieren! Das ist doch wahnsinnig. ({4}) Pippi-Langstrumpf-Politik ist das. Sie malen sich die Welt so, wie sie Ihnen gefällt. Dabei erinnern Sie sich nicht daran, was in der Realität jemals passiert ist. ({5}) Was war denn in der letzten Legislatur zum Thema CCS? Haben Sie dazu in der Großen Koalition irgendetwas vorangebracht? Ist da vonseiten Herrn Gabriels irgendetwas passiert? Hat man versucht, irgendetwas zu ändern? ({6}) Wohl kaum; das Ganze ist in dieser Legislaturperiode beendet worden. Was ist denn beim Thema Endlagerung passiert, als Rot und Grün Verantwortung trugen, als der Kollege Trittin Umweltminister war? Was ist denn passiert, als der Kollege Gabriel Umweltminister war? ({7}) Nichts! In der Zeit haben Sie nichts anderes getan, als alles auszusitzen und nichts anzupacken, weil Sie Angst hatten, einen Fehler zu machen. ({8}) Deswegen sind Sie in einer Schockstarre verhaftet und haben nichts, aber auch gar nichts getan. ({9}) Wenn jetzt jemand einmal den Mut hat, etwas anzupacken, dann drohen Sie damit, nicht zustimmen. Das ist doch die Schizophrenie Ihrer eigenen Arbeit. ({10}) Sie leisten doch nichts anderes als Widerstand bei jeder einzelnen Sache. Jetzt habe ich gehofft, sagen zu können, dass im Bereich der Endlagersuche ein großer Sprung nach vorne gelungen ist, weil Peter Altmaier jemand ist, der alle einbezieht. ({11}) Ich an seiner Stelle würde mir nach der heutigen Debatte die Frage stellen, ob seine Taktik überhaupt die richtige ist. Während er versucht, alle mit einzubeziehen, um gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen, machen Sie doch nichts anderes, als das Ganze immer wieder aufzuschnüren. Jetzt haben wir heute von Herrn Trittin gehört: Wenn das Ganze so weitergeht, dann gibt es hier keinen Konsens. ({12}) So etwas macht man doch nicht über Spiegel Online. So etwas macht man in Gesprächen, die man miteinander führt. ({13}) Haben Sie erlebt, dass der Umweltminister an die Öffentlichkeit gegangen ist, ohne mit Ihnen gesprochen zu haben? Gleichzeitig werfen Sie mir jetzt vor, ich würde hier ein Thema ansprechen, das viel zu sensibel ist. Nein, das muss man direkt miteinander besprechen, wenn man an einem Ergebnis Interesse hat. Aber ich unterstelle Ihnen, dass Sie kein echtes Interesse an Ergebnissen haben, sondern dass Sie nur ein Interesse daran haben, die anderen schlechtzureden, ohne selbst vernünftige Vorschläge zu machen. ({14}) Sie haben bei dem schönen Thema EEG in der letzten Legislatur sehenden Auges nichts getan, obwohl Ihr Umweltminister Gabriel dafür hätte sorgen können, die absehbaren Fehlentwicklungen einzudämmen. Michael Kauch hat darauf hingewiesen, wie stark die Kosten für die Erneuerbaren in dieser Legislatur gesunken sind und dass gleichzeitig der Ausbau der Anlagen zugenommen hat. Trotzdem war das noch zu langsam, zumindest zu Beginn 2010/2011. Das muss man zum Thema Kostendegression selbstkritisch sagen. Woran lag es? Es lag daran, dass vorher nichts passiert ist und weil es natürlich die Akteure, die Player, gewohnt waren, dass sie das Ganze aussitzen konnten; denn sie wussten: Im Umweltministerium sitzt jemand, der selber nicht den Mumm und die Kraft hat, hier etwas anzupacken. Über Jahre hat man alle Probleme ausgesessen, nichts angegangen und nichts erreicht, aber jetzt macht man anderen Vorwürfe. Das ärgert mich furchtbar. ({15}) Jetzt erzähle ich Ihnen etwas zum Wertstoffgesetz, zur Gebäudesanierung, ({16}) zur Strompreisbremse. Fällt Ihnen unter Umständen auf, dass all das Themen sind, bei denen konkrete Vorschläge von Herrn Altmaier gekommen sind? ({17}) Wenn es aber um die Umsetzung ging, haben Sie nichts anderes gemacht, als sich querzustellen. ({18}) Wenn es Ihnen um Klimaschutz geht und darum, Energie einzusparen, frage ich Sie: Was hat denn der Bundesrat beim Thema Gebäudesanierung gemacht? ({19}) Er hat alle Vorschläge abgelehnt. Wissen Sie, womit wir beim Wertstoffgesetz begonnen haben? Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Wissen Sie, was damit im Bundesrat passiert ist? ({20}) Dann wissen Sie vielleicht auch, dass es im Bundesrat nicht darum ging, möglichst etwas für den Schutz der Umwelt und der Ressourcen zu tun, sondern einfach nur darum, Pfründe und Besitzstände zu verteidigen und alle entsprechenden Maßnahmen um Monate und Jahre hinauszuzögern. ({21}) Jedes Mal, wenn wir ein Gesetz einbringen, dem im Bundesrat zugestimmt werden muss, dann geht es doch nicht mehr um die Sache, sondern dann reiben Sie sich mit Ihren rot-roten Kollegen die Hände und sagen: Wunderbar! Da können wir die Regierung wieder einmal blockieren. Danach stellen wir sie an den Pranger und sagen: Sie machen nichts! - Das ist dermaßen durchsichtig, dass es fürchterlich ärgerlich ist. ({22}) Als Letztes komme ich noch zum schönen Thema Fracking. Wissen Sie, was Sie beim Fracking gemacht haben? Beim Fracking haben Sie nichts anderes gemacht, als Vorschläge zu machen, die nicht einmal halb so umweltfreundlich waren wie das, was wir momentan in der Bearbeitung haben. ({23}) - Schauen Sie sich einmal die Anträge der SPD an. Sie haben doch gar nichts Konkretes vorgelegt. Wissen Sie, was das bedeutet, wenn man ein Einvernehmen mit den Wasserbehörden erreicht? ({24}) Wissen Sie, was man macht, wenn Flowback verboten wird und man das Rückwasser nicht in ein Wasserschutzgebiet einbringen kann? Ist Ihnen klar, was los ist? Sie wussten gar nicht, dass Flowback überhaupt ein Problem ist, als Sie Ihren Gesetzentwurf eingebracht haben. So schaut es doch aus. ({25}) Jetzt geht es um das, was passieren wird. Es wird in Deutschland keine Wasserschutzbehörde und kein Wasseramt ein Verfahren mit giftigen Chemikalien genehmigen, wenn es in einem Jahr ohne giftige Chemikalien geht. ({26}) Deswegen ist doch die Frage, ob dieses Gesetz Ihre Unterstützung bekommt. Dazu hätte ich gerne eine Aussage gehabt, statt dass Sie nur blockieren. Es geht darum, dass wir dieses Verfahren dort verbieten, wo es Schaden anrichtet. Genau das wollen wir machen. Da stellen Sie sich wieder einmal quer. Aber das ist natürlich auch bequem. ({27}) - Lieber Herr Kelber, Sie hatten vorher genügend Zeit. Deshalb sollte man vielleicht ein bisschen mehr in den Spiegel schauen, bevor man sich hier groß aufplustert und den anderen Vorwürfe macht. ({28}) Man sollte sich also ein bisschen herunterkühlen und über die gemeinsamen Erfolge freuen, und wenn man weiß, dass man selber nichts getan hat, dann sollte man sich zumindest ruhig verhalten und nicht die anderen auch noch ankeifen. ({29})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Frank Schwabe. Bitte schön, Kollege Frank Schwabe. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Eigentlich ist es unfair, dass Herr Altmaier heute alleine auf der Regierungsbank sitzt - wollte ich eigentlich sagen; aber jetzt hat er sie gerade verlassen. ({0}) Eigentlich müssten auch Herr Röttgen und Frau Merkel dabei sein. Aber vielleicht wird Herr von Klaeden ihr alles sagen. Wir reden über die Bilanz von Peter Altmaier nach einem Jahr als Bundesminister. Aber eigentlich reden wir über das Scheitern einer bald vierjährigen Energie-, Klima- und Umweltpolitik in Deutschland. Sie, Herr Altmaier, werden am Ende eine Randnotiz in der Umweltgeschichte bleiben, ein Fortsetzungsminister nach Herrn Röttgen. ({1}) Aber ich will Ihnen zugestehen, dass es weniger ein personelles Problem ist - die Nettigkeiten sind entsprechend verteilt worden -; es ist eher ein politisch-strukturelles Problem. Sie haben in diesem Ministerium einfach Pech gehabt. Sie sind genauso wie Herr Röttgen Opfer der Methode Merkel, nämlich des Lavierens, des Aussitzens, des Herumeierns und des Nichtentscheidens. Sie sind fleischgewordenes Symbol einer traurigen Energie-, Umwelt- und Klimapolitik. ({2}) Man muss wirklich lange überlegen - und es fällt mir eigentlich gar nichts ein -, welches erfolgreiche Projekt Sie zu verantworten haben. An Ihrer Rede ist deutlich geworden: Sie glauben selber nicht, dass es sehr viele erfolgreiche Projekte gibt. Die Strompreisbremse hat die Kanzlerin einkassiert. Beim Fracking ist es die eigene Fraktion, die es dazu kommen lässt, dass es am Ende nicht einmal eine Kabinettsbefassung gibt. Nehmen wir das Thema Klimaschutz und Emissionshandel. Es ist interessant, dass Sie in Ihrer Rede keinen Satz zu Ihrem 10-Punkte-Programm gesagt haben. Ich habe das Programm so verstanden, dass es die Leitschnur Ihres Regierungshandelns sein soll. Sie haben es aber heute gar nicht erwähnt. Sie haben sich über die Gelegenheit bedankt, zu der Bilanz nach einem Jahr Altmaier hier zu sprechen, aber Sie haben Ihr 10-PunkteProgramm nicht erwähnt. Darin trägt der Bereich Klimaschutz die Überschrift „Neuer Schwung für Klimaschutz“. Zentraler Baustein im Klimaschutz ist - darin sind wir uns, glaube ich, einig - der Emissionshandel bzw. das sogenannte Backloading. In Ihrem 10-Punkte-Programm gehen Sie darauf umfassend ein und schreiben: Das Bundesumweltministerium wird kurzfristig die Initiative ergreifen … Ziel ist eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung bis Ende September. ({3}) Geschrieben wurde dies im August letzten Jahres. Mit Ende September war wahrscheinlich 2012 gemeint. Sie werden bis Ende September 2013 nichts vorlegen. Ich finde das durchaus lustig, aber in der Sache hilft uns das überhaupt nicht weiter. Sie haben für Deutschland maßgeblich zu verantworten, dass der europäische Emissionshandel am Boden liegt, und Sie haben mit Ihrer Politik eine vielfache Klatsche bekommen - das ist schon gesagt worden -: von der eigenen Regierung, von der eigenen Koalition, von der eigenen Fraktion, von der eigenen Partei und von Ihren eigenen Europaabgeordneten. Das Thema Klimaschutz ist in diesem Jahr kein Stück vorangekommen. Ganz im Gegenteil: Ihre Koalition verfällt jetzt - das muss ich in dieser Deutlichkeit sagen - auf eine erbärmliche Verschleppungstaktik, weil sie nicht will, dass wir im Deutschen Bundestag noch über die Frage des Backloading abstimmen und deshalb Anhörungen und Ähnliches durchführen müssen und sollen. Frau Dött kann gleich noch darauf Bezug nehmen und sagen, wann die Anhörung stattfinden soll und welche Fragen noch offen sind, bevor Sie entsprechend entscheiden können. ({4}) Deutschlands Führungsrolle im Klimaschutz ist längst verspielt. In Ihrer eigenen Hilfslosigkeit greifen Sie zu Symbolpolitik, die mit nichts unterlegt ist. Es mag wie eine Marginalie klingen, aber es ist symptomatisch für Ihre Politik. Sie haben den Klub der Energiewendestaaten ausgerufen. In dem 10-Punkte-Programm kommt er sogar dreimal vor. In einer Regierungsbefragung vor einigen Wochen haben wir Frau Reiche als Ihre Stellvertreterin gefragt - das hat der Herr Kelber gemacht -, wie weit es mit dem Klub der Energiewendestaaten ist bzw. ob es mehr gibt als eine Pressemitteilung. ({5}) Die Antwort von Frau Reiche war - ich darf zitieren -: Es gibt informelle Konsultationen, und informelle Konsultationen haben es an sich, dass man sich informell austauscht. Das war die Antwort. Das heißt unterm Strich: Es gibt gar nichts. ({6}) Es ist nicht schlimm, dass Sie sich informell austauschen. Bloß blasen Sie es nicht zu einem Ballon ohne Substanz auf. ({7}) Sie sind nicht in der Lage, Ihr nationales Klimaschutzziel mit Maßnahmen zu unterlegen; Sie sind nicht einmal in der Lage, dieses Klimaschutzziel nach Brüssel zu melden. „Neuer Schwung für Klimaschutz“, wie Sie es überschrieben haben, sieht ganz bestimmt anders aus. Herr Bauchmüller von der Süddeutschen Zeitung, sicherlich einer der kundigsten Journalisten bei diesem Thema, hat vor kurzem einen Kommentar mit „Klimakanzlerin a. D.“ übertitelt. Der Chef des Umweltbundesamtes, Herr Flasbarth, hat von einer existenziellen Krise gesprochen, nicht weil keiner weiß, was zu tun wäre, sondern weil der politische Wille fehlt. Sie sind Getriebener einer Politik, der der politische Wille fehlt. Sie ersetzen das Ganze durch Symbolpolitik und manche Nettigkeiten. Aber in der Substanz hilft uns das nicht weiter. Deswegen ist Ihre Bilanz nach einem Jahr miserabel. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Frank Schwabe. Wie Sie sehen, hat sich der Herr Bundesminister extra auf die Parlamentsbänke gesetzt, um Zwischenrufe machen zu können. Er ist da und ist bekanntlich nicht zu übersehen. Insofern ist auch die Bundesregierung durch ihn vertreten. Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist unsere Kollegin Marie-Luise Dött für die Fraktion von CDU/CSU. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe durchaus Mitgefühl angesichts der Situation, in der die SPD derzeit ist. Wenn man jede Woche mit Enttäuschung die Umfragewerte betrachtet, dann kommt man auf alle möglichen und unmöglichen Ideen, von Steuererhöhungsorgien bis zum Tempolimit. ({0}) Aber wenn das Parlament für eine Show benutzt wird, wie es heute der Fall ist, fehlt mir dafür jedes Verständnis. ({1}) Auch die Bürger haben für diese Art von Politik kein Verständnis. Aber da wir nun einmal hier versammelt sind, um über den Umweltminister und seine Politik zu reden, können wir das natürlich tun. Peter Altmaier ist jetzt ein Jahr im Amt, und das bei einer schwierigen Konstellation, weil die Opposition ihre Mehrheit im Bundesrat nicht zum Gestalten, sondern zum Verhindern nutzt. ({2}) Trotz dieser schwierigen Situation hat er in diesem einen Jahr sehr viel erreicht. In der Amtszeit von Peter Altmaier ist die Umweltpolitik entscheidende Schritte vorangekommen. Eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen konnte gerade in den Bereichen Klimaschutz und Energiepolitik beschlossen oder auf den Weg gebracht werden. Dialogprozesse für die Energiewende, für die Weiterentwicklung der Förderung der erneuerbaren Energien und für Fortschritte beim Klimaschutz wurden erfolgreich gestartet. Der internationale Klimaschutz ist gerade auch dank seines Einsatzes auf der Klimakonferenz in Doha - ich erinnere daran, dass dort bis in die Nacht beraten wurde - und beim Petersberger Dialog weiter vorangekommen. Es ist auch gelungen, sich mit den Bundesländern und den Fraktionen auf einen gemeinsamen Vorschlag zu einem Standortauswahlgesetz zu einigen. Das Gesetz zum weiteren Vorgehen in der Schachtanlage Asse II ist bereits in Kraft getreten. Die Bundeskompensationsverordnung zur Neuregelung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung konnte im Kabinett verabschiedet werden, Frau Höhn. Der Schutz vor elektromagnetischen Feldern wurde verbessert. Das alles sind nur Beispiele für die engagierte Arbeit dieser Koalition und für die von Peter Altmaier im Speziellen. ({3}) Und, meine Damen und Herren, das ist nicht die Bilanz einer Legislaturperiode - ich hoffe, wir haben noch einmal Gelegenheit, Bilanz zu ziehen -, sondern das ist die Bilanz eines Jahres. Jetzt können wir auch über weitere wichtige umweltpolitische Themen reden, wo wir gern mehr erreicht hätten, bei denen Sie allerdings lieber Wahlkampf machen, statt als Opposition umweltpolitische Verantwortung zu übernehmen. Nehmen wir als Beispiel das Thema der Kostenentwicklung bei den erneuerbaren Energien. ({4}) Bei den Gesprächen zur Strompreisbremse haben Sie mit Ihren Vorschlägen, die von Beginn an als Störfeuer angelegt waren, erreicht, dass hinsichtlich der Entlastung der Bürger von unnötigen Kosten wertvolle Zeit verschenkt wird. Sie haben doch nie einen ernstgemeinten Vorschlag gemacht. ({5}) Nein, Sie haben sich mit der Rolle des Neinsagers begnügt. Die Forderung nach einer Senkung der Stromsteuer war der einzige, leider völlig untaugliche Vorschlag, den ich von Ihnen gehört habe. ({6}) Selbst hier haben Sie nicht einmal eine gemeinsame Sprachregelung zwischen Rot und Grün hinbekommen. Sie haben mit dem Finger auf die energieintensiven Unternehmen und übrigens auch auf die dort Beschäftigten gezeigt und die Abschaffung der besonderen Ausgleichsregelung gefordert. ({7}) Als es dann darum ging, konkrete Vorschläge zu machen, welche Branchen oder Unternehmen denn künftig die EEG-Umlage zahlen sollen, haben Ihre Ministerpräsidenten nicht einen einzigen Vorschlag gemacht. Im Gegenteil: Frau Kraft hat sich als Anwältin der energieintensiven Unternehmen geriert. ({8}) Nach demselben Strickmuster agieren Sie beim Emissionshandel. Sie wollen den Bürgern weismachen, dass die SPD für das Backloading steht. ({9}) In der politischen Realität bittet aber SPD-Minister Duin aus NRW - unser ehemaliger Kollege - die Abgeordneten des Europaparlaments, dem Vorschlag nicht zuzustimmen, weil er der Wirtschaft schade. ({10}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, spielen ein doppeltes Spiel. ({11}) In der Öffentlichkeit sind Sie der Anwalt der Umweltpolitik, und hinter den Kulissen verhindern Sie Umweltund Klimapolitik. So haben Sie die Strompreisbremse torpediert. Es hätte ja sein können, dass unser Minister damit Erfolg hätte. So haben Sie im Europaparlament dazu beigetragen, dass es zunächst keine Änderungen beim Emissionshandel gibt. So haben Sie die steuerliche Absetzbarkeit der energetischen Gebäudesanierung verhindert, und so haben Sie auch versucht, die notwendige Reduzierung der Vergütung für Photovoltaikanlagen zu verhindern. Das ist pure Verhinderungspolitik zulasten der Bürger, zulasten der Unternehmen und ihrer Beschäftigten und zulasten einer ambitionierten Umweltpolitik. ({12}) Jetzt starten Sie erneut den völlig untauglichen Versuch, Umweltminister Peter Altmaier in die Ecke zu stellen. Sie sind die Verhinderer, niemand anders. Dir, Peter Altmaier, herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank für deine Arbeit. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Marco Bülow. Bitte schön, Kollege Marco Bülow. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon ein bisschen wie im Kabarett heute. Die Spitze aufgesetzt haben dem Ganzen Herr Meierhofer und Herr Kauch. ({0}) Herr Meierhofer sprach von den unglaublichen Errungenschaften der Regierung. Wir können einmal alle Bereiche auflisten, und dann sagen Sie, Herr Meierhofer, mir bitte einmal, wann die Gesetze zu diesen Bereichen zum ersten Mal verabschiedet worden sind: Emissionshandel, erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung, Atomausstieg, Marktanreizprogramm und Gebäudesanierungsprogramm. All die Gesetze zu diesen Themen sind zum ersten Mal unter Rot-Grün verabschiedet worden. ({1}) Alle diese Gesetze sind Gesetze, gegen die die FDP grundsätzlich und die Union in den meisten Fällen gestimmt haben. Das ist die Tatsache, über die wir hier sprechen. ({2}) Das alles kann man nachlesen und nachprüfen. Das Schönste wäre, die Reden der FDP zu diesen Themen hervorzuholen, vor allem die zum Atomausstieg. Was wurde hier nicht gegen den Atomausstieg gewettert und geeifert, den Rot-Grün beschlossen hat und der nicht in dieser Legislaturperiode seinen Ursprung hatte! ({3}) Das ist damals übrigens auch gegen die Stimme von Herrn Altmaier geschehen. Die Große Koalition hat große Teile von diesen Errungenschaften ausgebaut, von denen die schwarz-gelbe Koalition heute noch profitiert, weil einiges übrig geblieben ist. Die Krone setzt Herr Kauch dem Ganzen mit der Behauptung auf, Sie hätten den Atomausstieg eingeleitet. Ich möchte daran erinnern, dass Sie den Atomausstieg am Anfang dieser Legislaturperiode rückgängig gemacht haben. Ich mag ja einigen, wie zum Beispiel Herrn Altmaier, glauben, dass sie nach Fukushima etwas gelernt und endlich Vernunft angenommen haben, aber leider gilt das nicht für alle. Es gibt Protokolle über Sitzungen dieser Legislaturperiode, in denen zu lesen ist, dass es Unions- und FDP-Abgeordneten schon wieder leidtut, aus der Atomenergie ausgestiegen zu sein. Das zeigt, dass Sie es mit dieser Politik leider immer noch nicht ernst meinen. Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, auf die meine Kollegen noch nicht eingegangen sind, weil sie zeigen, dass wir da nicht vorankommen. Erstens. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist, wie gesagt, faktisch noch gar nicht durchgeführt worden. Zweitens. Die internationale Dimension von Atompolitik ist besonders wichtig. Wir wissen: Wenn ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt, sind vor allem die Nachbarländer betroffen. Aber was haben Sie unternommen? Gab es denn zum Beispiel mit den Franzosen Gespräche? Wir haben mehrere Male diesbezüglich nachgefragt und keine Antwort bekommen. Marode französische Atomkraftwerke stehen kurz vor der Grenze zu Deutschland. ({4}) Wir wissen, dass wir die Suppe mit auszulöffeln haben - man bedenke, wie häufig Westwind ist -, wenn diese Atomkraftwerke in die Luft fliegen. Was ist bisher geschehen? Gar nichts. Was ist hinsichtlich Euratom geschehen? Wir haben diesbezüglich mehrmals angemahnt und mehrere Anträge eingebracht, die Sie alle abgelehnt haben. Wir haben darin gefordert, Euratom so umzubauen, dass es auch andere Dinge, wie Energieeffizienz und erneuerbare Energien, fördert und eben nicht nur Atom. Auch da sind Sie nicht vorangekommen. Im Gegenteil: Sie haben international dafür gesorgt, dass Hermesbürgschaften, also Geldgarantien Deutschlands, mittlerweile wieder für Atomkraftwerke eingesetzt werden können. Wenn eine Regierung, beispielsweise die brasilianische, in einem Erdbebengebiet ein Atomkraftwerk bauen will und dafür von Deutschland Hermesbürgschaften braucht, dann werden deutsche Steuergelder dafür missbraucht, dieses Atomkraftwerk zu finanzieren. Auch das ist Ihre Politik. Sie ist doppeldeutig und beweist, dass Sie nichts dazugelernt haben. ({5}) Nächstes Stichwort: Energieeffizienz. Es ist schon verwunderlich, dass dieses wichtige Thema von keinem Vertreter der Regierungsfraktionen hier heute behandelt worden ist. ({6}) - Auch von Ihnen nicht. Man muss sich das Ganze einmal genau anschauen; dann wird vielleicht deutlich, warum das so ist. Ich habe mich einmal auf der BMU-Internetseite umgeschaut. Dort ist eine Studie zugänglich, in der steht: Der Energiebedarf in der Europäischen Union kann um zwei Drittel gesenkt werden. - Das macht deutlich, wie wichtig Energieeffizienz ist. Es gibt mehrere Reden von Ihnen, Herr Bundesminister, und von den beiden Staatssekretärinnen dazu, warum Energieeffizienz so wichtig ist. Dennoch werden auf dieser Internetseite keine Maßnahmen aufgeführt. Unter dem Punkt „Parlamentarische Vorgänge“ sind drei Einträge verzeichnet. Ein Eintrag stammt vom 15. April 2012. Das ist eine Antwort auf eine Anfrage von Frau Dr. Kofler zur Energieeffizienz im internationalen Bereich. Die nächsten beiden Einträge sind von 2011. Auch das sind nur Antworten auf Anfragen der Opposition. Das ist Ihre Bilanz hinsichtlich Energieeffizienz, und zwar nicht bezogen auf ein Jahr, sondern auf vier Jahre. Das zeigt doch, wie wichtig Ihnen diese Themen wirklich sind und dass wir an bestimmten Punkten nicht weiterkommen. ({7}) Ich komme zum Schluss. Man muss Ihnen zugutehalten, Herr Umweltminister - auch das wurde ein paarmal gesagt -, dass Sie sich in einer schwierigen Lage befinden, weil Sie teilweise von der eigenen Fraktion nicht unterstützt werden und weil Sie einen Wirtschaftsminister im Nacken haben, der Ihnen nicht zur Seite steht, sondern der viele Dinge, die Sie vorbringen, blockiert. Wir haben es im Umweltausschuss erlebt: Die FDP hat sich an Diskussionen teilweise nicht beteiligt, beispielsweise an denen über Strompreisbremsen; die Union ist da alleingelassen worden. Am Ende ist das aber weder Herrn Altmaiers noch Herrn Röslers Problem, sondern eines der Kanzlerin; denn sie hat die Richtlinienkompetenz. Wenn die beiden Minister sich nicht einigen, dann müsste sie durchgreifen. Insofern haben nicht Sie persönlich eine schlechte Bilanz, sondern die Kanzlerin. Das müssen wir am Ende feststellen. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege Dr. Thomas Gebhart. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas Gebhart. ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist in der Tat eine gute Gelegenheit, einmal darüber zu sprechen, dass wir einen hervorragenden Umweltminister haben, der vieles geleistet und vieles vorangebracht hat. Ich sage: Er ist ein Glücksfall für unsere Regierung und für unser Land. ({0}) Thema Endlagersuche. Es gab jahrelang Streit. Peter Altmaier hat es, auch dank der Mithilfe vieler, geschafft, dieses Thema aus dem parteipolitischen Gezänk herauszuholen. Wir haben eine Verständigung über Parteigrenzen hinweg. Das ist ein echter Meilenstein und ein echter Erfolg. Thema Klimaschutz. Sie haben bemängelt, dass dieses Thema hier zu kurz kommt. Peter Altmaier ist ein Streiter für mehr Klimaschutz. Wir haben ihn gemeinsam auf der letzten Weltklimakonferenz in Doha erlebt. Er hat sich unglaublich ins Zeug gelegt, auch vor der Konferenz und nach der Konferenz. Er hat international ein unglaublich hohes Ansehen erworben. Er hat angekündigt, eine Initiative ins Leben zu rufen: den Klub der Energiewendestaaten. ({1}) Er hält Wort. Dieser Klub geht in Kürze an den Start. ({2}) - Er hält Wort. Am 1. Juni geht dieser Klub an den Start. ({3}) Es gibt weitere Themen, die vielleicht nicht so im Rampenlicht stehen, aber bei denen er große Erfolge erzielt hat und eine Menge erreicht hat. Ich komme zu einem Thema, das uns in diesen Wochen und Monaten sicherlich intensiver beschäftigt als alles andere: die Energiewende. Ich will eines vorwegschicken: Die Energiewende ist selbstverständlich kein Projekt, das von heute auf morgen vollständig umgesetzt werden kann, sondern die Energiewende wird ein langer Weg sein, mitunter auch ein steiniger Weg. Es liegt sicherlich noch vieles vor uns, aber wir haben auch schon eine ganze Menge erreicht, und das sollten wir nicht kleinreden. Wir haben bei den Energieeffizienzmaßnahmen einiges erreicht, Gesetzgebung Netzausbau erneuerbare Energien. ({4}) Sie haben uns in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, wir würden den Ausbau der erneuerbaren Energien stoppen wollen. Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: Der Anteil der erneuerbaren Energien ist so hoch wie nie zuvor. ({5}) Wir wollen und werden weitergehen. Wir setzen neue Impulse. Das Batteriespeicherprogramm ist am 1. Mai dieses Jahres, vor wenigen Tagen, gestartet. Klar ist aber auch: Zum Gelingen der Energiewende gehört - dies ist Teil einer nachhaltigen Energieversorgung -, dass die Preise am Ende für die Menschen in diesem Land bezahlbar bleiben, für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die kleinen und mittleren Unternehmen genauso wie für die großen Unternehmen. Peter Altmaier hat dies erkannt. Er hat Maßnahmen zur Strompreisbremse vorgeschlagen. Er hat ausdrücklich alle eingeladen, sich konstruktiv in diese Debatte einzubringen. Nur, Fakt ist erstens: Rot und Grün sind sich uneinig. Die Grünen wollen vor allem die energieintensiven Industrien stärker belasten. Die SPD will dies nicht. Sie sagt, das würde viele Tausende von Arbeitsplätzen in diesem Land gefährden. Die SPD setzt stattdessen eher auf die Senkung der Stromsteuer. Nur, da kann man die Frage stellen: Würde sie tatsächlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen? Selbst wenn diese Senkung dort ankommen würde, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das kann nicht die Lösung der Probleme sein. ({6}) Fakt ist zweitens: Bis auf den heutigen Tag gibt es beim Thema Strompreisbremse auf Ebene der Ministerpräsidenten - ich schaue wieder Sie von Rot-Grün an keine Bewegung in Richtung einer Einigung. Deswegen sage ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir könnten bei der Umsetzung der Energiewende heute viel weiter sein, wenn Sie nicht Blockadepolitik betreiben und wichtige Schritte behindern würden. ({7}) Ich nenne Ihnen gleich noch ein Beispiel. Der Vorredner hat bemängelt, dass das Thema Energieeffizienz hier nicht angesprochen werde. Ich spreche das Thema Energieeffizienz an. Energieeffizienz, Energieeinsparung, das sind die wichtigsten Bausteine der Energiewende überhaupt. ({8}) Wir haben einiges gemacht, aber wir wollen weitergehen. Wir wollen die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Was ist passiert? Bis auf den heutigen Tag: Blockade der Länder im Bundesrat. ({9}) Es ist nicht nachzuvollziehen. Deswegen sage ich, meine Damen und Herren: Streuen Sie den Menschen nicht Sand in die Augen! Ich bitte Sie und fordere Sie auf: Werden auch Sie Ihrer Verantwortung als Opposition gerecht ({10}) und tragen Sie konstruktiv zum Gelingen unserer Energiewende bei! Herzlichen Dank. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste und letzte Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Frau Dr. Maria Flachsbarth. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Maria Flachsbarth. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und insbesondere liebe Kollegen von den Sozialdemokraten! Ich finde, dass es eine wirklich richtig klasse Idee war, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Wo sonst hat man noch einmal die Chance, die Umweltpolitik ({0}) und auch einen Minister der Bundesregierung so in den Mittelpunkt einer Debatte zu stellen - und das zur Primetime? Also: richtig gut! Unser Minister ist seit dem 22. Mai letzten Jahres im Amt. Ich finde, dass sich seine Bilanz absolut sehen lassen kann. Ich möchte aus der Sicht als Berichterstatterin für die Endlagerung auf einige Aspekte eingehen. Nehmen wir als Erstes die Asse. Der Minister hat sein umweltpolitisches Programm am 31. Mai letzten Jahres vorgestellt. Schon damals kam ein expliziter Hinweis auf die Asse. Er sagte - ich zitiere -: Wenn wir Umweltschutz … ernst nehmen, dann dürfen wir solche offenen Wunden in der Natur nicht einfach hinnehmen. Am 1. Juni, also wenige Wochen nachdem er sein Amt übernommen hatte, war er in der Asse und hat in Begleitung von Sigmar Gabriel und Stefan Birkner mit den Menschen gesprochen. Dort hat er gesagt und versprochen - ich zitiere wieder -: Ich kann nicht versprechen, dass die Bürger immer zu 100 Prozent mit meinen Entscheidungen einverstanden sind, ich verspreche aber, dass ich mit Ihnen über alle Probleme reden werde. Mich hat diese offene und konstruktive Art immer sehr angesprochen. Dass dies kein leeres Gerede ist, hat sich unter anderem bei seinem zweiten Besuch in der Asse gezeigt - und das, wohlgemerkt, in dieser kurzen Amtszeit -: Am 23. November hat er sich in Wolfenbüttel wiederum mit der Asse-Begleitgruppe, mit Vertretern der betroffenen Kommunen und der Umweltverbände, getroffen und über die Fassung des Asse-Beschleunigungsgesetzes, das am 11. Dezember in den Bundestag eingebracht wurde, diskutiert. Auf Initiative der Berichterstatterinnen im Bundestag, ganz besonders unserer Kollegin Kotting-Uhl von den Grünen, ist dieses Gesetz auf den Weg gebracht worden, nämlich die Rückholung als Vorzugsoption festzuschreiben und sie so weit zu beschleunigen, wie es uns im Rahmen unserer Möglichkeiten als Parlament möglich ist. Diese Gespräche waren sehr konstruktiv. Ja, sie kamen aus der Mitte des Parlamentes, sind aber immer begleitet worden von unserer Staatssekretärin HeinenEsser und von Fachbeamten aus dem Ministerium, natürlich unter positiver Begleitung unseres Ministers. Was mir auch sehr wichtig ist und häufig vergessen wird: Die Bürgerinnen und Bürger der Region saßen immer mit am Tisch, indem ein Anwalt, den die Asse-2Begleitgruppe beauftragt hat, unsere Berichterstattergespräche begleitet und eigene Vorschläge gemacht hat. Dieser Anwalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aus den Mitteln des BMU bezahlt worden. Das zeigt letztendlich, dass der Minister nicht nur Gespräche und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger anbietet, sondern dass er sich auch tatkräftig dafür einsetzt, dass diese Beteiligung auf Augenhöhe stattfinden kann. Das ist in unserer Debatte überhaupt noch nicht erwähnt worden. Ich komme zu der großen und schwierigen Problematik, die noch länger andauert als die Frage der Sanierung der Asse: Das ist die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Wir haben seit 35 Jahren einen Status quo: Lediglich der Salzstock in Gorleben, im Wendland, wird daraufhin untersucht, ob er möglicherweise geeignet sei, radioaktives Material aufzunehmen. Dort ist - wir hatten heute Morgen die letzte Sitzung des Gorleben-Untersuchungsausschusses - sehr viel Vertrauen verloren gegangen. Eigentlich ist gar kein Vertrauen mehr da. Wir brauchen - das kann ich als Lehre aus dem Untersuchungsausschuss ziehen - dringend einen Neustart bezüglich einer Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Stoffe. ({1}) Darum haben sich in der Vergangenheit schon mehrere Bundesumweltminister bemüht. Bundesumweltminister Trittin hat damals in der rot-grünen Koalition im Rahmen des AK End Vorschläge erarbeiten lassen, die jetzt wieder in unsere Überlegungen einbezogen werden. Aber damals war es nicht möglich, einen Gesetzentwurf zu formulieren. Somit war es auch nicht möglich, dass ein Gesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist. Auch Bundesminister Gabriel hat an dieser Problematik in der Großen Koalition gearbeitet. Damals stand im Koalitionsvertrag: CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen. Das ist nicht gelungen. Umso mehr rechne ich es diesen beiden ehemaligen Bundesumweltministern an, dass sie sich jetzt konstruktiv in die neue Debatte eingebracht haben. Meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten nach der verlorenen NRW-Wahl, der Niedersachsenwahl ({2}) - jetzt steht die Bundestagswahl an - hat es sich Peter Altmaier nicht nehmen lassen, diese schwierige Problematik, die er genauso gut zur Seite hätte legen können, anzugehen und zu versuchen, die Fäden zusammenzuführen und die Gesprächspartner zusammenzubringen, um noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen. Herr Altmaier war selbstverständlich auch in Gorleben und hat den Menschen dort einen Tag nach der Niedersachsenwahl, um keine Interaktionen herbeizuführen, versprochen - ich zitiere -: Für Sie hier wäre es sicher der einfachste Weg, wenn Gorleben von vornherein ausscheidet … Aber das kann ich Ihnen nicht liefern. Er ist ein offener, ehrlicher und konstruktiver Anwalt der Umwelt, des Naturschutzes und der Reaktorsicherheit. Ich kann daher nur sagen: Lieber Peter Altmaier, wir sind ziemlich froh, dass wir Sie als Bundesminister haben. ({3}) Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen Ihre Arbeit von ganzem Herzen. Wir hoffen, dass Sie noch lange unser Bundesumweltminister sind. Herzlichen Dank. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. Wir sind damit am Ende unserer Aktuellen Stunde. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/…/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung ({0}) Nr. …/2012 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen ({1}) - Drucksachen 17/10974, 17/11474 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksachen 17/13524, 17/13541 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Björn Sänger b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Vizepräsident Eduard Oswald Investmentfonds ({3}) - Drucksache 17/12294 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4}) - Drucksache 17/13395 Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Björn Sänger - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13396 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Petra Merkel ({6}) Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz ({7}) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz ({8}) - Drucksachen 17/12603, 17/13036, 17/13562 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({9}) - Drucksache 17/13522 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Tillmann Lothar Binding ({10}) Dr. Daniel Volk Zum CRD IV-Umsetzungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zum CRD IV-Umsetzungsgesetz und zum AIFM-Umsetzungsgesetz liegen jeweils Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich gehe davon aus, dass die Redner im Interesse aller Zuhörerinnen und Zuhörer die Abkürzungen so erläutern, dass sie nicht nur das Fachpublikum versteht, sondern auch jeder Einzelne, nicht nur hier im Hause, sondern auch außerhalb. ({11}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in dieser umfassenden Aussprache ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Hans Michelbach. - Bitte schön, Kollege Hans Michelbach. ({12})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich werde mich intensiv bemühen, Ihren Anforderungen gerecht zu werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich bitte darum. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt darf unbeaufsichtigt bleiben. Das war die Ansage der Bundeskanzlerin im Jahre 2009 beim G-20-Gipfel in Pittsburgh und danach beim Londoner EU-Gipfel. Das war und ist die Konsequenz aus der weltweiten Finanzund Wirtschaftskrise. Diese ist leider noch nicht vorüber. Deshalb müssen die Tätigkeit und Beaufsichtigung von Kreditinstituten, insbesondere der systemrelevanten Institute, mit gesetzlichem Nachdruck neu geordnet werden. Haftung und Verantwortung auf den Finanzmärkten gehören nach unserer Überzeugung zu den Grundwerten der sozialen Marktwirtschaft. Wer da Hand anlegt, der wird diese soziale Marktwirtschaft letztendlich zerstören. Deshalb schaffen wir Schritt für Schritt gemeinsam mit unseren Partnern einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Wir halten Wort. Über 30 Gesetze haben wir auf unserer Habenseite. Da kann uns niemand etwas vormachen. ({0}) In dieser Woche bringen wir gleich vier große Gesetzespakete ins Ziel: für die Stabilität und Sicherung unserer Banken durch hohe Eigenkapitalanforderungen, für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, für die Abschirmung von Risiken, für eine größere Verantwortung von Bankvorständen, für das Wachstum unserer Realwirtschaft durch die Anpassung des Investmentsteuerrechts und damit letzten Endes auch für die Erhaltung unserer Wirtschaftsgrundlage und unserer gemeinsamen Euro-Währung. Meine Damen und Herren, so verabschieden wir heute mit dem CRD IV-Umsetzungsgesetz ({1}) das Kernprojekt der europäischen Finanzmarktregulierung, besser bekannt als Basel III. Damit wird eine neue Grundordnung für Banken geschaffen. Wir schaffen da30196 mit auch im Interesse unserer Institute eine neue Vertrauensbasis. Als eines der ersten Länder in Europa stellen wir die vereinbarte Umsetzung von Basel III in nationales Recht zum 1. Januar 2014 sicher. Durch die Stärkung der Kapitalbasis wird die Risikotragfähigkeit jeder einzelnen Bank deutlich gestärkt und das Finanzsystem insgesamt stabiler gemacht. Die Eigenkapitalanforderungen an Banken werden verschärft. Die Bankenaufsicht erhält mehr Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten. Das ist notwendig; das ist das Fazit aus der Krise. Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Konsolidierung und zu einer höheren Widerstandsfähigkeit des gesamten Finanzmarktes und Bankensektors. ({2}) Je höher das Risiko eines Kreditnehmers ist, desto mehr Eigenkapital muss für die Kreditaufnahme vorgehalten werden. Das ist Marktwirtschaft, das ist die Reaktion. Mit der neuen Regulierung besteht nun die Verpflichtung, das Niveau des Eigenkapitals von bisher 8 Prozent auf mindestens 10,5 Prozent hochzusetzen. Somit wird die Qualität des durch die Banken vorzuhaltenden Eigenkapitals erheblich gesteigert. ({3}) Das qualitativ beste Eigenkapital, das harte Kernkapital, wird um den Faktor 3,5 erhöht; es macht letzten Endes mindestens 7 Prozentpunkte des verpflichtenden Niveaus von 10,5 Prozent aus. Die Kreditinstitute müssen also im Vergleich zu heute mehr als dreimal so viel hochwertiges Eigenkapital bereithalten. Das ist ein Weg zu einer neuen Vertrauensbasis für den Finanzmarkt, für den Bankensektor. Meine Damen und Herren, die neuen Liquiditätsanforderungen sorgen dafür, dass die Banken auch in Stresssituationen über ausreichend Liquidität verfügen, damit sie auch ohne externe Refinanzierung zahlungsfähig bleiben können. Durch Meldung einer Verschuldungskennziffer findet eine bessere Überprüfung statt. Wir wollen nicht, dass die Steuerzahler weiterhin als Einzige die Zeche zahlen müssen. Wir sagen unseren Unternehmern und Arbeitnehmern: Das Geschäftsrisikound Finanzierungsprofil der Banken darf sich nicht negativ auf die Gesamtwirtschaft auswirken. Die Banken sind für die Realwirtschaft da, und nicht umgekehrt. Der dienende Faktor der Finanz- und Kreditwirtschaft ist ein wichtiges Anliegen der Realwirtschaft. ({4}) Unsere Institute nehmen diesen Faktor weitgehend schon heute ernst. Erfreulich ist, dass Basel III eine unterschiedliche Risikoeinstufung der einzelnen Kredite vorsieht. Die Bundesregierung hat auf unseren Wunsch durchgesetzt, dass risikoärmere Mittelstandskredite nicht nur bis zu einem Betrag von 1 Million Euro, sondern bis zu einem Betrag von 1,5 Millionen Euro privilegiert werden. Meine Damen und Herren, das ist ein großer Erfolg im Hinblick auf die Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft und führt zu einer angemessenen Risikostreuung. ({5}) Das ist der richtige Weg bei der Mittelstandsfinanzierung, im Interesse unseres Mittelstandes, der über 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt, und insbesondere unserer kleinen und mittleren Institute, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Mittelstand nachdrücklich zu unterstützen. ({6}) Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf schaffen wir auch Regelungen zur internen Risikosteuerung der Institute und zu einer intensiveren Überwachung der Risiken durch die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte. Ich glaube, wir haben hier Augenmaß bewiesen. Wir sorgen für strengere Anforderungen an die Zusammensetzung und Qualifikation der Aufsichtsräte; auch das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben Regelungen zur Deckelung der variablen Vergütung von Bankenmanagern geschaffen. Der Nachhaltigkeit der Geschäftsstrategie kommt eine größere Bedeutung zu. Wir verabschieden heute einen Meilenstein. Wir haben noch weitere Gesetze auf den Weg gebracht, insbesondere das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz. ({7}) Die Kollegin Antje Tillmann wird in ihrer Rede das Gesetz ausführlich erläutern. Wir haben uns sehr bemüht und viel erreicht. Abschließend möchte ich deutlich machen: Diese Bundesregierung und unsere bürgerliche Koalition haben einen wesentlichen Fortschritt erzielt. Wir können stolz darauf sein, dass wir heute die vorliegenden Gesetzentwürfe verabschieden. Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Wir schaffen eine neue Vertrauensbasis. Lassen Sie uns damit in eine bessere Zukunft gehen. Vielen Dank. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Hans Michelbach. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser Kollege Manfred Zöllmer. Bitte schön, Kollege Manfred Zöllmer. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war wirklich eine schwierige Geburt auf europäischer Ebene, dieses Werk von insgesamt 1 300 Seiten beschlussreif zu machen. Es geht darum, wichtige und richtige Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise zu ziehen. Der überwiegende Teil des Werks kommt als Verordnung daher und ist daher unmittelbar geltendes Recht. Lieber Herr Michelbach, man sollte sich da nicht mit fremden Federn schmücken. Wir setzen jetzt den Teil um, der als Richtlinie in den europäischen Gremien vereinbart wurde. Wir sollten nicht vergessen, besonders den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament für ihr Engagement in dieser Sache zu danken. Sie haben einen wirklich guten Job gemacht. ({0}) In der Finanzmarktkrise zeigte sich, wie anfällig das Finanzsystem war, weil die Kapitaldecke der Banken viel zu gering war und die Kreditinstitute ihre Liquidität nicht mehr sicherstellen konnten. Die Refinanzierungsquellen waren versiegt. Von daher war es logisch, wichtig und richtig, Quantität und Qualität des Eigenkapitals in den Fokus zu rücken. Durch höhere Eigenkapitalanforderungen soll die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems in der Krise gestärkt werden. Dies sieht der vorliegende Gesetzentwurf vor. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Kapitalpuffern, die die gleiche Aufgabe erfüllen sollten. Auch die Anforderungen an die Qualität des Eigenkapitals wurden deutlich verbessert. Aber niemand in der Wissenschaft kann Ihnen präzise Auskunft darüber geben, ob dies in einem möglichen Krisenszenario in der Zukunft ausreicht, um eine Krise zu verhindern. Immerhin verfügte Lehman über eine Eigenkapitalquote von 10 Prozent. Das hat nicht gereicht. Viele Wissenschaftler fordern deshalb deutlich höhere Quoten als diejenigen, die jetzt vereinbart wurden. Ob der gefundene Kompromiss wirklich gut genug ist, weiß niemand. Aber es ist gut, dass ein Kompromiss gefunden wurde, und er geht in die richtige Richtung. Er zeigt, dass Europa fähig ist, sich zu verständigen, und dies auch bei sehr unterschiedlichen nationalen Märkten. ({1}) Dabei ist es gelungen - das muss man wirklich sagen -, auf die deutschen Besonderheiten weitgehend Rücksicht zu nehmen. ({2}) Doch es gibt auch hier einige kritische Punkte, die wir thematisieren und die ich jetzt ansprechen will. Man setzt beim Baseler Ansatz unverändert auf eine risikogewichtete Eigenkapitalunterlegung. Das heißt, die von den Kreditinstituten selbst entwickelten internen Modelle zur Risikoabschätzung bilden die Grundlage. Es hat sich aber gezeigt: Diese Modelle haben in der Vergangenheit versagt. Das hat die Krise deutlich gezeigt. Nun soll durch eine Verfeinerung dieser Modelle das ganze System sicherer werden. Ob dies gelingt, ist völlig offen. Es wäre deshalb sinnvoll und notwendig, sie durch eine Kennziffer zu ergänzen, die eine Verschuldensobergrenze einzieht und damit die exzessive Verschuldung eines Kreditinstituts verhindert. Eine solche Kennziffer nennt man Leverage Ratio. Sie muss dabei nach dem spezifischen Risikogehalt verschiedener Geschäftsmodelle differenziert werden. Aber dies fehlt. Die Entscheidung über die Einführung einer solchen Quote soll erst im Jahr 2017 erfolgen. Das Gleiche gilt für die Liquiditätsregulierung. Die Kreditinstitute sollen künftig eine kurzfristige und eine mittelfristige Liquiditätskennziffer einhalten müssen; aber die Entscheidung darüber, wie sie auszugestalten sind, wurde auf spätere Jahre verschoben. Wir bedauern dies, da die Sicherung der Liquidität von Kreditinstituten für die Krisenprävention von zentraler Bedeutung ist. Zusätzlich enthält der Gesetzentwurf einige Regelungen zur Verbesserung des Corporate Governance Kodex. Im Mittelpunkt stehen dabei die neuen Vergütungsregeln. Zukünftig sollen exzessive Boni, wie sie in der Vergangenheit gang und gäbe waren, verhindert werden. Diese Boni führten in der Vergangenheit zum Eingehen unzumutbarer Risiken. Das war ein wichtiger Auslöser der Krise. Zukünftig müssen Boni, die über 100 Prozent der fixen Vergütung hinausgehen, von der Hauptversammlung genehmigt werden. Wir Sozialdemokraten begrüßen den Ansatz einer Bonibegrenzung grundsätzlich; wir sind aber der Auffassung, dass die Hauptversammlung, also die Eigentümerversammlung, nicht der richtige Ort ist, um eine solche Entscheidung zu treffen. Für solche Fragen sollte auch zukünftig der Aufsichtsrat zuständig sein. ({3}) Die von uns seit langem geforderte Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit solcher Zahlungen würde zu einer wirksamen Begrenzung von Bonizahlungen führen. Die Umsetzung von Basel III in nationales Recht umfasst auch das sogenannte Country-by-CountryReporting. Mit der Veröffentlichung verschiedener Kennziffern soll das Agieren von Banken transparent gemacht werden. Verluste zum Beispiel müssten transparent gemacht werden. Aber die Veröffentlichungspflicht setzt zu spät ein. Es wäre möglich, sie bereits 2014 zur Pflicht zu machen. Wir würden dies unterstützen. Wenn man nun abwägt - was ist bei der Umsetzung von Basel III erreicht worden, und was ist nicht erreicht worden? -, dann kommen wir Sozialdemokraten zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung zwar ein wichtiger, aber noch nicht hinreichender Schritt ist, um mehr Stabilität auf den Finanzmärkten sicherzustellen. ({4}) Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf dennoch zustimmen, aber weiter darauf drängen, die noch offenen Punkte in dem von uns angesprochenen Sinne zu regeln. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Björn Sänger für die FDP-Fraktion. ({0})

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute zwei weitere große Pakete zur Finanzmarktregulierung vorliegen, den Entwurf eines AIFM-Umsetzungsgesetzes mit dem zugehörigen Entwurf eines Steuergesetzes und die Umsetzung von Basel III in Deutschland. Das sind zwei Pakete, die den Verbraucherschutz und die Sicherheit und die Stabilität der Finanzmärkte weiter stärken werden. Ich will mit der AIFM-Richtlinie beginnen, zu der heute noch gar nichts gesagt worden. Es geht um die Frage der Regulierung alternativer Investmentvehikel, des sogenannten grauen Marktes, der durch diese Regulierung etwas mehr in den Blick gerückt wird. Das ist ein wichtiger Finanzierer der Realwirtschaft; denn Schiffe, Flugzeuge, Existenzgründungen und Immobilien werden häufig über diese alternativen Investmentvehikel finanziert. Ich hatte beispielsweise einen Petenten am Telefon, der Kindergärten für Kommunen im Rahmen geschlossener Fonds baute. All das sind alternative Investmentvehikel, die wir hier regulieren. Auch volkswirtschaftlich gewünschte Investments wie beispielsweise die Finanzierung der Energiewende werden häufig über derartige Konstrukte abgewickelt. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit Augenmaß regulieren, wie der Kollege Michelbach schon gesagt hat. Augenmaß ist auch beim exekutiven Handeln wichtig. Wir haben eine sehr breite Bemessungsgrundlage geschaffen, um Umgehungstatbestände auszuschließen. Das heißt, wir haben einen breiten Anwendungsbereich. Das bedeutet aber auch, dass wir hier möglicherweise Beifang haben, das heißt, dass bestimmte Unternehmen - beispielsweise betrifft das Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft - als Fonds erfasst werden, obwohl sie eigentlich gar keine Fonds sind und daher eigentlich nicht unter diese Richtlinie fallen sollen. Insofern kommt der BaFin hier eine besondere Verantwortung zu. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie diesen Spielraum in unserem Sinne nutzen wird. Wir haben bei der Energiewende einiges erreicht. Wir haben uns zum Beispiel auf die Genossenschaftsmodelle konzentriert. Im Wesentlichen geht es dabei um bürgerschaftliches Engagement, um Modelle, bei denen sich Menschen zusammenschließen, um die Energiewende voranzutreiben, um einen Windpark zu betreiben, um eine Photovoltaikanlage, Biogasanlage oder was auch immer zu betreiben. Dies soll weiterhin im genossenschaftlichen Rahmen möglich sein. Wenn die Betreffenden es selber tun, das heißt, operativ tätig sind, sind sie sowieso außen vor. Wir haben - dies ist ein weiterer Punkt aus dieser Richtlinie - die offenen Immobilienfonds erhalten. Dieses Investmentvehikel, bei dem jedermann mit kleinen Beträgen in Immobilienvermögen investieren kann, bleibt erhalten. Wir haben diese offenen Immobilienfonds krisenfester ausgestaltet, indem wir die Auszahlungsmodalitäten näher mit dem Investitionsobjekt, nämlich eine Immobilie, verbunden haben. Jetzt ist es eben kein Tagesgeldkonto mehr; als das wurde es häufig verkauft. Ein weiterer Aspekt in diesem Gesetzentwurf, der vollkommen unstrittig war, ist das sogenannte PensionAsset-Pooling. Hiermit stärken wir den Finanzplatz nachhaltig. Wir erweitern den Verbraucherschutz, indem es internationalen Unternehmen möglich ist, Pensionsfonds zu bündeln und dies auch von Deutschland aus zu gestalten. Das war bisher nicht möglich. Da waren wir im internationalen Vergleich im Nachteil. Ich freue mich außerordentlich, dass es gelungen ist, auch ein solches Anlageinstrument zur Verfügung zu stellen. Das ist meines Erachtens ein ganz großer Erfolg. ({0}) Hinsichtlich der Umsetzung von Basel III in Deutschland kam es uns auf drei Kernpunkte an: Erhöhung der Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen, Verbesserung des Risikomanagements und Erhöhung der Transparenz. Auf die klassischen Insolvenzgründe, fehlendes Kapital und fehlende Liquidität, wird angemessen reagiert, indem zukünftig mehr Eigenkapital besserer Qualität zur Verfügung gestellt werden muss. Ergänzend werden Kapitalpuffer eingeführt, um bei Krisen eine höhere Widerstandskraft zu haben. Zukünftig soll der Cashflow so gesteuert werden, dass die Liquidität jederzeit zur Verfügung steht. Wir haben einen einheitlichen Ordnungsrahmen vorgelegt, der für alle Banken gilt; denn der Finanzsektor muss sich entwickeln können. Es gab und es gibt nach wie vor Stimmen, die sagen, dass das eigentlich alles nur für die systemrelevanten Banken oder die Verursacher der Krise gelten soll. Aber eine Bank ist eine Bank. ({1}) Insofern gilt der Ordnungsrahmen grundsätzlich erst einmal für den gesamten Finanzplatz. Wir können heute noch nicht sagen, was zukünftig eine systemrelevante Bank ist. Der Finanzmarkt muss sich an dieser Stelle entsprechend entwickeln können. Gleichzeitig haben wir die Anforderungen vor allem an kleine und mittlere Institute nach dem Proportionalitätsprinzip gestaltet, das sich durch das gesamte Regulierungsvorhaben zieht. Wer sozusagen ein einfaches Geschäft betreibt, wer mit dem sogenannten Standardansatz arbeitet, wird nicht viel zu befürchten haben, weil er auch nicht mit großen Risiken arbeitet. Auch kommunale Aspekte hinsichtlich der Ausgestaltung von Aufsichtsräten, zum Beispiel bei Sparkassen, haben wir entsprechend berücksichtigt. Unter dem Strich kann man sagen: Es handelt sich wie immer um eine Regulierung mit Augenmaß, die die Ziele der Regulierung, mehr Sicherheit und Stabilität in den Finanzmarkt zu bringen, erreicht. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir vier gute Jahre in Deutschland erlebt haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2008 begann die weltweite Finanzkrise, vor zwei Jahren die Krise des Euro-Raums. Seitdem gibt es zumindest ein politisches Umdenken dahin gehend, dass die Finanzmärkte reguliert werden müssen. Aber die Umsetzung erfolgt sehr schleppend. 2009, also vor vier Jahren, wurde in Pittsburgh von den G-20-Staaten eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Sie sind immer noch nicht in Gänze in Kraft. Wir beraten hier heute drei Gesetzentwürfe; auf diese möchte ich mich konzentrieren. Erstens geht es um das CRD IV-Umsetzungsgesetz. Ich versuche, es einfach auszudrücken: Es geht darum, Eigenkapitalanforderungen, Liquiditätsstandards und Maßgaben zur Unternehmensführung einfachgesetzlich zu verankern, Stichwort Basel III. Da ich hier nicht den gesamten Gesetzentwurf bewerten kann, möchte ich zwei Punkte herausgreifen. Erstens: die Eigenkapitalvorschriften. Prinzipiell ist die Heraufsetzung der Eigenkapitalquote im Verhältnis zu dem Kreditvolumen, mit dem die Bank arbeitet, richtig. Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob die vorgeschlagenen Eigenkapitalanforderungen, die für die verschiedenen Bereiche unterschiedlich sind, ausreichen, um Kredite ausreichend abzusichern. Darauf die klare Antwort: nein. Nehmen Sie das Beispiel der Verbriefungen; das ist eine besondere Form von Wertpapieren. Hier wird jetzt eine Eigenkapitalquote von 5 Prozent verlangt. Die Organisation Finance Watch, ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel hat, das Finanzgewerbe zum Wohle der Gesellschaft zu beeinflussen, sagt: Wenn das verfolgte Ziel erreicht werden soll, muss die Quote bei 20 bis 25 Prozent liegen. - Davon sind wir meilenweit entfernt. Aber nur bei einer solch hohen Quote würde wirklich kein Anreiz mehr bestehen, locker-fröhlich mit Verbriefungen zu spekulieren. Zweitens: die Fremdverschuldungsquote; man kann sie auch als Schuldenbremse für die Banken bezeichnen. Verbindliche Pflichten sollen erst ab 2018 gelten, also erst in fünf Jahren, neun Jahre nach dem Gipfel in Pittsburgh. Warum so spät? Das ist doch eine Frage, die sich stellt. Bis dahin soll es nur eine Begrenzung der Bilanzsumme im Verhältnis zum Kernkapital und Offenlegungspflichten geben. Das ist einfach zu wenig. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert eine verbindliche Quote in Höhe von 3 Prozent für alle. Das halten wir für nicht zielführend, nicht deshalb, weil wir die 3 Prozent ablehnen, sondern weil wir eine Gleichbehandlung der verschiedenen Institute für nicht richtig halten. Lassen Sie mich an dieser Stelle hervorheben, dass wir froh sind, dass der besonderen Rolle der Sparkassen und Genossenschaftsbanken - dieses Anliegen haben wir Linke im Finanzausschuss als Erste thematisiert - in einem Mindestmaß Rechnung getragen wurde; denn genau diese Kreditinstitute zählten nicht zu den Verursachern der Finanzkrise. ({0}) Insgesamt sage ich zur Umsetzung von Basel III: Die Richtung stimmt, die Umsetzung ist zu zögerlich und nicht ausreichend, und deshalb werden wir uns enthalten. Zum zweiten Gesetz, zum AIFM-Umsetzungsgesetz und zum AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz. Hier muss man wirklich grundsätzliche Fragen stellen. Es geht um die Regulierung von Fonds, die bisher noch nicht reguliert waren - so weit, so gut. Da diese Fonds aber kein wirtschaftliches Eigenleben haben, erfolgt die Regulierung nur bei denen, die die Fonds verwalten, den Managern, also bei denen, die das Geld eingesammelt haben und dann dafür zuständig sind. Aber lassen Sie uns doch einmal die Frage stellen: Wozu braucht man diese Fonds überhaupt? Der Nachweis, dass man sie braucht, ist überhaupt noch nicht erbracht worden. Da Herr Sänger gerade davon gesprochen hat, dass es sich dabei um Vehikel handelt - für mich ist ein Fahrrad, das ich als Vehikel bezeichne, schon kurz davor, nicht mehr fahren zu können -, muss erst einmal der Nachweis erbracht werden, warum es immer heißt: Die Finanzwelt muss sich entwickeln können. ({1}) Sie soll ihre Kernaufgaben erfüllen. Das ist der Drehund Angelpunkt. Außerdem gibt es eine Minimumregelung, die besagt, dass gewisse Vorschriften und Registrierungspflichten eingehalten werden müssen. Aber sie gilt nur dann, wenn das Fondsvermögen 100 Millionen Euro nicht übersteigt. Dazu haben Sachverständige in der Anhörung gesagt: Damit wird der Großteil der Fonds überhaupt nicht erfasst. Letzte Bemerkung. Sie führen eine völlig neue Rechtsform ein: die Investmentkommanditgesellschaft. Hierzu muss ich klipp und klar sagen: Das ist für international tätige Konzerne eine spezielle Form, Steuern sparen zu können. Denn für sie ist das nur dann attraktiver, wenn sie die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland zentral verwalten

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- und die Vorteile der zwei Rechtsformen Kapitalund Personengesellschaft nutzen können. Um das zu ermöglichen, führen Sie diese neue Rechtsform ein. ({0}) Wir werden diese beiden Gesetzentwürfe ablehnen. Danke. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Erdbeeren in einer Schale sehr eng zusammenliegen, dann ist es schwierig, die faulen Stellen zu sehen. Wenn wir jetzt sehr dicht gedrängt - im Rahmen eines Tagesordnungspunktes - mehrere Finanzgesetze diskutieren, ist es vielleicht auch schwierig - das ist vielleicht auch die Intention, die hinter der Tagesordnung steckt -, die faulen Stellen zu sehen. Obwohl es auch viele schöne Stellen an den Erdbeeren gibt, werde ich jetzt über zentrale faule Stellen sprechen und zeigen, wie man es nicht machen sollte. Der erste wichtige Punkt: In der Bankenregulierung - Basel III ist sozusagen der Verhandlungsrahmen gewesen - gibt es zwei Richtungen, wie man es machen kann. Die eine Richtung sagt: Wir führen den Weg weiter, den wir in den letzten Jahren - vor der Finanzkrise - zu beschreiten begonnen haben, wir verlassen uns bei der Bankenregulierung auf die Risikominimierungsmodelle der Banken, wir lassen die selber ausrechnen, wie viel Eigenkapital sie brauchen. - Wir mussten allerdings feststellen, dass diese Modelle so gestrickt sind, dass sie zum Beispiel diese Finanzkrise überhaupt nicht berücksichtigt haben. Nach den Modellen von Goldman Sachs hätte es diese Finanzkrise nicht ein Mal in fünfzig Jahren, nicht ein Mal in hundert Jahren, nicht ein Mal seit der Eiszeit und auch nicht ein Mal seit dem Urknall geben dürfen, es hätte sie eigentlich gar nie geben dürfen. Sollen wir die Stabilität unseres Bankensektors auf solchen Modellen gründen? Wir Grünen meinen: nein. ({0}) Um es konkret zu machen - daran wird dann deutlich, warum wir einen neuen Weg beschreiten müssen -: Die Deutsche Bank hat eine Bilanzsumme von 2 Billionen Euro. Nach dem Risikomodell, nach dem die Bank das Risiko selbst gewichtet, schnurpselt die Bilanzsumme plötzlich zusammen auf einen Wert von unter 400 Milliarden Euro. Plötzlich wirkt die Bank viel kleiner. So wirkt auch das Eigenkapital, das sie hat, als würde es ausreichen. Deswegen braucht es einen neuen Weg der Bankenregulierung - diesen Weg fordern nicht nur wir Grünen, sondern auch Wissenschaft und Regulatoren weltweit -, nämlich eine ungewichtete, von den Risikominimierungsmodellen der Banken unabhängige Größe, eine Schuldenbremse für Banken. Warum sind wir denn mit dem Finanzausschuss nach Kanada gefahren - wir konnten sehen, dass dort mit einer Mindestgrenze von 5 Prozent die Banken stabil geblieben waren -, wenn wir in Europa nicht von Kanada lernen wollen? Die Bundesregierung und - von der Bundesregierung beauftragt die Finanzaufsichtsbehörde haben bei den Verhandlungen in Basel und in Brüssel auf der falschen Seite gekämpft: für die alte Bankenregulierung. Was wir bräuchten, wäre jedoch eine neue, stabilere Bankenregulierung. ({1}) Ein zweiter wichtiger Punkt: Bei dem sogenannten AIFM-Umsetzungsgesetz, wo es um den grauen Kapitalmarkt, die geschlossenen Fonds geht, sind viele Sachen richtig, und dabei sind Sachen, die wir schon lange gefordert haben. Aber eines kann man doch nicht machen: eine große Ausnahme für alle geschlossenen Fonds unter 100 Millionen Euro. Wenn man sich die Skandalfälle der letzten Jahre anschaut, sieht man, dass ganz viele davon unter diesen Bedingungen wieder stattfinden könnten. Dieses Loch darf man nicht offen lassen. Deswegen haben wir im Ausschuss gefordert: Schließen Sie diese Lücke, damit Abzocker am deutschen Kapitalmarkt nicht weiter freie Fahrt haben! Diese Lücke muss geschlossen werden, da muss ein Stoppschild her; das vermissen wir dringend in diesem Gesetz. ({2}) Schließlich zu dem Punkt, zu dem wir unseren Änderungsantrag stellen. Wir wollen endlich Transparenz, wenn es um Steuerzahlungen geht. Große Konzerne - und eben auch große Banken - können ihre Steuerlast durch eine Verlagerung der Gewinne in Steueroasen und verschiedene Länder senken. ({3}) Im diesjährigen Geschäftsbericht der Deutschen Bank steht sogar explizit, dass so etwas geht. Bei diesem Thema herrscht bisher viel Dunkelheit. Wir erfahren gar nicht, welche Gewinne wo anfallen, welche Steuern wo gezahlt werden. Die Bundesregierung hat leider dagegen gekämpft, dass da Licht angemacht wird. Das Europäische Parlament hat hier für Transparenz gekämpft. Wir wollen, dass der Deutsche Bundestag das klare Signal gibt: „Licht an!“, damit wir die Steuervermeidungsstrategien von großen Banken aufdecken können. Wir müssen endlich etwas gegen diese Steuervermeidung tun; denn alle Unternehmen sollen gleichmäßig Steuern zahlen, nicht nur die kleinen Unternehmen, sondern auch die großen. Das ist unser Ziel. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Antje Tillmann für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Rängen! Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen setzen wir unseren Weg konsequent fort, gegen Steuergestaltung und Steuerschlupflöcher vorzugehen, ohne wirtschaftlich vernünftige Gestaltungen in Deutschland zu verhindern. Wir wollen ein Steuerrecht nach Leistungsfähigkeit. Das beinhaltet, dass derjenige, der leistungsfähig ist, auch mehr Steuern zahlt als der, der es nicht ist. Durch die Umsetzung der AIFM-Richtlinie, über die Ralph Brinkhaus nachher noch berichten wird, sind wir gezwungen, bis Juli dieses Jahres auch das Investmentsteuerrecht zu reformieren. Das gibt uns die Gelegenheit, auch hier Steuerschlupflöcher und ungewollte Gestaltungen zu verhindern, so zum Beispiel - erster Punkt - beim Bond-Stripping. Mit der Neuregelung des § 3 Investmentsteuergesetz wird eine Umgehung der Verlustabzugsbeschränkungen gemäß § 8 c Körperschaftsteuergesetz verhindert. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass hier in erheblichem Umfang Steuern ausfallen. Bei diesem Modell investieren Investmentfonds in Anleihen. Nach Erwerb der Anleihen werden die Zinsscheine vom Anleihemantel abgetrennt und die Anschaffungskosten für die Anleihe vollständig dem Anleihemantel zugeordnet. Eine Aufteilung der Anschaffungskosten auf Zinsscheine und Anleihemantel erfolgt bisher nicht. Durch die Veräußerung der Zinsscheine generiert der Investmentfonds künstliche Erträge. Diese gelten mit Ablauf des Geschäftsjahres des Investmentfonds als dem Anleger zugeflossen. Bestehen beim Anleger Verluste, können diese mit den dem Anleger fiktiv zugerechneten Erträgen ausgeglichen werden. Damit wird § 8 c Körperschaftsteuergesetz, bei dem die Nutzung von Verlusten in solchen Fällen eigentlich ausgeschlossen ist, umgangen. Dieses Gestaltungsmodell werden wir mit der Neuregelung heute verhindern. Zweiter Punkt. Das Gleiche ergibt sich beim Werbungskostenabzug. Auch hier sind die gegenwärtigen Regelungen des Werbungskostenabzugs im Investmentsteuergesetz sehr gestaltungsanfällig. Es gilt im Steuerrecht grundsätzlich der Grundsatz, dass Werbungskosten immer nur dann abzugsfähig sind, wenn sie im Zusammenhang mit Erträgen stehen, die hier in Deutschland versteuert werden. Werbungskosten im Zusammenhang mit steuerfreien Erträgen sollen nicht abzugsfähig sein. Auch für diesen Bereich haben wir in diesem Gesetzentwurf eine Neuregelung vorgesehen. Dritter Punkt. Ausschüttungsreihenfolge. Wir wollen, dass sämtliche Erträge des laufenden Jahres und vorheriger Geschäftsjahre steuerpflichtig ausgeschüttet werden und dass sich der Steuerpflichtige dieser Steuerpflicht nicht durch Thesaurierung entziehen kann. Vierter Punkt. Auch international nutzen wir jede Möglichkeit, Steuerhinterziehung zu unterbinden. So werden wir mit dem heutigen Gesetzentwurf die Voraussetzungen dafür schaffen, dem internationalen FATCAAbkommen mit den USA beizutreten. Dabei geht es um einen automatischen Datenaustausch mit den Vereinigten Staaten, der es ermöglichen soll, Steuerhinterzieher noch rechtzeitiger und noch ausgiebiger verfolgen zu können. ({0}) Dieses Abkommen ist dann auch ein Vorbild für einen generellen automatischen Informationsaustausch auf europäischer und internationaler Ebene. Neben der Beseitigung dieser ganzen Gestaltungsmissbräuche wollen wir es aber auch möglich machen, großes Kapital in Deutschland zu konzentrieren. Liebe Frau Dr. Höll, Sie haben eben gefragt, wofür wir die Investmentkommanditgesellschaft brauchen. Wir brauchen sie deswegen, weil es - fünfter Punkt - internationale Pension-Asset-Poolings gibt, wodurch Altersvorsorgemittel bzw. Pensionsvermögen in einer Größenordnung von fast 1 Billion Euro verwaltet werden, die gebraucht werden, um Pensionsverpflichtungen gegenüber deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicherzustellen. Wenn es so wäre, wie Sie sich das wünschen, dass nämlich dieses verwaltete Vermögen ordnungsgemäß in Deutschland versteuert und verwaltet würde, dann könnte man Ihnen recht geben, aber tatsächlich wandert dieses Billionenvermögen ins Ausland. Das heißt, es werden Länder mit entsprechend sinnvollen und einfachen Gestaltungsmöglichkeiten ohne Regulierung gesucht, durch die man an der deutschen Steuer vorbeigehen kann. Das wollen wir verhindern. Wir wollen es den Unternehmen ermöglichen, auch in Deutschland Pensionsvermögen zu verwalten. Das geht nur über die Investmentkommanditgesellschaft, die wir regulieren, weil ich es richtiger finde, die deutsche Altersvorsorge in Deutschland zu regulieren und zu kontrollieren, und weil wir darüber hinaus zurzeit mehrere hundert Millionen Euro Steuereinnahmen in Deutschland nicht erzielen, weil die Möglichkeiten im Ausland als besser empfunden werden als in Deutschland. Wir sehen das anders. Mit der Investment-KG werden wir das auch zukünftig zulassen. ({1}) Natürlich sehen wir aber auch die Missbrauchsmöglichkeiten. Deshalb haben wir den ursprünglichen Gesetzentwurf des BMF dahin gehend eingeschränkt, dass wir diese Investmentkommanditgesellschaft ausschließlich für Altersvorsorgeverpflichtungen zulassen. Wir werden uns das Gesetz in der nächsten Legislaturperiode noch einmal ansehen und gucken, wie die Auswirkungen sind, um gegebenenfalls weiteren Missbräuchen entgegenzutreten. Sechster Punkt. OGAW. Der Vorsitzende hat eben darauf hingewiesen, wir mögen Abkürzungen doch auch erklären. ({2}) - Axel Troost, du weißt, was OGAW sind. Wir haben sichergestellt, dass verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, sowohl nach OGAW-Richtlinie, aber auch bei Alternativen Investmentfonds, bei der Frage der Investmentbesteuerung den gleichen Anlagebestimmungen unterliegen. Wer privilegiert besteuert werden möchte, muss dieselben Anlagebedingungen erfüllen. Trotz aller engmaschigen Kontrolle wollen wir sinnvolle Investitionen in Deutschland möglich halten. Ich habe das eben schon bei den Pension-Asset-Poolings gesagt. Das gilt genauso für die Möglichkeit, in erneuerbare Energien zu investieren. Durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen lassen wir die Möglichkeit zu, in erneuerbare Energien auch im Rahmen von OGAW und AIF zu investieren. Wir wollen die Energiewende zu einem positiven Ergebnis führen, und wir wollen keine steuerlichen Maßnahmen beschließen, die da Schwierigkeiten verursachen können. ({3}) Insgesamt ist das ein Gesetzentwurf, der in vielen Bereichen Steuertricksereien, Steuergestaltungen verhindert, die ausschließlich dem Ziel dienen, Steuerzahlungen zu umgehen. Das ist ein weiterer Schritt hin zu dem, was Hans Michelbach eben genannt hat, zu einer gerechteren Besteuerung in Deutschland. Aber es gibt auch einige fachfremde Anträge in diesem Gesetzespaket. So haben wir es gegen den Widerstand der gesamten Opposition geschafft, das steuerfreie Existenzminimum von 8 130 Euro in diesem Jahr auf im kommenden Jahr 8 354 Euro steigen zu lassen. Das sächliche Existenzminimum wird 2013 und auch 2014 steuerfrei gestellt. Demzufolge müssen auch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber unterhaltsberechtigten Personen an dieses Existenzminimum angepasst werden. Wir setzen unsere versprochene Steuerentlastung der Bürgerinnen und Bürger fort. Wer Unterhalt leistet, der soll das steuerlich geltend machen können. Diejenigen, die das tun, sparen durch diesen Gesetzentwurf 30 Millionen Euro. Ein letzter Satz noch kurz zu den Änderungsanträgen der SPD. Es gibt weitere Steuergestaltungsmöglichkeiten in § 4 f EStG, die uns auch bekannt sind. Der Antrag der SPD ist aber nicht geeignet, diese Steuerlücke zu schließen, weil er bei der falschen Person ansetzt. Es geht darum, übernommene Verpflichtungen steuerbegünstigt aufzulösen. Wir werden in der neuen Legislaturperiode dieses Problem mit den Ländern gemeinsam lösen. Der jetzt von der SPD vorgelegte Vorschlag wirft beihilferechtliche Probleme auf, was nur dazu führen würde, dass wir über Jahre keine Rechtssicherheit hätten. Wir brauchen die Rechtssicherheit aber sehr schnell und werden dieses Thema deshalb einvernehmlich mit den Ländern angehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Abschließend kann ich Sie nur bitten - wenn wir den Termin 22. Juli 2013 halten wollen, müssen wir gemeinsam mit dem Bundesrat dieses Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden -, uns dabei zu begleiten. Ich hoffe, das tun Sie, damit im Juli keine Rechtsunsicherheit entsteht. Wir möchten das mit diesem Gesetz verhindern. Sie können dabei mitmachen. Danke. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat jetzt Dr. Carsten Sieling für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist der Tag, an dem man sinnlich erfahrbar machen kann, dass Sie als schwarz-gelbe Regierungskoalition im Bereich der Finanzmarktregulierung ({0}) wertvolle Zeit verschenkt haben, dass Sie Entscheidungen verzögert und verschoben haben, dass Sie vieles verschleppt haben. ({1}) Das Ganze hat nämlich ein Ergebnis. Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition stellen sich hier hin und reden davon, Sie hätten 30 Gesetze verabschiedet. ({2}) - Nein, nein. Es sind 30 Gesetze am Ende des Tages, aber erst am Ende des Tages. Denn richtig in die Puschen gekommen sind Sie erst in den letzten Monaten. So ist das: Am Abend werden die Faulen fleißig! Das ist Ihre Politik und Ihr Herangehen. ({3}) Das ist heute sinnlich erfahrbar. Wir führen heute in eineinhalb Stunden eine abschließende Beratung zu einem Gesetzespaket durch, das diesen großen Stapel Papier hier umfasst - für alle, die noch zweifeln: es sind natürlich doppelseitig bedruckte Blätter. Wir reden über drei große Gesetzesverfahren, die jeweils einen Umfang von 300 bis 400 Seiten haben. Ich finde, das ist ein Stück weit auch eine parlamentarische Stresssituation, die Sie damit bei sich auslösen, die Sie auch in allen anderen Bereichen hier auslösen - nur deshalb, weil Sie zu viel Zeit haben ins Land gehen lassen und erst jetzt versuchen, das umzusetzen. Das ist wirklich unglaublich und keine verantwortliche Regulierung. Von wegen: Jeder Akteur, jeder Markt und jedes Produkt wurde geregelt. - All das kommt ziemlich spät, meine Damen und Herren von der Koalition. ({4}) Ich will hier auf das Gesetz, das die Regulierung der hochgefährlichen Investmentfonds betrifft, hinweisen. Es ist wie in allen Bereichen: Es sind weitgehend europäische Vorgaben, die Sie umzusetzen haben und umzusetzen hatten. In dieser Situation hatten Sie nicht viele Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Das haben wir über alle Fraktionen immer so gesehen. Aber es gab ein paar Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen und auch eigene Fehler zu machen. Diese Chance, Fehler zu machen, haben Sie nicht ausgelassen, jedenfalls nicht bezogen auf die Sicherung und die endlich durchgreifende Regulierung sogenannter geschlossener Fonds. Dabei bleibt weiterhin, um ein bekanntes deutsches Magazin aus dieser Woche zu zitieren, der „Abenteuerspielplatz“ der Finanzbranche unangetastet. Das ist Ihre Regulierungspolitik. Die entscheidenden Regelungen rühren Sie nicht an. Hinterher jubiliert die Branche darüber, dass sie ihre Positionen in den Beratungen erfolgreich durchgesetzt hat. ({5}) Worum es geht, wissen wir, glaube ich, alle. Ich will es aber noch einmal sagen: Es geht um Investitionen in Fonds, bei denen man sein Geld nicht mehr so einfach zurückbekommt. Am Ende des Tages geht es um große Betonruinen, marode Einkaufszentren, erfolglose Filmprojekte in Hollywood. Da geht es sogar, so liest man mittlerweile, um Krankenhauskomplexe in der Wüste. In all diese Dinge können Leute ihr Geld investieren, die auch das Risiko eingehen können. Aber wir wissen auch, dass diese Einlagen in der Vergangenheit an Privatanleger vergeben worden sind. Sogar älteren Menschen sind diese Fonds verkauft worden. In Deutschland beträgt das Volumen dieses Marktes 91 Milliarden Euro allein im Bereich der Kleinanleger. Hier werden für die Risiken wirklich die Bürgerinnen und Bürger herangezogen. Deshalb sagen wir sehr eindeutig: An dieser Stelle unterläuft Ihnen ein großer Fehler. Sie sorgen nicht dafür, dass die Teilnahme von Privatanlegern an diesen Fonds ausgeschlossen ist. Sie haben entgegen Ihren ersten Überlegungen die Regelung zur Kreditaufnahme deutlich gelockert. Die Grenze wurde von 30 auf 60 Prozent verschoben. ({6}) Die Branche wollte erheblich mehr und hat dies auch verlangt. Der Bundesrat hat dieses Anliegen unterstützt. Sie öffnen dem Wildwuchs Tür und Tor und sorgen dafür, dass fehlerhafte Entwicklungen weiter Raum greifen. Sie haben insbesondere bei den einzubringenden Anlagesummen keinen Schutz für diejenigen vorgesehen, die am stärksten davon bedroht sind, dass ihr Geld da verwendet wird, wo sie es nicht mehr so einfach zurückbekommen, wo man es nicht sichern kann und wo auch die Risiken besonders hoch sind. Das ist an diesem Gesetz kritikwürdig und auch verwerflich. Nichtsdestoweniger haben Sie und haben auch wir - das muss man sagen -, nachdem die Regierung ihren Entwurf vorgelegt hat, in konstruktiven Beratungen noch ein paar Veränderungen erzielen können. Ich sage sehr deutlich: Uns als Sozialdemokraten - das haben wir in unseren Änderungsanträgen klargemacht - reicht es nicht, was Sie im Bereich der offenen Immobilienfonds gemacht haben und mit Ihrer Mehrheit heute machen werden. Sie enthalten dieses Instrument Privatanlegern jetzt und auch in Zukunft vor. Das ist eine falsche Entscheidung. Aber zumindest sind wir bei der Abgrenzung von wirtschaftlichen Aktivitäten und Finanzanlagen weitergekommen. Wir haben vor allem in der Sicherung der für die Energiewende so notwendigen Bürgerenergieprojekte mit der sogenannten Genossenschaftslösung gemeinsam eine gute Lösung erreicht. Von daher ist dies ein Gesetz mit leider immer noch zu viel Schatten, aber immerhin ein wenig Licht, was uns Sozialdemokraten dazu führt, nicht durchgängig Nein dazu zu sagen. Wir lehnen dieses Gesetz nicht ab, sondern wir werden uns enthalten. ({7}) - Wir hätten gerne zugestimmt, Herr Kollege Michelbach. Aber dann hätten Sie auch unseren sehr konkreten Änderungsanträgen Folge leisten müssen. Das ist nicht geschehen. Von daher ist das Ergebnis, wie bereits vorgetragen, ein großer Stapel, den Sie am Ende des Tages produziert haben. Das hätten wir gerne vor zwei, drei Jahren gesehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich danke Ihnen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir heute beraten, rundet die Arbeit der Finanzmarktregulierung der christlich-liberalen Koalition ab. Wir haben die Regulierung in den letzten vier Jahren konsequent vorangetrieben und sind stolz auf die Bilanz, die wir vorzuweisen haben. ({0}) Wir haben ein Leerverkaufsverbot umgesetzt und einen erhöhten Selbstbehalt bei Verbriefungen durchgesetzt. Wir haben die Bankenaufsicht in Deutschland reformiert. Wir haben Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt. Wir haben ein Restrukturierungsgesetz geschaffen, um Bürger künftig vor Bankeninsolvenzen zu schützen. Wir haben eine Bankenabgabe eingeführt. Wir haben den Hochfrequenzhandel reguliert. Wir haben eine europäische Bankenaufsicht auf den Weg gebracht. Heute regulieren wir die Fondswirtschaft und legen einen sehr wichtigen Gesetzentwurf vor, nämlich zur Umsetzung von Basel III. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Meilensteine in der Finanzmarktregulierung. ({1}) Der Gesetzentwurf ist sehr wichtig, weil es um ein zentrales Gesetz zur Finanzmarktregulierung geht. Es geht um die Verpflichtung der Marktteilnehmer, ihre Risiken selbst abzusichern, indem sie ausreichend Kapital vorhalten, um Verluste selbst tragen zu können und sie am Ende nicht den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern vor die Füße zu werfen. Das, was passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Dieses Gesetz ist die richtige Antwort auf die Finanzkrise. ({2}) Wir führen mit dem Gesetzentwurf Freiheit und Verantwortung zusammen. Deswegen sind wir fest davon überzeugt, einen sehr wichtigen Schritt zu gehen. Es ist ein sehr komplexes Regelwerk, aber es ist ein zentrales Regelwerk, um Finanzmärkte künftig stabiler und die Finanzwirtschaft wieder sicherer zu machen. Was heute vorliegt, ist gelungen. Es ist sehr umfangreich gewesen, es vorzubereiten. Der Kollege Sieling hat freundlicherweise schon darauf hingewiesen, wie fleißig wir waren und in welchem Umfang wir die Finanzmarktregulierung vorangebracht haben. Es ist uns ein dickes Konvolut mit präzisen, umfangreichen, aber notwendigen Regelungen gelungen. ({3}) - Herr Kollege Sieling, es war ein Versuch, an unserer Arbeit noch irgendeine Kritik zu finden, dass Sie gesagt haben, sie sei zu spät gekommen. Nun wissen aber alle Kundigen, dass das auf europäischer Ebene vorbereitet werden musste. ({4}) Es ist nicht wahr, dass wir erst am Ende dieser Legislaturperiode damit angefangen haben, das auf europäischer Ebene voranzubringen; es war bereits 2009 und 2010. ({5}) Das wissen Sie auch. Deswegen kann ich Ihren Vorwurf nur zurückweisen. Sie blamieren damit sich selbst mehr, als Sie uns schaden. ({6}) Lieber Kollege Sieling, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nachdem Sie in eigener Verantwortung elf Jahre lang die Finanzmarktregulierung verschlafen haben und seit 2009 unseren Regulierungsvorschriften im Bundestag nie zugestimmt, sondern sie immer abgelehnt haben, beglückwünsche ich Sie, dass Sie wenigstens heute bei dem einen Gesetzentwurf zur Vernunft gekommen sind und endlich bei der Finanzmarktregulierung mitmachen, statt nur zu reden. Sie stimmen sonst immer nur dagegen. Als Sie Verantwortung hatten, haben Sie nichts getan. Deswegen ist es gut, dass Sie wenigstens bei der BaselIII-Umsetzung mit im Boot sind. ({7}) Bei den Grünen ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Sie haben in eigener Regierungsverantwortung die Finanzmarktregulierung verschlafen. Sie haben seit 2009 die Finanzmarktregulierung im Deutschen Bundestag immer abgelehnt. Auch heute stimmen die Grünen - auch das Publikum sollte das wissen - wieder mit Nein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach vier Jahren christlich-liberaler Regierung haben wir in Deutschland den am stärksten regulierten Finanzmarkt in Europa. Unsere gezielte Regulierung ist konsequent und hat immer einen fairen Umgang auch mit der für unser Land notwendigen und wichtigen Finanzwirtschaft im Blick. Sie hat auch immer im Blick, dass Regulierung wettbewerbsneutral sein muss. All das exportiert die Bundesregierung vorbildlich nach Europa. Deswegen sind wir nicht nur in Deutschland Vorreiter. Nein, wir sind Regulierungsvorreiter in ganz Europa. Wir haben ein zentrales Ziel christlich-liberaler Politik erreicht. Was die Menschen zu Recht von uns erwartet haben, wurde von uns Stück für Stück erarbeitet. Hinter uns liegen vier gute Jahre für Deutschland und vier gute Jahre für Europa. Wir können heute sagen: Mit diesem Gesetz runden wir unsere Regierungspolitik weiter ab. Wir schaffen stabile Finanzmärkte. Wir erfüllen eine wichtige Aufgabe. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steckt nach wie vor in einer tiefen Krise. Das liegt daran, dass die Bundesregierung unverändert an einer verbohrten und falschen Sparpolitik festhält. Im Gegensatz dazu stimmt bei der Finanzmarktregulierung zumindest die Richtung. Aber ich will heute eine ernüchternde Bilanz der letzten Zeit ziehen. Zu den heutigen Gesetzentwürfen hat meine Kollegin Barbara Höll das WesentDr. Axel Troost liche gesagt. Über das peinliche Trennbankengesetz und die Finanzaufsicht werden wir morgen reden. Fangen wir mit einer Institution an, über die hier selten geredet wird, dem Bankenrettungsfonds, dem Soffin. Dieser aus der Zeit der Großen Koalition übernommene Fonds weist inzwischen einen Verlust in Höhe von 23 Milliarden Euro auf. Er sollte ursprünglich 2010 auslaufen. Er wurde aber Anfang 2012 reaktiviert und Ende 2012 abermals verlängert, weil Banken nach wie vor zu groß zum Scheitern sind und im Notfall wieder Staatsgelder benötigen. Wegen dieses Problems haben Sie das Restrukturierungsgesetz geschaffen, auf das Sie besonders stolz sind. ({0}) Nur, dieses Gesetz hat einen großen Nachteil: Aus ideologischen Gründen ist festgelegt, dass der Staat erst dann eingreift, wenn alles andere gescheitert ist. - Ein führender Vertreter einer großen Anwaltskanzlei, der bisher an allen großen Bankenrettungen beteiligt war und sich daher auskennen muss, hat gesagt: „In Fachkreisen wird bezweifelt, ob dieses Instrument jemals zur Anwendung gelangen wird.“ Ein weiterer Flop ist die Begrenzung der Managergehälter. Jetzt werden zwar Bonuszahlungen im Verhältnis zum Fixgehalt gedeckelt, was nicht Ihre Idee war. Aber dieser kleine Erfolg ändert nichts daran, dass nach wie vor horrende Gehälter gezahlt werden, die nichts mit den geschaffenen Werten zu tun haben. ({1}) Nächster Punkt. In sehr großem Umfang sind inzwischen Geschäfte in den unregulierten Sektor abgewandert, in den sogenannten Schattenbanksektor. Bei dessen Regulierung haben Sie überhaupt keine Erfolge vorzuweisen. Beim Hochfrequenzhandel haben Sie im Wesentlichen den Status quo festgeschrieben. Sie haben also die bescheidenen Sicherheitsmaßnahmen verpflichtend gemacht, welche die Börsen aus Eigeninteresse sowieso schon eingeführt hatten. Sie haben zwar die EU-Ratingverordnung umgesetzt. Aber die Schlupflöcher sind nach wie vor riesengroß. Sie haben es verpasst, eine große europäische Ratingagentur zu schaffen, die das Oligopol der bisherigen Ratingagenturen durchbricht. Im Bereich des Anlegerschutzes haben Sie sicherlich eine Reihe von Verbesserungen erreicht. Aber weder konnten Sie sich durchringen, die provisionsgetriebene Beratung wie in anderen Ländern abzustellen, noch haben Sie die Verbraucherzentralen gestärkt. Bei Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen haben Sie einige Einschränkungen vorgenommen. Doch damit regulieren Sie nur einen winzigen Teil des Finanzmarkts. Den Derivatehandel haben Sie transparenter und sicherer gemacht. Sie lassen den Wildwuchs an riskanten und undurchschaubaren Derivaten aber ansonsten unangetastet. ({2}) Wir brauchen nach wie vor nicht ein Hinterherregulieren, sondern einen Finanz-TÜV, der nur diejenigen Finanzprodukte genehmigt, die nützlich, beherrschbar und verständlich sind. ({3}) Vertreter aller Parteien hatten gestern ein Gespräch mit Bankern. Aus dem Mund von Bankern haben wir gehört, dass in Deutschland 1 Million Zertifikate unterschiedlicher Art vertrieben werden und dass davon mindestens 700 000 überflüssig sind. Es bleibt dabei: Hier erfolgt nichts in Richtung Regulierung. Natürlich ist Finanzmarktregulierung wegen der internationalen Abstimmung - das ist unbestritten - eine mühsame Arbeit. Das erklärt aber nicht, warum etliche Ihrer Gesetze nur Symbolpolitik sind. Es geht in der Tat darum, ein großes Problem zu lösen, nämlich die Machtverhältnisse. Hier muss man entsprechend herangehen. Das ist aber eben nicht gelungen, weil man sich, wenn das gelingen soll, mit der Lobby in ganz anderem Umfang auseinandersetzen muss. Dass die Branche nach wie vor sehr ruhig ist, zeigt, dass das, was beschlossen worden ist, ihr nicht wirklich wehtut. Deswegen muss man ganz eindeutig sagen: Ihre Regulierung war umfangreich. In einem Zeugnis würde man formulieren: Sie haben sich ständig bemüht. - Aber Sie waren nicht ambitioniert genug; von einem Meilenstein, Herr Michelbach, kann noch nicht einmal in Ansätzen die Rede sein. ({4}) Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Thomas Gambke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe mich schon bei den Ausführungen von Herrn Michelbach und Herrn Wissing gewundert, eine doch sehr merkbare Selbstzufriedenheit feststellen zu müssen. Herr Wissing, wenn Sie sich hier hinstellen und so tun, als sei das jetzt das letzte Gesetz, das Sie gemacht hätten, und Sie aufzählen, was alles passiert sei, wenn Sie damit nach außen den Eindruck vermitteln, die Finanzkrise sei überwunden, weil alles geregelt sei und nichts mehr passieren könne - das ist der Eindruck, der möglicherweise entstanden ist -, dann möchte ich hier ausdrücklich widersprechen und betonen, dass noch ein gehöriger Regelungsbedarf besteht. ({0}) Weil Sie es immer wieder erwähnen, Herr Wissing, möchte ich auf eines hinweisen: Ich erinnere mich noch an das Jahr 2000. Damals war ich noch nicht im Deutschen Bundestag. Ich erinnere mich, dass ich eines Abends nach Amerika flog. Ein Kunde von uns mit einem Umsatz von 100 Millionen US-Dollar hatte einen Verlust von 200 Millionen US-Dollar, und die Firma wurde für 400 Millionen US-Dollar verkauft. Am selben Abend erzählte mir der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Herr Professor Walter, von den tollen Aktien. ({1}) Keiner von Ihnen, weder aus der liberalen noch aus der Unionsecke, hat damals gesagt: Leute, wenn heute hohe Zinsen gezahlt werden, dann ist das mit Risiken verbunden, wenn heute Bubbles entstehen, ist das mit Risiken verbunden. - Keiner von Ihnen ist damals dem Neoliberalismus ernsthaft entgegengetreten. Nichts haben Sie gemacht. ({2}) Lassen Sie mich auf das jetzige Gesetz kommen. Schon die Tatsache, dass wir innerhalb von eineinviertel Stunden drei wesentliche Gesetze beraten, zeigt, dass wir unmöglich die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Gesetze würdigen können. Das aber ist meine Aufgabe hier. Ich möchte Ihnen sagen, wo die Lücken in den Gesetzentwürfen sind. Nehmen wir zum Beispiel den Entwurf des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes, der heute beraten wird. ({3}) Ja, es werden viele Lücken geschlossen. Das ist auch gut so. Wir begrüßen das ausdrücklich. Aber es gibt eben auch Steuerlücken. So ist bekannt, dass ausländische Fonds Veräußerungsgewinne steuerfrei aus dem Land lotsen können. Die Antwort der Koalition darauf ist: Das sehen auch wir, das machen wir in der nächsten Legislatur. - Meine Damen und Herren von der Koalition, so können Sie damit nicht umgehen. Sie können sich nicht hier hinstellen und sagen, Sie hätten alles geregelt, was geregelt werden sollte. Das, was Sie uns hier vorlegen, ist ein Skandal. ({4}) Nehmen wir das Thema Pensionsrückstellungen. Die Länder haben auf konkrete Fälle der Steuergestaltung hingewiesen. Große Konzerne können durch das Verschieben von Pensionsverpflichtungen unter eigenen Teilfirmen Steuern sparen. Die Steuerausfälle - das muss man einmal sagen - werden auf eine Größenordnung von 20 Milliarden Euro geschätzt. Das sind Angaben der Experten. Und was sagt die Koalition? Wir sehen uns das in der nächsten Legislatur an. - Das ist einfach nicht akzeptabel. Dass Sie angesichts dieser Sachlage diese Selbstzufriedenheit und Selbstsicherheit zeigen, ist einfach nicht in Ordnung. ({5}) Lassen Sie mich zu dem Thema Transparenz kommen. Da hätten Sie als Koalition wirklich reagieren können. In der EU ist ein Kompromiss erreicht worden, 2016 ein Country-by-Country-Reporting, also eine länderbezogene Berichterstattung, einzuführen. Sie müssen sich einfach einmal damit auseinandersetzen, dass die Geschäftsbanken in den letzten zehn Jahren 4 Milliarden Euro Steuern gezahlt haben, die Volksbanken, Sparkassen und Landesbanken aber 40 Milliarden Euro. Das ist eine große Differenz. Die wird mir sogar von den Banken bestätigt. Aber da muss man doch einmal Licht hineinbringen, da muss man sehen, was Sache ist. Aber was machen Sie? Sie verweisen auf 2016. Das ist einfach nicht in Ordnung. ({6}) Sie sollten bescheiden auf Ihre Plätze zurückgehen. Am 22. September dieses Jahres wird der Wähler entscheiden, ob Sie einen guten Job gemacht haben. Ich glaube, Sie haben einen schlechten Job gemacht. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patricia Lips für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Gambke, keiner hat hier in den Raum gestellt, dass wir heute zum Abschluss der Finanzmarktregulierungen kommen, die wir uns vorgenommen haben. Keiner hat hier in den Raum gestellt, dass wir mit allem, was damit zu tun hat, aus der Krise bereits heraus sind. Ich glaube, das zeigt sich auf weiten Teilen dieses Kontinents. Lassen Sie mich noch etwas sagen: Kritik und Klappern gehören zum Handwerk einer Opposition. Das ist ihr natürliches Recht. Es wäre schlimm, wenn es an dieser Stelle anders wäre. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass der Vorwurf der Verzögerung und Verschleppung angesichts der zahlreichen Gesetzgebungsinitiativen, die wir hier gestartet haben - im Übrigen bisher als Einzige; Sie haben so etwas in den elf Jahren Ihrer Regierungszeit nicht geschafft; ({0}) das darf man durchaus einmal erwähnen -, unzutreffend ist. Was uns - ich will nicht sagen: erschüttert - nahegeht und worauf wir natürlich auch aufmerksam machen wolPatricia Lips len, das ist die Tatsache, dass Sie sich in das Zustandekommen dieser zahlreichen Gesetzeswerke nur bedingt eingebracht haben und dass Sie in Ihrer Regierungszeit dazu nichts beigetragen haben. ({1}) - Herr Sieling, Sie haben davon gesprochen, dass Sie sinnliche Wahrnehmungen haben, wenn Sie über Investmentfonds reden. Ich sage Ihnen eines: Sinnliche Wahrnehmungen hatten wir im Jahr 2004, als Ihre Regierung das Investmentmodernisierungsgesetz auf den Markt gebracht hat, womit Hedgefonds überhaupt erst ermöglicht wurden. ({2}) Wir fangen jetzt an, zu kontrollieren, was Sie damals auf den Markt gebracht haben. ({3}) Uns liegen heute in der Tat mehrere größere Gesetzentwürfe vor. Es wurde darauf hingewiesen: Einer der größten Gesetzentwürfe steht heute nach viermonatiger Beratungszeit zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung, der Entwurf des sogenannten AIFM-Umsetzungsgesetzes. Wir haben hier schon davon gesprochen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sieling?

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich würde gerne im Kontext fortfahren. Herr Sieling hat schon zu diesem Tagesordnungspunkt gesprochen. Worum geht es? Es geht darum, Verwalter, sprich: Manager, sogenannter alternativer Investmentfonds, die erhebliche Teile aller Anlagen kontrollieren, unter Aufsicht zu stellen. Wir schaffen darüber hinaus ein gänzlich neues Kapitalanlagegesetzbuch, ein in sich geschlossenes, fast epochales Regelwerk, mit dem Ziel, sämtliche Investmentfonds und ihr Management zu bündeln und einer Finanzaufsicht zu unterwerfen. Es geht uns um eine erhöhte Stabilität der Finanzmärkte, um die weitere Begrenzung der sogenannten grauen Kapitalmärkte. Zusammengefasst: Es geht einmal mehr um den Schutz der Anleger. Wir gehen mit dem heutigen Beschluss an dieser Stelle einen weiteren wichtigen Schritt voran. Zum einen setzen wir die europäische Richtlinie AIFM in die Tat um. Wir haben darüber hinaus wieder nationale Ermessensspielräume genutzt, und es werden zusätzliche Anforderungen an Fonds - und deren Verwalter - gestellt, die an Kleinanleger vertrieben werden, die sogenannten Publikumsfonds. Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Beschlüsse zur Finanzmarktregulierung werden in diesem Haus über die interessierte Fachwelt hinaus oft wenig spektakulär in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verabschiedet. Die meisten hätten ganz sicher ein Mehr an Aufmerksamkeit verdient, so auch dieser. Eine mangelnde Wahrnehmung hat oft damit zu tun, dass technische Vorgänge und Begriffe im Vordergrund stehen, aber auch damit, dass man mit einer pauschalen Bankenschelte oder der undifferenzierten Aufteilung der Finanzwelt in Gut und Böse oft mehr Aufmerksamkeit erregt. Ganz sicher hat sie auch etwas damit zu tun, dass viele Menschen glauben, es betreffe sie nicht. Dass dies nicht so ist, möchte ich kurz an zwei Beispielen deutlich machen. So wird mit diesem Gesetzentwurf unter anderem auf Erfahrungen mit den offenen Immobilienfonds reagiert, die auch bei Kleinanlegern ein hohes Interesse erfahren. Hier ist es in der Vergangenheit zu Fondsschließungen und Abwicklungen gekommen. Anleger konnten nicht mehr an ihr Geld gelangen. Das dürfen wir nicht verkennen. Für uns hat oberste Priorität: Diese Fonds bleiben als indirekte Immobilienanlage erhalten. Darüber hinaus konnten wir im Zuge der Beratungen geeignete Maßnahmen finden, um auch hier zu einer erhöhten Stabilität zu kommen und gleichzeitig die Anlageform flexibel und attraktiv zu halten. Ein weiteres Beispiel, über welches wir ebenfalls sehr intensiv diskutiert haben, weil es viele Bürgerinnen und Bürger betrifft - dieses Beispiel zeigt, dass nicht alle diese Fonds immer böse sind und alles ganz schrecklich ist -, sind die zahlreichen kleinen und großen Bürgerenergieprojekte in den Regionen unseres Landes. Meine sehr geehrten Damen und Herren, sie leisten unbestritten einen wichtigen Beitrag zur Energiewende in der Fläche. Keiner wird infrage stellen, dass diese Projekte fachlich geeignete und zuverlässige Geschäftsleiter haben sollten. Darüber hinaus war es uns wichtig, Regelungen zu finden, die ein Zukunftsobjekt nicht behindern und dennoch ein verständliches Maß an Anlegerschutz bieten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesetzeswerk ist derart umfassend, dass es uns mehr als bei manch einem anderen Gesetz wichtig ist, die weitere Entwicklung genau zu beobachten. In Teilen betreten wir hier echtes Neuland. Es ist auch ein enorm hohes finanzielles Volumen, welches wir indirekt angepackt haben. Ich betone es noch einmal: Dieses Gesetzeswerk ist nicht der Abschluss, aber es reiht sich ein in eine ganze Reihe von Gesetzesmaßnahmen dieser Koalition zur Regulierung der Finanzmärkte - oft sind wir dabei Vorreiter in Europa, aber es wäre natürlich wünschenswert, dass möglichst alle von Anfang an dabei sind -; es dient damit gleichzeitig dazu, für den Schutz der Anleger erneut einen hohen Standard zu schaffen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Carsten Sieling.

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Lips, in solchen Debatten sind alle Argumente möglich und in Ordnung, aber wir müssen hart bei der Wahrheit bleiben. ({0}) Ich will Ihnen erstens sagen, dass Deutschland bei den Hedgefonds mit - wenn ich das jetzt richtig weiß 18 Hedgefonds ein Zwerg ist, wohingegen diese Fonds in anderen Ländern massenhaft vertreten sind. Das liegt daran, dass wir, als wir gemeinsam mit den Grünen an der Regierung waren, dafür gesorgt haben, dass es eine strikte Hedgefonds-Regulierung in Deutschland gibt. Sie wollten erheblich mehr. ({1}) Ein Zweites, wenn ich das noch sagen darf. Es ist wirklich unglaublich, uns vorzuwerfen, wir hätten uns in die Beratungen der letzten Monate und Jahre nicht eingebracht. Wir waren es, die eine Reihe von Vorschlägen gemacht haben, beginnend 2010 mit der Finanztransaktionsteuer. Zu jedem Gesetzgebungsverfahren haben wir Änderungsanträge in die Beratungen eingebracht. Es war das Papier von Peer Steinbrück zur Finanzmarktregulierung vom September letzten Jahres, das bei Ihnen eine solche Aufregung ausgelöst hat, dass Sie jetzt sogar für Trennbanken in Deutschland sind. Vorher war das für Sie schlimmes Zeug. Es sind unsere Vorschläge, denen Sie hier hinterherlaufen, und das muss man auch sagen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Sieling, ich glaube, Ihr größtes Problem in allen diesen Debatten ist, dass Sie sich in weiten Teilen an Nebenkriegsschauplätzen aufhalten. Sie vergeuden Ihre Zeit. ({0}) Finanzmarktregulierung ist ein hartes Brot. Dazu gehören viel Fleiß und viel Engagement. Wir alle wollen die Finanztransaktionsteuer. Die Bundesregierung ist in Europa vorn. Wir machen sehr gute Fortschritte. Aber tun Sie doch nicht so, als ob das das Allheilmittel in der Finanzmarktregulierung wäre! Das kann immer nur ein Element sein. ({1}) Ob der Anteil der Hedgefonds nun groß oder klein ist - es bleibt doch Fakt, dass Sie dieses Baby in Deutschland mit auf die Welt gebracht haben. ({2}) Das können Sie nicht abstreiten. Fakt ist auch, dass wir das Ganze hier und heute unter Aufsicht und Kontrolle stellen. Herr Sieling, ich glaube, wir haben uns an dieser Stelle verstanden. Machen Sie mit! Arbeiten Sie mit! Das tun Sie hinter den Kulissen ja auch. Sie tun es nur nicht, wenn es darum geht, hier ins Mikrofon hineinzusprechen. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich gewusst hätte, dass der Herr Wissing heute wieder die gleiche Rede hält, dann hätte ich einige Zitate aus der Vergangenheit herausgesucht. Ich will einmal einen Satz sagen: Die Freiheit des Marktes geht über alles. - Von welcher Fraktion würden Sie den hier erwarten? Wann immer jemand etwas in Richtung Deregulierung tun wollte, war die FDP mit dabei. Wenn es etwas zu regulieren gab, waren wir mit dabei und Sie haben gesagt, wir sollten nicht jeden Unternehmer unter Generalverdacht stellen, wir sollen nicht den Markt gängeln, die Freiheit des Marktes gehe über alles. - Wann immer wir über Schlupflöcher geredet haben: Waren Sie eigentlich mit dabei? Die Antwort ist Nein. Wann immer es um Steuergestaltung ging, haben Sie gesagt: Das ist Misstrauen gegenüber Unternehmern. Wer macht denn das schon, Steuerhinterziehung, Steuergestaltung? Außerdem: Wer würde denn CDs kaufen? ({0}) Eigentlich sind die Leute doch ganz ehrlich und werden es sicherlich noch anzeigen. - Sie - ich glaube sogar, Sie persönlich, Herr Wissing - haben Irland als leuchtendes Vorbild hinsichtlich des Finanzmarktes und der Steuersätze hingestellt. Wer sich daran erinnert, weiß, wie unehrlich Ihr Vortrag heute war. Wer hier vor fünf oder zehn Jahren das Wort Bankgeheimnis in den Mund genommen hat, musste aufpassen, dass er nicht von den Zwischenrufen von rechts erdrückt wurde, die das Bankgeheimnis beinahe zum Heiligtum erhoben haben. Jetzt sind wir froh, dass es aufgehoben wird und wir mit der Regulierung endlich schärfer vorLothar Binding ({1}) angehen können. Insofern haben Sie recht: Sie sind fleißig gewesen und haben viel gemacht. Man muss aber auch nach der Qualität fragen. Denn die Materie - haben Sie gesagt - ist wirklich komplex. Es sind mehr als 1 000 Seiten. Das stimmt auch. In diesem Kontext könnten Sie der Opposition auch mal dankbar sein, angesichts dessen, was wir hier mitgemacht haben in den letzten Wochen. Noch in der letzten Nacht - oder war es heute Morgen? - war eine Korrektur in den Unterlagen zu bestätigen und zu unterschreiben. Ich glaube, das, was Sie uns in den letzten Wochen Ihrer Regierungszeit zugemutet haben, ist schon grenzwertig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissing?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, erlaube ich. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich verspreche Ihnen, Herr Kollege Binding, es ist eine einfache und klare Frage, nämlich: Sind Sie der Meinung, dass die SPD, die den Finanzminister in Deutschland elf Jahre gestellt hat, bis sie 2009 aus der Bundesregierung ausgeschieden ist, Deutschland regulierte Finanzmärkte hinterlassen hat?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihnen mit einem Beispiel antworten, das schon erwähnt wurde, um den Wahrnehmungsunterschied zwischen uns deutlich zu machen. Eben wurde kritisiert, dass wir die Hedgefonds zugelassen haben. Es wurde dem Sinne nach gesagt: Das war eine Art Deregulierung. - Die Antwort ist ganz anders: Es gab in Frankreich und England Hedgefonds en masse. Die Gesetzgebung hierzu war in Arbeit. Viele Deutsche, die dort investieren wollten, mussten Französisch oder Englisch sprechen. Wir haben gesagt: Ist es nicht klüger, Hedgefonds in unserem eigenen Markt zu erlauben, um sie zu regulieren? Sie sprechen mich jetzt auf eine Prüfung an. ({0}) - Darauf komme ich gleich zurück. - Wie hat diese Regulierung eigentlich funktioniert? War sie gut oder schlecht? Es gibt heute etwa 8 400 Hedgefonds in der Welt. ({1}) - Ich gebe eine einfache Antwort, damit man merkt, wie sich unsere Wahrnehmung verschiebt. Von diesen 8 400 Hedgefonds gibt es nur 15 oder 18 in Deutschland. Damals haben die Märkte, für deren Freiheit Sie kämpfen, gesagt: 80 Milliarden Euro gehen an Deutschland vorbei. - Ich möchte einmal wissen, was Sie gesagt hätten, wenn wir Hedgefonds nicht zugelassen hätten. Sie hätten gesagt: Sie sind schuld, dass 80 Milliarden Euro am deutschen Markt vorbeigehen. Deswegen haben wir dieses Instrument erlaubt. Jetzt kann man sagen: Der Hedgefonds war gefährlich. Wie war die Regulierung? Die Antwort ist: Von den 80 Milliarden Euro sind heute weniger als 2 Milliarden Euro in Hedgefonds. So funktioniert gute Regulierung. Sie ist messbar. Nach zehn Jahren kann man sagen: Das war erfolgreich. Das Gesetz kann sich sehen lassen. ({2}) Deshalb ist die Antwort auf Ihre Frage ähnlich. Wenn Sie mit meiner Wahrnehmung für sich die Antwort geben, dann ist das eine supergute Antwort für Peer Steinbrück. Wenn Sie aber mit Ihrer falschen Wahrnehmung die Antwort suchen, werden Sie sie nicht finden. Das macht mir die Antwort natürlich einfach. ({3}) An dem jetzigen Gesetz ist die Abkopplung des Steuer- vom Aufsichtsrecht gut. Es gibt eine eigenständige Definition, bezogen auf die Investmentbesteuerung. Die Neustrukturierung des Investmentsteuerrechts ist ebenfalls gut - ich kritisiere nur die Dinge, die uns nicht gefallen -: Es schafft insbesondere die Differenzierung bezogen auf die Investmentfonds, die bestimmten Anforderungsprofilen genügen müssen. Im Gesetz findet sich dazu ein Katalog; das ist sehr gut. Ferner werden die Investitionsgesellschaften wie Kapitalgesellschaften behandelt. Man kann sagen: Das ist wieder ein schönes Gesetz. Hierzu möchte ich gern den Eimervergleich anführen: Es ist wieder ein Eimer. Sie haben richtig viele Eimer produziert. Ein Eimer kann schön sein, weil er eine schöne Form hat, weil er schön gebördelt ist, weil der Henkel schön ist. Und doch: Wenn der Eimer Löcher hat, dann werde ich diesen Eimer nicht kaufen. Ich würde der SPD-Fraktion, den Grünen, auch den Linken empfehlen, dies ebenfalls nicht zu tun. Warum Sie Eimer kaufen, die Löcher haben, möchte man doch gern wissen. ({4}) Sie sagen: Der Eimer ist ganz schön. - So wie Sie ihn hinstellen, ist er auch ganz schön. Denn man sieht die Löcher nicht. Manche Löcher sind klein, die großen sind unten. Erst wenn man den Eimer hochhebt, merkt man, was passiert ist. ({5}) Deshalb ist klar: Mit dieser Komplexität können Sie erreichen, dass niemand versteht, was wirklich passiert. Wo sind eigentlich die Schlupflöcher? Ich vermute, von den Zuhörern, die heute hier sind, betreiben die wenigsten einen Investmentfonds. Die wenigsten haben irgendwelche Thesaurierungen in Luxemburg. Falls dies doch auf Sie zutrifft, dann müssen Sie sich überlegen, ob das, was die SPD will, nicht besser für Sie ist. Denn wir Lothar Binding ({6}) wollen nicht diejenigen schützen, die solche Thesaurierungsgestaltungen im Ausland haben. Wenn Sie diese nicht haben, können Sie sich beruhigt zurücklehnen. Dann sind Sie bei uns auf der sicheren Seite. ({7}) Was wir ebenfalls gut finden, ist, dass die Koalition einer Bundesratsforderung, und zwar in Bezug auf die OGAW, gefolgt ist. Ich soll das immer schön übersetzen, hat der Herr Präsident vorhin gesagt. Es handelt sich bei den OGAW um die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren; das ist die deutsche Übersetzung. Es ist aber trotzdem schlecht zu verstehen. Das sind Investmentfonds, die bestimmten europäischen Richtlinien folgen. Es sind also gut geregelte Investmentfonds nach europäischem Recht. Man unterwirft diese OGAW, also eine große Gruppe von Fonds, nun einem ganz bestimmten, auch auf Deutschland angepassten Anforderungskatalog. Auf diese Weise können sie dann so besteuert werden, wie wir das gerne möchten. Ich denke, das haben Sie ganz gut geregelt, indem Sie die OGAW in den Anforderungskatalog aufgenommen haben. Was uns auch gut gefällt: Sie haben eine Anregung aus der Anhörung mit aufgenommen, nämlich die Befristung des Bestandsschutzes für AIFs, also für alternative Investmentfonds, die die Anforderungen des Katalogs nicht mehr erfüllen. Das ist eine gute Sache. Denn einem Fonds auf alle Ewigkeit etwas zu gewähren, der Bedingungen nicht erfüllt, die alle anderen erfüllen müssen, wäre natürlich sehr schlecht gewesen. Wir sehen noch ein Problem in der Einführung einer Investmentkommanditgesellschaft und überlegen entlang der Einwände des Bundesrates, ob hier nicht in Bezug auf die Gestaltung große Gefahren existieren. Man muss sich in Anbetracht der zahlreichen bereits existierenden Rechtsformen, die unser System so komplex und kompliziert machen, überlegen, ob es im Rahmen der speziellen Fragestellung, die wir hier zu lösen haben, klug ist, eine neue Rechtsform einzuführen. Wenn das unser Verfahren wird, dann haben wir demnächst x-beliebig viele Rechtsformen. Das wird sicherlich sehr kompliziert. Was am Schlechten gut ist, ist, dass Sie dieses Instrument auf Pension Pooling reduzieren. Das ist eine gute Sache. Es bleibt natürlich fraglich, ob diese neue Rechtsform nötig ist. Mit dieser offenen Frage will ich zum Ende kommen. Auf die ausländischen Kapitalinvestitionsgesellschaften, in die man Gewinne thesauriert und damit auf sehr lange Zeit steuerfrei stellt, inklusive der Zinseszinseffekte, ist schon eingegangen worden. Die vielen anderen Löcher kann ich jetzt mit Blick auf die Uhr, die mir „minus 16 Sekunden“ anzeigt, nicht mehr vortragen. Aber wir hätten in dieser Richtung noch viel zu sagen. Ich fasse zusammen: Sie folgen mit diesem Gesetzentwurf einer marktkonformen Demokratie. Und die wollen wir nicht. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Ralph Brinkhaus für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Frühling 2010 haben wir hier das erste Finanzmarktregulierungsgesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Das hatte etwas mit aufsichtsrechtlichen Vergütungsstrukturen zu tun. Mit dem Zustimmungsgesetz zur Bankenunion werden wir aller Voraussicht nach im Juni dieses Jahres das letzte Gesetz für diese Legislaturperiode in diesem Bereich verabschieden. Dazwischen liegen mehr als 30 Gesetze und 10 Initiativanträge. Dabei waren kleine Sachen wie das Sitzabkommen für die Europäische Versicherungsaufsicht, die EIOPA in Frankfurt. Dabei waren kleine, aber wichtige Sachen wie das KfW-Gesetz, in dessen Rahmen wir die KfW unter Aufsicht gestellt haben. Dabei waren ganz große Dinge, zum Beispiel die Gesetzentwürfe - AIFM und CRD IV -, über die wir heute sprechen. Dabei waren Sachen wie die OGAW-IV-Richtlinie und die sehr wichtige Regulierung der Derivate unter dem Titel EMIR, die wir umgesetzt haben, weil sie uns von europäischer Seite vorgegeben wurden. Dabei waren auch eine Menge ziemlich innovativer Dinge; in diesem Bereich ist Deutschland nämlich vorangegangen. Dazu gehören das Restrukturierungsgesetz - das wurde eben schon angesprochen -, das Verbot der Leerverkäufe, die Regulierung des Hochfrequenzhandels und auch die erstmalige Regulierung der Honorarberatung. Da haben wir etwas ganz Neues geschaffen. Wenn man sich die Bilanz insgesamt anschaut, dann erkennt man, dass es eine durchaus erstaunliche Bilanz ist. Sie zeigt, dass diese Bundesregierung von dem starken Willen beseelt war, die Finanzmärkte zu regulieren und den finanziellen Verbraucherschutz zu verbessern. Ohne dass wir damit fertig sind, kann man, glaube ich, sagen: Das ist uns durchaus gelungen. ({0}) Aber man muss auch sagen - es ist hier an der einen oder anderen Stelle angeklungen -: Das war hin und wieder mit der einen oder anderen Zumutung verbunden. Erst einmal war es - das muss man ganz klar sagen eine Zumutung für die Kreditinstitute in diesem Land. Da hat jemand gesagt: Ein Regulierungs-Tsunami ist über uns hereingebrochen. - Das ist nicht ganz falsch. Die Institute müssen unglaublich viele Verfahren ändern und Bürokratie aufbauen. Auf der anderen Seite ist es auch für diejenigen eine Zumutung, die fragen: Ist denn alles, was da reguliert werden soll, richtig aufeinander abgestimmt? Ist das alles konsistent? Es ist auch eine Zumutung für die Verbraucher, die sich an viele neue Produktinformationsblätter und Regeln gewöhnen müssen. Es ist eine Zumutung für die Unternehmen, die den Preis dafür zahlen müssen, weil Finanzdienstleistungen teurer werden. Es ist nicht zuletzt für uns hier im parlamentarischen Verfahren eine Zumutung. Man muss sich einmal überlegen, wie viele Daten, Paragrafen und Gesetze wir im Finanzausschuss in den letzten vier Jahren bewegt haben. Das ist eine enorme Leistung, die wir hier vollbracht haben. Jetzt könnte man fragen: Musste das denn alles so sein? Musste das alles in dieser Geschwindigkeit geschehen? Ist da wirklich „no alternative to it“, wie es so schön im europäischen Kontext heißt? - Natürlich wäre die Alternative gewesen, sich mehr Zeit zu lassen, Auswirkungsstudien in Auftrag zu geben und es noch genauer zu prüfen. Aber man muss eines sagen: Wir holen hier Versäumnisse auch vergangener Regierungen nach, die nicht reguliert haben oder in die falsche Richtung reguliert haben. ({1}) Das, meine Damen und Herren, ist jetzt gar nicht mal so sehr der große Vorwurf. Denn die Regulierungspolitik auch unter der rot-grünen Koalition war vom Zeitgeist geprägt, der besagte: Wir müssen deregulieren. Ich möchte das Stichwort Zeitgeist einfach hier in die Runde werfen. Denn wir haben momentan einen Zeitgeist, der besagt, dass alles reguliert werden muss. Vielleicht ist es so, dass in zehn Jahren jemand fragt: Mensch, was haben die denn da alles reguliert? Warum haben die nicht ein bisschen mehr darüber nachgedacht? Insofern wird es in der nächsten Legislaturperiode unsere große Aufgabe sein, dass wir das, was wir wahnsinnig schnell aufgebaut haben, fine-tunen - wie es so schön heißt -, dass wir für Konsistenz sorgen und bei diesen Prozessen Bürokratie abbauen. Ich glaube, das sind wir auch den Menschen schuldig, die in diesem Land in den Finanzinstituten arbeiten. Das sind wir insbesondere den mittelständischen Strukturen, den Volksbanken, Sparkassen und kleinen Privatbanken, schuldig, weil sie von der Bürokratie im Zusammenhang mit der Regulierung am meisten betroffen sind. Wenn ich all das, was wir gemacht haben, zusammenfasse und es an den Kritikversuchen der Opposition messe, die wir gerade gehört haben, komme ich zu dem Schluss: Es ist wohl so schlecht nicht gewesen. Lieber Axel Troost, du hast immer gesagt: Eigentlich nicht schlecht, aber man hätte noch ein bisschen mehr machen können. ({2}) Das heißt doch, wir haben die Probleme identifiziert. Es ist das Privileg der Opposition, zu sagen: Wir hätten all das noch ein bisschen schärfer gestaltet. - Morgen, bei der Debatte zum Trennbankengesetz, werdet ihr uns erzählen: Unser Trennbankengesetz wäre noch viel trennbankiger als das gewesen, was ihr entwickelt habt. ({3}) Ihr werdet auch sagen: Unser Hochfrequenzhandelsgesetz hätte den Hochfrequenzhandel noch viel stärker reguliert als das, was ihr entwickelt habt. - Aber Sie müssen doch eines anerkennen: Wir haben die Probleme im Prinzip richtig identifiziert und die richtigen Maßnahmen eingeleitet; das Herumkritisieren bezieht sich auf Details. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es wäre auch schlecht, wenn die Opposition das nicht machen würde; denn das ist ihre Aufgabe. Insofern vielleicht ein Applaus dafür, dass die Opposition ihrer Aufgabe nachgekommen ist. ({4}) Ich komme jetzt zu den drei Gesetzen, die heute verabschiedet werden. Das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz, mit dem sich Antje Tillmann dankenswerterweise beschäftigt hat, ist schon hochesoterisch und hochspeziell. Da muss man einfach sagen: Klasse, dass wir das so schnell hinbekommen haben. Vielleicht ein Satz zum AIFM-Umsetzungsgesetz. Da ist behauptet worden: Ein riesiger Bereich dort wird nicht reguliert; da liegt eine Schwelle bei 100 Millionen Euro, und die dürfen sich auch noch bis zu 60 Prozent verschulden. - Soll ich Ihnen einmal sagen, wo es die meisten Projekte mit einem Volumen unter 100 Millionen Euro und einer Verschuldung von über 60 Prozent gibt? Im Bereich der erneuerbaren Energien. Es sind die Windparks an der schleswig-holsteinischen Westküste, die mit einem Leverage von 90 Prozent finanziert werden. Lieber Lothar Binding, da könnte man sich einmal fragen, ob das nicht die Hedgefonds der Neuzeit sind. Denn kein Hedgefonds würde mit einem solchen Hebel arbeiten. Insofern muss man immer aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet. Wir wollten auch diese Projekte schützen. Wir haben die Bürgerenergieprojekte im Bereich der Genossenschaften geschützt, weil uns die Energiewende in diesem Land sehr wichtig ist. ({5}) Zu dem CRD IV-Umsetzungsgesetz. Kollege Sieling hat gesagt: Ja, ihr habt ja erst ganz spät angefangen, zu arbeiten, und jetzt müsst ihr alles so schnell fertigmachen. Sorry, lieber Kollege Sieling, wir haben lange auf unsere europäischen Kollegen gewartet. ({6}) Wir wären schon im Jahr 2010 handlungsfähig gewesen. Dieser Bundestag hat im Jahr 2010 einen Entschließungsantrag auf den Weg gebracht, in den wir unsere Erwartungen an den CRD IV-Prozess hineingeschrieben haben. Im Übrigen sind von den elf geforderten Punkten im Zuge des Brüsseler Prozesses zehn Punkte von dieser Bundesregierung mehr oder weniger hineinverhandelt worden. ({7}) Darüber hinaus haben wir es noch geschafft, die Mittelstandskomponente zu stärken. Man kann insgesamt feststellen: eine hervorragende Bilanz. Eben sind die Kollegen im Europäischen Parlament gelobt worden - dem schließe ich mich teilweise an -, aber ehrlich gesagt: Wir wären viel schneller fertig gewesen, wenn sie diesen Prozess nicht immer wieder mit neuen Forderungen belastet hätten. Dann hätten wir das Gesetzesvorhaben schon längst abgeschlossen. Das ist nicht geschehen, aber das liegt nicht in unserer Verantwortung. Wir haben ein nahezu wahnwitziges Verfahren durchgezogen: Mitte April haben wir die Daten von der Europäischen Union erhalten. Das Bundesfinanzministerium hat in zwei Wochen die entsprechenden Umdrucke, die Gesetzesänderungen, produziert. Eine Woche später wurde die Anhörung dazu durchgeführt, und wieder eine Woche später werden wir nun das ganze Gesetzgebungsvorhaben abschließen. Das ist für ein reguläres Gesetzgebungsvorhaben in der Geschichte des Deutschen Bundestages einmalig. Ich möchte mich ausdrücklich bei all denjenigen bedanken, die das konstruktiv begleitet haben, die es möglich gemacht haben, dass das überhaupt geschieht. Das war kein Selbstzweck, und es ist auch kein Spaß gewesen. Unsere Finanzindustrie muss die Basel-III-Regeln, die CRD IV-Regeln bis zum 1. Januar 2014 in den Systemen verankern und umsetzen. Wenn wir uns, wie von einigen gefordert, mehr Zeit genommen hätten, dann hätte der 18. Deutsche Bundestag dieses Gesetz im November wahrscheinlich in einem ähnlichen Hauruck-Verfahren beschlossen, und unsere Banken hätten dann vier Wochen oder auch nur zwei Wochen Zeit gehabt, das Ganze umzusetzen. ({8}) Deswegen bitte ich um Nachsicht, wenn es an der einen oder anderen Stelle geruckelt hat. Wir mussten so vorgehen, und es war richtig, dass wir das gemacht haben. Das zeigt, dass diese Regierungskoalition und diese Bundesregierung sehr verantwortungsvoll mit Finanzmarktregulierung umgehen. ({9}) Die Redner der FDP schließen heute immer mit dem Satz: Es waren vier gute Jahre. ({10}) Die Jahre waren auch gut für Deutschland. Die Jahre waren nicht gut für jede Oppositionspartei, aber die Jahre waren sehr gut für den Bereich der Finanzmarktregulierung. Das kann man wohl sagen. Wir haben unglaublich viel bewegt. An einigen Stellen hat die Opposition durchaus sehr konstruktiv mitgearbeitet, an anderen Stellen nicht. Insgesamt können wir alle, die wir hier sitzen, sehr stolz auf das sein, was wir geschafft haben. Die Aufgabe ist nicht beendet. Wir werden weitermachen. Wir haben in den nächsten vier Jahre noch viel vor. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen ({0}). - Wahrlich ein langer Titel eines Gesetz. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Empfehlung - das sind die Drucksachen 17/13524 und 17/13541 -, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10974 und 17/11474 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13542 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsparteien und der SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13524, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13543. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden KoalitionsfraktioVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse nen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13544. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 5 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds, AIFM-Umsetzungsgesetz. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13395, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12294 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13518. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13519. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 5 c. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung - das sind die Drucksachen 17/13522 und 17/13562 -, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/12603 und 17/13036 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 6 aufrufe, teile ich mit, dass die Tagesordnungspunkte 8 und 9, die dann folgen werden, getauscht werden, sodass die namentliche Abstimmung zum Atalanta-Einsatz gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan etwa 30 Minuten früher stattfinden wird. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten - Drucksachen 17/11880, 17/13451 Berichterstattung: Abgeordnete Carola Stauche Hans-Michael Goldmann Nicole Maisch Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Carola Stauche für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Carola Stauche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004162, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meiner Rede eine Definition voranstellen, die ich beim Durchblättern eines Politiklexikons gelesen habe und die, wie ich finde, sehr gut zu diesem Antrag passt: Populismus bezeichnet eine Politik, die sich volksnah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Ängste der Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und vermeintlich einfache und klare Lösungen für politische Probleme anbietet. Ich denke, eine bessere Beschreibung für diesen Antrag kann man nicht finden. Es klingt gerade im Wahlkampf natürlich besonders gut, kostenlose Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten zu fordern. ({0}) Wir haben über dieses Thema bereits im Januar ausführlich diskutiert. Ich habe Ihnen, der Opposition, be30214 reits damals gesagt, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung der Kinder auch für uns als christlich-liberale Koalition sehr wichtig ist. Dies gilt ebenfalls für die Bundesregierung. Viele der im Antrag gestellten Forderungen wurden bereits umgesetzt. Bundesministerin Aigner und dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gilt hierfür mein Dank. ({1}) Ich verweise gerne noch einmal auf die Internetseite des Ministeriums, ({2}) auf der man, wenn man es will, viel Wissenswertes und Interessantes zu dem im Antrag diskutierten Thema findet. Die Bedeutung von Schulgärten und eines gesunden Frühstücks werden dargestellt. In einem Absatz erfährt man, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Orientierung verstanden werden sollen. Dies wird übrigens im Antrag gefordert. Ideen für Ernährungswettbewerbe, ein Kinderkochbuch, ein Ernährungsleitfaden und vieles mehr sind ebenfalls auf der Seite des BMELV zu finden. Auch auf die „IN FORM“Projekte, welche sich an Kinder und Jugendliche richten, wird dort hingewiesen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass komplett kostenlose Verpflegungen in Schulen und Kindertagesstätten nicht hilfreich sind, ({3}) um Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für den Wert von Nahrung zu vermitteln. ({4}) - Ja, das stimmt. ({5}) Wertschätzung bildet man nicht nur durch eigenes Zubereiten der Nahrung. Um etwas wertschätzen zu können, muss man auch den monetären Wert erkennen. Sicherlich bildet sich Wertschätzung nicht nur dadurch, aber man darf diesen Aspekt nicht vernachlässigen. Ich denke, besonders gefragt sind die Familien; denn hier findet zuallererst Ernährungsbildung statt. ({6}) Die Familien sind zum Beispiel beim Frühstück gefragt; dies haben Sie in Ihrer letzten Rede gefordert. Die Familien sollen sich morgens für ein gemeinsames Frühstück zusammensetzen. Ich weiß, dass das nicht in jedem Fall möglich ist, aber man kann den Kindern zumindest einen schön gedeckten Frühstückstisch bieten, sodass sie sich an den Tisch setzen und frühstücken. Die Eltern müssen darauf achten, dass dies auch getan wird. Wenn das nicht möglich ist, kann man auch zusammen Abendbrot essen. Das fördert Ernährungsbildung zuallererst. Sie kritisieren in Ihrem Antrag das Bildungs- und Teilhabepaket als zu bürokratisch. Ich habe mich in meinem Wahlkreis kundig gemacht. Es ist nicht so, wie Sie es beschreiben; Beispiele zeigen dies deutlich. Das Essensgeld wird direkt an die Schulen überwiesen, und dort werden den betroffenen Kindern die Essensmarken genauso gegeben wie den Kindern, deren Eltern das Geld selbst überweisen. Es besteht kein Unterschied. Aber man kann nicht mehr tun, als den Kindern das Essen hinzustellen und ihnen Besteck zu geben. Essen müssen die Kinder selbst. ({7}) - Ja, es ist so. Es findet keine Stigmatisierung der bedürftigen Kinder statt. Die Hilfe kommt unbürokratisch und unkompliziert an. Natürlich müssen der Landkreis und der Landrat das im Vorfeld entsprechend organisieren. Ich habe auch schon anderes erlebt - das gebe ich zu -, aber nicht unbedingt bei unserer Klientel. Ängste zu schüren und Bürger und Bürgerinnen zu verunsichern, überlassen wir Ihnen. Wir maßen uns nicht an, zu wissen, was gut und was schlecht für die Kinder oder für die Bürger ist. ({8}) - Doch, eine Präventionsstrategie haben wir. Nur, sie muss vor Ort auch angewandt werden. Gefragt sind hier die Länder, die Schulen und die Eltern im Schulbeirat vor Ort; denn sie sind die Hauptverantwortlichen, wenn es darum geht, was in den Schulen gegessen wird, wer die Auswahl trifft und wie hoch die Kosten sind. Sie entscheiden vor Ort mit. Deshalb steht für uns der selbstbestimmte, eigenverantwortliche Bürger über allem. ({9}) Wir lehnen Ihren Antrag auf Bevormundung ab. Danke. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Petra Crone für die SPD-Fraktion. ({0})

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Frau Stauche, Sie hatten uns sehr neugierig gemacht. Sieben Minuten hatten Sie nun Zeit, uns zu erzählen, was diese Regierung in puncto Schulernährung gemacht hat. Ich habe dazu leider nichts hören können. ({0}) Gestern war der Internationale Tag der Familie. Dieser Gedenktag der Vereinten Nationen ist ein klarer Auftrag an uns, die Politik, auch hier in Deutschland. Meine Fraktion will mehr für Familien tun. Wir wollen, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, gute Lebenschancen erhalten. Heute Morgen haben wir an dieser Stelle über unseren Stufenplan im Hinblick auf das Ganztagsangebot in Kitas und Schulen bis 2020 diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion will 20 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Betreuung investieren. ({1}) Davon profitieren alle Kinder, egal ob arm oder reich. ({2}) Familien sind bunt. Sie haben ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Leben. Die Politik muss sie dabei unterstützen, auch beim Thema Ernährung. Früher trafen sich Alt und Jung meist dreimal am Tag am Familientisch. Dort herrschte zwar nicht durchweg Idylle, aber es kam immer zum Austausch. Heute sind fast alle Familienmitglieder ganztags außer Haus: ({3}) in der Kindertagesstätte, in der Schule bzw. Ganztagsschule oder auf der Arbeit. Vergangenheit ist Vergangenheit. Was allein zählt, ist die Gegenwart. Die Gesellschaft hat sich verändert. Das müssen auch Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Koalition aus CDU/ CSU und FDP, akzeptieren. Wir müssen diese neuen Herausforderungen bewältigen, indem wir geeignete politische Rahmenbedingungen setzen. ({4}) Berufstätige Mütter und Väter werden durch eine vernünftige Schulverpflegung deutlich entlastet, organisatorisch und - wie ich finde, trotz oder gerade wegen des Elternanteils - auch finanziell. Das ist eine schöne Sache für die Eltern und ein weiterer Schritt hin zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch heute treffen sich die meisten Familien zum Abendessen. Neben der Aufnahme von Lebensmitteln und Nährstoffen für den Organismus kommt jetzt auch die Kommunikation zu ihrem Recht. Mahlzeiten sind eine Form davon. Wichtig ist, dass dabei jeder und jede zu Wort kommt, auch die Kleinsten und Kleinen. Ich bin überzeugt, dass dieser „Appetit auf Gemeinschaft“ in uns allen steckt. Wir müssen bei der Schulernährung Strukturen und Qualitäten schaffen, die diesen Appetit wecken und stillen: in der Gemeinschaft, auf gesunde Weise und ohne Diskriminierung. ({5}) Liebe Kollegin Binder, es ist Ihr Verdienst, dass wir heute zum zweiten Mal den Antrag Ihrer Fraktion zur Verbesserung der Schulverpflegung in Deutschland debattieren. Keiner hier im Saal darf sich aus der Verantwortung für die gesunde Ernährung unserer Kinder und Enkel stehlen. ({6}) Gerade haben Union und FDP mit viel Tamtam ein Präventionsgesetz auf den Weg gebracht. Bei genauer Betrachtung stellt man leider fest: Es ist - wie sagte es meine Kollegin Angelika Graf so schön? - ein Hauch von Nichts. ({7}) Damit ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gelingen kann, müssen Gesundheitsförderung und Prävention verstärkt in Kindertagesstätten und Schulen ansetzen. Gute Ganztagsschulen, wie sie die SPD-Bundestagsfraktion will, bieten hervorragende Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Ernährungsbildung. Daraus wachsen positive Präventions- und mittelfristige Gesundheitseffekte. Wir betrachten den Bund als Nutznießer guten Ernährungsverhaltens. Neben der eigenen Person profitieren Krankenkassen, öffentliche Haushalte und Sozialversicherer. Die Bereitstellung einer gemeinsamen, gesunden und diskriminierungsfreien Schulverpflegung ist von essenzieller Bedeutung; dabei sollen die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur Orientierung dienen. Ja, das ist mit höheren Kosten verbunden. Wir sagen nicht: Der Bund ist der Goldesel, der alles zahlt. - Wir sagen: Der Bund wird die Länder wie die Kommunen durch geeignete Maßnahmen in die Lage versetzen, diese Aufgaben auch erfüllen zu können. Was kann der Bund konkret tun? Drei Beispiele: Erstens. Er kann dafür eintreten, dass die Schulspeisung in den EU-Katalog von Bereichen einer möglichen Mehrwertsteuerermäßigung aufgenommen wird. Zweitens. Er kann die Vernetzungsstellen Schulverpflegung weiterhin unterstützen und die Förderung der Forschung zum Ernährungsverhalten von Kindern stärken. Drittens. Er kann, wie von uns vorgeschlagen, mit einem Investitions- und Entschuldungspakt die Kommunen in die Lage versetzen, ({8}) bei der Vergabepraxis die Qualität vor den Preis zu setzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich finde es wirklich schade, dass Sie mit Ihrer „Vollkostenmentalität“ in diesem Punkt über das Ziel hinausge30216 schossen sind. Sie geben dadurch - wir haben es gerade gehört - Union und FDP die Möglichkeit, der Debatte zu entgehen. Dass unsere Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition diese Chance nutzen, versteht sich von selbst. Man werfe nur einen Blick auf die Argumentation der CDU/CSU-Fraktion in der Beschlussempfehlung, über die wir heute debattieren: Es müsse mehr getan werden. - Ja, unbedingt! - Verantwortlich seien aber Länder, Kommunen und Eltern. Die Aussagen zur mangelhaften Schulspeisung würden jeder Grundlage entbehren. - Diesen Punkt finde ich besonders interessant: Hier wird einmal ganz schnell eine Studie der Hochschule Niederrhein als unseriös dargestellt. ({9}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, über welches belastbare Datenmaterial verfügen Sie und Ihr Ministerium eigentlich, wenn Sie die Zuständigkeit mantraartig Ländern und Kommunen zuschieben? Die FDP warnte im Ausschuss sogar davor, die Frage der Verpflegung von Kindern und Jugendlichen auf die Bundesebene zu verlagern. Dazu fällt mir, ehrlich gesagt, gar nichts mehr ein. Die SPD-Bundestagsfraktion entzieht sich ihrer Verantwortung nicht. Wer wie wir einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsschule schaffen möchte, der macht sich auch Gedanken über die Zukunft der Schulernährung. Darum, liebe Kollegen und Kolleginnen, wird die SPDBundestagsfraktion nach dem Regierungswechsel ({10}) die finanziellen Aspekte einer besseren Schulspeisung genauer unter die Lupe nehmen. Bis dahin ist glücklicherweise nicht mehr lange hin. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Crone, ich habe eben erst einmal meinen Kollegen gefragt, bei welchem Tagesordnungspunkt wir eigentlich im Moment sind. Wenn ich das richtig sehe, diskutieren wir über einen Antrag der Linken, dessen Titel lautet: „Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten“. ({0}) Wir diskutieren nicht über die Inhalte, die Sie hier angesprochen haben, Frau Crone; Sie haben nämlich gar keinen Antrag dazu vorgelegt. ({1}) Man muss sich das, was Sie eben gesagt haben, einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sie wollen mit Ihren guten Ideen erst hinter dem Berg hervorkommen, wenn Sie Regierungsverantwortung haben. So habe ich Opposition bis jetzt nicht verstanden. Ich glaube, es ist die Aufgabe der Opposition, in einen aktuellen Diskussionsprozess Anträge einzubringen, die deutlich machen, in welche Richtung man marschieren will. Ich bin ja einverstanden, darüber zu reden, dass der Mehrwertsteuersatz auf Schulverpflegung geändert werden muss. Ich bin einverstanden, wenn Sie sagen, es solle noch mehr für Forschung getan werden, obwohl wir das schon tun. Aber man sollte schon zur Sache sprechen, und die Sache ist von ganz einfachem Charakter: Die Linken sagen, der Bund solle für eine Aufgabe aufkommen, die eindeutig Sache der Länder oder der Schulträger ist, und das sind manchmal nicht nur die Kreise. ({2}) - Sie haben eine so liebliche Stimme. Sprechen Sie doch einmal, indem Sie sich melden! ({3}) Die Zuständigkeit muss bei denjenigen liegen - lassen Sie sich das ganz in Ruhe sagen -, die das am besten können. Ich kann nur davor warnen, zu glauben, man müsse unsere Schulen mit Finanzmitteln von oben überschütten und damit wäre für eine vernünftige Ernährungskunde bzw. Ernährungslehre und eine vernünftige Verpflegung in der Schule gesorgt. Das ist der falsche Weg. Die Schulen müssen in Verbindung mit den Elternvertretungen und den Schulvorständen das richtige Modell für die jeweilige Schule entwickeln, und dabei darf es nicht nur um die Bestellung des Caterers gehen. ({4}) Lassen Sie uns doch gemeinsam bei den Entscheidungen auf Kreis- und Stadtebene dafür plädieren, dass bei der Ausschreibung für ein Angebot, das in der Schule realisiert werden soll, nicht nur die Kosten, sondern auch die Qualität entscheidend sind. Hier sind wir uns sofort einig. Wir müssen aber auch ehrlich sein und sagen: Die Entscheidung für die richtige Weichenstellung muss vor Ort getroffen werden. ({5}) Ich möchte noch einmal betonen: Es geht nicht nur darum, dass etwas hingestellt wird. Es müssen Räumlichkeiten vorhanden sein, in denen Kommunikation gepflegt wird, und es muss auch eine Verbindung zur Region hergestellt sein. Mir ist ein Besuch in einer berufsbildenden Schule hoch im Norden, in Wittmund, unvergessen, wo ein riesiger Kerl mit großer Liebe kleine, gleich große Möhrenstückchen schnitt. Dabei stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Wahrscheinlich hat er es in seinem Alltag, vielleicht sogar in seinem Berufsleben, mit größeren Teilen zu tun. Ich fragte ihn: Warum geben Sie sich eigentlich so viel Mühe, damit alles gleich groß ist? - Er sagte mir: Ansonsten wäre die Kochzeit unterschiedlich, und damit wäre der Energiekostenaufwand höher. Deswegen müssen alle Stücke gleich groß sein. - Da habe ich gesagt: Herzlichen Glückwunsch, lieber Lehrer, du hast kapiert, was beim Thema Schulverpflegung im Grunde genommen auf die Tagesordnung gehört. Es geht nicht darum, nur etwas bereitzustellen, sondern es muss ein Prozess so weit durchdrungen werden, dass er für die Menschen erfahrbar wird und dass daraus ein Ernährungswissen entsteht, das vernünftige Entscheidungen ermöglicht. ({6}) Zum Antrag der Linken - Frau Binder, Sie können mir abnehmen, dass ich ein bisschen Ahnung davon habe; schließlich war ich über Jahrzehnte Ernährungslehrer in berufsbildenden Schulen - kann ich nur sagen: Ihr Antrag geht völlig an der Sache vorbei. Ich will Ihnen auch sagen, warum - Frau Crone und Frau Stauche haben das hier schon angesprochen: Es macht keinen Sinn, für jedermann einen gleichen Betrag zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall macht es vielmehr Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, wo wir Akzente setzen können und wo wir das lassen sollten. Meine Kinder brauchten in der Schule keinen Zuschuss zur Schulverpflegung. Das konnte ich wirklich selbst leisten. Wir sollten dafür sorgen, dass auch in diesem Bereich ein gewisses Maß an Gerechtigkeit realisiert wird. ({7}) Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass Sie, Frau Crone, heute an vielen Stellen so getan haben, als wollten Sie dem Antrag zustimmen. Ganz zum Schluss haben Sie dann noch einen eleganten Schwenk gemacht und von der Regierungsverantwortung gesprochen, die Sie sich erträumen. Ich frage mich: Warum diskutieren Sie das eigentlich nicht mit uns im Ausschuss in der nötigen Qualität? Warum haben Sie Ihre Argumente nicht bei der Beratung im Ausschuss eingebracht? Warum bauen Sie hier ein Luftschloss, von dem Sie genau wissen, dass das der Realität in keinster Weise Rechnung trägt? Die Schulverpflegung ist eine ganz wichtige Sache, keine Frage. Ich bin auch für eine Anschubfinanzierung in diesem Bereich, analog zu dem, was die Bundesregierung bei den Krippen und den Kindertagesstätten gemacht hat. Ich durfte letzten Sonnabend dabei sein, als eine Kindertagesstätte eingeweiht wurde. Dabei wurde endlich einmal erwähnt, dass solche Einrichtungen auch mit Fördermitteln des Bundes und nicht nur mit Mitteln der Kommunen auf den Weg gebracht werden. Wir sind bei den Themen Kita und Ganztagsschule, bei den Bereichen Bildung und Information, auch beim Projekt IN FORM, doch gar nicht auseinander; das verfolgen wir doch gemeinsam. Lassen Sie uns diesen Weg zum Wohl der Kinder gemeinsam weitergehen. Das ist der richtige Weg. Der Antrag der Linken sieht vor, dass 8 Milliarden Euro für die Schulen und 11 Milliarden Euro für die Kitas ausgegeben werden. Das Geld soll sozusagen im Power-on-Verfahren über alle Schulen mit ihren völlig unterschiedlichen Strukturen ausgeschüttet werden. Das ist der falsche Weg. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die Linke. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine Schülerin aus Berlin schreibt im Internetportal „openpetition“ zu einer vor kurzem angestoßenen Petition für eine kostenfreie Schulverpflegung: In unserer Schule gibt es gutes Bioessen, allerdings habe ich nicht das Geld, mir dort … etwas zu kaufen. Teilweise hab ich von 8 bis 17 Uhr Schule, und da halte ich es nicht ohne Essen aus. Eine Mutter aus Niedersachsen, die von BAföG lebt, erklärt: Und dann muss ich monatlich noch 60 Euro fürs Schulessen zahlen … Und das Schlimmste daran ist, dass es … nur winzige Portionen gibt und mein Kind trotzdem hungrig von der Schule kommt. Das, meine Damen und Herren, liebe Kollegin Stauche, ist die traurige Lebenswirklichkeit an Schulen und Kitas in Deutschland. ({0}) Frau Kollegin Stauche und auch Herr Kollege Goldmann, ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie die Kommentare - ich schicke Ihnen den Link zu, Herr Goldmann - und nehmen Sie zur Kenntnis, wie das Leben vieler Kinder und Eltern tatsächlich aussieht. ({1}) Frau Heil, Sie haben im Ausschuss gesagt, Deutschland sei bei der Schulverpflegung gut aufgestellt. Herr Goldmann, Sie meinten, Eltern und Lehrer kümmerten sich nicht genug, wenn die Qualität und die Versorgung nicht stimme, und der Bund sei nicht zuständig. ({2}) Kollegin Crone, auch ich hatte das Gefühl, die SPD müsste eigentlich zustimmen können; aber Sie halten unsere Aufstellung der Kosten für utopisch. Frau Crone, wir haben uns das nicht ausgedacht. Wir haben viele Gespräche mit Köchen, Hauswirtschafterinnen und Ernährungswissenschaftlern, Eltern und Kommunen geführt. Von den Fachleuten wurde ermittelt: Wir kommen mit unter 4 Euro pro Mahlzeit nicht hin, wenn wir eine qualitativ hochwertige Ernährung in der Kita- und Schulverpflegung gewährleisten wollen. ({3}) Kommen wir zu den leidigen Fakten: 90 Prozent der Schulkantinen in Deutschland weisen Qualitätsmängel auf, urteilt die Hochschule Niederrhein. ({4}) Höchstens ein Drittel der Kitas und Schulen mit Verpflegung orientiert sich an den anerkannten Qualitätskriterien, mit denen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung arbeitet. An vielen Schulen sind Mensen nur behelfsmäßig vorhanden, und die Essenspausen sind mit 30 bis 45 Minuten definitiv zu kurz, um ordentlich essen zu können. ({5}) Wenn es überhaupt warme Mahlzeiten gibt, sind die Speisen einseitig, oft zu süß und zu fett. Oft werden diese Speisen bis zu sechs Stunden warmgehalten. Dann haben sie erstens jeden Geschmack verloren, zweitens sind die Nährstoffe und Vitamine weg, ({6}) und drittens bieten sie den idealen Nährboden für Krankheitskeime. - Mahlzeit! ({7}) Ich frage Sie: Was sind Ihnen die Kinder und unsere Zukunft wert? ({8}) Essen, eine gute Kita- und Schulverpflegung, gehört zu einer guten Bildung dazu. ({9}) Es geht um das Selbstverständnis, dass Ernährung und Bildung zusammengehören. In vielen Ländern ist dies eine Selbstverständlichkeit. Wer kluge Köpfe haben will, muss auch für die notwendige Grundlage sorgen. Bauch und Kopf arbeiten da Hand in Hand. Deshalb fordert die Linke eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung für jedes Kind in Schule und Kindergarten. ({10}) Liebe Kollegin Maisch von den Grünen, wir stehen vor dem Problem, Chancengleichheit für die Kinder in der Bildung herzustellen. Das funktioniert nur, wenn die Verpflegung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ist und jedem Kind unentgeltlich zur Verfügung steht. ({11}) Nun zum Stichwort „Geld“. Die Fachleute - ich habe sie vorhin aufgezählt - sind sich einig: Unter 4 Euro pro Kind am Tag ist eine hochwertige Verpflegung nicht zu machen. Es geht doch nicht nur um die Kosten für die Lebensmittel und die Zutaten. Es geht doch auch um eine ordentliche Bezahlung von Fachpersonal, um Kosten für den Unterhalt der Mensa, um Geschirr und die Reinigung. Es geht, nicht zu vergessen, auch um 19 Prozent Mehrwertsteuer, wenn das Ganze nicht über eine gemeinnützige Einrichtung oder einen Verein organisiert werden kann. Wenn wir allen Kindern eine gute Mahlzeit zur Verfügung stellen wollen, kostet das den Bund circa 8,3 Milliarden Euro im Jahr. Dieses Geld muss aufgebracht werden, und es wäre aufzubringen. Wir bräuchten lediglich das Dienstwagenprivileg und die Ausnahmeregelungen der Industrie im Energiebereich abzuschaffen. Dann wäre das Geld für die Schulverpflegung für alle Kinder beisammen. ({12}) Die Linke fordert erstens hochwertige und unentgeltliche Kita- und Schulverpflegung, und zwar vom Bund finanziert. Der Bund ist hier in der Pflicht, für die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse zu sorgen. ({13}) Wir fordern zweitens, Qualitätsstandards, wie sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung vorschlägt, gesetzlich zu verankern. Wir fordern drittens, ein Investitionsprogramm zum Aus- und Neubau von Küchen und Mensen in Kitas und Schulen aufzulegen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin gleich so weit, Herr Präsident. - Wir fordern viertens, die Vernetzungsstellen Schulverpflegung durch den Bund dauerhaft zu finanzieren. Es ist ein Skandal, dass Frau Ministerin Aigner die Förderung dieser Fachstellen auslaufen lassen will. Fünftens fordern wir, die praktische Ernährungsbildung und Lernküchen zum festen Bestandteil des Erziehungs- und Lernalltags zu machen. Das ist eine ganz wichtige Sache, die man aber mit den Ländern und Kommunen regeln muss.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jawohl. - Ich schließe meinen Beitrag mit der Forderung einer Schülerin bei „openpetition“: Jedes Kind muss gleiche Chancen haben. Das betrifft den Lernstoff, aber auch ein gesundes regelmäßiges Essen. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kolleginnen und der Kollege von Union und FDP haben heute zum wiederholten Mal ihre Lieblingsausrede für politisches Wenig- oder Nichtstun zur Aufführung gebracht: Sie fühlen sich einfach nicht zuständig für die Schulernährung. ({0}) Handeln sollen immer die anderen: die Kommunen, die Bundesländer, Frau Crone, ({1}) die EU, im Fall von Frau Stauche auch die Eltern am heimischen Herd. So ist es natürlich auch beim Thema „Mittagessen an Schulen“. Dabei wissen die PR-Profis auf der Ministerinnenbank doch durchaus, dass man mit dem Thema „gesunde Ernährung für Kinder“ bei den Bürgern und Bürgerinnen punkten kann. Die Ernährungsministerin weiht mit Herrn Mälzer zehn Schulküchen pro Jahr ein. Die Sozialministerin verkauft ihr Bildungs- und Teilhabepaket als wirksames Mittel, das jedem Kind ein warmes Mittagessen auf den Tisch bringt. ({2}) Die Öffentlichkeitsarbeit war wie immer grandios. Chapeau, die Damen! Aber wo sind die konkreten Schritte zur Einführung einer gesunden und bezahlbaren Verpflegung für alle Schul- und Kindergartenkinder in unserem Land? ({3}) Die Notwendigkeit ist unbestritten; Frau Binder hat Ihnen das, denke ich, überzeugend dargelegt. Auch die Handlungsmöglichkeiten des Bundes sind vorhanden. Was Ihnen fehlt, sind Kreativität und politischer Gestaltungswille. Sie kennen die erschreckenden Zahlen zu Übergewicht und Fehlernährung bei Kindern. Sie wissen, dass Ganztagsschule ohne vernünftiges Essen nicht funktionieren kann. Sie wissen auch, dass von Übergewicht und Fehlernährung besonders Kinder aus armen Familien betroffen sind. Hier bildet sich die soziale Spaltung an den Körpern der Kinder ab. Ich denke, das sollte für Sie Motivation für politisches Handeln sein. ({4}) Frau Stauche, Sie haben uns die Erfolge der Koalition ausführlich dargelegt. Ich finde es schön, dass es ein Kinderkochbuch gibt. Ich finde es schön, dass es eine entsprechende Homepage gibt. Aber wir wollen, dass Kinder in der Schule etwas Vernünftiges zu essen haben. ({5}) Ich denke, das ist das politische Ziel. ({6}) Aber was macht die Bundesregierung? Sie streicht den Schulvernetzungsstellen das Geld zusammen. Der Bedarf an Schulverpflegung steigt. Sie streichen die Finanzierung zusammen. Das passt inhaltlich nicht zusammen. ({7}) Frau Stauche, was das Bildungs- und Teilhabepaket angeht, empfiehlt es sich bisweilen, die Empirie der eigenen Argumentation über den eigenen Wahlkreis hinaus auszuweiten. ({8}) Dann hätten Sie erfahren, dass lediglich 27 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder den Anspruch auf ein Mittagessen wahrnehmen. Das liegt daran, dass über 50 Prozent der Anspruchsberechtigten von dem Programm noch gar nichts wissen oder die Beantragung der Leistungen aufgrund von bürokratischen Hindernissen nicht bewältigen können. ({9}) 30 Prozent der Kinder, die Anspruch auf ein warmes Essen in der Schule haben, besuchen Schulen, in denen es ein solches Angebot nicht gibt. Ich denke, auch das muss Anstoß zu politischem Handeln sein, das über das Kinderkochbuch und die nette Homepage hinausgeht. ({10}) Wir Grünen sagen: Alle politischen Ebenen sind im Zusammenspiel gefordert. Wenn Sie auch der Meinung sind, dass kein kleiner Bauch in der Schule oder Kita leer bleiben soll, dann müssten Sie doch die Kommunen und die Länder beim Ausbau von Schulküchen und Mensen unterstützen. Es war vielleicht nicht der schlaueste Schritt, den Sie - das muss man zugeben - gemeinsam mit der SPD unternommen haben, nämlich ein Kooperationsverbot im Bildungsbereich einzuführen. Das erschwert die Neuauflage eines Ganztagsschulprogramms; aber es wird auch wieder andere Mehrheiten geben, die das hoffentlich beenden. ({11}) Lassen Sie uns die Instrumente, die wir schon auf Bundesebene haben, wie die Absatzförderung, die Förderinstrumente in der GAK und die Förderinstrumente für den ökologischen Landbau nutzen, um regionale Strukturen der Schulverpflegung auszubauen. ({12}) Dazu braucht man nicht einmal eine Föderalismusreform. Dazu braucht man einfach nur den Willen und Kreativität. ({13}) Die Instrumente liegen auf dem Tisch. Ich finde, Sie sollten sie nicht länger dort liegenlassen, sondern entweder aktiv werden oder es andere besser machen lassen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nächste Rednerin ist Kollegin Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das waren schon einige Zumutungen, die wir hier erleben mussten. ({0}) Ich konstatiere: Ihr Weltbild ist teilweise so weltfremd, dass es für mich in weiten Teilen Ihrer Aussagen erschütternd, ja nahezu erschreckend war. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will keinem im Raum Autismus unterstellen. ({2}) Aber der Ministerin und dem BMELV zu unterstellen, in diesen vier Jahren wäre nichts passiert, ist nicht nur hanebüchen, ({3}) sondern schlichtweg gelogen. Ich erinnere an die Vernetzungsstelle Schulverpflegung und an die sogenannten DGE-Standards, die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wer hat denn diese Themen gespielt bzw. in die Länder getragen? Das war unsere Ministerin. ({4}) Auch wenn der Lernort Familie an Bedeutung verloren hat, gilt für mich heute und in Zukunft - ich denke dabei an Kolping -: In der Familie muss beginnen, was in Staat und Gesellschaft blühen soll. ({5}) In Ihrem Antrag spielen die Eltern eine absolute Nebenrolle. Für mich spielen die Eltern auch in Zukunft eine Hauptrolle. Elternverantwortung ist Eigenverantwortung, und Eigenverantwortung braucht Elternverantwortung. Schule und Staat - das wissen wir alle - können die Herausforderungen der Zukunft nicht stemmen. Der Bund kann und darf nicht immer mehr Aufgaben und Ausgaben der Länder übernehmen, schon gar nicht, wenn er nicht zuständig ist. ({6}) Der Bund ist weder für hochwertige und kostenlose Verpflegung zuständig noch für ein Investitionsprogramm für Küchen, Mensen, den Ausbau und Neubau oder zusätzliches Personal. Das können Sie in meiner letzten Rede genau so nachlesen. Aber lassen Sie mich zur Vernetzungsstelle Schulverpflegung kommen. Sie ist aus dem Projekt IN FORM des BMELV, unseres zuständigen Ministeriums, entstanden. Ich danke an dieser Stelle unserem Ministerium - der Staatssekretär ist anwesend - ganz ausdrücklich. Es ist aus meiner Sicht noch nie so viel im Zusammenhang mit Ernährungsbildung passiert wie in dieser Legislaturperiode. ({7}) Ich finde es klasse, wie mein Bundesland Bayern gerade die Verpflegung zusammen mit der ganzen Schulfamilie, insbesondere mit den Eltern, und mithilfe von Coaching jeden Monat optimiert: Was können wir tun, damit das Schulessen noch besser abgestimmt ist? Was nichts kostet, wird aus meiner Sicht nicht wertgeschätzt. Deshalb muss mindestens 1 Euro pro Schulessen als symbolischer Beitrag vonseiten der Eltern gezahlt werden; denn auch das Essen zu Hause kostet Geld. ({8}) Ich halte fest: Schulessen ist Ländersache, genauso wie die Gestaltung des Schulorts. Ich bin stolz, dass meine Landfrauen in Bayern mit einer großen Unterschriftenaktion ein weiteres wichtiges Ziel erreicht haben. Ab dem Schuljahr 2013 werden Alltagskompetenz und Lebensökonomie in Bayern zum verpflichtenden Unterrichtsgegenstand erklärt. Die entsprechenden Fächer werden zielgerichtet ausgebaut, ({9}) und zwar in Modulen gegliedert und über alle Jahrgangsstufen und Schularten hinweg. Das ist ein toller Erfolg. Ich würde mich freuen, wenn diese verpflichtenden Unterrichtsfächer auch in anderen Bundesländern Schule machen würden; ({10}) denn wer Bescheid weiß, ist klar im Vorteil. Dabei gehen die Inhalte sicherlich über die Themen Ernährungsbildung und Kochen hinaus. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele für Defizite, die uns nicht egal sein dürfen. Erstes Beispiel. Ein Klassenkamerad ist bei einer Familie zu Gast, um Hausaufgaben zu machen und zu essen. Als die Mutter ruft: „Das Essen ist fertig“, geht der Klassenkamerad nicht zum Tisch, sondern zur Tür, weil er glaubt, dass der Pizzaservice da ist. Zweites Beispiel. Väter und Mütter von „Miniköchen“ sind oft erstaunt, dass sie sich plötzlich nach ihren Kindern richten müssen. Denn Kinder, die spielerisch das Kochen von A bis Z erlernen, sagen zu Hause auf einmal: Ich möchte einen schön gedeckten Tisch, und zwar nicht nur, wenn ich bei den „Miniköchen“ bin. Vor diesem Hintergrund werbe ich dafür, dass wir alle in Zukunft dazu beitragen, dass wir nicht nur in Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen, sondern auch zu Hause in unseren Familien einen schön gedeckten Tisch haben. In diesem Sinne: Danke schön. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Marianne Schieder. ({0})

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird niemand bestreiten, dass eine ausgewogene, gesunde Ernährung für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern von ganz besonderer Bedeutung ist. Es wird auch niemand bezweifeln, dass über die angelernte Esskultur Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten geprägt werden, die Menschen ein ganzes Leben lang beeinflussen. Daher haben wir allen Grund, darüber zu diskutieren, wie es um die Mittagsverpflegung in unseren Schulen bestellt ist, und alles dafür zu tun, dass die Mittagsverpflegung nicht als notwendiges Beiprogramm abgewickelt, sondern als wichtiger Teil des schulischen Lernens und des Lebens betrachtet wird. Es kann nicht nur darum gehen, dass die Schulverpflegung möglichst günstig ist. Vielmehr muss es gesundes, aber auch schmackhaftes, kindgerechtes Essen geben. Es muss die Chance ergriffen werden, schon in der Schule Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit der Schulverpflegung grundlegendes Wissen über ausgewogene und gesunde Ernährung zu vermitteln und mit ihnen vernünftiges Verbraucherverhalten einzuüben. ({0}) Natürlich gehört es für mich dazu, dass bei der Schulverpflegung auf die Ressourcen vor Ort geachtet wird; denn wir haben mitbekommen, welche Probleme es mit zentralen Cateringstrukturen gibt. Es sind Tausende Kinder in mehreren Bundesländern krank geworden, weil ein einziger Betrieb verdorbene Erdbeeren verarbeitet hat. Es gibt also wirklich viel zu tun. Ich meine, dass das Luisen-Gymnasium in München ein sehr gutes Beispiel ist. Dort ist die Mittagsverpflegung in den Unterricht eingebunden. Da wird nicht nur gesundes und schmackhaftes Essen vor Ort gekocht, sondern die unterschiedlichen Klassen der Schule sind in die Zubereitung eingebunden. Die Kinder lernen im Unterricht den Umgang mit und die Verarbeitung von Lebensmitteln im praktischen Handeln. So positiv dieses Beispiel auch ist, dürfen wir die Augen doch nicht davor verschließen, dass das kein flächendeckender Zustand ist, auch nicht in Bayern, liebe Frau Mortler. Ich zitiere Ihren eigenen Landwirtschaftsminister. Der hat in einem Vorwort zu einer Studie der TU München-Weihenstephan gesagt: Durch den Ausbau des G8 und der Ganztagsschulen gewinnt die Schulverpflegung in Bayern zunehmend an Bedeutung. Jede zweite Schule bietet künftig eine Mittagsverpflegung an. ({1}) Somit erhalten etwa 200 000 Schüler täglich ein warmes Mittagessen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass das Essen auch schmeckt oder gesundheitsförderlich ist. Er führt weiter aus, dass es da noch viel zu tun gibt, um den Qualitätsstandard, den er gerne hätte, zu erreichen. Im Übrigen, liebe Frau Mortler, ich war noch im Bayerischen Landtag, als Ihre Kolleginnen und Kollegen von der CSU gegen unseren Widerstand und gegen unsere Warnung all die Fächer abgeschafft haben, die Sie jetzt mit den Landfrauen in kleinen Teilen wieder erkämpft haben. Es ist also nicht so, dass die Welt in Bayern in Ordnung wäre und es überhaupt nichts zu tun gäbe. Marianne Schieder ({2}) ({3}) Insofern haben die Kolleginnen und Kollegen der Linken natürlich recht mit ihrem Antrag. Aber ich sage auch dazu: Hier 8 bis 9 Milliarden Euro vom Bund zu fordern und es als ganz selbstverständlich zu betrachten, dass es an allen Schulen ein vollkommen kostenloses Mittagessen geben soll, halte ich für sehr überzogen, für sehr unseriös, für nicht finanzierbar, auch nicht für notwendig und nicht für sinnvoll. ({4}) Daher werden wir diesen Antrag ablehnen. ({5}) Ich möchte aber auch sagen, dass wir nur weiterkommen werden, auch in Sachen Schulverpflegung, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Wir haben heute schon über unseren Antrag diskutiert, der unter dem Motto steht, die Bildungschancen mit guten Ganztagsschulen für alle zu verbessern. Wir müssen in diesem Zusammenhang natürlich über die Aufhebung des Kooperationsverbotes reden; ({6}) denn solange es das gibt, ist da nichts zu machen. Es ist leider wahr. Die Aufhebung müsste mehr umfassen als das, was Union und FDP vorschlagen. Es darf dabei nicht nur um Hochschulen gehen, sondern auch der Bereich Schule muss dabei sein, sodass all die Probleme, die alle Bundesländer gleichermaßen zu bewältigen haben, auch gemeinsam bewältigt werden können, Kräfte gebündelt werden können und der Bund den Ländern und den Kommunen unter die Arme greifen kann. Ich weiß natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der FDP, dass wir von Ihnen nicht mehr viel zu erwarten haben, in dieser Legislaturperiode schon gar nicht. Aber ich bin zuversichtlich; denn der September ist nah. Spätestens dann, wenn der Münchener Oberbürgermeister Ministerpräsident unseres schönen Landes Bayern ist und Peer Steinbrück Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, ({7}) werden wir als SPD-Bundestagsfraktion dafür sorgen, dass die Länder mit unserem Ganztagsschulprogramm die nötige Unterstützung vom Bund bekommen. Das ist ein Grund mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, für einen Regierungswechsel in Berlin und auch in Bayern. Danke schön. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Mechthild Heil von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das alte deutsche Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ - und natürlich Gretel auch nicht -, gilt auch im Bereich der Ernährung allzu oft; denn die Grundlagen für einen gesundheitsbewussten Lebensstil werden in der Kindheit gelegt, und da steht die Familie an erster Stelle. ({0}) Die Eltern und die Geschwister leben Ernährungsund Bewegungsmuster vor, an denen sich dann die Kinder orientieren und die sich im Laufe des Lebens verfestigen. Die Eltern sind es auch, die die Pausenbrote schmieren und die die Zutaten für die Pausenbrote einkaufen. Die Eltern fragen sich: Kaufe ich eigentlich das Richtige? Ist das gut und gesund? Hier herrscht große Verunsicherung. Das zeigt sich an einem kleinen Beispiel, an der sogenannten Hamburger Keks-Affäre. Die Eltern von einem vierjährigen Jungen hatten morgens verschlafen. Sie haben dann ihrem Sohn ein paar Butterkekse anstatt eines Pausenbrots mit in den Kindergarten gegeben. Der Junge durfte die Butterkekse nicht essen. Stattdessen wurden die Eltern aufgefordert, ihm etwas „Gesundes“ einzupacken. ({1}) Hier zeigt sich: Hysterie und Verunsicherung sind mindestens genauso schlimm wie Unwissen und Desinteresse an gesunder Ernährung, womit wir es leider allzu oft zu tun haben. Hilfe ist also gefragt. ({2}) Aber Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, hilft uns an dieser Stelle überhaupt nicht weiter. Was soll dieser Antrag? Kollegin Stauche hat es eben schön auf den Punkt gebracht: Das ist reiner Populismus im Wahlkampf. Ich will Sie gar nicht noch einmal darauf hinweisen, dass der Bund überhaupt nicht zuständig ist. Denn Sie wissen sehr genau, dass das Grundgesetz einer vollen, direkten Finanzierung der Schulverpflegung durch den Bund entgegensteht. ({3}) Aber das stört Sie nicht weiter; wir kennen das. Sie fordern munter drauflos, ohne Maß und ohne rechtliche Grundlage. Tatsache ist: Jede Ganztagsschule ist verpflichtet, ein Mittagessen anzubieten. Dabei wird auch an die Kinder aus einkommensschwachen Familien gedacht. Sie waren damals dagegen. Wir haben es eingeführt. Heute erhalten im Rahmen dieses Bildungs- und Teilhabepakets einkommensschwache Familien Leistungen wie das Mittagessen in Kindertagesstätten, in Horten und in Schulen, und das wird gut angenommen. Es ist die am häufigsten genutzte Komponente des Bildungs- und Teilhabepakets. Reicht das? Ist das gut, und ist das gesund? Ja, es ist sehr gut. Damit es auch gesund ist, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung einen Qualitätsstandard für die Schulverpflegung entwickelt. Das ist hier wahrlich eine große Hilfe. Dieser Standard liefert nämlich erstmals wissenschaftlich gesicherte und praxisbezogene bundesweite Standards. Mit gutem Grund liegt es in den Händen der Bundesländer und je nach Landesregierung sogar der Schulträger oder der Schulen selbst, in welcher Weise sie diese Standards in ihren Schulen umsetzen. In diesem Jahr wurde zum Beispiel ein Integrationsbetrieb in meiner Region mit diesem DGE-Zertifikat ausgezeichnet. Das ist der erste Betrieb in RheinlandPfalz, der ein solches Zertifikat bekommt. Dieser Betrieb beliefert pro Tag Schulen und Kindergärten mit ungefähr 1 800 Essen. Es gibt eine Fülle solcher guten Beispiele von Schulverpflegungen in den verschiedenen Regionen. Hier ist es ein Altenheim, das die Versorgung von Kindergarten oder Grundschule übernimmt. Dort legen die Eltern freiwillig einen Euro drauf, um einen Extrawunsch erfüllt zu bekommen, und die Verbandsgemeinde übernimmt diesen Euro für einkommensschwache Kinder. Hier erstellt ein Spitzenkoch den Küchenplan, und dort findet sich eine private Anbieterin, die mit frischen Zutaten aus der Region kocht. Ich bin immer noch Mitglied im Kreistag und im Stadtrat. Viele Schulen gehören in unsere Trägerschaft. Ich kenne viele solcher Beispiele, wie viele von Ihnen bestimmt auch; es gibt davon Hunderte in Deutschland. Vor Ort weiß man ganz genau, was die Kinder brauchen. Aber eins ist klar: Bevormundung von den Linken brauchen wir vor Ort ganz bestimmt nicht. ({4}) All den Initiativen vor Ort, den vielen engagierten Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Betreuern und Caterern sei hier an dieser Stelle ein ganz großer Dank für ihre super Arbeit ausgesprochen. ({5}) Denn nur so geht es: wenn alle mitmachen und sich für eine gesunde Lebenswelt für unsere Kinder und Jugendlichen einsetzen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für alle Kinder und Jugendlichen eine hoch- wertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 17/13451, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11880 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge- genstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen an- genommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union - Drucksache 17/11872 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) - Drucksache 17/13444 - Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Dörflinger Oliver Luksic Alexander Ulrich b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Dietmar Nietan, Axel Schäfer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg führen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Axel Schäfer ({3}), Michael Roth ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Volker Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitritts- prozessen beteiligen - Drucksachen 17/12182, 17/12821, 17/13444 - Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Dörflinger Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Alexander Ulrich c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union - Drucksachen 17/12769, 17/12852 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({7}) - Drucksache 17/13445 Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Dörflinger Oliver Luksic Alexander Ulrich Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Vertrag über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union werden wir später namentlich abstimmen. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung von Rechtsvorschriften liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich Sie darüber informieren, dass auf der Ehrentribüne der Botschafter der Republik Kroatien, Herr Dr. Miro Kovač, Platz genommen hat. ({8}) Herr Botschafter, im Namen der Kolleginnen und Kollegen begrüße ich Sie sehr herzlich. Ich freue mich, dass Sie dieser Debatte zum Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union persönlich beiwohnen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Oliver Luksic von der FDPFraktion. ({9})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Botschafter Kovač! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute mit Freude feststellen, dass zum zweiten Mal ein Staat des ehemaligen Jugoslawien bereit ist, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Wir können einen großen Erfolg feiern, nicht nur für Kroatien, für Deutschland und für Europa; dieser Schritt ist ein Signal für die ganze Region. Ich freue mich, dass wir als Bundestag heute in großer Einmütigkeit und im breiten Konsens dieses Zeichen setzen wollen. ({0}) Kroatien hat einen langen Weg zurückgelegt. Seit Beginn der Verhandlungen sind knapp sieben Jahre vergangen. Der Prozess dauerte so lange wie bei keinem anderen Land zuvor. Das liegt auch an den Erfahrungen, die man bei vorherigen Beitrittsprozessen gemacht hat. Es ist wichtig, noch einmal klar zu sagen, dass wir hier besonders genau hingeschaut haben. Die Anforderungen waren eher härter, die Beurteilungen noch genauer. Kroatien hat in diesen sieben Jahren enorme Fortschritte gemacht, es hat allein in der letzten Legislaturperiode über 300 Gesetze verabschiedet, um sich Europa anzupassen und anzunähern. EU-Kommissar Füle hat recht, wenn er sagt, Kroatien sei heute ein anderes Land als zu Beginn der Verhandlungen. Dieser Wandel, der durch den Beitrittsprozess angestoßen wurde, wird nicht enden; er wird weitergehen. Es ist ein neues Kapitel für das Land, das von Reformbemühungen und Anstrengungen gekennzeichnet ist. Die freiwillige Teilnahme am Europäischen Semester macht diese Bereitschaft Kroatiens besonders deutlich. Gerade wegen der aktuellen Lage - Stichwort „Serbien“ -, wegen der Annäherung, die dort passiert, ist es jetzt besonders wichtig, dass der Deutsche Bundestag und die Europäische Union ein klares Zeichen setzen, dass sich Anstrengungen auszahlen und für mehr Stabilität im Land, in der Region und in Europa sorgen. Deswegen ist der Beitritt Kroatiens auch ein Signal für den gesamten Westbalkan. ({1}) Die EU hat eine entscheidende Rolle bei Stabilisierung und Demokratisierung gespielt. Wenn man sich einmal die Begründung für die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union anschaut, stellt man fest, dass darin der Beitritt Kroatiens explizit als Faktor für die Aussöhnung auf dem Balkan genannt wird. Deswegen können und sollten wir offen sagen, auch hier im Deutschen Bundestag, dass die Europäische Union der größte Demokratieförderer nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Regionen ist. Genau diese Bedeutung des europäischen Beitrittsprozesses müssen wir immer wieder erwähnen. Wir haben Verantwortung, und wir nehmen sie wahr. Als Bundestagsfraktion der FDP und als Koalition sagen wir auch immer, dass wir uns zum Thessaloniki-Prozess bekennen. Der Beitrittsprozess mit Kroatien ist für den Balkan ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratisierung und auf dem Weg der Annäherung an die Europäische Union. Es zeigt vor allem, dass trotz des Geredes über die europäische Krise Europa ein Magnet für viele Länder bleibt, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen. Deswegen ist der Beitrittsprozess eine Erfolgsgeschichte. ({2}) Auch Deutschland profitiert vom Beitritt Kroatiens. Viele Kollegen waren in Kroatien unterwegs und haben gesehen, wie stark die Vernetzung ist. Gerade Mittelständler erschließen sich dort neue Märkte. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind eine Chance. Deswegen freuen wir uns. Kroatien ist bereit, als 28. Staat der Europäischen Union beizutreten. Der Beitritt Kroatiens ist nicht nur für das Land selbst und für den gesamten Balkan wichtig; er ist gut für Deutschland und - gerade in der jetzigen Zeit - gut für Europa. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dietmar Nietan das Wort. ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während sich in manchen Gründungsstaaten der Europäischen Union Euroskepsis und Renationalisierung breitmachen, freuen sich die Menschen in Kroatien auf den Beitritt ihres Landes in die EU. Auch ich freue mich, dass Kroatien am 1. Juli der 28. Mitgliedstaat unserer Europäischen Union wird. Ich möchte an dieser Stelle den Menschen in Kroatien zurufen: Dobrodošla Hrvatska! Herzlich willkommen Kroatien in der Europäischen Union! ({0}) Oliver Luksic hat schon darauf hingewiesen: Mit keinem anderen Beitrittskandidaten ist so lange und intensiv und hart verhandelt worden, weil die Europäische Union aus ihren Fehlern zum Beispiel bei der Aufnahme von Bulgarien und Rumänien gelernt hat. Der Monitoringbericht vom 26. März hat deutlich gemacht, dass Kroatien die geforderten Punkte, die noch offen waren, erfüllt hat. Das freut uns sehr. Ich will an dieser Stelle aber auch betonen, dass Kroatien nicht den Fehler machen darf, dass man die Haltung entwickelt: Einmal in der Europäischen Union drin, muss man keine weiteren Reformen machen. Es gibt für Kroatien noch viel in den Bereichen der Bekämpfung der Korruption, der organisierten Kriminalität und der Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Das muss weitergehen. An dieser Stelle will ich auch deutlich sagen, dass wir alle dafür sorgen müssen, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Grundwerte unserer Europäischen Union, gelten. Deshalb will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass ich die Rechtsstaatsinitiative unseres Außenministers begrüße. ({1}) Ich finde es richtig, dass es Bemühungen gibt, einen Mechanismus zum Schutz der Grundwerte der EU zu entwickeln. Ich freue mich auch sehr, dass der Bundesaußenminister bei seiner Initiative von den drei Außenministern der Niederlande, Dänemarks und Finnlands Unterstützung bekommen hat. Ich hoffe, dass es nur ein Zufall ist, dass es drei Außenminister der Sozialdemokratie sind, die ihn unterstützt haben. Ich hoffe, es gibt auch konservative Außenminister, die diese Initiative unterstützen. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren - auch das hat Oliver Luksic gesagt -, der Beitritt Kroatiens ist ein Signal für die gesamte Region: für die Menschen in Serbien, im Kosovo, in Montenegro, in Albanien, in Mazedonien und in Bosnien-Herzegowina. Es zeigt nämlich, dass das Versprechen der Europäischen Union von Thessaloniki gilt: Wer sich anstrengt, wer Demokratie, Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft und Frieden mit seinen Nachbarn ernst nimmt und dafür arbeitet, hat die Chance, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf es keinen Zweifel geben, dass das Versprechen von Thessaloniki weiter gilt, dass auch nach dem Beitritt Kroatiens die Tür der Europäischen Union für alle Staaten, die harte Reformen durchführen, die unsere Werte erreichen wollen, weiter offensteht. Auch das muss deutlich werden. Es gibt kein: Nach Kroatien ist Schluss. ({3}) Es ist schon gesagt worden: Die Perspektive, Mitglied der EU zu werden, ist der Motor für die Demokratisierungsbewegungen in den Staaten, zum Beispiel des Westbalkan. Sie ist aber auch eine Rückversicherung dafür, den an manchen Stellen immer noch fragilen Frieden und die noch immer fragile Stabilität dort weiter zu festigen. Deshalb muss ich hier sehr deutlich sagen: Wer davon redet, dass der EU-Erweiterungsprozess nach der Aufnahme Kroatiens zu stoppen sei, stoppt nicht nur diesen Reformmotor, sondern handelt auch verantwortungslos im Hinblick auf eine Perspektive auf Frieden und Stabilität in dieser Region. ({4}) Wir alle dürfen nicht vergessen, dass die Europäische Union und wir Europäer in den Vorwehen, beim Ausbruch und während des jugoslawischen Bürgerkriegs bitter versagt haben. Ich finde, deshalb tragen wir eine Mitverantwortung für die Sicherung von Frieden, Stabilität, Demokratie und Menschenrechten in dieser Region. Es darf daher keinen Zweifel daran geben, dass wir den Weg mit diesen Staaten mitgehen. Deshalb sage ich an dieser Stelle sehr deutlich: Sollte es - hoffentlich bald das Implementierungsabkommen zwischen dem Kosovo und Serbien geben und sollten - das ist wichtig - aus diesem Abkommen konkrete nachprüfbare Schritte erfolgen, die zeigen, dass das nicht nur ein Stück Papier ist, sondern dass man die Normalisierung zwischen Kosovo und Serbien voranbringen will, dann darf es keinen Zweifel daran geben, auch nicht in diesem Hohen Hause, dann muss Serbien ein Beitrittsdatum genannt bekommen, damit die Menschen, die jetzt in Serbien diese Reformen durchführen, sehen, dass auch für Serbien gilt: Wer die Bedingungen erfüllt, kann sich auf uns verlassen und bekommt dann auch ein faires Angebot für den EUBeitritt. Am Ende möchte ich sagen: Viele Menschen in Kroatien freuen sich sicherlich; denn für viele Menschen dort - das ist dort vielleicht stärker der Fall als bei uns - ist die Europäische Union immer noch ein großes Friedensprojekt. Für die Menschen in der kroatischen Stadt Vukovar ist der Krieg noch eine reale Erfahrung. Es ist noch keine 22 Jahre her, dass die Stadt einer schlimmen Belagerung und Massakern ausgesetzt war. Für die Menschen Vukovars ist die Europäische Union der sichere Hafen für Frieden und Stabilität. Diesen sicheren Hafen für Frieden und Stabilität sollen aber nicht nur die Menschen in Vukovar, sondern alle Menschen in dieser Region bald erreichen. Deshalb müssen wir weiter hart daran arbeiten, glaubwürdig zu bleiben. Wer Reformen eingeht, wer ein verlässlicher Partner ist, erhält unsere ausgestreckte Hand. Darauf müssen sich die Menschen verlassen können. In diesem Sinne sage ich gerne noch einmal: Herzlich willkommen, Kroatien! ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Thomas Dörflinger. ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 19. Mai 1991 war der Tag, an dem sich die Mehrheit der Kroatinnen und Kroaten in einem Referendum für die Unabhängigkeit vom bisherigen jugoslawischen Bundesstaat ausgesprochen hat. Wenige Wochen später, im Juni desselben Jahres, erklärte Kroatien einseitig seine Unabhängigkeit. Nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus gab es viele, die mit der Position der seinerzeitigen Bundesregierung, namentlich mit der Position von Hans-Dietrich Genscher als Bundesaußenminister und von Bundeskanzler Helmut Kohl, die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens anzuerkennen, kritisch umgegangen sind. ({0}) - Wir erinnern uns, Herr Bundesaußenminister. - In der Rückschau können wir durchaus feststellen, dass die Position der Bundesregierung von damals einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, Kroatien den Weg nach Europa zu ebnen und so ein Stück Vorarbeit dafür geleistet hat, dass Kroatien in wenigen Tagen Mitglied der Europäischen Union werden kann. ({1}) In früheren Jahren und Jahrzehnten, schon aus historischen Gründen, ist der Balkan nicht selten als das Pulverfass Europas bezeichnet worden. Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Union Trägerin des Friedensnobelpreises geworden ist, ist dies - da teile ich die Einschätzung des einen oder anderen Vorredners - ein Stück ganz konkrete und praktizierte Friedenspolitik. Durch den Beitritt Kroatiens und durch die Ebnung des Weges für andere Staaten des Westbalkan können wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass es in dieser Region und in Europa in der Zukunft nicht wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen kann, da die Europäische Union sich als ein Friedensprojekt eo ipso begreift. ({2}) Kroatien hat - das darf man wohl mit Fug und Recht behaupten - mit die strengsten Beitrittsverhandlungen hinter sich gebracht, die es mit Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union je gegeben hat. Ich gestehe gerne ein, Herr Botschafter, dass nicht nur der Deutsche Bundestag in Gänze, sondern speziell auch die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion nicht immer nur ein bequemer Gesprächspartner für Kroatien waren. Ich sage das nicht, um mich dafür zu entschuldigen, sondern um zu bekräftigen, dass unsere Haltung richtig war. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass der Kollege Dr. Schockenhoff erst vor wenigen Wochen wieder im Rahmen einer Fact Finding Mission in Kroatien war, um im Zusammenhang mit dem abschließenden „Monitoring-Bericht über die Beitrittsvorbereitungen Kroatiens“ der Europäischen Kommission ein Auge darauf zu werfen, ob denn die Left-overs in den verschiedenen Verhandlungskapiteln tatsächlich abgearbeitet sind und ein Zustand herbeigeführt worden ist, der es erlaubt, dass Kroatien tatsächlich beitreten kann. Es hat uns alle gefreut, dass er von seiner Mission die Botschaft mitgebracht hat, dass dies erfolgreich abgeschlossen worden ist. An dieser Stelle können wir ein Dankeschön an unsere kroatischen Partnerinnen und Partner sagen, aber auch, Herr Botschafter, an die Botschaft hier in Berlin, denn zu jedem Zeitpunkt war es ein konstruktives Miteinander. Man hat das ehrliche Bemühen gespürt. Man hat sich also nicht darauf verlassen, dass der Beitrittsprozess quasi ein Selbstläufer ist, sondern aus der Einsicht, dass Kroatien wesentliche Beiträge zum Beitrittsprozess leisten muss, dafür gearbeitet. ({3}) Meine Damen und Herren, ich will zwei Punkte nennen, die für Kroatien sicher nicht einfach waren. Als Erstes nenne ich die Umstrukturierung und Privatisierung im Bereich der Werften. Es ist erst kurze Zeit her, dass dies tatsächlich abgeschlossen worden ist. Als Zweites möchte ich den Sektor der Justiz nennen. Uns allen sind in den letzten Tagen E-Mails und Schreiben mit dem Ziel zugegangen, die Beitrittsreife Kroatiens in Zweifel zu ziehen. Das konnte ich schon deshalb nicht nachvollziehen, weil man einerseits einem unserer deutschen Berater in Kroatien, dem früheren thüringischen Staatssekretär Haußner, pauschale Urteile und Polemik unterstellt hat, aber dieses Pamphlet, das uns zuging, andererseits genau jene Polemik und Unsachlichkeit beinhaltete, die man Herrn Haußner vorwarf; es passte auch inhaltlich nicht ganz. Ich sage vor dem Hintergrund dessen, was wir in den letzten Wochen und Monaten festgestellt haben: Kroatien hat einen harten Weg hinter sich gebracht und ihn erfolgreich abgeschlossen, meine Damen und Herren. Ich will noch ein Wort zu den Entschließungsanträgen sagen, die uns heute vorliegen und die wir mitberaten. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion können diese Anträge nicht mit unserer Zustimmung versehen. Warum? - Ich glaube, dass die Beratungen im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, aber auch hier im Deutschen Bundestag in den letzten Wochen und Monaten ein Beweis dafür waren und sind, wie Beitrittsverhandlungen - am Beispiel Kroatien kann man das sehr schön nachvollziehen - für die Öffentlichkeit in ausreichendem Maße transparent gestaltet werden können; das wird auch in Zukunft so sein. Deswegen können wir uns Bemühungen, die darauf zielen, diesen Prozess noch transparenter zu gestalten, im Grunde genommen sparen. Wir sind heute an einem Punkt, an dem der Prozess transparent ist. Ich habe mich - das sage ich auch mit Blick auf die Beratungen, die wir im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union geführt haben - etwas über den Inhalt des einen oder anderen Entschließungsantrages zum Thema Freizügigkeit gewundert. Denn ich habe natürlich noch im Ohr und im Gedächtnis, wie sich die damalige rot-grüne Bundesregierung bei der großen Erweiterungsrunde 2004 verhalten hat, als Bundeskanzler Gerhard Schröder im deutschen Interesse sehr darauf gedrungen hat, die Freizügigkeit in einem abgestuften Verfahren umzusetzen, durchaus mit unserer Zustimmung als seinerzeitige Opposition. Die Regelung zur Freizügigkeit, die Gegenstand der Begleitgesetzgebung der Bundesregierung ist, wird von Rot-Grün nun nicht nur im Bundesrat infrage gestellt, sondern auch im Bundestag. Diesen Kurswechsel kann ich nicht nachvollziehen; wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden da auch nicht mitgehen. Nachdem mir der Kollege Hartwig Fischer eben, vor Beginn der Debatte, einen Mini-Crashkurs in Kroatisch gegeben hat, möchte ich dem Auftrag nachkommen, den er mir erteilt hat. Weil ich mich in Ihrer Sprache, Herr Botschafter, zugegebenermaßen nicht so gut auskenne, ({4}) konzentriere ich mich auf das, was mir der Kollege Fischer beigebracht hat. In seinem Auftrag, aber auch im Auftrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich Kroatien nicht nur in der Europäischen Union willkommen heißen, sondern Ihnen auch ein fröhliches „Živjeli!“ zurufen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Thomas Nord. ({0})

Thomas Nord (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004122, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Herr Botschafter! Sehr geehrte Damen und Herren! Kroatien hat - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - bis zum Beitritt zur Europäischen Union einen langen Weg zurückgelegt, einen längeren als alle anderen Beitrittsländer bisher. Nun jedoch wird Kroatien am 1. Juli dieses Jahres das jüngste Mitglied der Europäischen Union. Das ist für viele Menschen dort und auf dem Westbalkan ein Grund zur Freude. Das positive Referendum zum EU-Beitritt in Kroatien ist für uns ein wesentliches Argument, um ihm zuzustimmen; denn für uns ist die Akzeptanz des Beitritts in den Ländern selbst entscheidend für unsere eigene Zustimmung. ({0}) Das 2003 gegebene Versprechen einer Beitrittsperspektive an den gesamten Westbalkan - davon war hier schon die Rede - darf angesichts der momentanen Krise der Euro-Zone und der Europäischen Union nicht zurückgenommen werden. Deutschland steht da gerade angesichts der politischen Mitverantwortung für den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens - und hier trennen sich die Wege - aus unserer Sicht in moralischer Verantwortung. ({1}) Wer an dieser Stelle sagt, dass Kroatien von der Anerkennung als unabhängiger Staat bis zum heutigen Tag eine geradlinige Entwicklung vollzogen hat, der blendet einen Bürgerkrieg aus, der Zehntausende Tote gefordert hat. Ich finde, das kann man hier nicht machen. ({2}) Gerade das aktuelle Abkommen zwischen Serbien und Kosovo besagt im Kern, dass sich beide Seiten auf dem Weg in die Europäische Union keine Hürden in den Weg stellen wollen. Das zeigt: Die Beitrittsperspektive ist der einzige positive Anreiz für einen rationalen Umgang zwischen nach wie vor verfeindeten Parteien. Ein wirklicher Aussöhnungsprozess oder gar eine Anerkennung des Kosovo als eigenständiger Staat durch Serbien kann hieraus eben nicht abgeleitet werden. Erst die Praxis der nächsten Zeit wird erweisen, welche Substanz dieses Abkommen hat. Allerdings gibt es auch in Kroatien Menschen, die den Beitritt nicht mit Freude, sondern eher mit Sorge erwarten, und das sind bei weitem nicht alles unbelehrbare Nationalisten. Es gibt Sorgen und Bedenken, auch in Kroatien, die wir ernst nehmen sollten. Von 1,7 Millionen erwerbsfähigen Menschen in Kroatien sind 370 000 arbeitslos. Der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisierung der Werften hat hier mehr geschadet, als dass er genutzt hat. Das Wirtschaftswachstum fiel im Vorjahr um 1,9 Prozent. Das Haushaltsdefizit stieg zuletzt auf 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein großer Investitionsboom wird mit dem Beitritt in Kroatien nicht erwartet. Kroatien wird mit dem EU-Beitritt Handelsvorteile verlieren, und nur vom Tourismus wird auch Kroatien auf Dauer nicht leben können. ({3}) Gerade an Beitrittsstaaten wie Kroatien wird deutlich: Die mit dem Beitritt auferlegte Wirtschaftspolitik von Deregulierung, Privatisierung und Abbau öffentlicher Leistungen ist kein zukunftsfähiger Weg für Europa und die Europäische Union. ({4}) Im Gegenteil, wie die aktuelle Lage in Griechenland, Spanien, Portugal, Zypern usw. zeigt: Dieser Weg gefährdet nicht nur die Existenz der Euro-Zone, ({5}) sondern der Europäischen Union insgesamt, Kollege Luksic. Notwendig sind gerade auf dem Westbalkan auch öffentliche Programme, also zum Beispiel EU-Investitionsprogramme zur Reindustrialisierung der Region. Das kann übrigens zum Vorteil für alle Mitgliedstaaten und ein guter Weg zur Überwindung der Krise insgesamt sein. Wer sich nur auf private Investoren verlässt, wird noch die letzte Privatisierung der Telekommunikation bekommen, und das war es dann. Die Politik der Troikas, der Schuldenbremsen und der Kürzung der Mittel für die EU ist, aus unserer Sicht jedenfalls, ein Irrweg. ({6}) Die Kritik an der jetzigen neoliberalen EU-Politik kann aber nicht dazu führen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung abzulehnen. ({7}) Nach Slowenien wird nun ein zweiter Staat, der aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorging, der Europäischen Union beitreten. Damit wird der Beschluss von Thessaloniki weiter umgesetzt. Durch diese Umsetzung wird wieder ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger der Staaten, die aus dem blutigen Konflikt in Jugoslawien hervorgegangen sind, in einer gemeinsamen Union ermöglicht. Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens zu, weil damit die Aussicht verbunden ist, einen jahrhundertealten Konflikt beizulegen und dem gesamten Westbalkan eine Friedensperspektive zu bieten. ({8}) Dauerhaft, meine Damen und Herren, wird diese Friedensperspektive für den Westbalkan und ganz Europa nur dann sein, wenn die jetzige selbstzerstörerische Politik in der Europäischen Union ({9}) von einer solidarischen, gerechten und demokratischen Politik für die Menschen in der EU insgesamt abgelöst wird. Danke schön. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich persönlich teile nicht viel von dem, was Herr Nord in seiner Rede gesagt hat. Ich freue mich aber ausdrücklich darüber und erkenne an, dass wir hier mit allen Fraktionen dieses Hauses diesen Beitrittsvertrag ratifizieren. An dieser Stelle möchte ich auch einmal sagen: Kompliment an die Linkspartei. ({0}) Von mir kommt das nicht so häufig, aber es ist verdient. Ich finde es auch gut, dass Sie am Schluss Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht haben, dass die EU, an der es natürlich immer viel zu kritisieren und noch mehr zu verbessern gibt, trotzdem eine unglaubliche Kraft hat und die EU auch als Friedensprojekt keineswegs passé ist. Deswegen ist es wichtig, dass man zu diesem Projekt steht. ({1}) Meine Damen und Herren! Herr Botschafter! Es gibt in Kroatien einen Spruch, der an mich herangetragen wurde: Der Hase ist noch im Wald, das Feuer muss noch nicht angemacht werden. - Ich glaube, wir können an dieser Stelle sagen, dass die Republik Kroatien in den letzten Jahren wirklich viel getan hat, um die Voraussetzungen zu erfüllen, die ihr von der Kommission und den Mitgliedstaaten auferlegt wurden. Kroatien ist durch einen echten Transformationsprozess gegangen. Kroatien hat viel geliefert. Wenn ich Kroatien sage, dann meine ich damit ausdrücklich nicht nur die jetzige oder die vorherige Regierung, die Politik oder die Wirtschaft, sondern eben auch die Zivilgesellschaft. Dieser Beitrittsprozess verlief nur deshalb so erfolgreich, wie er sich bis jetzt darstellt, weil die gesamte Gesellschaft mitgezogen und mitgegangen ist. Es gab also einen wirklichen politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozess im Lande. Das ist das Besondere. ({2}) An dieser Stelle muss man sagen: So ein Transformationsprozess ist natürlich nie an einem Punkt zu Ende. ({3}) Zu den Äußerungen unseres Präsidenten, des Bundestagspräsidenten, muss man hier, so glaube ich, deutlich sagen: Natürlich muss dieser Transformationsprozess weitergehen. Das, Herr Dörflinger, ist der Grund für unseren Entschließungsantrag. Wir wollen, dass dieser entscheidende Akteur, die unabhängige Zivilgesellschaft, die die Politik immer wieder getrieben hat - bei der Bekämpfung der Korruption, in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Anerkennung von Minderheitenrechten, beim Thema Umweltschutz und beim Thema Naturschutz, weil Naturschutz und Umweltschutz in vielfacher Hinsicht die beste Versicherung gegen Korruption sind -, jetzt, wo Brüssel als überwachendes Element wegfällt, weiterhin eine wichtige Rolle in der innerstaatlichen Debatte in Kroatien spielt. Sie muss weiterhin Gehör finden, um der Politik weiterhin Dampf machen zu können. ({4}) Dieses Dranbleiben können wir Kroatien zutrauen. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass es einen breiten gesellschaftlichen und überparteilichen Konsens gibt, die Herausforderungen anzugehen. Die Schwierigkeiten, die Herausforderungen, das, was an Transformation noch in Kroatien stattfinden soll, soll in einem Kroatien stattfinden, das gleichberechtigtes Mitglied der EU der 28 ist und nicht mehr außen vor der Tür steht. Das ist unser Ziel für die Zusammenarbeit mit Kroatien in den nächsten Jahren. Es ist auch eine Frage der Fairness. Auch angesichts der wirtschaftlichen Probleme in Kroatien, die Herr Nord gerade genannt hat, ist es nur fair, jetzt zu sagen: Wir gehen diesen Weg gemeinsam. Wer sich jetzt gegen diesen Beitritt aussprechen würde, würde nicht nur die Chancen für das Land verringern, sondern auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Landes gefährden. Wir Grünen richten eine ganze Reihe von Wünschen an Kroatien, Herr Botschafter. Diese kennen Sie zum größten Teil schon. Neben der Frage der Transformation des Landes ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, dass der Beitritt Kroatiens wirklich ein Teil des Friedensprojektes für die gesamte Region ist. Es gab in den letzten Jahren gewisse Schwierigkeiten, hinsichtlich eines Beitritts Kroatiens immer überall Einstimmigkeit herzustellen. Wir erwarten nun natürlich - das wissen Sie -, dass es den nächsten Staaten, die beitreten wollen, nicht ähnlich ergeht. Ich glaube, es ist entscheidend, dass wir in Kroatien einen starken Partner haben, der sich darum kümmert, Bosnien und Herzegowina als direkt angrenzendem Staat in der Region so viele Chancen wie möglich einzuräumen, damit es an den Möglichkeiten, die Kroatien durch die EU hat, partizipieren kann. Dabei geht es um Grenzübergänge und um Handelspolitik, aber natürlich auch um institutionelle Hilfe beim EU-Beitritt. Es ist einer der wichtigsten Punkte auf unserem Wunschzettel an das EU-Mitglied Kroatien, dass wir uns gemeinsam mehr um die Zukunft von Bosnien und Herzegowina kümmern. ({5}) Meine Damen und Herren, es muss unser Ziel sein, wirklich offen für junge Leute aus ganz Europa zu sein. Die Betonung der Tatsache, dass 2030 in Deutschland 6 Millionen Erwerbspersonen weniger sein werden - dies hat die Bundeskanzlerin diese Woche auf dem großen Demografiegipfel gesagt -, ist die beste Antwort auf Ihre ablehnende Haltung zu den Entschließungsanträgen von Rot und Grün. Wir sollten nicht den Fehler machen, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Bezug auf Kroatien einzuschränken. ({6}) Ich komme zum Schluss. ({7}) Unter Bezugnahme auf das genannte kroatische Sprichwort „Man sollte das Feuer nicht anmachen, wenn der Hase noch im Wald ist“ möchte ich sagen: Liebe Menschen in Kroatien, lieber Herr Botschafter, Sie können jetzt getrost das Feuer anstecken, denn der Hase nähert sich durch diese Abstimmung sprichwörtlich dem Topf. Darüber freuen wir uns. Danke sehr. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Nur anderthalb Jahrzehnte nach Krieg, schweren Menschenrechtsverletzungen und Vertreibung integrieren wir Kroatien in das große europäische Friedensprojekt. Kroatien ist geschichtlich und auch kulturell ein zutiefst europäisches Land, und jetzt wird es auch Teil unserer politischen Familie. Ich denke, wir können parteiübergreifend feststellen: Diese Debatte mag unspektakulär und unaufgeregt verlaufen, aber das Ergebnis ist historisch. Wir gratulieren Ihnen, Herr Botschafter, stellvertretend für das kroatische Volk. ({0}) Kroatien hat unter großen Anstrengungen sein Staatswesen aufgebaut und seit seinem Beitrittsantrag 2005 seine politische, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung am Standard der Europäischen Union ausgerichtet. Bei der Erfüllung der Kriterien und Auflagen für die Mitgliedschaft gab und gibt es keine Rabatte. Kroatien wird als vollwertiges europäisches Mitglied den allgemeinen Überwachungsmechanismen unterworfen sein. Ich begrüße die Versicherungen der kroatischen Regierung, auch nach dem Beitritt bei den Reformanstrengungen nicht nachzulassen. Dies ist nicht der Schlusspunkt einer Entwicklung. Die Entwicklung geht weiter. Der Beitritt Kroatiens zeigt, dass die Strahlkraft der Europäischen Union ungebrochen ist. Europa ist eben nicht nur Krise. Die europäische Perspektive ist der Treibstoff für den Reformmotor in unserer Nachbarschaft. Diejenigen, die schon länger in diesem Hohen Haus Mitglied sind, erinnern sich bestimmt an manche Debatte, die wir gerade über den Balkan geführt haben. Was haben wir hier manchmal mitgelitten? Was haben wir über die Kriege gesprochen, über die Tausende von Toten? Was haben wir über die vielen Vertriebenen gesprochen, die Flüchtlinge, die auch in unser Land gekommen sind? Denken wir einmal daran, welche Debatten es in den 90er-Jahren gab, zum Beispiel unsere Beratungen im alten Deutschen Bundestag in Bonn. Dass wir heute so weit sind, erfüllt mich und, wie ich glaube, alle Kolleginnen und Kollegen mit ganz großem Glück. Europa ist attraktiv - das ist die Nachricht, die heute an alle Bürgerinnen und Bürger Europas gesendet wird. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Josip Juratovic. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kroatiens Beitrittsprozess war so lang und so intensiv wie kein anderer EU-Beitrittsprozess zuvor, und das war gut so. Der Beitrittsprozess hat die kroatische Gesellschaft reifen lassen. Nach der Monarchie, dem Faschismus, dem Kommunismus und dem nationalistischen Postkommunismus ist Kroatien endlich in einer funktionierenden Demokratie angekommen. Mit den Forderungen der EU nach mehr Demokratie und nach effizienter und unabhängiger Justiz hat sich die kroatische Gesellschaft modernisiert. Dass Kroatien der EU beitritt, ist nicht nur für die Kroatinnen und Kroaten gut, sondern auch für die Europäische Union, und zwar aus vier Gründen: Erstens. Dank seiner Reife kann Kroatien mit seinen Herausforderungen jetzt selbstständig umgehen. Zweitens. Kroatien übernimmt eine Vorbildfunktion für die anderen Staaten des westlichen Balkans. Das Beispiel Kroatien zeigt: Es lohnt sich, Reformen durchzuführen. Drittens. Kroatien nimmt eine aktive Vermittlerrolle zwischen der EU und dem westlichen Balkan ein. Dadurch ist Kroatien ein Garant für Frieden und Stabilität in Südosteuropa. Viertens. Kroatien wird innerhalb der EU ein verlässlicher Partner bei der Lösung der europäischen Herausforderungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich spreche heute aber nicht nur zu diesem feierlichen Anlass. Wir als SPD-Fraktion fordern die sofortige Arbeitnehmerfreizügigkeit für die kroatischen EU-Bürger. ({0}) Europa ist eine Wertegemeinschaft. Zu den Werten unserer Gemeinschaft zählen vor allem Frieden, Freiheit und Solidarität. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die Übersetzung des europäischen Freiheitswertes in ein konkretes Recht für jeden Einzelnen. Dieses Freiheitsrecht muss vor allem für die Menschen gelten; es darf nicht nur für den freien Verkehr von Waren und Kapital gelten. Wir dürfen die Menschen nicht in „brauchbar“ und „unbrauchbar“ einteilen, nach dem Motto: Die einen lassen wir rein, die anderen nicht. Jeder europäische Bürger hat das Recht auf diese Freiheiten und sollte gleiche Chancen auf Arbeit haben. ({1}) Nun gibt es Kritiker, die Panik verbreiten, dass unser Arbeitsmarkt überschwemmt würde. Doch es gibt keinen Grund zur Panik. Denn die Erfahrungen aus den vergangenen EU-Beitritten zeigen: Diejenigen, die kommen wollen, kommen so oder so nach Deutschland, ob sie regulär arbeiten dürfen oder nicht. Wenn sie nicht als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten dürfen, dann zwingen wir sie allerdings in ihrer Not in die Scheinselbstständigkeit und in die Schwarzarbeit. Das ist Ausbeutung. Das kann nicht in unserem Sinne sein. ({2}) Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit stärken wir hingegen gute Arbeit in Deutschland und in Europa. Wir machen einen Fehler, wenn wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien mit der sogenannten Armutszuwanderung aus Südosteuropa vermischen. Die Armutszuwanderung ist ein europaweites Phänomen, das auch europaweit gelöst werden muss. Vor allem brauchen wir eine Lösung, wie die Kommunen entlastet werden, die so knapp bei Kasse sind, dass schon verhältnismäßig wenige Asylbewerber eine finanzielle Herausforderung darstellen. Der Bundesrat hat die Bedeutung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits erkannt und beschlossen, dass keine Übergangsfristen für Kroatien gelten sollen. Die Bundesregierung will jedoch, dass Deutschland die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien einschränkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Gewähren Sie den kroatischen EU-Bürgern die gleichen Rechte, die für alle Europäer gelten! ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zur Europäischen Union war für Kroatien sehr lang. Kroatien hat dabei viel Unterstützung aus Europa erfahren, insbesondere aus Deutschland. Der Vorsitzende des Europaausschusses im kroatischen Parlament, Daniel Mondekar, hat mich darum gebeten, in seinem Namen dem Bundestag für diese großartige Unterstützung zu danken. Dem Dank schließt sich auch der kroatische Botschafter Dr. Kovač an. Auch für mich als gebürtigen Kroaten geht mit dem EU-Beitritt Kroatiens ein Traum in Erfüllung. Dafür danken wir allen Fraktionen dieses Hauses, die den Beitritt Kroatiens aktiv und konstruktiv begleitet haben. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kroatien wird der Europäischen Union in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise beitreten. Kroatien ist bereit, einen aktiven Beitrag zu leisten, damit die EU diese Krise bald hinter sich lässt. Dies ist eine ermutigende Nachricht. Erstens zeigt dies, dass Solidarität nicht nur von der EU einem Beitrittskandidaten gewährt wird, sondern diese auch erwidert wird. Zweitens zeigt der Beitritt Kroatiens, dass das europäische Projekt nicht der Vergangenheit angehört, sondern der Zukunft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Karl Holmeier. ({0})

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Botschafter! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in einer Zeit, in der diejenigen, die an der europäischen Idee zweifeln, immer lauter das Wort ergreifen, in einer Zeit, in der Europaskeptiker leider immer mehr Gehör finden, zuerst ein paar Worte an die Kritiker eines Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union richten: Am 1. Juli dieses Jahres wird nicht irgendein Land das 28. Mitglied der Europäischen Union, am 1. Juli tritt ein Land der Europäischen Union bei, das eine lange europäische Tradition hat und das im Übrigen ein traditionell sehr beliebtes Urlaubsland von uns Deutschen ist. Mit Kroatien tritt aber auch ein Land der Europäischen Union bei, das einen unvorstellbar langen und steinigen Weg gegangen ist, um dort anzukommen, wo es heute steht. Ich denke dabei zum einen an die schrecklichen Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, an die Kriegsereignisse, nach denen das Land erst mühsam wiederaufgebaut werden musste. Zum anderen denke ich aber auch an das Beitrittsverfahren, das Kroatien durchlaufen hat: Es war eines der längsten und inhaltlich strengsten in der Geschichte der Erweiterung der Europäischen Union. Kroatien bekam die Konsequenzen zu spüren, die die Europäische Union aus den negativen Erfahrungen mit vergangenen Beitritten gezogen hat. So hat die Europäische Union den Beitritt Kroatiens nicht, wie von einigen gefordert, schon im Jahr 2012 vollzogen und sich auf ein sogenanntes Nachmonitoringverfahren eingelassen, ({0}) sondern ganz genau darauf geachtet, dass sämtliche Voraussetzungen für einen Beitritt Kroatiens vollumfänglich erfüllt sind. Das war langwierig und hart für die Kroaten; aber es hat sich, glaube ich, ausgezahlt. Die Europäische Kommission hat Kroatien dann am 26. März 2013 die Beitrittsreife in vollem Umfang bestätigt. Es ist daher nur folgerichtig, dass wir heute auch im Deutschen Bundestag dem Beitritt Kroatiens zustimmen. Darüber freue ich mich für Kroatien und für die Menschen in diesem Land. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Zeit der Krisen, in der zunehmend die Tendenz vorherrscht, nach einer Stärkung der Nationalstaaten zu rufen, einen Austritt aus der Euro-Zone zu fordern oder sogar über einen Austritt aus der Europäischen Union nachzudenken, sollte man sich immer wieder klarmachen, welchen unschätzbaren Wert die Europäische Union für uns alle hat. Die Europäische Union hat nicht ohne Grund den Friedensnobelpreis bekommen. Die europäische Integration ist der Garant für Frieden, Freiheit, Wohlstand und die Wahrung gemeinsamer Werte in Europa. Gerade wir Deutsche haben seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von den positiven Aspekten der europäischen Integration profitiert wie kaum ein anderes Land in Europa. Wir leben seit 68 Jahren in Frieden mit unseren europäischen Partnern. Das ist eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. Der Wohlstand der Menschen in Europa ist stetig gewachsen, vor allem im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt. Wir haben mit dem Maastrichter Vertrag eine echte Wertegemeinschaft geschaffen, die auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht. Wir haben eine Gemeinschaft geschaffen, die weltweit einzigartig ist und in der sich die Menschen völlig frei bewegen und frei entscheiden können, wo sie leben und wo sie arbeiten möchten. Mit der jetzigen Aufnahme Kroatiens gehen wir diesen Weg in eine europäische Integration konsequent weiter. Wir geben diesem Land damit nicht nur die Möglichkeit, von den zahlreichen Vorteilen der Union ebenfalls zu profitieren. Wir geben Kroatien auch eine Perspektive für eine positive Zukunft und setzen zugleich ein klares Zeichen für Stabilität, um die Attraktivität und die Chancen der europäischen Wertegemeinschaft zu verbessern. Gerne möchte ich an dieser Stelle aber auch ein paar Worte an die Kroaten selbst richten. Zunächst möchte ich den Kroaten ein großes Lob und die ausdrückliche Anerkennung für die Arbeit aussprechen, die dieses Land in den letzten Jahren, Monaten und Wochen geleistet hat. Wir alle wissen, wie schwierig der Weg zu grundlegenden Reformen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Gemeinschaft mit künftig 28 Mitgliedstaaten ist es unerlässlich, eine gemeinsame Basis zu haben, auf der man sich begegnet. Die weltweit einzigartigen Freiheiten und Vorteile, die die Europäische Union gewährt, erfordern einheitliche Regelungen, an die sich alle Beteiligten halten müssen. Die Europäische Kommission hat daher den Kroaten noch im Oktober vergangenen Jahres klarmachen müssen, dass die von ihr aufgezählten Mängel zwingend beseitigt werden müssen, bevor ein Beitritt stattfinden kann. Das war kurz vor dem Ziel noch einmal ein harter Schlag für das Land; denn damit war klar, dass Kroatien nicht beitreten kann, wenn nicht innerhalb kürzester Zeit erhebliche weitere Reformanstrengungen unternommen werden. Kroatien hat hart gearbeitet und darf nun den verdienten Lohn dafür ernten. Ich gratuliere dem Land und den Menschen hierzu und freue mich, dass wir Kroatien am 1. Juli 2013 als 28. Mitgliedsstaat und künftigen neuen Partner innerhalb der Europäischen Union begrüßen dürfen. In meiner Heimatgemeinde gibt es eine einzigartige Europaallee, sozusagen einen kleinen Wanderweg durch Europa. In dieser Allee ist für jedes Land der Europäischen Union ein landestypischer Baum gepflanzt. Die Menschen können hier einen Spaziergang durch Europa machen; vor allem viele Schüler kommen hierher. Ich freue mich daher ganz besonders, dass nach dem Beitritt Kroatiens im Juli der Baum für Kroatien gepflanzt werden kann. Ich darf Sie, sehr verehrter Herr Botschafter, zu diesem Termin recht herzlich in meine Heimatgemeinde einladen. In diesem Sinne: Herzlich willkommen, Kroatien! Alles Gute und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Europäischen Union! Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Horst Meierhofer von der FDP-Fraktion. ({0}) - Ich bitte Sie, die drei Minuten noch in Ruhe abzuwarten und zuzuhören, weil dann die namentliche Abstimmung folgt. - Bitte, Herr Meierhofer.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Vorsitzender der Deutsch-Kroatischen Parlamentariergruppe - dies darf ich seit dreieinhalb Jahren sein - als Letzter zu diesem wichtigen Tagesordnungspunkt sprechen darf. Ich glaube, wenn man die Begegnungen in Kroatien erlebt hat und gesehen hat, welches Ansehen Deutschland in Kroatien genießt, dann weiß man, dass wir uns auf einen wirklich engen Freund Deutschlands in der Europäischen Union freuen dürfen. ({0}) Deutschland ist seit wirklich langen Jahren ein besonders enger Freund. Wir haben das vorhin schon in einer anderen Intonation, als es mir recht wäre, gehört. Dabei ging es auch um die Anerkennung und die Rolle, die Hans-Dietrich Genscher damals gespielt hat. Spätestens seitdem gibt es eine besonders gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die über die Jahre fortgesetzt und jetzt in dem Beitrittsprozess in vielen Kleinigkeiten, aber auch bei vielen wichtigen Punkten unterstrichen wurde, zum Beispiel durch den bereits erwähnten Staatssekretär Haußner, der im Justizministerium mitgeholfen und den Kroaten gezeigt hat, wie sie im Justizsystem noch etwas verbessern können. Er trat nicht als Lehrmeister von außen auf, sondern hat sich als Teil Kroatiens verstanden. Ich glaube, das kam sehr gut an. Dafür auch herzlichen Dank ans Auswärtige Amt, das dies zusammen mit dem Freistaat Bayern ermöglicht hat. ({1}) Bei vielen Besuchen hatten wir auch die Möglichkeit, mit jungen Menschen zusammenzukommen. Man konnte erkennen, wie weltoffen, neugierig und europäisch die Kroaten - gerade die jungen Kroaten - geprägt sind und dass sie mit den alten Gefechten und Schwierigkeiten, die es in Ex-Jugoslawien noch gibt, nichts mehr zu tun haben und sich ganz anders orientieren. Auch deswegen ist es besonders wichtig, dass Kroatien jetzt endlich diese Chance hat. Ich finde es ebenso besonders erfreulich, dass der sozialdemokratische Staatspräsident Josipovic immer wieder auch die eigene Schuld darstellt. Es ist eine Leistung, so kurz nach einer Zeit, in der man Opfer eines Krieges war, trotzdem zu sagen: Auch wir haben Fehler gemacht. Das spricht für eine große demokratische Reife. Auch das zeigt, wie wichtig Kroatien als Anker für die Region ist und welche Möglichkeiten Kroatien haben wird, die Nachbarn mit auf den Weg zur europäischen Integration zu nehmen, auf die wir uns alle freuen. Viele von uns denken, dass Kroatien relativ weit weg ist. Aus München fliege ich eine Stunde nach Berlin; nach Kroatien, nach Zagreb, dauert der Flug von München 45 Minuten. Daran erkennt man, wie nah wir zuHorst Meierhofer sammen sind. In den Köpfen ist dieses Bewusstsein oft noch nicht so ausgeprägt, außer vielleicht bei dem einen oder anderen im Urlaub: Wir gehören zusammen, und wir müssen in der Europäischen Union gut zusammenarbeiten. Der Außenminister hat es bereits gesagt: Der Beitritt ist nicht das Ende des Weges, sondern er ist der Anfang. Das wissen auch die Kroaten. Sie haben sich im letzten Jahr, in einer Zeit, als die Europäische Union schon große Schwierigkeiten hatte, in einem Referendum mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln ganz klar für die Europäische Union ausgesprochen. Der Botschafter selbst hat gesagt, dass sich vielleicht die Euphorie hin zum Realismus gewandelt habe. Aber ich glaube, es ist keine schlechte Grundvoraussetzung, wenn man sich trotz der schwierigen Zeiten klar zu Europa bekennt. Darauf und darüber freuen wir uns. Wir freuen uns auf Kroatien, wir freuen uns auf einen deutschen und auf einen europäischen Freund. Herzlich willkommen! ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich Ih- nen mitteilen, dass zahlreiche Erklärungen nach § 31 un- serer Geschäftsordnung vorliegen, die zu Protokoll ge- nommen werden.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13444, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11872 anzunehmen. Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir nun drei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Wir führen jetzt gleich die namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf zu dem Vertrag über den Beitritt Kroatiens durch, anschließend folgt ohne Debatte die namentliche Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 57 c betreffend die Sammlung von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt und schließlich die namentliche Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9 über den Bundeswehreinsatz vor der Küste Somalias. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf zum Beitritt Kroatiens ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung und bitte darum, die Stimmkarten einzuwerfen. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf Drucksache 17/13444 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12182 mit dem Titel „EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg führen“. Ich bitte um Handzeichen derjenigen, die dieser Beschlussempfehlung zustimmen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen SPD und Grüne bei Enthaltung der Linken. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12821 mit dem Titel „Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitrittsprozessen beteiligen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Repu- blik Kroatien zur Europäischen Union bekannt: abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 583, keine Neinstimmen, 6 Enthaltungen.1) Anlagen 2 und 3 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 583 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens ({0}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({8}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({9}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({10}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({11}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({12}) Anita Schäfer ({13}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({14}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({15}) Dr. Kristina Schröder ({16}) Dr. Ole Schröder Uwe Schummer Armin Schuster ({17}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({18}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({19}) Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({20}) Peter Weiß ({21}) Sabine Weiss ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({23}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({24}) Edelgard Bulmahn Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Elke Ferner Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({25}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Hubertus Heil ({27}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz ({28}) Frank Hofmann ({29}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h.c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Daniela Kolbe ({30}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({32}) Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({33}) Michael Roth ({34}) ({35}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({36}) Bernd Scheelen ({37}) Werner Schieder ({38}) Ulla Schmidt ({39}) Carsten Schneider ({40}) Swen Schulz ({41}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h.c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz ({42}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({43}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Gerhard Drexler Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({44}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h.c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({45}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({46}) Michael Link ({47}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({48}) Dr. Martin Neumann ({49}) Hans-Joachim Otto ({50}) Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Frank Schäffler Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören ({51}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({52}) DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({53}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({54}) Volker Beck ({55}) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Priska Hinz ({56}) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Renate Künast Undine Kurth ({57}) Dr. Tobias Lindner Jerzy Montag Kerstin Müller ({58}) Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({59}) Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner ({60}) Wolfgang Wieland Enthalten SPD Willi Brase Ulla Burchardt DIE LINKE Annette Groth Heike Hänsel fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković ({61}) Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13445, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf Drucksache 17/12769 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Entschuldigung, es ist sehr schwierig, den Über- blick zu gewinnen, weil ich kaum etwas sehe. - Also Ablehnung der Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange- nommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13520. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Grünen und Enthaltung der Linken. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13521. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 57 c auf: c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt - Drucksache 17/13030 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({62}) - Drucksache 17/13348 - Berichterstattung: Abgeordneter Gustav Herzog Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Zur Abstimmung liegen wiederum zahlreiche Erklä- rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetz- entwurfs, über den wir jetzt gleich namentlich abstim- men werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit, das sind 311 Stimmen, erforderlich ist. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver- kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner 1) Anlagen 6 und 7 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13348, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13030 in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu liegt der Änderungsantrag der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/13481 vor, über den wir zuerst ab- stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU und der FDP? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der SPD und der Linken an- genommen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen - mit der so- eben beschlossenen Änderung -, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD. Interfraktionell ist vereinbart, trotz der Annahme ei- ner Änderung sofort in die dritte Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim- mung verlangt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben ihre Plätze besetzt. Dann können wir mit der na- mentlichen Abstimmung beginnen. Ich bitte, die Stimm- karten einzuwerfen. Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.1) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({63}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen ({64}) von 1982 und der Resolutionen 1814 ({65}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({66}) vom 2. Juni 2008, 1838 ({67}) vom 7. Oktober 2008, 1846 ({68}) vom 2. Dezember 2008, 1851 ({69}) vom 16. Dezember 2008, 1897 ({70}) vom 30. November 2009, 1950 ({71}) vom 23. November 2010, 2020 ({72}) vom 22. November 2011, 2077 ({73}) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union ({74}) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/ GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 - Drucksachen 17/13111, 17/13529 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Jan van Aken Kerstin Müller ({75}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({76}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13534 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Willsch Petra Merkel ({77}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich die Kollegen, die der Aussprache nicht folgen wollen, bitten, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen den Rednern zuhören können. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion. ({78})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitdem wir vor einem Jahr das letzte Mal über das Atalanta-Mandat gesprochen haben, hat sich in der Region, über die wir sprechen, erfreulicherweise vieles zum Positiven geändert. ({0}) Während im Jahr 2011 noch 32 Schiffe mit 700 Geiseln gekapert waren, befinden sich gegenwärtig nur noch zwei Schiffe mit sage und schreibe 54 Geiseln - das ist immer noch zu viel - in der Hand der Piraten. Im letzten Jahr hat es keinen einzigen erfolgreichen Piratenangriff gegeben. Das ist auch ein Erfolg des Mandates Atalanta. ({1})1) Ergebnis Seite 30239 C Natürlich gibt es auch andere Faktoren - das wissen wir; ich komme darauf noch zu sprechen -; aber es ist auch ein Erfolg des Mandates Atalanta. Als wir hier vor einem Jahr zusammengesessen und dieses Mandat um die Option, auf Land tätig zu werden, erweitert haben, haben die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ein Horrorszenario gezeichnet. Ich möchte Ihnen einige Ihrer damaligen Aussagen vorhalten. Die Kollegin Buchholz der Linken hat gesagt: Die Ausweitung des Atalanta-Mandats ist eine Kriegserklärung gegen die Zivilbevölkerung in Somalia. ({2}) Der Kollege Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen hat gesagt: Denn ich befürchte, dass wir durch den Einsatz der Bundeswehr an Land bald hier in Deutschland Bilder von sogenannten Kollateralschäden an Menschen, die an der Küste Somalias durch die Bundeswehr verursacht werden, bekommen werden. ({3}) Herr Arnold hat sich ähnlich negativ geäußert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder kann sich täuschen. Aber wer sich in einer so dramatischen Weise getäuscht hat, der sollte seine Haltung überdenken und heute anders als vor einem Jahr stimmen. ({4}) Die Lage auf See vor Somalia hat sich verbessert; das hatte ich kurz ausgeführt. Aber auch innerhalb Somalias gibt es Fortschritte. Es gibt langsame Fortschritte bei der Regierungsbildung. Wir wissen, dass auch die jetzige Regierung fragil ist und dass sie keinen Zugriff auf Puntland und Somaliland hat - ganz wichtig -, und deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung dafür gesorgt hat, dass wir einen Teil unserer Entwicklungshilfe unmittelbar nach Somaliland und Puntland bringen können, also dorthin, wo die Leute Hilfe brauchen. Das ist die Devise der Bundesregierung. Ich finde, wir haben allen Anlass, das zu begrüßen. ({5}) Wir unterstützen die Vereinten Nationen beim Aufbau der Gerichtsbarkeit und des Justizwesens in Somaliland und Puntland. Auch das ist ein ganz wichtiges Element zur Stabilisierung. Diese Maßnahmen sind abgewogen. Sie sind sinnvoll. Sie werden seit einigen Monaten um die EU-Mission NESTOR ergänzt, die die Region langfristig in die Lage versetzen soll, selbst gegen Piraterie vorzugehen. Auch das ist eine sinnvolle Geschichte. Meine Damen und Herren, wir können also von einem erfolgreichen Mandat sprechen. Wir können von einem erfolgreichen Vorgehen sprechen. Wir können von einem Erfolg einer konzertierten Aktion von militärischen und zivilen Maßnahmen sprechen. Das ist das Konzept dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition seit Anbeginn. Jeder von uns weiß, dass wir allein mit militärischen Mitteln Konflikte nicht auf Dauer lösen können. Wir wissen aber auch, jedenfalls wir auf der Seite des Hauses, die die Regierung trägt, dass es manchmal notwendig ist, auch mit militärischen Mitteln dafür zu sorgen, dass Frieden und Stabilität überhaupt erst möglich sind. ({6}) Ich fordere die Oppositionskollegen auf, diese Binsenweisheit bei ihrem Abstimmungsverhalten heute zu realisieren. Was sehen wir stattdessen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD? Sie verweigern sich der Realität. Sie haben jahrelang dem Atalanta-Mandat zugestimmt - zu Recht. Sie haben es das letzte Mal mit den absurden Begründungen, die ich teilweise vorgelesen habe - ich kann auch alle vorlesen -, abgelehnt. Sie sind durch die Realität eines Besseren belehrt worden. Was gäbe es Besseres für Sie, als zu sagen: „Wir haben einen Fehler gemacht; heute stimmen wir dem zu, genauso wie wir es in den Jahren zuvor gemacht haben“? ({7}) Das wäre der richtige Weg für eine Partei, die den Anspruch erhebt, außen- und sicherheitspolitisch Verantwortung in Deutschland zu übernehmen. Diesen Anspruch erheben Sie ja noch - ich nehme es an; ich weiß es nicht -, ({8}) vielleicht ja ab heute nicht mehr. Die Grünen loben in dem Entschließungsantrag den Erfolg des Mandats bzw. der Bemühungen - das finden wir sehr gut -, sind dann aber nur bereit, sich heute kraftvoll zu enthalten. ({9}) Auch Ihnen rufe ich zu: Sie haben dem Mandat doch immer zugestimmt. ({10}) Erst beim letzten Mal haben Sie dieses absurde Verhalten an den Tag gelegt. Von daher: Geben Sie sich einen Ruck! Ich kenne viele Kollegen, verstehe mich mit vielen von Ihnen auch persönlich sehr gut; das geht zum Glück im Deutschen Bundestag. ({11}) Aber ich weiß, dass einige von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wirklich Nackenschmerzen haben vom Kopfschütteln über die Entscheidungen, die Ihre beiden Fraktionsführungen hier getroffen haben und die Sie zwingen, heute gegen etwas zu stimmen, was Sie eigentlich als sinnvoll erachten. ({12}) Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Auskurieren Ihrer Nackenschmerzen. ({13}) - Herr Ströbele, Sie bekommen sicherlich nachher noch Redezeit von Ihrer Fraktion. ({14}) Deshalb möchte ich Ihnen heute keine zusätzliche Redezeit geben. Ich nehme an, Sie werden von Ihrer Fraktion heute als Redner nominiert. Darauf freue ich mich schon.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Stinner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, erlaube ich nicht. ({0}) Das ist ja jedes Mal so - ich habe Herrn Ströbele schon öfter Redezeit gegeben -: Herr Ströbele ist nicht in der Lage, sich in seiner Fraktion durchzusetzen und zu erreichen, dass seine Fraktion ihm Redezeit gibt. Ich sehe nicht ein, warum wir als Koalition Herrn Ströbele das Forum für seine zum Teil sehr absurden Stellungnahmen geben sollen. Das mache ich nicht. ({1}) Meine Damen und Herren, wir können mit Fug und Recht sagen - das zum Schluss -: Das, was wir hier betreiben, ist ein Leuchtturmprojekt europäischer Außenund Sicherheitspolitik. Wir sind stolz darauf, hier in Kombination von zivilen und militärischen Maßnahmen vorzugehen. Die FDP stimmt diesem Mandat heute zu. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zunächst gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt - es ging um das Erste Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt -: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 378, mit Nein haben gestimmt 71, Enthaltungen 138. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 587; davon ja: 378 nein: 71 enthalten: 138 Ja CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens ({0}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Karl A. Lamers ({8}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({9}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({10}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({11}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({12}) Anita Schäfer ({13}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({14}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({15}) Dr. Kristina Schröder ({16}) Dr. Ole Schröder Uwe Schummer Armin Schuster ({17}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({18}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({19}) Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({20}) Peter Weiß ({21}) Sabine Weiss ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({23}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Gerhard Drexler Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({24}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h.c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({25}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({26}) Michael Link ({27}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Dr. Christiane RatjenDamerau Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({28}) Dr. Martin Neumann ({29}) Hans-Joachim Otto ({30}) Jörg von Polheim Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Frank Schäffler Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Torsten Staffeldt Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören ({31}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({32}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({33}) Volker Beck ({34}) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Priska Hinz ({35}) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Renate Künast Undine Kurth ({36}) Dr. Tobias Lindner Jerzy Montag Kerstin Müller ({37}) Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({38}) Manuel Sarrazin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner ({39}) Wolfgang Wieland Nein SPD Michael Groß Ewald Schurer DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({40}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({41}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({42}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({43}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({44}) Hubertus Heil ({45}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz ({46}) Frank Hofmann ({47}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h.c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Daniela Kolbe ({48}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({49}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({50}) Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({51}) Michael Roth ({52}) ({53}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({54}) Bernd Scheelen ({55}) Werner Schieder ({56}) Ulla Schmidt ({57}) Carsten Schneider ({58}) Swen Schulz ({59}) Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h.c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz ({60}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ({61}) Jetzt erteile ich zu einer Kurzintervention das Wort dem Kollegen Christian Ströbele. ({62})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehen Sie, Herr Kollege Stinner, so einfach machen wir es Ihnen nicht. Ich weise Sie darauf hin - das hätte ich Ihnen auch schon im Auswärtigen Ausschuss gesagt, wenn wir darüber diskutiert hätten; aber das ist ja diesmal ausgefallen -, dass sich natürlich alle freuen, auch ich, dass die Zahl der Kaperungen von Handelsschiffen durch Piraten an der Küste vor Somalia und im Indischen Ozean zurückgegangen ist. Der Rückgang ist dramatisch: über zwei Drittel. ({0}) Aber die Frage ist: Wird der Rückgang durch die Kriegsschiffe, die deutsche Fregatte oder die internationale Armada bewirkt? Ich sage Ihnen: Nein. Sie haben mich vorhin zitiert. Hätten Sie meine persönliche Erklärung anlässlich der letzten Entscheidung zu diesem Mandat gelesen, dann wüssten Sie, dass ich immer wieder gefordert habe, dass sich die Reeder so verhalten, wie es die internationalen Seerechtsrichtlinien vorschreiben. Das haben sie aus Kostengründen nicht getan. Diese sehen nämlich vor, dass sie Schiffe benutzen, die schneller fahren, und dass sie auch tatsächlich schneller fahren. Das kostet zwar mehr Sprit und mehr Öl, ({1}) bringt aber ein gewisses Maß an Sicherheit. Es ist immer wieder gefordert worden, dass die Reeder versuchen, ihre Reling mit NATO-Draht oder Ähnlichem zu befestigen. Schließlich wird gefordert, dass sie in Konvois fahren. ({2}) All das ist im letzten Jahr viel mehr praktiziert worden. Außerdem haben inzwischen - das wissen Sie so gut wie ich - mehr als 70 Prozent der Schiffe zivile Sicherheitskräfte an Bord. Deshalb ist die Anzahl der Überfälle bzw. Kaperungen zurückgegangen. Das ist gut und richtig. Daher brauchen wir keine Kriegsarmada im Indischen Ozean. Daher brauchen wir dort auch keine Bundeswehr. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Rainer Stinner.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie mir durch Ihre Intervention nochmals die Gelegenheit geben, unseren intensiven Dialog fortzusetzen, was ich außerordentlich gerne tue. Sie haben völlig recht, Herr Ströbele - das habe ich deutlich gesagt -: Das, was wir erleben, ist das Ergebnis eines Bündels von verschiedenen Maßnahmen; gar keine Frage. Ich habe sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Kombination von militärischer Präsenz und Zivilmaßnahmen zu diesem erfreulichen Ergebnis beigetragen hat. Daraus machen wir gar keinen Hehl. Im Übrigen ist es erstaunlich, Herr Ströbele, dass Sie sagen, dass die Präsenz von Teams an Bord ein wesentlicher Baustein ist. Dafür muss zunächst einmal der rechtliche Rahmen geschaffen werden. Ich habe bisher nicht gesehen, dass Sie dem Gesetzentwurf, der dafür sorgt, dass solche Teams an Bord eingesetzt werden dürfen, Begeisterung entgegengebracht haben. Das ist ein gewisser Widerspruch. Ein Letztes, Herr Ströbele. Ihr sogenannter maritimer Vorschlag, die Schiffe sollten schneller fahren, lässt mich an folgenden Vergleich denken: Wir könnten es ja auch nicht akzeptieren, wenn Lkws auf der Strecke von Berlin nach Köln von Dieben aufgehalten werden. Dann müssten wir auch sagen, dass wir die Lkws mit Maserati-Motoren ausrüsten, damit sie den Dieben voranfahren können. Das ist ein bisschen blauäugig, Herr Ströbele. Auf Ihre Kompetenz, was das operative Abwehren von Piraten angeht, würden wir auch in Zukunft am liebsten verzichten. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dietmar Nietan. ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stinner, ich werde den Verdacht nicht los, dass Sie sich mit dem Kollegen Ströbele abgesprochen haben, damit Sie gegenseitig etwas mehr Redezeit bekommen. ({0}) Im Ernst: Sie haben völlig richtig dargestellt: Seitdem es das Mandat gibt, seit 2008, hat die SPD dem Mandat immer zugestimmt; im letzten Jahr jedoch nicht. Ich bin sehr froh, dass Sie unsere Begründungen sehr intensiv studiert haben; aber Sie haben nicht alle genannt. Eine Frage, die wir immer wieder gestellt haben, war folgende: Gibt es eine militärische Begründung, den EinDietmar Nietan satz auf einen bestimmten Streifen an Land auszuweiten, um sicherzustellen, dass die Bekämpfung von Piraterie effektiviert wird? Oder ist dies nicht im Sinne der Abwägung der Chancen und Risiken abzulehnen, weil dies militärisch wahrscheinlich nicht viel Sinn macht, aber die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu Kollateralschäden, also zu Verletzungen in der Zivilbevölkerung, kommt? Wenn Sie sich die Situation seit dieser Mandatserweiterung anschauen, stellen Sie fest: Es hat nur einen Einsatz gegeben. Das war, wenn ich mich richtig erinnere, im Mai 2012. Seitdem hat es keinen Einsatz mehr gegeben. Das war eines unserer Argumente. Es ist für die Piraten sehr leicht, auf andere Küstenstreifen oder weiter ins Landesinnere auszuweichen. Aus diesem Grund haben wir den militärischen Nutzen der Erweiterung des Mandats auf einen Streifen von 2 000 Metern letztlich nicht gesehen. Was wir aber gesehen haben, ist die Gefahr, dass es, wenn auch unbeabsichtigt, zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung kommt. Infolge dieser Abwägung haben wir das Mandat damals abgelehnt. Wir haben es nicht abgelehnt, weil wir es grundsätzlich für falsch erachten; sonst hätten wir die Jahre zuvor nicht zugestimmt. Da es seit diesem einen Einsatz im Mai 2012 aber keine weiteren Einsätze mehr gegeben hat, gehen wir davon aus, dass diese Mandatserweiterung nicht mehr notwendig ist. Wir haben Ihnen auch angetragen, zu überlegen, ob man die Abstimmung in zwei Teile aufsplitten kann, damit wir deutlich machen können, dass wir der Bekämpfung der Piraterie und dem Mandat grundsätzlich zustimmen. Das ist nicht geschehen. Deshalb sehe ich für unsere Fraktion keinen Grund, warum wir unser Abstimmungsverhalten heute ändern sollten. ({1}) - Herr Kauder sagt gerade, ich soll es noch mal wiederholen, damit mehr klatschen. Ich will die Redezeit aber nicht über Gebühr ausweiten. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen, den ich für sehr wichtig erachte. In der Tat - das hat Kollege Stinner bereits gesagt - ist ein Rückgang der Zahl der Überfälle am Horn von Afrika zu verzeichnen. Das ist eine positive Entwicklung; das wollen wir in keiner Weise infrage stellen. Wir müssen aber vielleicht noch einmal überlegen, was wir insgesamt tun können, um die Piraterie schon in ihren Ursachen weltweit besser zu bekämpfen. Denn wir stellen fest, dass es an anderen Stellen in der Welt eine Zunahme der Piraterie gibt. Ich verweise auf Entwicklungen an der westafrikanischen Küste und auf Entwicklungen im Indischen Ozean, vor Kenia, vor Tansania, vor dem Jemen und vor dem Oman. Wir müssen intensiv miteinander darüber reden, was wir insgesamt tun können, um die Piraterie besser zu bekämpfen. Dabei ist es wichtig, nicht nur auf die militärische Komponente zu schauen, sondern uns zu fragen: Was können wir in Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit, den Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen und den Aufbau von Polizeistrukturen in den betroffenen Staaten tun? Wo können wir unser Engagement ausweiten, um in den betroffenen Ländern, also in den Ländern, in denen himmelschreiende Armut und Ungerechtigkeit herrschen, die Ursachen für Piraterie zu bekämpfen? An diesem Grundübel müssen wir etwas ändern. ({3}) Das gilt natürlich auch für Somalia. Es ist sehr wichtig, zu überlegen, was wir tun können, um die Situation in Somalia zu stabilisieren. Wir müssen überlegen, was wir gemeinsam mit Partnern tun können, um eine positive Entwicklung Somalias, weg von einem Failing State, zu ermöglichen. Wir müssen das Engagement in zivilen Strukturen, in Fragen der Entwicklungszusammenarbeit auch dort verbessern. Wichtig ist auch - das gehört für mich ebenso zu den zivilen Komponenten; ich habe das schon erwähnt -, die Ausbildung der regionalen Küstenwache und der regionalen Polizeistrukturen, zum Beispiel durch die EU-Mission EUCAP NESTOR, weiter auszubauen und zu stärken. Auf diese Weise können Rechtsstaatlichkeit und Stabilität in den betroffenen Ländern - dies gilt nicht nur für Somalia - hergestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es eben schon betont: Meine Fraktion hätte sich gewünscht, wenn es bei der Abstimmung eine Trennung zwischen Mandatsverlängerung und Mandatserweiterung gegeben hätte. Das hätte es uns ermöglicht, unsere differenzierte Meinung darzustellen. Das ist nicht geschehen. Deshalb - sosehr es Sie betrübt, Herr Stinner - wird die SPD bei ihrer Ablehnung des Mandats in dieser Form bleiben. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Ingo Gädechens. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir stimmen heute erneut über die Verlängerung eines aus unserer Sicht sehr erfolgreichen Mandats ab, des Mandats der sogenannten Operation Atalanta. Wie sich sicherlich alle erinnern, gab es im vergangenen Jahr eine aus militärischer Sicht, aber auch aus Sicht der Koalitionsfraktionen notwendige Erweiterung der sogenannten Rules of Engagement, also der strikt einzuhaltenden Einsatzregeln. Diese Erweiterung erhitzte vor allem die Gemüter der Opposition; der Kollege Stinner wies schon darauf hin. Diese Erweiterung folgte dem militärischen Wunsch, die eindeutig erkannte Piratenlogistik am Strand bekämpfen zu dürfen. Diese zusätzliche Maßnahme sollte ermöglichen und hat ermöglicht, das Geschäftsmodell der somalischen Piraten effektiver zu bekämpfen, zumindest aber erheblich zu erschweren. Meine Damen und Herren, allein ein Angriff hatte eine überaus nachhaltige Wirkung: Für die Piraten geht mit dem Einsatz nicht nur auf See, sondern bereits von Land aus ein unkalkulierbares Risiko einher. Ich sage: Gut so! Die christlich-liberale Koalition hat das Einsatzgebiet und die Regeln präzise definiert und eindeutig festgelegt, sodass nur Logistik mit einer Entfernung von maximal 2 000 Metern zur Küste angegriffen werden darf. Außerdem ist der Einsatz an der Küste nur aus der Luft erlaubt. Diese nachvollziehbare, vernünftige Erweiterung der Einsatzregeln nutzten die Damen und Herren der Opposition - auch das haben wir schon gehört -, um sich mit unrealistischen Szenarien gegen eine Verlängerung der Mission zu stemmen. Man wollte eine Teilung des Mandats erreichen; aber ich denke, das macht überhaupt keinen Sinn. Die Operation Atalanta ist ein Mandat. Leider wurde in den Wortbeiträgen der Opposition noch etwas deutlich, nämlich, wie wenig Vertrauen Sie in die Führungskräfte der vor Ort handelnden Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr haben. ({0}) Von Kollateralschäden an Menschen in Somalia, verursacht durch die Bundeswehr, war seinerzeit die Rede. Nun, meine Damen und Herren, ich kann Sie sehr beruhigen: Die von uns durchgesetzte Mandatserweiterung hat sich bewährt. Es gab kein unkalkulierbares Abenteuer oder gar ein Massaker an Zivilisten an den Küsten von Somalia. Nein, wir können lediglich den Kampf gegen die Piraten seit der Erweiterung des Mandats gemeinsam mit unseren Bündnispartnern effektiver und auch nachhaltiger führen. Das Mandat sorgt insgesamt dafür, dass humanitäre Lieferungen über See bei den Menschen vor Ort sicher ankommen können, und das ist wichtig, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Somalia allein zwischen 2010 und 2012 mehr als 260 000 Menschen den Hungertod erlitten haben. Dies zeigt, wie notwendig humanitäre Hilfe und das Engagement im Rahmen der Operation Atalanta sind. 2012 konnten die Übergriffe der Piraten am Horn von Afrika vor allem durch den multinationalen Einsatz - im dortigen Seegebiet sind viele Einheiten vertreten - und die Präsenz der Soldaten spürbar eingedämmt werden. Kollege Stinner hat schon die Zahlen genannt, die den Erfolg untermauern. Der Kollege Ströbele hat natürlich in einem Punkt recht - auch das wurde bestätigt -: Wir haben gemeinsam mit dem Verband Deutscher Reeder, der Bundespolizei See, der Deutschen Marine und vielen Fachkräften Best-Practice-Methoden entwickelt, um das Entern von Handelsschiffen zu erschweren. Aber hören Sie auf, eine Erhöhung der Geschwindigkeiten zu fordern! Ein Frachtschiff fährt auf Marschfahrt mit einer Geschwindigkeit von 16 bis 18 Knoten; aber die Skiffs, die von den Piraten eingesetzt werden, haben eine Geschwindigkeit von 40 Knoten. Selbst wenn die Handelsschiffe bei der Geschwindigkeit noch 2 Knoten drauflegen, werden die Skiffs sie immer erreichen, wenn sie sie erreichen wollen. Da spreche ich Ihnen jede maritime Kompetenz ab. ({1}) Dank dieser erfolgreichen Antipiratenmission konnten über 150 Schiffstransporte des Welternährungsprogramms ihre Zielhäfen in Somalia sicher erreichen. Auch hier wissen viele, welche schwierigen Aufgaben unsere Marine im Einsatzgebiet bewältigen muss. Bis vor kurzem lag die deutsche Einheit noch wegen Nachversorgung und Instandsetzungsarbeiten im Hafen von Salalah in Oman. Seit neun Tagen, verehrte Frau Kollegin Roth, operiert die Fregatte „Augsburg“ im Seegebiet des Golfs von Aden. Alleine die Tatsache, dass diese Fregatte dort operiert, könnte doch ein Umdenken in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervorrufen, sodass sie sich nicht enthalten, sondern dem Mandat zustimmen. ({2}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen alle, dass mein Dank weniger symbolisch gemeint ist, sondern von Herzen kommt, wenn ich meinen Kameradinnen und Kameraden der Marine, sicherlich auch im Namen vieler hier im Hohen Haus, für ihren aufopferungsvollen Dienst sehr herzlich danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir können mit Fug und Recht von einer Erfolgsstory reden. Wir könnten auch eine Erfolgsstory schreiben. Dazu müssen wir das Mandat gemeinsam beschließen. Wir müssen unseren Soldatinnen und Soldaten den Rücken stärken, indem wir hier mit größtmöglicher Mehrheit einen Konsens herstellen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Christine Buchholz.

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke lehnte die Beteiligung der Bundeswehr an der Antipiratenmission Atalanta von Anfang an ab; ({0}) denn Atalanta reiht sich in eine immer länger werdende Kette von Auslandseinsätzen ein. Herr de Maizière behauptete unlängst, es gebe keine Region auf der Welt mehr, wo die Bundeswehr nichts zu suchen habe. Ich sage Ihnen: Die Bundeswehr hat am Horn von Afrika nichts zu suchen, genauso wenig wie am Hindukusch oder in Westafrika. ({1}) Der wahre Zweck von Atalanta ist es, die Marine in einer Art Dauermanöver unter Realbedingungen operieren zu lassen. Deshalb gibt es auch keine ehrliche Bilanz dieses Einsatzes. Jedes Jahr sagen Sie, dass der Einsatz weitergeführt werden muss, und Sie wiederholen das, ganz gleich, ob - wie in den Jahren vor 2012 - die Zahl der Piratenangriffe ansteigt oder ob sie - wie jetzt - zurückgeht. Es brauchte erst die Intervention des Kollegen Ströbele, um darauf hinzuweisen, dass es vor allen Dingen die Selbstbewaffnung der Reeder war, die seit 2012 die Piraterie vor Somalia zurückgedrängt hat. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Privatisierung der Sicherheit ist keine Lösung. Sie leistet keinerlei Beitrag zum nachhaltigen Kampf gegen die Ursachen der Piraterie. ({2}) Der Zulauf zu privaten Sicherheitsfirmen ist eine weitere Schattenseite der Neuausrichtung der Bundeswehr als Interventionsarmee; denn immer mehr deutsche Soldaten mit Erfahrung in Auslandseinsätzen heuern nun bei Söldnerfirmen an, viele davon illegal. Aber ich sage Ihnen: Die Angst vor deutschen Kriegsschiffen hat junge arbeitslose Somalis nicht davor geschützt, in die Hände von Piratenclans zu gelangen und Handelsschiffe zu attackieren, und sie wird sie auch in Zukunft nicht davon abhalten. Armut und Elend in Somalia sind die Wurzeln der Piraterie. ({3}) Der eigentliche Skandal ist, dass europäische Firmen weiterhin vor Somalia die Fischgründe plündern und unbehelligt Giftmüll verklappen können und so die Lebensgrundlagen von Fischern zerstören. ({4}) Dagegen gehen Sie nicht vor. Das nenne ich Heuchelei. ({5}) Atalanta soll noch eine weitere Militärmission absichern, nämlich die seeseitige Versorgung der in Somalia kämpfenden Truppen von AMISOM. AMISOM ist nichts anderes als der aus Europa bezahlte Einmarsch bewaffneter Truppen aus Somalias Nachbarländern Kenia, Burundi und Uganda. Händler in Mogadischu warfen den AMISOM-Soldaten vor - so berichtet es der frühere ARD-Korrespondent Marc Engelhardt -, den zentralen Markt in Mogadischu ohne Rücksicht auf zivile Verluste mit schwerer Artillerie beschossen zu haben. AMISOM ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. ({6}) Der Westen trägt eine Mitschuld an den schlimmen Zuständen in Somalia. 1993 heizte der Einmarsch von US-Truppen den Bürgerkrieg in Somalia an. 2006 beendete die von den USA und der EU unterstützte Invasion Äthiopiens eine zwischenzeitliche Stabilisierung in Somalia. Erst danach sind die Schabab-Milizen stark geworden, erst danach stieg die Zahl der Fälle von Piraterie massiv an. Während die Zahl der Piraterieangriffe vor Somalia jetzt zurückgeht, nehmen Piratenangriffe in anderen Regionen der Welt, zum Beispiel vor der Westküste Afrikas, zu. Was ist Ihre Antwort darauf? Sollen die Bundeswehrsoldaten nun auch dorthin? Wir sagen: Piraterie lässt sich auf diese Art und Weise nicht bekämpfen. Die Ursachen müssen bekämpft werden. Die Militarisierung der Seewege ist und bleibt ein Irrweg. ({7}) Vielleicht noch eine kleine Bemerkung zur Position der SPD und der Grünen: Wir freuen uns natürlich immer, wenn unser Nein zu Bundeswehreinsätzen Unterstützung bekommt. ({8}) Ihre Begründung ist allerdings nicht konsistent. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Katja Keul hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Piratenangriffe und Entführungen am Horn von Afrika ist seit 2011 stark rückläufig. Wir haben es schon gehört: Im letzten Jahr ist kein einziges Schiff mehr gekapert worden, und die Zahl der Geiseln hat sich von ehemals über 500 auf 77 reduziert. Zur Stabilisierung der Lage in Somalia haben viele Entwicklungen beigetragen: die stärkere Verfolgung von Piraten in den somalischen Regionen und die Eroberung weiterer Gebiete durch die Truppen der Afrikanischen Union. Zuletzt wurde die Übergangsphase mit der Wahl von Präsident, Regierung und Parlament abgeschlossen, und Deutschland hat erstmalig wieder eine Botschafterin für Somalia benannt. Die Fortsetzung dieses politischen Prozesses ist zweifelsohne der Schlüssel zum Frieden in Somalia. Aber auch die Mission Atalanta hat zur Bekämpfung der Piraterie einen wichtigen Beitrag geleistet. ({0}) Die wichtigste Aufgabe dieser Mission war von Anfang an die sichere Begleitung der Schiffe des Welternährungsprogramms. ({1}) Seit 2008 haben mehr als 170 Schiffe Nahrungsmittel und andere humanitäre Hilfsgüter unter dem Schutz von Atalanta nach Somalia gebracht. Leider mussten wir kürzlich erfahren, dass die große Hungerkatastrophe im letzten Jahr dennoch fast 260 000 Menschen das Leben gekostet hat. Meine Fraktion ist daher ganz überwiegend der Meinung, dass die EU-Mission auf See nach wie vor ein unverzichtbarer Beitrag zur humanitären Hilfe in der Region ist. ({2}) Sowohl der Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms als auch die Verhinderung von Piratenüberfällen wurden vom UN-Sicherheitsrat mandatiert und von der somalischen Übergangsregierung begrüßt. So weit steht die völkerrechtliche Legitimation dieser Mission außer Frage. ({3}) Der Marineeinsatz auf hoher See und in den Küstengewässern Somalias ist nützlich und sinnvoll, sodass meine Fraktion dem Mandat bis letztes Jahr ganz überwiegend zugestimmt hat. ({4}) Die Ausweitung des Atalanta-Einsatzes auf Gebiete an Land war allerdings ein untaugliches Mittel. ({5}) Aufgrund des erhöhten Eskalationspotenzials und des Risikos ziviler Opfer konnte meine Fraktion dieser Mandatserweiterung im letzten Jahr nicht zustimmen. An dem Risiko hat sich nichts geändert, deswegen auch nichts an unserem Abstimmungsverhalten. ({6}) Die Untauglichkeit dieser Landoption sieht man schon daran, dass von ihr nur ein einziges Mal Gebrauch gemacht wurde. Seitdem haben alle Atalanta-Teilnehmerstaaten von Angriffen auf Piraten am Strand abgesehen. Ziehen Sie also endlich die Konsequenz aus dieser Erkenntnis und streichen Sie diesen Teil aus dem Mandat. ({7}) Legen Sie uns das auf den Einsatz auf See beschränkte Atalanta-Mandat wieder vor, und Sie bekommen dafür die breite Unterstützung meiner Fraktion. Bis dahin werden wir uns enthalten. ({8}) Zum Schluss noch ein paar Worte zum sonstigen Engagement am Horn von Afrika. Mit der Mission EUCAP NESTOR soll der Aufbau einer eigenen Küstenwache in der Region unterstützt werden, was wir durchaus für sinnvoll halten. Trotz einjähriger Laufzeit kommt diese Mission wegen fehlender Abkommen und Logistikproblemen nicht recht vom Fleck. Auch das neue Operationszentrum in Brüssel ist dabei wenig hilfreich. Die Bundesregierung sollte sich dringend für die Behebung dieser Defizite in Brüssel einsetzen und nicht erst auf den Europäischen Rat im Dezember warten. Immerhin ist es Ihnen nach zwei Jahren endlich gelungen, ein Gesetz zur Regulierung des Einsatzes privater Sicherheitskräfte auf Handelsschiffen auf den Weg zu bringen. Anderthalb Jahre haben Sie bis zur Verabschiedung des Gesetzes gebraucht und dann ein weiteres halbes Jahr bis zum Erlass der entsprechenden Verordnung. Die verlorene Zeit haben andere für sich genutzt. Deutsche Soldaten haben in ihrer Freizeit Schiffe im Auftrag privater Sicherheitsdienste begleitet. Es gibt klare Regeln, die Bundeswehrangehörigen solche Aktivitäten verbieten. Diesen Berichten muss das Verteidigungsministerium konsequent nachgehen, und nachgewiesene Verstöße müssen dienstrechtlich geahndet werden. ({9}) Ein solches Auftreten bewaffneter deutscher Bundeswehrsoldaten zerstört viel Glaubwürdigkeit und konterkariert die positiven Wirkungen, die der Marineeinsatz zweifelsohne hat. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich danke Ihnen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die Unionsfraktion. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir am 1. Dezember 2011 über den Antrag zur Operation Atalanta gesprochen haben, hatten wir gerade zehn Tage vorher erlebt, dass die Büros von UNICEF, WHO und GIZ geschlossen werden mussten und dass die Schabab-Milizen Krieg geführt haben. Die Situation war geprägt durch 352 Überfälle, 50 entführte Schiffe, 1 000 Entführte und 4 Millionen zu versorgende Menschen. Vor diesem Hintergrund sind Äußerungen, wie sie heute wieder Frau Buchholz gemacht hat und wie sie in der Vergangenheit von Herrn van Aken und anderen in Debatten zu diesem Thema gemacht worden sind, aus meiner Sicht menschenverachtend. Sie zeigen das Gegenteil von dem, was wir eigentlich mit unserer Parlamentsarmee erreichen wollen. ({0}) Frau Buchholz, man konnte das Sterben in diesen Lagern sehen. Wer in Dadaab gewesen ist, weiß, dass sich die Probleme durch die Hungersituation und die klimatische Situation verstärkt haben. Direkt zu dem Zeitpunkt, als wir damals die Debatte geführt haben, waren 50 000 Hartwig Fischer ({1}) Menschen durch den Ausbruch von Cholera bedroht. Wer heute immer noch nicht begriffen hat, ({2}) dass der Einsatz gegen die Piraterie mit dazu geführt hat, dass wir heute eine vollkommen veränderte Situation haben, blickt den Realitäten nicht ins Auge. ({3}) Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir haben heute Morgen bei der Regierungserklärung das Hohelied auf diese Parlamentsarmee gesungen. ({4}) Parlamentsarmee bedeutet auch - auch für Sie - Verantwortung. Verantwortung bedeutet, sich zu informieren. Verantwortung bedeutet, veränderte Situationen und veränderte Lagebilder aufzunehmen. Verantwortung bedeutet aber auch - das sage ich auch an die SPD und die Grünen -, eigene Fehleinschätzungen zu korrigieren. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, auch nach der Rede von Frau Keul, noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken, ob nicht gerade Prävention ein wichtiger Bestandteil dieses Programms zur Bekämpfung der Piraterie ist. Mit der Möglichkeit des Einsatzes am Strand sorgen wir dafür, dass Nachschubwege blockiert werden. Einen einzigen Einsatz hat es gegeben und keinen Verletzten. Aber die Nutzung des Strands bzw. das Anlegen von Lagern dort hat aufgehört. Von daher sind auch dieser Einsatz und das neue Mandat erfolgreich. ({5}) Da ich nur eine begrenzte Redezeit habe, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die nicht in den entsprechenden Ausschüssen sind, sich noch einmal den Antrag der Bundesregierung durchzulesen. Wir haben gestern im AwZ und im Auswärtigen Ausschuss darüber diskutiert. Aufgrund der kurzen Redezeit gebe ich die Diskussionen jetzt im SMS-Stil wieder. Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Angriffe rückläufig ist. Wir setzen nicht eindimensional auf einen militärischen Ansatz, sondern auf einen vernetzten Ansatz. Wir haben seit Jahren mit der EU Nothilfemaßnahmen gemacht. Dadurch konnten Zehntausende von Menschen gerettet werden. Die Schiffe tragen entscheidend dazu bei, dass das World Food Programme zumindest teilweise umgesetzt werden kann und eine Versorgung stattfindet. Politisch unterstützen wir die Somalis gemeinsam mit zahlreichen anderen Akteuren dabei, ihr Gemeinwesen und einen wenigstens grundlegend funktionierenden Staat wiederaufzubauen. Die im letzten Herbst auch mit Unterstützung der deutschen Max-Planck-Gesellschaft etablierte neue Übergangsverfassung und das neue Parlament sind beachtliche Fortschritte, die sich in diesem Land zeigen. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Dass wir die breite Unterstützung der Institutionen insgesamt und der somalischen Institutionen haben, ist - das ist vorhin gesagt worden - bei der Somalia-Konferenz deutlich geworden. Das ist für die Menschen ein politisches Symbol der Hoffnung, das sich mit der förmlichen Akkreditierung von Frau Hellwig-Bötte bei der Regierung in Mogadischu und mit der Eröffnung der britischen Botschaft fortsetzt. Der Aufbau staatlicher Strukturen ist eine langfristige Aufgabe. Deshalb helfen wir auch im Bereich der Polizei, deren Bedeutung von Ihnen abgewertet worden ist. Ohne Polizei kann man aber keinen Rechtsstaat aufbauen. Auch ohne Justiz und Strafvollzug kann man keinen Rechtsstaat aufbauen. Das alles gehört zu diesem Programm, das vereinbart worden ist. Dennoch steht weiterhin der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Deshalb ist AMISOM für Somalia unglaublich wichtig. Wir sollten gerade den afrikanischen Kräften, die in diesem Land mit Leib und Leben für Frieden kämpfen, weiter unsere Unterstützung gewähren. Wir haben die Ausbildungsmission in Uganda für somalische Sicherheitskräfte unterstützt. In Zukunft werden wir diese Ausbildung, wahrscheinlich sogar in Somalia, entsprechend fortsetzen. Wir haben uns auf einen vernetzten Ansatz fokussiert, zu dem auch EUCAP NESTOR gehört. Im Rahmen dieser Mission werden funktionale und miteinander vernetzte Küstenwachen aufgebaut; auch das ist eine Aufgabe, in die die Somalis direkt einbezogen werden. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wie Indien, Russland, Korea, Japan und arabischen Anrainern, die bereit sind, mitzumachen, verläuft gut. Ich kann Sie nur bitten, über diese Aspekte in Ihren Fraktionen - vielleicht auch jetzt per Mund-zu-MundPropaganda - noch einmal zu diskutieren. EU und NATO werden bei dieser Mission von 13 weiteren Staaten unterstützt. Philipp Mißfelder hat noch in der letzten Debatte gesagt: Kein Problem, - dabei geht es nicht nur um Somalia das den Kontinent Afrika oder andere Regionen betrifft, werden wir rein militärisch lösen; - das war nie unser Ansatz die Probleme werden wir immer nur mit einem Gesamtansatz von diplomatischen und entwicklungspolitischen Initiativen lösen. Vor diesem Hintergrund möchte ich auf das Thema Militarisierung zu sprechen kommen. Frau Buchholz - das sage ich jetzt aber auch an Sie, Frau Roth -, als wir in Angola waren, ist Deutschland von der angolanischen Regierung gebeten worden - diese Anfrage stellte Angola gemeinsam mit anderen westafrikanischen Staaten -, zwei Patrouillenboote mit 40-Millimeter-Bewaffnung zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Situation auf den Meeren vor der Westküste Afrikas wollte man diese zwei Patrouillenboote haben, um selbst Verantwortung für die Sicherung der Küsten in dieser Region übernehmen zu können. Sie haben diese Anfrage damals im Morgenmagazin mit der Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien und Ähnlichem in Verbindung gebracht. Bedenken Sie bitte, welche Auswirkungen so etwas im Hartwig Fischer ({6}) Hinblick auf die Wahrnehmung von Eigenverantwortung in diesen Ländern hat. Ich habe eine letzte Bitte. Weil mich das Sterben in den Flüchtlingslagern - nicht nur in Somalia, sondern auch anderswo - umtreibt, habe ich im Jahre 2006 die Homepage www.30000-kinder-sterben-taeglich.de erstellt. Schauen Sie sich diese Seite doch einmal an. Dort können Sie viele Ansätze sehen, die zeigen, was wir gemeinsam bewirken können. Manche Probleme, über die wir in diesem Parlament diskutieren, wirken im Vergleich zu dem, was diese Kinder durchmachen mussten, bevor sie starben, wirklich klein. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13529, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 17/13111 anzunehmen. Mir liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor; wir nehmen sie entsprechend un- serer Geschäftsordnung zu Protokoll.1) Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? - Von mir aus gesehen hinten links fehlt noch ein Schriftführer. - Das scheint jetzt gelöst zu sein. Ich eröffne die Ab- stimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich bitte die Kolle- ginnen und Kollegen, die uns schon verlassen wollen, doch diejenigen, die noch abstimmen wollen, an die Ur- nen durchzulassen. Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hau- ses anwesend, welches seine Stimme noch nicht abgeben konnte? - Dann bitte ich, das jetzt zu tun. Ich frage ein letztes Mal: Fühlt sich noch jemand be- hindert bei der Stimmabgabe, oder konnte jeder von sei- nem Recht Gebrauch machen? - Das ist jetzt der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich bitte diejenigen, die unseren Beratungen jetzt nicht weiter folgen wollen, weil sie wichtige Vorhaben haben - ich weiß, im Paul-Löbe-Haus warten über einhundert Stipendiatinnen und Stipendiaten auf Mitglieder aller Fraktionen -, so zu gehen, dass wir die Abstimmungen fortsetzen können und die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen können. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13545. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Darf ich erfahren, wie die Linken abgestimmt haben? ({0}) Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und Nichtteilnahme der Fraktion Die Linke abgelehnt. - Die Linke hat jetzt nachträglich noch das Votum „Ablehnung“ hinzugefügt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten - Drucksache 17/12850 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am Anfang dieser Wahlperiode haben die Oppo- sitionsfraktionen verschiedene Anträge zur Finanzierung von Unterstützungsangeboten für von Gewalt betroffene Frauen vorgelegt. Die Koalition meinte zwar auch, dass generell etwas geändert werden müsse, aber man müsse zuerst den Bericht abwarten. Letzten Herbst wurde er nach langer Verzögerung endlich vorgelegt, und auch vom Bundesverband Frau- enberatungsstellen und Frauennotrufe und von einem Bündnis der Wohlfahrtsverbände lagen Gutachten vor. Alle Berichte kommen zu dem Ergebnis, dass das der- zeitige Unterstützungsangebot überwiegend unterfinan- ziert ist. Bis heute ist aber leider keine Regelung gefun- den, die garantiert, dass jeder von Gewalt betroffenen Frau bundesweit und zeitnah ein niedrigschwelliger Zu- gang zu Hilfe ermöglicht werden kann. Dass die Bundesregierung im Anschluss an die Er- gebnisse wieder nicht handelt, macht mich traurig und wütend zugleich. Das ist wieder ein guter Bericht, der in den Regalen des Ministeriums verstaubt. 1) Anlagen 4 und 5 2) Ergebnis Seite 30251 C ({0}) Die Ergebnisse dürfen nicht kleingeredet werden, sondern müssen endlich zu einer Reform der Finanzierung führen. Die Ministerin kann sich nicht immer damit herausreden, dass sie mit der Freischaltung des Hilfetelefons eine wichtige Lücke im Hilfesystem geschlossen hat. ({1}) Was ist mit den anderen Lücken, die das Hilfesystem offensichtlich aufzeigt? Schutzräume und Beratungsstellen vor Ort sind von zentraler Bedeutung für den nachhaltigen Erfolg des neuen Angebots. Lokale Strukturen müssen gestärkt werden, da der Hilfebedarf bei erfolgreicher Umsetzung des Angebots eines Hilfetelefons steigen wird. Der Bund darf die Verantwortung nicht länger von sich weisen und muss sich endlich an der Reform der Finanzierung beteiligen; ({2}) denn Gewalt an Frauen ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Wir dürfen die Frauen in dieser Situation nicht alleinlassen. Die Zuständigkeit für die Finanzierung muss neu festgelegt werden, statt die Neugestaltung durch Blockaden immer weiter nach hinten zu verschieben. Wir machen uns nicht nur gegenüber den Verbänden, sondern auch gegenüber den betroffenen Frauen unglaubwürdig, wenn wir nicht endlich zur Tat schreiten. Wir Grünen fordern in unserem neuen Antrag eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die darauf hinwirkt, dass die Ausgestaltung und Finanzierung bundesweit geregelt werden. Alle Beteiligten müssen endlich an einen Tisch und endlich Verantwortung übernehmen. ({3}) Die Bundesregierung muss die Länder bei der Bedarfsplanung unterstützen. Qualitätsstandards müssen gemeinsam mit den Einrichtungen geschaffen, Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit muss mitgedacht werden. Die Mitarbeiterinnen müssen entsprechend ausgestattet und vor allem endlich auch tarifgerecht entlohnt werden. Bisher unzureichend ausgestattete Bereiche, wie die Betreuung von Kindern der betroffenen Frauen und die Arbeit mit Suchtkranken und psychisch Erkrankten, müssen besser berücksichtigt werden. In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll geprüft werden, ob eine neue Regelung über eine Entbürokratisierung der Leistungsansprüche nach SGB II oder SGB XII möglich ist oder ob sie unabhängig von diesen ausgestaltet werden muss. Die Finanzierung über Tagessätze hat insbesondere bei kurzen Aufenthalten jedenfalls zu Problemen geführt. Nicht alle Frauen haben Anspruch auf Leistung nach dem SGB und müssen den Tagessatz für den Aufenthalt dann selbst aufbringen. Viele dieser betroffenen Frauen verfügen jedoch über kein eigenes Einkommen. Hier ist der bürokratische Aufwand zu hoch und verhindert eine sofortige Aufnahme der Frauen ins Frauenhaus. Weiterhin ist zu prüfen, ob eine Neuregelung in einem eigenen Leistungsgesetz festgelegt werden sollte. Dadurch könnte den von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kindern ein Rechtsanspruch auf Leistung verschafft werden. Diese Geldleistung würde dann gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen getragen werden. Die jeweiligen Anteile müssen miteinander verhandelt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die rechtlichen und haushälterischen Hürden stehen vor uns, sie sind aber mit politischem Willen zu überwinden. ({4}) Die neue Regierung wird jedenfalls den Willen aufbringen und in der nächsten Wahlperiode endlich für Lösungen sorgen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dorothee Bär hat nun für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede vierte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt durch ihren Partner: Beleidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewaltigungen, bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen. Natürlich ist es so, dass es oft viele Anläufe braucht, bis die Betroffenen bereit und in der Lage sind, sich aus der Gewaltsituation zu lösen. Die Frauen schämen sich, sie trauen sich nicht, anzusprechen, was mit ihnen passiert. Oft haben sie auch gar nicht mehr die Kraft, sich Hilfe zu holen. Um es den Frauen, die oft auch Kinder haben, zu erleichtern, diese Unterstützungsangebote auch in Anspruch zu nehmen, haben wir im März dieses Jahres das Hilfetelefon für von Gewalt betroffene Frauen freigeschaltet. Frau Kollegin Lazar, ich finde es schade, dass Sie sagen, dass das Hilfetelefon nicht das ist, was Sie sich vorstellen. Denn es ist natürlich wichtig, eine sehr niedrigschwellige Erreichbarkeit zu haben. Es ist wichtig, dass man kostenlos und natürlich auch anonym und egal, wo man wohnt, die Möglichkeit hat, sich schnell diese Hilfe zu holen. Denn am anderen Ende der Leitung sitzen ausgebildete Fachkräfte, die Erfahrung mit von Gewalt betroffenen Frauen haben. Ganz wichtig ist auch - weil viele Frauen betroffen sind, die vielleicht der deutschen Sprache nicht so mächtig sind -, dass sehr zeitnah Dol30250 metscherinnen zugeschaltet werden können. Ich freue mich sehr, dass wir als Bundesregierung das auf den Weg gebracht haben. Das Hilfetelefon hat natürlich eine Lotsenfunktion, weil es eine Erstinformation bietet, eine Erstberatung und dann auch an die Unterstützungseinrichtungen vor Ort weiterleitet, je nachdem, wo die Frauen herkommen. Für viele Frauen ist nach diesem ersten Schritt der Kontaktaufnahme der letzte Ausweg die Flucht aus der eigenen Wohnung in ein Frauenhaus. Hier erhalten sie die notwendige Unterstützung, ({0}) Unterkunft, Essen, Soforthilfe und zunächst einmal die Möglichkeit, sich zu verstecken. Wir haben momentan in Deutschland 350 Frauenhäuser und 60 Frauenzufluchtswohnungen. Und in diese Wohnungen - das finde ich eine ganz bemerkenswerte Zahl - fliehen jedes Jahr zwischen 30 000 und 34 000 misshandelte Frauen mit ihren Kindern. Dennoch finden leider nicht alle Frauen Platz. Ich habe in meiner Nachbarschaft in Schweinfurth auch ein Frauenhaus und bin dort schon mehrfach zu Gast gewesen. In diesem Frauenhaus in der Nachbarschaft gab es im Jahr 2012 die Situation, dass 55 Frauen wegen Platzmangels abgewiesen werden mussten. Im Jahr 2011 wurden fast zwei Drittel der Frauen abgewiesen. Deswegen stimmt ein Teil des Antrags der Grünen, wenn sie sagen, dass das Unterstützungsangebot unterfinanziert sei. ({1}) Deswegen fordern die Grünen hier eine bundesgesetzliche Neuregelung. Aber ein Bundesgesetz - das müssten Sie auch wissen -, mit dem vom Bund die Kosten der Einrichtung übernommen würden, wäre laut Rechtsgutachten verfassungswidrig. ({2}) Deshalb muss man ganz ehrlich sagen - so steht es im Bericht der Bundesregierung zu den Frauenhäusern -, dass die Verantwortung für die Finanzierung der Frauenhäuser vorrangig bei den Ländern und den Kommunen liegt. ({3}) An dieser Stelle müssen wir auch ansetzen. ({4}) Und manche Bundesländer, beispielsweise Bayern, haben schon eine zusätzliche Unterstützung auf den Weg gebracht - was ich sehr befürworte. So wurde in Bayern eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für die Frauenhäuser um 13 Prozent - ({5}) - Frau Kollegin Deligöz, vielleicht haben Sie es noch nicht kapiert, aber wir haben den Föderalismus in unserem Land. Deshalb muss man natürlich ansprechen, wer dafür zuständig ist. Wir sind hier Bundestagsabgeordnete - das nur zur Klarstellung. ({6}) Also, wir haben in Bayern eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse um 13 Prozent. Aber diese Erhöhung kommt in vielen Frauenhäusern oft deswegen nicht an, weil einige Kommunen diese Erhöhung auf ihre eigenen Zuschüsse für die Frauenhäuser angerechnet haben und diese dann kürzen. Das geht natürlich nicht. Die Kommunen müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden. Das muss man hier ansprechen, weil es nicht angeht, dass die Mittel, die die Länder an der einen Stelle zusätzlich zur Verfügung stellen, an anderer Stelle wieder gekürzt werden. Deswegen sage ich: Gewalt zu stoppen, zu ächten und zu vermeiden, muss auf kommunaler Ebene oberste Priorität haben. Wir haben mit der Freischaltung der Hotline eine wichtige Lücke geschlossen. Es ist aber nicht nur wichtig, dass man Gutes tut, man muss auch darüber sprechen. Deshalb wollen wir parallel zu der Freischaltung die von uns ergriffenen Maßnahmen bundesweit bekannt machen. Dazu haben wir eine bundesweite Kampagne gestartet. Die Botschaft ist: Gewalt ist Unrecht. Es gibt Hilfe. Das hat auch präventive Wirkung. Deswegen hoffe ich sehr, dass am Ende des Jahres 2013 in den meisten Frauenarztpraxen, in den Hausarztpraxen und in öffentlichen Einrichtungen in unserem Land Flyer mit den Rufnummern für Hilfe bei Gewalt ausliegen. In den USA beispielsweise klebt in jeder öffentlichen Toilette ein Aufkleber mit der entsprechenden Nummer auf dem Spiegel, sodass jede Frau, die sich die Hände wäscht, diese Nummer vor Augen hat. Das führt dazu, dass die Nummer bekannt wird. Das ist ganz entscheidend. Es reicht eben nicht aus, gute Kampagnen zu entwickeln, sondern diese Angebote müssen niederschwellig und für jeden gut zugänglich sein. Deswegen fördert die Bundesregierung sehr viele Modellprojekte und sehr viele Forschungsvorhaben, beispielsweise das Modellprojekt „Medizinische Intervention gegen Gewalt an Frauen“. Nichtsdestoweniger sollten, wie im Bericht auch zur Situation der Frauenhäuser vorgeschlagen, auf Bundesebene noch weitere Maßnahmen ergriffen werden. ({7}) - Wenn ich darf, kann ich sie alle noch erwähnen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich weiß nicht, wie viele das sind, Kollegin Bär. Versuchen Sie, sie kurz zusammenzufassen.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz kurz. Nachdem danach gefragt wurde, antworte ich jetzt. Das geht dann nicht von meiner Redezeit ab. ({0}) Ich nenne hier das Modellprojekt zur kommunalen Bedarfsplanung in Kooperation mit den Ländern, dann ein Modell zur besseren Versorgung für psychisch kranke und für suchtkranke Frauen, dann auf gesetzlicher Ebene eine Anpassung des Umgangsrechts und eine Regelung zur praktikableren Kostenerstattung zwischen öffentlichen Kostenträgern, sodass alle, auch Schülerinnen und Studentinnen, Asylbewerberinnen, einen direkten und unbürokratischen Zugang zu allen Hilfen haben. Auch sollte man einmal das Asylbewerberleistungsgesetz überprüfen, ob dem Schutzbedarf gewaltbetroffener Asylbewerberinnen ausreichend Rechnung getragen wird, und nicht zuletzt sollten auch Hindernisse im Opferentschädigungsgesetz beseitigt werden. ({1}) Es gibt ein großes Maßnahmenpaket. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir das gemeinsam machen. Es sollte nicht so sein, wie hier gerade hereingerufen wurde, dass alles auf Bundesebene gezogen werden sollte. Ich sehe es als unseren Anspruch an: Das, was vor Ort geregelt werden kann, soll auch vor Ort geregelt werden. Deswegen finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Länder und Kommunen ihrem Auftrag gerecht werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Bär, machen Sie jetzt bitte einen Punkt.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Wir als Bundesregierung tun auf jeden Fall alles, um den von Gewalt betroffenen Frauen zu helfen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias“ bekannt: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben 310 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 206 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 61 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 310 nein: 206 enthalten: 61 Ja CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens ({0}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Vizepräsidentin Petra Pau Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({8}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({9}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({10}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({11}) Anita Schäfer ({12}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({13}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({14}) Dr. Ole Schröder Uwe Schummer Armin Schuster ({15}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({16}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({17}) Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({18}) Peter Weiß ({19}) Sabine Weiss ({20}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller SPD Hans-Ulrich Klose FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({21}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Gerhard Drexler Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({22}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h.c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({23}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({24}) Michael Link ({25}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Dr. Christiane RatjenDamerau Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({26}) Dr. Martin Neumann ({27}) Hans-Joachim Otto ({28}) Jörg von Polheim Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören ({29}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({30}) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({31}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({32}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({33}) Kerstin Griese Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Vizepräsidentin Petra Pau Klaus Hagemann Michael Hartmann ({34}) Hubertus Heil ({35}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz ({36}) Frank Hofmann ({37}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h.c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Astrid Klug Daniela Kolbe ({38}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({39}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({40}) Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({41}) Michael Roth ({42}) ({43}) Annette Sawade Anton Schaaf Bernd Scheelen ({44}) Werner Schieder ({45}) Ulla Schmidt ({46}) Silvia Schmidt ({47}) Carsten Schneider ({48}) Swen Schulz ({49}) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h.c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz ({50}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({51}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({52}) Volker Beck ({53}) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Priska Hinz ({54}) Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Renate Künast Undine Kurth ({55}) Dr. Tobias Lindner Jerzy Montag Kerstin Müller ({56}) Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({57}) Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner ({58}) Wolfgang Wieland Vizepräsidentin Petra Pau Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion. ({59})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1976 hat das erste deutsche Frauenhaus hier in Berlin eröffnet. ({0}) - Wie viele Jahre? 37 Jahre ist das her. Es wurde von einem Forschungsprogramm begleitet, um zu erkennen, was in diesem Frauenhaus notwendig ist, wie man es strukturieren muss, wie es aufgebaut sein muss und welche Qualität es haben muss. 1999 gab es den ersten Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit Christine Bergmann haben wir das Thema aufgegriffen und umgesetzt. Seit Frühjahr 2000 gibt es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Häusliche Gewalt“, die die nationale Umsetzung der Aktionspläne I und II begleitet. Seit 2001 haben wir eine Frauenhauskoordinierung. Ich erzähle es Ihnen bewusst, damit auch diejenigen, die in der Zeit noch nicht dabei waren, wissen, was schon alles gemacht worden ist. 2002 ist das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten, das zum Beispiel die Wegweisung des Täters aus der gemeinsamen Wohnung ermöglicht. Im September 2007 kam der Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Im November 2008 - das ist auch schon wieder fast fünf Jahre her fand die Anhörung des Familienausschusses zur Frauenhausfinanzierung statt. Im Dezember 2009 haben wir darüber eine Debatte geführt. Das war kurz vor Weihnachten - ich habe noch einmal meine Rede herausgesucht -; anschließend sind wir in die Weihnachtsferien gefahren. 2011 hat die Bundesregierung die Istanbul-Konvention gezeichnet. Zwei Jahre später haben wir sie immer noch nicht ratifiziert. Das steht also noch aus. Wir hatten nach der Anhörung 2008 festgestellt, dass wir einen Bericht, vor allem einen verfassungsrechtlichen Bericht, darüber brauchen, was getan werden kann und muss. Der Bericht wurde im August 2012 vorgelegt und trifft Aussagen zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderen Unterstützungsangeboten für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder in Deutschland. Dazu haben wir im Dezember 2012 eine Anhörung durchgeführt. Im März 2013 haben wir die Vorgaben der EU umgesetzt und ein Hilfetelefon freigeschaltet. Mit Blick auf das alles kann ich mit Stolz sagen: Wir haben in Deutschland ganz viel gemacht. Das ist unbestritten. Ich glaube, das wird kein einziger hier bestreiten. Aber warum haben wir das gemacht? Nicht etwa, weil es hier oder sonst wo, zum Beispiel in den Landesparlamenten, zu viel Elan gibt, sondern weil es vor Ort Frauen gibt, die sich unermüdlich dafür eingesetzt haben, dass sich etwas bewegt. Das Hauptproblem für alle Einrichtungen besteht darin, dass sie nach wie vor nicht wissen, wie sie sich finanzieren sollen. Sie stützen sich selber auf die ehrenamtlich dort Arbeitenden. Ich habe es Ihnen schon mehrmals erzählt: Meine ehrenamtlichen Frauen, die von 5 Uhr abends bis 9 Uhr morgens und am Wochenende rund um die Uhr den Dienst aufrechterhalten, kriegen keinen Cent für diese Arbeit. Sie sind immer abrufbereit. Das geht nur, wenn es Frauen gibt, die dies machen. Damit muss jetzt irgendwann Schluss sein. Bei den Anhörungen war klar: Originär ist der Bund nicht zuständig. Ich würde die Finanzierung der Frauenhäuser aber zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählen, und zwar zur sozialen Daseinsvorsorge. Sie gehört auf die kommunale Ebene und ist Aufgabe der Länder. Bei den Banken würden wir sagen: Es sind systemrelevante Einrichtungen. Dann hätten wir über Nacht ein Gesetz. Wir sind viel bescheidender und würden uns mit ein paar Milliönle zufrieden geben. Wir wollen gar keine Milliarden. Ein paar Milliönle würden reichen, um alle Häuser des Landes abzusichern. Nein, da erkennen wir nicht die Systemrelevanz. Ja, ich gebe Ihnen recht, Frau Bär: Der Bund muss vorrangig nicht zahlen. Aber er hat eine wichtige Aufgabe, nämlich alle Länderminister, die dafür zuständig sind, an einen Tisch zu bringen und die Frage zu klären, wer für eine Frau aus Schleswig-Holstein, die in Bayern aufgenommen wird, zahlen muss. Hier müssen wir zu einem Ausgleich und zu Rechtssicherheit kommen. ({1}) Ganz zu schweigen davon, dass wir auch Frauen aufnehmen, die nirgendwo Geld herbekommen. Die ganzen Osteuropäerinnen, die zureisen dürfen oder mit Angeboten hierhergelockt werden - und wenn man sie auf einmal satt hat, versucht man sie loszuwerden, indem man sie halb totprügelt -, haben kein Geld, um irgendetwas zu bezahlen. Also werden die Frauen in den Vorständen und die Mitarbeiterinnen es wieder kostenlos machen, und wir bemühen uns dann um Spenden. Die Regierung hat die Aufgabe, alle Länderminister an einen Tisch zu holen. Dafür gibt es keine Ausrede. Wir müssen es zum Hauptthema machen, dass ein reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das viel bewerkstelligt - dafür müssen wir uns nun wirklich nicht schämen -, endlich eine Finanzierung auf die Beine stellt, die für alle Bundesländer gilt. Jedes Bundesland muss die Finanzierung sicherstellen. Dabei reicht die Finanzierung auf Tagessatzbasis bei weitem nicht aus. Vielmehr muss den entsprechenden Einrichtungen Marlene Rupprecht ({2}) Strukturhilfe gewährt werden. Davon sind wir aber noch Lichtjahre entfernt. Wir müssen endlich zur Umsetzung kommen und - das ist dringend notwendig - die Konvention gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ratifizieren. Der Kollege aus dem Ausschuss des Europarats - diesem gehöre ich ebenfalls an -, der die Kampagne zum Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt leitet und vorwärts bringt, wird uns besuchen - dem Ausschuss liegt eine entsprechende Anfrage vor - und wird uns dann noch einmal nahelegen, wirklich etwas zu tun. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Sicherstellung der Finanzierung. Ich hoffe, dass Frauen auch für diese Regierung ein Thema sind. Dass die Welt aus zwei Geschlechtern besteht, wissen wir. Ich habe aber manchmal den Eindruck - ich glaube, Frau Laurischk stimmt mir zu -, dass wir ein Geschlecht meistens vergessen. Wir sollten die Frauen in den Fokus rücken, die am wenigsten dafür können, dass sie Zufluchtsstätten wie Frauenhäuser aufsuchen müssen. Wir sollten dafür sorgen, dass sie das mit Würde tun können, wenn ihnen schon zu Hause die Würde genommen wird. Wir, die wir uns für den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt engagieren, sollten nicht in jeder Verhandlung mit Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten betteln müssen. In diesen Verhandlungen kommt man sich als Vorsitzende eines Frauenhausvereins fast wie eine Prostituierte vor, wenn man Geld erbettelt, damit die Finanzierung des Frauenhauses für die nächsten zwei Jahre wieder sichergestellt ist. Nur so können diese Häuser bestehen. Das ist die Realität. Wenn die solidarischen Männer, die heute hier sitzen - dafür bedanke ich mich -, ebenfalls Verantwortung übernehmen, dann werden sie endlich denjenigen, die bislang eine zuverlässige Finanzierung der Frauenhäuser verhindern, sagen: Es reicht! Wenn ihr es in dieser Legislaturperiode nicht mehr hinbekommt, dann müssen wir es in der nächsten Legislaturperiode schaffen. - Diesen Appell richte ich an das ganze Haus. Sonst muss sich der Bundestag wirklich dafür schämen, dass trotz zahlreicher Gutachten und endloser Erkenntnisse nichts von dem umgesetzt wird, was als richtig erkannt wurde. Das fände ich schade. In diesem Sinne wünsche ich diesem Parlament noch einen wunderschönen Abend, der nach der Tagesordnung bis morgen Abend um 18.30 Uhr geht. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Rupprecht, eigentlich wollte ich meine Rede anders beginnen, aber ich knüpfe an das an, was Sie gerade über die Mühen gesagt haben, die viele Mitarbeiterinnen, insbesondere die ehrenamtlichen, in den Frauenhausvereinen haben, wenn es um die Sicherstellung der Finanzierung geht. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als ich mit meinem Frauenhausverein beim Kämmerer vorgesprochen habe. Es war mühsam und alles andere als einfach. Aber wir Frauen sind an diesen Aufgaben auch gewachsen. Mittlerweile hat zumindest der Ortenaukreis den Mitteleinsatz - wenn auch nicht im Millionenbereich - von 100 000 Euro auf 200 000 Euro verdoppelt. Das reicht zwar auch noch nicht, aber das ist ein klares Signal. Es wird registriert, dass wir uns im Bundestag mit der Situation der Frauenhäuser bundesweit befassen, und das nicht erst seit gestern. Schon in der letzten Legislaturperiode haben wir über die Finanzierung diskutiert. Die Frage, ob der Bund zuständig ist oder nicht, ist unter grundgesetzlichen Aspekten problematisch. Die breite Mehrheit der Gutachter ist der Meinung, das sei nicht Aufgabe des Bundes, sondern Aufgabe der Länder. Ich persönlich bin der Meinung, dass das diskussionswürdig ist. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre sicherlich gut; denn egal um welche Gewalttaten es sich handelt, ob um Schläge, ständige Misshandlung oder - noch schlimmer - Vergewaltigung, sie werden bundeseinheitlich als Straftaten angesehen. Daher bin ich der Meinung, dass es gut wäre, wenn es bundeseinheitlich flankierende Maßnahmen gäbe. ({0}) Nun haben wir eine verfassungsrechtlich schwierige Lage. Entsprechende Gutachten und Berichte stellen immer wieder fest, dass nicht wir für die Frauenhäuser zuständig sind, sondern die Länder. Die Länder sollen, können und müssen auch etwas tun. Ich habe die Vermutung, dass die Länder ein Stück weit versuchen, sich ihrer Aufgaben und insbesondere ihrer finanziellen Verpflichtungen zu entledigen, indem sie dem Bund die Verantwortung zuschieben. Das ist eine schwierige Gemengelage, in deren Rahmen wir uns als Bundespolitiker und Bundespolitikerinnen durchaus dem Thema gewidmet haben, und zwar mit guten Ergebnissen. Ich nenne zum einen das Gewaltschutzgesetz. Ich glaube, dieses Gesetz hat viel verändert. Es führt nämlich zu dem Ergebnis, dass derjenige, der Gewalt anwendet, also der schlägt, gehen muss. Das ist gesetzlich klar und leicht umsetzbar, und das geht mittlerweile auch sehr schnell. Die Familiengerichte zögern gar nicht mehr lange, es wird nicht erst ein langer Strafprozess abgewartet, sondern es ist klar, dass derjenige, der Gewalt angewendet hat, das Feld verlassen muss. Das führte dazu, dass sich die Situation in den Frauenhäusern mittlerweile geändert hat. Es suchen immer mehr Migrantinnen dort Zuflucht, weil sie mittlerweile wissen, dass es dort eine Zuflucht gibt. Sie sind nun aber eine Gruppe unter den Frauen in Deutschland, die sich häufig nicht artikulieren kann, weil sie zu wenig Sprachkenntnisse und zu wenig Selbstvertrauen hat, um die angebotenen Hilfen und die Möglichkeiten, die das Gewaltschutzgesetz bietet, in Anspruch zu nehmen. Deswegen ist die Versorgungssituation der Frauen in den Frauenhäusern noch schwieriger geworden, als sie ohnehin schon war. Die Mitarbeiterinnen leisten eine ganz schwierige und wichtige Arbeit. An dieser Stelle möchte ich gerade diesen Frauen für ihre Arbeit danken, die nicht in der Öffentlichkeit stattfindet, sondern in der vertraulichen und geschützten Situation des Frauenhauses. Wir als Bundesgesetzgeber hätten die Möglichkeit, durch Änderungen im SGB XII und im Asylbewerberleistungsgesetz für diese spezielle Gruppe eine bundeseinheitliche Lösung zu schaffen. So weit sind wir nicht gekommen. Das muss man selbstkritisch sagen. Aber wir haben einen wichtigen Schritt geschafft. Darauf können wir als Koalition stolz sein. Wir haben das bundesweite Hilfetelefon installiert, das gerade den Migrantinnen, gerade den Frauen, die sich nur sehr schwer auf Deutsch verständigen können, um sich Hilfe zu verschaffen, die Möglichkeit bietet, in ihrer Muttersprache Gehör zu finden. Diesen Frauen können in dieser sehr schwierigen Situation in der vertrauten Sprache erste Hilfsangebote genannt werden, damit sie der Gewaltsituation entkommen können. Das ist in der isolierten Situation, in der sie häufig leben, besonders schwierig; denn Gewalt gegen Frauen beruht oft auf strukturellen Gegebenheiten, die so leicht nicht zu ändern sind. Da reicht ein Willensakt nicht aus, sondern es müssen flankierende Maßnahmen in Form von Hilfsangeboten vorhanden sein. Ich glaube, dass wir mit der Einrichtung dieses Hilfetelefons tatsächlich etwas Richtungsweisendes getan haben. Wir werden eine Evaluation durchführen, wie das Hilfetelefon angenommen wird. Im Moment jedenfalls besteht eine große Nachfrage. Wir werden sicherlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit diesem Hilfetelefon nach weiteren Lösungen suchen. Ich setze darauf, dass die Diskussion, die von engagierten Frauenpolitikerinnen, insbesondere was die Thematik der Frauenhäuser angeht, weitergeführt wird. Ich glaube, dass sicherlich auch in der nächsten Legislaturperiode dieses Thema weiterverfolgt wird, damit es zu einer bundesweiten Finanzierung von Frauenhäusern kommt. Ich hoffe das und setze darauf. Wir wissen, in der Politik bleibt immer noch etwas zu tun. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Yvonne Ploetz für die Fraktion Die Linke. ({0})

Yvonne Ploetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Schwere Wege leicht machen!“, das ist der Titel der aktuellen Kampagne der Frauenhäuser. Sie wollen wachrütteln, uns alle, Sie alle, sie wollen darauf hinweisen, wie wichtig eine bedarfsgerechte Finanzierung der Frauenhäuser ist. Sie erzählen davon, dass rund 16 000 bis 20 000 Frauen mit noch einmal so vielen Kindern jährlich bei ihnen Zuflucht finden, Frauen, die vor ihren Ehemännern, vor ihren Vätern, vor ihren Partnern flüchten. Sie werden erniedrigt, beschimpft, isoliert. Sie werden in ihrem Selbstwertgefühl verletzt. Jeder vierten Frau passiert das in ihrem Leben. Da sind Frauenhäuser oftmals der einzige Schutz, der einzige Zufluchtsort für Mütter und für Kinder. Nicht selten fliehen sie in Nachtund-Nebel-Aktionen von zu Hause und werden dann ganz sorgsam aufgenommen, werden beschützt und werden beraten. Man kommt wirklich unweigerlich zu dem Schluss, dass Frauenhäuser unverzichtbar sind und dass es eine Tragödie ist, wenn an allen Ecken und Enden Geld fehlt. Dies ist leider eine politische Tragödie, die Sie als Regierung endlich beenden müssen. ({0}) Schutz können Frauenhäuser nur dann bieten, wenn Plätze frei sind. 2011 wurden 9 000 Frauen - 9 000 Frauen! - abgewiesen, weil einfach keine Plätze vorrätig waren. Stellen wir uns kurz vor, wir wären eine Mitarbeiterin in einem Frauenhaus und müssten eine misshandelte Frau abweisen. Das ist die reinste Katastrophe für diese Frauenhausmitarbeiterin und insbesondere für die hilfesuchende Frau. Wir sind doch dafür zuständig, dass beide vor einer solchen Situation bewahrt bleiben. ({1}) Deshalb streiten wir heute wieder dafür, dass wirklich jeder Frau 24 Stunden täglich, also rund um die Uhr, Schutz gewährt werden kann und muss, und zwar in allen Lebenslagen. Bei meinen Besuchen in saarländischen Frauenhäusern wurde mir immer wieder klargemacht, was für Herausforderungen dort eigentlich zu bewältigen sind. Da geht es darum, dass auch Mütter und Kinder mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang haben. Da geht es darum, dass schwangere Frauen Kontakt zu Hebammen und zu Ärztinnen haben müssen. Frauen und Kindern, die kaum Deutsch sprechen, müssen Übersetzerinnen zur Seite gestellt werden, damit sie sich überhaupt verständlich machen können. Frauen mit ihren jugendlichen Söhnen müssen Platz finden. Gerade für traumatisierte Kinder müssen Therapeutinnen und Therapeuten da sein, damit das Erlebte überhaupt aufgearbeitet werden kann. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Hilfe kostet nun einmal Geld; sie muss finanziert werden. Wir sind heute, fast 40 Jahre nachdem das erste Frauenhaus die Türen geöffnet hat, immer noch in der gleichen Situation: Die Finanzierung der Frauenhäuser hängt vom Wohlwollen der Politik auf Bundesebene, in den Ländern und in den Kommunen ab. Es ist doch kein Geheimnis, dass gerade in Zeiten knapper Kassen der Rotstift zuallererst bei sozialen Einrichtungen angesetzt wird. Aber Sie können sich sicher sein: Finanzierung nach Kassenlage, gerade bei Gewaltopfern, werden wir Linke niemals akzeptieren. ({2}) In nicht wenigen Fällen wird die Finanzierung - das haben wir heute schon gehört - direkt an die Frauen über sogenannte Tagessätze weitergegeben. In diesem MoYvonne Ploetz ment wäre ein Hotelaufenthalt sicherlich günstiger; aber dort finden die Frauen den nötigen Schutz einfach nicht. So müssen sie sich in ihrer sowieso schon sehr schwierigen Lage schlimmstenfalls verschulden. Sie werden hilfebedürftig gemacht und rutschen eventuell noch in die Armut. Dass mangelnde Finanzierung den Frauen den Weg in ein Frauenhaus versperrt, ist wirklich zynisch und schlichtweg nicht tragbar. Jeder Frau in Not muss geholfen werden. Das geht aber nur dann, wenn die Hilfeeinrichtungen selbst nicht um ihre eigene Existenz kämpfen müssen. In Ihrem eigenen Lagebericht beschreiben Sie die Situation vieler Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern als „Selbstausbeutung“. Am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ fiel der Satz: Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kann anderen nicht den Rücken stärken. Ja, das ist sehr richtig. Spätestens hier sollten wirklich alle hellhörig werden und sich um eine bedarfsgerechte, bundeseinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser bemühen. Machen Sie endlich schwere Wege leicht! Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker für die Unionsfraktion. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zum Thema Frauenhäuser hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal einen sehr instruktiven Bericht vorgelegt. Wir hatten dazu außerdem eine sehr informative Anhörung. Für mich fällt die Bilanz gemischt aus: Zum einen wurde uns sehr glaubhaft berichtet, was für eine Arbeit geleistet wird und mit welcher Professionalität, mit welchem Engagement das geschieht; das hat schon ermuntert. Auf der anderen Seite hat betroffen gemacht, dass es nötig ist, diese Arbeit in diesem Umfang zu leisten. Betroffen haben natürlich auch die erkennbaren Defizite und Probleme gemacht. Es wurde uns nämlich sehr glaubhaft aus der Praxis geschildert, dass nicht allen Frauen eine passende Hilfe angeboten werden konnte, dass zu viel Zeit damit vertändelt wird, Formulare und Anträge auszufüllen, anstatt mit den Frauen zu arbeiten. Es wurde auch klar, dass ohne Ehrenamt und ohne viel Improvisationstalent an der Stelle das Ganze überhaupt nicht zu leisten wäre, obwohl - das muss man sich klarmachen - dieser Schutz vor Gewalt ebenso wie die Daseinsvorsorge in einer bestimmten Notsituation sicherlich zu den ureigenen staatlichen Aufgaben gehört. Es ist eigentlich nur historisch zu erklären, dass das nicht vollauf in der staatlichen Finanzierung ist. Man muss sich einmal vorstellen, dass eine andere Institution im Bereich der Innenpolitik von Ehrenamtlern unterstützt werden müsste, dass wir in Gefängnissen zum Beispiel Ehrenamtler einsetzen müssten, um sie überhaupt unterhalten zu können! Der Handlungsbedarf an der Stelle ist also unstreitig. Die Bundesregierung erkennt ihn an, erkennt ihre Verantwortung an, nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch. Das hat sich durch den Bericht und durch die Anhörung gezeigt, aber eben auch durch die Installierung der Helpline, die in dem Zusammenhang eine ganz hohe Bedeutung hat, die den Frauen wirklich niedrigschwellig hilft, die aber auch die einzelne Einrichtung ein Stück weit davon entlastet, eine geeignete Einrichtung zu finden, wenn sie selbst keinen Platz hat. Darüber hinaus formuliert der Regierungsbericht selbst, dass es weiteren Handlungsbedarf gibt. Das ist ein Punkt, der unstreitig ist - mit und ohne Antrag der Grünen. Aber wir müssen in der Tat darüber sprechen, wie es weitergehen kann. Nun gibt es einiges von dem, was Sie ansprechen, in der Praxis schon; das dürfen wir nicht vernachlässigen. Es gibt die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Es gibt die Ebene der Frauenhauskoordinierung, die vom Bundesministerium auch gefördert wird. Es gibt die Frauenministerkonferenz, die natürlich auch mit dem Bund kooperiert. Es gibt den Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Alle diese Strukturen gibt es. Wir müssen ihnen die richtigen Fragen stellen, um zielführende Ergebnisse herauszubekommen. Sie sprechen in dem Antrag zu Recht an, dass es Probleme in der Abgrenzung der verschiedenen Rechtskreise - SGB II, Asylbewerberleistungsgesetz - gibt. Wir alle wissen, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur auf Bezieher von SGB-II-Leistungen zum Beispiel beschränkt ist. Es sind also nicht nur Frauen betroffen, die diesen Rechtskreisen zuzuordnen sind. Das sind Gesetze, bei denen man eine ganz andere Notsituation im Auge hatte. Sie können nicht passgenau sein. Von daher ist da wirklich etwas nachzuarbeiten. Darum kann sich durchaus der Bund kümmern. Sie sprechen weitere Punkte an, natürlich auch die Finanzierung und die Zuständigkeit. Das waren schon in der Debatte bisher die wichtigsten Punkte. Ich möchte drei Bemerkungen zur Finanzierung machen: Erstens. Das, was da aus der Warte der Frauenhäuser verlangt wird, ist wirklich nicht zu viel verlangt. ({0}) Es geht wirklich nirgendwo darum, dass jemand sich eine goldene Nase verdient, es geht nicht darum, dass irgendwo Luxus nachgefragt wird, sondern es geht darum, wirklich eine angemessene, bescheidene und sichere Unterkunft für Frauen in einer Notsituation zu bekommen. Wie gesagt, ohne Ehrenamt und ohne Spenden wäre das bisher nicht möglich. Zweite Bemerkung. Es ist schon einiges Geld im System. Wir fangen nicht bei null an. Die Länder bringen einiges zusammen, die Kommunen bringen einiges zusammen, sei es in der institutionellen Förderung oder auch in der fallweisen Unterstützung. Wie viel das genau ist, lässt sich schwer sagen, weil es darüber keine genaue Statistik gibt. Aber allein die Leistungen der Länder dürften die Größenordnung von 50 Millionen Euro erreichen. Hinzu kommt das, was der Bund für die Kosten der Unterkunft und dergleichen - Stichwort „Asylbewerberleistungsgesetz“ - leistet. Was letztlich gebraucht wird, ist nicht die Welt. Wir haben die Zahlen. Wir gehen davon aus, dass auf 7 500 Einwohner ein Platz im Frauenhaus gebraucht wird. Bei dem Verhältnis gäbe es eine wirklich gute Versorgung. Wenn man das hochrechnet, dann liegt das, was insgesamt gebraucht wird, in der Größenordnung von 150 Millionen Euro. Vieles davon ist, wie gesagt, schon im System. Das müsste doch zu schaffen sein. ({1}) Dritte Bemerkung. Denken Sie einmal daran, was allein die Polizeieinsätze samstags in den Fußballstadien kosten! ({2}) Wir reden da von Beträgen in einer Größenordnung von 50 Millionen Euro für ein Sicherheitsbedürfnis - vorwiegend der Männer, ({3}) was ihnen gegönnt sein mag; wir haben nichts dagegen. ({4}) Wenn man das bedenkt, dürfte die Forderung hier doch nicht zu viel verlangt sein. Ich appelliere wirklich an alle, die da mitwirken können: Helfen Sie mit, dass wir dieses Geld auftreiben! Das müssen wir aber auch auf die verschiedenen Schultern verteilen. Zuständig sind zunächst einmal wesentlich die Länder, auch wenn der Wunsch nach einem Bundesgesetz, durch das alles bezahlt wird, verständlich ist. Man sagt: Wir möchten ein Bundesgesetz, damit dieser Bürokratismus ein Ende hat. - Das kann ich verstehen. Trotzdem kommen wir an dieser Stelle an einigen Realitäten nicht vorbei: Sowohl die innere Sicherheit als auch die Daseinsvorsorge sind originäre Länderaufgaben. Wir können auf das Geld, das die Länder einbringen, nicht verzichten, genauso wenig wie auf deren Planungskompetenz vor Ort. Das muss bei den Ländern bleiben. Trotzdem gibt es für den Bund auch Spielraum.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Winkelmeier-Becker, ich unterbreche Sie ungern, gerade in dieser Debatte, aber achten Sie bitte auf die Zeit und kommen Sie zum Schluss.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich bin sozusagen beim letzten Satz. Ich möchte auf das zurückkommen, was Professor Rixen in der Anhörung als mögliche Option aufgezeigt hat. Er hat gesagt, der Bund könne bestimmte Standards und Rahmenbedingungen in einem eigenen Kapitel des SGB XII festlegen. Das wäre von den Ländern auszuführen, sodass dies als gemeinsame Aufgabe unternommen werden soll. Lassen Sie uns das einmal vornehmen! Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12850 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Poß, Ingo Egloff, Burkhard Lischka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Exorbitante Managergehälter begrenzen - Drucksache 17/13472 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Mitfinanzierung exorbitanter Gehälter durch die Allgemeinheit - Steuerliche Abzugsfähigkeit eingrenzen - Drucksache 17/13239 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion. ({2})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Menschen, immer mehr Menschen verzweifeln an einer gesellschaftlichen Situation, in der wie selbstverständlich Spitzenmanager rund das 70-Fache des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens haben. In Einzelfällen, wie wir wissen, ist die Relation noch weit größer: Da beträgt sie das 200- bis 300-Fache. Das wissen wir von teilweise prominenten Fällen. Das ist für einen modernen Sozialstaat eine viel zu große Diskrepanz, die meines Erachtens durch nichts zu legitimieren ist. In einer Zeit, in der der Niedriglohnbereich und die Prekarisierung zunehmen, ist das ein weiterer Faktor, der den sozialen Frieden unterminiert. Deshalb wollen wir, dass der Aufsichtsrat dazu verpflichtet wird, eine Relation vom Vorstandsgehalt zum Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer ihres Unternehmens zu bestimmen, zu veröffentlichen und eine Obergrenze dafür festzulegen. ({0}) Außerdem wollen wir die steuerliche Abzugsfähigkeit von Gehältern und Abfindungen als Betriebsausgaben beschränken. Einen ähnlichen Vorschlag haben wir schon in den Verhandlungen mit der CDU/CSU in der Großen Koalition gemacht. Dort haben wir das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung verabschiedet. Damals hat die CDU/CSU auch schon nicht gerne mitgemacht. Nach diesem Gesetz, das ein Anfang war, ist die CDU/CSU bei diesem Thema in einen Tiefschlaf gefallen. Erst jetzt wieder, nach mehr als drei Jahren, sind Frau Merkel und Co. aufgewacht. Das gilt auch für andere Fragen wie Bankenregulierung, Kampf gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Kurz vor der Bundestagswahl wird nach mehr als drei Jahren Ignoranz und Blockade aufgedreht. ({1}) Das trifft auch für den Vorschlag der schwarz-gelben Regierung zu, der nicht zielführend ist. Dieser Weg ist ein Irrweg. Eine klitzekleine Änderung des Aktiengesetzes - die Verschiebung der Entscheidung über die Vorstandsvergütung auf die Hauptversammlung - ist keine Lösung. Denn damit geht die schwarz-gelbe Koalition den Weg des ungebremsten Finanzkapitalismus weiter, anstatt Lösungen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft zu suchen. ({2}) Nichts wird dadurch, dass jetzt die Hauptversammlung zu entscheiden hat, besser; denn Vorschläge zur Struktur kann sie jetzt schon machen. Im Gegenteil: Nicht nur bei den DAX-Unternehmen dominieren in der Hauptversammlung Banken, internationale Fonds und institutionelle Anleger, die oft gar kein Interesse an Gehaltsbegrenzungen haben und zu deren Geschäftsmodell die systematische Erhöhung von Boni gehört. Das ist jedenfalls die belegte Praxis der Vergangenheit. Was die Transparenz der Entscheidungen angeht, wird nichts von vornherein besser werden. Diejenigen Eigentümer, die die Hauptversammlung dominieren, werden sich vorher hinter den Kulissen mit ihren Vertretern im Aufsichtsrat über das Vergütungskonzept einigen. Wir werden mehr Kungelei haben als jetzt. Ganz nebenbei werden die Vertreter der Arbeitnehmer ausgeschaltet. Diesen Anschlag auf die bewährte Balance von Kapital- und Beschäftigungsinteressen werden wir nicht mitmachen. Es muss bei dem Weg bleiben, den wir im Jahre 2009 gemeinsam mit der CDU/CSU eingeschlagen haben. Diesen Weg wollen auch die Regierungskommission, der BDI und andere gehen: mehr Verantwortung für den Aufsichtsrat. Ich füge hinzu: Der Aufsichtsrat muss diese Verantwortung allerdings stärker als in der Vergangenheit wahrnehmen. Während die Regierungskommission bei ihren Vorschlägen auf Freiwilligkeit setzt, glauben wir nach allen Erfahrungen, die wir in den letzten eineinhalb Jahrzehnten mit freiwilligen Regelungen gemacht haben, dass wir an manchen Stellen - das steht in unserem Antrag - Gesetzesverschärfungen zwingend benötigen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Managervergütung ist ein wichtiges Thema. Deshalb ist es gut, dass gehandelt wird. Es ist gut, dass die christlich-liberale Koalition handelt. Wir haben einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Wir werden diesen Vorschlag noch in dieser Legislaturperiode abschließen. Unser Vorschlag unterscheidet sich allerdings von dem Ihren. Er unterscheidet sich darin, dass er auf Stimmigkeit statt auf Unstimmigkeit setzt. Es handelt sich um ein durchdachtes und nicht um ein undurchdachtes Konzept. Es handelt sich um ein Konzept, das auf eine systematisch richtige Lösung und nicht auf Bevormundung setzt. ({0}) Der Vorschlag, den Sie heute auf den Tisch legen, ist unter einer Vielzahl von Aspekten bemerkenswert. Bemerkenswert ist zunächst einmal die Frage, wie Sie mit Betriebsausgaben umgehen wollen. Sie wollen die Absetzbarkeit der Vergütung von Vorstands- bzw. Managergehältern als Betriebsausgaben auf einen Betrag von 500 000 Euro beschränken. Viele Gehälter in diesem Land gelten als Betriebsausgaben. Dazu zählen die Gehälter für Manager, für Künstler, für Fußballstars, für Fernsehmoderatoren und für viele andere mehr. Es ist allgemein anerkannt, dass sie abgesetzt werden können. Die Einzigen, für die diese Regelung künftig nicht mehr gelten soll, sind nach Ihrem Vorschlag Vorstände und Manager. Schauen Sie sich einmal folgenden Fall an: Ein Juror bei Deutschland sucht den Superstar bekommt 1,2 Millionen Euro, wohlgemerkt: nicht pro Jahr, sondern pro Staffel. Nach Ihrem Vorschlag ist in diesem Fall die Absetzbarkeit als Betriebsausgabe künftig weiterhin möglich. Für den Manager soll dies bei einem Gehalt von etwa 600 000 Euro nur noch eingeschränkt möglich sein. Das sagt viel darüber aus, wo für die deutsche Sozialdemokratie Leistungsträger angesiedelt sind und wo nicht. ({1}) Schauen Sie sich einmal die Gehälter von Fußballstars oder von Formel-1-Rennfahrern an. Es ist für mich besonders überraschend, dass Sie dafür keine Regelung vorsehen. Denn Formel-1-Rennfahrer machen gleich zwei Dinge, die aus Sicht der Sozialdemokratie in hohem Maße anstößig sind: Sie verdienen viel Geld, und obendrein fahren sie schneller als 120. Letzteres ist im Grunde noch schlimmer als Ersteres. ({2}) Es ist ganz offensichtlich: Das, was Sie vorlegen, ist eine Regelung für irgendwelche Gruppen, bei denen es im Augenblick einfach opportun und billig ist, auf sie einzuhauen. Eine andere Regelung sehen Sie für andere Personen vor, die wesentlich mehr verdienen. Das ist unstimmig, unsinnig und obendrein verfassungswidrig. ({3}) Interessant ist auch, wie einfach Sie es sich bei der Frage machen: Was ist noch angemessen und was ist eigentlich unangemessen? Sie haben es herausgefunden: Die Trennlinie liegt offensichtlich bei 500 000 Euro. Die großen Denker der Antike wie Aristoteles und später Thomas von Aquin ({4}) haben sich lange mit der Frage des angemessenen Preises befasst, aber hätten sich, glaube ich, viel Arbeit ersparen können, wenn sie die Beiträge der Sozialdemokratie zur Erkenntnisgeschichte der Menschheit im Jahr 2013 hätten erahnen können. ({5}) Wir haben einen Vorschlag der Regierung auf dem Tisch, der vorsieht, die Rolle der Eigentümer zu stärken: Wir wollen die Rolle der Hauptversammlung stärken, weil wir der Überzeugung sind, dass die Eigentümer am besten mit dem Geld umgehen. Hier unterscheidet sich unser Ansatz von Ihrem. Sie sagen im Ausgangspunkt da sind wir noch bei Ihnen -, dass die Aufsichtsräte in Deutschland in vielen Fällen eine gute Arbeit leisten. Die Frage ist: Warum sind Sie, wenn Sie das konstatieren, überhaupt für Einschränkungen? Wenn es Einschränkungen geben soll - das ist jedenfalls unsere Überzeugung -, dann können diese nicht vom Gesetzgeber kommen; es ist viel besser, wenn sie vom Eigentümer kommen, weil er mit dem Geld einer Gesellschaft vernünftiger umgeht. ({6}) Sie behaupten, Eigentümer in der Hauptversammlung könnten damit nicht vernünftig umgehen. Erklären Sie doch einmal, warum ein Eigentümer eines Unternehmens, warum die Aktionäre in einer Hauptversammlung ein Interesse haben sollten, den Vorständen mehr Geld zuzuschanzen, als sie eigentlich verdienen. ({7}) Ein solches Interesse der Eigentümer gibt es nicht. Das Interesse der Eigentümer ist, für die Gehälter eine angemessene Gegenleistung zu bekommen. Deshalb werden wir die Rolle der Hauptversammlungen stärken. Wir werden die Aufsichtsräte dabei nicht entmachten, weil uns der Wert der Mitbestimmung zu hoch ist. ({8}) Wir werden allerdings ermöglichen, dass die Hauptversammlung den Aufsichtsräten einen äußeren Rahmen für die Vergütung absteckt. Im Augenblick ist die Situation folgende: Es ist aktienrechtlich unzulässig, dass die Hauptversammlung dem Aufsichtsrat aus eigenem Antrieb eine Obergrenze für die Managervergütung vorgibt. Daran wollen Sie mit Ihrem Vorschlag offensichtlich nicht rütteln. Wir wollen daran rütteln und sagen: Die Eigentümer sollen den äußeren Rahmen vorgeben, innerhalb dieses Rahmens sollen die Aufsichtsräte entscheiden; sie machen das gut. Das wird nach unserer Überzeugung funktionieren. Wir sind mit diesem Ansatz im Übrigen - anders als Sie - genau auf der Linie des EU-Aktionsplans „Europäisches Gesellschaftsrecht“, der besagt: Wir brauchen Veränderungen; wir brauchen eine Stärkung der Rolle der Aktionäre als Eigentümer der Unternehmen. - Im EU-Aktionsplan heißt es zu Recht, dass die aktuelle Rolle der Aktionäre eine der großen Schwächen im Bereich der Corporate Governance ist. Das beheben wir, und zwar durch strukturgerechte Maßnahmen und nicht durch staatliche Bevormundung und Dirigismus. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Topmanager ist das 300- oder 400-Fache eines einfachen Angestellten wert … Das sagte der Präsident des Verbandes Die Familienunternehmer im letzten Jahr. Ich sage: Jawohl, er hat recht. Auch wenn der Vorstand eines DAX-Unternehmens im Durchschnitt - so war es im vergangenen Jahr - etwa das 54-Fache seiner Angestellten erhält, ist das viel zu viel. Das ist eben nicht durch Leistung zu erklären. Die Durchschnittsvergütung der Vorstände der DAX-Unternehmen lag 2012 bei 5,33 Millionen Euro; das sind 3 Prozent mehr als im Vorjahr. Diese völlig überdrehten Managergehälter untergraben unser Sozialsystem und das Leistungsprinzip; das liegt auf der Hand. Es ist überfällig, dass wir hier im Haus jetzt endlich ernsthaft und mit Gestaltungswillen darüber diskutieren. ({0}) Martin Winterkorn verdiente 2012 bei VW 14,5 Millionen Euro. Dieter Zetsche von Daimler verdiente 8,2 Millionen Euro. 2011 verdiente Peter Löscher bei Siemens 9,8 Millionen Euro - eine Steigerung im Vergleich zu 2007, innerhalb von vier Jahren, um immerhin 67 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Angestellten von Siemens in diesen vier Jahren eine solche Lohnsteigerung zu verzeichnen hatte. Ich frage mich wirklich, wie Sie einer Krankenschwester, die, wenn es hochkommt, jährlich 40 000 Euro brutto verdient, Managergehälter in dieser Größenordnung erklären wollen; denn durch Leistung sind sie nicht zu erklären. Sie sind auch nicht durch Bildung, Qualität der Arbeit oder Verantwortung zu erklären. Ich glaube schon, dass die Menschen aufhorchen, wenn sie mitbekommen, dass jede Krankenschwester, jeder Hartz-IV-Empfänger und sogar jedes Kind diese Managervergütungen letztendlich mitfinanzieren; denn sie alle zahlen Steuern: Lohnsteuer, Mehrwertsteuer; die Windeln für ein Baby kosten Geld, auch darauf wird Mehrwertsteuer erhoben. Die Absetzbarkeit der Managergehälter von den Betriebsausgaben schmälert unser Gesamtsteueraufkommen. Deshalb ist die Höhe der Managergehälter einfach nicht zu erklären. Sie ist grob ungerecht. ({1}) Lassen Sie mich kurz einen Blick in die Geschichte werfen. Das Problem steigender Managergehälter, das in den letzten Jahr zusätzlich an Fahrt gewonnen hat, gibt es seit den 70er-Jahren, als die Firma Xerox das Benchmarking - vergleichende Analyse von Ergebnissen mit festgelegtem Bezugswert - eingeführt hat. Die Bezüge richten sich also nicht nach dem Betriebsergebnis, sondern die Bezüge werden im Vergleich zu anderen Unternehmen festgelegt. Das heißt, die Vergütung kann sich immer aufschaukeln: In einem Unternehmen steigen die Gehälter, dann müssen sie auch im nächsten steigen. Wir befinden uns in einer tollen Spirale nach oben. Welche Geschwindigkeit das erhalten hat, haben wir in den letzten zehn Jahren gesehen. Ihr Kabinettsentwurf zur Begrenzung der Managergehälter ist die pure Augenwischerei. Es wird sich überhaupt nichts ändern, wenn Sie nur den § 120 des Aktiengesetzes neu fassen und festlegen, dass die Hauptversammlung entscheidet. Ja, Gott, wer sitzt denn in der Hauptversammlung? Da sind Großaktionäre, Banken und Fonds mit Stimmrechten, ({2}) die kleinen Aktionäre sind nur das Nebenprogramm. Ich zitiere aus einem Artikel von Heribert Prantl aus der Süddeutschen Zeitung. Es steht schon in der Bibel: Man kann nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Man wird an einer gesetzlichen Begrenzung der Managergehälter nicht vorbeikommen. ({3}) Daran werden wir nicht vorbeikommen, wenn wir etwas ändern wollen, aber Sie wollen nichts ändern. Die Abzugsfähigkeit muss begrenzt werden. Wir haben das bereits im vergangenen Jahr in einem Antrag gefordert. Sie kommen dann immer mit Vertragsfreiheit und verweisen auf die Eigentümer. Vertragsfreiheit ist keine Freiheit zur Tollerei, und wir haben im Steuerrecht durchaus Deckelungen. Es geht hier nicht um eine völlige Streichung, es geht um eine Deckelung. Die Abzugsfähigkeit von Dienstwagen, Geschenken und Bewirtung, im Körperschaftsteuerrecht die Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen - wir haben überall Deckelungen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den USA. Dort ist die Abzugsfähigkeit der Managergehälter bei den Betriebsausgaben auf 1 Million US-Dollar gedeckelt. Sie können von Ihrem großen Bruder etwas lernen. ({4}) Wir brauchen unmittelbar eine Deckelung. Wir müssen eine grundlegende Diskussion führen. Wie Herr Poß schon sagte: Wir müssen eine Verhältnismäßigkeit herstellen zwischen dem, was die Spitzenleute verdienen, und dem, was ihre Angestellten verdienen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auf diesem Weg werden wir garantiert weitermachen. Das ist ein kleiner Beitrag für mehr Glück in der Gesellschaft; denn der Glücksgrad steigt laut soziologischer Untersuchung, wenn die Einkommensunterschiede nicht so exorbitant groß sind wie jetzt in der Bundesrepublik. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Marco Buschmann das Wort. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich greife den Punkt der Leistungsgerechtigkeit, den Kollegin Höll eben angeführt hat, direkt auf. Leistungsgerechtigkeit bedeutet, dass die Menschen akzeptieren, dass unterschiedlich verdient wird, wenn dahinter eine Leistung steht. Menschen akzeptieren beispielsweise - ich greife Ihre Aufzählung auf, Sie haben sehr viele Bezüge und Einkommen dargestellt -, dass Musiker wie Dr. Dre 100 Millionen US-Dollar im letzten Jahr verdient haben. ({0}) Das ist übrigens 1 700-mal so viel, wie ein durchschnittlicher Orchestermusiker in Deutschland verdient. Ich habe noch keinen Aufschrei gehört. Roger Waters von Pink Floyd hat fast 90 Millionen US-Dollar verdient, und Elton John hat 80 Millionen US-Dollar verdient, ein Viel-Viel-Vielfaches dessen, was ein gut ausgebildeter Orchestermusiker verdient. Auch hier: kein Aufschrei. ({1}) David Beckham hat im letzten Jahr 36 Millionen Euro verdient, Lionel Messi 35 Millionen und Cristiano Ronaldo 30 Millionen. Da gab es ebenfalls keinen Aufschrei. Herr Poß, in unserem Heimatverein, Schalke 04, verdient Klaas-Jan Huntelaar 5 Millionen Euro im Jahr. Das ist ungefähr 180-mal so viel, wie ein einfacher Platzwart durchschnittlich in Deutschland verdient. ({2}) Ich weiß aber von keinem Entschließungsantrag der SPD zur Deckelung der Einkommen von Fußballmillionären. ({3}) Die Menschen akzeptieren auch, dass Vorstandsmitglieder und Vorstandsvorsitzende von DAX-30-Unternehmen viel Geld verdienen, wenn dahinter eine Leistung steht, insbesondere wenn sie Verantwortung für Zehntausende von Jobs und einen Umsatz in Milliardenhöhe tragen. Deshalb ist der Ansatz von SPD und Grünen grundfalsch, mit einer Art gesetzlichem Maxilohn zu agieren, ({4}) quasi eine Sanktion zu verhängen, wenn man eine Gehaltsgrenze überschreitet, ohne die Branche oder die Größe des Unternehmens zu berücksichtigen. Sie wollen hier im Deutschen Bundestag nicht nur Mindest-, sondern auch Maxilöhne einführen. Der Deutsche Bundestag ist dafür aber der falsche Ort. Das ist Sache der Tarif- und Vertragsparteien. So läuft das in der sozialen Marktwirtschaft. ({5}) Was das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit in der Tat verletzen kann, sind intransparente Vergütungsmodelle oder hohe Abfindungen trotz objektiver Fehlleistung. Im Fall Zumwinkel zum Beispiel wurde trotz schlechter Leistung eine hohe Abfindung gezahlt. ({6}) Deshalb bin ich der Meinung, dass es der richtige Weg ist, die Verantwortung für die Vorstandsvergütung in die Hände der Eigentümer zu legen. Wer hat denn das größte Interesse an einem nachhaltigen Erfolg des Unternehmens? ({7}) Die Eigentümer. Sie haben das größte Interesse an einem nachhaltigen Erfolg des Unternehmens, weil dadurch der Wert ihres Eigentums steigt. Deshalb ist es sinnvoll, die Verantwortung in die Hände der Eigentümer zu legen und hier keine politisch festgelegten Maxilöhne zu beschließen. Sie führen Ihre Neidangriffe ausschließlich gegen Vertreter der Wirtschaft, sagen aber nichts über Künstler und nichts über Fußballer, bei denen die Gehaltsunterschiede - ich habe das aufgezeigt - noch viel, viel exorbitanter sind als in den Fällen, die Sie uns hier vorgetragen haben. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Thomas Gambke das Wort.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eigentlich war es die Finanzkrise, die die negative Wirkung der Erfolgsboni zum Vorschein gebracht und dieses ganze Thema nach oben gespült hat. Bankmanager haben für Geschäftsabschlüsse, die weder der Bank noch den Kunden und schon gar nicht der Gesellschaft irgendeinen Nutzen gebracht haben, Boni erhalten. Der Mehrwert dieser Geschäftsabschlüsse kam nur ihnen persönlich zugute. ({0}) Diese Boni stehen in keinem Verhältnis zur Leistung des Einzelnen. Die Geschäftsabschlüsse wurden allein mit dem Ziel getätigt, das eigene Portemonnaie zu füllen. ({1}) Darüber sind sich alle Fachleute und die Öffentlichkeit einig: Diese Bonivereinbarungen waren Brandbeschleuniger. ({2}) Es ist an der Zeit, dass wir diesem Treiben endlich ein Ende setzen. ({3}) - Ich komme dazu, Herr Buschmann. Das Thema betrifft aber nicht nur den Bankensektor. In den Debatten ging es auch um die bereits genannten Manager, um Herrn Winterkorn, der mit 17 Millionen Euro im Jahr ungefähr das 500-Fache eines durchschnittlichen Facharbeiterlohnes bekommt, ({4}) und Herrn Vasella, den Vorstandsvorsitzenden und Verwaltungsratspräsidenten von Novartis, und jeder wusste: Diese Summen stehen nicht mehr im Verhältnis zur persönlichen Leistung, Herr Buschmann. Damit war der Handlungsbedarf klar: Das Verhältnis zwischen Vergütung und persönlicher Leistung muss wiederhergestellt werden. ({5}) Wenn wir dieses Thema anpacken, müssen wir allerdings zwei Randbedingungen beachten: Erstens darf die Regulierung eben nicht nur den Vorstand einer Aktiengesellschaft betreffen, und zweitens können wir in die Vertragsfreiheit nicht eingreifen. Das sind enge Grenzen, in denen wir uns zu bewegen haben. Es gibt Regierungsvorschläge dazu. Über diese Regierungsvorschläge war ich extrem erstaunt. Ich kann dazu nur sagen: Ungenügend! So sieht es auch die Fachwelt. Warum? Der Vorschlag verkennt, dass die Aktionäre letztendlich die eigene Rendite im Auge haben, Herr Buschmann, aber nicht die Belegschaft und schon gar nicht die Gesellschaft. ({6}) Erinnern Sie sich an den Mannesmann-Deal? Herr Esser hatte damals 50 Millionen D-Mark bekommen. Glauben Sie im Ernst, die Aktionäre hätten dies gestoppt? Nein. Die Verantwortung muss beim Aufsichtsrat bleiben. ({7}) Es war auch gut so, dass damals der Aufsichtsrat zur Rechenschaft gezogen worden ist. ({8}) Wir können keine allgemeine gesetzliche Regelung machen, mit der wir in die Vertragsfreiheit eingreifen. Insofern liegt die Kommission, die von der Regierung eingesetzt wurde, mit einer Forderung richtig, nämlich mit der Forderung nach mehr Transparenz, Transparenz über das Verhältnis zwischen der Vergütung von Vorständen und Managern - Manager werden dort mit eingeschlossen - und dem durchschnittlichen Facharbeiterlohn. ({9}) Vielleicht eine persönliche Bemerkung. Ich habe 25 Jahre meines Berufslebens in einem Konzern verbracht, in dem das Vorstandsgehalt maximal das Zehnfache des durchschnittlichen Facharbeiterlohnes betragen durfte. Daraus sind zwei Weltkonzerne entstanden: Carl Zeiss und Schott. Das sage ich nur für Sie, Herr Buschmann. ({10}) Wir haben eine steuerliche Regelung vorgeschlagen, die für jeden und nicht nur für den Vorstand gilt. Da kommen wir ins Spiel. Wir verbieten ja gar nicht höhere Gehälter; das ist absoluter Blödsinn. ({11}) Wir wollen aber, dass sie nicht mehr steuerlich absetzbar sind. Das ist der entscheidende Punkt. Sie können 100 Millionen Euro als Gehalt zahlen, aber dieses Geld ist nicht mehr steuerlich absetzbar. ({12}) Das heißt, wir als Steuerzahler beteiligen uns nicht mehr an diesen exorbitanten Gehältern, die kein Verhältnis mehr zur persönlichen Leistung haben. Das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen. ({13}) Nun zu dieser Placebomaßnahme. Ich bin wirklich erschüttert, welcher Vorschlag von der Regierung gemacht wurde. Das ist von den Experten zerrissen worden. ({14}) Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, eine Art Überaufsichtsrat zu schaffen. Die Hauptversammlungen heute geben eben nicht die Ansicht des Einzelaktionärs wieder. Sie kennen das Problem, Stichwort „Depotstimmrecht“. Was Sie da erzählt haben, Herr Buschmann, war von vorne bis hinten keine Begründung für eine vernünftige Regelung. Ich denke, wir von den Grünen haben hier sehr vernünftige Regelungen vorgelegt. Es gibt sehr interessante Vorschläge von der SPD. Lassen Sie uns das konstruktiv angehen! Denn es muss unser gesellschaftlicher Auftrag sein, das Missverhältnis zwischen Vergütung und Leistung wieder in Ordnung zu bringen. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die Unionsfraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor hier wohlfeile Forderungen zur Vergütung von Managern aufgestellt werden, sollten wir zunächst das tun, was gute Juristen gelegentlich tun, nämlich ins Gesetz schauen. Der Blick ins Gesetz erleichtert bekanntermaßen die Rechtsfindung. Im Aktiengesetz steht in § 87 Abs. 1: Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds … dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen ({0}) des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Das, was Sie gerade lautstark eingefordert haben, steht also längst im Gesetz. ({1}) Der Aufsichtsrat hat dafür zu sorgen. Weiter heißt es: Variable Vergütungsbestandteile sollen … eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben … Auch das steht also bereits im Aktiengesetz. ({2}) - Entschuldigung, Herr Kollege, ich referiere nicht über Vorschläge, sondern ich referiere über die bereits beschlossene Rechtslage. ({3}) In Abs. 2 des § 87 ist bereits heute in Form einer Sollregelung die Empfehlung für den Aufsichtsrat enthalten, bei Unbilligkeit, beispielsweise durch eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens, die Vorstandsvergütung selbst nachträglich anzupassen. Auch das ist Bestandteil der jetzigen Rechtslage. Diese Regelung ist sachgerecht und klug. Wir haben dies im Übrigen 2009 in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen. ({4}) Das Ziel, das wir damit verfolgt haben, war, die Risiken von kurzfristig ausgerichteten Managementvergütungssystemen zu beseitigen. Das ist auch erreicht worden. Untersuchungen haben gezeigt, dass es im Anschluss an diese neue Regelung zu mehr Transparenz gekommen ist und dass nachhaltiges Wirtschaften in den Unternehmensspitzen größere Beachtung als zuvor gefunden hat. Sicherlich ist richtig, was Sie hier anführen, dass in einigen Unternehmen sehr hohe Vorstandsvergütungen gezahlt werden. Entscheidend ist aber nicht allein die Höhe der Vergütung, sondern zunächst einmal, dass eine Vergütung leistungsgerecht ist und dass sie dem jeweiligen Unternehmen angemessen ist. Dazu gehört freilich auch, dass Unternehmen, die Verluste schreiben oder sogar staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, bei der Vergütung ihrer Manager maßhalten müssen; auch das ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Wir haben das, als es im Deutschen Bundestag um die Finanzhilfen ging, genau so beschlossen. Schließlich bin ich der Auffassung, dass auch Missmanagement Konsequenzen haben muss. Das ist ein Punkt, der aus meiner Sicht wichtiger ist als die Höhe von Vorstandsvergütungen. ({5}) Für mich ist viel unbefriedigender, dass immer wieder selbst dann hohe Abfindungen gezahlt werden, wenn Manager ihre Projekte und damit viel Geld in den Sand gesetzt haben. ({6}) Aber auch das ist nicht in erster Linie eine Aufgabe des Gesetzgebers, sondern eine Aufgabe der Unternehmen, die solche Vergütungsregelungen treffen. Im Übrigen reicht es nicht aus, nur auf die Vergütungen der Vorstände abzustellen. Viel wichtiger ist in meinen Augen, dass ein gesundes Unternehmen, das hohe Gewinne erwirtschaftet, die gesamte Belegschaft am Unternehmenserfolg teilhaben lässt. Dafür gibt es gute Beispiele; es gibt große deutsche Unternehmen, in denen genau das praktiziert wird. Es muss also der Gesamtkonzern in den Blick genommen werden. Wer Vorstandsvergütungen an internationalen Vorbildern misst, der sollte bei der Belegschaft den gleichen Maßstab anlegen. Nur, meine Damen und Herren, es stellt sich die Frage, welche Aufgabe die Politik und der Gesetzgeber hier haben. Auch Politiker sollten maßhalten, wenn es um Eingriffe in freie unternehmerische Entscheidungen geht. Wir können gerne darüber diskutieren, ob wir die Rechtslage, die wir erst 2009 neu geschaffen haben, noch verbessern können. Aber dann müssen wir auch die Mitverantwortung hervorheben, die Sie in Ihrem Antrag zu Recht der Arbeitnehmerseite beimessen. Sie schreiben - ich zitiere -: Hierzulande ist der Aufsichtsrat jedoch in mitbestimmten Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten auch mit Arbeitnehmervertretern besetzt. Es ist in der Sache richtig und trägt zur Akzeptanz der Entscheidung bei, wenn die Festsetzung der Bezüge auch von der Arbeitnehmerseite mit verhandelt und mit verantwortet wird. Ja, dem kann ich durchaus zustimmen. Wenn Sie aber nun zu dem Schluss kommen, dass die Entscheidungen, die in Mitverantwortung und nach Mitverhandlung der Arbeitnehmerseite getroffen worden sind, nicht akzeptiert werden können, dann müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen, ob mit der Mitverantwortung, die den Arbeitnehmern vom Gesetzgeber zugeschrieben worden ist, auf Arbeitnehmerseite angemessen umgegangen worden ist. Auch wenn Gewerkschaftsvertreter als Mitglieder von Aufsichtsräten offenbar einen Teil ihrer Vergütung an die Gewerkschaften abführen, ihre Verantwortung können sie damit nicht ablegen. Deswegen rate ich Ihnen aufseiten der SPD: Nehmen Sie bitte auch Ihre außerparlamentarische Verantwortung wahr, bevor Sie den ganzen Bundestag mit unausgegorenen Vorschlägen behelligen! ({7}) Die Koalition ist der Auffassung, dass wir die Mitverantwortung der Eigentümer der Unternehmen stärken müssen. Wir sollten die Vorstandsvergütung stärker auf die Schultern der Anteilseigner legen. Das wird für Transparenz sorgen und Öffentlichkeit herstellen. Deswegen wollen wir, dass die Hauptversammlung zwingend über den Rahmen der Struktur der Vergütung von Vorständen Beschluss fasst; innerhalb dieses Rahmens kann der Aufsichtsrat dann Detailregelungen treffen. Es sind die Eigentümer, egal ob institutionelle Anleger oder Kleinanleger, die das größte Interesse daran haben, dass Vorstände in einem angemessenen Verhältnis zum Unternehmenserfolg vergütet werden. Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, Neiddebatten zu schüren. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass Leistungsbereitschaft gefördert wird; denn davon hängt der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen ab. Nicht zuletzt sind auch wir Politiker als diejenigen, die Steuern einnehmen, auf den wirtschaftlichen Erfolg unserer Unternehmen angewiesen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Stefan Rebmann das Wort. ({0})

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig und wichtig, dass wir heute die Begrenzung exorbitant hoher Managergehälter debattieren. In der Schweiz ist dieses Thema ja nicht nur debattiert worden; dort hat sogar eine Volksbefragung dazu stattgefunden. Für die Gewerkschaften und für die Betriebsräte sind die Managergehälter verbunden mit der Frage nach der Übernahme von Verantwortung für den Betrieb, für die Arbeitnehmerschaft, für die Anteilseigner, für die Aktionäre, für die langfristigen Unternehmensziele und für die Allgemeinheit schon lange ein Thema; denn Betriebsräte und Arbeitnehmer haben zu oft erfahren müssen, dass über Verantwortung und über Leistung und Leistungsgerechtigkeit zwar gerne geredet wird, aber nicht selten die Arbeitnehmer mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes die Folgen einer schlechten Leistung des Managements zu tragen haben. ({0}) Während so manche Leistungsniete in Nadelstreifen weiter ein Spitzengehalt kassierte, mussten viele Arbeitnehmer zur Bundesagentur für Arbeit gehen und sich arbeitslos melden. Wir haben als SPD - der Kollege Poß hat schon darauf hingewiesen - im Jahr 2009 in der Großen Koalition mit viel Druck das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung auf den Weg gebracht. Das war ein guter und wichtiger Schritt. Wir wollten aber schon damals weit mehr als nur eine Veröffentlichung der Vorstandsgehälter. Wir, die SPD, die Gewerkschaften und der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinen über 6 Millionen Mitgliedern, fordern schon seit langem eine Verbesserung der Transparenz, mehr Rechte für die Aufsichtsräte, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Vorstandsgehältern, Boni, Abfindungen und Antrittsprämien begrenzt wird und dass die Gehälter von Managern in einem bestimmten, nachvollziehbaren Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Belegschaft stehen. ({1}) Nicht in allen Führungsetagen herrschen Gier und Selbstbedienungsmentalität vor; das muss man fairerweise sagen. Aber - und das stimmt leider auch - immer mehr Menschen können trotz Arbeit von ihrem Gehalt nicht leben, während es Managergehälter gibt, die mit der tatsächlich erbrachten Leistung, der Verantwortung und mit Verdienen im besten Wortsinne rein gar nichts mehr zu tun haben. Die Managergehälter - darauf ist heute schon hingewiesen worden - haben sich, insbeson30266 dere im Bankensektor, seit längerem von der allgemeinen Gehaltsentwicklung komplett abgekoppelt. Vor 25 Jahren hat ein Vorstand eines DAX-Unternehmens im Regelfall etwa das 14-Fache des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmer in seinem Betrieb verdient. Heute ist es das 70-Fache, in Einzelfällen sogar das 200-, 300oder gar 400-Fache. Ich finde, da sind Maß und Mitte vollkommen verloren gegangen. Es hat sich leider gezeigt, dass Appelle nichts nützen, sodass wir Druck machen und die gesetzlichen Regelungen verschärfen müssen. Wir wollen, dass die Aufsichtsräte eine Höchstgrenze für das Verhältnis von Vorstandsvergütung und Belegschaftseinkommen beschließen. Wir wollen, dass ein Maximalverhältnis zwischen Grundgehalt und Boni festgeschrieben wird. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. ({2}) Sie brauchen nur noch zuzustimmen. Ich möchte Ihnen eine kleine Entscheidungshilfe geben: Wenn man die Jahresrente eines Eckrentners in 50-Euro-Scheinen abzählt, kommt ein Geldbündel von 2,8 Zentimetern Höhe heraus. ({3}) Wenn Sie dasselbe mit dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Arbeitnehmers machen, kommt ein Geldbündel von 6,1 Zentimetern Höhe heraus. Mit der Antrittsprämie, die Utz Claassen für 74 Tage Dienst bekommen hat - 9,2 Millionen Euro -, kommen Sie auf 18,4 Meter. ({4}) Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass wir eine Regelung brauchen, dem kann ich auch nicht helfen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Birgit Reinemund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kommen zu Recht Unmut und Empörung auf, wenn immer wieder spektakuläre Fälle von schwindelerregend hohen Managervergütungen durch die Medien gehen, vor allem bei Unternehmen, die Verluste schreiben und Stellen abbauen, oder von Managern, die mit einem goldenen Handschlag verabschiedet werden, selbst wenn sie mangels Erfolg ausscheiden. Deutscher Rekordhalter ist ExPorsche-Chef Wiedeking, der gehen musste, nachdem die Übernahme von VW geplatzt war und der Konzern Milliardenschulden angehäuft hatte. Zum Abschied bekam er 5 Millionen Euro. Ein anderes Beispiel ist der Ex-Chef des Berliner Skandalflughafens BER, der auf ganzer Linie versagte und jetzt mit rund 1,8 Millionen Euro abgefunden werden soll. Seltsam ist nur, dass ich hier keine Empörung der SPD höre. Es geht heute nicht um die Neid- und Umverteilungsdebatte der linken Seite dieses Hauses, sondern um die Frage, wie wir solche Exzesse verhindern und Leistung und Vergütung wieder in Einklang bringen können, und darum, was angemessen ist, welchen Wert eine Leistung für das Unternehmen hat, nicht für die politischen Entscheidungsträger. ({0}) Der ökonomische Wert muss im Unternehmen diskutiert werden, die ethische Dimension in der Wirtschaft insgesamt, und das geschieht gerade. Diese Angemessenheit kann weder ein Finanzministerium noch das Parlament beurteilen. Das ist originäre Aufgabe der Eigentümer eines Unternehmens, der Aktionäre. ({1}) Unsere Unternehmen stehen im internationalen Wettbewerb, auch bei der Rekrutierung ihres Spitzenpersonals. Sie brauchen die fähigsten Köpfe für Deutschland, um die Zukunft der Unternehmen und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu sichern. Was ihnen das wert sein darf, lässt sich nicht politisch an Kennzahlen festmachen, wie die SPD in ihrem Antrag fordert, und schon gar nicht national. Eine gesetzliche Obergrenze ist genauso falsch wie der Versuch der SPD und der Grünen in ihrem Antrag, über das Steuerrecht zu steuern. Eine Sonderregelung für Manager im Steuerrecht wäre verfassungswidrig und auch nicht wirklich ein Beitrag zur Steuervereinfachung. Was den Unternehmen ihre Vorstände und Aufsichtsräte wert sind, ist bisher alleinige Entscheidung der Aufsichtsräte. Richtig, manche kriegen den Hals nicht voll. Vergütung und Leistung scheinen in keinem ausgewogenen Verhältnis zu stehen. Der Aufsichtsrat, der übrigens paritätisch besetzt ist, spielt in diesen Fällen aber mit, inklusive Gewerkschaften, inklusive Arbeitnehmervertretern. Diese Exzesse wollen wir beenden. ({2}) Der Staat ist hier gefordert, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, weil die bisherigen Kontrollgremien dem offensichtlich nicht gewachsen sind bzw. in einigen Fällen eigene Interessen dominieren. Richtig ist deshalb der Ansatz der Koalitionsfraktionen, nicht die Vergütungen politisch zu regeln, sondern die Befugnis, über die Vergütungen zu entscheiden, denen zu übertragen, die auch die Verantwortung tragen, nämlich den Eigentümern des Unternehmens, den Aktionären, und damit der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft. Folgerichtig werden wir das Problem nicht im Steuerrecht, sondern im Aktienrecht lösen, und dort gehört es auch hin. Wir wollen die Eigentümer stärken und gleichzeitig auch stärker in die Pflicht nehmen. Sie sollen die vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Vergütungssysteme künftig bewerten und beschließen; denn sie stehen in der Verantwortung für das Unternehmen. Es geht um ihr ureigenes Interesse, um ihr Geld. Daneben wollen wir die Transparenz der Hauptversammlung und weg von den Kungelrunden in abgeschlossenen Räumen; denn so entsteht ein guter Ordnungsrahmen, um derartige Exzesse künftig zu vermeiden. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13472 und 17/13239 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 17/13239 - das ist der Tagesordnungspunkt 10 b - soll federführend beim Rechtsausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 17/12636 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/13452 Berichterstattung: Abgeordnete Kirsten Lühmann - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13454 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Johannes Kahrs Dr. h. c. Jürgen Koppelin Roland Claus Sven-Christian Kindler Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer. ({2})

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf zu einem Thema, das viele Millionen Menschen in unserem Land betrifft. Allein 9 Millionen Menschen haben Eintragungen im Verkehrszentralregister in Flensburg bzw. in der „Verkehrssünderdatei“, wie der Volksmund sie nennt. Diese Verkehrssünderdatei ist durch immer weitere Verkomplizierungen aus den Versuchen heraus, sie vermeintlich besser zu machen, Opfer einer Verschlimmbesserung geworden. Das geht so weit, dass es heute in Deutschland im Grunde genommen kaum noch jemanden gibt, der dieses Punkteregelwerk bis in alle Verästelungen vollkommen und zuverlässig beherrscht. Hinzu kommt: Wenn Sie Ihren Punktestand abfragen, erhalten Sie zwar eine Auskunft. Sie können aber nicht sicher sein, ob das, was Ihnen mitgeteilt wird, auch stimmt. Es können mehr Punkte sein, es können aber auch weniger sein. - Dies zusammengenommen war für uns Anlass, zu sagen: Wir wollen das Ganze durchforsten und auf den Prüfstand stellen. Wir wollen das System einfacher, durchschaubarer und vor allem auch gerechter machen. ({0}) Vor allen Dingen aber - das ist die Hauptüberschrift muss ein solches verbessertes Regelwerk auch der Verbesserung der Verkehrssicherheit dienen; denn die Verkehrssicherheit muss immer Maßstab aller Dinge sein. ({1}) Wir haben es uns wirklich in jeder Hinsicht sehr schwer gemacht, um die bestmögliche Lösung zu finden. Wir haben gerungen, auch in vielen guten Gesprächen mit der Opposition. Deshalb möchte ich mich nicht nur bei den Koalitionsfraktionen, sondern auch bei den Oppositionsfraktionen für die sachliche Art des Austausches und des Ringens um gute Lösungen aufs Allerherzlichste bedanken. Ich möchte mich auch bei den Bundesländern, sprich: beim Bundesrat, bedanken, dessen Empfehlungen wir nach dem ersten Durchgang weitestgehend übernommen haben. In einem Punkt gibt es eine gewisse Abweichung, nämlich bei der Frage: Soll auch in Zukunft ein Punkteabbau durch Seminare möglich sein? Ursprünglich war vorgesehen, diese Möglichkeit nicht mehr vorzusehen; denn die Praktiker, die Fahrlehrer, haben gesagt, die Punkteabbauseminare würden oft nur abgesessen, von ihnen gehe kein pädagogischer Effekt aus. Wenn Verkehrssünder nach diesen Seminaren aber genauso fahren wie bisher, hat ein solches Abbauseminar natürlich keinen Sinn. Also müssen und wollen wir an der Verbesserung dieser Seminare arbeiten. Die großen Verbände, der ADAC, den man mit über 18 Millionen Mitgliedern weiß Gott zu den repräsentativen Vertretern der Autofahrerinteressen zählen kann, ebenso wie die anderen Verbände, AvD usw., haben gefordert, dass doch eine Möglichkeit geschaffen werden sollte, Punkte in einem gewissen Ausmaß abzubauen. Im Übrigen hat mich auch das Anliegen der Berufskraftfahrer überzeugt, die nicht nur 10 000 Kilometer, sondern 100 000 Kilometer und mehr im Jahr fahren. Wir sollten dieses arbeitnehmerfreundliche Anliegen aufgreifen. Deshalb halte ich es auch für vertretbar, wenn man bis zu einem gewissen Punktestand innerhalb von fünf Jahren einmal zwei Punkte abbauen kann. Nach reiflicher Überlegung halte ich das für geboten, für richtig und für arbeitnehmerfreundlich. ({2}) Gehen wir eine solche Frage doch mit gesundem Menschenverstand an! Versetzen wir uns in die Lage der Betroffenen! Es gibt ganz kuriose Fälle, etwa den: Ein Berufskraftfahrer übernimmt seine Zugmaschine mit Auflieger und bereitgestellten Containern. Er ist zwar für die Sicherung der Ladung verantwortlich; aber die Beladung hat er nicht vorgenommen. Er fährt los, die Ladung verrutscht, er wird kontrolliert und bekommt einen Punkt, obwohl er den Auflieger nicht beladen hat. Ich bitte deshalb die Länder und auch die Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen, dieses Arbeitnehmeranliegen, das ohnehin nur in geringem Umfang zur Geltung kommt, aufzugreifen. ({3}) Es soll mehr Sicherheit geben, aber auch mehr Klarheit. In Zukunft wird der Entzug des Führerscheins nicht mehr bei 18 Punkten erfolgen, sondern bei maximal acht Punkten. Es werden nicht mehr bis zu sieben Punkte für ein einzelnes Delikt vergeben, sondern nur noch bis zu drei Punkte. Für schwere Vergehen gibt es einen Punkt, für besonders schwere Vergehen 2 Punkte. Wenn mit dem besonders schweren Vergehen noch eine Straftat verbunden ist, beispielsweise später als eine Sekunde nach dem Umspringen der Ampel bei Rot gefahren und dann auch noch ein kleiner Unfall verursacht wurde, verbunden mit Fahrerflucht, dann gibt es drei Punkte. Was die Gerechtigkeit anbelangt: Wir wollen nicht denjenigen, der einmal eine lässliche Sünde begeht, an die Kandare nehmen. ({4}) Der Grundsatz der Überlegungen war immer: Der notorische, der unbelehrbare Verkehrsrowdy muss an die Kandare genommen werden. Derjenige, der eine lässliche Sünde begeht, zum Beispiel einmal ohne Umweltplakette in eine Umweltzone fährt, soll in Zukunft keinen Punkt mehr bekommen, ({5}) obwohl er natürlich sein Verwarngeld - in diesem Fall sogar in erheblicher Höhe - zu zahlen hat. Wir haben auch die Belange des Verkehrsgerichtstages in Goslar aufgenommen. Der Präsident hat mir gesagt, wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, damit es zu dieser Reform kommt. Es wäre schlecht, wenn sie scheitern würde, wenn es beim alten System bliebe. Deshalb meine Bitte an alle Beteiligten: Ziehen wir jetzt gemeinsam an einem Strang, damit wir im Interesse von Millionen von Autofahrern in Deutschland für mehr Fairness und Ausgewogenheit bei diesen Regelungen sorgen! Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Kirsten Lühmann hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! 30 Milliarden Euro pro Jahr, 2 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, das sind die jährlichen Kosten, die infolge von Straßenverkehrsunfällen entstehen und die von uns allen, von der Allgemeinheit, getragen werden müssen. Eine zweite Zahl: Ein Drittel der 3 606 Verkehrsunfälle mit Todesfolge im letzten Jahr wurden durch aggressive Fahrer verursacht. Das ist erschreckend. Diese Zahlen müssen wir reduzieren. ({0}) Wie können wir vorbeugen? Zum einen, indem wir die Fahrenden feststellen, möglichst bevor sie diese Schäden verursachen, und indem wir ihnen im Extremfall die Fahrerlaubnis wegnehmen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können. Ein Instrument, um diese Raser und Drängler aus der Masse der verantwortungsbewussten Fahrzeugführenden herauszufinden, ist seit mehr als 50 Jahren die bestehende Flensburger Verkehrssünderdatei. Zurzeit sind dort gut 9 Millionen Personen registriert. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich werde Sie nicht fragen, ob Sie dabei sind. Aber es gibt Untersuchungen, die besagen: Wenn Sie dabei wären, wüssten Sie nicht, wie viele Punkte Sie aktuell haben. Die Regeln sind nämlich zu unübersichtlich, zu intransparent mit den Verjährungshemmnissen und Überliegefristen. Das ist der wesentliche Grund für die Reform des Verkehrszentralregisters. Daher hat der ehemalige Verkehrsminister Tiefensee eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge für eine Reform erarbeitet hat. Ziel ist - so hat Minister Ramsauer das einmal formuliert -: Das System soll einfacher werden, gerechter und transparenter. Aber zwischen dem Ergebnis der Tiefensee-Experten und der medienwirksamen Erläuterung der Punkteampel von Minister Ramsauer, zwischen dem ersten Gesetzentwurf und dem, was wir heute debattieren, ({1}) liegen Welten. ({2}) Sofern diese Reform je einfacher, gerechter und transparenter war, ist sie es jetzt jedenfalls nicht mehr. Der Auto Club Europa fragte jüngst in der Presse: Macht die Reform überhaupt noch Sinn? Eine berechtigte Frage, insbesondere weil das Kernstück der Reform, das Regelwerk, wofür es wie viele Punkte geben soll, noch gar nicht debattiert wurde. Wir sollen also heute quasi die Katze im Sack kaufen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das, obwohl in der ersten Lesung der Kollege Storjohann noch vollmundig verkündet hat: Natürlich werden wir darüber reden; diese Regierung wird uns auch die entsprechende Verordnung zur Verfügung stellen, auch wenn sie dafür formal nicht zuständig ist. ({3}) Dabei stellt sich die Frage: Wen meinen Sie mit „uns“? Die SPD-Fraktion ist nicht „uns“. Wir haben die Verordnung nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Ich nehme an, die anderen Oppositionsfraktionen auch nicht. Es gab auch nicht, wie bei solchen Projekten üblich, ein Berichterstattergespräch, in dem Fachleute der Fraktionen einen solchen Katalog hätten besprechen können. Herr Ramsauer, in einem solchen Gespräch hätte man die von Ihnen angesprochenen Probleme der Berufskraftfahrenden, die Probleme mit der Ladungssicherung, locker lösen können, und zwar ohne dafür aufwendige Ausnahmen in der Reform machen zu müssen. ({4}) Wofür wird es also zukünftig Punkte geben, Herr Ramsauer? Was ist relevant für die Verkehrssicherheit? Was muss registriert werden? Was fällt heraus? Transparenz sieht anders aus. Was ist mit den Argumenten gegen den Punkterabatt? In der ersten Lesung vor wenigen Wochen hat Minister Ramsauer zu dem Argument, Vielfahrer sollten entlastet werden, das er uns eben sehr breit dargelegt hat, noch gesagt: Bei allem, was wir hier entscheiden und tun, sollten wir … immer die Frage der Verkehrssicherheit an vorderste Stelle rücken … Dabei eine Abgrenzung vorzunehmen, - ab wie vielen Kilometern jemand Vielfahrer ist ist auch keine ganz einfache Angelegenheit. Der Kollege Storjohann ergänzte: Verkehrsunfälle entstehen hauptsächlich durch rücksichtsloses und zu schnelles Fahren … Deshalb ist mein Petitum, dass wir keinen Punkteabbau ermöglichen sollten. Richtig, meine Herren. Wären Sie doch bei Ihrer Meinung geblieben! ({5}) Jahrelang hat diese Bundesregierung an der Reform herumgedoktert, geforscht, experimentiert und die Bürger gefragt. Das Ergebnis war immer: Punkteabbau ist mit der Verkehrssicherheit nicht vereinbar. Punktabbau dient übrigens auch nicht zur Vereinfachung und transparenten Gestaltung dieses Systems. Deshalb lassen Sie das doch einfach weg. Damit wäre der Sicherheit wesentlich mehr Genüge getan. ({6}) Einen Punkteabbau soll es nach dem Besuch eines Fahreignungsseminars geben. Das soll nach übereinstimmender Meinung, ich denke von uns allen, das zurzeit geltende unwirksame Seminar ablösen. ({7}) Neues zu versuchen, ist sinnvoll. Aber wir haben - dabei sollten wir ehrlich sein - überhaupt keine Ahnung, ob das Neue, das wir versuchen, wirklich funktionieren wird. Es gibt noch nicht einmal klare Regelungen zur Qualitätssicherung und zur Überwachung der Fahreignungsseminare. Diese Richtlinien bräuchten die Länder, die nämlich dafür zuständig sind, dringend, um sachgerecht handeln zu können. Sie haben einfach nicht geliefert, obwohl Sie mehrfach dazu aufgefordert wurden, und das bei den zu erwartenden Kosten von 600 bis 800 Euro pro Veranstaltung. Wenn wir die Menschen in Deutschland zu so teuren Maßnahmen verpflichten, dann haben sie, denke ich, auch ein Recht darauf, dass wir untersuchen, ob das das Geld wert ist, das sie ausgeben, ob es wirklich wirkungsvoll ist. ({8}) Das bedeutet, wir brauchen im Gesetz eine verbindliche Pflicht zur Überprüfung. Herr Storjohann, das haben Sie in der ersten Lesung auch ganz richtig gefordert. Selbst der ADAC hat in unserer Expertenanhörung zugeben müssen, dass nicht sichergestellt ist, dass diese Seminare einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. ({9}) Sie waren bereit, eine Evaluation abzuwarten. Zusätzlich stellt sich die Frage: Wer wird sich ein solches Seminar leisten können? Mit Sicherheit nicht die Arbeiter im Niedriglohnsektor, die es in der Bundesrepublik, wie wir im Armuts- und Reichtumsbericht erfahren haben, in immer größerer Zahl gibt. Die Folge wird deshalb sein: Die Reichen können sich freikaufen. Mit der Gerechtigkeit Ihrer Reform ist es nicht weit her, Herr Minister. ({10}) Dennoch hat sich die Union in der Frage des Punkterabatts den liberalen Kräften gebeugt. Die FDP betreibt ihre übliche Klientelpolitik, und die Union hat es noch nicht einmal geschafft, die verbindliche Überprüfung der Wirksamkeit der neuen Regeln durchzusetzen. Das gibt uns wieder einmal einen tiefen Einblick in den Zustand der Koalition und ist ein weiterer Hinweis, wie wichtig ein rot-grüner Regierungswechsel im Herbst ist. ({11}) Fazit: Der Gesetzentwurf ist unzureichend und wird deshalb im Bundesrat voraussichtlich angehalten werden. ({12}) Es ist vernünftig, wenn der rot-grün dominierte Bundesrat dem CSU-geführten Ministerium die Fehler korrigiert, die die FDP in den ursprünglichen Entwurf hineinverhandelt hat. Vielleicht kommt dann noch etwas Vernünftiges im Sinne der Verkehrssicherheit heraus. Herzlichen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic für die FDPFraktion. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neuregelung des Punktesystems ist ein wichtiges Anliegen, das eigentlich alle Fraktionen teilen. Das jetzige System ist unübersichtlich und intransparent. Deswegen wurde die Reform angegangen. Wir sind uns alle einig, dass es sich hier eigentlich um eine Verbesserung im Vergleich zum bestehenden System handelt. Kollegin Lühmann hat nun das Thema Punkteabbau angesprochen. Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, dass sich die Experten in der Anhörung unisono für die Aufnahme der Möglichkeit des Punkteabbaus ausgesprochen haben; denn frühe und freiwillige Maßnahmen haben unter verkehrspsychologischen Aspekten einen positiveren Einfluss als ein Zwangsseminar. Schauen Sie sich die Zahlen und Fakten genau an. Ausweislich der Studie von Kolbert-Ramm, Seite 68 - so steht es auch in der Begründung zum Gesetzentwurf -, wird durch die freiwillige Seminarteilnahme die Zahl der Verkehrsdelikte um 64 Prozent reduziert. Es ist ganz klar wissenschaftlich-empirisch nachgewiesen, dass diese Seminare wirken. Deswegen sind der ADAC, der DVR, die Fahrlehrer, die Psychologen, der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Verkehrsgerichtstag, also die gesamte Szene, für solche Seminare. Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis. Die Grünen tun es doch auch, liebe Kollegen von der SPD. ({0}) Ein großes Problemfeld hat sich - der Minister hat es zu Recht angesprochen - bei den Berufskraftfahrern und den Vielfahrern ergeben. Bei Bus- und Taxifahrern ist es erforderlich, dass ein gewisser Punktestand nicht überschritten wird, weil sonst die berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Ich habe gerade in diesen Tagen mit einem Taxifahrer darüber diskutiert. Er hat mir berichtet, dass er selber aus Hartz IV herausgekommen ist, dass Taxifahren seine letzte Chance ist und dass er, wenn er nicht die Möglichkeit hätte, Punkte abzubauen, seiner Existenzgrundlage beraubt würde. Der Gesetzentwurf stellt daher einen ausgewogenen Kompromiss dar. Der Kollege Kühn hat durchaus anklingen lassen, dass er sich dem Ganzen anschließen kann. ({1}) Hinzu kommt, dass fast alle Änderungswünsche des Bundesrates durch die Bundesregierung berücksichtigt wurden. Diesen Punkt hat Kollegin Lühmann weggelassen. Wir haben anerkannt, dass es durchaus Anpassungsbedarf beim Bußgeldkatalog gibt. Wir haben uns einer Verlängerung der Tilgungsfrist von zwei auf zweieinhalb Jahre bei den Einpunktverstößen nicht verschlossen. Das ist eine massive Verschärfung des Systems. Insofern steht die Verkehrssicherheit klar im Zentrum. Es ist richtig, dass wir uns im neuen System auf die verkehrssicherheitsrelevanten Verstöße konzentrieren und ein neues Fahreignungsseminar einführen, das mit Sicherheit ein Stück weit zur Prävention beiträgt. Einer der wesentlichen Kernpunkte zur Vereinfachung des derzeitigen Systems ist die Bewertung der Verstöße mit ein, zwei oder drei Punkten anstelle der bisherigen sieben unterschiedlichen Kategorien. Kollegin Lühmann, wenn da noch Gesprächsbedarf besteht, dann werden alle Fraktionen und auch das Ministerium sehr gern noch einmal über diesen Punkt diskutieren. Aber Sie müssen anerkennen, dass sowohl die festen Tilgungsfristen als auch der Wegfall der Tilgungshemmung, der sogenannten Überliegefristen, dafür sorgen, dass dieses System sehr viel einfacher und besser ist als das jetzige. Deswegen handelt es sich um eine gute Reform und ein gutes Gesetz. ({2}) Die Änderungswünsche des Bundesrates wurden eingearbeitet. Deswegen ergibt es keinen Sinn, den Vermittlungsausschuss anzurufen. In der Fachszene sind sich alle einig, dass der jetzige Kompromiss, den wir gefunden haben, eine klare Verbesserung im Vergleich zum Status quo darstellt. Ich habe schon darauf hingewiesen, wie groß der Rückhalt in der Szene für die Änderungen ist, die wir im Ausschuss noch vorgenommen haben. Das gilt nicht nur für die Änderungen beim Punkteabbau, die im Hinblick auf die Verkehrssicherheit sinnvoll sind - das ist empirisch belegt und wird von allen Verbänden unterstützt -, sondern auch für die Änderungen des Bundesrates. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass wir mit der Reform des Verkehrszentralregisters Mobilität nicht nur ermöglichen, sondern auch sicherer machen. ({3}) Für uns ist entscheidend, Sicherheit in Einklang mit Freiheit und Verantwortung zu bringen. Die Punktereform ist ein guter Kompromiss. Es handelt sich um ein gutes Gesetz und um einen guten Kompromiss mit der Position des Bundesrates. Deswegen könnten dem eiOliver Luksic gentlich Sie alle zustimmen, wenn es Ihnen nicht nur um den Wahlkampf geht, sondern um die Sache. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß jetzt gar nicht, ob wir über das gleiche Gesetz hier reden, nachdem ich eben gehört habe, was Herr Luksic dazu zu sagen hatte. Durchaus kundige Pressevertreter sind offenbar samt und sonders Geisterfahrer, wenn sie schreiben: „Eine Schlappe für Ramsauer“, „die Reform droht zur Lachnummer zu werden“, „ein Herz für Verkehrssünder“. So titeln nämlich manche Zeitungen zur Punktereform. ({0}) Die Reform sollte mehr Verkehrssicherheit bringen. Doch von diesem guten Vorsatz ist im Gesetzentwurf nur noch wenig zu sehen. Es gab viele Anregungen und viel Zeit für Verbesserungen. Wir reden seit über einem Jahr über dieses Projekt. Letztes Jahr hat der Deutsche Verkehrsgerichtstag die Reform komplett abgelehnt. Die Begründung: Sie hilft nicht beim Kampf gegen aggressives Verhalten auf der Straße. Diese Einschätzung teile ich noch heute. ({1}) Die Bundesländer kritisierten Anfang des Jahres, das neue System sei nicht einfacher und transparenter. Auch das trifft nach wie vor zu. Leider haben Sie es seit einem Jahr unterlassen, die Anregungen aufzunehmen. Sie haben jetzt einige Nachbesserungen vorgenommen; das gebe ich zu. Die sind im vorgelegten Gesetzentwurf vorhanden, aber sie haben nicht dazu geführt, dass dieses Gesetz ein gutes Gesetz geworden ist. Wenn wir mehr Verkehrssicherheit erreichen wollen, dann brauchen wir mehr als ein Schrauben am Punktesystem. Wir brauchen Vorschriften, die von allen Verkehrsteilnehmern verstanden und auch akzeptiert werden. Auch Verkehrsteilnehmer müssen lernen dürfen. Sie müssen wissen, wodurch man sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet und welches Verhalten man an den Tag legen muss, um die Grundregeln der Straßenverkehrsordnung umzusetzen, die klar und eindeutig formuliert sind. Da gibt es kein Vertun. Der § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung ist mehr als eindeutig. Vergehen im Straßenverkehr müssen sanktioniert werden können. Das ist uns allen klar. Wenn man immer wieder gegen Regeln verstößt, dann muss man mit scharfen Konsequenzen rechnen. Auch dazu stehen wir, das fordern wir. Aber den Verkehrssündern muss man auch die Chance geben - ich sagte es schon -, ihr Verhalten zu verändern, dazuzulernen. Darum haben wir dafür plädiert, bei den Punkten stärker zu differenzieren. Diese Möglichkeit lässt das neue Punktemodell nicht zu. Künftig soll der Führerschein nach acht Punkten entzogen werden. Dass das System dadurch einfacher und transparenter wird, bezweifle ich. Klar ist nur, dass unterschiedlich schwere Verstöße künftig weniger differenziert beurteilt werden können. Das führt dazu, dass mit einer groben Keule auf Verkehrssünder eingeschlagen wird. Es ist in meiner kurzen Redezeit nicht möglich, die einzelnen Versuche von Nachbesserungen am Gesetzentwurf zu bewerten. Ich will hier nur den Punkt der Fahreignungsseminare nennen. Bisher war es möglich, freiwillig Seminare zu besuchen, um Punkte löschen zu können. Das wurde schon erwähnt. Insbesondere diejenigen, die aus beruflichen Gründen Tausende Stunden am Steuer sitzen, sind darauf angewiesen, so handeln zu können. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie oft unter Zeitdruck stehen. Natürlich haben sie darum keinen Freifahrtsschein für Rowdytum auf der Straße. Das ist klar. Sie haben sich genauso an die Geschwindigkeitsregelungen und andere Vorschriften zu halten, um andere nicht zu gefährden. Sie sollen auch keinen Rabatt bekommen. Aber wir müssen sehen, dass der Verlust des Führerscheins für einen Berufskraftfahrer dazu führen kann, dass er seine Existenz verliert. Das Beispiel hatte der Minister selber erwähnt. ({2}) Aber nun wird es sehr teuer, wenn man an einem Seminar entweder freiwillig oder verpflichtend teilnimmt. Die Kosten werden sich vermutlich verdreifachen oder sogar vervierfachen. Zwischen 600 und 800 Euro sind im Gespräch. Das kann sich nicht jeder leisten. Wer aber ein vorgeschriebenes Seminar nicht ableistet, dem wird der Führerschein entzogen. Wenn wir finanziell schwächer Gestellte bei Verkehrsverstößen nicht systematisch vom Straßenverkehr ausschließen wollen, müssen wir an dieser Stelle zu einer anderen Lösung kommen. ({3}) Die Kosten sollten der Einkommenssituation der Betroffenen angepasst werden können. Dieses Verfahren kennen wir beispielsweise aus Schweden, wo zumindest bei den Bußgeldern nach Tagessätzen gerechnet wird. Schlingerkurs und Verweigerung von Verhaltensänderung gefährden nicht nur den Straßenverkehr. Auch im Gesetzgebungsverfahren müssten sie sanktioniert werden. Dem Verkehrsminister wäre dann aber längst das Führen eines Ministeriums untersagt worden. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stephan Kühn hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 4 000 Verkehrstote und Zehntausende Verletzte haben wir jedes Jahr auf Deutschlands Straßen zu beklagen. Es besteht für die Politik also dringender Handlungsbedarf. Doch dieser Verkehrsminister hat außer Appellen und Plakatkampagnen nichts Substanzielles zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Deutschland auf den Weg gebracht. Die Reform des Fahreignungsregisters, die sogenannte Punktereform, über die wir heute reden, ist ein Nebenschauplatz. Vieles wäre wichtiger gewesen, wurde aber nicht angepackt. Ein paar Beispiele: Zur Reform der Fahrlehrerausbildung hat sogar der Bundesrat Vorarbeit geleistet. Im Ministerium wurde das entsprechende Papier auf die lange Bank geschoben, wird also nicht bearbeitet. Die Fahrschulausbildung zu reformieren, wäre dringend und wichtig, weil gerade die Fahranfänger eine Risikogruppe sind. Da gibt es viele qualifizierte Vorschläge; doch nichts ist angepackt worden. Für die Fahranfänger gilt beim Alkohol die 0,0-Promille-Grenze. Das heißt, es darf nicht getrunken werden. Aber das gilt nicht generell: Wer aus der Anfängerzeit heraus ist, darf unter Alkohol fahren. Wir finden, bei Alkohol wäre die 0,0-Promille-Grenze für alle Verkehrsteilnehmer richtig. Auch hier hat der Minister nichts angepackt. ({0}) Wir haben keine verbindlichen Sicherheitsaudits bei Bundesfernstraßen. Wir haben keine Anreize für eine stärkere Marktdurchdringung bei Fahrassistenzsystemen sowohl von Pkws als auch von Lkws. Es gab keinen Ausbau der Mobilitätserziehung oder der Unfallforschung. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Vor allen Dingen zeigt sie: Es wird nichts angepackt. Von der Reform des Verkehrszentralregisters in der Ursprungsfassung ist nicht viel übrig geblieben. Zum Glück haben die Experten einen Blick darauf geworfen und das Ganze unter die Lupe genommen. Der Anfangsreformentwurf sah eine geringere Spreizung bei den Punkten vor. Das hätte dazu geführt, dass Wiederholungstäter eine Art Flatrate für das Rasen gehabt hätten. Glücklicherweise ist das endlich vom Tisch. ({1}) Andere Probleme bleiben aber. Erst ab 31 km/h Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts bzw. 41 km/h außerorts gibt es im neuen Katalog zwei Punkte. Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist Unfallursache Nummer eins. Wir finden, dass die Geschwindigkeitsübertretungen angesichts des damit verbundenen Gefährdungspotenzials viel zu nachsichtig bewertet wurden. Das muss aus unserer Sicht korrigiert werden. ({2}) Angesprochen wurden heute von verschiedenen Rednerinnen und Rednern die Fahreignungsseminare, die wirksamer als die alten Aufbauseminare sein sollen. Ob das so kommt, ist offen. Im Gesetz, über das wir heute entscheiden sollen, sind keine Regelungen zur Qualitätssicherung und zur Evaluierung vorgesehen, von den Kosten für die Teilnehmenden einmal ganz abgesehen. ({3}) So verkorkst, wie die ganze Reform selber ist, ist auch die Art, wie die Reform kommuniziert wird. Wir erinnern uns: Auf Flyern, die das Ministerium hat drucken lassen, sieht man einen sogenannten Punkte-Tacho mit insgesamt 8 Punkten. 0 bis 3 Punkte auf diesem Tacho sind grün dargestellt. 3 Punkte zu haben, heißt, dass man dreimal mit 60 km/h durch eine Tempo-30-Zone gefahren ist. Danach wäre man also, auf diesem Flyer optisch gut dargestellt, noch im sogenannten grünen Bereich. Ich finde, Geschwindigkeitsübertretungen in diesem Bereich sind kein Kavaliersdelikt. ({4}) Herr Minister, ändern Sie deshalb endlich auch die grafische Darstellung und die Kommunikation bezüglich dieser Punktereform. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Gero Storjohann. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Null Promille vorab. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über das Fahreignungsregister. Das ist ein neuer Begriff, den Peter Ramsauer, unser Verkehrsminister, hier eingeführt hat. Ich habe schon in meiner Rede in der ersten Beratung gesagt: 2009 sind der Kollege Vogel und ich in Flensburg gewesen und haben uns das Zentralregister angeguckt. Man hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass Handlungsbedarf besteht, dass wir Bürokratie abbauen müssen und dass das System sehr schwerfällig ist. - Heute ist der Tag, wo wir das endgültig auf den Weg bringen. Ich bin froh und stolz, dass wir das nach vielen Debatten und trotz unterschiedlicher Ansichten jetzt endlich auf den richtigen Weg führen. ({0}) Ich bin dem Mitarbeiter Dr. Albrecht dankbar, der manches ertragen musste. Wir als Politiker haben immer wieder etwas hineingeschrieben, was er dann doch wieder ändern musste. ({1}) Ich kann auch nachvollziehen, dass die Opposition mit der Einbindung in den Arbeitsprozess nicht ganz zufrieden ist. Das haben wir auch zugestanden. Das machen wir beim nächsten Mal viel besser; das verspreche ich. ({2}) Was ich gut finde, ist das, was Sie sehr stark kritisieren, nämlich der Punkte-Tacho. Kommunikativ hat der Verkehrsminister da wirklich einen Volltreffer gelandet. ({3}) Nicht nur die Autofahrer, auch wir als Politiker haben sofort erkannt: Das ist ein wichtiges Thema. Es ist auch visuell gut rübergebracht worden. Sie haben in all den Debatten immer nur die Hochglanzbroschüre kritisiert, ({4}) aber in der Sache kam nie besonders viel rüber. ({5}) Das Schönste ist ja: In der Schlussabstimmung im Ausschuss haben Sie sich der Stimme enthalten. Das heißt, wir haben eine einstimmige Empfehlung, dieses Gesetz heute so auf den Weg zu bringen. ({6}) Wir haben also das Ziel erreicht, ({7}) mit der Reform des Verkehrszentralregisters neue, klare und transparente Regeln zu schaffen. ({8}) Diese neuen Regelungen werden im Sommer 2014 in Kraft treten. Bis dahin haben alle Betroffenen Zeit genug, sich mit den neuen Regelungen vertraut zu machen. ({9}) - Es ist immer schön, wenn der Kollege Pronold da ist. Dann muss man sehr laut sprechen, damit man hier überhaupt noch durchdringt. ({10}) Bereits gespeicherte Punkte werden in das neue System überführt. Altpunkte werden Verkehrssünder bei der Neuregelung nicht los. Bestehende Punkte für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Straßenverkehr werden aus der aktuell 18-stufigen Skala in eine 8-stufige Skala überführt. Vielleicht ist es für einige interessant, wie das genau läuft. Wer jetzt 1 bis 3 Punkte hat, hat zukünftig 1 Punkt. Wer 4 bis 5 Punkte hat, hat künftig 2 Punkte. So geht das weiter. Wer 14 bis 15 Punkte hat - keiner hier im Raum -, hat künftig 6 Punkte. Wer 16 bis 17 Punkte hat, hat künftig 7 Punkte. Wer 18 und mehr Punkte hat, hat künftig 8 Punkte; dann ist der Führerschein weg. Es gibt keine Amnestie. Aber Punkte werden künftig nur noch für Verstöße gegeben, die die Verkehrssicherheit gefährden. Jetzt geht es um das Einfahren in die Umweltzone ohne die erforderliche Plakette. Es schmerzt einige sicherlich sehr, dass das zukünftig nicht mehr mit einem Punkt geahndet wird. Rückwirkend werden diese Punkte beim Umrechnen der Einträge sogar gelöscht. Das finde ich dann auch konsequent. Das Ergebnis der Anhörung ist, dass der freiwillige Punkteabbau nach der Reform fortgeführt wird. Es gab - das wissen Sie - eine sehr intensive Debatte innerhalb der Koalition, auch mit dem Ministerium. Gerade die Anhörung der Fachverbände hat gezeigt, dass auch sie sich zurückgenommen haben. Sie wollten eine Reform, und das sollte nicht am Punkteabbau scheitern. Jetzt ist das drin. Wir hoffen, dass dann auch der Bundesrat seine Zustimmung geben kann. ({11}) - Nein, das war nicht in der ersten Rede drin. Ich erinnere mich an unseren geschätzten verstorbenen Kollegen Peter Struck, der sehr zu Recht gesagt hat: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag raus, wie es eingebracht worden ist; dazwischen sind nämlich die Abgeordneten. Es ist unser Recht, eine Meinung zu ändern. ({12}) - Wie bitte? ({13}) - Jawohl! Ich entnehme Ihrer Enthaltung, dass es besser geworden ist; denn vorher haben Sie nicht angekündigt, dass Sie sich so verhalten wollen. ({14}) Ich möchte gerne noch auf die Kosten des Seminars zu sprechen kommen. Im Gesetzentwurf - das haben Sie gesehen - gab es eine Kostenberechnung. Sie tragen immer andere Zahlen vor. Im Gesetzentwurf steht, dass das Seminar 650 Euro kostet. Das sind 400 Euro mehr als bei den bisherigen Seminaren zum Absitzen. Das ist viel Geld. ({15}) - Wenn Sie jetzt den Vorwurf machen, Herr Pronold, dass das zu viel Geld sei, dann empfehle ich Ihnen: Fahren Sie nie nach Dänemark. Wenn Sie fahren, halten Sie sich bitte an die Verkehrsregeln. Da sind Sie bei einem Verkehrsverstoß ganz schnell mit 500 Euro dabei. ({16}) Das sind Kosten, die in anderen Ländern selbstverständlich erhoben werden. ({17}) Ich kenne viele Leute, die trotzdem in diese Länder fahren. Also: Wir bekommen ein qualitativ hochwertiges Seminar. Es wird auch zum Erfolg geführt werden. Die Evaluierung wird nach fünf Jahren zeigen, ob es richtig war oder nicht. Dann können wir uns gerne wieder darüber unterhalten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich empfehle Ihnen: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu und bleiben Sie nicht bei einer kleinkarierten Enthaltung. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal aus diesem Bundestag dafür erforderlich. Danke schön. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13452, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12636 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen das bitte durch Handzeichen bekunden. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Linke war dagegen. SPD und Bündnis 90/ Die Grünen haben sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13452 empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Alle anderen haben dafür gestimmt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Informationsfreiheit und Transparenz unter Einschluss von Verbraucher- und Umweltinformationen - Informationsfreiheitsund Transparenzgesetz - Drucksache 17/13467 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe oder höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Zum kleinen Einmaleins der Diktatur gehört die Ausschaltung oder die weitgehende Behinderung der Öffentlichkeit bei der Kontrolle politischer Macht. Für uns in der Demokratie gilt das Gegenteil: Staatliche Machtausübung muss öffentlich kontrollierbar sein. Das ist sie wiederum nur, wenn staatliches Handeln transparent ist. Demokraten wollen und müssen wissen können, was der Staat macht. Deshalb haben wir unter anderem das Informationsfreiheitsrecht. Das ist gut so. Aber - das haben uns auch die Experten gesagt - unser Recht hat Mängel. Das sagt auch der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit. Das sagen uns die Bürger und Bürgerinnen, die Petitionen schreiben. Das sagen uns auch die Experten bei der Anhörung. Wenn wir Demokratie ernst nehmen, sollten wir diese Mängel beseitigen. Das tun wir mit dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorlegen. ({0}) Die Experten sagen, es gibt Probleme in drei Bereichen: Erstens. Das Recht ist zersplittert. Zweitens. Zu viele Anträge auf Informationszugang werden abgelehnt. Drittens. Die Behörden veröffentlichen zu wenig Informationen von sich aus. Zum ersten Punkt. Allein für die Bundesbehörden gelten sieben verschiedene Bundesgesetze, die den Zugang zu Informationen regeln. Das ist nicht nur für die Antragstellenden verwirrend. Es ist auch für die Behörden selber nicht einfach, zu regeln, wer zuständig ist. Wir führen mit unserem Gesetzentwurf drei große Gesetze zusammen. Das bringt Vereinfachung. Das bringt Klarheit. Zum zweiten Punkt, den Ausnahmen. Immer noch werden zu viele Anträge auf Informationszugang abgelehnt. Das jetzige Recht lässt einerseits große Spielräume für Ausnahmen. Es ist andererseits aber in vielen Punkten unklar, was wirklich als Ausnahme gedacht war und was man dort hineininterpretiert hat. Natürlich gibt es Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die geschützt werden müssen. Es gibt aber auch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit daran, dass gegen Interessen anderer, zum Beispiel von Firmen und Einzelpersonen, abgewogen werden muss. Wir schaffen mit unserem Gesetzentwurf die Möglichkeit und die Rechtsklarheit dazu. Zum dritten Punkt. Wir machen in unserem Gesetzentwurf klare Vorgaben - für Verträge der Daseinsvorsorge, Formulierungshilfen der Bundesregierung an den Bundestag -, die die Behörden verpflichten, von sich aus Informationen ins Netz zu stellen und nicht erst zu warten, bis die Bürger und Bürgerinnen das von ihnen verlangen. In ihrer Stellungnahme hat die Bundesregierung leider keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, die Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis aufzunehmen. Die Vereinheitlichung des Rechtes: abgelehnt. Weniger Ausnahmen: abgelehnt. Klare Veröffentlichungspflichten: abgelehnt. Stattdessen schmückt sich die Bundesregierung mit einem Open-Data-Portal, das seinen Namen nicht verdient. Das Portal ist nicht mehr als ein Feigenblatt, das Ihre Nacktheit nur notdürftig bedeckt. Sie wedeln andauernd mit diesem Blättchen herum, täuschen aber nicht darüber hinweg, dass Sie nichts tun wollen, um die Informationsrechte von Bürgern und Bürgerinnen zu verbessern. ({1}) Bei der CDU/CSU erstaunt mich das nicht. Aber bei der FDP stellt sich mir schon die Frage, was aus der selbsterklärten Partei der Bürgerrechte geworden ist. ({2}) Haben Sie keinen Bedarf mehr an Transparenz und an Wissen für selbstbestimmte Bürger und Bürgerinnen, was eben in der Debatte eindrucksvoll dargelegt wurde? Ich kann hier nur einmal mehr feststellen, dass vom ehemaligen Markenkern der FDP nicht mehr viel übrig ist. ({3}) Wir bewegen uns. Wir sind davon überzeugt, dass Informationsfreiheitsrechte die demokratischen Beteiligungsrechte und die Kontrolle staatlichen Handelns nicht schwächen, sondern stärken. Hierin liegen Chancen, Vertrauen zurückzugewinnen, das wir verloren haben. Der Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Informationsfreiheit. Im Interesse der Bürger und Bürgerinnen appelliere ich an Sie von der Koalition: Bewegen Sie sich in dieser Frage! Emanzipieren Sie sich von Ihrer untätigen Bundesregierung! Lassen Sie uns zusammen an einer aufgeklärteren, an einer transparenteren Gesellschaftsform arbeiten! Ich freue mich auf die Beratung. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Stephan Mayer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, den wir heute in erster Lesung beraten, zeigt wieder, wie die SPD Politik betreibt. ({0}) Unabhängig von Expertenmeinungen und unabhängig von den Auffassungen von Sachverständigen wird hier ungeniert ein Gesetzentwurf vorgelegt, der in der Realität das Gegenteil dessen bewirken würde, was Sie sich davon versprechen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sind wirklich beratungsresistent. Wir haben uns im Innenausschuss am 24. September 2012 sehr ausführlich mit dem Informationsfreiheitsgesetz auseinandergesetzt. Wir haben beim Forschungsinstitut in Speyer eine umfangreiche Evaluation in Auftrag gegeben. Insgesamt umfasst dieses Gutachten 600 Seiten. ({1}) Auf keiner dieser 600 Seiten steht die klare Handlungsempfehlung, dass die verschiedenen Gesetze - Umweltinformationsgesetz, Verbraucherinformationsgesetz und Informationsfreiheitsgesetz - zusammengefasst werden sollen. Wenn die Schlussfolgerung sein sollte, dass es notwendig ist, hier eine gemeinsame Kodifizierung vorzunehmen, dann hätte doch Herr Professor Ziekow zu dieser Schlussfolgerung kommen müssen; er ist es aber nicht. Das Gegenteil ist der Fall: In diesem Gutachten wird keinesfalls die Notwendigkeit oder die Realisierbarkeit einer undifferenzierten Zusammenführung der unterschiedlichen Informations- und Zugangsrechte ge30276 Stephan Mayer ({2}) sehen, die ihrem Wesen nach sehr voneinander abweichen. Wir haben uns in der genannten Anhörung am 24. September aufgrund Ihrer Fragen, Frau Kollegin Lühmann, auch damit auseinandergesetzt, ob denn eine solche Zusammenlegung nach Auffassung der Sachverständigen sinnvoll wäre. Auch hier war das Votum aller Sachverständigen, unter anderem auch des Sachverständigen, den Sie selbst benannt haben, einmütig: Es wurde abgelehnt. Es verwundert wirklich, dass sogar der von der SPD benannte Sachverständige deutlich gemacht hat, dass er keine Notwendigkeit sieht, die verschiedenen Informations- und Zugangsrechte zusammenzulegen. Herr Professor Schulz vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg hat es deutlich zum Ausdruck gebracht: Selbst er sprach davon, dass eine Fusion des Informationsfreiheitsgesetzes mit anderen Gesetzen nicht zwingend sei. ({3}) Wesentlich konkreter und deutlicher wurden die Sachverständigen Dr. Partsch, Professor Ziekow sowie Professor Ibler. Herr Dr. Christoph Partsch führte aus, dass lediglich eine Zusammenlegung von IFG und UIG in Betracht kommen könnte; alles andere sei - ich zitiere wörtlich - „wesentlich aufwendiger bzw. kompetenzrechtlich nicht möglich“. Professor Ziekow empfahl gar ein noch vorsichtigeres und differenzierteres Vorgehen, und zwar mit den Worten - auch hier zitiere ich -: Es ist eine alte Erfahrung: Wenn man das Rad zu groß macht, dann rollt es schlecht. Er legte nahe, keine neuen Probleme zu schaffen, die aufgrund der Rechtsprechung keine praktische Relevanz besitzen. Er sprach sich sodann zwar für eine Angleichung des IFG an das UIG aus, aber auch für ein Beibehalten beider Gesetze. Noch deutlicher wurde Professor Martin Ibler, der die Gefahr sah, „Äpfel zu Birnen“ zu machen. Bereits die Zusammenführung von UIG und IFG sei aus seiner Sicht zum Scheitern verurteilt, da die Gesetze sehr unterschiedliche Zwecke verfolgten. Das UIG, also das Umweltinformationsgesetz, entstand aufgrund der Pflicht zur Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie, sodass für die Betroffenen gegebenenfalls die Möglichkeit besteht, den Weg durch die Instanzen bis zum EuGH zu gehen. Beim Informationsfreiheitsgesetz, das nicht aufgrund einer EU-Richtlinie geboren wurde, besteht diese Möglichkeit nicht. Das UIG hat auch einen ganz anderen Zweck: Beim Umweltinformationsgesetz geht es darum, mögliche Umweltdefizite in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beheben. Das Informationsfreiheitsgesetz hat einen ganz anderen Zweck. Da geht es möglicherweise um die Beseitigung vorhandener Demokratiedefizite. Die Regelungszwecke der beiden Gesetze sind komplett unterschiedlich, sodass es aus nachvollziehbaren Gründen von den Sachverständigen abgelehnt wurde, einer Zusammenlegung das Wort zu reden. Wenn ich mir zudem die aktuelle Diskussion über das von Ihnen über alle Maßen gelobte Hamburgische Transparenzgesetz anschaue, bei dem offensichtlich bald gerichtlich geklärt werden muss, wie einzelne Regelungen grundsätzlich auszulegen sind, habe ich zudem erhebliche Zweifel daran, dass die von Ihnen vorgeschlagene Zusammenführung mehrerer Informationszugangsgesetze im Ergebnis zu mehr Effizienz und Effektivität in der Verwaltung führen wird; das Gegenteil dürfte der Fall sein. Darüber hinaus möchte ich Ihnen, Frau Kollegin Lühmann, schon sagen, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf einen aus meiner Sicht unzulässigen Generalverdacht gegen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung erheben. Wir haben in Deutschland eine auf allen Ebenen effektive und qualitativ außerordentlich hochwertige Verwaltung, von den Kommunen über die Länderebene bis zum Bund. ({4}) Ich lasse es einfach nicht zu, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass Sie hier einen Pauschalverdacht gegenüber der Verwaltung erheben, nach dem Motto: Die mauern, die geben Akten nicht weiter, die sind nicht transparent genug. ({5}) Diesen Vorwurf lasse ich einfach nicht gelten. Wir haben ein außerordentlich funktionstaugliches Informationsfreiheitsgesetz und eine Verwaltung, die sich daran entsprechend orientiert. ({6}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch der Bund ist in Vorleistung gegangen: Es gibt seit dem 19. Februar dieses Jahres ein Pilotprojekt, das Open Data gewährleistet. Mittlerweile, nach heutigem Stand, sind dort auf freiwilliger Basis 5 788 Datensätze eingestellt worden, nicht nur vom Bund, sondern teilweise auch von den Ländern und den Kommunen. Aus meiner Sicht kommt die Verwaltung in Deutschland der Obliegenheit sehr wohl nach - wohlgemerkt von sich aus, freiwillig, ohne rechtliche Verpflichtung und gesetzlichen Zwang -, nicht nur offene Daten, sondern teilweise auch Daten, die verschlüsselt sind, entsprechend zu veröffentlichen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir damit der Verpflichtung Genüge tun, dass in der Verwaltung offen und transparent mit Daten umgegangen wird, sodass die Bürger die Möglichkeiten haben, an die Daten zu gelangen, auf die sie zurückgreifen wollen. ({7}) Stephan Mayer ({8}) Es war ja nicht nur so, dass die Sachverständigen und die in der Anhörung Anwesenden die Notwendigkeit der Zusammenlegung der unterschiedlichen Informationsund Zugangsrechte verneint hätten, sondern selbst die Open-Government-Expertin und Piratin Anke Domscheit-Berg bemängelt den Verstoß und sagt ausweislich eines Artikels in der taz von heute, der Entwurf sei ein für den Wahlkampf geschriebenes Patchworkgesetz und keine zielgerichtete Umsetzung einer Open-Government-Strategie. ({9}) Ich glaube nicht, dass Frau Domscheit-Berg im Verdacht steht, uns politisch nahezustehen und uns irgendetwas Gutes tun zu wollen. ({10}) Selbst sie lässt kein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf, sodass ihm aus meiner Sicht nur eine klare Absage zu erteilen ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Idee, mehrere Bundesgesetze zusammenzulegen, um allein das zu erreichen, was man schon im Titel verlangt, nämlich zu mehr Transparenz und zu mehr Information zu kommen. ({0}) Sie wollen ein Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz schaffen. Das finden wir gut. Dabei soll gleichzeitig das Informationsfreiheitsgesetz von 2005 reformiert und an entscheidenden Stellen verbessert werden. Es soll eine verbindliche Auskunftspflicht geben, und staatliche Stellen sollen wichtige Informationen für die Bürgerinnen und Bürger ins Netz stellen. Damit wäre niemand mehr gezwungen, selbst aufwendig recherchieren zu müssen, um bestimmte Informationen zu bekommen. Ich kann mir vielmehr Informationen holen über den Zustand meiner unmittelbaren oder auch ferneren Umwelt, ich kann heraussuchen und nachlesen, wie hoch die Lärmbelästigung an Straßen und Eisenbahntrassen ist. Die Linke unterstützt deshalb die Initiative der SPD. Auch das Ziel, Transparenz zu schaffen und so, wie es heißt, einen Kulturwandel in der Verwaltung herbeizuführen, teilt meine Fraktion ausdrücklich. ({1}) Die Bundesregierung will es offenbar nicht wahrhaben; aber im Bereich Informationsfreiheit und Transparenz liegen wir im internationalen Vergleich weit hinter den Regelungen anderer europäischer Staaten und auch der USA. Die Regierung unternimmt nichts, um das zu ändern. Im Gegenteil: Sie jammert darüber, dass eine transparente Informationspolitik mit viel Arbeit verbunden sei und deshalb nicht geleistet werden könne. Das führt dazu, dass die Bundesrepublik noch weiter ins Abseits gerät und den Anschluss an internationale Standards verliert. Das akzeptieren wir nicht. ({2}) Manche Regierungs- und Behördenvertreter glauben offenbar, dass es ausreicht, wenn eine Behörde eine Website hat. Von selbstständiger, bürgerfreundlicher Informationsfreigabe fehlt aber jede Spur. Entweder hat die Bundesregierung immer noch nicht die Bedeutung von Transparenz im staatlichen Handeln für die Demokratie erkannt, oder sie geht einfach nur von einem anderen Demokratieverständnis aus; aber das ist ein Demokratieverständnis von gestern oder vorgestern. ({3}) Die Verpflichtung der Verwaltungen zu unaufgeforderter und selbstständiger Veröffentlichung einer Vielzahl von Verwaltungsdaten im Internet, wie es im Gesetzentwurf heißt, ist lange überfällig. Wir brauchen ein Informationsfreiheitsgesetz, das die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt, schnell und selbstständig die Informationen zu erlangen, die sie für die Gestaltung ihres Lebens brauchen oder dafür, um ihre demokratische Teilhabe an der Gesellschaft zu organisieren. Leider bleiben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hinter dem zurück, was an anderer Stelle schon einmal eingefordert worden ist. Sie haben das Hamburgische Transparenzgesetz erwähnt. Sie wollten es als Vorbild nehmen; aber das Hamburgische Transparenzgesetz umfasst eine Reihe von weitergehenden, fortschrittlicheren Regelungen als die, die Sie jetzt übernommen haben. So finden wir dort zum Beispiel Informationen über Subventions- und Zuwendungsverfahren sowie Daten von Unternehmen, an denen die Stadt beteiligt ist. Darauf verzichten Sie in Ihrem Entwurf. Auch fallen Sie hinter das Sondervotum im Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zurück, das Sie mit uns, den Grünen und den Sachverständigen zusammen zum Thema Open Data und E-Government erarbeitet haben. Über Maschinenlesbarkeit der Daten und freien Lizenzen liest man in Ihrem Gesetzentwurf leider nichts. Das ist schwach. Haben Ihre Internetexperten in dieser Frage nicht den Freiraum, den sie eigentlich brauchen? Ihnen ist es auch nicht gelungen, die Ausnahmetatbestände auf das tatsächlich notwendige Maß zu reduzieren. Sie fordern sogar, dass das Urheberrecht sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Gründe für das Verweigern von Informationen sein können. So kommen wir doch nicht zu transparentem staatlichen Handeln. Sie kennen das doch aus der alltäglichen Berichterstattung: Das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis verhindert regelmäßig, dass Bürgerinnen und Bürger Informationen über öffentlich-privatwirtschaftliche Projekte bekommen. Vollkommen kostenlos soll dieser Service auch nicht sein. Das ist, wie gesagt, schwach. Wie ernst nehmen Sie die Sache mit der Transparenz eigentlich? Das frage ich mich, da Sie erst vor ein paar Wochen unseren Antrag „Demokratie durch Transparenz stärken“ einfach abgelehnt haben. Ich finde das bedauerlich. Das ist, glaube ich, der Sache nicht angemessen. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gisela Piltz hat das Wort.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Ungünstig ist auch, dass es bereichsspezifische Regelungen in anderen Gesetzen und daneben jetzt ein Informationsfreiheitsgesetz gibt. Das führt nur zu Unklarheit und Verwirrung. Die Regelung eines einheitlichen Anspruches auf Information wäre richtig gewesen. Das hat unser viel zu früh verstorbener Kollege Max Stadler am Freitag, den 3. Juni 2005, in der abschließenden Lesung des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes gesagt. Es wäre schön - so geht es mir jedenfalls -, wenn Max heute hier sein könnte, um diesen Gedanken fortzuführen und den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf daran messen könnte. Aber uns bleibt nur, in seinem Sinne und im Gedenken an ihn seine liberale und bürgerrechtsfreundliche Grundüberzeugung weiterzutragen und fortzuführen. Das werden wir Liberale sicher tun. Das Anliegen der SPD ist durchaus richtig; aber freuen Sie sich nicht zu früh über diese Aussage. Informationsfreiheit darf kein Stückwerk sein. Informationsfreiheitsregelungen in einem Gesetz zu regeln und hierbei auch den Gedanken von Open Data, also der grundsätzlich proaktiven Veröffentlichung von Daten aufzunehmen, ist ein richtiger Ansatz. Aus unserer Sicht ist es auch richtig, dass Orientierungspunkt die größtmögliche Transparenz und Offenheit sein muss. Informationsfreiheit ist aus Sicht der FDP ein Gewinn für die Demokratie. ({0}) Das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutionen braucht Offenheit. Wo der Eindruck entsteht, es werde in Hinterzimmern gemauschelt, blüht Misstrauen. Daher ist vor allem der Ansatz von Open Data wichtig und ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für mehr Transparenz. Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Handeln der Verwaltung ist nicht nur zur Kontrolle des Staates durch den Souverän unabdingbar, sondern auch, weil damit schon in der Entscheidungsfindung eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann. Das ist sicherlich eine gute Idee. Das ist Demokratie. Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung hier schon Schritte gegangen ist. Mit der Verabschiedung des Programms der Bundesregierung „Vernetzte und transparente Verwaltung“ und der Eröffnung des Open-DataPortals unter www.govdata.de wurde der Grundstein gelegt. Es ist auch gut, dass der Deutsche Bundestag mit dem Planungsvereinheitlichungsgesetz, das in diesem Jahr verabschiedet wurde - Sie sagen ja immer, wir täten nichts -, im Verwaltungsverfahrensgesetz die elektronische Veröffentlichung von Plänen durch die Verwaltung vorgeschrieben hat. Jeder kann diese nun einsehen. Die Verwaltung muss sie ins Internet stellen. So wichtig Informationsfreiheit auch ist, sie steht immer in Konkurrenz mit anderen Grundrechten wie dem Datenschutz oder dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Hier müssen Lösungen gefunden werden, um einen Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten herzustellen. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf müsste sich interessanterweise derjenige rechtfertigen, dessen Daten betroffen sind. Gemäß dem Vorschlag der SPD dürften personenbezogene Daten erst einmal herausgegeben werden, und zwar an jedermann, ohne weitere Voraussetzungen, schlicht aufgrund des Informationsanspruchs. Nur eine „erhebliche“ Beeinträchtigung soll dem entgegenstehen. Nach dem geltenden IFG hingegen muss das Informationsinteresse gegenüber dem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen überwiegen. Nach Ihrem Gesetzentwurf wäre das umgekehrt. Eigentlich wäre das nicht nur umgekehrt, sondern sogar noch viel schlimmer. In der Einleitung zu Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie, dass Sie sich jeweils am größtmöglichen Transparenzniveau in den unterschiedlichen Gesetzen orientiert hätten. Offensichtlich bedeutet das aber auch, dass Sie sich eben nicht am größtmöglichen Datenschutzniveau orientiert haben, sondern genau am Gegenteil, nämlich am schlechtestmöglichen Datenschutzniveau. ({1}) Die Formulierung, die Sie aus dem UIG übernommen haben, war und ist in der Literatur umstritten, weil sie eine deutliche Herabsetzung des Datenschutzniveaus bedeutet. Das ist doch einmal interessant. Interessant ist auch, dass der Kollege Reichenbach, der hier sonst immer für den Datenschutz - vermeintlich - kämpft, Ihnen so etwas durchgehen lässt. Er ist heute Abend nicht da; jetzt weiß ich auch, warum. Zu rot-grünen Zeiten hatten SPD und Grüne noch versucht, sich herauszureden, indem sie die Änderung am UIG so rechtfertigten, dass ansonsten Wertungswidersprüche zwischen dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung einerseits und dem Schutz des Urheberrechts und der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse andererseits entstehen würden. So stand es damals in IhGisela Piltz rer Gesetzesbegründung; wenn Sie wissen wollen, wo genau, kann ich Ihnen auch die Seite nennen. Jetzt aber haben Sie ersichtlich keine Probleme mehr mit diesen Wertungswidersprüchen. Denn während personenbezogene Daten im Grunde genommen keinen Schutz mehr genießen, gibt es bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder beim Urheberrecht nur die für den Datenschutz noch zusätzlich geltende Einschränkung, dass die Ablehnung unterbleiben darf, wenn Einwilligung vorliegt oder das öffentliche Interesse überwiegt. Damit sind diese Rechtsgüter beinahe absolut geschützt. Ich will - das kann und muss ich ja auch nicht Ihnen das gar nicht vorwerfen. Selbstverständlich ist es richtig, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wie etwa Rezepturen nicht frei verfügbar gemacht werden können; denn sonst würden wir der Industriespionage Tür und Tor öffnen. Beim Überwiegen öffentlicher Interessen, also sozusagen des Allgemeinwohls, kann davon abgewichen werden. Das ist richtig und angemessen. Aber ich werfe Ihnen vor, dass Sie diesen hohen Schutz bei personenbezogenen Daten nicht gewähren wollen. Ich finde, so kann man mit dem Datenschutz wirklich nicht umgehen. ({2}) Man könnte noch eine Menge dazu sagen. Wenn ich mir ansehe, welche Veröffentlichtungspflichten Sie für „politische Konzepte“ vorsehen, frage ich mich schon, was unter politischen Konzepten zu verstehen sein soll. ({3}) - Ach, Herr von Notz, ich finde, zu dieser späten Stunde müssen Sie das nicht mehr tun. - Frau Lühmann, ist es schon ein Konzept, wenn eine Idee in Ihrem Kopf entsteht oder wenn Herr von Notz hier etwas sagt? Auch die Frage der Aufbereitung von Informationen in verständlicher Form für Verbraucher ist ein schwieriges Thema. Ich finde, Ihr Gesetzentwurf, vier Wochen vor Beginn der Sommerpause eingebracht, ist nicht mehr als ein Schnellschuss. Er wurde aus Versatzstücken rasch zusammengeschustert. So kann man kein Informationsrecht aus einem Guss schaffen. Ich komme zum Schluss. ({4}) Sie täuschen Aktionismus vor, der durch nichts gerechtfertigt ist. Wir kümmern uns.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es waren vier gute Jahre für die Informationsfreiheit. Mit Ihnen wird es nicht besser. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den Themen Transparenz und Informationsfreiheit ist es so ähnlich wie bei dem für diese Koalition und Frau Merkel besonders schwierigen Thema Familienpolitik. Sie beharren einfach weiterhin auf einem überholten Gesellschaftsbild. ({0}) Die alten Rollenbilder, die zu Absurditäten wie dem Betreuungsgeld führen, lauten in der Transparenzpolitik: Der gütige Staat als Geheimanstalt. ({1}) Im Grunde klammert sich diese Koalition weiterhin an den Grundsatz der Amtsverschwiegenheit wie an ihr Familienbild aus dem 19. Jahrhundert, und zwar gegen die Rechtslage, gegen alle Empfehlungen der Informationsfreiheitsbeauftragten, gegen die Signale aus Karlsruhe und gegen die EU-Grundrechtecharta. Dem dahinterstehenden Staatsbild fehlt einfach die Mehrdimensionalität des Verständnisses, was den modernen Staat ausmacht. ({2}) Vor allem geht Ihr Bild gegen jede Vernunft, Herr Kollege, meine Damen und Herren von der Koalition. Erst gestern wurde wieder berichtet, dass 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler keinen Grund sehen, im September zur Wahl zu gehen. Vor diesem Hintergrund müsste es doch unser aller Ziel sein, endlich diese Frustrationen ernst zu nehmen. Niemand, der sich für Politik interessiert, darf vom politischen Apparat, vor allem aber von der öffentlichen Verwaltung und Regierung von Informationen generell abgeschnitten sein. ({3}) Transparenz des Parlaments heißt Öffentlichkeit der Ausschüsse, der Dokumente, ehrliche Ansagen und nachprüfbare Politik, Lobbyistenregister ({4}) - Herr Kollege, für Sie besonders schwierig -, Offenlegung von Gehältern. Eigentlich müssten wir dazu in dieser Legislaturperiode fraktionsübergreifend sehr viel unternommen haben, als Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass dieses Haus verstanden hat, dass wir uns für ihre Anliegen und Bedürfnisse einsetzen. ({5}) Aber - wie in so vielen Bereichen, Herr Kollege -: schwarz-gelbe Leere auch beim Thema Informationsfreiheit. Das ist ein echtes Armutszeugnis, meine Damen und Herren. ({6}) Natürlich sind Transparenz und Informationsfreiheit kein Allheilmittel. Doch Transparenz von Verwaltungsentscheidungen ist eine zentrale Grundvoraussetzung für Partizipation, aber auch für Vertrauen in das Gemeinwesen und die Rechtmäßigkeit der Abläufe. Wir Grünen haben zusammen mit einer breiten Basis der Zivilgesellschaft und der SPD ({7}) das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gegen härteste Widerstände auf den Weg gebracht. Ich sage Ihnen heute: Wir werden es gemeinsam sachgerecht weiterentwickeln. Dazu zählt mindestens die Ergänzung des Individualanspruchs auf Auskunft um proaktive Open-DataVerpflichtungen der Behörden. Dazu zählt aber auch die Beseitigung der vielen im Speyer-Gutachten - Herr Kollege Mayer, Sie haben es angesprochen - bereits aufgezeigten Hindernisse für Freiheitsanträge wie zum Beispiel die viel zu pauschalen Ausnahmegründe. Das steht da x-mal drin; das haben Sie entweder überlesen oder verschwiegen. ({8}) In der zurückliegenden Sitzungswoche haben wir unsere Forderung nach einem Grundrecht auf Informationsfreiheit, mit dem eine sehr gute Basis auch für den heute von der SPD präsentierten Gesetzentwurf geschaffen würde, unterstrichen. Zu den lange erhobenen und gut begründeten Forderungen der Informationsbeauftragten wie auch eines breiten Bündnisses zivilgesellschaftlicher Organisationen zählt die Zusammenlegung der zentralen Gebiete des Umweltinformations- und des Verbraucherinformationsrechts mit dem IFG. Selbstverständlich, Frau Kollegin Piltz, darf es dabei nicht zu einer Absenkung der bestehenden Standards kommen, auch nicht beim Datenschutz; das ist für uns Grüne ein ganz zentraler Punkt. ({9}) Zu guter Letzt - Herr Kollege Mayer, das sage ich vor allen Dingen in Ihre Richtung -: Frau Stamm, immerhin CSU-Landtagspräsidentin, erklärte heute Morgen im Deutschlandfunk, ({10}) - nicht nur von der CSU, genau; aber auch -, dass wir als Abgeordnete Transparenz, Transparenz und Transparenz in den Mittelpunkt stellen müssen. So reden Sie leider nur, wenn Ihnen das Wasser, wie jetzt in Bayern, bis zum Hals steht. Weil das aber auch aus Einsicht und Überzeugung geschehen soll, werden wir das machen, ab September dieses Jahres. Ganz herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Thomas Gebhart das Wort. ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch selbstverständlich, dass der Staat eine besondere Pflicht hat, sein Handeln transparent zu machen. Der Staat ist verpflichtet, seinen Bürgerinnen und Bürgern Auskunft zu erteilen, beispielsweise in Fragen des Umweltschutzes; darüber kann hier, glaube ich, kein ernsthafter Dissens bestehen. Wir haben heute in Deutschland unterschiedliche Gesetze, die diesen Informationszugang regeln: bei Umweltinformationen das Umweltinformationsgesetz, bei Lebensmitteln das Verbraucherinformationsgesetz, bei amtlichen Informationen das Informationsfreiheitsgesetz. Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD schlägt nun vor, die drei angesprochenen Gesetze zusammenzufassen. Der Kollege Stephan Mayer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Debatte nicht neu ist, und er hat - völlig richtig - auf die Argumente in diesem Zusammenhang hingewiesen. Deswegen brauche ich sie an dieser Stelle nicht zu wiederholen. Alles in einer Hand; für die Bürger wäre dies besser verständlich - so Ihre Idee. Allerdings, meine Damen und Herren, ist es doch bereits heute so, dass die angefragten Behörden von sich aus entscheiden, nach welchem Gesetz Auskunft erteilt wird. Das heißt, die Wirkung auf die Bürgerinnen und Bürger ist durch das Vorhandensein mehrerer Gesetze nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Zudem weisen die verschiedenen Informationszugangsgesetze im Detail auch Unterschiede auf, zum Beispiel bei der Ausgestaltung von Gründen für die Ablehnung eines Informationsantrags. Eine Zusammenlegung muss daher - auch in Bezug auf die unmittelbare Wirkung des Gesetzes lediglich für Bundesbehörden und nicht nur für die Länderbehörden - sorgfältig geprüft werden. Einige Sachverständige haben bei der Evaluation des Informationsfreiheitsgesetzes ausdrücklich davor gewarnt, die Anforderungen des Umweltinformationsgesetzes auf das Informationsfreiheitsgesetz zu übertragen, weil der Ursprung der Gesetze und die Motivation für sie schlicht und ergreifend jeweils andere sind. Der Hauptvorschlag der SPD, dass die Behörden angehalten werden sollen, Informationen von allgemeinem Interesse von sich aus einfach und kostenfrei zu veröffentlichen, ist nicht neu. Sowohl das Umweltinformationsgesetz als auch das Verbraucherinformationsgesetz kennen solche Regelungen. Die SPD will den Katalog der aktiven behördlichen Veröffentlichungspflichten erweitern. Eine Abschätzung jedoch - das ist ein Manko Ihres Gesetzesvorschlags -, wie hoch denn der Erfüllungsaufwand für die Behörden wäre, leisten Sie nicht. Speziell zum Bereich des Umweltinformationsgesetzes. Aus Umweltsicht ist der von Ihnen vorgeschlagene Gesetzentwurf auf den ersten Blick zunächst relativ unproblematisch - es sind nur kleinere Neuerungen -: Sie haben das Umweltinformationsgesetz im Wesentlichen übernommen und versuchen, dessen Anforderungen auch auf andere Gesetze zu übertragen. Es gibt aber durchaus kritische Punkte. Ich will einen kritischen Punkt, über den in den Ausschussberatungen sicherlich zu diskutieren sein wird, konkret ansprechen: § 7 Abs. 3, der die Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes für Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten bei Verschlusssachen auch auf Umweltinformationen anwendet. Diese Bestimmung, meine Damen und Herren, ist europarechtlich, aber auch völkerrechtlich hochproblematisch, weil bei Umweltinformationen insofern kein Abwägungsspielraum besteht. Ohne diesen Bezug zu einer Abwägung dürfte der Text europa- und völkerrechtlichen Vorgaben kaum genügen. Übrigens nimmt Ihr Gesetzentwurf auch auf die Århus-Konvention keinen Bezug; auch das ist an dieser Stelle ein Stück weit bemerkenswert. Meine Damen und Herren, wir werden Ihren Gesetzentwurf in den Ausschüssen mit Sicherheit sehr gründlich beraten und insbesondere die kritischen Punkte intensiv diskutieren. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Lars Klingbeil das Wort. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Mayer, Sie haben vorhin sieben Minuten geredet. Sie haben kritisiert, was die SPD in ihren Gesetzentwurf geschrieben hat, Sie haben gemeckert, ({0}) Sie haben aus der Anhörung zur Evaluierung zitiert; aber Sie haben eines vergessen: Sie haben vergessen, zu sagen, wofür Sie eigentlich stehen, wofür diese Koalition eigentlich steht, wenn es um Informationsfreiheit geht und darum, Transparenz in diesem Land zu verbessern; das haben Sie zu sagen vergessen. Rot-Grün gibt hier den Takt vor ({1}) und zeigt, in welche Richtung sich das alles entwickeln soll. Es ist enttäuschend, das von Schwarz-Gelb an dieser Stelle nichts kommt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch daran erinnern, dass Rot-Grün dieses Informationsfreiheitsgesetz im Jahr 2005 auf den Weg gebracht hat. Wir haben damals die Türen des Staates aufgestoßen, wir haben gesagt: Wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Offenheit in diesem Land, wir wollen, dass staatliches Handeln nachvollziehbarer wird. - Das war damals progressiv. Rot-Grün hat sich aufgemacht, den Staat zu modernisieren. ({3}) Seit 2006 ist viel passiert: Wir sehen, dass die Informationsfreiheitsgesetze, die damals auf den Weg gebracht wurden, Strukturen verändert haben. Wir sehen aber auch, dass es in der Praxis viel zu häufig noch Hürden gibt, an denen die Informationsfreiheit scheitert. Zuletzt konnten wir im April in einem Artikel in der Zeit mit der Überschrift „Achtung! Geschäftsgeheimnis“ lesen, dass es noch heute große Unsicherheiten in Behörden gibt, dass manchmal der Wille fehlt, aber dass vor allem eine Gesetzgebung fehlt, die wirklich Informationsfreiheit ermöglicht. Deswegen müssen wir acht Jahre nach Verabschiedung des Informationsfreiheitsgesetzes festhalten: Der Kulturwandel in Politik und Verwaltung, wie wir ihn wollten, wie wir ihn uns vorgenommen haben, ist an vielen Stellen noch nicht da. Deswegen ist es Zeit für eine grundlegende Überarbeitung. ({4}) Es ist Zeit für ein Informationsfreiheitsgesetz 2.0, und das hat die Sozialdemokratie hier heute auf den Tisch gelegt. Darüber wollen wir reden und abstimmen. ({5}) Die Evaluierung, lieber Kollege Mayer, und auch die intensive Diskussion in der Enquete-Kommission haben gezeigt, dass es Handlungsbedarf gibt. Wir sagen, es gibt ihn in drei Bereichen: Wir wollen die großen Regelungswerke zusammenführen - das ist hier häufig diskutiert worden -, wir wollen vor allem auch eine radikale Eingrenzung der Ausnahmetatbestände, und wir sagen, dass wir im Sinne der Transparenz auch eine proaktive Veröffentlichung von Informationen und Daten einführen wollen. - Auskunftsrechte sind gut und wichtig, aber wir wollen, dass diese auch effektiv genutzt werden können. Hier geht es dann auch um Open Data. Ich will die Linke gerne einladen, dass wir im Verfahren noch über die Maschinenlesbarkeit und all diese Dinge reden. Ich will aber auch sagen: Wir müssen erkennen, dass Informationsfreiheit und Open Data ein riesiges Innovationspotenzial haben und dass wir auf dieses Innovationspotenzial setzen müssen. Hier geht es noch einmal um den Kulturwandel der Behörden. Es muss darum gehen, dass Offenheit herrscht, dass wir also diese Offenheit des Staates erreichen. Das Wissen des Staates muss den Menschen gehören. Bei Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechten brauchen wir Ausnahmen, aber ich sage Ihnen: Transparenz schafft Vertrauen, Transparenz schafft Nähe, und Transparenz schafft auch Teilhabe. Darum muss es uns doch gehen. ({6}) In den USA sehen wir, wie erfolgreich eine OpenData-Strategie sein kann und wie erfolgreich Informationsfreiheit ist. Ich verrate Ihnen aber auch: Dort gibt es einen Präsidenten Obama, der das Ganze lebt und vorantreibt. Genau eine solche Person mit einer solchen Verantwortung fehlt in der schwarz-gelben Bundesregierung. Es gibt niemanden in dieser Regierung, der die Offenheit des Staates vorantreibt. Sie verweisen auf GovData. Ja, das ist ein tolles Projekt - das will ich Ihnen auch sagen -, aber wenn die proaktive Veröffentlichung von Daten nicht die Grundvoraussetzung ist, dann haben wir hier die falschen Weichen gestellt. Ich sage Ihnen: Rot-Grün hat damals den Staat modernisiert. Schwarz-Gelb weigert sich an dieser Stelle, auf die nächste Stufe der Modernisierung des Staates zu gehen. Deswegen wird es wieder Rot-Grün sein, die die nächste Stufe der Modernisierung des Staates nehmen werden. ({7}) Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt und freuen uns auf die Diskussion hier im Parlament. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/13467 an die Ausschüsse zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung finden. Dazu gibt es keine anderen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich - Drucksache 17/12726 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/13526 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Valerie Wilms Vorgesehen ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Damit sind Sie einverstanden. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Peter Ramsauer. ({1})

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es geht in diesem Gesetzentwurf, zu dem wir heute die zweite und dritte Lesung abhalten, um eine durchaus abstrakt erscheinende Materie, wenngleich sie von ganz erheblicher Bedeutung für das bahnwirtschaftliche Geschehen in Deutschland ist. Ich möchte diese Materie zunächst einmal darstellen und zwei ganz wesentliche Dinge herausstellen, die uns, glaube ich, auch überfraktionell verbinden: Erstens. Wir wollen ein Maximum an Wettbewerb im Schienenverkehr gewährleisten, ({0}) und zwar sowohl im Bereich des Schienenpersonenverkehrs - egal ob im Schienenpersonennahverkehr oder im Schienenpersonenfernverkehr - als auch im Bereich des Güterverkehrs. ({1}) Zweitens. Ich habe mich in Bezug auf die DB von Beginn meiner Amtszeit an - vorher natürlich auch schon aus tiefer Überzeugung immer für das Prinzip des integrierten Konzerns ausgesprochen. ({2}) - Frau Wilms, können Sie sich nicht anschließen? Wie gesagt, das ist meine tiefe Überzeugung. Hier ist nicht die Zeit, vertieft darüber zu diskutieren und das ordnungspolitisch zu begründen, aber es muss erwähnt werden, weil es mir wichtig ist. Dieser Weg führt dann zu dem Eisenbahnregulierungsgesetz, das entgegen vielen anderslautenden Darstellungen zeigt, dass man zwei Dinge zusammenbringen kann: den integrierten Konzern mit seinen gesamten strategischen und operativen Vorzügen und gleichzeitig ein Maximum an Wettbewerb. Schon jetzt haben wir ein Maß an Wettbewerb im Schienenverkehr in Deutschland, von dem sich andere Länder in der Europäischen Union dicke Scheiben abschneiden können. ({3}) Ich habe heute noch im Ohr, was Guillaume Pepy, als er vor etwa einem Jahr hier in Berlin eine Rede gehalten hat, gesagt hat, nämlich dass Deutschland das Land in der Europäischen Union sei, in dem auf der Schiene bis heute der meiste Wettbewerb herrsche. Das sagt der französische Bahnchef. Dieser Wettbewerb kann sich sehen lassen. Es gibt etwa 350 Wettbewerber zur Bahn. Zahlenmäßig klingt das viel. In Anteilen ausgedrückt bedeutet das im Bereich der Fracht, des Güterverkehrs, 26 Prozent und im Bereich des Personenregionalverkehrs nach Sitzplatzangeboten 24 Prozent. Zugegebenermaßen ist im Schienenpersonenfernverkehr noch viel Raum nach oben; da liegen wir, was den Wettbewerb anbelangt, etwa bei 1 Prozent. Aber wir sind hier auf dem richtigen Weg. Jetzt müssen wir die Debatte natürlich gerade auf europäischer Ebene führen, insbesondere was das Thema Unbundling betrifft. Verlangt werden von uns - Stichwort 4. EU-Eisenbahnpaket - immer stärker eine weitergehende Zerschlagung der Konzernstrukturen, die Zerschlagung des integrierten Konzerns und die Trennung von Netz und Betrieb. Meine Richtung ist eine andere. Das habe ich gerade dargestellt. Das bedingt und verlangt aber natürlich, dass wir auf der anderen Seite das Maximum an Wettbewerb sicherstellen, das heißt ein Maximum in Bezug auf einen völlig diskriminierungsfreien Zugang der Wettbewerber zum Eisenbahnnetz und zu den Stationen, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Dienstleistungen, die von der DB erbracht werden. Das heißt beispielsweise - diese Kinkerlitzchen kennen wir ja; das ist aber in anderen Ländern nicht besser -, wir brauchen - dann reguliert - einen diskriminierungsfreien Zugang beispielsweise zu Rangierleistungen oder die Zurverfügungstellung von Fahrkartenverkaufsmöglichkeiten im Bereich von Stationen. ({4}) - Ja, es muss aber kodifiziert werden. Deshalb schaffen wir genau dieses Eisenbahnregulierungsgesetz, mit dem wir die Befugnisse, Zuständigkeiten und Kompetenzen der Bundesnetzagentur stärken. Wir zeigen damit, dass beides möglich ist: ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Märkten für Wettbewerber der DB und die gleichzeitige Aufrechterhaltung des integrierten Konzerns. Ich finde, das ist ein hervorragender zukunftsweisender Weg. Ich bedanke mich. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Martin Burkert spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, nach dieser Rede muss man sich in der Tat fragen, warum Sie dieses Gesetz eingebracht haben. Ich muss Ihnen vorhalten, auch heute Abend, dass die Bundesregierung schienenpolitisch nichts zustande gebracht hat. Sie hat durch die Bahndividende einerseits, aber auch durch verkehrsbezogene Geldströme - wenn ich an die Lkw-Maut denke - andererseits dem Verkehrsträger Schiene immer wieder Geld entzogen. Herr Minister, Sie haben alles versemmelt. Sie haben Regionalisierungsmittel in die nächste Periode geschoben. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen? Verlängert in die nächste Periode. GVFG-Fortführung? Nächste Periode. Alles verschoben. Ich sage Ihnen: Wir werden das in der nächsten Legislaturperiode richten. ({0}) Wir sind gut aufgestellt. Schauen Sie in unser Wahlprogramm: verkehrspolitisch exzellent. ({1}) Ich sage Ihnen: Heute ist kein guter Tag für den Verkehrsträger Schiene. ({2}) Es wird eine einseitige Regulierung für den Schienenverkehr in Deutschland durchgepeitscht. Es gibt kein verkehrsübergreifendes Konzept in Deutschland. Die Bundesregierung hat es versäumt, einen Bundesmobilitätsplan, der alle Verkehrsträger beinhaltet, aufzustellen. Sie hätten die Chance gehabt, Herr Minister, einen Masterplan für den Verkehrsmarkt aufzustellen. Wenn diese Regulierung jetzt scharfgeschaltet wird, gibt es einen weiteren Wettbewerbsnachteil für die Schiene. Wir werden nach der Beschlussfassung im ersten Quartal 2015 durch das Europäische Parlament dieses Gesetz sowieso wieder auf der Tagesordnung haben. Sie hätten eigentlich deswegen der gestrigen Ankündigung in der VerkehrsRundschau folgen sollen und den Tagesordnungspunkt einfach absetzen müssen. ({3}) Wer die politischen Abläufe hier in Berlin kennt, der weiß, dass hier der Schwanz mit dem Hund gewedelt hat. Wie sich das personifiziert darstellt, das überlasse ich einmal Ihrer Fantasie. ({4}) Wissen Sie eigentlich, was Sie hier machen? Sie entziehen unserem Unternehmen, Herr Minister, der DB Netz AG, mit dieser Regulierung die Geschäftsgrundlage. ({5}) Sie schaffen mit dieser Überregulierung Fehlsteuerungen und Fehlanreize, die am Ende zu einer Leistungsreduzierung führen werden. Die EVG hat Ihnen in diesem Sinne ihre Sorgen zur Tarifautonomie dargestellt, und der Konzernbetriebsrat der Deutschen Bahn AG hat in einem Brandbrief an alle Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden die Auswirkungen der heutigen Regulierung beschrieben. Das Ergebnis dieser Regulierung wird nicht nur zu einer drastischen Reduzierung von Infrastruktur führen, sondern auch dramatische Arbeitsplatzverluste zur Folge haben. Ich frage Sie: Können Sie sich vorstellen, dass Sie zur Lufthansa gehen und dort Air-Berlin-Flugtickets bekommen? Genau das wird mit dieser Regulierung passieren. ({6}) Sie verlangen, dass der Fahrkartenverkauf einseitig gemacht wird. Ich sage Ihnen: Wir haben heute ein funktionierendes System. Ich nenne ein Beispiel aus Ihrer Heimat Rosenheim, wo zwei Fahrkartenausgaben von der Deutschen Bahn und dem Konzern Veolia hervorragend nebeneinander funktionieren. Sie führen die Verpflichtung für die Erbringung von Rangierleistungen ein. Herr Ramsauer, Sie loben das. Sie haben aber vergessen, eine Sicherung für Vorrangverkehre einzuführen. Wir sind froh, dass wir im Güterverkehr auf der Schiene wieder einen Anteil von 17 Prozent haben. Aber was glauben Sie eigentlich, wie lange sich das die Firmen mit Termingüterzügen bieten lassen, wie lange sich das der Kunde gefallen lässt, bis er den Verkehrsträger wechselt, weil durch diesen Unsinn der normale Fahrplanablauf durcheinanderkommt? Sie haben eben keine Ahnung von der Praxis. ({7}) Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wenn es dann im Übrigen noch zu Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen kommt, dann ist dies die Trennung durch die Hintertür. Wir wissen, dass Frau Wilms sich dafür starkmacht. ({8}) Ich sage: Schauen Sie sich in der Welt um. Wir sind viel herumgekommen, der Kollege Fischer besonders. Ich glaube, nur wo integrierte Schienensysteme vorhanden sind, funktioniert der Bahnverkehr. Wir alle sind der Auffassung, dass wir in diesem System mehr Geld brauchen. ({9}) - Wir im Ausschuss. - Bei einer Bilanzierung der Gelder - das wissen die Experten hier - der DB Netz AG wird dies per se Auswirkungen auf die Trassenpreise haben, und zwar nach oben. Wenn die Regulierung zu weniger Geld im System und im DB-Konzern führt, dann muss man sich einmal anschauen: Was passiert denn dann beim Rating? ({10}) Ist dann die Kapitalaufnahme zu diesen Zinssätzen noch möglich? ({11}) - Herr Döring, Sie wissen genau, was passiert, wenn wir kein Triple-A mehr, sondern nur noch das Double-A oder ein einfaches A hätten. Dann müssten wir 200 Millionen bis 400 Millionen Euro mehr Zinsen zahlen, die wir dringend für diese Infrastruktur brauchen. Es ist, wie gesagt, unser Unternehmen, und wir werden diese Fehlsteuerungen am Ende wieder bezahlen müssen. Wir können gerne zu einer durchdachten Eisenbahnregulierung kommen. Es gibt ohne Zweifel gute Ansätze. Gute Ansätze sind der Ausschluss zivilrechtlicher Billigkeitskontrollen, die kapitalmarktübliche Verzinsung, ein einheitlicher Zinssatz für alle und die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts bei Rechtsbehelfen. Es gibt viele Punkte in dem Gesetzentwurf, die sehr gut sind. Wir sollten zu diesem Zeitpunkt auch einmal darüber nachdenken und beleuchten, wie viel Kompetenz wir in diesem Parlament der Bundesnetzagentur übertragen möchten und ob uns dann noch ein Beirat zur Auskunft ausreicht. Auch darüber sollten wir ernsthaft nachdenken. Es lohnt auch, darauf zu blicken und darüber nachzudenken, wer die Bundesnetzagentur überwacht, wenn sie diese Kompetenzen bekommt. Das Parlament sollte also genau prüfen, welche Rechte es an eine Behörde abgibt. Zum Schluss darf ich Ihnen noch sagen: Die Zustimmung des Bundesrates haben Sie heute noch nicht. Dort wird es auch keinen Schnellschuss-Jerry-Cotton Döring geben, der hier mitwurstelt. Sie haben viele Fragen ungeklärt gelassen. Jetzt freuen wir uns darauf, dass heute Nacht - wenn auch die Reden zu Protokoll gehen - noch ein gutes Gesetz auf den Weg kommt. Das ist aber nur ein schwacher Trost bei dem Desaster. Ich bin trotzdem froh, dass wir heute Nacht für die nicht bundeseigenen Eisenbahnen Geld zur Verfügung stellen, damit die Infrastruktur verbessert werden kann. Darüber werden wir leider nicht mehr reden können. Aber dieses Desaster wird hoffentlich im Bundesrat ein Ende finden. ({12}) Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gilt in Berlin der Spruch, dass man, wenn man etwas geheim halten will, im Plenum nach 18 Uhr vorträgt. Aber ich will die Gelegenheit nutzen, weil alle hier im Haus und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribünen, wissen sollen: Es ist beschämend, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands acht Minuten ihrer Redezeit einem knallharten Eisenbahnlobbyisten aus dem Gewerkschaftsvorstand der Eisenbahngewerkschaft zur Verfügung stellt. ({0}) Ich halte es für nachgerade unangemessen, Herr Kollege Burkert, dass Sie mit keinem Wort erwähnen, dass die von der Sozialdemokratie regierten Bundesländer und die von der Sozialdemokratie gestellten Verkehrsminister in den Bundesländern viel mehr Regulierung wollen, als wir es in dem Gesetzentwurf vorsehen. Das gehört zu dem Programmbruch in Ihrer Partei dazu. ({1}) Sie sind in der Minderheit. Deshalb ist es doppelt beschämend, dass Sie die ganze Redezeit verbraten dürfen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in dieser Wahlperiode die Investitionen in die Schienenwege gesteigert, den Lärmschutz erhöht und den Schienenbonus abgeschafft, damit die Bürgerinnen und Bürger an der Schiene ruhiger leben können. ({3}) - Sehr geehrter Herr Kollege Herzog, der berühmte Bundesverkehrsminister Stolpe, der Verkehrsminister Müntefering und „Pfütze“ ({4}) haben sich nicht einmal bemüht, den Schienenbonus abzuschaffen. Wir haben es gemacht: die Koalition aus Union und FDP. ({5}) Ich halte es nachgerade für unverschämt, den Eindruck zu erwecken, dass mit diesem Gesetz weniger Wettbewerb möglich wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Deutscher Bundestag seit der Privatisierung der Deutschen Bahn immer dafür gesorgt, dass mit den Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt in die Infrastruktur die Trassenpreise niedrig bleiben. Jeder weiß, dass man die Kapitalkosten für die Infrastruktur Schiene nicht verdienen kann, auch nicht mit Trassenentgelten. Wir wollen viel Eisenbahnverkehr, und deshalb sorgen wir mit staatlichen Zuschüssen in beträchtlicher Höhe - es sind fast 5 Milliarden Euro - für eine gute Eisenbahninfrastruktur. ({6}) Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es weder in Deutschland noch in Europa zulässig sein darf, dass die bundeseigenen Unternehmen auf einem Wettbewerbsmarkt bei den Trassenpreisen anders behandelt werden als die nicht bundeseigenen Unternehmen. Wir wollen mehr Wettbewerb wagen, und das seit 1994 und nicht erst seit 2013. ({7}) Deshalb ist es richtig, im Eisenbahnregulierungsgesetz klarzustellen: Beim Bezug von Bahnstrom, beim Zugang zu Eisenbahninfrastrukturanlagen, beim Zugang zu Bahnhöfen und bei den Trassenpreisen gilt gleiches Recht für alle. Genauso wie bei den Stromnetzen und den Telekommunikationsnetzen gibt es dafür eine Behörde. Das ist die Bundesnetzagentur. Sie hat ein mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages besetztes Aufsichtsgremium, nämlich den Beirat. Das ist eine Behörde des Bundes, und sie handelt nach Recht und Gesetz. Es ist gut, dass wir das, was bei Telekommunikations- und Stromnetzen gilt, auf die Eisenbahn übertragen. Wir wollten das. ({8}) Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass sich mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz nicht alle Probleme, die wir auf dem Eisenbahnmarkt haben, lösen lassen. Aber wir werden ein Stück weit mehr Wettbewerb und mehr Rechtssicherheit für jene bekommen, die sich auf diesem Markt bewegen. Wenn ich mir das Klagelied, das der Kollege Burkert zu Beginn seiner Rede angestimmt hat, durch den Kopf gehen lasse, dann wundere ich mich, dass wir derzeit so viele Personen und so viele Tonnenkilometer im Schienennetz zu verzeichnen haben wie noch nie in der Geschichte der DB AG. ({9}) Der Fernverkehr und der Nahverkehr brummen. Es werden mehr Menschen von der Deutschen Bahn AG, aber auch von den vielen Wettbewerbsunternehmen befördert als jemals zuvor. Wir wollen mehr Menschen auf der Schiene befördern. Aber wir wollen nicht bestimmen, ob durch bundeseigene Unternehmen oder durch andere Unternehmen. Das unterscheidet uns von den Sozialdemokraten. ({10}) An einem Punkt sind wir noch nicht so weit, wie wir sein wollten. Das betrifft die Frage, ob tatsächlich alle, die das Netz vermarkten, zuallererst das Interesse haben, dass das Netz ausgelastet ist. Letztendlich ist die Frage, wie der Konzern, der dem Bund gehört, organisiert ist, nicht die Schlüsselfrage. Entscheidend ist vielmehr, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass durch die mit Steuergeldern finanzierte öffentliche Infrastruktur so viel Schienenverkehr wie möglich abgewickelt wird. Deshalb muss sichergestellt sein, dass derjenige, dem das Netz gehört, Schienenverkehre nicht verhindert. Es ist gut, dass die Bundesnetzagentur Zugriff auf die Vergabe von Trassen und die Gestaltung von Trassenpreisen hat. Denn darum geht es: Viel Verkehr auf der Schiene, egal durch wen, Hauptsache, Schienenverkehr. ({11}) Letzter Punkt. Die DB AG ist wirtschaftlich erfolgreich. Die DB AG gibt es nur, weil der Bund und die Vorgänger des Bundes seit 175 Jahren Schieneninfrastruktur geschaffen haben und weil die Bundesrepublik Deutschland nach der Bildung der Aktiengesellschaft 15 Jahre auf Dividenden verzichtet hat, da es dem Unternehmen nicht gut ging. Das war richtig. Wenn es aber dem Unternehmen gut geht und der Konzern mit Personen- und Güterverkehr Geld verdient, dann ist es der Anspruch des Parlaments und dieser Koalition, dass unser Kapital verzinst wird und dass ein Teil der Dividende zurückfließt. ({12}) Ich bin Bundesverkehrsminister Ramsauer dankbar, dass er dafür gesorgt hat, dass diese Mittel in die Eisenbahninfrastruktur zurückfließen, über die wir hier entscheiden. Herzlichen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sabine Leidig hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe, ehrlich gesagt, kein Interesse an einer Kapitalverzinsung, sondern ein Interesse an einer gut funktionierenden Bahn. Ich benutze sie täglich. ({0}) Es interessiert mich überhaupt nicht, wie die Kapitalverzinsung in den Staatshaushalt einfließt. ({1}) Es geht um Lebensqualität und darum, dass wir eine Bahn haben, die für die Bürgerinnen und Bürger funktioniert. ({2}) Es gab gestern im Ausschuss eine Expertenanhörung zu dem Entwurf Ihres Gesetzes, mit dem Sie versuchen, die Eisenbahn zu regulieren, ohne allerdings das Grundproblem, auf das wir immer wieder stoßen, anzutasten. Sie haben die Deutsche Bahn AG wie einen privatwirtschaftlichen Konzern aufgestellt, ({3}) der seine Geschäftspolitik, wie Sie es gerade schon gesagt haben, an einem möglichst großen Bilanzgewinn ausrichtet. ({4}) Dazu gehört natürlich, dass man die Nahverkehrsunternehmen und Privatbahnen mit saftigen Trassenpreisen und Stationsgebühren belasten muss, damit der Gewinn steigt. Dazu gehört, dass langfristige Investitionen in die Infrastruktur vernachlässigt werden. ({5}) Dazu gehört, dass sogenannte Wettbewerber auf der Schiene benachteiligt werden. ({6}) Dazu kommt, dass weder die politisch Verantwortlichen noch die Vertragspartner noch die Aufsichtsbehörden wie die Bundesnetzagentur oder der Bundesrechnungshof die nötigen Daten und Informationen bekommen, um dieses Unternehmen wirklich wirkungsvoll kontrollieren zu können. Ganz vieles unterliegt dem Betriebsgeheimnis. Es gibt keine Transparenz. Das alles ist weit von dem entfernt, was wir gerade im Rahmen der Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger diskutiert haben. Das Gegenstück dazu sind die Schweizerischen Bundesbahnen, die auch als Aktiengesellschaft organisiert sind und wie bei uns zu 100 Prozent in der Hand des Bundes sind. ({7}) In der Schweiz sind alle wesentlichen Betriebs- und Planungsdaten im Internet für alle öffentlich zugänglich, sodass die Bürgerinnen und Bürger beobachten können, was ihr Unternehmen treibt und plant. ({8}) Ich finde, so muss es auch sein. ({9}) Obwohl auch in der Schweiz die Eigenwirtschaftlichkeit der Bundesbahnen gewährleistet ist, gibt es dort ein völlig anderes Grundverständnis und eine andere Grundausrichtung des Eisenbahnunternehmens. Erstens. Der Eigentümer Bund stellt fest, dass eine schwarze Null in der Bilanz ausreicht, ({10}) weil damit nämlich volkswirtschaftlich mehr gewonnen ist, als wenn die Gewinne irgendwo in einer Bilanz konzentriert werden; denn auf der anderen Seite gehen damit Verluste einher, sei es, dass die Regionalbahnen höhere Trassenpreise entrichten müssen, sei es, dass die Bahntickets immer teurer werden und damit die Fahrgäste zur Kasse gebeten werden oder dass Infrastrukturinstandhaltungsmaßnahmen zu Buche schlagen, die lange Zeit vernachlässigt wurden. Das wäre der richtige Schritt auch bei uns. Die Deutsche Bahn AG muss am Allgemeinwohl, am volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen ausgerichtet werden. ({11}) Ich finde übrigens, dass die Kollegen von der SPD durchaus einen Schritt weitergehen sollten. ({12}) Ich halte es für halbherzig, zu sagen: Wir wollen die Deutsche Bahn AG, aber wir wollen gleichzeitig diese Konzernstruktur und diese Konzernausrichtung beibehalten. - Das passt nicht zusammen, Herr Kollege Burkert. Ich finde, dass ein Unternehmen in öffentlicher Hand - da sind wir als Linke schon sehr weit vorangeschritten und haben konkrete Vorschläge entwickelt - an gesellschaftlichen Zielen ausgerichtet werden muss, für die Bund und Länder Verantwortung tragen, und zwar zum Teil im Grundgesetz verankerte Verantwortung. Wettbewerb ist kein solches Ziel. ({13}) Sie sind nicht verantwortlich für Wettbewerb. Wettbewerb an sich nützt gar nichts. ({14}) Wettbewerb ist überhaupt keine inhaltliche Angelegenheit. ({15}) Ein Ziel wäre zum Beispiel - Herr Döring, das würden Sie verstehen, wenn Sie öfter in der Fläche unterwegs wären - ein flächendeckendes Fernverkehrsangebot. Es steht im Grundgesetz, dass der Bund dafür Verantwortung hat. ({16}) Ein notwendiges Ziel ist auch, dass Bahnen und Busse miteinander vertaktet werden, und zwar deutschlandweit, damit die Leute zuverlässig an den Bahnhöfen umsteigen können. ({17}) Die Forderung nach einem integralen Deutschlandtakt erhebt auch die Bundesarbeitsgemeinschaft des Schienenpersonennahverkehrs. Ich weiß nicht, ob Sie die für einen sozialistischen Verein halten. ({18}) Ich weiß, dass die Länderbahnen dort organisiert sind. Ein sinnvolles Ziel wäre zum Beispiel auch, dass die Fahrgäste mit einem Ticket und einem Preissystem durch das ganze Land kommen. ({19}) Das wäre tausendmal wichtiger und kundenfreundlicher

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- als eine gesetzliche Regulierung, die festschreibt, dass verschiedene Fahrkartenautomaten an einem Bahnsteig stehen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Wir sagen ganz klar: Wir wollen keine Kontrollbehördenbürokratie, wie Sie es jetzt hier vorschlagen, sondern wir wollen eine Bahn, ({0}) die kooperativ und am Gemeinwohl ausgerichtet ist und in diesem Rahmen eigenwirtschaftlich arbeiten kann. Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Besucherinnen und Besucher, Sie sehen hier eine äußerst interessante Debatte, der Sie entnehmen konnten: Was Kollege Döring gesagt hat, war zwar hochinteressant, aber leider nicht kongruent mit dem, was der Minister dieser schwarz-gelben Koalition erzählt hat. Das passt irgendwie noch nicht so ganz zusammen. ({0}) Dieser Zustand wird im September beendet; dann ist Feierabend. Worum geht es heute? Im Kern geht es darum, ob ein Staatskonzern auf Kosten des Nahverkehrs weiter Milliardengewinne erzielen soll. Ich habe nichts gegen Gewinne. Ich freue mich auch, dass die Bahn gut aufgestellt ist. Insofern bin ich an dieser Stelle deckungsgleich mit dem Kollegen Döring. Ich bin aber überzeugt, dass dies nicht zulasten eines vernünftigen Nahverkehrs auf der Schiene gehen darf. ({1}) Der Wettbewerb hat das System Bahn - werte Kollegin Leidig, da können Sie sich noch sehr echauffieren wirklich besser gemacht. Mit dem heutigen Gesetz können wir diesen Wettbewerb auch endlich fair machen. ({2}) Das fehlt nämlich noch. Wir können nicht zulassen, dass die Nutzung einer Bahnstation für einen Wettbewerber der DB exorbitant teuer wird. Dann gibt es diese Wettbewerber mit ihren guten Angeboten nämlich bald nicht mehr; darüber reden wir hier. Deswegen ist die Regulierung für uns Grüne zwingend notwendig. ({3}) Ich halte eine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat weiterhin für möglich, auch wenn die Meinungen jetzt noch sehr weit auseinanderliegen. Die Bundesregierung hat ihre ersten Vorschläge nachgebessert. Auch der Bundesrat hat sich mit breiter Mehrheit zu diesem Gesetz bekannt. Er hat natürlich auch Änderungen vorgeschlagen, wie es dort so üblich ist. Das müssen wir jetzt zusammenbringen. Uns als Abgeordneten muss klar sein, dass wir vor allem eine Gesamtverantwortung tragen. Wir dürfen nicht nur das Wohl des Bundesunternehmens Deutsche Bahn im Blick haben. Es ist grundsätzlich in Ordnung, wenn die Deutsche Bahn ihre Interessen verteidigt. Daher laden wir die DB zu Anhörungen in den Ausschuss ein. Es ist aber eine Unverschämtheit, wenn die DB noch während der Ausschussberatungen bei der Kanzlerin interveniert und auf die Absetzung dieses Tagesordnungspunktes von der heutigen Plenarsitzung drängt. ({4}) Das dürfen wir uns als frei gewählte Abgeordnete nicht bieten lassen. Wir müssen noch einmal deutlich sagen: Die Deutsche Bahn gehört dem deutschen Staat und nicht der deutsche Staat der Deutschen Bahn. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf enthält einige sinnvolle Ansätze. Er muss aber deutlich verbessert werden. In der jetzigen Form hat dieser Entwurf zu viele Mängel. Dem können wir so nicht zustimmen. Für uns Grüne sind die Ländervorschläge zur Beendigung der Gewinnabführung wichtig. Auch die Möglichkeit zur Abstufung regionaler Schienenstrecken sehen wir als wichtigen Baustein für einen besseren Schienenverkehr. Darüber möchten wir reden. Aber vielleicht können wir diese Fragen anderweitig lösen. Es sollte jetzt unser gemeinsames Ziel sein, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um dort noch einen Kompromiss zu finden. An unserer Bereitschaft soll es nicht mangeln. Für die Mehrheit der Experten in der Anhörung war ein Gesetz wichtiger als kein Gesetz; das haben wir am Mittwoch deutlich gehört. Es wurde deswegen vorgeschlagen, sich auf die Punkte zu konzentrieren, die essenziell zur Regulierung gehören. Hier könnte man in den Verhandlungen nämlich ansetzen. Wir müssen also vor allem über die Transparenz in der Verrechnung konzerninterner Leistungen und die Frage der Kapitalverzinsung sprechen. Herr Kollege Burkert, das ist nämlich der entscheidende Punkt. Da wird getrickst ohne Ende. ({6}) Außerdem müssen wir bei der zivilrechtlichen Kontrolle, der sogenannten Billigkeitskontrolle, und den Ausnahmemöglichkeiten für bestimmte Kostenblöcke Lösungen finden. Damit könnten wir zumindest in die Regulierung einsteigen. Ich appelliere an alle hier im Hause und auch im Bundesrat, dieses Gesetz nicht zu versenken. Wir haben es jetzt in der Hand. Schaffen wir noch eine Lösung bis zum Ende der Wahlperiode! Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat Ulrich Lange jetzt das Wort. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Burkert, Sie dürfen klatschen zu der hervorragenden Schienenpolitik, die wir in den letzten vier Jahren gemacht haben: ({0}) Schienenbonus, Infrastrukturbeschleunigungsprogramm und heute Eisenbahnregulierung. Ich glaube, das ist einen Applaus für uns und unseren Bundesminister wert. ({1}) - Den Fasching, glaube ich, hat der Kollege Burkert selber ein bisschen eingeleitet. Lassen Sie uns wieder zum Ernst der Debatte kommen. Das ist heute ein großer und richtiger Schritt im Rahmen der vielen Reformen, die die Bahn seit ihrer Zeit als Deutsche Bundesbahn in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemacht hat. Wir setzen mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf einen wesentlichen Baustein des Koalitionsvertrages um; lieber Kollege Döring, unseres Koalitionsvertrages. Ich war mir gerade nicht so sicher, ob ich zwischendurch nicht die Anbahnung einer gelbgrünen Koalition herausgehört habe. Wir sind da aber recht ruhig: Es wird nicht reichen. ({2}) Wir sind einen großen Schritt weiter. Wir haben den Spannungsbogen zwischen Wettbewerb und Überregulierung, lieber Kollege Burkert, den Sie im Ausschuss so sehr beklagt haben, gut bewältigt, auch dank des Einsatzes des Ministeriums und unseres Bundesministers, der in den letzten Tagen und Stunden stark dafür gekämpft hat, dass wir heute hier stehen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Es war uns Verkehrspolitikern wichtig, dass wir dieses Gesetz auf den Weg bringen. ({3}) Was machen wir? Wir regulieren den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und die Nutzungsentgelte. Wir stärken aber vor allem die Befugnisse der Bundesnetzagentur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass es uns damit sehr wohl gelungen ist, einen Einstieg in eine echte Regulierung zu finden. Wir regeln - das wurde vorhin schon angesprochen den Zugang zur Bahninfrastruktur neu. Die Rangierdienstleistungen sind schon angesprochen worden, aber auch das Zugangsrecht zu den Werksbahnen. Ganz wichtig ist - das ist in meinen Augen für viele Servicestationen eine gute Botschaft heute Abend -: Die Stilllegung von Serviceeinrichtungen ist zukünftig genehmigungspflichtig. ({4}) - Das ist ein guter, wichtiger Punkt. Herr Kollege Burkert, ich habe so sehr auf Ihren Applaus gewartet. ({5}) Wir stärken die Bundesnetzagentur in wesentlichen Punkten: Genehmigung der Entgelte für die Trassenrechte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zusammengesessen und versucht, auszuloten, an welchen Stellen noch der eine oder andere Bewegungsspielraum besteht. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir mit unserem Änderungsantrag im Ausschuss viele Vorschläge des Bundesrates aufgenommen haben, ob das die Schmalspurbahnen, die Befreiungsmöglichkeit für Schienenwege, die nicht mit anderen Schienenwegen vernetzt sind, oder die Förderung der NE-Bahnen betrifft. Kollege Burkert, da waren wir uns ganz einig. ({6}) Das ist heute - das haben wir zu Protokoll gegeben ein guter Tag für den Schienenverkehr in Deutschland. Ich nenne die Ausnahmen von der Anreizregulierung für kleine Eisenbahninfrastrukturunternehmen und viele Dinge mehr. Wir haben also sehr genau geschaut, an welchen Stellen wir wie regulieren, wo wir dem Markt freien Lauf lassen, wo wir aber auch Schutzinteressen haben. Die SPD-Fraktion verweist jetzt auf den Bundesrat: Viele Änderungsvorschläge des Bundesrates sind natürlich rein den Länderinteressen geschuldet. Sie sind stellenweise offensichtlich sachfremd. In vielen Punkten sind sie so weit regulierend, dass sie sogar die Effektivität des Gesetzes gefährden. Deshalb kann ich nur an die Länder appellieren, dieses Gesetz im Bundesrat nicht zu blockieren; denn wenn man 80 bis 90 Prozent eines Gesetzes für gut erachtet, kann man nicht aus irgendwelchen Spielchen oder wahltaktischen Überlegungen eine so wesentliche Reform im Eisenbahnverkehr stoppen. Das wäre falsch. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Satz zu den Fahrscheinen sagen; denn hier wird mit - so muss man fast sagen - unlauteren Worten gearbeitet. Wir regulieren nicht, wir wollen nur eine Missbrauchskontrolle, und das ist ein Unterschied. Missbrauchskontrolle heißt: Wir wollen einen diskriminierungsfreien Zugang. Es ist im Interesse aller bahnfahrenden Kunden, dass man sich darauf verlassen kann, sich auf dem gesamten Schienennetz mit allen Anbietern frei bewegen zu können. Dafür müssen wir einstehen. Insgesamt ist es ein gelungener Gesetzentwurf, ein großer Schritt in die richtige Richtung. Vom Minister wurde die europäische Komponente angesprochen. Hier werden wir natürlich immer wieder nachsteuern oder nachregulieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann jetzt nur sagen: Für das ökologische Verkehrsmittel Schiene ist es heute ein guter Tag. Und an den Bundesrat: Stellt die Weichen in die richtige Richtung! Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13526, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12726 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen das bitte mit Handzeichen deutlich machen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer ist dafür und erhebt sich deswegen? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Enthaltungen gibt es nicht, nur einzelne, die sitzen bleiben. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({1}), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck ({2}), Marieluise Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen - Drucksachen 17/11208, 17/11724 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({4}) Wolfgang Hellmich Paul Schäfer ({5}) Hier ist es vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Der erste Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({6})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein erfreulich bundeswehrstarker Tag im Plenum. Zu fast guter Letzt diskutieren wir auch noch einen Antrag der Fraktion der Grünen und der Fraktion der Linken, der sich mit der Frage der Benennung von Bundeswehrkasernen beschäftigt. Die CDU/CSU-Fraktion wird diesen Antrag ablehnen. Auch der Ausschuss hat empfohlen, diesen Antrag abzulehnen. Wir sind der Meinung, dass er zum einen in vielen Punkten überholt ist. Vieles von dem, was in dem Antrag gefordert wird, wird konkret umgesetzt. Zum Beispiel wurden uns im Verteidigungsausschuss die Kurzanalysen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, dem früheren Militärgeschichtlichen Forschungsamt, zugeleitet. Das war eine der Forderungen in diesem Papier. Zum anderen erweckt der Antrag den Eindruck, dass im Bereich der Beschäftigung mit den Lebensläufen der Namensgeber für Kasernen der Bundeswehr nichts geschehen sei. Genau das Gegenteil ist der Fall: Es gibt gerade in diesem Jahr eine ganze Reihe von Umbenennungen. Diese sind entweder im Gange oder bereits erfolgt. Ich möchte nur die Medem-Kaserne in Holzminden, die General-Hüttner-Kaserne in Hof und die Generaloberstvon-Fritsch-Kaserne in Pfullendorf nennen. Das sind drei Beispiele. Weitere werden folgen. Sie wissen: Es gibt vor Ort, in den Räten und Garnisonen der jeweiligen Städte, Gespräche darüber, welche Empfehlung in Richtung Verteidigungsministerium abgegeben werden soll. Es wird dann auch konsequent gehandelt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zum Thema der Namen für Einrichtungen der Bundeswehr einiges Grundsätzliches zu sagen. Man könnte es sich einfach machen. Ein Stück weit machen wir es uns bei Luftwaffen- und Heereskasernen auch einfach, indem wir uns von Personennamen gänzlich wegbewegen und uns einfach an regionale Bezeichnungen halten. Bei der Marine zum Beispiel haben wir ausschließlich Städte- und Ländernamen sowie Flussbezeichnungen, also harmlose Begriffe. Lediglich der eine oder andere Begriff ist vielleicht aus ästhetischen Gründen verbesserungswürdig. Auf einem Schnellboot „Hyäne“ fahren zu müssen, ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Das ist aber, glaube ich, kein Thema für eine Historikerkommission, sondern eher eine Frage des Geschmacks. Die Tendenz geht dahin, Kasernen, die bisher nach Soldaten benannt waren, nun nach Regionen zu benennen. Ich glaube aber dennoch, dass wir die Gelegenheit nicht verpassen sollten, auch in der Bundeswehr an diejenigen Soldaten zu erinnern, und zwar an Soldaten aller Armeen auf deutschem Boden, die in ihrem Dienst die Herausforderung, Soldat zu sein, in vorbildlicher Weise gemeistert haben. Solche Beispiele gibt es selbstverständlich. Das wird auch in diesem Hause keiner bestreiten. Im Traditionserlass von 1982 - das ist eines der letzten zugegebenermaßen guten Werke der sozial-liberalen Koalition aus dem Jahr 1982 - heißt es: Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr können mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben. Eine herausragende Tat wäre zum Beispiel die des Grafen von Stauffenberg, um ein konkretes Beispiel zu nennen. Wenn wir uns dazu entschließen, die Kasernen nicht nach Landschaften, sondern weiterhin nach Personen zu benennen - ich bin der Meinung, dass wir das tun sollten -, dann sollten wir den Blick natürlich verstärkt auf die Bundeswehr richten. Wir haben mittlerweile eine Bundeswehrtradition und damit eine Vielzahl vorbildlicher Soldaten in ihren Reihen, welche als Vorbild für die Namensgebung von Kasernen infrage kommen. Das sind zum Beispiel Generalinspekteure. Das könnten aber auch einzelne Soldaten sein, die Herausragendes geleistet haben. Wir verleihen seit einiger Zeit an Soldaten, die im Auslandseinsatz Besonderes geleistet haben, Medaillen für Tapferkeit. Sicherlich wäre es eine weitere Würdigung, wenn vielleicht der eine oder andere zum Namensgeber der Kaserne würde, in der er gedient hat. Ich möchte an dieser Stelle zu guter Letzt noch anfügen, dass ich der Meinung bin, dass wir früher oder später auch eine Kaserne nach einer Frau benennen sollten. ({0}) Frauen machen in der Bundeswehr mittlerweile einen Anteil von 9 Prozent aus. ({1}) Ich möchte zum Beispiel auf die erste Frau hinweisen - sie ist vor längerer Zeit aus Altersgründen aus der Bundeswehr ausgeschieden -, die General wurde, eine Generalärztin. Warum soll nicht ein Bundeswehrkrankenhaus oder ein Sanitätszentrum der Bundeswehr nach Frau von Weymarn benannt werden? Das ist nur eine kleine Anregung, um die Fülle der Ideen, die man in diesem Bereich, wie ich finde, sinnvollerweise entwickeln könnte, anzusprechen. Es sollen also weiterhin Namen von Personen für die Namensgebung von Bundeswehrkasernen benutzt werden. Die Überprüfung der bestehenden Namensgebungen ist in vollem Gange. Wir tun dies in Konzentration und in Zusammenarbeit mit den Regionen, mit den betroffenen Soldaten sowie mit den Stadträten und Gemeinderäten in den Orten, wo sich eine entsprechende Garnison befindet. Denn wir wollen das in einem möglichst breiten Konsens lösen. Wir sollten uns beim Finden neuer Namen nicht nur an schönen Landschaften wie die im Allgäu oder in Oberfranken orientieren, sondern uns ganz konkret den Vorbildern der Bundeswehr im 20. und 21. Jahrhundert zuwenden. Ich glaube, dann werden wir insgesamt zu einem sehr guten Ergebnis kommen. Ich danke Ihnen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ullrich Meßmer spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Ullrich Meßmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hardt, die Diskussion um die Benennung von Bundeswehrstandorten, auch um die Frage, welche Namen oder Landschaften man einbeziehen kann, ist eigentlich sehr spannend. Ich komme gleich auf den Erlass zurück, den Sie schon zitiert haben. Wenn man darüber redet, Standorte nach Frauen zu benennen, sollte man auch über Frauen nachdenken, die sich in anderen Bereichen verdient gemacht oder sich im Parlament für Recht und Freiheit eingesetzt haben. Da würden mir Politikerinnen einfallen, die man nehmen könnte, weil sie viel geleistet haben. Ich denke zum Beispiel an Rita Süssmuth und Annemarie Renger. Auch das wäre ein Gedanke, den man bei diesem Thema ins Gespräch bringen könnte. Ich finde es gut, dass eine Debatte über die Benennung von Standorten der Bundeswehr geführt wird. Diese Debatte hat dazu geführt, dass auch unter den Soldatinnen und Soldaten eine Diskussion um die Namensgebung entbrannt ist. Ich glaube, dass dies eine richtige Entwicklung ist, entspricht es doch der Leitlinie des Soldaten als Bürger in Uniform, die gefasst worden ist. Natürlich müssen wir feststellen, dass Kasernen gerade in der Phase der Gründung der Bundeswehr oftmals nach Vorbildern benannt wurden, die sich im rein militärischen oder militärisch-handwerklichen Sinne hervorgetan haben. Dabei wurden teilweise - das können wir heute feststellen - unreflektiert Namen übernommen, die bereits bestanden hatten. Wir brauchen an dieser Stelle nicht den einzelnen Namen nachzugehen; denn die den Abgeordneten seit Mitte Januar 2013 als Drucksache vorliegende Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes spricht eine deutliche Sprache. In der Studie wird deutlich, dass sich die Namensgebung tatsächlich häufig an Werten orientiert hat, die mit dem heutigen von Ihnen, Herr Kollege Hardt, wiedergegebenen Grundverständnis und Traditionsverständnis der Bundeswehr nicht mehr übereinstimmen. In den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr heißt es: Maßstab … sind das Grundgesetz und die der Bundeswehr übertragenen Aufgaben und Pflichten. Das Grundgesetz ist Antwort auf die deutsche Geschichte. Weiter heißt es: Alles militärische Tun muss sich an den Normen des Rechtsstaats und des Völkerrechts orientieren. Vor dem Hintergrund dieser klaren Aussage erscheint es natürlich besonders problematisch, wenn sich Kasernen nur daran orientieren, wer hinter militärischen Erfolgen steht. Die Fokussierung auf rein militärisches Können, auf Erfolg und auf die Erfolgreichen steht oftmals in der historischen Kontinuität der Kriegspropaganda zweier von Deutschland entfachter Weltkriege. Deshalb zeugte das Ausblenden dieser Zusammenhänge ein Stück weit vom unkritischen Verhältnis zur deutschen Geschichte, wie es zum Beispiel im Traditionserlass von 1965 tatsächlich noch zum Ausdruck kam; das muss man an dieser Stelle festhalten. ({0}) Die heutigen Richtlinien lehnen ein derart unkritisches Verhältnis zur deutschen Geschichte ausdrücklich ab. Damit ist eigentlich alles gesagt. Aber auch zu der Frage, welche Taten folgen sollen, sagt dieser Erlass einiges - ich denke, es wird dort deutlich -: Traditionsbewußtsein zu wecken, ist eine wichtige Aufgabe der Vorgesetzten. Herr Kollege Hardt hat dankenswerterweise hier schon festgestellt: Kasernen … können mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben. Wenn der oberste Vorgesetzte also der Minister ist, dann wäre es eigentlich die vornehmste Aufgabe des Ministers oder des jeweiligen ihn vertretenden Staatssekretärs, dies entsprechend zu erledigen. Es liegt ein weites Feld vor Ihnen, meine Herren. Nehmen Sie den Traditionserlass ernst, und fordern Sie die Soldatinnen und Soldaten in ihren Kasernen auf, über die Namensgebung zu diskutieren. Damit würden wir tatsächlich etwas erreichen, was nicht nur dem Bild des Staatsbürgers in Uniform entspräche, sondern es würde diesen Traditionserlass, der schon lange gilt, ein Stück weit mit Leben erfüllen, und zwar in freiheitlichdemokratischem Sinne. Diesen Auftrag ernst zu nehmen, macht eigentlich den vorliegenden Antrag überflüssig. Das ist sicherlich auch einer der Gründe, warum ihn meine Fraktion trotz mancher guter, wichtiger - und ich füge hinzu - und auch sehr richtiger Inhalte ablehnt. Ich möchte hinzufügen, dass ein Grund für die Diskussion innerhalb unserer Fraktion sicherlich auch der war, dass unter den Antragstellern auch diejenigen sind, die die Kasernen eigentlich ganz abschaffen wollen - warum dann noch über den Namen diskutieren? -, die aber auch in der Vergangenheit - und zum Teil auch in der Gegenwart - all denjenigen eine Plattform geboten haben, die unter anderem alle Soldatinnen und Soldaten mit Mördern vergleichen. Das lehnen wir aufgrund unseres Verständnisses der Bundeswehr völlig ab. ({1}) Nichtsdestotrotz muss der Traditionserlass ernst genommen werden. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte, auch der militärischen Geschichte, muss in den Kasernen, in den Regionen, im Kreis der Soldatinnen und Soldaten - ich sage das sehr deutlich -, aber auch unter den Menschen im Umfeld der jeweiligen Kasernen geführt werden, damit die Menschen, die dort leben, diesen Prozess akzeptieren. Es wäre schön, wenn der Minister dies als seine vornehmste Aufgabe begreift und die entsprechenden geschichtlichen Kenntnisse als Grundlage nimmt, um die Diskussion über Kasernennamen zu forcieren. Ich finde, das wäre gelebte Tradition, auch Militärtradition im besten Sinne. Es wäre eine Tradition, die die Menschen mitnimmt, die die Soldatinnen und Soldaten sehr ernst nimmt, aber auch über die Geschichte aufklärt. Wir könnten damit das Anliegen des Traditionserlasses wesentlich nach vorne bringen, aber auch das Anliegen der Inneren Führung ernst nehmen und entsprechend umsetzen. Dafür haben wir eine Menge getan. Wenn uns dies gemeinsam gelingen würde - der Antrag allein hilft uns da nicht weiter -, dann wäre das gelebte Tradition im besten Sinne. Wir könnten etwas umsetzen. Das käme nicht nur unseren Soldatinnen und Soldaten zugute, sondern auch unserem Umgang mit der eigenen Geschichte und unserem eigenen Leben. Da ich gerade den Herrn Kollegen Siebert hier sitzen sehe: Die Kasernen in unserem Umfeld tragen meistens Namen von Landschaften: Burgwald und Herrenwald. Aber deshalb können wir trotzdem diese Diskussion führen. ({2}) In diesem Sinne werden wir uns verhalten. Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Joachim Spatz hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Präsidentin! Werfen Sie einen Blick in die Reihen der antragstellenden Fraktionen. ({0}) - Nein, das ist nicht erschütternd, sondern es gibt die Wertigkeit wieder, die dieses Thema angesichts der Probleme, die wir bei der Bundeswehr insgesamt haben, schlicht und ergreifend haben sollte. ({1}) Hier wird eine Daueraufgabe der Bundeswehr thematisiert. Im Zuge des Reformprozesses denkt man über die Namensgebung von Kasernen nach, und zwar vorrangig die Soldatinnen und Soldaten und auch die Bevölkerung vor Ort. Wir haben, wissenschaftlich begleitet - das wurde vom Kollegen Hardt schon angesprochen -, einige der Kasernennamen überdacht. Dieser Prozess ist bereits im Gange und wird auch Konsequenzen nach sich ziehen. Das ist überhaupt keine Frage. Ich will trotzdem generell zu dem Thema, wie man mit Geschichte umgeht, ein paar Worte sagen. Es wurde schon gesagt, dass unterschiedliche Erlasse, nämlich aus den 60er-Jahren und den 80er-Jahren, vorhanden waren. Daran sieht man, dass es bei der historischen Betrachtung eine Entwicklung gibt. Natürlich hatte die Bundeswehr in den 60er-Jahren einen anderen Stellenwert und eine andere gesellschaftliche Einbettung als in den 80erJahren unter der sozial-liberalen Koalition. Hier ist ein Fortschritt erkennbar. Auch das sollte man ernst nehmen. Die Bundesregierung, die von FDP und CDU/CSU getragen wird, setzt dies in eine heute zeitgemäße Politik um. Natürlich gibt es die Möglichkeit - auch das hat der Kollege Hardt angedeutet -, auf die Geschichte, auf eine eigene Bundeswehrgeschichte zurückzugreifen, die es zu früheren Zeiten naturgemäß so noch nicht gegeben hat, ({2}) erstens wegen der damals noch sehr jungen Bundeswehr und zweitens, weil zu dem damaligen Zeitpunkt Auslandseinsätze der Bundeswehr noch nicht Realität waren. Diese Auslandseinsätze haben wir seit einiger Zeit. Gerade in diesen Auslandseinsätzen haben sich Menschen als Soldatinnen und Soldaten in einer Weise bewährt, die Anlass gibt, darüber nachzudenken, ob sie als Namensgeber infrage kommen. Sie sehen: Das Fortschreiten der Geschichte ermöglicht eine andere Betrachtungsweise. Weshalb sage ich das? Ich sage das, weil wir natürlich - das ist ein ganz normaler Prozess - alte Namensgebungen überdenken. Wenn wir das tun, sollten wir aber nicht einfach mir nichts, dir nichts den Stab über diejenigen brechen, die in ihrer Zeit die Namensgebung vorgenommen haben. Ich gehe davon aus, dass sie auch damals nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. ({3}) Deshalb sollten wir das, was in unserer heutigen Zeit umgesetzt werden kann, mit der notwendigen Sachlichkeit und Nüchternheit umsetzen. Ich betone es noch einmal: Wir sind zu jedem Zeitpunkt zu einer konstruktiven Diskussion bereit. Wir sind aber nicht dazu bereit, eine Plattform zu liefern, auf der ein ideologisches Süppchen gekocht werden soll, auf der letztendlich, zumindest, was die Linke angeht, eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber der Bundeswehr durch diese Dinge legitimiert werden soll. Das wollen wir nicht. Wir wollen den heutigen Stand der Dinge weiterentwickeln. ({4}) - Wenn Sie sagen: „Bleiben Sie bei dem Antrag“, dann kann ich nur das wiederholen, was der Kollege Hardt schon gesagt hat: Wesentliche Forderungen sind schlicht und ergreifend umgesetzt. Wenn ich nur darauf rekurrieren wollte, wäre meine Rede nach einer Minute zu Ende gewesen, ({5}) weil dieser Antrag schlicht überflüssig ist. Solche Anträge sind überflüssig, weil die Aufgabe schon erledigt wird. Wir brauchen weder die Grünen noch die Linkspartei dafür; die brauchen wir überhaupt nicht. ({6}) - Das ist überhaupt keine unverschämte Geschichtsklitterung. Herr Kollege, das stimmt überhaupt nicht. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege Schäfer, Sie sind ohnehin der nächste Redner.

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, es nutzt doch nichts, dass Sie sich hier so echauffieren. Es ist doch schlicht und ergreifend so, dass die Prozesse der Namensüberprüfung auch ohne Ihre Anregung stattfinden. Sie finden bereits statt. Jetzt können Sie nicht behaupten, der große Antragsteller gewesen zu sein. Dazu kann ich nur sagen: Es gibt einen Unterschied zwischen Kausalität und Parallelität. Wenn es in diesem Zusammenhang um die Weiterentwicklung geht, sind wir zu jedem sachlichen Kompromiss bereit. Wir sind aber nicht bereit, eine Plattform für eine ideologische Diskussion zu bieten. Danke schön. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke Kollege Paul Schäfer. Bitte schön, Kollege Paul Schäfer. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider hat es keine gemeinsame Initiative aller Fraktionen gegeben. Daraufhin haben Sozialdemokraten, Linke und Grüne den vorliegenden Antrag erarbeitet, den die SPD jetzt nicht mehr mitträgt. Schade! Paul Schäfer ({0}) Trotzdem mein eindringlicher Appell: Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinwirken, dass in der Bundeswehr endgültig - ich betone: endgültig - die falschen Vorbilder verschwinden und ein neues Kapitel demokratischer Traditionspflege beginnt. ({1}) Das ist der Kern des gemeinsamen Antrags von Linken und Grünen. Bundeswehreinrichtungen sollen nicht nach Personen benannt werden, die nach ethischen, rechtsstaatlichen oder demokratischen Kriterien nicht in besonderer Weise beispielhaft und erinnerungswürdig sind. Das ist doch nicht zu viel verlangt. ({2}) Es ist seit Jahrzehnten ein Ärgernis, dass Kasernen nach belasteten Wehrmachtsoffizieren benannt sind. Erst im letzten Jahr, lieber Kollege, 57 Jahre nach der Aufstellung der Bundeswehr, wurde die General-KonradKaserne in Bad Reichenhall in Hochstaufen-Kaserne umbenannt. Dieser General Konrad war maßgeblich am Vernichtungsfeldzug im Osten beteiligt. Er war ein ganz schlimmer Judenhasser, und er hoffte nach 1945 zum Beispiel darauf - ich zitiere -, dass aus der weichen Schale Bundeswehr noch die harten Wehrmachtssoldaten des Dritten Reiches hervorkommen würden, die unter Hitler Ruhm und Ehre errungen hätten. Im vergangenen Jahr war er noch ein Namenspatron. Auch andere belastete Wehrmachtsoffiziere, zum Beispiel Kübler, Dietl, Mölders, waren noch bis vor kurzem Namenspatrone, auch wider den Traditionserlass. Es ist leider immer noch nicht Vergangenheit. Das zeigen die Studien des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, die besagen, dass eine ganze Reihe von noch heute bestehenden Namensgebungen nicht mit den aktuell gültigen Traditionsrichtlinien in Einklang zu bringen sind. Leider wurde der Öffentlichkeit bislang der Zugang zu diesen Studien verwehrt. Lieber Kollege Spatz, vielleicht sollten Sie das einmal ein bisschen im Blick haben. Meine Anfrage Anfang 2006 - seit ich im Bundestag bin, habe ich dieses Thema verfolgt - wurde mit den Worten abgelehnt, die Studien seien nur für den internen Gebrauch. Erst jetzt, sieben Jahre später, wurden sie dem Verteidigungsausschuss in Zusammenfassung vorgelegt. Das ist der Vorgang. ({3}) Wir wollen - das steht in unserem Antrag -, dass alle diese Kurzstudien öffentlich zugänglich gemacht werden und dass sie zur Grundlage für öffentliche Debatten an den Standorten der Kasernen werden. Das ist nicht zu viel verlangt. Das ist von uns angestoßen worden. ({4}) Im Sinne eines fairen kollegialen Umgangs - an diesem sollte auch Ihnen gelegen sein - sollte man dies zumindest anerkennen. Das hätte ich von einem geschätzten Kollegen erwartet. ({5}) All das wirft auch die Frage auf, warum das so lange gedauert hat. Warum gibt es so ein zähes Ringen um das Traditionsverständnis der Bundeswehr? Die Bundeswehr hat das Thema lange vernachlässigt, es verdrängt, sie hat weggeschaut. Offensichtlich haben wir es bis heute mit Haltungen, Einstellungen und Leitbildern zu tun, die durch viele Führungsgenerationen der Bundeswehr geprägt und zementiert worden sind. Anders ist es nicht zu erklären, dass manche falschen Erzählungen unter der Oberfläche - an der Oberfläche gilt die Innere Führung als Credo der Streitkräfte - bis heute noch existieren. Eine General-Hüttner-Kaserne veranschaulicht dieses Problem und passt nicht zu Streitkräften in einer Demokratie, zu Staatsbürgern in Uniform. ({6}) Deshalb muss das jetzt geändert werden. Es reicht nicht, dass die Bundeswehr im Zuge der aktuellen Kasernenschließungen dazu übergegangen ist, die sensiblen Namen einfach stillschweigend zu tilgen. Wir wollen die intensiven Debatten vor Ort, auch mit den Bundeswehrangehörigen - das ist richtig -, aber wenn es um so belastete Namen geht, muss auch von der Weisungsbefugnis Gebrauch gemacht werden. Die Innere Führung wurde als Konzept entwickelt, um sich grundlegend kritisch von der verhängnisvollen deutschen Militärtradition abzusetzen. Strikte Bindung an Völkerrecht und Gesetz, Verantwortung des Einzelnen statt Kadavergehorsam - das sind Grundelemente dieses Leitbilds, und das muss im Alltag gelebt werden. Dazu gehört ein richtiges Traditionsverständnis. Wir wollen, dass die Innere Führung ohne diese Doppeldeutigkeit und Widersprüche zur Grundlage des Traditionsverständnisses der Streitkräfte wird. Sie sagen, dass das alles auf einem guten Wege ist. Ja, viele Dinge sind in Bewegung geraten. Das ist gut so. Wir wollen diesen Prozess zu Ende führen. Ich finde, an dieser Stelle ist es nur angemessen, denjenigen wie Jakob Knab, die das seit Jahrzehnten zum Thema gemacht haben, die es unermüdlich zum Thema gemacht und verfolgt haben, und auch den antifaschistischen Gruppen, die es thematisiert haben, damit dieser Schandfleck endlich aus der Geschichte der Bundeswehr getilgt wird, gebührend Dank zu sagen. Vielen Dank. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Omid Nouripour. Bitte schön, Kollege Omid Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin über die Tonalität in dieser Diskussion ein wenig irritiert. Wir hatten diese Debatte aufgrund eines Antrages, den wir Grüne eingebracht hatten - als es diesen Antrag so noch nicht gab -, ja schon einmal im Ausschuss geführt. Da bestand in der Sache eigentlich Konsens. Deshalb bin ich ein bisschen verwirrt, warum die Debatte jetzt in dieser Schärfe, die der Sache nicht angemessen ist, geführt wird. Ja, der Traditionserlass aus dem Jahre 1982 ist eine sehr gute Grundlage - das ist überhaupt nicht die Frage; es gab Anpassungen, die richtig waren -, aber er ist mit dem Traditionserlass aus dem Jahre 1965 nicht zu vergleichen. Er ist auch heute noch gut. Nichtsdestotrotz möchte ich auf eine Kleine Anfrage der Linken vom 9. Mai 2011 hinweisen, auf die die Bundesregierung eine Antwort gegeben hat, die da lautete: Die Bundeswehr hat sich spätestens seit der Traditionsdebatte der Jahre 1997/1998 einer kritischen Betrachtung offen gestellt und alle Kasernennamen einer Prüfung unterzogen. Als diese Antwort gegeben wurde, gab es noch eine Kaserne, die nach General Konrad benannt war, und es gab eine Kaserne, die nach General Hüttner benannt war. Deshalb kann man nicht sagen: Wir haben alle Probleme längst gelöst. - Die Probleme sind nämlich nicht gelöst. In unserem Antrag geht es übrigens nicht nur um Kasernennamen, sondern auch um Straßennamen auf Geländen und um die Namen aller möglichen Einrichtungen der Bundeswehr. Ich weiß ja, dass die Einigkeit im Kern größer ist, als in dieser Debatte zum Ausdruck kommt. Ich finde, man sollte dieses Thema nicht ganz so schrill angehen. ({0}) Wir haben gehört - das ist jetzt mehrfach gesagt worden -, dass die Studie des damaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr besagt, dass es immer noch 15 Personen gibt, die den Kriterien des Traditionserlasses nicht gerecht werden. - Herr Fricke, Sie haben einen wunderschönen Rücken, aber Ihr Gesicht ist noch viel schöner. Darf ich es auch einmal zu sehen bekommen? ({1}) - Herzlichen Dank. - Es geht um 15 Namen. Bei 7 Personen gibt es keine Beweise dafür, dass sie am Vernichtungskrieg beteiligt waren - die Kriterien des Traditionserlasses erfüllen sie allerdings trotzdem nicht -, bei den übrigen 8 Personen ist das anders. Deshalb gebe ich dem Kollegen Schäfer recht: Angesichts mancher Beispiele, die es gibt, kann man nicht einfach, wie es die Bundeswehr bzw. das Ministerium tut, sagen: Wir diskutieren das ergebnisoffen. - Das ist nicht ergebnisoffen. ({2}) Es gibt bestimmte Grade an Verbrechen, bei denen man, wie bei der Beteiligung am Vernichtungskrieg, keine ergebnisoffene Diskussion mehr führen kann. Ja, wir wollen, dass eine Beteiligung stattfindet: der Kommunen, der Menschen vor Ort, der Soldatinnen und Soldaten. Auch deswegen steht in unserem Antrag, dass die Ergebnisse der Studie veröffentlicht werden sollen. Wir wollen nämlich, dass eine vertiefte Diskussion stattfinden kann. Ich will noch auf einen Namen eingehen, der für mich persönlich ein Beleg dafür ist, warum diese Debatte Grenzen hat, die sie nicht haben sollte. Es geht um Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Rommel war, historisch betrachtet, ein großer General. Er hat Unglaubliches geleistet, und er hat unglaubliche militärische Verdienste; daran ist nicht zu rütteln. Es gibt sehr viele glaubwürdige Berichte, die belegen, dass er gerade im Rahmen des Afrika-Feldzuges Dinge anders gemacht hat als andere Angehörige der Wehrmacht zum Beispiel an der Ostfront; ja, das ist richtig. Gleichzeitig ist aber auch klar - wir wissen das -: Es gibt glasklare Beweise dafür, dass Rommel 1943 in Italien Befehle gegeben hat, die zu Kriegsverbrechen geführt haben. Diese Diskussion muss man führen dürfen, und zwar auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage, für die wir die Daten der genannten Studie brauchen. Auch an dem Bild von Menschen, die aus Gründen, die man vielleicht nur psychologisch erklären kann, nach dem Krieg Säulenheilige geworden sind, muss man rütteln dürfen, wenn sie so sehr in Kriegsverbrechen involviert waren, wie Erwin Rommel es war. ({3}) Es ist bekannt, dass die Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen demnächst geschlossen wird. Es stellt sich natürlich die Frage, ob es demnächst eine andere Kaserne geben wird, die diesen Namen trägt. Wenn man sich vor Augen hält, dass es einige Kasernen gibt - wenn ich es richtig sehe, drei -, die den Namen Erwin Rommel tragen, dann muss doch die Frage erlaubt sein, ob darüber nicht eine breite öffentliche Diskussion geführt werden sollte, die wissenschaftlich fundiert ist und für die wir die öffentliche Zugänglichkeit der Papiere nun einmal brauchen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, behalten Sie die Uhrzeit im Auge?

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen, warum eine solch große Aufregung herrscht. Drei Fraktionen haben über einen Antrag verhandelt, jetzt wollen ihn nur noch zwei Fraktionen unterstützen. Aber nach meiner festen Überzeugung ist das, was wir alle gemeinsam im Ausschuss verhandelt und miteinander besprochen haben, von dem, was wir beantragen, nicht sehr weit entfernt. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. - Nächster und letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn für die Fraktion von CDU und CSU. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über einen von Grünen und Linken gemeinschaftlich gestellten Antrag zum Thema „Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen“. Damit betreiben beide Oppositionsfraktionen einmal mehr eine eigene, linke Traditionspflege, um sich bei entsprechenden - zum Teil, wie es ein Kollege der Linken heute formuliert hat, „abgedrehten“ - Organisationen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, lieb Kind zu machen, könnte man leicht vermuten. Schließlich steht die Bundestagswahl vor der Tür, und man will sich seiner Stammwählerschaft, wie zum Beispiel von der „Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung“, „syndikalismus“ oder „linksunten“, andienen. Meine Damen und Herren von den Grünen und den Linken, Sie wissen ganz genau, dass wir schon lange dabei sind, sämtliche Namen von Kasernen und Straßen auf den Liegenschaften zu prüfen und auch umzubenennen. Die Bundeswehr hat sich spätestens seit der Traditionsdebatte 1997/1998 einer kritischen Betrachtung von Namensgebungen geöffnet. Viele aus heutiger Sicht problematische Kasernennamen wurden bereits aufgegeben. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt leistet dabei einen wertvollen Beitrag zur Meinungsbildung an den jeweiligen Standorten. Traditionspflege ist ein laufender Prozess, der dem gesellschaftlichen Wandel unterliegt und die Menschen mitnehmen muss. Ich halte deshalb nichts davon, sämtliche Namen in einer Hauruckaktion per Verordnung von oben zu ändern. Es ist wichtig, dass die Initiative für eine Umbenennung aus der Truppe kommt und in enger Abstimmung mit den kommunalen Gremien erfolgt. Dies hat auch schon in vielen Fällen dazu geführt, dass eine Umbenennung angeordnet wurde. So wurde gerade vor kurzem die Kaserne in Holzminden in „Pionierkaserne am Solling“ umbenannt, und im Juli wird die Kaserne in Hof auf „Oberfranken-Kaserne“ getauft. Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass sich unsere Streitkräfte schon vor dem Prozess der Umbenennung am Traditionserlass der Bundeswehr von 1982 orientierten. Natürlich wird die Wehrmacht als Organisation nicht als traditionsbildend für die Bundeswehr angesehen, doch können nach dem Traditionserlass einzelne Angehörige der Wehrmacht sehr wohl als Vorbilder anerkannt werden. Eine bloße Zugehörigkeit zur Kaiserlichen Armee und zur Wehrmacht allein kann kein Ausschlussgrund sein - oder wollen Sie etwa der Bundeswehruniversität in Hamburg und der Kaserne in Altenstadt die Namen Helmut Schmidt bzw. Franz Josef Strauß nehmen? Wie wir bereits seit Monaten sehen können, fällt der Opposition nicht wirklich ein Mittel ein, die äußerst erfolgreiche schwarz-gelbe Regierungsbilanz zu erschüttern. Das haben wir auch heute Morgen bei der Debatte zur Bundeswehrreform erlebt: Es war keine echte, substanzielle Kritik möglich, weil wir trotz der großen Herausforderung erfolgreich sind. ({0}) Ich möchte die Grünen und die Linken daher warnen: Machen Sie vor lauter Verzweiflung über die große Beinfreiheit und die für Schwarz-Gelb immer besser werdende Stimmung nicht den Fehler, auf Kosten der Streitkräfte Wahlkampf zu machen. Das haben unsere Soldatinnen und Soldaten nicht verdient. ({1}) Ich glaube, dass die Soldaten zwar nicht unbedingt der Partei Die Linke besonders am Herzen liegen, aber in jedem Fall dem Kollegen Paul Schäfer, den ich gerade auch dafür sehr schätze - trotz seiner aus meiner Sicht politischen Fehlorientierung. ({2}) Ich wünsche dir alles Gute für die Zeit nach dem Mandat! ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Florian Hahn. Wir schließen damit die Aussprache und kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11724, den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11208 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte - Drucksache 17/11268 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) Vizepräsident Eduard Oswald - Drucksache 17/13535 - Berichterstattung: Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Sonja Steffen Judith Skudelny Ingrid Hönlinger Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Es hat sich niemand anders entschlossen. Alle sind damit einverstanden, sodass wir zur Abstimmung kommen. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13535, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11268 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. - Enthaltungen? Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Wolfgang Wieland, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rente für Dopingopfer in der DDR - Drucksache 17/12393 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Es ist die interfraktionelle Vereinbarung getroffen worden, eine halbe Stunde für die Aussprache vorzusehen. Mit Ausnahme der Frau Kollegin Viola von Cramon-Taubadel, die nun für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen sprechen wird, haben sich die Kolleginnen und Kollegen aber entschlossen, ihre Reden zu Protokoll zu geben. - Bitte schön, Frau Kollegin. ({2})

Viola Cramon-Taubadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004025, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir von der grünen Bundestagsfraktion sprechen uns mit diesem Antrag für eine monatliche Rente für Dopingopfer der ehemaligen DDR aus. Wir wissen seit langem: Dopingmittel wurden in der DDR jahrelang flächendeckend verabreicht und kamen in allen olympischen Sportarten zum Einsatz. Die Dopingverabreichung erfolgte auch an minderjährige Sportlerinnen und Sportler. Die DDR finanzierte mit dem Staatsplan 14.25 ein umfangreiches und kriminelles Dopingforschungssystem mit Medizinern und Wissenschaftlern. Trainer in Spitzenpositionen spielten bei der Dopingverabreichung eine hervorgehobene Rolle. Sportlerinnern und Sportler wurden weder über den Einsatz der Dopingmittel noch über deren Nebenwirkungen aufgeklärt. ({0}) Das Spitzensportsystem der DDR hat eine schwere Hypothek hinterlassen; denn es hat eine große Anzahl von Opfern in Kauf genommen. Die Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfevereins, Ines Geipel, nennt diese Schattenseite des Sports einen Kollateralschaden aufgrund von politischer Gier. Es ist keine Übertreibung, wenn man heute sagt: Das Dopingsystem der DDR ist der größte bisher bekannte Dopingskandal. - Es sollte uns eine besondere Mahnung sein, dass dieser Skandal leider auf deutschem Boden stattgefunden hat. Seit der Wiedervereinigung ist vieles durch Strafgerichtsprozesse und wissenschaftliche Forschung sowie durch Berichte von Opfern und jahrelange Recherche öffentlich geworden. Auch Stasidokumente, die vom Staat zur Abschottung des Dopingsystems eingesetzt wurden, haben bei der Aufdeckung eine besondere Rolle gespielt. Der Sport selbst allerdings hat im Vergleich dazu nur wenig zur Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit beigetragen. Bis heute gibt es für Sportorganisationen in Deutschland, für die belastetes Personal in Führungspositionen tätig ist, sogar noch Steuermittel. Ich halte das für ein extrem schlechtes Signal für die Integrität des Sports. Unsere Fraktion hat das auch immer wieder angemahnt. ({1}) Die gesundheitliche Situation von vielen Dopingop- fern ist alarmierend. Anfang 2010 gab es einen weiteren Todesfall eines anerkannten Dopingopfers, nämlich ei- ner ehemaligen Leichtathletin. Auch ihr wurden schon als Minderjähriger Dopingmittel verabreicht. Es gibt weitere und leider sehr viele dieser schweren Fälle. Wir sprechen uns daher dafür aus, denjenigen Sport- lerinnen und Sportlern, denen schon als Kinder, als Min- derjährigen, Dopingmittel verabreicht wurden und die heute unter teilweise sehr erheblichen gesundheitlichen Schäden leiden, eine dauerhafte Rente zu gewähren. Die Rentenzahlung sollte schnellstmöglich und nicht erst als zusätzliche Rente bei Erreichen des gesetzlichen Renten- eintrittsalters einsetzen. Die Höhe der Rente sollte sich an den gesetzlichen Regelungen für Opfer des SED-Un- rechts bemessen. Wir denken hier an eine monatliche Zahlung von mindestens 200 Euro. Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit parlamen- tarischer Entscheidungen, denn der Deutsche Bundestag1) Anlage 9 hat sich 2002 in einem Antrag selbst auferlegt, die Frage der Nachfolgeregelung für schwerstgeschädigte Dopingopfer der DDR zu prüfen. Ich nenne diese Tatsache vor allem vor dem Hintergrund, dass es seinerzeit die CDU/CSU war, die eine weitergehende Hilfe für Dopingopfer angeregt hatte. Wir vonseiten der rot-grünen Regierungskoalition waren damals einen Tick überzeugender mit unseren Vorschlägen, aber die Tatsache, dass es zum damaligen Zeitpunkt eine große parlamentarische Übereinstimmung für eine erneute Überprüfung gab, ob es nicht für Schwerstgeschädigte eine Nachfolgeregelung geben sollte, sollte uns doch jetzt zu denken geben. ({2}) Heute möchten die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP davon offenbar nichts mehr wissen. Es ist immer das gleiche Spiel: Wenn es in der Sportpolitik ernst wird, komplizierte Themen auftauchen, dann machen sich die Sportfreunde vom Spielfeld. So ist es bei der notwendigen Umgestaltung der Spitzensportförderung, so ist es im Spannungsverhältnis zwischen Sportgroßereignissen und Menschenrechten, und so ist es aktuell auch bei der notwendigen Unterstützung der Dopingopfer. Liebe Herren und Damen von der Koalition, stellen Sie sich doch bitte einmal vor, welche Wirkung es auf die betroffenen Dopingopfer haben muss, wenn Sie wie bei den letzten Haushaltsverhandlungen über Nacht zusätzliche Millionen für den Spitzensport hin- und herschieben, aber für eine Dopingopferrente keinen einzigen Cent bereitstellen. Wir werben weiter für unseren Antrag und unterstützen das Anliegen von Dopingopfern der ehemaligen DDR. Vielen Dank. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Viola von Cramon. - Die anderen Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12393 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Über- weisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts ({0}) - Drucksache 17/11471 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkostenrecht - Drucksache 17/5313 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 17/13537 - Berichterstattung: Abgeordnete Detlef Seif Christoph Strässer Jens Petermann Ingrid Hönlinger c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts - Drucksache 17/11472 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe ({3}) - Drucksache 17/1216 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts - Drucksache 17/2164 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 17/13538 Berichterstattung: Abgeordnete Detlef Seif Christoph Strässer Jens Petermann Ingrid Hönlinger Ich möchte die Herren auf meiner rechten Seite darauf hinweisen, dass ich hier jedes Wort von der Regierungsbank verstehe. Man sollte ein bisschen darauf achtgeben, dass die Akustik so ist, dass man hier alles versteht. ({5}) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mo- dernisierung des Kostenrechts liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden1) Anlage 8 Vizepräsident Eduard Oswald sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Alle sind damit einverstanden. Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Kostenrechts. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13537, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11471 ({6}) in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13546 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände- rungsantrag? - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Die sozialdemokratische Fraktion. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Sozialde- mokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist so- mit angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 und kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Ge- richtsvollzieherkostenrecht. Der Rechtsausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13537, den Gesetzentwurf des Bundesra- tes auf Drucksache 17/5313 abzulehnen. Ich bitte dieje- nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das ist niemand. Wer stimmt dage- gen? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Ich frage vorsichtshalber: Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetz- entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wis- sen, entfällt nach unserer Geschäftsordnung damit die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 18 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Bera- tungshilferechts. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/13538, den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung auf Drucksache 17/11472 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialde- mokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an- genommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Die Sozialdemokraten. Der Gesetzent- wurf ist angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 c. Ab- stimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozess- kostenhilfe. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/13538, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1216 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Niemand. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir sind noch im Tagesordnungspunkt 18 c. Abstim- mung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Än- derung des Beratungshilferechts. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/13538, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/2164 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Das ist niemand. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? - Das ist niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Auch hier entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinderund Jugendhilfe ({7}) - Drucksache 17/13023 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8}) - Drucksache 17/13531 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Tauber Marlene Rupprecht ({9}) Florian Bernschneider Diana Golze Katja Dörner1) Anlage 10 Vizepräsident Eduard Oswald b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Schneider, Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eigenständige Jugendpolitik - Selbstbe- stimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, De- mokratie und Emanzipation - Drucksachen 17/12063, 17/11376, 17/12907 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Tauber Sönke Rix Florian Bernschneider Diana Golze Ulrich Schneider c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland - 14. Kinder- und Jugendbericht und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 17/12200 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene Rupprecht ({12}), Stefan Schwartze, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche ermöglichen - Konsequenzen aus dem 14. Kinder- und Jugendbericht ziehen - Drucksache 17/13473 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({13}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Interfraktionell wurde vereinbart, für die Aussprache eine halbe Stunde vorzusehen. - Alle sind damit einver- standen. Ich eröffne die Aussprache. Eine Reihe von Kollegin- nen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben1) - die Namen liegen mir hier vor -, sodass wir zwei Rednerinnen und einen Redner haben. Als Erstes spricht für die Fraktion von CDU/CSU unsere Kollegin Dorothee Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Dorothee Bär. ({14})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gute Nachricht vorweg: Den Kindern und Jugendlichen in Deutschland geht es gut. Uns liegt eine aktuelle internationale UNICEF-Vergleichsstudie zur Lage von Kindern und Jugendlichen vor. Anders als die UNICEFStudie von vielen interpretiert wurde, kann man sagen, dass sich die meisten Kinder und Jugendliche gut fühlen. 84,2 Prozent der Mädchen und Jungen haben in einer Befindlichkeitsskale von 1 bis 10 einen Positivwert zwischen 6 und 10 angekreuzt. In den anderen Ländern sind sie nicht sehr viel zufriedener. In Frankreich sind es gut 85 Prozent, in Dänemark 86,1 Prozent und in Norwegen 88 Prozent. Sogar die drittplatzierte Nation im internationalen Vergleich, Spanien, liegt mit 89,9 Prozent nur 5,7 Prozentpunkte über den Deutschen, was schon sehr bemerkenswert ist, wenn man sich einmal die aktuelle Situation von Jugendlichen in Spanien vor Augen führt. Ich bin der Kollegin Rupprecht dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, heute Abend Redezeit in Anspruch nehmen zu dürfen. ({0}) Ich möchte deswegen die Gelegenheit nutzen, um einen besonderen Aspekt zu erwähnen. Wir reden immer über den demografischen Faktor. Wir wissen, dass in unserem Land sehr wenige Kinder auf die Welt kommen. Wir wissen, dass die Jugendlichen in unserem Land nicht wahnsinnig an Politik interessiert sind. Übrigens gilt das nicht nur für Jugendliche. Zahlen vom Vortag zeigen, dass überhaupt nur 25 Prozent der Deutschen an Politik interessiert sind, also noch nicht einmal engagiert sind, sondern nur ein gewisses Interesse haben. Das ist nur je- der Vierte in unserem Land. Vielleicht sollten wir die späte Stunde nutzen - es sind noch sehr viele interessierte Kolleginnen und Kolle- gen da -, uns zu überlegen, wie wir verhindern können, dass aus dem demografischen Problem, das wir haben, ein demokratisches Problem erwächst. Denn wenn sich, wie gesagt, nur 25 Prozent interessieren, dann bedeutet das auch in sehr starkem Maße eine sehr niedrige Wahl- beteiligung, und zwar gerade bei den Jugendlichen und Erstwählern. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Jugendpoli- tik richtet sich nicht nur nach Bedarfen von Kindern und 1) Anlage 12 Jugendlichen. Wenn Jugendpolitik gemacht wird, sollte man immer sehr stark auf Risikolagen achten. Aber vielleicht ist keine allgemeine Jugendpolitik für alle Jugendlichen in unserem Land möglich. Deswegen hat die Regierung beschlossen, ressortübergreifend eine eigenständige Jugendpolitik zu machen, damit für die Anforderungen aller Generationen eine demokratische Gesellschaft gestaltet werden kann. Deswegen haben wir im Ministerium - der Staatssekretär ist anwesend - im Sinne einer „Allianz für Jugend“ unter Federführung des Jugendministeriums alle wichtigen Akteure beteiligt, die eine eigenständige Jugendpolitik ausarbeiten wollen. Wir wollen diese systematische, ressortübergreifende Jugendpolitik, die im 14. Kinderund Jugendbericht angeregt wird, weiter vorantreiben. Ich bitte alle, daran mitzuwirken und verstärkt als Multiplikatoren hinauszugehen und dafür zu sorgen, dass der Spaß an der Demokratie geweckt wird. Es reicht meines Erachtens nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn als einziger Vorschlag kommt, das Wahlalter zu senken. Eine reine Absenkung des Wahlalters reicht nicht. Denn wer mit 18 keine große Lust hat, wählen zu gehen, hat das auch mit 16 nicht, wenn von denjenigen, die Politik machen, Politik vermitteln und versuchen wollen, für Demokratie zu begeistern, nichts herüberkommt. Deswegen muss unser erklärtes Ziel sein, zu sagen, was das Ganze für jeden Einzelnen bringt. Es hat mich schon erschreckt, als ich mich noch einmal mit der Bundestagswahl 2009 befasst habe. Es heißt immer, die Bundestagswahl ist die Königsdisziplin aller Wahlen. Vor über 30 Jahren sind noch über 90 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland zur Bundestagswahl gegangen. Bei einer so wichtigen Wahl wie der Bundestagswahl im Jahr 2009, als das Thema 20 Jahre Mauerfall in aller Munde war - mein Wahlkreis grenzt an Thüringen an; nur einen Steinwurf entfernt konnte man also nicht an einer demokratischen Wahl teilnehmen -, hatten nur noch 70 Prozent ein Interesse daran, zur Wahl zu gehen. Dabei hatten wir 2009 auch noch die Situation, dass erstmals Erstwähler an den Urnen waren, die beim Fall der Mauer noch gar nicht auf der Welt waren. Wir haben jetzt flächendeckend in Deutschland die Situation, dass bei manchen Kommunalwahlen nur noch 40 Prozent zur Wahl gehen. Bei einer Landratswahl vor ein paar Wochen standen fünf Kandidaten zur Wahl. Das heißt, es gab eine echte Auswahl. Es kam auf jede Stimme an, und dann gingen nur noch 40 Prozent zu dieser Wahl. Bei der Stichwahl waren es auch nicht viel mehr. Manchmal ist es bei Stichwahlen so, dass gerade noch 20 Prozent meinen, sich für unsere Demokratie interessieren zu müssen. Deswegen hoffe ich, dass wir es auch in Zukunft schaffen, nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit Jugendlichen Politik zu machen und dass wir in unseren Gemeinderäten, Stadträten und Kreistagen, selbstverständlich auch im Landtag, Bundestag und Europaparlament nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit jungen Menschen Politik machen, sprich: auch mit jungen Kolleginnen und Kollegen. Deswegen freue ich mich, dass ich das heute noch loswerden konnte. Jetzt freue ich mich noch auf die Reden des Kollegen Hüppe und der Frau Rupprecht. Dann treffen wir uns vielleicht noch auf einen Feierabendwein. Vielen Dank. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Die Kolleginnen und Kollegen haben das aber nicht als Einladung verstanden. - Nächste Rednerin wie angekündigt Frau Kollegin Marlene Rupprecht. Bitte schön, liebe Frau Kollegin Marlene Rupprecht für die Fraktion der Sozialdemokraten. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde das liebenswürdig. Ja natürlich, das rentiert sich bei mir immer, Herr Grübel. ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich knüpfe an das an, was die Kollegin Bär sagte, nämlich dass sich nur noch 25 Prozent für Politik interessieren. Wie fördert man das Interesse, wenn man Pädagogik macht? Indem man ein gutes Vorbild ist. Denn die meisten Kinder und Jugendlichen lernen durch Vorbilder. Jetzt zeige ich Ihnen, was wir heute so machen. Wenn ich mir unseren Wochenplan und insbesondere die Tagesordnung vom heutigen Donnerstag anschaue, dann stelle ich fest: Wir haben heute Morgen um 9 Uhr begonnen. Wenn wir zu allen wichtigen Themen durchgehend, also ohne Pause und auch in der Nacht, reden würden, dann würden wir morgen, am Freitag, um 18.30 Uhr enden. Dann würde die Tagesordnung vom Freitag beginnen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, haben wir heute Nacht 20 Abstimmungen ohne Debatte nach zweiter und dritter Lesung. Ich sage das nicht, um mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen. Vielmehr will ich das Parlament daran erinnern, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich zeigen wollen, dass wir transparent arbeiten und unsere Entscheidungen sehr ernst nehmen. Wir als Abgeordnete haben keine großen Möglichkeiten, über Sachverhalte, die nicht in Fachausschüssen behandelt werden, zu reden. Wir können nur in der Fraktion, in Ausschüssen und im Plenum reden. Wenn aber so viel auf der Tagesordnung steht, können wir die meisten Tagesordnungspunkte in den Ausschüssen und im Plenum nur durchwinken. ({1}) Marlene Rupprecht ({2}) - Natürlich müssen wir um 13 Uhr Schluss machen, Herr Kollege. Wenn das Plenum am Mittwoch um 13 Uhr beginnt, müssen wir anwesend sein. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kein Dialog! Der Ausschussvorsitzende hat einen Zuruf gemacht. - Bitte, Frau Rupprecht, Sie haben das Wort.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zur Politik gehört auch dazu, zu lernen, sich Zeit für Gespräche zu nehmen und so für eine Entschleunigung zu sorgen. Das ist das Beste, das wir machen können, um das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Politik zu wecken. Was wir jetzt machen, ist nichts anderes als ein Durchpeitschen. Deshalb will ich auf einen Tagesordnungspunkt eingehen, dessen Beratung wir für heute Nacht angesetzt haben. Das ist die Kinder- und Jugendpolitik. Zudem soll der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetzes - ein etwas sperriger Name - in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Ich will auf das Gesetz näher eingehen. Die SPD hat dem Gesetzentwurf im Ausschuss zugestimmt, weil er Regelungen enthält, die für die Kinder und Jugendlichen und deren Leben wichtig sind. So wird unter anderem der rechtliche Umgang leiblicher Väter mit ihren Kindern geregelt. Des Weiteren wird die Kostenbeteiligung bei teilstationärer und stationärer Unterbringung neu geregelt; auch diese Regelung ist angenommen. Eine andere wichtige Regelung betrifft immerhin ein paar Tausend Pflegeeltern in der Bundesrepublik, die Kinder mit schweren Behinderungen aufgenommen haben. Es geht also um Kinder, die weder in der Herkunftsfamilie noch in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben. Die Geltungsdauer der entsprechenden Eingliederungshilfe, die wir auf vier Jahre festgelegt hatten, wird nun per Gesetz verlängert. Woher sollen die Menschen erfahren, dass das alles geregelt wird, wenn wir darüber mitten in der Nacht abstimmen? Wenn ich nicht so stur gewesen wäre und darauf bestanden hätte, dass wir darüber reden, würde es kein Mensch mitbekommen, auch nicht die Kollegen. Sie könnten noch nicht einmal Auskunft geben. Des Weiteren liegen uns drei Anträge - zwei von der SPD und einer von den Grünen - zur Jugendpolitik vor. Das alles wird einfach en passant behandelt. Alle paar Jahre muss die Bundesregierung einen Gesamtbericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland vorlegen. Der letzte Gesamtbericht mit dem Titel „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“ wurde 2002 vorgelegt. Der nun vorliegende 14. Kinderund Jugendbericht schreibt das fort, was damals begonnen wurde, nämlich dass es neben der privaten eine öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gibt. Diese öffentliche Verantwortung ist im Wandel begriffen. Das heißt, wir haben die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen und Verantwortungen zu übernehmen. Darüber diskutieren wir heute Nacht aber gar nicht. Wir stellen den Bericht noch nicht einmal vor. Es ist auch gar nicht machbar, ihn in einer halben Stunde vorzustellen, geschweige denn darüber zu diskutieren. Ich weiß, dass ich Sie damit nerve. Ich würde Ihnen lieber Ihr Bett gönnen. Dann würden wir auch das Arbeitsrecht einhalten. ({0}) - Ja, aber stellt euch vor, jeder würde sein Recht in Anspruch nehmen, zu den Punkten, für die er zuständig ist, zu reden und der Öffentlichkeit das Thema vorzustellen. Es gibt verfassungsrechtliche Grundsätze, die der Transparenz und der Beteiligung, und die nehmen wir nicht ernst. Deshalb wollte ich heute Abend reden. Das betrifft nur meinen Teil und den Teil der Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen. Die sozialen Themen fallen meistens hinten runter. Aber nehmen Sie doch Ihre eigene Arbeit ernst, oder gehen Sie nach Hause! Wenn Sie nur ein Abnickverein sind, haben Sie hier nichts zu suchen. ({1}) Es tut mir schrecklich leid, dass ich das so deutlich sagen muss. Wenn sich das neue Parlament ernst nimmt, dann muss es sich überlegen, ob es Tagesordnungen ansetzt, die einen Umfang von mehr als 24 Stunden haben und bei denen mehr als die Hälfte der Tagesordnungspunkte nur durch Abnicken, Aufstehen und Abstimmungsgymnastik erledigt werden. Das halte ich für den eigentlichen Skandal. Aber das ist Ihre Entscheidung. Ich bin ein Mitglied von über 620. In dem Sinne wünsche ich Ihnen trotzdem eine gute Nacht. Hoffentlich können Sie gut schlafen. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war unsere Kollegin Frau Marlene Rupprecht. Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Otto Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Rupprecht, Sie wissen, dass ich Sie schätze, vor allen Dingen Ihr Engagement, aber auch das will ich ausdrücklich sagen - die bei einem Politiker notwendige Emotion, die dazu gehört, weil wir eben nicht nur nach Vernunft handeln und rein nach Paragrafen vorgehen. Ich will aber doch eines klar sagen: Keiner von denen, die hier sind, sitzt nur deswegen hier, weil er hier sitzen muss, sondern er sitzt auch deswegen hier, weil er gerne Abgeordneter ist. Seien Sie nicht unfair! Hinsichtlich der Frage, welcher Punkt der Tagesordnung zu welchem Zeitpunkt besprochen wird, ({0}) müssen wir ehrlicherweise auch sagen: Die Tagesordnung wird in Absprache zwischen Opposition und Koalition festgelegt. Das heißt, Ihre eigene Fraktion hätte immer die Möglichkeit, Tagesordnungspunkte an eine andere Stelle zu setzen. Wenn wir wollen, dass wir als Parlament entscheiden - das sollte man in einem Parlament auch sagen -, müssen wir akzeptieren, dass bestimmte Punkte weiter vorne und andere Punkte weiter hinten sind. Diese demokratische Entscheidung hat dieses Parlament hier gefällt. Weil der Tag schlichtweg nur 24 Stunden hat und weil wir uns überlegen müssen, ob wir nur noch hier sein wollen oder auch in den Wahlkreisen, wäre die Alternative für uns als Parlament, über weniger Punkte zu entscheiden. Ich will das für meine Fraktion ausdrücklich festhalten. Deswegen kann ich die Äußerungen, die Sie hier getroffen haben, nicht teilen; wenn man Ihnen folgte, würde das dazu führen, dass sich das Parlament im Endeffekt in die falsche Richtung bewegt und in seinen Entscheidungen reduziert wird. Das will ich nicht, bei allem Engagement und bei aller Bedeutung des Tagesordnungspunktes, über den wir heute reden und über den der Kollege Hüppe - da bin ich mir sicher - gleich viel Wesentliches sagen wird. Danke. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Marlene Rupprecht, Sie haben nach unserer Geschäftsordnung die Möglichkeit, zu antworten. Bitte schön.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es geht doch darum, ob dieses Parlament ernsthaft arbeitet. Überlegen Sie, wie lange Sie heute hier sitzen. Eigentlich müssten Sie bis morgen Abend hier sitzen, um die Tagesordnung abzuarbeiten. Ich weiß, dass alle Fraktionen das abgestimmt haben. Ich habe meine Äußerungen ganz bewusst jetzt gemacht, weil ich denke, dass es wichtig ist, dass das Parlament sich über eines klar wird: Wenn das Parlament ein Arbeitsparlament bleiben soll, dann muss man reden, diskutieren und Beschlüsse fassen. Wenn das nicht mehr der Fall sein soll, dann frage ich mich, warum wir so viele Abgeordnete brauchen, die sich Mühe geben, sich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen; denn letztendlich kommt es dann gar nicht mehr darauf an. Ich wollte Ihnen hier nicht sagen, dass Sie faul sind, ({0}) sondern ich wollte Sie bitten, darüber nachzudenken, ob die Arbeitsweise, die sich im Laufe der Jahre - ich gehöre jetzt 17 Jahre dem Hause an - eingebürgert hat, angemessen ist. Ist es richtig, in der Nacht 20 zweite und dritte Lesungen und Abstimmungen über Tagesordnungspunkte durchzuführen, die Sie in den Wahlkreisen zu verantworten haben? Wenn Sie nicht im Fachausschuss sitzen, können Sie doch nicht mehr über die Inhalte entscheiden. Sie hören die Argumente weder im Ausschuss noch in den Fraktionen oder im Plenum. Wenn Sie zustimmen, rennen Sie einfach der Mehrheit hinterher. Das war ein Appell. Ich weiß, Sie nehmen ihn mir jetzt übel. Ich glaube immer noch an die parlamentarische Demokratie. Vor allem das neugewählte Parlament, dem Sie womöglich angehören werden, muss sich Arbeitsweisen und Verfahren überlegen, durch die die Transparenz, also die Öffentlichkeit, die wir herstellen müssen, aber auch die Beteiligung der Abgeordneten gesichert werden können. Das kann nicht geschehen, wenn die Tagesordnung so umfangreich ist, dass mehr als 24 Stunden nötig sind, um sie zu bewältigen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Zunächst möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen herzlich danken, dass sie bei diesem Tagesordnungspunkt und auch bei weiteren zu dieser späten Stunde noch da sind. Es zeigt, dass dieses Thema von uns allen hier sehr ernst genommen wird. ({0}) Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, auch in Zukunft permanent über die Wirkung unserer Arbeitsweise zu reden und zu sprechen. Wir sollten weiterhin darüber nachdenken, was wir zukünftig verbessern können. Jetzt hat der Kollege Hubert Hüppe das Wort für die Fraktion von CDU/CSU. ({1})

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich teile die Auffassung von Herrn Fricke, dass Sie, Frau Rupprecht - wir kennen uns lange genug -, sehr viel Engagement zeigen. Ich könnte aber auch sagen: Vielleicht überzeugen Sie einmal Ihre eigene Fraktion, nicht so viele Anträge zu stellen, die eigentlich nur noch etwas mit Wahlkampf zu tun haben, ({0}) sondern nur noch solche, die wirklich inhaltlich begründet sind. Dann bräuchten wir nicht um diese Uhrzeit diese Vorlagen zu beraten. Ich nutze meine wenigen Minuten Redezeit für ein Thema, das gerade für den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen wichtig ist. Angesichts der vielen Regelungen, die wir zu einem einzigen Gesetzentwurf zusammengeführt haben, erscheint das erst einmal nicht so wichtig; es ist aber für eine bestimmte Gruppe sehr wichtig - da sind wir uns einig -, und zwar nicht so sehr für die Pflegefamilien, son30304 dern für die Kinder mit Behinderung. Ich beziehe mich auf § 54 Abs. 3 SGB XII; das sagt wahrscheinlich nicht jedem sofort etwas. Unser Problem ist, dass es laut Gesetz leider immer noch zwei Gruppen von Kindern gibt, nämlich Kinder mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung. Die einen gehören nach dem jetzigen Recht in den Bereich der Jugendhilfe, und die anderen fallen unter die Eingliederungshilfe. Aber eigentlich gehört sich diese Unterscheidung nicht; denn Kinder sind erst einmal Kinder, egal ob sie behindert oder nicht behindert sind. ({1}) Es ist so, dass bis 2009 die Eingliederungshilfe für Kinder mit Behinderung die Unterbringung in Pflegefamilien gar nicht vorsah. Ich selbst habe in meinem Wahlkreis erlebt, dass ein kleines, fast neugeborenes Kind mit Behinderung, das von seiner Familie abgelehnt worden ist, von einem Kinderkrankenhaus in eine Profipflegefamilie vermittelt worden ist. Das zuständige Jugendamt hat alles dafür getan, dieses Kind in einem Heim unterzubringen. Der Grund war, dass dieses Jugendamt zwar die Pflegefamilie hätte bezahlen müssen, nicht aber die Unterbringung in einem Heim, weil es einem überörtlichen Träger der Sozialhilfe untersteht. Es darf nicht wieder passieren, dass Kinder aus finanziellen Gründen in Einrichtungen gebracht werden, in die sie nicht gehören. ({2}) Insofern ist die Fristverlängerung des § 54 Abs. 3 SGB XII wichtig. Es gibt sie seit 2009. Frau Rupprecht hat mit für sie gekämpft. Aber auch die CDU/CSU-Fraktion hat damals - auch auf meinen Hinweis hin; ich war damals noch Beauftragter der CDU/CSU-Fraktion für die Belange von Menschen mit Behinderungen - ein Fachgespräch zum Thema und Gespräche geführt mit Pflegeeltern und mit Verbänden, unter anderem mit der Diakonie Düsseldorf, die auf diesem Gebiet schon sehr lange aktiv ist und die Schwierigkeiten kannte. Wir haben eine Lösung gefunden: § 54 Abs. 3 SGB XII ermöglicht es, diese Kinder im Rahmen der Eingliederungshilfe in Familien unterzubringen. Vorher war es so: Kinder wurden zwischen Kostenträgern hin und her geschoben. Örtliche Sozialhilfeträger haben sich geweigert. Argument: Es gibt die Betreuung in einer Pflegefamilie nicht nach der Eingliederungshilfe. - Die Jugendhilfe hat gesagt: Wir zahlen das nicht. Das ist nicht Jugendhilfe; das ist Eingliederungshilfe. Wir sind für diese Kinder nicht zuständig. Wir haben heute noch ein Problem. Es gibt auch die seelisch behinderten Kinder. Dann entsteht auch noch Streit darüber: Ist es ein seelisch behindertes Kind oder ein sogenanntes geistig behindertes Kind? Es verrinnt wertvolle Zeit, die die Kinder für ihre Entwicklung bräuchten. Deswegen haben wir damals eine Regelung eingeführt. Wir haben sie befristet bis zum Jahr 2013. Wenn wir jetzt nichts tun würden, würde diese Regelung auslaufen, und diese Kinder müssten möglicherweise in Heimeinrichtungen. Ich habe mich sehr darüber geärgert - das will ich an dieser Stelle einmal sagen -, dass ein Wohlfahrtsverband mich angeschrieben hat, weil ich in einer Presseerklärung geschrieben habe, es gehe darum, zu verhindern, dass diese Kinder in Heimen untergebracht würden, und die Pflegefamilie sei die bessere Alternative. Dieser Wohlfahrtsverband hat gesagt, ich sollte die Heime nicht in ein schlechtes Licht rücken; die seien doch manchmal vielleicht sogar besser für die Kinder. Kinder, ob behindert oder nicht, haben ein Recht auf Familie. Wenn das in der leiblichen Familie nicht zu gewährleisten ist, ist die Pflegefamilie einer Heimeinrichtung vorzuziehen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir nicht, wie es jetzt im Entwurf heißt, bis zum Ende des Jahres 2018 warten müssen. Wir hatten die Befristung bis 2013 hineingeschrieben, weil wir gehofft hatten, es würde eine große Lösung geben, sodass die Kinder - das steht auch im 14. Kinder- und Jugendbericht - nicht mehr danach sortiert werden, ob sie behindert sind oder nicht behindert sind. In diesem Bericht spricht die Bundesregierung sich in ihrer Stellungnahme für eine solche große Lösung aus. Jetzt hoffe ich, dass nicht weiter der eine dem anderen den Schwarzen Peter zuschiebt, dass die Länder, der Bund und die Kommunen zusammenarbeiten, damit Kinder eine Chance haben, damit behinderte Kinder dieselben Rechte haben wie nicht behinderte Kinder. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Frist verlängern. Wir hoffen aber, dass diese Regelung früher abgelöst wird, nämlich durch eine Lösung, die allen Kindern hilft. Vielen Dank. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Hubert Hüppe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Ju- gendhilfe. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13531, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf Drucksache 17/13023 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitions- fraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Das ist niemand. Enthaltungen? - Bünd- nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzent- wurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/12907. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der SPD auf der Drucksache 17/12063 mit dem Titel „Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/11376 mit dem Titel „Eigenstän- dige Jugendpolitik - Selbstbestimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfrak- tion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkte 20 c und 20 d. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Druck- sachen 17/12200 und 17/13473 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Humme, Petra Crone, Angelika Graf ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rechte intersexueller Menschen stärken - Drucksache 17/13253 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren - Drucksache 17/12859 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck ({3}), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren - Drucksache 17/12851 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden. ({5}) - Darf ich Sie bitten, die notwendige Konzentration zu haben. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13253, 17/12859 und 17/12851 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze - Drucksache 17/12815 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze - Drucksache 17/13061 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({6}) - Drucksache 17/13318 - Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Kudla Björn Sänger Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) - Alle sind damit einverstanden, sodass wir gleich zur Ab- stimmung kommen. Der Finanzausschuss empfiehlt in 1) Anlage 11 2) Anlage 13 Vizepräsident Eduard Oswald seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13318, die genannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 17/12815 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 17/13061 zusammenzuführen und als Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Graf ({7}), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte der Baha’í wahren - Drucksache 17/13474 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({8}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten parallel zur aktuellen weltweiten Kampagne der internationalen Bahai-Gemeinde zur Freilassung der seit fünf Jahren inhaftierten sieben Führungsmitglieder über einen Antrag, in dem sich die SPD-Fraktion für eine Stärkung der Religionsfreiheit im Iran und die Wahrung der Menschenrechte der Bahai ausspricht. Lassen Sie mich zunächst die großen Defizite des Iran bei der Frage der Religionsfreiheit in einigen Punkten zusammenfassen, bevor ich auf die nach wie vor alarmierende Situation der Bahai eingehen werde. Im Anschluss werde ich verdeutlichen, warum wir zwar die grundsätzliche Zielrichtung Ihres Antrags unterstützen, ihn in dieser Form aber nicht mittragen können. Im Weltverfolgungsindex 2013 des christlichen Hilfswerks Open Doors steht der Iran an achter Stelle der 50 Staaten, in denen christliche Minderheiten am stärksten bedrängt und verfolgt werden. Auch in ihrem aktuellen Bericht hat die United States Commission on International Religious Freedom, USCIRF, dem amerikanischen Außenministerium empfohlen, den Iran unter dem International Religious Freedom Act, IRFA, erneut als Country of Particular Concern, CPC, einzustufen. Die massive Verschlechterung der Situation der religiösen Minderheiten begann 2004 mit dem Wahlsieg konservativer Parteien. Im Juni 2005 folgte auf die Wahl des konservativen Hardliners Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten eine neue Welle der Verfolgung. Präsident Ahmadinedschad bejubelte seinen Wahlsieg als neue islamische Revolution, die sich weltweit verbreiten könne, und versprach die Wiederherstellung einer „islamischen Regierung“ im Iran. Seine umstrittene Wiederwahl im Juni 2009 löste landesweite Proteste aus. Bei dem darauffolgenden harten Vorgehen der staatlichen Behörden gegen die Demokratiebewegung wurden auch die religiösen Minderheiten hart getroffen. Die Religionsfreiheit ist im Iran stark eingeschränkt, auch wenn nach der iranischen Verfassung den „anerkannten“ vorislamischen und monotheistischen Gruppen zumindest formal teilweise die gesellschaftliche Anerkennung, politische Integration und die Zuerkennung religiöser Rechte zustehen. Die Missionierung für ihre Religion ist aber keiner der religiösen Minderheiten gestattet. Die christliche Minderheit setzt sich aus traditionellen, „anerkannten“ und neueren, mitunter stark verfolgten Gemeinschaften - wie zum Beispiel protestantischen und evangelikalen Gruppen - zusammen. Dennoch berichten auch Mitglieder „anerkannter“ Christengemeinschaften von Repressionen und Diskriminierung, denen sie aufgrund ihres Glaubens ausgesetzt sind. Menschen, die vom Islam zu anderen Religionen wechseln, sind zum Teil sogar von strafrechtlicher Verfolgung bedroht, da der Abfall vom Glauben - die sogenannte Apostasie - im Iran mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Religiöse Minderheiten unterliegen darüber hinaus konkreten Beschränkungen im Zivil- und Strafrecht und werden in der Arbeitswelt und beim Zugang zur Bildung stark benachteiligt. Strafrechtlich wird zwischen Muslimen und Nichtmuslimen unterschieden. Selbst Heiratsverbote existieren. So darf ein Nichtmuslim keine Muslimin heiraten. Obwohl rechtlich nicht verankert, gilt die Ehe eines Muslims mit einer Nichtmuslimin gemeinhin ebenfalls als verboten. Insgesamt wächst der Druck auf Nichtmuslime, unter anderem auch auf Juden, die zu den ältesten und größten religiösen Minderheiten des Irans zählen. Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, IGFM, hat die Anzahl der Mitglieder der traditionellen religiösen Minderheiten deshalb kontinuierlich abgenommen. Aber auch iranische Muslime, die nicht der schiitischen Mehrheitsreligion angehören - wie Sunniten, Sufis und ähnliche Gruppen -, werden staatlicherseits und gesellschaftlich stark diskriminiert, als Bürger zweiter Klasse behandelt und zum Teil verfolgt. Dies gilt zum Beispiel für die Ausübung ihrer Religion, die Besetzung öffentlicher Ämter oder im Berufsleben. Ende 2010 und Anfang 2011 kam es zu Massenverhaftungen von Christen. Insgesamt wurden über 200 Personen festgenommen. Zu den Verhaftungswellen führten öffentliche christenfeindliche Äußerungen hochrangiger religiöser und politischer Führer. Im Oktober 2010 hatte der oberste geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, in einer öffentlichen Ansprache zum ersten Mal vor der Gefahr durch wachsende Hauskirchen im Land gewarnt. Auch Geheimdienstminister Heydar Moslehi warnte vor der Bedrohung durch christliche Hauskirchen und andere christliche Aktivitäten. Seinen Aussagen zufolge hätten „seine Agenten“ Hunderte von Untergrundgruppen entdeckt, unter anderem 200 in der bei Muslimen heiligen Stadt Maschhad. Als Reaktion auf die Festnahme von Christen kündigte der Provinzgouverneur von Teheran, Morteza Tamadon, im Januar 2011 weitere Verhaftungen in naher Zukunft an. Er übte besonders Kritik an der christlichen Mission als eine „verdorbene, abweichlerische Bewegung“ und nannte sie „eine kulturelle Invasion des Feindes“. Die protestantische Bewegung verglich er mit der Taliban und den Wahhabiten im Islam. Er deutete zudem an, dass neue Anstrengungen unternommen würden, um das Anwachsen der hauskirchlichen Bewegung im Iran zu bekämpfen. Die öffentliche christenfeindliche Rhetorik hochrangiger Führer ist auch für die gestiegene Zahl von Festnahmen von Christen verantwortlich. Zwar kamen die meisten Festgenommenen später wieder frei, doch der Druck auf Hausgemeinden von Christen muslimischer Herkunft bleibt unvermindert hoch. Seit September 2011 sind mindestens 46 Christen verhaftet worden. Die Regierung kontrolliert das Internet und überwacht christliche Internetseiten und Fernseh- und Radiostationen. Nicht anerkannte Gruppen haben demgegenüber keinerlei Rechtsanspruch und Rechtssicherheit. Besondere Missachtung wird der Religionsgemeinschaft der Bahai entgegengebracht, deren Mitglieder nicht nur zu den Ungläubigen, sondern zu den „Schmutzigen“ gezählt werden. Entgegen der Auffassung des islamischen Klerus betrachten die Bahai Mohammed nicht als den letzten Propheten. Gemäß den Lehren ihres Glaubens mischen sie sich nicht in die iranische Politik ein und praktizieren das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Theologisch betrachtet, gelten Bahai im orthodoxen Islam als Abgefallene. Ihre Religion wurzelt im schiitischen Islam, hat sich aber von ihm gelöst. Daher gelten sie nicht als schützenswerte Minderheit. Ihre Verfolgung wird mit Zielen der „nationalen Sicherheit“ begründet und von der Staatsführung instrumentalisiert, um sich die Unterstützung der Massen zu sichern. Menschenrechtsverletzungen an den Bahai sind daher oftmals staatlich inszeniert und gesteuert. Seit der islamischen Revolution hat sich auch ihre Situation im Iran weiter verschlechtert. Bis heute wird ihnen die Aufnahme in Bildungseinrichtungen verweigert, Angestellten im öffentlichen Dienst wurde ohne Sozialversicherung und Rente gekündigt, Gehälter und Ausbildungskosten mussten unter Androhung von Gefängnis zurückgezahlt werden. Bahai-Eigentum wurde enteignet, Geschäftsverkehr mit Angehörigen der Religion verboten, Läden und Geschäfte wurden geschlossen, Geschäfts- und Privatkonten gesperrt. Immer wieder kam es zu Pogromen. Alle Bahai werden seit dem Amtsantritt des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad systematisch vom Geheimdienst überwacht. Das im Jahr 1983 erklärte Verbot der Bahai als Organisation wurde in einem am 15. Februar 2009 veröffentlichten Schreiben des Generalstaatsanwalts Najafabadi bestätigt. Ferner wird den Bahai häufig Spionage für den Westen vorgeworfen, da ihr religiöses Zentrum in Haifa im Norden Israels liegt. Die Bahai-Gemeinde im Iran zählt aufgrund dieses Verfolgungsdrucks nur noch rund 300 000 bis 350 000 Gläubige. Die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union haben auch in jüngerer Zeit mehrfach Menschenrechtsverletzungen an den Bahai gegenüber Teheran mit Demarchen zur Sprache gebracht. Auch das Europäische Parlament und der Europäische Rat äußern sich regelmäßig zur Menschenrechtslage der Bahai im Iran. So hat jüngst der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, vor dem Hintergrund des bevorstehenden fünften Jahrestages der Inhaftierung der sieben Führungsmitglieder von der iranischen Regierung die Aufhebung der Urteile gefordert. Er betonte, dass die Verfolgung der Bahai und anderer religiöser Minderheiten gegen das Recht auf Religionsfreiheit verstoße. Zu dessen Einhaltung habe sich der Iran mit der Unterzeichnung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet. Aus demselben Anlass hat auch die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unsere Kollegin Erika Steinbach, den Iran daran erinnert, dass er als Vertragsstaat des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte an die darin enthaltenen menschenrechtlichen Verpflichtungen gebunden ist. Innerhalb der Unionsbundestagsfraktion haben wir die kritische Menschenrechtssituation im Iran - und hier vor allem den Aspekt der Religionsfreiheit - auch im Stephanuskreis thematisiert, zuletzt im April 2013. In diesem Kreis haben sich auf meine Initiative hin mittlerweile 58 Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion zusammengeschlossen. In Erinnerung an den ersten christlichen Märtyrer, dem sowohl Katholiken als auch Protestanten gedenken, hat der Stephanuskreis die Religionsfreiheit ins Zentrum seiner Arbeit gestellt und widmet sich dabei insbesondere der Lage verfolgter Christen in aller Welt. Nach unserer Sitzung im April haben wir mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 das FaZu Protokoll gegebene Reden zit gezogen, dass Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern auch bei einem möglichen Wahlsieg eines vermeintlichen Reformers weiter auf den Iran einwirken muss, um die bedrohliche Situation der religiösen Minderheiten zu verbessern. In diesem Zusammenhang erwartet auch die schon von mir erwähnte USCIRF, dass die iranische Regierung bereits im Vorfeld der Wahlen ihre Anstrengungen erhöhen wird, jede Form von Dissens im Keim zu ersticken und die religiösen Minderheiten zu Sündenböcken zu machen. In dieser Legislaturperiode hat sich der Deutsche Bundestag ebenfalls bereits mehrfach mit der Lage der Religionsfreiheit und der Menschenrechte im Iran befasst. So hat beispielsweise der umfassende Antrag der Koalitionsfraktionen „Religionsfreiheit weltweit schützen“, Bundestagsdrucksache 17/2334, unter anderem das Recht auf Religionswechsel thematisiert und in diesem Zusammenhang auf den Iran verwiesen, wo in einem solchen Fall denjenigen die Todesstrafe droht, die sich einer anderen Religion als dem Islam zuwenden. Zusätzlich hat der von den Koalitionsfraktionen vor dem Hintergrund der Eindrücke der Niederschlagung der sogenannten Grünen Revolution initiierte und später interfraktionell geöffnete Antrag „Menschenrechtslage im Iran verbessern“, Bundestagsdrucksache 17/4011, den auch die SPD-Fraktion mitgetragen hat, bereits im Jahr 2010 die Diskriminierung der religiösen Minderheiten im Iran ausführlich thematisiert. Wie meine Ausführungen gezeigt haben, wird also bereits auf den unterschiedlichsten politischen Ebenen intensiv auf eine Verbesserung der Situation der Religionsfreiheit und der bedrohlichen Lage der Bahai im Iran hingearbeitet. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft konsequent weiter beschreiten. Der Antrag der SPD geht nach unserer Auffassung nur unwesentlich über die Forderungen hinaus, die seitens der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung bereits in der Vergangenheit an den Iran gestellt wurden und weiterhin gestellt werden. Vor diesem Hintergrund teilen wir zwar die grundsätzliche Zielsetzung des vorliegenden Antrags, können diesen aber aus den genannten Gründen nicht mittragen.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im November letzten Jahres besuchte ich im Rahmen einer Reise der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe den Iran. Unsere Reiseabsichten wurden vorab stark in der Öffentlichkeit diskutiert. Ich bin froh, dass wir trotz aller Kritik dennoch das Land besucht haben. Der Schwerpunkt unserer Gespräche lag auf dem Thema Menschenrechte. Ich denke, das ist ein Bereich, in dem Fortschritte nicht durch Sanktionen oder einfaches Ignorieren der Regierung erreicht werden, sondern durch kontinuierlichen Dialog, kritische Nachfragen und das Erkunden der Situation vor Ort. Die menschrechtliche Lage im Iran ist dramatisch. Das machte auch Ahmad Shaheed, der derzeitige UNSonderberichterstatter zum Iran, in seinem jüngsten Bericht im Februar dieses Jahres erneut deutlich. Die Religionsfreiheit ist durch das Regime besonders gefährdet. Die Situation nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften oder bekennender Atheisten ist prekär. Vor allem die Glaubensgemeinschaft der Bahai steht im Fokus der iranischen Regierung. Ihnen wird vorgeworfen, Spitzel Israels zu sein und Spionage für den Westen zu betreiben. Seit den umstrittenen Wahlen 2009 hat sich die Menschenrechtslage stetig verschlechtert. 50 Iraner hat die Bundesrepublik Deutschland damals als politische Flüchtlinge mit Flüchtlingsstatus aufgenommen, unter ihnen auch einige Bahai. In ihrem Heimatland wird ihre Glaubensgemeinschaft systematisch diskriminiert und verfolgt und vom gesellschaftlichen und politischen Leben ausgegrenzt. Sie müssen um ihr Überleben bangen. Diese Tatsache deckte der damalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, Galindo Pohl, bereits 1993 auf. Seitdem hat sich die Situation weiter verschlimmert. Die Unterdrückung der Bahai erfolgt auf mehreren unterschiedlichen Ebenen. Die iranische Verfassung erkennt die Bahai nicht als religiöse Minderheit an, weil sie nach dem Islam entstanden ist. Nur vorislamischen, monotheistischen Gruppen wie den Christen, Juden und Zoroastriern werden in Art. 13 der iranischen Verfassung zumindest teilweise die gesellschaftliche Anerkennung, politische Integration und die Zuerkennung religiöser Rechte zugestanden. Doch auch die Situation der anerkannten Gruppen ist kritisch. Grundsätzlich werden religiöse Minderheiten anders behandelt als Muslime. Christen, die nicht zu den alteingesessenen ethnischen oder religiösen Minderheiten des Iran gehören, sehen sich oft mit Verhaftungen, Drohungen seitens hoher Funktionsträger und Vorwürfen der Apostasie konfrontiert. Die freie Wahl und die Verbreitung des Glaubens ist ebenfalls stark eingeschränkt. Staatsreligion ist die Scharia. Selbst Sunniten haben durchaus Probleme. Strafrechtliche Verfolgung droht aber denjenigen, die vom Islam zu einem anderen Glauben konvertieren wollen oder sich als Atheisten outen. Der Abfall vom muslimischen Glauben - Apostasie - kann mit der Todesstrafe belegt werden. Unterscheidungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen sind alltäglich, ebenso wie Diskriminierungen im Arbeitsleben und im Bildungssystem. Darüber kann auch der Parlamentssitz für Juden, orthodoxe Christen und Zoroastrier nicht hinwegtäuschen. Das betrifft die Menschen ganz gravierend im Alltagsleben: Ein Liebespaar aus unterschiedlichen religiösen Bevölkerungsgruppen hat keine Zukunft. Einem Nichtmuslim ist es gesetzlich verboten, eine muslimische Frau zu heiraten. Rechtlich ist es zwar nicht verankert, jedoch als gemeinhin verboten gilt die Ehe eines Muslims mit einer Nichtmuslimin. Sie muss gegebenenfalls konvertieren. Missionarische Tätigkeiten, selbst von den anerkannten Gemeinschaften, sind streng verboten. Dies betrifft vor allem Angehörige evangelikaler Freikirchen. Zu Protokoll gegebene Reden Angelika Graf ({0}) Nichtanerkannte Gruppen wie die Bahai sind im Iran weitgehend rechtlos. Dabei haben sie als pazifistische, aufgeklärte Religion weltweit rund 7 Millionen Anhänger. Sie sind - wie zum Beispiel hier bei uns in Deutschland - als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt. Selbst bei den Vereinten Nationen haben sie einen beratenden Status. Im Iran wird ihnen jegliche Anerkennung versagt, und das, obwohl sie mit 300 000 Anhängern die größte religiöse Minderheit bilden. Menschenrechtsverletzungen an den Baha‘i sind oftmals staatlich veranlasst und gesteuert. Im vergangen Jahr war besonders die Provinz Semnan von Festnahmen betroffen, mit dramatischen Folgen für die Familien. Wenn die Eltern inhaftiert sind, ist niemand mehr da, der Geld verdienen kann. Sitzen die Eltern für längere Zeit - oft zwei oder drei Jahre - im Gefängnis, sind meist alle finanziellen Reserven aufgebraucht. Auch die willkürlichen Schließungen von Geschäften oder das Entziehen von Gewerbescheinen haben gravierende Folgen für die finanzielle Sicherheit und das Überleben der Bahai-Mitglieder. Eine Arbeit im öffentlichen Dienst zu finden, ist für sie unmöglich. Inoffiziell werden Listen mit Namen von BahaiAngehörigen geführt - ihnen werden regelmäßig Stellen im öffentlichen Dienst verweigert oder ihnen wird gekündigt. Der ökonomische Druck ist hoch. Das Berufsverbot geht auch mit dem Verlust von Pensionsund Rentenansprüchen einher. Hinzu kommt, dass die iranische Regierung de facto Bahai-Angehörigen die höhere Schulbildung verweigert und die Baha‘i somit von vornherein nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Über das Internet versuchen die Bahai dennoch, sich weiterzubilden. In diesen Tagen jährt sich zum fünften Mal die Verhaftung des informellen Führungsgremiums der Bahai-Gemeinde. Im Mai 2008 wurde die siebenköpfige Riege verhaftet. Im August 2010 wurden sie in einem grob unfairen Gerichtsverfahren der Spionage für Israel und der Propaganda gegen den Islam schuldig gesprochen. Sie wurden zu 20 Jahren Haft verurteilt. Angesichts der prekären Situation der religiösen Minderheiten, besonders der Bahai, und bekennender Atheisten im Iran fordern wir die Bundesregierung auf, stärker als bisher aktiv zu werden. Zum Beispiel, indem Gruppenverfolgte der Bahai in Deutschland als Flüchtlinge aufgenommen werden oder die Religionsund Weltanschauungsfreiheit in den multi- und bilateralen Gesprächen verstärkt eingebracht wird.

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In ihrem Antrag fordert die SPD die Bundesregierung auf, auf internationaler und nationaler Ebene die Religionsfreiheit im Iran zu stärken und die Menschenrechte der Bahai zu wahren. Dazu möchte ich sagen, dass diese christlich-liberale Bundesregierung wie keine andere Regierungskoalition zuvor die Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt hat. Entsprechend haben wir im Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion explizit festgeschrieben, dass sich diese Regierungskoalition weltweit für Religionsfreiheit einsetzen wird. Auch haben wir in unserem gemeinsamen Antrag „Religionsfreiheit weltweit schützen“ die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich auf binationaler und multinationaler Ebene weiterhin mit Nachdruck für die Religionsfreiheit zu engagieren. In diesem Antrag vom 30. Juni 2010 haben wir im Übrigen dediziert auf die Situation der Bahai im Iran hingewiesen und deutlich gemacht, dass sich die Situation der Bahai im Iran dramatisch verschlechtert hat. Der Forderung des Deutschen Bundestages, sich für die Religionsfreiheit einzusetzen, kommt diese christliche-liberale Bundesregierung mit den unterschiedlichsten Mitteln sowie auf allen Ebenen nach. Mit Nachdruck macht sich die Bundesregierung dabei für die Rechte der Bahai stark. Lassen Sie mich bitte zusammenfassen, auf welchen Wegen dies geschieht. Erst letzte Woche, am 8. Mai 2013, hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung von der Regierung in Teheran die Freilassung der im Iran inhaftierten Bahai gefordert. Wie Sie sicher wissen, sitzt seit fünf Jahren die Führung der iranischen Bahai-Gemeinde im Gefängnis. Sie wurde in einem intransparenten Gerichtsverfahren unter Missachtung grundlegender rechtsstaatlicher Regeln zu jeweils 20 Jahren Haft verurteilt. Gern zitiere ich aus dem Aufruf des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung: „Ich fordere die Justiz auf“, sagt Markus Löning, „ die unrechtmäßigen Urteile sofort aufzuheben. Die sieben Bahai und alle anderen aufgrund ihrer religiösen Gesinnung Inhaftierten müssen unverzüglich freigelassen werden.“ Zu diesem Gerichtsprozess gegen die Führung der iranischen Bahai-Gemeinde ist außerdem anzumerken, dass sich diese Bundesregierung auch schon vor der Verurteilung für die Freilassung der seinerzeit angeklagten Führung der iranischen Bahai-Gemeinde eingesetzt hat. So hat der damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Dr. Wolf-Ruthart Born, am 15. Juni 2010 den iranischen Botschafter einbestellt und dringend auf die Einhaltung grundlegender bürgerlicher Rechte im Verfahren appelliert. Ebenfalls am 8. Mai 2013 forderte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung die iranische Regierung auf, dass sich der Iran an die von ihm unterzeichneten völkerrechtlichen Verträge hält; denn - so stellt der Menschenrechtsbeauftragte unmissverständlich fest, - „die Verfolgung der Bahai und anderer religiöser Minderheiten verstößt gegen das Recht auf Religionsfreiheit. Iran hat sich zu dessen Einhaltung mit der Unterzeichnung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet. Daran muss sich der Iran nun auch halten.“ Auch am 14. November 2012 hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung die Verfolgung Zu Protokoll gegebene Reden von Angehörigen der Bahai im Iran verurteilt. Insbesondere bezog er sich dabei auf die Berichte über die Verfolgung der Bahai in der iranischen Provinz Semnan. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bunderegierung stellte damals fest, dass Anschläge, Verhaftungen und gezielte Einschüchterungen von Angehörigen der Bahai ebensowenig hinnehmbar sind wie die willkürliche Schließung von Geschäften und die Exmatrikulation vonseiten iranischen Universitäten. Iran verstoße damit gegen die fundamentalen Prinzipien der Religionsfreiheit, zu deren Einhaltung sich Iran unter anderem durch die Unterzeichnung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet hat. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung appellierte daher an die iranische Führung, der Verfolgung von Angehörigen der Bahai umgehend Einhalt zu gebieten und sich an seine völkerrechtlichen Verpflichtungen zu halten. Diese Bundesregierung ruft den Iran regelmäßig zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich auf, unter anderem - um nur ein paar Beispiele zu nennen - : am 22. Februar 2012 im Fall Youssuf Nadarkhani; am 3. März 2012 im Fall Youssuf Nadarkhani; am 5. März 2012 im Fall Abdolfattah Soltani; am 11. Mai 2012 bezüglich der Bahai und am 3. Juli 2012 bezüglich religiöser und ethnischer Minderheiten. Letztlich möchte ich auf einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen verweisen; denn der Deutsche Bundestag hat bereits am 1. Dezember 2010 in guter Zusammenarbeit und in voller Übereinstimmung die Bundesregierung dazu aufgefordert, „gegenüber dem iranischen Regime weiterhin im bilateralen und multilateralen Rahmen nachdrücklich deutlich zu machen, dass der Iran als Vertragsstaat des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte ({0}) die darin festgehaltenen menschenrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten und seinen Bürger essenzielle Menschenrechte zu gewähren hat“ und dabei vor allem auf die „Nichtdiskriminierung von ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten“ verwiesen. Daher kann ich zusammenfassend sagen, dass der Antrag der SPD zwar gewiss gut gemeint ist, aber faktisch leerläuft und daher abzulehnen ist. Denn wie die wenigen Beispiele, die ich angeführt habe, zeigen, setzt sich diese Bundesregierung für die Religionsfreiheit im Iran und die Rechte der Bahai kontinuierlich und nachhaltig ein.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Leider müssen wir feststellen, dass sich die Lage der Menschenrechte im Iran in den letzten Jahren nicht verbessert hat. Die freie Meinungsäußerung, aber auch die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind weiterhin stark einschränkt. Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger müssen mit Überwachung und willkürlichen Verhaftungen rechnen. Oppositionelle, engagierte Frauenrechtlerinnen und Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten sind häufig Verfolgung ausgesetzt und werden zu drakonischen Gefängnisstrafen verurteilt. Des Weiteren gehört der Iran auch zu den Ländern, die weltweit die meisten Todesurteile vollstrecken. Der Iran hat sowohl den Zivilpakt als auch den Sozialpakt ratifiziert. Deshalb sind diese Verträge für den Iran völkerrechtlich verpflichtend. Ausdrücklich unterstützten wir die Forderung im Antrag der SPD, bei bilateralen Gesprächen die Einhaltung dieser Pakte anzumahnen und Verletzungen des Rechtes auf freie Religionsausübung oder des Rechtes auf Bildung zu thematisieren. Die Gesetzgebung und die Rechtsprechung im Iran diskriminierten zweifellos Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten. Deshalb ist der Antrag „Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte der Bahá’í wahren“ grundsätzlich zu begrüßen, da hierdurch eine Debatte im Bundestag über die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer politischen und religiösen Überzeugung möglich wird. Ausdrücklich unterstützt die Fraktion Die Linke die Forderung, dass alle Menschen ein uneingeschränktes Recht haben müssen, ihren Glauben frei zu leben und auszuüben. Dies schließt für uns selbstverständlich auch das Recht auf negative Religionsfreiheit, also das Bekenntnis gegen jede Religion, ebenso wie das Recht, die Religion wechseln zu können, mit ein. Staaten haben auf der anderen Seite die Pflicht, sich gegenüber allen Glaubensrichtungen neutral zu verhalten. Die Fraktion Die Linke setzt sich seit ihrer Gründung für eine klare Trennung von Staat und Religion ein. Auch diese Forderung gilt für uns universal. Nur wenn ein Staat eine laizistische Grundausrichtung hat, kann wirkliche Religionsfreiheit, als individuelles und privates Recht, erreicht werden. Von einer solchen Entwicklung ist der Iran, wie auch viele westliche Staaten, leider weit entfernt. Religiöse Minderheiten werden im Iran benachteiligt, häufig auch verfolgt. Gerade auch die Bahá’í werden in dem Land ihrer Religionsstiftung, dem ehemaligen Persien und der heutigen Islamischen Republik Iran, massiv diskriminiert. Die Geschichte der Bahá’í ist seit ihrer Gründung auch eine Geschichte von Verfolgung und Unterdrückung. Die Religionsgemeinschaft der Bahá’í wird selbst heute noch als Sekte diffamiert, übrigens auch in nicht wenigen westlichen Staaten. In vielen muslimischen Ländern begegnet ihnen häufig das Vorurteil, sie seien Apostaten, also vom „wahren Glauben“ Abgefallene. Schon der Religionsstifter Mirza Husain Ali Nuri musste wegen massiver Anfeindungen im 19. Jahrhundert aus Persien fliehen. Demokratinnen und Demokraten sind gefordert, wenn Menschen wegen ihres Glaubens, aber auch weZu Protokoll gegebene Reden gen ihres Nichtglaubens diskriminiert werden. Die Linke verurteilt jeglichen religiösen Fanatismus und begegnet allen, die vom „einzig wahren Glauben“ sprechen, mit kritischer Distanz. Fundamentalistische Missionare kennen wir gerade auch aus dem fundamental-christlichen Umfeld mit allen ihren negativen Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften. Deshalb ist es für mich auch wichtig, dass wir allen Eiferern, egal ob aus dem christlichen, dem jüdischen, dem hinduistischen, wie aus dem muslimischen Glauben, mit aufklärerischer Kritik entgegentreten und die Errungenschaft und Bedeutung des Säkularismus für demokratische Gesellschaften hervorheben. Religiösen Eiferern in christlichen Ländern steht die Linke genauso skeptisch gegenüber wie religiösen Eiferern in muslimischen Ländern. Hier darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden: Es sind zum Teil fundamentalistische, christlich-evangelikale Gruppen aus Europa und den USA, die in Afrika die massive Diskriminierung von pluralistischen Lebensstilen, sexuellen Ausrichtungen, aber auch von anderen Glaubensrichtungen betreiben. Alle Menschen haben ein Menschenrecht, ihren Glauben frei zu wählen, den Glauben zu wechseln oder auch eine neue Religionsbewegung zu gründen. Kein Staat hat das Recht, Menschen deshalb zu diskriminieren, zu kriminalisieren oder zu verfolgen. Gleichzeitig haben auch die Religionsgesellschaften die Pflicht, anderen nicht ihre religiösen Gesetze aufzuzwingen oder sie gegen ihren Willen an den eigenen Glauben binden zu wollen. Heute leben etwa 300 000 Baháí im Iran. Sie sind die größte nichtmuslimische Minderheit in dem 75-Millionen-Einwohner-Land. Im Gegensatz zu Christen, Juden und Zoroastriern sind sie jedoch keine nach der iranischen Verfassung anerkannte Gruppe. Hier setzt der SPD-Antrag an. Mit seiner Forderung, „die verfassungsrechtliche Anerkennung der Baháí als religiöse Minderheit anzumahnen“ geht der Antrag unseres Erachtens jedoch zu weit. Gut gemeint heißt aber nicht automatisch auch gut gemacht. Die Frage, ob religiöse Minderheiten verfassungsrechtlich anerkannt werden, sollte nicht durch Einmischung von außen, sondern in einer souveränen Entscheidung der jeweiligen Staaten entschieden werden. Richtiger wäre hier die Forderung, dass alle Menschen im Iran ihre jeweilige religiöse Überzeugung frei leben und ausüben können. Auch die Forderung nach „Freilassung aller politischen und aus Gewissensgründen Inhaftierter“ schießt über das Ziel hinaus. Richtig wäre hier die Forderung nach Freilassung aller gewaltfreien politischen Gefangenen. Wir alle wissen, dass aufgrund der wechselhaften Geschichte des Iran viele politische Oppositionsgruppen zum Teil mit massiver Gewalt um ihre Ziele gekämpft haben. Durch gewaltsame Aktionen gegen den iranischen Staat wurden in den letzten Jahrzehnten viele Menschen getötet oder verletzt. Deshalb erscheint die bedingungslose Freilassung von allen politischen Gefangenen, auch wenn sie zum Teil schwere Straftaten begangen haben, zumindest hinterfragbar. Auch in den Staaten der Europäische Union werden solche politischen Gefangenen keineswegs bedingungslos freigelassen. Menschen müssen frei von Diskriminierung und Verfolgung leben können. Gleichzeitig erwarten wir jedoch von der deutschen Außenpolitik, dass menschenrechtliche Forderungen nicht als Instrument für die Durchsetzung von geostrategischen oder hegemonialen Interessen missbraucht werden. Eine Dämonisierung des Iran als Hort oder Achse des Bösen lehnen wir entschieden ab. Es muss auch im Fall des Iran versucht werden, die vorhandenen gravierenden Menschenrechtsprobleme mittels Dialog zu lösen. Menschenrechte haben eine zivile Logik und lassen sich nicht mit militärischen Interventionen von außen erzwingen. Es ist Aufgabe der deutschen Außenpolitik, die Menschenrechtsverträge in der internationalen Zusammenarbeit immer wieder anzumahnen und nicht aufgrund von wirtschaftlichen oder geopolitischen eigenen Interessen zu vernachlässigen und zu instrumentalisieren. Die Menschenrechtsverträge wurden geschaffen, um präventiv zu wirken und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Wenn jedoch durch die deutsche Außenhandelspolitik und die Waffenlieferungen an despotische Regime immer mehr die Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechtspolitik infrage gestellt wird, werden damit letztlich die Menschenrechte immer weiter ausgehöhlt. Für die Fraktion Die Linke setzt deshalb menschenrechtspolitische Arbeit gerade auch in der deutschen Außenhandelspolitik an. Hier erwarten wir politische Kohärenz. Nur dann sind Forderungen nach Einhaltung der universalen Menschenrechte überhaupt glaubwürdig.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dies Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen. So steht es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Art. 18. Der Iran hat dies, wie 192 andere Staaten auch, ratifiziert. Der im Februar 2013 veröffentlichte Bericht des UNSondergesandten für den Iran, Dr. Ahmed Shaheed, über die Menschenrechtslage im Land zeigt, dass diese Standards für viele religiöse Minderheiten im Iran nicht gelten. Nach iranischer Verfassung sind einige religiöse Minderheiten zwar formell der Staatsreligion gleichgestellt, de facto werden sie jedoch noch in vielerlei Hinsicht diskriminiert. Zu Protokoll gegebene Reden Besonders alarmierend ist die Situation der Bahai, der größten religiösen Minderheit im Iran. Anders als Juden, Christen oder Zoroastrier werden Angehörige der Religionsgemeinschaft der Bahai nicht durch die Verfassung geschützt. Sie gelten als vom Islam Abgefallene und sind damit „Staatsfeinde“. Mit allen Mitteln wird zunächst versucht, sie zum Islam zu bekehren. Religionsfreiheit aber ist auch ein Schutzrecht für und vor Religion. Bleiben diese „Bekehrungsversuche“ erfolglos, muss ein gläubiger Bahai mit willkürlicher Verhaftung, Vertreibung, Folter oder gar Hinrichtung rechnen. Oft wird den Bahai Spionage vorgeworfen. Immer wieder berichten iranische Medien, die Bahai würden eng mit dem Westen und vor allem mit Israel zusammenarbeiten, um den Umsturz des iranischen Regimes herbeizuführen. Die Verbreitung von Vorurteilen und Gerüchten führt zu Misstrauen gegenüber den circa 300 000 im Iran lebenden Bahai. Bahai haben keine Möglichkeiten, in Ministerien zu arbeiten oder gar Regierungsposten zu bekleiden. Jugendliche werden wegen ihres Glaubens an Schulen und Universitäten abgewiesen. Momentan sind laut UN-Bericht 110 Mitglieder der Bahai-Gemeinde in Haft, weitere 133 warten auf den Vollzug ihrer Haftstrafe und noch einmal 268 Mitgliedern steht der Prozess bevor. Unter diesen 511 Menschen befinden sich auch zwei junge Mütter, Taraneh Torabi und Zohreh Nikayin. Zusammen mit ihren Kleinkindern wurden Sie zu 20 beziehungsweise 23 Monaten Haft verurteilt. Die iranischen Gefängnisse sind keine kinderfreundliche Umgebung, gelinde gesagt. Mit der Verfolgung von religiösen Minderheiten wie den Bahai oder auch den neueren christlichen Kirchen wie zum Beispiel den Baptisten verstößt der Iran systematisch gegen fundamentale Prinzipien der Religionsfreiheit, zu deren Einhaltung sich der Iran 1976 durch die Unterzeichnung und Ratifizierung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte nochmals verpflichtet hat. Von den 169 für den UN-Report befragten Iranern berichteten 81, von den iranischen Sicherheitskräften gefoltert worden zu sein. Die Untersuchung der Fälle bestätigte die Vorwürfe. 76 Prozent der Verhörten wurden gefoltert. Davon wurden mehr als die Hälfte Opfer körperlicher Gewalt. Sie wurden mit Knüppeln, Kabeln oder Peitschen geschlagen, bis sie aussagten. Man setzt die Befragten unter emotionalen Druck. 71 Prozent wurden Opfer seelischer Gewalt. Sie wurden gedemütigt, beleidigt und bedroht, bis sie aussagten, um die Qualen zu beenden. Während meiner Reise in den Iran im Januar 2012 habe ich einen Menschenrechtsdialog zwischen Vertretern unterschiedlicher Institutionen der deutschen Gesellschaft und der Islamischen Republik Iran prinzipiell begrüßt. Dafür müssen aber bestimmte Bedingungen erfüllt sein: Erstens darf er Einzelschicksale nicht ausblenden. Bei Menschenrechten geht es immer um die Rechte Einzelner. Zweitens sollte der Menschenrechtsdialog explizit für die Zivilgesellschaft, NGOs und Universitäten beider Seiten offen sein. Drittens sollte Kritik von beiden Seiten offen angesprochen werden können. Hierzu gehört auch, die Berichte der Vereinten Nationen und die darin enthaltenen Empfehlungen in den Dialog einzubeziehen. Die Bundesregierung übt nur verhalten Kritik an der Diskriminierung religiöser Minderheiten im Iran, so 2009 mit Bezug auf den Umgang mit der kommissarischen Führung der Bahai. Den sieben Mitgliedern der Führung drohte die Todesstrafte wegen „Spionage für Israel, Beleidigung religiöser Gefühle und Propaganda gegen die Islamische Republik“. Die Bundeskanzlerin drückte damals ihre Sorgen gegenüber dem Geschäftsträger der iranischen Botschaft in Deutschland aus. Ein Anfang, aber leider eben nur ein Anfang. Ich erwarte von der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag, der Zivilgesellschaft in Deutschland, den NGOs und den internationalen Medien, in ihrer Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen im Iran nicht nachzulassen. Als Menschenrechtspolitiker stehen wir auf der Seite der Schwachen, der Bedrohten, aller Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Deswegen stehen wir an der Seite der Bahai.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13474 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Ja, das ist der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes - Drucksachen 17/12619, 17/13037 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/13527 - Berichterstattung: Abgeordneter Michael Groß Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Alle sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13527, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- sachen 17/12619 und 17/13037 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und 1) Anlage 14 Vizepräsident Eduard Oswald Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Schließung des einzigen deutschen Schienenherstellers TSTG Schienen Technik in Duisburg - Übernahme des Unternehmens durch die Deutsche Bahn AG - Drucksachen 17/9581, 17/12880 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für Deutschland und insbesondere für den Wirtschaftsstandort Duisburg wäre es ein Verlust, wenn der einzige verbliebene Schienenhersteller auf deutschem Boden, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG in Duisburg, geschlossen würde. Ich denke, darin sind wir uns einig. Bedauerlich wäre eine Schließung nicht nur, weil eine erhebliche Anzahl an Mitarbeitern betroffen wäre. Deutschland würde auch großes unternehmerisches Know-how verlieren. Als Grund für die geplante Schließung führt der Vorstand der Voestalpine AG an, dass die Produktion am Standort Duisburg-Bruckhausen nicht mehr rentabel sei. In den letzten Jahren hatte die TSTG mit sinkender Auslastung zu kämpfen. Sie hatte zuletzt hohe Verluste eingefahren. Zurückzuführen ist dies offenbar auf Überkapazitäten im Markt, die zu einer Zuspitzung der Wettbewerbssituation und zu einem stark sinkenden Preisniveau führten. Dass die voestalpine AG beschlossen hat, sich aus dem Segment der Standardschienenproduktion zurückzuziehen, verwundert trotzdem ein wenig. Die DB Netz AG hatte mit der TSTG noch im Jahr 2011 nach einem wettbewerblichen Vergabeverfahren einen Rahmenvertrag über Schienenlieferungen im Wert von 75 Millionen Euro abgeschlossen. Der Zuschlag an die Voestalpine AG konnte erfolgen, nachdem von den Bietern umfassende Sicherungsmaßnahmen gegen künftige Wettbewerbsverstöße zugesichert wurden und Transparenz hinsichtlich der organisatorischen Konsequenzen aus dem Schienenkartell hergestellt wurde. Damit hat der DB-Konzern bereits einen erheblichen Beitrag zur Auslastung des Werkes geleistet. Natürlich würden wir alle es sehr begrüßen, wenn es gelingen würde, dieses Werk und selbstverständlich auch die Arbeitsstellen zu erhalten. Die Konsequenz daraus kann aber nicht sein, dass wir in die unternehmerische Planung der DB AG eingreifen. Wie Sie wissen müssten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, ist der Einfluss der Bundesregierung auf die Deutsche Bahn AG beschränkt. Weder der Bund noch andere Dritte können dem Privatunternehmen Deutsche Bahn AG Vorgaben machen, die in den unternehmerischen Entscheidungsbereich eingreifen. Das ist auch richtig so - nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern eigenständige unternehmerische Entscheidungen entsprechen auch unserem Verständnis von Marktwirtschaft. Folglich kann und wird der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auch nicht mehrheitlich dazu auffordern, entsprechenden Einfluss zu nehmen. Ein Einstieg bei der TSTG wäre allein zwischen der Deutschen Bahn AG und der Voestalpine AG zu verhandeln. Dies hat unser Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer Ihnen doch auch schon schriftlich mitgeteilt. Er hatte Ihren ehemaligen Oberlinken Klaus Ernst darüber informiert, dass die Beschaffung von Schienen durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG in eigener Verantwortung erfolgt und dass er aus rechtlichen Gründen hierauf keinen Einfluss nehmen kann. Es ist schon klar, dass man bei Ihnen kein Vorwissen und schon gar kein Verständnis von marktwirtschaftlichen Vorgängen erwarten kann. Aber alleine aufgrund der Information durch unseren Verkehrsminister hätten Sie doch verstehen müssen, wo der Hammer hängt. Hinzu kommt, dass wir doch alle - zumindest alle außer Ihnen - wissen, dass die Produktion von Schienen nicht zum Kerngeschäft des DB-Konzerns gehört. Und die DB AG beabsichtigt meines Wissens nach auch nicht, in diesen Markt einzutreten. Für die DB AG ist eine Übernahme des Werkes in Duisburg daher auch keine Option. Die Linken wollen den Bahnkonzern jedoch dazu zwingen, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG zu kaufen. Das sieht Ihnen wieder einmal ähnlich. Auch wenn ich über Ihre Forderung nicht wirklich erstaunt bin, kann ich mir ein Kopfschütteln über Ihre Auffassung von Ökonomie nicht verkneifen. Man muss es sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Was unsere Kommunisten von der Linkspartei wollen, ist, dass ein gesundes Unternehmen zur Übernahme eines kranken Unternehmens und damit zum Erzielen von Verlusten gezwungen werden soll. Und es kommt noch besser: Die Folge wäre, dass der Bund als Eigentümer ein Unternehmen finanziert, das eventuell langfristig subventioniert werden muss, das also vom Steuerzahler am Leben gehalten werden muss. Da fällt mir nichts mehr ein - weder als Ökonom noch als Steuerzahler oder als Politiker. Durch diesen Vorgang wird wieder einmal sehr deutlich, dass die Linken bis heute nicht in unserer sozialen Marktwirtschaft angekommen sind. Und deutlich wird umso mehr: Es ist gut, dass die christlich-liberale Koalition regiert!

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich direkt am Anfang meiner Rede sehr deutlich sagen: Die TSTG Schienen Technik muss erhalten bleiben, und Voestalpine muss endlich dem Verkauf des Werkes zu fairen Konditionen zustimmen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Gestern und heute erst haben die TSTG-Beschäftigten ihre Arbeit niedergelegt und mit einer Mahnwache die Forderung nach einem Verkauf kräftig betont. Ein weiteres Zeichen für die beeindruckende Solidarität. Die Belegschaft hält zusammen, aber die Zeit drängt. Wir müssen gemeinsam verhindern, dass 400 Menschen ihren Job bei der TSTG und die Existenzgrundlage für ihre Familien verlieren, von den Arbeitsplätzen bei Zulieferern und Dienstleistern ganz abgesehen. Das Ziel für die TSTG kann nur lauten: Verkauf statt Schließung. Am 28. Juni 2012 haben wir im Deutschen Bundestag bei der ersten Lesung dieses Antrages schon einmal über die TSTG debattiert. Damals wie heute war die TSTG das einzige deutsche Schienenwerk. Die Auftragsbücher sind voll. Das Werk arbeitet mit einer Jahreskapazität von etwa 280 000 Tonnen Stahl. Die Anlagen sind nach Investitionen von rund 70 Millionen Euro auf höchstem technischem Niveau. Die TSTG steht für technologisches Know-how, innovative Forschung und hohe Qualität. Der größte Wert der TSTG ist aber sicher die Belegschaft. Trotz des Schließungsbeschlusses vom 13. März 2012 und der massiven Zukunftsangst arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hochqualitativ, wirtschaftlich erfolgreich und mit vollem Einsatz. Seit März 2012 kämpfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der TSTG zudem in jeder freien Minute zusammen mit der IG Metall und den Menschen meiner Heimatstadt Duisburg gegen diese Schließungspläne. Wieder einmal zeigen die Duisburgerinnen und Duisburger eine beeindruckende Solidarität, die mich als Duisburger Abgeordnete wirklich stolz macht. Und wer so um seinen Arbeitsplatz kämpft wie die TSTGBelegschaft, der macht seinen Job auch in Zukunft mit großem Engagement. Identifikation mit dem Arbeitgeber ist eine Ressource, die man gar nicht hoch genug wertschätzen kann. Voestalpine will keine defizitäre Konzerntochter schließen. Das Unternehmen will Produktionskapazitäten vom europäischen Markt nehmen, um den Schienenpreis nach oben zu treiben und Fehler des Managements zu korrigieren. Voestalpine ist schließlich eines der Unternehmen, die von 2001 bis 2011 illegal Quoten und Preise für Schienenlieferungen an die Bahn abgesprochen haben. Die 400 Beschäftigten von TSTG tragen keine Schuld an diesem Kartell, sie sollen aber jetzt die Lasten tragen. Das ist ein Skandal. Mein Duisburger SPD-Bundestagskollege Johannes Pflug hatte im Juni 2012 bei seiner Plenarrede verschiedene Alternativen zur Schließung benannt: die Prüfung einer Übernahme durch die Bahn, die Umstellung der Produktion auf Strommasten für die Umsetzung der Energiewende oder auch die Fokussierung auf die Weiterentwicklung der Produktinnovation Vignolschiene. In dieser Debatte hatte die große Mehrheit des Hauses ihre Skepsis zu einem Antrag deutlich gemacht, der die Bahn mehr oder weniger zur Übernahme verpflichten soll. Wir müssen feststellen, dass die Schienenproduktion kein Kerngeschäft der DB Netz AG ist und die DB kein Angebot zum Kauf gemacht hat. Deshalb werden wir heute für die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Wirtschaft und Technologie sowie der mitberatenden Ausschüsse für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit stimmen. Auch wenn wir nicht den gleichen Weg gehen wollen, beim Ziel sind sich aber fast alle Parteien einig. Die realistischste Lösung ist gleichzeitig die einfachste Lösung: Voestalpine muss den Weg für faire Verkaufsverhandlungen frei machen und eine Übernahme ermöglichen. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am 19. Februar parteiübergreifend - mit Ausnahme der FDP - für einen Antrag zum Erhalt der TSTG gestimmt. In diesem Antrag hat der NRW-Landtag nicht nur die Landesregierung NRW, sondern auch die Bundesregierung zur Unterstützung der Beschäftigten der TSTG aufgefordert. Das muss auch unser Weg hier und heute im Deutschen Bundestag sein. In den vergangenen Monaten haben wir auf diesem Wege ein außergewöhnlich hohes Maß an Geschlossenheit gezeigt. Abgeordnete fast aller Fraktionen haben Gespräche zur Zukunft der TSTG geführt, die Bundesregierung ist in verschiedenen Briefen aus allen Parteien zum Handeln aufgefordert worden. Vergangene Woche hat auch der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ein Zeichen der Solidarität für die TSTG-Belegschaft gesetzt. Parteiübergreifende Geschlossenheit ist immer auch ein klares Zeichen für die Wichtigkeit eines Themas. Eine Schließung der TSTG würde die Bahn und andere deutsche Abnehmer in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis von Schienenherstellern aus dem Ausland manövrieren. Der Industriestandort und die Exportnation Deutschland sind auf eine stabile, moderne und flexible Infrastruktur angewiesen. Die TSTG leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes. Nach allem, was wir wissen, steht mittlerweile mindestens ein Kaufinteressent für das Werk bereit - obwohl Voestalpine das Werk zum jetzigen Stand nur Zu Protokoll gegebene Reden unter der Auflage eines dreijährigen Schienenproduktionsverbotes verkaufen würde. Spätestens dieses Kaufinteresse macht deutlich, dass Voestalpine sicher kein defizitäres Werk abstoßen will. Warum hätte Voestalpine sonst auch in Ofen, Walzwerksmotoren oder Prüftechnik eines Werkes investieren sollen, das ohnehin verkauft werden muss? Eine Bundesregierung kann es nicht hinnehmen, dass der deutsche Steuerzahler für ein kriminelles Schienenkartell doppelt zur Kasse gebeten wird. Wer das Motto „Leistung muss sich lohnen“ so stark vor sich herträgt wie die schwarz-gelbe Bundesregierung, muss jetzt erst recht eingreifen. Bei der TSTG lohnt sich die Leistung, weil die Beschäftigten viel leisten. Die soziale Marktwirtschaft darf nicht ihrer Marktwirtschaft beraubt werden. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der TSTG, Kenan Ilhan, hat bei der DGB-Kundgebung am 1. Mai in meiner Heimatstadt Duisburg gesagt: „Bei der derzeitigen Weichenstellung droht die Stahlindustrie …auf dem Abstellgleis der Demontage zu landen. … Lassen Sie uns jetzt gemeinsam die Weichen stellen für die Zukunft der TSTG.“ Ich möchte die Bundesregierung eindringlich auffordern, sich zum Gespräch mit den Beteiligten zu treffen und den Druck auf Voestalpine zu erhöhen. Viel Zeit bleibt uns leider nicht mehr, also stellen wir jetzt endlich die Weichen für die Zukunft der TSTG.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In der Bundesrepublik Deutschland gilt das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Daraus folgt, dass hierzulande ansässige Unternehmen effizient wirtschaften müssen. Die Verantwortung für die dazu notwendigen Entscheidungen liegt bei den Inhabern oder den Führungsgremien der Unternehmen. Der Staat bleibt außen vor und mischt sich nicht ein. Dieses Prinzip gilt ebenso für die Deutsche Bahn AG - auch wenn sie zu 100 Prozent im Besitz des Bundes ist. Denn dieser Umstand macht sie nicht zu einer Auffanggesellschaft für unrentable Unternehmen. Vielmehr hat sie sich der wirtschaftlichen Bewältigung des Personen- und Güterverkehrs zu widmen. Demzufolge richtet sich der vorliegende Antrag an den falschen Adressaten. Denn nur der Vorstand und der Aufsichtsrat der Bahn AG und nicht der Deutsche Bundestag entscheiden über mögliche Fusions- oder Kaufentscheidungen der Gesellschaft. Wir bedauern, dass sich der österreichische Mutterkonzern Voestalpine AG für die Schließung des Duisburger Unternehmens TSTG Schienen Technik GmbH & Co KG entschlossen hat. Das ist eine besonders traurige Entscheidung vor dem Hintergrund des Umstrukturierungsprozesses, in dem sich das Ruhrgebiet befindet; denn dieser ist noch lange nicht abgeschlossen. Daher ist an einem Standort wie Duisburg jede Firmenschließung und der damit verbundene Arbeitsplatzverlust besonders schmerzlich. Allerdings gibt es in einer sozialen Marktwirtschaft juristische Regelungen und Institutionen, die in solchen Fällen greifen und sich um die betroffenen Mitarbeiter kümmern. Die Argumente der Linken in ihrem Antrag sind aus meiner Sicht nicht überzeugend. Denn die Aussagen der Unternehmensführung hinsichtlich der Rentabilität und Auslastung des Duisburger Werkes infrage zu stellen, ist sehr gewagt. Dass betriebswirtschaftliche Effizienzrechnung das Spezialgebiet der Linken-Fraktion ist, war bislang jedenfalls nicht aufgefallen. Auch der im Antrag aufgeführte Verweis, dass das Duisburger Werk in der Vergangenheit „fast immer gut ausgelastet war“, ist kein Beleg hierfür. Denn die Aussichten für die Zukunft sind das, was für Unternehmen entscheidend ist. Durch Erfolge der Vergangenheit allein können sie nicht am Markt bestehen. Neben dem technischen Stand der Produktionsstätte dürften auch absehbar unzureichende Chancen, nach einer Modernisierung der Anlagen auf dem Markt bestehen zu können, eine Rolle bei der Entscheidung der Muttergesellschaft gespielt haben. Die von der Linken angeführten kartellrechtlichen Vergehen der Voestalpine AG sind ebenfalls kein Grund für den Deutschen Bundestag, sich in unternehmerische Entscheidungen einzumischen. Fehlverhalten zu sanktionieren, ist in diesem Falle Aufgabe des Kartellamtes. Die hat es auch wahrgenommen und gegen das Unternehmen ein Bußgeld verhängt. In den vergangenen Tagen war in der Presse zu lesen, dass es nun doch noch einen ernsthaft interessierten Investor für das Duisburger Werk geben soll. Das ist ein neuer Lichtblick und birgt die Hoffnung, dass in den Gesprächen und Verhandlungen doch noch ein Erhalt der Arbeitsplätze am Standort Duisburg realisiert werden kann. Diese Entwicklung bleibt abzuwarten. Die FDP-Bundestagsfraktion folgt der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie und lehnt den vorliegenden Antrag ab.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Am 26. März 2013 schrieb Bundesminister Ronald Pofalla im Namen der Kanzlerin: „Ich teile Ihre Sorgen hinsichtlich der möglichen Werksschließung und des damit verbundenen Arbeitsplatzabbaus bei der TSTG. Der Bundesregierung ist an einem starken und wettbewerbsfähigen Industriestandort gelegen. ({0}) Ich würde mich freuen, wenn es in den kommenden Wochen noch gelänge, in konstruktiven Gesprächen für TSTG eine gute Lösung zu finden.“ Eigentlich könnte man bei solchen Sätzen Beifall klatschen, sich zurücklehnen und erwartungsfroh dem entgegensehen, was die Bundesregierung jetzt zu tun gedenkt, um diesen Worten gerecht zu werden. Denn es liegt doch im vorliegenden Fall TSTG in der Macht dieser Bundesregierung, die Werkschließung, die für Ende 2013 angekündigt ist, zu verhindern, gut 400 Arbeitsplätze zu retten und damit dem Ziel eines „starken und wettbewerbsfähigen Standorts“ Rechnung zu tragen. Zu Protokoll gegebene Reden Halten wir doch mal drei Dinge fest: Die TSTGMutter Voestalpine befindet sich in einer äußerst schwachen Position. Der österreichische Konzern war zusammen mit ThyssenKrupp Kartellführer und hat die Bahn in Deutschland, Bundesbahn und Deutsche Bahn AG, um mindestens 1 Milliarde Euro geschädigt. Voestalpine will auch nach einer eventuellen Schließung von TSTG große Aufträge für Schienen von der Deutschen Bahn AG erhalten und diesen Schienenstahl dann aus Österreich anliefern. Die Bundesregierung als Vertreterin des Bundes, des alleinigen Eigentümers der DB AG, muss da zumindest mitspielen. Die Bundesregierung könnte und sollte unseres Erachtens nach tätig werden, dass dann, wenn es keinen seriösen Käufer für Voestalpine gibt, die Deutsche Bahn AG die Duisburger TSTG selbst übernimmt. Damit würde die DB AG ihr vertikales Wachstum fortsetzen und neben dem Weichenwerk in Witten auch einen Schienenhersteller im Konzernverbund haben. Das erbringt erhebliche Synergiegewinne. Damit würde auch, wie es jüngst in einer Studie mit dem Titel „Vorwärtsstrategie für die TSTG Duisburg“, erstellt von der Wert-Arbeit GmbH in Duisburg, heißt, „die Betriebssicherheit und die Innovation im Netz stabilisiert werden. Jetzt höre ich: Die Bundesregierung will nichts tun. Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion scheinen unseren konstruktiven Antrag ablehnen zu wollen. Wenn die SPD sich enthalten sollte, dann wäre das bereits eine Art des Entgegenkommens - oder auch Ausdruck eines schlechten Gewissens. Darauf komme ich zurück. Und was wird stattdessen vorgeschlagen? Nichts, rein gar nichts! Es ist jetzt diese Bundesregierung, die sich zurücklehnt und die darauf wartet, dass irgendwie „der Markt“ das regelt, beziehungsweise, dass Voestalpine mit ihrer Marktmacht TSTG zerschlägt. Und warum will Voestalpine seit mehr als einem Jahr TSTG um alles in der Welt in den Konkursabgrund stoßen, mehr als 400 Beschäftigte und deren Familien in die Arbeitslosigkeit schicken oder sie mit Arbeitslosigkeit und Hartz IV bedrohen - wo doch, und das sagen ja alle - die TSTG-Produkte Hightech-Qualität haben und TSTG selbst zumindest auf mittlere Frist rentabel arbeitet? Den Hintergrund, um das zu verstehen, bildet das Kartell „Die Schienenfreunde“. Die Details zu diesem Kartell wurden nun bereits auf den Wirtschaftsseiten und in den führenden Zeitungen und Zeitschriften - so im „Handelsblatt“ und in der „Wirtschaftswoche“ ausgebreitet. Hier nur zusammenfassend: Dieses Kartell, dem die 15 maßgeblichen Stahlkonzerne Europas angehörten, hat der Bahn und vielen Nahverkehrsorganisationen, denen sie mehr als 15 Jahre lang Schienen zu um 30 bis 50 Prozent überhöhte Preise verkauften, einen Schaden in Höhe von weit mehr als einer Milliarde Euro zugefügt. Nachdem dieses Kartell aufflog, brach der Preis für Schienenstahl deutlich ein. Voestalpine will nun mit der Betriebsschließung in Duisburg erreichen, dass die Kapazitäten und das Angebot sich weiter verknappen und dass der Preis für Schienenstahl wieder steigt. Und es dürfte sich dann erneut um einen Stahlpreis handeln, der über den Marktpreisen liegt. Nunmehr würde er durch die Monopolposition von Voestalpine künstlich überhöht werden. Das aber heißt: Den Steuerzahlenden in Deutschland würde ein zweites Mal Schaden zugefügt. Nach dem Milliardenschaden, den das Kartell anrichtete, würde es erneut einen in die Hunderte Millionen Euro gehenden Schaden dadurch geben, dass zukünftig Voestalpine Schienenstahl aus Österreich nach Deutschland liefert - erneut zu überhöhten, zu Monopolpreisen. Die Deutsche Bahn AG scheint bei diesem Spiel mitzuspielen. Jedenfalls hat sie an Voestalpine bereits wieder Großaufträge vergeben bzw. solche angekündigt - völlig unabhängig davon, wie das Schicksal von TSTG aussehen wird. Und warum macht die DB AG das? Sehr viel spricht dafür, dass sie dies tut, weil sie mit Voestalpine unter einer Decke steckt, weil sie von dem Kartell „Die Schienenfreunde“ wusste und weil sie nicht will, dass diese Decke weggezogen und Transparenz darüber hergestellt wird, wer da die Steuerzahlenden um wieviel und warum schädigte. Wenn ich das sage und wenn das in unserem Antrag steht, dann ist das keine Räuberpistole, die die Linke ersonnen hat; das deckt sich inzwischen mit neueren Erkenntnissen, beispielsweise des „Handelsblattes“. Dort war am 10. Dezember 2012 zu lesen: „Top-Manager beider Seiten ({1}) vereinbarten damals ein Koppelgeschäft: Die Bahn akzeptierte überhöhte Preise - was ihr nicht schadete; denn die Investitionen werden vom Bund getragen. Im Gegenzug soll ThyssenKrupp Kunde der Bahn-Tochter DB Cargo geblieben sein. Diese Version bestätigen auch Ex-Führungskräfte von ThyssenKrupp.“ Gerade angesichts der neuesten Entwicklung - TSTG soll baldmöglichst in den Konkurs getrieben werden, die Deutsche Bahn AG will weiter bei Voestalpine Großeinkauf machen - fordern wir: Die für diesen Deal Verantwortlichen bei der DB AG müssen identifiziert werden und aus dem Unternehmen ausscheiden. Verkehrsminister Ramsauer muss klar machen, inwieweit sein Amt - das Kartell wirkte ja bis Mitte 2011! von dem Kartell und von der Einbeziehung der DB AG in das Kartell etwas wusste. Da gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder war das im Ministerium bekannt, oder die Aufsicht über das bundeseigene Unternehmen hat kläglich versagt. Die SPD verhält sich, wie erwähnt, in Sachen TSTG eher bedeckt. Das könnte mit ihrem Kanzlerkandidaten zusammenhängen. Im Protokoll des ThyssenKruppAufsichtsrats vom 13. Mai 2011, in dem Herr Steinbrück damals saß, steht das Folgende: „Herr Steinbrück weist darauf hin, dass es schädlich wäre, wenn der aktuelle ({2}) Fall in der Pressekonferenz nach der Aufsichtsratssitzung thematisiert würde.“ Zu Protokoll gegebene Reden Mit „der Fall“ war das Kartell „Die Schienenfreunde“ gemeint. Damals war noch nichts über das Wirken dieses Kartells in die Öffentlichkeit gedrungen. Das aber heißt im Klartext: Herr Steinbrück wollte damals, als er noch nicht Kanzlerkandidat war, lieber in der Nähe des Thyssen-Konzerns und seiner Interessen stehen als für Öffentlichkeit darüber zu sorgen, wie die Steuerzahler durch ThyssenKrupp und das Kartell ausgenommen werden. Das ist nicht allzu verwunderlich. Herr Steinbrück wollte als Finanzminister in der Großen Koalition und im Zeitraum 2005 bis 2008 unbedingt die Bahn an die Börse bringen, was dem Schienenverkehr in Deutschland maximalen Schaden zugefügt hätte. Ein Wort noch zu den Hoffnungen der Belegschaft auf einen Investor. Einen solchen soll es ja geben; ein Consultant verhandelt ja mit der IG Metall und zumindest indirekt auch mit dem TSTG-Betriebsrat in dieser Angelegenheit. Allerdings wird kein Name genannt, wer denn nun konkret Kaufinteresse hat. Wir können uns da nur zwei Varianten vorstellen. Entweder es handelt sich um einen fragwürdigen Investor. Jemand, der Kreditgeld oder Hedgefondskapital einsetzt, oder auch jemand, der im Auftrag von Voestalpine aktiv ist: Dann dürfte das eher ein kurzlebiges Investment sein; ein Projekt, mit dem bewusst oder unbewusst Zeit geschunden wird, mit dem der Widerstand vor Ort in Duisburg kanalisiert und abgebogen wird. Nach drei oder fünf Jahren würde dann die Schließung des Duisburger Werks eher geräuschlos vollzogen werden. Oder es handelt sich um einen großen Stahlhersteller, also um Tata mit Sitz in London oder um Arcelormittal, den indischen Stahlkönig mit großen Engagements in Polen, England, Frankreich, Belgien und auch Deutschland. Dann könnte es gut sein, dass es zu einem Technologietransfer kommt und dass in drei oder fünf Jahren in Osteuropa ein neues Werk zur Herstellung von Hightech-Schienen entsteht und erneut der Standort Duisburg gefährdet ist. Wir haben volles Verständnis, wenn sich die Belegschaft hier an jeden Strohhalm klammert. Allerdings müssen wir die Öffentlichkeit und die Kolleginnen und Kollegen bei TSTG vor den beschriebenen Gefahren warnen. Klar ist: Eine Übernahme von TSTG durch die Deutsche Bahn AG wäre die optimale Lösung. Und: Die Bundesregierung hat die Macht, das zu realisieren.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Über das Problem sind wir uns alle einig. Mit der TSTG droht dem letzten deutschen Schienenhersteller die Schließung. Das wäre dramatisch für die Beschäf- tigten, 460 Menschen verlieren dann ihre Arbeit. Die Schließung des Werks in Duisburg hätte außerdem Folgen für die Region. Die Produktion läuft gut und ist eng mit Zulieferern aus dem Ruhrgebiet verknüpft. Zu- sammen mit weiterverarbeitenden Betrieben wäre das Aus für die TSTG ein schwerer Schlag für einen gan- zen industriellen Cluster in Nordrhein-Westfalen. Auch der bundeseigene Konzern der Deutschen Bahn würde die TSTG als Zulieferer für das Weichenwerk in Witten verlieren. Zudem müsste die Deutsche Bahn einen neuen Lieferanten für ihre Schienen finden. Bisher deckt sie über die Hälfte ihres Bedarfs mit Produkten der TSTG. Auch die Gründe für die drohende Schließung mit den beschriebenen Folgen liegen auf der Hand und werden von keiner Partei hier im Bundestag bestritten. Ein Schienenkartell hat der Bahn, und damit auch dem Steuerzahler, jahrelang großen Schaden zugefügt. Jetzt beschweren sich Firmen, die unmittelbar an den Preis- absprachen beteiligt waren, über ein Überangebot an Schienen, das sie selbst zu verantworten haben. Als Lösung und Bauernopfer soll jetzt die TSTG herhalten. Der Eigentümer Voestalpine erhofft sich damit wieder stabilere Preise und die Sicherung der eigenen Stand- orte. Daher besteht offensichtlich auch kein Interesse an einem Verkauf. Doch der Lösungsansatz, den die Linke mit ihrem Antrag fordert, geht klar am Ziel vorbei. Es macht kei- nen Sinn, dass die Deutsche Bahn das Werk über- nimmt. Es gehört nicht zu den Aufgaben der Deutschen Bahn, Schienen herzustellen. Wenn der Eigentümer ein Interesse am Verkauf hätte, sähe die Suche nach Inte- ressenten vielversprechend aus. Aussagen des Be- triebsrats zufolge gäbe es bereits einen. Dafür müsste der Bund nicht aktiv werden. Mit einer solch unseriö- sen Forderung Hoffnung bei den Beschäftigten zu schüren, ist auch in Wahlkampfzeiten mehr als schä- big. Der Eigentümer hat kein Interesse an einem Ver- kauf, und die Deutsche Bahn kein Interesse an einem Kauf. An die Kollegen der Linken appelliere ich daher: Hören Sie auf, sich mit dieser Luftnummer profilieren zu wollen! Der Bundestag kann nicht auf eine solche Art und Weise in die Privatwirtschaft eingreifen. Allerdings muss die Bundesregierung endlich aus der Defensive kommen. Die Bundesregierung hat sich in den gemeinsamen Gesprächen der letzten Wochen viel zu sehr zurückgehalten. Wir teilen die Forderung der Linken nicht. Doch wir fordern von der Bundesre- gierung, dass sie den Beschäftigten der TSTG und ih- rem Anliegen endlich die gebotene Aufmerksamkeit zu- kommen lässt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen infolgedessen direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12880, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9581 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokra- ten. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Bünd- nis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist ange- nommen. Vizepräsident Eduard Oswald Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte - Drucksache 17/12951 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 17/13303 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Johann Wadephul b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitsbedingungen von Hausangestellten verbessern - ILO-Übereinkommen Nr. 189 ratifizieren - Drucksachen 17/11370, 17/13303 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Johann Wadephul Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. - Damit sind alle einverstanden.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann heute nahtlos an meine Rede vom 29. November 2012 anknüpfen, als wir über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen debattiert haben. Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, hat auf ihrer 100. Internationalen Arbeitskonferenz am 16. Juni 2011 das ILO-Übereinkommen Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte und die Empfehlung 201 betreffend menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte angenommen und damit das Problem der sogenannten Arbeit hinter verschlossenen Türen aufgegriffen. Das Übereinkommen bekräftigt die Rechte der Hausangestellten und soll sie vor Diskriminierung und Missbrauch schützen. Zu diesem Zweck enthält das Übereinkommen Regelungen unter anderem zur Gewährung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszeiten, zur sozialen Sicherheit, zur Stärkung des Rechts auf Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater Arbeitsvermittler. Die Empfehlung ergänzt das Übereinkommen und stellt eine nicht bindende Orientierungshilfe für die Anwendung des Übereinkommens dar. Die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung konstruktiv mitgewirkt und mit dem Kabinettsbeschluss des Vertragsgesetzentwurfs am 6. Februar 2013 die Voraussetzungen für eine zügige Ratifikation des Übereinkommens geschaffen. Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf am 22. März 2013 einstimmig und ohne Aussprache zugestimmt. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften waren bei der Verhandlung des Übereinkommens beteiligt und unterstützen das Vorhaben, das Übereinkommen zu ratifizieren. Und schließlich haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages den Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 24. April 2013 einstimmig angenommen. So viel Konsens ist selten. Ich möchte deshalb die heutigen Beratungen zum Anlass nehmen, mich bei allen Beteiligten für die hervorragende Vorarbeit bei diesem wichtigen Thema zu bedanken. Zwar sind in Deutschland Ergänzungen der innerstaatlichen gesetzlichen Vorschriften nicht erforderlich, um die Anforderungen des Übereinkommens zu erfüllen. Deutschland hat seit jeher hohe arbeits- und sozialrechtliche Standards, auch für Hausangestellte. Sie sind Arbeitnehmer und unterliegen in gleicher Weise dem Schutz des deutschen Arbeitsrechts. Daneben sind sie bei Eintritt von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. In Deutschland besteht kein zusätzlicher Regelungsbedarf. In vielen anderen Ländern dagegen fehlen verbindliche Regelungen für Hausangestellte. Für sie schafft die Ratifizierung des Übereinkommens eine deutliche Verbesserung ihrer arbeits- und sozialrechtlichen Situation. Mit der heutigen Entscheidung des Deutschen Bundestages setzt Deutschland ein deutliches Zeichen, der Arbeit von Hausangestellten mehr Anerkennung zu verschaffen und sie vor Rechtsverletzungen zu schützen. Das macht in erster Linie die Bedeutung unserer heutigen Entscheidung aus. Rot-Grün hat in ihrem gemeinsamen Antrag versucht, das berühmte Haar in der Suppe zu finden. Am Ende aber erfolglos. Ihre zusätzlichen Forderungen werden weitgehend im deutschen Recht bereits umgesetzt. Natürlich darf bei Rot-Grün nicht die Forderung fehlen, einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro für Hausangestellte einzuführen. Allerdings verpflichtet das ILO-Übereinkommen die Bundesrepublik Deutschland nicht zur Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Das Übereinkommen begründet lediglich die Verpflichtung, dass im Falle der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes dieser auch für Hausangestellte gelten muss. Dem Übereinkommen kann ebenso wenig entnommen werden, dass die Bundesregierung einen allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Hausangestellte festsetzen muss. Abgesehen davon, dass es bislang gar keine Initiative der Sozialpartner gibt, einen solchen Branchenmindestlohn für den Bereich der Hausangestellten auf der Grundlage des bestehenden gesetzlichen Instrumentariums zu erlassen. Da sind Rot-Grün erkennbar die ideologischen Gäule durchgegangen. Der Antrag ist fachlich überflüssig und politisch falsch. Aus diesem Grund haben wir ihn im Ausschuss auch abgelehnt. Mit der Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 189 setzt der Deutsche Bundestag einmal mehr ein Beispiel für andere Staaten bei der Umsetzung von Standards für menschenwürdige Arbeit. Deshalb ist heute ein guter Tag für die Betroffenen weltweit.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute wollen wir über ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO sprechen, deren Zweck es ist, die Situation von Hausangestellten weltweit zu verbessern. In vielen Ländern der Erde werden Menschen in fremden Haushalten beschäftigt, um dort verschiedene Tätigkeiten rund um Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder ähnliche Dienstleistungen auszuführen. Mit zunehmendem Wohlstand und der steigenden Anzahl von Familien mit zwei berufstätigen Partnern werden solche haushaltsnahen Dienstleistungen immer stärker nachgefragt. Gleichzeitig erkennen mehr und mehr private Arbeitsvermittler diese Branche als neues Geschäftsfeld. Der Wettbewerb um gute Arbeitskräfte, aber auch um gute Arbeitsplätze weitet sich aus. Dass dabei nicht immer nur gute oder zumindest akzeptable Arbeitsbedingungen herrschen, sondern auch missbräuchliche oder mangelhafte Zustände existieren, ist leider nicht zu leugnen. So kommt es vor, dass im Rahmen illegaler Beschäftigungsverhältnisse unzureichende bis gar keine soziale Absicherung für die Angestellten getroffen wird. Im Krankheits- oder Rentenfall beispielsweise erhalten die Betroffenen folglich keine Sozialleistungen. Etliche sind in solchen Fällen dann schnell einem Armutsrisiko ausgesetzt. Doch selbst in eigentlich regulären Beschäftigungsverhältnissen gibt es auch Fälle, in denen die Hausangestellten entweder eine sehr niedrige Entlohnung erhalten, überlange Arbeitszeiten haben oder kaum Urlaub erhalten. Aus diesem Grund begrüße ich es außerordentlich, dass mit dem IAO-Abkommen verbindliche Regelungen für die Gewährleistung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen geschaffen wurden. Diese betreffen zum Beispiel den Arbeitsschutz, Arbeitszeiten, die soziale Sicherheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen oder die Kontrolle privater Arbeitsvermittler. Dies sind alles Bereiche, die wir in Deutschland ebenfalls als sehr schützenswert betrachten und wozu wir infolgedessen seit langer Zeit umfassende Regelungen getroffen haben; sei es durch entsprechende Arbeitsgesetze und Rechtsverordnungen, durch Richterrecht oder sehr weit verzweigt durch tarifvertragliche Normen. Dass unsere Bundesregierung an der Erarbeitung des IAO-Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung konstruktiv mitgewirkt hat und den politischen Zielen der Instrumente wohlwollend gegenübersteht, demonstriert überdies das große politische Interesse an diesem Thema. Die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen greifen das IAO-Übereinkommen zur Stärkung der Rechte der Hausangestellten und zum Schutz derselben vor Missbrauch und Diskriminierung auf und stellen nun jedoch zahlreiche Forderungen, die aus Sicht der Unionsfraktion entbehrlich sind. So fordern Sie unter anderem die unverzügliche Einleitung des Ratifizierungsverfahrens des IAO-Abkommens. Hierzu liegt bereits ein Beschluss über einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vor, dem sogar der Bundesrat schon einstimmig zugestimmt hat. Ihr Anliegen ist damit also längst obsolet. Mit Blick auf das deutsche Recht möchte ich vorweg folgende grundsätzliche Bemerkung auf Ihre zahlreichen Einzelforderungen machen. Unser Recht erfüllt alle Vorgaben des IAO-Übereinkommens und setzt diese bereits wirksam um. Hausangestellte sind Arbeitnehmer wie alle anderen Beschäftigten in Deutschland und haben daher die gleichen Rechte und Pflichten wie die anderen. Auch können Arbeitsverträge sowohl mündlich als auch schriftlich in deutscher oder einer anderen Sprache abgeschlossen werden. Zusätzlicher Regelungsbedarf im deutschen Arbeitsrecht ist hier beim besten Willen nicht zu erkennen. Auf wenige einzelne Punkte möchte ich dennoch kurz eingehen. Auf Ihrem Wunschzettel findet man erneut - wie in so mancher Debatte, die wir in diesem Hause führen dürfen - das Schlagwort Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro. Eine solche Verpflichtung sieht das IAOAbkommen überhaupt nicht vor. Es soll lediglich im Falle einer Neueinführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns dieser auch für Hausangestellte gelten. Ebenso wenig lässt sich direkt oder indirekt aus dem Übereinkommen ableiten, dass die Unterzeichnerstaaten einen allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Hausangestellte festlegen müssen. Dazu wären auch in Deutschland zunächst die Sozialpartner gefragt, die sich per Antrag beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Allgemeinverbindlicherklärung ihrer bereits abgeschlossenen Tarifverträge einsetzen müssen. Ferner schreiben Sie, geringfügig beschäftigte Hausangestellte müssen wie andere geringfügig Beschäftigte rechtlich behandelt werden. Da haben Sie völlig recht - nur, das erfolgt bereits. Hausangestellte erfahren sowohl im sogenannten HaushaltsscheckVerfahren, mittels dessen eine geringfügige Beschäftigung in einem Privathaushalt angemeldet werden kann, als auch im Teilzeit- und Befristungsgesetz denselben Schutz und dieselbe Sicherheit wie die übrigen geringfügig Beschäftigten in Deutschland. Die Gleichbehandlung ist somit auch in diesem Bereich gewährleistet. Zu Protokoll gegebene Reden Ihre Forderung, die Situation von Hausangestellten in Diplomatenhaushalten zu verbessern, scheint ebenfalls die Realität auszublenden. Es ist nämlich Usus, dass die Vertreter der diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsverträge mit ihren Hausangestellten abschließen, die selbstverständlich den geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Anforderungen entsprechen müssen. Bereits vor der Einreise des Personals werden diese Verträge auf die Einhaltung dieser Vorschriften überprüft. Unregelmäßigkeiten können auf diese Art und Weise schon im Vorfeld einer Beschäftigung festgestellt und verhindert werden. Darüber hinaus finden im Rahmen der Verlängerung von Protokollausweisen jährliche Kontrollen statt. Sogar persönliche Gespräche werden mit den Hausangestellten geführt. Die Tatsache, dass selbst in einem solch überschaubaren Anwendungsbereich ein so hervorragendes Netz an Schutzvorschriften und -maßnahmen besteht, belegt eindrucksvoll, dass in diesem Bereich kein zusätzlicher Handlungsbedarf besteht. Das müssten eigentlich auch Sie, meine verehrten Damen und Herren der SPD-Fraktion und vonseiten der Grünen, erkennen. Lassen Sie uns noch die letzten Schritte auf dem Weg zur Ratifizierung gehen, um auch formal alles Erforderliche getan zu haben. Materiell herrschen bereits jetzt vorbildliche Zustände hierzulande, die natürlich auch von den Arbeitgebern so einzuhalten und umzusetzen sind. Wir werden jedenfalls mit der baldigen Ratifizierung des Gesetzes wieder einmal mit gutem Beispiel vorangehen und für viele andere Länder damit ein Zeichen setzen, sich diesem anzuschließen.

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich, dass wir heute über die Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 189 über die Arbeitsbedingungen von Hausangestellten entscheiden. Wir Sozialdemokraten hatten in einem gemeinsamen Antrag mit den Grünen bereits im vergangenen Jahr gefordert, dass das Übereinkommen in Deutschland so schnell wie möglich ratifiziert und umgesetzt wird. Es ist gut, dass die Bundesregierung unserer rot-grünen Forderung nachgekommen ist. Ich war 2011 auf der ILO-Konferenz in Genf, als das Übereinkommen dort verabschiedet wurde. Es war eine große Freude von allen Frauen im Saal, die lange für ein solches Übereinkommen gekämpft hatten. Wir müssen uns bewusst sein, welche Bedeutung dieses Übereinkommen hat und welch ein Erfolg es ist, dass wir dieses Übereinkommen heute ratifizieren. Das Übereinkommen ist ein Meilenstein; denn erstmals wird Hausarbeit gleichgestellt mit regulärer Erwerbsarbeit. Wir brauchen auch in Haushalten gute und faire Arbeitsbedingungen - weltweit, aber auch hier in Deutschland. Denn es ist nicht so, dass bei uns alles im grünen Bereich ist. Wir Sozialdemokraten haben im vergangenen Sommer eine Kleine Anfrage zu Hausangestellten in Diplomatenhaushalten gestellt. In unserem Land passiert hier immer wieder Missbrauch; denn durch die Immunität der Diplomaten gibt es einige - nicht viele, aber doch ein paar -, die dies ausnutzen und den Hausangestellten grundlegende Rechte verwehren. Es gibt immer wieder Presseberichte über Frauen, die keinen Lohn erhalten, nicht aus dem Haus gelassen werden und die keinerlei Freizeit haben. Wir sollten die heutige Ratifizierung des ILO-Übereinkommens zum Anlass nehmen, hier zu handeln. Beispielsweise sollten wir überlegen, die Regelung einzuführen, dass Hausangestellte bei der Abholung und Verlängerung ihrer Protokollausweise im Auswärtigen Amt persönlich erscheinen müssen. Zudem brauchen wir mehrsprachiges und besseres Informationsmaterial, mit dem Hausangestellte über ihre grundlegenden Rechte informiert werden. Die Arbeit von Hausangestellten wird in unserer Gesellschaft leider oft nicht genug wertgeschätzt. Dumpinglöhne sind auch in diesem Bereich an der Tagesordnung. Wir Sozialdemokraten setzen uns daher für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn als Lohnuntergrenze und für einen allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Hausangestellte ein. Denn gerade weil die Arbeit der Hausangestellten in den Privathaushalten oft „unsichtbar“ ist, brauchen wir eine angemessene Wertschätzung der Arbeit. Lassen Sie uns die Ratifizierung zum Anlass nehmen, um über die Situation von Hausangestellten in Deutschland nachzudenken und um Missbrauch besser als bisher zu verhindern. Für uns Sozialdemokraten ist das Übereinkommen mit der heutigen Ratifizierung nicht abgehakt, sondern die eigentliche Arbeit beginnt erst. In unserem Antrag zeigen wir auf, in welchen Bereichen etwas geschehen muss. Hier müssen wir weiterarbeiten. Darum werden wir Sozialdemokraten uns kümmern und die Bundesregierung an die Verpflichtungen, die aus dem Übereinkommen erwachsen, erinnern.

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vor fast genau zwei Jahren hat die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, das Übereinkommen Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte verabschiedet. Damit wurden erstmals internationale Standards für Beschäftigte im informellen Sektor verbindlich vereinbart. Heute - vier Wochen vor dem Internationalen Tag der Hausangestellten - legt die Bundesregierung dem Bundestag dieses ILO-Übereinkommen zur Ratifizierung vor und erfüllt damit die zentrale Forderung der SPD-Fraktion aus dem gemeinsamen Antrag mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bereits im November letzten Jahres hatten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung aufgefordert, das Übereinkommen schnell zu ratifizieren. Der parlamentarische Druck hatte Erfolg und zeigt, dass die Bundesregierung und die Koalition die Handlungsnotwendigkeit erkannt haben. Zu Protokoll gegebene Reden Karin Roth ({0}) Die ILO-Konvention zum Schutz von Hausangestellten hat ganz große Bedeutung in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dort sind vor allem Mädchen und Frauen von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen betroffen. Es ist kein Geheimnis, dass aufgrund des oft engen persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses sehr häufig Arbeits- und Menschenrechte von Hausangestellten verletzt werden. Ich nenne hier nur extrem lange Arbeitszeiten ohne Pausen, die Einbehaltung von Lohn sowie körperlichen und sexuellen Missbrauch. Sklavenarbeit ist keine Seltenheit. Eine aktuelle Studie der ILO aus dem Januar 2013 zeigt auf, wie prekär die Lage von Hausangestellten mitunter ist und wie dringend notwendig die ILONorm ist. Ein paar Fakten dazu: Über 53 Millionen Menschen auf der Welt arbeiten als Hausangestellte. 83 Prozent davon sind Frauen und junge Mädchen. Diese Zahlen beruhen auf offiziellen Erhebungen in 117 Ländern - mit der Folge, dass Kinder nicht mitgezählt werden, obwohl in diesem Bereich Kinderarbeit nicht selten ist. Seriöse Schätzungen gehen daher davon aus, dass tatsächlich bis zu 100 Millionen oder bis zu 10 Prozent der arbeitenden Menschen in Entwicklungsländern als Hausangestellte arbeiten - vielfach im informellen Sektor. 30 Prozent aller Hausangestellten sind daher vollständig von der nationalen Arbeitsgesetzgebung ausgenommen. Das führt unter anderem dazu, dass 45 Prozent dieser Menschen nicht einmal das Anrecht auf einen freien Tag in der Woche haben. Geregelte Arbeitszeiten - Fehlanzeige! Die Menschen schuften nahezu rund um die Uhr. Auch der Zugang zu Systemen der sozialen Sicherung ist ihnen in der Regel verschlossen. In Lateinamerika verfügen beispielsweise rund 75 Prozent aller Hausangestellten über keinerlei soziale Sicherung. Durch soziale Sicherungssysteme wie Bolsa Familia in Brasilien konnten in den letzten Jahren gerade in Lateinamerika deutliche Verbesserungen erreicht werden. Und genau hier setzt die Konvention Nr. 189 an. Künftig sollen Hausangestellte die gleichen sozialen Rechte haben, die auch für alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten - einschließlich des Mutterschutzes. Es ist besonders erfreulich, dass mittlerweile sechs Länder die Konvention ratifiziert haben: Uruguay, Philippinen, Mauritius, Nicaragua, Bolivien - und als erstes europäisches Land auch Italien. Damit kann das Übereinkommen am 5. September 2013 in Kraft treten. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nun auf die Schulter klopfen und anschließend die Hände in den Schoß legen können. Im Gegenteil: Jetzt muss die Konvention weiter verbreitet und mit Leben erfüllt werden. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass Hausangestellte die gleichen Rechte bekommen wie Beschäftigte im formellen Sektor. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Abschaffung von Kinderarbeit, den Schutz vor Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel, den Zugang zur sozialen Sicherung, geregelte Arbeitszeiten, Pausenregelungen, faire Entlohnung, die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und ganz wichtig - um staatliche Kontrollen der Arbeitsbedingungen. Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 189 bei uns leisten wir auch ganz konkret einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Entwicklungsländern. Warum? Mehr als 170 Millionen Menschen aus Entwicklungsländern arbeiten im Ausland. Das sind beachtliche 6,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung, darunter auch sehr viele Hausausangestellte. Diese Migranten leisten einen Entwicklungsbeitrag durch Einkommensrücküberweisungen, indem sie den Lebensunterhalt dort mitfinanzieren. Dazu gehören auch die Ausbildung ihrer Kinder und die Unterstützung der Gesundheitsleistungen. Die Ratifizierung dieser ILO-Norm durch die Bundesrepublik Deutschland hat somit unmittelbare Auswirkungen auf die sozio-ökonomischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern und ist zudem ein wichtiges Signal an die internationale Staatengemeinschaft. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf: Setzen Sie sich auf internationaler und europäischer Ebene dafür ein, dass möglichst viele Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer die Konvention ratifizieren und diese in nationales Recht umsetzen.

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir alle begrüßen die Ziele des ILO-Übereinkommens zur Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit für Hausangestellte. Dass wir heute mit dem voraussichtlichen Beschluss des Vertragsgesetzes die Voraussetzungen schaffen, die nach Art. 59 des Grundgesetzes für die Ratifikation des Übereinkommens notwendig sind, ist ein schöner Anlass für einhellige Freude, die es ja so in dieser breiten Übereinstimmung jetzt nicht immer im Plenum des Deutschen Bundestags gibt. Ich danke allen für die Zustimmung, je breiter ein solches Vorhaben vom Parlament getragen wird, desto besser. Die Ratifikation und damit die völkerrechtlich abschließende Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland ist auch ein wichtiges internationales Zeichen. In vielen Ländern fehlen feste Regeln für Hausangestellte, und wo es sie gibt, werden sie nicht immer beachtet. Auch hier gilt: Je breiter die Unterstützung ist, je mehr Länder sich dem Übereinkommen anschließen, desto besser. Außerdem ist es erfreulich, dass breite Einigkeit darüber besteht, dass die Standards in Deutschland bereits erfüllt sind und wir keinen gesetzlichen Handlungsbedarf haben, weil für Hausangestellte in der Bundesrepublik, wie generell für alle Angestellten in Zu Protokoll gegebene Reden Johannes Vogel ({0}) der Bundesrepublik, schon ein hohes arbeitsrechtliches Schutzniveau gilt. Auch ich zitiere hier gerne noch einmal aus dem Gutachten der Böckler-Stiftung: „Insgesamt entspricht das deutsche Recht den Mindestvorgaben der Konvention. Ein Anpassungsbedarf besteht nicht.“ So, und die Böckler-Stiftung ist ja nicht gerade als arbeitgebernah verschrien. Eigentlich schade, dass Sie das Verfahren dann noch einmal nutzen, um einige ziemlich sachfremde Aspekte mit hereinzunehmen, die viel mit Ihren Wahlprogrammen gemein haben. Sie fordern neben der Ratifizierung des ILO-Übereinkommens zum Beispiel auch noch die Bekämpfung der Schwarzarbeit in Privathaushalten und die Einführung eines flächendeckenden politischen Einheitsmindestlohns in Höhe von 8,50 Euro. Nun hat ja, wie gesagt, Deutschland die Ratifizierung bereits eingeleitet: Das entsprechende Gesetz beraten wir gerade abschließend. Und auch Sie hätten einfach anerkennen können, dass die deutsche Gesetzeslage bereits den Vorgaben der Konvention entspricht. Sowohl vom Bundesrat als auch von den bei den Verhandlungen des Übereinkommens beteiligten Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften wird diese Auffassung geteilt. Jetzt in ihrem Antrag wieder mit Ihrer altbekannten Forderung nach einem politischen Einheitsmindestlohn anzukommen, ist wirklich nicht nötig. Zum Abschluss möchte ich außerdem meinen hoch, ach was, höchst geschätzten Kollegen Dr. Heinrich Leonhard Kolb zitieren, der sich zur ersten Beratung Ihres Antrags wie folgt eingelassen hat: „In einem Punkt widersprechen Sie allerdings allen Ihren bisherigen Äußerungen: Sie fordern zwar die Verstärkung von Anreizen, um bisher schwarz geführte Hausarbeit zu legalisieren. Auf der anderen Seite verteufeln Sie aber alle Flexibilisierungselemente auf dem Arbeitsmarkt und haben unsere Verbesserungen bei den Minijobs - das ideale Instrument für Hausangestellte, die bei verschiedenen Arbeitgebern arbeiten! - strikt abgelehnt. Denn gerade die Erleichterungen für Hausangestellte machen es doch erst attraktiv für einen Privathaushalt, der jemanden nur für wenige Stunden in der Woche oder im Monat beschäftigt, ihn bei der Minijobzentrale anzumelden und Sozialabgaben zu zahlen. Das sind bereits starke Anreize. Dass diese Anreize noch mehr kommuniziert werden können - da stimme ich gerne mit Ihnen überein. Die Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist kein Kavaliersdelikt. Damit wir Schwarzarbeit legalisieren, müssen Sie Ihr Sperrfeuer gegen die Minijobs einstellen. Weiter gehende Anreize brauchen wir nicht. Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen.“ Dem ist - aus Ihrer Sicht vielleicht leider, aus meiner Sicht aber wie so oft bei Zitaten von Dr. Heinrich Leonhard Kolb - wirklich nichts hinzuzufügen. Ich bin gespannt darauf, ob Sie so fair sind, uns im Wahlkampf ausdrücklich für unsere Neuregelung der Minijobs zu loben, mit der wir nicht nur die rentenrechtliche Absicherung deutlich verbessert haben - gerade für geringfügig Beschäftigte in Haushalten -, sondern mit der wir auch effektiv etwas gegen Schwarzarbeit erreicht haben, weil die Entgeltgrenze angehoben wurde.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Fast zwei Jahre nachdem die Vollversammlung der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, das Übereinkommen 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte verabschiedet hat, hat nun auch die Bundesregierung die Prüfung zur Ratifizierung des Übereinkommens abgeschlossen. Mit der heutigen Beratung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung schaffen wir abschließend die Voraussetzung zur Ratifizierung des Abkommens. Um das klar zu sagen: Das ist allerdings nicht allein ein Verdienst der Bundesregierung, sondern vor allem ein Verdienst zahlreicher Initiativen und Verbände, die sich vehement für eine rasche Ratifizierung des ILOÜbereinkommens eingesetzt haben. Sie waren es, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Deutschland zu den ersten europäischen Ländern gehört, in dem die Konvention verbindlich wird. Das ist auch bitter nötig: Nach der im Januar von der ILO vorgestellten Studie, die erstmals das Ausmaß und die Situation von Hausangestellten untersucht hat, gibt es weltweit mindestens 52 Millionen Hausangestellte. Die Studie soll zukünftig die Grundlage dafür schaffen, wie die Situation für diese Menschen verbessert werden kann. Allein für Deutschland geht das Statistische Bundesamt von rund 712 000 Hausangestellten aus. Allerdings dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen: So geht der Deutsche Gewerkschaftsbund davon aus, dass rund 2,6 Millionen deutsche Haushalte regelmäßig Hausangestellte auf Teilzeitbasis beschäftigen. Ein großer Teil arbeitet schwarz. Wir müssen feststellen, dass die Strategie zur Legalisierung und zur Einhaltung von Arbeitsrechten haushaltsnaher Dienste in Deutschland bisher nicht sonderlich erfolgreich war. Besonders betroffen sind Frauen aus Polen und anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, die über dubiose Vermittlungsagenturen angeheuert in der 24-Stunden-Pflege tätig sind und in häuslicher Gemeinschaft mit ihrem Arbeitgeber leben. Gerade hier werden arbeitsrechtliche Bestimmungen massenhaft missachtet. Vor allem Arbeitszeitstandards werden nicht eingehalten, die Privatsphäre wird nicht geachtet, oft fehlen Arbeitsverträge oder Löhne werden vorenthalten. Gleichwohl hat die Bundesregierung eine entscheidende Abweichung in ihrem Gesetzentwurf vorgenommen: Sie interpretiert das Übereinkommen so, dass die 24-Stunden-Pflege vom ILO-Abkommen nicht erfasst ist. Damit bleibt der „graue Pflegemarkt“ auch weiterhin unreguliert. Die quasi rechtlose Lage der 24-Stunden-Pflegenden wird so zementiert. Die Betroffenen - und hier meine ich nicht nur die HausangeZu Protokoll gegebene Reden stellten, sondern auch die Angehörigen von zu pflegenden Menschen, die oftmals mit der Situation völlig überfordert sind - werden von der Bundesregierung weiterhin im Stich gelassen. Aus unserer Sicht ein inakzeptabler Zustand! Hier haben Sie sich einen schlanken Fuß gemacht. Gerade für Menschen in der 24-Stunden-Pflege brauchen wir vergleichbare arbeitsschutzrechtliche Regelungen, wie sie für alle anderen Beschäftigten auch gelten. Nichtsdestotrotz bietet die Ratifizierung dennoch Entwicklungsmöglichkeiten gerade für diese Beschäftigtengruppe, die ohne die Gültigkeit des Abkommens für Deutschland nicht vorhanden wären, ein nicht zu unterschätzender Fortschritt: Mit der Ratifizierung gelangt die Praxis des jeweiligen Landes in den Überwachungsmechanismus der ILO und erlaubt so den Sozialpartnern, auf die Bewertung der Rechtslage und der Praxis Einfluss zu nehmen sowie den Rechtsweg zu beschreiten. Das Beispiel des „grauen Pflegemarktes“ zeigt: Ausbeutung und der Missbrauch der Rechte von Hausangestellten ist auch in Deutschland kein Einzelfall. Hier steckt die Bundesregierung den Kopf in den Sand. Die Hans-Böckler-Stiftung hat bereits im Mai 2012 festgestellt, dass „nach der Ratifikation noch Schritte zur vollständigen Verwirklichung der Konventionsrechte vorgenommen werden müssten“. Wer also glaubwürdig sein und ein solches Abkommen mit Leben füllen will, muss an der eigenen Haustür anfangen. Das heißt, dass wir auch bei uns vor Ort für faire und gute Arbeitsbedingungen sorgen müssen. Insofern bieten der gemeinsame Antrag der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen dafür eine gute Vorlage, auf der Strecke noch weiter tätig zu werden. Dies gilt auch für ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, der, um wenigstens nach 45 Versicherungsjahren einen Rentenanspruch oberhalb der Grundsicherung zu erwerben, nach unserer Auffassung bei mindestens 10 Euro liegen müsste.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dem Deutschen Bundestag bleiben nur noch wenige Sitzungswochen, um wichtige Beschlüsse zu fassen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat viel angekündigt, aber wenig auf den Weg gebracht. Stattdessen wurde viel Zeit damit vertan, unwichtige und unsinnige Dinge zu beschließen - wie das Betreuungsgeld. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf, um den es heute geht, umso mehr zu begrüßen. Denn die Ratifizierung des ILO-Übereinkommens über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte ist wichtig und richtig. Der Gesetzentwurf wird daher unsere volle Zustimmung erhalten. Das Übereinkommen mit der Nummer 189 ist eine große Errungenschaft. Es wirft ein wenig Licht auf die oft unsichtbare und unterbezahlte Arbeit der Hausangestellten überall auf der Welt. Den Beschäftigten - meist sind es Frauen, oft Migrantinnen - werden endlich Rechte eingeräumt, die sie vor Missbrauch, Diskriminierung und Ausbeutung schützen. Deswegen ist es wichtig, dass das Übereinkommen von möglichst vielen Staaten der Welt unterzeichnet wird. Gerade die Industrienationen und unter ihnen wiederum in besonderem Maße Deutschland könnten und sollten bei Mindeststandards für ihre Beschäftigten mit gutem Beispiel vorangehen. Wie so oft gilt: Was wir selbst nicht bereit sind zu leisten, das können wir schlecht von anderen verlangen. Deshalb ist es entscheidend, dass die Bundesrepublik Deutschland soziale und ökologische Kriterien ernst nimmt. Deswegen ist es zwingend, dass Texte, die auf internationalen Konferenzen unterzeichnet wurden, auch möglichst zügig in nationales Recht umgesetzt werden. Aus diesem Grund hat meine Fraktion gemeinsam mit der SPD einen Antrag eingebracht, um das ILOÜbereinkommen zügig zu ratifizieren und die nationale Gesetzgebung an die Erfordernisse des Abkommens anzupassen. Über diesen Antrag haben wir Ende November im Bundestag beraten zu einem Zeitpunkt, als nur Uruguay, die Philippinen und Mauritius bereits ratifiziert hatten. Mittlerweile sind Nicaragua und Bolivien dazugekommen. Von allen entwickelten Industrieländern, von allen EU-Staaten hat bisher nur Italien das Übereinkommen ratifiziert - im Januar dieses Jahres. Es wird Zeit, dass sich diese noch viel zu kurze Liste um Deutschland verlängert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der erste Teil unseres Antrags erfüllt. Da der Bundesrat keine Einwendungen erhebt, liegt es jetzt am Deutschen Bundestag, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit das Übereinkommen formal in Kraft treten kann. Wir werden zustimmen. Als kritisch sehen wir jedoch die Einschätzung der Bundesregierung, dass Ergänzungen der innerstaatlichen gesetzlichen Vorschriften nicht erforderlich seien. So einfach kann es sich der Gesetzgeber dann doch nicht machen, wenn er den Inhalt des ILO-Übereinkommens wirklich ernst nimmt. Denn es gibt Handlungsbedarf auch in Deutschland, Verbesserungsbedarf für die Situation der rund 250 000 angemeldeten Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten, Reformbedarf für die geschätzten rund vier Millionen informell beschäftigten Hausangestellten. Allein schon diese riesige Spannweite zwischen der offiziell gemeldeten und der geschätzten tatsächlichen Zahl von in Deutschland beschäftigten Hausangestellten macht klar: Ein zu eng gefasster Ansatz, der rein auf die formalen Regelungen schaut, geht an den tatsächlichen Schutzbedürfnissen der Betroffenen vorbei. Die Grauzone und Dunkelziffer sind gerade bei Hausangestellten so groß wie in kaum einem anderen Beschäftigungsbereich. Aus gutem Grund haben wir in unserem Antrag auch eine Aufklärungskampagne über die Rechte der Beschäftigten vorgeschlagen, die Rücksicht auf die sprachlichen Barrieren der Hausangestellten mit Migrationshintergrund nimmt. Es genügt schließlich Zu Protokoll gegebene Reden nicht, auf bestehende Rechtsnormen zu verweisen, wenn diese Rechtsnormen zu wenig bekannt sind, zu wenig umgesetzt und überwacht werden und zu wenig Beachtung in der Praxis finden. Auch bei der Frage der Entlohnung genügt es nicht, auf die bestehende Rechtslage zu verweisen. Es ist und bleibt ein Mangel, dass es in Deutschland keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt und auch keinen branchenspezifischen Mindestlohn für gewerbliche Arbeit innerhalb von privaten Haushalten. Es ist ein Mangel, dass pflegende Hausangestellte, die in der Theorie vom Branchen-Mindestlohn für die Pflege profitieren müssten, diesen in der Praxis meistens nicht durchsetzen können - sofern sie überhaupt davon wissen. Die ungeregelte Entlohnung ist und bleibt für uns ein zentraler Kritikpunkt. Wir kritisieren auch, dass Minijobs sozial schlecht abgesichert sind, eine arbeitsmarktpolitische Sackgasse darstellen und dringend reformiert werden müssen. Das betrifft auch in ganz besonderem Maße Hausangestellte, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen angestellt sind. Alle diese Mängel und Kritikpunkte wird der Gesetzgeber angehen müssen. Sie stehen formal der Ratifizierung jedoch nicht im Weg. Deswegen stimmen wir dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu und sind froh über eine rasche Umsetzung des ILO-Übereinkommens 189. Die Zustimmung in Deutschland ist ein wichtiges Signal für andere Staaten der Welt und ein bedeutender Schritt nach vorne. Dieser Erfolg darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit dem vorliegenden Gesetz alleine noch nicht getan ist. Es sind noch gesetzgeberische Hausaufgaben zum Schutz für die Hausangestellten zu leisten. Spätestens der nächste Bundestag wird sich erneut mit diesem Themenbereich beschäftigen müssen. Anregungen und Hilfestellungen haben wir mit unserem Antrag geliefert.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13303, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12951 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? - Es erhebt sich niemand. Enthaltungen? - Es erhebt sich auch niemand. So ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/13303 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11370. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen infolgedessen niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken - Drucksachen 17/12389, 17/12906 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In Ihrem Antrag „Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken“ vertritt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Auffassung, die Regelbedarfe im SGB II und SGB XII seien fehlerhaft berechnet. Der Antrag ist ein Sammelsurium altbekannter und bereits im Rahmen zahlreicher anderer Anträge diskutierter Forderungen nach dem Erlass eines Sanktionsmoratoriums, der Einführung einer vertikalen Einkommensanrechnung und einer Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Entgegen Ihrer Auffassung sind die Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene verfassungsgemäß. Sie wurden in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren ermittelt. Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und des SGB XII sind wir der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, eine transparente Berechnung des Regelbedarfs bzw. eine nachvollziehbare Begründung zu liefern. Die Ermittlung von Regelbedarfen dient der Bestimmung der Leistungshöhe für die Gewährleistung des verfassungsrechtlich garantierten menschenwürdigen Existenzminimums. Bei der hierfür erforderlichen Erhebung einer geeigneten Datenbasis, die eine möglichst genaue Bedarfsermittlung zulässt, hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ausdrücklich einen Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Regelbedarfe orientieren sich am Lebensstandard einkommensschwacher Haushalte. Der materielle Lebensstandard hängt im Wesentlichen vom verfügbaren Nettoeinkommen dieser Haushalte ab und manifestiert sich in deren Konsumausgaben. Die im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erhobenen Verbrauchsausgaben für alle regelbedarfsrelevanten Güter und Dienste von Haushalten mit niedrigem Einkommen bilden hierfür die Referenzgruppe. Die jährlich erfolgende Fortschreibung der Regelbedarfe berücksichtigt zudem die Preis- und Lohnentwicklung. Der monatliche pauschale Regelbedarf umfasst beispielsweise Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Energie, Bedarfe des täglichen Lebens sowie Bedarfe für Beziehungen zur Umwelt und Teilnahme am kulturellen Leben. Über die tatsächliche Verwendung dieses Pauschalbetrages entscheidet der Leistungsberechtigte eigenverantwortlich nach seinen individuellen Bedürfnissen. In seinem Urteil vom 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht neben der Auskömmlichkeit der Regelsätze des SGB XII und SGB II auch die Anwendung der zugrunde liegenden Statistik als geeignet und realitätsnah bezeichnet. Auch das von Ihnen geforderte Sanktionsmoratorium erachten wir als nicht zielführend. Mit dieser Forderung verkennen Sie die Grundprinzipien des Förderns und Forderns im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. All denjenigen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst oder durch Unterstützung Dritter sichern können, wird nach dem verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsprinzip ein physisches und soziokulturelles Existenzminimum garantiert. Dies bedeutet, dass jedem Leistungsberechtigten diejenigen materiellen Voraussetzungen zugesichert werden, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Der Staat gewährleistet demnach nicht nur eine bloße Sicherung der physischen Existenz in einer Notlage, sondern er sichert auch ein soziokulturelles Existenzminimum sowie einen Schutz vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung. Mit dieser von der Solidargemeinschaft durch Steuern finanzierten Hilfe ist selbstverständlich auch die Erwartung verbunden, dass jeder erwerbsfähige Leistungsberechtigte alle zumutbaren Maßnahmen zur Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit ausschöpft. Nach dem in § 2 SGB II festgelegten Grundsatz des Forderns hat sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht nur vorrangig und eigeninitiativ um die Beendigung seiner Hilfebedürftigkeit zu bemühen, sondern auch aktiv und kooperativ an allen Maßnahmen mitzuwirken, die seine zügige Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fördern. Wird diesen bestehenden Obliegenheiten ohne wichtigen Grund nicht nachgekommen, so kann dies gemäß § 31 SGB II Sanktionen in Form einer Minderung oder des Wegfalls der Leistung zur Folge haben. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass sich die überwiegende Mehrheit der Leistungsbezieher äußerst engagiert zeigt und auch zügig wieder in Beschäftigung kommen möchte. Die von Ihnen ständig kritisierten Sanktionen betrafen im vergangenen Jahr beispielsweise nur etwa drei Prozent aller Leistungsberechtigten. Von den verhängten Sanktionen waren über zwei Drittel auf Meldeversäumnisse zurückzuführen - wenn also beispielsweise ein vereinbarter Termin mit dem Jobcenter nicht eingehalten wurde. Auch die Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Einkommen vielleicht nur knapp oberhalb der Transferleistungen liegt, finanzieren durch ihre Beiträge diese Leistungen mit. Und daher ist es doch nur recht und billig, wenn wir bei der Vergabe dieser durch die Solidargemeinschaft finanzierten Fürsorgeleistung auch eine gewisse Eigeninitiative und Kooperationsbereitschaft verlangen. Mit Blick auf die gegenwärtige Lage am deutschen Arbeitsmarkt lässt sich feststellen, dass die Voraussetzungen, wieder zügig in Beschäftigung zu gelangen, so gut sind wie nie zuvor. Wir haben so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie nie zuvor, die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und im europaweiten Vergleich mit Abstand die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Im Zuge des demografischen Wandels und des gestiegenen Fachkräftebedarfs sind und werden die Chancen auf unserem robusten und stabilen Arbeitsmarkt auch in Zukunft besser denn je sein, wieder rasch den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Bei der in Ihrem Antrag weiter geforderten umfassenden Öffnung der Sozialleistungen für arbeitsuchende Bürger aus anderen EU-Staaten sowie der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist zunächst einmal festzuhalten, dass alle Menschen, die aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt werden, ein in Art. 16 a des Grundgesetzes verankertes Recht auf Asyl haben. Menschen, die unseren Schutz benötigen, können sich darauf verlassen, dass ihnen auch geholfen wird. Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt für alle Asylsuchenden ein menschenwürdiges Dasein sicher und wird dies auch in Zukunft tun. Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes wird die Bundesregierung eine verfassungskonforme, ableitbare, transparente und realitätsgerechte Neuregelung erarbeiten. Der notwendige Lebensbedarf einschließlich Unterbringung, erforderliche medizinische Behandlungen sowie auch etwaige persönliche Bedürfnisse - wie etwa die von Kindern - wird sichergestellt. Aber, meine Damen und Herren, das verfassungsrechtlich verankerte Asylrecht soll weder wirtschaftliche noch soziale Unterschiede ausgleichen und hierdurch die missbräuchliche Inanspruchnahme fördern, sondern es soll umfassenden Schutz vor Verfolgung jeglicher Art sichern. Anreize für das Ausnutzen des deutschen Sozialsystems dürfen hier nicht gesetzt werden. Zu Protokoll gegebene Reden Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 das Asylbewerberleistungsgesetz als eigenes Konzept verfassungsrechtlich nicht beanstandet hat. Wer in unserem Land in eine Notlage geraten ist, die er aus eigener Kraft nicht bewältigen kann, ist auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen und bekommt diese auch. Niemand wird in unserer Gesellschaft zurück- oder alleingelassen, und jeder soll trotz Notsituation ein menschenwürdiges Leben führen können. Diese Hilfe soll nicht nur Armut verhindern, sondern dem Empfänger auch eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen. Sie soll ihn aber auch in die Lage versetzen, sein Leben möglichst bald wieder aus eigener Kraft zu gestalten. Deshalb haben die Regelungen zur Stärkung dieser Selbsthilfe besondere Bedeutung. Es gibt weder eine rechtliche Verpflichtung noch ist es Aufgabe des Staates, auch denjenigen Leistungen zur Existenzsicherung zu garantieren, die sie infolge der eigenen Einkommens- und Vermögenssituation nicht nötig haben.

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vorweg eine Klarstellung: Anders als es der vorliegende Antrag zu vermitteln versucht, ist eine soziokulturelle Teilhabe über die Grundsicherung für Arbeitssuchende und die Regelsatzberechnung im SGB II wie auch im SGB XII in Deutschland verfassungskonform sichergestellt. Dazu ein Blick zurück: Vor zehn Jahren hatte sich eine breite Mehrheit dieses Hauses auf eine gemeinsame Formel verständigt - und zwar auf das Prinzip des Förderns und Forderns. Uns einte die feste Überzeugung, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vor allem auch über den Zugang zum Arbeitsmarkt hergestellt werden kann bzw. muss. Deshalb hatte der Bundestag neue Wege beschritten und mit der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wieder vielen Menschen Zugang zu den Förderinstrumenten des Arbeitsmarktes verschafft. Heute können wir die Ernte einfahren: auf dem Arbeitsmarkt herrscht Rekordbeschäftigung, die Arbeitslosenquote ist massiv zurückgegangen, die Quote der Jugendarbeitslosigkeit ist so niedrig wie in keinem anderen europäischen Land. Man muss es einfach immer wieder betonen: Wir sind arbeitsmarktpolitisch auf einem guten und richtigen Weg. Richtig ist allerdings auch, dass es ein absolut perfektes Gesetz angesichts der Komplexität der Materie nicht geben kann. Das bedeutet auch, dass dort, wo Probleme zutage treten, korrigierend eingegriffen werden muss. Genau das hat die Koalition in den vergangenen drei Jahren immer wieder getan. Ich möchte an die Regelsatzreform, die Jobcenter-Reform oder an die Instrumentenreform erinnern. All dies war notwendig, um das „lebendige System“ der sozialen Sicherung in Deutschland zu erhalten und nachzubessern. So sollten wir auch weiterhin verfahren. Die von den Grünen vorgeschlagenen Veränderungen reichen jedoch weit über den Charakter von Korrekturen hinaus. Sie stellen vielmehr das grundlegende Prinzip infrage. Insbesondere in folgenden drei Punkten wird dies deutlich: Erstens. Sie fordern ein Sanktionsmoratorium. Ein Sanktionsmoratorium aber widerspricht dem Grundsatz des Förderns und Forderns. Mehr als 95 Prozent der Leistungsbezieher halten sich an die Regeln und sind deshalb folgerichtig nicht von Sanktionen betroffen. Leistungsminderungen wegen einer Pflichtverletzung treten immer nur bei der Person ein, bei der das Fehlverhalten vorliegt. Auch im Sanktionsfall wird dieser Person ein menschenwürdiges Existenzminimum über Sachleitungen gesichert. Damit entspricht die Sanktionspraxis dem grundlegenden Prinzip des Sozialstaats: eigene Anstrengungen einerseits und staatliche Fürsorge andererseits. Zweitens. Sie fordern eine individuelle Einkommensrechnung bei Bedarfsgemeinschaften. Konkret heißt es, dass Väter oder Mütter, die ein persönlich bedarfsdeckendes Einkommen erzielen, das nicht ausreicht, um die gesamte Familie zu ernähren, aus der Bedarfsgemeinschaft herauszurechnen sind. Damit aber würde das Konzept der Bedarfsgemeinschaft ad absurdum geführt. Das Konzept der Bedarfsgemeinschaft folgt dem Prinzip der Subsidiarität, wonach Familien und Lebensgemeinschaften füreinander einstehen. Es ist darauf ausgerichtet, dass allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft der Zugang zur aktiven und passiven Arbeitsmarktförderung gewährt und damit eine Chance gegeben wird, aus der Grundsicherung herauszukommen. Ihr Vorschlag käme damit einer Abkehr vom Prinzip der Bedarfsgemeinschaft gleich. Drittens. Sie fordern eine Öffnung der Sozialsysteme für arbeitsuchende Unionsbürger. Eine solche Öffnung würde jedoch dazu führen, den Zuzug in die Sozialsysteme massiv zu befördern. Damit laufen wir Gefahr, den Sozialstaat auf Dauer zu überfordern und ihn in seiner jetzigen Form zu beschädigen. Das kann niemand wirklich wollen. Daher setzt diese Koalition auf eine zielgerichtete, qualifizierte Arbeitsmigration. Die CDU/CSU-Fraktion wird aus den genannten Gründen den vorliegenden Antrag nicht unterstützen und folgt der Beschlussempfehlung des Ausschusses zur Ablehnung.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute einen Antrag der Grünen, der zu Recht - auf bestehende Defizite bei der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums hinweist. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stimmen mit dem Ziel des Antrags überein: Es muss in Deutschland eine ordentliche Existenzsicherung für alle Menschen geben! Dafür haben wir uns immer eingesetzt und werden dies auch weiterhin tun. Zu Protokoll gegebene Reden Wir haben dabei auch Unterstützung von unseren obersten Richterinnen und Richtern. So besagt das Regelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 im Kern: Jeder Mensch in Deutschland hat einen Rechtsanspruch auf ein menschenwürdiges physisches und soziokulturelles Existenzminimum, das transparent und nachvollziehbar ermittelt wird. Und wie wurde dieses Urteil von Schwarz-Gelb umgesetzt? Die eigentlich zuständige Sozialministerin von der Leyen hat verkündet, was Finanzminister Schäuble vorher berechnet hat. Das ist Existenzminimum nach Kassenlage. Also wurde an den Berechnungen so lange herumgedoktert und Positionen aus dem Existenzminimum herausgerechnet, bis das Ergebnis CDU/CSU und FDP gepasst hat. Heraus kamen minimale Erhöhungen für Erwachsene und sogar niedrigere Sätze für Kinder. Großzügigerweise hat man das Existenzminimum für Kinder nicht gesenkt. Aber die jährlichen Anpassungen wurden so lange ausgesetzt, bis sie ausgeglichen waren. Somit wurde doch gekürzt. Wir sind überzeugt, dass die neu berechneten Regelsätze nicht verfassungsfest sind. Leider haben die Bundesregierung sowie CDU/CSU und FDP bei den Verhandlungen unsere und die von der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken ignoriert. Im Vermittlungsverfahren haben wir in anderen Bereichen wichtige Fortschritte erreicht, sodass wir in der Gesamtabwägung letztendlich zähneknirschend zugestimmt haben. Wir konnten durchsetzen, dass rund 500 000 Kinder von Wohngeld- und KinderzuschlagsEmpfängern und -Empfängerinnen auch ein Recht auf das Bildungs- und Teilhabepaket haben. Für unsere klammen Städte und Gemeinden haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Entlastung um etwa 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich erreicht, da der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schrittweise und ab 2014 vollständig übernimmt. Außerdem konnten wir für die Leiharbeit, die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungen Branchenmindestlöhne aushandeln. Mittlerweile hat das Berliner Sozialgericht unsere Kritik bestätigt, dass die Regelsätze nach einem fehlerhaften, noch dazu willkürlichen Verfahren ermittelt wurden. Das Bundesverfassungsgericht muss das nun erneut überprüfen. Auch bei der inhaltlichen Kritik gibt uns das Berliner Sozialgericht recht: Für vernünftige, bedarfs- und realitätsgerechte Regelsätze dürfen vom Berechnungsmodell nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nicht im Nachhinein willkürlich Verbrauchspositionen abgezogen werden. Außerdem müssen bei der Berechnung, wie früher, die unteren 20 Prozent der Haushalte zugrunde gelegt werden und nicht, wie jetzt aus reinem Spardiktat und ohne systematische Begründung, nur die untersten 15 Prozent. Auch die Menschen, die in verdeckter Armut leben, weil sie ihre Sozialleistungsansprüche nicht geltend machen, und diejenigen, die aufstockende Sozialleistungen erhalten, müssen aus der Referenzgruppe herausgerechnet werden. Sonst führt dies zu unzulässigen Zirkelschlüssen. Wir fordern die zuständige Arbeitsministerin von der Leyen auf, einen Runden Tisch einzuberufen, um ein Konzept zu entwickeln, wie die Regelbedarfe ermittelt werden. Daran sollen Verbände, Expertinnen und Experten und alle im Bundestag vertretenen Parteien beteiligt werden. Auf diese vielen Missstände bei der Existenzsicherung und auch auf die Verfassungswidrigkeit der Leistungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben wir die Bundesregierung in der Vergangenheit bereits unzählige Male hingewiesen. Passiert ist nichts! Dabei war die Folgewirkung des Regelsatzurteils vom 9. Februar 2010 auf das Asylbewerberleistungsgesetz allen klar: Flüchtlinge erhielten teilweise nur gut die Hälfte des Sozialhilfeniveaus, und diese Leistungen wurden seit 1993 nicht angepasst. Das hat mit einem menschenwürdigen Existenzminimum nichts zu tun! Selbst Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, haben die Verfassungswidrigkeit eingeräumt. Gehandelt haben Sie nicht. Sie missachten dabei nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch die Rechte der über 150 000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland. Auch auf den zweiten Bugschuss der Verfassungsrichter hat Schwarz-Gelb nicht reagiert: Im Juli letzten Jahres legten die Karlsruher Richterinnen und Richter ihr vernichtendes Urteil über die derzeitige Existenzsicherung von Asylbewerbern in Deutschland auf den Tisch. Sie forderten eine unverzügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes und haben die sofortige Heraufsetzung der Regelsätze angeordnet. Doch immer noch stehen die niedrigen, verfassungswidrigen Regelleistungen im Gesetz. Allein die Bundesländer haben den offenen Verfassungsbruch verhindert: Sie haben sich als Zwischenlösung ohne bundesgesetzliche Regelung auf einheitliche neue Sätze verständigt. Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, haben hingegen nichts getan und haben damit die Länder voll im Regen stehen lassen. Bis heute treten Sie, meine Damen und Herren von CDU/CDU und FDP, unser Grundgesetz mit Füßen und haben keine Neuregelung vorgelegt. Vor der Wahl wird von Ihnen auch nichts mehr kommen. Sie nehmen die Verfassungswidrigkeit einfach in Kauf. Ein beschämendes Armutszeugnis für Schwarz-Gelb! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben auch hierzu einen umfassenden Reformantrag vorgelegt, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt und das Asylbewerberleistungsgesetz auf verfassungsfeste Füße stellt. Wir wollen auch das diskriminierende und teure Sachleistungsprinzip abschaffen, die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge verbessern und ihren Arbeitsmarktzugang erleichtern. CDU/CSU und FDP wollen dagegen nicht einmal Flüchtlingskinder in das Bildungs- und Teilhabepaket Zu Protokoll gegebene Reden einbeziehen. Wir hatten dies immer wieder - auch durch einen Antrag - gefordert, um wenigstens diese himmelschreiende Ungerechtigkeit für etwa 40 000 der ärmsten Kinder in unserem Land zu beenden. Sie, meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, müssten sich endlich um das Kernproblem kümmern: Sie dürfen arme Kinder nicht ausgrenzen und müssen Kinder in Familien - egal ob und wie die Eltern zusammenleben - unterstützen. Das Ehegattensplitting und der Familienlastenausgleich müssen dringend reformiert werden. Stattdessen will Schwarz-Gelb ein bildungs-, integrations- und gleichstellungspolitisch völlig verfehltes Betreuungsgeld für diejenigen einführen, die ihre Kinder nicht in Kitas bringen. Das schadet den Kindern und den Eltern. Denn durch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die mangelnde Vereinbarkeit von Kindern und Beruf haben vor allem die rund 1,6 Millionen alleinerziehenden Frauen schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Dort müssen wir ansetzen! Leider hat die Bundesregierung nichts für eine vernünftige Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur getan. Unter Rot-Grün haben wir dagegen in den Ausbau der Ganztagsschulen investiert. In der Großen Koalition haben wir den Ausbau der Kindertagesbetreuung und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr ab dem 1. August 2013 durchgesetzt. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es ein wichtiges politisches Ziel, Kitas und Tagespflege auszubauen und qualitativ weiterzuentwickeln. Deshalb haben wir weitere Bundesmittel für den Kitaausbau und einen höheren jährlichen Betriebskostenzuschuss durchgesetzt. Aber es sind noch mehr Mittel nötig. Deshalb werden wir das bildungsfeindliche Betreuungsgeld abschaffen und die bis zu 2 Milliarden Euro, die es jährlich kosten würde, komplett in die Kitas investieren. Damit Länder und Kommunen eine gute Infrastruktur für gebührenfreie Bildungsangebote von der Kita bis zur Uni schaffen können, benötigen sie natürlich weitere Finanzmittel. Die SPD hat mit dem „Nationalen Pakt für Bildung und Entschuldung“ als einzige Partei einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, die Bildungsfinanzierung von Bund und Ländern auszuweiten: Wir wollen für Bildung zusätzlich 20 Milliarden Euro im Jahr bereitstellen, je 10 Milliarden Euro vom Bund und von den Ländern. Finanziert werden soll das aus Einsparungen, dem Abbau von überflüssigen Subventionen, der Wiedereinführung der Vermögensteuer und einer Reform der Erbschaftsteuer zugunsten der Länder. Nur gemeinsam wird es gelingen, Ganztagsschulen und Kitas in Deutschland auszubauen und sie besser auszustatten - Bund und Land müssen Hand in Hand arbeiten. Wir setzen auf den Ausbau der Bildungsinfrastruktur. Wir wollen Kitas und Horte flächen- und bedarfsdeckend ausbauen und Schulen zu Ganztagsschulen umgestalten - mit Betreuungs-, Freizeit- und Lernförderangeboten und Schulsozialarbeitern sowie gesunder Essensverpflegung -, damit alle Kinder diskriminierungsfrei und bürokratiearm davon profitieren können. Bis dahin müssen wir aber dafür sorgen, dass die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets ohne ausufernde und teure Bürokratie auch bei den rund 2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kindern und Jugendlichen ankommen. Denn es ist ausdrücklich Teil ihres soziokulturellen Existenzminimums. Das Bildungspaket war ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss aber - wie die Erfahrung gezeigt hat - dringend verbessert werden: So müssen der Teilhabebetrag von 10 Euro monatlich und das Schulbedarfspaket mit dem Regelsatz ausgezahlt werden. Der Zugang zur Lernförderung, die möglichst direkt an den Schulen angeboten werden soll, muss vereinfacht und die Essenskosten müssen unbürokratisch durch den Bund finanziert werden. Lediglich Einmal- und Härtefallleistungen und schwer pauschalierbare Kosten sollen weiterhin auf einfachen Antrag gewährt werden. Wenn man über Existenzsicherung spricht, muss man auch immer über Strategien zur Vermeidung von Armut diskutieren. Dazu gehören neben guter und kostenfreier Bildung für alle vor allem faire Arbeitsbedingungen und ein einheitlicher flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/ Die Grünen, wir teilen vieles in Ihrem Antrag und stimmen dem Anliegen einer Existenzsicherung ohne Lücken zu. Wie ich aufgezeigt habe, ist hier die Bundesregierung in der Bringschuld. Allerdings unterscheiden wir uns teilweise in den konkreten Umsetzungsvorstellungen. Deshalb werden wir uns enthalten.

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen suggeriert eine Verfassungswidrigkeit der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II, die bisher kein Gericht so geteilt hat. Vielmehr hat das Bundessozialgericht am 12. Juli 2012 die von der christlich-liberalen Regierungskoalition berechneten und beschlossenen Regelsätze für verfassungsgemäß erklärt. In dem Urteil des Bundessozialgerichts heißt es, die Bundesregierung habe bei der Neuberechnung „nicht gegen das Grundrecht auf Menschenwürde verstoßen“. Daher finde ich es ein starkes Stück und auch unredlich, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen in ihrem Antrag etwas anderes unterstellen. Wir haben sowohl den Regelbedarf für Erwachsene, als auch erstmalig eigenständige Kinderregelsätze auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe berechnet. Noch unter Rot-Grün war es so, dass im Regelsatz von Kleinkindern zum Beispiel Ausgaben Zu Protokoll gegebene Reden für Zigaretten und Alkohol enthalten waren, aber kein Geld für Windeln. Diese von der damaligen rot-grünen Bundesregierung vorgenommene Festlegung des Regelsatzes wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt, und nicht etwa die Festlegung des Regelsatzes, die diese Regierungskoalition vorgenommen hat. Unsere Regelsatzbemessung hat Wertungen vorgenommen. Zum Beispiel dahingehend, dass Internetdienstleistungen erstmals Bestandteil des Regelsatzes sind. Und wir haben uns bewusst entschieden, einen höheren Anteil für den öffentlichen Personennahverkehr zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch die Wertungsentscheidungen getroffen, dass Alkohol und Tabak nicht Bestandteil des Existenzminimums sind. Schon Rot-Grün hatte sich dagegen entschieden, zum Beispiel Pauschalreisen oder Glücksspiel in den Regelsatz aufzunehmen. Solange es keine gegenteilige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt, sind die Regelsätze verfassungsgemäß. Sie können die Urteile anderer Gerichte, insbesondere des Bundessozialgerichts, hier nicht so einfach ignorieren. Sie sprechen zudem die Regelbedarfsstufe 3 an. Hier wird diese Bundesregierung im Juli einen Bericht vorlegen, aus dem wir dann auch Schlüsse für die weitere Praxis ziehen werden. Daher wäre eine Abschaffung der Regelbedarfsstufe 3, wie Sie sie fordern, jetzt falsch. Auch Ihre Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket ist nichts Neues. Vor drei Wochen haben wir die neuen Zahlen zur Inanspruchnahme vorgelegt bekommen, und danach muss man das Resümee ziehen, dass die anfänglichen Startschwierigkeiten, gerade durch die gute Vernetzungsarbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, mittlerweile behoben sind. Wenn 73 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten haben, dann ist das eine sehr erfreuliche Nachricht. Klar ist auch, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen werden, damit noch mehr anspruchsberechtigte Kinder und Jugendliche die Leistungen einfordern werden. An dieser Stelle möchte ich aber auch klarmachen, dass es eine hundertprozentige Inanspruchnahme nie geben kann, da Babys und Kleinstkinder keine Leistungen zu Bildung und Teilhabe nutzen können. Ihr Vorschlag, das Bildungs- und Teilhabepaket rückabzuwickeln und die Mittel stattdessen als Investitionen in die Bildungs- und Teilhabeinfrastruktur einzusetzen, greift zu kurz. Denn wer kann garantieren, dass die betroffenen Kinder die neuen Angebote annehmen? Wenn sie dies nicht machen, kämen wir dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nur unzureichend nach. Deswegen kann Ihr Vorschlag maximal eine Ergänzung zum Bildungspaket sein, er kann es aber nie ersetzen. Ganz grundsätzlich ist es Aufgabe der Politik, die Voraussetzungen zu schaffen, damit so wenig Menschen wie möglich auf staatliche Unterstützung angewiesen sind und vielmehr ihr Auskommen selbst erwirtschaften können. Um dies zu erreichen, hat diese christlich-liberale Regierungskoalition auf eine wachstumsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik gesetzt. So konnten wir die Zahl der Langzeitarbeitslosen in dieser Legislaturperiode um 250 000 senken. Noch wichtiger finde ich, dass wir die Zahl der Kinder, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen, um über 130 000 senken konnten. Wir haben mit unserer Politik den Menschen neue Perspektiven gegeben, und dies werden wir so auch fortsetzen.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Von einer Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums in Deutschland kann wahrlich keine Rede sein. Die Leistungen der Grundsicherung sind von der Bundesregierung bewusst kleingerechnet worden. Es ist und bleibt zutreffend: Hartz IV ist Armut per Gesetz. Leidtragende der Kleinrechnung des Existenzminimums sind Kinder und Jugendliche und erwerbsfähige Hartz-IV-Beziehende. Leidtragend sind aber auch alle Erwerbstätigen, weil ihr steuerfreies Existenzminimum zu gering ausfällt, und schließlich auch grundsicherungsberechtige, erwerbsunfähige und ältere Menschen. An der Aufzählung sehen Sie: Fast alle Menschen in Deutschland leiden unter dem kleingerechneten Existenzminimum. Die Linke hat hier eine klare Position: Eine Anhebung der Grundsicherungsleistung auf 500 Euro ist ein zwingender und notwendiger erster Schritt, um Armut und Ausgrenzung zu vermeiden. Einig sind sich die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke darin, dass darüber hinaus Lücken in der Existenzsicherung bestehen. Beispielsweise führt die sogenannte Bedarfsgemeinschaft dazu, dass leistungsberechtigte Personen keine Leistungen bekommen, weil sie mit anderen Menschen zusammenleben. Dies trifft besonders Kinder und Frauen, insbesondere dann, wenn Kinder ihrerseits keinen Rechtsanspruch auf Unterhaltsleistungen haben, sondern vom Gutdünken neuer Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner abhängig sind. So entstehen existenzbedrohende Sicherungslücken. Leistungsansprüche sind daher zu individualisieren und die Eigenständigkeit von Männern und Frauen zu fördern. Ebenfalls einig sind wir uns in Bezug auf die Abschaffung der Regelbedarfsstufe 3 bei Menschen mit Behinderung über 25 Jahre. Ihre Schlechterstellung auf 80 Prozent des Regelsatzes ist durch nichts zu rechtfertigen. Einen entsprechenden Handlungsauftrag an die Bundesregierung durch den Vermittlungsausschuss hat die Bundesregierung schlicht nicht umgesetzt. Zu Protokoll gegebene Reden Durch das Sanktionssystem bei Hartz IV wird politisch ganz bewusst anerkannt leistungsberechtigten Personen zumindest ein Teil des Existenzminimums entzogen. Bei jungen Menschen wird bei kleinen Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter die komplette Regelleistung für drei Monate gestrichen. So lässt sich das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht realisieren. Besonders besorgniserregend finden wir auch, dass Menschen aufgefordert werden, eine günstigere Wohnung zu beziehen, auch wenn es nachweislich keinen Wohnraum im geforderten Preissegment gibt. Hier werden Arbeitsuchende für die falsche Wohnungsmarktpolitik derer bestraft, die in Regierungsverantwortung sind. Wir fordern für diese Fälle die Übernahme der gesamten Wohnkosten. Die Linke ist auch wesentlich konsequenter in ihren Forderungen als die Grünen. Ich sagen Ihnen: Entweder wir legen uns auf ein verfassungsrechtliches Existenzminimum in diesem Staat fest oder eben nicht. Sanktionen jeglicher Art führen nämlich dazu, dass ebendieses Existenzminimum regelmäßig unterschritten wird. Wenn die Stromkosten steigen, müssen die Regelsätze entsprechend nach oben korrigiert werden. Stromabschaltungen sind keine Lösung, sondern menschenverachtend. Die Diskriminierung von ausländischen Staatsangehörigen und Arbeitsuchenden, denen bisher jeglicher Leistungsanspruch verwehrt wird, lehnen wir ebenfalls ab. Wir fordern, auch sie als gleichwertige Menschen zu betrachten und auch ihnen die Existenzsicherung zuzusprechen. Wir Linken stimmen dem Antrag der Grünen zu, obwohl ihre Verbesserungsstrategien oberflächlich sind. Menschenverachtende Methoden zu „prüfen“, „einzuschränken“ oder „transparenter zu machen“, hat noch niemanden satt gemacht. Besonders deutlich wird das Lavieren der Grünen bei der Frage der Sanktionen. Sanktionen führen nun mal zu einer Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums. Wenn das so ist, dann hilft nur die komplette Abschaffung jeglicher Sanktionen. Hier gibt es keine Kompromisse! Der Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, muss ohne Einschränkungen auch für alle Langzeiterwerbslosen gelten.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieser höchste Grundsatz unserer Verfassung ist Verbot und Gebot zugleich: Er verbietet jede Verletzung der Würde und gebietet zugleich, dass alles staatliche Handeln auf den unbedingten Schutz der Würde hinwirken muss. Soweit der Anspruch. Ein Blick in die Praxis - genauer gesagt: in die Lebenspraxis der Menschen, die Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten - macht deutlich: Hier hat das Achtungsgebot der Würde deutliche Lücken. Die Mindestsicherung, die das SGB II, das SGB XII und auch das Asylbewerberleistungsgesetz vorsehen, gewährleistet kein vollständiges soziokulturelles Existenzminimum und ermöglicht nicht lückenlos das menschenwürdige Dasein. Die Mängelliste ist lang: So wurden die Regelsätze für Erwachsene und Kinder künstlich heruntergerechnet, sodass die Bedarfe nicht voll gedeckt werden können. Die Abhängigkeit von Personen wird durch die gemeinsame Veranlagung in Bedarfsgemeinschaften verstärkt. Bei den Kosten für Unterkunft und Heizung werden oftmals trotz angespannter Wohnungsmärkte nicht zu realisierende Forderungen zur Senkung der Mietkosten gestellt. Einige Jobcenter übernehmen Mietkautionen nur, wenn diese aus dem Regelsatz zurückgezahlt werden. Umzugskosten werden ebenfalls häufig nicht oder nur teilweise übernommen. Beides verringert in unzulässiger Weise das soziokulturelle Existenzminimum. Steigende Strom- und Heizkosten bringen immer mehr Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten. Für nicht wenige enden sie mit Stromsperren, sodass keine Grundversorgung für Heizen, Kochen, Waschen, Duschen oder Beleuchtung gesichert ist. Pro Monat sind 150 000 Leistungsempfänger von Sanktionen betroffen. Und Menschen mit Behinderung wird wegen der aktuellen Regelung der Mehrbedarfserstattung die Zahlung der Mehrbedarfe verwehrt. Diese Auswahl soll für den Moment genügen; weitere Bereiche sind in unserem Antrag - Bundestagsdrucksache 17/12906 - zusammengetragen. Lassen Sie mich auf die zwei wichtigsten Punkte des Grünen-Antrags eingehen: Die Tatsache, dass die Bundesregierung den Regelsatz künstlich kleingerechnet hat, bleibt ein fortwährender Skandal. Vor allem Kinder sind davon betroffen. So sieht der Kinderregelsatz eine monatliche Pauschale von 68 Cent für den Kauf eines Fahrrads vor. Die Anschaffung eines neuen Kinderfahrrades wäre demnach erst nach einer Ansparzeit von 15 Jahren möglich. Und selbst für ein gebrauchtes Fahrrad müsste man die 68 Cent mit der Geburt des Kindes zurücklegen, damit das Kind zum fünften Geburtstag ein Fahrrad geschenkt bekommen kann. Die Unsinnigkeit der Pauschale in dieser Höhe muss ich hier nicht eigens betonen. Leider zieht sich die Ignoranz gegenüber den konkreten Bedarfen und den Gegebenheiten der Praxis wie ein roter Faden durch die sogenannte Sozialpolitik der Bundesregierung. Vor drei Wochen haben wir hier zum wiederholten Mal über den Reformbedarf des Bildungs- und Teilhabepakets gesprochen. Und ich muss mich schon wundern: Die Einzige, die gebetsmühlenartig darauf beharrt, dass das Bildungs- und Teilhabepaket ein Erfolg sei und die Leistungen bei den Kindern ankommen, ist Frau von der Leyen. Wenn 10 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder die monatliche Teilhabepauschale in Anspruch nehmen, heißt das im Gegenzug: 90 Prozent tun das nicht. Neun von zehn Kindern verhilft die monatliche Pauschale nicht zu mehr Teilhabe. Die verZu Protokoll gegebene Reden fassungsrechtlich gebotenen 10 Euro monatlich fließen zukünftig größtenteils zurück an den Bund. Würden sie in den Kinderregelsatz integriert - so wie wir Grünen das fordern -, dann könnte dieses Geld auch außerhalb von Vereinen Kindern von Eltern im SGB-II-Bezug Teilhabe ermöglichen. Dann könnten sie mit ins Freibad oder auch ins Kino gehen. Für einige hier mag das belanglos klingen, aber genau das sind die alltäglichen Situationen, in denen Kinder die materielle Bedürftigkeit ihrer Eltern besonders schmerzlich zu spüren bekommen. Zweitens: Ebenso wichtig wie eine Anhebung des Regelsatzes ist perspektivisch die Abschaffung der Bedarfsgemeinschaften. Durch sie geraten oft nicht nur die Leistungsbezieher selbst, sondern auch deren Partner und Partnerinnen in den Hilfebezug. Nur ein Beispiel: Eine Frau lebt mit ihren beiden minderjährigen Kindern aus einer früheren Partnerschaft zusammen. Der leibliche Vater der Kinder ist nicht leistungsfähig und zahlt deshalb keinen Kindesunterhalt. Die Frau erhält Unterhaltsvorschuss, der auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Zieht die Frau nun mit einem neuen Lebensgefährten zusammen, so wird dieser nach dem Sozialrecht für die Kinder „unterhaltspflichtig“ und der Unterhaltsvorschuss entfällt. Reicht das Einkommen des Mannes nicht aus, um die Familie zu versorgen - etwa weil er Schulden hat -, gerät er selbst in eine Bedürftigkeit. Die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft drängt erwerbstätige Partner und Partnerrinnen von Hartz-IV-Empfängern in eine künstliche Abhängigkeit von Sozialleistungen, und zwar auch dann, wenn diese ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten können. Ich hatte meine Rede aus einem bestimmten Grund mit Art. 1 des Grundgesetzes eröffnet: Wenn es um die Konkretisierung des soziokulturellen Existenzminimums durch den Gesetzgeber geht, dann muss klar sein, dass die Würde derjenigen Menschen, die auf Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen sind, der Maßstab sein muss.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12906, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12389 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund - Drucksache 17/12956 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({0}) - Drucksache 17/13255 Berichterstattung: Abgeordnete Robert Hochbaum Burkhardt Müller-Sönksen Agnes Brugger - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13275 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Willsch Bernhard Brinkmann ({2}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Dr. Tobias Lindner In der Tagesordnung war bereits ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden, sodass wir dies auch so beschlossen haben.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Uns Parlamentariern obliegt die Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten unserer Parlamentsarmee. Die bestmögliche Versorgung, die Unterstützung und auch der Schutz derjenigen Bundeswehrangehörigen, die während ihres Wehrdienstes in Deutschland oder im Auslandseinsatz eine gesundheitliche Schädigung erleiden mussten, gehören deshalb zu unseren bedeutendsten Aufgaben. Daher freut es mich heute besonders, dass wir mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs diese Aufgabe erfolgreich umsetzen und für die Betroffenen in Zukunft eine „Versorgung aus einer Hand“ ermöglichen. Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt, über den wir uns heute freuen können. Der Gesetzentwurf ist fraktionsübergreifend auf Zustimmung gestoßen und wurde ohne Änderungen angenommen. Die breite Zustimmung ist ein positives Signal für unsere Soldatinnen und Soldaten. Eine Ausnahme stellt leider die Fraktion Die Linke dar, worauf ich später aber noch eingehen möchte. Nach der bisher geltenden Regelung wird die Versorgung von Wehrdienstbeschädigten sowie ihrer Hinterbliebenen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Während eines bestehenden Wehrdienstverhältnisses liegt die Zuständigkeit derzeit bei der Bundeswehrverwaltung. Nachdem ein Betroffener seinen Wehrdienst beendet hat, fällt die Zuständigkeit an die Behörden der Länder. Diese Teilung bedeutet für die Soldatinnen und Soldaten aber nicht nur, dass ihr Ansprechpartner wechselt, sondern es kommt hierdurch oftmals zu ver30332 längerten Bearbeitungszeiten und zu Schnittstellenproblemen. Diese negativen Folgen der geteilten Zuständigkeit wurden in der Vergangenheit immer wieder von den Betroffenen kritisiert. Der nun vorliegende Gesetzentwurf folgt einer Empfehlung der Strukturkommission der Bundeswehr sowie des Bundesrechnungshofes und beinhaltet das Ziel, über eine „Versorgung aus einer Hand“ beschleunigte Bearbeitungszeiten und vereinfachte Strukturen zu erreichen. Die Übertragung wird ab dem 1. Januar 2015 in zwei Schritten vollzogen. Zuerst soll die Zuständigkeit für die Renten- und Heilbehandlungsleistungen zum 1. Januar 2015 auf den Bund übertragen werden. Als zweiter Schritt folgt dann zum 1. Januar 2016 die Übertragung der Zuständigkeit für die Fürsorgeleistungen an Versorgungsberechtigte nach dem Soldatenversorgungsgesetz auf die Bundeswehrverwaltung. Die Entscheidung für eine schrittweise Änderung des Verfahrens ab 2015 wurde vor dem Hintergrund der Neuausrichtung der Bundeswehr und den daraus resultierenden tiefgreifenden strukturellen Veränderungen getroffen. Einige Worte möchte ich, wie ja bereits angekündigt, noch zur Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke verlieren. Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion betonten im parlamentarischen Verfahren zwar, dass sie den Gesetzentwurf grundsätzlich für zustimmungswürdig halten würden und sie ebenfalls der Überzeugung seien, dass wehrdienstbeschädigte Soldatinnen und Soldaten schneller und effektiver versorgt werden sollten. Anderseits sei ihnen eine Zustimmung aber nicht möglich, da sie die Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz ablehnen würden. So weit ist das ja nicht überraschend; denn diese Begründung der Linken ist keinesfalls neu, sondern uns allen bereits bekannt. Dass die Linksfraktion aber gleichzeitig den Vorwurf äußert, dass es bedauerlich sei, dass die Übertragung der Zuständigkeit zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde und schneller erfolgen sollte, kann ich vor diesem Hintergrund nur als paradox bezeichnen. Die Linke stimmt dem Gesetzentwurf - und somit der Verbesserung der Versorgung der betroffenen Soldaten nicht zu, aber kritisiert gleichzeitig, dass die verbesserte Situation mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht schnell genug eintreten würde. Dieses Verhalten kann ich nicht nachvollziehen, da eine Enthaltung meines Wissens nach zu keinem Zeitpunkt zu einer Verbesserung führen kann. Aber es sollte heute im Vordergrund stehen, dass wir mit dem Gesetz zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung auf den Bund einen weiteren wichtigen Schritt tun, um das Verfahren für die Betroffen zu vereinfachen sowie die Versorgung insgesamt zu verbessern. Für Ihre Zustimmung zu dieser Verbesserung für unsere Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mich bedanken.

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gegenwärtig wird die Zuständigkeit für Versorgung von Soldatinnen und Soldaten, die während ihrer Dienstzeit eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, von gleichgestellten Zivilpersonen sowie Hinterbliebenen noch zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Dies wollen wir nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern und im Sinne der Betroffenen vereinfachen. In abschließender Lesung wird deshalb heute der Gesetzentwurf zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigtenund Hinterbliebenenversorgung nach dem dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund beraten. Damit ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Neuordnung der Versorgung von wehrdienstbeschädigten Soldatinnen und Soldaten gelegt. Die Regierungskoalition hatte sich zu Beginn der Wahlperiode darauf verständigt und setzt dies folgerichtig um. Ziel des Gesetzes ist es nun, eine Versorgung aus einer Hand zu schaffen. Für die Betroffenen ist dies ein entscheidendes Kriterium, da bürokratischer Aufwand eine zusätzliche Belastung für die körperliche und psychische Gesundheit darstellt. Mit dem Gesetz werden nun Schnittstellenprobleme reduziert und lange Bearbeitungszeiten beseitigt. Auch wird den Betroffenen die Orientierung erleichtet, da sie künftig nur noch die Bundeswehrverwaltung und keine weitere Länderbehörde mehr als Ansprechpartner haben. Die Übertragung erfolgt in zwei Schritten. Dies ist sinnvoll, weil sich die Bundeswehr gegenwärtig in einem tiefgreifenden Umstrukturierungsprozess befindet und schlichtweg ausreichend Zeit notwendig ist, um entsprechende organisatorische Vorbereitungen zu treffen. Nichts wäre für die Versorgungsberechtigten schlimmer, als wenn überstürzt gehandelt und nicht zielführend gearbeitet werden würde. Daher wird zunächst per 1. Januar 2015 die Zuständigkeit für Rentenleistungen in der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung sowie für Heil- und Krankenbehandlung auf den Bund übertragen. Zum 1. Januar 2016 erfolgt dann die Übernahme der Zuständigkeit für die Leistungen der Kriegsopferfürsorge. Erlauben Sie mir, an dieser Stelle noch anzuführen, dass bis auf die Fraktion Die Linke der Gesetzentwurf fraktionsübergreifend Zuspruch erfahren hat und auch die Sozialverbände die Inhalte unterstützen. Das zeigt, dass allen - bis auf unsere Kollegen der Linken - an einer Vereinfachung, Entbürokratisierung und an einer Versorgung aus einer Hand, die den Betroffenen zugutekommt, gelegen ist. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit herzlichen Dank. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze. Wir tun dies nicht aus Selbstzweck, sondern damit Terrorismus und kriegerische Gefahr nicht unser Land erreichen und dort, wo sie entstehen, bekämpft werden. Wir stehen für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Aus diesem Grund muss es unsere innere Überzeugung, unsere Pflicht sein, diejeZu Protokoll gegebene Reden nigen Männer und Frauen zu unterstützen, die sich für unsere Werte einsetzen, unsere Sicherheit gewährleisten und ihr Leben riskieren. Ich spreche allen Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeitern, die im Inland oder im Auslandseinsatz Dienst für unser Land tun, meinen herzlichen Dank aus.

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs versuchen wir, unserer Verantwortung als Parlamentarier gerecht zu werden. Wir haben eine Parlamentsarmee. Das ist gut so. Es bedeutet aber auch, dass wir eine hohe Verantwortung haben. Hier im Deutschen Bundestag entscheiden wir über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Von hier aus schicken wir unsere Soldatinnen und Soldaten in die Brennpunkte der Welt. Verletzung und Tod sind Teil ihrer Einsatzrealität. Diese traurige Erfahrung mussten wir leider erst kürzlich wieder machen. Die Versorgung der verletzten Soldatinnen und Soldaten sowie die Sorge für die Hinterbliebenen sind bisher nicht gut gelöst. Die bisherige Aufteilung von Verantwortung zwischen Bund und Ländern ist nicht nachvollziehbar. Während der Dienstzeit werden die Soldatinnen und Soldaten über das Soldatengesetz von der Bundeswehrverwaltung betreut. Nach dem Ausscheiden aus der Truppe sind die Landesbehörden im Rahmen des Bundesversorgungsgesetzes zuständig. Dies führt regelmäßig zu Problemen beim Übergang und danach. Durch die unterschiedlichen Verfahrensweisen und Informationsstände bei den Versorgungsämtern der Länder kommt es immer wieder zu längeren Verfahren, unnötiger Bürokratie und einem erhöhten Aufwand für die Betroffenen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes ändern wir das. Die Aufgabe der Versorgung von Verletzten und Hinterbliebenen wird komplett auf den Bund übertragen. Wir schaffen eine Anlaufstelle. Auch wenn die rechtliche Umsetzung noch etwas dauern wird, beschließen wir heute die Versorgung aus einer Hand. Dies ist ein positives Signal an die Truppe und ein Zeichen der Vernunft. Die Umstellung wird Zeit in Anspruch nehmen; aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensweisen in den Ländern ist sie recht komplex. Sie zeigt jedoch, dass wir der Realität einer Armee im Einsatz Rechnung tragen. Manche Entwicklung im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen war für uns nicht abzusehen. Deswegen reagieren wir. Voraussichtlich wird das Gesetz im Wesentlichen 2015 umgesetzt sein, Teile aber auch erst 2016. Es ist gut, dass wir diese Regelung heute ändern und dass wir dies fraktionsübergreifend tun. Bereits bei der Verabschiedung des Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetzes und bei den Anstrengungen, die Kommunikation aus dem Einsatz zu verbessern, haben wir gezeigt, dass wir als Parlament in der Lage sind, über die Parteigrenzen hinweg etwas für unsere Soldatinnen und Soldaten zu tun. Auch bei PTBS sind wir vorangekommen, haben aber noch viel Strecke vor uns. In diesem Zusammenhang möchte ich mich beim Deutschen BundeswehrVerband bedanken. Sie haben das Thema der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung vor einigen Jahren auf die Agenda gesetzt und stetig bearbeitet. Auch der Sozialverband Deutschland hat es immer wieder thematisiert. Und letztendlich waren es auch die Betroffenen selbst, die immer wieder auf die Politik zugegangen sind. Dass wir heute dieses Gesetz verabschieden können, ist auch ein Verdienst all dieser Akteure. Herzlichen Dank dafür! Mit unserer Zustimmung heute ändern wir die Zuständigkeiten bei der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung und lösen damit ein undurchsichtiges System ab. Wir passen die Gegebenheiten an die Realitäten einer Armee im Einsatz an und ermöglichen damit eine Versorgung aus einer Hand.

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir einen großen Schritt in Richtung verlässliche Versorgung der Soldaten und ihrer Hinterbliebenen. Unsere Botschaft ist klar: Wer während des Dienstes bei der Bundeswehr gesundheitliche Schäden erleiden muss, soll sich - und im Ernstfall auch die Hinterbliebenen - verlässlich versorgt wissen. Bisher war für die aktiven Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehrverwaltung zuständig. Nach dem Ausscheiden aus dem Dienst übernahmen diese Aufgabe die Versorgungsämter der Länder. Der Wechsel der Zuständigkeit wurde von vielen Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen zu Recht kritisiert. Sie fühlten sich gefangen in einem bürokratischen Dschungel aus neuen Formularen und neuen Ansprechpartnern. Noch schwerer als der Kampf mit der Bürokratie wog aber ein anderes Gefühl. In zahlreichen persönlichen Gesprächen berichteten mir die Soldaten von ihrem Eindruck, dass der frühere Arbeitgeber Bundeswehr sich leise aus der Verpflichtung und Verantwortung stehlen wolle. Auch diesem Eindruck wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entgegentreten. Wir wollen bürokratische und willkürlich empfundene Verwaltungsstrukturen entwirren und eine Versorgung aus einer Hand gewährleisten. Diese Neuordnung der Zuständigkeit ist also nicht nur ein Abbau von Bürokratie, sondern setzt ein deutliches Signal an die Soldatinnen und Soldaten und ihre Hinterbliebenen, dass wir sie und ihre Anliegen ernst nehmen. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns zu Beginn der Legislaturperiode das Ziel gesetzt, die Soldatenversorgung so einfach wie möglich zu gestalten. Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr attraktiv wird als Arbeitgeber, dann müssen sich die Soldatinnen und Soldaten dauerhaft sicher sein können, dass für sie und ihre Angehörigen gesorgt ist. Anerkennung für die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten muss auch Zu Protokoll gegebene Reden im Umgang der Verwaltungen mit ihnen zum Ausdruck kommen. Wir haben auch deshalb mit dem Einsatzversorgungsverbesserungsgesetz das Soldatenversorgungsgesetz neu gefasst. Endlich werden traumatisierte Soldatinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt als ihre Kameraden mit körperlichen Schädigungen. Wir haben die Einmalentschädigung von 80 000 Euro auf 150 000 Euro angehoben und ebenso Erhöhungen für Witwen, Eltern und Großeltern erreicht. Verdoppeln konnten wir die Ausgleichszahlungen für Soldaten auf Zeit, Reservisten sowie für freiwillig länger dienende Grundwehrdienstleistende. Und wir haben die Einführung einer Glaubhaftmachung bei einem Antrag auf Wehrdienstbeschädigung, WDB, erreicht; somit liegt die Beweislast nun endlich nicht mehr beim Antragsteller. Wir haben die Härtefall-Stiftung ins Leben gerufen, damit niemand durch das Raster der Absicherung fällt. Ich denke dabei vor allem an die Soldatinnen und Soldaten, bei denen sich die Verfahren auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung über Monate, manchmal Jahre hinziehen und die hierdurch in finanzielle Bedrängnis geraten. Neben den konkreten Verbesserungen in der Versorgung wollen wir aber auch mehr öffentliche Anerkennung für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Angehörigen erreichen. In unserer Arbeitsgruppe „Würdiges Gedenken“ des Verteidigungsausschusses haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie wir Anerkennung und Gedenken einen passenden Rahmen geben können. Wir brauchen keine Symbolpolitik, sondern mehr ehrliche und aufrichtige Anerkennung für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten, die nur aufgrund unserer Beschlüsse hier im Bundestag in gefährliche Einsätze geschickt werden. Ich freue mich, dass unser interfraktioneller Vorschlag der Einrichtung eines Gedenkortes für die gefallenen Soldaten der Bundeswehr in direkter Nähe zum Bundestag immer mehr Zuspruch findet. Dieses wurde auch von Angehörigen von gefallenen Soldaten, mit denen ich am Anfang dieser Woche gesprochen habe, sehr begrüßt. Eine solche öffentliche Demonstration der Solidarität ist ein starkes Zeichen für alle Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen. Auf diese Weise würde jedem Abgeordneten seine persönliche Verantwortung für die Parlamentsarmee bei den Entscheidungen über die Auslandseinsätze nochmals verdeutlicht, wenn sich ein solches Ehrenmal bzw. eine solche Gedenkstätte in der Nähe befände. Ebenso wichtig ist mir das Signal an die Öffentlichkeit. Die Bundeswehr gehört in die Mitte unserer Gesellschaft. Ein Gedenkort an dem meistbesuchten Platz unseres Landes ist aus meiner Sicht die beste Lösung, um die gesellschaftliche Integration unserer Streitkräfte und der Gefallenen zum Ausdruck zu bringen.

Harald Koch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004076, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist ja schön, mit etwas Positivem anfangen zu können. Die grobe Stoßrichtung dieses Gesetzentwurfes ist meiner Meinung nach absolut richtig. Ziel ist nämlich, für Beschädigte und Hinterbliebene eine „Versorgung aus einer Hand“ nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes zu schaffen. Es geht also um die Versorgung von Soldatinnen und Soldaten, die während ihres Wehrdienstes eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, aber auch um die Versorgung von diesen gleichgestellten Zivilpersonen sowie von ihren Hinterbliebenen. Im Moment ist die diesbezügliche Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern wie folgt aufgeteilt: Für die Versorgung während des Wehrdienstverhältnisses sind Behörden der Bundeswehrverwaltung zuständig. Nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wird aber die Versorgung von den zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden der Länder wahrgenommen. Und zwar im Auftrag des Bundes. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen diejenigen Aufgaben, die auf dem Gebiet der Beschädigtenund Hinterbliebenenversorgung im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen, ab dem 1. Januar 2015 schrittweise auf den Bund übertragen werden. In einem ersten Schritt ist zum 1. Januar 2015 vorgesehen, dass die Zuständigkeit für Rentenleistungen in der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung sowie für Heil- und Krankenbehandlung auf den Bund übergeht. Die Übernahme der Zuständigkeiten für die Leistungen der Kriegsopferfürsorge - §§ 25 bis 27 j Bundesversorgungsgesetz - soll in einem zweiten Schritt zum 1. Januar 2016 erfolgen. Mit der Aufgabenkonzentration beim Bund möchte man eine einheitliche Rechtsanwendung des Soldatenversorgungsgesetzes sicherstellen und eine Verkürzung der Bearbeitungszeiten erreichen. Den Versorgungsberechtigten wird somit gewiss die Orientierung etwas erleichtert werden, wenn sie zukünftig nur noch die Bundeswehrverwaltung als Ansprechpartner haben, unabhängig davon, ob sie sich noch im Wehrdienstverhältnis befinden oder ausgeschieden sind. Betroffene werden eine direkte Ansprechperson in der für sie zuständigen Stelle haben, was für ein stärkeres Vertrauensverhältnis sorgen dürfte. Kürzere Wege und direkter Kontakt sich absolut sinnvoll. Die Vorteile der Neuregelung liegen zweifellos auf der Hand. Die Linke forderte stets, dass Soldatinnen und Soldaten schneller und effektiver versorgt werden müssen. Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf nicht blindlings zu. Drei Gründe sind für die Enthaltung der Linken ausschlaggebend: Wenn der Bundesregierung die Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten bzw. der Beschädigten und deren Hinterbliebenen wirklich so wichtig sind, wie immer getan wird, kann ich nicht verstehen, dass sich die vollständige Übertragung der Zuständigkeiten auf den Zu Protokoll gegebene Reden Bund noch fast drei Jahre hinziehen sollen. Hier hätte ein früherer Umsetzungstermin gefunden werden müssen. Die Bundesregierung schmiert sich zweitens selbst Honig ums Maul, indem sie hier wieder unentwegt betont, sich generell nur am Wohle der Soldatinnen und Soldaten zu orientieren. Das sehe ich aber nur in kleinen Teilen so. Zuletzt zeigte dies der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2012. Herr Königshaus vermittelte zurecht ein äußerst kritisches Bild vom Zustand der Truppe. Die Lasten der Neuausrichtung der Bundeswehr werden nämlich viel zu einseitig den Soldatinnen und Soldaten aufgebürdet. Menschliches fällt dabei allzu schnell hintenrunter. Es herrscht eine große Verunsicherung in der Bundeswehr. PTBS-Opfer werden beispielsweise oft alleingelassen, sobald sie der Bundeswehr den Rücken kehren. Eine gute Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist weiterhin frommes Wunschdenken. Selbst der Bundesverteidigungsminister sagte heute früh im Plenum des Bundestages: Die Neuausrichtung der Bundeswehr „verlangt den Mitarbeitern viel ab. All das kostet Kraft und führt zu Unsicherheit.“ Und diese Aussage ist noch untertrieben. Die Linke fordert, auch andere heiße Eisen endlich anzufassen und sich vollumfänglich für das Wohl der Soldatinnen und Soldaten einzusetzen. In diesem Zusammenhang stößt uns drittens übel auf, dass in dem Gesetzentwurf ganz konkret deutlich gemacht wird, dass es letztlich doch weniger um die Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten, sondern eher um eine Fixierung der Bundeswehr auf eine Armee im Einsatz, um eine Fixierung auf Auslandseinsätze geht. In der Gesetzesbegründung ist zu lesen, dass die Regelungen „unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Auslandseinsätze der Bundeswehr“ geschaffen wurden. Noch deutlicher wird der Nationale Normenkontrollrat in seiner Stellungnahme. Dort werden schon die „vermehrten Auslandseinsätze der Bundeswehr“ berücksichtigt. Ich kritisiere, dass Sie Ihr Interesse am Wohl der Soldatinnen und Soldaten bzw. der Beschädigten zum Teil nur vorheucheln und stattdessen alles rücksichtslos der weltweiten Einsatzfähigkeit der Bundeswehr unterordnen. Die Linke will keine vermehrten Auslandseinsätze, sondern zivile Konfliktlösungsstrategien und friedliche Konfliktbewältigung stärken. Statt Auslandseinsätze zu forcieren, muss sich die Bundeswehr - auch zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten - auf die Landesverteidigung beschränken. Und eines ist ganz wichtig: Der Mensch muss wieder im Mittelpunkt stehen!

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geschieht nicht häufig, dass wir einem Gesetz- entwurf der Bundesregierung zustimmen können. Um die Versorgung und Betreuung der im Zuge ihres Wehr- dienstes geschädigten aktiven und ehemaligen Solda- tinnen und Soldaten zu verbessern, hat dieses Parla- ment aber bereits im Laufe dieser Legislaturperiode gemeinsam wesentliche Initiativen verabschiedet. Ganz gleich, ob wir Abgeordneten einen jeweiligen konkreten Einsatz befürworten oder ablehnen - es kann uns nicht egal sein, wie die Bundeswehrangehö- rigen gegen die Risiken ihres Dienstes ganz besonders in Einsätzen abgesichert sind. Vor diesem Hintergrund stimmen wir auch dem vor- liegenden Gesetzentwurf zu, denn er schafft eine wei- tere Verbesserung im Bereich der Versorgung. Mit die- sem Gesetz werden die Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenver- sorgung auf den Bund übertragen. Es geht dabei um die Versorgung ehemaliger Soldatinnen und Soldaten, die während ihres Wehrdienstes eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben und dann aus der Bundes- wehr ausgeschieden sind, um diesen gleichgestellte Zi- vilpersonen und um die Hinterbliebenen dieser beiden. Die Länderzuständigkeit in diesem Bereich hat sich als nicht hinreichend funktional und auch nicht sinn- voll erwiesen. Sie führt zum einen dazu, dass die Be- troffenen mit umständlichen Verfahren zu kämpfen ha- ben. Allzu häufig verläuft der Informationsfluss zwischen den Behörden nicht völlig reibungslos. Lange Wartezeit und Frust sind für die Betroffenen da- bei die Folgen. Andererseits bedeutet die geteilte Zu- ständigkeit, dass Ausgaben, die infolge der Aufgaben der Bundeswehr im In- und Ausland entstehen können, nicht im Verteidigungsetat, sondern im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geführt werden. Das ist nicht im Sinne einer Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Es hat seine Zeit gedauert, bis dieser Schritt ermög- licht wurde. Dieses Gesetz wird jedoch leider nicht so- fort umgesetzt werden, sondern erst ab 2015 in zwei Schritten. Das verlangt den Betroffenen weitere Ge- duld ab. Die Zeit bis dahin soll und muss genutzt wer- den, um die notwendigen Strukturen zu schaffen und die Bearbeiterinnen und Bearbeiter umfassend zu schulen und vorzubereiten - auch das ist eine unter- stützenswerte Maßnahme. Schließlich sollen am Ende zügige und reibungslose Verfahren stehen. Die lange Umsetzungszeit bedeutet aber auch, dass es nicht zu weiteren Verzögerungen kommen darf. Ich möchte heute, fast am Ende dieser Legislaturpe- riode, aber noch einmal daran erinnern, dass der Weg zum Beispiel zu den Verbesserungen im Bereich der Einsatzversorgung oder für die ehemaligen Radarsol- daten lang und mühselig war. Bei einigen Punkten ha- ben wir auch noch nicht alle Ziele erreicht. Die Bereit- schaft, Probleme im Umgang mit der Erkrankung von Soldatinnen und Soldaten an einer posttraumatischen Belastungsstörung einzugestehen, Schwächen des Ver- sorgungs- und Betreuungssystem offenzulegen und Lö- sungen zu finden, musste der politischen und der mili- tärischen Führung erst mühsam abgerungen werden. Zu Protokoll gegebene Reden Diese Bereitschaft darf den heutigen und zukünftigen Verantwortlichen nicht wieder abhandenkommen. Bei der Versorgung aktiver und ehemaliger Solda- tinnen und Soldaten besteht trotz der vielen Verbesse- rungen der letzten Jahre aber nach wie vor Hand- lungsbedarf, den wir nicht aus den Augen verlieren sollten. Das Gesetz ist ein nächster richtiger Schritt in Richtung Verbesserung. Aber auch mit diesem Gesetz sind noch nicht alle Mängel beseitigt. Als ein Beispiel möchte ich in diesem Zusammenhang die bestehenden Probleme im Bereich der Anerkennung von Wehr- dienstbeschädigungen von Soldatinnen und Soldaten ansprechen. Der Bundeswehr fehlen nicht nur behan- delnde Ärztinnen und Ärzte, sondern auch Versor- gungsmediziner, die die Gutachten im Anerkennungs- verfahren erstellen. Die Verfahren ziehen sich unter anderem durch diesen Personalmangel in eine unzu- mutbare Länge. Hier besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf. Wir dürfen nicht nachlassen, den eingeschlagenen Weg konsequent weiter zu gehen und Probleme bei der Versorgung und Betreuung der Bundeswehrangehöri- gen ehrlich offenzulegen und intensiv und rasch nach Lösungen zu suchen. Im Sinne der gemeinsamen Ver- antwortung für die Angehörigen der Parlamentsarmee hoffe ich, dass in diesem Bereich die Bereitschaft zur fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit auch in Zu- kunft besteht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen nun gleich zur Abstimmung. Der Vertei- digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/13255, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12956 anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bünd- nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe ({0}), Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des aufenthaltsund freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs - Drucksache 17/8921 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({1}) - Drucksache 17/1626 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 17/13313 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({3}) Sevim Dağdelen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen - Drucksachen 17/8610, 17/13313 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({5}) Sevim Dağdelen c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen - Drucksachen 17/1577, 17/8081 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({7}) Josef Philip Winkler In der Tagesordnung haben wir ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vor geraumer Zeit haben der SPD-Kollege Dr. Wiefelspütz und ich mit den Leitern aller GoetheInstitute weltweit - eine Versammlung, bei der sich Stammwähler der CDU in Grenzen halten - über die Pflicht diskutiert, vor einem Ehegattennachzug nach Deutschland einfache Deutschkenntnisse nachweisen zu müssen. Wir haben zahlreiche Berichte über konReinhard Grindel krete Erfahrungen der Leiter der Goethe-Institute in den Sprachkursen bekommen. Sie waren wirklich durch die Bank entsetzt, als Herr Dr. Wiefelspütz ankündigte, eine rot-grüne Bundesregierung werde diese Regelung wieder abschaffen. Das Urteil dieser Experten war eindeutig: Das Instrument der verpflichtenden Deutschkenntnisse ist ein voller Erfolg; die Vorintegration stärkt gerade junge Frauen in ihrem Selbstbewusstsein, bevor sie in ein für sie völlig fremdes Land kommen. Es ist eine Motivation, in Deutschland sofort die deutsche Sprache noch besser zu lernen. Die Vertreter der Goethe-Institute machten deutlich, dass sie eben gerade nicht nur Sprachkenntnisse vermitteln, sondern auch über den Alltag in Deutschland berichten, die Gesetzeslage, Fragen der Gleichstellung von Mann und Frau und auch über Sitten, Gebräuche und Werte in unserem Land informieren. Und die Experten bestätigten, dass selbstverständlich in einer ganzen Reihe von Fällen auf verschiedensten Wegen Zwangsverheiratungen verhindert werden konnten. Wenn SPD und Grüne dies jetzt alles wieder beseitigen wollen, dann ist das in höchstem Maße frauenfeindlich, weil sie auf ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Zwangsheirat verzichten, und sie leisten einen Beitrag für weniger Integration, für eine Zunahme von Parallelgesellschaften. Kurzum: Ihr Weg ist für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern geradezu gefährlich! Ich bin es leid, dass hier immer wieder die gleichen, längst widerlegten Argumente vorgetragen werden. Sie argumentieren, dass die Frauen hier in Deutschland doch sowieso Integrationskurse besuchen müssten, wenn sie Integrationsbedarf haben und nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfügen. Einmal davon abgesehen, dass sich diese Kurse ergänzen, weil das Ziel bei den Sprachkursen im Ausland A1 und bei den Integrationskursen in unserem Land B1 ist, kommt es doch auf einen völlig anderen Punkt an: Wir wissen nun wirklich seit Jahren, dass gerade die Frauen, die einen Integrationskurs am nötigsten haben, in unseren Kursen nicht ankommen, weil sie diese nicht besuchen dürfen, weil es eben leider gar nicht so wenige Familienverbände gibt, bei denen es gerade der Wille der Familienoberhäupter ist, dass diese jungen Frauen nicht selbstbewusst und selbstbestimmt leben, wozu ausreichende Sprachkenntnisse gehören. Es ist gerade von den Familien beabsichtigt, diese Frauen in Abhängigkeiten zu halten. Und SPD und Grüne wissen ganz genau, dass uns die teilweise ja sehr merkwürdige Rechtslage in der EU verbietet, Frauen wieder in ihre Heimat zurückzuführen, die sich beharrlich weigern, einen Integrationskurs zu besuchen. Das heißt: SPD und Grüne wissen ganz genau, dass es zwar eine Pflicht zum Besuch von Integrationskursen gib, dass wir aber praktisch keine Handhabe besitzen, diese Pflicht auch durch die Ausländerbehörden durchzusetzen. Deshalb ist es einfach wahr: Die Anträge der Opposition bedeuten weniger und nicht mehr Integration. Sie zementieren Parallelgesellschaften. Alles das wollen wir als CDU/CSU nicht! Was wir mit den verpflichtenden einfachen Deutschkenntnissen vor dem Familiennachzug wollen, ist, auch ein ganz klares Signal an sowohl die nachziehenden Ehegatten als auch die in Deutschland lebenden Familien zu geben, dass es ohne Deutsch nicht geht, dass ohne die Beherrschung der deutschen Sprache eine vernünftige Integration nicht funktionieren wird. Wenn wir in diesen Tagen gerade neuerliche Hinweise bekommen, dass die Sprachkompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund nachlässt, weil in den Elternhaushalten zu wenig Deutsch gesprochen wird, dann zeigt das, wie nötig ein derartiges Signal seitens der Politik ist. Die nachziehenden Ehegatten von heute sind die hoffentlich verantwortungsbewussten Eltern von morgen, und sie müssen wissen, dass sie sich an der Lebensperspektive ihrer Kinder versündigen, wenn sie diesen nicht möglichst schnell umfassende Deutschkenntnisse vermitteln, entweder dadurch, dass von Anfang an im Elternhaus Deutsch gesprochen wird, oder, dass die Eltern zumindest durch den Besuch von Krippe und Kindergarten dafür sorgen, dass an anderer Stelle die Kinder die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse vermittelt bekommen, die ihnen im Elternhaus nicht vermitteln werden können. Dieses Verantwortungsbewusstsein verlangen wir von den Eltern mit Migrationshintergrund, und die verpflichtenden Deutschkenntnisse beim Familiennachzug sind insofern ein völlig richtiges politisches Signal, dieses bereits frühzeitig deutlich zu machen. Genauso alt ist das Argument, es sei für die ausländischen Ehegatten zu beschwerlich, einen Deutschkurs vor Ort zu besuchen. Auch dieses Argument ist schlicht falsch. Die Vertreter der Goethe-Institute haben sehr anschaulich berichtet, dass es mittlerweile bis ins kleinste Dorf Privatschulen und Privatlehrer gibt. Es ist durch unsere gesetzliche Regelung geradezu ein Markt von etwa türkischen oder thailändischen Heimkehrern entstanden, die solche Sprachkurse anbieten und sich davon eine Existenz aufgebaut haben. Diese Sprachlehrer wurschteln allerdings nicht ungeprüft vor sich hin, sondern bemühen sich in aller Regel um Zertifikate von Goethe-Instituten, um als Sprachkursanbieter auch anerkannt zu sein. Die Prüfungen werden dann meist von den Goethe-Instituten vor Ort selbst oder anderen anerkannten Einrichtungen abgenommen. Wegen des ganz anderen Zusammenhalts im Familienverband ist es ebenso üblich, dass Sprachkursteilnehmer zu Verwandten in Städte mit Sprachkursangeboten ziehen und sich dort dann einige Wochen aufhalten. Es gibt darüber hinaus sehr gute Angebote der Deutschen Welle im Internet. Und schließlich und endlich wird man wohl sagen dürfen: Wenn ein Ehegatte denn wirklich so abgelegen wohnen sollte, dass er von allen Angeboten abgeschnitten ist, dann hat er ja wohl doch irgendeinen Weg gefunden, seinen hier in Deutschland lebenden Partner zu finden, und dann wird man wohl erwarten dürfen, dass dieser Lebenspartner Mittel und Wege der privaten Unterstützung findet, um für ein Bestehen der Sprachprüfung zu Zu Protokoll gegebene Reden sorgen, die im Übrigen nicht ein freies Zitieren der Bürgschaft verlangt, sondern das Beherrschen eines Sprachschatzes von maximal 600 Worten. Die Argumente der Opposition sind Scheinargumente, die den Kern der Sache nicht treffen. Dementsprechend haben das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Urteilen die Verfassungsmäßigkeit der verpflichtenden Deutschkenntnisse vor dem Ehegattennachzug bestätigt. Insofern sind ihre Behauptungen, unsere Regelung sei mit unserer Verfassung nicht vereinbar, schlicht und ergreifend falsch. Ein Sachverhalt, der uns gerade von Ausländerbehörden oder auch Integrationslotsen immer wieder vorgetragen wird, ist tatsächlich zu verbessern. Es dauert manchmal zu lange zwischen Bestehen eines Sprachkurses und Erteilung des Visums zum Zwecke der Familienzusammenführung. Insofern ist die Sorge grundsätzlich ernst zu nehmen, dass die nachziehenden Ehegatten schon wieder etwas von ihrer Sprachkompetenz einbüßen, wenn ein zu großer zeitlicher Abstand zwischen den Sprachkursen im Ausland und dem Beginn des Integrationskurses im Inland besteht. Allerdings muss man auch sagen, dass die Gründe dafür sich meistens in der Sphäre des Visumantragstellers befinden. Es werden zum Beispiel nicht alle notwendigen Dokumente beigebracht oder nicht die erforderlichen Auskünfte erteilt, gerade auch seitens des in Deutschland lebenden Ehegatten. Wo die Behörden aber enger zusammenarbeiten können, um für einen besseren Übergang von Sprachkurs im Ausland zu Integrationskurs im Inland zu sorgen, sollte das selbstverständlich geschehen. Diese partiellen technischen Probleme sind aber längst kein Grund, die ganze Regelung infrage zu stellen. Ein dickes Ding ist die Kritik der Opposition daran, dass es eine Bevorzugung für bestimmte Länder wie die USA, Japan oder Australien gibt, für deren Ehegatten die Regelung über die einfachen Sprachkenntnisse nicht gilt. Rein theoretisch ist es richtig, dass ein Japaner, der eine Thailänderin heiratet, diese leichter nach Deutschland nachziehen lassen kann als ein Deutscher. Insofern ist das Argument der Inländerdiskriminierung vordergründig nicht ganz falsch, und ich persönlich bin auch bereit, über die Abschaffung dieser Regelung nachzudenken. Tatsächlich gibt es für diese Vorschrift aber einen sachlichen Hintergrund. Die zwei zentralen Gründe für die Einführung der verpflichtenden Sprachkenntnisse bei ausländischen Ehegatten waren eine Verbesserung der Integration und Bekämpfung der Zwangsheirat. Beide Gründe haben bei Staaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, keine Bedeutung. Der Aufenthalt von Amerikanern oder Japanern in Deutschland ist fast ausnahmslos geschäftlicher und damit vorübergehender Natur. In den allermeisten Fällen sind die Ehegatten der englischen, französischen oder spanischen Sprache mächtig. In einer globalisierten Welt kann man also nicht davon reden, dass sie aufgrund der Sprachkompetenz nicht integrationsfähig wären. Das Thema Zwangsheirat spielt in diesen Fällen ohnehin keine Rolle. Entscheidend ist aber, dass wir diese Vorschrift gerade auf ausdrücklichen Wunsch der SPD aufgenommen haben, weil unser damaliger Koalitionspartner der nicht ganz abwegigen Meinung war, dass wir uns beim Kampf um die klugen Köpfe noch schwerer tun würden, wenn wir deren Frauen jetzt auch noch einfache Sprachkenntnisse abverlangen. Ich stelle also fest: Die SPD kritisiert heute eine Vorschrift, die sie selbst als Regierungspartei ins Gesetzblatt gebracht hat. Umgekehrt haben wir in die Regelung deutsche Staatsbürger geradezu einbeziehen müssen, weil ansonsten wegen des Optionsmodells bei der Staatsbürgerschaft diese Maßnahme völlig leer laufen würde. Was den Familiennachzug zu Bürgern der Europäischen Union angeht, müssen wir europarechtliche Regelungen beachten. Hier ist die Freizügigkeit weitergehend als unsere integrationspolitischen Überlegungen. Gleichwohl bleibt es unser Ziel, gerade angesichts der vielfältigen Probleme mit Bulgaren und Rumänen, immer mehr EU-Bürger in die Integrationskurse zu bekommen. Alles in allem kann man also nicht ernsthaft von einer Inländerdiskriminierung sprechen. Insofern bleibt die Frage: Weshalb wollen SPD und Grüne diese von Experten unterstützte und von Richtern für verfassungskonform erklärte Regelung abschaffen? Die Antwort ist klar und erschreckend zugleich: Sie versuchen, Stimmen bei den DeutschTürken zu sammeln, die gerade nicht integriert in Deutschland leben wollen. Sie machen aus wahltaktischen Überlegungen Zugeständnisse, die auf mehr Parallelgesellschaften und auf mehr Probleme hinauslaufen. Das ist beschämend. Das ist eine integrationsfeindliche Politik. Das lehnen wir als CDU/CSU und mit uns die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, einschließlich vieler SPD-Stammwähler, entschieden ab!

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das heute zu besprechende Thema haben wir hier an dieser Stelle häufig diskutiert, und die Argumente für und gegen das Spracherfordernis für nachziehende Ehegatten vor Einreise sind bekannt. Ich fasse noch einmal zusammen: Das Spracherfordernis schränkt das Recht eines Menschen auf das Leben einer Ehe ein. Dieses Recht wird durch Art. 6 Grundgesetz geschützt. Ja, wir wissen, dass sowohl Bundesverfassungs- als auch Bundesverwaltungsgericht festgestellt haben, dass die Regelung des Spracherwerbs vor Einreise nach Deutschland mit dem Grundgesetz und der Familienzusammenführungsrichtlinie im Einklang stehen. Wir wissen aber auch, dass es viele Menschen gibt, denen das Zusammenleben auf unbestimmte Zeit durch das Spracherwerbserfordernis unmöglich gemacht wird. Zu Protokoll gegebene Reden Die Gründe dafür liegen in den häufig großen Entfernungen der Goethe-Institute vom Wohnort oder sogar dem Fehlen solcher Institute. Um einen Deutschkurs im Heimatland besuchen zu können, müssen nicht unerhebliche Geldmittel aufgebracht werden - eventuell Anmietung einer Wohnung am Kursort verbunden mit der Aufgabe der eigenen Erwerbstätigkeit aufgrund nicht zu bewältigender Entfernungen -, die nicht jeder hat, auch nicht immer der in Deutschland lebende Ehepartner. Diese getrennten Ehepartner erfahren täglich Not. Dies aufrechtzuerhalten oder abzuschaffen ist eine politische Entscheidung, die wir eindeutig zugunsten der Betroffenen treffen: Wir wollen das Spracherfordernis vor Einreise nach Deutschland abschaffen. Das bedeutet aber nicht, dass wir der Auffassung sind, Kenntnisse der deutschen Sprache seien für nachziehende Ehegatten verzichtbar. Im Gegenteil: Sie sind eine elementare Voraussetzung für gelingende Integration. Mehr noch: Nachziehende Ehegatten sind durch das Aufenthaltsgesetz verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise in Deutschland für einen Integrationskurs anzumelden. Das ist geltendes Recht. Das Hauptargument für die Einführung des Spracherwerbserfordernisses war die damit angestrebte Verhinderung von Zwangsehen. Gebildete Menschen, die die Sprache des Landes sprechen, in das sie zwangsverheiratet werden, können sich besser aus dieser Zwangssituation befreien, so die Vorstellung. Sechs Jahre nach Einführung dieser Voraussetzung fehlt es weiterhin an empirischen Belegen darüber, dass die Zahl der Zwangsehen aufgrund des Spracherwerbserfordernisses zurückgegangen wäre. Unnötige Gesetze aber brauchen wir nicht. Die Einführung des Spracherwerbserfordernisses führt zudem zu Inländerdiskriminierung. Der Ehemann einer in Deutschland visumfrei einreisen dürfenden Ausländerin kann nach Deutschland zu seiner Ehefrau ziehen, ohne vorher Deutsch zu können. Der türkische Ehemann einer in Deutschland lebenden Deutschen muss Deutsch vor der Einreise können und nachweisen. Aufgrund von EU-Recht muss der zu einem EUBürger nach Deutschland einreisende Ausländer keine Deutschkenntnisse nachweisen, die brasilianische Ehefrau eines in Deutschland lebenden Deutschen aber sehr wohl. Diese Ungleichbehandlung mag europarechtlich zulässig sein, aber ist sie auch politisch gewollt? Wir sagen: Nein, nicht von uns. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir selbst es waren, die mit großen Bedenken - die unter anderen auch ich immer wieder zum Ausdruck gebracht habe - das Gesetz in der Großen Koalition mit auf den Weg gebracht haben, und zwar als sehr schmerzlichen Kompromiss in dem Sinne, dass die Verschärfungen im Familiennachzug das Opfer waren, mit dem wir der Union die erstmalige Einführung einer gesetzlichen Altfall- und Bleiberechtsregelung abgerungen haben. Fazit: Das Spracherwerbserfordernis vor Einreise ist aus unserer Sicht ungeeignet, Zwangsehen zu verhindern, und daher überflüssig. Es ist mehrfach diskriminierend. Wir wollen es abschaffen.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dass von Personen, die ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges nach Deutschland beantragen, die Fähigkeit zur Verständigung in deutscher Sprache „auf einfache Art“ verlangt wird, ist nicht nur zumutbar, sondern sogar ganz im Sinne der Zuwanderer. Das hat noch in der letzten Wahlperiode auch die SPD so gesehen: Die SPD hat in gemeinsamer Regierungskoalition mit der Union den Sprachnachweis für den Ehegattennachzug eingeführt. Dass sich die SPD jetzt, ein halbes Jahrzehnt später, davon distanziert, ist wohl als reine Taktik zu bewerten. Sollte die SPD wieder einmal regieren, wird sie wohl auch anders reden, als jetzt in der Opposition. In der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich des Erwerbs und des Nachweises der erforderlichen Sprachkenntnisse gab es anfänglich Berichte über eine Anwendungspraxis, die die Antragsteller vor zusätzliche, in Einzelfällen unzumutbare Hürden stellte. Inzwischen hat eine Evaluierung ergeben, dass es mittlerweile vielfältige Möglichkeiten gibt, Deutsch im Herkunftsland zu lernen. Auch in dieser Hinsicht kann man unumwunden feststellen: Die laufende Wahlperiode mit der christlich-liberalen Regierung waren vier gute Jahre für Deutschland - und auch für die, die nach Deutschland kommen wollen. So hat sich die Anzahl der öffentlichen und privaten Sprachlernzentren erhöht. Was die Abnahme der notwendigen Sprachprüfung vom Niveau „Start 1“ betrifft, sind neben den Goethe-Instituten eine Reihe anderer prüfungsberechtigter Institutionen wie dem TELC, einer Tochter des Deutschen VolkshochschulVerbands e. V., prüfungsberechtigt. Diese sind insbesondere auf dem Balkan und in der Türkei vertreten, woher eine hohe Zahl von Personen stammt. Ebenso wird das österreichische Sprachdiplom anerkannt. In den wichtigsten Herkunftsländern, zum Beispiel Türkei, Kosovo und Russische Föderation, gibt es auch in ländlichen Gebieten Privatschulen und Privatlehrer, die Deutsch anbieten. Ferner gibt es kostenlose Internet-Deutschkurse der Deutschen Welle und weitere Selbstlernkurse. 2009 haben weltweit 65 Prozent der Teilnehmer die Sprachprüfung bestanden; bei Teilnehmern, die zuvor einen Sprachkurs des Goethe-Instituts besucht hatten, lag die Bestehensquote sogar bei 81 Prozent. Wir wollen dazu weiter die Möglichkeiten verbessern, im Ausland Deutsch zu lernen. Jedem Deutschen Zu Protokoll gegebene Reden Hartfrid Wolff ({0}) bleibt es ferner unbenommen, seinen ausländischen Ehepartner persönlich zu unterstützen. Das Argument, im deutschen Sprachraum sei das Lernen der deutschen Sprache besser möglich, ist sachlich unbestritten - geht aber am Thema Ehegattennachzug völlig vorbei: Denn außer dem Visum zum Ehegattennachzug kennt das deutsche Ausländerrecht vielfältige Möglichkeiten, um in Deutschland Deutsch zu lernen. Die mit dem Ehegattennachzug verbundene dauerhafte Niederlassungserlaubnis wird aber erst erteilt, wenn der Ehepartner ein Minimum an Deutsch gelernt hat. Ein Problem besteht tatsächlich in der Privilegierung nichtdeutscher EU-Bürger: Unionsbürger müssen keine Sprachkenntnisse vorweisen; auch mögliche Familienangehörige aus Nicht-EU-Staaten benötigen beim Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Unionsbürgern keine Sprachkenntnisse. Vor allem ist hierzu aber anzumerken, dass diese Privilegierung EU-Staaten sich gegenseitig gewähren, soweit in anderen EU-Staaten vergleichbare Regelungen bestehen. Jeder Deutsche kann ein entsprechendes Recht anderswo in der EU wahrnehmen, wie es hierzulande Unionsbürgern möglich ist. Die FDP bleibt dabei: Zuwanderer sind in Deutschland herzlich willkommen. Sie sind aber auch selbst klar gefordert. Die deutsche Sprache, die Grund- und Menschenrechte sowie Demokratie und Rechtsstaat sind das für alle verbindlich geltende Fundament unserer Gesellschaft. Wir alle sollten bei solchen Fragen ernsthaft das Wohl der Beteiligten ins Auge fassen. Ohne Deutschkenntnisse ist nun einmal keine volle Teilhabe an den enormen beruflichen, kulturellen und gesellschaftlichen Perspektiven, die Deutschland bietet, möglich. Ich wundere mich sehr, dass Parteien, die sonst Emanzipation und Teilhabe auf ihre Fahnen schreiben, diese bei Zuwanderern offensichtlich als nebensächlich oder gar hinderlich ansehen. Grüne, Linke und Sozialdemokraten wollen, wie sie mit den vorliegenden Anträgen einmal mehr zeigen, die Abschaffung der Nachzugsregelung. Damit werden sie, wie immer mit solchen Anträgen zur Migrationspolitik, die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland erschweren, indem sie falsche Erwartungen wecken und statt Engagement nur Anspruchsdenken fördern. Offenbar wollen die Parteien des Linksblocks, dass Zuwanderer in Deutschland Ausländer bleiben. Ich kann nur hoffen, dass sich das bei den Betroffenen langsam herumspricht. Linke, SPD und Grüne sind nur für die Zuwanderer eine gute Wahl, die hier nicht wirklich ankommen, nicht wirklich integriert und akzeptiert sein wollen. Wir Liberalen dagegen möchten eine neue Kultur des Willkommens, wollen Zuwanderer wirklich in unser Land aufnehmen, als gleichberechtigte neue Deutsche mit allen Rechten und Chancen. Ein Wort noch zu dem in diesem Zusammenhang stets gemachten Verweis auf Art. 6 Grundgesetz. Art. 6 GG ist von den Vätern und Müttern des GG nie als Freibrief für unkontrollierte und bedingungslose Zuwanderung nach Deutschland gedacht gewesen. Bis heute wird er von der Rechtssprechung auch nicht so interpretiert. Das BVerwG hat mit Urteil vom 30. März 2010, 1 C 8.09, entschieden, dass die Regelung zum Sprachnachweis beim Ehegattennachzug in der geltenden Form verfassungsgemäß ist und mit europäischem Recht vereinbar ist. Das Gericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Regelung auch ohne allgemeine Härtefallregelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei und dass der Erwerb einfacher Deutschkenntnisse im Herkunftsland auch nicht deshalb unzumutbar sei, weil die türkische Klägerin des Ausgangsverfahrens Analphabetin ist. Das Urteil des BVerwG ist durch einen Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 25. März 2011, Az. 2 BvR 1413/10, noch einmal bestätigt worden. Ich finde es befremdlich, dass die SPD mit ihren gegenteiligen Ausführungen meint, das Verfassungsgericht tadeln zu müssen. Die Oppositionsparteien verwenden jeden beliebigen Vorgang aus der Zuwanderungspolitik, um einer ungesteuerten Zuwanderung das Wort zu reden. Wachsenden Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme und ansteigende Ausländerfeindlichkeit nehmen sie dafür billigend in Kauf. Wir sollten doch so ehrlich sein, gemeinsam anzuerkennen, dass weitgehend abgeschottete Gettos mit Ehegattenimport aus unseren gesellschaftlichen Werten fernstehenden Zonen nicht unbedingt zu einem friedlichen Zusammenleben in Deutschland beitragen und - vor allem! - die gesellschaftlichen und beruflichen Perspektiven der Betroffenen extrem mindern. Das hat ja auch die SPD in der letzten Wahlperiode so gesehen, und das sehen ja auch bekannte Sozialdemokraten wie Heinz Buschkowsky so. Die FDP hat ihre Kritikpunkte an der Ehegattennachzugsregelung nie versteckt, hält das Integrationsziel aber für übergeordnet. Wenn die Oppositionsparteien endlich einmal nicht nur mit Anträgen der vorliegenden Art um Migrantenstimmen buhlen, sondern auch einmal die Anliegen des friedlichen Zusammenlebens und der Bekämpfung der Gettobildung ernst nehmen wollten, wären ihre Initiativen ernst zu nehmen. Wir Liberale gestalten dagegen die Zuwanderungspolitik mit der Union neu. Statt politischer Nachsicht mit Integrationsfehlleistungen einerseits und daraus resultierenden Ressentiments der Bevölkerung gegen Zuwanderer andererseits wollen wir eine Steuerung der Zuwanderung nach zusammenhängenden, klaren, transparenten und gewichteten Kriterien, die die Integrationsziele klar benennt und einfordert. Zu Protokoll gegebene Reden Hartfrid Wolff ({1}) Wer dauerhaft hier leben und Bürgerrechte ausüben will, muss Deutscher werden wollen - aber eben auch die Chance erhalten, als solcher wirklich akzeptiert zu werden. Gerade zuwanderungs- und integrationspolitisch waren unsere bisherige Regierungsjahre vier gute Jahre für Deutschland - und das wollen wir fortsetzen. Wir wollen eine neue Kultur des Willkommens, die nicht falsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute macht, sondern Chancen und Perspektiven eröffnet: für die, die nicht nur „territorial“ nach Deutschland kommen, sondern auch in unserem Land und unserer Gesellschaft wirklich ankommen wollen. Wir halten es nicht für unzumutbar, Deutsch zu lernen, wir halten Zuwanderer nicht, wie SPD oder Linke, für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, denen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden kann und die auf Generationen hinaus mit dem Unwort „Migrationshintergrund“ stigmatisiert werden sollen. Wir meinen, dass hier endlich ein Umdenken erfolgen muss: Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden Mitleids und des Verzichts auf Integrationsforderungen muss Deutschland in der Integrationspolitik endlich positiv denken. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für diejenigen, die das geschafft haben. Wir halten integrierte Zuwanderer mit ihren Erfahrungen für eine große Bereicherung unserer Gesellschaft. Wir beglückwünschen diejenigen, die sich erfolgreich integriert haben. Sie können stolz auf ihre Leistung sein, und wir sind dankbar und stolz, dass sie sich für Deutschland entschieden haben.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die heutige Debatte über die seit 2007 geltende aufenthaltsrechtliche Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Sprachanforderungen im Ausland ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert; denn wir reden über eine Regelung, von der eigentlich alle Fachleute - und uneingestanden wohl auch die Bundesregierung wissen, dass sie mit EU-Recht unvereinbar ist. Bemerkenswert ist, dass die SPD in der Zeit der Großen Koalition selbst hoffte, das Bundesverfassungsgericht möge dieses Gesetz doch wieder kassieren. Die FDP forderte vergangene Wahlperiode vehement eine allgemeine Härtefallregelung - von ihr ist dazu nichts mehr zu hören. Und so kann die CDU/CSU weiter ihre harte Linie durchziehen, den Zuzug sozial und bildungsbenachteiligter Menschen zu erschweren; denn das ist der ideologische Kern der erhöhten Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug. Das zeigen schon die zahlreichen Ausnahmeregelungen für Ausländerinnen und Ausländer aus Industrienationen, nachziehende Ehegatten Hochqualifizierter oder für Drittstaatsangehörige, die in einem anderen EU-Staat einen langfristigen Aufenthaltsstatus haben. Besonders hart getroffen wird hingegen die Gruppe der türkischen Einwanderer - obwohl rechtlich mindestens umstritten ist, ob auf sie die erhöhten Anforderungen an die Erlaubnis zum Ehegattennachzug überhaupt angewendet werden darf. Leider hat der Europäische Gerichtshof hierzu bislang keine Entscheidung treffen können, weil die Bundesregierung ihm jeweils mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zuvorkam. Die Niederlande mussten eine analoge Regelung nach einem Urteil des Gerichtshofs bereits zurücknehmen. Die Bundesregierung weiß also ganz genau, was sie von einem solchen Urteil zu erwarten hätte. Dennoch lässt sie Zehntausende Menschen in jahrelang erzwungener Trennung leiden. Das ist unverantwortlich und integrationspolitisch fehlgeleitet. Denn selbstverständlich ist der Erwerb der deutschen Sprache in Deutschland unendlich viel leichter als im Ausland: Hier gibt es ein flächendeckendes Netz von Sprachkursen, hier kann das Erlernte im Alltag direkt angewandt werden, hier kann der Partner oder die Partnerin aktiv helfend zur Seite stehen. Die im Ausland unter unzumutbaren Bedingungen und in erzwungener Trennung mühsam erworbenen Deutschkenntnisse sind hingegen häufig schon wieder verblasst, wenn die Betroffenen nach einem aufwendigen Visumverfahren dann endlich einreisen durften. Auf entsprechende Nachfragen meiner Fraktion musste die Bundesregierung all dies auch einräumen. Und auch das Argument eines angeblich besseren Schutzes vor Zwangsverheiratungen ist geradezu lächerlich - von Zwangsverheiratungen Betroffene oder Bedrohte brauchen ganz andere Hilfen als den Zwang zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse im Ausland! Häufig geht es bei Zwangsverheiratungen übrigens um hier geborene und aufgewachsene Frauen mit perfekten Deutschkenntnissen - schon dies verdeutlicht die Absurdität der Argumentation. Der Zwang zum Spracherwerb ist selbst dann unverhältnismäßig, wenn man tatsächlich meint, damit Zwangsheiraten wirksam begegnen zu können. Um angeblich die doch eher seltenen Fälle einer Zwangsverheiratung mit noch nicht in Deutschland Lebenden verhindern zu können, wird der Ehegattennachzug gleich für alle erschwert, auch wenn im jeweiligen Einzelfall klar auf der Hand liegt, dass eine Zwangsverheiratung ausgeschlossen ist. Bis heute wurde kein Nachweis erbracht, dass auch nur eine Zwangsverheiratung durch die Regelung verhindert werden konnte. Die Berichte über verhinderte oder über Jahre verzögerte Ehegattennachzüge hingegen stapeln sich auf den Tischen der Abgeordnetenbüros, an die sich Betroffene in ihrer Verzweiflung wenden. Ich kann es auch nicht mehr hören, dass immer wieder auf angeblich glückliche Sprachkursteilnehmerinnen in Goethe-Instituten im Ausland hingewiesen wird. Natürlich kann der Spracherwerb in solchen Kursen Spaß machen und wird er von den Betroffenen prinzipiell als sinnvoll erachtet. Aber die große Mehrheit aller Ehegatten würde trotzdem unendlich viel lieber in Deutschland die deutsche Sprache erlernen, zusammen mit ihren Partnerinnen und Partnern - und nicht Zu Protokoll gegebene Reden zwangsweise von ihnen getrennt, zumal viele Menschen keinen Zugang zu diesen Kursen haben oder Tausende Kilometer dafür zurücklegen müssen. Es bleibt dabei, was die Linke schon vor der Verabschiedung dieses unsäglichen Gesetzes gesagt hat und mit den vorliegenden Anträgen nochmals unterstreicht: Das Menschenrecht auf Familienzusammenleben darf nicht unter den Vorbehalt deutscher Sprachkenntnisse gestellt und damit indirekt von der sozialen Herkunft, dem Vermögen, dem Bildungs- und Familienstand und dem Alter der Betroffenen abhängig gemacht werden! Schaffen Sie diese sinnlose und grausame Schikane von Menschen, die sich lieben und zusammen sein wollen, schnellstmöglich ab!

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schon vor meiner Wahl in den Bundestag war es mir ein wichtiges Anliegen, die Familienzusammenführung zu vereinfachen. Als Jurist habe ich diesbezüglich viele Fälle behandelt. Ich habe miterlebt, wie etliche Paare über Jahre unzumutbare und unnötige Trennungen ertragen mussten. Dies ist ein großes menschenrechtliches Problem. Unmittelbar nach meiner Wahl in den Bundestag erreichten mich viele Beschwerden wegen der restriktiven Einwanderungsregelungen beim Ehegattennachzug. Die Beschwerden in Form von Briefen, Anrufen und eingereichten Petitionen nehmen kein Ende. Vorab möchte ich mitteilen, dass wir den Initiativen der SPD und der Linkspartei zustimmen werden. Unsere Fraktion hat bereits 2010 einen Gesetzentwurf zur Erleichterung des Ehegattennachzugs eingereicht. Damit wollen wir die im Jahr 2007 eingeführten Verschärfungen wieder aufheben. Insbesondere geht es uns um die Aufhebung des sogenannten Spracherfordernisses für alle nachziehenden Ehegatten. Des Weiteren fordern wir die Aufhebung der Lebensunterhaltssicherungspflicht beim Nachzug zu Deutschen. Seit 2007 müssen Personen Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau A1 nachweisen, bevor sie ein Visum zum Ehegattennachzug erhalten. Dieser Sprachnachweis wurde von der großen Koalition damit begründet, dass Sprachkurse Zwangsehen verhindern würden ({0}). Belege dafür konnte die Regierung bislang nicht vorlegen. Um Betroffene vor Zwangsverheiratung wirksam zu schützen, sollte die Bundesregierung lieber für mehr Bildung, Aufklärung und niedrigschwellige Beratungsund Schutzangebote sorgen. Sprachen lernt man am besten dort, wo sie gesprochen werden. Der Spracherwerb in Deutschland ist viel leichter, schneller, günstiger und weniger belastend für die Betroffenen. Grundsätzlich ist die Teilnahme an Integrationskursen in Deutschland sogar seit 2005 verpflichtend und kann mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden. Das Spracherfordernis verstößt nicht nur gegen das Grundrecht auf familiäres Zusammenleben, sondern auch gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz. Denn nicht alle nachziehenden Ehegatten müssen Deutschkenntnisse nachweisen. Ausgenommen von der Regelung sind etwa die Ehegatten von Unionsbürgern sowie die Ehegatten von Hochqualifizierten, Selbstständigen und in der Forschung Tätigen. Auch Staatsangehörige aus Ländern, mit denen Deutschland enge wirtschaftliche Beziehungen pflegt, müssen Deutschkenntnisse nicht nachweisen. Eine Regelung, die sich gegen bestimmte, vermeintlich integrationsunwillige Ausländer richtet, lehnen wir ab. Im Juni 2011 gab es eine Anhörung des Innenausschusses zu diesem Thema. Die Mehrheit der Sachverständigen vertrat die Meinung, das Spracherfordernis stünde nicht im Einklang mit dem Grundgesetz und dem EU-Recht. Darüber hinaus bestätigten alle Sachverständigen, dass es keine Belege dafür gibt, dass das Spracherfordernis seinem Zweck - nämlich der Verhinderung von Zwangsehen - dient. Die Aufhebung des Spracherfordernisses ist auch aus europarechtlicher Sicht notwendig. Denn das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug verstößt gegen die Familienzusammenführungsrichtlinie. Dies hat die Europäische Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom Mai 2011 in dem Verfahren vor dem EuGH in der Rechtssache Imran bezüglich der dem deutschen Recht vergleichbaren niederländischen Regelung festgestellt. Die Richtlinie verbiete es den Mitgliedstaaten, Sprachtests als eine „Bedingung“ zu verstehen, von der das Recht auf Familienzusammenführung selbst abhängig ist, so die Kommission. Bei türkischen Staatsangehörigen verstößt die Pflicht, Deutschkenntnisse nachzuweisen, zudem gegen das Verschlechterungsverbot im Assoziationsrecht EWG/ Türkei ({1}). Schließlich hat sich die Haltung des Bundesverwaltungsgerichts gewandelt. Als Reaktion auf die Stellungnahme der Kommission hat es sich von seiner Einschätzung distanziert, die Sprachanforderungen im Aufenthaltsgesetz seien zweifelsfrei mit Unionsrecht vereinbar. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 hat es ausgeführt, dass die Frage, ob das Erfordernis einfacher deutscher Sprachkenntnisse mit der Familienzusammenführungsrichtlinie vereinbar ist, dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung hätte vorgelegt werden müssen. Im September 2012 hat das Bundesverwaltungsgericht dann entschieden, dass das Spracherfordernis für Ehegatten von Deutschen grundrechtswidrig ist und daher nur eingeschränkt gilt. Wir betrachten die Regelungen zum Spracherwerb beim Familiennachzug als menschenunwürdig, verfassungswidrig und überflüssig. Außerdem sollte die Bundesregierung nicht länger warten, bis das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof uns aufträgt, die geltenden Regelungen aufzuheben. Auch die FDP ist der Ansicht, dass die Regelung problematisch ist, weil sie auf die Staatsangehörigkeit Zu Protokoll gegebene Reden des Stammberechtigten und nicht des nachziehenden Ehegatten abstellt. Darüber hinaus ist die FDP auch der Meinung, dass die Regelung unverhältnismäßig ist, weil der Erwerb von Sprachkenntnissen für die Ehegatten im Ausland oft unzumutbar ist ({2}). Wir freuen uns sehr, dass auch die SPD nach langem Hin und Her nun das Spracherfordernis abschaffen will.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 29 a. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13313, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8921 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass damit nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 29 a. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({0}). Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13313, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1626 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir sind beim Tagesordnungspunkt 29 b. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Innenausschusses auf Drucksache 17/13313 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8610 mit dem Titel „Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 29 c. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8081, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1577 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern - Drucksache 17/13022 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 17/13536 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({2}) Memet Kilic - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13540 Berichterstattung: Abgeordnete Stefanie Vogelsang Dr. Peter Danckert Dr. h. c. Jürgen Koppelin Roland Claus Katja Dörner Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern wurde am 22. April 2013 von Experten bei einer Sachverständigenanhörung des Innenausschusses bewertet. Es zeigt sich, dass die Umsetzung der beiden EU-Richtlinien in nationales Recht migrationspolitisch sinnvoll ausgestaltet wurde. Mit der einen EU-Vorgabe wurde der Anwendungsbereich der sogenannten Daueraufenthaltsrichtlinie auf Ausländer erweitert, die internationalen Schutz genießen. Auch sie sollen nun nach fünf Jahren legalem Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat ein europäisches Daueraufenthaltsrecht erhalten. Die zweite Rahmenrichtlinie sieht die Einführung eines kombinierten Arbeitstitels zum Zweck der Erwerbstätigkeit und eine verfahrensrechtliche Bündelung angestrebt. Der Gesetzentwurf beseitigt daneben auch eine ganze Reihe von praktischen Unklarheiten und Unwägbarkeiten in der ausländerbehördlichen Rechtsanwendung und schafft damit Rechtssicherheit. Es wird allen Familienangehörigen, die im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen, unmittelbar nach Einreise und unabhängig von der jeweiligen Qualifikation voller Zugang zu jeglicher Erwerbstätigkeit ermöglicht, so zum Beispiel beim Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder bei der Zuwanderung von Hochqualifizierten. Dieser erleichterte Arbeitsmarktzugang bietet künftig die Möglichkeit, sich von Anfang in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und bietet einen Anreiz zur Zuwanderung junger gut qualifizierter Familien. Als Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich den Wert der Sprache für die Integration nicht oft genug betonen. Gute Kenntnisse der deutschen Sprache sind der Schlüssel für eine gelungene Integration. Die Kritik an die gestiegenen Anforderungen an die Kenntnisse der deutschen Sprache für die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis für nachgezogene Familienangehörige von Deutschen teile ich deshalb nicht. Die gestiegenen Anforderungen gefährden in keinem Fall das Familienleben oder den Aufenthalt des Betroffenen. Selbst wenn ein Familienangehöriger aufgrund der Neuregelung keine Niederlassungserlaubnis erhalten sollte, muss er nicht ausreisen, sondern hat weiterhin eine Aufenthaltserlaubnis. Für eine Niederlassungserlaubnis ist die Forderung nach ausreichenden Sprachkenntnissen gerechtfertigt. Es ist eine sinnvolle Motivation der Betroffenen, die entsprechenden Sprachkenntnisse zu erwerben. So wird auch die Eigenständigkeit des nachziehenden Ehegatten gestärkt, der ohne ausreichende Sprachkenntnisse von seinem deutschen Ehegatten abhängig bliebe. Die geplante Regelung ist somit nicht familienfeindlich, sondern stärkt die Position des hinzugezogenen Ehegatten. Auch die Neuregelung des Kindernachzuges zu nur einem in Deutschland lebenden Elternteil schützt die Position der Familie. Dieser Nachzug wird künftig nicht mehr von dem alleinigen Sorgerecht des Elternteils anhängen. Nun ist der Nachzug eines Kindes auch bei gemeinsamem Sorgerecht möglich, sofern der andere Elternteil dem zustimmt. So ist auch eine Rechtsordnung des Heimatlandes, das kein alleiniges Sorgerecht kennt, keine Hürde mehr für eine Familienzusammenführung. Eine weitere familienfreundliche Neuregelung sieht vor, dass auch nach Eintritt der Volljährigkeit eines ledigen deutschen Kindes die einem Elternteil zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis zu verlängern ist, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und sich in einer Ausbildung befindet. Geplant war eine Klarstellung in § 2 Abs. 3 AufenthG, dass der Bezug von Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 6 b des Bundeskindergeldgesetzes nicht als eine für die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung schädliche Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt. In der Sachverständigenanhörung wiesen Sachverständige jedoch darauf hin, dass sich diese Leistungen schwer genau beziffern lassen, da sie von der konkreten familiären und schulischen Situation und dem Bedarf der Kinder abhängen. Auch steht der Bedarf häufig bei der Aufenthaltstitelerteilung noch nicht fest. Wegen der geringen Höhe der Leistungen für Bildung und Teilhabe sind diese für die Aufenthaltsentscheidung grundsätzlich nie entscheidungserheblich. Kindergeld, Kinderzuschlag und Erziehungsgeld gelten nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und können dem Einkommen hinzugerechnet werden. Die Forderung der Opposition, auch das Wohngeld in den § 2 mit aufzunehmen, verkennt zum einen, dass der Bezug sonstiger öffentlicher Leistungen, so auch des Wohngeldes, der Annahme einer Lebensunterhaltssicherung nicht grundsätzlich entgegensteht. Sie werden zwar nicht bei der Einkommensermittlung berücksichtigt, sind aber unschädlich, wenn der Lebensunterhalt unabhängig von diesen Leistungen gesichert ist. Desweiteren ist eine Aufnahme in den Katalog der Leistungen, die nicht als Bezug von öffentlichen Mitteln gelten, nicht möglich, da das Wohngeld keinen ausschließlich fördernden Charakter hat, sondern auch als existenzsichernde Leistung gewährt werden kann. Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob das Wohngeld zur Existenzsicherung beiträgt. Die zweite Richtlinie, die mit dem Gesetzentwurf umgesetzt wird, sieht die Einführung eines „kombinierten Aufenthaltstitels für Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ und eine „verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis“ vor. Darüber hinaus regelt sie bestimmte Gleichbehandlungsrechte, insbesondere im Renten- und Sozialrecht. Der kombinierte Aufenthaltstitel und die verfahrensrechtliche Bündelung wurden in Deutschland bereits 2005 eingeführt, sodass Umsetzungsbedarf vor allem im Rentenrecht besteht. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Verbesserungen enthält, die die Situation der in diesem Land lebenden Schutzberechtigten nachhaltig und deutlich verbessern wird. Gleichzeitig werden qualifizierten Arbeitskräften, die dringend für die wirtschaftliche Entwicklung gebraucht werden, zusätzliche Anreize geboten. Daher ist dem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dass es diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen tatsächlich schaffen, heute - vier Tage vor Ablauf der Frist! - Richtlinien des Europäischen Parlaments annähernd fristgerecht in nationales Recht umzusetzen, bedarf - weil alles andere als selbstverständlich - einer positive Erwähnung. Dass diese Richtlinien und damit jetzt auch das nationale Recht für Personen, die internationalen Schutz genießen und solche Drittsstaatsangehörige, die hier längerfristig arbeiten, Verbesserungen im Status und im Verfahren bieten, mag ebenso positiv angemerkt werden. Die Begeisterung der SPD-Fraktion hält sich aber in Grenzen, weil einige Regelungen des GesetzentZu Protokoll gegebene Reden wurfs hart an der Grenze des europarechtlich Zulässigen unnötig restriktiv am bisherigen nationalen deutschen Recht entlang ausgestaltet wurden. Ich nenne nur einige Beispiele: Erstens. Warum soll der Bezug von Wohngeld, das der Sicherstellung angemessenen Wohnraums dienen soll, der Erteilung dauerhafter Aufenthaltserlaubnisse entgegenstehen? Zweitens. Warum sollen Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket, die der Erziehung und damit auch der Integration ausländischer Kinder dienen sollen, zugleich den Daueraufenthalt der Familie erschweren? Drittens. Warum müssen alleinsorgeberechtigte Eltern erhöhte Nachweisanforderungen erfüllen, wenn sie ihre Kinder nachziehen lassen wollen? Viertens. Warum werden die Sprachanforderungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis von Familienangehörigen heraufgesetzt? Unter anderem diese Kritikpunkte an dem Gesetzentwurf sind es, die uns veranlassen, zu sagen: Dies hätte man durchaus besser machen können und müssen. Deshalb werden wir in dieser Form dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, ist gut. Er stärkt die Rechte von international Schutzberechtigten. Er zeichnet die Linie der schwarz-gelben Koalition im Ausländer- und Integrationsbereich fort: Fordern und Fördern. Er zeigt, dass Schwarz-Gelb auch im Ausländerrecht die richtigen Akzente setzt. Nun möchte ich auf einige zentrale Vorschriften eingehen: Der Kindernachzug wird signifikant erleichtert. Es ist richtig, dass in Zukunft nicht mehr auf das deutsche Familienrecht abgestellt wird, sondern auch die Realitäten in anderen Staaten berücksichtigt werden. In Zukunft kann das Kind auch bei gemeinsamem Sorgerecht zu nur einem Elternteil nachziehen, wenn der andere Elternteil zustimmt. Endlich wird den ausländischen Familienangehörigen der unbeschränkte Arbeitsmarktzugang eingeräumt. Aus unserer Sicht muss es selbstverständlich sein, dass jeder selbst den eigenen Lebensunterhalt bestreiten darf. Eine Abhängigkeit der Familienangehörigen voneinander oder von staatlichen Leistungen ist nicht sinnvoll. Das freie, selbstbestimmte Individuum ist für uns das ideale Menschenbild. Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes bin ich auf die Anhebung des Sprachniveaus von A1 auf B1 für die Niederlassungserlaubnis für ausländische Ehegatten von Deutschen eingegangen. Wir haben daran bewusst nichts verändert. Die Inländerdiskriminierung, die dadurch hervorgerufen werden soll, muss aus unserer Sicht hingenommen werden: Das Leben ist heute durchsetzt von Entscheidungen auf europäischer Ebene, die zu Ungleichbehandlung mit den Inländern führen. Das ist gang und gäbe. Auch sind Deutschkenntnisse für die Integration zentral. Dies einfach immer wieder infrage zu stellen vonseiten RotRot-Grün, ist für mich nicht nachvollziehbar. Zwei weitere Kritikpunkte möchte ich aufgreifen und richtigstellen: Wir haben das Bildungs- und Teilhabepaket aus dem Katalog des § 2 Abs. 3 AufenthG gestrichen. Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht leichtfertig geschehen ist. Aber die praktische Umsetzung von Normen, auch wenn sie gut gemeint sind, muss möglich sein. An dieser Stelle hat uns die Anhörung sehr zu denken gegeben: Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde hat nachvollziehbar dargestellt, dass die Einbeziehung des Bildungs- und Teilhabepakets zu unverhältnismäßigem Bestimmungsaufwand für die Ausländerbehörden führen würde. Denn jeder Anspruch muss individuell bestimmt werden. Es gibt keine Pauschalbeträge. Gleichzeitig befindet man sich bei dieser Leistung im Bagatellbereich. Daher ist auch in der Begründung des Änderungsantrags klargestellt worden, dass die Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets nie zulasten der Betroffenen ausgelegt werden darf. Auch bei § 32 AufenthG unterliegt die Opposition einem Irrtum: Eine Schlechterstellung von Flüchtlingen ist durch den Gesetzentwurf nicht beabsichtigt und wird es durch die Gesetzesänderung in der Praxis nicht geben. Wir erwarten, dass die Härtefallklausel in § 32 Abs. 4 großzügig in diesen Fällen angewendet wird. Das BMI hat auch zugesichert, dieses Normverständnis in den Anwendungshinweisen zu verankern. So kann eine einheitliche Anwendung in der Praxis sichergestellt werden. Für uns Liberale sind zwei Änderungen von großer Bedeutung, die beide durch den Bundesrat angeregt worden sind: Wir wollen, dass das Sprachniveau in § 4 IntVO angehoben wird von A1 auf B1. Dadurch können Ausländer, die Inhaber der Personensorge für ein in Deutschland lebendes minderjähriges Kind sind, über A1 hinaus zu einem Integrationskursbesuch verpflichtet werden. Diese Änderung wurde insbesondere von den Grünen stark kritisiert. Ich weise gerne nochmal darauf hin, dass das ein Vorschlag des Bundesrates ist, in dem ({0}) nicht Schwarz-Gelb eine Mehrheit hat. Wenn Sie sich also in der Kritik so aus dem Fenster lehnen, dann sollten Sie sich mit Ihren Ländern vorher besprechen. Die Länder haben insbesondere ins Feld geführt, dass durch die Änderung die Bildungschancen der betroffenen Kinder gestärkt werden könnten. Auch möchte ich darauf hinweisen, dass in der Anhörung dieser Punkt positiv bewertet wurde, da es damit zu einer Kostenübernahme kommt. Denken Sie doch wenigstens an die Betroffenen, wenn es Ihnen Zu Protokoll gegebene Reden Hartfrid Wolff ({1}) schon egal ist, ob die Bildungschancen von Kindern erhöht werden. Wir haben gerne den Vorschlag des Bundesrates zu § 18 c AufenthG aufgegriffen. Diesen Aufenthaltstitel zur Arbeitsplatzsuche haben wir im Rahmen der BlueCard-Umsetzung richtigerweise eingeführt: Endlich können Hochqualifizierte nach Deutschland kommen, um einen Arbeitsplatz zu suchen. Bis zum Gesetzespaket der christlich-liberalen Koalition zur Blauen Karte brauchten sie bereits vorab ein Arbeitsplatzangebot; ein Zustand, der vollkommen an der Realität vorbeigegangen ist. Nun wird die Regelung dadurch komplettiert, dass ausländische Fachkräfte, die bereits in Deutschland sind, aber unerwartet ihren Arbeitsplatz verlieren, diesen Aufenthaltstitel vom Inland aus beantragen können. Sie müssen also nicht erst ausreisen, um eine erneute Beantragung zu ermöglichen. Diese Änderung ist zur Klarstellung für die Ausländerbehörden erforderlich, die sich bisher mit allgemeinen Regelungen beholfen habe. Und es ist ein wichtiges Signal an die Fachkräfte: Wir wollen, dass sie bleiben. Alles in allem kann ich auch anhand dieses Gesetzentwurfes feststellen: Die Koalition aus CDU/CSU und FDP war und ist gut und erfolgreich. Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland. Es wird auch gut für Deutschland sein, wenn diese Koalition fortgesetzt wird.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir beraten heute abschließend einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der der Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht dient. International Schutzberechtigte, also Asylberechtigte, Flüchtlinge und subsidiär geschützte Personen, bekommen nun das Recht, nach fünf Jahren Aufenthalt eine Daueraufenthaltserlaubnis-EU zu erhalten. Sie sind damit innerhalb der EU theoretisch freizügigkeitsberechtigt und können sich auch in einem anderen EU-Staat niederlassen. Praktisch müssen allerdings weitere Bedingungen erfüllt werden, wie zum Beispiel der Nachweis eines Arbeitsplatzes, was häufig nicht leicht sein wird. In Umsetzung einer zweiten Richtlinie gibt es für bestimmte Drittstaatsangehörige Verbesserungen bei der Auszahlung von Rentenansprüchen ins Ausland. Bei Gelegenheit der Umsetzung dieser Richtlinien werden noch weitere Änderungen vorgenommen, die wir zum Teil begrüßen: So sollen Personen, die zu ihren Ehegatten nachgezogen sind, endlich einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Auch beim Nachzug von Kindern sind Erleichterungen vorgesehen. Eine weitere ursprünglich geplante Verbesserung wurde durch die Koalitionsfraktionen in den Beratungen des Innenausschusses wieder zurückgenommen. Der Gesetzentwurf der Regierung hatte vorgesehen, dass der Bezug von Leistungen nach dem Bildungsund Teilhabepaket zukünftig keine negative Rolle bei der Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels mehr spielen soll. Nach den geltenden Regeln müssen die meisten Ausländerinnen und Ausländer hierfür einen eigenständigen Lebensunterhalt ohne öffentliche Mittel nachweisen. Das Aufenthaltsgesetz sieht allerdings eine Reihe von Ausnahmen bei bestimmten Leistungen wie dem Kindergeld vor. Dass nun der Bezug der Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket doch nicht in die Liste der Ausnahmen aufgenommen werden soll, halten wir integrationspolitisch für fatal. Meine Fraktion hat in den Beratungen des Innenausschusses dagegen beantragt, darüber hinaus den Bezug von Wohngeld in die Liste der Ausnahmen mit aufzunehmen. Das geht auf Forderungen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände zurück. Wohngeld ist keine Sozialleistung, die zur Lebensunterhaltssicherung dient, sondern eine Leistung, die gerade Familien angemessenen Wohnraum sichern soll. Darüber hinaus dürfen auch Freibeträge im Sozialgesetzbuch, die die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit fördern sollen, nicht dazu führen, dass die Höhe des im Aufenthaltsrecht nachzuweisenden Einkommens steigt. Das ist absurd, aber so ist es derzeit Praxis. Die Koalition hat leider auch diesen Änderungsantrag abgelehnt. Grundsätzlich bleiben wir bei unserer Haltung, dass der Bezug von Sozialleistungen generell einer Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegenstehen soll. Denn damit wird eine Bevölkerungsgruppe getroffen, die am Arbeitsmarkt auf vielfältige Art ohnehin stark benachteiligt ist. Es gibt noch weitere Gründe, die zu einer Ablehnung dieses Gesetzentwurfs durch unsere Fraktion führen. Anlässlich der Richtlinienumsetzung werden Verschärfungen vorgenommen, die die falsche Migrations- und Integrationspolitik dieser Koalition fortführen. So werden die Sprachhürden bei nachgezogenen Eheleuten von Deutschen vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis heraufgesetzt. Damit werden wieder einmal bildungsbenachteiligte Migrantinnen und Migranten und ältere Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Erlernen der deutschen Sprache haben, benachteiligt. Mit der Neuregelung des Kindernachzugs, die an sich begrüßenswert ist, geht leider auch eine vermutlich sogar ungewollte Verschärfung für anerkannte Flüchtlinge einher. Denn auch sie müssen künftig Personensorgenachweise erbringen, wenn sie ihre Kinder nachholen wollen. Diese Nachweise sind für Flüchtlinge aber häufig nur sehr schwer oder gar nicht zu erbringen. Warum sollte ein Verfolgerstaat seinen Opfern helfen, ihre Kinder zu sich zu holen? Hier hätte es eine gesetzliche Klarstellung oder Ausnahmeregelung geben müssen, aber auch das hat die Koalition bedauerlicherweise abgelehnt. Ein dritter Punkt wurde in der Sachverständigenanhörung angesprochen. Es soll eine neue Befugnis der Grenzbehörden geschaffen werden, beim Verdacht auf erschlichene Visa ohne Hinzuziehen der Ausländerbehörde die Einreise zu verweigern. Mehrere Sachverständige haben die Befürchtung vertreten, dass diese neue Befugnis zu vermehrten Inhaftierungen an der Zu Protokoll gegebene Reden Grenze führen könnte, weil Personen in Zurückschiebungshaft genommen werden. Diese Befürchtung konnte durch die Bundesregierung nicht ausgeräumt werden. Hier drohen also Freiheitsentziehungen in unbekannter Zahl auf bloßen Verdacht hin. Das können wir, wie den gesamten Gesetzentwurf, nicht mittragen.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir Grünen werden dem Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb zur Umsetzung der sogenannten Rahmenrichtlinie und der Richtlinie zum Daueraufenthaltsrecht von International Schutzberechtigten nicht zustimmen. Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, dass die Bundesregierung EU-Richtlinien entlang ihrer Mindestanforderungen umsetzt, nur um keine Untätigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof zu riskieren. Eine menschenorientierte Politik, die einen sicheren Aufenthaltsstatus und Gleichbehandlung für Einwanderer und Einwanderinnen gewährleistet, damit sie sich frei von Existenzängsten in die Gesellschaft einbringen können, sieht anders aus. Einen klaren Richtlinienverstoß begeht die Bundesregierung bei der von der Rahmenrichtlinie vorgegebenen Gleichbehandlung bei Familienleistungen. Der Caritas Verband hat in der Ausschussanhörung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausschlussregelungen für Ausländerinnen und Ausländer im deutschen Familienleistungsrecht unvereinbar mit der Rahmenrichtlinie sind und - wie vom Bundesverfassungsgericht festgestellt - gegen das Grundgesetz verstoßen. Dem folgend haben wir mit unserem Änderungsantrag im Innenausschuss gefordert, dass alle Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzen oder seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland leben, Familienleistungen erhalten. Noch gravierender als die problematische Umsetzung der Richtlinien sind die im Gesetzentwurf enthaltenen richtlinienunabhängigen Änderungen. So soll das Sprachniveau für eine Niederlassungserlaubnis bei Familienangehörigen von Deutschen von „einfachen Kenntnissen“ - A1 - auf „ausreichende Kenntnisse“ - B1 - angehoben werden. Das widerspricht nachhaltiger Integrationspolitik: Wer mehr gesellschaftliche Teilhabe fordert, muss die Aufenthaltsverfestigung fördern, anstatt sie mit immer neuen Hürden zu erschweren. Für türkische Staatsangehörige, bei der die Regelung die größte Anwendung findet, wird sie wegen des assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbots nach Art. 13 ARB 1/80 nicht gelten. Der Gesetzentwurf erschwert außerdem ausgerechnet Kindern von Flüchtlingen den Nachzug. Es ist für viele Flüchtlinge bereits heute schwierig, die geforderten Abstammungsdokumente vorzulegen. Die Sachverständigen haben in der Ausschussanhörung deutlich gemacht, dass die zukünftig vorzulegenden Unterlagen zur Personensorgeberechtigung in der Praxis zu unüberwindbaren Hürden führen werden. Wir wollen den entgegengesetzten Weg nehmen. In unserem Antrag „Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten“ - Bundestagsdrucksache 17/12395 - schlagen wir Verbesserungen für Kinder und ihre Familien vor. Schließlich kritisieren wir, dass die Bundesregierung nicht die sinnvollen Änderungsanträge des Bundesrates übernommen hat. Genannt sei nur der Vorschlag des Bundesrates, die Regelung zur Aufenthaltserlaubnis nach dem Assoziationsrecht EWG/Türkei an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2012 - Az.: 1 C 6/11 - anzupassen. Trotz der vielen wichtigen Hinweise der Sachverständigen zum Nachbesserungsbedarf hat es SchwarzGelb geschafft, den Gesetzentwurf durch einen eigenen Änderungsantrag zu verschlechtern. So wurde die noch im Gesetzentwurf enthaltene Ergänzung des Katalogs der unschädlichen Leistungen für die Bewertung der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung um das Bildungs- und Teilhabepaket zurückgenommen. Stattdessen hätte die Koalition nach den Ergebnissen der Anhörung zusätzlich das Wohngeld in den Katalog aufnehmen müssen. Zudem hat Schwarz-Gelb nachträglich die Teilnahmepflicht an Integrationskursen auf alle Personen erweitert, die Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1 nicht erfüllen. Es ist absurd, das für die Einbürgerung erforderliche Sprachniveau auch bei Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis zu verlangen. Insbesondere wegen der Anhebung der Sprachanforderungen, der fehlenden Umsetzung der Rahmenrichtlinie bei den Familienleistungen und der Verschlechterung für die Kinder von Flüchtlingen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Bedauerlicherweise hat Schwarz-Gelb unsere entsprechenden Änderungsanträge nicht übernommen. Mit diesem Gesetzentwurf zeigt die Bundesregierung wieder einmal, wie schwer sie sich damit tut, die Rechte von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13536, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13022 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 36 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht - Drucksache 17/9187 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 17/13315 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({1}) Josef Philip Winkler Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es war in der Tagesordnung so ausgewiesen.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt die SPD-Fraktion das Ziel, die Situation unbegleiteter Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht zu verbessern. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben ein erhöhtes Schutzbedürfnis, dem wir Rechnung tragen müssen. In diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Allerdings stellen die hier vorgelegten Forderungen in meinen Augen keine sachgerechte Lösung dar oder sind schlichtweg überflüssig. Hierzu gehört beispielsweise die Forderung der SPD nach einer Klarstellung im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht dahin gehend, dass bei der Rechtsanwendung das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt sei. Wozu diese Klarstellung, da eine entsprechende Verpflichtung doch bereits aus der UN-Kinderrechtskonvention folgt? Hierzu gehört auch Ihre Forderung, die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger nach den aufenthalts- und asylrechtlichen Vorschriften von 16 auf 18 Jahre anzuheben und so allen unbegleiteten Minderjährigen einen gesetzlichen Vertreter zur Seite zu stellen. Natürlich ist es richtig, im Asylverfahren nicht nur Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum 18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand zur Seite zu stellen. Die künftige Asylverfahrensrichtlinie sieht deshalb vor, dass im Asylverfahren bei allen Minderjährigen ein gesetzlicher Vertreter vorhanden sein muss. Sie belässt den Mitgliedstaaten aber auch die Möglichkeit, eine Asylbeantragung durch den Minderjährigen selbst, also unabhängig von einem gesetzlichen Vertreter, vorzusehen. Wir werden im weiteren Verfahren prüfen, wie wir diese Richtlinienvorgaben umsetzen können. Aber Ihr Vorschlag, der 16- und 17-jährigen unbegleiteten Jugendlichen kein eigenes Antragsrecht mehr belässt, erscheint mir zu weitgehend. Ihre Forderung, die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung durch eine Inobhutnahme durch das Jugendamt zu ersetzen, überzeugt mich schon deshalb nicht, weil die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Ausländer durch das Jugendamt gemäß § 42 SGB VIII bereits verbindlich vorgeschrieben ist, und zwar unabhängig von einem gestellten Asylantrag. Das Jugendamt sorgt dann auch für die Unterbringung des minderjährigen Ausländers. Dabei muss es sich um eine für Minderjährige geeignete Wohnform handeln. Diese Anforderung sollte meiner Meinung nach aber auch gelten, wenn es sich um im Familienverband unterzubringende Kinder und Jugendliche handelt. Daher erscheint es eher sachgerecht, die Anforderungen an Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte, in denen Minderjährige untergebracht werden sollen, so zu gestalten, dass sie für begleitete und unbegleitete Minderjährige kinder- und jugendgerecht sind. Hier sind die Länder gefragt. Dies könnte durch eine entsprechende Zertifizierung der Unterkünfte durch die Landesjugendämter gewährleistet werden. Bisher ist die Anwendung von § 45 SGB VIII für Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte allerdings aufgrund § 44 Abs. 3 und § 53 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz ausgeschlossen. Die länderübergreifende Umverteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern im Asylverfahren findet kaum noch statt, weil hier ein Spannungsverhältnis zur Inobhutnahmeregelung besteht. Die sehr ungleiche Verteilung unbegleiteter minderjähriger Ausländer über das Bundesgebiet würde durch den Gesetzesvorschlag aber noch befördert, so dass auch hier Prüfungsbedarf besteht. Mit ihrem Antrag möchte die SPD wieder einmal den Eindruck erwecken, als würden wir unserer Verpflichtung, das Kindeswohl bestmöglichst zu berücksichtigen, nur unzureichend nachkommen. Dabei war es doch die Koalition aus FDP und Union, die in den letzten drei Jahren gerade im Bereich des Ausländerund Asylrechts einige wesentliche Verbesserungen auf den Weg gebracht hat. Das Bleiberecht für gut integrierte ausländische Jugendliche ist eine enorme Verbesserung und bedeutet eine realistische Perspektive für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund. Der Zugang für „Flüchtlingskinder“ zu schulischen und beruflichen Bildungsangeboten wurde erheblich verbessert. Der Schulbesuch ist mittlerweile in fast allen Bundesländern auch für geduldete Kinder und solche, die sich noch im Asylverfahren befinden, obligatorisch. Zudem wurde mit dem sogenannten Zweiten Richtlinienumsetzungsgesetz § 87 Aufenthaltsgesetz dahingehend geändert, dass Schulen sowie Bildungsund Erziehungseinrichtungen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetz ausgenommen sind. Zu Protokoll gegebene Reden Deutschland ist weltweit eines der führenden Aufnahmeländer von Flüchtlingen. 2012 hatte Deutschland mit 77 500 Asylanträgen die höchste Zahl der Flüchtlinge innerhalb der EU zu verzeichnen. In Kürze werden die Verhandlungen für ein verbessertes gemeinsames europäisches Asylsystem zum Abschluss kommen. Ziel ist es, unionsweit höhere einheitliche Schutzstandards und ein gleiches Schutzniveau zu erreichen sowie ein hohes Maß an Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen. Gleichzeitig müssen den nationalen Asylbehörden geeignete Instrumente bereitgestellt werden, damit sie Asylströme effizient bewältigen und Betrug und Missbrauch effektiv verhindern können, um so die Integrität und Glaubwürdigkeit des Asylsystems zu wahren. Deutschland hat bei den Verhandlungen auf eine maßvolle und ausgewogene Änderung der bestehenden Regelungen hingewirkt. Die Asylverfahrensrichtlinie als Teil des gemeinsamen europäischen Asylpakets sieht auch einige Änderungen im Bereich des Verfahrensrechts vor, die die Situation Minderjähriger betreffen. So sieht die künftige Asylverfahrensrichtlinie bei unbegleiteten Minderjährigen besondere Verfahrensgarantien in beschleunigten Verfahren - dazu gehört in Deutschland das Flughafenasylverfahren - vor. Das deutsche Recht entspricht dem zwar bereits weitgehend. Bei der Richtlinienumsetzung wird gleichwohl zu prüfen sein, inwieweit sich der nochmals erhöhte Aufwand für die Durchführung dieser Verfahren bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern noch lohnt, zumal ihnen bereits jetzt in aller Regel die Einreise zur Durchführung der Asylverfahren im Inland gestattet wird. Andererseits warne ich davor, dass ein vollständiger Verzicht auf die Durchführung des Flughafenasylverfahrens und ein daraus resultierendes Recht auf Einreise für alle unbegleiteten Minderjährigen als Pull-Faktor, der falsche Anreize für einen möglichen Missbrauch des Asylrechts setzt, wirken könnten. Da ein vollständiger Verzicht auf die Durchführung des Flughafenasylverfahrens für diese Personengruppe kaum mehr rückgängig gemacht werden könnte, bietet es sich eher an, das Flughafenasylverfahren für unbegleitete Minderjährige grundsätzlich beizubehalten, es aber - wie bisher - nur in Ausnahmefällen anzuwenden. Ein Recht auf Einreise allein wegen Minderjährigkeit wird es aufgrund der damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten mit uns nicht geben.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Vorbereitung auf diese Rede habe ich auf den Seiten des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen einmal nachgelesen, was dort zu der Situation von Kindern in Deutschland allgemein gesagt wird: „Den meisten Kindern in Deutschland geht es gut. Die Kindersterblichkeit ist eine der niedrigsten weltweit. Praktisch alle Kinder gehen zur Schule. Viele haben Lernmöglichkeiten und Freizeitangebote, von denen ihre Altersgenossen in anderen Ländern nur träumen.“ Bis hierhin ein erfreulich positives Bild, so wie ich es mir für das Land, in dem ich lebe, wünsche. Dann aber folgt der kurze Satz: „Aber es gibt noch ein anderes Bild von Kindheit in Deutschland. Besonders schwierig ist die Situation für Kinder, die als Flüchtlinge in Deutschland leben. Flüchtlinge ohne gesicherten Aufenthaltsstatus haben nur eingeschränkt Zugang zu ärztlicher Behandlung. … Schon 16-Jährige werden wie Erwachsene behandelt.“ Die Kinderrechtskonvention gebietet, alle Kinder gleich zu behandeln, egal ob sie aus einem anderen Land stammen, eine andere Sprache sprechen, Eltern haben, die anders denken und an einen anderen Gott glauben als die meisten von uns, oder keine Eltern mehr haben. Egal was es zu entscheiden gibt: Das Recht des Kindes muss an erster und oberster Stelle stehen. Es muss der Maßstab sein. Bei uns tritt die Volljährigkeit mit 18 Jahren ein. Erst dann ist man voll geschäftsfähig. Wir wissen alle, dass es die Kinderrechtskonvention Ländern möglich macht, von dieser Regelung abzuweichen und Ausnahmen zu statuieren. So setzt bislang die Verfahrensfähigkeit im deutschen Asylverfahren bereits mit 16 Jahren ein. Der jugendliche Flüchtling wird ausgerechnet im Asylverfahren, einem Verfahren, das entscheidend für sein weiteres Leben ist, behandelt wie ein Erwachsener; er wird nicht mehr geschützt wie ein Kind. Wir wollen daher die Einführung der Verfahrensfähigkeit für Flüchtlinge schon mit 16 Jahren endgültig abschaffen. Denn genau wie es die Konvention gebietet, steht für meine Fraktion das Wohl des Kindes an erster Stelle; es ist die Messlatte, an der wir unsere Entscheidungen und Handlungen zu orientieren haben. Daher können wir auch keinen Argumentationen folgen, die gelegentlich aus den Reihen der CDU/ CSU-Fraktion zu hören sind, wonach darauf verwiesen wird, dass allein die Tatsache, minderjährig zu sein, kein Recht auf Einwanderung liefern dürfe und man einem offensichtlichen Missbrauch des Asylrechts gerade hier deutlich entgegentreten müsse. Wir wollen eine durchweg am Kindeswohl orientierte Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrationspolitik, die mit Taten zeigt, dass wir es ernst meinen und es nicht bei bloßer Symbolpolitik belassen. Aus diesem Grund schlagen wir mit dem vorliegenden Gesetz die Anhebung der Verfahrensfähigkeit im Asylverfahren auf 18 Jahre vor. Unbegleitete Minderjährige sollen grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des Flughafenverfahrens herausgenommen werden. Entsprechend der Kinderrechtskonvention müssen Jugendliche und Kinder kindgerecht untergebracht werden. Zwar ist die Inobhutnahme schon jetzt die eigentlich notwendige Unterbringung von Jugendlichen. In der Praxis wird dies allerdings immer wieder unterlaufen, und minderjährige Flüchtlinge werden in asylrechtlichen Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Zum Wohle der Zu Protokoll gegebene Reden Jugendlichen wollen wir hier eine gesetzliche Klarstellung. Ebenso wollen wir die Klarstellung, dass jedem minderjährigen Jugendlichen im Asylverfahren ein Vormund zur Seite zu stellen ist. Deutschland soll ein Land werden, in dem alle Kinder gut leben können. Auch Flüchtlingskinder. Für diese Kinder bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Grundsätzlich ist es ein ehrenwertes Anliegen, die Situation von minderjährigen Flüchtlingen in den Blick zu nehmen. Auch einzelne Vorschläge des SPDGesetzentwurfs sind aus unserer Sicht durchaus diskutabel. Aber warum macht die SPD den Gesetzentwurf ausgerechnet jetzt? Die SPD hat elf Jahre im Bund mitregiert und nichts in diesem Bereich geschafft. Aber in der Opposition will sie allen zeigen, wo es langgeht. Zudem ist zu sagen, dass vieles bereits von den Ländern gemacht werden könnte. Da könnte die SPD selber viel von dem gestalten, was sie hier im Bundestag vorträgt - wenn sie es denn ernsthaft wollte. Ob etwa eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften abträglich sein kann, können die Länder sich überlegen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich hier offenbar nicht mit ihren Landesregierungen abgestimmt. Von dort würden wohl eher kritische Töne kommen. Insofern ist der Gesetzentwurf eher ein billiger, aber wenig überzeugender Anbiederungsversuch an die entsprechenden Interessengruppen. Die Autoren des Gesetzentwurfes geben vor, die Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Ausländerrecht verbessern zu wollen. Die Anhörung dazu am 15. April im Innenausschuss hat gezeigt, dass dieses Ziel verfehlt wird. Der Gesetzentwurf versucht durch den konkreten Bezug auf das Kindeswohl in bestimmten Regelungen diesem mehr Gewicht zu verleihen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Denn das Kindeswohl ist aufgrund der Kinderrechtskonvention immer und in allen Rechtsbereichen vorrangig zu berücksichtigen. Die explizite Nennung an bestimmten Stellen würde nur dazu führen, dass man sich an anderen Stellen, wo das Kindeswohl nicht explizit genannt würde, fragen müsste, ob es dort nicht geschützt werden muss. Das wollen wir nicht. Die SPD behauptet, dass die Änderungen wegen der Rücknahme des Vorbehalts zur Kinderrechtskonvention durch die Bundesregierung erforderlich seien. Allerdings lässt die Konvention, wie bei internationalen Vereinbarungen üblich, einen großen Umsetzungsspielraum; davon konkrete Änderungen im deutschen Ausländerrecht abzuleiten, ist nicht möglich. Insbesondere wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die Verfahrensfähigkeit von 16 auf 18 Jahre anzuheben. Politisch mag das ja wünschenswert sein, aber die Konvention gebietet es nicht. Stehen Sie doch einfach dazu, dass Sie bestimmte Dinge für politisch richtig halten; dafür müssen Sie nicht auf internationale Übereinkommen verweisen, die das nicht hergeben. Die Sachverständigen haben überdies darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf zur Unzeit kommt. Gegenwärtig wird das europäische Asylpaket endabgestimmt. Dort finden sich viele Regelungen, die gerade auf diesen Bereich Einfluss haben werden. Der absehbare Abschluss der Verhandlungen sollte abgewartet werden, um dann alle Änderungen in einem Änderungsverfahren abzuhandeln. Im Unterschied zu elf Jahren SPD haben die bald vier Jahre Regierungsbeteiligung der FDP sehr viel mehr bewirkt - gerade auch im Bereich des humanitären Ausländerrechts. Gerade im Bereich der Ausländer- und Integrationspolitik können wir selbstbewusst feststellen: Es waren vier gute Jahre für Deutschland. Wir haben in diesen Jahren geschafft, wo die SPD in ihrer Regierungszeit versagt hat. Wir haben dafür gesorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen Platz im Ausländerrecht erhält. Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir nutzen die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser und stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern gehören zusammen. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft weiter zu entwickeln. Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. Multikultiromantik oder Desintegration durch Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen bestehende Defizite der Integrationspolitik an. Es gilt, die Möglichkeiten der Zuwanderung für unser Land besser zu nutzen. Mit unseren bisherigen Gesetzesintiativen wurden in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur humanitären Besserstellung von Ausländern, die in Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir haben erstmals für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hatte das nicht zustande gebracht. Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungssteuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als die SPD in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbeteiligung. Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch den Opfern von Zwangsverheiratungen eine Perspektive mit einem eigenständiges Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich zu befreien. Dem dient auch die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe. Zu Protokoll gegebene Reden Hartfrid Wolff ({0}) Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen, ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Integrationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chancen für Menschen, die nach Deutschland kommen, auch in Deutschland wirklich anzukommen und sich eine Existenz aufzubauen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven. Wir fördern und fordern. So kommt Deutschland - und alle, die hier leben wollen - voran. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Wir stellen die Weichen dafür. Wünsche der SPD, etwa Zurückweisungen an der Grenze oder das Flughafenverfahren generell auszuschließen, sind von solcher Art, wie sie die SPD selbst in ihrer Regierungszeit nie auch nur versucht hat. Sicherlich ist die SPD einverstanden, dass wir deshalb solche Vorschläge, denen näherzutreten sie selbst in Regierungszeiten nicht geneigt war, jedenfalls nicht wegen ihrer jetzigen Anträge, nicht zu unseren Hauptprioritäten bei der Diskussion um besseren Flüchtlingsschutz machen. Die FDP bleibt dabei: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssen ihren Bedürfnissen entsprechend behandelt werden. Ihre Schutzbedürfnisse sind unbedingt zu beachten. Für uns gehört dazu auch das Recht auf Bildung. Das Kindeswohl muss im Zentrum stehen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD fordert im Kern, den Vorrang des Kindeswohls in allem behördlichen Handeln gesetzlich zu verankern. Dies ist eine der zentralen Forderungen aus der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat. Der Vorrang des Kindeswohls soll nach dem Willen der SPD nun auch ausdrücklich im Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz verankert werden. Die „Verfahrensmündigkeit“ im Asyl- und Aufenthaltsrecht bereits ab 16 Jahren soll zurückgenommen werden. Die Verfahrensmündigkeit ab 16 Jahren führt heute dazu, dass selbst unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt werden. Zurückweisungen an den Grenzen sollen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ebenso verboten sein wie die Durchführung eines Asyl-Flughafenverfahrens oder die Unterbringung in Asyl-Erstaufnahmeeinrichtungen. Um die Jugendlichen optimal zu begleiten, sollen in jedem Fall sofort die Jugendämter eingeschaltet werden, um sich um Fragen der Unterbringung und Betreuung zu kümmern. Das betrifft auch die Bestellung eines Vormundes, der die Jugendlichen dann auch in allen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Fragen vertreten kann. Diese Forderungen entsprechen im Wesentlichen dem, was auch die Linke in zwei Anträgen in dieser Wahlperiode bereits gefordert hat. Auch die Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen kritisieren regelmäßig den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland und fordern deutliche Verbesserungen. Der Vorbehalt gegen die UN-Kinderrechtskonvention, mit dem die Bundesrepublik über Jahre hinweg verhindert hat, dass diese wichtige Konvention auch für ausländische Kinder in Deutschland gilt, wurde zwar zurückgenommen. Geändert hat sich an der prekären Lage der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren aber nichts. In einer Anhörung des Innenausschusses zu diesem Gesetzentwurf wurde von den Sachverständigen der Regierungskoalition die Ansicht vertreten, eine eigene Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland sei überflüssig. Sie erfolge bereits auf dem Umweg über die EU, die in der Neufassung der Aufnahme- und der Asylverfahrensrichtlinie auch die UN-Kinderrechtskonvention beachte. Deshalb sei die Konvention in Deutschland gar nicht mehr eigenständig umzusetzen, dies geschehe automatisch durch die EU-Asyl-Richtlinien und die Rechtsprechung des EuGH. Diese Argumentation ist dürftig. Nichts hindert ja den deutschen Gesetzgeber daran, im Vergleich zu den EU-Asyl-Richtlinien günstigere Regelungen zu beschließen. Im Gegenteil: Wenn die Asyl-Richtlinien nach Ansicht des Bundestages kein ausreichendes Schutzniveau für minderjährige Flüchtlinge vorsehen, dann besteht geradezu die Pflicht, günstigere Regelungen zu beschließen. Da nach unseren Kenntnissen kein anderer EU-Staat solch eine absurde Regelung zur Asylverfahrensmündigkeit kennt, enthält die Neufassung der EU-Asylverfahrensrichtlinie dazu nach dem derzeitigen Verhandlungsstand auch nichts. Außerdem erfolgt die Umsetzung der Richtlinien erst in ein bis zwei Jahren; die unbegleiteten Minderjährigen sind aber jetzt in der Bundesrepublik und brauchen Schutz und Unterstützung. Wir werden dem Antrag der SPD deshalb zustimmen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bündnis 90/Die Grünen haben sich stets für eine vorbehaltslose Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention eingesetzt und dies auch in mehreren parlamentarischen Initiativen zum Ausdruck gebracht. Nach der Rücknahme des deutschen Vorbehalts müssen nun auch die bundesrechtlichen Konsequenzen durch Gesetzesanpassungen insbesondere im Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz gezogen werden. Die Rechtsauffassung des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, aus der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung ergäbe Zu Protokoll gegebene Reden sich ({0}) kein legislativer Handlungsbedarf, ist insofern nicht nachzuvollziehen, als dann völlig unverständlich ist, warum die Bundesregierung seit 18 Jahren mit allen Mitteln versucht hat, die Rücknahme einer angeblich völlig folgenlosen Vorbehaltserklärung zu verhindern. Denn es trifft nicht zu, dass ausländischen Kindern schon heute alle sich aus der UN-Kinderrechtskonvention tatsächlich ergebenden Rechte gewährt werden. Auch wenn einzelne Regelungen der Verwaltungspraxis Spielräume bieten, ist der Gesetzgeber trotzdem selbst gefordert. Andernfalls besteht die Gefahr uneinheitlicher Standards innerhalb Deutschlands. Dies gilt insbesondere für die zentrale Frage der Handlungsfähigkeit von Minderjährigen. Obwohl nach der UN-Kinderrechtskonvention ({1}) die Kindheit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres andauert, werden ausländische Kinder bereits ab dem 16. Lebensjahr in allen ausländerrechtlichen Verfahren, einschließlich des Asylverfahrens, wie Erwachsene behandelt. Der SPD-Gesetzentwurf greift diese zentrale Forderung auf, und verankert erfreulicherweise im vorliegenden Gesetzentwurf das Prinzip des Kindeswohls als vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt. Allerdings gibt es auch Unstimmigkeiten im Gesetzentwurf der SPD, die in der Sachverständigenanhörung des Innenausschuss auch deutlich zur Sprache kamen: Insbesondere das Kompetenzverhältnis der Ausländerbehörden und der Jugendämter sind im Gesetzentwurf der SPD in Richtung Ausländerbehörden bzw. Ordnungspolitik geregelt. Dies spielt zum Beispiel eine bedeutende Rolle beim Thema „Altersfeststellung“. Da soll laut SPD das Jugendamt hinzugezogen werden, wenn es „strittige Fälle“ gibt. Im Sinne des Kindeswohles wäre aber die umgekehrte Vorgehensweise sinnvoller, nämlich dass immer das Jugendamt in diesen Verfahren der Altersfeststellung die Federführung hat. Beim Thema „Flughafenasylverfahren“ schlägt die SPD vor, unbegleitete Minderjährige von diesem Schnellverfahren auszunehmen, dass im Flughafentransit unter Bedingungen der Kasernierung durchgeführt wird. Dies begrüßen wir, wenngleich die Forderung hinter der grünen Initiative zurückbleibt, die eine vollständige Abschaffung des Flughafenverfahrens vorsieht. Eine Klarstellung sieht der SPD-Gesetzentwurf im Bereich der Inobhutnahme von minderjährigen Flüchtlingen vor. So müsste schon heute eine Inobhutnahme flächendeckend erfolgen - also eine jugendgerechte Unterbringung statt einer in Gemeinschaftsunterkünften mit Erwachsenen - ebenso wie die Bestellung eines Vormundes. Da diese Vorgaben in der Praxis immer wieder unterlaufen werden, ist eine solche Klarstellung hilfreich. Andere dringend notwendige Verbesserungen für Flüchtlingskinder werden allerdings durch den Gesetzentwurf der SPD nicht erreicht: Minderjährige Asylsuchende sollten nicht länger aufgrund der EUZuständigkeitsverordnung Dublin II in Abschiebungshaft genommen und in andere EU-Länder zurückgeschoben werden. Die Rückschiebung von Minderjährigen widerspricht dem Kindeswohl. Der Gesetzentwurf sieht ebenfalls keine Verbesserung hinsichtlich der strukturellen Benachteiligung von jungen Flüchtlingen durch das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Die durch das benannte Gesetz vollzogene Schlechter-Behandlung steht im Widerspruch zu Art. 2 der Kinderrechtskonvention, dem Verbot der Diskriminierung. Aus den genannten Gründen werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13315, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9187 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind Sozialdemokraten und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz - Drucksache 17/13021 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/13494 Berichterstattung: Abgeordneter Stephan Kühn - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13495 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Johannes Kahrs Dr. h. c. Jürgen Koppelin Roland Claus Sven-Christian Kindler Vizepräsident Eduard Oswald Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs zur Investitionsförderung in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen ließ sich die Bundesregierung von der Erkenntnis leiten, auf den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach Güterfernverkehrsleistungen in Deutschland und Europa umweltgerecht zu reagieren, die öffentlichen nicht bundeseigenen Schienenwege zu stärken und sie langfristig für den Schienengüterfernverkehr zu ertüchtigen und zu sichern. Damit wird ein weiteres wichtiges verkehrspolitisches Projekt dieser Koalition auf den Weg gebracht. Wir haben das Gesetz so einfach wie möglich gestaltet. Auf diese Weise sind eine Förderrichtlinie oder eine Verordnung entbehrlich. Das macht die Umsetzung wesentlich einfacher. Die Vorschläge der Länder wurden weitestgehend übernommen. Ziel des Gesetzes ist die Einbindung einer sicheren und nutzungsfähigen Schieneninfrastruktur der nicht bundeseigenen Güterbahnen - mit 4 300 Kilometer beträgt der Anteil der NE-Bahnen immerhin circa 11 Prozent des Schienennetzes - in das gesamte Schienengüterverkehrsnetz. Wir schaffen damit einen zusätzlichen infrastrukturellen Baustein, um den bedeutsamen volkswirtschaftlichen und ökologischen Schienengüterverkehr zu stärken. Damit werden wir nicht nur die Leistungsfähigkeit der NE-Bahnen erhöhen, sondern einen positiven Effekt im Gesamtschienennetz erreichen. Das Gesetz regelt, dass die zur Verfügung gestellten Mittel für das Streckennetz der nicht bundeseigenen Güterbahnen zweckgebunden verwendet werden sollen. Außerdem wird festgelegt, dass die geförderten Bahnstrecken auch von anderen Schienenverkehren genutzt werden können. Auch damit stärken wir den Wettbewerb auf der Schiene. Zu berücksichtigen ist der Netzgedanke, welcher voraussetzt, dass die zur Förderung vorgesehenen Schienenwege der nicht bundeseigenen Eisenbahnen bestimmte Leistungsparameter aufweisen müssen. Orientiert hat sich die Bundesregierung dabei sowohl an den Leistungsparametern, die die Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen im Kernschienenwegenetz erfüllen, als auch an den Leistungsparametern der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für den Schienengüterfernverkehr genutzten Schienenwege. Positiv hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass im Zuge der parlamentarischen Beratung einige dieser Leistungsparameter verändert und praxistauglicher gestaltet wurden. Es wurde dabei berücksichtigt, dass es sich bei den NE-Infrastrukturen mehrheitlich um Nebenstrecken mit niedrigen Belastungskennwerten handelt. Deshalb wurde die Regelgeschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer gesenkt, um zu vermeiden, dass von vornherein zu viele NE-Infrastrukturbetreiber ausgeschlossen werden. Ebenso ging es mit der durchgängig zulässigen Radsatzlast, die von 22,5 Tonnen auf 20 Tonnen gesenkt wurde. Auch das Fahrzeuggewicht wurde je Längeneinheit von 8 Tonnen auf 6,4 Tonnen pro Meter herabgesetzt. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir mit diesem Gesetzentwurf ein neues Fördergebiet beschreiten, das bislang in erster Linie den Ländern und den Kommunen vorbehalten ist. Deshalb ist es sinnvoll und richtig, dass das Eisenbahn-Bundesamt als ausgewiesene Fachbehörde für die Bewilligung der Anträge zuständig ist und die Zuwendungsbescheide erstellt. Mit diesem Gesetz wird der Verkehrsträger Schiene wesentlich gestärkt. Es wird dazu führen, dass die vorhandenen Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen sinnvoll und dauerhaft das bestehende Netz der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes durch die Sicherstellung von Redundanzen ergänzen, die Beförderung über den gesamten Transportweg sicherstellen und dabei helfen, den Standardschienengüterfernverkehr in Deutschland zu verbessern. Die NE-Bahnen werden in ein schlüssiges Gesamtkonzept unseres Schienennetzes eingebunden. Profiteure sind nicht nur die Umwelt aufgrund des vermehrten umweltfreundlichen Einsatzes der Bahn, sondern auch unsere Wirtschaft, die in Zukunft auf ein verbessertes und vergrößertes Schienennetz zurückgreifen kann.

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Am Ende der Legislatur beginnt die Regierungskoalition ihre selbstgesteckten Ziele im Koalitionsvertrag umzusetzen, und damit meine ich nicht Geschenke an Hoteliers oder Ähnliches. Das soll heute aber nicht das Thema sein, sondern es geht um grundsätzliche Bestandteile unserer Volkswirtschaft, nämlich die Infrastruktur. Der Ausbau und Erhalt des Schienennetzes ist dabei wesentlicher Bestandteil. Nur so können die einzelnen Verkehrsträger ideal miteinander verknüpft, ein nachhaltiges Angebot im Personen-und Güterverkehr geschaffen und die Umwelt geschont werden. Denn eines müssen wir uns deutlich vor Augen führen: Nur wenn der Verkehrsträger Schiene gestärkt wird, kann der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich reduziert und ein umweltfreundlicher Personen- und Güterverkehr realisiert werden. Schienenpolitik in Deutschland hat einen volkswirtschaftlichen Auftrag und muss nach betriebswirtschaftlichen Kriterien bemessen werden. Aus diesem Grund muss auch die Förderung von nichtbundeseigener Infrastruktur in das Gesamtkonzept des Schienennetzes mit eingebunden werden. Der Grundstein ist nun mit der 2. und 3. Lesung zum „Gesetz über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“ gelegt. Zu Protokoll gegebene Reden Wie bereits bei der 1. Lesung bin ich nahezu versucht, die Bundesregierung für den Gesetzentwurf zu loben. Jedoch kann ich es nicht nachvollziehen, warum die durch das Gesetz bereitgestellten 25 Millionen Euro an anderer Stelle der Schiene wieder entzogen werden. Es müssen vielmehr nicht bundeseigene Strecken als Teil einer Netzstrategie mit eingebunden werden. Als SPD-Bundestagsfraktion ist für uns daher der Erhalt und Ausbau nicht bundeseigener Bahnstrecken, die in einer Gesamtnetzplanung eine relevante Rolle spielen werden, wesentlich. Wir sehen hier den Bund in einer Finanzierungspflicht. Das heißt konkret: Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln statt Umschichtung. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Nicht bundeseigene Infrastrukturunternehmen bewirtschaften heute nach Aussagen des VDV mehr als 10 Prozent der deutschen Schienenwege. Allein im Freistaat Bayern werden sieben Strecken für den Schienengüterverkehr von nicht bundeseigenen Eisenbahnen betrieben, zwei weitere sind in Planung. Neben der Kritik, die an der Bahn- und Schieneninfrastrukturpolitik der Bundesregierung anzubringen ist, will ich den parlamentarischen Diskussionsprozess im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beim „Gesetz über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“ ausdrücklich lobend erwähnen. Die Regierungskoalition und die Bundesregierung haben sich sehr offen für Anregungen und Kritikpunkte gezeigt. So konnte der Begriff des Schienengüterfernverkehrs im § 1 Abs. 3 durch eine Stellungnahme der Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess klar definiert werden. Abgeleitet ist der Begriff nach der Definition vom Schienenpersonennahverkehr gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Konkretisiert wurde nun, dass damit nicht die Schienenwegeinfrastruktur gemeint ist, sondern die Distanz, die durch die Eisenbahn zurückgelegt wird. Das heißt es wird die Gesamtbeförderungsweite zugrunde gelegt. Auch konnte in § 1 Abs. 4 Nr. 1 die Angabe von „40 Kilometern pro Stunde“ auf „30 Kilometer pro Stunde“ abgesenkt werden. Antragsteller für eine Förderung von Schienenwegen im Bereich der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schienengüterfernverkehr, bei denen aufgrund von notwendigen Investitionen in die Schieneninstandhaltung Langsamfahrabschnitte bestehen und daher nur eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde erreicht werden kann, werden nun nicht ausgeschlossen. Ebenfalls positiv anzuführen ist, dass durch die Formulierung in § 1 Abs. 4 Nr. 4 „in dem letzten Jahr von Antragsstellung“ die Möglichkeiten für eine Förderung für die Infrastrukturbetreiber weiter geöffnet worden sind. Die Abfassung des § 1 Satz 3 umfasst nun Serviceeinrichtungen nach § 2 Abs. 3 c Nr. 4 bis 6 und 8 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, womit Rangierbahnhöfe, Zugbildungseinrichtungen, Abstellgleise und Häfen mit von der Förderfähigkeit eingeschlossen sind. Gleisanlagen der See- und Binnenhäfen sowie der Großteil der übrigen Serviceeinrichtungen machen rund 1 800 Kilometer Gleiskilometer aus. Hinzu kommen noch die rund 4 000 Kilometer für weitere nicht bundeseigene Schieneninfrastruktur. Somit sprechen wir von rund 5 800 Kilometern Schienenkilometern, die unter bestimmten Voraussetzungen förderfähig sind. Wie bereits zu Beginn erwähnt, muss die nicht bundeseigene Infrastruktur in das gesamte Schienennetz mit eingebunden werden. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf und dem vorliegenden Änderungsantrag zu, verweist aber deutlich auf den nötigen Bedarf einer Fortschreibung und Anstieg der Mittel für den Bereich der nicht bundeseigenen öffentlichen Eisenbahnen. Gemeinsam wollen wir eine starke, international konkurrenzfähige und vor allem für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Volkswirtschaft erstklassige Schieneninfrastruktur. Denn eines darf in dieser Debatte auch nie vergessen werden: Eine gut funktionierende und flächendeckende Schieneninfrastruktur generiert Arbeitsplätze - sei es durch Angebote im Personen- und Schienengüterverkehr oder sei es bei den Infrastrukturunternehmen selbst.

Werner Simmling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mittels dieses Gesetzes wird ein weiterer Beitrag realisiert, der die Verlagerung von Güterfernverkehrsleistungen von der Straße auf die Schiene ermöglicht. Die finanzielle Förderung der Schienenwege öffentlicher nicht bundeseigener Eisenbahnen durch Bundesmittel wird mit dem Gesetz über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehr auf rechtlich solide Beine gestellt. Durch die Umsetzung dieses Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag gelingt es, Redundanzen und zusätzliche Kapazitäten für den anwachsenden Schienengüterfernverkehr zu schaffen und dabei den Güterverkehr gleichzeitig umweltschonend auf der Schiene zu gestalten. Der Verkehrsträger Schiene wird in seiner Bedeutung weiter gestärkt. Die öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen können jetzt in das Schienengüterverkehrsnetz eingebunden werden. Hierbei haben wir die Besonderheiten dieser Eisenbahnen im Laufe der parlamentarischen Beratungen bei der Definition der Voraussetzungen für die finanzielle Förderung ihres Schienennetzes berücksichtigt. Das gilt beispielsweise im technischen Bereich in Bezug auf Radsatzlast und Schienengeschwindigkeit der Güterzüge ebenso wie für die Tatsache, dass die SchieZu Protokoll gegebene Reden nennetze dieser Bahnen nicht nur vom Güterverkehr genutzt werden. Dieses Gesetz trägt damit dazu bei, dass das Schienennetz der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen das gesamte Schienennetz mittels Lückenschlüssen und zusätzlichen Erweiterungen sinnvoll ergänzt. Mit diesem Gesetz werden die Grundlagen für ein sicheres und modernes Schienennetz für den Güterfernverkehr verbessert. Da damit insgesamt die infrastrukturellen Voraussetzungen für den Wettbewerb im europäischen Schienenfernverkehr optimiert werden und ein weiterer Beitrag zur Ertüchtigung des deutschlandweiten Schienennetzes geleistet wird, stimmt die FDP-Fraktion diesem Gesetzentwurf zu.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Bundeshaushalt 2013 wurden Mittel in Höhe von 25 Millionen Euro eingestellt, um Investitionen in die öffentlichen, nicht in Bundeseigentum befindlichen Schienenwege zu ermöglichen. Für solche Investitionen, die bisher nicht möglich waren - der Bund konnte nur in bundeseigene Schienenwege investieren -, werden jetzt die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Die Fraktion die Linke begrüßt dies; ich habe das bereits in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs deutlich gemacht. Vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Bundesrates vom 22. März 2013 und der Gegenäußerung der Bundesregierung und der bisher erkennbaren Positionierungen der anderen Parteien scheint dieses Gesetz damit beschlossen zu werden. Das ist zunächst auch gut so. Tatsächlich gibt es in Deutschland nicht nur 33 505 Kilometer Bahnnetz der DB AG bzw. von DB Netz - und damit in Bundeseigentum befindlich -, sondern auch viele kleinere, überwiegend öffentliche Bahnen mit eigenen Netzen, die zusammengenommen so klein nicht sind: Mit immerhin 4 300 Kilometern machen sie gut 11 Prozent des gesamten Schienennetzes aus. Die Verkehrsleistung, die diese Bahnen erbringen, hat in den letzten Jahren erfreulicherweise stark zugenommen. Wir alle wissen: Es muss mehr Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene verlagert werden, und dafür muss unser Bahnnetz an vielen Stellen ausgebaut werden. Gerade die nicht bundeseigenen Bahnen könnten wichtige zusätzliche Trassen bieten. Daher ist es aus Sicht der Bundestagsfraktion Die Linke überfällig, diesen Bahnen ebenfalls Mittel für Ersatzinvestitionen in ihre Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Diese Gelder können dabei helfen, Bahnkapazität auszubauen und damit mehr Güter- und teilweise auch mehr Personenverkehr abzuwickeln. Dies kann aus unserer Sicht aber nur ein kleiner Schritt beim Ausbau der Bahn für einen zukünftig wachsenden Bahnverkehr sein: An vielen Stellen im deutschen Bahnnetz gibt es schon jetzt erhebliche Engpässe. Diese führen dazu, dass die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene überhaupt nicht in dem Maße möglich ist, wie wir uns dies wünschen würden. Zu diesen Kapazitätsengpässen haben beispielsweise Streckenstilllegungen und der Abbau von Überholgleisen beigetragen, die ganz besonders im Hinblick auf den geplanten Bahnbörsengang vorangetrieben worden sind. Hier müssen also viele Fehler aus der Vergangenheit wiedergutgemacht werden. Der hier zu beschließende Gesetzentwurf ist nur ein Schritt in die richtige Richtung. Die Länge des Schienennetzes reduziert sich weiter von Jahr zu Jahr. Konkret in Zahlen: Die Betriebslänge des bundeseigenen Schienennetzes lag 1994 bei 40 385 Kilometern; 2010 waren es noch 33 723 Kilometer. Selbst 2011 waren es rund 340 Kilometer weniger als im Vorjahr, nämlich 33 378 Kilometer. Auch wird die bundeseigene Schieneninfrastruktur von Jahr zu Jahr älter - und damit anfälliger. Vor diesem Hintergrund erscheint der Gesetzentwurf hinsichtlich Investitionen im NE-Schienennetz einigermaßen unzureichend und die Begründung, man wolle das Schienennetz ausbauen, wie pure Augenwischerei. Auch bitte ich, das Augenmerk auf das Folgende zu richten: Oft sind es eher kleine Maßnahmen wie ein zusätzliches Überholgleis oder ein neues Stellwerk, die im Bahnbetrieb tatsächlich einen großen Nutzen entfalten könnten, die aber nur schleppend umgesetzt werden. Oder es könnten stillgelegte Strecken mit einem vertretbaren Aufwand reaktiviert werden, und Unternehmen könnten ihre Gleisanschlüsse zurückerhalten, die die DB AG ihnen in den letzten Jahren radikal gekappt hat. Auch hierfür konkrete Zahlen: Es gab 1994 noch 11 742 Privatgleisanschlüsse; 2010 waren es nur noch 8 029. Das heißt: Es gab hier einen Abbau von 31 Prozent. Statt solche kleinen Investitionen zu tätigen und große Sünden der Vergangenheit mit eher wenig Geld wiedergutzumachen, werden immer wieder milliardenteure Neubaustrecken geplant und gebaut, die oft einen sehr zweifelhaften Nutzen haben. Ich erinnere nur an die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm oder die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald. Diese Schnellstrecken dienen nur einem kleinen Teil der Reisenden und sind für den Güterverkehr meist sogar komplett nutzlos, auch wenn in den Nutzen-Kosten-Berechnungen immer wieder angenommen wird, dass diese Strecken auch vom Güterverkehr genutzt würden, was dann jedoch nicht geschieht. Andere, viel wichtigere Ausbauprojekte wie die Rheinschiene kommen stattdessen nur langsam voran, obwohl sie tatsächlich die Netzkapazitäten an entscheidenden Punkten erhöhen und nicht zuletzt auch Entlastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner schaffen würden. Außerdem muss auch der Rückzug der Bahn aus dem Güterverkehr auf kurzen und mittleren Entfernungen - unter 300 Kilometer - und aus dem Einzelwagenverkehr rückgängig gemacht werden. Mit der Fokussierung der DB AG auf Ganzzüge über große Entfernungen überlässt die Bahn ganze Transportsegmente dem Straßengüterverkehr. Stattdessen muss das Gegenteil passieren: Die Bahn muss auch auf kurzen Zu Protokoll gegebene Reden Entfernungen und für kleinere Einheiten wieder ein attraktives Angebot bieten. Nur so kann deutlich mehr Verkehr auf die Schiene kommen. In diesem Sinne sollten wir durchaus mehr Geld in die Schieneninfrastruktur investieren - sowohl in die NE-Bahnen als auch in das bundeseigene Netz. Diese Investitionen müssen aber sinnvoll sein und sich nicht nur an der Maxime „schneller, höher, weiter“ orientieren. Außerdem muss der Lärmschutz für die Anwohnerinnen und Anwohner dabei eine zentrale Rolle spielen. Wenn wir unseren Verkehr klima- und sozialverträglich umgestalten wollen, dann brauchen wir mehr Bahn und weniger Straße und insbesondere weniger Flugverkehr. Dafür müssen wir jetzt die richtigen Investitionsentscheidungen treffen, und die stärkere Förderung der NE-Bahnen ist dazu immerhin ein erster Schritt, dem weitere folgen sollten. Was ich bei diesem Gesetz im Besonderen und bei der Verkehrspolitik im Allgemeinen komplett vermisse: Es gibt keinen Generalplan, keine weitsichtige Gesamtperspektive. Und wenn es eine solche gibt, dann sieht die eher fatal und wie folgt aus: Man überlässt die Verkehrsentwicklung dem globalisierten Markt und man investiert hinterher: Man baut neue Straßen, neue Häfen, neue Start- und Landepisten und dann vielleicht auch ein paar neue Schienenstrecken. Bereits der erste Satz in der Gesetzvorlage findet nicht meine Zustimmung. Dort heißt es: „Die Schaffung eines europäischen Raums lässt die Verkehrsleistungen in allen Teilen Deutschlands erheblich ansteigen.“ Das ist erstens nicht in vollem Umfang richtig. Immerhin sanken die Verkehrsleistungen im gesamten Güterverkehr im vergangenen Jahr 2012, obgleich es Wirtschaftswachstum gab. Vor allem aber handelt es sich dann, wenn es ein solches allgemeines Wachstum gab, nicht um einen positiv zu wertenden Prozess. So hat sich ja der Straßenverkehr per Lkw in den letzten 15 Jahren fast verdoppelt, und auch der Schienengüterverkehr ist deutlich gestiegen, obgleich der Lebensstandard nicht mehr stieg und vielfach sogar fiel. Diese Art Wachstum sehe ich ausgesprochen kritisch. Hier gibt es eine ständig steigende Transportintensität. In einer Ware von ein und derselben Qualität stecken immer mehr Transportkilometer, und zwar solche, die per Lkw, auf der Schiene und per Luftfracht erbracht werden. Das Binnenschiff klammere ich mal aus; leider geht hier seit geraumer Zeit sogar die absolute Verkehrsleistung zurück. Diese Art Wachstum, das vor allem mit einer aus dem Ruder laufenden Globalisierung zu tun hat, ist abzulehnen. Es basiert auf absurd gesteigerter internationaler Arbeitsteilung, und es ist gepaart mit der Zerstörung regionaler Wirtschaftsstrukturen. Insofern fordert die Fraktion Die Linke: Investitionen in die Schiene - ja. Verlagerung auf die Schiene ja. Aber nicht die Verlagerung eines Teils des Wachstums. Sondern die reale Verlagerung eines höchstens gleichbleibenden Güterverkehrs und perspektivisch eines wieder reduzierten Güterverkehrs auf Schiene und Binnenschiffe.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hatte bereits in meiner ersten Rede gesagt, dass wir Grünen das Gesetz grundsätzlich begrüßen. An meiner Einschätzung hat sich im Laufe der Beratung nichts geändert, aber ich möchte gern die mir wichtigen Punkte noch einmal nennen. Mit dem Gesetz erkennt die Bundesregierung die sich wandelnden Verhältnisse im Schienengüterverkehr endlich an: In den letzten 15 Jahren haben sich Wettbewerber der Deutschen Bahn ein Viertel des Marktes erobert und tragen wesentlich zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bei. Deswegen ist es konsequent, diese wichtigen Akteure des Gütertransports beim Bau und Erhalt ihrer Infrastruktur zu unterstützen. Die vorgesehenen 25 Millionen Euro müssten aber nach unserer Auffassung - daran hat sich nichts geändert - verdoppelt werden. Das Gesetz wurde im Laufe der Beratung verbessert. Hatte es zu Beginn im November 2012 noch einige Ungenauigkeiten gegeben, konnten diese nach Stellungnahmen der Verbände und nach der Beratung im Bundesrat verbessert werden. Damit wurde der Kreis der nutznießenden Unternehmen ausgeweitet. Wir müssen jetzt sehen, wie die Mittel von den nicht bundeseigenen Bahnen genutzt werden. Wichtig bleibt dabei, dass sich die Nutzung der Gleise und Anlagen in ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügt. Bei der Mittelvergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht einfach nur der Erste das Geld bekommt und losbauen darf. Wir brauchen sinnvolle Kriterien, nach denen die Mittel vergeben werden. Es muss darauf ankommen, wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzielen kann. Es ist weiterhin mehr als fraglich, ob das diese Bundesregierung leisten kann oder leisten will. Dazu wäre ein Bundesmobilitätsplan notwendig, der Investitionen in die Zukunft des Verkehrs zusammen betrachtet und Wert darauf legt, wie sich unterschiedliche Verkehrsträger gegenseitig sinnvoll ergänzen. Dazu wäre es zum Beispiel notwendig, alle Verkehrsinvestitionen kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wir müssten einmal neutral bewerten lassen, wie die unterschiedlichen Förderungen und Investitionen im Verkehrshaushalt aufeinander abgestimmt sind. Wir müssten prüfen, wie sie sich ergänzen, überschneiden oder auch widersprechen. Ich vermute, dass das sehr aufschlussreich sein könnte und wir mit klarerem Blick erkennen können, wie wir unsere Mittel viel zielgenauer einsetzen könnten. Im heutigen System werden zum Beispiel viele Straßen oder Schienenstrecken mit fragwürdigem Nutzen nach wie vor bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel zu oft dorthin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleveren Bürgermeistern, Landräten und BundestagsabgeZu Protokoll gegebene Reden ordneten am stärksten ist. Die laufenden Meldungen der Länder zum neuen Bundesverkehrswegeplan zeigen uns, dass wir gerade wieder in die völlig falsche Richtung laufen. Bayern hat schon wieder eine Wunschliste mit 398 Projekten vorgelegt. Der BUND hat gerade ausgerechnet, dass die Umsetzung mit den heutigen Mitteln rund 160 Jahre dauern würde. Auch wenn die hier zu beschließenden Mittel für nicht bundeseigene Bahnen grundsätzlich gut sind, hat unser Gesamtsystem noch immer zahlreiche Defizite. Wir müssen uns deswegen unter anderem vornehmen, die Wirkung dieses Gesetzes nach einer gewissen Laufzeit zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen.

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz bringen wir ein weiteres verkehrspolitisches Projekt auf den Weg. Die Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene im Güterfernverkehr wird weiter gestärkt und somit ein Beitrag für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland geleistet. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der rechtliche Rahmen geschaffen, um die Förderung von Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen durch den Bund zu ermöglichen. Bislang fördert der Bund die Schienenwege auf der Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, welches 1993 in Kraft trat. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz wurde beschlossen, um im Rahmen der Bahnreform die Grundlage für die Finanzierung von Investitionen zum Ausbau des Schienennetzes zu legen. Es galt damals, den Anforderungen des Verkehrswachstums infolge des Zusammenwachsens der beiden Teile Deutschlands und der fortschreitenden Integration Europas im Westen durch die Vollendung des Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaften und der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa zu begegnen. Seitdem sind 20 Jahre vergangen, und die Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen steigt; und wir wissen, eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland und zugleich auch für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich. Das gilt ganz besonders auch für den Verkehrsträger Schiene. Wir brauchen in Deutschland und in Europa den Verkehrsträger Schiene und ein Eisenbahnsystem, das seine Leistungsfähigkeit weiter steigert. Denn wenn es um die Bewältigung der stetig steigenden Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen und um unsere gesetzten Umweltziele geht, ist die Eisenbahn als besonders umweltfreundliches Verkehrsmittel unverzichtbar. Sie muss in die Lage versetzt werden, eine führende Rolle bei der Bewältigung der ständig wachsenden Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen zu übernehmen. Daher bedürfen die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene eines besonderen Augenmerks. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz begrenzt die Förderung auf die Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen. Um die Leistungsfähigkeit des Schienengüterfernverkehrs zu steigern, müssen auch die öffentlichen nicht bundeseigenen Schienenwege gestärkt und in das Schienengüterfernverkehrsnetz eingebunden werden. Dieses Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, zählt sicherlich zu den wichtigen Gesetzgebungsvorhaben im Verkehrssektor in dieser Legislaturperiode. Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag um, die rechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung nicht bundeseigener Eisenbahninfrastruktur für die Einbindung in das Schienengüterfernverkehrsnetz zu schaffen. Damit beschreitet die Bundesregierung ein neues Fördergebiet, das bislang in erster Linie den Ländern und den Kommunen vorbehalten war. Der Bund verschafft sich durch eine sinnvolle und dauerhafte Ergänzung des bestehenden Netzes der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes mit vorhandenen Schienenwegen der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen die Möglichkeit, Redundanzen für den Schienengüterfernverkehr zu schaffen und den Verkehrsnutzen der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnen des Bundes zu verstärken. Die Ergänzung und die Schließung von Infrastrukturlücken im Schienennetz dient der Sicherstellung der Beförderung über den gesamten Transportweg und der wesentlichen Steigerung der Gesamtkapazität für den Gütertransport auf dem Verkehrsträger Schiene. Mit diesem Gesetz reagieren wir umweltgerecht auf den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach Güterfernverkehrsleistungen und ermöglichen die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene. Wir wissen, dem Schienengüterfernverkehr ist nur mit leistungsfähigen Schienenwegen gedient. Daher müssen die Schienenwege der nicht bundeseigenen Eisenbahnen, die zur Förderung anstehen, bestimmte Leistungsparameter aufweisen. Orientiert hat sich die Bundesregierung bei der Bestimmung der Förderkriterien sowohl an den Leistungsparametern, die die Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen im Kernschienenwegenetz erfüllen, als auch an den Leistungsparametern der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für den Schienengüterfernverkehr genutzten Schienenwege. Der Gesetzentwurf greift bei der Förderung auf das bewährte Zuwendungsrecht des Bundes zurück. Das heißt, die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind gehalten, Anträge zu stellen, um Zuwendungen des Bundes zu erlangen. Bewilligungsbehörde ist das Eisenbahn-Bundesamt, das die Anträge prüft und die Zuwendungsbescheide erstellt. Das Gesetz ist die Fördergrundlage; es wird weder eine Förderrichtlinie noch eine Verordnung unterlegt. Dem ZuwendungsempfänZu Protokoll gegebene Reden ger werden nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse gewährt. Um das Eigeninteresse der Zuwendungsempfänger zu stärken, finanziert der Bund anteilig 50 Prozent der jeweiligen per Zuwendungsbescheid genehmigten Investitionssumme. Auch für die zuwendungsfähigen Planungskosten ist die Anteilsförderung in Höhe von 50 Prozent vorgesehen; soweit die gesamten Planungskosten 13 Prozent der Gesamtinvestitionssumme nicht übersteigen. Mit diesem Gesetz entsteht für den Bund eine neue Aufgabe, die er mit zusätzlichem Personal bewältigen muss. Die angestrebte Förderung der Investitionen kann nur erreicht werden, wenn das für die Durchführung benötigte Personal in ausreichender Zahl bereitgestellt wird. Vorgesehen ist daher, das notwendige zusätzliche Personal über Gebührenerhebung zu finanzieren. Auch hier lässt sich die Bundesregierung von dem Ziel leiten, effiziente Strukturen zu schaffen und nur dort die freiwillige Förderung des Bundes einzusetzen, wo Eigeninitiative und der Wille zum eigenen Mitteleinsatz vorhanden sind. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser weitreichende Gesetzentwurf eine breite Mehrheit des Hauses bekommen würde, und danke allen, die zum Gelingen beigetragen haben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13494, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13021 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren - Drucksachen 17/11897, 17/12873 Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Waltraud Wolff ({1}) Dorothea Steiner In der Tagesordnung war ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Wasserqualität in Deutschland erfüllt den höchsten Standard, sowohl beim Trinkwasser als auch beim Abwasser. Hier gibt es also keinen Grund zur Dramatisierung wie im vorliegenden Antrag der Linken. Hinzu kommt, dass wir noch zu wenig darüber wissen, wie sich Arzneimittel auf die Umwelt auswirken. Wir brauchen mehr Daten und Fakten. Es gibt also noch viel Forschungsbedarf in diesem Sektor. Vergessen dürfen wir aber auch nicht, dass vor 20 Jahren der technische Fortschritt für die Wasseranalyse, wie wir sie heute haben, noch nicht existiert hat, und wir heute viel bessere Analyseergebnisse erzielen: Dies ist ein Fortschritt und eine Entwicklung in die richtige Richtung. Nur deshalb können wir heute über Spurenstoffe sprechen, die wir vor etlichen Jahren noch nicht einmal messen konnten. Natürlich wird der Medikamentenbedarf auch in Zukunft durch den demografischen Wandel in Deutschland stetig steigen, aber man könnte beispielsweise zur Verringerung von Medikamentenüberschüssen durchaus eine stärkere Anpassung der Dosierungsmenge auf den Bedarf des menschlichen Körpers vornehmen. Für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist der Schutz der Umwelt vor Risiken ausgehend von Arzneimitteleinträgen ein wichtiges Thema, denn Arzneimittel sind biologisch aktive Stoffe, die gefährlich für Mensch und Umwelt sein können. Hier hat der Gesetzgeber sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene klare Regelungen und Vorschriften zur Zulassung von Arzneimitteln zum besseren Schutz der Umwelt eingeführt. Bei jeder Zulassung von Arzneimitteln werden deren Umweltauswirkungen analysiert und abgeschätzt. Auch sind die zuständigen Behörden von Bund und Ländern bemüht, eine bessere und aktuelle Datengrundlage hinsichtlich der Umweltbelastungen mit Arzneistoffen zu bekommen. Im vorliegenden Antrag der Linken wird die Bundesregierung aufgefordert, sich innerhalb der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass im Nachgang jedes zentralen Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln ein umfassendes Umweltmonitoring für die Hersteller von Medikamenten verpflichtend ist. Auch wollen die Linken das Arzneimittelgesetz so ändern, dass für Arzneimittel, deren Zulassung vor Einführung der Umweltbewertung erfolgt ist, nachträglich eine herstellerfinanzierte Bewertung des Umweltrisikos vorgenommen wird. Schließlich wollen sie, dass die Pharmaindustrie ein Rücknahmesystem für Altarzneimittel einführt und finanziert. Alle Apotheken sollen eine Rücknahmeverpflichtung für haushaltsübliche Arzneimittel erhalten, und alle Menschen in Deutschland sollen dazu gesetzIngbert Liebing lich verpflichtet werden, eine sachgemäße Entsorgung von Altarzneimitteln vorzunehmen. Das geforderte Rücknahmesystem ist im Verhältnis zum erzielbaren Nutzen sehr aufwendig, und es gibt bisher keine Belege dafür, dass die bisherige Entsorgung normaler Arzneimittel über den Haushaltsmüll nicht hinreichend sicher für die Umwelt ist. Allerdings entsorgen zu viele Menschen nicht benötigte Medikamente in der Toilette. Hier ist mehr Aufklärung notwendig, auch über die Apotheken, da der richtige Entsorgungsweg über den Restmüll zur Verbrennung ist. Rücknahmesysteme ergeben nur dann Sinn, wenn die zurückgegebenen Stoffe auch recycelt werden. Das ist bei den Medikamenten gerade nicht der Fall. Deshalb ist dieser Vorschlag der Linken schlichtweg sachlich ungeeignet. Für besondere Arzneimittel, wie Therapien mit radioaktiven Stoffen oder Antikrebsmittel, gelten ohnehin spezielle Vorschriften, dafür hat der Gesetzgeber hinreichend gesorgt. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen des vorliegenden Antrages schießen über das Ziel hinaus und haben den falschen Ansatz. Sie sind zu illusorisch und dadurch unverhältnismäßig. Selbst bei Pflanzenschutzmitteln gibt es keine so weitreichenden Verpflichtungen. Bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt im vergangenen März zu diesem Thema hatten wir ausführlich die Gelegenheit, uns ein aktuelles Bild über die Situation zu machen. Der Experte aus dem Umweltbundesamt hatte betont, dass Humanarzneimittel in Gewässern schädlich für die Umwelt sind. Es wurde aber auch deutlich, dass die deutschen Gewässer nicht flächendeckend belastet sind. Hier macht der Antrag der Linken alles schlimmer, als es tatsächlich ist. Von den rund 8 000 Tonnen an Arzneimitteln mit ihren circa 3 000 Wirkstoffen, die jährlich in Deutschland verkauft werden, ist etwa die Hälfte „potenziell umweltschädigend“, so das UBA weiter. Kläranlagen können zwar einiges herausfiltern, jedoch nicht alle Rückstände entfernen. Hier muss aus unserer Sicht gelten: Die Reduzierung oder Vermeidung des Arzneimitteleinsatzes ist nachhaltiger als eine Optimierung der Kläranlagen. Neue Techniken der Abwasserentsorgung in Abwasseranlagen, wie etwa die Membranfiltration, die Oxidation und die Adsorption an Aktivkohle, werden als Pilotprojekt derzeit getestet. Aber auch hier kann man die Rückstände nicht völlig eliminieren und der Energieverbrauch würde um ein Drittel steigen. Hier muss auf der Grundlage des Verursacher- und Vorsorgeprinzips an der Quelle der Belastung angesetzt werden, statt eine aufwendige Aufrüstung im Wasser- oder Klärwerk vorzunehmen. Das reduziert die Kosten und schont die Umwelt. Krankenhäuser sind durch die Ausscheidungen von Menschen in medikamentöser Behandlung ein Hauptverursacher für den Eintrag von Arzneimittelrückständen und multiresistenten Keimen in die Kanalisation. Durch beispielsweise eine dezentrale Entsorgung und Behandlung von Krankenhausabwasser könnten negative Einflüsse in die Umwelt reduziert werden. Aber 2 bis 3 Prozent der Rückstände bleiben immer übrig. Hier sollte man früher ansetzen und bereits bei der Produktion und im Umgang mit Medikamenten eine Freisetzung in die Umwelt verhindern. Eine verstärkte Entwicklung von abbaubaren Medikamenten könnte einen Beitrag zum Gewässerschutz leisten. Die im vorliegenden Antrag gestellten Forderungen geben keine richtigen Antworten auf die Komplexität des Problems. Die Linke tut so, als hätte sie als einzige das Problem erkannt. Aber auch schon in der Vergangenheit war das Thema „Belastung von Gewässern durch Arzneimittel-Einträge“ Gegenstand der insgesamt sechsjährigen Beratungen einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Chemikaliensicherheit. Damals wurde ein von den Ländern finanziertes Messprogramm durchgeführt. Sicherlich sollte ein solches Programm wiederholt werden, auch um zu überprüfen, ob sich die damals gemessene Gewässerbelastung im Gegensatz zu heute verändert hat. Die Bundesregierung und die Bundesländer haben die richtigen Schritte eingeleitet. Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Anthropogene - also vom Menschen gemachte Spurenstoffe werden vermehrt im Wasser gefunden. Zu diesen gehören auch Arzneimittel, die mittlerweile flächendeckend in geringen Mengen in den Oberflächengewässern nachgewiesen werden können. Manche dieser Stoffe können in der Umwelt schädlich wirken. Die Linken fordern in ihrem Antrag deshalb, diese Umweltbelastung durch Arzneimittel zu reduzieren. Die Beratung im Ausschuss hat gezeigt, dass dies ein Ziel ist, das alle Fraktionen teilen. Ich finde das gut und wichtig. Wir haben in einem öffentlichen Fachgespräch mit dem Umweltbundesamt und dem der Emschergenossenschaft/Lippeverband im Ausschuss darüber diskutiert, welche Probleme die Arzneimittel in den Gewässern verursachen, was für Handlungsoptionen es gibt und wo noch Forschungsbedarf besteht. Die gute Botschaft aus dem Fachgespräch ist: Die Konzentration an Arzneimitteln im Trinkwasser ist so gering, dass keine Gefährdung des Menschen zu befürchten ist. Allerdings entbindet dies uns nicht davon, den Eintrag von Arzneimitteln in die Gewässer zu vermindern. Das Umweltbundesamt hat dazu Vorschläge gemacht. Letztendlich schlägt das UBA eine Minimierungsstrategie vor, die von einem umfassenden Umweltmonitoring begleitet wird. Das ist ein vernünftiges Konzept. Was kann also getan werden? Wir können: Umweltqualitätsnormen für wichtige Wirkstoffe festlegen und rechtlich verankern; ein Umweltmonitoring etablieren, um die Auswirkungen von Arzneimitteln zu beobachten; langfristig die Wirkstoffe bewerten, die potenziell umweltschädlich sind und in relevanten Mengen festZu Protokoll gegebene Reden Waltraud Wolff ({0}) gestellt werden; eine vierte Reinigungsstufe bei Krankenhäusern oder bei den größten 4 Prozent der Kläranlagen prüfen; Ärzte und Apotheker über die Umweltwirkungen von Arzneimitteln informieren und ein Klassifikationssystem schaffen; eine Informationskampagne starten, um die Bevölkerung über die richtige Entsorgung von Arzneimitteln zu informieren; einheitliche Entsorgungswege für Arzneimittel schaffen. Diese Ansatzpunkte sind sinnvoll. Wir wollen, dass weniger Arzneimittel in die Gewässer gelangen. Was wir aber nicht wollen, ist, die Gesundheit der Menschen aufs Spiel zu setzen oder die Therapiefreiheit der Ärzte einzuschränken. Mit den verschiedenen Handlungsoptionen können wir die Einträge minimieren und gleichzeitig die Interessen der Patientinnen und Patienten berücksichtigen. Wir brauchen Informationen für die Ärzte: In Schweden gibt es eine Klassifikation der Umweltrelevanz von Arzneimitteln. Damit kann die Umweltwirkung in die Auswahl der Medikation einfließen, ohne die Therapiefreiheit einzuschränken. Wir brauchen auch Informationen für die Patienten: Es muss klar sein: Altmedikamente gehören in den Restmüll, sie gehören nicht ins Klo gespült. In den Müllverbrennungsanlagen werden die arzneilichen Wirkstoffe so zerstört, dass kein Eintrag in die Umwelt mehr erfolgen kann. Das ist der richtige Weg! Wir müssen offene Fragen klären: Eine Umweltbewertung ist mittlerweile für neu zuzulassende Arzneimittel vorgesehen. Dies ist ein wichtiger Schritt. Kümmern müssen wir uns um die Medikamente, die noch ohne Umweltbewertung zugelassen wurden. Eine Kombination aus Umweltmonitoring und Bewertung der Wirkstoffe mit Umweltrelevanz scheint mir angemessen. Wir müssen offene Fragen bei der „vierten Reinigungsstufe“ klären. Die bisherigen praktischen Erfahrungen zeigen, dass ein Teil der Stoffe aus dem Wasser herausgefiltert werden kann. Allerdings sind die Kosten dafür hoch. 30 Prozent zusätzliche Kosten sind bei kommunalen Kläranlagen kaum zu finanzieren. Gleichzeitig steigt der Energiebedarf der Kläranlagen deutlich. Und: Es entstehen Abbauprodukte, deren Wirkungen auch noch nicht geklärt sind. Wir waren uns im Ausschuss alle einig: Mit der Umweltbewertung von neuen Arzneimitteln ist ein wichtiger Schritt gemacht worden. Es geht darum - und das mahnt die Linke in ihrem Antrag zu Recht an -, weiter zu gehen. Das bedeutet für mich: Wir brauchen ein Umweltmonitoring, und wir brauchen eine umsetzbare und finanzierbare Minimierungsstrategie, die auch den Interessen der Patienten und Patientinnen gerecht wird. Das müssen wir anpacken. Eine nachträgliche Umweltbewertung für alle bereits zugelassenen Medikamente schießt aber über das Ziel hinaus. Deswegen tragen wir diesen Teil nicht mit und werden uns aber wegen der weitgehenden Übereinstimmung der Stimme enthalten.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit ihrem Antrag „Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren“ spricht die Linke ein Problem an, mit dem sich die Koalition und die Bundesregierung schon seit einiger Zeit beschäftigen. Pro Jahr werden rund 38 000 Tonnen Arzneimittel in deutschen Apotheken verkauft. Die demografische Entwicklung in Deutschland wird die Menge noch erhöhen, da eine ältere Gesellschaft mehr Medikamente verbraucht als eine junge. Damit die Wirkstoffe von Medikamenten dort im Körper ankommen, wo sie gebraucht werden, sind sie meist so entwickelt, dass sie sich nicht schon im Magen-Darm-Trakt zersetzen. Dazu kommt, dass sich die Medikamente nicht im Körper anreichern sollen. Das geht nur, wenn die Stoffe wasserlöslich sind und vom Körper wieder ausgeschieden werden. Damit gelangen sie zum Teil unverändert ins Wasser. Aber auch durch eine unsachgemäße Entsorgung von Altarzneimitteln über Toiletten oder die Spüle kommt es zu einer Anreicherung potenziell umweltrelevanter Arzneimittelwirkstoffe in den Gewässern und der Umwelt. Das hat dazu geführt, dass wir in Europa auf Bestreben der Bundesregierung Hormone, zum Beispiel aus der Anti-Babypille, oder auch Wirkstoffe wie Diclofenac als prioritäre Stoffe stärker beobachten und entsprechende Maßnahmen wie zusätzliche Reinigungsstufen in besonders betroffenen Gebieten durchführen lassen. In Ihrem Antrag setzen Sie sich aber nicht mit unseren Maßnahmen auseinander, sondern stellen zwei Forderungen auf: Einerseits wollen Sie die Hersteller von Medikamenten im Nachgang jedes zentralen Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln zu einem ständigen umfassenden Umweltmonitoring verpflichten. Andererseits soll ein obligatorisches Medikamentenrücknahmesystem für Apotheken eingeführt werden. Durch ein umfassendes Umweltmonitoring hoffen Sie, die Gewässer besser schützen zu können. Auch ich halte eine Senkung der Gewässerbelastung durch Arzneimittel für notwendig. Ich glaube aber nicht, dass Ihr Vorschlag der Sache gerecht wird. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinforschung führt derzeit 91 482 zugelassene Arzneimittel auf. Darunter sind Arzneimittel und Wirkstoffe, die in großer Menge abgesetzt werden, und solche, die nur in sehr geringen Stückzahlen und ausschließlich in Krankenhäusern eingesetzt werden. Das potenzielle Umweltrisiko neuer Arzneimittel wird auf der Grundlage der Richtlinie 2001/83/EG im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft. Vom ersten Versuch bis zur Zulassung eines Arzneimittels durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dauert es Zu Protokoll gegebene Reden viele Jahre. Sie fordern darüber hinaus, dass auch eine Überwachung der Auswirkungen einer jeden Substanz stattfindet. Die dafür erforderlichen Laborkapazitäten und Kosten sind riesig. Für zahlreiche Wirkstoffe gibt es noch keine Messverfahren. Wie gehen Sie dann damit um? Sollen diese Wirkstoffe von der Überprüfung ausgenommen werden? Angenommen, Sie hätten für jeden erdenklichen Wirkstoff eine belastbare Aussage über die Konzentration in den verschiedenen Gewässern. Dann wollen Sie einen Auftrag an das Umweltbundesamt erteilen, inwieweit stärkere Auflagen für die Anwendung von Arzneimitteln zu einer Verbesserung der Wasserqualität führen. Und dann? Wenn es sich nämlich um ein nutzbringendes Medikament handelt, dann hilft Ihnen die Aussage, dass es wassergefährdend ist, nicht weiter. Sollte etwa ein wassergefährdendes, aber hochwirksames Krebsmedikament nicht erlaubt werden? Sie müssten dann zwischen Gesundheit und Umwelt abwägen. Denn das kann das Umweltbundesamt mit Sicherheit nicht. Der Vorschlag der Linken ist ein bürokratisches Monstrum, das uns unserem gemeinsamen Ziel, einem verbesserten Gewässerschutz, nicht näher bringen wird. Ich halte es für zielführender, einen umweltbewussten Umgang mit Medikamenten zu fördern. Doch auch hier entscheidet sich die Linke für einen wenig durchdachten Ansatz. Sie wollen ein obligatorisches Medikamentenrücknahmesystem für Apotheken einführen, wie das vor 2009 der Fall war. Wie Sie sicherlich wissen, machen die Apotheken mit den Medikamenten nichts anderes als das, was passiert, wenn man sie über den Hausmüll entsorgt. Sie werden verbrannt. Diejenigen, die bereits jetzt ihre Medikamente ordnungsgemäß im Hausmüll entsorgen, können sie damit vielleicht erreichen. Ich bezweifle allerdings stark, dass sich die meisten anderen die Mühe machen werden, ihre alten Arzneimittel zu den Apotheken zu bringen. Auch dem Umweltbundesamt liegen keine Zahlen vor, dass der Anteil an Medikamenten, die vor 2009 in der Toilette landeten, geringer war, als er es heute ist. Ihr Vorschlag trägt nicht dazu bei, die Menschen darüber zu informieren, dass eine Entsorgung über den Hausmüll die richtige ist. Ich halte es für sinnvoller, die Verbraucher und Ärzte besser zu sensibilisieren. Ich bin dafür, auf dem Beipackzettel auf die richtige Entsorgung hinzuweisen: die Restmülltonne. Umfragen zeigen außerdem, dass sich viele Haushalte wünschen würden, dass der Arzt oder Apotheker sie über die angemessene Entsorgung aufklärt. Auch das wäre eine relativ einfache und gangbare Möglichkeit. Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, wie wir neue, aber umweltkritische Wirkstoffe verbieten können, sondern unser Augenmerk auf die Wirkstoffe richten, von denen wir wissen, dass sie besonders problematisch sind. Ein umweltbewussterer Umgang mit Medikamenten, beispielsweise durch ein Ampelsystem wie in Schweden, könnte die Situation verbessern. Anhand der Ampel weiß ein Arzt, wann er ein besonders umweltgefährdendes Medikament verschreibt, und kann gegebenenfalls auf ein alternatives, weniger umweltgefährdendes Produkt ausweichen. Auch kleinere Packungsgrößen könnten dem Grundproblem, dass am Ende immer ein Teil des Packungsinhalts übrig bleibt, von vornherein vorbeugen. Ihren Vorschlag, eine obligatorische Rücknahmepflicht für Apotheken und ein verpflichtendes Umweltmonitoring für alle Arzneimittelwirkstoffe einzuführen, halte ich für gut gemeint, aber schlecht durchdacht. Ein verbesserter Gewässerschutz ist so nicht zu erreichen.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In der ersten Beratung zu unserem Antrag am 17. Januar bestand die einzige Übereinstimmung darin, dass Wasser unser wichtigstes Lebensmittel darstellt. Klasse - aber außer Reden nichts gewesen. Im Gegenteil: Aus dem Lager der Regierungskoalition erfolgen Angriffe auf unsere Wasserqualität, sei es aktuell durch die Wasserprivatisierung mittels EU-Konzessionsrichtlinie, die unsere Wasserqualität auf Londoner Niveau und Londoner Wasserpreise mit trübem, gechlortem und nichttrinkbarem Leitungswasser abfallen lassen wird, oder mit der Umsetzung der EU-Biozid-Verordnung, wo Sachverstand im Internet erworben und abgeprüft wird - ohne Grund. Wie Wasserschutz bei einer Prüfung nach copy and paste sichergestellt wird, bleibt schleierhaft. Zusätzliche Schadstoffe im Wasser sind da hingegen sicher. Beide Beispiele führen zu zusätzlichen Belastungen von Grund- und Oberflächengewässern mit anthropogenen, also menschenverursachten Spurenstoffen im Wasser. Auch der Fakt, dass bei der Novelle der Verpackungsverordnung die verpflichtende Annahme von Altmedikamenten in Apotheken aufgehoben wurde, verursacht durch die jetzt vermehrte „Entsorgung über Abwasser“ zusätzliche, unnötige Belastungen unserer Gewässer. Dass unsere Gewässer Hilfe brauchen, ist unbestritten, aber wo setzt man an? Bei den Verursachern, an den Quellen, oder am Ende, bei der Kläranlage? Die Vorschläge meiner Fraktion zeigen Wege, wie an den Quellen die Menge an Arzneirückständen in Gewässern verringert werden kann und wie den schönen Worten der Kolleginnen und Kollegen endlich gute Taten beigestellt werden können. Im Bundestag fordern wir gesetzliche Vorgaben für Pharmahersteller, damit unnötige Nebenwirkungen der notwendigen Medikamente für die Umwelt zukünftig beseitigt werden. Wir fordern Forschungen zu Wegen und Verbleib und Wirkungen der Arzneimittelrückstände. Wir fordern, dass die Pharmaunternehmen verpflichtet werden, ein einheitliches Apotheken-Rücknahmesystem für Altmedikamente einzurichten und zu finanzieren. Außerdem soll auf jeder Medikamentenpackung und auf den Beipackzetteln der Entsorgungsweg erkennbar sein. In Landtagen brachte die Linke die Forderung ein, dass die Hotspots für Medikamenteneinträge, wie zum Beispiel Krankenhäuser und Pflegeheime, extra Klärwege zur Reduzierung von Arzneimittellresten nutzen sollen, statt sie einfach in kommunale Klärwerke einzuleiten. Trotz ihrer in erster Lesung geäußerten Zweifel an unseren Vorschlägen danke ich den Kolleginnen und Kollegen, dass wir gemeinsam im Umweltausschuss ein Fachgespräch zum Thema Arzneimittelbelastungen im Abwasser durchführten. Die Auswertung eines EU -Großversuches zu Arzneirückständen, mit durchgeführt vom Emscher-Lippe-Genossenschaftsverband, dem größten Abwasserentsorger der Bundesrepublik, bestätigte unseren Ansatz, an der Quelle zu handeln. Zweiundsiebzig Substanzen aus Arzneien im Versuch wurden getestet - 57 Prozent der Gesamtbelastungen kamen aus Krankenhäusern. Mit einer gezielten Reinigung der Krankenhausabwässer, wie in den Landtagen von uns gefordert, wäre viel erreicht, leider lehnten CDU, FDP und SPD dies bisher ab. Warum eigentlich? Emscher-Lippe wie auch die Abwasserentsorger im Ausland testeten verschiedene Abwasserreinigungsverfahren. Das Ergebnis ist ernüchternd. Keines der Verfahren konnte alle 72 Substanzen beseitigen und beim Ozonieren, einem der Verfahren, entstanden neue Substanzen, deren Wirkungen auf die Umwelt unbekannt sind. 30 Prozent mehr Energieverbrauch in den Kläranlagen, Filterreste, Betriebskostensteigerung von mehr als 20 Prozent. All dies waren Nebenwirkungen der zusätzlichen Reinigungsstufen. 30 Prozent mehr Stromverbrauch würde bei einer Ausstattung aller 10 000 Kläranlagen Deutschlands mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe einen Mehrbedarf von 0,7 Milliarden Kilowattstunden im Jahr bedeuten, das ist der jährliche Stromverbrauch von über 150 000 Haushalten. Aber ein Verfahren reicht nicht für alle Substanzen - für alle Verfahren bräuchte man noch mehr Energie, und die Kosten für Abwasser würden explodieren. So lautet das Fazit des Vortrags - jetzt zitiere ich noch, was der Genossenschaftsverband EmscherLippe vorschlug, damit Medikamentenrückstände in Gewässern optimal minimiert werden können -: Einführung einer Gewässerampel für bestehende Medikamente und gegebenenfalls eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Medikamente, Ausbau und Optimierung der Rücknahmesysteme für Medikamente, Entwicklung von abbaubaren Medikamenten, Anpassung der Dosierung an den Bedarf des menschlichen Körpers, Veränderung der Verschreibungspraktiken und der Beratung in Apotheken, Informationen zum Umgang mit Arzneimitteln und Minimierung der Einträge an der Quelle, sprich an den Krankenhäusern All diese Vorschläge sind in unserem Konzept enthalten. Eine vierte Reinigungsstufe zu fordern, ist einfach und erfordert keinen Mut, aber Bürgerinnen und Bürger müssen dafür hart zahlen und der stark erhöhte Energieverbrauch konterkariert Energieeffizienzziele, deren Umsetzung wir für den Klimaschutz brauchen. Die vierte Reinigungsstufe als Allheilmittel steigert jedoch die Umsätze in der Bauwirtschaft für neue Kläranlagen, und die Pharmalobby braucht sich trotz fetter Gewinne nicht um Umweltschutz zu scheren. Geht man den von Emscher-Lippe und uns vorgeschlagenen Weg, sind gleiche Ergebnisse für die Umwelt, günstig für Bürgerinnen und Bürger, bei geringen Belastungen der Verursacher, der Pharmaindustrie, und keinen Zusatzumsätzen der Baubranche erreichbar aber man muss sich mit der Bau- und Pharmalobby auseinandersetzen. Die Linke hat diesen Mut. Sie auch? Stimmen Sie unserem Antrag und damit dem Umweltschutz zu und folgen Sie in den Bundesländern unseren Vorschlägen zu Krankenhausabwässern. Falls den Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP das aus ideologischen Gründen unmöglich ist copy and paste ist erlaubt. Die Linke wird das Plagiat gern akzeptieren. Seien Sie mutig, umwelt- und bürgerfreundlich, und lassen Sie ihren blumigen Worten zum Schutz des Lebensmittels Wasser vernünftige Taten folgen.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir diskutieren heute abschließend den Antrag der Fraktion Die Linke zum Problem der Entsorgung von Arzneimitteln. Wir haben derzeit ein äußerst unbefriedigendes Entsorgungssystem von Altmedikamenten, nämlich gar keins. Nur wenige Apotheken nehmen - in der Regel auf eigene Kosten - überhaupt noch abgelaufene oder nicht mehr benötigte Arzneimittel an. Apotheken sind nicht mehr verpflichtet, solche Arzneimittel anzunehmen. Das ist die Folge der 2009 erfolgten Änderung der Verpackungsverordnung. Im Rahmen eines vom Bundesforschungsministerium in der Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. Mai 2008 finanzierten Projektes mit dem Titel „Strategien zum Umgang mit Arzneimittelwirkstoffen im Trinkwasser“ wurde seinerzeit festgestellt, dass bis dahin immerhin ein Drittel der repräsentativ befragten Bürgerinnen und Bürger ihre Altarznei immer in den Apotheken abgeben. Nur ein Drittel der Befragten antworteten damals, dass sie dies nie täten. Das letzte Drittel blieb unklar. Vonseiten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird ein Rücklauf von nur 5 Prozent behauptet, und Verbraucherinnen und Verbraucher werden auf die geltende Hausmüllversorgung verwiesen. Das Umweltministerium sieht es als unproblematisch an, Arzneimittel über den normalen Zu Protokoll gegebene Reden Hausmüll zu entsorgen, wie wir Grüne in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion vom Juni 2011 erfuhren. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, wenn man bedenkt, dass dadurch in vielen Haushalten auch Kleinkinder ungewollt Zugang zu Arzneimittelresten bekommen können. Das Umweltbundesamt fordert auf seiner Website dazu auf, Medikamentenreste keinesfalls über den Ausguss oder das Klo zu entsorgen. Das ist natürlich richtig. Vor allem flüssige Arzneien landen viel zu häufig über die Toilette in den Kläranlagen. Aber auch moderne Kläranlagen sind technisch nicht dazu in der Lage, Wirkstoffe rückstandsfrei abzubauen. Ich nenne als Beispiel nur Diclofenac. Solche und ähnliche Arzneimittelrückstände belasten in der Folge die Gewässer. Wir finden die belastenden Stoffe in den Meeren oder auch in unserem durch Filter gewonnenen Trinkwasser. Sie können hormonelle Veränderungen bei Fischen bewirken und andere Organismen schädigen. Wir brauchen wieder ein flächendeckendes Rücknahmesystem für Arzneimittel; den Menschen muss die Möglichkeit gegeben werden, ihre Altarznei in jedem Fall einer fachgerechten und sicheren Entsorgung zuzuführen. Eine Pflicht zur Abgabe in Apotheken, analog zu den Regelungen in § 11 des Batteriegesetzes, wie es in dem Antrag der Linken formuliert ist, halten wir jedoch für nicht zwingend. Der Antrag der Fraktion der Linken greift einige tatsächlich bestehende und sich weiter verschärfende Probleme auf. Er liefert aus unserer Sicht allerdings leider keine hinreichenden Lösungen um derer Herr zu werden, sodass meine Fraktion sich heute dazu enthalten wird. Anlässlich dieses Antrages ist es mir auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Medikamente grundsätzlich auch über andere Wege als die Humanarzneimittelentsorgung in die Gewässer und übrigens auch in die Böden gelangen. Ausscheidungen von Mensch und Tier, als Dünger auf die Felder gebrachte Gülle und Klärschlämme, enthalten neben Nährstoffen auch schädliche Substanzen wie Schwermetalle und Arzneimittelrückstände. Hier ist die Schaffung eines konsequenten fachrechtsübergreifenden Vorsorgekonzeptes angezeigt, welches durch Einbezug des Arzneimittelrechts, Wasserrechts, Immissionsschutzrechts, Abfallrechts und weiterer benachbarter Rechtsbereiche und Verordnungen strenge Grenzwerte für Stoffeinträge aller Art in Wasser und Böden definiert. Auch das Chemikalienrecht muss dieses Problem berücksichtigen; denn nicht nur über Altarzneien, auch über Produkte des alltäglichen Gebrauchs ergeben sich zum Beispiel durch Abund Auswaschungen massive Belastungen von Gewässern und Böden. Wir haben es hier mit langlebigen organischen Chemikalien, wie zum Beispiel bekannten Perfluorierten Tensiden, PFT, zu tun, deren lange bestrittene negative Auswirkungen auf verschiedene Organismen inzwischen nachgewiesen wurden. Das Ziel muss also ein umfassender vorsorgender Gewässer- und auch Bodenschutz sein. Wir Grüne fordern in diesem Zusammenhang weiterhin auch ein systematisches bundesländerübergreifendes Arzneimittelmonitoring. Dieses alles geht in der Summe über den Antrag der Linken noch deutlich hinaus.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12873, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11897 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des TreibhausgasEmissionshandelsgesetzes - Drucksache 17/13025 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - Drucksache 17/13398 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({1}) Michael Kauch Bärbel Höhn Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der europäische Emissionshandel muss eine wichtige Säule der Klimapolitik in der Europäischen Union bleiben. Daher gilt es, die entsprechenden Rahmensetzungen für einen sicheren und zuverlässigen Zertifikatehandel in Deutschland zu erhalten und anzupassen. Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, TEHG, über das wir heute in zweiter und dritter Lesung verhandeln, bildet in Deutschland diese gesetzliche Grundlage für den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen in einem gemeinschaftsweiten Emissionshandelssystem. Es schafft die rechtliche Voraussetzung, die 1997 im Kioto-Protokoll für die Mitgliedstaaten vereinbarten Verpflichtungen zur Reduzierung von Treibhausgasen einzuhalten. In den ersten beiden Handelsperioden des EUEmissionshandelssystems konnten die Mitgliedstaaten weitgehend selbst entscheiden, wie sie die erforderliche Prüfung von Emissionsberichten und Zuteilungsanträgen durch Sachverständige regeln. Im Zuge der Harmonisierung der Regeln für den EU-Emissions30364 Andreas Jung ({0}) handel hat die EU-Kommission auf Basis des Art. 15 der Emissionshandels-Richtlinie nun die EU-Verordnung Nr. 600/2012 über die Prüfung von Treibhausgasemissionsberichten und Tonnenkilometerberichten sowie die Akkreditierung von Prüfstellen beschlossen. Danach dürfen ab der 2013 beginnenden dritten Handelsperiode des EU-Emissionshandelssystems grundsätzlich nur noch Prüfstellen tätig sein, die von der nationalen Akkreditierungsstelle des Mitgliedstaates akkreditiert sind. Auf Drängen der Bundesrepublik Deutschland erhalten die Mitgliedstaaten jedoch ebenfalls die Möglichkeit, auch Einzelsachverständige als Prüfstellen zuzulassen, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Prüfung durch Einzelsachverständige im Vergleich zur Tätigkeit akkreditierter Prüfstellen gleichwertig ist. Das bislang in Deutschland praktizierte System der Prüfung durch sogenannte sachverständige Stellen genügt den Anforderungen der EU-Verifizierungsverordnung weder auf der Ebene der Anforderungen an die Zulassungsstelle noch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zertifizierung selbst. Auch enthält das bisher geltende Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, TEHG, bislang keine ausreichende Grundlage, um von der Optionsmöglichkeit zur Einrichtung einer Zulassungsstelle Gebrauch machen zu können. Zur Umsetzung der Verordnung sind daher Anpassungen des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes erforderlich gewesen, die den Wettbewerb zwischen den Sachverständigen stärken und die Auswahl von geeigneten Prüfern verbreitern sollen. Hiervon profitieren unterm Strich alle Seiten. Um den sachverständigen Stellen in Deutschland, die bislang als Einzelsachverständige tätig waren und die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine Akkreditierung von Prüfstellen nicht erfüllen, eine Weiterbetätigung als zertifizierte Prüfstellen zu ermöglichen, werden mit der Gesetzesänderung die Voraussetzungen für die Zertifizierung von Prüfstellen geschaffen. Die entsprechenden Vorschriften zur Implementierung eines Zertifizierungsverfahrens für natürliche Personen sollen durch eine Rechtsverordnung geregelt werden, für die das TEHG um eine neue Verordnungsermächtigung ergänzt wird. Neben dieser Erweiterung des Rechtsrahmens für die Tätigkeit der Sachverständigen im Emissionshandel enthält der Gesetzentwurf noch einzelne, zumeist klarstellende Änderungen, um den Erfahrungen aus dem bisherigen Vollzug des TEHG Rechnung zu tragen. Zu diesen Regelungen für einen verbesserten Gesetzesvollzug hat der Bundesrat Änderungen gefordert. Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Änderungsantrag greift ein Anliegen des Bundesrates auf, indem eine der vorgesehenen Änderungen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wird. Dabei handelt es sich um die von den Ländern am stärksten kritisierte Regelung für eine verstärkte Kooperation zwischen den Landesbehörden und der Deutschen Emissionshandelsstelle, DEHSt. Diese Änderung ist ein Entgegenkommen an die Länder, deren Zustimmung zu dem Gesetzentwurf erforderlich ist. Ich hoffe daher, dass der Bundesrat seine Zustimmung geben wird, damit wir mit einer zügigen Verabschiedung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes die Rahmenbedingungen für den nationalen Zertifikatehandel auf sichere und zuverlässige Beine stellen können. Damit wird die formale Grundlage für den Emissionshandel für die kommenden Jahre geschaffen. Diese Grundlage gilt es jedoch auch auszufüllen. Und hierfür wird es auf die materiellen Regelungen ankommen. In der jetzigen Ausnahmesituation ist als Ultima Ratio ein Eingriff im Sinne des diskutierten Backloadings unumgänglich. Zudem brauchen wir eine grundlegende strukturelle Reform des Emissionshandelssystems und eine Erhöhung des europäischen Klimaziels auf eine Reduktion von 30 Prozent bis 2020 gegenüber 1990. Dann wird der Emissionshandel seine Aufgabe als marktwirtschaftliches Klimaschutzinstrument wirksam erfüllen können.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der aktuellen Stunde heute haben wir über den Emissionshandel geredet und somit natürlich auch über die destruktive Rolle der deutschen Bundesregierung. Die Bundesregierung trägt eine Hauptverantwortung dafür, dass der Emissionshandel zurzeit keine Wirkung entfaltet. Es ist merkwürdig, im jetzigen Tagesordnungspunkt über technische Details der dritten Handelsperiode zu reden, da das komplette System dahinsiecht und wir eigentlich über die dringend notwendige Reform des Emissionshandels reden müssten. Aber hier geht es darum, die Vorgaben der EU umzusetzen, genauer gesagt soll die EU-Akkreditierungsund Verifizierungsverordnung umgesetzt werden. Im Zuge der Harmonisierung der Regeln für den EUEmissionshandel hat die EU-Kommission auf Basis des Art. 15 der Emissionshandels-Richtlinie eine EUVerordnung zur Akkreditierung und Verifizierung beschlossen. Dies hat zur Folge, dass ab der dritten Handelsperiode des EU-Emissionshandelssystems, die bekanntermaßen Anfang dieses Jahres begonnen hat, grundsätzlich nur noch Prüfstellen tätig sein dürfen, die von der nationalen Akkreditierungsstelle des Mitgliedstaates akkreditiert sind. Daneben eröffnet die EU-Verifizierungsverordnung den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, auch Einzelsachverständige als Prüfstellen zuzulassen, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Prüfung durch Einzelsachverständige mit der Prüfung akkreditierter Prüfstellen gleichwertig ist. Im Unterschied dazu konnten die Mitgliedstaaten in den ersten beiden Handelsperioden des EU-Emissionshandelssystems weitgehend selbst entscheiden, wie sie die erforderliche Prüfung von Emissionsberichten und Zuteilungsanträgen durch Sachverständige regeln. Die EU-Akkreditierungs- und Verifizierungsverordnung reZu Protokoll gegebene Reden gelt detailliert und in allen Mitgliedstaaten verbindlich, wie die Prüfung von Emissionsberichten zu erfolgen hat, welche Voraussetzungen dazu befugte Prüfstellen erfüllen müssen, dass Prüfstellen künftig durch die nationalen Akkreditierungsstellen akkreditiert werden müssen, wie das Akkreditierungsverfahren abläuft, welche Anforderungen die nationalen Akkreditierungsstellen erfüllen müssen, wie die Prüfstellen durch die Akkreditierungsstellen beaufsichtigt werden, welche Informationen zwischen Akkreditierungsstellen und Emissionshandelsbehörden ausgetauscht werden. Als Prüfstellen sind aber nach dem Willen der Verordnung nur „juristische Personen“ oder „sonstige juristische Einheiten“ akkreditierungsfähig. Will ein Mitgliedstaat es ausnahmsweise auch natürlichen Personen ermöglichen, als Prüfstellen aktiv zu sein bzw. zu bleiben, muss er eine nationale Zertifizierungsbehörde einrichten und Regelungen treffen, die sicherstellen, dass die Zertifizierung von natürlichen Personen als Prüfstellen die gleichen Anforderungen erfüllt wie das Akkreditierungsverfahren. Das bislang in Deutschland praktizierte System der Prüfung durch sogenannte sachverständige Stellen genügt den Anforderungen der EU-Verifizierungsverordnung nicht. Das betrifft sowohl die Voraussetzungen für die Zertifizierung als auch die Anforderungen an die Zulassungsstelle. Auch enthält das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz bislang keine ausreichende Grundlage, um von der Optionsmöglichkeit zur Einrichtung einer Zulassungsstelle Gebrauch machen zu können. Eine Änderung des TEHG ist notwendig, um die neuen Vorschriften der Akkreditierung und Verifizierung umzusetzen. Wichtig ist dabei auch, dass Voraussetzungen für die Zertifizierung von Prüfstellen geschaffen werden. Das ist für die sachverständigen Stellen wichtig, die bislang als Einzelsachverständige tätig waren und die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine Akkreditierung von Prüfstellen nicht erfüllen. Damit sie als zertifizierte Prüfstellen weiter arbeiten können, ist diese Gesetzesänderung notwendig. Die entsprechenden Vorschriften zur Implementierung eines Zertifizierungsverfahrens für natürliche Personen sollen durch eine Rechtsverordnung geregelt werden, für die das TEHG um eine neue Verordnungsermächtigung ergänzt wird. Soweit zur TEHG-Novelle. Nun möchte ich doch noch von den technischen zu den politischen Fragen kommen. Und hier hat Schwarz-Gelb gestern im Umweltausschuss einen Bock geschossen. In einem für den Umweltausschuss einmaligen Vorgang hat die Regierungsmehrheit einen Antrag der SPD zum europäischen Emissionshandel von der Tagesordnung abgesetzt. Dort sollte die Koalition gezwungen werden, in einer Abstimmung zum sogenannten Backloading Farbe zu bekennen. Dazu ist sie aber seit Monaten und Jahren nicht in der Lage. Es wurde nicht nur der Antrag zum Backloading abgesetzt, es soll nun nach dem Willen der Regierungsfraktionen im Juni eine Anhörung zum Thema Backloading geben. Als wären nicht schon längst alle Argumente ausgetauscht. Diese Anhörung dient nicht dazu, weitere Erkenntnisse zu sammeln, sondern sie soll verhindern, dass vor der Anhörung eine Abstimmung zum Backloading stattfindet. Dieses Vorgehen offenbart in schonungsloser Weise die klimapolitische Handlungsunfähigkeit Deutschlands auf europäischer Bühne. Die Bundeskanzlerin trägt mit ihrer „Methode Merkel“ dafür als ehemalige „Klimakanzlerin“ auch ganz persönliche Verantwortung. Jetzt versucht die Koalition mit allen Tricks der Geschäftsordnung, das Ende der Legislaturperiode zu erreichen. Nach einem Jahr als Umweltminister stellen wir fest, dass Herr Altmaier krachend gescheitert ist. Das liegt nicht nur an der FDP, sondern auch an Teilen seiner eigenen Bundestagsfraktion, aber auch an der Entscheidungsunwilligkeit von Kanzlerin Merkel.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die vorgeschlagene Änderung des TreibhausgasEmissionshandelsgesetzes schafft die Grundlage dafür, dass in Deutschland zukünftig auch Einzelsachverständige im Bereich des Emissionshandels tätig werden können. Deutschland hatte sich auf EU-Ebene dafür eingesetzt, dass den Mitgliedstaaten eine entsprechende Option eröffnet wird. Neben dieser Erweiterung des Rechtsrahmens für die Tätigkeit der Sachverständigen im Emissionshandel enthält der Gesetzentwurf noch einzelne, zumeist klarstellende Änderungen, um den Erfahrungen aus dem bisherigen Vollzug des TEHG Rechnung zu tragen. Den Bundesländern sind wir dahin gehend entgegengekommen, dass wir die von ihnen kritisierte Regelung für eine verstärkte Kooperation zwischen den Landesbehörden und der Deutschen Emissionshandelsstelle aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben. Die vorgesehene Erweiterung der Sachverständigenzulassung soll noch in diesem Jahr umgesetzt werden. Interessanter im Zusammenhang mit dem Emissionshandel ist allerdings, wie mit dem Preisverfall der CO2-Zertifikate umgegangen werden soll. Um es vorweg zu sagen: Der Emissionshandel funktioniert. Er hält zu möglichst geringen Kosten die Klimaschutzziele genau ein. Dennoch: Dadurch, dass die Preise zurzeit in einem Bereich zwischen 3 und 4 Euro pro Tonne CO2 pendeln, fehlt ein langfristiger Anreiz, in neue CO2-arme und nachhaltige Technologien zu investieren. Diese Anreize benötigen wir aber, wenn die EU nach 2020 das Emissionsziel absenkt, um auf dem Klimaschutzpfad bis 2050 voranzukommen. Zur Stabilisierung des CO2-Preises fordern die Oppositionsfraktionen, einen Anteil der in dieser Handelsperiode neu auszugebenden Zertifikate entweder stillzulegen oder zurückzuhalten. Letzteres hat auch die Europäische Kommission unter dem Stichwort Backloading vorgeschlagen, ist damit allerdings im Europäischen Parlament gescheitert. Mit diesem Vorschlag würde man jedoch das Pferd von hinten aufzäumen: Sinn und Zweck des EmissionsZu Protokoll gegebene Reden handels ist nämlich nicht ein Mindestpreis für CO2Emissionen, sondern die Einhaltung des Cap, das heißt, der EU-weit gedeckelten Gesamtmenge an CO2, die von emissionshandelspflichtigen Anlagen ausgestoßen wird. Und das gelingt. Schraubt man willkürlich an der Zertifikatmenge, um einen bestimmten Preis anzupeilen, führt man das System ad absurdum. Zudem basiert das Vertrauen der Wirtschaftsakteure in das System auf stabilen Rahmenbedingungen. Eine willkürliche Änderung dieser Rahmenbedingungen würde das Emissionshandelssystem mehr gefährden als der aktuell sehr niedrige Preis. Ein systematischerer Ansatz wäre es, das Klimaziel anzuheben. Die Bundesregierung hat in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eine europaweite Anhebung des Klimaziels auf 30 Prozent bis 2020 befürwortet, wenn Deutschland sein nationales 40-Prozent-Ziel nicht erhöhen muss und alle EU-Staaten einen angemessenen Beitrag leisten. Diesen Ansatz sollte man nach dem Scheitern der Backloading-Pläne im Europäischen Parlament jetzt noch einmal forcieren. Klar ist aber auch: Beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Zusatzbelastungen der deutschen Industrie über die ambitionierten deutschen Ziele hinaus sind nicht sinnvoll, ebenso wenig Lösungen, die zu Wettbewerbsverzerrungen in Europa führen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese Gesetzesänderung ist so ein Fall, wo wir grundsätzlich eher leidenschaftslos sind, zum einen, weil das Ganze eine technische Anpassung von Begriffen und Zuständigkeiten an das EU-Recht ist, zum andern, weil das Emissionshandelssystem gründlich gegen die Wand gefahren wurde. Deshalb stehen für uns ganz andere Probleme im Raum als die technische Verwaltung des vor sich hin siechenden Handelssystems. Kurz: Das EU-Emissionshandelssystem, ETS, ist so gut wie tot und die Bundesregierung blockiert seine Reform. Darum werden wir jetzt mehr Kraft verwenden, Alternativen zu suchen, als uns weiter am komplizierten Rechtsgeflecht im ETS abzuarbeiten. Doch zunächst noch ein Wort zum vorliegenden Gesetzentwurf. In dem wird unter anderem Bezug auf die Kompensationsmöglichkeiten für indirekte emissionshandelsbedingte Strompreiserhöhungen genommen. Darum lehnen wir ihn ab. Diese Kompensation für die energieintensive Produktion ist schließlich ein kleiner Teil dessen, was den Emissionshandel unwirksam macht. Unzählige Ausnahmeregeln, Überzuteilungen und Schlupflöcher haben seine ökologische Integrität zerstört, dafür aber Extraprofite für Unternehmen organisiert. An der Installierung dieser Maschinerie hat seinerzeit bis 2005 Rot-Grün genauso kräftig mitgewirkt wie später Schwarz-Rot. Die Wirkung dieses Geschenkpakets an die Wirtschaft haben wir heute auszubaden. Im Falle der Strompreiskompensationen sollen nun auch Unternehmen veritable Zuschüsse erhalten, die mit ihren Produkten überhaupt nicht oder nur wenig im internationalen Wettbewerb stehen. Gleiches passierte ja bereits bei der kostenlosen Zuteilung an Industrieanlagen im Rahmen der Carbon-Leakage-Zuteilungsregeln. Diese insbesondere vom deutschen Wirtschaftsministerium in Brüssel durchgesetzten Subventionen im Zusammenhang mit dem ETS-System sind nur ein Mosaikstein des Lobbyismus gegen eine vernünftige Klimaschutzpolitik. Gerade gestern hat die Deutsche Emissionshandelsstelle einen Hintergrundbericht zum Emissionshandel der abgelaufenen Handelsperiode 2008 bis 2012 veröffentlicht. Die Bilanz ist ernüchternd. Im letzten Jahr sind die Emissionen zum Vorjahr um 2,4 Millionen Tonnen gestiegen. In den Anlagen bestand 2012 dennoch insgesamt ein Zuteilungsüberschuss von 145 Millionen Emissionsberechtigungen. Damit ist die Menge an Zertifikaten gemeint, die überzählig sind, zieht man jene ab, die in Höhe der tatsächlichen Emissionen abzuliefern waren. Dieser Überschuss macht unter dem Strich einen Marktwert von rund 570 Millionen Euro aus. Die meisten Unternehmen haben also auch im letzten Jahr am Emissionshandel kräftig verdient. Doch woher kommt das Überangebot? Emissionsberechtigungen über 140 Millionen Tonnen, also rechnerisch fast die gesamte Menge des genannten Überschusses, stammen aus Auslandsprojekten. Bei denen ist jedoch vielfach fraglich, ob sie tatsächlich zusätzlichen Klimaschutz liefern, wie viele Studien ergeben haben. Über die gesamte Handelsperiode gerechnet sind über 300 Millionen solcher billiger Projektgutschriften aus dem Clean Development Mechanism, CDM, der Joint Implementation, JI, verwendet worden. Wenn aber viele davon faul sind, bläht sich das Cap - die Emissionsobergrenze - mit heißer Luft auf. Und diese Treibhausgasblase durfte laut Richtlinie in die laufende Handelsperiode 2013 bis 2020 übernommen werden. Die genannten 300 Millionen Projektgutschriften entsprechen übrigens ungefähr dem gesamten deutschen Überschuss, der in den letzten fünf Jahren aufgelaufen ist. Das ist quasi der deutsche Beitrag dafür, dass in Europa gegenwärtig ein Überschuss an Zertifikaten über insgesamt rund 1,7 Milliarden bis 2 Milliarden Tonnen CO2 besteht. Diese Flut drückt die CO2-Preise nunmehr unter vier Euro in den Keller. Eine Lenkungswirkung des Emissionshandels in die Wirtschaft hinein kann man vergessen. Das aufgeblähte Cap repräsentiert für die Zukunft die Gefahr eines enorm wachsenden Treibhausgasausstoßes. Wenn man berücksichtigt, dass in der zweiten Handelsperiode in Deutschland gerade einmal 20 Millionen Tonnen CO2 im ETS-Bereich eingespart wurden ({0}), demgegenüber aber allein von der Bundesrepublik überschüssige Emissionsberechtigungen über 302 Millionen Tonnen CO2 in die jetzige dritte Handelsperiode übertragen wurden - die Zu Protokoll gegebene Reden zusätzlich aufs festgelegte Emissionsbudget 2013 bis 2020 oben drauf kommen -, dann kann man das Ausmaß des Desasters erahnen. In unserem Antrag „Kohleausstiegsgesetz nach Scheitern des Emissionshandels“ ({1}) haben wir dargestellt, was nun unserer Ansicht nach zu tun ist. Als erster Schritt zu tiefgreifenden ETS-Strukturreformen hätte der Vorschlag der EU-Kommission unterstützt werden müssen, zunächst 900 Millionen Zertifikate von den neuen Versteigerungen in der EU fernzuhalten. Dieses so genannte Backloading hätte es wiederum ermöglicht, spätestens ab 2016 das ETS mit neuen Spielregeln laufen zu lassen. Stichworte dieser leider zeitraubenden Reform der Emissionshandelsrichtlinie wären: endgültige Stilllegung der gesamten Überschussmenge, strengere Minderungsziele und ein gänzliches Verbot der Anrechnung von Auslandsgutschriften. Dieses Szenario ist aber von der Bundesregierung nicht gewollt. Bereits das Backloading wurde von Union und FDP blockiert. Darum ist es Zeit, umzusteuern: Die Linke fordert ein Kohleausstiegsgesetz, das Restlaufzeiten für Kohlekraftwerke festlegt und spätestens 2040 den letzten Meiler vom Netz nimmt. Zudem muss der Neubau von Kohlekraftwerken und der Neuaufschluss von Tagebauen verboten werden.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, wo die Prioritäten dieser Bundesregierung liegen. Für den Klimaschutz tun Sie nichts. Aber im Verteilen von Subventionen an die energieintensive Industrie, da sind Sie groß. Mit dieser klimaschädlichen Klientelpolitik muss am 22. September Schluss sein! 350 Millionen Euro an Subventionen wollen Sie an die Industrie verteilen, als Ausgleich für vermeintlich durch den Emissionshandel gestiegene Strompreise. Aber die Strompreise sind gar nicht gestiegen. Sie sind im letzten Jahr gefallen. Und sie fallen dieses Jahr weiter. Der Strom kostet heute an der Börse 20 Prozent weniger als letztes Jahr. Aber solche Fakten können CDU, CSU und FDP in ihrem Subventionseifer offenbar nicht bremsen. Ein Grund für den Preiseinbruch an der Börse ist, dass der Emissionshandel, das zentrale Instrument der europäischen Klimaschutzpolitik, nicht funktioniert. Genau gesagt: Er liegt am Boden. Luftverschmutzer müssen statt angemessener 20 Euro heute nur noch 3 Euro zahlen für jede Tonne CO2, die sie in die Luft blasen. Da gibt es keine Anreize, sich klimaschonend zu verhalten oder in Klimaschutztechnologien zu investieren. Doch was macht die Bundesregierung? Hilft sie mit, den Emissionshandel, um den es im vorliegenden Gesetz ja geht, zu reparieren? Nein, sie rührt keinen Finger. Im Gegenteil: Den Versuch der EU, dem Emissionshandel wieder auf die Beine zu helfen, haben ausgerechnet die deutschen Abgeordneten von CDU, CSU und FDP im Europaparlament gestoppt - mit Unterstützung von Wirtschaftsminister Rösler und stillschweigendem Einverständnis der Bundeskanzlerin. Diese Bundesregierung macht den Klimaschutz kaputt und überhäuft die Industrie mit Subventionen, die sie nicht braucht. Die Zeche zahlen die Umwelt und die Verbraucher. Darauf kann es im Herbst nur eine Antwort geben: abwählen!

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13398, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13025 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 259/2012 - Drucksache 17/13024 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - Drucksache 17/13399 Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Dr. Lutz Knopek Dorothea Steiner Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Phosphate werden hauptsächlich in der Landwirtschaft als Pflanzendünger verwendet. In Oberflächengewässern stellen sie eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar und müssen deshalb auf ein Minimum reduziert werden. Bisher liegt der Anteil von Phosphat aus Maschinengeschirrspülmitteln in Haushaltsabwässern in Deutschland bei circa 10 Prozent. Der Hauptanteil von Phosphaten im Abwasser stammt aus den menschlichen Ausscheidungen und aus Düngern in der landwirtschaftlichen Nutzung. Dank des hohen Anschlussgrades an dreistufige Kläranlagen werden in Deutschland etwa 90 Prozent des Phosphats aus den Haushaltsabwässern entfernt. Ganz besonders lobenswert ist, dass deutsche Haushaltswaschmittelhersteller bereits schon seit Mitte der 80er Jahre freiwillig auf Phosphate verzichten. Damit ist Deutschland Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Bisher hatte jeder EU-Staat seine eigene Regelung in Bezug auf den Gehalt von Phosphaten in Waschund Reinigungsmitteln. Das Europäische Parlament, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Ministerrat haben sich dann aber im Dezember 2011 auf eine Änderung der Gesetzgebung für Wasch- und Reinigungsmittel, die sogenannte europäische Detergenzienverordnung, geeinigt. Kernbotschaft der neuen Phosphatverordnung ist die Begrenzung des Phosphatgehalts, die zunächst ab 2013 für Textilwaschmittel gelten wird. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese Begrenzung auch auf Maschinengeschirrspülmittel ausgeweitet werden. EUweit wird für Haushaltswaschmittel ab dem Jahr 2013 nur noch die sehr geringe Menge von 0,5 Gramm pro Waschladung an Phosphor erlaubt sein. Damit wird es europaweit bald so gut wie kein Phosphat mehr als Inhaltsstoff in Waschmitteln geben. Auch für Maschinengeschirrspülmittel wird ab dem Jahr 2017 nur noch 0,3 Gramm Phosphor als Höchstwert pro Spülgang festgelegt. Somit gilt dann auch hier: so gut wie kein Phosphat mehr in Maschinengeschirrspülmitteln. Die Hersteller werden europaweit neue Produkte mit Phosphatersatzstoffen auf den Markt bringen müssen, die unschädlich für Mensch und Umwelt sind. Es existieren bereits solche Waschmittel, sie müssen nur noch überall erhältlich sein und müssen sich noch europaweit durchsetzen. Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die EUPhosphatverordnung hinsichtlich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung in nationales Recht. Für eine wirksame Durchführung der Vorschriften ist in Deutschland jedoch die Schaffung von Sanktionsvorschriften notwendig. Bei der heutigen Lesung des Gesetzes zur Durchführung der sogenannten Phosphatverordnung geht es also um die rechtlichen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der Verordnung ({0}) Nr. 259/2012 in Deutschland. Der Gesetzentwurf sieht die Schaffung von Sanktionsvorschriften im Wasch- und Reinigungsmittelgesetz vor, die der Ahndung von Verstößen gegen die EU-Verordnung dienen. Darüber hinaus werden bestehende Anordnungsbefugnisse der Landesbehörden erweitert sowie Anordnungsbefugnisse des Umweltbundesamtes im Rahmen der Durchführung von EU-Schutzklauselverfahren effektiver ausgestaltet. Die Vollstreckung derartiger Notfallanordnungen des Umweltbundesamtes wird den Ländern übertragen. Der Bundesrat hatte am 22. März 2013 zu dem Gesetzentwurf lediglich eine Änderung beschlossen, die ein Detail der Vollstreckungsregelung für die UBA-Anordnungen betrifft. Die Bundesregierung hat dieser Änderung in ihrer am 10. April 2013 im Bundeskabinett beschlossenen Gegenäußerung zugestimmt. Dies übernehmen wir als Koalitionsfraktionen mit unserem Änderungsantrag, dem die Ausschüsse bereits zugestimmt haben. Der vorliegende Gesetzentwurf hat bei seinem Entstehen keine Konfliktpunkte aufgeworfen. Damit steht dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am 7. Juni 2013 im Bundesrat nichts im Wege, und so können wir mit einer Verkündung noch vor der Sommerpause rechnen. Mit diesem Gesetz werden wir einen Beitrag zur Reduzierung der Phosphatzufuhr in allen europäischen Gewässern und damit zum Schutz der Binnengewässer und des Meeres gewährleisten. Dadurch kommen wir auch dem einheitlichen Binnenmarkt in diesem Bereich ein Stück näher, und vor allem einem besseren europaweiten Schutz unserer Gewässer und Meere.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letztes Jahr wurden auf EU-Ebene harmonisierte Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Geschirrspülmitteln eingeführt. Die Bundesregierung hat zur Umsetzung dieser seit 2012 bestehenden EU-Phosphatverordnung ({0}) Nr. 259/2012 ein Begleitgesetz in den Bundestag eingebracht, über das wir heute in zweiter und dritter Lesung abstimmen. Die EU-Verordnung selbst bedarf keiner Umsetzung in nationales Recht. Erforderlich ist aber hierzulande eine Änderung des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der EU-Verordnung zu schaffen, mit der der Phosphateintrag in europäischen Gewässern gesenkt werden soll. Mit dem heute zu beratenden Gesetz sollen sowohl Sanktionsvorschriften beim Verstoß gegen die EUPhosphatverordnung als auch die Befugnisse der zuständigen Behörden geregelt werden. Mit einer entsprechenden Bußgeldvorschrift soll eine wirksame Durchsetzung der neuen EU-Phosphatbegrenzungsregelungen in Deutschland gewährleistet werden. Wir begrüßen diese Neureglung. Denn noch vor einigen Jahren waren Phosphate fester Bestandteil unserer Waschmittel und haben so die Gewässer stark belastet. Wer kennt sie nicht, die Schaumkronen auf den Flüssen und Bächen: ein Resultat der Salze der Phosphatsäure, sprich: Phosphat. Diese Phosphate tragen zur Überdüngung der Gewässer bei und verstärken dadurch das Algenwachstum, was wiederum zur Folge hat, dass gerade im Sommer ein Sauerstoffmangel in Gewässern entsteht. Dies ist für die Fische zum Teil lebensbedrohlich. Viele Hersteller und Vertreiber von Wasch- und Reinigungsmitteln in Deutschland haben schon in den letzten Jahrzehnten zu phosphatfreien Produkten geZu Protokoll gegebene Reden wechselt. Denn inzwischen sind umweltschonendere Alternativstoffe verfügbar, die die Funktion der Phosphate übernehmen und eine wirksame Reinigung gewährleisten. Dieses Engagement der heimischen Unternehmen begrüßen wir ausdrücklich. Und dass diesen Vorreitern jetzt gesetzliche Regelungen für eine europaweite Begrenzung von Phosphaten folgen, zeigt, dass Deutschland in manchen Bereichen immer noch seinem Anspruch als Umweltvorkämpfer gerecht wird. Daher stimmen wir auch dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zu. Wir würden uns aber sehr wünschen, dass auch in den anderen wichtigen Fragen der Umweltpolitik die Bundesregierung wieder Vorbild würde. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet die Neureglung ganz konkret, dass ab dem 30. Juni 2013 keine Waschmittel, die für sie bestimmt sind, mit einem Gesamtphosphorgehalt von 0,5 Gramm oder mehr in der empfohlenen Menge pro Standardwaschladung mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Das betrifft Vollwaschmittel für normal verschmutze Wäsche und Feinwaschmittel für leicht verschmutzte Wäsche. Ab dem 1. Januar 2017 geht es noch weiter: Dann darf es auch keine Maschinengeschirrspülmittel für Verbraucher mehr geben, die einen Gesamtphosphorgehalt von 0,3 Gramm oder mehr pro Standarddosierung aufweisen. Die neuen Grenzwerte führen in der Praxis dazu, dass Phosphate aus den Produkten europaweit verschwinden werden. Dies trägt nicht nur zur Verbesserung der Gewässerqualität bei, sondern hilft auch den Klärwerken, teure Phosphatfällungsmittel einzusparen. Europarechtliche Vorgaben sind die eine Seite der Medaille beim Thema Umweltschutz, konkrete Tipps und Aufklärung für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind die andere Seite. Daher freue ich mich, dass es vor einer Woche, am 10. Mai, zum zehnten Mal den bundesweiten Aktionstag „Nachhaltiges ({1})Waschen“ gab, der auch ein offizielles Projekt der Weltdekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist. Initiiert wurde der Aktionstag unter anderem vom Industrieverband Körperpflegeund Waschmittel, der zu diesem Anlass Akteure aus Verbraucherverbänden, Behörden, Umweltorganisationen und Forschungsinstituten mobilisierte. Ob beim Infostand der Landfrauen in der Oberpfalz oder auf Waschfesten in Ravensburg, rund um den 10. Mai bemühten sich überall in Deutschland Menschen, den Verbrauchern das nachhaltige Waschen näherzubringen. Gerade beim Waschen und Spülen wird eine Menge Energie, Chemie und Wasser verbraucht. Daher muss Ziel sein, noch mehr Verbraucher für den bewussten täglichen Umgang mit den wertvollen Ressourcen zu gewinnen. Das schont auch den eigenen Geldbeutel; denn steigende Energiepreise reißen große Löcher in das private Budget. Wer bewusst und schonend mit der Energie beim Waschen und Spülen umgeht, gewinnt immer: Sein Beitrag für die Allgemeinheit hilft gleichzeitig, privat Geld zu sparen. Im Alltag nützt es schon, ein paar einfache Regeln zu beherzigen. Dazu gehören zum Beispiel die Energiesparprogramme bei Geschirrspülern und Waschmaschinen oder der Einsatz von niedrigen Temperaturen und einer geringeren Dosierung. Die Umsetzung dieser praktischen Tipps beim nachhaltigen Waschen, Abwaschen und Reinigen leistet in Kombination mit dem Gesetz, das wir heute gemeinsam beschließen, einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Qualität unserer Flüsse, Seen und küstennahen Gewässer in der gesamten EU.

Dr. Lutz Knopek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004074, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Um den Phosphatgehalt in den Gewässern zu senken, wurde 1980 in Deutschland die Phosphathöchstmengenverordnung erlassen. Die Hersteller von Waschmitteln wurden dadurch verpflichtet, die zulässige Phosphathöchstmenge in Wasch- und Reinigungsmitteln 1981 um 25 Prozent und 1984 um insgesamt 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1980 zu reduzieren. Die Phosphathöchstmengenverordnung betrifft allerdings nur phosphathaltige Waschmittel, die zur Reinigung von Textilien im Haushalt oder in Wäschereien bestimmt sind. 1986 war etwa die Hälfte aller Waschmittel phosphatfrei und 1987 bereits zwei Drittel. Heute sind praktisch nur noch phosphatfreie Waschmittel auf dem Markt. Aufgrund des Einsatzes phosphatfreier Haushaltswaschmittel ist der Phosphatverbrauch in Deutschland bis 1993 auf lediglich 4 000 Tonnen pro Jahr im Haushaltsbereich gesunken. Auf europäischer Ebene wurden 2012 mit der „Verordnung in Bezug auf die Verwendung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in für den Verbraucher bestimmten Waschmitteln und Maschinengeschirrspülmitteln“ harmonisierte Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Geschirrspülmitteln eingeführt. Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die EU-Phosphatverordnung hinsichtlich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung in nationales Recht. Erforderlich ist jedoch die Aufnahme einer entsprechenden Bußgeldvorschrift ins Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, um eine wirksame Durchsetzung der neuen EU-Phosphorbegrenzungsregelungen in Deutschland zu gewährleisten. Mit diesem Gesetz, das in der Sache völlig unstreitig ist, werden die dazu notwendigen Anpassungen im Wasch- und Reinigungsmittelgesetz vorgenommen. Deutschland kommt damit seinen europäischen Verpflichtungen nach. Mehr ist für den Deutschen Bundestag nicht zu tun.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir befassen uns hier mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der sogenannten PhosphatVerordnung der Europäischen Union. Inhaltlich werZu Protokoll gegebene Reden den mit diesem Entwurf die Möglichkeiten der Landesbehörden zur Durchsetzung der Phosphat-Verordnung konkretisiert. Schauen wir uns also die diesem Entwurf zugrunde liegende Phosphat-Verordnung einmal genauer an. Mit der Verordnung werden EU-weit harmonisierte Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Geschirrspülmaschinen eingeführt. Ab dem 30. Juni dieses Jahres dürfen für Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmte Waschmittel nicht mehr in Verkehr gebracht werden, wenn sie einen Gesamtphosphorgehalt von 0,5 Gramm oder mehr in der empfohlenen Menge für eine normale Waschmaschinenfüllung aufweisen. Fast vier Jahre später, ab Januar 2017, soll auch für die für Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmten Geschirrspülmaschinen eine Begrenzung eingeführt werden: Hier gilt dann ein Wert von 0,3 Gramm Gesamtphosphorgehalt pro Standarddosierung. Das Problem bei den Phosphaten ist, dass sie mit dem Abwasser wieder in den Kreislauf gelangen. Große Mengen an Phosphaten führen in Gewässern zu einem Überangebot an Nährstoffen und damit zu massivem Algenwachstum und einer Minderung des Sauerstoffgehaltes - die Fische sterben, das Gewässer kippt um. Wasch- und Reinigungsmittel sind in Europa generell eine der Hauptquellen für die Belastung mit Phosphaten. Die Begrenzung des Phosphatgehaltes in der Verordnung ist daher ein wichtiger Schritt für den Schutz unserer Gewässer. Dadurch werden vor allem auch die bisher in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich gehandhabten Höchstmengen angeglichen. In Deutschland ist aufgrund der Phosphathöchstmengenverordnung aus dem Jahre 1980 der Phosphateintrag in die Gewässer aus Waschmitteln jedoch ohnehin relativ gering. Problematischer verhält es sich da mit Geschirrspülmaschinen - leider soll für diese der Begrenzungswert von 0,3 Gramm Gesamtphosphorgehalt pro Standarddosierung erst ab 2017 gelten. Warum nicht früher? In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken: 70 Prozent der Phosphateinträge in Gewässern stammen aus diffusen Quellen. Der größte Teil der Phosphatbelastung stammt aus der Landwirtschaft, so zum Beispiel in der Ostsee. Hier besteht ein wesentlich größerer Handlungsbedarf. Zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die Erweiterung der entsprechenden Bußgeldvorschrift bei Verstößen gegen die neuen Phosphorbegrenzungsregelungen ist zu begrüßen. Die Phosphat-Verordnung muss jedoch auch tatsächlich durchgesetzt werden können, und dazu sind Kontrollen und für diese genügend Kapazitäten sicherzustellen. Durch diese Richtlinie wird die Belastung von häuslichen Abwässern mit Phosphor vermutlich unter die Hälfte des jetzigen Zustandes sinken. Deshalb sollte wissenschaftlich untersucht werden, ob bei vorhandenem guten chemischen Gewässerzustand weiter am Zubau phosphateliminierender Kläranlagen festgehalten werden muss oder ob Energieverbrauch, Ausfällmittel und Ressourcenbedarf dieses Ausbaues in Summe nicht negativer auf die Umwelt wirken. Es ist wichtig, dass neben dieser Richtlinie, gerade bei den diffusen Eintragsquellen für Phosphor weitere Bemühungen erfolgen, um Phosphateinträge weiter zu verringern. - Gewässerschutz hilft uns allen.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wasch- und Reinigungsmittel sind eine Hauptquelle für die Belastung von Gewässern mit Phosphaten. Phosphat und Phosphorverbindungen in natürlichen Gewässern führen zu einem Nährstoffüberangebot, das ein massives Algenwachstum und eine Minderung des Sauerstoffgehaltes zur Folge hat. Phosphate haben zudem die unangenehme Eigenschaft, dass sie Verbindungen mit Schwermetallen eingehen. Diese Eigenschaft macht ihre Verwendung in Wasch- und Maschinengeschirrspülmitteln zusätzlich problematisch, da sie abgelagerte Schwermetalle in Gewässern mobilisieren. Auf den Einsatz von Phosphaten in Waschmitteln wird von den Herstellern inzwischen weitgehend verzichtet, da sie in der Vergangenheit rasch zur Überdüngung und schließlich zum Umkippen von Gewässern geführt haben. In Waschmitteln sind sie kaum noch zu finden, in Geschirrspülmitteln und sonstigen Reinigungsmitteln leider noch häufiger. Eigentlich benötigt die EU-Phosphatverordnung aus dem letzten Jahr, die die Verwendung von Phosphat und Phosphorverbindungen einschränkt, keine Umsetzung in nationales Recht, da sie unmittelbare Geltung in allen Mitgliedstaaten hat, auch in Deutschland. Die Bundesregierung legt hier eine Anpassung des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes vor, um Sanktionen bei Verstößen gegen die EU-Phosphatverordnung festzulegen und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden zu klären. Mit dem Gesetzesvorschlag der Regierung soll also ein wirksamer Vollzug der EU-Verordnung sichergestellt werden, um den Phosphateintrag in europäischen Gewässern weiter abzusenken. Klar ist: Wo EU-Regelungen zum Schutz der Umwelt direkt gelten, ist die Regierung verantwortlich für den Vollzug dieser Regelungen, damit sich alle Hersteller an die Vorgaben halten. Das kann mit der Gesetzesänderung erreicht werden, indem die Voraussetzungen für die Durchsetzung der EU-Grenzwerte festgelegt werden. Der verminderte Eintrag von Phosphaten in die Umwelt schützt die Böden, Gewässer und senkt Kosten in den Kläranlagen, die diese Stoffe ansonsten aufwendig eliminieren müssen. Wir stimmen dem Vorschlag der Bundesregierung zu. Er ist sinnvoll für einen besseren Vollzug der EU-Phosphatverordnung. Zu Protokoll gegebene Reden Dass bei Verstößen gegen die EU-Grenzwerte wirksame Sanktionen eingeführt werden müssen, ist für uns selbstverständlich. Auch die Zusammenarbeit der Bundes- und Landesbehörden muss klar geregelt sein, damit sich keine Schlupflöcher bilden. Deshalb unterstützen wir die hier vorgenommenen Gesetzesanpassungen an das neue EU-Recht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13399, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13024 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/ Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und Organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika - Sicherheitsabkommen unter dem Primat der Menschenrechte gestalten - Drucksachen 17/13237, 17/13533 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Harald Leibrecht Heike Hänsel Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mexiko ist Deutschlands wichtigster Partner in der Region Zentralamerika. Es ist Zentrum einer Region, die in unsere Außen- und Handelspolitik meines Erachtens stärker eingebunden werden muss. In meiner Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe befasse ich mich intensiv mit den Entwicklungen vor Ort. Der heutigen Aussprache liegt der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika zugrunde. Ich möchte an dieser Stelle zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritte in Mexiko zu unterstreichen und meine Anerkennung für die erbrachten Reformen und Erfolge zum Ausdruck zu bringen. Dennoch sehen wir in den Koalitionsfraktionen auch Defizite, um deren Lösung es in der Zukunft gehen muss; hierzu zählt ohne Frage die Drogenproblematik und die in diesem Zusammenhang korrelierende Gewaltsituation. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert, dass in Mexiko und anderen Staaten Zentralamerikas staatliche Institutionen mit organisierter Kriminalität durchsetzt seien. Aus diesem Blickwinkel heraus werden eine Gefährdung der Demokratien und die Untergrabung des Vertrauens der Bevölkerung in staatliche Strukturen in den betroffenen Ländern angenommen. Fakt ist: Die zentralamerikanischen Staaten gehen gegen die organisierte Kriminalität vor, sie stellen sich also gegen die Unterwanderung der Gesellschaft durch die organisierte Kriminalität, beispielsweise mit weitreichenden Maßnahmen gegen den Drogen- und Menschenhandel. Hier muss die Kooperation der Behörden in Zentralamerika sicherlich verbessert werden, aber den Tenor des Antrags, die Bekämpfung der Drogenkartelle bewirke eine „Militarisierung auf Druck der USA“, teile ich nicht. Im Folgenden nimmt der Antrag Bezug auf das Abkommen zur „Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich“ zwischen Deutschland und Mexiko. Hier sehen die Antragsteller ebenso wenig die Fortschritte in den Bereichen der „Zusammenarbeit bei der Bekämpfung, Verhütung und Aufklärung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftund Schleuserkriminalität, des Menschenhandels sowie des Terrorismus“, sondern sie kritisieren ein zu striktes Vorgehen der Staaten gegen diese Strukturen. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, insbesondere der Drogenkartelle in Mexiko, hat in den vergangen Jahren viele unschuldige Opfer gefordert. Schätzungen gehen von bis zu 70 000 Getöteten aus. Das ist ein Blutzoll unvorstellbaren Ausmaßes und eine Entwicklung, die wir als CDU/CSU-Fraktion als sehr bedrohlich empfinden und einstufen. Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass auch unter dem neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto die Opferzahlen noch nicht gesunken sind. Für eine in die Tiefe gehende Bewertung ist es deshalb noch zu früh. Die Ausweitung der Kriminalitätsbekämpfung unter Präsident Calderón ab dem Jahr 2007 hatte in der Tat zu einem Anstieg der Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte geführt. Ich möchte an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass unser Partner Mexiko alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergriffen hat und ergreift, um solchen Vorwürfen nachzugehen. Alle Beschwerden wurden vonseiten der Streitkräfte untersucht. Das Oberste Gericht Mexikos hat zudem in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige in Zukunft vor ordentlichen Gerichten verhandelt werden und nicht mehr vor einer Militärgerichtsbarkeit. Die Einbindung der Streitkräfte in die Bekämpfung des Drogenhandels muss eine zeitlich begrenzte Maßnahme bleiben. Zudem hat Anfang dieses Jahres Präsident Nieto ein neues Opferschutzgesetz unterzeichnet. Das Gesetz wird die Rechte der Opfer von Straftaten und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere im Hinblick auf Hilfe, Schutz, Pflege, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, weiter verbessern. Ich begrüße die Ankündigung von Präsident Nieto, die Zahl der Opfer im Kampf gegen die Drogenkartelle einzudämmen und einen stärkeren Fokus auf Prävention, die Einhaltung der Menschenrechte sowie eine verbesserte Koordination der lokalen, regionalen und nationalen Polizeikräfte zu legen. Allerdings steht, wie schon angemahnt, die Umsetzung dieses Wahlversprechens aus. Eines der größten Probleme Mexikos ist derzeit die hohe Zahl von illegalen Waffen im Land. Etwa 80 Prozent dieser illegalen Waffen stammen aus den USA und werden in Zusammenhang mit der Drogenkriminalität ins Land gebracht. Primäres Ziel muss es sein, den Zustrom illegaler Waffen nach Mexiko zu stoppen. In der Gesamtbetrachtung muss ich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als unausgewogen kritisieren: Es werden darin viele Kritikpunkte aufgezählt, ergriffene Maßnahmen aber systematisch verschwiegen, obwohl diese aus meiner Sicht sehr wohl in die richtige Richtung führen. Sie betreiben Entwicklungszusammenarbeit mit ideologischer Brille. So kritisieren Sie die Drogenbekämpfungspolitik von Präsident Calderón als einseitig, setzen aber Hoffnungen in die Politik des neuen Präsidenten, der die Fortführung der politischen Agenda seines Amtsvorgängers in der Drogenpolitik angekündigt hat. Um die Drogenproblematik in Mexiko in den Griff zu bekommen, stellen sich die Grünen hin und fordern die Bundesregierung auf, „Reformansätze zur Entkriminalisierung und Regulierung von Drogen“ einzuleiten. In Forderung 19 Ihres Antrages fordern Sie eine Politik, „die Entkriminalisierung von Drogenbauern und -konsumenten fördert und Initiativen zu staatlicher Regulierung als Alternative zum prohibitiven Ansatz und den Umbau zu einer alternativen Drogenpolitik ({0}) unterstützt“. Was meinen Sie damit? Eine Politik nach dem Motto: „Kokain für alle, und auf einen Schlag sind wir die gesamte Problematik los“? Insbesondere diese Forderungen machen es für die Koalitionsfraktionen unmöglich, Ihrem Antrag zu folgen. Sie verharmlosen die Folgen von Drogenmissbrauch. Die Problematik des Drogenanbaus und -handels sowie des Missbrauchs weltweit ist trotz gestiegener Prävention und Bekämpfung immer noch ein großes Problem. Aber nicht nur in Europa ist der Konsum von Drogen verbreitet, auch in den Schwellenländern sind Zuwachsraten unter den Konsumenten zu beobachten. Ich sehe deshalb drei Hauptelemente, gegen die im Rahmen einer umfassenden und internationalen Drogenpolitik weiterhin vorgegangen werden muss: illegaler Anbau und Produktion von Drogen, illegaler Drogenhandel und Drogenschmuggel, Drogenkonsum, -missbrauch und -abhängigkeit. Eine umfassende und wirkungsvolle Strategie zur Eindämmung der internationalen Drogenproblematik lässt sich nur durch internationale Abstimmungsprozesse umsetzen. Ebenfalls nicht tragbar ist Ihre Forderung, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf die Bereiche Recht und Justiz, Menschenrechte, Polizeireform, Kleinwaffenkontrolle, Korruptionsbekämpfung sowie Reform des Sicherheitssektors auszuweiten, zumindest soweit sich diese Forderungen auf Mexiko beziehen. Die deutsch-mexikanische Entwicklungszusammenarbeit wurde 2004 einer Überprüfung unterzogen und dabei der gestiegenen finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes angepasst. So unterstützt Deutschland keine Maßnahmen mehr, die Mexiko angesichts seiner steigenden Wirtschaftskraft in Eigenleistung erbringen kann. Dem deutschen Steuerzahler - dessen Geld Sie hier einsetzen möchten - wäre diese Maßnahme nicht plausibel zu erklären. Es hat aber auch etwas von Gängelung. Denn damit wird der Anschein erweckt, dass wir den Mexikanern in diesem Bereich Nachhilfe erteilen müssten. Davor sollten wir uns hüten. Es ist vielmehr unsere Politik, die Kooperationssektoren der Entwicklungszusammenarbeit in Absprache mit den Partnern festzulegen. Der Blick in die Region zeigt: In Guatemala existiert bereits ein Arbeitsschwerpunkt „Demokratische Regierungsführung/Gerechtigkeit“. Auch mit Honduras und Guatemala bestehen bereits heute Kooperationsschwerpunkte im Bereich Bildung; und in El Salvador fokussieren wir die Zusammenarbeit in ein regionales Projekt zur Jugendgewaltprävention. Es bleibt also festzuhalten: Mexiko entwickelt sich insgesamt positiv. Die Drogen- und Gewaltproblematik ist weiterhin ein Entwicklungshemmnis. Wir sollten Mexiko auf seinem schwierigen Weg unterstützen und nicht eine Politik des erhobenen Zeigefingers betreiben. Ursache und Wirkung in der Gewaltspirale sollten nicht verwechselt werden und dazu führen, dass wir die Sicherheitskräfte Mexikos an den Pranger stellen. Zu Protokoll gegebene Reden

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Uns liegt heute der Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und Organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika - Sicherheitsabkommen unter dem Primat der Menschenrechte gestalten“ zur Abstimmung vor. Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen an die Bundesregierung, sämtliche Verhandlungsschritte des Sicherheitsabkommens mit Mexiko ausführlich und transparent dem Deutschen Bundestag offenzulegen. Wir erachten es für richtig, dass zwischenstaatliche Abkommen, die Sicherheitszusammenarbeit sowie Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Polizei und Militär zum Gegenstand haben, an bestimmte formale Anforderungen geknüpft sind, die einheitlich und bindend festzulegen sind. Es ist tragisch, dass ein Land wie Mexiko trotz positiver wirtschaftlicher Entwicklung im letzten Jahrzehnt nun durch die organisierte Kriminalität brutal zurückgeworfen wird. Die bisher eingesetzten repressiven Mittel haben die Drogenmafia nicht wirkungsvoll bekämpfen können. Deshalb ist es richtig, dass wir mehr präventive Ansätze brauchen. Nur mit flankierenden sozialpolitischen Maßnahmen kann der organisierten Kriminalität begegnet werden. Gleichzeitig müssen Polizei und Militär sich an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit halten. Nur wenn die Polizei nicht mehr als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung gesehen wird, kann die Kriminalität erfolgreich bekämpft werden. Daher ist es besonders wichtig, dass die Ausbildungsunterstützung klaren formalen Anforderungen entspricht, deren Einhaltung kontinuierlich kontrolliert wird. Die Forderung nach einem regelmäßigen Bericht über diese Maßnahmen an das deutsche Parlament inklusive eines Überblicks der politischen und rechtsstaatlichen Lage in den jeweiligen Regionen in Mexiko bewerte ich als einen sehr notwendigen und zielführenden Vorstoß der Antragsteller. Rechtsstaatlichkeit muss die wesentliche Voraussetzung für sämtliche sicherheitspolitischen und polizeilichen Maßnahmen sein. Ich appelliere auch hier an die Bundesregierung, eine kontinuierliche, strenge Überwachung des Vertragspartners durchzuführen. Wesentlich entscheidend für die Frage, ob repressive Maßnahmen Erfolge erzielen oder nicht, ist darüber hinaus, dass sie von gut ausgebildeten Polizeimitarbeitern durchgeführt werden und nicht vom Militär, wie es derzeit in Mexiko leider der Fall ist. Repressives Vorgehen bedarf glaubhafter und starker Sicherheitsstrukturen. Wie eingangs erwähnt, reichen repressive Maßnahmen jedoch keineswegs aus. Ich teile voll und ganz die Auffassung des mexikanischen Botschafters, die er mir in einem Schreiben von dieser Woche mitteilte, dass eine erfolgreiche Bekämpfung von Gewalt und Verbrechen nur möglich ist, wenn sie mit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung einhergeht. Der neue mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto setzt auf diese Strategie in seinem neuen sicherheitspolitischen Plan für das Land. Einen Beitrag hierfür kann - wie in dem Antrag gefordert - ein menschenrechtsbasierter und entwicklungsorientierter Ansatz im Umgang mit organisierter Kriminalität leisten, der mehr Mittel für soziale Sicherungs-, Bildungs- und Beschäftigungsprogramme, insbesondere für Jugendliche, bereitstellt. Daraus können positive Effekte für die wirtschaftliche Situation, vor allem von Jugendlichen, resultieren. Sie werden weniger wahrscheinlich durch das organisierte Verbrechen angezogen. Die Förderung von Bildung und Beschäftigung stellt daher nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion eine sinnvolle Präventionsmaßnahme dar. Allerdings wird ein entwicklungspolitischer Beitrag das Problem der Mafia in Zentralamerika und Mexiko mit ihren 70 000 Toten niemals alleine lösen können. Hierzu bedarf es insbesondere auch Anstrengungen im Bereich Waffen- und Menschenhandel sowie Geldwäsche. In diesem Kontext ist für uns auch die Forderung nach einer stärkeren Einbindung der Parlamentarier sowie nach mehr Transparenz der laufenden Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und Mexiko wesentlich. Ebenso tragen die Industrieländer und Deutschland eine wesentliche Mitschuld an den Problemen, weil wir mit den Drogenkonsumenten in unseren Ländern die Nachfrage erst schaffen. Gleichzeitig wird durch die Kriminalisierung des Drogenanbaus, -handels und -konsums die Voraussetzung dafür geschaffen, dass weltweit Milliarden Euro und Dollar in die organisierte Kriminalität fließen. Deshalb ist ein Umdenken in der Drogenpolitik notwendig. Wir schlagen vor, zu Beginn der nächsten Legislaturperiode eine Anhörung dazu zu veranstalten und eine sachliche Debatte mit Abwägung sämtlicher Argumente zu führen. Im Rahmen dieser Debatte kann die Frage, wie in Zukunft mit der Legalität von Drogen umgegangen werden soll, erörtert werden.

Hans Werner Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004227, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Drogenkrieg auf dem mittelamerikanischen Isthmus ist mittlerweile zum größten und gefährlichsten Problem der zentralamerikanischen Länder und Mexikos avanciert. Die Drogenkartelle stellen mit ihrer Macht die ohnehin schon fragile Staatlichkeit dieser Länder komplett infrage, indem sie jedes Vakuum füllen, das die Staaten dieser Region durch Armut, Korruption oder Unvermögen bilden. Nicht umsonst gilt das Länderdreieck Guatemala-HondurasEl Salvador seit 2011 mit den meisten Toten als die gefährlichste Region der Welt - noch vor dem Irak oder Afghanistan. Auch in Mexiko, das unter einer besonderen Brutalität des Drogenkrieges leidet, fielen im vergangenen Jahr mehr als 70 000 Menschen der Gewalt zum Opfer, mehr als 26 000 wurden durch den Drogenkrieg aus Zu Protokoll gegebene Reden ihren Dörfern vertrieben. Ein katastrophaler Zustand, der uns nicht kaltlassen kann. Seit Anfang dieses Jahrzehnts bemühen sich die USA zusammen mit den Ländern dieser Region, das Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Seit 2008 hat man im Rahmen der Mérida-Initiative mit mehr als 1,6 Milliarden Dollar die militärische und polizeiliche Infrastruktur sowie den Ausbau von Grenzkontrollen finanziert und diese durch Programme zur Stärkung des Rechtsstaates bis auf die Gemeindeebene ergänzt. Die Bundesregierung orientiert sich mit ihrem Sicherheitsabkommen, das mit Mexiko kurz vor dem Abschluss steht und um das es hier heute geht, genau daran. Und das ist auch gut so. In der Analyse der Situation sind wir uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, glaube ich, einig: Die Drogenkriminalität ist eines der größten und gefährlichsten Problemkomplexe, der diese Region heimsucht und stellt eine akute Gefahr für die Staatlichkeit der Länder in dieser Region dar. Und dass etwas getan werden muss, darüber herrscht, glaube ich, auch kein Zweifel. Allerdings kommen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, wieder einmal zu einem völlig falschen Schluss: Sie verlangen in Ihrem Antrag unter anderem, die Polizei und das Militär im Drogenkrieg nicht weiter zu unterstützen. Eine völlig irrige und hochgefährliche Forderung, die im Übrigen auch diametral zu den Wünschen unserer Partnerregierungen in der Region verläuft. Ich möchte Ihnen auch gerne sagen, warum. Sie sprechen im Kampf gegen die Drogen von einer Militarisierung und fordern ein Waffenembargo gegen die zentralamerikanischen Länder. Können Sie sich die Konsequenzen eines Waffenembargos in dieser Region vorstellen? Offensichtlich nicht, sonst würden Sie nicht solche leichtsinnigen Forderungen stellen. Sollte die Bundesregierung davon abrücken, die Polizei und Justiz weiter zu unterstützen, würde der Vorsprung der Drogenkartelle gegenüber den ohnehin angeschlagenen Staatsapparaten uneinholbar - dies käme einer Freigabe der Drogen und völligen Kriminalisierung der Gesellschaft gleich. Das Problem in dieser Region liegt doch nicht in der vermeintlichen Militarisierung der Gesellschaft oder gar in der Unterstützung der lokalen Polizei und des Militärs. Man kann doch nicht ernsthaft eine einseitige Abrüstung fordern, wohl wissend, dass die Gegenseite dies nicht mitmacht, dass sie dadurch einen uneinholbaren Vorsprung in diesem Drogenkrieg erlangt. Sie beabsichtigen durch Ihre Kapitulation im Kampf gegen die Drogen deren Legalisierung durch das Hintertürchen. Das nenne ich heimtückisch, gefährlich und gewiss nicht im Sinn der Menschen in Mexiko und Zentralamerika. Das Problem liegt ganz woanders. Wir müssen selbstverständlich dem Wunsch der Staaten in der Region folgen und sie weiter im Kampf gegen die Drogen unterstützen. Wir müssen aber auch versuchen, langfristig die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite zu verändern. Wir werden diesen Krieg niemals gewinnen, wenn es unter unseren Jugendlichen in der EU und in Deutschland weiter als chic gilt, Kokain zu konsumieren. Wir werden diesen Krieg niemals gewinnen, wenn es in Zentralamerika für viele Menschen attraktiv oder gar alternativlos ist, ihren Lebensunterhalt mit dem Drogenschmuggel zu bestreiten. Hier müssen wir ansetzen, und ich denke, da ist das Sicherheitsabkommen mit Mexiko ein guter Schritt in die richtige Richtung und ein Puzzlestein im Gesamtbild unserer Unterstützung für diese Region. Ich brauche an dieser Stelle wohl auch niemandem zu erläutern, dass hier eine funktionierende und effektive Entwicklungszusammenarbeit den größten Beitrag leisten kann. Ich bitte Sie weiterhin um die Unterstützung der Länder in der lateinamerikanischen Region im Kampf gegen die Drogen. Ich bitte Sie aber auch, diesen Kampf nicht durch undurchdachte Alternativen zu gefährden. Damit würden Sie den ohnehin mehr als brüchigen Frieden in Gefahr bringen und nicht wiedergutzumachende Fehler begehen.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich denke, in einer Sache sind wir uns weitgehend einig: Die Menschenrechtslage in Mexiko ist äußerst kritisch und hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert. Die Berichte mexikanischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen sind besorgniserregend und decken sich in weiten Strecken auch mit den Darstellungen der Bundesregierung. Wir wissen von Folter, die von Menschenrechtsorganisationen als „systematische, allgemeine und straffreie Praxis“ beschrieben wird. Das Land leidet unter einer hohen Mordrate, Gewaltexzessen, extralegalen Tötungen und Verschwindenlassen. Gleichzeitig herrscht eine fast komplette Straflosigkeit für diese Verbrechen. Korruption ist weit verbreitet, und die soziale Spaltung hat sich vergrößert. In den meisten mittelamerikanischen Ländern sieht die Lage nicht viel besser aus. In dieser Situation verhandelt die Bundesregierung ein Sicherheitsabkommen mit Mexiko. Es ist allgemein bekannt, dass Teile des Militärs und viele Polizeieinheiten in Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Wer aber sollen die Kooperationspartner für ein solches Abkommen sein? Es sind eben jene Behörden, die maßgeblich mitverantwortlich für die gefährliche Situation von Menschenrechtsverteidigern sind - sei es durch Passivität oder aktive Verfolgung. Ich denke, man sitzt einem Irrglauben auf, wenn man in dieser Situation in den staatlichen Akteuren verlässliche Partner für Kooperationen im Sicherheitsbereich sieht. Zu Protokoll gegebene Reden Zwar betont die Bundesregierung immer wieder die Wichtigkeit von Menschenrechtsklauseln in Abkommen wie diesem, aber sie muss selbst eingestehen, dass diese in der Regel nur Makulatur sind. Eine Evaluierung biete sich im Rahmen von Verhandlungen über Nachfolgeabkommen oder die Verlängerung bestehender Abkommen an, sagt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage - Drucksache 17/7301. Im Klartext: Die Lage im betroffenen Land ist Ihnen bei Abschluss des Vertrags nicht relevant. Vor diesem Hintergrund scheint es mir zunächst unterstützenswert, dass der Antrag der Grünen eine klarere und geregelte Evaluierung laufender Abkommen fordert. Dies wäre ein richtiger Schritt in Richtung zu mehr Transparenz und Überprüfbarkeit. Das Hauptproblem wird dadurch jedoch nicht angegangen. Die Vorstellung, durch Sicherheitsabkommen den Zustand der Polizeien zu verändern, scheint mir illusorisch, und ich bin der Meinung, dass keine deutschen Polizisten in Regionen geschickt werden dürfen, in denen eine so desaströse Lage herrscht wie derzeit in Mexiko. Und das bedeutet, dass es keine derartigen Abkommen mit Staaten geben darf, deren Regierungen nicht grundlegende Rechte ihrer Bevölkerung garantieren und deren Sicherheitsapparate Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind. Dabei stimme ich auch mit den Organisationen überein, die sich in der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko zusammengeschlossen haben, darunter Amnesty International Deutschland, Brot für die Welt und Misereor, um nur einige zu nennen. In einem im Januar 2012 veröffentlichten Positionspapier haben sie der Bundesregierung unmissverständlich dazu geraten, das Sicherheitsabkommen mit Mexiko abzulehnen. Zuvor müsse in Mexiko ein „Politikwandel in Sachen Menschenrechte“ eintreten. Die Bundesregierung scheint jedoch das Pferd von hinten aufzäumen zu wollen: Durch die Kooperation will sie Einfluss nehmen, ohne im Voraus Bedingungen zu stellen. Leider gilt dasselbe für den Antrag der Grünen. Ich bin überzeugt, dass dies zu einem PR-Effekt für die mexikanische Regierung führen wird, sich an der Situation dort aber wenig ändern wird. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht verstehen kann, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das konkrete Abkommen der Bundesregierung mit Mexiko in ihren Forderungen völlig ignorieren. Abschließend möchte ich auf einen weiteren Punkt eingehen, der meiner Meinung nach zu kurz greift. Angesichts der Lage in Mexiko haben die illegalen Lieferungen von Sturmgewehren durch Heckler & Koch zu Recht zu breiter Empörung geführt. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Im behandelten Antrag fordern Sie eine vorübergehende Aussetzung von Waffenlieferungen nach Mexiko. Waffenlieferungen werden aber keine Probleme lösen, weder in Mexiko noch sonst wo. Deshalb sehen wir ein lediglich vorübergehendes Aussetzen der Waffenverkäufe als nicht weitgehend genug an. Wir stehen für einen generellen Stopp der Rüstungsexporte.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unser Antrag umfasst zwei wesentliche Forderungen: Erstens möchten wir, dass die Verhandlung bilateraler Sicherheitsabkommen - wie das Abkommen, welches die Bundesregierung derzeit mit Mexiko verhandelt - transparent geschieht. Das Parlament muss informiert werden. Nur dann können wir unserer Aufgabe der Kontrolle nachkommen und uns vergewissern, dass beim Kampf gegen Organisierte Kriminalität die Menschenrechte, Prävention, Recht und bürgernahe Polizeiarbeit im Vordergrund stehen. Wir haben mehrmals bei der Bundesregierung nachgefragt, aber bisher keine befriedigende Antwort über den Stand der Verhandlungen und die Inhalte des Abkommens bekommen. Für diese grundlegende Forderung nach Beteiligung bitten wir also um ihre Zustimmung. Zweitens fordern wir eine Neuorientierung im Umgang mit der Gewalt, der Unsicherheit und der Organisierten Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika. Bei meiner letzten Reise in die Region stand ich wie schon zuvor einer Situation gegenüber, die mich hilflos und nachdenklich zurück ließ. In Honduras ist es bis auf wenige Ausnahmefälle unmöglich, als Außenstehender noch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Damit meine ich, Partner in den Institutionen der Regierung zu finden, bei denen man sich sicher sein kann, dass sie nicht in kriminelle Aktivitäten verwickelt, korrupt oder vom Organisierten Verbrechen bedroht sind und demnach handeln. Das gleiche gilt für den Justizapparat. Die Möglichkeit, Menschenrechtsverbrechen nach unseren Vorstellungen zu ahnden, existiert nicht. Die Hinrichtung des Sohnes der Universitätsdirektorin, die wir auf dieser Reise kennenlernen konnten, ist bis heute nicht aufgeklärt. Wahrscheinlich wurden ihr Sohn und sein Freund mit einer Waffe der Polizei ermordet. Die anhaltende Ermordung von Kleinbauern und -bäuerinnen, die im Südosten des Landes um ihr Recht auf ein Stück Land kämpfen, wird ebenfalls nicht geahndet. Hinter ihnen stehen wirtschaftliche Partikularinteressen. Dieses sind nur zwei von vielen, vielen Fällen. Der Staat kann oder will seine wichtigste Aufgabe nicht mehr erfüllen: die Ausübung des Gewaltmonopols und der Rechtsprechung. Er überlässt das Wohl seiner Bürger und ihre Sicherheit den wirtschaftlichen Eliten und der Organisierten Kriminalität. Die Situation in den Nachbarländern stellt sich ähnlich dar, auch wenn es historisch gewachsene Unterschiede gibt. Aber auch in El Salvador und Guatemala liegen die Mordraten weit über dem weltweiten Durchschnitt, und rund 98 Prozent der Täter kommen ungestraft davon. Honduras war 2011 mit 92 Morden pro 100 000 Einwohner das Land mit der höchsten Mordrate weltweit, gefolgt von El Salvador mit 69 Morden. Guatemala verzeichnete 39 Morde pro 100 000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland Zu Protokoll gegebene Reden liegt diese Ziffer bei 0,9, in Afghanistan bei 2,4 und sogar Südafrika mit 32 Morden liegt auf der Skala noch darunter. Mexiko war bis vor kurzem der Konflikt mit den meisten Todesopfern weltweit. Heute wird die Situation in Mexiko in seiner Dramatik allein von Syrien übertroffen. In Mexiko sind 60 000 Soldaten im Einsatz für die innere Sicherheit. Seit 2006 kam es durch die Ausweitung des Kriegs gegen die Kartelle zu einer Gewalteskalation, die mehr als 70 000 Todesopfer und rund 30 000 Verschwundene forderte. Die meisten Toten sind junge Männer. Doch besonders die Gewalt gegen Frauen hat unbeschreiblich grausame Formen angenommen. Der Fall der nördlichen Grenzstadt Mexikos „Ciudad Juárez“ erlangte traurige Berühmtheit aufgrund der endemischen Gewalt gegen Frauen, den sogenannten „Feminiziden“. Unter dem Strich wird eines deutlich: Der repressive Ansatz, der sogenannte Krieg gegen Drogen und Kriminalität, hat sich als gescheitert erwiesen. Statt Erfolgen ist vielmehr der beschriebene Anstieg von Gewalt festzustellen. So kann es also nicht weitergehen. Es braucht einen Paradigmenwechsel. Natürlich wissen auch wir Grüne, dass es keine einfachen Lösungen für diesen Konflikt gibt. Aber wir glauben, dass wir aufgefordert sind, diejenigen in der Region zu unterstützen, die eine friedlichere und sicherere Lebenswelt anstreben. Wir müssen dazu beitragen, dass der Rechtsstaat wieder funktionsfähig und die Polizei zu einem vertrauenswürdigen Partner wird. Solange das Militär auf den Straßen ist, werden die Menschenrechtsverletzungen weitergehen. Wir dürfen nicht mehr hilflos wegschauen und weiter mit Partnern kooperieren, deren Institutionen von Korruption zerfressen sind. Deutschland darf kein Sicherheitsabkommen mit Mexiko abschließen, ohne garantieren zu können, dass die Unterstützung in die richtigen Hände gelangt. Mit unserem Antrag machen wir erste konkrete Vorschläge. Diese betreffen auch die Hausaufgaben, die die europäischen Staaten und die USA dringend erledigen müssen: die Bekämpfung von Geldwäsche in unseren Banken und die Kontrolle und Eingrenzung unserer Waffenexporte in die Region. Auch unsere Einwanderungs- und Handelspolitik gehören auf den Prüfstand. Wir müssen unseren Teil beitragen, sonst haben die Regierungen in der Region keine Chance. Gleichzeitig fordern wir mehr Mittel für soziale Sicherungs-, Bildungs- und Beschäftigungsprogramme, insbesondere für Jugendliche. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit muss darauf und auf die Bereiche Recht und Justiz konzentriert werden. Der Schutz der Menschenrechte, die Erneuerung und Stärkung der Polizei, Kleinwaffenkontrolle und Kampf gegen Korruption müssen in dieser Situation vor Programmen der Fiskaldezentralisierung oder des Umweltmanagements Vorrang haben. Die positiven Erfahrungen der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala, CICIG, muss evaluiert und regional etabliert werden. Die erfolgreiche Kommission erhielt noch viel zu wenig Rückhalt in der UNO und von den einzelnen Staaten, die seine Finanzierung bereitstellten. Bestrebungen anderer mittelamerikanischer Länder, die darauf abzielen, dort ähnliche UN-Missionen zur Bekämpfung der Straflosigkeit zu installieren, müssen aktiv aufgegriffen werden. Die zivilen Konfliktbearbeitungsmechanismen in der Entwicklungs- und Menschenrechtszusammenarbeit mit Mexiko und Zentralamerika können weiter ausgebaut werden. Wir bitten um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag und dazu, diese wichtigen Themen nicht wieder in Vergessenheit geraten zu lassen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen nun gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13533, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13237 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Gegenprobe! - Bündnis 90/die Grünen. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 17/13026 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/13351 ({1}) Berichterstattung: Abg. Kirsten Lühmann Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute schließen wir die Umsetzung der Richtlinie zum elektronischen Halterdatenaustausch zwischen EU-Mitgliedstaaten bei bestimmten Verkehrsverstößen mit im EU-Ausland zugelassenen Fahrzeugen in nationales Recht ab. Damit wird der grenzüberschreitende Austausch von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte, der sogenannten Cross Border Exchange, CBE, erleichtert. Konkret geht es um folgende Bereiche: Regelung des von der Richtlinie geforderten Informationsschreibens im Rahmen des Bußgeldverfahrens, Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung an den Betroffenen, Regelung der Auskunftserteilung an die Behörden der Mitgliedstaaten bei Vorliegen der Voraussetzungen der Richtlinie und Festlegung der im Einzelnen zu übermittelnden Daten und Verankerung des Kraftfahrt-Bundesamtes, KBA, als nationale Kontaktstelle im KBA-Gesetz. Diesem, in erster Linie Datenaustausch, geht der sogenannte „Knöllchenbeschluss“, genauer der EURahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, voraus. Durch ihn wurde zunächst allgemein Rechtssicherheit für eine europaweite Vollstreckung von Geldbußen im Ausland geschaffen. Jeder, der schon einmal im europäischen Ausland mit dem Auto unterwegs war, weiß, dass es mitunter schwierig ist, die lokalen Verkehrsregeln ausreichend zu kennen und zu beachten, und schon manch einer bekam im besten Fall nach dem schönen Urlaub ein Knöllchen hinterhergeschickt. Schon 2011 hat das Kraftfahrt-Bundesamtes in seinem Jahresbericht festgestellt, dass im Jahr 2011 rund 162 Millionen Auskünfte aus dem Zentralen Fahrzeugregister, ZFZR, über Fahrzeug- und Halterdaten an Polizei-, Bußgeld-, Zulassungsbehörden und andere berechtigte Stellen erteilt wurden. In erster Linie dienen diese Auskünfte der Zulassung von Fahrzeugen und der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und -straftaten. Damit können zum Beispiel Fahrzeughalter ermittelt und ihre Verstöße entsprechend geahndet werden. Außerdem werden im ZFZR für einen Zeitraum von sieben Jahren außer Betrieb gesetzte Fahrzeuge und solche mit Versicherungskennzeichen gespeichert, um bei Bedarf auch hierzu Auskünfte erteilen zu können. Das Straßenverkehrsgesetz lässt also schon heute Auskünfte von Halter- und Fahrzeugdaten bei im Ausland begangenen Verkehrsverstößen zu. Und einige europäische Länder, darunter auch Deutschland, haben mit bilateralen Vereinbarungen diesen Datenaustausch untereinander geregelt. Das wird nun vereinheitlicht und bringt Transparenz sowie verbraucherfreundliche Nutzungsmöglichkeiten mit sich. Wenn wir ein EU-weit angewendetes System haben, das automatisiert, standardisiert, zuverlässig und schnell arbeitet, bringt das für alle Beteiligten Vorteile und vor allem Rechtssicherheit. Schon seit geraumer Zeit konnte beobachtet werden, dass eine verstärkte Nutzung von Onlineabrufen aus dem ZFZR stattfindet. Dies soll nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiter vorangetrieben und erleichtert werden. Neue Zeiten erfordern neue Maßnahmen. Weil auch das Zulassungswesen immer stärker für internetbasierte Vorgänge geöffnet werden soll, müssen wir dafür sorgen, dass die benötigten Daten sicher und zentral gespeichert und verwaltet werden. Das soll im Kraftfahrt-Bundesamt geschehen. Dort soll dann bald den Nutzern eine einheitliche und einfache Anwendung zur Verfügung stehen, die auf dem neuesten Stand der Technik ist. Von dort soll dann auch der Datenaustausch bei bestimmten Delikten stattfinden. Es ist auch klar, dass diese Daten dann natürlich Grundlage für eine Strafverfolgung sein können. Das Kraftfahrt-Bundesamt sieht für die Praxis vor, dass das europäische Ausland dem KBA in Zukunft Anfragen zu Fahrzeugen mit deutschem Kennzeichen elektronisch übermitteln kann, deren Halterdaten dann im KBA festgestellt werden können. Die Halterdaten stellt das KBA dem Auskunft suchenden Mitgliedstaat zur Verfügung, der dann wiederum dem betreffenden Fahrzeughalter ein Informations- bzw. Anhörungsschreiben übermittelt. Bei uns in Deutschland ist es ja so, dass nicht automatisch der Halter, sondern der Fahrer eines Fahrzeuges, das zum Beispiel geblitzt wurde oder in einen Unfall verwickelt worden ist, zur Verantwortung gezogen werden soll. In anderen europäischen Ländern wird aber durchaus der Halter zur Verantwortung gezogen. Daher gelten auch weiterhin die jeweils nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Die zunächst von Kritikern befürchtete Vereinheitlichung hinsichtlich der Art der Verstöße oder des Strafmaßes findet also definitiv nicht statt. Bis zum 7. November 2013 hätten wir noch Zeit gehabt, um die eingangs genannte EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Wir liegen also gut im Rennen und können heute über einen gut überdachten und ausgewogenen Gesetzentwurf abstimmen.

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Vergehens für einen auswärtigen Fahrer dreimal so hoch ist wie für einen einheimischen. Viele scheinen immer noch zu denken, dass die Regeln für sie nicht mehr gelten, wenn sie im Ausland sind. Meine Nachricht ist, dass sie gelten und dass wir sie jetzt anwenden werden.“ Das sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas zum innereuropäischen Halterdatenaustauch. Ich teile seine Auffassung: Eine grenzüberschreitende Verfolgung hat abschreckende Wirkung. Manche Autofahrer setzen bekanntlich auf das Prinzip Hoffnung, wenn sie im Ausland einen Verkehrsverstoß begehen. Sie warten erst mal ab, ob ein Bußgeldbescheid den Weg über die bürokratischen Grenzen innerhalb Europas schafft. Um schwere Verstöße tatsächlich ahnden zu können, muss der Datenaustausch in der EU besser werden. Mit diesem Gesetzentwurf bringt Deutschland jetzt die nationale Umsetzung in Gang. Die Luft für Verkehrssünder wird bald dünner. Dem vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zum elektronischen Halterdatenaustausch wird die CDU/CSU-Fraktion aus diesem Grund ihre Zustimmung geben. Damit wird die Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über Verkehrsdelikte ermöglicht. Geregelt wird im Zu Protokoll gegebene Reden Fünften Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze der elektronische Halterdatenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei Verkehrsverstößen, die die Straßenverkehrssicherheit gefährden. Die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern, ist zentrales Ziel der Umsetzung der entsprechenden Richtlinie in nationales Recht. Konkret bedeutet das eine Regelung eines Informationsschreibens im Rahmen des Bußgeldverfahrens und die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung an die Betroffenen. Zusätzlich wird die Auskunftserteilung an die Behörden der EU-Mitgliedstaaten geregelt. Das Kraftfahrt-Bundesamt wird als nationale Kontaktstelle im KBA-Gesetz verankert. Dort werden ausländische Behörden Daten elektronisch abfragen können. Im Einzelnen sind dies Kennzeichen und Marke des Wagens sowie Name, Adresse und Geburtsdatum des Halters. Mit diesen Auskünften können sie dann ein Informationsschreiben an den Autobesitzer schicken, das den Verstoß samt der näheren Umstände nennt und die Geldbuße einfordert. Verfasst sein darf dieser Brief nicht einfach in Landessprache. Vorgeschrieben ist die Sprache des Zulassungsdokuments des Kraftfahrzeugs - also bei Fahrzeughaltern in Deutschland ein Brief auf Deutsch. Ins Visier genommen werden insgesamt acht Delikte, bei denen es um Sicherheit im Straßenverkehr geht. Es geht um Tempoverstöße, Fahren ohne Gurt oder Schutzhelm, das Überfahren roter Ampeln sowie Alkohol, Drogen und das Nutzen eines Mobiltelefons am Steuer. Falsches Parken gehört nicht dazu. Der Datenaustausch wird dafür sorgen, dass die seit 2010 im Prinzip möglichen sogenannten EU-Knöllchen mehr Gewicht bekommen. Es tauchte die Frage auf, ob der Halter oder der Fahrer des betroffenen Fahrzeugs belangt wird. Die Regelung ist klar und deutlich in diesem Punkt: Nach dem Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ ist der Halter nicht für Taten anderer zu bestrafen. Nur der Fahrer, der die Verkehrsverstöße im Ausland tatsächlich begangen hat, wird zur Rechenschaft gezogen. Die Experten des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gehen bei der Beurteilung, wie viele Delikte hierzulande auf das Konto von EU-Ausländern gehen, davon aus, dass sie für etwa 20 Prozent der Tempoverstöße verantwortlich sind. Das wäre etwa zehnmal mehr als bisher geahndet wird; denn noch werden Delikte nur in einigen Staaten weiterverfolgt.

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das vorliegende Gesetz treibt die europäische Integration ein Stück weit voran und leistet einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf Europas Straßen. Ein wesentliches Problem im grenzüberschreitenden Straßenverkehr wird gelöst, und das begrüße ich. Denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf - einer Umsetzung europäischer Vorgaben - wird der Austausch von Informationen zu Verkehrsdelikten über die Grenzen hinweg erleichtert. Eine rundum gelungene Sache aus Sicht der Verkehrssicherheit. Als Polizistin weiß ich, dass es in der Vergangenheit nicht einfach bis unmöglich war, Rotlichtsünder zum Beispiel aus Dänemark, Frankreich oder Italien zur Rechenschaft zu ziehen. So kenne ich einen Fall, bei dem ein britischer Autofahrer durch Missachten einer roten Ampel fast einen Unfall verursacht hätte. Der Betroffene, der dem rasenden Auto noch gerade ausweichen und damit einen schlimmen Unfall verhüten konnte, ging zur Polizei, um den Fall und das Kennzeichen zu melden. Doch den Beamten waren die Hände gebunden, denn der Fahrer war in seine britische Heimat zurückgekehrt; die Behörden dort verweigerten die Herausgabe von Daten und der Verkehrsrowdy kam ungeschoren davon. Eine erste verbesserte rechtliche Grundlage für die EU-weite Vollstreckung von Bußgeldern haben wir im Jahr 2010 geschaffen. Ab einer Grenze von 70 Euro können seitdem Geldsanktionen aus anderen EU-Ländern in Deutschland vollstreckt werden und umgekehrt. Die Möglichkeit der EU-weiten Ermittlung von Betroffenen - was ja die Voraussetzung für die Ahnung von Verkehrsverstößen ist - wird mit dem vorliegenden Entwurf endlich erweitert. Bislang verweigerten viele Länder eine umfassende Zusammenarbeit. Statt wie bisher lediglich mit Österreich und den Niederlanden im Rahmen bilateraler Abkommen den Austausch von Halterdaten zu ermöglichen, können wir Ermittlungen bei bestimmten Ordnungswidrigkeiten nun EU-weit auch über Landesgrenzen hinweg durchführen. Bei acht besonders verkehrsgefährdenden Vergehen können die Länder relevante Daten zu den Haltern abfragen. Dazu gehören unter anderem Rotlichtverstöße, Trunkenheit im Straßenverkehr wie auch Geschwindigkeitsübertretungen, alles Handlungen, bei denen klar ist, dass sie nicht zu den Bagatelldelikten gehören und aufgrund ihres Gefährdungspotenzials auch geahndet werden müssen. Wichtig und richtig ist, dass die Betroffenen ein Informationsschreiben bekommen. Mit diesem werden sie über das Verfahren an sich in Kenntnis gesetzt und über die ihm oder ihr zustehenden Möglichkeiten, die behördliche Entscheidung anzufechten. Auch die Datenweitergabe ist gut geregelt: Art und Umfang der Informationen über Fahrzeug und Halter sind genau festgelegt - der Schutz der Daten wird so gewährleistet. Für die Behörden in Europa stellen wir Rechtssicherheit her. In Deutschland wird das Kraftfahrt-Bundesamt als die nationale Kontaktstelle installiert. Bei der Debatte dazu ist in Deutschland die Befürchtung aufgetreten, dass über das Einfallstor Europa die Halterhaftung bei uns eingeführt wird, also Zu Protokoll gegebene Reden die Möglichkeit, falls die Fahrzeugführenden nicht ermittelt werden können, das Bußgeld für die Regelüberschreitung einfach den Fahrzeughaltenden aufzuerlegen. Dies ist in Deutschland bisher nur bei Parkverstößen möglich. Und dabei wird es auch bleiben! Wir werden den rechtlichen Grundsatz in Deutschland wahren. Persönlich haftbar ist der Fahrende, da er den Verstoß begangen hat. Insofern wird das KBA als zuständige Behörde die Daten deutscher Halter auch nur zur Fahrerermittlung weitergeben. Zusammenfassend: Wir begrüßen den vorliegenden Gesetzentwurf und freuen uns, dieses wichtige Vorhaben voranbringen zu können - für die Sicherheit auf Europas Straßen. Nicht zuletzt begrüßen wir einen positiven Nebeneffekt - nämlich den, dass sich die Gebühreneinnahme voraussichtlich positiv entwickeln wird durch das verstärkte Heranziehen ausländischer Betroffener.

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze. Ziel unseres Gesetzentwurfs ist die innerstaatliche Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2011/82/EU zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Delikte. Danach wird der europaweite Halterdatenaustausch bei Verkehrsdelikten geregelt. Die Entwicklung der Verkehrssicherheit in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Von über 22 000 Toten in der alten Bundesrepublik im Jahr 1972 auf letztes Jahr 3 606 Tote. Weiterhin ist jeder Tote einer zu viel. Dennoch zeigen diese Zahlen die positive Entwicklung. Auf die großen Erfolge der Verkehrssicherheitsarbeit der letzten Jahrzehnte können wir stolz sein, wir dürfen uns aber nicht auf ihnen ausruhen. Denn es sterben noch immer jeden Tag knapp zehn Menschen auf deutschen Straßen. Im Schnitt starben täglich knapp 80 Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen der Europäischen Union. Deswegen hat sich die christlich-liberale Koalition zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Das können wir nur erreichen, wenn wir bei den Faktoren Mensch, Infrastruktur und Technik gemeinsam ansetzen. Aber auch die konsequente Ahndung von in der Union begangenen Straßenverkehrsdelikten trägt zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit bei. Wir wollen es ermöglichen, dass die dafür erforderlichen Daten vom informationstechnischen System des Kraftfahrt-Bundesamtes zentral erfasst und an die Behörden und Stellen der jeweiligen Länder weitergeleitet werden. Die Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit ist auch ein vorrangiges Ziel der Verkehrspolitik der Europäischen Union. Zur Erreichung des Ziels, die Zahl der jährlichen Verkehrstoten auf den Straßen Europas in den kommenden Jahren um die Hälfte zu verringern, hat die Kommission in den Leitlinien zur Straßenverkehrssicherheit 2011 bis 2020 strategische Teilziele festgelegt. Neben verbesserten Sicherheitsmaßnahmen für Lkw und Pkw, sichere Verkehrswege oder die Entwicklung intelligenter Fahrzeuge forderte die Kommission auch eine bessere Durchsetzung der Vorschriften. Zu diesem Zweck sollte laut Kommission ein effizientes System für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch bei bestimmten, die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikten nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats eingerichtet werden, welches dem jeweiligen Mitgliedstaat Zugang zu den Fahrzeugzulassungsdaten gewährt. Ein effizienterer grenzüberschreitender Austausch von Fahrzeugzulassungsdaten, der die Identifizierung von Personen, die eines die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikts verdächtig sind, wird die Abschreckungswirkung erhöhen und zu einem vorsichtigeren Verhalten der Fahrer von Fahrzeugen beitragen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Deliktsmitgliedstaat zugelassen sind, und somit tödlichen Verkehrsunfällen vorbeugen. Es ist das erklärte Ziel der Koalition, die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen, damit immer weniger Menschen im Verkehr zu Schaden kommen. Dazu müssen in erster Linie bestehende Regeln durchgesetzt und weitere technische Verbesserungen bei Fahrzeugen und Infrastruktur erreicht werden. Die konsequente Ahndung von in der Union begangenen Straßenverkehrsdelikten durch den grenzüberschreitenden Informationsaustausch ist ein wichtiger Schritt. Besonders erfreulich ist auch die Zustimmung der Oppositionsfraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Gesetzentwurf.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linke begrüßt es, dass mit der EU-Richtlinie und diesem Gesetz die EU-weite Verfolgung von Verkehrsverstößen verbessert wird. Dennoch werden wir uns zu diesem Gesetz nur enthalten, und zwar weil die Bundesregierung den Datenschutz mal wieder nicht ausreichend beachtet hat. Ich möchte an dieser Stelle kurz die Risiken ansprechen, die durch das Gesetz drohen werden. Erstens: Laut diesem Gesetz soll es ein sogenanntes automatisiertes Abrufverfahren durch die Finanzbehörden geben. Es scheint Mode zu werden, dass diverse Behörde in - wie es offiziell heißt - Einzelfällen automatisiert abrufen dürfen, wenn es durch den Zweck gebilligt wird. Die Folge ist aber meistens die massenhafte Abfrage und das hier auch noch präventiv. So werden die Finanzbehörden auch gleich zu Ermittlungsbehörden, wenn sie irgendeinen Verdacht haben. Das darf nicht sein. Zu Protokoll gegebene Reden Zweitens: Die Regelung, dass die Daten ausschließlich zu dem sehr eingeschränkten Zweck der Fahrerermittlung verwendet werden dürfen, steht so gar nicht im Gesetz. Sie taucht nur in den Erläuterungen auf und da wiederum nur mit einem Verweis auf eine Erklärung im Verkehrsministerrat zur Diskussion der Richtlinie selbst. Es ist übrigens bei EU-Umsetzungen auch in anderen Bereichen üblich geworden, auf diese Art von Protokollerklärungen zurückzugreifen, wenn es zu kompliziert ist, aus unterschiedlichen Rechtssystemen einheitliche Konsequenzen zu ziehen. Deren Einhaltung kann aber kaum jemand überprüfen. Dasselbe gilt für die Voraussetzung der Datenübermittlung an sich. Auch das ist praktisch kaum zu überprüfen. Bei der Umsetzung der europäischen Richtlinien darf der Datenschutz nicht vernachlässigt werden. Das bedeutet auch die Pflicht, den Umgang mit Daten klar zu bestimmen und zu begrenzen. Da der vorliegende Gesetzentwurf das nicht leistet, können wir nicht zustimmen.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, mit dem die Richtlinie 2011/82 der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt werden soll. Ziel der Richtlinie und des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, Verkehrsverstöße innerhalb von Europa über nationale Grenzen hinweg besser ahnden zu können und damit die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern. Das ist für Deutschland als Haupttransitland von besonderer Bedeutung; denn bisher konnten zahlreiche Verkehrsverstöße von ausländischen Kraftfahrerinnen und Kraftfahrern nur festgestellt und dokumentiert werden, waren aber in großem Umfang nicht verfolgbar. Genauso wie umgekehrt deutsche Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen ungestraft blieben, die beispielsweise in Italien oder Frankreich mit überhöhten Geschwindigkeiten geblitzt wurden oder bei Rot über eine Ampel fuhren. In vielen Fällen bekamen sie keine Ordnungsstrafe, da die vorhandenen bilateralen Vereinbarungen zur Zustellung und Vollstreckung von Bußgeldbescheiden aus anderen EU-Staaten wenig praxistauglich sind. Eine Ausnahme bildet dafür lediglich das Übereinkommen zwischen Deutschland und Österreich. Ferner regelt der Gesetzentwurf, dass künftig neben dem Kraftfahrt-Bundesamt als zuständiger nationaler Behörde in Einzelfällen auch die Finanzbehörden bei Auffälligkeiten im Bereich der Umsatzsteuer auf Daten des Fahrzeugregisters zugreifen können, um Umsatzsteuerhinterziehungen im Bereich des Fahrzeughandels schneller und wirksamer begegnen zu können. Wir begrüßen, dass mit der vorliegenden Änderung des Straßenverkehrsgesetzes die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den zuständigen Behörden einen besseren Informationsaustausch über verkehrssicherheitsrelevante Delikte innerhalb von Europa zu ermöglichen. Das gemeinsame europäische Onlineinformationssystem EUCARIS, mit dessen Hilfe die EU-Mitgliedstaaten auf den Gebieten der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung bereits erfolgreich zusammenarbeiten, bietet die technische Basis dafür. Es ist gut und wichtig für die Verkehrssicherheit in ganz Europa, dass gerade jene Verstöße, die am häufigsten Ursache für schwere und tödliche Verkehrsunfälle sind, endlich grenzüberschreitend verfolgt und bestraft werden. Das sind, neben zu hohen Geschwindigkeiten und Rotlichtverstößen, Fahrten unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss. Zu begrüßen ist auch, dass für die betroffenen Verkehrssünder Transparenz herstellt wird. So regelt das Gesetz, dass sie über das Auskunftsverfahren informiert werden müssen und Informationen darüber abrufen können, welche ihrer personenbezogenen Daten ins Ausland übermittelt wurden. Problematisch bleibt aus unserer Sicht allerdings, dass im Unterschied zu vielen EU-Staaten in Deutschland die Halterhaftung nicht greift. Das heißt, während beispielsweise in den Niederlanden im Zweifelsfall auch die Halter für den festgestellten Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen werden können, gilt dies in Deutschland nur für die schuldigen Fahrer und Fahrerinnen. Dies hat berechtigte verfassungsrechtliche Gründe, führt aber in der Praxis dazu, dass ausgerechnet zahlreiche schwere Verstöße wie das Fahren mit zu hohen Geschwindigkeiten ungesühnt bleiben, weil die Fahrer beispielsweise auf dem Blitzerfoto nicht eindeutig feststellbar sind. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsministerium empfiehlt in dieser Frage daher schon seit längerem eine Überprüfung der rechtlichen Möglichkeiten. Denn gäbe es in Deutschland zumindest eine Übertragung von Teilen der Bußgeldkosten auf den Fahrzeughalter, wäre die Aufklärungsquote mit Sicherheit deutlich höher. Hier hat die Bundesregierung bei der aktuellen Änderung des Straßenverkehrsgesetzes mal wieder eine Chance verpasst.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13351 ({0}), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13026 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/ Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann ({1}), Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr ({2}) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Einheitlichen Datenschutz in Europa auf hohem Niveau weiter vorantreiben - Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit mit Augenmaß umsetzen - Drucksache 17/13251 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen ist ein zentraler und positiver Bestandteil des europäischen Einigungsprozesses. Verbunden damit sind aber auch neue und sich ständig ändernde Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden in Europa. Eine effektive Zusammenarbeit zwischen den europäischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden macht dabei auch einen zunehmenden Datenaustausch erforderlich. Daher ist ein möglichst einheitliches und hohes Datenschutzniveau in Europa notwendig, wobei im Bereich von Polizei und Justiz die Hoheit der Mitgliedstaaten für den Datenschutz bei innerstaatlichen prozessualen und polizeirechtlichen Maßnahmen gewahrt bleiben muss. Der Rahmenbeschluss des Rates - 2008/977/Jl vom 27. November 2008 hat erstmals europäische Mindeststandards für den grenzüberschreitenden Austausch im Rahmen der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit definiert. Bevor diese Minimalstandards in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden konnten, hat die EU-Kommission mit dem Entwurf der Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr den bisher eingeschrittenen Weg verlassen und verfolgt nun offensichtlich eine weitgehende Harmonisierung der vorhandenen Regelungen in den Mitgliedstaaten. Dies wird sowohl durch den Umfang des Richtlinienentwurfs als auch durch den beabsichtigten Anwendungsbereich der Richtlinie bestätigt. Schließlich sollen sich die neuen Regelungen gemäß Art. 2 des Richtlinienentwurfs auch auf den innerstaatlichen Datenaustausch erstrecken. Der Bundesrat hat dies in seiner Stellungnahme vom 30. März 2012 aus meiner Sicht zu Recht kritisiert. Neben dem Erfordernis einer Ausweitung des Anwendungsbereichs hat er auch zutreffend die Frage der Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Union in dieser für die Sicherheit der Mitgliedstaaten so sensiblen Rechtsmaterie, in Zweifel gezogen. Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, dass der europäische Gesetzgeber nun auch noch den behördeninternen bzw. länderübergreifenden Datenaustausch regeln will. Dies würde im Ergebnis nicht nur zu einem enormen Umsetzungs- und Anpassungsbedarf bei den staatlichen Einrichtungen führen, sondern wäre auch für die Betroffenen teilweise ein erheblicher Nachteil zu der bisher geltenden Rechtslage. Schließlich kennen die nationalen Polizeigesetze sowie die Strafprozessordnung bereits jetzt eine Vielzahl von unterschiedlichen Auskunfts- und Einsichtsrechten, die einen umfassenden Datenschutz des Betroffenen in den unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen berücksichtigen. Vor allem berücksichtigen diese Regelungen auch, dass es trotz eines höchstmöglichen Grundrechtsschutzes nicht zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen des polizeilichen Ermittlungs- und Strafverfahrens kommt. Die von der EU-Kommission in den Art. 23 und 24 des Richtlinienentwurfs geplanten Dokumentationsund Informationspflichten berücksichtigen dies offensichtlich nicht. Im Ergebnis stellen diese Pflichten sogar noch Verschärfungen gegenüber den bereits im Entwurf der Datenschutzgrundverordnung kritisierten Dokumentations- und Informationspflichten dar. Auch die in Art. 28 und 29 des Richtlinienentwurfs vorgesehenen Pflichten zur Meldung von Datenschutzverletzungen schießen deutlich über das Ziel hinaus. Stephan Mayer ({0}) ({1}) Die Pflicht, ausnahmslos alle Verletzungen an die Aufsichtsbehörde zu melden, wird zu einem enormen Verwaltungs- und Bürokratieaufwand führen. Von „Augenmaß“ kann daher aus meiner Sicht keine Rede mehr sein; vielmehr von Übermaß - und das ist bekanntlich verboten. Letztlich würden solche übermäßigen Dokumentations-, Informations- und Meldepflichten nur zu höheren Kosten für die Verwaltung und keinesfalls zu mehr Datenschutz für den Betroffenen führen. Hier fehlt es eindeutig an einem risikobasierten Ansatz, der berücksichtigt, welche Folgen mit der konkreten Verletzung einhergehen können, und der zugleich legitime polizeiliche Geheimhaltungsinteressen in Einzelfällen berücksichtigt. Ein weiterer Kritikpunkt ist aus meiner Sicht das in Art. 12 des Richtlinienvorschlags geregelte Auskunftsrecht. Dieses geht deutlich über die in den Polizeigesetzen der Länder bestehenden Regelungen hinaus. Ein rechtsstaatlicher Bedarf hierfür ist jedoch nicht erkennbar. Im Gegenteil, in der Fassung des Richtlinienentwurfs würde das Auskunftsrecht sogar in einen unmittelbaren Konflikt mit dem Recht auf Akteneinsicht nach § 147 StPO geraten. Eine vergleichbare Konstellation ergibt sich für die in Art. 11 vorgesehenen Benachrichtigungspflichten. § 101 Abs. 4 StPO enthält hierzu bereits eine spezielle Regelung für Ermittlungsverfahren. Zwischen Art. 11 des Richtlinienentwurfs und § 101 Abs. 4 StPO besteht aber ebenfalls keine Deckungsgleichheit. Hinzu kommt, dass die vorgesehene Regelung in Art. 11 auch noch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersprechen würde. Dieses hat in mehreren Entscheidungen dargelegt, warum Drittbetroffene bei bestimmten Ermittlungsmaßnahmen gegebenenfalls nicht zu benachrichtigen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurden und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung haben. Eine solche Differenzierung lässt der Richtlinienentwurf jedoch gerade nicht zu. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts würde hinfällig. Ich habe auch Zweifel, ob der Richtlinienentwurf dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern gerecht wird. So differenzieren wir in unseren Gesetzen zwischen strafmündigen und strafunmündigen Kindern und Jugendlichen. Je nach Alter bestehen besondere Regelungen etwa zu Löschungsfristen in polizeilichen Dateien. Der Entwurf der EU-Richtlinie ermöglicht solche Differenzierungen nicht. Gemäß Art. 3 Abs. 13 des Richtlinienentwurfs sind Kinder schlicht alle Personen unter 18 Jahren. Dementsprechend wäre in Zukunft eine altersgerechte Differenzierung nicht mehr möglich. Die von mir genannten Beispiele verdeutlichen, dass der Entwurf der Richtlinie nicht nur zahlreiche grundlegende Fragen des Datenschutzrechts anders bewertet, als dies der Bund und die Länder bisher gemacht haben, sondern dass er auch einige erhebliche handwerkliche Mängel hat, die noch einer Nachbesserung bedürfen. Dagegen hilft jedoch nicht das von der SPD-Fraktion eingeforderte „Augenmaß“. Schließlich bleiben die vorgenannten Punkte in ihrem Antrag schlicht unerwähnt. Ein weiterer Mangel des Richtlinienentwurfs besteht im Übrigen darin, dass die Institutionen der EU von dem angestrebten höheren Datenschutzniveau ausgenommen sind. Die in Art. 2 Abs. 3 lit. b des Richtlinienentwurfs vorgesehene Ausnahme für Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union mag regelungstechnisch nachvollziehbar sein, da es auch bisher schon Sonderregelungen für die vorgenannten Einrichtungen und Institutionen gibt. Angesichts des von der EU-Kommission selbst ins Feld geführten Anspruchs, einen „europäischen Datenschutzrahmen für das 21. Jahrhundert“ zu schaffen, stellt die Ausnahme eher ein Armutszeugnis dar. Für Datenübermittlungen oder gemeinsame Informationssysteme innerhalb der Europäischen Union sollten die neuen Regelungen daher in Zukunft ebenfalls anwendbar sein. Die bisher vorgesehene Ausnahme sollte daher noch gestrichen werden. Weitere Mängel stammen offensichtlich von der nahezu identischen Übernahme einiger Regelungen aus dem zeitgleich veröffentlichten Entwurf für eine Datenschutzgrundverordnung. So ist für mich nicht nachvollziehbar, warum es gerade in einem Bereich, der in besonderer Weise die subjektiven Rechte des Einzelnen berührt, eines Verbandsklagerechtes bedarf. Dieses stellt einen vollständigen Wertungswiderspruch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung als höchstpersönlichem Recht dar und ist somit ein weiterer Fremdkörper in dem beabsichtigten Rechtsrahmen. Die EU-Richtlinie enthält zudem - ebenso wie der Entwurf für die Datenschutzgrundverordnung - zahlreiche delegierte Rechtsakte und Durchführungsermächtigungen für die EU-Kommission. Diese gilt es zu reduzieren. Schließlich soll Wesentliches unmittelbar selbst im Rechtsakt geregelt sein. Die Bundesregierung hat bisher im Rahmen der Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe bereits an vielen Stellen Bedenken vorgetragen und auf mögliche negative Folgen der beabsichtigten Regelungen hingewiesen. Mit dieser Position war sie keinesfalls allein. Im Gegenteil, viele andere Mitgliedstaaten teilen die Bedenken und möglichen negativen Auswirkungen für die Ermittlungsbehörden bei ihrer täglichen Arbeit. Sie sehen auch, dass viele Regelungen nicht zwingend zu einem verbesserten grundrechtlichen Schutz der BürgeZu Protokoll gegebene Reden Stephan Mayer ({2}) ({3}) rinnen und Bürger führen werden. Es bedarf daher - aus meiner Sicht - erheblicher grundsätzlicher Änderungen an der EU-Richtlinie und nicht nur kosmetischer Korrekturen, wie sie von der SPD-Fraktion gefordert werden. Ich bin zuversichtlich, dass diese in den bevorstehenden Verhandlungen im Europäischen Parlament und auf Ratsebene gelingen können. Hierfür bedarf es des heute debattierten Antrags nicht.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Anfang dieses Jahres stellte die Europäische Kommission den Entwurf einer Datenschutzreform vor. Dieser aus zwei Teilen bestehende Entwurf, nämlich der sogenannten Datenschutz-Grundverordnung sowie einer Richtlinie über die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit, soll - so wünscht sich dies die Europäische Kommission - als Gesamtpaket verabschiedet werden. Momentan wird in Brüssel heftig verhandelt, und auch die öffentliche Debatte ist seit längerem heftig zugange; vorrangig allerdings über die Grundverordnung, weniger über die Richtlinie. Diese Fokussierung der öffentlichen, aber auch der parlamentarischen Debatten halten wir Sozialdemokraten für zu kurz gegriffen. Die Richtlinie gilt zwar nicht wie die Verordnung unmittelbar für die Mitgliedstaaten und bedarf der Umsetzung in nationale Gesetze. Aber die Frage, welche Vorgaben und Grenzen die Richtline setzt und welche Spielräume sie für den nationalen Gesetzgeber lässt, hat weitreichende Folgen für die Arbeit von Polizei, Justiz und Strafverfolgung sowie den Schutz der Bürgerrechte in Deutschland. Die Kommission will mit ihrem Richtlinienentwurf EU-weit geltende einheitliche Schutzstandards zur Datenverarbeitung bei der Verfolgung und Verhütung von Straftaten schaffen und zugleich die Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden verbessern. Dieses Ziel ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings greift der Richtlinienentwurf - der ja den bisher die Zusammenarbeit regelnden JI-Rahmenbeschluss 2008/977 ersetzen soll - darüber hinaus. Aus der Logik des Regelungsansatzes der Richtlinie sind einheitliche Schutzstandards in der Zusammenarbeit nur zu erreichen, wenn sich die Vorgaben und damit der Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf die innerstaatliche Verarbeitung von Daten durch Polizei- und Justizbehörden erstreckt. Damit begibt sich die Richtlinie in das Feld des für den Innenbereich der Mitgliedstaaten geltenden Subsidiaritätsgrundsatzes. Entsprechend ist umstritten, ob die EU über diese Datenverarbeitung die Gesetzgebungskompetenz überhaupt besitzt. Genau aus diesem Grunde hat der Bundesrat in seiner Verantwortung für die Länderpolizeien eine Subsidiaritätsrüge eingelegt. Aber auch wenn man die europäische Regelungskompetenz bejaht, wird man im Zuge der - so tituliert es die Kommission - Vollharmonisierung fragen müssen, warum die EU dann bitteschön nicht gleich ganz konkret regelt, welche Datenverarbeitungen aufgrund welcher Befugnisse erlaubt sind. Anstatt dies zu tun, wird uns ein weichgespülter Richtlinienvorschlag vorgelegt, der mehr Fragen offen lässt, als er löst. Das Ziel ist sicherlich erstrebenswert, doch mangelt es hier an der Umsetzung - insbesondere vor dem Hintergrund des Datenschutzes und der Betroffenenrechte. Genau diese Fragen haben die SPD zu einem entsprechenden Antrag bewegt, mit dem sie der Bundesregierung parlamentarische „Leitplanken“ für ihre Positionierung und Verhandlungen im Rat und der Ratsarbeitsgruppe mitgeben will. Wir wollen die parlamentarische Diskussion über den Richtlinienentwurf, und wir wollen, dass das Parlament konkret benennt, welche Regelungen der Richtlinie entsprechend geändert, ergänzt oder gar gestrichen werden müssen, damit ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Polizei- und Justizarbeit und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen in Deutschland gewahrt bleiben kann. Die Richtlinie, die die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr zum Gegenstand hat, nennt sich zwar auch „Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen“. Wenn man aber ins Detail geht und genau liest, stellt man fest, dass den Polizei- und Justizbehörden in den Mitgliedstaaten mit dieser Richtlinie breite Zuständigkeiten eingeräumt werden sollen. Allerdings können die Mitgliedstaaten nach dem Entwurf selbst festlegen, ob und welche Sanktionen bei Verstößen erfolgen. Hier dürften sich dann auch erhebliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten auftun. Die Güterabwägung zwischen Sicherheit und dem Schutz vor unzulässiger Einschränkung der Persönlichkeitsrechte ist in den einzelnen Mitgliedsländern sehr unterschiedlich, und die aktuelle Entwicklung in einigen Mitgliedstaaten mahnt uns, an ebendieser Stelle besonders wachsam zu sein. Ich befürchte, dass das Ziel einer Harmonisierung sowie eines effektiven Datenschutzes auf diesem Wege gerade nicht erreicht werden kann. Ich will einige weitere Punkte in der Richtlinie nennen, die der Verbesserung bzw. Änderung bedürfen, und die wir mit unserem Antrag aufgreifen: So sieht der Richtlinienentwurf zwar Informationsund Auskunftsrechte der Betroffenen vor - was grundsätzlich zu begrüßen ist. Diese Betroffenenrechte werden aber wieder durch sehr weitreichende Ausnahmen eingeschränkt, sodass fraglich ist, ob hier - insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH und der Grundrechtecharta - noch ein ausreiZu Protokoll gegebene Reden chender Grundrechts- bzw. Datenschutz gewährleistet werden kann. Auch eine Harmonisierung des Grundrechtsschutzes für die Bürgerinnen und Bürger im Strafverfahren kann aus deutscher Sicht nicht auf das niedrigste gemeinsame Niveau in der Europäischen Union abgesenkt werden. Im Gegenteil: Durch Mindeststandards sollte für die Mitgliedstaaten ein möglichst hohes Datenschutzniveau festgeschrieben werden, das aber auch weitere Spielräume nach oben lässt, um jeweils national höhere Standards weiter zu ermöglichen, wie dies bei uns in vielen Spezialgesetzen der Fall ist. Dies können wir bisher so im Richtlinienentwurf nicht erkennen. Wir fordern, dass die Kommission die polizeilichen Tätigkeiten genau beschreibt, um unterschiedliche Auffassungen über dieselbe polizeiliche Tätigkeit zu vermeiden. Genauso sehen wir dort Nachbesserungsbedarf, wo der Richtlinienentwurf vom „Bereich der nationalen Sicherheit“ spricht. Dieser Bereich wird innerhalb der Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich definiert. Damit keine unterschiedliche Auslegung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten erfolgt, bedarf es einer klaren Beschreibung und Eingrenzung. Insgesamt müssen die im Richtlinienentwurf enthaltenen Anforderungen an das mitgliedstaatliche Recht überarbeitet und mit strengen Vorgaben versehen werden. Dies muss insbesondere hinsichtlich detaillierter Vorgaben für Inhalte von Normen, hinsichtlich der Datenverarbeitungen bei Kriminalbehörden sowie hinsichtlich prozeduraler Vorkehrungen für Zugriffe von Kriminalbehörden auf Datenbestände, die nicht zu kriminalbehördlichen Zwecken angelegt wurden, erfolgen. Dazu bedarf es konkreter Regelungen zu umfassenden Verwendungsverboten für eine rechtswidrige Datenverarbeitung. Hier darf es im Zuge der gewollten Harmonisierung keinen unterschiedlichen Schutz in den einzelnen Mitgliedstaaten geben. Darüber hinaus dürfen durch die Richtlinie nicht nationale Grenzen des Datenaustausches zwischen Nachrichtendiensten und Polizei im europäischen Datenaustausch aufgeweicht werden - wie beispielsweise das Trennungsgebot in Deutschland, das erst kürzlich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts erneut aufgegriffen wurde. Eine entsprechende Regelung, die dies klarstellt, sollte deshalb aufgenommen werden. Wir sind schon aufgrund unserer Geschichte dazu verpflichtet, dies klarstellend zu fordern. Die SPD-Fraktion sieht es ebenfalls als sehr problematisch an, dass nach der Richtlinie eine Datenübermittlung an Drittstaaten nahezu uneingeschränkt ermöglicht werden soll. Es kann und darf nicht sein, dass sich die Mitgliedstaaten innerhalb Europas ein hohes Datenschutzniveau gegenseitig auferlegen, aber die Datenübermittlung an Drittstaaten, auch an jene, bei denen die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien oder eines akzeptablen Datenschutzes nicht überprüft werden kann bzw. gar infrage steht, ohne große Hürden zugelassen wird. Wir fordern deshalb eine Konkretisierung der Regelungen dahin gehend, dass klare materiell-rechtliche Anforderungen an die datenschutzrechtlichen Regelungen in den Drittländern, in die übermittelt wird, gestellt werden. Ebenso sollten - gerade vor dem Hintergrund eines Gesamtpakets aus Datenschutz-Grundverordnung und Richtlinie - auch gute Ansätze aus der Verordnung übernommen werden, wie zum Beispiel eine Folgenabschätzung. Am Ende müssen wir insgesamt beim Erlass dieser Richtlinie darauf achten, dass Regelungen, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, die Betroffenenrechte - insbesondere den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung - einzuschränken, endgültig gestrichen werden. Dies sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Wir Sozialdemokraten wollen, dass der Datenaustausch bei der Verfolgung und Verhütung von Straftaten in Europa vorangebracht wird. Wir wollen eine Richtlinie, die dies auf einem hohen Datenschutzniveau sicherstellt und den Mitgliedsländern Spielräume lässt, höhere eigene nationale Anforderungen zu erhalten oder zu setzen. Ich glaube, dass wir mit unserem Antrag eine gute Grundlage dazu legen können, und freue mich auf eine positive Debatte.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

„Venire contra factum proprium“ nennt man im Zivilrecht widersprüchliches Verhalten, mithin einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Ein Paradebeispiel für widersprüchliches Verhalten liefert die SPD-Fraktion ab. Eine Fraktion, die sich für den größtmöglichen Datenschutzverstoß stark macht, nämlich für die Vorratsdatenspeicherung, will jetzt den Eindruck erwecken, ihr seien die Datenschutzvorschriften, die die EU für Polizei und Justiz aufstellen will, zu lasch. Landläufig drückt man das dann auch weniger lateinisch vornehm aus und spricht davon, dass einer die Leute hinter die Fichte führen will. Es ist schon ziemlich frech, was Sie hier abliefern. Da beklagen Sie die Möglichkeiten zur Zweckänderung von Daten. Ausgerechnet Sie! Im BKA-Gesetz haben Sie sogar verankert, dass Daten, die aus der Gefahrenabwehr im Wege der Online-Durchsuchung - bei der Sie ja auch nicht gerade zur Speerspitze der Datenschützer gehören - gewonnen wurden, zur Strafverfolgung umgewidmet werden dürfen. Da weinen Sie Krokodilstränen wegen der Übermittlung von Daten an Drittstaaten. Dem Vertrag von Prüm haben Sie ohne mit der Wimper zu zucken zugestimmt. Der Übermittlung von Fluggastdaten an die USA haben Sie in Ihrer Regierungszeit ohne auch nur nennenswerte datenschutzrechtliche Sicherungen zugestimmt. Sicherheitsabkommen mit Ländern wie Vietnam oder auch eine 1 : 1 -Übertragung der Prüm-VorZu Protokoll gegebene Reden lage auf ein Sicherheitsabkommen mit den USA haben Sie hier im Hause mit Zähnen und Klauen verteidigt, nachdem Ihre eigene Regierung dem zugestimmt hatte. Nicht einmal einem besonderen Schutz von Daten zur Gewerkschaftszugehörigkeit in einem nationalen Begleitgesetz - wie damals von der FDP-Fraktion vorgeschlagen - haben Sie zugestimmt. Da geben Sie sich betroffen, wenn Daten von Personen ohne deren Wissen gespeichert werden, die selbst gar nicht Verdächtige wegen einer Straftat sind. In der jüngst für verfassungswidrig erklärten Antiterrordatei haben Sie damals eine uferlose Speicherung von Kontaktpersonen gesetzlich vorgeschrieben - ohne Benachrichtigung, ja selbst mit höchst eingeschränkten Auskunftsrechten. Ihr Antrag ist von vorne bis hinten Heuchelei. Wenn Sie in den Bundesländern, in denen Sie für die Polizeigesetze verantwortlich sind, auch nur die Hälfte Ihrer hier aufgestellten Forderungen umsetzen würden, dann gäbe es nicht neuerdings zum Beispiel in Rheinland-Pfalz die heimliche Onlinedurchsuchung. Natürlich gibt es viele Kritikpunkte, die man berechtigterweise zur EU-Datenschutz-Richtlinie vortragen kann. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Erstreckung auf die innerstaatliche Datenverarbeitung, die der Bundesrat zum Anlass genommen hat, Subsidiaritätsrüge zu erheben. Angesichts der innerhalb der EU notwendigen Zusammenarbeit auch bei der Bekämpfung und Verfolgung von Straftaten ist ein Datenaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten unvermeidbar. Die FDPFraktion hat dabei immer betont, dass ein Ausbau der Datenübermittlung auf der anderen Seite einen Gleichlauf bei der Harmonisierung von Datenschutzbestimmungen in den Mitgliedstaaten erfordert. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass ein einheitliches und hohes Datenschutzniveau in ganz Europa gilt, wenn die Polizei der unterschiedlichen Mitgliedstaaten mit personenbezogenen Daten umgeht. In dem Richtlinienentwurf finden sich an vielen Stellen lose Enden. Es werden Legaldefinitionen vorgelegt, an deren einzelne Punkte sich dann aber im Weiteren keine Schlussfolgerungen knüpfen. Differenzierungen werden angelegt, aber nachher nicht berücksichtigt. Das findet sich richtigerweise auch im vorliegenden Antrag, beispielsweise im Bezug auf Daten von Kindern. Auch wenn es der SPD nicht ansteht, sich hier zu beklagen, in der Sache ist es richtig: Die Zweckänderung bei Daten muss an strikte Vorgaben geknüpft sein. Der viel zu weit gehende Vorschlag der Richtlinie hebelt den für den Rechtsstaat zentralen Grundsatz aus, dass nur Daten erhoben werden dürfen, wo auch eine Rechtsgrundlage besteht. Wenn aber die Daten da sind, dann könnten sie nach diesem Richtlinienentwurf in sehr weitem Umfang für andere Zwecke genutzt werden. Auch lässt der Schutz besonders sensibler Daten zu wünschen übrig, schon innerhalb der EU, erst recht aber bei einer Übermittlung an Drittstaaten. Nicht nachvollziehbar ist, dass die EU-Institutionen selbst nicht dahin gehend einbezogen werden, dass auch sie einen entsprechenden Datenschutz gewährleisten und beachten müssen. Auch für die EU-Verträge mit anderen Staaten ergeben sich keine Konsequenzen. Umso unverständlicher ist dann, dass die EU sich hier anmaßen will, die außenpolitische Souveränität der Mitgliedstaaten dadurch zu untergraben, dass deren bilaterale völkerrechtliche Verträge gegebenenfalls gekündigt und überarbeitet werden müssen, um an die Richtlinie angepasst zu werden. Wie schon beim Verordnungsentwurf zum Datenschutz in der EU finden sich auch im Richtlinienentwurf zahllose Ermächtigungsgrundlagen für delegierte Rechtsakte. Erst recht in dem höchst sensiblen Bereich der Datenerhebung im Bereich von Polizei und Justiz ist das natürlich mit dem Wesentlichkeitsprinzip unvereinbar. Die Bundesjustizministerin setzt sich in der Ratsarbeitsgruppe bereits dafür ein, dass gerade im Bereich, in dem Datenerhebung mit grundrechtsintensiven Eingriffsbefugnissen verbunden ist, ein hohes Datenschutzniveau in der gesamten EU Einzug hält. Darin hat sie die volle Unterstützung der FDP-Fraktion.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Unter dem Titel „Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr“ wurde ein Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Verarbeitung personenbezogener Daten vorgelegt, der besser in der Schublade geblieben wäre. Vermutlich liegt derjenige nicht ganz daneben, der vermutet, dass die Richtlinie im Windschatten der ursprünglich mehrheitlich positiv begrüßten Datenschutz-Grundverordnung durchgeschmuggelt werden sollte - Huckepack sozusagen. Nun wäre der Versuch eigentlich ja zu begrüßen, eine Europäisierung der Datenschutzstandards bei der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit zu erreichen - allein schon, um den sich rasant entwickelnden Datenverkehr zwischen den Strafverfolgungsbehörden, mit ihren Kooperations- und Koordinationseinrichtungen und zentralisierten Datenbanken, einigermaßen rechtssicher zu gestalten. Davon sind wir jedoch meilenweit entfernt, und diesem Anspruch wird die Richtlinie überhaupt nicht gerecht: Darin geht es nämlich eher um die beiden letzten Wörter im Titel der Richtlinie, nämlich sicherzustellen, dass dem freien Datenverkehr von Sicherheitsbehörden Vorfahrt vor dem Datenschutz eingeräumt wird. Gerade im Interesse einer Harmonisierung auf hohem Datenschutzniveau muss die Kritik Zu Protokoll gegebene Reden an dieser Richtlinie deshalb besonders scharf ausfallen. Die Sachverständigen der Anhörung am 22. Oktober letzten Jahres haben fast einhellig aufs Deutlichste die Gefahren benannt, die diese Richtlinie für den Umgang mit teilweise hochsensiblen Daten mit sich bringen würde - zumindest wenn sie ohne bedeutende Änderungen umgesetzt werden würde. Die gravierendsten Probleme, die auf der Anhörung deutlich herausgearbeitet wurden, sind erstens die viel zu weit und unklar beschriebenen Zweckbindungsgrundsätze. So hat der Sachverständige Professor Dr. Hartmut Aden beispielsweise die Kennzeichnung der Daten nach Herkunft und die Zweckbestimmung als unerlässlich bezeichnet: nicht nur für Datenschutz und Datensicherheit, sondern auch für die Qualitätssicherung der polizeilichen Datenbestände. Die Erfahrung zeigt, dass immer wieder erst Datenbanken zu allen möglichen Zwecken eingerichtet werden: im Rahmen internationaler Abkommen zum Beispiel. Im zweiten Schritt werden dann die Rechtsgrundlagen oder Verordnungen vorgelegt, die den Sicherheitsbehörden den Zugriff auf diese privat oder kommerziell geführten Datenspeicher eröffnen, also von Banken, Transportunternehmen, Versicherungen und so weiter. Und selbst im Rahmen der Strafverfolgung gibt es eine ganze Reihe qualitativ unterschiedlicher Zwecke, zu denen Daten erhoben werden können. Rechtssicherheit braucht engste Zweckbindung und Herkunftskennung. Zweitens ist auch der Grundsatz der Erforderlichkeit alles andere als eng gefasst. Das Prinzip der Datensparsamkeit, als Hauptsäule des Datenschutzes, ist nicht einmal als Aufgabe formuliert worden. Und drittens das Problem der Weitergabe an Dritte und Drittstaaten oder internationale Organisationen. Die Ausnahmeregelungen der Richtlinie zu Übermittlungsvorschriften sind so weit gefasst, dass sie praktisch eine umfassende Übermittlung zulassen. Der Sachverständige Dr. Gerrit Hornung hat in seiner Stellungnahme unter anderem die Regelungen zur Datenübermittlung an Drittstaaten als „rechtsstaatlich geradezu schädlich“ bezeichnet. Der Entwurf ließe den Eindruck entstehen, er „enthalte Sicherungsmechanismen, die de facto nicht bestehen“. Genauso wie bei der Datenschutz-Grundverordnung sind auch bei der Richtlinie die Ermächtigungsbefugnisse, die sich die Kommission selbst zugeschrieben hat, viel zu zahlreich und weitgehend, so zum Beispiel, wenn sie im Alleingang festlegen kann, was ein „angemessenes Datenschutzniveau in Drittstaaten“ ist. Die Liste der im Rahmen der Anhörung vorgebrachten berechtigten Kritik an diesem Entwurf ließe sich beliebig weiter fortsetzen. Das alles ist in keinster Weise hinnehmbar. Die SPD hat sich mit ihrem Antrag redlich Mühe gegeben, die Verbesserungsvorschläge aus der Sachverständigenanhörung aufzulisten und als Verhandlungsauftrag an die Bundesregierung zur weiteren Bearbeitung der Richtlinie weiterzureichen. Alle Mühe war vergebens - selbst die lange Liste der Stellungnahme hat nicht alle angesprochenen Mängel aufgreifen können. Mal davon abgesehen: Selbst wenn alle von der SPD vorgeschlagenen Änderungen umgesetzt würden, würde dies an dem falschen Grundprinzip der Richtlinie, dass der Datenschutz um die Bedürfnisse der Sicherheitsbehörden lediglich herumgestrickt wird, nämlich nichts ändern. Damit der Schutz persönlicher Daten in der Richtlinie nicht bloß ein reiner Euphemismus bleibt, müsste die Zielformulierung mindestens klarstellen, dass es sich um eine Mindestharmonisierung handelt, von der die Mitgliedstaaten zugunsten eines höheren Schutzniveaus abweichen können. So wie es jetzt aussieht, wird es genau andersherum laufen: Ein Run auf das niedrigste Niveau in Europa könnte die Folge sein. Wenn die Stellungnahme des Deutschen Bundestages alle Probleme der Richtlinie benennen und dafür Lösungen formulieren würde, hätte diese nicht den Charakter einer Verbesserung oder, wie es in der Stellungnahme formuliert ist, einer „grundlegenden Überarbeitung“, sondern es wäre eine regelrechte Neuformulierung der Richtlinie. Deshalb wäre hier eine Stellungnahme, die die vorliegende Richtlinie ablehnt und eine komplette Neuvorlage unter Berücksichtigung der wesentlichen Kritikpunkte verlangt, der solidere Weg.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist gut, dass wir auf der Grundlage des SPD-Antrags heute noch einmal zur EU-Datenschutzreform diskutieren, weil es alle Bürgerinnen und Bürger betrifft, auch wenn die erforderliche Aufmerksamkeit dafür - trotz aller Skandale - noch immer nicht vorausgesetzt werden kann. Es ist auch gut, dass wir heute noch einmal einen besonderen Fokus auf den Datenschutz bei der vielfältigen Zusammenarbeit von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden innerhalb der EU legen. Denn diese notwendige Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten in der EU bedarf dringend einer datenschutzrechtlichen Einhegung durch starke Datenschutzregelungen auf EU-Ebene. Der „Traum“ zahlreicher EU-Innenminister von einer unbegrenzten Verfügbarkeit der Daten aller Polizeiund Strafverfolgungsbehörden der 27 Mitgliedstaaten wird ein Alptraum für die Menschen und ein Ausverkauf der Grundrechte über die europäische Hintertür, wenn es nicht gelingt, ein starkes EU-Datenschutzrecht auch für den Bereich des Polizei- und Strafrechts zu schaffen. Es war auch das Ergebnis einer Sachverständigenanhörung des Innenausschusses, die wir zum überflüssigen und schädlichen, aber nun leider mit Regierungsmehrheit angenommenen Gesetzentwurf zur Umsetzung des uralten EU-Rahmenbeschlusses namens „Schwedische Initiative“ durchgeführt haben. Da kamen am Ende auch die von der Koalition vorgeZu Protokoll gegebene Reden schlagenen Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass wir ein massives verfassungsrechtliches Problem haben, wenn wir, wie der Rahmenbeschluss es fordert, unsere Polizei- und Strafverfolgungsbehörden dazu verpflichten, ihre Daten mit den Behörden anderer EU-Staaten auszutauschen, ohne zu wissen, wie diese Daten dort geschützt sind. Das ist aber genau der Punkt: Es gibt nicht nur keinen für alle EU-Staaten gültigen Datenschutzstandard im Bereich des Polizeiund Strafrechts. Die Behörden, die die Daten untereinander austauschen, haben noch nicht einmal Informationen darüber, was mit den Daten passiert, die sie weiterleiten, und sie haben auch keine Ahnung, wie „sauber“ oder „schmutzig“ die Daten erhoben wurden, die ihnen von anderen übermittelt werden. Aber diese Schwedische Initiative ist nur ein Detail, nur ein Ausschnitt, nur eine kleine Ranke im Wildwuchs von EU-Instrumenten im Sicherheitsbereich, aufgrund derer in der EU personenbezogene Daten zum Zweck der Verhütung und Verfolgung von Straftaten ausgetauscht werden. Das ist ein Dickicht, vor dem die von der Datenspeicherung Betroffenen, und im Detail selbst Experten, häufig kapitulieren. Ein Dickicht, in dem die einfachsten Dinge oft unklar bleiben: Welche Datenschutzregelung gilt? Wie sind die Betroffenen geschützt? Der Rechtsschutz ist unter diesen Umständen völlig unzureichend und bleibt oft Illusion. Da gibt es informationsverarbeitende Agenturen und Einrichtungen der EU wie Europol, Eurojust, Olaf und Frontex. Da gibt es Informationssysteme wie zum Beispiel das Schengen-Informationssystem, SIS, das Visa-Informationssystem, VIS, das Zollinformationssystem, ZIS, und Eurodac, da gibt es die schon genannte Schwedische Initiative und den Prüm-Beschluss, die zum Datenaustausch verpflichten. Und dann gibt es noch Verpflichtungen zur Speicherung von Daten auf Vorrat, etwa von Telekommunikationsverbindungsdaten oder der nach der geplanten Fluggastdatenrichtlinie. Alle diese Elemente sind irgendwie untereinander verknüpft. Das ist nur ein grober Überblick über das EU-Recht im Sicherheitsbereich, das zur Verarbeitung personenbezogener Daten verpflichtet. Um hier dem Datenschutz zur Geltung zu verhelfen, brauchen wir eine starke EU-Datenschutzrichtlinie im Bereich des Polizei- und Strafrechts, die auch für die innenstaatliche Datenverarbeitung gilt. Denn wenn die Daten über die Grenzen fließen - und das steht außer Frage und ist gewollt -, dann helfen Datenschutzstandards nichts, die an der Grenze haltmachen. Natürlich, das ist ein Dilemma: Einerseits ist es unsere Aufgabe, die starken Vorgaben des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichts nach Europa zu tragen. Andererseits verpflichtet uns die Verfassung aber auch dazu, die Menschen davor zu schützen, dass ihre Grundrechte durch die europäische Sicherheitszusammenarbeit verletzt werden. Also müssen wir bindende EU-Datenschutzstandards verhandeln und voraussichtlich gewisse Kompromisse eingehen, die unsere grundgesetzlichen Standards nicht beeinträchtigen dürfen. Das ist eine gewaltige und extrem schwierige Gestaltungsaufgabe, der wir uns stellen müssen, um den Grundrechten im europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zur Geltung zu verhelfen. Den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, die die EU-Datenschutzreform verhandeln, gilt mein großer Respekt. Ich denke, dass es wegen des bereits fortgeschrittenen Standes der Verhandlungen nicht sinnvoll ist, hier und heute über die Details des ursprünglichen Richtlinienvorschlages der Europäischen Kommission zu diskutieren. Deshalb gehe ich auf die einzelnen Punkte des Antrags der SPD heute im Detail nicht ein. Ich fürchte, der durchaus bereits kritikwürdige Entwurf der Europäischen Kommission ist infolge der bisherigen Verhandlungen noch problematischer geworden. Wichtig ist aber, dass auch vom Deutschen Bundestag klare Signale und Positionen für die Verhandlung dieser Richtlinie an die gesetzgebenden EU-Organe gehen. Da hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle des SPD-Antrags eine deutlichere Linie gewünscht. Die grünen Linien und Ziele sind klar: Erstens ein klares „Ja“ zu Europa und damit ein klares „Ja“ zu einem verbindlichen EU-Datenschutzrecht im Bereich des Polizei- und Strafrechts, das auch für die innerstaatliche Datenverarbeitung gilt; wir brauchen ein verbindliches Recht ohne Regelungslücken und Öffnungsklauseln, die die Absenkung des Schutzstandards ins Bodenlose in das Belieben der Mitgliedstaaten stellen. Zweitens das klare Ziel eines hohen Datenschutzstandards, der unsere verfassungsrechtlichen Standards nicht unterläuft. Drittens der Verbleib der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die durch die EU festgelegten Schutzstandards nach oben zu überschreiten. Viertens bleibt es nicht nachvollziehbar, weshalb nicht zeitgleich ein Vorschlag für die abgestimmte Fortentwicklung des Datenschutzrechts bei Europol und Eurojust vorgelegt wurde. Fünftens sind die Übermittlungsbefugnisse in Drittstaaten völlig inakzeptabel und in ihrer rückwärtsgewandten Zielrichtung grundsätzlich abzulehnen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13251 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 528/2012 - Drucksache 17/12955 30388 Vizepräsident Eduard Oswald Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - Drucksache 17/13400 Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Dr. Lutz Knopek Sabine Stüber - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13413 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Beckmeyer Stephan Thomae Michael Leutert Sven-Christian Kindler Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das europäische Chemikalienrecht wurde in den letzten Jahren schrittweise unter wesentlicher inhaltlicher Erweiterung von national umsetzungsbedürftigem EU-Richtlinienrecht in unmittelbar geltendes EUVerordnungsrecht überführt. Die Verordnung ({0}) Nr. 528/2012 des Rates und des Parlamentes vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten ({1}) ist der letzte größere Schritt dieses Umbauprozesses. Die Verordnung löst die auf der Richtlinie 98/8/EG beruhenden bisherigen Vorschriften zur Zulassung von Biozidprodukten durch eine inhaltlich in einigen Aspekten weitergehende und verfahrensmäßig stärker EU-zentralisierte Unionsverordnungsregelung ab. Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die Biozid-Verordnung keiner Umsetzung in nationales Recht. Erforderlich ist jedoch eine Anpassung des nationalen Rechts, mit der die Rahmenbedingungen für eine effektive Anwendung der Verordnung in Deutschland geschaffen werden. Mit dem Entwurf der „Biozid-Verordnung“ können wir heute also einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz in die Wege leiten. Schädliche Stoffe, die in Biozidprodukten enthalten sind, stellen nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit von Mensch und Tier eine potenzielle Gefahr dar. Sie haben aber auch einen Nutzen; denn sie dienen dazu, Schädlinge zu töten oder abzuwehren. Sie lähmen beispielsweise das Nervensystem oder die Vermehrungsfähigkeit von Schadorganismen. Das macht sie gleichzeitig auch potenziell gefährlich für Mensch und Umwelt. Grundsätzlich darf ein Biozidpräparat nach Art. 19 der Verordnung nur dann zugelassen werden, wenn es keine unannehmbaren Wirkungen auf die Gesundheit oder auf die Umwelt hat. Durch die Umsetzung der Verordnung auch in nationales Recht schaffen wir hier mehr Sicherheit für Mensch und Umwelt und klare, einheitliche Regelungen. Die im Mai 2012 verabschiedete Verordnung soll am 1. September 2013 für alle Mitgliedstaaten der EU als unmittelbares Recht in Kraft treten und so die bisher geltende Biozidrichtlinie ({2}) ablösen. Ziel der Verordnung ist es, europaweit das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten zu regeln. Betroffen ist dabei eine breite Auswahl von Stoffen, wie etwa Desinfektionsmittel, Holzschutzmittel oder auch Mittel zur Bekämpfung von Schadnagern. Kern des Gesetzentwurfs ist die Neufassung des Abschnitts IIa des Chemikaliengesetzes. Künftig soll er nun die Vorschriften zur Zuweisung von Zuständigkeiten auf Bundesebene, zur Zusammenarbeit der beteiligten Bundesoberbehörden und zur Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern enthalten, die für eine effiziente Durchführung der Biozid-Verordnung in Deutschland nötig sind. Die Behördenstrukturen des bisherigen Rechts werden dabei so weit wie möglich übernommen. Dabei geht es insbesondere um die Zuweisung von Zuständigkeiten auf Bundesebene, die Zusammenarbeit der beteiligten Bundesoberbehörden und die Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern. Grundgedanke ist hierbei die Herstellung einer möglichst weitgehenden organisatorischen und vollzugsrechtlichen Kontinuität mit dem bisherigen Recht. Ferner sieht der Gesetzentwurf im Hinblick auf die neue Biozid-Verordnung Streichungen und Anpassungen zahlreicher Einzelvorschriften vor, die durch die Biozid-Verordnung überholt oder überflüssig geworden sind. Ebenso sind in der neuen Verordnung Nanomaterialien und behandelte Waren mit eingeschlossen. Gerade Nanomaterialien, die in der letzten Zeit häufig Gegenstand von Debatten und Anhörungen waren, müssen künftig entsprechend gekennzeichnet werden. Auch die Handhabung bereits heute kennzeichnungspflichtiger Stoffe wird besser geregelt. So dürfen Biozidprodukte nur noch Wirkstoffe enthalten, die auch nach EU-Recht für den entsprechenden Zweck genehmigt worden sind. So müssen also auch Biozide entsprechend benannt werden. Dabei gelten aber auch Ausnahmen. So sind Lebens- und Futtermittel, die als Mückenschutzmittel oder Lockmittel verwendet werden, von der Regelung nicht betroffen. Auch für Produkte, die als Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden, gilt eine Ausnahme. Um eine transparente Verwendung von bioziden Wirkstoffen zu gewährleisten, müssen solche für die nachfolgende Verwendung in Produkten genehmigt und in eine Unionsliste genehmigter Wirkstoffe aufgenommen werden. Diese wird regelmäßig aktualisiert und soll öffentlich verfügbar sein. Kriterien, die die Genehmigung von Wirkstoffen mit bestimmten Eigenschaften von Vorneherein ausschließen, sind in Art. 5 ({3}) der Verordnung klar definiert. Durch diese Kriterien bietet die Verordnung umfassenden Schutz vor besonders schädlichen Stoffen, die als krebserregend, mutagen und reproduktionstoxisch eingestuft werden, CMR. Ebenso verboten sind Stoffe, die als PBT ({4}) oder vPvP ({5}) gelten oder endokrin schädigende Eigenschaften aufweisen. Ausnahmen von diesen Voraussetzungen sind in diesen Fällen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich und nur für einen Zeitraum von fünf Jahren gültig. Für solche Ausnahmen muss im Sinne der Gefahrenabwehr für die Gesellschaft jedoch immer abgewogen werden, ob nicht eine ungiftigere Alternative verfügbar ist. Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften sollen in Zukunft gegen einen weniger bedenklichen Wirkstoff ausgetauscht werden. Sollte also ein zugelassenes Produkt für die gleiche Verwendung existieren, dessen Gesamtrisiko geringer bewertet wird, kann die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung eines bestimmten Biozidprodukts verboten werden. Zugleich muss sichergestellt werden, dass wir notwendige Biozidprodukte jederzeit verfügbar haben. Niemand hätte Verständnis, wenn es wegen überzogener Anforderungen zum Beispiel zu einer Rattenplage käme. Das unterstreichen wir nochmal mit unserem Entschließungsantrag. Eine weitere Neuerung, die die Verordnung einführt, ist auch das vereinfachte Zulassungsverfahren: Biozidprodukte, die keine bedenklichen Stoffe enthalten, werden in Zukunft durch vereinfachte Verfahren zugelassen. Um die bürokratischen Hürden zu verringern und grenzübergreifende Zulassungen zu vereinfachen, gibt es durch die neue Biozid-Verordnung die Möglichkeit, bei der ECHA, Europäische Chemikalienagentur, eine unionsweit gültige Zulassung zu beantragen. So muss ein Biozid nicht mehr von einem Mitgliedstaat zugelassen werden und diese Zulassung dann im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung auf andere Mitgliedstaaten ausgeweitet werden. Das neue Zulassungsverfahren wird ab Inkrafttreten der Verordnung bis 2020 schrittweise eingeführt, wobei einige Mittel grundsätzlich von der Unionszulassung ausgenommen sind. Die neue EU-Verordnung ist dauerhaft ein Fortschritt im Schutz von Natur und Umwelt vor möglichen Risiken von Biozidprodukten. Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, sichern wir eine schlanke Umsetzung im deutschen Umweltrecht.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vor genau einem Jahr, im Mai 2012, wurde die neue EU-Verordnung Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten verabschiedet. Was sich hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt, ist die neue Biozid-Verordnung, die ab dem 1. September 2013 angewendet werden muss. Sie führt inhaltlich die Grundgedanken der bis dato geltenden Biozid-Richtlinie fort und beinhaltet Vorschriften zu Zulassung, Kennzeichnung und Verwendung von Biozid-Produkten. Im Bundestag stimmen wir heute über zweierlei ab: einen Gesetzentwurf zu dieser BiozidVerordnung, den wir unterstützen und dem wir daher zustimmen, und eine Entschließung der Regierungsfraktionen zum Rattengift, die wir ablehnen. Worum geht es bei der neuen Biozid-Verordnung? Biozidprodukte sind Stoffe oder Gemische zur Bekämpfung von Schadorganismen wie zum Beispiel Holzschutzmittel, Desinfektionsmittel, Insektenbekämpfungsmittel oder auch Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren im nichtlandwirtschaftlichen Bereich. Für diese Produkte müssen über das allgemeine Chemikalienrecht hinausgehende Vorschriften gelten, die das besondere Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt berücksichtigen, das diese Produkte haben können. Wir stehen also vor der Verantwortung, eine Neuregelung umzusetzen, die den Umwelt- und Verbraucherschutz stärken soll, gleichzeitig aber auch die Interessen der betroffenen Wirtschaft berücksichtigt in Hinsicht auf eine Straffung und weiter gehende Zentralisierung der Verfahren und Entscheidungen. Eigentlich ist die Biozid-Verordnung unmittelbar geltendes Unionsrecht und braucht daher keine materielle Umsetzung in nationales Recht. Es müssen aber die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der Biozid-Verordnung in Deutschland geschaffen werden. Das betrifft insbesondere die Regelung der Zuständigkeiten und Befugnisse der beteiligten Behörden. Dies soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung geschehen, der im Wesentlichen eine Anpassung des Chemikaliengesetzes vorsieht. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf grundsätzlich zu. Zu den wesentlichen Neuerungen, die ab September gelten und die wir begrüßen, zählen unter anderem diese drei Beispiele, die eine echte Verbesserung für Bürger und Wirtschaftsunternehmen sind: Erstens. Die Einführung von Ausschlusskriterien bei der Genehmigung von Wirkstoffen. Dementsprechend sind jetzt Wirkstoffe, die krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind oder das Hormonsystem stören - abgesehen von eng begrenzten Ausnahmen -, nicht genehmigungsfähig. Zweitens. Die Einführung eines Verfahrens zur Unionszulassung bei der Europäischen Chemikalienagentur, ECHA, das einem Antragsteller die Möglichkeit bietet, für Biozidprodukte bestimmter Produktarten eine Zulassung zu erhalten, die in allen EUMitgliedstaaten gilt. Zu Protokoll gegebene Reden Drittens. Neue Regelungen für Waren, die mit Biozidprodukten behandelt wurden, das sind zum Beispiel antibakteriell ausgerüstete Strümpfe oder Matratzen mit einem Antimilbenstoff. Diese Biozidprodukte dürfen nur Wirkstoffe enthalten, die nach EU-Recht für den entsprechenden Zweck genehmigt worden sind. Die Etiketten dieser behandelten Waren müssen eine entsprechende Kennzeichnung aufweisen. Das ist eine Verbesserung für alle Verbraucher in Europa. Damit werden drei Ziele verfolgt, die wir Sozialdemokraten immer in Einklang bringen wollen: Fortschritte für die menschliche Gesundheit, Fortschritte beim Verbraucherschutz und Erleichterungen für die Hersteller, die in Europa handeln wollen. Und darum geht es auch im Kern: Die neue Biozid-Verordnung soll den freien Verkehr von Biozidprodukten innerhalb der Europäischen Union verbessern, zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes beitragen und gleichzeitig ein hohes Niveau beim Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutz gewährleisten. Im Bereich der nachhaltigen Entwicklung begrüßen wir insbesondere, dass die neue Verordnung auch eine vergleichende Bewertung von Biozidprodukten vorsieht. Dahinter steht der Gedanke, eine effizientere Suche nach Alternativen zu bedenklichen Biozidprodukten zu ermöglichen und damit den Wegfall besonders bedenklicher Biozidprodukte zu beschleunigen. Wir haben immer wieder gefordert, das Prinzip der Substitution zu stärken, und sind der Auffassung, dass es unser aller Ziel sein muss, gefährliche Chemikalien durch ungefährliche Alternativen zu ersetzen. Auch dem Bericht des Haushaltsausschusses stimmen wir zu, da wir den Gesetzentwurf für vereinbar halten mit der Haushaltslage des Bundes. Durch den Gesetzentwurf entstehen für die Wirtschaft - über die sich unmittelbar aus der EU-Verordnung ergebenden Belastungen hinaus - keine Kosten. Auch für die Bürgerinnen und Bürger sind keine Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, zu erwarten. Dem Bund entstehen Vollzugskosten im Hinblick auf die Durchführung der Aufgaben nach der BiozidVerordnung, für deren Wahrnehmung hoch qualifiziertes Personal, insbesondere aus den naturwissenschaftlichen Bereichen der Chemie und Biologie, benötigt wird. Und damit sind wir beim Thema. Denn der Umgang mit Bioziden ist nichts für Laien. Aber genau das will die Regierungskoalition jetzt durch die Hintertür einführen. Dazu muss man aber nicht nur den Gesetzentwurf genau lesen, sondern auch die heute ebenfalls zur Abstimmung stehende Beschlussempfehlung des Umweltausschusses, die nicht nur empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen, sondern auch eine Entschließung, die den Umgang mit Rattengift regelt. Im Kleingedruckten heißt es dort, dass die Bundesregierung aufgefordert werden soll, „hinzuwirken, dass der Sachkundenachweis für die Anwendung von blutgerinnungshemmenden Rodentiziden auch von Privatanwendern möglichst unbürokratisch und mit vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand erbracht werden kann“. Das ist nichts anderes als ein Einfallstor, damit Privatpersonen praktisch ungehindert mit den als sehr giftig und giftig eingestuften Rodentiziden umgehen können und gegebenenfalls mit einer Online-Schulung möglichst „unbürokratisch und wirtschaftlich“ sich eine Alibisachkunde besorgen. Auf der Homepage des Umweltbundesamtes kann sich jeder Verbraucher und jede Verbraucherin gut informieren, was es mit den Rodentiziden auf sich hat. Wir lernen dabei Folgendes: „Rodentizide werden zur Bekämpfung von Nagetieren eingesetzt. Aufgrund ihrer Zweckbestimmung, Säugetiere zu töten, ist ihre Anwendung hinsichtlich ihrer Wirkung auf Mensch und Umwelt nicht uneingeschränkt unbedenklich. Fehlanwendungen stellen vermeidbare Gesundheitsrisiken dar und können außerdem zu einer verstärkten Resistenzbildung gegenüber Wirkstoffen bei den Zielorganismen führen. Für eine erfolgreiche Bekämpfung ist ein hohes Maß an Erfahrung und Fachwissen erforderlich. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass Betroffene das Gesundheitsamt oder einen professionellen Schädlingsbekämpfer einschalten, sobald sie wahrnehmen, dass sie nicht in der Lage sind, den Schädlingsbefall eigenständig zu tilgen. Eine Bekämpfung wird dann mit professionellen Schädlingsbekämpfungsmitteln nach dem neuesten Stand der Technik durchgeführt. Die Anwendung dieser Produkte erfolgt in den verschiedensten Bereichen, wie zum Beispiel im Innen- und im Außenbereich von Tierhaltungen und menschlichen Ansiedlungen, in Kanalisationsanlagen sowie in bewohnten und unbewohnten Gebäuden.“ Wie mir Experten bestätigten, wurde im Vollzug fast Jahrzehnte gekämpft, um diese gefährlichen Stoffe nicht mehr in private Hände kommen zu lassen. Und das ist unserer Meinung auch gut so. Denn in der Vergangenheit konnte im Handel das gefährliche Rattengift von jedermann gekauft werden, auch ohne genaues Wissen, wie mit diesem Gift qualifiziert umzugehen ist. Das Problem ist: Das Gift lässt die Nager innerlich verbluten und tötet zeitverzögert. Die Giftrückstände in den Kadavern werden nicht abgebaut. Dadurch passiert es, dass Haustiere, andere Raubtiere oder Greifvögel die toten Ratten fressen und dann selber verenden. Bei Anwendung von fachlich nicht befähigten Personen kann das Gift schnell in die Nahrungskette gelangen. Daher lehnen wir die Pläne der Regierungsfraktionen ab, die die Anwendung von Rattengift durch Privatleute wieder einführen will. Genau darauf zielt der Entschließungsantrag laut Punkt b der Beschlussempfehlung des federführenden Umweltausschusses nämlich ab. Damit Biozidprodukte keine unannehmbaren Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt haben, aber dennoch wirksam sind, gibt es seit rund 15 Jahren ein europäisches Zulassungsverfahren. In Deutschland sind zahlreiche Behörden und Institute mit dem InverZu Protokoll gegebene Reden kehrbringen und Verwenden der Biozidprodukte beschäftigt. Dazu gehören die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit der Bundesstelle für Chemikalien, das Bundesinstitut für Risikobewertung zur Bewertung gesundheitlicher Risiken und Verbraucherschutz, das Umweltbundesamt zur Bewertung der Umweltverträglichkeit, das Robert-Koch-Institut zur Bewertung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln für den medizinischen Bereich, das Julius-KühnInstitut zur Bewertung der Wirksamkeit von Nagerbekämpfungsmitteln und Vorratsschutzmitteln und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Die hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtungen arbeiten für viele Bürger oft im Verborgenen. Daher möchte ich zum Schluss meiner Rede ausdrücklich den Fachleuten danken, die durch ihre tägliche Arbeit ganz konkret zum Schutz von Mensch und Umwelt im Alltag beitragen.

Dr. Lutz Knopek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004074, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden auf nationaler Ebene die Grundlagen für die Durchführung der EU-Biozid-Verordnung geschaffen. Diese Verordnung ist bereits am 17. Juli 2012 in Kraft getreten und gilt ab dem 1. September 2013. Sie löst die bisherige EU-Biozid-Produkte-Richtlinie ab, die auch schon bislang für ein europaweit harmonisiertes Zulassungsverfahren sorgt. Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die EU-Biozid-Verordnung hinsichtlich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung in nationales Recht. Jedoch bedarf es auf nationaler Ebene einer klaren gesetzlichen Zuweisung der Zuständigkeiten und Kompetenzen, die durch deutsche Behörden zur Durchführung der Biozid-Verordnung wahrgenommen werden. Wie auch bislang schon ist das Zulassungsverfahren für Biozidprodukte zweigeteilt. Auf europäischer Ebene werden die Wirkstoffe zugelassen und auf nationaler Ebene die eigentlichen Produkte, die nur von der EU bereits zugelassene Wirkstoffe enthalten dürfen. Zusätzlich, und das ist neu, können Produkte bestimmter Produktkategorien zukünftig auch auf europäischer Ebene zugelassenen werden. Für die Zulassung auf nationaler Ebene zeichnet, wie bislang auch, die Bundesstelle für Chemikalien verantwortlich, die eine Risikobewertung im Einvernehmen mit den zuständigen Bundesoberbehörden vornimmt. Das vorliegende Durchführungsgesetz dürfte weitestgehend unstreitig sein und findet auch die Zustimmung meiner Fraktion. Kritisch sehen wir jedoch zwei Punkte des Biozidzulassungsverfahrens, die ich kurz ansprechen möchte. Der erste Punkt betrifft die Verordnung selbst. Gemäß Art. 5 der Biozid-Verordnung dürfen Wirkstoffe, die bestimmte Ausschlusskriterien erfüllen, nur in Ausnahmefällen in Biozidprodukten verwendet werden. Diese Ausschlusskriterien finden zwar unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung, jedoch erfüllt es meine Fraktion mit großer Sorge, dass der bewährte risikobasierte Ansatz des Stoffrechtes hier verlassen wird. Die sichere Verwendung eines Stoffes auf Basis einer wissenschaftlichen Risikobewertung steht zukünftig nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr reicht bereits das Vorliegen bestimmter inhärenter Stoffeigenschaften aus, um einen Stoff von der Zulassung auszuschließen. Es besteht die Gefahr, dass dadurch Wirkstoffe und Produkte, die für einen ausreichenden Gesundheitsschutz notwendig sind, vom Markt verschwinden und Investitionen in neue, innovative Produkte unterbleiben. Der zweite Punkt betrifft die bisherige Vollzugspraxis unter der Biozid-Produkte-Richtlinie in Deutschland. Das Umweltbundesamt hat im Februar 2012 ein Positionspapier zur Verwendung von Antikoagulanzien in Rodentiziden veröffentlicht, in dem es mitteilt, zukünftig keine derartigen Rattenbekämpfungsmittel mehr für die Verwendung durch Privatanwender zuzulassen. Da das UBA Einvernehmensbehörde im Rahmen des nationalen Biozidzulassungsverfahrens ist, hat die für die Zulassung zuständige Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin diese Maßnahmen als verbindlich übernommen. Entsprechende Auflagen sind ersten Herstellern, deren Produkte das Zulassungsverfahren gerade durchlaufen haben, bereits in den Zulassungsbescheiden gemacht worden. Begründet wird die UBA/BAuA-Entscheidung mit möglichen Resistenzbildungen beim Einsatz von Rodentiziden sowie der Gefahr möglicher Sekundärvergiftungen von Nichtzielorganismen. Diese Argumente halten einer näheren Betrachtung durch Fachleute jedoch nicht stand. Und in der Tat haben andere europäische Mitgliedstaaten keine solche Beschränkung vorgenommen. Im Vereinigten Königreich beispielsweise sind Rattengifte auch weiterhin frei für Privatanwender zugänglich. Auch die Europäische Kommission hält ein generelles Verbot von Rattengiften für nicht angemessen. Die zu befürchtenden Konsequenzen aus diesem Verbot sind gravierend: Bei den kommensalen Nagetieren handelt es sich um hygienisch und wirtschaftlich außerordentlich wichtige Schädlinge. Nach offiziellen Angaben sind rund 700 000 landwirtschaftliche Betriebe mit Vieh- und/ oder Lagerhaltung, 11 200 Kommunen und 40,3 Millionen Haushalte gefährdet. Bekämpfung in der gesamten Fläche ist notwendig. Eine Ausgrenzung von Privatanwendern würde zu einer erheblichen Ausdehnung von Überlebensräumen und Befallsherden führen, mit allen Konsequenzen für den Gesundheitsschutz. Wegen der entstehenden Kosten würden professionelle Schädlingsbekämpfer erst sehr spät beauftragt, möglicherweise erst nach Bekämpfungsversuchen mit illegalen und tierschutzrechtlich nicht zulässigen Mitteln. Ich erneuere deshalb an dieser Stelle meine Forderung an Bundesumweltminister Peter Altmaier, dieses fachlich nicht begründete Verbot zurückzunehmen. Alternativ und das ist Gegenstand des Entschließungsantrages, den die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit diesem Gesetz verabschieden, sollen die MöglichkeiZu Protokoll gegebene Reden ten, für Privatanwender einen Sachkundenachweis zum Einsatz von Rodentiziden zu erwerben, erweitert und das dazu notwendige Verfahren vereinfacht werden. Mit diesen kritischen Anmerkungen stimmt meine Fraktion dem Gesetzentwurf zu. Eine Glanzstunde der Umweltpolitik ist dies heute für den Bundesumweltminister jedoch nicht.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der EU-Biozid-Verordnung. Er enthält dementsprechend hauptsächlich Verwaltungsvorschriften und regelt unter anderem die Zuständigkeiten und Befugnisse der jeweiligen Behörden. Inhaltlich ist an der längst in Kraft getretenen Biozid-Verordnung nicht mehr zu rütteln - sie gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dennoch muss der Entwurf eines reinen Durchführungsgesetzes, den wir hier heute debattieren, zum Anlass genommen werden, um den Umgang mit Bioziden noch einmal sehr genau unter die Lupe zu nehmen. Biozide sind Wirkstoffe in Schädlingsbekämpfungsmitteln wie zum Beispiel Desinfektionsmittel, Rattengift oder Holzschutzmittel. Deren Einsatz ist häufig unvermeidbar. Dennoch muss der Einsatz von Bioziden mit größter Vorsicht erfolgen, da erhebliche Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit drohen. Rattengift zum Beispiel kann Menschen töten. Insektengifte können die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen und Männern schädigen und Anti-Pilzmittel können Erkrankungen der Atemwege oder gar Krebs auslösen. Das Bienensterben nimmt bedrohliche Ausmaße an, weil Pestizide, so nennt man Biozide in der Landwirtschaft, flächendeckend nach dem Motto „je mehr, desto besser“ eingesetzt wurden. Wer will, sieht, es ist höchste Achtsamkeit im Umgang mit Bioziden geboten, und deren Einsatz ist auf ein Minimum zu reduzieren. Umso mehr verwundert der im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf ergangene Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen: Sie wollen die rechtlichen Vorgaben für die Schädlingsbekämpfung so gestalten, dass diese auch durch private Anwender nach wie vor uneingeschränkt flächendeckend eingesetzt werden können. Für den Einsatz von blutgerinnungshemmenden chemischen Nagetierbekämpfungsmitteln, sogenannten Rodentiziden, soll ein Sachkundenachweis genügen, den der Anwender in einer Onlineschulung, also per Internet, erbringen können soll. Ich nenne das grobe Fahrlässigkeit! Die Damen und Herren von der Koalition können doch nicht allen Ernstes erlauben, dass ein im Internet erbrachter Sachkundenachweis dazu befähigt, angemessen mit giftigen Chemikalien umzugehen, die auch vom Umweltbundesamt äußerst kritisch betrachtet werden, da sie zwar in der Schädlingsbekämpfung nützlich sind, für andere Tiere und die Umwelt insgesamt jedoch hohe Risiken bergen. Der Umgang mit solchen gefährlichen Stoffen sollte im Gegenteil nicht uneingeschränkt flächendeckend möglich sein, schon gar nicht per sogenanntem Online-Sachkundenachweis! Eine strenge Reglementierung der Zulassung von Bioziden und der Einsatz von gut geschultem Personal sind notwendig, um die teils erheblichen Gefahren für Mensch und Umwelt kontrollieren zu können. Diesen Entschließungsantrag lehnen wir ab. Zurück zur Biozid-Verordnung: Nach wie vor gibt es hier einiges zu bemängeln. Nicht umsonst haben Umweltverbände die Biozid-Verordnung als vertane Chance bezeichnet. Es gibt zwar einige Verbesserungen hinsichtlich des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Nichtsdestotrotz klaffen auch noch etliche Regelungslücken, zum Beispiel hinsichtlich der Verwendungsphase von Bioziden oder im Bereich des Informationsaustausches. Inhaltlich ändert der vorliegende Gesetzentwurf nichts an der Biozid-Verordnung. Bitte nehmen Sie ihn trotzdem zum Anlass, darüber nachzudenken, welchen Umgang wir mit Bioziden pflegen wollen. Wollen wir eine möglichst marktfreundliche Regelung, die den Einsatz von Bioziden in großem Umfang und flächendeckend erlaubt, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden bei Mensch und Natur, oder wollen wir vor allem unsere Gesundheit und unsere Umwelt vor hochgiftigen Chemikalien schützen? - Für Letzteres streitet die Linke.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Biozide sind Biogifte. Mit denen darf es keinen leichtfertigen Umgang geben. Sie belasten die Umwelt, wenn chemische Inhaltsstoffe in Gewässer und Böden gelangen, und gefährden auch unsere Wildtiere. Denn es wurde festgestellt, dass oft nicht nur Nager durch die Wirkstoffe getötet werden, sondern auch Raubtiere wie Eulen, Mäusebussarde, Steinadler, Füchse und Iltisse betroffen sind. Außerdem sind sie gesundheitsgefährdend, wenn bei unsachgemäßem Gebrauch zum Beispiel kleine Kinder mit Bioziden in Berührung kommen, diese im schlimmsten Fall sogar in den Mund nehmen. Dies gilt es zu vermeiden. Ein effektiver Vollzug der EU-Biozid-Verordnung mit geklärten Zuständigkeiten stärkt sowohl den Umwelt- und den Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Bioziden. Es wird verhindert, dass Biozide in die Umwelt gelangen und Böden oder Gewässer beeinträchtigen. Es ist auch wichtig, dass nur solche Organismen getötet werden, die beabsichtigt sind. Die EU-Biozid-Verordnung regelt die Zulassung, Kennzeichnung und Verwendung von Biozid-Produkten. Das nun vorliegende Gesetz macht diese Regelungen vollziehbar. Unter anderem legt es die Strafvorschriften fest, wenn gegen die EU-Verordnung verstoßen wird. Daher halten wir ein solches Gesetz auch für dringend notwendig. Den EntschließungsanZu Protokoll gegebene Reden trag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP müssen wir allerdings ablehnen. Aus unserer Sicht sollen mit dem zusätzlich zum Gesetz eingebrachten Entschließungsantrag der Koalition bestehende EU-Regelungen abgeschwächt werden, um den Interessen der Hersteller von Rattengiften entgegenzukommen - diese bangen um ihre Absatzzahlen bei chemischen Nagetierbekämpfungsmitteln. Der Entschließungsantrag, der aus der Feder der FDP zu stammen scheint, fordert einen vereinfachten Zugang zu Nagetierbekämpfungsmitteln für Privatanwender. Dies ist vollkommen kontraproduktiv. Nur Expertinnen und Experten mit Sachkundenachweis dürfen Biozide anwenden, aus gutem Grund. Eine unsachgemäße Verwendung von Rattengift kann dazu führen, dass Ratten unnötig lange leiden, bevor sie verenden, und dass auch andere Tiere in Mitleidenschaft gezogen werden. Außerdem droht die Gefahr, dass die Gesundheit von Kindern gefährdet wird, wenn sie versehentlich mit Rattengiften in Berührung kommen. Privatpersonen sollten entweder mechanische Fallen verwenden oder entsprechende Expertinnen oder Experten beauftragen, die einen professionellen Einsatz von Bioziden sicherstellen und das erforderliche fachliche Wissen hierfür mitbringen. Denn dieses professionelle Fachwissen, das ja auch aus kontinuierlicher Fortbildung stammt, bietet die größtmögliche Sicherheit. Dies ist bereits in der EU-Biozid-Verordnung genau so festgelegt. Biozide dürfen nicht mehr wie früher im Einzelhandel abgegeben werden, sondern nur noch im Fachhandel. Die Anwendung darf nur von sachkundigen Personen durchgeführt werden, die einen entsprechenden Sachkundenachweis besitzen. Und dies ist auch richtig so. Die Entschließung der schwarz-gelben Koalition ist mehr als Begleitmusik, sie soll die Festlegungen im EU-Recht wieder aufweichen. Das können wir nur ablehnen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir können also gleich zur Abstimmung kommen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13400, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12955 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13400 empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Karin Roth ({1}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Millennium-Entwicklungsziele ernst nehmen - Infektionserkrankungen wirksam durch eine nationale und europäische Förderung von Product Development Partnerships bekämpfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Forschungsförderung zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten ausbauen - Zugang zu Medikamenten für arme Regionen ermöglichen - Drucksachen 17/8183, 17/7372, 17/13463 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Peter Röhlinger Krista Sager Die Reden werden alle zu Protokoll genommen.

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Manche Dinge erledigt die Zeit. Dieses Schicksal erleidet auch der vorliegende Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, der zur Thematik der Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen durch sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften - kurz PDP -, im Jahr 2011 unter der Bundestagsdrucksache 17/8183 initiiert wurde. Mittlerweile, wir haben Mai 2013, wurde die erstmalige Ausschreibung zur Förderung von PDP durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, schon lange erfolgreich abgeschlossen. Drei PDP, Drugs for Neglected Diseases, DNDi, die European Vaccine Initiative, EVI, und die Foundation for Innovative New Diagnostics, FIND, werden seit Ende 2011 gefördert. Die Rückmeldungen aus den Organisationen rund um das Ausschreibungsverfahren und die aktuelle Förderrunde sind ausnahmslos positiv. Damit ist die Forderung der SPD nach einer schnellen Umsetzung der nationalen Förderausschreibung für PDP obsolet. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Forderungspunkt des Antrages. Noch bevor die erste Förderrunde angelaufen, geschweige denn evaluiert ist, forderten Sie, liebe Kollegen der SPD, 100 Millionen Euro zur Förderung von PDP in den nächsten vier Jahren. „Kompliment“ - ein glatter Schnellschuss! In diese Kategorie passt auch der Vorschlag der Linken, die im schon hinlänglich debattierten Antrag - Bundestagsdrucksache 17/7372 - illusorische 500 Millionen Euro jährlich für klinische Forschung mit dem Schwerpunkt vernachlässigte Krankheiten fordern. Strategie sieht in meinen Augen anders aus. Zum Glück handelte hier das Ministerium verantwortungsbewusst und ging das Thema überlegt an. Dazu muss man wissen, dass das BMBF erst seit dieser Wahlperiode für dieses Thema allein zuständig ist und die Förderung von PDP in dieser Form absolutes Neuland im Förderkatalog des Ministeriums ist. Die christlich-liberale Koalition begrüßt es, dass die Thematik nun fest im Aufgabenbereich des BMBF verortet ist und unterstützt seit Anfang an die Vorgehensweise des Ministeriums, die erste Förderperiode gezielt und mit Augenmaß anzugehen. In anderen Reden zum Thema habe ich es schon angesprochen, dass die PDP-Förderung für die deutsche Förderkultur einen komplett neuen Weg darstellt. Deshalb ist das Finanzvolumen in Höhe von 22 Millionen Euro für die erste vierjährige Förderperiode ein Aufschlag, der sich sehen lassen kann. Gerade in Relation zum Gesamtbudget der Gesundheitsforschung wird dies deutlich. Klar ist aber auch, dass dies nicht das Ende der Fahnenstange sein muss bzw. sein kann. Eine positive Evaluation der ersten Förderperiode hat in meinen Augen zwingend eine Anschlussförderung mit höherer Finanzmittelausstattung zur Folge. Der Kenntnisstand jetzt ist: Es spricht nichts gegen eine zweite Förderrunde. Eine Evaluation der ersten Erfahrungen gebietet allerdings der gesunde Menschenverstand. Wir fördern nicht der Förderung selbst willen, sondern um Ergebnisse zum Wohle vieler Millionen Menschen rund um den Globus zu generieren. Im 2012 verabschiedeten Antrag der christlich-liberalen Koalition mit dem Titel „Forschung und Produktentwicklung für vernachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen stärken“ ({0}) haben wir uns klar zu dieser Frage positioniert. Sollte die erste Förderrunde positiv evaluiert werden, wird es eine zweite Runde geben, und diese wird mit mehr Finanzmitteln ausgestattet werden. Auf dieses Versprechen können sich alle Produktentwicklungspartnerschaften verlassen. Wir bauen keine unerreichbaren Traumschlösser, sondern wir stehen zu unseren realistischen Zusagen. Diese potenzielle Ausweitung des aktuellen Förderprogramms zieht noch einen anderen wichtigen Punkt nach sich. Aktuell konzentriert sich die Förderung des BMBF auf die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele 4, Verringerung der Kindersterblichkeit und MDG 5, Verringerung der Müttersterblichkeit und schließt in dieser Hinsicht die Förderung um Maßnahmen gegen die zwei großen „Killer“ HIV/Aids und Tuberkulose aus. Diesen Ausschluss gilt es im Rahmen einer noch besser ausgestatteten Nachfolgeförderung zu überdenken. Gern wird bei der Finanzierung der PDP zur Erforschung vernachlässigter Krankheiten unter den Teppich gekehrt, was das BMBF daneben noch alles leistete. Alle Maßnahmen zusammengerechnet, investieren wir schon jetzt circa 80 Millionen Euro jährlich in die Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen. Eine Maßnahme allein wird auch hier nicht die Probleme auf der Welt lösen. Vielmehr ist ein Mix aus vielen Instrumenten gefragt, und diesen Weg gehen wir. Zudem wissen wir im Ministerium mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Helge Braun einen Mitstreiter an unserer Seite, der dem Thema sehr hohe Aufmerksamkeit schenkt. Er tritt national, auf europäischer Ebene und auch im internationalen Kontext für noch mehr Engagement bei der Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen ein. Dieses Engagement hat schon in den Verhandlungen zum 8. Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ Früchte getragen. Auch unserer Fraktion war es ein großes Anliegen, dass die Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen ihren Niederschlag im zukünftigen EU-Forschungsprogramm findet. Einen entsprechenden Handlungsauftrag haben wir in Form einer klaren Forderung in unserem Antrag an die Bundesregierung gerichtet. In den Verhandlungen konnte erreicht werden, dass nun im ersten Abschnitt „Health, Demographic Change and Well-Being“ zu Part III ({1}) des Entwurfs des spezifischen Programms zu Horizon 2020 in der Version der zypriotischen Ratspräsidentschaft vom 30. November 2012 ein entsprechender Abschnitt zu finden ist. Die dargestellten Beispiele zeigen deutlich, dass sich in dieser Legislaturperiode im Bereich der Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen eine Menge getan hat. Die christlich-liberale Koalition zieht in diesen Fragen mit dem BMBF an einem Strang, damit das Thema in den nächsten Jahren weiter an Fahrt gewinnt. Dieses Ziel sollte Anspruch aller hier im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen sein, aber auch mit der Einsicht einhergehen, dass unrealistische finanzielle Versprechungen uns sachlich nicht voranbringen. Wenn wir es in der nächsten Legislaturperiode schaffen, die finanziellen Mittel zur PDP-Förderung zu verdoppeln, wäre dies ein Erfolg und eine nicht zu unterschätzende Kraftanstrengung. Zu Protokoll gegebene Reden Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir aber noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen, da viele Menschen und viele unserer Kollegen noch nicht viel über dieses Thema wissen. Einerseits ist es unsere humanitäre Pflicht, den Millionen weltweit betroffenen Menschen zu helfen und andererseits sollte es in unserem ureigensten Interesse liegen, neues Wissen in diesem Bereich zu generieren. Dies müssen wir immer wieder kommunizieren. Lange ist es nämlich noch nicht her, dass auf Madeira der größte Ausbruch von Dengue-Fieber in Europa seit 1927 zu verzeichnen war. Genauer gesagt, stammt diese Meldung aus der zweiten Jahreshälfte 2012. Dazu passt die Meldung aus dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, wonach sich Malaria in Griechenland ausbreitet. Diese Fälle betreffen zwar noch nicht Deutschland direkt, befinden sich aber in direkter Nachbarschaft, und auch in Deutschland wurden schon Exemplare der Asiatischen Tigermücke gesichtet, die für unsere Breiten seltene Krankheitserreger übertragen kann. Ein Thema also, was infolge des Klimawandels zukünftig auch für uns an Brisanz gewinnen kann. Dies bestätigte mir auch gestern ein Wissenschaftler vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Nach seiner Aussage stimmen in Deutschland schon jetzt die Rahmenbedingungen für einen größeren Ausbruch des West-Nil-Virus oder des Dengue-Fiebers. Ignorieren können wir diese Problematik also auch im eigenen Interesse nicht. Die Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen ist und bleibt also ein Dauerbrenner. Die christlich-liberale Koalition stellt sich gemeinsam mit der Bundesregierung dieser Verantwortung und wird auch zukünftig dafür sorgen, dass Deutschland sein Engagement in diesem Bereich weiter stärken wird.

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Verhalten der Bundesregierung bei der Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten und zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 steht exemplarisch für das gesamte Regierungshandeln von Schwarz-Gelb: zu spät, zu wenig, oder gar nichts! Die Zeit bis zum Ende der von uns selbst gesetzten Frist zur Erreichung der Millenniumsziele verstreicht unaufhörlich. Noch immer sterben täglich Kinder und Erwachsene an Krankheiten, die einfach zu behandeln wären oder für die es zumindest beste Aussichten gibt, schnell ein wirksames Medikament zu finden. Insofern ist die derzeitige Legislaturperiode, die glücklicherweise bald abläuft, verlorene Zeit für die Menschen. Zunächst versuchte ein neoliberaler Minister, der ein Ministerium übernommen hat, das er abschaffen wollte, das wirksamste Instrument zur Bekämpfung der schlimmsten Krankheiten, den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, lahmzulegen - warum? Darüber kann nur spekuliert werden. Letztlich musste Minister Niebel aufgrund der Proteste klein beigeben. Die anderen Ressorts versäumen, wichtige Initiativen wie die Produktentwicklungspartnerschaften für die Entwicklung von Medikamenten und Behandlungen voranzubringen. Auch hier gilt: zu wenig, zu langsam. Die Regierung, allen voran die Kanzlerin, beteuert immer wieder ihren Willen, internationale Zusagen wie die Millenniumsziele einzuhalten. Nur leider folgen den schönen Worten niemals Taten. Ja, es gibt Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung der Millenniumsziele - trotz der jetzigen Bundesregierung, nicht wegen ihr. Mit einer Förderung der sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften hätten weit größere Erfolge erzielt werden können. Der Vorteil der PDP liegt auf der Hand: Effizienz, Geschwindigkeit und der Wille, die Ergebnisse den Ärmsten in den Entwicklungsländern zugutekommen zu lassen. Die Pharmaindustrie erzählt uns laufend, dass die Entwicklung eines Medikamentes circa 1 Milliarde Euro kostet. PDP können dies für rund ein Drittel immer noch kein Kleingeld. Und was sind dann die von der Regierung zugesagten 5 Millionen Euro pro Jahr im Vergleich zu den Kosten für ein einziges Medikament? Wohl gemerkt: Es gab Ausnahmen in dieser Regierung, die aber an ihren Kabinettskollegen gescheitert sind. Der Parlamentarische Staatsekretär Dr. Braun vom Bildungs- und Forschungsministerium hat sich mit viel Engagement dieser Sache verschrieben. Er besitzt den Weitblick, um über Deutschland hinauszudenken und entsprechende Initiativen auf europäischer Ebene voranzutreiben. Einig war man sich über alle Parteigrenzen hinweg, dass eine Ausweitung des Programms „Horizont 2020“ notwendig ist, gerade auch im Hinblick auf eine Forschungsförderung für vernachlässigte Krankheiten - und dann kommt der Finanzminister mit dem Rasenmäher und kürzt, gemeinsam mit der Kanzlerin, das EU-Budget dramatisch. Kohärenz und Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft sehen anders aus. Viele wichtige Initiativen, die die Gesundheit der Menschen zum Ziel haben, leiden oder versanden unter diesem Nichthandeln. TBVI beispielsweise, eine Initiative zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Tuberkulose, hätte ein europäisches Leuchtturmprojekt werden können, ganz im Sinne der Wachstumsstrategie „Europa 2020“. Leider fehlte die Unterstützung, sodass es auch hier wieder so aussieht, als würde Spitzenforschung auf andere Kontinente abwandern oder über private Stiftungen finanziert, die dann wiederum ihre speziellen Interessen verankern. Wenn wir also jetzt die „Performance“ der Regierung resümieren, müssen wir bedauernd feststellen, dass die Zukunftsfragen verspielt und die notwendigen Zukunftsinvestitionen versäumt wurden. Wenn dieses Versagen schon bei den offensichtlichen und oft diskuZu Protokoll gegebene Reden Karin Roth ({0}) tierten Problemen so evident ist, können wir uns lebhaft vorstellen, wie es zum Beispiel bei Krankheiten wie dem verstärkt aufkommenden Denguefieber - 300 bis 400 Millionen Neuinfektionen pro Jahr mit weiter steigender Tendenz besonders in den Millionenstädten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas - oder bei der Verhinderung von Todesfällen durch Schlangenbisse aussieht. Der Klimawandel wird dazu führen, dass viele Krankheiten des Südens uns alsbald erreichen. Die multiresistente Tuberkulose ist schon lange in Europa angekommen. Es fehlen jedoch die Medikamente dazu. Wie lange noch? Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie hätten die Chance gehabt, viel für die Menschen zu erreichen, spätestens nach der Vorlage unseres Antrags. Die Chance haben Sie verpasst. Es wird Zeit für eine neue Regierung.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einigkeit gibt es in diesem Hause zwischen den Fraktionen ja selten. Das ist in Anbetracht der Komplexität vieler der hier besprochenen Probleme auch kein Wunder. Erfreulich und der Sache hilfreich ist es aber immer dann, wenn ein Grundkonsens zwischen den Fraktionen besteht. Ja, beim Thema Bekämpfung von armutsbedingten Infektionskrankheiten - auch „vernachlässigte Krankheiten“ genannt - herrscht unter uns Abgeordneten die einhellige Meinung, dass Deutschland seinen Teil leisten soll. Das ist sehr erfreulich. Auch bei einem der Instrumente sind wir uns einig. Alle Fraktionen unterstützen das Product-Development-Partnership-Modell, PDP. Diese einhellige Meinung besteht nicht nur bei den Entwicklungspolitikerinnen und -politikern, wo man das vielleicht eher erwarten würde, sondern zum Beispiel auch in meinem Ausschuss, dem Forschungsausschuss. Also alles Konsens, könnte man meinen. Aber dann dürften die beiden hier vorliegenden Anträge zum Themen PDP ja nicht von Teilen des Parlaments abgelehnt werden, wie wir es heute wohl leider erleben werden. Denn trotz des Grundkonsenses streiten sich die Expertinnen und Experten der Fraktionen bei den Details durchaus. Im Kern geht es bei PDPs darum, dass Vertreter der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, des Staates und der Industrie zusammen daran arbeiten, Medizinprodukte zu entwickeln, die auch für die Menschen in den Entwicklungsländern erschwinglich sind. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise 2012 ein eigenes Budget zur Förderung der PDPs in den Haushalt aufgenommen. Unter der Großen Koalition hatte die SPD durch Budgeterhöhungen im Bereich der vernachlässigten Krankheiten dafür bereits den Weg geebnet. In Anbetracht der enormen Herausforderungen und Belastungen, welche die Infektionskrankheiten bereits heute für viele Entwicklungsländer bedeuten, ist die aktuelle Budgetsumme von circa 20 Millionen Euro für vier Jahre für PDP im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, aber mehr als bescheiden. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, wissen schon, dass zur Entwicklung nur eines Medikamentes im Durchschnitt Kosten von bis zu einer halben Milliarde Euro fällig werden können? Auch wenn PDPs Medikamente günstiger als die Industrie entwickeln, so sind 5 Millionen Euro pro Jahr einfach viel zu wenig. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns in unserem Antrag deshalb für ein Budget von 100 Millionen Euro für vier Jahre ein. Auch das ist im Angesicht der vor uns liegenden Aufgaben noch immer eine überschaubare Zahl. Aber sie ist doch realitätsnäher als Ihr Budget. Neben der Budgetanhebung fordern wir in unserem Antrag unter anderem auch, dass die Bundesregierung Konzepte vorlegt, wie die Karrierechancen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern erhöht werden können. Denn es gibt viele junge Menschen, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den Dienst einer guten Sache, wie der Entwicklung von bezahlbaren Medikamenten, stellen wollen. Aber dafür benötigen sie Strukturen und Unterstützung. Die schwarz-gelbe Bundesregierung sieht diesen Bereich aber leider nicht als prioritär an. Schade, so werden viele junge Menschen mittelfristig ihr Engagement in diesem Bereich wohl bald wieder einstellen müssen. Neben dem Antrag der SPD stimmen wir heute auch über einen Antrag der Linken ab. In meiner Rede vom 1. Dezember 2011 bin ich bereits im Detail auf diesen Antrag eingegangen und habe erklärt, warum wir diesen nicht mittragen können. Die meisten Forderungen sind einfach unrealistisch. Das liegt aber wohl daran, dass die Linke sowieso nicht davon ausgeht, diese irgendwann als Teil einer Bundesregierung umsetzen zu müssen; diese Einschätzung teile ich. Die Linke will zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die Industrie dazu verpflichten, Produkte für die Gesundheitsbedürfnisse in Entwicklungsländern herzustellen. Ein hehres Ziel, aber wie soll das umgesetzt werden? In der DDR hätten man das wohl von oben befehlen können - wahrscheinlich trotzdem ohne das gewünschte Ziel zu erreichen -, aber in der Bundesrepublik kann der Staat Wissenschaft und Industrie zum Glück nicht einfach so Dinge vorschreiben. Genauso weltfremd ist die Forderung, dass die forschenden Arzneimittelhersteller alle ihre geistigen Eigentumsrechte an den Wirkstoffen in einen Patentpool abgeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gut gemeinte, aber weltfremde Forderungen werden am Ende den Menschen nicht helfen, sondern allein die Umsetzungen von realistischen Ansätzen. Davon sind Sie noch weit entfernt. Auch wenn wir zwischen den Fraktionen bei der Umsetzung durchaus unterschiedliche Auffassungen haben, so lassen Sie uns alle doch trotzdem auch weiterhin gemeinsam für eine Verbesserung der Lebensumstände von Menschen in Entwicklungsländern arbeiten, zum Beispiel durch die weitere Förderung von PDP. Zu Protokoll gegebene Reden

Dr. Peter Röhlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004137, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir sprechen heute über zwei gut gemeinte Anträge der Opposition zu einem wichtigen Thema. In beiden Anträgen geht es darum, die Millenniumsentwicklungsziele im Auge zu behalten und sich ihnen anzunähern, hier speziell in Bezug auf die Eindämmung der sogenannten vernachlässigten Krankheiten in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Krankheiten sind teilweise behandelbar und wären in vielen Fällen vermeidbar, wenn, ja, wenn die Lebensumstände der betroffenen Menschen andere wären. Es gibt manche Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung: Unser Ziel und auch das der SPD ist es, Forschungs- und Versorgungslücken zu schließen. Ein probates Instrumentarium dafür sind zum Beispiel die Produktentwicklungspartnerschaften, PDPs. In diesen Verbünden kooperieren Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft, von Nichtregierungsorganisationen, NGOs, und von staatlichen Stellen. Dabei geht es um die Bereitstellung von erschwinglichen Produkten, mit denen die medizinische Versorgung in Schwellen- und Entwicklungsländern verbessert werden kann. Die Bundesregierung unterstützt derzeit drei Verbünde, nämlich Drugs for Neglected Diseases, DNDi, Foundation for Innovative New Diagnostics, FIND, und European Vaccine Initiative, EVI. Diese drei Verbünde kämpfen gegen die Schlafkrankheit, gegen viszerale Leishmaniose, gegen Chagas, Wurmkrankheiten und Malaria. Die Bundesregierung hat dafür 20 Millionen Euro bereitgestellt. Wenn dieser neue Weg erfolgreich ist, werden in absehbarer Zeit Medikamente und Impfstoffe für die Betroffenen nicht nur zur Verfügung stehen, sondern auch erreichbar und zugänglich sein. Das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die SPD meint nun, das sei viel zu wenig, und fordert stattdessen einen Betrag von 100 Millionen Euro. Aber die SPD ist ja auch in der Opposition und muss nicht sagen, woher das Geld kommen soll. Außerdem kritisiert die SPD, es habe zu lange gedauert, bis diese neuen Wege im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten beschritten worden seien. Das kommt mir ein bisschen so vor wie die Sache mit dem Glas, das man - je nach Standpunkt - als halb leer oder als halb voll bezeichnen kann. Wenn Sie meinen, dass 20 Millionen Euro nicht reichen, haben Sie sicher recht. Aber wir haben leider nicht die Möglichkeit, alles zu finanzieren, was erforderlich und wünschenswert wäre. Dass die Bundesregierung in diesen Zeiten dennoch so viel Geld lockermacht, um kranken Menschen in armen Ländern zu helfen, verdient Anerkennung. Ich jedenfalls freue mich über das, was wir in dieser Sache erreicht haben. Der Antrag der Linken hat eine etwas andere Stoßrichtung. Es stimmt, dass die Armen dieser Welt nur über geringe Kaufkraft verfügen und deshalb für die Pharmaindustrie keinen besonders interessanten Markt darstellen. Die Linke meint, da müssten Zwangsmaßnahmen ergriffen werden. Arzneimittelhersteller und Forschungsinstitute sollen zur Freigabe von Patentrechten genötigt werden. Außerdem fordert die Linke zusätzliche Auflagen und Abgaben für Pharmaunternehmen. Ob man mit solchen Maßnahmen die Forschung für die Armen der Welt beflügeln kann, wage ich zu bezweifeln. Mit solchen Maßnahmen kann man dem Wirtschaftsstandort richtig schaden. Aber davon haben die Kranken in den Schwellen- und Entwicklungsländern nichts. Wie solche Maßnahmen den Kranken dort Zugang zu Medikamenten verschaffen sollen, bleibt das Geheimnis der Linken. Wir Liberalen sind da pragmatisch. Wir sind der Meinung: Wenn die Pharmaindustrie sich auf Medikamente konzentriert, mit denen sich Gewinne erzielen lassen, ist das nicht irgendwie verwerflich, sondern marktwirtschaftlich erfolgreiches Handeln. Wenn wir Politiker erreichen wollen, dass auch vernachlässigte Krankheiten erforscht und Behandlungen ermöglicht werden, wo keine Gewinne zu erwarten sind, dann müssen wir Anreize schaffen. Das BMBF schafft solche Anreize, indem es die Entwicklung von Produkten zur Prävention, Diagnose und Behandlung von vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten fördert. Das ist der richtige Weg, den die Koalitionsfraktionen gerne unterstützen. Die Anträge von SPD und Linken lehnen wir ab.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Alle Menschen weltweit müssen ungeachtet ihrer Kaufkraft Zugang zu lebensnotwendigen Gesundheitsprodukten haben. Es wäre die zentrale Aufgabe der Pharmahersteller, auch für Krankheiten, die nur in armen Ländern vorkommen, ein adäquates Angebot an Medikamenten zu entwickeln. Doch das geschieht in der Realität leider gerade nicht. Weltweit haben noch heute, im 21. Jahrhundert, etwa 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu wichtigen Medikamenten und Gesundheitsdienstleistungen. Wer nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, für den existiert das Menschenrecht auf Gesundheit nur auf dem Papier. Das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage versagt nirgendwo so kläglich wie bei der Bereitstellung lebensrettender Medizin für die Ärmsten dieser Welt. Aus Profitinteresse konzentriert die Pharmaindustrie ihre Wirkstoffforschung vor allem auf Krankheiten, bei denen ein fertiges Medikament in den Industrieländern großen Absatz verspricht. Menschen in den Ländern des Südens haben zwar einen lebensnotwendigen Bedarf, aufgrund geringer Einkommen stellt dieser Bedarf allerdings keinen wirtschaftlichen Anreiz dar und wird viel zu wenig bedient. Nur 10 Prozent der globalen Forschungsausgaben beziehen sich auf Krankheiten, die zu 90 Prozent zur globalen Krankheitslast beitragen. Dieses Missverhältnis und seine fatalen Folgen für die Gesundheitssituation in Entwicklungsländern sind völlig grotesk, denn: pharmazeutische Firmen geben Zu Protokoll gegebene Reden mehr als doppelt so viel für Marketing aus wie für Forschung! Die Pharmaindustrie betreibt lieber Wirkstoffforschung für Wellnessmedikamente, die später große Gewinne in den Industrieländern versprechen, anstatt den lebensnotwendigen Bedarf in den Entwicklungsländern zu decken. Ein bedeutender Teil der Pharmaentwicklungen in Industrieländern kommt aus öffentlich finanzierter Grundlagenforschung. Sie orientiert sich leider unter dem zunehmenden Druck zur Eigenfinanzierung immer mehr an profitträchtigen Bereichen, also an Krankheiten, die vor allem in reichen Ländern auftreten. Pharmafirmen greifen die Ergebnisse aus öffentlich finanzierter Grundlagenforschung häufig auf, führen die klinischen Tests durch und patentieren und vermarkten schließlich das fertige Produkt. Forschungsinstitute bzw. sogenannte Patentverwertungsagenturen patentieren entsprechende öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse, um diese gewinnbringend vermarkten zu können. Die Möglichkeit einer kostengünstigen Nutzung durch nichtprofitorientierte Forschungskonsortien oder aber auch direkt für die Entwicklung und Herstellung von Produkten für arme Länder ist derzeit nicht explizit vorgesehen; und das, obwohl die öffentliche Hand durch die finanzielle Förderung hier direkte Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Geistige Eigentumsrechte erzeugen gerade in der Pharmaindustrie eine Monopolstellung, die letztlich zu hohen und für arme Menschen nicht bezahlbaren Preisen führt. Sie behindern außerdem weitergehende Forschung und Produktentwicklung durch Dritte. So werden Innovationsprozesse aufgehalten und Produkte künstlich teuer gehalten. Die Versorgung der Betroffenen muss aber unbedingt im Mittelpunkt der Bemühungen stehen! Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte - TRIPS - der Welthandelsorganisation, WTO, setzt weltweit Mindeststandards für den Schutz geistiger Eigentumsrechte. Es erlaubt Entwicklungsländern zugleich, bestimmte Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen. Internationale Konzerne versuchen jedoch immer wieder durch Klagen, solche Schutzmaßnahmen zu verhindern. Die EU-Kommission versucht sogar, in Handelsverträgen etwa mit Indien oder dem Mercado Común del Sur - MERCOSUR - sogenannte TRIPS-plus-Bestimmungen durchzusetzen, die noch restriktiver sind als das TRIPS-Abkommen selbst. Diese Politik versucht, die Gewinne der Pharmaindustrie abzusichern, obwohl sie negative Folgen für die Arzneimittelversorgung in armen Ländern hat. Die schwarz-gelbe Bundesregierung treibt diese Politik zugunsten der Pharmaindustrie in Brüssel aktiv voran. Sie dient der Pharmalobby, die zu den mächtigsten im Lande gehört - und damit nicht dem Wohl der Menschen. Das Freihandelsabkommen der EU mit Indien, dem größten Generikahersteller weltweit, steht kurz vor dem Abschluss. Dazu erklärte Oxfam kürzlich sehr treffend: „Im Zuge verschiedener kürzlich getroffener Entscheidungen in Indien, die positiv für die Versorgung mit Medikamenten sind, versucht die EU jetzt umso eifriger, Indien als ‚Apotheke der Armen‘ zu verhindern und sicherzustellen, dass die Profite von Pharmaunternehmen erhalten bleiben.“ Die Linke hat im Bundestag die gesetzlich bindende Einrichtung eines Fonds gefordert, der eine Abgabe auf die jährlichen auf Ärzte bezogenen Marketingausgaben von Pharmafirmen in Höhe von 5 Prozent vorsieht und dessen Einnahmen exklusiv in die Forschung an vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten fließen sollen. In Italien existiert dieses Modell bereits. Selbst dieser Forderung nach einer kleinen Einschränkung der Interessen der Pharmaindustrie ist keine der anderen Bundestagsfraktionen gefolgt. Die Linke ist die einzige Partei, die die unausweichlichen Konflikte mit der Pharmaindustrie und ihrer mächtigen Lobby nicht scheut. Open-Access-Lösungen, also der kostenlose Zugang zu wissenschaftlicher Literatur bzw. Daten, gehört die Zukunft. Das Menschenrecht auf Gesundheit - das Leben unzähliger Menschen muss Vorrang haben vor der Gier einiger Weniger, mithilfe der Pharmaindustrie ihren Reichtum immer weiter zu vergrößern. Produktentwicklungspartnerschaften bündeln öffentliche und private Kräfte, um Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Der vorliegende SPD-Antrag fordert richtigerweise, diese deutlich zu stärken, und kritisiert die Bundesregierung zu Recht für ihren halbherzigen Umgang mit diesem Instrument. Auf zentrale Probleme wie das bestehende Patentsystem geht er leider nicht ein. Die Linksfraktion stimmt deshalb mit Enthaltung.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist ein Skandal, dass in der heutigen Zeit weltweit 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten haben. Dies ist auch eine grobe Missachtung des Menschenrechts auf Gesundheit mit schwerwiegenden Folgen für die Menschen und ganze Gesellschaften. Insbesondere die so genannten vernachlässigten und armutsbedingten Tropenkrankheiten aber auch Aids, Tuberkulose und Malaria fordern täglich 35 000 Todesopfer. Diese Krankheiten können schwere körperliche Beeinträchtigungen und Behinderungen hervorrufen und beeinträchtigen das Leben von über 1 Milliarde Menschen. Viele dieser Krankheiten sind behandelbar oder wären sogar vermeidbar. Besonders hier zeigt sich wie eng Armut und Krankheit zusammenhängen. Die meisten Erkrankungen in Entwicklungs- und Schwellenländern sind nämlich armutsbedingt. Aber auch umgekehrt gilt: Krankheiten fördern und verursachen Armut, sind deshalb ein bedeutendes Entwicklungshemmnis und konterkarieren die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit. Zu Protokoll gegebene Reden Neben funktionierenden öffentlichen und solidarischen Gesundheitssystemen gilt es vor allem, die Forschungs- und auch die Versorgungslücke zu schließen, um den Zugang zu Medikamenten zu verwirklichen. Vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten betreffen insbesondere Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern mit geringer Kaufkraft und bieten bisher kaum wirtschaftliche Anreize für pharmazeutische Unternehmen, Produkte gegen diese Krankheiten zu entwickeln. Wir müssen daher auch darüber diskutieren, wie viel Innovationskraft das derzeitige Patentsystem tatsächlich noch hat und welche Impulse hierdurch gesetzt werden. Ein neues Medikament beinhaltet mittlerweile bis zu 100 Patente. Man spricht hier auch von einem „Patent-Dickicht“. Dieses Dickicht kann ganze Forschungsgebiete blockieren. Darüber hinaus zielten weniger als 2 Prozent der neuentwickelten pharmazeutischen Wirksubstanzen zwischen 1975 und 2004 auf vernachlässigte Krankheiten einschließlich Malaria und Tuberkulose ab. Und immer noch gilt, dass sich nur 10 Prozent der Forschung mit 90 Prozent der weltweiten Gesundheitsprobleme befassen. Da stellt sich also ganz massiv die Frage, ob hier die richtigen Anreize gesetzt werden. Deshalb müssen wir auch darüber reden, ob und wie man Forschungskosten vom Medikamentenpreis entkoppeln kann. In diesem Zusammenhang muss die Pharmaindustrie auch endlich ihre Kostenrechnungen für diese Produkte nachvollziehbar offenlegen. Worüber wir aber nicht verhandeln können, ist das Menschenrecht auf Gesundheit. Im Kampf gegen die vernachlässigten und armutsbedingten Krankheiten können Produktentwicklungspartnerschaften ein wichtiges Instrument sein. Deshalb unterstützen wir auch den Antrag der SPDFraktion, der ebenso wie unser grüner Antrag, eine deutliche Aufstockung der Mittel in diesem Bereich fordert. Die Anträge der Opposition dokumentieren auch, dass die Koalition hier versagt hat. Denn ohne konkrete Forderungen zur Bereitstellung von zusätzlichen Haushaltsmitteln lässt sich der Kampf gegen vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten nicht gewinnen. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit in der Entwicklungspolitik lassen sich nicht mit bloßen Lippenbekenntnissen schaffen. Aber nicht nur die vielen leeren Versprechungen der Bundesregierung verhindern weitreichende Fortschritte, sondern auch die fehlende Politikkohärenz. Die Handels- und Entwicklungspolitik müssen endlich in Einklang gebracht werden! In den letzten vier Jahren spielte die Bundesregierung eine eher unrühmliche Rolle in den Verhandlungen zu Freihandelsabkommen und setzte auf eine Verschärfung der geistigen Eigentumsrechte statt auf das Menschenrecht auf Gesundheit. Menschenrechte sind aber nicht verhandelbar!

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/ 13463. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8183. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7372. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 17/12856 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/13496 Berichterstattung: AbgeordneterThomas Lutze Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Europa wächst immer mehr zusammen, die europäische Integration schreitet voran. Erst heute Nachmittag haben wir hier im Deutschen Bundestag dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union zugestimmt. Am 1. Juli dieses Jahres wird es so weit sein. Dann wird Kroatien der 28. Mitgliedstaat der EU. Für andere junge Mitgliedstaaten wie Bulgarien und Rumänien laufen Übergangsbestimmungen aus. So sind mit Wirkung vom 1. Januar 2012 sämtliche Beschränkungen für Kabotageverkehre aus diesen Ländern innerhalb Deutschlands weggefallen. All diese Änderungen veranlassen uns als Gesetzgeber, unser nationales Recht anzupassen. Das vorliegende Gesetz, das wir heute voraussichtlich mit einer breiten Mehrheit, die auch den Großteil der Opposition einschließt, verabschieden, ist eines von mittlerweile vielen Beispielen, die zeigen, wie stark der Einfluss Europas auf die nationale Gesetzgebung und damit auch auf unsere Arbeit hier im Deutschen Bundestag gewachsen ist. Da die einzelnen Regelungen, die mit dem vorliegenden Gesetz geändert werden, im Wesentlichen technischer bzw. redaktioneller Natur sind, möchte ich gern die Gelegenheit nutzen, im Vorfeld darauf hinzuweisen, wie wichtig es inzwischen für uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages ist, sich mit Europa und den europäi30400 schen Gesetzgebungsprozessen zu beschäftigen. Die vereinzelt immer wieder zu vernehmenden Klagen darüber, was uns denn nun schon wieder von Brüssel aus vorgeschrieben wurde, sind nämlich in den meisten Fällen das Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Sie sind die Folge dessen, dass man selbst nicht rechtzeitig aktiv geworden ist. Der Deutsche Bundestag hat besonders nach dem Vertrag von Lissabon eine eigene Verantwortung bei der Mitgestaltung europäischer Rechtsvorschriften. Er muss diese Verantwortung aber auch beherzt wahrnehmen. Natürlich heißt das auch, das man sich ein wenig an andere Spielregeln gewöhnen muss. In einem Europa mit demnächst 28 Mitgliedstaaten hat Deutschland kein Vetorecht. Wenn wir unsere Positionen also durchsetzen möchten, heißt das, wir müssen uns auch frühzeitig innerhalb Europas Mehrheiten suchen. Meine Erfahrung ist darüber hinaus auch, dass es sich lohnt, sehr früh auf die EU-Kommission zuzugehen und ihr mitzuteilen, wie die Auffassung des Deutschen Bundestages zu bestimmten Vorhaben ist. Hier, denke ich, sind wir inzwischen auf einem guten Weg. Ich sehe aber an einigen Stellen immer noch Verbesserungspotenzial. Was das vorliegende Gesetz angeht, so tragen wir mit der Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes zum einen der Tatsache Rechnung, dass seit dem 1. Januar 2013 keine Möglichkeit mehr besteht, Kabotageverkehre aus Bulgarien und Rumänien innerhalb Deutschlands zu verbieten. Die bisherige Beschränkung im Güterkraftverkehrsgesetz ist daher aufzuheben. Dafür wird zum anderen mit Blick auf den Beitritt Kroatiens zum 1. Juli diese Jahres die hierfür notwendige Kabotagebeschränkung in das Gesetz aufgenommen. Ferner setzen wir mit der Änderung des Fahrpersonalgesetzes eine völkerrechtliche Verpflichtung aus dem Europäischen Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR, um. Damit können künftig Ordnungswidrigkeiten im Anwendungsbereich des AETR in Deutschland auch dann geahndet werden, wenn sie im Ausland begangen wurden. Im Binnenschifffahrtsaufgabengesetz schaffen wir eine Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Adressdaten aus der Binnenschiffsbestandsdatei an das Bundesamt für Güterverkehr. Bislang fehlt diese Möglichkeit. Da das BAG die Daten zum Zwecke seiner Aufgabenerfüllung jedoch braucht, insbesondere für die Marktbeobachtung, ist eine entsprechende Änderung notwendig. Infolge der Umsetzung der 3. EU-Führerscheinrichtlinie erfolgen im Fahrlehrergesetz Ergänzungen hinsichtlich der Lehrberechtigung für Fahrlehrer. Im Straßenverkehrsgesetz werden die Löschfristen für Daten in den örtlichen Fahrerlaubnisregistern angepasst. Weiterhin wird die verkehrsrechtliche Einordnung von Elektrofahrrädern klargestellt. Sie sind hiernach dann nicht als Kraftfahrzeug anzusehen, wenn sie mit Muskelkraft und elektrischem Hilfsantrieb von höchstens 0,25 Kilowatt fortbewegt werden, wobei der elektrische Antrieb ab einer Geschwindigkeit von 25 Kilometer pro Stunde abschalten muss. Schließlich ändern wir das Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass bei Erwerb der Grundqualifikation keine Fahrerlaubnis mehr vorliegen muss. Auch hier reagieren wir auf europarechtliche Anforderungen. Sie sehen: Europa ist allgegenwärtig. Damit schließt sich auch wieder der Kreis zu dem, was ich eingangs gesagt hatte: Die europäische Integration schreitet voran. Und es ist unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag, hier am Ball zu bleiben und die europäische Gesetzgebung aktiv mitzugestalten.

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch wenn sich die Legislaturperiode dem Ende zuneigt, muss nicht zwangsläufig zu jedem Gesetzesvorhaben ein politischer Dissens entstehen. Das zeigt der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, über den wir heute in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten. Im März hat der Bundesrat dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf bereits grundsätzlich zugestimmt und nur einige geringfügige Änderungen und Ergänzungen vorgeschlagen. Diese Wünsche haben wir seitens der Koalitionsfraktionen mit einem entsprechenden Änderungsantrag übernommen. Zudem haben wir selbst auch noch weitere Anpassungen empfohlen. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung fand der Gesetzentwurf in der so geänderten Form ebenfalls breite Zustimmung. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen haben sich der Stimme enthalten. Insofern empfiehlt der zuständige Fachausschuss also nahezu einstimmig, die Gesetzesänderungen zu beschließen. Diese Einmütigkeit ist nicht verwunderlich. Denn in der Sache geht es im Wesentlichen um redaktionelle Anpassungen und Klarstellungen, die aufgrund geänderter Rahmenbedingungen erforderlich sind. Vor allem im Bereich des Güterkraftverkehrs sind an unterschiedlichen Stellen geringfügige Gesetzesänderungen vorzunehmen. Die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte möchte ich gerne kurz darstellen. Als Erstes sei die Anpassung der Kabotagebestimmungen genannt. So sind zwischenzeitlich die Kabotagebeschränkungen für Bulgarien und Rumänien infolge des EU-Beitritts der beiden Länder weggefallen. Auch für Kroatien werden diese Beschränkungen in Kürze entbehrlich, da auch dieses Land der EU beitritt. Dieser Umstand macht Änderungen im Güterkraftverkehrsgesetz erforderlich. Der zweite Punkt ist die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Nutzung von Daten aus der Werkverkehrsdatei. Das Bundesamt für Güterverkehr hat im Rahmen seiner Aufgaben unter anderem Vorsorgeplanungen für Krisensituationen durchzuführen, um beispielsweise im Falle einer Naturkatastrophe Engpässe Zu Protokoll gegebene Reden an Transportkapazitäten zu vermeiden. Dazu soll das Bundesamt künftig nun auch auf die Daten aus der bei ihm bereits geführten Werkverkehrsdatei zugreifen dürfen, in der sämtliche Unternehmen aufgelistet sind, die Werkverkehr betreiben. Das Dritte ist die Änderung des Fahrpersonalgesetzes. Hier geht es um die Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen aus dem Europäischen Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR-Abkommen. Durch die Neuregelung soll das bisher gültige Prinzip der Territorialität durchbrochen werden. Wie vom AETR-Abkommen vorgesehen, können dann auch Verstöße gegen das Abkommen in Deutschland geahndet werden, selbst wenn diese außerhalb des Landes begangen worden sind. Des Weiteren ist eine Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes vorgesehen. Dort soll eine Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Adressdaten aus der Binnenschiffsbestandsdatei an das Bundesamt für Güterverkehr geschaffen werden. Ziel ist es, die Marktbeobachtung effektiver zu gestalten. Denn das Bundesamt führt regelmäßig Marktgespräche mit Unternehmen und Vertretern des Verkehrsgewerbes und auch schriftliche Umfragen durch, um etwa die aktuelle Situation in der Binnenschifffahrt besser beurteilen zu können. Die Teilnahme an den Gesprächen und Umfragen erfolgt zwar auf freiwilliger Basis, setzt aber voraus, dass dem Bundesamt der potenzielle Teilnehmerkreis bekannt ist und angesprochen werden kann. Fünftens möchte ich die Änderung des Fahrlehrergesetzes erwähnen. Dabei geht es allerdings lediglich um redaktionelle Anpassungen und Folgeänderungen, die sich aus der sogenannten dritten EU-Führerscheinrichtlinie und der Änderung der FahrerlaubnisVerordnung ergeben. Im Rahmen dessen wurden nämlich die Fahrerlaubnisklassen teils neu definiert, außerdem wurde die Geschwindigkeitsbeschränkung der Klasse L von 32 auf nunmehr 40 Kilometer pro Stunde angehoben. Vor diesem Hintergrund muss nun auch das Fahrlehrergesetz entsprechend angepasst werden. Ein weiterer Punkt ist die Ergänzung der Kraftfahrzeugdefinition im Straßenverkehrsgesetz. Konkret geht es um die Einstufung von Elektrofahrrädern, die sich zunehmend größerer Beliebtheit erfreuen. Auch ich selbst bin begeisterter Nutzer eines solchen Rades. Aber angesichts des breiten Spektrums verschiedener Modelle gibt es teilweise Rechtsunsicherheiten. Die Nutzer fragen sich, wie diese Fahrzeuge verkehrsrechtlich einzustufen sind und ob daraus bestimmte Konsequenzen für sie folgen, etwa im Hinblick auf Fahrerlaubnis, Verhalten oder Zulassung. Doch da wollen wir nun Klarheit schaffen. Wir greifen die Vorschläge der Bund-Länder-Fachausschüsse und des Verkehrsgerichtstages auf und machen die notwendigen Klarstellungen im nationalen Recht. Damit ist klar, dass Elektrofahrräder keine Kraftfahrzeuge sind, wenn der Hilfsantrieb über maximal 0,25 Kilowatt verfügt und beim Erreichen der Geschwindigkeit von 25 Kilometer pro Stunde automatisch aussetzt. Auch eine Anfahrhilfe ist zulässig, die das Fahrrad ohne gleichzeitiges Treten des Fahrers auf eine Geschwindigkeit von bis zu 6 Kilometer pro Stunde per Elektromotor beschleunigt. Als Letztes will ich noch die Anpassung des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes nennen. In diesem Zusammenhang schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass bei Erwerb der Grundqualifikation keine Fahrerlaubnis mehr vorliegen muss. Bislang besteht noch ein Widerspruch zwischen Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung und Fahrerlaubnis-Verordnung, den die Bundesregierung auflösen wird. Durch die seit dem 19. Januar 2013 geltende Fassung ist das Mindestalter für den Erwerb bestimmter Fahrerlaubnisklassen abgesenkt, sofern eine Grundqualifikation vorliegt. Voraussetzung für den Erwerb der Grundqualifikation ist laut Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung jedoch wiederum das Vorliegen der Fahrerlaubnis. Diesen Widerspruch wird die Bundesregierung durch eine entsprechende Änderung der Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung beseitigen, damit die Grundqualifikation auch ohne Vorliegen einer Fahrerlaubnis erfolgen kann. Der Deutsche Bundestag sollte daher im Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz nun klarstellen, dass bei Erwerb der Grundqualifikation aber die Begleitung durch einen Fahrlehrer erfolgen muss. All dies sind sinnvolle und notwendige Anpassungen. Daher freue ich mich auf Ihre breite Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Klarstellung zu Beginn: Die SPD-Fraktion wird dem vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen. Aber in einem Punkt entlarvt er die Untätigkeit der Bundesregierung, die bisweilen an Arbeitsverweigerung grenzt. Die redaktionellen Änderungen und Anpassungen in den einzelnen Gesetzen, die die Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf vornimmt, sind sinnvoll. Ja, sie sind notwendig. Geändert werden, allgemein betrachtet, Kleinigkeiten, die aus juristischer Sicht jedoch wichtig sind: so unter anderem im Güterkraftverkehrsgesetz, im Fahrpersonalgesetz und auch im Straßenverkehrsgesetz. Im Letzteren wird übrigens Klarheit über die verkehrsrechtliche Einstufung von Elektrofahrrädern geschaffen. Endlich. Denn angesichts der zunehmenden Beliebtheit dieser Räder und der unterschiedlich motorisierten Varianten der Drahtesel waren klare Vorschriften hier dringend nötig geworden. Diese Änderung geht damit auf das Ergebnis des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstages Anfang 2012 zurück, an dem ich mitarbeiten durfte. Aber nun kommen wir zum Knackpunkt, der sich in Form eines Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen zum Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz darZu Protokoll gegebene Reden stellt. Nochmals: In der aktuellen Situation ist dieser Antrag sinnvoll, löst er doch ein Problem, das die Bundesländer bei der Umsetzung desoben genannten Gesetzes haben. Nur wäre das Problem gar nicht entstanden, wenn diese Regierung ihre Hausaufgaben gemacht hätte. Aber Schritt für Schritt, Worum geht es? Das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz aus dem Jahr 2006 verlangt unter anderem von allen Berufskraftfahrenden, dass sie sich jährlich sieben Stunden weiterbilden. Uberprüft wird dies alle fünf Jahre bei der Verlängerung ihrer Fahrerlaubnis. Weisen sie dort die erforderlichen 35 Stunden Seminare nach, gibt es einen Eintrag auf dem Führerschein: Die Schlüsselzahl 95 zeigt bei jeder Kontrolle die Einhaltung der Vorschrift an. Bei seiner Umsetzung in die Praxis - das Gesetz betrifft 805 000 Berufskraftfahrende in Deutschland sind erhebliche Probleme aufgetreten. Diese wurden bereits 2011 durch den Bund-Länder-Arbeitskreis erkannt und benannt. Seit dieser Zeit kennt also die Bundesregierung den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet. Dies dokumentiert sie auch in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage vom Januar dieses Jahres. Was bemängeln die Länder als die Überwachungsbehörden, die Fahrschulen als die Ausführenden und die betroffenen Speditionen und ihre Mitarbeitenden? Das Gros der Lkw-Fahrenden ist bei kleinen Verkehrs- und Logistikunternehmen angestellt, denn diese prägen mit einem Anteil von 75 Prozent die Branche. Diese kleineren Betriebe suchen, angesichts des allgemeinen und internationalen Kostendrucks, nach günstigen, ja billigen Wegen, um die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen. Ergebnis: Die Fahrenden müssen die Kosten für ihre Weiterbildung von einem oftmals geringen Gehalt selber tragen und für die Schulungszeiten ihren Jahresurlaub opfern. In vielen Fällen kommt es daher zum schwunghaften Handel mit Teilnahmebescheinigungen, ohne dass eine Seminarteilnahme stattgefunden hat. Oder die Betriebe wählen für ihr Personal den günstigsten Anbieter für die Schulung, die zum Teil aufgrund fehlender Qualitätskriterien inhaltsleere Veranstaltungen zu Dumpingpreisen anbieten. Beiden Problemen wäre mit klaren Vorschriften zu begegnen: So gibt es für die Inhalte der Seminare keine Kriterien. Zurzeit existiert zwar ein Katalog mit drei Kenntnisbereichen und diversen Unterthemen wie spritsparendes Fahren oder Ladungssicherung. Aber es ist nirgends festgelegt, wie viele der Themen in dem Fünfjahreszeitraum besprochen werden müssen. Theoretisch ist die Qualifikationsauflage auch erfüllt, wenn sich der Kraftfahrer 35 Stunden über das Thema „Schaltstelle Fahrer: Dienstleister, Imageträger, Profi“ unterhält. Auch ist die Zulassung und Überwachung der Schulungseinrichtungen nicht einheitlich geregelt. Qualitätskriterien für die Qualifikation der Lehrenden fehlen. Hier hat die Bundesregierung versagt. Sie hat den Ländern und auch den Seminaranbietenden keinerlei Standards vorgegeben, die einerseits die Kontrolle ermöglichen, aber auch andererseits für Wettbewerbsgleichheit sorgen. Die Fahrschule, die ein gutes und somit auch preislich im höheren Bereich liegendes Angebot macht, hat das Nachsehen gegenüber minderwertigen Billiganbietern. So fehlen den Ländern auch Regeln zur Überwachung und zur Kontrolle der Weiterbildung Fahrlehrender. Insofern handelt es sich bei dem vorgelegten Änderungsantrag um eine vernünftige Maßnahme. Er entlastet die Länder. Denn der Änderungsantrag sieht vor: Die Nachweispflicht der Lehrenden, dass sie an einer Weiterbildung - für die es ja zurzeit auch keinerlei Regeln gibt - teilgenommen haben, soll gestrichen werden. Künftig sollen die Ausbildungsstätten eine fortlaufende Weiterbildung des Lehrpersonals nur noch gewährleisten. Diese Änderung ist richtig. Vorläufig. Aber um das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz zu dem zu machen, wozu es gedacht ist - einer Hilfestellung für Brummi-Fahrende, ein Instrument zur Steigerung der Verkehrssicherheit und eine Weiterentwicklung sowohl im Umweltschutz als auch bei der Wirtschaftlichkeit -: Da fehlen die erwähnten Regeln und Verordnungen. Der Bundesregierung ist all dies nach eigenen Angaben bekannt. Im Verkehrsausschuss am Mittwoch dieser Woche musste sie jedoch zugeben, dass die notwendigen Änderungen der Gesetze in dieser Wahlperiode nicht mehr verabschiedet werden. Möglicherweise wird es jedoch noch zu Regelungen auf dem Verordnungswege kommen. Das ist nur ein weiteres Beispiel für die Stillstandspolitik, die für diese Regierung und insbesondere für den Ankündigungsminister Ramsauer nichts Neues ist. Freuen wir uns auf eine neue Wahlperiode mit einer neuen rot-grünen Bundesregierung, die auch dieses Problem endlich einer Lösung zuführen wird.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die christlich-liberale Koalition regiert Deutschland seit vier Jahren. Und es sind bisher vier gute Jahre gewesen - auch und besonders in der Verkehrspolitik. Bereits im Koalitionsvertrag hatten wir uns auf eine Vielzahl an Vorhaben und Maßnahmen verständigt, die in Deutschland nicht zuletzt einer nachhaltigeren, stetigeren und effizienteren Finanzierung unserer Infrastruktur dienen sollen. Hierzu gehören unter anderem neue Kriterien zur Priorisierung von Investitionsprojekten, eine neue Grundkonzeption für den kommenden Bundesverkehrswegeplan, die Weiterentwicklung der VIFG, der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH, die Verbesserung der Modelle für die Beteiligung Privater im Rahmen von ÖPP, die Beschleunigung und Vereinfachung des Planungsrechts sowie KapazitätsZu Protokoll gegebene Reden verbesserungen durch Verkehrssteuerungs- und Managementsysteme, um nur ein paar wenige Projekte zu nennen. Und mit derselben Zielstrebigkeit haben wir in den vergangenen Monaten die Novellierung des Güterverkehrsrechts vorangetrieben, über welches wir heute debattieren. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze wollen wir als christlich-liberale Koalition eine Vielzahl an Regelungen und Vorschriften anpassen, klarstellen und präzisieren: angefangen beim Güterkraftverkehrsgesetz über das Fahrpersonalgesetz bis hin zum Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz. Lassen Sie mich an dieser Stelle daher nur die wesentlichen Änderungen umreißen. Bei Gefahrgut- und Tachografenkontrollen kam es zwischen Lastkraftwagenfahrern einerseits und Beamten des BAG andererseits in der Vergangenheit immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Dieses hat nun ein Ende. In Zukunft muss der Lkw-Fahrer dem BAG-Beamten Zutritt zum Fahrzeug gestatten, da die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer für uns im Zweifel Vorrang hat. Damit verbunden haben wir zudem neu geregelt, dass die Ladungsbegleitpapiere nicht mehr zwangsläufig in ausgedruckter Form vorliegen müssen, sondern bei einer Kontrolle beispielsweise auch auf einem Smartphone oder Notebook präsentiert werden können. Allerdings muss der Lastkraftwagenfahrer sicherstellen, dass die zuständigen Beamten die Dokumente jederzeit ohne technische Hilfsmittel einsehen können. Es reicht also nicht, bloß eine CD mit den notwendigen Papieren mit sich zu führen, wenn diese nicht auch abgespielt werden kann. Im Vorgriff auf den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union am 1. Juli dieses Jahres, den ich, am Rande bemerkt, sehr begrüße, wird im Güterkraftverkehrsgesetz bereits die notwendige Kabotagebeschränkung verankert. Die bereits ausgelaufenen Kabotagebeschränkungen für Rumänien und Bulgarien werden hingegen gestrichen. Ein weiterer europarechtlicher Punkt betrifft die Ahndung von Auslandstaten, wozu Deutschland sich gemäß des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR, verpflichtet hat. Hierfür schaffen wir mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf die entsprechende Rechtsgrundlage. Abschließend sei erwähnt, dass wir auch mit widersprüchlichen Regelungen zur Berufskraftfahrerqualifikation und zum Fahrerlaubniserwerb aufgeräumt haben. Auch wenn diese Regelungen auf den ersten Blick nur als redaktionelle Anpassungen oder Klarstellungen erscheinen, so werden sie im Alltag vieles einfacher und verständlicher machen.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linksfraktion beabsichtigt, diesem Gesetz zuzustimmen. Politisch umstritten ist es ja nicht. Der Gesetzentwurf beinhaltet zwar eine Vielzahl von Neuregelungen, die aber EU-rechtliche Erfordernisse umsetzen. Vielmehr sind unserer Auffassung nach die Änderungen, die er vorsieht, fachlich auch sinnvoll. Nichtsdestotrotz möchte ich auf ein Problem hinweisen, und zwar die Kabotageregelung. Für Kroatien wird nun eine Kabotagebeschränkung eingeführt. Das dürfte sich angesichts der Größe des Landes auf den angestrebten Schutz deutscher Spediteure allerdings kaum auswirken, zumal mit Rumänien und Bulgarien zwei Länder aus dieser Regelung fielen, deren Lohnniveau noch niedriger ist. Dass sich dies zwangsläufig auch auf die Lohnentwicklung in Deutschland auswirkt, macht uns Sorgen. Die Linke wünscht sich, dass es in Europa keinen Wettbewerb mehr um die niedrigsten Lohn- und Sozialstandards gibt, sondern diese auf einem hohen Niveau für alle festgeschrieben werden. Nur so lässt sich Lohndumping europaweit wirksam bekämpfen.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir Grüne begrüßen das Gesetz grundsätzlich. Mit dem Gesetz erkennt die Bundesregierung die sich wandelnden Verhältnisse im Schienengüterverkehr endlich an: In den letzten 15 Jahren haben sich Wettbewerber der Deutschen Bahn ein Viertel des Marktes erobert und tragen wesentlich zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bei. Deswegen ist es konsequent, diese wichtigen Akteure des Gütertransports beim Bau und Erhalt ihrer Infrastruktur zu unterstützen. Die vorgesehenen 25 Millionen Euro müssten nach unserer Auffassung aber verdoppelt werden. Das Gesetz wurde im Laufe der Beratung verbessert. Hatte es zu Beginn im November 2012 noch einige Ungenauigkeiten, konnten diese nach Stellungnahmen der Verbände und nach der Beratung im Bundesrat verbessert werden. Damit wurde der Kreis der nutznießenden Unternehmen ausgeweitet. Wir müssen jetzt sehen, wie die Mittel von den nichtbundeseigenen Bahnen genutzt werden. Wichtig bleibt dabei, dass sich die Nutzung der Gleise und Anlagen in ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügt. Bei der Mittelvergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht einfach nur der Erste das Geld bekommt und losbauen darf. Wir brauchen vernünftige Kriterien, nach denen die Mittel vergeben werden. Es muss darauf ankommen, wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzielen kann. Ich bin skeptisch, ob das diese Bundesregierung leisten kann. Dazu wäre ein Bundesmobilitätsplan notwendig, der Investitionen in die Zukunft des Verkehrs zusammen betrachtet und Wert darauf legt, wie sich unterschiedliche Verkehrsträger gegenseitig sinnvoll ergänzen. Im heutigen System werden zu viele Straßen oder Schienenstrecken mit fragwürdigem Nutzen nach wie vor bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel zu oft dorthin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleveren Bürgermeistern, Landräten und Bundestagsabgeordneten am Zu Protokoll gegebene Reden stärksten ist. Wir müssen uns deswegen vornehmen, die Wirkung dieses Gesetzes nach einer gewissen Laufzeit zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13496, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12856 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, noch etwas durchzuhalten. Das Bündel ist noch relativ groß. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 sowie Zusatzpunkt 5 auf: 40 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Transparenz und öffentliche Kontrolle im Prozess der Organspende herstellen - Drucksache 17/12225 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Rechtsausschuss ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Organspende in Deutschland transparent organisieren - Drucksache 17/11308 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Wir haben in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden. Das ist auch so vereinbart.

Stefanie Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004180, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir debattieren heute über den Antrag der Fraktion Die Linke „Transparenz und öffentliche Kontrolle im Prozess der Organspende herstellen“. In dem vorliegenden Antrag fordert die Fraktion Die Linke weitreichende Änderungen im Transplantationsgeschehen, da kleinere Nachjustierungen nicht ausreichen würden. Eine Überprüfung der rechtlichen und organisatorischen Strukturen der Organtransplantation und -vergabe auf Transparenz und demokratische Legitimierung würde grundlegende Änderungen unabdingbar machen. Dieses werde notwendig, obwohl die Ergebnisse aus dem Spitzengespräch im Sommer 2012 zu den Manipulationsvorwürfen der Universitätskliniken Göttingen und Regensburg in die richtige Richtung gingen. Der Schwerpunkt der Forderungen der Linken liegt auf einer Ausweitung der Kontrollen sowie auf mehr Transparenz über das Organspende- und Transplantationsgeschehen. Darüber hinaus sollen Register sowohl für das Transplantationsgeschehen als auch für Fehlverhalten bei Transplantationen eingerichtet werden. Hierzu möchte ich Folgendes klarstellen: Im Bereich der Änderungen des Transplantationsgesetzes wurde 2012 eine EU-Richtlinie umgesetzt und begleitend ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag, initiiert durch alle Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages, verabschiedet. Als erste Missstände im Bereich der Transplantationsmedizin im Sommer 2012 bekannt wurden, wurde wiederum durch alle Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages der Auftrag an die Gesundheitspolitiker aller Fraktionen gegeben, sich im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit den Vorkommnissen zu befassen und zu klären, ob aufgrund der Vorkommnisse gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Diese Arbeitsgruppe tagt seit Oktober 2012. Die Fraktion Die Linke ist regelmäßig bei diesen Sitzungen vertreten. Alle in den Anträgen genannten Forderungen wurden bereits im Rahmen dieser Sitzungen erörtert und diskutiert. Die abschließende Sitzung hat am 20. März 2013 stattgefunden. Im Anschluss an diese Sitzung wurde die Fraktion Die Linke aufgefordert, ihren Antrag noch nicht in den Deutschen Bundestag einzubringen, um den Weg für einen gemeinsamen Bericht der Arbeitsgruppe offen zu halten. Das Bundesministerium für Gesundheit hat zwischenzeitlich einen Entwurf für einen Entschließungsantrag ausgearbeitet, der in der kommenden Sitzungswoche mit allen Fraktionen erörtert werden soll. Information und Aufklärung müssen bei der Organspende zukünftig stärker ins Blickfeld genommen werden. Jeder von uns kann von heute auf morgen durch einen Unfall oder eine Krankheit in die Situation geraten, auf ein fremdes Organ angewiesen zu sein. Daher muss noch offensiver für die Organspende geworben werden. Deutschland bleibt bei der Organspendebereitschaft nach wie vor hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Bevölkerung muss intensiver aufgeklärt und motiviert werden. Die Zahlen sind bekannt: 12 000 Patienten warten derzeit auf ein Organ, viele sterben, bevor der rettende Anruf zur Operation kommt. Auch haben nur 25 Prozent der Deutschen einen ausgefüllten Organspendeausweis in ihrer Brieftasche, damit ihnen nach dem Hirntod Organe entnommen werden können. Bei einer Umfrage der Universität Mainz äußern sich jedoch 90 Prozent positiv zur Organspende, 77 Prozent würden der Organentnahme bei nahen Angehörigen zustimmen. Die Erhöhung der Spendebereitschaft in Deutschland ist sehr wichtig, denn der Erfolg der Organspende hängt auch von der Spendebereitschaft ab. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass man sich mit dem Tod eigentlich nicht auseinandersetzen möchte, aber auch, dass man Angst hat, die behandelnden Ärzte kümmern sich nicht mehr ausreichend oder dass man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht entscheiden kann oder will. Information und Aufklärung der Bevölkerung müssen daher massiv verbessert werden. Voraussetzung dafür ist zunächst ein transparentes und gerechtes Transplantationssystem. Der Gesetzgeber hat 1997 bei Erlass des Transplantationsgesetzes bereits die Grundsätze dafür gelegt. Mit dem Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes wurde im vergangenen Jahr die Kontrollinstrumentarien gestärkt und die Grundlage für mehr Transparenz geschaffen. Eine unabhängige Prüfungs- und Überwachungskommission wurde gesetzlich verankert, ihre Ermittlungsbefugnisse würden gestärkt und Vertreter staatlicher Stellen in die Kommission berufen. Transplantationszentren, Entnahmekrankenhäuser sowie die Koodinierungsstelle und Vermittlungsstelle sind gegenüber der Prüfungs- und Überwachungskommission zur Mitwirkung an Prüfungen verpflichtet. Die Aufsichtspflichten des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind erhöht und gesetzlich klar geregelt worden. Richtig und wichtig war es auch, die erweiterte Zustimmungslösung beizubehalten. Forderungen nach einer Einführung der sogenannten Widerspruchslösung lehne ich ab, denn was in einem Land wie zum Beispiel Spanien gut funktionieren kann, muss in Deutschland noch lange nicht funktionieren. Seit im Sommer des vergangenen Jahres Manipulationen in einem Transplantationszentrum ans Licht kamen, sind die Organspendezahlen erschreckend eingebrochen. Alle verantwortlichen Akteure müssen deshalb die Konsequenzen aus diesen Vorgängen ziehen. Unmittelbar nach Bekanntgabe den Manipulationen hat Minister Bahr mit allen Beteiligten einen Katalog von Sofortmaßnahmen vereinbart wie die Intensivierung der Kontrollen und Stärkung der Kontrollgremien sowie eine Erhöhung der Transparenz bei der Wartelistenführung und der staatlichen Kontrolle der Organspende. Wir setzen weiterhin auf Aufklärung und Sensibilisierung. Denjenigen, die auf ein Organ warten, sprechen wir unsere Solidarität aus.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Gesundheitswesen werden Entscheidungen nach verschiedenen Gesichtspunkten getroffen. Die Entscheidung für oder auch gegen eine Organspende ist dabei immer eine persönliche Entscheidung. Jeder Mensch sollte daher - auch mit Rücksicht auf seine Angehörigen - eine Position zu diesem nicht ganz einfachen Thema finden. Diesem Anliegen haben wir mit der Einführung der erweiterten Zustimmungslösung im Mai letztes Jahr Rechnung getragen. Ich hätte mir allerdings die Verpflichtung zu einer Entscheidung, ob nun für oder gegen eine Spende, gewünscht. Ich hätte es nicht bei der Freiwilligkeit für eine Entscheidung belassen wie in der gesetzlichen Regelung zur Zustimmungslösung. Dieser Gesetzentwurf, die gesetzliche Regelung zur verbesserten Absicherung der Lebendspender und auch ein Entschließungsantrag zur weiteren Arbeit der Deutschen Stiftung Organspende, der DSO, waren die Ergebnisse einer fraktionsübergreifenden Runde. Unser gemeinsames Ziel war es, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das System der Organspende wiederherzustellen, das durch die Kritik an der Geschäftsführung der DSO geschädigt worden war. Doch im Juli 2012 begann eine Entwicklung, die wir heute als Organspendeskandal bezeichnen. Es stellte sich heraus, dass in den Universitätsklinken in Göttingen, Regensburg, München Rechts der Isar und Leipzig Patientendaten manipuliert wurden, um für einige Betroffene bessere Plätze auf den Wartelisten für ein Organ zu bekommen. In der aufgeheizten Stimmung ging in der Öffentlichkeit manches durcheinander. Die Vorfälle in Göttingen und anderswo betrafen bekanntlich Fragen der Organverteilung, für die die Deutsche Stiftung Organspende gar nicht zuständig ist. Trotzdem: Auch berechtigte Vorwürfe, die etwa die Verwendung von Stiftungsgeldern betreffen, oder Probleme bei der inneren Organisation und Zusammenarbeit innerhalb der DSO dienen nicht dazu, Vertrauen in unser Organspendesystem zu vergrößern. Daher tagte die fraktionsübergreifende Runde, die bisher gute Lösungen im Konsens erreicht hatte, auch nach der Verabschiedung des Gesetzes weiter. Auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der Linken, waren vertreten. Wir haben gemeinsam mit der Selbstverwaltung, Experten von Transplantationszentren, der DSO, Eurotransplant und Juristen weitere Schritte diskutiert, die den gesamten Prozess der Organspende transparenter und weniger anfällig für Zu Protokoll gegebene Reden Manipulationen machen sollen. Denn wir waren uns einig, dass sich nur durch Transparenz, Kontrolle und klare, nachvollziehbare Regelungen das Vertrauen in den Organspendeprozess wiederherstellen lässt. Bei den Datenmanipulationen im Transplantationsskandal wurden beispielsweise Dialysen vorgetäuscht und medizinische Werte gefälscht. Durch die Kontrollmöglichkeit und Dokumentation der Daten in einer entsprechenden Qualitätssicherungsmaßnahme und Transplantationskonferenzen wären diese Datenmanipulationen aufgefallen. Diese Regelungen sind jetzt gesetzlich vorgeschrieben. Ich halte es für unvermeidlich, dass wir darüber hinaus die Zahl der Transplantationszentren in Deutschland überdenken müssen. 49 Transplantationszentren „konkurrieren“ heute um Patienten und Organe - mit allen negativen Nebenwirkungen, die eine solche Konkurrenz hat. Es ist unvermeidlich, dass wir nicht nur zur Stärkung der Qualität, sondern auch zur Vermeidung von Kontrolldefiziten die Zahl der Zentren reduzieren müssen. Die Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion sprechen einen weiteren richtigen Punkt an: Es gibt Fehlanreize im Krankenhausbereich, die wir beseitigen müssen. Diese Missstände betreffen nicht alleine den Bereich der Transplantationsmedizin. Nach wie vor werden in den Verträgen der Chefärztinnen und -ärzte finanzielle Anreize gesetzt, die Fallzahlen zu erhöhen. Zielvereinbarungen dürfen sich aus Sicht der SPD ausschließlich auf die Qualität der Behandlung beziehen. Ausschlaggebend für die Vergütung darf nicht die Zahl der Operationen sein, sondern beispielsweise, ob die Patienten weniger Komplikationen nach der Operation haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, da reichen die kleinen Änderungen, die Sie ans Krebsplanumsetzungs- und -registergesetz geheftet haben, bei weitem nicht aus. Die SPD setzt sich nach wie vor für ein Verbot dieser Art von Vereinbarungen ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der Linken, Ihre Anträge zielen nicht darauf, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das System der Organspende wiederherzustellen. Sie zeichnen ein nachweisbar falsches Bild der Situation. Das hat zum Teil damit zu tun, dass Ihre Anträge veraltet sind. Ein Großteil Ihrer Forderungen ist inzwischen erfüllt. So wurden beispielsweise die Offenlegung der Prüfberichte der Überwachungskommission, die Ausweitung der Kontrollen der Transplantationszentren und die Einführung interdisziplinärer Transplantationskonferenzen bereits umgesetzt. Wenn es Ihnen wirklich um Verbesserungen gehen würde, hätten Sie sich wenigstens die Mühe gemacht, neue Anträge zu verfassen. Andere Teile sind Forderungen, von denen Sie genau wissen, dass diese keine Mehrheit im Bundestag finden. Sie verabschieden sich von einer fraktionsübergreifenden Lösung und setzen auf einen populistischen Alleingang. Das einzige, was Sie damit erreichen sind weniger Organspenden. Sie fordern in Ihren jeweiligen Anträgen die komplette Umwandlung der DSO in eine staatliche Behörde. Ich gebe zu, es ist in der Tat ungewöhnlich, dass bei uns in Deutschland die Organisation der Organentnahme und des Transports in den Händen einer privaten Stiftung liegt. Aber was genau wollen Sie denn an der Koordinierungsstelle verbessern, das nur durch eine staatliche Behörde geleistet werden kann? Möchten Sie gerne, dass die Angehörigengespräche von Beamten geführt werden? Die Einrichtung einer neuen Koordinierungsstelle löst keines der aktuellen Probleme. Sie als Fachleute wissen es so gut wie ich: Die Manipulationen der Daten fanden nicht in einer profitorientierten Privatklinik statt, sondern an staatlichen Universitätskliniken. Die geplante Ausrichtung des Stiftungsrates der DSO, die der neue hauptamtliche DSO-Vorstand Dr. Rainer Hess auf den Weg gebracht hat, stellt einen guten Kompromiss zwischen staatlicher Aufsicht und funktionierender Selbstverwaltung dar. Zukünftig verfügen neben der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Transplantationsgesellschaft Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit und der Gesundheitsministerkonferenz der Länder über Stimmrechte. Dadurch hat auch die Politik einen maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit der DSO. Auch die Patientinnen und Patienten erhalten bessere Beteiligungsrechte. Sie werden durch zwei zusätzliche Mitglieder, Transplantierte oder Angehörige vertreten, die zwar kein Stimmrecht, aber ein Antragsrecht haben. Die Bundesländer sind aber auch aufgefordert, ihren Überwachungspflichten gegenüber den Transplantationszentren und deren Leitungen ausnahmslos nachzukommen. Das wurde durch die Länderbehörden in der Vergangenheit versäumt. Alle müssen an ihrem Platz dafür arbeiten, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen und die Bereitschaft zur Organspende zu stärken.

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir mit einer breiten Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung verabschiedet. Wir wollten mehr Menschen mit der Frage, ob sie nach ihrem Tod Organspender sein wollen, konfrontieren. Sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu fällen, war unser Ziel genauso wie das, durch eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte die Chancen für Schwerkranke auf ein Spenderorgan zu erhöhen. Durch die im letzten Jahr aufgedeckten Manipulationen an Transplantationszentren ist Vertrauen verloren gegangen, und die Spenderzahlen sind erst einmal stark zurückgegangen. Wir haben letztes Jahr aber auch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes verabschiedet, in dem die Kontrollinstrumentarien gestärkt und die Grundlage für mehr Transparenz geschaffen wurde. So Zu Protokoll gegebene Reden wurden beispielsweise Kontrollen intensiviert, interdisziplinäre Transplantationskonferenzen nach dem Mehr-Augen-Prinzip eingerichtet oder auch die Rechtsaufsicht verstärkt. Die aufgedeckten Manipulationsfälle stammen alle aus der Zeit, bevor diese Maßnahmen beschlossen wurden. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe war es unser oberstes Ziel, das verloren gegangene Vertrauen durch eine lückenlose Aufklärung der Verfehlungen sowie Konsequenzen gegenüber den Verantwortlichen und verstärkte Kontrolle zurückzugewinnen. So hat der Bundesminister für Gesundheit direkt nach dem Bekanntwerden der Manipulationen einen Katalog von Sofortmaßnahmen erstellt, die inzwischen umgesetzt wurden: zum Beispiel regelmäßige, unangekündigte Überprüfungen aller Transplantationszentren, die Verstärkung der Prüfungskommission durch eine Taskforce oder die Einrichtung einer unabhängigen Vertrauensstelle zur Meldung von Auffälligkeiten. Zudem haben wir uns im letzten Jahr regelmäßig mit Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit sowie zahlreichen Experten getroffen, um den Prüfprozess zu begleiten und der Frage nachzugehen, ob und wenn ja - welche weiteren Maßnahmen zur Verhinderung zukünftiger Manipulationen erarbeitet werden müssten. Alle Fraktionen wurden beteiligt, was dem Wunsch der Fraktionsvorsitzenden nach einem gemeinsamen Weg entsprach. Deshalb wundere ich mich, dass wir heute zwei Anträge vorliegen haben, obwohl die Arbeitsgruppe aktuell dabei ist, sich auf gemeinsame Maßnahmen zu verständigen. Ihre Forderungen zeigen dabei Ihre grenzenlose Staatshörigkeit: Obwohl die Manipulationen von einzelnen Ärzte begangen wurden und nicht durch die Selbstverwaltung verursacht wurden, ist Ihr Ziel eine staatliche Koordinierungsstelle. Die Manipulationen wurden durch die Selbstverwaltung aufgedeckt. Deshalb war es der richtige Schritt von Gesundheitsminister Daniel Bahr, die Prüfungskommissionen zu stärken, anstatt wie Sie es fordern, sie durch eine neu zu schaffende Behörde zu ersetzen. Wir haben im letzten Jahr viele wichtige Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt, die gerade dabei sind, zu greifen. CDU/CSU, FDP und SPD haben mit ihrem Verhalten in dieser Frage deutlich gemacht, dass ein gemeinsames politisches Vorgehen der Politik auch dem Zweck dienen soll, durch Gemeinsamkeit verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Zudem wird es nach Abschluss der Beratungen im Bundesministerium für Gesundheit noch einen weiteren Maßnahmenkatalog geben. Damit sind wir auf dem richtigen Weg, das Transplantationswesen in Deutschland gegen Manipulationsversuche zu stärken. Zudem wird demnächst eine Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung anlaufen, die die Bevölkerung mit Informationen versorgen wird, und dadurch mithilft, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Denn das muss unser oberstes Ziel sein, damit die rund 12 000 Menschen, die auf ein lebensrettendes Organ warten, eine Chance bekommen.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vor genau einem Jahr hat sich der Bundestag zum letzten Mal ausführlich mit Organtransplantation beschäftigt. Damals ging es vor allem um die sogenannte Entscheidungslösung, mit der mehr Organspenderinnen und -spender gewonnen werden sollten. Gleichzeitig wurde noch ein Gesetz zur Organisation des Transplantationswesens, das TPG-Änderungsgesetz, beschlossen - gegen die Stimmen der Linken. Kaum hatte der Bundespräsident diese Gesetze unterschrieben - die Tinte war noch nicht ganz trocken -, als im Juli 2012 die erste „Bombe“ mit dem Göttinger Transplantationsskandal platzte. Dort hatten Mediziner Krankenakten manipuliert, um schneller an Organe für Transplantationen zu kommen. Später wurden weitere ähnliche Vorfälle aus Regensburg, Hamburg und Leipzig aufgedeckt. Dabei war schon im Frühjahr 2012 klar geworden, dass es bei Organtransplantationen oft nicht so sauber zugeht, wie es die Bürgerinnen und Bürger mit Recht erwarten. Die Linke hatte schon damals mit einem Antrag mehr Transparenz, Kontrolle und Legitimierung der mit Organtransplantationen beauftragten Organisationen gefordert. Damals war es die DSO, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die mit zweifelhaftem Geschäftsgebaren von sich reden machte. Aber die Mehrheit des Bundestages ging davon aus, es wäre für das Vertrauen der Bevölkerung und für die Spendenbereitschaft besser, die Missstände unter den Teppich zu kehren. Noch bis Sommer letzten Jahres meinten einige gar, nicht Schummeleien und Manipulationen bei der Organzuteilung und bei der Koordinierung des Transplantationsgeschehens wären der wahre Skandal, sondern Medienberichte über diese Machenschaften. Aber ihre Taktik ist leider gescheitert. Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist massiv zurückgegangen, und wenn wir weiter nichts tun, dann können wir das verlorene Vertrauen eben nicht zurückgewinnen und dann warten noch mehr Menschen vergeblich auf ein Spenderorgan. Deswegen hätte ich mir sehr gewünscht, dass wir heute - nach einem Jahr - mit einem Gesetzentwurf gemeinsam die Missstände beheben und so das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende wiederherstellen. Aber die Regierungsfraktionen und auch die SPD haben auf Zeit gespielt und so verhindert, dass noch in dieser Wahlperiode gesetzliche Veränderungen stattfinden können. So wird es bei den unzureichenden Reförmchen bleiben, die das Bundesgesundheitsministerium zusammen mit der Bundesärztekammer, der Krankenhausgesellschaft und der DSO beim Krisengipfel vom 27. August letzten Jahres vereinbart hat. Das Sechsaugenprinzip, etwas häufigere Prüfungen der Zentren oder eine Verbesserung der DokumentaZu Protokoll gegebene Reden tion sind ja nicht verkehrt. Wir meinen jedoch, das reicht hinten und vorn nicht. Darum haben wir das, was bei Ihrem Krisengipfel vereinbart wurde, geprüft, sinnvolle Elemente in unseren Antrag übernommen und sie um weitergehende Forderungen ergänzt. Das betrifft zum Beispiel die Ärzte, die Patientendaten manipulieren: Diese gehen nach heutiger Rechtslage straffrei aus, wenn sie erklären, sie hätten nur im Interesse ihrer Patienten gehandelt, und wenn nicht im Einzelfall bewiesen werden kann, welche ganz konkrete Patientin in einem anderen Krankenhaus durch die Schummeleien in Göttingen um ein Spenderorgan betrogen wurde und eventuell dadurch sogar verstorben ist. Die Linke meint: Hier müssen im Arbeits-, Berufs- und Standesrecht wirksame Sanktionen ermöglicht werden. Bonuszahlungen und andere Anreize zur Mengenausweitung gehören in diesem hochsensiblen Bereich gesetzlich verboten. Außerdem fordern wir, dass neben einem Transplantationsregister für Patienten auch die Ärzte, die auffällig geworden sind, registriert werden. Sonst reicht in unserem Bundesstaat eventuell der Umzug von Regensburg nach Göttingen, um einem schwarzen Schaf wieder ein weißes Fell zu verpassen. Die Kontrollen der Transplantationszentren müssen noch engmaschiger und effizienter gestaltet werden. Nicht zuletzt müssen die Aufgaben der Bundesärztekammer und der DSO neu überdacht werden: Dürfen Koordinierung, Durchführung und Richtlinienkompetenz der Organtransplantation wirklich an einen Verein und an eine private Stiftung delegiert werden? Nach dem immensen Vertrauensverlust muss die Überführung der Koordinierungsstelle in eine Körperschaft öffentlichen Rechts oder in eine Behörde ernsthaft erwogen werden. Wir müssen über die Missstände im Transplantationssystem offen diskutieren und um wirksame Lösungen ringen, denn nur dann können wir den Menschen guten Gewissens garantieren: Als Organspender und als Organempfänger könnt ihr euch in unserem Gesundheitswesen darauf verlassen, dass es gerecht zugeht! Deswegen bitte ich Sie darum, unseren Antrag und den von Bündnis 90/ Die Grünen ernsthaft zu prüfen und damit eine neue Kultur der Transparenz und des Vertrauens zu ermöglichen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im letzten Jahr wurden im deutschen Transplantationswesen schwere Missstände bekannt. Wartelisten wurden manipuliert, sodass einige Patienten auf Kosten anderer bevorzugt wurden, indem sie zum Beispiel kränker gemacht wurden, als sie waren. Schon zuvor hatte es massive Kritik am Führungsstil und an der aggressiven Lobbyarbeit der Deutschen Stiftung Organtransplantation, DSO, gegeben, deren Aufgabe eigentlich darin besteht, die Organspende in Deutschland voranzubringen. Diese Missstände und Skandale haben sicher dazu beigetragen, dass die Spendenbereitschaft drastisch gesunken ist, im Jahr 2012 um 12,8 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 2002. Zwischen Januar und März 2013 gab es sogar 18 Prozent weniger Organspender als im Vorjahreszeitraum. Wer Organe spenden will, muss sich absolut sicher sein, dass dabei auch alles mit rechten Dingen zugeht. Die Vorstellung, dass die eigenen Organe Objekte von Manipulationen werden, ist grauenhaft. Man möchte auf keinen Fall zum Opfer werden und entscheidet sich im Zweifelsfall gegen eine Organspende, räumt den ehemals ausgefüllten Spendenausweis in die hinterste Schubladenecke oder vernichtet ihn sogar. Darum ist es folgerichtig, dass die Spendenbereitschaft sinkt, sobald die Zustände undurchschaubar werden. Nicht folgerichtig ist, dass eine Reaktion der Bundesregierung auf die Skandale ausblieb. Das Transplantationswesen kann nur funktionieren, wenn die Menschen ihm vertrauen. Vertrauen aber gibt es nur mit Transparenz und Kontrolle. Statt für mehr Transparenz und Kontrolle zu sorgen, täuscht Daniel Bahr mit ein paar kleinen Nachbesserungen Aktivität vor. Er hat zwar regelmäßig Vertreter aller Fraktionen ins Gesundheitsministerium eingeladen, und es wäre sehr schön gewesen, gerade bei diesem Thema eine gemeinsame Lösung zu finden. Doch leider verweigern sich die Koalitionsfraktionen gegen jeden Eingriff in die Strukturen des Transplantationssystems. Offenbar haben sie Angst, sich mit den mächtigen Akteuren im Transplantationswesen anzulegen. Stattdessen feiern sie kleinste Nachbesserungen wie die Aufnahme zweier zusätzlicher Vertreter von Bund und Ländern in den Stiftungsrat der DSO als staatliche Kontrolle; dabei sitzen nach wie vor nur vier - von insgesamt zwölf - Vertreter aus Bund und Ländern im Stiftungsrat. Die können locker überstimmt werden. Unter staatlicher Kontrolle stellen wir uns etwas anderes vor. Solche Nachbesserungen nutzen gar nichts. Das gesamte System ist eine Fehlkonstruktion und muss auf den Prüfstand. Wir wissen, wo die Schwachstellen und Anfälligkeiten liegen: Es fehlt eine staatliche Koordination und Aufsicht. Und die Kontrolleure sind nicht unabhängig, sondern eng mit der Transplantationsszene verbandelt. So sitzen zum Beispiel die medizinischen Vorstände von DSO und Eurotransplant in den Kommissionen, die sie kontrollieren sollen. Rechtsverstöße, wie sie bei der Manipulation von Wartelisten vorliegen, können kaum geahndet werden, da ein Straftatbestand dafür fehlt. Es herrscht keine Vergleichbarkeit bei Organvergaben, die auf Ausnahmeregelungen basieren. Außerdem gibt es, zumindest in einigen Regionen Deutschlands, zu viele Transplantationszentren, die in Konkurrenz zueiZu Protokoll gegebene Reden nander treten, also besonders viel transplantieren müssen, um ihre Existenzberechtigung zu beweisen. Wir wollen die Strukturen ändern und fordern darum eine staatliche Stelle zur Koordinierung der Organtransplantation, die auch die Kontrolle der am Transplantationswesen beteiligten Einrichtungen übernehmen soll. Sobald der Verdacht eines Rechtsverstoßes vorliegt, muss die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden. Um eventuelle Unregelmäßigkeiten bei der Organvermittlung nach Ausnahmeregeln schneller erkennen zu können, wollen wir ein nationales, öffentliches Transplantationsregister - selbstverständlich unter Beachtung des Datenschutzes. Und wir wollen die Zahl der Transplantationszentren verringern, um Fehlanreize, die zu Steigerungen der Transplantationen um jeden Preis führen können, abzubauen. Nur mit transparenten und nachvollziehbaren Strukturen, eindeutigen Zuständigkeiten und einer unabhängigen Kontrolle können wir das Vertrauen in unser Transplantationssystem zurückgewinnen. Die Menschen wollen wissen, was passiert, und sie wollen auch wissen, dass Verstöße geahndet werden. Dann könnte auch die Bereitschaft zur Organspende wieder steigen. Das würde ganz besonders denjenigen schwer kranken Patienten zugutekommen, die auf ein Organ warten und jetzt zusehen müssen, wie ihre Chancen sinken.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/12225 und 17/11308 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 43: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch - Drucksache 17/12958 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über den Informationsaustausch in Steuersachen - Drucksache 17/12959 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 17/13345 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding ({1}) Die Reden werden zu Protokoll genommen.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dem Deutschen Bundestag liegen heute zwei Gesetzesentwürfe zur Ratifikation von überarbeiten Abkommen über die Unterstützung und gegenseitigen Informationsaustausch der Cookinseln und Grenada mit der Bundesrepublik Deutschland vor. Grundsätzlich dienen Abkommen zum Austausch von Informationen in Steuersachen dazu, Informationen über Steuerpflichtige zu erlangen und mögliche unversteuerte Vermögen und Einkommen zu ermitteln. Sie sind ein wesentlicher Baustein bei der Bekämpfung der nationalen Steuerhinterziehung und machen es dem Steuerschuldner schwerer, Vermögen und Einnahmen unentdeckt im Ausland zu deponieren. Mit den Cookinseln und Grenada wird nach dem heutigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens die Zusammenarbeit in Steuersachen nach OECDStandard getan. Sowohl die Cookinseln als auch Grenada haben den OECD-Standard zu Transparenz und effektivem Informationsaustausch für Besteuerungszwecke vollumfänglich anerkannt und sich bereit erklärt, ihn in Abkommen mit OECD-Mitgliedstaaten umzusetzen. Die beiden Informationsaustauschabkommen wurden am 3. April 2012 mit den Cookinseln bzw. am 3. Februar 2011 mit Grenada unterzeichnet. Sie verpflichten jede Vertragspartei, der anderen Vertragspartei auf Ersuchen alle für ein Besteuerungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen Informationen zu erteilen. Die Abkommen enthalten alle Kernelemente des OECD-Standards, wie er sich aus dem Musterabkommen für den Auskunftsaustausch ({0}) ergibt. Beide Abkommen regeln die gegenseitige behördliche Unterstützung in Steuersachen und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch auf Ersuchen im Einzelfall. Grenada und die Cookinseln haben sich jeweils gegenüber der OECD zur Akzeptanz der Grundsätze zu Transparenz und effektivem Informationsaustausch verpflichtet. Mit der Unterzeichnung der Abkommen sind beide Länder dieser Verpflichtung auch im Verhältnis zu Deutschland nachgekommen. Mit den vorliegenden Entwürfen für Vertragsgesetze werden die Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erlangen, die für die Ratifikation erforderlich ist. Die beiden Abkommen sind uneingeschränkt zu unterstützen. Sie sind wichtiger Bestandteil der Strategie der Koalition, Steueroasen auszutrocknen und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Die heute vorliegenden Abkommen sind ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und zur Eindämmung eines schädlichen Steuerwettbewerbs allgemein. Die christlich-liberale Koalition hat in der laufenden Legislaturperiode 36 solcher Abkommen unterzeichnet und auf den Weg gebracht. In der vorherigen Legislaturperiode unter Bundesfinanzminister Steinbrück ({1}) waren es nur 6. Perspektivisch arbeitet Bundesfinanzminister Schäuble daran, einen weitergehenden Standard durchzusetzen: den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen. Hier setzt die deutsche Bundesregierung zunächst auf Bemühungen im europäischen Verbund zur Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie. Wir wollen diesen Weg weitergehen, damit eine effektive Bekämpfung der Steuerhinterziehung auch weiterhin gewährleistet ist. Wir setzen auf bilaterale Abkommen und Zusammenarbeit mit unseren Partnern weltweit. Die heute vorliegenden Abkommen sind ein Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und zur Eindämmung eines schädlichen Steuerwettbewerbs allgemein. Sie dienen weiterhin der Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den jeweiligen Vertragspartnern. Zusammenfassend kann ich feststellen, dass die Verhandlungsvertreter der Bundesrepublik sehr gute Ergebnisse und Regelungen im Sinne der effektiven Bekämpfung der Steuerhinterziehung ausgehandelt haben. Heute stimmen wir nun über weitere Steuerinformationsaustauschabkommen ab und tun damit wirklich etwas Direktes gegen Steuerhinterziehung. Die Unionsfraktion begrüßt die vorliegenden Gesetzesentwürfe und wird ihnen aus den von mir erläuterten Gründen zustimmen.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung zwei Regierungsentwürfe der Bundesregierung, die beide ein Ziel haben: die Erleichterung der Aufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte in Steuer- und Steuerstrafsachen, bei denen es erforderlich ist, dass ein Land von einem anderen Amts- und Rechtshilfe erhält. Dazu bedarf es einer völkerrechtlichen Vereinbarung, um auf dieser Grundlage durch die nationale Behörde ein Amtshilfeersuchen stellen zu können. In Tax Information Exchange Agreements - oder TIEAs, wie sie international genannt werden - haben sich sowohl die Cookinseln als auch Grenada in bilateralen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland zu Transparenz und einem effektiven Informationsaustausch, entsprechend dem Standard der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - OECD -, verpflichtet sowie dazu, diese Ziele auch umzusetzen. Solche Abkommen, ähnlich den DBA - Doppelbesteuerungsabkommen -, sind seit vielen Jahren Standard. Schon während der Regierungsphase mit rot-grüner Regierungskoalition haben wir, die SPDFraktion, aber auch die Grünen, darauf gedrungen, den OECD-Standard weiterzuentwickeln. Schon damals war klar, dass über kurz oder lang der automatische Informationsaustausch unverzichtbar sein würde. Davon wäre grundsätzlich das Bankgeheimnis berührt und eine neue Kultur in grenzüberschreitenden Steuerfragen etabliert. Zuvorderst die FDP, aber auch viele CDU-Kollegen haben sich mit Händen und Füßen gegen solche Vorschläge gewehrt. Das Allerprivateste, das Bankgeheimnis aufzugeben - ein Graus für all die ehrlichen Steuerzahler mit ihren Konten in der Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein oder wo auch immer. Bisher haben wir auch den Abkommen, die nun die schwarz-gelbe Regierung auf gleicher Grundlage verhandelt hat, zugestimmt. Geduldig warteten wir darauf, dass die Regierung in der OECD für ein neues Musterabkommen mit automatischem Informationsaustausch kämpft. Seit einiger Zeit nun - Sie lesen das auch auf der Website des BMF und in der Presse - verpassen sich der Finanzminister, CDU- und FDP-Fraktion mit ihren Marketingabteilungen ein neues Image, ein neues Bild. Der Finanzminister und seine Regierungskoalition - gestern noch die Gralshüter der Geheimniskrämerei in der Bankenwelt - simulieren die Speerspitze von Transparenz, Informationsaustausch und Steuerehrlichkeit - wenngleich sie gleichzeitig ein bilaterales Abkommen mit der Schweiz vereinbaren, das eine ganz andere Sprache spricht, die Sprache von Anonymisierung, von Sonderbehandlung steuerlicher Straftaten etc. etc. Nachdem ich diesen Sachverhalt auch für die heute zu beschließende Tax Information Exchange Agreements mit Grenada und den Cookinseln im Finanzausschuss und in der ersten Lesung ansprach und für den neuen Geist der Regierung in diesen Abkommen eine Vermisstenanzeige aufgab, wurden wir plötzlich dafür beschimpft, dass wir ja bisher stets den Abkommen auf Grundlage der alten Standards zugestimmt hätten. Diesen Vorgang nehmen wir natürlich sehr ernst, werden diesmal nicht Zustimmen und fordern deshalb die Regierung auf, die Abkommen neu zu verhandeln auf Grundlage ihrer eigenen Maßstäbe, gemäß ihrem eigenen Marketing. Auf diese Weise wollen wir die Regierung dabei unterstützen, Reden und Handeln in Übereinstimmung zu bringen. Damit würden wir der CDU - und uns - auch ersparen, uns dafür zu beschimpfen, dass wir gelegentlich mit ihr gemeinsam abstimmen. Vorgesehen ist ein OECD-konformes Verfahren bei der Kooperation beider Länder in Steuerfragen. Dabei haben sich die Cookinseln bereits im März 2002 gegenüber der OECD verpflichtet und sind dem mit der Unterzeichnung des Abkommens mit Deutschland im April 2012 nachgekommen, und Grenada verpflichtete sich gegenüber der OECD im Februar 2002 und unterzeichnete das Abkommen mit Deutschland bereits im Februar 2011, auf altem Standard - hier gibt es also noch Aufgaben zur Nachverhandlung für den Finanzminister. Zu Protokoll gegebene Reden Lothar Binding ({0}) Was uns hier vorliegt, sind die Vertragsgesetze, die für die Ratifikation der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedürfen. Dabei will ich offen sagen: Vieles an den Abkommen ist gut, deshalb haben wir in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit auch zugestimmt. Diese Art der zwischenstaatlichen Amtshilfe durch den Austausch von Informationen ist sinnvoll, wenn die Finanzbehörden eines Landes grenzüberschreitende Sachverhalte nicht angemessen aufklären können, weil sie bei ihren Ermittlungen auf das eigene Staatsgebiet beschränkt sind und Beteiligte oder Dritte, die im Ausland ansässig sind, an sich nicht zur Aufklärung herangezogen werden können. Wie schwierig die Aufklärung in diesen Fällen ist, wurde noch einmal durch die Berichterstattung, insbesondere der letzten Monate, deutlich. Dabei geht es nicht immer zulasten des Steuerpflichtigen. Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung kann auch zu einer Entlastung des Steuerpflichtigen beitragen, ein allgemeines Ziel der BDA - doppelte Besteuerung vermeiden -, aber auch doppelte Nichtbesteuerung. Wir müssen uns jedoch die Frage stellen, ob wir dieses Ziel - Sachverhalte effizient und umfassend aufklären zu können - auf diese Weise und mit diesen beiden Abkommen und Gesetzentwürfen erreichen können. Gemessen an den neuen Ansprüchen der Bundesregierung ist die Antwort: nein. Die Frage, die sich uns bei diesen beiden Abkommen stellt, ist die nach dem Zweck. Für uns ist dies ganz klar die Erreichung einer höchstmöglichen Steuergerechtigkeit und die faire Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen in Steuerfragen. Um aber sicherstellen zu können, dass sich niemand seinen Verpflichtungen entziehen kann, nur weil er über die entsprechenden Mittel, Möglichkeiten und Verbindungen verfügt, muss ein Steuerpflichtiger, der grenzüberschreitend aktiv wird, genauso behandelt werden können wie ein Steuerpflichtiger im Inland. Um dies angemessen beurteilen zu können, ist ein hohes Maß an Transparenz erforderlich. Nur dann kann ein Sachverhalt so aufgeklärt werden, wie es im Inland möglich ist, wo die Möglichkeit besteht, dass sich - nicht nur - Behörden untereinander verständigen und die Informationen, die sie benötigen, austauschen - alles in einem rechtmäßigen Rahmen und auf der Grundlage von Vorschriften und Richtlinien. Dies hat für uns einen einfachen, aber sehr überzeugenden Hintergrund. Denn wir haben uns nicht nur des Themas Steuergerechtigkeit, sondern auch des Kampfes gegen Steuerbetrug angenommen, der in einem nicht unerheblichen Maße gerade das Tagesgeschehen, aber auch die politische Debatte bestimmt. Dabei möchte ich betonen, dass Steuerhinterziehung keine Sünde ist - wie die CDU in einem Flugblatt meint -, sondern eine Straftat, die nur durch ein effektives und zielgerichtetes Vorgehen aufgedeckt werden kann. Tatsächlich liegt die Lösung für eine wirksame Bekämpfung der Steuervermeidung, aber auch der Steuerhinterziehung nicht im nationalen Steuerrecht. Sie liegt darin, zu verhindern, dass Steuerpflichtige, die ihrer Pflicht nicht nachkommen wollen, in anderen Ländern Anreize vorfinden, die ihnen die entsprechenden Möglichkeiten und Vorteile geben. Deshalb sind schwarze und graue Listen notwendig, Melderegister von Unternehmen, die Töchter in Steueroasen haben etc. Aber so ernst meint die Koalition ihre eigenen Marketingaussagen auch wieder nicht - oder vielleicht doch? Ich bin gespannt, ob Sie Ihre Regierung zum Nachverhandeln schicken oder alles einfach absegnen. Darum lehnen wir, wie eben erläutert, in diesem Fall und erstmalig zwei solcher Abkommen ab. Dabei ist uns bewusst, dass es nicht nur einer weitgehenden Vereinheitlichung des europäischen Steuerrechtes, sondern auch noch einer ganzen Fülle internationaler Abkommen bedarf, um Steueroasen trockenzulegen und das Maß an Steuergerechtigkeit zu erhöhen. Dabei gibt es sehr verschiedene Ebenen, auf denen Verhandlungs- oder Diskussionsbedarf besteht: die internationale Ebene im Hinblick auf die internationalen Mindeststandards, die bilaterale Ebene bei der Aushandlung von Abkommen und die Ebene, auf der es um die Wahl der Mittel geht. Dabei liegt ein nicht unerhebliches Problem darin, dass Länder, die solch ein Abkommen unterzeichnen, von der sogenannten grauen Liste der Steuerparadiese der OECD heruntergenommen werden. Auf diesen grauen Listen finden Sie die Länder, die angegeben haben, den OECD-Standard umsetzen zu wollen, dem aber bislang nur ungenügend nachgekommen sind. In den schwarzen Listen befanden sich die Länder, die eine Kooperation verweigern. Diese schwarze Liste musste bereits kurz nach ihrer Erstellung überarbeitet und bereinigt werden, nicht weil man sich bei der Erstellung geirrt hatte oder die Situation falsch eingeschätzt hatte, sondern weil sich die entsprechenden Länder dann doch kooperativ zeigten. Ohne unterstellen zu wollen, dass dies die Intention einer Unterzeichnung von Informationsaustauschabkommen durch die entsprechenden Länder ist, kann man dennoch nicht ausschließen, dass die Streichung von der grauen Liste eine Rolle spielt oder gespielt hat und Steueroasen und Offshorezentren für Abkommen nach dem TIEA-Modell geöffnet hat. Auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums können wir zudem nachlesen, dass es sich bei den Abkommen mit den Cookinseln und Grenada zum Steuerinformationsaustausch um einen wichtigen Beitrag zur Steuergerechtigkeit handelt. Dies ist es tatsächlich: ein Beitrag - nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen nun aber darüber hinaus, weil das BMF andernfalls seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Dies entspricht letztlich auch den Lehren, die wir aus den Erfahrungen im Zusammenhang mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen ziehen sollZu Protokoll gegebene Reden Lothar Binding ({1}) ten. Die Schweizer Regierung war bestrebt, das dortige Bankgeheimnis zu schützen und die Arbeit ihrer Banken zu erleichtern, und Deutschland wäre ihnen an dem Punkt bei den Steueransprüchen, aber auch bei der Strafverfolgung sogar entgegengekommen. Die Folge war, dass - auch wenn nur ein Fall davon stellvertretend für andere prominent in den Medien behandelt wurde - viele auf das Zustandekommen des ursprünglichen Steuerabkommens setzten und die Steuerhinterziehung anonym bereinigen wollten. Nur durch das Scheitern im Bundesrat konnte verhindert werden, dass sie sich ihrer Verantwortlichkeit entziehen konnten und eine Selbstanzeige auch wirklich ein Ermittlungsverfahren nach sich zieht. Aus diesen Erfahrungen sollten wir gelernt haben und ein Abkommen immer auch mit den notwendigen Instrumenten versehen. So streben wir nach wie vor einen automatischen Informationsaustausch an, und zwar für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen und natürlichen Personen. Dies haben wir auch immer wieder klargemacht und mahnen dies seit Jahren an. Wenn Sie in die Beschlussempfehlungen und Berichte aus dem Finanzausschuss schauen, werden Sie leicht erkennen können, dass wir wiederholt erklärt haben, dass wir zwar grundsätzlich einer Umsetzung auf der Grundlage des OECD-Musterabkommens zustimmen, aber darauf hinweisen, dass die Bundesregierung sich im Rahmen der Verhandlungen in der OECD für die Aufnahme des automatischen Informationsaustauschs einsetzt. Damit kann gut auch bilateral begonnen werden. Bislang ist es jedoch so, dass Auskunftsersuchen über relevante Sachfragen proaktiv gestellt werden müssen. Damit lässt sich natürlich nicht ausschließen, dass sich im Zweifel eine Behörde, deren Mitarbeiter darin nicht geschult sind, von solchen Ersuchen und ihren Verfahrensvorgaben durchaus auch abschrecken lässt. Zudem wollen wir im Verhältnis zu der Freistellungsmethode stärker zur Anwendung der Anrechnungsmethode. Dabei werden die ausländischen Einkünfte bzw. Vermögensteile bei der Ermittlung der inländischen Steuerbemessungsgrundlage und des Steuersatzes berücksichtigt, wobei auf die inländische Steuer die im Ausland gezahlten Steuern angerechnet werden. Auch dies setzt jedoch einen umfassenden Informationsaustausch voraus, was „auf Anfrage“ nur schwer durchzuführen ist. Dieses Verfahren wird in beiden Abkommen mit seinen Anforderungen in Art. 5 genauer beschrieben, und man kann ahnen, wie kompliziert sich ein Auskunftsersuchen in der Praxis darstellen kann. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, wie unterschiedlich dann doch das Ergebnis bei Abkommen auf der Grundlage einer Mustervereinbarung sein kann, wenn der Vertragspartner geschickt zu verhandeln weiß. Wo die Mustervereinbarung in Art. 5 Abs. 6 OECD-MA mit 60 und 90 Tagen klare zeitliche Grenzen für die Bearbeitungsfrist setzen wollte, geht das Abkommen mit den Cookinseln in seinem Art. 5 Abs. 7 weit darüber hinaus und spricht von einem „Bemühen nach besten Kräften“, dem Vertragsstaat „innerhalb der kürzesten vertretbaren“ Frist die erbetenen Informationen zu übermitteln. Dies steht in einem sehr deutlichen Widerspruch zu der Mustervereinbarung der OECD und gibt einem Auskunftsersuchen einen sehr weiten zeitlichen Rahmen. Insgesamt wäre ohnehin mehr Klarheit wünschenswert, auch was die Möglichkeiten zur Ablehnung eines Auskunftsersuchens angeht, die ebenso zahlreich wie interpretationsbedürftig in Art. 7 beider Abkommen niedergelegt sind. Uns sind deshalb Abkommen wie diese - mit Blick auf die Entwicklungen in den letzten Monaten - inzwischen zu wenig. Dabei fehlt es nicht nur an einem stärkeren Engagement der Bundesregierung mit Blick auf weitergehende Standards insbesondere im Rahmen der G20-Gespräche zur internationalen Besteuerungspolitik, sondern auch an einem deutlich erkennbaren Willen zur Aufklärung bereits bekannter Sachverhalte. Soweit die Bundesregierung meint, sie habe mit Erfolg klare Erwartungen formuliert, frage ich doch, woran ich diesen Erfolg erkennen kann - am Verhandlungsergebnis zu den heute befassten Abkommen jedenfalls nicht. Wir stimmen diesen beiden Entwürfen aus den genannten Gründen nicht zu, schlagen aber vor, die ihnen zugrunde liegenden Abkommen nachzuverhandeln, um ihnen die Zielrichtung zu geben, die vorgeblich damit angestrebt wird. Erst damit käme die Regierungskoalition ihrer Verantwortung nach, damit deutlich würde, dass wir weit über die Mindeststandards hinausgehen müssen, um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen zu können. Mit Blick auf die Kanzlerin gelingt eine gute Zusammenfassung: Während die CDU/CSU/FDP eine „marktkonforme Demokratie“ wollen, will die SPD einen „demokratiekonformen Markt.“

Holger Krestel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004205, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir haben uns ja schon in der letzten Woche ausführlich damit beschäftigt, was die Bundesregierung alles unternimmt, um internationaler Steuervermeidung und -hinterziehung von Unternehmen und Privatpersonen zuvorzukommen, und wie erfolgreich sie hierbei ist. In dieser Legislaturperiode wurde mehr gegen Steuerflucht und für internationale Steuergerechtigkeit getan als je zuvor in der Bundesrepublik. Die Karibikinsel Grenada und die Cookinseln im Pazifik gehörten bis vor kurzem noch zu den letzten Staaten auf der Welt, die sich gegen eine umfängliche Kooperation im Kampf gegen Steuerhinterziehung gesperrt hatten. Mit den nun beschlossenen Verträgen, welche an die OECD-Standards für den steuerlichen Informationsaustausch angelehnt sind und alle Kernelemente enthalten, verpflichten die Vertragspartner sich, alle erforderlichen Informationen für ein BesteuZu Protokoll gegebene Reden erungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren zu erteilen. Dass wir diese Steuerabkommen nun in so zuverlässiger Regelmäßigkeit auch mit Staaten abschließen können, die vorher als reine Steueroasen bekannt waren, ist keine Selbstverständlichkeit und wäre vor wenigen Jahren nur schwer vorstellbar gewesen. Es ist der Lohn für eine zielstrebige internationale Zusammenarbeit, die über Jahre hinweg konzentriert verfolgt wurde. Auf internationaler Ebene sind Alleingänge fast ausnahmslos zum Scheitern verurteilt, aber durch eine langfristige und gute Koordination der internationalen Gemeinschaft und der OECD konnte den betroffenen Staaten die Perspektivlosigkeit ihrer Abschottungsstrategie vermittelt werden. Das Netz wird immer feinmaschiger, und es wird immer schwieriger, sein Geld zu verstecken. Wir werden uns auf diesen Erfolgen jedoch nicht ausruhen. Es ist ohne Frage noch viel zu tun, bis auch die letzten Winkel des Weltfinanzsystems restlos ausgeleuchtet sind. Insbesondere bei den Möglichkeiten zur Steuervermeidung internationaler Großunternehmen, welche ganz legal und vor unseren Augen immer noch die Gewinne in ihren Bilanzen von Land zu Land schleusen können, muss weiter durchgegriffen werden, auch wenn hier schon einige vielversprechende Initiativen gestartet wurden. Ich bitte Sie daher, unsere Anstrengungen für Steuergerechtigkeit zu unterstützen und diese beiden Abkommen zu beschließen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die aktuelle Debatte um die Offshore Leaks zeigt eindeutig, wie wichtig ein vernünftiger Informationsaustausch zwischen den Ländern ist, am besten wäre selbstverständlich ein automatischer; denn er ist das effektivste Mittel bei der Bekämpfung internationaler Steuerhinterziehung. Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um Steuerinformationsaustausch-Abkommen, zum einen mit den Cookinseln, zum anderen mit Grenada. Tax Justice Network ordnet die Cookinseln und Grenada als Steueroasen ein, aufgrund geringer Finanzströme allerdings als nicht bedeutsame. Maßgeblich für die Einordnung als Steueroase sind vor allem das Fehlen steuerrelevanter Informationen, wie zum Beispiel fehlende Unternehmensregister. Die Abkommen orientieren sich weitgehend am geltenden OECD-Standard für TIEAs, Tax Information Exchange Agreements, von 2002, das heißt unter anderem auch, dass als Informationsstandard lediglich auf Auskunft auf Ersuchen abgestellt wird. Wir honorieren jedoch, dass die Bundesregierung Informationsaustauschabkommen abschließen will. Dies sei zumindest ein Versuch, auf dem Weg zu einem automatischen Informationsaustausch ein Stück weiter voranzukommen. Es sei allerdings enttäuschend, dass überhaupt keine Garantie gegeben sei, dass, wenn ein Finanzamt eine Frage stelle, es auch eine aussagekräftige Antwort aus Grenada oder von den Cookinseln erhalten werde. Es wäre wichtig, bereits vor Abschluss eines Abkommens zu wissen, ob in diesen Ländern auf Basis der Verhandlungen begonnen werde, zum Beispiel ein Unternehmensregister einzurichten oder andere Vorkehrungen für einen effektiven Informationsaustausch zu treffen. Man könne nicht erst ein halbes Jahr nach Inkrafttreten anfangen zu überprüfen, ob entsprechende Voraussetzungen überhaupt bestünden. Die Abkommen enthalten unter anderem die theoretische Möglichkeit einer verbesserten Informationsweitergabe durch die Cookinseln und Grenada. Deswegen und da es keine Doppelbesteuerungsabkommen sind, sind sie zumindest nicht schädlich. Angesichts der Enthüllungen durch Offshore Leaks muss aber die Wirksamkeit derartiger Abkommen hinterfragt werden. Problematisch ist insbesondere die unzureichende Erfassung von Unternehmen durch die Cookinseln und Grenada. Problematisch im Falle Grenada ist insbesondere, dass die Steuerbehörden von Grenada über viele Informationen gar nicht verfügen, da sie dort nicht systematisch erfasst werden. Die Abkommen sind insgesamt nicht hinreichend zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, aber sie stellen einen kleinen Fortschritt dar; daher werden wir uns bei beiden Gesetzentwürfen enthalten. Letztlich brauchen wir einen automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten; nur so kann internationale Steuerhinterziehung eingedämmt werden. Dieser muss international Standard werden.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Den Mitgliedsländern der Europäischen Union gehen jedes Jahr 1 000 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung, Steuergestaltung und Schattenwirtschaft verloren. Auf Deutschland entfallen dabei rund 150 Milliarden Euro Steuerausfälle. Dies wird auch ermöglicht durch den Verbund einiger Länder mit weltweit lokalisierten Steueroasen - wie Grenada und den Cookinseln. Wir stimmen heute über zwei Steuerinformationsaustauschabkommen mit diesen beiden Inseln ab. Wir Grüne begrüßen es grundsätzlich, dass sich Gebiete, die bislang als Steuerrückzugsorte bekannt waren, zu einer stärkeren Zusammenarbeit verpflichten. Dies hat aber wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass die Gebiete mindestens zwölf OECD-Abkommen geschlossen haben müssen, um von der „Grauen Liste der Steueroasen“ der OECD gestrichen zu werden. Für eine effektive Bekämpfung der Steuerflucht reicht das OECD-Musterabkommen allerdings nicht aus: Denn nur in einem konkreten Verdachtsfall wird ein Informationsgesuch an den Vertragsstaat übersandt, und nach entsprechender Prüfung durch die Behörden des Landes soll Auskunft über den konkreten Fall gegeben werden. Es ist jedoch sehr schwierig, geZu Protokoll gegebene Reden nug Indizien für Steuerhinterziehung zu sammeln, bevor die Behörden des anderen Landes Auskunft geben. Amtshilfegesuche ohne konkrete Anhaltspunkte sind nicht möglich. Diese sogenannten „Fishing Expeditions“ sind jedoch unabdingbar, um aggressive Steuergestaltung und Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen zu können. Noch weiter weg sind wir mit den vorliegenden Abkommen von einem automatischen Informationsaustausch, wie er in Europa jetzt mit der erweiterten Zinsrichtlinie umgesetzt werden soll. Der automatische Informationsaustausch ist das wirkungsvolle Werkzeug, mit dem Steuerhinterziehung verhindert werden und ein Wettbewerb ohne steuerliche Verzerrung realisiert werden kann. Auch ist es wichtig, dass man im Rahmen eines Informationsaustauschabkommens nicht nur die Möglichkeit hat, eine entsprechende Anfrage zu stellen, sondern es geht auch darum, Steuerflüchtlinge zu benennen, die sich unter dem Dach eines solchen Abkommens bisher trefflich verstecken können. Dabei spreche ich von Trusts oder Briefkastenfirmen. Erste Auswertungen der Offshore-Leaks-Daten haben das Problem von Briefkastenfirmen auf den Cookinseln erneut deutlich gemacht. Ich plädiere daher für einen Strategiewechsel in der deutschen Abkommenspolitik: Man sollte nur dann Bereitschaft signalisieren, ein Informationsabkommen abzuschließen, wenn zumindest sogenannte Fishing Expeditions zugelassen werden und ein automatischer Informationsaustausch mittelfristig umgesetzt wird. So kann Druck auf diese Staaten ausgeübt werden. Luxemburg und auch die Schweiz haben einen Paradigmenwechsel angezeigt: Beide Staaten haben realisiert, dass sie nur dann noch ihre Position als attraktiver Finanzplatz halten können, wenn sie sich den Transparenzregeln eines automatischen Informationsaustausches öffnen. Und wir haben gesehen: Nur mit dem Druck der Staatengemeinschaft außerhalb lassen sich die Steueroasen isolieren. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg wird dagegen noch viele Jahre brauchen, bis er überhaupt Erfolg zeigen kann. Wir haben uns in der Vergangenheit bei der Abstimmung über die Informationsaustauschabkommen in der Regel enthalten. Diesmal werden wir beide Gesetzentwürfe ablehnen, da wir aufgrund der veränderten weltweiten Debatte um mehr Transparenz ein Potenzial für die schnellere Umsetzung eines effektiven Informationsaustausches sehen und die vorliegenden Gesetzesentwürfe dieses Potenzial nicht ausschöpfen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13345, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12958 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13345 empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12959 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern - Demokratischen Protest unterstützen - Drucksache 17/13489 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Alle sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13489 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das ge- meinsam so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 45 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- kung der Funktionen der Betreuungsbehörde - Drucksache 17/13419 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss Die Reden werden zu Protokoll gegeben. Wir haben dies auch schon in der Tagesordnung ausgewiesen. 1) Anlage 15

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde. Zuletzt haben wir uns parlamentarisch am 1. März mit der Reform des Betreuungsrechts befasst. Damals hatte ich bereits einen ersten Überblick über die Vorgeschichte und die wesentlichen Punkte des heute beratenen Gesetzentwurfes der Bundesregierung gegeben. Darauf will ich nun heute aufbauen. Zunächst will ich noch einmal betonen, dass das deutsche Betreuungsrecht von 1992 als eines der modernsten Rechtsinstrumente dieser Art in Europa gilt: Anstelle von Bevormundung ist die Anerkennung betreuter Menschen als gleichberechtigte und selbstbestimmte Mitglieder unserer Gesellschaft getreten. Unser Betreuungsrecht entspricht damit bereits grundsätzlich den Anforderungen der VN-Behindertenrechtskonvention: Es ermöglicht eine nach Aufgabenkreisen maßgeschneiderte Vertretung des Betreuten in dem jeweils erforderlichen Umfang, ohne die Geschäftsfähigkeit des Betreuten aufzuheben. Damit kann gerade die Betreuung dazu beitragen, dem Betreuten ein möglichst selbstbestimmtes Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu bieten. Gleichzeitig bietet das Betreuungsrecht einen Rahmen, um Menschen in besonders gefährdeten Situationen zu schützen. Aus diesen beiden Zielsetzungen resultiert ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge, das für das Betreuungsrecht bestimmend ist. Bei einem Blick auf die Entwicklung der Fallzahlen ist festzustellen, dass auch nach dem Inkrafttreten des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes im Juli 2005 die Zahl der rechtlichen Betreuungen - tendenziell abflachend - bundesweit weiter gestiegen ist: von 1,2 Millionen Ende 2005 auf 1,3 Millionen Ende 2011. Jede Betreuung hat einen mehr oder weniger starken Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zur Folge. Das oberste Ziel jeder Weiterentwicklung des Betreuungswesens muss folglich sein, Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht - wie auch von der VN-Behindertenrechtskonvention vorgegeben - auf das Notwendigste zu beschränken und andere Möglichkeiten der Unterstützung und Assistenz aufzuzeigen und zu vermitteln. Das bedeutet, dass ein Betreuer nur dann bestellt werden darf, wenn eine Betreuung auch wirklich erforderlich ist. Das Ziel muss also eine Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes sein, um der steigenden Zahl der Betreuungen zu begegnen. Dies trägt auch den Herausforderungen der demografischen Entwicklung und einer steigenden Zahl von Menschen mit Assistenzbedarf Rechnung. Die Bestellung eines rechtlichen Betreuers ist dann nicht erforderlich und nicht zulässig, wenn die Angelegenheiten des Volljährigen ebenso gut durch andere Hilfen besorgt werden können. Hierzu zählen insbesondere auch sozialrechtliche Unterstützungsangebote. Die Debatte um die Zukunft des Betreuungsrechts muss demzufolge interdisziplinär geführt werden. Dies hat die Bundesregierung getan, wie die Genese des vorliegenden Gesetzentwurfes zeigt. Dem bereits angesprochenen 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz von 2005 waren damals langwierige Beratungen vorausgegangen. Das Gesetz verpflichtet die Bundesregierung zur zeitnahen Evaluation. Das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.V., ISG, hat diese Evaluation zwischen 2005 und 2009 im Auftrag des BMJ durchgeführt. Dabei wurde auch untersucht, ob mit der derzeitigen Regelung eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Betreuung der Betroffenen gewährleistet ist. Auf der Basis des 2009 vorgelegten Evaluationsberichtes hat im September 2009 eine durch das BMJ eingerichtete interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ ihre Arbeit aufgenommen. Teilnehmer waren Vertreter der Landesjustizverwaltungen von Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie der Landessozialministerien von Hessen, Brandenburg und Bremen. Außerdem waren eine Reihe von Richtern, Rechtpflegern, Vertreter von Betreuungsbehörden und Betreuungsvereinen sowie der Deutsche Landkreistag eingebunden. Die Aufgaben dieser interdisziplinären Arbeitsgruppe bestanden darin, die Ergebnisse der ISG-Evaluation zu analysieren und Möglichkeiten zur Umsetzung zu erarbeiten. Darüber hinaus sollten die Beschlüsse der Justizministerkonferenzen von 2005 und 2009 zur Strukturreform des Betreuungsrechts und Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der BundLänder-Arbeitsgruppe „Betreuungskosten“ vom Mai 2009 umgesetzt und mögliche Verbesserungen im Hinblick auf die VN-Behindertenrechtskonvention herausgearbeitet werden. Die interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ hat am 20. Oktober 2011 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin empfiehlt sie die Beibehaltung des derzeitigen Systems der rechtlichen Betreuung und sieht gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Rahmen des bisherigen Betreuungs- und Verfahrensrechts. In ihrer Herbstkonferenz 2011 haben die Justizministerinnen und -minister über den Abschlussbericht beraten und das BMJ gebeten, einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Umsetzung der Vorschläge der interdisziplinären Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht zu erarbeiten, soweit diese gesetzliche Änderungen im Bundesrecht betreffen. Die interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte in ihrem Abschlussbericht darüber hinaus weitere Vorschläge für untergesetzliche Maßnahmen angeregt, die alle Bereiche betreffen: BetreuungsgeZu Protokoll gegebene Reden richte, Betreuungsbehörden und Betreuungsvereine. Die Vorschläge der AG für gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen im Betreuungswesen bilden ein in sich geschlossenes Konzept, das möglichst komplett umgesetzt werden sollte, um die Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht zu reduzieren und das Aufzeigen und die Vermittlung anderer Möglichkeiten der Unterstützung und Assistenz zu verbessern. Vor diesem Hintergrund ist der heute beratene Gesetzentwurf ein weiterer Schritt hin zu einer noch besseren Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes. Mit den hier getroffenen Regelungen soll darauf hingewirkt werden, dass andere Maßnahmen, die eine Betreuung vermeiden können, in Zukunft besser genutzt werden. So soll die Bestellung eines Berufsbetreuers auf die Menschen beschränkt werden, die einen komplexen bzw. hohen rechtlichen Assistenzbedarf haben. In diesem Zusammenhang werden sogenannte vorgelagerte Systeme wie etwa Betreuungsverfügungen, Beratungsangebote oder die Bestellung einer ehrenamtlichen Betreuung gestärkt. Heute werden rund zwei Drittel der Betreuungen ehrenamtlich geführt. Trotzdem steigt die Zahl der beruflichen Betreuungen sowohl relativ als auch absolut seit Jahren an. Die Bestellung eines Berufsbetreuers darf nur Ultima Ratio in einem System der Hilfsangebote sein und nicht mehr und mehr zur Regel werden. Die Betreuungsbehörde ist Dreh- und Angelpunkt an der Schnittstelle zwischen Betreuungsrecht und Sozialrecht. Das Ziel des Gesetzentwurfes ist die Stärkung der bestehenden Funktionen der Betreuungsbehörde durch Änderungen im Verfahrensrecht, FamFG, und im Betreuungsbehördengesetz: Die Aufgaben der Behörde, die im Vorfeld eines betreuungsgerichtlichen Verfahrens stehen, werden konkretisiert. Ferner werden qualifizierte Kriterien für den Bericht der Betreuungsbehörde an das Gericht gesetzlich verankert. Durch Information und Beratung im Hinblick auf mögliche Betreuungsfälle können frühzeitig andere Hilfen aufgezeigt und so betreuungsgerichtliche Verfahren unter Umständen vermieden werden. Der geänderte § 4 des Betreuungsbehördengesetzes regelt zukünftig, dass die Betreuungsbehörde Betroffene beraten und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialleistungsträgern auf andere Hilfen - sprich ohne Bestellung eines Betreuers - hinwirken kann, wenn sozialrechtliche Hilfen und Assistenzen in Betracht kommen. Außerdem wird eine Kooperationspflicht zwischen der Betreuungsbehörde und den zuständigen Trägern sozialer Hilfen in das Betreuungsbehördengesetz eingefügt und die Aufgaben der Betreuungsbehörde erweitert. Mit der steigenden Zahl der Vorsorgevollmachten müssen die Aufgaben der Behörde zur Beratung und Hilfestellung für Bevollmächtigte im Vorsorgefall ergänzt werden und demzufolge die Behörden auch mit entsprechenden Fachkräften ausgestattet werden. Mit der steigenden Zahl von Vorsorgevollmachten nimmt auch die Bedeutung der Beratung und Hilfestellung für Bevollmächtigte bei ihrer Aufgabenwahrnehmung im Vorsorgefall zu. Die vorhandenen Informationsmaterialien und Handreichungen sind zwar eine erste Hilfe, sie können jedoch die persönliche Beratung und Betreuung der Bevollmächtigten bei der Wahrnehmung der Aufgaben nicht ersetzen. Anknüpfend an die Änderung des § 4 durch das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz, mit der die Beratung und Unterstützung des Bevollmächtigten ergänzt wurde, erfolgt nun eine entsprechende Änderung von § 5. Die Anleitungspflicht der Betreuungsbehörde soll neben dem Betreuer nun auch den Bevollmächtigten erfassen. Anders als beim Betreuer verfügt die Behörde nicht über die Anschriften von Bevollmächtigen und kann diese daher nicht initiativ zu Fortbildungen einladen. Eine ausdrückliche Nennung in § 5 macht jedoch deutlich, dass - soweit der Bevollmächtigte die Unterstützung der Behörde wünscht - auch er in seine Aufgabenwahrnehmung eingeführt und fortgebildet werden soll. Im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG, wird die obligatorische Anhörung der Betreuungsbehörde in jedem Verfahren vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes eingeführt. So wird sichergestellt, dass alle Hilfen unterhalb der Schwelle der rechtlichen Betreuung ausgeschöpft werden. Durch die Änderung des § 280 Abs. 2 FamFG soll darüber hinaus das Sachverständigengutachten mit dem Bericht der Betreuungsbehörde verknüpft werden. Der ärztliche Sachverständige soll bei seiner gutachterlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen der Krankheit des Betroffenen auch auf dessen soziale Situation eingehen und hierzu nach Möglichkeit den Bericht der Behörde in den Erkenntnisprozess einbeziehen. Es wird davon abgesehen, eine feste zeitliche Reihenfolge für den Bericht der Behörde und das medizinische Gutachten vorzugeben, um dem Richter eine flexible Handhabung des Verfahrens im Einzelfall zu ermöglichen. Die entsprechende Formulierung legt aber fest, dass nur ein dem Sachverständigen rechtzeitig vorgelegter Bericht zu berücksichtigen ist. Die Vorschriften zur Erweiterung, Aufhebung und Einschränkung sowie zur Verlängerung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts verweisen bisher uneingeschränkt auf § 279 FamFG. Da in diesen Fällen vor einer Entscheidung keine obligatorische Anhörung erfolgen soll, wird eine entsprechende Ergänzung in den Verweisungsregelungen ({0}) vorgenommen, um den bisherigen Regelungsgehalt zu erhalten. Anders als bei der erstmaligen Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts liegen dem Gericht in diesen Verfahren bereits Informationen zu dem Betroffenen vor. Oft enthalten die Berichte der Betreuungsbehörde im Rahmen der Erstbestellung zudem Zu Protokoll gegebene Reden prognostische Aussagen. Der Einschätzung der Betreuungsbehörde kann jedoch auch in diesen Verfahren eine wichtige Funktion bei der Sachverhaltsaufklärung zukommen. Sofern beispielsweise Anhaltspunkte für eine mögliche Aufhebung der Betreuung oder für einen möglichen Betreuerwechsel bestehen, sollte das Gericht daher eine Stellungnahme der Betreuungsbehörde anfordern. Lassen Sie mich abschließend noch auf eine Änderung des BGB hinweisen, die die Bundesregierung im Rahmen dieses Gesetzentwurfes vorschlägt: In der Praxis stellt es zum Teil ein Problem dar, dass der ehrenamtliche Betreuer nach seiner Gewinnung sowie der Bevollmächtigte nicht längerfristig beraten werden und eine „Kundenbindung“ nicht gelingt. § 1908 f Abs. 1 Nr. 2 BGB wird daher um eine Formulierung ergänzt, wonach die gewonnenen ehrenamtlichen Betreuer sowie Bevollmächtigten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützt werden. Die Pflicht zur Unterstützung soll neben der Pflicht zur Anleitung und Beratung bestehen. Mit der Ergänzung soll der Gedanke des Rückhalts für den ehrenamtlichen Betreuer im Verein stärker betont werden. Ziel ist es, eine langfristige Einbindung der ehrenamtlichen Betreuer und der Bevollmächtigten in das Netzwerk eines Betreuungsvereins zu erreichen. Die Parallelität der Beratungsangebote - Gericht, Behörde, Verein - hat sich in der Praxis nicht als Nachteil erwiesen. Betreuer und Bevollmächtigte haben so die Möglichkeiten, zwischen den Angeboten zu wählen. Wir sind uns darin einig, dass die beschriebenen demografischen und gesellschaftlichen Herausforderungen sowie auch die Vorgaben aus der VN-Behindertenrechtskonvention eine ständige Weiterentwicklung des Betreuungsrechts notwendig machen. Meine Ausführungen haben gezeigt, dass die unionsgeführte Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Stärkung der Funktion der Betreuungsbehörden entschlossen ist, sich dieser Aufgabe zustellen.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Seitdem diskutieren wir immer wieder, ob unsere gesetzlichen Grundlagen diesen Standards gerecht werden. Ich denke, zumindest die Oppositionsfraktionen sind sich darin einig, dass es an einigen wesentlichen Stellen Nachbesserungsbedarf gibt. Dies ist vor allem auch vor dem Hintergrund der immer steigenden Zahl rechtlicher Betreuungen zu sehen. Das Bundesjustizministerium spricht in einer Pressemitteilung davon, dass sich die Zahl der rechtlichen Betreuungen in den letzten 20 Jahren insgesamt verdreifacht hat. Wir sprechen hier von Menschen, die Unterstützung brauchen, die ihren Alltag nicht mehr bewältigen und keine eigenständigen Entscheidungen treffen können. Die Bedürfnisse dieser Menschen sind je nach Schicksal völlig unterschiedlich. Eines haben diese Betroffenen aber alle gemeinsam: Es wird in ihr Selbstbestimmungsrecht eingegriffen. Das Betreuungsrecht ist daher ein sehr sensibler und vor allem auch schwieriger Bereich. Mit dem Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz wurde daher 2005 eine Evaluation in Auftrag gegeben, die seit Sommer 2009 vorliegt. Im Oktober 2011 hat eine interdisziplinäre Bund-LänderArbeitsgruppe ihren Abschlussbericht vorgelegt, die sich mit der Weiterentwicklung des Betreuungsrechts beschäftigt hat. Mit dem nun vom Bundesjustizministerium vorgelegten Gesetzentwurf sollen die Vorschläge dieser Arbeitsgruppe, die gesetzliche Änderungen im Bundesrecht betreffen, umgesetzt werden. Die Betreuungsbehörde soll als Schnittstelle zu sozialen Hilfen und Assistenzen gestärkt werden. Um dies zu erreichen, sind folgende gesetzliche Änderungen vorgesehen: Zur Feststellung eines Sachverhalts im betreuungsrechtlichen Verfahren soll künftig vor Bestellung eines Betreuers oder vor Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die Anhörung der Betreuungsbehörde verpflichtend vorgesehen werden. Für den Bericht der Betreuungsbehörde werden qualifizierte Kriterien festgelegt. Die Aufgaben der Betreuungsbehörde werden gesetzlich konkretisiert. Die Wahrnehmung durch Fachkräfte wird gesetzlich verankert. Laut Bundesjustizministerium soll der Entwurf damit ein erster Schritt zu einer weiterzuführenden Diskussion über notwendige Veränderungen im Betreuungsrecht sein, die durch eine geplante Evaluation dieses Gesetzes begleitet werden soll. Man sollte meinen, dass wir nach den bereits erfolgten Evaluationen und Arbeitsgruppensitzungen schon ein Stück weiter sein sollten. Aber auf viele Fragen des Betreuungsrechts gibt der vorliegende Gesetzentwurf keine Antwort. Wir werden sehen, wie die Bewertung der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss Anfang Juni ausfallen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Sachverständigen erheblich mehr Änderungsbedarf im Bereich des Betreuungsrechtes sehen werden, sowohl in Bezug auf den Einklang des Betreuungsrechts mit der UN-Behindertenrechtskonvention als auch in Bezug auf den Umgang mit den immer weiter steigenden Kosten in diesem Bereich. Es bestehen viele weitere Unklarheiten und Lücken im aktuellen Betreuungsrecht. Ich möchte an dieser Stelle erneut auf das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen hinweisen. Statt der Zersplitterung sozialer Hilfen brauchen wir mehr Transparenz und Praktikabilität in den Sozialen Gesetzbüchern. Die Zuordnungen sozialer Leistungen muss vereinfacht werden. Des Weiteren ist es notwendig, effektive Hilfen zur Vermeidung einer rechtlichen Betreuung bereitzustelZu Protokoll gegebene Reden len. Der derzeit vielerorts praktizierte Abbau sozialer Dienste aufgrund leerer öffentlicher Haushalte ist hier absolut kontraproduktiv. Rechtliche Betreuung sollte eine letzte Möglichkeit sein. Betroffenen Menschen muss schon vor der Anordnung einer Betreuung besser geholfen werden. Die Tätigkeit der ehrenamtlichen Betreuer und der Berufsbetreuer ist von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Die Vergütung in diesem Bereich muss den Aufgaben entsprechend angemessen sein. Wir müssen daher zum Beispiel überprüfen, ob die Stundensätze der Berufsbetreuer derzeit noch angemessen sind. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, eine qualitativ hochwertige Betreuung, die den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen angepasst ist, sicherzustellen - für jetzt und für die Zukunft.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit dem Gesetz sollen die Betreuungsbehörde gestärkt und insbesondere darauf geachtet werden, im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, UN-Behindertenrechtskonvention, entsprechende Verbesserungen einzuführen. Im Wesentlichen betrifft dies Änderungen im FamFG und Betreuungsbehördengesetz. Es soll erreicht werden, die Betreuungsbehörde sowohl im gerichtlichen Verfahren als auch schon vor diesem gerichtlichen Verfahren zu stärken mit der Zielsetzung, möglichst wenig oder weniger umfangreiche Betreuungen anzuordnen und damit auch das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung weitestgehend zu stärken. So soll insbesondere im FamFG künftig das Gericht in jedem Fall vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die zuständige Behörde anhören - und nicht nur für den Fall des Verlangens durch den Betroffenen selbst. Auch werden konkrete Kriterien genannt, welche bei der Anhörung durch das Gericht insbesondere zu beachten sind. Hier wird dem Schutz des Betroffenen verstärkt Rechnung getragen, gerade im Hinblick auf die Erforderlichkeit und die eventuell erforderliche Betreuerauswahl. Gleiches soll auch entsprechend bei § 293 FamFG gelten, der die Aufgabenbereiche des Betreuers regelt. Im Falle einer Erweiterung der Betreuung ist jedoch die Betreuungsbehörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es der Sachaufklärung dient. Hier wird im Grunde der alte Status quo wieder hergestellt, da ursprünglich nur auf Antrag des Betroffenen bei der Erst-Bestellung angehört werden sollte und dies bei der Erweiterung entsprechend galt. Diese Entsprechung würde nun eine zwingende Anhörung nach sich ziehen, was durch die Änderung wieder korrigiert wird. Gleiches gilt für den Bereich der Aufhebung oder Einschränkung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts - § 294 FamFG. Auch hier soll der Status quo bestehen bleiben, genau wie bei der Verlängerung der Betreuung. Ziel ist also, möglichst wenig Betreuungen oder Betreuungen mit geringerem Umfang anzuordnen. Die weiteren gesetzlichen Regelungen bleiben in ihrem Wesensgehalt unberührt. Positiv zu sehen sind die angestrebten Änderungen im Betreuungsbehördengesetz, wonach die Betreuungsbehörde künftig nicht nur für Betreuer ein Angebot zur Einführung in ihre Aufgaben und Fortbildung bereitstellt, sondern dies auch auf die Bevollmächtigten ausgeweitet wird. Angesichts von Vorsorgevollmachtserklärungen ist die Zahl der Vorsorgebevollmächtigten in letzter Zeit gestiegen und dürfte auch weiter ansteigen. Daher soll mit den Neuregelungen sichergestellt werden, dass auch diesem Personenkreis die Möglichkeit eröffnet wird, in die Aufgaben einer Betreuung eingeführt und oder entsprechend fortgebildet zu werden. Der Gesetzentwurf setzt damit ein positives Signal, die Häufigkeit von Betreuungen im Hinblick auf die tatsächliche Erforderlichkeit zu reduzieren. Selbstbestimmtes Leben sollte höchste Priorität genießen. Von daher ist die verpflichtende Anhörung der Betreuungsbehörde diesbezüglich ausgesprochen sinnvoll. Zu den Kosten und dem Erfüllungsaufwand gibt der Gesetzentwurf allerdings nichts her, da keine validen Daten vorliegen, welche eine Berechnung oder Hochrechnung rechtfertigen könnten. Es bleibt festzustellen, dass möglicherweise die Kosten für die originäre Betreuung sowohl für den Betroffenen als auch die Kommunen geringer ausfallen können. Betreuungskosten sind vom Betroffenen zu tragen, es sei denn, er ist nicht leistungsfähig. In diesem Fall wäre der Staat Kostenschuldner. Bei einer Reduzierung der Zahl von Betreuungen und auch Verstärkung der Gewinnung von ehrenamtlichen Betreuern und besserer Schulung von Bevollmächtigten können die Kosten für die Kommunen sinken. Inwieweit dies jedoch vom Erfüllungsaufwand wieder kompensiert wird, kann keiner sagen, zumal die Betreuungsbehörden länderspezifisch unterschiedlich aufgestellt und eingerichtet worden sind. In der Begründung zum Gesetzentwurf geht die Bundesregierung selbst davon aus, dass nicht überall sowohl sachlich als auch personell gut ausgestattete Betreuungsbehörden vorhanden sind. Inwieweit hier auf die Länder Kosten und in welcher Höhe zukommen, kann nicht quantifiziert werden. Vielleicht bringt die bereits terminierte Sachverständigenanhörung dazu und zu Kleinigkeiten des Gesetzentwurfs noch Klarheit. Aber selbst wenn nicht eine sogenannte Win-Win-Situation, wie sie der Nationale Normenkontrollrat beschreibt, entstehen sollte, gilt doch nach wie vor, dass ein selbstbestimmtes Leben oberste Priorität hat und Zu Protokoll gegebene Reden nur in Ausnahmefällen und dann mit geringstnötigem Umfang entsprechend eingegriffen werden sollte. Für die Linke steht der Mensch im Vordergrund. Menschenrechte dürfen nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Von daher gehe ich guten Mutes in die anstehenden Beratungen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir diskutieren hier einen Gesetzentwurf, der nur enttäuschen kann. Er nimmt für sich in Anspruch, die Selbstbestimmung von Menschen zu stärken, die auf rechtliche Assistenz angewiesen sind. Tatsächlich ist dieser Gesetzentwurf nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein paar kosmetische Änderungen bei den Betreuungsbehörden reichen nicht aus, wenn wir die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen ernsthaft stärken möchten. Wir stehen in der Pflicht, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Zweifellos ist es eine große Herausforderung, rechtliche Regelungen und ihre Umsetzung so zu gestalten, dass alle Menschen ihr Menschenrecht auf „Gleiche Anerkennung vor dem Recht“, Art. 12, das Menschenrecht auf „Zugang zur Justiz“, Art. 13, sowie das Menschenrecht auf „Freiheit und Sicherheit der Person“, Art. 14, auch wahrnehmen können. Ich verlange keine Wunder, natürlich ist dies nicht in einem einzigen Gesetzgebungsverfahren zu erreichen. Aber das ist in meinen Augen der Hintergrund, vor dem wir diesen Gesetzentwurf bewerten müssen. Das sehe ich nicht alleine so: Auch der Gesetzentwurf argumentiert im „Lichte des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung“. Gerade in diesem Licht ist deutlich sichtbar, dass die Stärkung der Betreuungsbehörden nur einen kleinen Beitrag zur Förderung der Selbstbestimmung der Betroffenen leisten kann. Und dies kann sie ohnehin nur, wenn sie finanziell entsprechend unterfüttert ist. Ich höre schon jetzt von den Betreuungsbehörden, dass sie am Limit arbeiten. Wie sollen sie eine noch größere Arbeitsbelastung stemmen? Wie sollen sie ihre Arbeit darüber hinaus an den Anforderungen der Konvention ausrichten? Wenn wir uns schon auf die Stärkung der Behörden beschränken - und ich halte das nicht für ausreichend - dann müssen wir mindestens sicherstellen, dass in den Behörden entsprechend Personal aufgestockt wird und Schulungen der Beschäftigten durchgeführt werden. An dieser Stelle sind die Länder gefragt, und ich lese im Gesetzentwurf, dass die Umsetzung des Gesetzes für die Länder im Ergebnis zu einer Entlastung führen soll. Aber natürlich fallen „ … bei einer erfolgenden angemessenen Ausstattung der Betreuungsbehörden nicht genau bezifferbare Kosten für die öffentlichen Haushalte der Länder an.“ Und weiterhin ist zu lesen, es sei doch nicht abschätzbar, in welchem Umfang Entlastungen entstehen. Ehrlich gesagt, auf dieser Grundlage fällt es mir recht schwer, zu glauben, dass es zu einer Verbesserung kommen wird. Wir werden uns im Rahmen einer öffentlichen Anhörung noch ausführlicher mit dem Gesetzentwurf befassen. Ich möchte hier daher nur kurz einige Aspekte skizzieren, die ich für absolut notwendig halte, wenn wir tatsächlich die Selbstbestimmungsrechte derjenigen stärken möchten, die auf diese Form der Unterstützung angewiesen sind. Es ist richtig, Betreuungen zu vermeiden, wenn andere Formen der Unterstützung bedarfsgerecht sind. Die Selbstbestimmung allein durch Vermeidung von Betreuung zu stärken, ist aber nicht ausreichend. Dazu sind auch materielle und verfahrensrechtliche Leistungsverbesserungen im Sozialrecht nötig. Wir müssen die Zusammenarbeit von Betreuungsvereinen und -behörden untereinander und mit den Sozialleistungsträgern verbessern. Nur so kann herausgearbeitet werden, welche Form der Unterstützung und Assistenz die individuell passendste ist. Darüber hinaus müssen die Betreuungsvereine gestärkt werden. Die Unterstützung und Qualifizierung ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer ist nur möglich, wenn dazu die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen. Nicht immer ist eine ehrenamtliche Betreuung möglich oder sinnvoll. Rechtliche Assistenz bzw. Betreuung ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Menschen mit einem hohen Unterstützungs- und Assistenzbedarf brauchen in einem besonderen Maße eine professionelle Betreuung. Je qualifizierter die Betreuerinnen und Betreuer, desto weniger werden gegenüber den Betreuten grundrechtsrelevante Eingriffe und stellvertretende Handlungen vorgenommen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, gesetzlich Eignungskriterien für berufliche Betreuung festzuschreiben. Diese Professionalisierung sollte sich auch in einem neuen Vergütungsbemessungssystem widerspiegeln. Was ich hier skizziere, ist nicht neu. Es gibt dazu zahlreiche Stellungnahmen, Studien und Arbeitsgruppenergebnisse. Ich habe es bereits in meiner Rede zu unserer Großen Anfrage und dem Entschließungsantrag gesagt: Wir müssen eine Debatte über die Qualität rechtlicher Assistenz bzw. Betreuung führen, und wir brauchen eine Debatte über das Zusammenspiel sozialer und rechtlicher Leistungen. Dieser Gesetzentwurf ist zu kurz gesprungen. Er ist enttäuschend für all diejenigen, die sich in den letzten 20 Jahren im Sinne der Stärkung der Selbstbestimmung behinderter Menschen für die Verbesserung des Betreuungsrechts eingesetzt haben. Es ist enttäuschend für diejenigen, die in Betreuungsvereinen und -behörden für dieses Ziel arbeiten. Und selbstverständlich ist es enttäuschend für diejenigen, um deren Selbstbestimmungsrechte es hier geht.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Das Betreuungsrecht sichert die Selbstbestimmung von Menschen, die Unterstützung benötigen, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Die Zahl der Betreuten beträgt mittlerweile etwa 1,3 Millionen. In den allermeisZu Protokoll gegebene Reden ten Fällen sind die Betreuer mit großem Engagement und zum Wohle der Betroffenen tätig. Das möchte ich angesichts der aktuellen Berichterstattungen hier nochmals betonen: Betreuung ist vielmals willkommene Hilfe. Aber sie ist auch ein Eingriff in die Selbstbestimmung, der deshalb engen gesetzlichen Grenzen und der gerichtlichen Aufsicht unterliegt. Daher ist es auch wichtig, im Betreuungsrecht immer wieder die Frage zu stellen, wie es weiterentwickelt und verbessert werden kann. Der Deutsche Bundestag hat sich erst jüngst mit der Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme befasst und eine gute Regelung gefunden, die allen Beteiligten mehr Rechtssicherheit gibt. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es nun um die grundlegende Frage, wie die richtige Unterstützung für einen Menschen mit Hilfebedarf aufgezeigt werden kann, um Betreuungen - soweit möglich - zu vermeiden. Das gibt uns auch die VN-Behindertenrechtskonvention auf, um das Selbstbestimmungsrecht behinderter Menschen zu stärken. Der vorliegende Regelungsvorschlag geht auf die Arbeit einer interdisziplinär besetzten Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Bundesjustizministeriums zurück. Diese Arbeitsgruppe hat im Rahmen ihrer zweijährigen Arbeit Vorschläge unterbreitet, wie das Betreuungsrecht weiterentwickelt und verbessert werden kann. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Vorschläge der Arbeitsgruppe - soweit sie Änderungen im Bundesrecht betreffen - umgesetzt werden. Im Kern geht es um die Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes. Ein Betreuer darf nur dann bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. Die Prüfung des gesetzlichen Vorrangs anderer Hilfen setzt aber voraus, dass das vor Ort vorhandene Hilfesystem bekannt ist und den Betroffenen andere Hilfen und Unterstützungen aufgezeigt werden können. Diese Kenntnisse sind bei den Betreuungsbehörden vorhanden. Sie werden jedoch derzeit leider nur in sehr unterschiedlichem Ausmaß nutzbar gemacht und sind abhängig von der personellen Ausstattung der Behörde vor Ort. Verschiedene regionale Projekte haben jedoch gezeigt, dass sich ein erhöhter Einsatz sozialer Arbeit in den Betreuungsbehörden lohnt. Das gilt sowohl für die Betroffenen, die dann ohne eine rechtliche Betreuung die notwendige Unterstützung erhalten, als auch für die Justizkasse, die bei Mittellosigkeit des Betroffenen die Kosten einer Betreuung trägt. Im Mittelpunkt der Regelungsvorschläge steht daher die Betreuungsbehörde, die mit ihrem Fachwissen über soziale Hilfen andere Wege als den einer rechtlichen Betreuung aufzeigen oder in geeigneten Fällen ehrenamtliche Betreuer vorschlagen kann. Ihr kommt an der Schnittstelle zwischen Sozialrecht und Betreuungsrecht eine Filterfunktion zu. Der Gesetzentwurf enthält den Vorschlag, durch Änderungen im Verfahrensrecht und im Betreuungsbehördengesetz die Funktionen der Betreuungsbehörde zu stärken. Bereits vor einem etwaigen gerichtlichen Betreuungsverfahren soll die Betreuungsbehörde in Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialleistungsträgern die betroffenen Bürgerinnen und Bürger über soziale Hilfen und andere Assistenzen informieren, die eine Betreuung vermeiden können. Zum anderen soll der Sachverstand der Betreuungsbehörde in das gerichtliche Verfahren besser eingebunden werden. Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf folgende Regelungen vor: Erstens. Zur Feststellung des Sachverhalts im betreuungsgerichtlichen Verfahren soll die Anhörung der Betreuungsbehörde verpflichtend vorgesehen werden. Zweitens. Damit der Bericht der Betreuungsbehörde gewissen Standards genügt, sollen für ihn qualifizierte Kriterien gesetzlich festgelegt werden. Drittens. Die Aufgaben der Betreuungsbehörde sollen im Betreuungsbehördengesetz konkreter als bisher beschrieben werden; dabei liegt der Fokus auf der Beratung, welche anderen Hilfen möglich sind. Viertens. Schließlich soll gesetzlich verankert werden, dass die Betreuungsbehörden ihre Aufgaben durch Fachkräfte wahrnehmen. Der Erfolg dieser Neuregelungen wird von der praktischen Umsetzung vor Ort abhängen, also einer angemessenen Ausstattung der Betreuungsbehörden. Dafür soll ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden. Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht vergessen werden: Der Abschlussbericht der interdisziplinären Arbeitsgruppe enthält eine Reihe von Vorschlägen für untergesetzliche Maßnahmen. Die Vorschläge für gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen bilden ein zusammengehörendes Konzept, das zur Erzielung von Verbesserungen in seiner Gesamtheit umzusetzen ist. Untergesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung sind in allen Bereichen - bei den Betreuungsgerichten, den Betreuungsbehörden und Betreuungsvereinen - möglich. Der Entwurf ist damit ein erster Schritt zu einer weiter zu führenden Diskussion über notwendige Veränderungen im Betreuungsrecht, die durch eine geplante Evaluation dieses Gesetzes begleitet werden soll.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13419 an den Rechtsausschuss vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutschen Innovationsfonds einrichten - Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssystem endlich schließen - Drucksachen 17/11826, 17/13464 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Philipp Murmann Dr. Martin Neumann ({1}) Krista Sager Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Man sieht sich immer zweimal im Leben. - So erging es mir, als ich Ihren Antrag las, liebe Kollegen der SPD; denn einen ähnlichen Antrag haben Sie schon 2010 gestellt, als wir die erfolgreiche Fördermaßnahme „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung - VIP“ eingeführt haben. Schon damals hatten wir Ihren Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Aber offensichtlich, nun kurz vor Ende der Wahlperiode, haben Sie Ihren alten Antrag noch einmal herausgekramt, ihn etwas umformuliert und hoffen anscheinend, wir merken nicht, dass Ihnen hier nichts Neues einfällt. Liebe Kollegen der SPD, gehen Ihnen schon jetzt die Ideen aus? In Ihrem Antrag fordern Sie die Beendung unseres erfolgreichen Validierungsprogramms und fordern stattdessen die Einrichtung eines Innovationsfonds. Mir scheint, hier geht es nicht um die Sache; hier geht es einfach darum, eine neue Struktur und neue Gremien zu schaffen, die keiner braucht. Haben Sie sich denn schon einmal mit dem Begriff „Validierung“ genauer auseinandergesetzt? Was genau versteht man darunter? Viele von uns haben eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert, und jeder von uns hat dort das kleine Einmaleins der wissenschaftlichen Gütekriterien erlernt: erstens Objektivität, Reliabilität und drittens Validität. Vereinfacht ausgedrückt heißt das, dass erstens Forschungsergebnisse unabhängig von der Einflussnahme des Forschers sind, zweitens eine Messmethode zuverlässig ist, also eine erneute Messung unter denselben Bedingungen und mit denselben Methoden zu denselben Ergebnissen kommt, und drittens die Untersuchung das erfasst, was sie erfassen soll, bzw. das misst, was sie messen soll. Letzteres Kriterium, die Validität, ist das wichtigste Kriterium, da es die Gültigkeit von UrsacheWirkungs-Zusammenhängen bezeichnet. Wenn wir also von Validierung sprechen, sprechen wir vom Nachweis der Reproduzierbarkeit eines Forschungsergebnisses. Bei der Validierung hier geht es aber um viel mehr. Es geht um Machbarkeitsuntersuchungen, um Analysen zum Anwendungspotenzial, um die technische Weiterentwicklung mit Blick auf Produkt- und Prozessanforderungen. Für viele Forscherinnen und Forscher ist die Phase der Validierung von grundlegender Bedeutung. Hier entscheidet sich, ob herausragende Ideen und Innovationen allein in Laboren, auf Schreibtischen oder in Werkstätten ihr Dasein fristen oder aber den Sprung in die „Freiheit“ bzw. auf den „Markt“ schaffen. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen von Bund und Ländern ist das eine Zeit, in der sie strategische Unterstützung brauchen. Unser Programm VIP gibt diese Unterstützung und schließt gezielt und passgenau die Lücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Ohne Forschung gibt es kein neues Wissen. Ohne Forschung gibt es auch keinen Fortschritt. Die Grundlagenforschung bildet quasi die „Stammzelle“ dieses neuen Wissens, aus der sich dann auch neue Produkte generieren können. Unsere Grundlagenforschung bildet die Basis für bahnbrechende Anwendungen. Diese sehr früh zu erkennen, ist jedoch schwierig und bedarf besonderer Anstrengungen. Die nützlichen Anwendungsmöglichkeiten der Forschungsergebnisse frühzeitig zu erkennen, ist für unsere Wirtschaft von existenzieller Bedeutung. Wofür dient uns die Forschung, wenn wir die daraus gewonnenen Ergebnisse nicht anwenden können? Genau darin liegt der Schlüssel. Denn wir alle wissen: Innovationen sind der Motor für Wachstum und Wohlstand, und wir in Deutschland verfügen über hervorragende Voraussetzungen dafür. Um das zu erreichen, muss man zwischen zwei sehr unterschiedlichen Betrachtungsweisen differenzieren: der Betrachtungsweise der Forscher und der der Unternehmer, zwei unterschiedliche Kulturen. Dem Forscher ist vor allem an seiner Forschung gelegen. Er forscht, stellt Hypothesen auf, führt Experimente durch. In seinen Augen ist er erfolgreich, wenn er seine Ergebnisse veröffentlichen kann, zum Beispiel in einer renommierten Zeitschrift, und die Anerkennung seiner Fachgenossen bekommt. Aber „research for library“ allein, das wollen wir nicht. Die Unternehmer dagegen stellen sich die Frage, welche Produkte oder Verfahren sich aus der Forschung ergeben können. Es bedarf folglich einem speziellen Betrachtungswinkels auf die Forschungsergebnisse, und diesen Betrachtungswinkel auf die Forschung haben wir mit unserer Fördermaßnahme zur Validierung unterstützt. Wir wollen Forscher und Unternehmer verbinden, und die Ergebnisse zeigen: Das gelingt uns auch, das gelingt uns sogar gut. Ich kann als Unternehmer nur bestätigen: Wir brauchen Forschergeist und Unternehmertun. Und genau darauf zielt unser VIP-Programm. Erst heute Morgen war die Fördermaßnahme VIP Thema bei einer Veranstaltung der HelmholtzGemeinschaft. Der Vertreter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt hat sinngemäß Folgendes angemerkt: Einerseits müssen Forscher die Industrie von ihrem Produkt, von ihrer Forschung überzeugen. Es ist schwierig für sie, die Erwartungen der Industrie über die Reife des Produkts zu erfüllen. Aber auch die Industrie muss sich gegenüber dem Know-how der Forscher öffnen und darf nicht nur die daraus resultierenden Patente begehren. Er sagte aber auch, dass die Fördermaßnahme VIP genau an diesem Punkt ansetzt und eine Lücke schließt, die bis 2010 offen war. VIP hilft den Forschern dabei, ihre Produkte attraktiver für die Wirtschaft zu machen, und oft bildet sich aus diesem Projekt sogar eine Unternehmensgründung heraus. Unternehmensgründungen sind das Herz der deutschen Wirtschaft. Sie sind gerade für die Standhaftigkeit unserer Wirtschaft in den jüngsten Krisenjahren ein positives Beispiel. In neuen Unternehmen werden innovative Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle entwickelt und umgesetzt. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zum notwendigen strukturellen Wandel in Deutschland. Leider haben einige von Ihnen in der Opposition dies noch nicht erkannt. Sie verharren in ihren alten Denkmodellen, der Staat müsse auch dieses richten und regulieren. Die Anwendung des Wissens in der praktischen Welt des Lebens ist wichtig. Es geht um neue Produkte, um neue Verfahren und um neue Arbeitsplätze - und zwar solche mit Wissensvorsprung. Jedes Jahr werden in neuen Unternehmen 500 000 Arbeitsplätze geschaffen. 500 000! Und: In Deutschland arbeiten heute mehr als eine halbe Million Menschen im Bereich „Forschung und Entwicklung“. Der Ausbau von Forschung und Entwicklung wird immer mehr zu einem entscheidenden Faktor für den nachhaltigen Erfolg unserer Unternehmen und damit auch zu einem entscheidenden Faktor für regionale Entwicklungen. Doch angesichts der globalen Herausforderungen muss Deutschland noch stärker als bisher Innovationen hervorbringen und die Leitmärkte prägen. Wir haben das erkannt und gehandelt: 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode. Wir haben hier klare Prioritäten gesetzt. Lieber Herr Röspel: In Ihrer Rede vom 1. Juli 2010 zu jenem ähnlichen Antrag haben Sie Folgendes gesagt: „Wir glauben, dass das von Ihnen vorgeschlagene Instrument versanden wird, da es keinen großen Unterschied zur üblichen Projektförderung darstellt, die vernünftigerweise seit Jahren durchgeführt wird. Es wird nicht dazu führen, dass mehr Forschungsprojekte in kommerzialisierbare Produkte umgesetzt werden. Folgen Sie unserem Weg. Er enthält weniger Bürokratie, und er zeigt den Forschern eine vernünftige Perspektive auf.“ Zum Glück für uns alle kann ich Ihnen mitteilen, dass vielmehr die Prognose von Herrn Röspel versandet ist. Die Fördermaßnahme VIP ist erfolgreich. Derzeit sind 70 VIP-Vorhaben mit einem Volumen von rund 96 Millionen Euro bewilligt worden. Weitere 40 Vorhaben befinden sich gerade in der Bewillingungsvorbereitung. Mit ihnen steigt das Investitionsvolumen um weitere 46,2 Millionen Euro. Und diese Woche findet sogar noch eine weitere Sitzung der Gutachter statt, um noch mehr Projekte zu unterstützen, die noch bis Ende dieses Jahres gestattet werden sollen. Wenn Sie sich die Liste der Projekte anschauen, sind viele spannende Themen dabei wie zum Beispiel die Entwicklung eines neuen Wirkprinzips für Herzinsuffizienz aus dem Bereich der Gesundheitsforschung oder IKARUS, eine Infrarottechnologie zur Analyse von Rotorblättern und Hochseebedingungen, oder ein „Geruchsradar“ zur Lokalisierung und Quantifizierung diffuser Quellen von Gerüchen. Mithilfe von VIP werden innovative Forschungsergebnisse frühzeitig auf ihre wirtschaftliche Nutzbarkeit hin validiert und weiterentwickelt. Es stellt den Wissenschaftlern das fehlende Know-how und die notwendigen Ressourcen bereit, erhöht die Chancen, dass Unternehmer später in die neu erforschten Produkte investieren. Also, lieber Herr Röspel: Warum etwas ändern, wenn es gut läuft? In Ihrem Antrag fordern Sie die Auflösung der Fördermaßnahme VIP und die Einführung eines „Innovationsfonds“ in Stiftungsform. Diesen Fonds wollen Sie ab 2014 mit Mitteln in Höhe von 100 Millionen Euro speisen und diese in den darauffolgenden Jahren noch erhöhen. Was aber hier wieder einmal typisch SPD ist: Sie unterbreiten einen Vorschlag ohne Refinanzierungsvorschläge. Sie sagen ja selbst, dass nur von einer geringen Refinanzierung der Stiftung über Lizenzanteile auszugehen ist. Liebe SPD-Fraktion, bei der Finanzierung von Ideen hapert es mal wieder bei Ihnen. Oder darf es noch eine kleine Steuererhöhung sein? Aber nicht nur das. Sie würden mit Ihrem Vorschlag einen Keil in die Säule der Projektförderung treiben. Wie wäre es denn, wenn wir für jede einzelne Initiative einen unabhängigen Fonds einrichten würden? Und ich erinnere Sie gerne wieder an Ihre Worte von 2010, lieber Kollege Röspel. Nicht weniger Bürokratie enthält Ihr „Innovationsfonds“. Nein, ganz im Gegenteil, er führt auch noch zu einem unnötig erhöhten koordinierenden und administrativen Aufwand. Mit dem Fonds schaffen Sie Doppelstrukturen, erhöhen den Verwaltungsaufwand und erschweren eine flexible Handhabung und bedarfsorientierte Steuerung der Validierungsförderung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen die Erkenntnisse der Wissensgesellschaft besser nutzen, damit wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze nachhaltig gesichert werden. Wir brauchen neue Produkte und Anwendungen. Dafür bietet besonders die Vernetzung von Forschung und Anwendung viel Potenzial. Und genau hier haben wir mit unserer Fördermaßnahme „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung - VIP“ bereits in 2010 angesetzt. Sie ist ein wichtiges Instrument, um unsere erfolgversprechenden Forschungsergebnisse weiterZu Protokoll gegebene Reden zuverfolgen, damit diese nicht für eine potenzielle Verwertung verloren gehen. Wir werden diesen erfolgreichen Weg weitergehen. Daher, lieber Kollege Röspel, müssen wir Ihren Antrag ablehnen, erneut.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker haben wir es täglich vor Augen: Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten Tag für Tag Herausragendes. Ob in der Mikrosystemtechnik, in der Biotechnologie oder in den Sozialwissenschaften, deutsche Forschung ist weltweit anerkannt, international vernetzt und nicht selten führend im jeweiligen Themengebiet. Eine unserer Stärken ist die Grundlagenforschung. Hierbei wird Wissen unabhängig von möglichen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Anwendungen erforscht und kreiert. Es geht also allein um den Wissensdrang der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Als Staat unterstützen wir dies zum Beispiel durch die Grundfinanzierung der Hochschulen, durch Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG, oder die Gelder für die Wissenschaftsorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Doch auch im Grundlagenbereich existieren viele Erkenntnisse mit einem hohen Anwendungspotenzial. Eine strukturierte und ehrliche Prüfung der Verwertbarkeit erfolgt aber leider noch immer viel zu selten. Innovationsexpertinnen und -experten sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft weisen uns deshalb immer wieder darauf hin, dass aufgrund des Fehlens von Finanzierungsmöglichkeiten und -strukturen die großen Fortschritte aus der Forschung an Hochschulen und der außeruniversitären Forschung viel zu selten ihren Weg in eine kommerzielle Anwendung finden. Es brauche deshalb neue Instrumente, um nach einer erfolgreichen Projektförderung im Rahmen von DFG oder Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, die gewonnenen Erkenntnisse in kommerziell verwertbare Produkte und Dienstleistungen weiterzuentwickeln. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen diesem Problem der Innovationslücke dauerhaft begegnen und haben mithilfe von Expertinnen und Experten ein Konzept entwickelt, welches wir in Form des vorliegenden Antrages konkretisiert haben. Wir setzen uns daher für die Einrichtung eines „Deutschen Innovationsfonds“ ein. Dieser soll als Stiftung mit einer starken finanziellen Grundausstattung durch den Bund langfristig eigenständig organisatorische und inhaltliche Unterstützung von Forscherinnen und Forschern im Rahmen von Validierungsprojekten geben und eine Finanzierung von Validierungsprojekten sowie eine Koordination mit Unternehmen und Risikokapitalgebern anbieten. Durch gezielte Maßnahmen sollen Forscherinnen und Forscher so in die Lage versetzt werden, Innovations- und industrielle Verwertungspotenziale ihrer Erkenntnisse besser zu identifizieren. Die Aussprache im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung hat jedoch eines deutlich gezeigt: Die Regierungsfraktionen haben kein Interesse daran, sachlich über strukturelle Verbesserungen der Innovationsfähigkeit Deutschlands nachzudenken oder verstehen das Kernproblem nicht. Lieber loben CDU/CSU und FDP das VIP-Programm des BMBF. Dabei ist dieses Programm nicht mehr als eine Anschlussfinanzierung für Projekte, die nicht mehr im Rahmen anderer Projektförderungen gefördert werden können. Insofern ist es grundsätzlich kein schlechtes Programm, aber es erreicht eben nicht das gesteckte Ziel und kann dies von seinem Aufbau her auch gar nicht. Die guten Abflüsse des Programms sind somit kein Zeichen dafür, dass die Innovationslücke geschlossen wird, sondern nur, dass hier eine zusätzliche, gut ausgestattete Projektförderung gern nachgefragt wird. Wenn das VIP-Projekt ein wirklich so einschlagender Erfolg für die Schließung der Innovationslücke wäre, warum hat dann die Max-Planck-Gesellschaft ihr Instrument für diesen Bereich, die Max-PlanckInnovation GmbH, noch nicht wegen Arbeitsmangel eingestellt bzw. und noch viel wichtiger, warum hat die Helmholtz-Gemeinschaft kurz nach der Ankündigung des VIP-Förderprogramms ein eigenes Instrument vorgestellt, den Helmholtz-Validierungsfonds? Wenn es so gut stehen würde um den Wissenstransfer, wie es das BMBF und die Regierungsfraktionen unisono erklären, dann wären diese Einrichtungen der außeruniversitären Forschungsorganisationen doch eigentlich überflüssig. Es ist traurig, dass das BMBF offenkundig so stark in der klassischen Fördermethodik erstarrt ist, dass Vorschläge, wie es uns besser gelingt, Innovationen aus der Grundlagenforschung in die kommerzielle Verwertung zu bringen, ohne inhaltliche Auseinandersetzung im Fachausschuss des Bundestages abgelehnt werden. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, hätte es gut getan, sich vielmehr eine eigene Meinung von unserem Instrument zu machen und dem BMBF nicht überall nach dem Mund zu reden. Denn wirkliche Innovationen im Bereich des Wissensstransfers kann man unter dieser Führung von diesem Hause nicht erwarten. Schade! Vonseiten der Grünen wurde ihre im Ausschuss angekündigte Enthaltung gegenüber unserem Antrag mit der nach ihrer Sicht vergleichsweise hohen Anschubsfinanzierung für den Innovationsfonds in Höhe von 100 Millionen Euro im Jahr 2014 begründet. Solche Summen kritisch zu hinterfragen, ist natürlich richtig. Wir halten es dennoch für sinnvoll einen Fonds in Stiftungsform, der dauerhaft eine Veränderung im Innovationsgeschehen in Deutschland herbeiführen soll, auch ausreichend auszustatten, zumal die VIP-Projektförderung des Bundes sich schon in dieser Größenordnung bewegt. Wir brauchen kluge Ideen und mutige Schritte, um die Innovationsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Der Zu Protokoll gegebene Reden Ideenreichtum der Regierungsfraktion beschränkt sich auf eine „Tonnagementalität“: mehr Geld im BMBFEtat gleich mehr Innovationen. Diese Rechnung wird nicht aufgehen, und die Reformarmut unter CDU/CSU und FDP wird uns schmerzhaft in den nächsten zehn Jahren vor Augen geführt werden. Mit der Ablehnung unseres Antrages durch die Koalitionsfraktionen wird eine weitere Chance verpasst, die Förderungslücke im deutschen Wissenschaftssystems endlich zu schließen.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Antrag „Deutschen Innovationsfonds einrichten - Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssystem endlich schließen“ der Fraktion der SPD widmet sich zweifelsohne einem wichtigen Punkt in der Technologie- und Innovationsförderung. Die sogenannte Validierungsforschung als ein - wie es im Antrag der SPD genannt wird - „unabhängiger ‚Stresstest‘ zur Überprüfung des Realisierungs- und Wertschöpfungspotenzials einer Idee bzw. einer wissenschaftlichen Innovation“ schließt die Lücke zwischen Grundlagenforschung und der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung. Jedoch wissen wir, dass der Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwendung nicht automatisch erfolgt. Damit Forschungsergebnisse in marktreife Produkte und Dienstleistungen überführt werden können, bedarf es einer umfassenden Förderung. Nicht nur im finanziellen Sinne muss gefördert werden, sondern insbesondere durch eine unterstützende Beratung, durch eine Analyse des wirtschaftlichen Potenzials. Diese christlich-liberale Koalition hat bereits 2010 ein Programm initiiert, um diese Lücke zu schließen. Ich erinnere an das von dieser Koalition aufgelegte Validierungsprogramm „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung, VIP“. Es ist eben nicht so, dass eine gravierende Förderlücke besteht, wie die SPD im Antrag glauben machen möchte. Auch bestehen keine „Defizite in den Strukturen zum Transfer“, wie im Antrag argumentiert wird. Selbstverständlich sind diese Formulierung wie der gesamte Antrag der SPD nur ein letzter Versuch, um beim Thema Validierungsforschung noch einen Pflock einzuschlagen, indem ein alternativer Vorschlag konstruiert und unterbreitet wird. Die SPD möchte nicht als Letzter durchs Ziel gehen und sich vorhalten lassen, zum Thema Validierungsforschung keinen eigenen Vorschlag auf den Tisch gelegt zu haben. Deshalb bringt die SPD hier einen an Inhalt stark ausgedünnten Antrag vor, der nichts Neues, nichts anderes als Vorschlag unterbreitet als das, was schon längst besteht. Mit dem Validierungsprogramm VIP ist diese christlich-liberale Koalition den Empfehlungen der Expertenkommission für Forschung und Innovation ganz klar gefolgt. Wir fördern aktuell 70 VIP-Vorhaben mit rund 96 Millionen Euro. Weitere 40 VIP-Vorhaben mit einem Volumen von rund 46 Millionen Euro sind zudem in der Bewilligungsvorbereitung. Die SPD fordert die Bundesregierung auf, einen Fonds mit einem Volumen von 100 Millionen Euro einzurichten. Der Vergleich der Fördersummen zeigt: Wir sind alleine schon in diesem Punkt viel weiter. Grundsätzlich muss am Antrag der SPD vor allem aber die vorgeschlagene Fondslösung bemängelt werden. Der Fonds soll in Stiftungsform extern und unabhängig eingerichtet werden. Jedoch ist ein solcher Fonds aber nur dann sinnvoll, wenn er durch Rückflüsse refinanziert wird. Die SPD aber schreibt in ihrem Antrag, dass sie von einer „geringen Refinanzierung der Stiftung über Lizenzanteile“ ausgeht. Demnach würde der Fonds weiterhin nur von Zustiftungen leben können. Inwieweit damit eine Unabhängigkeit und Kontinuität gewährleistet wird, bleibt bislang als Frage offen. Ebenso ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Wirtschaft in dieser frühen Phase Zustiftungen leisten wird. Im schlimmsten Fall wird der Bund den Fonds durch eine weitere Finanzierung am Leben halten müssen, und das für eine vermeintliche Lösung, die unnötig ist und dadurch nur Unsicherheit schafft. Das Validierungsprogramm VIP ist bislang sehr erfolgreich angelaufen. Es hat als Instrument einen Bedarf angesprochen, das zeigen die Zahlen an geförderten VIP-Vorhaben. Aktuell wird das Validierungsprogramm durch eine laufende Evaluation in seiner positiven Wirkung bestätigt. Der Vorschlag der SPD, dieses Instrument nun auslaufen zu lassen und durch einen Fonds abzulösen, weil es eine „im System der klassischen Projektförderung verhaftete Fördermaßnahme“ ist, scheint wenig überzeugend. Im gesamten Antrag wird kein stichhaltiges Argument vorgebracht. Damit kann die FDP dem Antrag in keinster Weise folgen. Wir lehnen den Antrag ab.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die SPD beantragt die Einrichtung einer Stiftung, deren Aufgabe die Suche nach und die Umsetzung von wirtschaftlich verwertbaren Forschungsergebnissen insbesondere aus der Projektförderung werden soll. Diese soll mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden. Die Stiftung soll eigenständig und unabhängig von den Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie der Politik arbeiten, um ausschließlich die Chancen einer kommerziellen Umsetzung neuer Ideen in den Vordergrund zu rücken. Die Stiftung soll sich vom bereits laufenden Programm zur Validierungsforschung VIP des BMBF durch eine unabhängige Bewertung durch professionelle Berater absetzen und das besagte Programm des BMBF im Gegenzug eingestellt werden. Grundsätzlich können wir die im Antrag beschriebene Umsetzungslücke von der Forschung in die Anwendung bestätigen. Die Frage ist jedoch, ob die gestellte Analyse der Ursachen dieser Lücke stimmig ist. Wir haben es zunächst offenbar mit einem spezifisch deutschen Problem zu tun, das in einer eher konservaZu Protokoll gegebene Reden tiven, profitstarken und wenig risikofreudigen Industrielandschaft besteht. Wagniskapitalmärkte sind hierzulande vorhanden, aber setzen zu wenig auf Hightechbereiche bzw. forschungsintensive Innovationen. Daran ändern auch Transferagenturen und Validierung zunächst wenig. Trotzdem zeigen die Transfergesellschaften etwa der außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie Max Planck Innovation GmbH oder der Helmholtz Validierungsfonds, dass solche Einrichtungen sinnvolle, wenn auch im Verhältnis zur Größe und zum Budget der Forschungsorganisationen eher geringe Effekte für den Ideentransfer in die Wirtschaft bringen können. Die Validierungsforschung könnte in diesem Zusammenhang ein Instrument sein, um das technologiespezifische Förderportfolio der Bundesministerien insbesondere des Forschungs- und des Wirtschaftsministeriums zielgerichteter auf die Umsetzung hin zu orientieren. Bedenken haben wir wegen der Stiftungskonstruktion. Das Ziel, der Expertise eine gewisse Unabhängigkeit zu verschaffen, erkennen wir an. Stiftungen sind jedoch stark von vielen Faktoren wie etwa dem Kapitalmarkt und der Expertise der Vermögensverwaltung abhängig. Bei Missmanagement ist schnell der Staat in der Verantwortung, etwaige Verluste auszugleichen. Zudem sprechen wir uns gegen eine Kreditfähigkeit einer solchen Stiftung aus. Alles in allem ist der im Antrag geforderte Validierungsfonds eine sinnvolle Idee, die aus unserer Sicht noch weiterentwickelt werden muss.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In ihrem Jahresgutachten 2009 hat die Expertenkommission Forschung und Innovation sich schwerpunktmäßig mit dem Wissens- und Technologietransfer zwischen öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft beschäftigt. Dabei identifizierte sie eine Lücke im deutschen Innovationssystem. Nicht alle Forschungsergebnisse und Entwicklungen aus dem Wissenschaftsbereich, die prinzipiell zu Innovationen führen könnten, werden tatsächlich zu Innovationen. Das liegt daran, dass bei manchen Erfindungen und Forschungsergebnissen nicht unmittelbar ersichtlich ist, ob sie sich für eine kommerzielle Verwertung eignen oder nicht. Vielmehr muss ihr Potenzial für eine kommerzielle Nutzung in einem Zwischenschritt von Experten überprüft werden, bevor das weitere Vorgehen entschieden werden kann. Diese Prüfung kann mitunter sehr aufwändig sein, in finanzieller wie in zeitlicher Hinsicht, und erfordert zudem spezielle Expertise, über die marktnahe Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft verfügen, oft aber nicht die Forscherinnen und Forscher selber. Ob sich der Aufwand lohnt, ist naturgemäß höchst ungewiss. Privates Risikokapital lässt sich daher für diese Aufgabe nur schwer mobilisieren. Erst recht können es sich viele kleine und mittlere Unternehmen nicht leisten, ohne entsprechende Expertise solch prinzipiell hohe Risiken einzugehen. Genauso wenig erreicht die klassische Projektförderung gerade jene Vorhaben, deren Potenzial höchst ungewiss ist. Die Folge ist, dass ein relevanter Teil der im öffentlichen Bereich generierten neuen Erkenntnisse nicht optimal genutzt werden kann. Die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung empfahl daher noch vor Beginn dieser Legislaturperiode, eine echte Validierungsprüfung für unsichere Projekte in das Spektrum der Fördermöglichkeiten für den Wissens- und Technologietransfer einzubeziehen. Leider hat die Bundesregierung diese Anregung mit dem Alibi-Programm „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung“ dann nur halbherzig aufgegriffen. Dieses Programm entpuppt sich aber inzwischen als eine Variante der klassischen Projektförderung, bei dem die Bewilligung danach läuft, welche Projekte am aussichtsreichsten sind, und bei dem die Antragsteller selbst für den nötigen marktnahen Sachverstand sorgen müssen. Selbstverständlich trifft das Programm auf Zustimmung bei den Antragstellern - aber die diagnostizierte Förderlücke schließt es gerade nicht. Die SPD stellt nun zum zweiten Mal den Antrag, sich bei der Förderung der Validierungsforschung auf Vorhaben zu konzentrieren, deren kommerzielles Potenzial tatsächlich höchst ungewiss ist. Als Instrument wird ein Fonds in Stiftungsform vorgeschlagen, aus dem Validierungsprojekte finanziert werden sollen, der die Forscherinnen und Forscher unterstützt und die Expertise marktnaher Experten mit einbringt. Wir unterstützen den Vorschlag, ein solches Instrument auszuprobieren. Über die Ausgestaltung im Detail sollte aber erst noch einmal beraten werden, am besten unter Einbeziehung entsprechender Experten. Besonders die Forderung, dieses Vorhabens ab 2014 mit 100 Millionen Euro auszustatten, möchten wir hier nicht leichtfertig durchwinken. Gerade weil es sich bei den zu unterstützenden Projekten um besonders risikobehaftete Vorhaben handeln wird, können wir nicht von einer Refinanzierung ausgehen, sondern eine Aufzehrung des Kapitals wäre auch im Bereich des Möglichen. Das heißt, dass die öffentliche Refinanzierung des Fonds dauerhaft gesichert werden müsste. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13464, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11826 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 47: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren - Drucksache 17/12578 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 17/13528 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg Jörg van Essen Jerzy Montag Die Reden werden zu Protokoll genommen. Wir haben das auch in der Tagesordnung so ausgewiesen.

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am 14. März 2013 wurde in erster Lesung der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beteiligung von Beschuldigten im Strafverfahren beraten. Im Nachgang zur ersten Lesung gab es noch intensive parlamentarische Beratungen. Hierbei stellten sich noch einige offene Fragen. All diese Fragen konnten aber mittels Ergänzung der Gesetzesbegründung und durch den vorliegenden Änderungsantrag zur vollen Zufriedenheit gelöst werden. Diesen klugen Änderungen ist auch der Umstand geschuldet, dass wir dieses Verfahren nun mit Stimmen der SPD-Fraktion und der Koalition verabschieden können. Zu dem Gesetz und den einzelnen Änderungen sind folgende Anmerkungen zu machen. Mit dem nun vorliegenden Gesetz werden die europarechtlichen Vorgaben aus der Richtline 2010/64/EU und der Richtline 2012/13/EU in das nationale Recht umgesetzt. In den Bereichen, in denen durch die europäischen Vorgaben Anpassungsbedarf bestand, wurden die notwendigen Veränderungen vorgenommen. Dabei war der Umsetzungsbedarf aufgrund bereits bestehender Regelungen sowohl im Bereich der Übersetzungs- und Dolmetscherleistungen als auch im Bereich der Informations- und Belehrungsrechte des Beschuldigten gering. Deutschland verfügt im Bereich des Strafverfahrens bereits über ein hohes Schutzniveau, welches durch die europäischen Vorgaben nur einige Konkretisierungen erfährt, so etwa hinsichtlich des Rechts auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren. Dabei konzentriert der vorliegende Gesetzentwurf die notwendigen Anpassungen in § 187 GVG. Bereits aus Art. 6 Abs. 3 EMRK Buchstabe e EMRK ergibt sich der grundlegende Anspruch einer beschuldigten oder verurteilten Person auf unentgeltliche Übersetzungs- oder Dolmetscherleistungen während des gesamten Strafverfahrens. Schon nach bisheriger Rechtslage und Praxis wurde diesem grundlegenden Anspruch Rechnung getragen. Der Gesetzentwurf schlägt daher in § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG-E lediglich eine geringfügige sprachliche Anpassung der derzeit geltenden Regelung vor und ergänzt einen neuen § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG-E. Die Richtlinie 2012/13/ EU sieht in Art. 3 Abs.1 Buchstabe d eine Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetscherleistungen vor. Diese Vorgabe wird im neuen Satz 2 normiert. In § 187 Abs. 2 GVG-E wird der Anspruch auf Übersetzung inhaltlich ausgestaltet. Dieser Anspruch auf Übersetzung dient der Umsetzung von Art. 3 der Richtlinie 2010/64/EU. In der Regel ist nach dem Gesetzentwurf eine schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen erforderlich. Eine lediglich auszugsweise Übersetzung reicht nach § 187 Abs. 2 Satz 2 GVG-E aber dann aus, wenn schon dadurch die Verteidigungsrechte der beschuldigten Person ausreichend gewahrt werden. Ein vollständiges Absehen von der schriftlichen Übersetzung soll schließlich nach Maßgabe der Sätze 4 und 5 möglich sein. Im Rahmen der Beratungen hatte Kollege Montag die Ausgestaltung dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses angemahnt und behauptet, der Umsetzungsentwurf der Bundesregierung gehe am Geist der Richtline vorbei. Dabei ergab die fachliche Bewertung seitens des Bundesjustizministeriums, dass der weite Ausnahmetatbestand in § 187 Abs. 2 Satz 4 und Satz 5 GVG-E, der auch mit Blick auf die Akzeptanz der Neuregelung in den Ländern vorgeschlagen wurde, systematisch dem Vorbild der Richtlinie nachgebildet und auch im Wortlaut eng an die Richtline angelehnt wurde. Ebenfalls steht die Ausgestaltung des Regel-Ausnahmeverhältnisses auch im Einklang mit den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien. Gemäß § 187 Abs. 3 GVG-E kann die beschuldigte Person auf die Übersetzung verzichten, wenn sie zuvor belehrt wurde. Belehrung und Verzicht sind zu dokumentieren. Mit dieser Regelung wird Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 2010/64/ EU umgesetzt. § 187 Abs. 4 GVG-E entspricht dem bisher geltenden § 187 Abs. 2 GVG. Auch § 189 GVG wird geringfügig geändert. Es wird ein neuer Absatz 4 angefügt. Dieser dient der Umsetzung des Art. 5 der Richtline 2010/64/EU. Im neuen Absatz 4 wird festgelegt, dass der Dolmetscher oder Übersetzer ,,über Umstände, die ihm bei seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit wahren“ muss. Diese Ergänzung ist notwendig, da die Verpflichtung aller herangezogenen Dolmetscher zur Verschwiegenheit nach aktueller Rechtslage nicht einheitlich normiert ist. Der Bundesrat hatte den Standort dieser Regelung infrage gestellt und eine Verortung der gesetzlichen Regelung in § 187 GVG vorgeschlaDr. Patrick Sensburg gen. Damit würde eine Geltung lediglich im Strafverfahren bestehen. In der Begründung zur Beschlussempfehlung heißt es dazu, dass im Interesse der Verfahrensbeteiligten die Neuregelung zur Verschwiegenheit der Dolmetscher nicht nur auf das Strafverfahren zu begrenzen ist, sondern für alle Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten soll. Hinsichtlich des Rechts auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren wurden nur punktuell Erweiterungen der Vorschriften der StPO vorgenommen. So findet sich in § 37 Abs. 3 StPO-E nun die Regelung, dass in den Fällen des § 187 Abs. 1 und Abs. 2 GVG-E ,,das Urteil zusammen mit der Übersetzung“ zuzustellen ist. § 114 b Abs. 2 Satz 2 StPO-E legt fest: ,,Ein Beschuldigter, der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist oder der hör- oder sprachbehindert ist, ist in einer verständlichen Sprache darauf hinzuweisen, dass er nach Maßgabe des § 187 Abs. 1 bis 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann.“ Durch diese Regelung wird die in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d der Richtline 2012/13/EU vorgesehene Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetscherleistungen umgesetzt. Weiterhin wird in der Beschlussempfehlung der Regierungskoalition der Vorschlag des Bundesrates unterstützt, eine Verweisung in § 114 b Abs. 2 Satz 1 Nummer 4a StPO auf § 141 Absatz 1 und 3 der Strafprozessordnung aufzunehmen. Dieser Verweis soll klarstellen, dass sich die Belehrungspflicht auch auf das in § 141 StPO geregelte Verfahren der Bestellung des Pflichtverteidigers erstreckt. Es soll mit der Neuregelung jedoch keine Änderung bezüglich der Auslegung und Anwendung des § 141 Abs. 3 StPO einhergehen. § 136 Abs. 1 Satz 3 StPO-E schließlich ergänzt die bisherige Rechtslage um den Zusatz ,,und unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 die Bestellung eines Verteidigers beanspruchen“. Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b der Richtline 2012/13/EU schreibt eine Belehrung des Beschuldigten über einen möglichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung vor. Ein solcher Hinweis erfolgte nach geltender Rechtslage grundsätzlich nicht. Daher war eine entsprechende Ergänzung notwendig. Die Beschlussempfehlung der Regierungskoalition sieht ebenfalls einen Verweis in § 136 Abs. 1 StPO-E auf § 141 Abs. 1 und 3 StPO vor. Dieser soll klarstellen, dass sich die Belehrungspflicht auch auf das in § 141 StPO geregelte Verfahren bei der Bestellung des Pflichtverteidigers erstreckt. Insoweit wird bereits in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass mit der Neuregelung keine Änderung bezüglich der Auslegung und Anwendung des § 141 Abs. 3 StPO einhergehen soll. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem entsprechenden Änderungsantrag werden die beiden Richtlinien effektiv in das nationale Recht umgesetzt. Dabei wird ein guter Ausgleich zwischen den europäischen Verpflichtungen einerseits und nationalen Anforderungen des Strafverfahrensrechts andererseits geschaffen. Das Gesetz ist damit ein weiterer Erfolg der christlich-liberalen Koalition.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren. Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung zweier Richtlinien im Bereich des Strafverfahrens, einmal über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen und zum anderen über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung. Ein notwendiges Gesetz, ein gutes Gesetz, und dank umfänglicher und guter Vorarbeiten früherer SPDJustizministerinnen zur Verbesserung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren eben auch ein überschaubarer Gesetzentwurf, waren doch nur noch punktuelle Nachbesserungen erforderlich. So regelt der Gesetzentwurf die Verpflichtung zur Übersetzung verfahrenswichtiger Dokumente, in der Regel freiheitsentziehende Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen. Er statuiert die Verschwiegenheitsverpflichtung der Dolmetscher und die Pflicht des Richters, darauf hinzuweisen. Zukünftig soll der Anspruch auf Dolmetschleistungen nicht auf die richterliche Vernehmung begrenzt sein, sondern auch bei Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei bestehen. Auch darüber ist der Beschuldigte zukünftig zu belehren. Schlussendlich soll der Beschuldigte zukünftig bereits bei der Festnahme über das Recht auf Dolmetschleistungen, die mögliche Beantragung eines Pflichtverteidigers und über Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte belehrt werden. Wir werden dem Entwurf der Bundesregierung mit den von der Koalition angestrebten Änderungen zustimmen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit der heutigen zweiten und dritten Beratung des Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren gewährleisten wir die Umsetzung der ersten beiden EU-Richtlinien zur Schaffung europäischer Mindeststandards für Beschuldigte. Damit zeigt die Koalition, dass sie ihr Ziel der Regelung einheitlicher EU-weiter Mindestverfahrensrechte nicht aus den Augen verloren und die wenigen in unserem Recht erforderlichen Anpassungen zur Stärkung der Beschuldigtenrechte zeitgerecht vorgenommen hat. Zu Protokoll gegebene Reden Schwerpunkt bei der Umsetzung der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen ist die Regelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Pflicht zur schriftlichen Übersetzung verfahrenswichtiger Dokumente, insbesondere von Strafurteilen. Erfasst ist nach der Neuregelung das schriftliche Urteil einschließlich der Urteilsgründe, nicht aber die bereits im Rahmen der Verkündung des Urteils dargelegten Ausführungen des Gerichts oder gar lediglich die Urteilsformel. Angeführt im Gesetzentwurf werden beispielhaft weitere wichtige Dokumente wie der Strafbefehl oder die Anklageschrift. Dadurch entspricht der Gesetzentwurf der Leitlinie der Richtlinie, die darin besteht, dass alle wichtigen zur Verteidigung notwendigen Dokumente grundsätzlich schriftlich übersetzt werden. Darüber hinaus wird durch den Gesetzentwurf auch die weitere Richtlinie, welche die Belehrungs- und Unterrichtungsrechte des Beschuldigten betrifft, umgesetzt. Hervorzuheben ist dabei die nun vorgesehene Belehrung über das Recht auf Dolmetscherleistungen. Das Gericht ist nun verpflichtet, Beschuldigte oder Verurteilte, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig oder hör- oder sprachbehindert sind, auf dieses Recht hinzuweisen. Dies gilt auch für den Fall der Festnahme. Die in dem Änderungsantrag der Koalition aufgenommenen Änderungsvorschläge des Rechtsausschusses führen zu einer Klarstellung und Vereinfachung des Gesetzentwurfs. Durch die ergänzende Vorschrift des § 189 Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz wird klargestellt, dass die als Dolmetscher oder Übersetzer herangezogenen Personen in jedem Fall Verschwiegenheit über die Umstände wahren sollen, von denen sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Kenntnis erlangen. Durch die eingeführte Belehrungspflicht des Gerichts in § 189 Abs. 4 Satz 2 wird die Einhaltung dieses Beschuldigtenrechts wesentlich gestärkt. Des Weiteren stellt der Änderungsantrag ausdrücklich fest, dass mit der Neuregelung keine Änderungen bezüglich der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Bestellung eines Pflichtverteidigers einhergehen. Der Gesetzentwurf entspricht in seiner jetzigen Fassung den Leitlinien der EU-Richtlinien und stellt einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem staatlichen Verfolgungsinteresse einerseits und dem Schutz des Beschuldigten andererseits dar. Ich bitte Sie aus diesem Grund um Ihre Zustimmung.

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung europäischen Rechts. Dabei geht es zum einen um das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren und zum anderen um das Recht auf Belehrungen und Unterrichtungen in Strafverfahren. Vom Grundsatz her begrüßen wir, dass Mindeststandards für die gesamte Europäische Union festgelegt werden. Aber es gilt auch hier: Die Linke will die höchstmöglichen Standards. Wir wollen für Europa und seine Einwohnerinnen und Einwohner nicht nur kleine Verbesserungen, sondern das Beste. Die Linke begrüßt, dass die Rechte des Beschuldigten im Hinblick auf Belehrungspflichten, Dolmetschund Übersetzungsleistungen erweitert wurden. Auch die Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie im Bereich der förmlichen Belehrungen und der Frage der Akteneinsicht finden wir begrüßenswert. Mit beiden Regelungen wird ein Verfahren auf Augenhöhe ermöglicht. Gleiches gilt für die weiteren Verbesserungen bei der Herstellung von Mindeststandards für die Verfahrensrechte der Beschuldigten. Allerdings erfolgt das zu spät, nämlich nach bereits umgesetzten Rechtsakten zur Anerkennung von - nach hiesigen Maßstäben nicht rechtsstaatlich zustande gekommenen - ausländischen Haftbefehlen und anderen Verfolgungsmaßnahmen. Die Verschwiegenheitspflicht für Dolmetscher ist angemessen und sinnvoll. In den Fällen, um die es hier geht, kommt ihnen eine sehr besondere Rolle zu, da sie faktisch als Mittler zwischen den verschiedenen Verfahrensbeteiligten wirken. Gerade für die Beschuldigten müssen sie eine Vertrauensstellung innehaben. Ich habe bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes darauf verwiesen, dass es ein Problem mit dem § 187 Gerichtsverfassungsgesetz gibt. Wie auch in der europäischen Richtlinie vorgesehen, gibt es die Notwendigkeit, Urteilsbegründungen vollständig zu übersetzen. Es ist mir unverständlich, warum dies nun nicht umgesetzt werden soll, und die Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung überzeugt mich da auch nicht. Demnach wäre das in der derzeitigen Gerichtspraxis nicht leistbar. Mag sein, aber dann muss man eben diese Praxis ändern. Es kann ja nicht sein, dass ich als Verfahrensbeteiligter ein Urteil und seine Begründung nur in Bruchstücken bekomme. Gerade für die Auseinandersetzung der Beschuldigten und insbesondere bei freiheitsentziehenden Anordnungen ist es doch wichtig, dass sie die Begründung des Gerichtes auch verstehen. Dies gilt ebenso für ihre Verteidiger. Sie brauchen eine Übersetzung, und zwar im Ganzen. Es kann auch nicht sein, dass irgendwer festlegt, welche Passagen eines Urteils übersetzt werden, weil sie für die Verteidigung von Belang wären - und welche nicht. Das kann einzig die Verteidigung selbst entscheiden. Das gehört zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens, und das wird hier nicht gewährleistet! Eine Übersetzung der gesamten Urteilsbegründung ist auch notwendig für die Resozialisierung im Heimatland: Für die Mitarbeiter der Justiz im Heimatland ist es unerlässlich, alle Motive, die zum Urteil führten, zu kennen. Oftmals gehen Resozialisierungsmaßnahmen doch gerade von solchen Sachverhalten aus, die im Gerichtsverfahren angeführt wurden und zu einem Urteil führten. Zu Protokoll gegebene Reden Unverständlich und entgegen der EU-Richtlinien bleibt auch, dass bei verteidigten Beschuldigten eine mündliche Übersetzung oder gar mündliche Zusammenfassung der Unterlagen in der Regel ausreichen soll und bei rechtskräftigen Entscheidungen sogar komplett auf eine Übersetzung verzichtet wird. Sie sehen, wir haben dem Gesetzentwurf viel Positives abgewinnen können, aber wir bleiben auch bei unserer Kritik an einzelnen Regelungen. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Stockholmer Programm als Strategiepapier und der Aktionsplan zum Stockholmer Programm von 2010 haben die Prioritäten der Europäischen Union für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Zeitraum 2010 bis 2014 festgelegt. Ziel war es, den Weg frei zu machen für eine demokratisch besser legitimierte und an gemeinsamen Grundsätzen orientierte Innen- und Justizpolitik der Europäischen Union. Schon in der Umsetzung dieser Ziele auf EU-Ebene ist der große Wurf hinsichtlich einer effektiven rechtlichen Absicherung der Verfahrensrechte jedoch gescheitert. So hat es zu einer umfassenden Richtlinie zur Stärkung der Verfahrensrechte auf europäischer Ebene leider nicht gereicht. Stattdessen hat die Europäische Kommission im November 2009 einen „Fahrplan zur Stärkung der Rechte von Verdächtigen oder Beschuldigten im Strafverfahren“ vorgelegt. Von sechs Maßnahmen dieses Fahrplans sind Mitte 2013 bisher Richtlinien zu lediglich zwei Maßnahmen verabschiedet worden, die Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und die Richtlinie über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren. Die Richtlinie über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme befindet sich noch im europäischen parlamentarischen Verfahren. Andere Maßnahmen wie die besonderen Garantien für schutzbedürftige Beschuldigte, ein Grünbuch für die Untersuchungshaft und insbesondere gemeinsame Mindeststandards für die Prozesskostenhilfe stehen noch aus. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Vorgaben der Richtlinien bezüglich der Dolmetscherleistungen und Übersetzungen sowie der Belehrungen in Strafverfahren umsetzen soll, begnügt sich mit - so heißt es in der Begründung - punktuellen Änderungen des deutschen Rechts, da die Rechtstellung von Beschuldigten in Deutschland bereits de lege lata im Wesentlichen den Richtlinienvorgaben entspricht. Und eben an diesem Punkt zeigt sich das Problem: Die schwarz-gelbe Koalition hat ein ebenso fragwürdiges wie problematisches Verständnis davon, welchen Inhalt der Begriff des „Wesentlichen“ hat. So geht die Richtlinie 2010/64/EU, welche das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren regelt, von folgender Regelung aus: Schriftlich zu übersetzen sind alle Unterlagen, die wesentlich sind, um zu gewährleisten, dass sie imstande sind, ein faires Verfahren zu gewährleisten - Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64/EU -, auf jeden Fall aber jegliche Anordnungen einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil - Art. 3 Abs. 2, RL 2010/64/EU - mit Ausnahme rechtskräftiger Urteile Art. 1 Abs. 2, RL 2010/64/EU. Ausnahmsweise kann auf eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung der wesentlichen Unterlagen zurückgegriffen werden, wenn dies einem fairen Verfahren nicht entgegensteht. Die Koalition hat in der Umsetzung dieser Vorgaben daraus Folgendes gemacht: Die schriftliche Übersetzung freiheitsentziehender Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen wird eben nicht, wie es die Richtlinie erfordert, ausnahmslos, sondern nur „in der Regel“ zugestanden, und auch bei diesen nur „in der Regel“ zu übersetzenden Dokumente, wird die nur auszugsweise Übersetzung als ausreichend angesehen, wenn hierdurch die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Aber wer entscheidet dies? Schließlich wird sogar lediglich die mündliche Übersetzung als ausreichend angesehen, und dies soll wiederum „in der Regel“ dann der Fall sein, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat. In der Zusammenschau schmelzen die Rechte aus Art. 3 der Richtlinie 2010/64/EU in sich zusammen, und faktisch wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu einem Ausnahme-Regel-Verhältnis. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich leider nicht darauf eingelassen, an diesem Punkt noch Korrekturen an ihrem Gesetzentwurf vorzunehmen. Schwarz-Gelb nimmt bewusst in Kauf, dass der Gesetzentwurf am Geist der Richtlinie vorbeigeht. Dies ist besonders für die FDP, die Beschuldigtenrechte im Munde führt, ein Armutszeugnis. Die Intention dahinter lässt sich leicht durchschauen: Mehr Übersetzungen kosten den Staat mehr Geld. Solche Discount-Verfahrensrechte darf sich Deutschland und Europa aber nicht erlauben. Wir Grüne wollen keine europäische Justizpolitik auf dem kleinsten Nenner und nur nach Kassenlage, sondern in Deutschland und Europa hohe Standards, Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit. Die Union wie die FDP verkennen wieder einmal, dass auf dem Gebiet der Schaffung einer europäischen Rechtsstaatlichkeit mehr getan werden muss als das unbedingt Notwendige. Eine solche Politik lehnen wir Grünen ab.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13528, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12578 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die So30430 Vizepräsident Eduard Oswald zialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz ({0}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bologna-Reform - Positive Entwicklungen stützen, Fehler korrigieren und Verbesserun- gen durchsetzen Drucksache 17/13475 - Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13475. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 49 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - Drucksache 17/13469 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute in erster Lesung einen atypischen Gesetzentwurf. Es ist ein gemeinsamer Entwurf der Koalitionsfraktionen und der Oppositionsfraktion SPD. Es ist ein gutes Zeichen, dass es nach wie vor Ge- genstände in der Politik gibt, über die man sich auch über Parteigrenzen hinweg verständigen kann. Der Gesetzentwurf geht zurück auf einen gemeinsa- men Antrag der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD aus dieser Wahlperiode mit dem schönen Titel „Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken“ - Bundestagsdrucksache 17/11001. Hierin waren auch Passagen zu den Bundesgerichten und zum Bundesver- fassungsgericht enthalten. Danach sollten „insbeson- dere die Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes, die unmittelbaren Körperschaften, Anstal- ten und Stiftungen zur Abgabe ihrer Unterlagen nach spätestens 30 Jahren gesetzlich verpflichtet werden“. Bei Entscheidungen zu Akten des Bundesverfas- sungsgerichts sollte der bedeutenden Stellung dieses Gerichts und seiner Richter im Hinblick auf For- schungserleichterung besonderes Gewicht beigemes- sen werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kom- men wir diesem Verlangen nach. Wir haben uns dafür entschieden, eine eigenstän- dige gesetzliche Regelung für die Einsichtnahme in die Akten des Bundesverfassungsgerichts im Bundes- verfassungsgerichtsgesetz zu schaffen, um der hohen Bedeutung des Gerichts gerecht zu werden. Eine Rege- lung im Bundesarchivgesetz hätte dies nicht vermocht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit wegweisen- den Entscheidungen die Verfassungswirklichkeit und das Verfassungsverständnis im Deutschland der Nach- kriegszeit geprägt. Die Ergebnisse einer öffentlichen Anhörung am 29. Februar 2012 vor dem Innenaus- schuss des Deutschen Bundestages haben gezeigt, dass die Aufarbeitung der Geschichte des Bundesverfas- sungsgerichts und seiner Entscheidungen für das Verständnis und die Einordnung seiner Bedeutung für die Entwicklung einer stabilen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend ist. Zur Untersuchung und Einordnung der Rolle des Bundes- verfassungsgerichts im Aufbau der bundesdeutschen Demokratie ist ein Rückgriff auf seine Entscheidungen und sonstige Unterlagen unerlässlich. Die Bedingun- gen für Wissenschaft und Forschung sollen durch er- leichterten Aktenzugang verbessert werden. Auch der Ständige Ausschuss des Deutschen Rechtshistorikertages hat sich 2010 in einer Resolu- tion für eine Verbesserung des Zugangs zu den Unter- lagen des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen. Für die Forschung besonders bedeutend sind dabei die Entscheidungsvorschläge - Voten - und -entwürfe. Die vorgenommenen Ergänzungen des Bundesverfas- sungsgerichtsgesetzes schaffen die Rahmenbedingun- gen für die Einsichtnahme in diese Unterlagen. Eine eigenständige Regelung im Bundesverfas- sungsgerichtsgesetz ist aber nicht nur der Stellung des Bundesverfassungsgerichts als eines der obersten Ver- fassungsorgane geschuldet. Auch die Schutzwürdigkeit des Beratungsgeheimnisses legt eine solche eigenstän- dige Regelung nahe. Zentrale Vorschrift ist der neue § 35 b Abs. 5 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Er stellt in seinem Satz 1 generell klar, dass für die Einsicht in die Akten des Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundes- archiv oder durch das Bundesarchiv als Zwischen- archivgut aufbewahrt werden, nach Ablauf von 30 Jah- ren nach Abschluss des Verfahrens die Regelungen des1) Anlage 16 Bundesarchivgesetzes gelten. Diese Frist von 30 Jahren ist an § 5 des Bundesarchivgesetzes angelehnt. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift darf Archivgut des Bundes aus einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Zeit auf Antrag grundsätzlich von jedermann genutzt werden. Dieser Zugang wird durch die neue Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nunmehr explizit für die Akten und sonstigen Dokumente des Bundesverfassungsgerichts eröffnet. Die Ansprüche aus § 5 des Bundesarchivgesetzes bleiben daneben bestehen. Eine Sonderregelung trifft Satz 2 für Entwürfe von Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, Arbeiten zu ihrer Vorbereitung und Dokumente, die Abstimmungen betreffen. Insoweit wird eine Einsichtnahme erst nach Ablauf von 60 Jahren nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens vorgesehen. Die Schutzfrist von 60 Jahren trägt dem hohen Rang des Beratungsgeheimnisses innerhalb des jeweiligen Spruchkörpers Rechnung. Sie lehnt sich zugleich an die Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 des Bundesarchivgesetzes an. Nach diesen Vorschriften darf Archivgut, das Vorschriften der Abgabenordnung, des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank, des Gesetzes über das Kreditwesen sowie anderen Rechtsvorschriften des Bundes über Geheimhaltung unterliegt, erst ab 60 Jahre nach Entstehen genutzt werden. Dem Beratungsgeheimnis beim Bundesverfassungsgericht wird damit die gleiche Schutzwürdigkeit zuerkannt wie insbesondere dem Steuer-, Sozial- und Bankgeheimnis. Schließlich ist noch eine Regelung vorgesehen, die im Interesse der Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts dessen jederzeitigen und vorrangigen Rückgriff auf das beim Bundesarchiv aufbewahrte und abgegebene Schriftgut vorsieht. § 35 b Abs. 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz trifft für die Akten zu Kammerentscheidungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, eine Sonderregelung. Diese Entscheidungen haben grundsätzlich keine tragende Bedeutung für die rechtshistorische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb können die sie betreffenden Akten und Unterlagen mit Einverständnis des Bundesarchivs nach Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des Verfahrens vernichtet werden. Zum Schluss noch etwas sehr Positives: Unsere beabsichtigte Regelung verursacht keine weiteren Kosten bei Bund und Ländern. Die erforderlichen Ressourcen für die Einsichtnahme in Akten müssen nämlich schon jetzt beim Bundesarchiv und beim Bundesverfassungsgericht nach dem Bundesarchivgesetz vorgehalten werden. Ich hoffe auf gute und schnelle Beratung, damit das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten kann.

Dr. Edgar Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit der Initiative der Fraktionen CDU/CSU, FDP und der Fraktion der SPD „Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern - Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen“ wollen wir gute wissenschaftliche Rahmenbedingungen für die zeitgeschichtliche Forschung in Deutschland schaffen. Dazu bedarf es einer Änderung des Bundesarchivgesetzes im Hinblick auf die Abgabevorschriften, und es bedarf Einzelgesetze über die Bundesgerichte. Insbesondere geht es um die Akteneinsicht beim Bundesverfassungsgericht. Im Gespräch mit Vertretern des Bundesarchives und Richtern am Bundesverfassungsgericht wurde zunächst in einem ersten Schritt die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes präferiert. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes regelt die Möglichkeit der Akteneinsicht. Es soll mit der vorgeschlagenen Änderung die Einsichtnahme in Akten und Entscheidungsvorschläge des Bundesverfassungsgerichts zu Forschungszwecken erleichtert werden. Wir wollen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine eigenständige Regelung für die Einsichtnahme in die Akten des Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundesarchiv aufbewahrt werden, schaffen. Die Praxis der Aktenabgabe an das Bundesarchiv und der Aktenzugang sollen nachvollziehbaren, allgemeingültigen Regeln unterliegen. Das Bundesverfassungsgericht darf demnach nicht ohne Weiteres Akten und Archivgut vernichten. Es wird die Einsichtnahme in die Akten des Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundesarchiv oder durch das Bundesarchiv als Zwischenarchivgut aufbewahrt werden und für die nach Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des Verfahrens die archivgesetzlichen Regelungen gelten, gesetzlich geregelt. Für Entscheidungsvorschläge und -entwürfe wird die Einsichtnahme nach Ablauf von 60 Jahren nach Abschluss des Verfahrens vorgesehen, um dem hohen Rang des Beratungsgeheimnisses und dessen Schutzwürdigkeit Rechnung zu tragen. Des Weiteren wird für die Akten zu Kammerentscheidungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, eine Sonderregelung geschaffen. Diese Entscheidungen haben aber keine tragende Bedeutung für die rechtshistorische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb können die sie betreffenden Akten und Unterlagen mit Einverständnis des Bundesarchivs nach Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des Verfahrens vernichtet werden. Eine weitere Sonderregelung soll für die Akten zu den in das Allgemeine Register des Bundesverfassungsgerichts eingetragenen Vorgängen gelten. Da sie keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung Zu Protokoll gegebene Reden haben, können die in diesen Verfahren angelegten Akten mit Einverständnis des Bundesarchivs bereits fünf Jahre nach der letzten die Sache betreffenden Verfügung vernichtet werden. Die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen hängt auch vom Umgang mit der eigenen Vergangenheit und damit den eigenen Akten ab. Wir erhoffen daher, dass die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine Signalwirkung entfaltet und andere Bundesgerichte dem guten Beispiel folgen. Lassen Sie uns die Forschung stärken, damit ihr möglichst umfängliche Informationen über die Entstehung von Entscheidungen und Vorgängen zukommen. Die vorgenommenen Ergänzungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen hierfür.

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben sich im Verlauf dieser Wahlperiode intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Untersuchung von personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüchen in deutschen Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit weiter vorangebracht werden kann. Wir haben dazu im Ausschuss für Kultur und Medien im Februar 2012 eine öffentliche Anhörung mit Sachverständigen durchgeführt. In der Folge hat die Koalition gemeinsam mit der SPD-Fraktion einen Antrag - Bundestagsdrucksache 17/11001 - verabschiedet, der sich klar für eine Verbesserung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit bei der NS-Aufarbeitung von Behörden, Ministerien und Gerichten positioniert. Es ist Teil der Wissenschaftsfreiheit, eigene Fragen und Forschungsgegenstände zu entwickeln, es ist aber auch Teil der Wissenschaftsfreiheit, möglichst ungehinderten Zugang zu Akten zu bekommen. Der Ansatz der Grünen, eine durch eine staatliche Kommission gesteuerte Auftragsforschung flächendeckend für alle obersten Bundesbehörden, -gerichte und Ministerien zu initiieren, ist falsch. Angesichts der Geschichte Deutschlands sollte jeder Eindruck der Vermittlung eines Geschichtsbildes „von oben“ vermieden werden. Am Anfang aller Forschung steht zweifellos der freie Zugang der Wissenschaft zu historischen Akten und Unterlagen von betroffenen Behörden, Gerichten und Ministerien. So werden die Akten, die von der Historikerkommission im Bundesministerium der Justiz eingesehen werden, anschließend in das Bundesarchiv überführt und für die allgemeine wissenschaftliche Nutzung zugänglich gemacht. Für den Potsdamer Historiker und das Mitglied der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim BMJ Manfred Görtemaker ist „das eigentliche Ziel der Kommission“, durch verbesserten Quellenzugang die bisher mangelhafte Informationsbasis für Forschungen über das BMJ zu verbessern und dadurch manche Lücken im öffentlichen Diskurs schließen zu helfen. Aus den Beratungen der Bundestagsfraktionen in dieser Wahlperiode ist für mich als Freien Demokraten, aber auch als Rechtshistoriker am Max-PlanckInstitut für europäische Rechtsgeschichte, der sich selbst lange mit Aufarbeitungsfragen beschäftigt hat, deutlich geworden: Ein freier Aktenzugang sollte nicht nur staatlich berufenen Historikerkommissionen gewährt werden. Zweifellos bringen Kommissionen, beispielsweise die im BMJ, aber auch Kommissionen in anderen Institutionen die Aufklärung, wie in der Nachkriegszeit neu gegründete Ministerien und Behörden mit der NS-Vergangenheit umgegangen sind, verdienstvoll voran. Wünschenswert ist aber, dass diese Möglichkeit allen Wissenschaftlern und Forschern, Doktoranden wie etablierten Professoren gleichermaßen offensteht. Das Bundesarchivgesetz bietet hierfür die nötigen Instrumentarien. Gemäß unserem Entschließungsantrag haben wir uns dafür eingesetzt, eine Novellierung des Bundesarchivgesetzes bereits in dieser Wahlperiode zu realisieren und für Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes die Abgabefristen für Unterlagen an das Bundesarchiv verpflichtend durchzusetzen. Leider haben wir dabei nicht immer Unterstützung erfahren. Das große Projekt der Novellierung des Bundesarchivgesetzes wird mehr Zeit benötigen und sich bis in die nächste Wahlperiode fortsetzen. Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sorgen wir in Teilumsetzung des gemeinsamen Antrags von Koalition und SPD bereits jetzt für mehr Forschungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen wegweisenden Entscheidungen in der Nachkriegszeit wie zum Beispiel dem Lüth-Urteil von 1958, dem KPD-VerbotsUrteil von 1956 und der Durchsetzung eines effektiven Grundrechtsschutzes ganz allgemein das Verfassungsverständnis der jungen Bundesrepublik entscheidend geprägt. Eine umfassende und differenzierte Aufarbeitung seiner Geschichte seit seiner Gründung 1951 kann zum Verständnis der Festigung der bundesdeutschen Demokratie in der Nachkriegszeit entscheidend beitragen und wird von Experten wie dem Frankfurter Rechtshistoriker Michael Stolleis als großes Forschungsdesiderat konstatiert ({0}). Forschungsbedarf besteht heute neben der Frage nach institutionellen und personellen Kontinuitäten, von denen das Bundesverfassungsgericht nahezu frei war, insbesondere im Hinblick darauf, zu verstehen, wie in der Bundesrepublik Deutschland bei allen Belastungen in Verwaltung, Justiz, Politik und Wirtschaft der Aufbau eines stabilen, freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats gelingen konnte. Der Ständige Ausschuss des Deutschen Rechtshistorikertages hat in einer Resolution von 2010 transparentere Regeln für den Zugang zu Akten des Bundesverfassungsgerichts gefordert: nach dem Vorbild der bundesarchivgesetzZu Protokoll gegebene Reden lichen Fristen von 30, maximal 60 Jahren für dem Beratungsgeheimnis unterliegende Unterlagen wie Voten und Entscheidungsentwürfe. Da Institutionen, darunter auch das Bundesverfassungsgericht, ihre Unterlagen nicht zwingend gemäß den oben genannten Regelungen an das Bundesarchiv abgeben müssen, sondern im Zwischenarchiv, einer Serviceeinrichtung des Bundesarchivs, dauerhaft lagern können, ist die Akteneinsicht auch nach den Fristen von 30 bzw. 60 Jahren trotz des Bundesarchivgesetzes vielfach nicht möglich. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erreichen wir, dass erstmals nicht nur Archivgut des Bundesarchivs, sondern auch Akten im Zwischenarchiv nach den bundesarchivgesetzlichen Regelungen und nach den Fristen von 30 bzw. 60 Jahren einsehbar werden. Der herausragenden Stellung des Bundesverfassungsgerichts sowie der besonderen Bedeutung seines Beratungsgeheimnisses wird dadurch Rechnung getragen, dass diese Regelung nicht allein im Bundesarchivgesetz getroffen wird, sondern unmittelbar in das Bundesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen wird. Auch in der Fachöffentlichkeit wird diese Verbesserung des Forschungszugangs für Zustimmung sorgen. Bei den Verhandlungen über die bestmögliche Lösung für das Bundesverfassungsgericht haben wir das Gespräch mit dem Gericht gesucht, um zu zeigen, dass wir an der Aufarbeitung seiner Geschichte ein erhebliches Interesse haben. Das ist der notwendige Dialog zwischen obersten Verfassungsorganen und kein Dekret von hiesiger Seite. Ich danke insbesondere dem Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof und Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier. Ich freue mich, dass die SPD diesen Schritt zu mehr Forschungsfreiheit mit uns gemeinsam geht. Wir zeigen, dass dies ein gemeinsames Anliegen ist. Die Erforschung der Geschichte der frühen Bundesrepublik ist unser gemeinsames Interesse. Um die Voraussetzungen für eine umfassende Reform der Akteneinsicht für alle Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes durch eine umfassende Novellierung des Bundesarchivgesetzes in der nächsten Wahlperiode zu verbessern, leistet der vorliegende Gesetzentwurf zur Stärkung der Forschungsfreiheit entscheidende Vorarbeiten. Ich wünsche mir, dass die anderen Fraktionen sich im Laufe der parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs dazu entschließen, ihm ebenfalls zuzustimmen.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Als im Dezember 2010 die Linke einen Antrag „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“ - Bundestagsdrucksache 17/4037 - in den Bundestag einbrachte, betonte ich in meiner damaligen Rede, dass für eine Demokratie Wissen keine Gefahr darstellt, sondern im Gegenteil Transparenz und Offenheit konstitutiv für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat sind. Transparenz stärkt die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger und erschwert Manipulationen und Korruption. Die Linke forderte daher, die Akteneinsichts- und -auskunftsrechte Dritter im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nach Vorbild des Bundesarchivgesetzes zu konkretisieren, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Versagung der Akteneinsicht oder -auskunft einzuführen sowie die Sperrfristen im Bundesarchivgesetz auf 20 Jahre zu verkürzen. Dadurch, dass alle vergangenen Bundesregierungen im Sicherheitsbereich regelmäßig und bewusst Gesetze auf den Weg gebracht haben, die an die Grenzen unserer Verfassung stoßen und sie oftmals überschreiten, wurde das Bundesverfassungsgericht, BVerfG, vermehrt zum Raum politischer Auseinandersetzungen. Für meine Fraktion gibt es gerade deshalb keinen Grund, die Beweggründe des Verfassungsgerichts jahrzehntelang im Geheimen zu halten, weder bei aktuellen Auseinandersetzungen noch bei lange vergangenen Entscheidungen. Dies sah die Mehrheit des Hauses leider anders. Die Koalitionsfraktionen waren sich einig, dass wir vollkommen untragbare Forderungen aufgestellt hätten. Folgerichtig lehnten Sie unseren Antrag, bei Enthaltung der SPD, die einmal mehr herumlavierte und sich nicht zwischen Transparenz und Herrschaftswissen entscheiden konnte, ab. Dass Sie nun heute einen Gesetzentwurf vorlegen, der in dieselbe Richtung wie unser Antrag geht, ist schon bemerkenswert. Es zeigt, dass die Linke wirkt, auch wenn Sie das natürlich niemals zugeben würden. Aber ich bin sehr auf die Begründungen für Ihren Sinneswandel, den ich selbstverständlich begrüße, gespannt. Als unser Antrag im März 2012 zuletzt debattiert wurde, hat uns der Kollege Grosse-Brömer für die Unionsfraktion mit markigen Worten und einem tiefen Griff in die Kalte-Kriegs-Kiste eine Kehrtwende vorgeworfen. Richtig. Meine Partei hat bereits vor über zwanzig Jahren eine entscheidende Lehre aus der Geschichte gezogen: nie wieder Sozialismus ohne demokratischen Rechtsstaat. Die Linke steht deshalb für Transparenz und die Abschaffung unkontrollierbarer Geheimdienste. Die aus vordemokratischen Zeiten stammende Politik der Intransparenz, die einzig dem Machterhalt einer Minderheit dient, muss überwunden werden. Dieser Gesetzentwurf spiegelt also vielmehr eine rasante, aber unvollendete Kehrtwende der Union wider, welche, auch wenn sie spät kommt und auf halbem Weg stehen bleibt, wie gesagt, zu begrüßen ist. Denn obwohl Kollege Grosse-Brömer das Thema der Einsicht in Bundesverfassungsgerichtsakten vor einem Jahr noch als völlig abseitig bezeichnete und keinerlei Handlungsbedarf erblicken konnte - ich zitiere ihn hier einmal: „Gänzlich verfehlt sind deshalb die mit Zu Protokoll gegebene Reden Ihrem Antrag verbundenen Forderungen. Die Forderung nach Unterordnung der Verfassungsgerichtsakten in das allgemeine Bundesarchivwesen verkennt die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichts als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan.“ -, wird in Ihrem Gesetzentwurf jetzt richtigerweise eingeräumt, dass es einer Reform der Rahmenbedingungen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz bezüglich der Einsichtnahme in die Akten des Gerichts bedarf. Während wir davon überzeugt sind, dass die bestehenden Sperrfristen von 30 Jahren und mehr für die Einsicht in Vorgänge der öffentlichen Gewalt nicht mehr zeitgemäß sind und generell verkürzt werden müssen, wollen Sie nur die Sonderstellung des BVerfG gegenüber dem Bundesarchiv, die jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt, beschneiden. Das ist aus unserer Sicht zu wenig. Und leider haben Sie nicht den Mut aufgebracht, einen anderen Punkt unseres Antrags ebenfalls zu übernehmen: Wissenschaft und Presse stoßen regelmäßig und nicht nur bei politisch besonders brisanten Entscheidungen auf erhebliche und kaum überwindbare Widerstände, wenn sie Akten des BVerfG teilweise oder vollständig einsehen wollen. Deshalb hatte meine Fraktion - analog zu den Forderungen des Deutschen Rechtshistorikertages in Münster - gefordert, den Rechtsschutz im Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu verbessern. Laut Urteil des VG Karlsruhe vom 27. Juli 2009 ({0}) ist für die Akteneinsicht Dritter kein Rechtsbehelf gegeben, da es sich „um rechtsprechende Tätigkeit“ handele. Es ist mehr als fraglich, ob die von Ihnen vorgelegten neuen Regelungen daran etwas ändern. Zwar verweisen die neuen Vorschriften auf die „archivgesetzlichen Regelungen“. Da diese prinzipiell sowieso gelten, wenn das BVerfG mal dem Auftrag des BArchG nachkommen würde, kann diese Verweisung also nur so aufgefasst werden, wie es auch im Gesetzentwurf angedacht ist, dass die Akten, die das BVerfG nur „zwischenlagert“, erst danach einzusehen sind. Es bleibt offen, ob das Bundesarchiv der Antragsgegner ist oder weiterhin das BVerfG. Und dann, wenn Letzteres gilt, bleibt eben weiterhin die Frage des Rechtsweges gegen Entscheidungen des BVerfG stehen. Da der vorliegende Gesetzentwurf von CDU/CSU, FDP und SPD keine Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht, bleibt diese Frage ungelöst, obwohl die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe nicht das letzte Wort sein kann. Denn die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht und -auskunft durch das BVerfG ist offensichtlich nicht spruchrichterliche Tätigkeit, sondern materiell-rechtlich der vollziehenden Gewalt zuzurechnen, mithin muss die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewährleistet werden. Ihr Gesetzentwurf geht also nicht weit genug, aber immerhin in die richtige Richtung. Wie beim Weitsprung sollten Sie auch hier nicht versuchen, auf halber Strecke stehen zu bleiben. Und es wäre überaus wünschenswert, wenn Sie sich auch in anderen Bereichen der Innen- und Rechtspolitik endlich einmal von Konzepten und Positionen der Linken inspirieren ließen. Das täte diesem Land verdammt gut. Ich verspreche Ihnen auch, dass Sie keine Angst davor zu haben brauchen, von uns wegen Urheberrechtsverletzungen belangt zu werden. Nur zu, trauen Sie sich.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Zugang zu Akten und Archiven ist eine wesentliche Grundlage der historischen Forschung. Einen möglichst guten und angemessen schnellen Zugang zu gewährleisten, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Das gilt auch für die Akten des Bundesverfassungsgerichts. Die Forschung zur Arbeit des Bundesverfassungsgericht hat ein besonderes rechts- und demokratiegeschichtliches Interesse, auch und gerade weil das Gericht sich im Laufe seiner Geschichte ein hohes Ansehen erarbeitet hat und zu einer tragenden und weithin respektierten Säule des demokratischen Rechtsstaates geworden ist. Das näher zu erforschen und nachzuvollziehen, ist aus meiner Sicht äußerst lohnend, auch ein Akt der demokratischen Selbstvergewisserung. Der deutsche Rechtshistorikertag 2010 kritisierte, dass das Bundesverfassungsgericht seine Akten erst nach 90 Jahren für die Forschung freigeben will. Mich verwundert es ehrlich gesagt, dass ein Gericht mit einer so großen Bedeutung und Reputation eine so lange Geheimhaltungspflicht für sich reklamiert, was dann ja auch eine Sonderregelung gegenüber den sonst üblichen 30 bzw. 60 Jahren wäre. Wir halten die Kritik der Rechtshistoriker für verständlich und schließen uns ihr an. In unserer Zeit mit ihren stark beschleunigten Abläufen ist nach 90 Jahren nur noch mit einem deutlich abnehmenden Forschungsinteresse zu rechnen. Diese viel zu lange Zeitspanne behindert eine lebendige geschichtswissenschaftliche Debatte, an der wir alle doch ein Interesse haben. Was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, so sollten wir im Weiteren klären, wie wir mit den darin genannten Fristen umgehen. Auch die 60 Jahre Geheimhaltungsfrist für Entscheidungsvorschläge und -entwürfe sind noch ein sehr langer Zeitraum. Und auch die vorgeschlagenen Regelungen zur Aktenvernichtung sind zu überprüfen. Wir sollten hier ein Fachgespräch oder eine Expertenanhörung durchführen, vor allem auch mit den Fachhistorikern, die auf diesem Gebiet arbeiten. Insgesamt müssen wir immer wieder über Geheimhaltungsfristen und bürokratische Schwierigkeiten beim Zugang zu unseren Archiven nachdenken. Wenn die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kultuZu Protokoll gegebene Reden Claudia Roth ({0}) rellen Abläufe sich so sehr beschleunigen, wie sie es gegenwärtig tun, und wenn auch die Erwartungen an Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen deutlich zunehmen, dann können auch die Fristen und Modalitäten, die gegenwärtig Usus sind, nicht für immer in Stein gemeißelt sein.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/13469 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 46 sowie Zusatzpunkt 8 auf: 46 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Petermann, Ralph Lenkert, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zukunft der Solarindustrie sichern - Drucksache 17/13242 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energiewende sichern - Solarwirtschaft stärken - Drucksache 17/9742 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Die Reden werden zu Protokoll genommen, wie in der Tagesordnung ausgewiesen.

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Die Photovoltaik-Industrie in Deutschland ist Technologieführer und wird diese Position im globalen Maßstab mit wettbewerbsfähigen Kosten behaupten.“ So sah noch im November 2010 die Vision der Photovoltaikindustrie in der PV-Roadmap für 2020 aus. Leider ist das Gegenteil eingetreten. Während in den vergangenen Jahren die deutsche Industrie in vielen Bereichen deutlich gewachsen ist, ist die deutsche Solarindustrie zwar hochsubventioniert worden, aber trotzdem massiv in der Krise. Sie ist entgegen ihrer eigenen Prognose weit davon entfernt, zur tragenden Säule der deutschen Industrie zu werden. Vielmehr ist die Solarindustrie ein Beispiel dafür geworden, wie Subventionen zu Gift werden können. Die Negativschlagzeilen über die deutsche Solarindustrie, die Hersteller der Solarzellen- und -module, nehmen kein Ende. Werksschließungen waren in den vergangenen Monaten an der Tagesordnung. Die Anzahl der Betriebe ist um ein Drittel gesunken. Egal ob Q-Cells, Bosch Solar oder Schott Solar, all diese Unternehmen mussten Werke in Deutschland schließen mit Konsequenzen für Tausende Arbeitnehmer. Die deutsche Solarzellen- und Modulfertigung hat kaum noch 6 000 Beschäftigte. Und auch Branchengrößen wie Solarworld sitzen auf Riesenverlusten, und Hunderte Mitarbeiter müssen um ihre Existenz bangen. Die negativen Schlagzeilen stehen in deutlichem Kontrast zu den über 100 Milliarden Euro Förderung, die der Stromkunde in den kommenden Jahren mit seiner Stromrechnung zahlt. Keine Technologie wurde so hoch gefördert wie die Photovoltaik. Und trotzdem oder gerade deswegen: Die deutschen Module sind weder wettbewerbsfähig noch technisch überlegen. Aber nicht nur die deutsche Subventionspolitik ist zum Totengräber der heimischen Solarindustrie geworden, sondern auch die chinesische Subventionspolitik. So wurden insbesondere in China mit staatlichen Subventionen massiv Solarproduktionskapazitäten aufgebaut. Das hat dazu geführt, dass weltweit das Angebot an Modulen deutlich schneller gewachsen ist als die Nachfrage. Heute liegt das Weltmarktvolumen bei rund 30 000 Megawatt, demgegenüber steht eine weltweite Produktionskapazität von etwa 60 000 Megawatt. Das hat zu einem deutlichen Preisverfall geführt. Die Folgen sind, dass ein ruinöser Wettbewerb geführt wird, dessen Ende wir leider noch nicht erreicht haben. Davon ist nicht nur die deutsche, sondern mittlerweile auch die chinesische Solarindustrie betroffen. Auch hier gibt es erste Insolvenzen. Die Produktionsüberkapazitäten sind so hoch, dass Deutschland alleine die Solarindustrie nicht retten kann, weder mit höheren Fördersätzen noch mit neuen Zubaurekorden. Es ist falsch, wenn die Linken und Grünen in ihren Anträgen schreiben, dass wir durch die Förderkürzungen mutwillig Arbeitsplätze vernichtet haben. Wir hätten zwar ohne diese Kürzungen die Solarindustrie künstlich einige Jahre länger am Leben halten können, die Verbraucher hingegen hätten einen nicht zu rechtfertigenden Preis dafür gezahlt. Denn schon heute zahlt jeder Verbraucher rund 2,2 Cent pro Kilowattstunde für die Solarförderung. Damit fließen gut 40 Prozent der EEG-Förderung in die Solarenergie, die aber nur etwa 5 Prozent an der Gesamtstromerzeugung ausmacht. Hätten wir die Förderung für Solarstrom in den vergangenen vier Jahren nicht deutlich um 70 Prozent, von 43 auf 16 Cent pro Kilowattstunde, reduziert, müssten die Verbraucher heute deutlich mehr zahlen. Die Kürzungen haben in keinster Weise den Zubauboom der Solaranlagen gebremst. Im Gegenteil, wir haben immer neue Rekordwerte erreicht. So haben wir in den vergangenen Jahren mehr als das Doppelte unseres Zielkorridors erreicht, nämlich in 2010 7 400 Megawatt, in 2011 7 500 Megawatt und in 2012 7 600 Megawatt. Leider hat von diesem Zubau nicht die heimische, sondern vor allem die chinesische Solarindustrie profitiert. Nur mit mehr Forschung und Innovation hat die Solarindustrie in Deutschland Zukunft. Hier wurde zu wenig getan. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung lagen jahrelang unter 3 Prozent. Das ist deutlich unter dem Niveau anderer Industriezweige, wie zum Beispiel der Elektroindustrie mit einem Anteil von rund 7 Prozent. Auch hier haben wir massiv die Branche unterstützt. So stellt das Bundesumweltministerium rund 40 Millionen Euro jährlich für die Solarforschung zur Verfügung. Hinzu kommen weitere 100 Millionen Euro, die für die „Innovationsallianz Photovoltaik“ zur Verfügung gestellt werden. Und auch im Bereich der Solarspeicher sind wir mit dem neu aufgelegten Speicherförderprogamm einen wichtigen Schritt hin zu neuen, innovativen Technologien gegangen. Ich möchte die heutigen Debatten nutzen, um auf das von der Europäischen Kommission angestoßene Anti-Dumping-Verfahren einzugehen. Auch hier wird ein gefährlicher Irrweg beschritten. Protektionismus und Zölle werden die Solarindustrie in Europa und insbesondere in Deutschland nicht retten. Im Gegenteil: Strafzölle gegen chinesische Hersteller würden in großer Zahl Arbeitsplätze hierzulande vernichten. Laut einer Studie von Prognos könnten je nach Höhe der Strafzölle innerhalb von drei Jahren allein in Deutschland bis über 80 000 Jobs wegfallen. Grund dafür ist, dass durch die Zölle die Preise für Solarmodule steigen werden und die Nachfrage einbricht. Zwar würden europäische Solarhersteller von den Strafzöllen profitieren. Die dadurch entstehenden Arbeitsplätze entsprächen aber gerade einem Fünftel der an anderer Stelle verlorenen Arbeitsplätze. Denn selbst bei Verwendung chinesischer Module findet der Großteil, circa 70 Prozent, der Wertschöpfung einer in der EU installierten PV-Anlage in der EU statt. Schutzzölle würden also vielleicht die deutsche Solarzellen- und Modulfertigung retten, den Rest und den Großteil der Solarwertschöpfung hingegen in Gefahr bringen. Dieses Instrument sollte also mit Vorsicht genutzt werden. Ich bin überzeugt davon, dass die Solarbranche in Deutschland eine Zukunft hat, auch wenn der Schwerpunkt nicht in der Solarzellen- und Modulfertigung liegen wird. Der deutsche Maschinenbau, Wechselrichterhersteller, Projektierer und Siliziumproduzenten werden auch in Zukunft ihre weltweit führende Rolle verteidigen und ausbauen. Dazu sollten wir in Deutschland auch weiter für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen, statt immer neue Subventionen und Zölle zu fordern.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin den Kollegen von den Grünen und der Linken sehr dankbar für diese Anträge. Sie bieten die hervorragende Gelegenheit, mit einigen Mythen um die deutsche Solarbranche aufzuräumen, die sich auch im vorliegenden Antrag reichlich finden. Die Mythen zur Solarbranche in Deutschland lassen sich auf zwei Aussagen zuspitzen: Erstens. Die Anpassung der Förderung nach dem ErneuerbareEnergien-Gesetz, EEG, für Photovoltaik ({0})-Anlagen in dieser Legislaturperiode ist schuld an den aktuellen Problemen der Branche. Zweitens. Die Chinesen sind sowieso an allem schuld. Widmen wir uns dem ersten Mythos. Im Antrag der Linken wird er auch deutlich geäußert: Die permanenten Attacken der Bundesregierung gegen die Förderung erneuerbarer Energien haben massiv zur Krise der hiesigen Solarindustrie beigetragen, da sie immer wieder die Planungs- und Investitionssicherheit infrage stellte. Mutwillig hat die Bundesregierung so Zehntausende Arbeitsplätze in der Produktion von Photovoltaikzellen und -modulen gefährdet. - Diese Aussage hat zwei fehlerhafte Grundannahmen. Es wird erstens davon ausgegangen, dass die EEG-Vergütung den PV-Produzenten unmittelbar zugutekommt, und zweitens, dass die Installation der PV-Anlagen in den letzten Jahren rückläufig war. Beides ist falsch. Die großen Profiteure der EEG-Förderung sind die Betreiber der EEG-Anlage, nicht die Handwerker oder Hersteller. Über 20 Jahre, also während des gesamten Vergütungszeitraums nach dem EEG, verblieben fast 90 Prozent der Erlöse beim Betreiber der PV-Anlagen. Und diese Zahl habe ich mir nicht ausgedacht, die kommt auch nicht von der bösen Energielobby. Dies kann alles in einer Studie vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2010 mit dem Titel „Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien“ im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien, AEE, nachgelesen werden. Auch die Installationszahlen der letzten Jahre sind rekordverdächtig. Die Zahlen des Bundesverbandes der Solarwirtschaft zur installierten Leistung belegen es: 2009: 3 800 MW, 2010: 7 400 MW, 2011: 7 500 MW und 2012: 7 600 MW. Die Nachfrage nach PVAnlagen war also überdurchschnittlich hoch. Und in diesem Zusammenhang ist der Satz aus dem Antrag der Grünen eben schlicht falsch, wonach „Der Ausbau der Solarstromerzeugung […] in den letzten Jahren ohne nennenswerte zusätzliche Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht [wurde].“ Fast 10 Milliarden Euro werden 2013 an Eigentümer von PV-Anlagen ausgezahlt. Das sind mehr als 50 Prozent der gesamten EEG-Vergütung, während die PV bis zu 25 Prozent der Elektrizitätsmenge des EEG-Systems beiträgt. Die Korrekturen der an der PV-Vergütung in den letzten Jahren waren richtig. Ich denke, der erste Mythos ist damit widerlegt. Die Anpassung der PV-Sätze im EEG an die Marktpreise der PV-Anlagen waren im Sinne der deutschen StromZu Protokoll gegebene Reden kunden, dennoch gab es ständige Rekordzuwächse bei den installierten Anlagen. Den zweiten Mythos, „die Chinesen sind schuld“, formuliert der Antrag zurückhaltender. Stattdessen liest man von „weltweiten Überkapazitäten in der Photovoltaikindustrie“. Aber in den Zeitungen wird stets von chinesischen Herstellern geschrieben. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte dieser Vorwurf zutreffen. Im Jahr 2008 waren circa 60 Prozent der in Deutschland installierten PV-Anlagen aus deutscher Fertigung, chinesische Hersteller kamen auf 21 Prozent. Im ersten Halbjahr 2011 war der deutsche Anteil bei 15 Prozent, und der chinesische lag bei 60 Prozent. Der reflexhafte Vorwurf in Richtung China lautet: Dumping! Es mag sein, dass die Hersteller in China massive Unterstützung von der Regierung erhalten. Aber das allein erklärt den Rückgang des Marktanteils deutscher Hersteller nicht. Die deutschen PV-Hersteller haben sich auf den Erfolgen der Vergangenheit mit zweistelligen Eigenkapitalrenditen aufgrund der durch üppige EEG-Förderung ausgelösten Nachfrage ausgeruht. Statt in Forschung und Entwicklung, FuE, sowie Automatisierung zu investieren, wurden Börsengänge organisiert, Fußballvereine gesponsert und Dividenden ausgeschüttet. Manch namhafte Branchengröße hat sich von diesen Erlösen ein Schloss am Rhein gekauft anstatt Forscher und Wissenschaftler anzustellen. Die FuE-Quote bei deutschen PV-Herstellern liegt bei 2,5 Prozent des Umsatzes. Zum Vergleich: Im verarbeitenden Gewerbe liegt die FuE-Quote bei 5 Prozent, in der Elektroindustrie bei 7 Prozent und bei den Automobilherstellern bei 6 Prozent. Die deutschen Hersteller haben zu lang auf personalintensive Massenherstellung gesetzt, statt neue Produkte und Fertigungsprozesse zu entwickeln. Und Massenproduktion zu günstigeren Preisen beherrschen andere Länder einfach besser als wir. Ich empfehle dazu einen Artikel in der Zeitschrift „Neue Energie“, dem Zentralorgan der erneuerbaren Energien, aus dem Mai 2012 mit dem Titel „Bitterer Traum“. Im Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis der Linken ist immer der Staat für alles verantwortlich. In diesem Antrag stehen die Grünen den Linken in nichts nach. Da sind sie durchaus konsequent und fordern weitere Unterstützungs- und Förderprogramme. Aber, meine Damen und Herren der Linken, das dies in der Marktwirtschaft eben nicht immer der Fall ist, dürfte sich nach über 20 Jahren auch bei Ihnen rumgesprochen haben. Schlechte unternehmerische Entscheidungen werden folglich nicht thematisiert. Neue Förderprogramme oder Strafzölle werden der Branche auch nicht helfen. Die Koalition hat bereits im Sommer 2010 das Programm „Innovationsallianz Photovoltaik“ gegründet. Bis 2014 stehen 100 Millionen Euro zur Verfügung. Forschung und Entwicklung sind der einzig sinnvolle Weg für die PV-Branche. In meinem Dresdner Wahlkreis wird zum Beispiel an organischen PV-Modulen geforscht. Diese Zellen sind extrem biegsam, dünn und effizient. Das sind Lösungen, die künftig zu Wohlstand und Wertschöpfung beitragen werden. Ein weiteres Werkzeug haben wir Politiker in der Hand. Es ist das EEG-Förderregime. Ich denke, es ist Konsens in diesem Haus, dass das EEG in der heutigen Form so nicht fortgesetzt werden kann. Nur wollen offensichtlich verschiedene Parteien vor der Bundestagswahl nicht davon reden, um ihren Wählern nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Der nächste Bundestag wird hier eine andere Ausgestaltung finden müssen. Wir sollten die nächste, grundlegende EEG-Novelle für Anreize zur Innovationsförderung nutzen und etwa bestimmte Wirkungsgrade der Anlagen als Voraussetzung für eine Förderung definieren. Das hilft innovativen Produkten eher als die Vollkaskovergütung oder Protektionismus. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und stelle die angesprochenen Artikel oder Studien sehr gern zur Verfügung.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Unternehmen der deutschen Solarbranche haben in den letzten drei Jahren einen dramatischen Wandel erfahren. Die Zahl der Arbeitsplätze ist von einstmals 130 000 auf unter 100 000 gefallen. Q-Cells, First Solar, Solon und SMA Solar sind nur die prominentesten Unternehmen, die entweder beispiellose Auftragsrückgänge zu verzeichnen hatten oder sogar den Weg in die Insolvenz antreten mussten. Besonders für ostdeutsche Regionen, in denen viele Teile der Produktionsstätten angesiedelt sind beziehungsweise waren, ist dies ein schmerzhafter Prozess. Die Ursachen für diese Entwicklungen sind vielfältig. So wurden in den letzten Jahren weltweit große Überkapazitäten in der Photovoltaikindustrie aufgebaut, die einen wesentlichen Anteil an den Problemen der deutschen Unternehmen haben. Immer wieder wurden unter anderen von der Linksfraktion, die auch den heute diskutierten Antrag eingebracht hat, die Kürzungen bei den EEG-Vergütungen für Solarstrom für den Wandel in der deutschen Solarbranche allein verantwortlich gemacht. Doch dieses Argument greift zu kurz. Denn eine Anpassung der Vergütungszahlungen an die stetig sinkenden Modulpreise und tatsächlichen Stromgestehungskosten war zwingend geboten, um den Anlagenbetreibern nicht länger zweistellige Renditen auf Kosten der Stromkunden zu garantieren. Allerdings hätte ein weniger chaotischer Absenkungsprozess mit langfristig festgelegten Degressionsschritten der Branche bessere Reaktionsmöglichkeiten geboten. Gleichzeitig hat die chinesische Regierung ihre Solarindustrie mit staatlichen Zuschüssen und zinsgünstigen Krediten unterstützt, was es den dortigen Unternehmen ermöglichte, Module zu vergleichsweise sehr niedrigen Preisen anzubieten. Diese Entwicklungen in China, aber auch eigene Versäumnisse der deutschen Unternehmen, wie zum Beispiel der zu schnelle Aufbau von Erzeugungskapazitäten und zu geringe Zu Protokoll gegebene Reden Forschungsinvestitionen, führten dann zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Letzte Woche hat die Europäische Union im Rahmen eines Antidumpingverfahrens zu chinesischen Solarmodulen die Einführung von Strafzöllen ab Anfang Juni für sechs Monate und in Höhe von durchschnittlich 46 Prozent beschlossen. Weitere Zölle hat die EUKommission China angedroht. Dieses Vorgehen birgt jede Menge Risiken für die europäische und besonders für die deutsche Wirtschaft, denn es besteht die Gefahr des sich gegenseitig Hochschaukelns. Und diese Gefahr scheint sich nun zu realisieren. Im Gegenzug zu den europäischen Strafzöllen hat die chinesische Regierung ein Antidumpingverfahren zu Importen von legierten Stahlrohen unter anderem aus der EU eingeleitet. Im Ergebnis des Verfahrens könnten chinesische Zölle den Import deutscher und europäischer Stahlprodukte erschweren oder gar verhindern. Dies zeigt: Ein Handelsstreit mit der großen Volkswirtschaft China hat Auswirkungen weit über den Sektor der Photovoltaik hinaus und kann nicht im deutschen Interesse liegen. Zwar ist für das Antidumpingverfahren die europäische Kommission allein zuständig, jedoch darf die Bundesregierung nicht einfach nur zusehen. Zum einen muss eine deutsche Bundesregierung, die die Interessen der deutschen Wirtschaft im Blick hat, darauf hinwirken, dass etwas Dampf aus dem Kessel genommen wird und in bilateralen Gesprächen mit der chinesischen Regierung eine Lösung für das Problem suchen. Zum anderen sind im Streit um Subventionen für die chinesische Solarindustrie alle Institutionen der WTO und deren Streitbeilegungsmechanismen auszureizen. Denn ein Kompromiss, der sowohl der europäischen als auch der chinesischen Solarindustrie Entwicklungsperspektiven bietet, ist für beide Seiten eine bessere Option als die Einführung von Strafzöllen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Ausbau der Photovoltaikanlagen in Deutschland durch die aus den Strafzöllen resultierenden höheren Preise gebremst wird. Dies sollte energiepolitisch nicht gewollt sein und hat außerdem auch negative Auswirkungen auf die vielen mittelständischen Installationsbetriebe in Deutschland. Unabhängig von der Lösung dieses europäisch-chinesischen Streites müssen Politik und Solarindustrie mehr für die Forschung und Entwicklung im Solarsektor tun. Denn nur über eine vergleichsweise bessere Qualität, zum Beispiel in Form höherer Effizienz beziehungsweise eines besseren Wirkungsgrades und nicht über Dumping-Preise, kann die deutsche Solarindustrie wieder auf die Beine kommen. Zudem könnten sich die Unternehmen durch das Angebot kombinierter Lösungen neue Kundengruppen erschließen. Ich denke hierbei an Systemlösungen aus Modulen und Speichern für den Einsatz in Wohnhäusern oder auch Quartieren. Darüber hinaus müssen wir aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre lernen, um eine Wiederholung in anderen Sektoren zu verhindern. Natürlich ist es ein großer Unterschied, ob ein deutscher Handwerker ein chinesisches Solarmodul auf einem Dach installiert oder hier ein Park mit in China gefertigten Windenergieanlagen entstehen soll. Dennoch müssen wir die Entwicklungen auch in anderen Sektoren genau beobachten und gleichzeitig den deutschen Unternehmen Rahmenbedingungen bieten, die Forschung und Entwicklung von modernen Erzeugungsanlagen mit immer vielfältigeren Anforderungen ermöglichen. Wir sind hier aktuell auf einem guten Weg, zum Beispiel bei Technologien zur System- und Netzintegration des Windstroms, aber um den Vorsprung zu halten, bedarf es weiterer Anstrengungen.

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ginge es nach den zwei Anträgen von der Linken und von den Grünen hätte die Solarindustrie in Deutschland auch in Zukunft um jeden Preis eine gesicherte Existenz, eine gesicherte Existenz unter der Käseglocke der Staatswirtschaft aus EEG und Finanzspritzen, eine gesicherte Existenz, die keine Notwendigkeit aufkommen lässt, dass sich diese Unternehmen neu aufstellen oder mehr anstrengen - zum Beispiel in Form von Forschung und Entwicklung, es sei denn, der Staat bezahlt dafür. Die Forderungen nach finanzieller Unterstützung für FuE ist keine Neuigkeit. Von den Versäumnissen der Unternehmer und Unternehmen aber spricht niemand. Jenen nämlich war es wichtiger, ihre Aktionäre zu beglücken, erst recht jene Firmenbosse, die rechtzeitig wussten, wann die Party zu Ende sein würde. Jetzt, nachdem alle ausbezahlt wurden, nach Forschungsgeldern vom Staat zu schreien, finde ich schlichtweg dreist - nicht nur aufgrund meines klaren ordnungspolitischen Kompasses, sondern auch aus einem anderen Grund. Ich bitte Sie nämlich, eines zu beachten: Die Photovoltaikindustrie ist keine Infant Industry mehr. Vielmehr ist die Technologie in ihrer Entwicklung weitestgehend ausgereizt. Natürlich lassen sich noch einzelne, aber nur wenige Prozentpunkte bei der Effizienz herauskitzeln. Aber im Grunde ist eine Solarzelle kein Hightech-Produkt mehr. Und eben das ist auch der Grund, weshalb die Unternehmen und Händler aktuell so hohe Volumina in ihren Lägern haben. Eine Solarzelle ist vielmehr billige Massenware, die in Fabriken außerhalb Deutschlands und meist in Fernost am Fließband produziert wird. Während sich die einen über die verwässerten Marktpreise freuen, geht es den Kollegen von Grünen und Linken - ganz im Gegensatz zu ihrer Argumentation in der Öffentlichkeit - nicht primär um den Klimaschutz. Dann nämlich wäre es vollkommen egal, woher die Module, deren Anteil an den Systemkosten kontinuierlich sinkt, kommen. Es geht alleine darum, mit fadenscheinigen Argumenten ihre Klientel zu bedienen und staatsdirigistisch zu bestimmen, was und wie viel in den kommenden fünf Jahren in Deutschland produziert werden muss. Zu Protokoll gegebene Reden Einen bestimmten Punkt aus dem Antrag der Linken möchte ich zum Abschluss noch aufgreifen: Unverständlich ist mir, dass sich die Linke plötzlich für den Erhalt der gesamten Wertschöpfungskette zur Modulproduktion einsetzt und dass sie dies sogar noch zur Voraussetzung des Gelingens der Energiewende in Deutschland macht. Ich frage mich, weshalb das nicht auch für die Stromproduktion aus Gas gelten soll. Nein! Da bezahlen wir lieber weiter die teuren Gaslieferungen aus Russland - und verzichten in Deutschland auf die Erdgasproduktion, die - und da vertraue ich unseren erstklassigen deutschen Ingenieuren - in Deutschland unter höchsten Umweltauflagen erfolgt.

Jens Petermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004128, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Am 22. März 2013 verkündete der BoschKonzern seinen Abschied aus der gesamten Solarsparte. Anfang 2014 sollen nach den Plänen der Konzernleitung bei Bosch Solar Energy im Gewerbegebiet Erfurter Kreuz nahe Arnstadt die Lichter ausgehen. Wenn sich kein Käufer findet, sind die meisten der 1 850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Arnstadt überflüssig. Außerdem stehen über 1 000 weitere Arbeitsplätze bei den vielen hochspezialisierten BoschZulieferbetrieben auf dem Spiel. Nach der mit der deutschen Einheit einsetzenden Deindustrialisierung, der über 50 Prozent der Arbeitsplätze zum Opfer fielen und die Massenarbeitslosigkeit in der Region zur Folge hatte, droht nun nach zaghafter Erholung ein erneuter Kollaps. Es gilt, diesen Kollaps durch verantwortungsbewusste Politik abzuwenden. Diese verantwortungsvolle Politik ist aber leider nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die planlosen Einschnitte im Erneuerbare-Energien-Gesetz haben zu einem Sterben der großen Solarbetriebe im Osten der Republik geführt und erreichen mit dem absehbaren Ende des letzten großen Players, der Bosch Solar Energy, ihren vorläufigen Höhepunkt. Schwarz-Gelb hat die Marktkeule rausgeholt und lässt die Solarindustrie am ausgestreckten Arm verhungern. Wir werden uns mit dieser Entscheidung der Regierungskoalition nicht abfinden. Die Linke kämpft um den Erhalt jedes Arbeitsplatzes, und sie kämpft für eine Rettung der einheimischen Solarindustrie als Standortfaktor, auch im Industriegebiet Erfurter Kreuz, und als wichtigen, nicht wegzudenkenden Baustein des Ausstieges aus der Atomenergie und der Energiewende. Mit meinem Kollegen Ralph Lenkert habe ich darum einen Gruppenantrag initiiert und von der Bundesregierung ein „Solarrettungsprogramm“ eingefordert. Statt Rettungsschirme für Banken und Kredithaie ist ein Rettungsschirm für eine zukunftsträchtige Industrie, die Tausenden Menschen und ihren Familien eine Existenzgrundlage bietet, notwendig. Zur Unterstützung dieses Gruppenantrages habe ich die Thüringer Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen eingeladen: Mitmachen? Fehlanzeige! Weder ein Mitglied der SPD noch eines der Grünen und auch nicht die Mitglieder der CDU/CSU- sowie FDP-Bundestagsfraktion wollten sich beteiligen und sich für eine Unterstützung durch die Bundesregierung starkmachen. Das ist vor allem für die Menschen, deren Arbeitsplätze akut gefährdet sind, eine herbe Enttäuschung. Natürlich geht es darum, die Regionen in Ostdeutschland zu retten, in denen die Ansiedelung der Produktionsstätten der Photovoltaikbranche den Menschen wieder Hoffnung für die Zukunft gab. Genau diese Menschen mussten vor zwanzig Jahren schon einmal dem vollständigen Zusammenbruch ihrer örtlichen Industrie tatenlos zusehen. Sie haben schmerzlich erfahren, was es heißt, arbeitslos und auf Sozialleistungen angewiesen zu sein. Sie wissen, was es heißt, keine Zukunftsperspektive zu haben. Zehntausende haben daraufhin diese Regionen verlassen. Die Photovoltaikindustrie stellte dort einen industriepolitischen Neuanfang dar. Ein abermaliger Niedergang eines ganzen Industriezweiges und eine damit einhergehende zweite Deindustriealisierungwelle wäre für die Menschen vor Ort eine Katstrophe und würde nicht nur die Erwerbsgrundlage Tausender Familien, sondern auch das Vertrauen in die Politik nachhaltig zerstören. Dass Sie sich, verehrte Kollegen und Kolleginnen von Union, FDP, Grünen und SPD nicht an einem parteiübergreifenden Gruppenantrag beteiligen wollen, mögen die erneut vom Schicksal Gebeutelten, um ihre Hoffnungen und die Zukunftsaussichten gebrachten Menschen speziell in der Region Arnstadt-Erfurter Kreuz bewerten. Wir lassen uns von Ihrem Desinteresse nicht entmutigen und stellen nun diesen Antrag zur Diskussion. Wir geben Ihnen hiermit erneut eine Chance, zu zeigen, dass Ihnen das Schicksal der Solarindustrie und der Menschen, die dort Lohn und Brot finden, etwas bedeutet. Es ist nun an Ihnen, warum Sie jeder Bankenrettung und jeder vermeintlichen Euro-Rettung zustimmen, sich aber der Rettung der Erwerbsgrundlage für Tausende Familien, insbesondere im Freistaat Thüringen, verweigern. In meinen Augen stellen Sie sich damit ein Armutszeugnis aus. Das Argument, die deutsche Solarindustrie sei am Weltmarkt aufgrund der hohen Lohnkosten in Deutschland nicht konkurrenzfähig, ist unakzeptabel. Die deutsche Solarindustrie hat sehr viel Geld in die Forschung und Entwicklung gesteckt, viele innovative Produkte sind daraus hervorgegangen, die Effizienz wurde erheblich gesteigert. Nun kommt es darauf an, die gegenwärtige Durststrecke durchzustehen. Wenn Deutschland zu früh aufgibt, werden andere Wettbewerber frohlocken. So ist das im modernen Kapitalismus. Es ist vornehmliche Aufgabe von Industriepolitik, die Markteinführung einer neuen Technologie durch verlässliche, ordnungspolitische Rahmenbedingungen zu gewährleisten und der hiesigen Solarindustrie über eine Durststecke zu helfen, die die Bundesregierung Zu Protokoll gegebene Reden durch ihre Fehlentscheidungen mit zu verantworten hat. Wir begrüßen darum auch, dass die EU-Kommission ab 5. Juni 2013 Anti-Dumping-Zölle auf Solarpaneele aus China vorerst für sechs Monate einführen wird. Mit Zustimmung der Mitgliedstaaten besteht die Möglichkeit der Verlängerung um fünf Jahre. Das würde zunächst erst einmal eine faire Wettbewerbssituation herstellen und ist ein kleiner Lichtblick für die Erholung der einheimischen Solarindustrie. Denn die fernöstlichen Mitbewerber haben mittlerweile in Europa einen Marktanteil von 85 Prozent erarbeitet. Die importierten Module sind um 30 Prozent billiger als einheimische Produkte. Die Volksrepublik China fördert die Dumpingpreise ihrer Solarhersteller mit Milliardenbeträgen. Die Bundesregierung dagegen lässt ihre Hochtechnologieindustrie vor die Wand fahren, ohne einen Finger krumm zu machen. Von fairem Wettbewerb kann man da nicht mehr sprechen. Wenn gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt sind, hat unsere Solarindustrie eine Chance. Davon bin ich fest überzeugt. Deshalb fordern wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, unserer Solarindustrie durch folgende Maßnahmen eine Chance zu geben: Erstens. Ein kurzfristiges Unterstützungsprogramm mit zinsgünstigen Krediten aufzulegen; Zweitens. Ein Förderprogramm für kommunale Investitionen in erneuerbare Energien auf den Weg zu bringen; Drittens. Die Forschung und Entwicklung von Speicherlösungen im Bereich Photovoltaik zu fördern; Viertens. Bei der Europäischen Union für ein Investitionsprogramm für autarke Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Speicherlösungen auf bewohnten Inseln einzutreten; Fünftens. Leasing- und Finanzierungsmodelle zur mobilen Spezialanwendung von Photovoltaikanlagen zu entwickeln. Weiteren Ideen sind keine Grenzen gesetzt, wir warten auf Ihre Vorschläge. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, der SPD, der Grünen und der FDP, wir haben von Ihnen bis heute nichts außer Lippenbekenntnissen zur Lösung des Problems vernommen. Die Menschen erwarten mehr. Sie haben nichts vorgelegt. Sie haben sich wahrscheinlich nicht einmal Gedanken gemacht. Wachen Sie endlich auf. Es ist noch nicht zu spät, sich für die Rettung der Arbeitsplätze in der Solarindustrie in Ostdeutschland einzusetzen. Das geht ganz einfach: Springen Sie über Ihren ideologischen Schatten und stimmen Sie unserem Antrag zu! Die Menschen vor Ort werden es Ihnen danken.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor gut einem Jahr hat der damalige Umweltminister Röttgen aus meiner Rede zitiert, die ich zur EEGNovelle vor drei Jahren gehalten hatte. Ich hätte vor Insolvenzen und Arbeitsplatzverlusten in der Solarindustrie gewarnt, die dann nicht gekommen seien. Inzwischen ist der von der Bundesregierung angerichtete Schaden für alle offensichtlich. Wir hören von 50 000 Arbeitsplätzen, die in den letzten zwei Jahren verloren gegangen sind. Und eine Insolvenzhiobsbotschaft folgt auf die andere. So hat sich nach einer Meldung von heute der Umsatz von SMA im letzten Jahr halbiert. Ja, natürlich hat das nicht nur mit der verfehlten Solarpolitik von Schwarz-Gelb zu tun, sondern auch mit der wachsenden Konkurrenz aus China. Die chinesische Regierung hat aber im Gegensatz zu Schwarz-Gelb klar erkannt, dass die Photovoltaik einer der wichtigsten und größten Exportmärkte der nahen Zukunft sein wird und unterstützt daher strategisch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Und was macht die Bundesregierung? Was machen die Minister Rösler und Altmaier? Sie legen die Hände in den Schoss und schauen der deutschen Solarindustrie beim Sterben zu. Stehen Banken durch eigenes Missmanagement am Abgrund, werden sie auf Kosten des Steuerzahlers gerettet. Haben die deutschen Automobilkonzerne eine Absatzkrise, wird eine Abwrackprämie beschlossen. Aber wann, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, machen sie endlich etwas für die Solarwirtschaft? Bis heute gibt es keine Initiative aus dem Wirtschaftsministerium für eine strategische Industriepolitik für die Solarwirtschaft. Die Inaktivität der Bundesregierung ist ein Grund, warum deutsche Modulhersteller mit dem fatalen AntiDumpingverfahren bei der Europäischen Union versuchen, sich selbst zu helfen, ein Weg, der die Situation der Solarindustrie nur noch viel schlimmer macht. So bringen wenige Solarfirmen um Solarworld gegen den Willen von über 500 anderen Solarfirmen nun die ganze Branche noch näher an den Abgrund. Die von der EU-Kommission beschlossenen Strafzölle haben bereits vor dem Anordnen der Zölle zu einer Verteuerung von Photovoltaikmodulen geführt. Als Folge daraus kommt aktuell der Ausbau der Photovoltaik weitgehend zum Erliegen. Denn die aus den Strafzöllen resultierenden höheren Modulpreise machen bei den heutigen Vergütungssätzen für Solarstrom in den meisten EU-Ländern und auch in Deutschland eine wirtschaftliche Investition in die Solarstromproduktion in vielen Segmenten nicht mehr möglich. Darüber hinaus werden laut einer Prognos-Studie Zehntausende weitere Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie, bei den Solarteuren und den Anlagenbauern verloren gehen und diese Entwicklung ist schon voll im Gange. Aber auch den deutschen Modulherstellern werden die Strafzölle nicht helfen, weil gerade die hochpreisigen Module aus deutscher Produktion in eiZu Protokoll gegebene Reden nem Umfeld mit niedrigen Einspeisevergütungen kaum eine Chance haben. Außerdem müssen wir einen zusätzlichen Arbeitsplatzverlust in den Branchen erwarten, in denen China im Gegenzug Zölle erheben könnte. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Verhindern Sie diese Strafzölle und entwickeln Sie endlich eine aktive Industriepolitik für die Solarwirtschaft! Und die EU-Kommission fordern wir auf, die vorsorglich ausgesprochenen Strafzölle sofort zurückzuziehen. Wir brauchen einen nationalen Solargipfel, auf dem wir folgende Punkte angehen müssen. Die deutsche Solarindustrie braucht Bankkredite, mit denen Investitionen in Innovationen und die Erneuerung von Produktionsanlagen und Maschinenparks finanziert werden. Dazu bedarf es einer Absicherung durch staatliche Bürgschaften, zum Beispiel durch die KfWBankengruppe oder die Bürgschaftsbanken. Wir brauchen eine wesentlich stärkere Forschungsoffensive, eine Forschung, um die hohe Solarkompetenz in Deutschland zu halten. Die Gegenfinanzierung könnte aus Mitteln der wirtschaftlich wie energiepolitisch völlig erfolglosen Kernfusion erfolgen. Insbesondere müssen Bundesregierung und EUKommission mit der chinesischen Regierung, aber auch mit Indien, den USA unter anderen, unverzüglich und auf höchster Ebene Gespräche über die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen, gegenseitig freier Marktzugänge in der weltweiten Solarbranche und die Einhaltung der WTO-Regeln führen. Dass die Bundesregierung keine wirksame Solarindustriepolitik angegangen hat und sie immer noch verweigert sowie nur halbherzig gegen die Strafzölle vorgeht, lässt Schlimmes vermuten: Insgeheim freuen sich Wirtschaftsminister Rösler und der Wirtschaftsflügel der Union über den Niedergang der Solarwirtschaft, haben sie ihn doch immer gefordert. Aber dies ist nicht nur fahrlässig für Klimaschutz und Energiewende, das ist fahrlässig für die Exportnation Deutschland insgesamt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13242 und 17/9742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 48 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Netzneutralität gesetzlich festschreiben - Drucksache 17/13466 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Wie schon in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wäre schön gewesen, wenn sich die Kollegen der Linken bei der Debatte um die Netzneutralität wenigstens ein Mal neutral verhalten hätten. Dass die tiefroten Genossinnen und Genossen am liebsten alles „endlich gesetzlich festschreiben“ würden - flächendeckende Mindestlöhne, die Höhe der Managergehälter oder den Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen -, ist höchstwahrscheinlich aus alten SED-Zeiten genetisch vererbt. Aber wie bei so vielem nicht nur in der Politik, muss man sich die Sache auch in der Debatte um das Thema Netzneutralität schon etwas genauer anschauen: Da gibt es die eine Seite, die - wie Sie - Netzneutralität um jeden Preis ins Bundesgesetzblatt schreiben will, ohne die Entwicklung der Datennachfrage und des Netzausbaus sehen zu wollen. Und da sind auf der anderen Seite die Netzbetreiber, die möglichst ohne Regulierung oder gar gesetzliche Regelung bleiben wollen und darin gar eine Gefahr für künftige Netzinvestitionen sehen. Beide Entweder-oder-Positionen sind mit Vorsicht zu genießen. Natürlich ist es zunächst einmal - ordnungspolitisch gesehen - eine freie unternehmerische Entscheidung, wie ein Telekommunikationsanbieter seine Tarifstruktur gestaltet. Durchaus nachvollziehbar ist es für mich, wenn ein Netzbetreiber seine Tarife vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren explosionsartig angestiegenen Datenvolumina in den nicht endlos zur Verfügung stehenden Netzen erhöht. Ob das in der Konsequenz gut ist für Internetnutzer, für die Wirtschaft, ist eine andere Frage. Doch dazu später mehr. Aussagen wie „Das freie und offene Internet wird den Profitinteressen großer Internetprovider geopfert“ sollten jedenfalls nicht so unüberlegt dahergeschwätzt werden, wie Sie das in Ihrem Antrag tun, werte Kollegen der Linksfraktion. Mit dem Aufbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen, VDSL-, DOCSIS-3.0- und Glasfasernetze, also den „next generation networks“, ist die Nachfrage nach hochvolumigen Datenströmen in den letzten Jahren erfreulicherweise stark gestiegen. In den Städten stehen heute, Stand: 30. April 2013, bundesweit 100 Prozent aller Haushalte mindestens 1 Megabyte pro Sekunde zur Verfügung, 99,4 Prozent aller Haushalte mindestens 2 Megabyte pro Sekunde, 96,8 Prozent wenigstens 6 Megabyte pro Sekunde, 90 Prozent haben in den Städten mindestens 16 Megabyte pro Sekunde und ganze 77,3 Prozent dort schon 50 und mehr Megabyte pro Sekunde. Die ländlichen Regionen hinken der Entwicklung leider noch etwas hinterher: 95,8 Prozent aller Haushalte auf dem Land verfügen über mindestens 1 Megabyte pro Sekunde, 90,2 Prozent über mindestens 2 Megabyte pro Sekunde, wenigstens 6 Megabyte pro Sekunde bekommen 73,8 Prozent der ländlichen Haushalte, mindestens 16 Megabyte pro Sekunde haben 42,3 Prozent der Haushalte in den kleinen Gemeinden und Dörfern. 50 Megabyte pro Sekunde bekommen in den ländlichen Regionen jedoch leider nur 10,2 Prozent der dortigen Haushalte. Mit der Novelle des Telekommunikationsgesetzes im vergangenen Jahr und mit unserer Breitbandstrategie haben wir wichtige Maßnahmen dahin gehend auf den Weg gebracht, dass 2018 flächendeckend, also auch in den außerstädtischen Gegenden, möglichst 50 Megabyte pro Sekunde zur Verfügung stehen. Mit diesen Netzen der nächsten Generation schaffen wir die Voraussetzungen für die Anwendungen von morgen: Nicht nur die Verschickung von E-Mails und das Öffnen von Webseiten, sondern auch für Echtzeitanwendungen wie Voice over IP, IPTV, Web-TV, Onlinespiele, aber auch Videokonferenzen oder Telemedizinanwendungen. Das ist die Entwicklung, die wir brauchen, um unsere Lebensqualität an heutige Bedürfnisse anzupassen, aber auch, um wirtschaftlich im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Wenn nun die Deutsche Telekom ankündigt, ab 2016 das Datenvolumen bei ihren Internetkunden deckeln zu wollen, und zwar für Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 16 Megabyte pro Sekunde auf maximal 75 Gigabyte und bei Tarifen mit Geschwindigkeiten bis zu 50 Megabyte pro Sekunde auf maximal 200 Gigabyte, so mögen diese Datenvolumina aus heutiger Sicht noch relativ hoch bemessen scheinen. Aber die rasant sich entwickelnde Welt der Daten bleibt ja nicht stehen. Die Telekom selbst prognostiziert in ihrer „Medieninformation“ vom 22. April, dass sich das Datenvolumen im Netz bis 2016 vervierfachen werde. Dann sollen laut Telekom „1,3 Zettabyte Daten ({0}) pro Jahr übertragen werden“. Und das ist eine nur vorsichtige Schätzung. Die Gefahr, die mit einer solchen Datenbremse verbunden ist - egal ob bei der Telekom, bei 1 & 1 oder etwa bei Kabel Deutschland, die eine Drosselung schon im Sommer 2012 angekündigt hatten -, ist meines Erachtens die, dass bei einem Preisaufschlag - und seien es nur 10 bis 20 Euro, wie die Telekom ihn nehmen will - die Bereitschaft, dafür zu zahlen, bei vielen weniger zahlungskräftigen Privatkunden nicht mehr da ist. Das könnte den Ausbau bremsen. Ich gehöre nicht zu den marktoptimistischen Wettbewerbstheoretikern, die in einem Preisaufschlag im Sinne einer Durchleitungsgebühr für Nutzer überproportional intensiven Datentransfervolumens mehr Wettbewerb im Netz prognostizieren; im Gegenteil: Das noch Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich ansteigende Datentransferaufkommen muss vielmehr Anreiz für Wirtschaft und Politik sein, mehr Geld in die Netze zu investieren, damit die Netze mit Angebot und Nachfrage auf Datenseite mithalten können. Wir dürfen jetzt nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: So, jetzt haben wir das Netz erst einmal ausgebaut, damit müsst ihr zurechtkommen. Dann kann das Best-Effort-Prinzip, also das Prinzip, dass jedes Datenpaket mit der gleichen Priorität behandelt und schnellstmöglich sowie in bestmöglicher Qualität weitergeleitet wird, nicht mehr funktionieren, weil die Netze bald verstopft sind. Und da sind wir beim Thema Netzneutralität: Natürlich wollen auch wir von der Koalition grundsätzlich, dass „IP-Datenpakete im Internet gleichberechtigt und diskriminierungsfrei behandelt werden“, wie auch die Linksfraktion in ihrem Antrag es fordert. Aber wir müssen auch etwas dafür tun, nämlich die Netze weiter ausbauen. Sonst sind die Netzbetreiber natürlich dazu gezwungen, Preisklassen abhängig von Datenvolumina einzuführen. Aber damit würgen wir die Entwicklung bei den Datenanwendungen ab, Stichwort IPTV und andere. Wie Sie wissen, haben wir im Rahmen der TKG-Novelle 2012 einen neuen § 41 a ins TKG aufgenommen. Wohlweislich haben wir da mit Blick auf die derzeitigen strittigen Diskussionen in Politik, unter Juristen und in der Netzgemeinde - auch auf europäischer Ebene - noch keine direkten gesetzlichen Vorgaben gemacht. Mit Ausnahme der Niederlande hat bisher kein EU-Mitgliedstaat und auch nicht die - oftmals voreilige - EU irgendwelche Vorgaben zur Netzneutralität erlassen. Das Thema ist sehr komplex und bedarf weiterer Auseinandersetzung. Ich verweise hier nur auf den Bericht der Bundestags-Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ auf Bundestagsdrucksache 17/8536, der ja auch nicht ohne abweichende Meinungen zustande gekommen ist und der die unterschiedlichen Ansätze deutlich wiedergibt. Auch das Bundeswirtschaftsministerium befördert das Thema kontinuierlich, etwa mit Veranstaltungsreihen zum Thema. Mit dem neuen § 41 a TKG haben wir eine Rahmenregelung zur Netzneutralität geschaffen, nach der die Bundesregierung ermächtigt ist, in einer Rechtsverordnung - wohlweislich mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat - „gegenüber Unternehmen, die Telekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern“. Der Gesetzestext ist ausdrücklich fokussiert auf das Vorgehen gegen eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen. Darum geht es, nicht um den Sozialismus in den Netzen. Außerdem haben wir in § 41 a Abs. 2 Nummer 2 TKG festgelegt, dass die Telekommunikationsanbieter in ihren Verträgen auf „alle Einschränkungen im Hinblick auf den Zugang und die Nutzung von Diensten und Anwendungen hinzuweisen“ haben. Diese Informationsverpflichtungen können nach § 45 n Abs. 4 Nummer 3 TKG durch eine Rechtsverordnung der Bundesnetzagentur nochmals konkretisiert und erweitert werden. Zu Protokoll gegebene Reden Damit haben wir auch dem Gebot der Transparenz Genüge getan. Im Übrigen vermengen Sie, werte Kollegen der Linksfraktion, die Debatte um die Netzneutralität im eigentlichen Sinne mit der zu Recht umstrittenen Frage, ob das Telekom-eigene Fernseh- und Rundfunkangebot „Entertain“ aus dem dem Kunden maximal zustehenden Datenvolumen herausgerechnet werden darf. Die Telekom argumentiert damit, dass die Kunden für „Entertain“ ja extra bezahlen müssten und dass es sich hier um ein Fernsehangebot mit einer medienspezifischen Regulierung durch die Landesmedienanstalten handele, also nicht um eine IP-basierte Internetanwendung. Die Gegenseite sieht mit der Herausnahme von „Entertain“ aus dem zur Verfügung stehenden Datenvolumen eine Bevorzugung eigener Dienste und damit eine unzulässige Diskriminierung von Wettbewerbern, die ebenfalls Fernseh- und Rundfunkdienste anbieten. Darüber muss man in der Tat reden. Die Bundesnetzagentur wird diesen Telekom-Plan juristisch genauestens unter die Lupe nehmen und wenn notwendig einschreiten. An dieser Stelle sei auch mal gesagt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Telekom hier nicht gerade ein Lehrstück für gelungene Kommunikation war. Pläne, Datenmengen und Zeiträume nur scheibchenweise herauszurücken, macht mich jedenfalls erst einmal eher skeptisch, was denn da eventuell noch alles kommt. Erst vor ein paar Tagen etwa ist durchgesickert, dass es doch noch eine „echte“ Flatrate für einen Preisaufschlag geben soll. Davon war in der bisherigen Debatte nicht die Rede. Ein so marktstarkes Unternehmen kann so nicht Politik- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Aber wieder zur Sache: Wir müssen sachlich debattieren über die Frage einer eventuellen Bevorzugung eigener Dienste und über die Frage, ob wir Best Effort erhalten können oder nicht, wenn wir den Netzausbau nicht mit allen Kräften forcieren. Wir dürfen nicht sozialutopische Krokodilstränen vergießen, wie die Linken es in ihrem Antrag wieder tun, wenn sie schreiben: „Der Weg zu einem Zwei-Klassen-Internet wird weiter geebnet. In der ersten Klasse können Besserverdienende alle gewünschten Dienste nutzen. In der zweiten Klasse gibt es für Einkommensschwache und für deren Kinder nur noch das, was Internetprovider für wenig Geld anzubieten haben. Damit wird ganz nebenbei und zum wiederholten Male der Zugang zu Wissen und Teilhabe abhängig vom Geldbeutel gemacht. Das freie und offene Internet wird den Profitinteressen großer Internet-Provider geopfert.“ Das ist ja mal wieder neosozialistische Propaganda erster Güte! Wir dürfen doch nicht bei einem solchen zukunftsweisenden Thema eine solche Neiddebatte aufmachen und damit die - nicht nur digitale - Gesellschaft spalten! Was wir tun müssen, ist, alle Kräfte dazu zu verwenden, den Breitbandausbau vor allem in der Fläche voranzutreiben. Nur mit einer erstklassigen Breitbandinfrastruktur in den Städten und auf dem Land können wir Deutschland international in der ersten digitalen Liga behaupten. Nur „Breitband für alle!“ zu rufen, ohne sich um den Netzausbau zu kümmern, ist einfach zu wenig. Das hat schon in vielerlei Hinsicht in der DDR nicht funktioniert, wie sich die Damen und Herren Genossinnen und Genossen erinnern sollten.

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Grund für die heutige Debatte im Parlament sind die von der Deutschen Telekom angekündigten neuen Tarife. Das Unternehmen hatte zwischenzeitlich laut darüber nachgedacht, künftig keinen FlatrateTarif für das Internet mehr anzubieten und innerhalb der neuen Tarifstruktur sogenannte Managed Services zu privilegieren. Diese Ankündigung hat für eine teilweise heftige öffentliche Reaktion gesorgt und das mitunter zu Recht. Der Hauptstreitpunkt war in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Deutsche Telekom mit ihren Tarifen gegen das Prinzip der Netzneutralität verstößt. In der Tat sind hier Zweifel angebracht. Darum hat die Bundesnetzagentur entsprechende Auskünfte des Unternehmens verlangt, um eine Bewertung vorzunehmen. Die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde wacht über die Einhaltung der Netzneutralität in Deutschland. Wir haben sie dazu befähigt. Parallel dazu hat das Bundeskartellamt angekündigt, die neuen Vorhaben der Telekom wettbewerbsrechtlich zu prüfen. Sie sehen also, dass bereits reagiert wird. Die christlich-liberale Koalition hat darüber hinaus das Prinzip der Netzneutralität längst gesetzlich verankert. Im TKG heißt es im § 41 a Netzneutralität „({0}) Die Bundesregierung wird ermächtigt, in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates gegenüber Unternehmen, die Telekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern; sie berücksichtigt hierbei die europäischen Vorgaben sowie die Ziele und Grundsätze des § 2.“ Sie sehen also: Während Sie Anträge schreiben, haben wir bereits die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, um Netzneutralität in Deutschland durchzusetzen; denn wenigstens in diesem Punkt sind wir uns einig: Die Netzneutralität ist ein hohes Gut. Wie bereits in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ festgehalten, ist für uns die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Weiterleitung von Datenpaketen eine wesentliche Grundkomponente des freien Internets. Vor diesem Hintergrund sollten wir einen kritischen Blick auf die Pläne der Telekom werfen. Die erste AnZu Protokoll gegebene Reden kündigung, keinen Flatrate-Tarif mehr anbieten zu wollen, kann man als unternehmerisch nicht klug bezeichnen; denn nach wie vor gibt es Wettbewerber, die genau das tun und damit unter Umständen neue Kunden generieren können. Eine unternehmerische Bewertung können wir treffen, aber sie berührt uns als Gesetzgeber zunächst einmal nicht, wenn es allein um eine Abkehr vom Modell der Flatrate-Tarife gehen würde. Darum ist es wichtig, festzuhalten: Netzneutralität bedeutet nicht Flatrate für alle und das möglichst günstig. Ich persönlich halte die Ankündigung der Telekom dennoch für nicht klug; denn sie wird allein durch die Art und Weise der Kommunikation eventuell Kunden verlieren. Ob es demnächst wieder einen Markt in Deutschland für an ein Volumen gebundene Tarife gibt, wird man darüber hinaus abwarten müssen. Auch können wir als Politik kommentieren, entscheiden wird das allein der Verbraucher und damit der Markt. Prinzipiell steht also einem an ein Datenvolumen gekoppeltes Tarifmodell nichts im Wege, wenn dadurch nicht die Netzneutralität verletzt wird. Ich sehe daher mit einer gewissen Sorge, dass ein wesentlicher Teil der Debatte am Kern des Problems vorbei geführt wird. Nicht ein Tarifmodell, das ab dem Erreichen eines bestimmten Datenvolumens die Geschwindigkeit drosselt, damit der Kunde neues Datenvolumen zukaufen muss, ist das Problem. Entscheidend ist ein ganz anderer Punkt. Sehr kritisch muss man nämlich die Ankündigung der Telekom sehen, bestimmte Dienste von einer Anrechnung auf das im Paket verkaufte Datenvolumen auszunehmen. Hier erfolgt im Zweifel die Diskriminierung von Diensten Dritter quasi per Ansage, und das wäre in der Tat ein glasklarer Verstoß gegen die Netzneutralität. Die Telekom argumentierte zunächst, dass sogenannte Managed Services von einer entsprechenden Bewertung ausgenommen werden müssten. Auch hier ist unsere Haltung - und auch die der Bundesnetzagentur - mehr als klar: Eine Diskriminierung innerhalb von Diensteklassen, also beispielsweise die Bevorzugung eines Video-on-demand-Angebotes in Abgrenzung zu anderen Angeboten, ist im Sinne der Netzneutralität nicht zulässig. Wir wollen, dass die Nutzer auch künftig frei entscheiden können, welche Dienste sie im Netz nutzen, und dass diese Entscheidung nicht „geleitet“ wird durch eine Koppelung von Netzzugang und dem Angebot bestimmter Dienste. Dass die Telekom oder ein anderer beliebiger Infrastrukturanbieter das zur Verfügung gestellte Datenvolumen auf bestimmte Dienste anrechnet und auf andere nicht - ob das für den Bereich Musikstreaming, Video on Demand oder andere Services gilt -, darf es auch künftig nicht geben. Dazu braucht es aber derzeit keine neuen Gesetze, sondern die zuständige Aufsicht und die Regulierungsbehörden müssen handeln. Die Telekom hat längst erkannt, dass sie mit ihrer „Idee“ vor den Regulierungsbehörden in dieser Form nicht wird bestehen können. Darum hat das Unternehmen angekündigt, dass es auch künftig eine Flatrate geben wird - allerdings teurer. Ob es dem Unternehmen gelingt, parallel dazu andere Tarifmodelle zu etablieren, wird sich weisen. Auch diese müssen zudem den oben formulierten Ansprüchen gerecht werden. Darum bleibt es dabei: Wir haben die Netzneutralität im TKG verankert. Die Aufsichtsbehörden wie das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur haben die Deutsche Telekom aufgefordert, ihre Pläne vorzulegen, und dem Unternehmen einen umfassenden Fragenkatalog vorgelegt. Auf die Beurteilung darf man gespannt sein. Sollte sich die Bundesnetzagentur nicht in der Lage sehen, der Telekom entsprechende Regulierungsvorgaben zu machen, wovon allerdings auszugehen ist, dann wird die Bundesregierung die ihr im TKG eröffneten Möglichkeiten nutzen, um Netzneutralität in Deutschland auch für die Zukunft sicherzustellen.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aus aktuellem Anlass ist das Thema Netzneutralität wieder in den besonderen Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die SPD Bundestagsfraktion hat hierzu bereits vor gut zwei Jahren im Rahmen der Diskussion um eine Novellierung des Telekommunikationsgesetzes einen umfassenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Darin haben wir die Aufnahme wirksamer Gesetzesregelungen zur nachhaltigen Sicherung der Netzneutralität gefordert und konkrete Vorschläge vorgelegt. Leider weigert sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition bis heute, über lediglich abstrakte Ermächtigungen hinaus konkretere gesetzliche Vorgaben zur Sicherung der Netzneutralität vorzunehmen. Die aktuelle Debatte beweist, wie falsch es war, die Novellierung des TKG nicht dafür zu nutzen, klare Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu definieren, konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Bundesnetzagentur zu formulieren und somit Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Warum ist uns Netzneutralität so wichtig? Der Charakter des Internets als freies und offenes Medium muss bewahrt und gestärkt werden. Auf Grundlage der Netzneutralität hat sich das Internet als Innovationsmagnet für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung erwiesen. Durch den gleichberechtigten Datentransport bestehen optimale Teilhabebedingungen und geringe Marktzugangsbarrieren. Neue Anwendungen können kostengünstig im Netz eingestellt und von den Nutzern frei abgerufen werden. Deshalb wollen wir das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich absichern. Der zitierte Antrag der SPD-Bundestagsfraktion enthält hierzu eine Vielzahl konkreter Bestimmungen. So soll Netzneutralität als eines der Regulierungsziele Zu Protokoll gegebene Reden im Telekommunikationsgesetz verankert und dort definiert werden. Kern der Netzneutralität ist auch weiterhin der Gleichbehandlungsgrundsatz, weshalb ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für den Datentransport erforderlich ist. Das „any to any“-Prinzip soll festgeschrieben werden, wonach jeder grundsätzlich Zugang zu jedem Inhalt im Internet haben und Inhalte selbst anbieten kann. Netzwerkmanagement soll weiterhin möglich sein, um die Funktionsfähigkeit der Netze zu sichern und dafür zu sorgen, dass zeitkritische Dienste auch in Überlastungssituationen in der erforderlichen Qualität bei den Endkunden ankommen. Allerdings darf dies keineswegs zur Verdrängung des heute bekannten „Best-effort-Internet“ führen, das vielmehr weiter ausgebaut werden muss. Nach unseren Vorstellungen soll die Bundesnetzagentur ausdrücklich beauftragt werden, die Einhaltung der Netzneutralität und eine ausreichende Best-effort-Qualität im Internet zu sichern. Sie soll angemessene Mindestqualitätsstandards für die Durchleitung von Datenpaketen festlegen können und einen jährlichen Bericht zum Stand der Netzneutralität erstellen. Bei Verstößen gegen Netzneutralität wollen wir Kunden ein Sonderkündigungsrecht einräumen. Gleiches soll gelten, wenn vertraglich zugesicherte Mindestgeschwindigkeiten nicht eingehalten werden. Die Regierungskoalition hat sich leider stets einer konkreten gesetzlichen Regelung zu diesen Punkten verschlossen und stattdessen im Rahmen der TKGNovelle in letzter Minute den § 41 a TKG aufgenommen. Darin wird die Bundesregierung zur Festlegung einer Rechtsverordnung ermächtigt, um die willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. Zugleich wurde die Bundesnetzagentur ermächtigt, in einer technischen Richtlinie Einzelheiten über die Mindestanforderungen an die Dienstequalität durch Verfügung festzulegen. Leider wurde aber bislang von beiden Ermächtigungen kein Gebrauch gemacht. Dabei hätte dies gerade im Hinblick auf die Diskussionen sowohl bei der TKG-Novelle als auch in der Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft nahe gelegen. Dies belegt einmal mehr, dass die Bundesregierung zum Thema Netzneutralität gerne symbolische Reden hält, aber wenn es konkret werden soll, durch Untätigkeit glänzt. Dies ist wahrlich kein angemessener Umgang mit einem solch wichtigen Anliegen. Auch im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um neue Volumentarife für Neukunden im Festnetzbereich der Deutschen Telekom gibt sich Bundeswirtschaftsminister Rösler gerne als Verfechter der Netzneutralität. Es ist zu erwarten, dass dies am Ende aber bloße Worthülsen bleiben. Es sind nur noch wenige Sitzungswochen bis zum Ende der Legislaturperiode. Nicht einmal ein Entwurf für eine Rechtsverordnung zur Absicherung der Netzneutralität liegt vor. Eine von uns immer geforderte gesetzliche Absicherung der Netzneutralität mit konkreten gesetzlichen Vorgaben hätte einen notwendigen Befugnisrahmen für die Bundesnetzagentur beschrieben und zugleich Leitplanken für die TK-Unternehmen gesetzt, an denen sie sich hätten orientieren können. Möglicherweise wäre uns dann die aktuelle Debatte erspart geblieben. Was den gerade diskutierten Fall Telekom angeht, erwarten wir, dass die Bundesnetzagentur nun sorgfältig prüft, inwieweit durch die neue Tarifstruktur eine Diskriminierung oder ein Zurückdrängen des Best-effort-Internet verbunden sein könnte. Auch unabhängig vom Ergebnis dieser Prüfung sollte nun unverzüglich von den beschriebenen Ermächtigungen in § 41 a TKG Gebrauch gemacht werden. Der beste Weg, um Netzneutralität nachhaltig zu sichern, bleibt allerdings eine klare gesetzliche Regelung hierzu. Wir begrüßen es deshalb sehr, dass die rot-grüne Koalition im Land NRW eine entsprechende Bundesratsinitiative angekündigt hat. Was den heute diskutierten Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke betrifft, so ist er uns zu knapp und an einigen Stellen zu unpräzise, auch wenn der Beschlusstext einige Kriterien enthält, die wir teilen können. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich auch weiterhin für eine umfassende gesetzliche Regelung zur Absicherung der Netzneutralität einsetzen. Eine neue rotgrüne Bundesregierung wird nach dem 22. September das umsetzen, was die schwarz-gelbe Regierungskoalition bislang versäumt hat.

Claudia Bögel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004015, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Technische Fortschritte und Innovationen sowie stetig wachsende Nutzerzahlen sorgen dafür, dass das Internet einen immer größeren Raum in unserem Leben einnimmt. Und genau deshalb sehen wir Liberale uns in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass jeder die Potenziale des Internets diskriminierungsfrei nutzen kann. Die Bedeutung und der Erfolg des Internets beruhen auf dem Grundsatz der Netzneutralität. Die diskriminierungsfreie Übertragung aller Datenströme sichert Chancengleichheit und den Wettbewerb. Darüber hinaus sind die Prinzipien der Netzneutralität notwendig für die Innovationsfähigkeit des Internets und die Sicherung der Ansprüche seiner Nutzer. Nicht zuletzt deshalb ist die wertneutrale Datenübertragung im Internet ein hohes, schützenswertes Gut. Mit der Ankündigung der Deutschen Telekom AG, die Datenübertragungsgeschwindigkeit bei Überschreiten eines vorab festgelegten, monatlichen Datenvolumens zu drosseln, ging eine äußerst heftig und emotional geführte Debatte um die Netzneutralität in Deutschland einher. Zu Protokoll gegebene Reden Um die Situation angemessen aufzuklären und praktikable Lösungen zu finden, müssen wir zu einer sachlichen Ebene zurückfinden. Dazu tragen populistische Schnellschüsse, wie der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke, leider nicht bei. Die von der Telekom angekündigten Pläne, die Datenübertragungsgeschwindigkeit zu drosseln, wenn innerhalb eines Monats eine bestimmte Datenmenge überschritten wird, sind zunächst einmal - ganz simpel ein Geschäftsmodell. Und selbstverständlich kann in unserer sozialen Marktwirtschaft jedes Unternehmen seine eigenen Geschäftsmodelle anbieten; so eben auch solche Modelle, die Volumenobergrenzen für Flatrate-Kunden vorsehen. Wir sind uns bewusst, dass die gesamte Telekommunikationsbranche weiterhin große Investitionen tätigen muss und dafür mehr Mittel benötigt. Die Ziele der Breitbandstrategie der Bundesregierung können wir nur erreichen, wenn die Telekommunikationsunternehmen einen Beitrag dazu leisten. Wie sie die dafür benötigten Mittel generieren, bleibt aber erst einmal ihnen überlassen. Nichtsdestotrotz kann ich den Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger verstehen. Aus Verbrauchersicht sind die Pläne der Deutschen Telekom AG äußerst ärgerlich. Sie gefährden jedoch zunächst einmal noch nicht die Netzneutralität, sondern dienen lediglich dem Ziel der Generierung von mehr Umsatz, frei nach dem Motto: Derjenige, der das Internet viel nutzt, bezahlt auch viel. Wir sehen dabei aber auch, dass der Verbraucher, vor allem in finanzieller Hinsicht, letztlich das Nachsehen hat. Da wir aber dank des im letzten Jahr erfolgreich novellierten Telekommunikationsgesetzes einen funktionierenden Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt haben, besteht für unsere mündigen Verbraucherinnen und Verbraucher nach wie vor die Möglichkeit, mit ihren Füßen über die Pläne der Deutschen Telekom AG abzustimmen. Denn der Wettbewerb hat bewirkt, dass es viele verschiedene Telekommunikationsanbieter mit Alternativen - und nach wie vor Flatrate-Angeboten gibt. Unserem Verständnis nach heißt „Netzneutralität“ aber nicht, dass es zwangsläufig Flatrate-Tarife geben muss, sondern dass alle Datenströme unabhängig von ihrem Inhalt gleich behandelt werden. Die Drosselungspläne unterlaufen das Prinzip der Netzneutralität erst dann, wenn die „gedrosselten“ Angebote mit der vorzügigen Behandlung der eigenen Dienste der Deutschen Telekom AG kombiniert werden. Inwieweit das der Fall sein wird, herrscht - das mag ich Ihnen gerne zugestehen - durchaus Unklarheit. Auch kartellrechtlich müssen noch einige Fragen geklärt werden. Bei aller Unklarheit, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht noch bestehen mag und meines Erachtens schnellstmöglich aus der Welt geschafft werden muss, halte ich es für kontraproduktiv, dass die Opposition zwischen den Themen „Verteuerung der Internetnutzung“ und „Netzneutralität“ überhaupt nicht differenziert, sondern in billiger Wahlkampfmanier die Ängste der Verbraucherinnen und Verbraucher schürt. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass sich unser Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler in einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG, Herrn René Obermann, gewandt und im Zuge dessen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Netzneutralität unter den unternehmerischen Entscheidungen der Deutschen Telekom AG nicht leiden dürfe. Besonders für mittelständische Unternehmen steht die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel, und die aus der Situation entstehende Unsicherheit schadet dem Breitbandausbau in Deutschland. Klare Botschaften und eine eindeutige Positionierung sind deshalb nicht nur seitens der Politik wichtig. Wir brauchen vor allem Transparenz für die Endkunden und Zukunfts- bzw. Planungssicherheit für die Telekommunikationsunternehmen. Daher ist es - das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen - jetzt geboten, die Debatte über das Thema „Netzneutralität“ sachlich zu führen. Die Bundesnetzagentur sowie das Bundeskartellamt prüfen den Vorschlag der Deutschen Telekom AG derzeit intensiv, vor allem mit Blick auf die Wahrung der Netzneutralität. Auf Basis der Ergebnisse dieser Prüfung müssen wir als Bundesregierung und Koalition dann über unser weiteres Vorgehen entscheiden. Sollten die bestehenden gesetzlichen Grundlagen zur Klärung der Situation nicht ausreichen, versperren wir uns weiteren gesetzlichen Maßnahmen - als Ultima Ratio - nicht grundsätzlich. Es ist lediglich unser Bestreben, dass die bestehenden Regelungen ausgeschöpft werden, bevor wir politisch in den Telekommunikationswettbewerb eingreifen - so viel Freiheit wie möglich, so wenig Staat wie nötig. Wir müssen eine sorgfältige Balance zwischen der gebotenen Freiheit der Weiterentwicklung von Technologie und Strukturen im Netz auf der einen und der Verhinderung von Ungleichgewichten und der Dominanz einzelner Akteure auf der anderen Seite erreichen. In diesem Sinne möchte ich meinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern an dieser Stelle noch einmal versichern, dass wir die Lage und das Verhalten im Telekommunikationsmarkt genau beobachten und bei tatsächlichen Verstößen gegen die Netzneutralität durch legislative Mittel regulierend eingreifen werden, wenn die Handlungsoptionen von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt ausgeschöpft sind. Der Grundsatz der Netzneutralität ist als Strukturelement für das Internet unverzichtbar und sichert Chancengleichheit für Dienste und Inhalte. Deshalb lautet unser oberstes Gebot: Die Netzneutralität muss in jedem Fall gewährleistet bleiben. Zu Protokoll gegebene Reden

Jimmy Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004148, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gegrüßt seien auch diejenigen, die diese Rede jetzt nur lesen können, da sie zu Protokoll geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich will es kurz machen: Ich stimme Ihrem Antrag inhaltlich zu. Er ist wohlformuliert und beinhaltet nahezu alle wichtigen Aspekte. Ich würde dies anders begründen, aber auch damit könnte ich leben. Ich würde sogar noch weitergehen und das Thema Netzabschlusspunkt mit in die Betrachtung aufnehmen, Stichwort Routerzwang. Das alles würde ich tun, wenn ich ein Gesetz machen müsste. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist, benötigen wir ein solches Gesetz heute? Gerade wenn es um das Internet geht, bin ich immer ein großer Fan davon gewesen, so wenig wie irgend möglich zu regeln. Ist doch das Internet gerade deswegen ein so großer Erfolg, weil sich Staaten und Gesetzgeber hier weitgehend herausgehalten haben. Die Legende sagt, dass das Internetprotokoll einst entwickelt wurde, um selbst einen Atomkrieg zu überstehen, und es hat bis jetzt auch eine ganze Reihe von Regierungen, übereifrigen Parlamentariern, und Innenministern überlebt. Ich bin gegen Vorratsgesetzgebung. Warum wird denn im Moment so viel über das Thema gesprochen? Erstens. Die Telekom hat angekündigt, ab 2016 Verträge, die nach dem 2. Mai 2013 abgeschlossen wurden, von einer Flatrate auf eine Art Volumentarif umzustellen. Nun gut, kann sie machen. Ob das wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht, muss der Markt entscheiden. Das einzige, was daran zu beanstanden ist, ist, dass sie diese Tarife der Meinung der FDP nach nicht mehr Flatrate nennen darf - das ist Etikettenschwindel, das ist digitales Pferdefleisch. Diese Art von Tarifen ist übrigens nichts Neues, dies war bereits bei den Glasfaseranschlüssen von Anfang an so. Ebenso ist das im Mobilbereich ein übliches Tarifmodell. Das alles hat übrigens mit dem Thema Netzneutralität bis hierher nichts zu tun, wird aber gerne in der Debatte durcheinandergebracht. Zweitens. Die Telekom hat angekündigt, bestimmte Dienste von der oben erwähnten Volumenkappung in diesen Tarifen auszunehmen. Hier lohnt ein etwas intensiverer Blick in das Kleingedruckte. Es handelt sich hierbei um die Dienste „T-Entertain“ und „Internet Telefonie“. Auch innerhalb dieser Dienste lohnt sich ein differenzierter Blick. Unstrittig ist wohl, dass die Ausnahme des eigenen Video-on-Demand-Dienstes von der Volumenberechnung eine klare Ungleichbehandlung gegenüber den Mitbewerbern, wie zum Beispiel Maxdome, Lovefilm oder Watchever, ist. Hier scheint mir eine klare Verletzung der Netzneutralität vorzuliegen. Gleiches wird nicht gleich behandelt. In einer weiteren Differenzierung ist jedoch ein bestimmter Teil des Streamings von Fernsehsendern zu betrachten. Hier übernimmt die Telekom nicht ergänzend, sondern ersetzend die Grundversorgung mit öffentlichrechtlichen und privaten Fernsehsendern. Diese müssen in einer definierten Qualität übertragen werden, unabhängig vom bereits verbrauchten Volumen. Hier ist es zumindest fraglich, ob überhaupt eine Verletzung der Netzneutralität vorliegt oder ob es sich dabei um die Leistung der Grundversorgung unabhängig von der Übertragungstechnologie handelt, wenn dieser Teil des Dienstes aus der Volumenberechnung herausgenommen wird. Ebenso einer besonderen Betrachtung sind sicherlich die Internet-Telefonie-Dienste zu unterziehen. Gerade im Bereich Voice-Over-IP macht eine Priorisierung der Pakete Sinn, ohne Selbige würde das Telefonieren über das Internet in vielen Fällen nicht funktionieren. Das bedeutet, in diesem Bereich wird regelmäßig schon die Netzneutralität verletzt. Es scheint aber hier auch teilweise einen Konsens zu geben, dass man dies nicht nur toleriert, sondern es auch gewünscht ist. Dies führt zu der Überlegung, dass es offensichtlich gute und schlechte Verletzung von Netzneutralität zu geben scheint. Und blickt man in die Geschichte des Internets, hat es wohl schon immer solche Verletzungen gegeben. Dies gesetzlich festzuschreiben, müsste also allgemeingültig auf diesen Umstand eingehen. Der vorliegende Entwurf scheint mir hier noch unvollständig. Nach diesen einführenden Überlegungen kommen wir zurück zur grundsätzlichen Frage: Brauchen wir ein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität? Die Internet-Enquete hat 2011 festgestellt, dass zurzeit keine Verletzung der Netzneutralität vorliegt. An dieser Situation hat sich nun nicht wirklich etwas geändert. Die Telekom hat lediglich angekündigt, ab 2016 ihre Tarife umzustellen. Die bisherigen öffentlichen und politischen Reaktionen könnten jedoch nahelegen, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Ebenso ist es ja nicht so, dass man gezwungen wird, jetzt Kunde der Telekom zu werden. Eine ganze Reihe von Mitbewerbern bieten Tarife an, die keine solchen Einschränkungen aufweisen. Wer auf das Netz der Telekom, der Verbreitung und den Service nicht verzichten will, kann sogar auf die Produkte der 100 Prozent Tochter congstar zurückgreifen. Letztere hat öffentlich erklärt, dass keinerlei Pläne existieren, die neuen Tarifmodelle der Mutterfirma zu übernehmen. Wer also einen Vertrag mit der Telekom schon hat, ist nicht betroffen, wer einen neuen abschließt, hat im Markt Alternativen. Zu Protokoll gegebene Reden Deswegen haben wir bereits im TKG Maßnahmen umgesetzt: In § 41 a TKG haben wir mit der letzten Novelle die Netzneutralität festgeschrieben, aber mit einem differenzierten System versehen, das flexibel auf den Markt reagieren kann. Der Markt hat also die Möglichkeit, die Sache von selbst zu regeln. Falls hier Probleme auftauchen sollten, kann die Bundesnetzagentur auf Basis von § 41 a Abs. 2 TKG regulierend eingreifen und „in einer Technischen Richtlinie Einzelheiten über die Mindestanforderungen an die Dienstqualität durch Verfügung festlegen“. Auch die Bundesregierung hat die Möglichkeit, auf Basis von § 41 a Abs. 1 TKG einzugreifen, um „die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen festzulegen“. Ich stelle mich nicht grundsätzlich gegen eine gesetzliche Regelung, ich glaube jedoch, dass die vorhandenen Instrumente ausreichen. Internetgesetze haben in den seltensten Fällen das Internet besser gemacht.

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben an dieser Stelle schon mehrfach über das Thema Netzneutralität debattiert. Ich möchte daher nur kurz darauf eingehen, warum die Einhaltung der Netzneutralität notwendig ist, um das Internet, so wie wir es kennen, zu erhalten. „Das Internet bietet enorme Potenziale für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Seine Attraktivität und Innovationskraft verdankt es maßgeblich dem offenen und vergleichsweise einfachen Zugang für Nutzer und Anbieter sowie der Übermittlung von Datenpaketen ohne Diskriminierung unabhängig von Sender und Empfänger.“ Das stellte die EnqueteKommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im Konsens fest. Uneinig war sich die Enquete-Kommission allerdings darüber, wie diese Netzneutralität auch künftig erhalten bleiben könnte. Vertrauten Union und FDP noch ganz auf die Kräfte des Marktes, die schon so oft versagten, forderte die Opposition eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität. Nur wenige Tage, nachdem der Schlussbericht der Enquete-Kommission hier diskutiert wurde, muss jedem klar geworden sein: Hätten Sie mal auf die Opposition gehört! Ende April kündigte die Deutsche Telekom an, ab Mai 2013 nur noch Tarife mit einem Inklusiv-Datenvolumen anzubieten. Das heißt, die Telekom bietet keine echten Flatrates mehr an, bei der jede Kundin und jeder Kunde nach Lust und Laune im Internet surfen kann. Die Telekom bietet stattdessen die maximale Geschwindigkeit des gebuchten Internetanschlusses nur noch so lange an, bis ein bestimmtes Kontingent an Daten erreicht ist. Danach wird die Geschwindigkeit soweit gedrosselt, dass allerhöchstens noch das normale Surfen und das Abrufen von E-Mails möglich ist. Datenintensive Dienste wie Streaming- oder CloudDienste können dann nicht mehr sinnvoll genutzt werden. Wobei das nicht ganz stimmt. Es gibt nämlich Dienste, die auch nach der Drosselung weiter mit voller Bandbreite genutzt werden können, und die auch sonst nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden. Die Telekom nennt diese Dienste „Managed Services“ und suggeriert damit, dass diese Dienste irgendwie keine normalen netzbasierten Dienste sind. Was jetzt genau der Unterschied zu anderen Diensten ist, bleibt nebulös. Das ist auch kein Wunder, ist doch der einzige Unterschied, dass die Dienste, die nicht gedrosselt und nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden, der Telekom gehören oder dafür an die Telekom zahlen. Mit Netzneutralität hat das alles nichts mehr zu tun, da kann die Telekom behaupten, was sie will. Das Unternehmen verteidigt sein Vorgehen damit, dass ein geringer Prozentteil der Nutzerinnen und Nutzer für einen großen Datenverbrauch sorgt. Es könne ja nicht sein, dass diese durch alle anderen Nutzerinnen und Nutzer subventioniert würden. Außerdem würden die geplanten Inklusiv-Datenvolumen auch nur die Vielnutzerinnen und -nutzer treffen. Für alle anderen seien die Datenvolumen vollkommen ausreichend. Hier betreibt die Telekom ordentlich Augenwischerei. Zum einen sind die Kosten, die durch das Surfen im Internet für den Anbieter entstehen, absolut überschaubar. Sie entstehen hauptsächlich durch die Infrastruktur. Und Kosten für die Infrastruktur fallen so oder so an, egal ob sie nun viel genutzt wird oder wenig. Zum anderen sind die Datenvolumen mitnichten ausreichend, wenn man das Internet im normalen Umfang nutzen möchte. Für die am weitesten verbreiteten DSL-Anschlüsse mit einer Geschwindigkeit bis 16 Megabyte je Sekunde - oft auch DSL 16000 genannt sieht die Telekom eine Volumenbegrenzung von 75 Gigabyte im Monat vor. Das wirkt erst mal viel, ist es aber nicht. Wenn Sie nämlich anfangen, die heutigen Möglichkeiten des Internets zu nutzen, kommen Sie ganz schnell an diese Grenze. Ein Film in hoher Auflösung, den Sie vollkommen legal im Internet kaufen und herunterladen oder streamen wollen, hat heutzutage locker die Größe von 6 Gigabyte. Nun wollen Sie im Monat vielleicht auch mal drei oder vier Filme schauen, und schon sind 25 Gigabyte verbraucht. Dann haben Sie vielleicht noch ein Kind, das auch mal gerne ein Computerspiel spielt. So ein Spiel kann heute in digitaler Form ebenfalls die Größe von mehreren Gigabyte erreichen. Dann nutzen Sie vielleicht CloudDienste, um Fotos und Daten einfach und überall verfügbar zu halten. Und mit Sicherheit nutzen Sie ein Betriebssystem, das regelmäßig über das Internet aktualisiert werden muss, um beispielsweise Sicherheitslücken zu schließen oder Fehler zu beseitigen. Das kostet auch wieder Datenvolumen. Bald haben Sie die Hälfte des Datenvolumens verbraucht, und Sie haben noch gar nicht viel gemacht, geschweige denn im Internet gesurft oder E-Mails abgerufen. Davon, wie das Zu Protokoll gegebene Reden in wenigen Jahren aussehen wird, wenn Streamingund Cloud-Dienste viel weiter verbreitet sind, will ich hier gar nicht erst reden. Wer die Möglichkeiten des Internets nutzen möchte und Telekom-Kundin oder -Kunde ist, hat also künftig gar keine andere Chance, als die sogenannten „Managed Services“ der Telekom oder von Anbietern, die an die Telekom zahlen, zu nutzen. Und hier schließt sich der Kreis, und es offenbart sich, worum es der Telekom tatsächlich geht: um reine Profitmaximierung. Die Folge ist ein Zwei-Klassen-Internet. Die einen bekommen die Basisfunktionen, die anderen, die es sich leisten können, den vollen Umfang des Internets. Die Leidtragenden? Das werden Menschen mit geringem Einkommen, Familien und kleine Anbieter, die es sich nicht leisten können, sich bei der Telekom eine Vorzugsbehandlung zu kaufen, sein. Kurz gesagt: Es wäre das Ende des freien und offenen Internets. Damit bewahrheitet sich, wovor die Linke bereits vor über zwei Jahren gewarnt hat. Schon damals habe ich hier das Szenario beschrieben, dass Netzbetreiber, die gleichzeitig auch Inhalteanbieter sind, anfangen würden, ihre eigenen Inhalte schnell und in guter Qualität anzubieten und fremde Inhalte auszubremsen und zu blockieren. Genutzt haben diese Warnungen nichts, die Netzneutralität ist noch immer nicht gesetzlich festgeschrieben. Der Markt würde das schon regeln, und wenn der es nicht tut, dann helfen bestimmt böse Briefe von Minister Rösler. Jetzt haben wir den Salat. Nein, der Markt regelt überhaupt nichts, und Briefe erreichen nichts außer den Papierkorb. Das beweist die Telekom. Und das werden auch andere Internetprovider beweisen, wenn diese es der Telekom gleichtun werden. Darauf werden wir nicht lange warten müssen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, endlich zu handeln und endlich die Netzneutralität gesetzlich zu sichern. Jahrelang haben Sie geschlafen. Wachen Sie endlich auf!

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Prinzip der Netzneutralität, die gleichberechtigte Übertragung von Daten, war Garant der bisherigen demokratischen Entwicklung des Internets und ist elementar für dessen Zukunft. Die Frage, wie man die Netzneutralität sichert, ist eine der Schlüsselfragen der digitalen Gesellschaftspolitik. Die von uns als grüner Bundestagsfraktion seit langem erhobene Forderung, die Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben, um so ein „Zwei-Klassen-Internet“, in dem die Daten desjenigen bevorzugt werden, der mehr zahlen kann, zu verhindern, muss - das haben die Entwicklungen der letzten Wochen noch einmal deutlich gezeigt - endlich umgesetzt werden. Anlässlich der anhaltenden Diskussion um die neuen Datentarife der Telekom und einen damit einhergehenden Verstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität wurde offenbar, dass Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, in diesem netz-, aber eben auch gesellschaftspolitisch hochrelevanten Bereich gänzlich gescheitert sind. Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Ihr, nur durch eine völlig falsch verstandene Wirtschaftsnähe zu erklärender Laissez-faire-Ansatz ist in den letzten Wochen krachend gescheitert. Das hat nun ausgerechnet ein Unternehmen verdeutlicht, dessen Hauptanteilseigner der Bund ist. Im Bereich der Netzneutralität stehen sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, wie auch hinsichtlich zahlreicher anderer netz- und innenpolitischer Kernprojekte dieser Legislatur heute vor einem Scherbenhaufen. Wer es bislang noch nicht wusste, dem haben Sie dieser Tage final vor Augen geführt, dass Sie mit den Herausforderungen des digitalen Wandels massiv überfordert sind. Es ist ein schwarzgelbes Armutszeugnis, dass nun Verbraucherzentralen, Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur die Hausaufgaben machen, die Sie nicht imstande waren abzuliefern. Es ist ja nicht so, als hätte sich dieses Hohe Haus nicht intensiv mit den Fragestellungen rund um das Thema Netzneutralität beschäftigt. Im Gegenteil: Kaum ein Thema hat die lange netzpolitische Agenda, mit der wir uns gemeinsam in dieser Legislatur beschäftigt haben, dermaßen dominiert wie die Frage der Netzneutralität. Nicht ohne Grund war die Projektgruppe Netzneutralität eine der ersten, die die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ am Anfang der Legislatur eingerichtet hat. Seit Anfang der Legislatur hat sich deutlich gezeigt: Die Vorstellungen in diesem Haus über den Stellenwert der Netzneutralität und ihre Bedeutung für die Zukunft eines freien und demokratischen Netzes gehen zwischen Koalition und Opposition weit auseinander. Dies zeichnete sich bereits in der Projektgruppe zur Netzneutralität der Enquete-Kommission, in der es, anders als dies in anderen Projektgruppen der Fall war, große Differenzen zwischen den einzelnen Fraktionen gab, ab. Auf gemeinsame Handlungsempfehlungen konnten sich die Mitglieder der Projektgruppe nicht einigen. Der Druck, die Netzneutralität abzuschaffen, nimmt seit Jahren zu. Viele Telekommunikationsfirmen - das hat eine Studie, die die europäischen Regulierer erst vor kurzem vorgelegt haben, noch einmal deutlich gemacht - verstoßen heute schon gegen das Prinzip eines freien und offenen Internets und der Netzneutralität. Die vollständige Blockade und das bewusste Verlangsamen von Peer-to-Peer-Verkehr ({0}) sowie von Internet-Telefonie via Voice over IP, VoIP, sind heute schon weit verbreitet, vor allem im Bereich des Mobilfunks. Um entsprechende Sperrungen vorzunehmen, greifen die Provider - auch das hat die Studie gerade noch einmal belegt - auch auf durchaus umstrittene Techniken wie die „Deep Packet Inspection“, DPI, zurück. Zu Protokoll gegebene Reden Die Diskussion um die Wahrung der Netzneutralität und darüber, ob es einer gesetzlichen Festschreibung bedarf, wird seit langem, sowohl auf Bundes- wie auf europäischer Ebene, intensiv geführt. So hatte die für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Kroes die nun vorgelegte Studie vor mehr als einem Jahr in Auftrag gegeben und begleitend einen Konsultationsprozess gestartet, um den Bedarf an weiteren auch gesetzgeberischen - Handlungen auszuloten. Als Grüne kämpfen wir seit langem für eine echte Netzneutralität, sowohl auf deutscher wie auf europäischer Ebene. Die steigende Zahl der Meldungen bei http://respectmynet.eu hatte schon vor langem gezeigt, dass sich Probleme hinsichtlich der diskriminierungsfreien Übertragung von Daten und Inhalten derzeit vervielfachen. Neben dem Gremium der europäischen Telekommunikationsregulierer hatte auch die Europäische Kommission dazu aufgerufen, zur Diskriminierungsfreiheit im Internet Stellung zu beziehen und sich an der Konsultation zu beteiligen. Wir haben uns an dem Konsultationsprozess beteiligt und dem Generaldirektorat Informationsgesellschaft der Europäischen Kommission die beiden in dieser Legislatur von meiner Fraktion vorgelegten Initiativen zur Netzneutralität - Bundestagsdrucksachen 17/3688 und 17/7526 zugesandt und auf die aus unserer Sicht zunehmende Gefährdung der Netzneutralität hingewiesen. Wir haben es begrüßt, dass sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments im November 2011 mit großer Mehrheit in einer Entschließung zur Netzneutralität für die Wahrung dieses grundlegenden Prinzips, das den Erfolg des Internets erst ermöglich hat, ausgesprochen haben. In der Entschließung hatten die Abgeordneten die Kommission aufgefordert, sich stärker als bisher für die Durchsetzung des Prinzips der Netzneutralität einzusetzen. Als grüne Bundestagsfraktion haben wir Sie, meine Damen und Herren der schwarz-gelben Koalition, nicht nur in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, sondern auch mit unserem Antrag „Gegen das Zwei-Klassen-Internet - Netzneutralität in Europa dauerhaft gewährleisten”, den wir bereits im November 2010 hier vorgelegt haben, schon vor langer Zeit aufgefordert, sich auch auf europäischer Ebene für eine gesetzliche Regelung zur Festschreibung der Netzneutralität einzusetzen. Im Vorfeld der Debatte um die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes, TKG, hatten wir Übersetzungen der niederländischen, belgischen und französischen Gesetzentwürfe anfertigen lassen, um Ihnen zu zeigen, wie eine mögliche Regulierung aussehen könnte. Wir haben versucht, Ihnen zu verdeutlichen, dass es hier eben nicht ausreicht, allein auf die Kräfte des freien Marktes zu vertrauen. Was andere zu erkennen imstande waren, verstehen Sie bis heute nicht. Sie haben unsere Warnungen immer in den Wind geschossen und eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität stets abgelehnt. Im Zuge der Novelle zum Telekommunikationsgesetz bot sich erneut die Chance für eine gesetzliche Regelung. Auch diese Chance haben CDU/CSU und FDP verstreichen lassen. Stattdessen haben Sie, meine Damen und Herren der Koalition, eine Regelung vorgelegt, für die Sie - berechtigterweise - nur Spott ernteten. Auch damals hatten wir Ihnen konkrete Vorschläge unterbreitet, wie eine Regelung, die in der Lage ist, die Netzneutralität tatsächlich abzusichern, aussehen könnte, diesmal sogar in Form eines Gesetzentwurfs. Statt unsere Forderung aufzunehmen, haben Sie eine absolut halbgare Lösung vorgelegt. Das rächt sich heute. Bislang hieß es vonseiten der Bundesregierung immer, dass bisher keine Verstöße gegen das Prinzip der Netzneutralität festgestellt werden konnten. Die Frage, warum Sie unbedingt abwarten wollten, bis bei der Netzneutralität das Kind endgültig in den Brunnen gefallen ist, um erst dann zu handeln, können Sie bis heute nicht beantworten. Diese Vorgehensweise ist und bleibt mir schleierhaft, gerade vor dem Hintergrund Ihrer Argumentation, dass es doch angeblich keine Verstöße gibt. Fakt ist: Auch in diesem Bereich haben Sie eine gesetzliche Klarstellung gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Dabei hätten Ihnen doch spätestens die Diskussionen, die wir in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ geführt haben, zeigen müssen, dass es in diesem für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft so elementaren Bereich mit sogenannten Selbstverpflichtungen, mit denen Sie im Übrigen auch im Bereich des Datenschutzes fulminant gescheitert sind, eben nicht getan ist. Dass ausgerechnet diejenigen, die jahrelang ganz vorne im Bremserhäuschen saßen, nun versuchen, ihr Scheitern durch das Verfassen öffentlicher Briefe zu kaschieren, ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Meine Damen und Herren der Koalition, eine gesetzliche Regelung zur Netzneutralität - das haben die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate gezeigt - ist mehr als überfällig. Dadurch, dass Sie sich trotz mehrfacher Aufforderung vonseiten der Opposition, aber auch der Zivilgesellschaft bis heute weigern, Ihr Scheitern einzugestehen, zeigen Sie nur, dass Sie bis heute nicht verstanden haben, wie wichtig die für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft und die weitere Entwicklung eines freien und offenen Internets so elementare Netzneutralität ist. Wir fordern Sie, auch wenn die Zeit bis zum Ende der Legislatur mittlerweile sehr knapp ist, als Opposition und Seite an Seite mit über 80 europäischen Verbraucher- und Bürgerrechtsorganisationen noch einmal dazu auf, endlich eine gesetzliche Regelung zur Netzneutralität vorzulegen und so eines, wenn nicht das grundlegende Prinzip, das den Erfolg des Netzes, wie wir es heute kennen, erst ermöglicht hat, abzusichern.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13466 an die in der Tagesordnung aufgeVizepräsident Eduard Oswald führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 50 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Reisen für alle - Für einen sozialen Tourismus - Drucksachen 17/11588, 17/13397 Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Jens Ackermann Markus Tressel Wie schon in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute sprechen wir erneut über den Antrag der Fraktion Die Linke, der einen „sozialen Tourismus“ fordert. Die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus ist für uns als Unionsfraktion eine Selbstverständlichkeit. Die Wurzeln dieses Selbstverständnisses reichen zurück bis auf die christliche Soziallehre des 19. Jahrhunderts. Diese ist die Basis der modernen sozialen Marktwirtschaft der CDU/CSU. Dies ist ein Bekenntnis mit einer langen Tradition. Aus diesem Grund ist für die CDU/CSU-Fraktion die Teilhabe der gesamten Bevölkerung an der Gesellschaft, also auch der Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen, ein wichtiges Ziel. Bereits seit 60 Jahren wird der gemeinsame Familienurlaub durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung gefördert. Zielgruppen sind hier Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Pflegebedürftige. Rund 120 Familienerholungsstätten werden gefördert und bieten ein umfangreiches Erholungsangebot. Ich habe gerade erst vor wenigen Wochen eine solche Einrichtung in meinem Wahlkreis besucht, das Adam-Stegerwald-Haus in Rantum auf Sylt. Dort habe ich mich davon überzeugen können, mit welchem Engagement der Träger der Einrichtung, der aus dem Kolpingwerk hervorgeht, Leistungen für Menschen gestaltet, die sich sonst auf dem freien Markt keinen Urlaub leisten könnten. Vergleichbare Angebote gibt es überall in Deutschland. Auch die ländlichen Räume bieten qualitativ hochwertigen Urlaub zu günstigen Preisen. Auch junge Menschen haben wir bei der Tourismusförderung im Blick: Die Deutsche Zentrale für Tourismus wird allein in diesem Jahr mit 28 Millionen Euro durch die Bundesregierung unterstützt. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt in der Förderung des Kinderund Jugendtourismus. Auch dies zeigt die große soziale und entwicklungspsychologische Bedeutung, die die Bundesregierung dem Tourismus beimisst. Die Bundesregierung unterstützt jugendspezifische Einrichtungen und Jugendbegegnungen in vielfältiger Form - auch finanziell. Hinzu kommen Hilfen auf Landes- und Kommunalebene für Familien mit geringem Einkommen. Neben den aus den öffentlichen Mitteln und von gemeinnützigen Organisationen unterstützten Angeboten gibt es für diese Zielgruppe in Deutschland eine Vielzahl attraktiver und preisgünstiger Quartiere. Schwerpunkt ist für uns auch das Handlungsfeld Barrierefreiheit. Gerade vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Gesellschaft, der Herausforderungen des demografischen Wandels und der Tatsache, dass in Zukunft immer mehr Touristen fortgeschrittenen Alters sein werden, ist dieses Thema eine zentrale sozialpolitische Aufgabe, der wir uns stellen. Die Anbieter müssen auf die touristischen Folgen des demografischen Wandels reagieren, indem sie sich in der Kommunikation und beim Vertrieb verstärkt auch an ältere Personen wenden. Bereits jetzt sind etwa 10 Prozent unserer Bevölkerung schwerbehindert. Dieser Anteil wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Zentrale Aufgabe ist es deshalb, dieser breiten Bevölkerungsgruppe das Reisen zu erleichtern und deren Mobilität sicherzustellen. Vorbilder sind hier die Beneluxstaaten oder die skandinavischen Länder. Gerade in dieser Wahlperiode hat die Bundesregierung in ihrer Tourismuspolitik einen Schwerpunkt auf diesen Bereich gelegt. Der Antrag der Linken enthält also Forderungen, die überflüssig sind, weil wir, die Bundesregierung und die Koalition, schon längst gehandelt haben. Der Antrag enthält darüber hinaus Forderungen, die wir überhaupt nicht mittragen können. Sie fordern Reisezuschüsse für Hartz-IV-Empfänger. Ihnen selber sollte jedoch bei einem Blick ins Sozialgesetzbuch klar sein, wie problematisch diese Forderung ist. Die Regelsätze sind verfassungsrechtlich sauber berechnet. Dazu gibt es viele Urteile, die das bestätigen. Immer mehr Leistungen des Staates für Hartz-IV-Bezieher bereitzustellen, schafft hier nur neue Ungerechtigkeiten gegenüber denjenigen, die ihre geringen Einkommen selbst erarbeiten. Nicht jedwede soziale Leistung schafft soziale Gerechtigkeit. Eine weitere Schwäche Ihres Antrags ist, dass Sie nicht klar zwischen Landes- und Bundeskompetenzen unterscheiden. Sie fordern eine „Stärkung von Verantwortung und Kompetenzen des Bundes für einen sozialen Tourismus“. Wenn Sie jedoch einmal in den Gesetzen nachschlagen würden, dann könnten Sie nachlesen, dass die Tourismusförderung primär eine Landeskompetenz ist. Ebenso setzen Sie sich für eine Wiederaufnahme der Landesförderung für Familienreisen in sechs Bundesländern ein. Natürlich ist es bedauerlich, dass viele Bundesländer in den letzten Jahren einige Programme zur Tourismusförderung zurückgefahren haben, aber diese Kritik müssen Sie an die Bundesländer richten, nicht an die Bundesregierung. Der gesamte angesprochene Strauß an Argumenten lässt keine andere Möglichkeit zu, als Ihren Antrag abzulehnen.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Teilhabe für alle Menschen - auch an Urlaub und Reisen - ist ein wichtiges Ziel. Darüber sind wir uns fraktionsübergreifend einig, wie die Beratungen des Antrages der Linken, aber auch früherer Anträge der SPD-Fraktion zum barrierefreien Urlaub oder zu Kinder- und Jugendreisen gezeigt haben. Leider ist die Einigkeit zwischen den Fraktionen schnell dahin, wenn es darum geht, was politisch getan werden muss, um das Ziel von echter Teilhabe am Tourismus zu erreichen. Die Fraktion Die Linke spricht mit dem Antrag einige relevante Punkte an, wie Investitionen in preisgünstige Urlaubs- und Übernachtungsangebote, aber auch Zuschüsse für Familien, die sich aus der eigenen Tasche keine Reise leisten könnten. Als SPD-Fraktion haben wir dies in dieser Wahlperiode bereits mehrfach gefordert - insbesondere mit Blick auf Reisemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die in ihrer persönlichen Entwicklung besonders davon profitieren können. Sicher sind einige Punkte, die die Linke mit ihrem Antrag von der Regierung einfordert, Sache der Bundesländer, zum Beispiel die Festlegung von Rahmenbedingungen für Klassenfahrten. Auch die Bezuschussung von Urlaubsreisen im Rahmen der Familienerholung wird von den Ländern finanziert - oder eben auch nicht mehr in mittlerweile sechs der sechzehn Bundesländer. Das sind vor allem Länder, in denen Schwarz-Gelb noch regiert oder bis vor Kurzem in Verantwortung war. Selbstverständlich aber kann eine verantwortungsvolle Bundesregierung an die Länder herantreten, damit Bund und Länder Hand in Hand daran arbeiten, dass alle Menschen in unserem Land am Tourismus teilhaben können. Es zeigt sich: So vehement, wie die Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen in ihren Reden monoton auf die Zuständigkeit der Länder hinweisen, so sehr wollen sie damit auch davon ablenken, dass diese Bundesregierung ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht hat. Erstens. Es muss genügend preiswerte Urlaubsangebote geben. Hier hat die schwarz-gelbe Koalition die Anbieter im Regen stehen lassen. Wir haben in Deutschland viele gute Angebote - wie Jugendherbergen, Familienferienstätten, Naturfreundehäuser oder Einrichtungen kirchlicher Familienerholung -, aber viele dieser Unterkünfte leiden unter einem Renovierungsstau. Welch ein Hohn ist es doch, dass sich die CDU/ CSU-Fraktion in der Beschlussempfehlung zum Linken-Antrag damit rühmt, den Bau und die Einrichtung von Jugendherbergen und Jugend-, Bildungs- und Begegnungsstätten „in erheblichem Umfang“ zu fördern. Statt mehr Investitionen anzustoßen, haben CDU/CSU und FDP die Bundesförderung für Jugendherbergen, Jugendbildungs- und Begegnungsstätten um ein ganzes Drittel gekappt. Statt 4,5 Millionen Euro hat die Regierungskoalition im Haushalt 2013 nur noch 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt - gegen einen Antrag der SPD im Haushaltsausschuss, mit dem wir die Kürzung abwenden wollten. Jetzt brechen in vielen Häusern leider weitere Mittel für Sanierungen und Erweiterungen weg. Zweitens. Urlaub darf nicht am Geldbeutel scheitern. Vor allem jungen Menschen müssen wir ermöglichen, zu verreisen und damit ihren Horizont zu erweitern. Deshalb ist es wichtig, zu garantieren, dass der Staat Familien, die besonders wenig zum Leben haben und auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angewiesen sind, unterstützt, damit auch diese Kinder und Jugendlichen bei Klassenfahrten dabei sein können. Dank des erfolgreichen Einsatzes der SPD im Vermittlungsausschuss Anfang 2011 können auch eintägige Schulausflüge finanziert werden. Wir haben darüber hinaus dafür gesorgt, dass vom Bildungs- und Teilhabepaket auch Kinder aus Familien profitieren, die Kinderzuschlag und Wohngeld beziehen. Dadurch übernimmt der Staat die Kosten für Ausflüge und Klassenfahrten von Schulen und Kitas für rund 500 000 Kinder und Jugendliche mehr. Diese müssen nun nicht mehr darum bangen, ob sie mit ihrer Klasse oder Kitagruppe auf Reisen gehen können oder der Bus ohne sie abfährt. Die monatlichen 10 Euro, die den Familien ebenfalls zugute kommen, können zum Beispiel für Ferienfreizeiten angespart werden. Wichtig ist jetzt, diese Fördermöglichkeiten noch bekannter zu machen, damit sie alle anspruchsberechtigten Familien nutzen. Auf der Hand liegt aber auch: Würde diese Regierung die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter aufgehen lassen, hätten viele Menschen gar nicht die finanziellen Sorgen, die ihnen die Chance rauben, Urlaub zu machen. Wir brauchen deshalb endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Den fordert die SPD seit Langem. Was CDU und FDP in den letzten Wochen und Monaten auf ihren Parteitagen dazu beschlossen haben, sind nur Placebos und Beruhigungspillen. Sie taugen nicht dazu, Niedriglöhne und Armut trotz Arbeit flächendeckend aus unserem Land zu vertreiben. Drittens. Reisen für alle ermöglichen, das heißt auch, gute Rahmenbedingungen für Menschen mit Handicap zu schaffen. Dazu sagt der Antrag der Linken trotz des Titels „Reisen für alle“ wenig. Zu Protokoll gegebene Reden Menschen mit Behinderungen finden noch viele Barrieren vor, die ihnen das Reisen oft beschwerlich oder gar unmöglich machen. Acht Millionen Menschen in Deutschland sind auf Barrierefreiheit angewiesen. In Sachen Barrierefreiheit steckt Deutschland aber leider noch in den Kinderschuhen. Im März hat der Tag des barrierefreien Tourismus auf der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin gezeigt, welche Hürden nach wie vor bestehen, aber auch, welche Potenziale eine durchgängig barrierefreie Reisekette hat, die für alle Menschen komfortabel ist. Ich habe mich sehr gefreut, dass dieser Tag zum zweiten Mal auf der ITB stattfinden konnte, vor allem dank der ausgezeichneten Organisation der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle, NatKo, und der Beteiligung der Deutschen Zentrale für Tourismus. Als SPD ist es uns in den letzten Haushaltsberatungen gelungen, alle Fraktionen mit unserem Antrag zu überzeugen, den Barrierefrei-Tag auf der ITB von Bundesseite aus finanziell zu unterstützen und damit auf der weltweit größten Tourismusplattform für barrierefreien Tourismus zu sensibilisieren und zu werben. Wir brauchen hier - erst recht eingefordert durch die UNBehindertenrechtskonvention - deutlich mehr Anstrengungen der Bundesregierung, aber auch der Länder und Kommunen. Die SPD hat schon vor knapp zwei Jahren mit dem umfassenden Antrag „Barrierefreier Tourismus für alle“ einen entsprechenden Masterplan sowie einen TÜV für Barrierefreiheit gefordert. Ich hoffe sehr, dass das aktuell aus dem Bundeshaushalt finanzierte Projekt des Deutschen Seminars für Tourismus in Kooperation mit der NatKo für den nötigen Anschub sorgen kann. Bis das Reisen für alle möglich ist, sind noch viele dicke Bretter zu bohren. Die aktuelle Bundesregierung hat nicht die Kraft dafür - oder will sie nicht aufbringen. Das ist noch ein Grund mehr, sie im Herbst abzuwählen.

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Reisen für alle - eine interessante, aber völlig aus der Luft gegriffene Forderung aus dem uns hier vorliegenden Antrag der Linken. Klingt gut, ist aber totaler Unsinn. Teilhabe ist zu Recht eine der besseren Forderungen aus dem uns vorliegenden Antrag der Linken. Deshalb haben wir als christlich-liberale Koalition viel für die Teilhabe aller Menschen in unserem Land getan. In den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Dezember 2008 heißt es deshalb: „Auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können“. Das war und ist unser erklärtes Ziel. Es stimmt auch, dass die sich Bundesrepublik grundsätzlich für einen nachhaltigen sozialen Tourismus im Sinne der UNWTOMenschenrechtskonvention einsetzt, die das Recht auf direkten und persönlichen Zugang zur Entdeckung und zum Genuss der Ressourcen des Planeten für alle Bewohner der Welt gewährleisten soll. Damit ist aber eher die Reisefreiheit gemeint, eine Reisefreiheit, die Ihre Vorgängerpartei systematisch eingeschränkt hat. Fast 40 Jahre lang war es nur unter erschwerten Umständen möglich, überhaupt zu reisen - vom nicht sozialistischen Ausland ganz zu schweigen. Auch war es natürlich nur den getreuen und systemkonformen Bürgerinnen und Bürgern vorbehalten, in den Genuss einer günstigen Reise des FDGB zu kommen. Alle anderen mussten sehen, wo sie bleiben, oder in umgebauten Garagen zu überhöhten Preisen nächtigen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Heute gibt es ein breites touristisches Angebot für fast jeden Geldbeutel. Natürlich haben in einem freien Land mit mehr als 80 Millionen Einwohnern nicht alle gleich viel im Geldbeutel, und jeder hat natürlich eine andere Vorstellung von Freizeitgestaltung. Aber wir haben in den vergangenen Jahren mit unserer erfolgreichen Wirtschaftspolitik viel getan, damit es den Menschen in unserem Land besser geht und mehr Menschen als jemals zuvor überhaupt die Möglichkeit haben, über Urlaub nachzudenken. Im vergangenen Jahr hatte die Bundesrepublik mit durchschnittlich 2,897 Millionen so wenige Arbeitslose wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Die teilweise verheerende Arbeitsmarktsituation in vergleichbaren europäischen Ländern zeigt, wie robust der deutsche Arbeitsmarkt mittlerweile ist. Nur so kann Teilhabe für alle geschaffen werden. Nur so werden die Rentenkassen aufgefüllt, und nur so haben am Ende alle etwas davon. Wir wollen keine Fördermittel oder Geldgeschenke mit der Gießkanne verteilen. Wir möchten, dass alle Menschen in unserem Land in Lohn und Brot stehen und sich damit ihre Freizeit selbst so gestalten, wie sie es gerne möchten und für richtig halten. Darüber hinaus fördert der Bund bereits Projekte der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für Alle, NatKo, und der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien, abm. Besonders möchte ich dabei gern auf das Projekt „Zukunftsprojekt Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland“ hinweisen. Dieses wurde auf Initiative der christlich-liberalen Bundestagsfraktionen auf Betreiben des Bundeswirtschaftsministeriums auf den Weg gebracht. Aber auch die Länder engagieren sich; Sie unterstützen geringverdienende Familien bei der Finanzierung gemeinsamer Ferien zum Beispiel in gemeinnützigen Familienferienstätten durch Individualzuschüsse. Ich verweise an dieser Stelle auf Programme meines Heimatlandes Sachsen-Anhalt, die Ferien für sozial schwache Familien anbieten, die nur sehr wenig oder nichts kosten, und in die auch Hartz-IV-Empfänger einbezogen werden. Viel vorbildliche Unterstützung gibt es auch von freien Trägern und den Kirchen. Zu Protokoll gegebene Reden Abschließend möchte ich aber auf die größte inhaltliche Schwäche des Antrags eingehen. Die Linke fordert die „Stärkung von Verantwortung und Kompetenzen des Bundes für einen sozialen Tourismus“. Tourismusförderung ist aber primär eine Kompetenz der Länder. Hier ist die Bundesregierung klar der falsche Adressat. Die Fraktion der Linken sollte sich zunächst einmal über die Kompetenzaufteilung der Bundesrepublik informieren, bevor sie solche Forderungen stellt.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Antrag der Fraktion Die Linke „Reisen für alle - Für einen sozialen Tourismus“ soll heute mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung von SPD und den Grünen abgelehnt werden. Warum eigentlich? Ist der Antrag nicht sinnvoll oder unnötig, oder ist er nur schlecht gemacht? Ich meine: weder noch. Der Antrag der Linken für einen sozialen Tourismus ist sinnvoll, weil dadurch alle Fraktionen im Bundestag und im Tourismusausschuss sowie die Bundesregierung gezwungen wurden, sich mit dem Thema aktiv auseinanderzusetzen. Ohne die Linke hätte es die Debatten zum sozialen Tourismus, zur Förderung des Kinder- und Jugendtourismus sowie zum „barrierefreien Tourismus“ in diesem Hohen Haus in diesem Umfang und in dieser Intensität - mit Beteiligung der Betroffenen und ihrer Organisationen - nicht gegeben. Der Antrag der Linken für einen sozialen Tourismus war nötig, weil das Thema - das mussten alle Fraktionen in der Diskussion eingestehen - wichtig ist. Wichtig, weil eben nicht alles „in Butter“ ist. Und der Antrag der Linken ist auch inhaltlich gut. Dies wird unter anderem an den Verrenkungen und Ausflüchten anderer Fraktionen bei ihrem Versuch, ihre Ablehnung oder Stimmenthaltung zu begründen, deutlich. Lächerlich ist zum Beispiel die Begründung, der Antrag richte sich mit seinen Forderungen zu sehr an die Länder und beachte nicht die Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Dazu heißt es im Antrag der Linken: „Sofern die Bundesländer für die Realisierung einzelner Aufgaben zuständig sind, soll die Bundesregierung in geeigneter Weise an diese herantreten.“ Ähnliche Formulierungen finden sich übrigens massenhaft auch in Anträgen der Koalition wieder. Unstrittig ist, dass Essen, Trinken, Kleidung, aber auch Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehören. Gehört aber auch der Tourismus dazu? Ist die Forderung, allen Menschen Reisen zu ermöglichen, nur dummes Gequatsche aus der linken Ecke? Ich meine: nein. Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es im Art. 24: „Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“ Und im Globalen Ethikkodex für Tourismus, beschlossen auf der Generalversammlung der UNWTO im Jahr 1999, heißt es im Art. 7 - „Das Recht auf Tourismus“: „1. Die Aussicht auf den unmittelbaren und persönlichen Zugang zur Entdeckung und zum Genuss der Ressourcen des Planeten ist ein Recht, das allen Bewohnern der Welt in gleicher Weise offen steht; die zunehmend extensive Beteiligung am nationalen und internationalen Tourismus sollte als eine der bestmöglichen Formen der Nutzung der ständig zunehmenden Freizeit angesehen und es sollten ihr keine Hindernisse in den Weg gelegt werden … 4. der Tourismus von Familien, jungen Menschen und Senioren sowie Behinderten sollte gefördert und erleichtert werden.“ Dass der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft, BTW, erst im Dezember 2012, also 13 Jahre später, den Global Code of Ethics for Tourism unterzeichnete, sei hier nur am Rande erwähnt. Immerhin, selbst in den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Dezember 2008 ({0}) finden sich die bemerkenswerten Sätze: „Ziel der Bundesregierung ist die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus. Auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können.“ Wie „ernst“ dies gemeint war, erklärte mir bzw. dem Bundestag der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze, CDU, auf meine Frage vom 6. Oktober 2010 zu den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung und den Hartz-IV-Regelsätzen ({1}). Seine Antwort: „Vorrangiges Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nicht in erster Linie die Umsetzung der tourismuspolitischen Leitlinien, sondern die schnellstmögliche Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in den Arbeitsmarkt … Bei der Entscheidung … wurde … die Position ‚Übernachtungen‘ nicht als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Diese Ausgaben sind dem Bereich Urlaub zuzuordnen, der als nicht existenzsichernd anzusehen ist und folglich für den Regelbedarf nicht zu berücksichtigen ist.“ Dass dies kein Ausrutscher war, zeigt sich auch in den Aktivitäten und den Ergebnissen der Bundesregierung und der Bundesländer in der Tourismuspolitik. Unbestritten, es gibt eine Reihe von Aktivitäten, es gibt Förderungen für den internationalen Jugendaustausch und Förderungen für Jugendherbergen und Familienheimstätten durch den Bund. Aber reichen diese Aktivitäten? Reicht es nicht, dass Deutschland Reiseweltmeister ist und die Tourismuswirtschaft immer neue Rekorde bei Übernachtungen und Umsätzen vermeldet? Ich meine: Nein, es reicht nicht. Der Superlativ „Reiseweltmeister“ sagt nichts über die soziale Struktur des deutschen Tourismus aus. Seit einigen Jahren spiegelt sich die Vertiefung der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft verstärkt auch im Tourismus wider. Zu Protokoll gegebene Reden Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung kann nicht in den Urlaub fahren. Nach der 28. Deutschen Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen lag die Reiseintensität, also der Anteil der Bevölkerung ab 14 Jahren, welcher mindestens eine Urlaubsreise mit einer Dauer von wenigstens fünf Tagen unternommen hat, im Jahr 2011 bei 53 Prozent. Bereits im Jahr 2010 konnte sich nur noch jeder Fünfte der Geringverdienenden eine Urlaubsreise leisten. Nur gut jede zweite Familie verreiste im Jahr 2010 für mindestens fünf Tage. Seit dem Jahr 1990 ist das ein Rückgang um 11 Prozent. In 6 von 16 Bundesländern wurden in den letzten Jahren die finanziellen Mittel zur Förderung der Familienerholung völlig gestrichen. Im Jahr 2009 waren Urlaubsreisen für mehr als ein Fünftel, 22 Prozent, der Haushalte, in denen Kinder unter 16 Jahren lebten, finanziell unerschwinglich. Das sind die Zahlen. Was das im Einzelnen für Familien, insbesondere die Kinder und Jugendlichen bedeutet, spüre ich bei meinen Gesprächen in der Oberlausitz. Eine wundervolle Urlaubsregion mit interessanten Kulturstätten und einer abwechslungsreichen Landschaft, gleichzeitig aber auch eine Region, die zu den ärmsten in Deutschland gehört. Die Schaffung von mehr Reisemöglichkeiten für Menschen mit geringerem Einkommen, für Menschen mit Behinderungen sowie Menschen mit Migrationshintergrund wäre nicht nur ein bedeutender sozialer Fortschritt, sondern könnte dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen und die ökonomischen Effekte des Tourismus weiter zu vergrößern. Diese Orientierung findet sich auch in einer Reihe von EU-Dokumenten. So beschloss die Europäische Tourismuskonferenz am 14./15. April 2010 in Madrid: „Die Kommission sollte Bevölkerungsgruppen mit eingeschränkter Mobilität und gesellschaftlich und/oder wirtschaftlich Benachteiligten den Zugang zu Urlaubsmöglichkeiten erleichtern, gleichzeitig eine bessere und langfristigere Nutzung der touristischen Infrastruktur, die Durchführung touristischer Aktivitäten in den jeweiligen Regionen über einen längeren Zeitraum und die Stärkung des Gefühls einer Unionsbürgerschaft fördern.“ Zu nennen wäre hier auch noch die von der EU ebenso wie von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere der Art. 30: Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport. Deswegen bleibt für die Linke das Thema „Reisen für alle“, insbesondere für Familien, Kinder und Jugendliche, hier meinen wir Urlaubsreisen und Schulfahrten, Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Behinderungen, ganz oben auf der tourismuspolitischen Agenda.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Tourismus in Deutschland boomt, aber nicht für jeden und überall. Dennoch ist Tourismus für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Bedürfnisse nach Erholung, Bildung, Gesundheit, Kultur, Sport und Naturerleben werden vielfach durch Reisen realisiert. Reisen ist Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben und nimmt seit Jahren einen der vorderen Plätze bei der Freizeitgestaltung von Menschen ein. So liegt zum Beispiel die Zahl der Familien, die sich keine Urlaubsreisen mehr leisten können, seit 2009 bei circa einem Viertel der Bevölkerung. Diese Zahl unterstreicht, dass unsere Gesellschaft sozial auseinanderdriftet. Das spiegelt sich auch im Tourismus wider. Trotzdem kann es nicht nur darum gehen, Geld in die Hand zu nehmen. Vielmehr müssen wir Strategien entwickeln, die den sozialen Tourismus vor allem regional in vorhandene und zu entwickelnde Wirtschaftsstrukturen integrieren und nachhaltig gestalten. Schließlich kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, die Billigflugreise nach Mallorca zu finanzieren. Wir Grüne wollen einen Tourismus, der Menschen ein- und nicht ausschließt. Eine bessere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen in Bezug auf Projekte des sozialen Tourismus ist deshalb auch aus unserer Sicht wünschenswert. Die Stärkung der Infrastruktur wie beispielsweise die Steigerung der Attraktivität vorhandener Naherholungszentren durch Ausbau oder Sanierung kommt auch Familien mit niedrigeren Einkommen zugute, die auf diese Naherholungsgebiete angewiesen sind. Dennoch wollen auch wir den Kinder- und Jugendtourismus allen Gesellschaftsgruppen zugänglich machen. Umwelt- und Sprachbildung sind ebenso wie kultureller Austausch wesentliche Aspekte einer nachhaltigen Gesellschaft und dienen zugleich der Völkerverständigung. Wir alle wissen: Reisen trägt zu einer positiven Persönlichkeitsentwicklung bei. Für Kinder und Jugendliche gilt das besonders. Hier eine Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, muss unser Ziel sein. Wir können es uns nicht mehr erlauben, ganze gesellschaftliche Gruppen bzw. deren Kinder davon auszuschließen. Für circa 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche besteht die Gefahr, aus sozialen Gründen nicht an Reisen, Klassenfahrten, Freizeiten und anderen Angeboten teilnehmen zu können. Obwohl es für Haushalte mit besonders niedrigem Einkommen die Möglichkeit gibt, dass der Staat die Kosten für ein- und mehrtägige Klassenfahrten übernimmt, nehmen Jugendliche aus einkommensschwachen Familien mit 70,4 Prozent allerdings deutlich weniger am Tourismus teil. Ebenso erleben wir in den letzten Jahren einen deutlichen Rückgang der öffentlich geförderten Kinder- und Jugendreisen. Die soziale Schere öffnet sich weiter. Deshalb muss sich die öffentliche Hand wieder stärker engagieren, gerade bei den geförderten Kinder- und Jugenderholungen. Aber wir brauchen auch faire Urlaubsangebote, wie sie beispielsweise vom Jugendherbergswerk, von Kirchen, Sozialverbänden etc. zur Verfügung gestellt werden. Hier wurden die Mittel für Jugendherbergen, Bildungs- und Begegnungsstätten im laufenden Bundeshaushalt um die Hälfte auf nur noch 1,5 Millionen Euro gekürzt. So bleiben notwendige Investitionen in Zu Protokoll gegebene Reden diesem Bereich auf der Strecke. Darüber hinaus werden zentrale Probleme nur angedeutet. Wichtige Fragen nach der Finanzierung, einer besseren Zusammenarbeit der Institutionen werden nicht behandelt. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich politisch für einen nachhaltigen und regionalen Tourismus ein, der auch faire Löhne für die im Tourismus Beschäftigen impliziert. Nur wenn wir in unserer Gesellschaft dazu kommen, dass Menschen für ihre Arbeit, egal in welcher Branche, auch faire Löhne erhalten, wird Menschen gleichberechtigte Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben überhaupt ermöglicht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Tourismus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13397, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11588 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht für möglich halten: Nicht nur der Präsident ist erschöpft, sondern auch die Tagesordnung. Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf morgen, Freitag, den 17. Mai 2013, 9 Uhr, ein. ({0}) - Völlig richtig; ja, natürlich. Das kommt davon, wenn man am Sprechzettel festhält. Die nächste Sitzung findet schon in wenigen Stunden statt, um 9 Uhr. Ich freue mich, Sie alle dann begrüßen zu dürfen. Die Sitzung ist geschlossen.