Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen
zunächst einige Vereinbarungen für die heutige Tagesordnung mitteilen. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der
Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP:
Pläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein allgemeines „Tempolimit 120“ auf
Autobahnen
({0})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 56
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine
Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dopingbekämpfung im
Sport ({1})
- Drucksache 17/13468 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleiches Rentenrecht in Ost und West,
Rentenüberleitung zum Abschluss bringen
- Drucksache 17/12507 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi
Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände einführen
- Drucksache 17/13477 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Schmidt ({5}), Siegmund Ehrmann,
Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für die tatsächliche Gleichstellung von
Frauen und Männern auch im Kunst-,
Kultur- und Medienbereich
- Drucksache 17/13478 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ländliche Räume als Lebensräume bewahren und zukunftsfähig gestalten
- Drucksache 17/13490 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({7})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine kohärente Politikstrategie zur
Überwindung des Hungers
- Drucksache 17/13492 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Atomrisiken ernst nehmen - Auch in Bezug auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien
- Drucksache 17/13491 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit ({9})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 57
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Schiffsunfalldatenbankgesetzes ({10})
- Drucksache 17/13032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
- Drucksache 17/13532 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Valerie Wilms
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({12})
- zu der Verordnung des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie
Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen ({13})
- zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
Verordnung zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung ({14})
- Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525 Berichterstattung:
Abgeordneter Ingo Egloff
ZP 4 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD:
Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier - Bilanz der Chancen, Reden und Ergebnisse
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Organspende in Deutschland transparent organisieren
- Drucksache 17/11308 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({15})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker
Beck ({16}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern - Demokratischen Protest unterstützen
- Drucksache 17/13489 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({17})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz ({18}), Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Bologna-Reform - Positive Entwicklungen
stützen, Fehler korrigieren und Verbesserungen durchsetzen
- Drucksache 17/13475 Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Energiewende sichern - Solarwirtschaft stärken
- Drucksache 17/9742 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({20}) zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial verringern Geschäfts- und Investmentbanking trennen
- Drucksachen 17/12687, 17/13523 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
ZP 10 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:
Haltung der Bundesregierung beim Verkauf
der TLG
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll dabei, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 15, 18 b, 27 und 57 i werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der
Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des
Ablaufs.
Ich mache schließlich noch auf mehrere nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der am 28. September 2012 ({21}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({22}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Förderung des Sports ist Aufgabe des
Staates
- Drucksache 17/6152 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({23})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Der am 28. September 2012 ({24}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({25}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Agnes
Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kultur gut stärken - Staatsziel Kultur im
Grundgesetz verankern
- Drucksache 17/10785 ({26}) Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({27})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Der am 29. November 2012 ({28}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({29}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten
Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sportförderung neu denken - Strukturen verändern
- Drucksache 17/11374 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({30})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. - Das
ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Bevor wir nun in unsere Tagesordnung eintreten,
möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun-
destag trauert um sein langjähriges Mitglied Max
Stadler, der am vergangenen Sonntag gestorben ist. Max
Stadler war fast 20 Jahre, seit 1994, Mitglied des Parla-
ments und hat in dieser Zeit wichtige Funktionen und
Aufgaben übernommen. Zwei große Interessenfelder
gab es in seinem Leben: zum einen das Interesse an allen
Fragen des Rechts, zum anderen sein Wunsch, Politik zu
gestalten. Er durchlief zunächst eine juristische Ausbil-
dung, wirkte als Staatsanwalt und Richter. Bald schon
engagierte er sich politisch, zunächst auf kommunaler
Ebene, bevor er später in die Landes- und dann in die
Bundespolitik wechselte. Gerade in dem Amt, das er zu-
letzt, seit Beginn dieser Legislaturperiode, innehatte
- als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustiz-
ministerium -, konnte er seine beiden Interessenschwer-
punkte Recht und Politik auf eine Weise zusammenbrin-
gen, von der sowohl das Ministerium als auch das
Parlament profitiert haben.
Zu seinen Aufgaben als Abgeordneter und Parlamen-
tarischer Staatssekretär hat er weitere Funktionen über-
nommen. Er war Lehrbeauftragter an der Universität
Präsident Dr. Norbert Lammert
Passau und Präsident der Thomas-Dehler-Stiftung. Vor-
gestern sollte und wollte er an einer Veranstaltung
anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Deutsch-
Tschechischen Gesprächsforums teilnehmen, dessen
Beiratsvorsitzender er war und das er persönlich wesent-
lich vorbereitet hatte.
Seine politische Heimat hat Max Stadler in der FDP
gefunden - er war ein überzeugter Liberaler. Zugleich
war er von ganzem Herzen Bayer, in Passau und dem
Umland fühlte er sich zu Hause.
„Suaviter in modo, fortiter in re“ war sein persönli-
ches Lebensmotto, und wer ihn kannte, weiß, dass dies
für ihn zweifellos zutreffend war. So klar und fest er für
seine liberale Haltung einstand, so verbindlich kollegial
war sein persönliches Auftreten. Er war ein Kollege, mit
dem man einfach gerne zusammengearbeitet hat. Mit
seiner sachlichen, ruhigen, stets freundlich-ausgleichen-
den Art war Max Stadler in allen Fraktionen geschätzt.
Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für
das, was er in diesem Haus und für dieses Parlament
über viele Jahre hinweg geleistet hat. Wir werden ihm
ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Angehörigen
spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteil-
nahme aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 27. April ist
Jürgen Warnke im Alter von 81 Jahren verstorben, an
den im Unterschied zu Max Stadler die meisten jetzigen
Mitglieder des Bundestages nicht in gleicher Weise per-
sönliche Erinnerungen haben werden. Er hat dem Deut-
schen Bundestag fast 30 Jahre angehört. Seine Familie
stammte aus Mecklenburg, und sie hat nach dem Zwei-
ten Weltkrieg in Oberfranken eine neue Heimat gefun-
den.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften hat er
sich früh beruflich in der Wirtschaft engagiert und poli-
tisch in der CSU. Er war einige Jahre wissenschaftlicher
Mitarbeiter der CSU-Landesgruppe als Assistent von
Hermann Höcherl. Er hat sich parallel zu seiner berufli-
chen späteren Tätigkeit in der Partei engagiert, war
Kreisvorsitzender, später stellvertretender Landesvorsit-
zender, wurde 1962 in den Bayerischen Landtag gewählt
und 1969 in den Bundestag, dem er bis 1998 angehört
hat. In der Regierungszeit von Helmut Kohl war er bis
Anfang 1991 Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit, für eine kurze Zeit auch Bundesverkehrsmi-
nister, und er hat sich in dieser Zeit insbesondere darum
bemüht, die Entwicklungshilfe im Kontext der Interes-
sen der deutschen Außenpolitik als Hilfe zur Selbsthilfe
zu organisieren. Auch ihm bleiben wir für viele Jahre
seines Engagements für unser Land verbunden, und sei-
ner Familie gilt unsere Anteilnahme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim ersten Tages-
ordnungspunkt unserer heutigen Plenarsitzung geht es
um die Neuausrichtung der Bundeswehr. Dabei wird der
Bundesverteidigungsminister auch auf den Tod eines
Soldaten Bezug nehmen, der am 4. Mai dieses Jahres
während des Einsatzes für unser Land in Afghanistan ge-
tötet wurde. Wir wollen diesen Soldaten und seine Ange-
hörigen in unser Gedenken einbeziehen.
Ich danke Ihnen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Verteidigung
Neuausrichtung der Bundeswehr - Stand und
Perspektiven
b) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Rainer
Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Bernhard
Brinkmann ({31}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Bundeswehr - Einsatzarmee im Wandel
- Drucksachen 17/9620, 17/13254 Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Also ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas
de Maizière.
({32})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestagspräsident hat
eben darauf hingewiesen: Am 4. Mai dieses Jahres ist
ein deutscher Soldat in Afghanistan gefallen. Die Trauerfeier für ihn war am Montag. Frau Kollegin Kastner
und ich waren dort. Die Beisetzung hat gestern stattgefunden. Wir trauern um diesen Kameraden, sind in Gedanken mit den Angehörigen, mit denen der Generalinspekteur und ich auch sprechen konnten.
Der Tod unseres Soldaten wie der aller Gefallenen ist
uns Auftrag und Verpflichtung für unsere Arbeit in
Afghanistan, in allen Einsätzen und auch in Deutschland, auch im Grundbetrieb und auch in der Neuausrichtung. Diese Neuausrichtung der Bundeswehr ist eines
der grundlegenden und großen Reformvorhaben dieser
Legislaturperiode. Sie ist ein tiefgreifender Umbruch in
der Geschichte der Bundeswehr. Die Neuausrichtung ist
für die Bundeswehr keine weitere Etappe in einer Reihe
von Reformen. Sie ist nicht die soundsovielte Reform.
Sie ist mehr als die Aussetzung der Wehrpflicht und
mehr als Standortschließungen.
Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr setzen wir
einen verteidigungspolitischen Schlussstrich unter den
Kalten Krieg und auch seine Nachwehen. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist die grundlegende Antwort
auf die veränderte sicherheitspolitische Lage, und sie ist
die grundlegende Vorbereitung auf absehbare, ja auf unabsehbare zukünftige Aufgaben. Das hat viel zu tun mit
Organisationen und Verfahren, mit dem Aufbau und dem
Umbau und dem Abbau von Behörden, mit StandortBundesminister Dr. Thomas de Maizière
schließungen und Umgruppierungen von Einheiten. Ich
komme darauf noch zu sprechen.
Aber neben diesen wahrlich nicht zu unterschätzenden Strukturveränderungen ist die Neuausrichtung der
Bundeswehr auch ein geistiger Prozess, der das Selbstverständnis der Bundeswehr berührt. Die geistige Dimension der Neuausrichtung schafft zugleich die Grundlage für eine neue Organisationskultur. Die Übernahme
von Verantwortung vor Ort soll Freude machen. Wir
wollen dem Prinzip des Führens mit Auftrag wieder
mehr Geltung verschaffen. Eine Fehlerkultur auf allen
Ebenen wollen wir ermöglichen, damit wir aus Fehlern
lernen. Wir wollen, dass die Bundeswehr den Soldatinnen und Soldaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Heimat bietet und Kameradschaft lebt. Wir wollen,
dass sie Respekt, Achtung und Wertschätzung unserer
Gesellschaft erfahren; denn unsere Soldaten und Mitarbeiter dienen wie keine andere Berufsgruppe unserem
Land.
({0})
Ausgangspunkt und Ziel der Neuausrichtung ist der
Auftrag der Bundeswehr. Bis 1990 bestand die sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands vor allem
darin, unser Land und Mitteleuropa durch Abschreckung
zu verteidigen, ohne die Anwendung von militärischer
Gewalt, nur durch die Balance von Sicherheit und Entspannung.
Das haben wir Schulter an Schulter mit unseren
NATO-Alliierten gemacht. Oft haben wir dabei auf die
starken Schultern der anderen verwiesen. Heute tragen
wir als vereintes, starkes und souveränes Land im Herzen Europas Mitverantwortung für Stabilität und Sicherheit in der Welt. Wir gehören heute selbst zu den starken
Schultern. Wir werden gefragt. Unser Einfluss ist erwünscht und anerkannt. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr - mit historischem Bewusstsein und politischem Augenmaß. Wir sollten uns nicht überschätzen,
aber auch nicht unterschätzen.
Die Neuausrichtung der Bundeswehr schafft die Voraussetzung dafür, dass wir unsere internationale Verantwortung sicherheitspolitisch und auch militärisch erfüllen können. Sie ist ein deutliches Signal an unsere
Verbündeten und Partner. Dort wird dies erkannt und anerkannt. Deutschland ist auch und gerade wegen seiner
Einsätze und auch und gerade wegen der Art und Weise
seines Vorgehens bei Einsätzen ein angesehenes Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Unsere Bundeswehr ist nicht das einzige, aber sie ist ein zentrales Instrument deutscher Sicherheitspolitik. Voraussetzung
dafür aber sind die passenden Mittel, die richtigen Instrumente, gut ausgebildete Menschen und eine nachhaltige Finanzierung.
Die Bundeswehr war nicht umfassend auf die sicherheitspolitischen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts
ausgerichtet. Das - ich füge es hinzu - ist für die Vergangenheit auch nicht kritikwürdig. Wir hatten mit den Veränderungen durch und seit 1990 wahrlich genug zu tun.
Für die Zukunft wäre der Status quo aber nicht ausreichend.
Das Ziel der Neuausrichtung ist deshalb eine einsatzbereite und leistungsfähige Bundeswehr, die der Politik
ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Handlungsoptionen bietet, eine Bundeswehr, die sich durch effektive
Strukturen und effektive Prozesse auszeichnet, eine Bundeswehr, die nachhaltig finanziert und gut ausgerüstet
ist, über eine ausgewogene Personalstruktur verfügt und
als Freiwilligenarmee fest in unserer Gesellschaft verankert ist.
({1})
Unsere Bundeswehr ist ein hochkomplexes Gebilde.
Sie scheint äußerlich vergleichbar mit einem global agierenden Konzern - mit bisher rund 300 000 Mitarbeitern
an rund 400 Standorten im In- und Ausland, mit Kampftruppe, einem Luftfahrtunternehmen, einer Reederei, einem Krankenhausverbund, einem Logistikunternehmen,
einer entsprechenden Verwaltung; die Liste ließe sich
lange fortsetzen. Ein solch komplexes Gebilde bei laufendem Betrieb grundlegend zu verändern, ist überall
schwierig. Nur: Die Bundeswehr ist kein global agierender Konzern. Wir sind die Bundeswehr mit einem hoheitlichen Auftrag. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie
jeder andere. Von niemandem sonst verlangen wir Tapferkeit, von niemandem sonst erwarten wir, sich bewusst
in Gefahr zu begeben, von niemandem sonst verlangen
wir, notfalls im Gefecht zu bestehen, und von niemandem sonst verlangen wir einen solch treuen Dienst.
Es geht bei der Neuausrichtung um eine Reform aus
einem Guss, die keine Ecke der Bundeswehr, keinen in
der Bundeswehr und auch keinen im Verteidigungsministerium ausspart. Ich weiß, dass das kritisiert wird. Das
sei zu viel auf einmal, das sei zu schnell, sagen einige.
Es ist aber notwendig, dass wir alles gleichzeitig und gemeinsam auf den Prüfstand stellen und anpacken, weil
die Dinge nämlich ineinandergreifen.
Unsere Entscheidungen sind 2011 und 2012 gefallen.
Nun setzen wir sie systematisch nacheinander um. Im
Ministerium haben wir angefangen, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Knapp 5 000 der 6 400 Organisationselemente der Bundeswehr werden umstrukturiert
und sind direkt betroffen; die restlichen mindestens indirekt. Der Zeitplan für die Umsetzung ist ehrgeizig, aber
realistisch. Bis Ende dieses Jahres sind über die Hälfte
der neuen Organisationselemente arbeitsfähig. Die neue
Führungsorganisation wird bis Ende 2014 vollständig
eingenommen sein. Die Verbände und Dienststellen werden bis Ende 2016 umstrukturiert sein. Spätestens 2017
wollen wir fertig sein.
Wo stehen wir nun, und was ist noch zu tun? Ich
möchte mich heute auf drei Punkte konzentrieren.
Erstens. Die geplanten Fähigkeiten der Bundeswehr
sind sicherheitspolitisch begründet. Was heißt das? Die
Bundeswehr wird im multinationalen Verbund eingesetzt. Das erfordert bündnisfähige Strukturen. „Bündnisfähigkeit“ bedeutet für ein Land von unserer Größe,
auch als Rahmennation, ein breites Spektrum von Fähigkeiten vorzuhalten, in das sich kleinere Nationen einfü30124
gen können. Die Bundeswehr muss neben bekannten
auch für neue Aufgaben vorbereitet sein, ohne sie schon
genau zu kennen. Das ist so, wenn man in einer unsicheren Welt agiert. Für so viel wie nötig vorbereitet zu sein,
verlangt ein breites Fähigkeitsspektrum. Wir müssen
nicht alles können, aber viel.
Wir sprechen hier nicht über abstrakte Prinzipien. In
den letzten sechs Monaten hat der Deutsche Bundestag
drei neue Einsatzmandate beschlossen. Kleinere Kontingente der Bundeswehr wurden in die Türkei sowie in den
Senegal und nach Mali entsandt - mit unterschiedlichem
Auftrag. Aus diesen Erwägungen - unsere Erfahrungen
mit dem Einsatz, die Rolle im Bündnis und unsere internationale Verantwortung - haben wir uns für das Prinzip
„Breite vor Tiefe“ entschieden. Das macht eine enge Arbeitsteilung mit unseren Partnern in Europa und in der
NATO überhaupt erst möglich.
Natürlich gibt es für Fähigkeiten kritische Untergrenzen. Das ist wahr. Wir unterschreiten sie auch nicht. Wir
wollen uns sicherheitspolitische Optionen in verschiedener Weise offenhalten. Deshalb darf unser Fähigkeitsspektrum nicht so aufgestellt sein, dass wir uns militärisch nur dann beteiligen können oder quasi müssen,
wenn wir eine bestimmte Fähigkeit in größerem Umfang
vorhalten, die mal gerade gebraucht wird. Wir müssen in
der Lage sein, auch in kleinerem Umfang Kontingente
zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel: mal Flugzeuge
zur Durchsetzung einer Flugverbotszone, mal Spezialkräfte, mal Ausbilder, mal Infrastruktur oder mal Sanität jedes für sich Teil eines Pakets im Bündnis. Frankreich
und Großbritannien, meine Damen und Herren, machen
es im Übrigen ganz genauso.
Ein zweiter Punkt. Die geplanten Strukturen der Bundeswehr sind demografiefest. Was heißt das? Die demografischen Bedingungen sind auch für die Bundeswehr
absehbar schwierig. Die Zahl der potenziellen Bewerberinnen und Bewerber eines Jahrgangs für den Dienst in
der Bundeswehr haben sich seit 1990 ungefähr halbiert.
Die Bundeswehr brauchte deshalb eine realistische Personalplanung. Dabei bleibt es. Notwendig war und ist
ein gleichzeitiger Abbau, Umbau und Aufbau des Personalkörpers Bundeswehr. Nach derzeitigem Stand sieht es
danach aus, dass wir unsere Ziele erreichen - quantitativ
und qualitativ, über alle Statusgruppen hinweg. Die jungen Menschen bewerben sich bei uns. Wir können unter
Bewerbern auswählen. Ich freue mich darüber.
Die Bewerberzahlen sind insgesamt gut. Es gibt allerdings Ausnahmen, zum Beispiel bei der Marine. Wir
sind uns jedoch bewusst: Wir stehen mit Blick auf die
Personalgewinnung vor großen Herausforderungen.
Deshalb haben wir auch gerade den gesamten Organisationsbereich Personal so umgestaltet, dass er den Erfordernissen der Bundeswehr und denen des Arbeitsmarktes entspricht. Die bisher zersplitterten Zuständigkeiten
für Personal werden gebündelt. Interessenten und Bewerber, aktive Mitarbeiter und Soldaten haben bei der
Bundeswehr künftig einen zentralen Ansprechpartner.
Dort fassen wir die Personalführung für zivile Mitarbeiter und Soldaten zusammen und führen sie als einen Personalkörper aus einer Hand. Mitarbeiter und Soldaten,
militärische und zivile Organisationsbereiche: Sie alle
sind eine Bundeswehr. Aus einem Nebeneinander von
zivilen Mitarbeitern und Soldaten machen wir ein Miteinander. Auch das verlangt ein Umdenken.
Die Bundeswehr wird künftig im Verhältnis über weniger Berufssoldaten und mehr Zeitsoldaten verfügen,
mehr als zwei Drittel. Deswegen werden wir auch keine
Berufsarmee, sondern wir sind eine Freiwilligenarmee.
Unser Personal verlässt die Bundeswehr höher qualifiziert, als es in sie eingetreten ist. Das unterscheidet uns
von vielen anderen Streitkräften in der Welt. Wir sind
deswegen mit der Wirtschaft keine Konkurrenten um
junge Menschen, sondern in Wahrheit Partner. Die Wirtschaft wird wie bisher Zeitsoldaten einstellen, wenn sie
die Bundeswehr verlassen. Sie tut damit etwas für unser
Land und etwas Gutes für sich. Bessere Bewerber findet
sie nicht.
Für junge Menschen gehört zur Attraktivität eines Arbeitgebers neben einem guten Gehalt auch ein guter Ruf.
Seit Jahren gehört die Bundeswehr für Schüler zu den attraktivsten Arbeitgebern. Auch in diesem Jahr belegt sie
in den Umfragen den dritten Platz. Jüngst wurde der
Bundeswehr von Studenten bescheinigt, zum oberen
Drittel der Toparbeitgeber zu gehören. Wir waren der
Aufsteiger des Jahres.
({2})
Das hat sich an der Humboldt-Uni vielleicht noch nicht
herumgesprochen.
Gleichzeitig müssen wir aber besser daran arbeiten,
diejenigen zu halten, die wir haben. Das hat mit guten
Dienstbedingungen zu tun. Das hat viel zu tun mit der
noch nicht ausreichenden Vereinbarkeit von Familie und
Dienst und mit Aufstiegschancen. An all dem arbeiten
wir. Hier werden wir weiter investieren. Das Reformbegleitprogramm und das Attraktivitätsprogramm sind deshalb wichtige Eckpunkte der Neuausrichtung.
Ein dritter Punkt: Die Neuausrichtung ist solide finanziert. Die neu ausgerichtete Bundeswehr ist nachhaltig
finanzierbar. Was heißt das? Wir stellen die notwendigen
finanziellen Mittel zur Verfügung. Der aktuelle Haushalt, die Eckwerte für den Haushalt 2014 und die mittelfristige Finanzplanung schaffen eine stabile Grundlage
für die nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr in ihren neuen Strukturen. Unser Haushalt bleibt im Wesentlichen gleich. Höhe und Stabilität unseres Haushalts in
den nächsten Jahren halten jedem Vergleich mit unseren
vergleichbaren Partnern in Europa stand, insbesondere
dem Vergleich mit Großbritannien und Frankreich. Der
Verteidigungshaushalt dieser Bundesregierung ist ein
Bekenntnis zur Bundeswehr und zu unserer internationalen Verantwortung.
({3})
Die Neuausrichtung der Bundeswehr beendet zudem
unzureichende Abläufe der Rüstungsbeschaffung und
-nutzung. Das liegt auch im Interesse der Steuerzahler.
Wir alle waren - übrigens nicht nur in Deutschland mit den Beschaffungsprozessen der Bundeswehr für moderne Rüstungsgüter unzufrieden. Ein kritischer Blick
richtete sich dabei oft auf die Industrie; das ist aber heute
nicht mein Thema. Denn auch in der Bundeswehr gab es
Schwachstellen. Die sogenannten Bedarfsträger wollten
schnell das Allerbeste kaufen bzw. haben. Die sogenannten Bedarfsdecker mussten es irgendwie beschaffen. Die
Haushälter sollten es irgendwie finanzieren. Die Beschaffungskosten wurden von den Nutzungskosten entkoppelt. Wünsche an ein neues Großgerät wurden auch
nach der Bestellung ständig verändert. Der IT-Bedarf
wurde unterschätzt. All dies wird mit der Neuausrichtung der Bundeswehr grundlegend verändert.
Das neue Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung ist aufgestellt und beginnt, mit
neuen Verfahren zu arbeiten. Wir planen nur, was wir
uns leisten können. Wir beschaffen nur, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten wird.
({4})
Die Nutzungskosten werden von Beginn an in die Kostenkalkulation einbezogen. Nachträgliche Veränderungen
werden erschwert. Gerade die Erfahrungen der letzten
Tage zeigen, wie notwendig ein integriertes Beschaffungs- und Nutzungsverfahren ist, das von Beginn an alle
denkbaren Gesichtspunkte in den Blick nimmt.
({5})
Wenn Probleme bei neuartigen Modellen auftauchen,
wie bei dem Fall, über den wir jetzt diskutieren, so wird
erst daran gearbeitet, sie zu lösen. Wenn wir dann sehen,
dass diese Probleme nicht adäquat behoben werden können, wenn Kosten aus dem Ruder zu laufen drohen, dann
ziehen wir lieber die Reißleine - auch in Zukunft. Lieber
ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Das werden wir auch in diesem Fall chronologisch genau dokumentieren.
({6})
Die Neuausrichtung wird umgesetzt, und zwar konsequent von oben nach unten. Mit dem Ministerium haben
wir angefangen. Dazu gehört auch die Verringerung der
Zahl der Mitarbeiter von 3 500 auf 2 000. Seit dem
1. April 2012 arbeiten wir mit der neuen Struktur. Ab der
zweiten Jahreshälfte 2012 folgten nach und nach die
Aufstellung der drei neuen Bundesoberbehörden, die
Auflösung der bisherigen Strukturen und die Aufstellung
der höheren militärischen Kommandobehörden. Ende
2012 wurde mit der Aufstellung der sogenannten Fähigkeitskommandos, also der Ebene unter den Inspekteuren,
begonnen.
Die Neuausrichtung beginnt, im Alltag zunehmend
sichtbar zu werden: die Konzentration von Aufgaben an
einer Stelle, der Verzicht auf Doppelstrukturen, die Stärkung der Verantwortung unterhalb des Ministeriums, der
Abbau einer ganzen Kommando- und Verwaltungsebene, die erstmalige Unterstellung der gesamten Streitkräfte unter den Generalinspekteur der Bundeswehr als
wirklich obersten Soldaten der Bundeswehr und ein umfassendes Programm zur Deregulierung, um den Entscheidern die erforderliche Gestaltungsfreiheit zu geben.
All diese Maßnahmen greifen.
Aber: Die Neuausrichtung verlangt den Mitarbeiterinnen und Soldaten viel ab. Der Abschied von gewohnten
Rollen und Aufgaben, von eingespielten Strukturen und
Abläufen, von vertrauten Orten und Netzwerken und der
Personalabbau und -umbau kosten Kraft und führen zu
Unsicherheiten. Wer hätte dafür kein Verständnis?
Die Sachentscheidungen in einem derartig tiefgreifenden Veränderungsprozess - mögen sie auch noch so
logisch und sinnvoll sein - werden nur dann von den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgesetzt
und gelebt, wenn sie ausreichend bekannt sind, verstanden und mitgetragen werden. Hier gab es Kritik, auch
berechtigte Kritik. Wir haben sie aufgenommen. Enttäuschungen und Kritik begleiten jeden großen Veränderungsprozess. Die Angehörigen der Bundeswehr wissen
aus eigener Anschauung am besten, warum die Neuausrichtung notwendig ist; sie sind von der Notwendigkeit
der Veränderungen überzeugt und tragen sie trotz mancher einschneidender persönlicher Nachteile insgesamt
mit.
({7})
Das Wie der Neuausrichtung müssen wir besser vermitteln; aber wir werden trotzdem nicht jeden zufriedenstellen können. Personalabbau, Versetzungen, Abgabe
von Aufgaben an andere Ressorts - da hat das „Mitnehmen“, wie es immer gefordert wird, objektive Grenzen.
Dennoch: Die Erfolge bei der Umsetzung werden Woche für Woche sichtbarer. Auf diesem Weg sollten wir
weitergehen. Ich will ihn mit möglichst vielen gemeinsam gehen. Nichts, meine Damen und Herren, fürchtet
die Bundeswehr mehr als eine neue Reform. Verlässlichkeit und Kontinuität bei der Neuausrichtung - das sollten
wir anstreben. Das schließt Kritik an Details natürlich
nicht aus. Auch wir werden im Laufe des nächsten Jahres
die Neuausrichtung evaluieren und an dem einen oder
anderen Punkt möglicherweise nachsteuern.
({8})
Ein Nachsteuern ist aber keine grundlegende Revision
der Neuausrichtung.
Lassen Sie mich mit der Bitte schließen, dass wir die
Umsetzung der Neuausrichtung entschlossen und so gemeinsam wie nur irgend möglich fortsetzen. Das deckt
sich im Übrigen auch mit der Aussage des Kanzlerkandidaten der SPD, der nach einem Besuch bei der Bundeswehr gesagt hat, die Neuausrichtung würde nur schleppend vorangetrieben. Daraus kann ich nur schließen: Sie
sollte entschlossen vorangetrieben werden. Recht hat er mal sehen, ob es die folgenden Redner auch so sehen.
({9})
Alles, was wir tun, meine Damen und Herren, dient
nicht den Interessen von Einzelnen, auch nicht innerhalb
der Bundeswehr. Es dient auch nicht den Interessen von
Parteien, ja, nicht einmal der Bundesregierung. Alles,
was wir tun, hat den Interessen und der Sicherheit unse30126
res Landes zu dienen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
verdienen unser Vertrauen, auch bei der Neuausrichtung.
Sie dienen Deutschland.
Vielen Dank.
({10})
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gut, dass heute das Thema Bundeswehrreform an exponierter Stelle im Parlament behandelt wird. Schlecht,
dass es dazu einer Großen Anfrage der Sozialdemokraten bedurfte; denn sonst hätte das nicht stattgefunden.
Und schlecht, Herr Minister, dass Sie sich zwölf Monate
Zeit gelassen haben, diese Große Anfrage überhaupt zu
beantworten.
Sie wollten über den Stand der Neuausrichtung reden;
so heißt es im Titel Ihres Berichtes. In Wirklichkeit sprechen Sie aber darüber, was Sie angeordnet haben, was
Sie sich wünschen. Wo wir stehen und welche Probleme
auf dem Tisch liegen, das blenden Sie aus. Sie nutzen
nicht einmal die Gelegenheit, die aktuelle Debatte über
die Euro-Hawk-Drohne hier dem ganzen Parlament zu
erläutern und die veränderte Position zu begründen.
({0})
Es gibt im Internet einen interessanten BundeswehrBlog. Ich möchte Ihnen ein paar Zitate daraus vortragen.
Einer schreibt:
… ich habe selten einen so schlechten Bericht gesehen. Über die Qualität … und das Ausmaß der Realitätsbeugung bin ich regelrecht entsetzt.
Zweiter Eintrag:
… hat das der Presse-/Info-Stab selbst geschrieben
oder direkt eine Werbeagentur beauftragt?
Der Nutzer „Oberleutnant“ schreibt:
Sagenhaft … Wo finde ich diese Bundeswehr, welche in diesem Bericht erwähnt wird?
Herr Minister, so schreiben die Menschen, die den
Truppenalltag kennen und erleben. Es sind keine Menschen, die nach Anerkennung gieren, sondern solche, die
sich Sorgen machen, ob ihr Berufsstand so attraktiv
bleibt, dass auch in Zukunft die Richtigen gefunden werden; denn wenn das nicht gelingt, werden wir eine völlig
veränderte Bundeswehr haben. Diese Menschen, Herr
Minister, wissen, dass Ihre Neuausrichtung eine Mogelpackung ist.
Noch ein Eintrag:
Der Anlaß für die Reform war das Einsparen …
nun wird es teuer bei geringer werdender …fähigkeit …
({1})
Jeder Mittelständler hätte seinen Geschäftsführer
mit so einem Bericht entlassen.
Dem muss man eigentlich nichts mehr hinzufügen.
({2})
Nur, Herr Minister, warum legen Sie die Messlatte bei
Ihrer Reform so hoch? Die Anforderungen an diese Reform braucht man nicht zu überhöhen. Es geht nicht um
eine völlige Neuerfindung der Bundeswehr. Sie behaupten: Es wird alles neu. - Herr Minister, am Ende wird bei
der Bundeswehrreform gar nichts Neues herauskommen
- Sie benennen auch nichts Neues -, heraus kommt von
allem weniger: weniger Geld, weniger Personal und weniger Gerät.
Die Reform ist auch sicherheitspolitisch überhaupt
nicht begründet, sondern nur fiskalisch. Die Welt hat
sich in den letzten drei Jahren doch nicht verändert.
({3})
Deswegen tragen wir so wichtige Eckpunkte wie die
Aussetzung der Wehrpflicht mit; man müsste es nur besser machen. Aber eines hat sich ein Stückchen verändert:
Wer glaubt, mit einem Einsatz wie in Afghanistan, mit einer Masse von Soldaten von außen kommend, NationBuilding, Staatsaufbau betreiben zu können, der irrt. Das
wird sich die Staatengemeinschaft eher nicht mehr antun.
Sie selbst, Herr Minister, sprachen von kleinen Einsätzen. Genau auf diese neuen Herausforderungen - mehrere kleine parallele Einsätze logistisch zu unterstützen,
Sicherheitsbündnisse auszubilden, vor Ort zu qualifizieren - gibt Ihre Reform keine Antwort. Gerade für die
drängendsten Zukunftsfragen haben Sie keine Lösung.
({4})
Gewiss: Sie haben eine schwere Hypothek übernommen. Ihr Vorgänger hat Ihnen in der Tat eine Reformruine hinterlassen. Sie haben zu Beginn gesagt, Sie würden alles auf den Prüfstand stellen. In Wirklichkeit
haben Sie aber bei der Reformvorgabe überhaupt nichts
geändert. Sie haben nicht einmal - und das tut richtig
weh - die Chance genutzt, aus dem freiwilligen Wehrdienst ein breites gesellschaftliches Projekt der Freiwilligendienste zu machen. Jetzt lese ich, dass die Kanzlerin
in 14 Tagen einen Gipfel zum Thema Freiwilligendienste einberufen will. Das ist nun wirklich der Gipfel.
({5})
Es kommt doch nicht darauf an, vier Monate vor den
Wahlen zu sagen: Schön, dass wir mal darüber geredet
haben.
Herr Minister, Sie haben nichts wirklich auf den Prüfstand gestellt. Sie haben vor allem die Beschaffung von
Großgeräten nicht ordentlich geprüft und begleitet. Deshalb führen wir im Augenblick so eine schwierige Debatte über den Euro Hawk. Es ist schon richtig, dass er
mit großer Mehrheit des Parlaments gewollt wurde,
({6})
aber im Jahr 2011 sind gravierende Probleme aufgetreten. Staatssekretär Beemelmans hat gestern erklärt, alle
Projektbeteiligten hätten diese Probleme vorgetragen bekommen. Herr Staatssekretär, Herr Minister, ja sind denn
das Parlament und der Haushaltsausschuss nicht projektbeteiligt? Uns hat man im Dunkeln gelassen; man hat sogar zwei Jahre lang Haushaltsbeschlüsse zu diesem Projekt fassen lassen.
Sehr interessant ist: Sie haben sogar Ihr eigenes Kabinett vor einer Woche regelrecht getäuscht. In Ihrer Kabinettsvorlage zum Stand der Neuausrichtung haben Sie so
getan, als ob die Beschaffung strukturrelevanter Hauptwaffensysteme - Euro Hawk mit fünf Stück, Global
Hawk mit vier Stück ({7})
ohne Probleme verfolgt werde. So gehen Sie mit Ihrem
eigenen Kabinett um!
({8})
Ich frage mich schon: Erhebt die Kanzlerin nicht mehr
den Anspruch, dass Probleme bei der Strukturreform, die
sowohl im internationalen als auch im finanziellen Maßstab gravierend sind, im Bericht zum Stand der Neuausrichtung korrekt vorgetragen werden?
({9})
Herr Minister, Sie und Ihr langjähriger Weggefährte,
Staatssekretär Beemelmans, sagen fast in jeder Rede vor
Soldaten, Sie seien dafür und sorgten dafür, dass bei der
Bundeswehr die Verantwortung in einer Hand liegt.
Nach dem finanziellen Desaster wäre jetzt eine gute Gelegenheit, diesem Anspruch gerecht zu werden. Oder
soll ich Ihnen wirklich wünschen, Herr Minister, dass
die Kanzlerin in den nächsten Tagen sagt, sie stehe voll
und ganz hinter Ihrem Verteidigungsminister?
({10})
Herr Minister, ich spreche das auch deshalb an, weil
der Umgang mit dem Parlament in dieser Frage ein
Stück weit symptomatisch dafür ist, wie Sie mit den
Menschen in der Bundeswehr insgesamt umgehen, nämlich: Von oben nach unten anordnen, und alle sollen widerspruchslos folgen. Wer das nicht tut, wird von Ihnen
beschimpft.
Herr Minister, Sie haben oft gesagt: Die Reform ist
eine schwierige Operation; sie entspricht einer Operation
am offenen Herzen. Ich finde, das ist ein schönes Bild,
weil es bei einer Operation am offenen Herzen wie dieser Reform insbesondere darauf ankommt, dass die Blutzirkulation des Patienten am Laufen gehalten wird. Das
tun Sie aber nicht. Sie operieren ohne Herz-Lungen-Maschine. Sie lassen die Bundeswehr gerade in diesem
Übergangsprozess, der sechs bis sieben Jahre dauert,
personell regelrecht ausbluten. Sie haben Ihre Reform
nicht mit einem wirklichen Übergangsmanagementkonzept unterlegt. Darunter leiden die Soldaten. Das merken
die Soldaten im Augenblick, da bei der Feinplanung
sichtbar wird, wo die Defizite liegen. Über diese Probleme reden Sie aber in keiner Weise.
({11})
Im Gegenteil, Herr Minister, Sie sagen ganz schlicht:
Der Mensch folgt den Aufgaben.
Herr Minister, Sie haben auch heute in Ihrer Rede ein
Bonbon verteilt: Sie haben gesagt, wir sollten den Soldaten vertrauen. Das sollten wir in der Tat. Wir sollten mit
den Soldaten respektvoll und mit ihren persönlichen Bedürfnissen und den Bedürfnissen ihrer Familien achtsam
umgehen. Wenn man von oben herab sagt: „Der Soldat
folgt den Aufgaben“, dann ist das entschieden zu wenig.
Das spüren die Soldaten.
({12})
Wir Sozialdemokraten werden die Reform zwar nach
der Wahl im September nicht völlig über den Haufen
werfen.
({13})
Vieles kann man auch gar nicht ändern. Manches ist ja
auch vernünftig, die Organisation des Ministeriums zum
Beispiel. Aber wir werden an den Stellen, an denen man
nachsteuern kann, zügig nachsteuern. Wir werden nicht,
wie Sie es vorhaben, bis zum Jahr 2014/15 warten,
({14})
dann evaluieren und dabei feststellen, dass man es gar
nicht mehr ändern kann, weil der Prozess schon zu weit
vorangeschritten ist. Wir wissen, dass man in vielen Bereichen etwas ändern kann.
Ein wichtiger Punkt ist die Einhaltung der Vorgabe
- das hat auch das Parlament gewünscht -, dass Soldaten, nachdem sie 4 Monate im Einsatz waren, 20 Monate
zu Hause sein können, um in ihrem sozialen Gefüge zu
leben, um teilzunehmen am gesellschaftlichen Leben in
ihrer Heimat. Diese Vorgabe wird bei der Hälfte der Einsatzsoldaten inzwischen nicht mehr erfüllt. Machen Sie
sich darüber keine Gedanken? Reden Sie nicht darüber?
Erreichen Sie nicht die Briefe von Soldaten, in denen
steht, dass sie nicht, wie vorgegeben, maximal 21 Tage
auf Beihilfezahlungen zur Begleichung ihrer Arztrechnungen warten, sondern teilweise monatelang, und das
vor dem Hintergrund, dass, wie Sie am Sonntag im ZDF
ja noch gesagt haben, ein großer Teil der Soldaten zu
wenig verdient. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Macht es Ihnen keine Sorgen, dass das Fehlen eines
Übergangsmanagements dazu führt, dass zwei von drei
Offizieren und fünf von sieben Unteroffizieren im Beförderungsstau stecken, also nicht die Aufstiegschancen
bekommen, die sie eigentlich verdient hätten? Auch das
hat etwas mit Respekt zu tun.
Macht es Ihnen keine Sorgen, dass die Soldaten sagen, dass es keine wirkliche Personalplanung gibt, dass
sie manchmal von einem Tag auf den anderen die Botschaft erhalten, wo sie jetzt hingehen sollen?
Macht es Ihnen keine Sorgen, dass es nach der Abschaffung der Wehrpflicht kein vernünftiges Verhältnis
zwischen externer und interner Personalgewinnung gibt?
Herr Minister, Sie sagen, dass die Reform an der einen oder anderen Stelle Geld kostet, zum Beispiel, wenn
es um die Ermöglichung besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Es gibt einen einfachen Ansatz
- das wäre schnell umzusetzen -: Herr Minister, Sie
selbst haben dem unsäglichen Betreuungsgeld im Kabinett und hier im Bundestag zugestimmt.
({15})
Dies führt dazu, dass entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung der Bundeswehretat bis zum Jahr 2017 auf
1 Milliarde Euro verzichten muss. Dieses Geld fehlt für
Attraktivitätsmaßnahmen. Ich sage Ihnen, Herr Kollege,
das werden wir im Herbst als Erstes ganz schnell ändern.
({16})
Herr Minister, Sie haben den Soldaten Hoffnungen
gemacht und ihnen die Zusage gegeben, dass sie im Jahr
2013 wissen, was aus ihnen persönlich wird. Das ist
auch eine Frage des Vertrauens, nämlich umgekehrt eine
Frage des Vertrauens in die Regierung. Nehmen Sie
nicht wahr, dass 70 Prozent der Soldaten bis zum heutigen Tag überhaupt noch nicht wissen, wohin sie gehen
werden, was aus ihrer Familie, dem Arbeitsplatz und der
Ausbildung ihrer Kinder wird? Darüber reden Sie nicht.
Das führt zu Vertrauensverlusten.
Es ist einfach Fakt, dass 90 Prozent der in einer Umfrage des BundeswehrVerbandes befragten Soldaten gesagt haben, sie seien der Auffassung, diese Reform habe
keine Zukunft. Angesichts dessen können Sie doch nicht
einfach hier behaupten, dass die Soldaten die Reform gut
finden. In welcher Welt lebt man, wenn man angesichts
dieser Zahlen so etwas feststellt?
Ich habe Ihren Bericht gründlich gelesen. Am Schluss
habe ich gedacht: Siehe da, jetzt kommt doch noch etwas. Ich war guten Mutes. Da steht nämlich, dass Sie
eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben
haben und einen Maßnahmenkatalog erarbeiten wollen,
der auf die „Beseitigung erkannter Defizite“ abzielt.
Jetzt geht es weiter: „… erkannter Defizite bei der Vermittlung der Kernbotschaften der Neuausrichtung …“
Das heißt, Sie glauben immer noch, die Soldaten kapierten nicht, um was es geht. Sie kapieren sehr wohl, um
was es geht. Es geht nicht in erster Linie um Kommunikation und Vermittlung, sondern darum, dass Sie den Rat
und die berufliche Expertise der Soldaten endlich aufnehmen, dass Sie zuhören und dort Änderungen vornehmen, wo sie notwendig und angesagt sind.
({17})
Herr Minister, halten Sie doch bitte nicht weiter starr
an Ihren falschen Vorgaben fest. Manchmal stehen wir ja
zu Politikern, die dicke Bretter bohren; den Eindruck, als
ob Sie dies tun, erwecken Sie ja auch mit Ihrem starren
Festhalten. Ich glaube aber, im Augenblick bohren Sie
eher Luftlöcher - siehe Veteranendebatte, ein Projekt,
das eher im Sande verlaufen wird. Nein, Herr Minister,
steuern Sie jetzt um, und zerstören Sie nicht dieses für
die Bundeswehr wichtige Gut, nämlich dass die großen
Parteien hier im Parlament eigentlich einen Grundkonsens hinsichtlich der gemeinsamen Verantwortung für
die Menschen bei den Streitkräften bewahren wollen.
Wir stehen zu diesem Grundkonsens. Er wird aber nur
tragen, wenn Sie auch zuhören und an der einen oder anderen Stelle etwas ändern. Wir werden dies ab September tun, Herr Minister. Niemand muss Sorge haben, dass
es eine neue Reform geben wird; vielmehr kann sich jeder darauf verlassen, dass das, was gut ist - das gibt es
bei der Bundeswehr an vielen Stellen -, bewahrt wird
und das, was schlecht läuft, mit Augenmaß und in für die
Menschen verträglichen Schritten geändert wird.
Herr Kollege.
So werden wir das ab der Bundestagswahl angehen.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist für jemanden, der nicht so tief in den Strukturen der Bundeswehr steckt, immer schwierig, ein Bild
über die tatsächliche Lage zu bekommen. Wenn man
das, was der Kollege Arnold gerade eben vorgetragen
hat, genauer analysiert, bekommt man das Gefühl, dass
es einen völlig demotivierten Apparat gibt, der überElke Hoff
haupt nicht mehr in der Lage ist, seinen Auftrag auszuführen, und dass es am besten wäre, all das, was auf den
Weg gebracht worden ist, wieder einzustampfen.
Mein Eindruck aus acht Jahren Tätigkeit im Bereich
der Verteidigung und aus vielen Truppenbesuchen sowohl im Inland als auch im Ausland ist, dass eher das
Bild zutrifft, dass Herr Minister de Maizière eben in seiner Rede gezeichnet hat, nämlich dass wir Soldaten haben, die ihren Beruf lieben, dass sie es in den seltensten
Fällen bereuten, diesen Beruf ergriffen zu haben, und
dass sie nach wie vor davon überzeugt sind, einen richtigen Auftrag zu erfüllen. Gleichzeitig haben sie die Erwartung an uns Politikerinnen und Politiker, dass wir alles dafür tun, dass sie diesen Auftrag auch erfüllen
können.
({0})
Ich glaube, dass diese Reform, die seit langer Zeit
überfällig war und die sicherheitspolitisch dringend geboten war, zum richtigen Zeitpunkt auf den Weg gebracht worden ist. Ein Jahr! Liebe Kolleginnen, liebe
Kollegen, wer kann ernsthaft erwarten, dass eine solche
umfassende Reform innerhalb eines Jahres sozusagen
ein Selbstläufer wird, ohne Strukturen zu erschüttern?
Genau das sollte doch auch mit der Reform bezweckt
werden: Strukturen, die nicht mehr funktionierten, sollen
so geändert werden, dass sie in Zukunft funktionieren.
Das bedeutet natürlich auch, dass sich an vielen Stellen
vertraute Mechanismen ändern und auch vertraute Gesichter nicht mehr da sind. Das führt zu Widerständen,
das führt zu Fragezeichen, das führt zu Problemen. Ich
selbst habe dies in meiner Zeit außerhalb des Parlamentes, als ich Leitungsaufgaben in einer reformierten Behörde übernommen habe, erlebt.
Natürlich gibt es sehr viel Verunsicherung. Aber man
darf auch nicht vergessen, dass wir in dieser Zeit Erhebliches für unsere Bundeswehr erreicht haben. Ich würde
mich wirklich freuen, wenn bei aller berechtigten Kritik
- nobody is perfect - an der einen oder anderen Stelle
auch einmal die Verdienste dieser Reform dargelegt werden.
({1})
Ich werde dies jetzt tun, damit sie deutlich werden; dies
kann dann auch später im Protokoll nachgelesen werden.
Wir haben eine deutliche Verbesserung der Einsatzversorgung für unsere Soldatinnen und Soldaten erreicht.
Wir haben das Reformbegleitgesetz verbessert, indem
wir für den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen und eine
Verdoppelung der Einmalzahlung gesorgt haben. Wir haben die Verbesserung der Behandlung unserer seelisch
verwundeten Soldatinnen und Soldaten erreicht. Wir haben die Härtefall-Stiftung eingerichtet.
({2})
Wir haben gemeinsam die Verbesserung der Betreuungskommunikation erreicht. Wir haben die Verbesserung
der Ausrüstung und des Schutzes unserer Soldaten im
Einsatz erreicht. Wir werden in Zukunft die Fähigkeit
zur Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger
selbst zu 100 Prozent, in toto, haben. Wir haben mit dem
Soldatengesetz eine einheitliche Rechtsgrundlage für
den Dienst aller Soldaten erreicht. Wir haben einen einheitlichen Gerichtsstand für Auslandseinsätze der Bundeswehr geschaffen. Wir haben die zentrale Zuständigkeit des Bundes für die Versorgung der Verwundeten,
Geschädigten und Hinterbliebenen erreicht. Das ist ein
wesentlicher Schritt nach vorne, um auch den schlimmen Auswirkungen von Auslandseinsätzen gerecht werden zu können.
({3})
Wir werden für Verbesserungen im Hinblick auf das
Altersruhegeld, die Steuerfreiheit der Reservistenbezüge
und die teilweise Steuerfreiheit der Bezüge von freiwillig Wehrdienstleistenden sorgen.
Die Gehälter von Beamten, Richtern und Soldaten
wurden in den letzten vier Jahren um insgesamt 8 Prozent erhöht: Gehaltssteigerung im öffentlichen Dienst
plus Wiedergewährung des Weihnachtsgeldes. Der finanzielle Ausgleich für mehrgeleisteten Dienst der Soldatinnen und Soldaten wurde fast verdoppelt.
({4})
Und: Die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskosten und
Trennungsgeld blieb erhalten.
All das sind Dinge, die, mit Verlaub, auch im Rahmen
der erfolgreichen Zusammenarbeit in dieser Koalition
erreicht werden konnten.
({5})
Ich möchte die letzte Minute meiner Rede, die wahrscheinlich meine letzte Rede in diesem Parlament sein
wird, dazu nutzen, mich an erster Stelle aus tiefster
Überzeugung und aus tiefstem Herzen bei unseren Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien für das zu bedanken, was sie für uns tun und was sie für uns erleiden
müssen. Es ist für uns alle eine Verpflichtung, das nie zu
vergessen.
Ich möchte mich besonders bei den Kolleginnen und
Kollegen des Verteidigungsausschusses bedanken - bei
allen. Es hat viel, viel Freude gemacht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, an dieser Stelle sagen zu
können - gerade auch im Hinblick auf die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne -: Trotz vieler Unterschiede in der parteipolitischen Ausrichtung war es allen
Kollegen ein Herzensanliegen, für unsere Soldatinnen
und Soldaten das Beste zu erreichen. Das hat mich zu einem tief überzeugten Anhänger des Prinzips der Parlamentsarmee gemacht. Ich glaube, meine Damen und
Herren, trotz aller parteipolitischen Unterschiede ist das,
was wir hier erreicht haben, ein Gut, das wir alle sorgfältig pflegen sollten, für das wir einstehen sollten. Wir
müssen immer wieder klarmachen, dass dieses Parla30130
ment für die Sicherheitspolitik unseres Landes, aber
auch für das Wohlergehen unserer Soldatinnen und Soldaten einsteht. Wir sollten allen möglichen Überlegungen, das Prinzip der Parlamentsarmee bzw. die Rechte
des Parlamentes an dieser Stelle zu verwässern, auszuhöhlen oder abzuschaffen, mit allem Nachdruck gemeinsam entgegentreten. Die Soldaten brauchen uns alle!
({6})
Es war eine tolle Zeit mit Ihnen. Es war eine tolle Zeit
mit den Soldaten. Ich melde mich ab.
Vielen Dank.
({7})
Liebe Kollegin Hoff, da Sie für den nächsten Deutschen Bundestag nicht wieder kandidieren, ist dies eine
gute Gelegenheit, Ihnen herzlich für die Arbeit zu danken, die Sie in diesem Parlament insbesondere, aber
nicht nur in dem Aufgabenfeld, das Gegenstand dieser
Debatte heute Morgen ist, geleistet haben. Ich hoffe sehr,
dass Sie sich, auch wenn Sie sich aus dem Deutschen
Bundestag verabschieden, nicht von der Politik abmelden, und wünsche Ihnen für die nächsten Jahre alles
Gute.
({0})
Paul Schäfer ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({1})
Werter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Der Bundestagspräsident hat zu Beginn unserer Debatte
an den deutschen Soldaten erinnert, der letzte Woche
umgekommen ist. Auch wir trauern um ihn. Nach den
Momenten des Innehaltens stellen sich Fragen: Warum?
Wofür? Musste das sein? - Diese Fragen kann man nicht
abweisen, man darf sie nicht abweisen. Sie verbinden
sich für uns damit, dass wir den Einzelfall beklagen, aber
zugleich alle Opfer eines Gewalteinsatzes, nicht zuletzt
die zivilen Opfer des Krieges, in den Blick nehmen. Daher geht es für uns immer auch um mahnendes Erinnern,
nicht um verklärendes.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über den Stand der Bundeswehrreform. Der Verteidigungsminister sagt gerne „Neuausrichtung der Bundeswehr“. - In Wahrheit haben wir diese
Ausrichtung seit 20 Jahren, und Sie wollen nun das Tüpfelchen auf dem i anbringen: Die Rede ist vom Umbau
der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee.
Sie schreiben, Herr Minister, die Neuausrichtung der
Bundeswehr orientiere sich streng an den sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen. Nun ja, zunächst, was die Wirtschaft
anbetrifft: Vor drei Jahren hieß es angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise noch, dass auch die Streitkräfte
ihren Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte leisten müssten. Heute haben wir immer noch Finanzkrise; aber jetzt heißt es wieder: Sicherheit hat ihren
Preis. - Der Verteidigungshaushalt soll im nächsten Jahr
statt wie eigentlich geplant 27,6 Milliarden Euro jetzt
doch wieder 32 Milliarden Euro umfassen. Sie mögen
sich das als Erfolg ans Revers heften, Herr Minister;
aber das geht alles zulasten der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler. Deshalb bleiben wir bei dem Schluss: Die
Bundeswehr ist und bleibt auch nach ihrem Umbau überdimensioniert und entschieden zu teuer.
({0})
Das Merkwürdige ist: Gleichzeitig werden die Mittel
für einen sozialverträglichen Umbau - also einen Umbau
im Interesse der Soldatinnen und Soldaten - nicht ausreichen. Warum? Weil das Geld an der falschen Stelle ausgegeben wird. Das jüngste Beispiel dafür ist der Fall
Euro Hawk: Über 600 Millionen Euro müssen als verbrannt gelten, weil man jetzt beschließen musste, das
Projekt dieser Riesenaufklärungsdrohne zu beenden.
Reichlich spät ist man auf die Idee gekommen, dass auch
und gerade Drohnen eine Zulassung für den zivilen Luftraum brauchen. Das hätte man früher wissen müssen.
Man hätte früher handeln müssen.
({1})
Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Politik zulasten
der Steuerzahler und zugunsten der Rüstungswirtschaft
gemacht wird.
Man verspricht jetzt - wir haben es gestern im Ausschuss erlebt -, der Rüstungslobby künftig weniger gutgläubig gegenübertreten zu wollen. Dieses Mantra kennen wir zur Genüge. Passieren tut nichts, wird nichts.
Man muss eben den ehrlichen Willen haben, den Einfluss
dieser starken Lobbygruppe nachhaltig zu beschneiden,
({2})
und es wird allerhöchste Zeit, dass das geschieht.
Was die sicherheitspolitische Einordnung betrifft, so
schreiben Sie, Herr Minister de Maizière - ich darf das
einmal zitieren -:
Da Bedrohungen für die Freiheit und Sicherheit der
Bundesrepublik und ihrer Verbündeten heute nicht
mehr vorrangig geographisch oder militärisch definiert sind, müssen Streitkräfte im 21. Jahrhundert
ein hohes Maß an Einsatzbefähigung in einem breiten Spektrum gewährleisten …
Na, das müssen Sie uns und dem Wahlvolk näher erläutern. Also, weil die globalen Risiken nicht primär militärischer Natur sind, reagieren Sie darauf mit qualitativer,
breit angelegter Aufrüstung? Diese Logik ist doch absurd, und sie ist gefährlich obendrein.
({3})
Ein zweites Beispiel:
Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört es
Paul Schäfer ({4})
- so ist es in Ihrem Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, den wir jetzt diskutieren, zu lesen -,
… die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen zu reduzieren …
Richtig, genau das ist eine der wichtigsten Ursachen für
die konfliktträchtigen und gewaltförmigen Entwicklungen, die es in der Welt gibt. Aber die Mittel, die notwendig sind, um diese Kluft zu schließen, müssen doch irgendwo herkommen. Dafür braucht es nicht zuletzt
Abrüstung. Die Ausgaben der Welt für das Militär summieren sich auf mehr als 1 Billion Euro; das ist viel zu
viel.
({5})
Im Klartext: Wir müssen aus der Rüstungsspirale raus.
Sie aber wollen - siehe Kampfdrohnen - in die nächste
Runde einsteigen. Wir wollen das nicht.
({6})
Herr Minister, Sie leiten die Reform der Bundeswehr
wieder einmal aus Ihrer Einschätzung der globalen Risiken und Bedrohungen ab. Sie stellen Behauptungen auf.
Warum man auf diese neuen Risiken militärisch reagieren müsse, das wird nicht plausibel begründet, und das
kann man auch nicht. Ich nenne Beispiele:
Kritische Infrastrukturen und Informationsnetzwerke
seien gefährdet, sagen Sie in Ihrem Bericht. Was, bitte,
wollen Sie gegen Trojaner im Netz mit militärischen
Mitteln ausrichten? Oder will man vielleicht selber
Schadware platzieren?
Nächstes Beispiel: Transnationale organisierte Kriminalität breite sich aus. Um dieser zu begegnen, braucht
man aber doch keine Panzer - das ist Sache der Polizei.
({7})
Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
drohe. Und Sie wollen der Verbreitung dieser Waffen
jetzt begegnen, indem Sie selber an der nuklearen Abschreckung festhalten? Das Gegenteil ist doch richtig.
Wir müssen diese Schreckensvorstellung beenden und
endlich aus der nuklearen Teilhabe der NATO heraus.
Das ist doch die Aufgabe, die sich stellt.
({8})
Der internationale Terrorismus bedrohe uns nach wie
vor, wird dort gesagt. Wollen Sie wirklich behaupten, die
militärische Seite der Terrorbekämpfung hätte den gewünschten Erfolg gebracht? Wenn wir jüngst wieder
Soldaten entsandt haben, weil ein Terrorstaat in Afrika
drohte - ja, die Rede ist von Mali -, dann zeigt das doch,
dass wohl eher einiges schiefgelaufen ist.
Die Lehre heißt aus meiner Sicht vielmehr: Den militanten Dschihadismus bekämpft man vor allem, indem
man Entwicklungs- und Demokratisierungsprozesse
nicht zuletzt in der arabischen Welt fördert. Panzerlieferungen an Saudi-Arabien gehören ganz gewiss nicht
dazu.
({9})
Last, not least: der Dauerbrenner der gescheiterten
Staaten, in denen wir - sprich: die NATO oder die EU den Staat wieder aufbauen müssten. Die Realität zeigt
doch, dass das, was wir nach westlichen Maßstäben
gerne als „Failed“ oder „Failing States“ bezeichnen, eher
der Normal- als der Ausnahmefall in der Welt ist. Ihre
Schlussfolgerung kann doch nicht ernsthaft lauten, überall militärisch intervenieren zu wollen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines Forschungsprojekts an der FU Berlin, die sich intensiv mit
Afghanistan beschäftigt haben, sind zu dem Schluss gekommen, externe militärische Interventionen seien in
der Regel nicht effektiv, weil ihnen meist auch in den
Augen der betroffenen Bevölkerung die Legitimität
fehle, und oft trügen sie, weil sie lokale Widerstände
hervorriefen, zu mehr Unsicherheit und sogar zu mehr
Gewalt bei. Das ist ein Punkt, über den man nachdenken
muss.
Ich setze noch eins drauf - ich weiß, der nächste Satz
ist sehr plakativ; ich könnte das am Beispiel der pleitegegangenen Kabul Bank aber durchaus aufzeigen -: Der
aggressive, auf Militär gestützte Export des neoliberalen
Wirtschaftsmodells hat schon genug Schaden in den
Ländern des globalen Südens angerichtet. So kann es
nicht weitergehen.
({10})
Nachhaltige Fortschritte - auch das ist eine Konsequenz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind nur zu erreichen, wenn sich Akteure vor Ort finden,
die sich für die Emanzipation und die demokratische
Entwicklung ihres Landes einsetzen. Das ist der Schlüssel, den man in der Hand haben muss.
Spätestens angesichts der gescheiterten Intervention
in Afghanistan müssen Sie doch zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt sein. In Afghanistan geht es jetzt
um eine Verhandlungslösung, um den NATO-Truppenabzug und um den zivilen wirtschaftlichen Aufbau. Dafür sind wir hier vor Jahren angegriffen und als naiv verspottet worden. Manchmal wäre es nicht schlecht, auf
die Linke zu hören.
({11})
Der Interventionismus ist gescheitert, aber Sie bauen
die Instrumentarien für eine solche Interventionsarmee
aus. 10 000 Kampftruppen will man für künftige Einsätze bereithalten, das Heer soll über mehr Kampfverbände verfügen, und die Division Schnelle Kräfte wird
zu einem Schlüsselelement ausgebaut. Eine solche Interventionstruppe brauchen wir nicht, und wir wollen sie
auch nicht.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig: Wir
müssen über die deutsche Sicherheitspolitik reden und
darüber, welche Rolle die Bundesrepublik künftig international spielen will. Die Evangelische Kirche in
Deutschland hat einen breiten Dialog dazu eröffnet. Das
ist zu begrüßen. Dazu gehört für mich auch der kritischkonstruktive Dialog mit den Soldatinnen und Soldaten.
Sie haben diesen Respekt verdient.
Paul Schäfer ({13})
In diesem Kontext kommen jetzt immer auch Stimmen hoch - gestützt auf die neue deutsche Dominanz in
der EU -, dass wir, Deutschland, jetzt endlich als europäische Führungsmacht auftreten müssen - auch militärisch. Die Bundesregierung hat hier bislang eine eindeutige Positionierung vermieden. Sie reden wenig darüber,
aber durch den Aufbau dieser militärischen Fähigkeiten
schaffen Sie Fakten. Ich finde, darüber muss klar gesprochen werden.
Selbst das, was ich als Schlingerkurs bezeichne - einerseits ein bisschen zurückhalten, andererseits mitmachen, was man dann bündnispolitisch verbrämt -, ist
schon alles andere als harmlos und kann in einer gefährlichen Eskalationsspirale münden, wie wir am Beispiel
der Patriot-Stationierung in der Türkei sehen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, hier so schnell wie möglich ein deutliches Zeichen zu setzen, dass man weder an
vorderster Front noch im Hinterland für eine Intervention zur Verfügung steht und im Gegenteil alles unternehmen wird, um eine Deeskalation zu erreichen. Das
fordern wir - also auch den Abzug der Patriots aus der
Türkei.
({14})
Ich habe es erwähnt: Es gibt eine beunruhigende Debatte darüber, dass - leider hat auch der Minister einen
entsprechenden Tonfall in seine Rede hineingebracht sich Deutschland künftig als Führungsmacht präsentieren sollte, an die sich dann die kleineren europäischen
Länder anlehnen könnten, dass es also sozusagen als Big
Brother, als großer Bruder, auftreten soll, auf den man
sich auch aufgrund seiner militärischen Fähigkeiten stützen kann.
Es ist altes Denken, dass sich Macht und Machtentfaltung in letzter Konsequenz in militärischer Potenz ausdrücken. Unser Gegenentwurf heißt: Deutschland als zivile Gestaltungsmacht.
({15})
Deutschland kann sich künftig als globaler Partner für
Konfliktprävention und Wiederaufbau positionieren.
Durch Abrüstung würden Mittel frei, die dafür gebraucht
werden. Die Vereinten Nationen sind in ihren Bemühungen um Krisennachsorge, um Peacebuilding chronisch
unterausgestattet. Sie können in der vorbeugenden Friedensarbeit jegliche Unterstützung gebrauchen. Das ist
eine Aufgabe, die sich stellt. Hier könnte sich die
Bundesrepublik Deutschland engagieren. Das ist unser
Modell.
Ich höre schon wieder den Einwurf: deutsche Drückebergerei! George W. Bush hat im Zuge des Irakkrieges
geurteilt, die Deutschen seien nun einmal Pazifisten. Angesichts des Desasters und der Verwüstung durch diesen
Angriffskrieg frage ich: War es nicht richtig, damals Pazifist zu sein?
({16})
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Die Linke ist
für Deutschland als Zivilmacht - nicht nur, weil das eine
Konsequenz aus der deutschen Gewaltgeschichte ist,
sondern weil das grundvernünftig ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es sehr, dass
der Verteidigungsminister heute eine inhaltlich breit angelegte sicherheitspolitische Debatte zur Neuausrichtung
der Bundeswehr angestoßen hat. Dabei hat er auch zum
Thema Rüstung, insbesondere zum Zusammenhang zwischen Beschaffung und Nutzung auch von Großgeräten,
das Notwendige gesagt, und er hat in dieser Woche auch
zum Thema Euro Hawk eine folgerichtige Entscheidung
getroffen.
Herr Arnold, was Sie zu diesem Thema gesagt haben,
war nichts als der billige Versuch, von der eigenen Mitwirkung der SPD-Fraktion an diesem Projekt abzulenken.
({0})
Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben das schlüssige
Gesamtkonzept zur Ausrichtung der Bundeswehr völlig
konfus kritisiert. Sie haben es tatsächlich geschafft, hier
zwölf Minuten lang zu reden, ohne auch nur einen einzigen eigenen Vorschlag der SPD zur Neuausrichtung der
Bundeswehr zu unterbreiten.
({1})
Damit haben Sie eine Gelegenheit versäumt. Es hätte
uns interessiert, wie die Sozialdemokraten die künftige
Rolle der Bundeswehr in einer weiterentwickelten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und in
der NATO sehen, Herr Arnold. Es hätte uns interessiert,
wie sich die SPD die Reaktion auf die neuen Herausforderungen für die Sicherheit Europas, vor allem im Hinblick auf unsere südliche Nachbarschaft, vorstellt.
Allein diese Fragen - das zeigt die heutige Debatte erfordern eine breite und aus unserer Sicht auch regelmäßige sicherheitspolitische Debatte hier im Bundestag.
Wir haben keinen Mangel an Debatten über die verschiedenen Auslandseinsätze, auch nicht über Teilaspekte der
Umgestaltung der Bundeswehr, zumal wir heute Nachmittag zum Thema Atalanta bereits die nächste Mandatsdebatte führen werden. Um es mit konkreten Zahlen
deutlich zu machen: Seit dem Urteil des BundesverfasDr. Andreas Schockenhoff
sungsgerichts im Jahr 1994 zur Parlamentsbeteiligung
beschließt der Deutsche Bundestag heute exakt das
120. Mandat. Wir haben also in knapp 20 Jahren rund
240 Mandatsdebatten geführt.
Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungen
und Fragen unserer Zeit, wie sie der Minister heute dargestellt hat, gehen weit über die konkreten Aspekte
der jeweiligen Mandate hinaus, zumal die sicherheitspolitische Lage Europas - auch das wurde in der Regierungserklärung deutlich - erheblichen Veränderungen
unterliegt. Es geht zum Beispiel darum, welche Auswirkungen der Wandel in Nordafrika und im Nahen und
Mittleren Osten für unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit auch ganz praktisch für die Aufgaben der Bundeswehr hat - und dies in einer Zeit, in der
Europa, auch das wurde gesagt, mit der Bewältigung der
Schuldenkrise zu kämpfen hat.
Es ist notwendig, unsere übergreifenden Sicherheitsinteressen der deutschen Öffentlichkeit und unseren
Partnern in der NATO und in der EU umfassend zu vermitteln. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Werte,
die Ziele und die Instrumente unserer Sicherheitspolitik.
Für alle diese Fragen brauchen wir eine regelmäßige
Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands.
({2})
- Guter Vorschlag! - Um auch hier die Zahlen zu nennen: In den knapp 20 Jahren, in denen wir rund 240 mandatsspezifische Debatten geführt haben, haben wir nicht
einmal zehn übergreifende Debatten zur sicherheitspolitischen Lage geführt. Anlass dafür waren die Neuausrichtung der Bundeswehr, die Verteidigungspolitischen
Richtlinien von 2011, das neue Strategische Konzept der
NATO 2010, die beiden Weißbücher von 2006 und 1994,
die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 sowie die
von meiner Fraktion erarbeitete Sicherheitsstrategie von
2008.
Angesichts der Bedeutung und des Gewichts unseres
Landes in EU und NATO und mit Blick auf die vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen halten wir
es für erforderlich, zur sicherheitspolitischen Lage
Deutschlands regelmäßig eine Debatte auf der Grundlage einer Regierungserklärung, möglichst in einem
jährlichen Rhythmus, zu führen.
({3})
Eine solche Debatte soll und kann kein Ersatz für die
Mandatsdebatten sein. Aber sie soll für die einzelnen
Einsätze auch den größeren sicherheitspolitischen und
strategischen Gesamtzusammenhang sichtbar werden
lassen und damit auch das Verständnis und die Akzeptanz für die Einsätze verbessern. Deshalb danken wir
dem Verteidigungsminister, dass er mit der heutigen Debatte den Anfang einer regelmäßigen Generaldebatte
gemacht hat. Eine solche Generaldebatte ist heute
beispielweise auch mit Blick auf die erforderliche Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendig, über die der Verteidigungsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember
zu beraten hat.
Worum geht es? Die vergangenen Monate haben
deutlich gemacht, dass wir Europäer nicht mehr in ähnlichem Umfang wie bisher auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten bauen können, wenn es um die Wahrung
und Durchsetzung europäischer Sicherheitsinteressen
geht. Das bedeutet: Wir brauchen nicht nur mehr Handlungsbereitschaft bei der Sicherung und Gestaltung unseres strategischen Umfeldes, sondern wir brauchen dafür auch die notwendige Handlungsfähigkeit.
Der Trend geht jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Schon heute müssen wir nicht zuletzt auch als
Folge der Schuldenkrise durch unabgestimmte Kürzungsmaßnahmen zunehmend nationale Fähigkeitsverluste feststellen. Diese werden zu empfindlichen europäischen Fähigkeitsverlusten führen, wenn diese
Prozesse weiterhin unkontrolliert ablaufen.
({4})
Dem entgegenzusteuern, wird eine der wichtigsten Aufgaben des EU-Verteidigungsgipfels im Dezember mit
dem Ziel sein müssen, eine weitaus engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit sowie aktive, mutige Schritte
in Richtung einer Vertiefung der militärischen Integration zu erreichen.
({5})
- Dazu komme ich jetzt gerade. - Das alles hat natürlich
auch Konsequenzen für die künftige Rolle der Bundeswehr. Im SPD-Wahlprogramm, weil Sie gerade danach
fragen, heißt es, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer Europäisierung der Streitkräfte führen
soll. Ja, es ist sogar von dem langfristigen Ziel die Rede,
die Bundeswehr solle in einer europäischen Armee aufgehen. - In diesen grundsätzlichen Zielen sehe ich
durchaus eine Übereinstimmung. Ich finde es aller Mühe
wert, uns hier in diesem Hause darüber zu unterhalten,
welche Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel erforderlich
sind.
({6})
Was heißt das konkret? Nur ein Beispiel: Seit Jahren
sind in der Europäischen Sicherheitsstrategie und im
Strategischen Konzept der NATO die Aufgaben der
Streitkräfte definiert. Aber hinsichtlich der Frage der
geografischen Räume, in denen Europa künftig prioritär
handlungsfähig sein soll, gibt es keine Übereinstimmung. Solange es diese nicht gibt, wird es auch keine
echte Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben.
Das aktuelle Krisen- und Konfliktpotenzial im nördlichen Afrika und im Nahen und Mittleren Osten legt es
nahe, dieses als die geografisch nächstliegende Herausforderung für die europäische Sicherheit zu betrachten.
Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten von regionalen Partnern oder von Regionalorganisationen, wie
beispielsweise der ECOWAS, durchgeführt werden, die
dazu noch mehr ertüchtigt werden müssen. Allein das
Beispiel Mali zeigt jedoch, wie weit der Weg noch ist,
obwohl für eine solche Ertüchtigung in den letzten Jahren viel getan wurde und auch jetzt viel getan wird.
Aber sind wir uns denn hier im Hause oder in der EU
über eine solche geografische Prioritätensetzung einig?
Das sehe ich noch nicht. Deshalb brauchen wir hier im
Bundestag eine strategische Diskussion, was die EU mit
ihren zivilen und militärischen Missionen erreichen will
und erreichen kann. Eine solche Debatte ist auch deshalb
notwendig, weil eine derartige geografische Prioritätensetzung Folgewirkungen für die erforderlichen Fähigkeiten, die Ausrüstung und Ausbildung europäischer Streitkräfte und damit auch für die Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr hätte.
Europäisierung der Streitkräfte heißt natürlich auch
mehr Pooling und Sharing, also die Vertiefung der militärischen Integration deutlich über das hinaus, was wir
derzeit haben. Das bedeutet, sich noch mehr in gegenseitige Abhängigkeit zu begeben, so wie wir es bei den
AWACS-Flugzeugen oder bei den Battle Groups tun.
Wer sich durch Pooling und Sharing in eine Abhängigkeit von seinen Bündnispartnern begibt, will auch
wissen, ob diese im entscheidenden Moment ihren militärischen Beitrag zu leisten bereit sind. Es ist die Frage,
ob wir das in der Breite oder in der Tiefe tun. Der Verteidigungsminister hat zu Recht auch diese Debatte heute
angestoßen.
Wir wissen, dass viele unserer Bündnispartner eine
stärkere militärische Integration mit Deutschland mit
Skepsis sehen, weil sie mit Blick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz fragen, wie zuverlässig und berechenbar unser Land ist. Um es gleich zu sagen: Ich halte
diese Vorbehalte nicht für gerechtfertigt, aber sie sind
nun einmal da und behindern bisher die notwendige Vertiefung der militärischen Integration.
({7})
Deshalb müssen wir prüfen, wie weit mit Blick auf integrierte Streitkräfte eine behutsame Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes hilfreich sein kann und wie
weit eine jährliche Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands vertrauensbildend bei den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und vor allem bei
unseren Partnern in der EU wirken kann.
Mit Blick auf den EU-Verteidigungsgipfel im Dezember können wir am Ende dieser Wahlperiode nur einige
konkrete Ziele formulieren. Aber die Ergebnisse des
Gipfels werden dem nächsten Bundestag Anlass bieten,
die heutige sicherheitspolitische Generaldebatte fortzusetzen und zu einer ständigen Einrichtung zu machen.
Dies jedenfalls ist die feste Absicht meiner Fraktion,
weil wir eine solche Debatte für unverzichtbar halten
und weil der Bundesverteidigungsminister dazu heute einen guten und konstruktiven Anfang gemacht hat.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Omid
Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
richtig, dass die Bundeswehr vor immensen Herausforderungen steht: die gesellschaftliche Veränderung, der
Wandel in der Welt, der finanzielle Druck, die EU-Integration, die immense Anpassungen mit sich bringen
wird, und natürlich die Tatsache, dass vor zehn Jahren
niemand von uns im Traum oder auch im Albtraum daran gedacht hätte, dass die Bundeswehr heute in Mali
oder im Libanon unterwegs sein kann.
Genauso wenig wissen wir, was in zehn Jahren für die
Bundeswehr von Belang sein wird. Deshalb ist die zentrale Aufgabe einer Veränderung der Bundeswehr, dass
sie flexibel wird und flexibel auf die nächsten Herausforderungen eingehen kann. Das geht über das Zusammenhalten von Geld, und das geht über bessere Strukturen.
Meine Damen und Herren, es gibt ein Märchen, das
häufig zu hören ist. Viele Leute denken: Die Konservativen haben es nicht so mit sozialer Gerechtigkeit; ökologisch blind sind sie auch ein bisschen, und moderne Gesellschaft können sie auch nicht.
({0})
Aber sie können wenigstens Sicherheit, und sie können
auch mit Geld umgehen.
({1})
Die Bundeswehrreform, die sogenannte Neuausrichtung, begann mit dem Spardruck. Es gab Sparbeschlüsse
dieser Bundesregierung. Es war nicht der wildgewordene Guttenberg, sondern es waren die Bundeskanzlerin,
der ehemalige Gesundheitsminister, der Außenminister
und der ehemalige Innenminister und heutige Verteidigungsminister: Sie haben alle die Hand dafür gehoben,
dass die Bundeswehr bis Ende 2014 8,3 Milliarden Euro
spart.
Sie haben sie nicht nur nicht gespart, sondern Sie haben jährlich noch mindestens 1 Milliarde Euro zusätzlich im Einzelplan 60 versteckt. Sie wissen ganz genau,
dass diese Blase irgendwann platzen wird und dass eine
Gesamtstärke von 185 000 Mann, die Sie vorgegeben
haben, Herr Minister, auf Dauer überhaupt nicht finanzierbar ist. Vom Märchen der tüchtigen Konservativen
ist nichts mehr übrig geblieben.
({2})
Damit bin ich beim Euro Hawk. Das kann man nicht
in drei Sätzen abhandeln, wie das heute getan wurde. Sie
sprechen vom Ende des Schreckens, Herr Minister. Gestern trat Ihr Rüstungsstaatssekretär vor die Presse. Erste
Frage: Wie viel kostet das jetzt eigentlich zusätzlich?
Wie viel Geld ist verschwendet worden? - Antwort: Wir
wissen es noch nicht; wir können es noch nicht absehen. Das Ende des Schreckens ist überhaupt noch nicht absehbar. Wir wissen nicht, was alles noch kommen wird.
Sie haben ein Millionenloch gegraben, von dem Sie
selbst nicht mehr wissen, wie tief es eigentlich ist.
({3})
Der Rüstungsstaatssekretär hat gesagt, Ende 2011
habe er erste Zweifel gehabt, dann habe man noch einmal diskutiert, und jetzt habe man endlich die Reißleine
gezogen. Am 10. Juni 2011 schreibt die Website Flightglobal.com, eine bekannte Fachzeitschrift für Rüstung,
dass es einen Bericht des Pentagon gibt, der bereits deutlich mache, dass es an der Version des Global Hawk, die
die Bundeswehr bestellt hat, immense Zweifel gibt und
dass das Pentagon zu dem Schluss kommt, dass hier die
Effizienz nicht gegeben ist. Ich frage mich: Wofür gibt
es eigentlich einen Rüstungsstaatssekretär? Lesen Sie
das eigentlich nicht? Wie kann es sein, dass Sie zwei
Jahre brauchen, bis Sie die Reißleine ziehen?
({4})
Noch dramatischer wird es, wenn man hört, dass der
Rechnungshof den Vertrag nicht einsehen darf. Die Begründung lautet: Es steht im Vertrag, dass der Rechnungshof das nicht darf. - Das ist eine massive Missachtung der demokratischen Gremien in diesem Land. Ich
frage mich, ob es legal ist, in einem solchen Vertrag festzulegen, dass der Rechnungshof ihn nicht sehen darf.
({5})
Jahrzehntelang hieß die Rüstungsphilosophie: Wir
machen Industriepolitik; es geht nicht um Bedarf. - Das
ist ein Problem. Nun sieht man an den Verhandlungen,
die Sie über die Hubschrauber geführt haben: Am Ende
gibt es keine relevanten Einsparungen, wohl aber weniger Maschinen. Und so geht es weiter. Die Lehre, die Sie
ziehen, hat Ihr Sprecher gestern verkündet: Wir sollten
nicht mehr im Ausland kaufen. - Das heißt, Sie setzen
jetzt deutlich mehr auf EADS und andere Firmen, die in
vielen anderen Bereichen - Sie kennen die Beispiele genauso gehandelt haben. Ich glaube, dass das Problem
hier überhaupt nicht erkannt worden ist. Meine Damen
und Herren, diese Konservativen können keine Sicherheit, und sie können erst recht nicht mit Geld umgehen.
({6})
Weder ist die Neuausrichtung neu - denn in der Vergangenheit gab es schon sehr viele Reformansätze, auf
die aufgebaut wurde -, noch hat sie wirklich eine Ausrichtung. Es gab am Anfang keine Ausgabenkritik, sondern Sparbeschlüsse. Dann haben Sie die Verteidigungspolitischen Richtlinien nachgelegt und gesagt, das sei
eine nachgereichte Begründung, warum wir das alles eigentlich machen sollten. Dass es sich um Verteidigungspolitische Richtlinien und nicht um einen Kabinettsbeschluss handelt, ist an sich ein Beleg dafür, dass es keine
ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. In Ihrem aktuell vorliegenden Bericht habe ich den Menschenrechtsbegriff ein einziges Mal gefunden. Was ich nicht gefunden habe, ist die zivile Krisenprävention. Eine solche
Prävention ist nur möglich, wenn es eine ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. Aber eine solche Zusammenarbeit gibt es bei Ihnen nicht. Das führt am Ende
nicht nur zu weniger Frieden, sondern auch zu deutlich
mehr Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten. Das
ist das Problem. Sie werden die Bundeswehr nicht dahin
führen, dass sie fit für die Zukunft und VN-fähig ist,
sondern Sie werden weiterhin alle verunsichern.
({7})
Die entscheidende Frage lautet: Wollen Sie das denn?
Ich sehe ihn gerade nicht, aber Volker Kauder hat vor
ein paar Monaten ein Interview gegeben, in dem er gesagt hat: Natürlich haben wir Werte, auch in der Außenpolitik. Aber wir haben auch Interessen, und diese sind
nun einmal nicht immer deckungsgleich. Manchmal ist
es so: Ja, die Saudis sind Antisemiten. Aber man muss
denen eben Panzer liefern, weil sie andere für uns bekämpfen müssen. - Es gab schon einmal zwei große
Kriege, die der Westen geführt hat und die das Ergebnis
von Ausbalancierungsfantasien waren, nach dem Motto
„Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Das haben
wir in Afghanistan und auch im Irak gesehen. Sie haben
daraus schlicht und ergreifend nichts gelernt.
({8})
Die entscheidende Frage lautet, ob nicht eine Kernaufgabe des Rechtsstaats darin besteht, alles daranzusetzen, dass Werte und Interessen nicht auseinandergehen.
Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass Interessen werteungebunden, einfach frei florieren.
({9})
Wenn Sie Rüstungsgüter nach Katar und Saudi-Arabien verkaufen, kann ich nur darauf hinweisen - das haben wir bereits häufig getan, und das kann man nicht oft
genug wiederholen -, wie moralisch verwerflich das ist
und was das für die Menschenrechtssituation vor Ort und
für die Abrüstungsbilanz der Bundesrepublik bedeutet.
Aber man muss Sie auch darauf hinweisen, dass Sie
Waffen an Länder liefern, die wiederum Gruppen mit
Waffen beliefern, die in einzelnen Einsätzen auf die
Bundeswehr schießen. Das heißt, Sie liefern indirekt
Waffen, die am Ende gegen die Bundeswehr, die wir entsenden, eingesetzt werden. Ich glaube, das ist nicht nur
moralisch verwerflich, das ist nicht nur verheerend für
die Abrüstungsbilanz, sondern diese Regierung ist auch
ein Risiko für die nationale Sicherheit Deutschlands.
({10})
Herr Minister, Sie sagen so häufig, Sie hätten gerne
eine breite Debatte. Kommen Sie doch her! Ich schenke
Ihnen Redezeit, sagen Sie doch einmal drei Sätze dazu.
Sagen Sie etwas dazu, was es eigentlich bedeutet, wenn
Katar Waffen bekommt und gleichzeitig die Dschihadisten, die gegen die Bundeswehr kämpfen, beliefert und finanziert. Sie wollen die Debatte und führen eine Evaluation der Bundeswehrreform 2014 durch. Das ist nach
dem Wahlkampf. Dafür kann es sachliche Gründe geben.
Aber es geht nicht, dass Sie sagen, Sie wollten Sicherheitspolitik an sich aus dem Wahlkampf heraushalten.
Das habe ich am 8. Mai 2013 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gefunden. Das mutet nach einem
Minister an, der zwar immer eine Debatte fordert, aber
der einfach nicht bereit ist, vor Wählerinnen und Wählern Rechenschaft abzulegen. Wenn man sich die Bilanz
anschaut, dann weiß man auch, warum.
({11})
Die Soldaten bekommen das natürlich alles mit. Die
Stimmung in der Truppe ist dementsprechend. Ihre Antwort darauf ist: Nicht jammern, nicht gieren nach Anerkennung. - Das, was Sie heute „geistige Dimension“ genannt haben, besteht bei Ihnen in dem Motto „Indianer
kennen keine Schmerzen“. Das ist aber ein massiv überholtes Bild vom Soldatenberuf. Es geht hier im 21. Jahrhundert um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit
Rechten, denen man mit ein bisschen mehr Respekt, gerade bei dem harten Job, den sie haben, begegnen sollte.
Sie aber vergrößern immer nur die Verunsicherung.
Die Neuausrichtung ist nicht neu, sie hat keine Richtung. Das Ziel hätte sein müssen, dass die Bundeswehr
effizienter wird. Das Ziel hätte sein müssen, dass sie billiger wird. Das, was Sie vorlegen, ist teurer, vergrößert
die Effizienzlücken und führt am Ende dazu, dass der
Beschaffungswahnsinn weitergeht, dass die Millionenlöcher, die Sie weiterhin graben, immer größer werden.
Das muss ein Ende haben. Aber es dauert nur noch vier
Monate, und dann gibt es ein Ende.
({12})
Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Schnurr
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach der vorangegangenen Debatte bleibt nur noch zu
sagen: Die Bundeswehrreform ist ein echter Erfolg. Obwohl die Opposition hier in der ersten Runde nicht über
die Aspekte der Bundeswehrreform diskutiert und debattiert, sondern die Problematik Euro Hawk - die Thematisierung ist berechtigt - und die Frage von Rüstungsexporten anspricht, so wird aus der Debatte doch deutlich,
dass diese Regierungskoalition viel für die Bundeswehr
erreicht hat, auch mit der Bundeswehrstrukturreform.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, zur
Euro-Hawk-Thematik: Ja, hier sind nicht nur Missstände
aufgedeckt worden, sondern das gesamte Verfahren ist
äußerst ärgerlich. Da sind wir, glaube ich, einer Meinung. Der Minister hat aus guten Gründen gleich zu Beginn seiner Rede gesagt, dass er auf diese Thematik
heute an dieser Stelle nicht eingehen möchte, sondern
dass wir darüber zu einem anderen Zeitpunkt debattieren
werden. Wir werden dies nicht nur im Haushaltsausschuss, sondern auch im Verteidigungsausschuss noch
einmal thematisieren; aber heute geht es um die Neuausrichtung.
Wenn wir uns die Thematik anschauen, dürfen wir
uns nicht nur darauf konzentrieren, warum es in der letzten Woche zu der Entscheidung gekommen ist, die sogenannte Reißleine zu ziehen, sondern wir müssen uns
auch ganz genau anschauen, wann die ersten Vorüberlegungen angestellt wurden und die Entscheidung, dieses
System zu kaufen, getroffen wurde. Letztendlich geht es
auch darum, welche Fehler von 2004 bis 2013 gemacht
wurden.
Die Euro-Hawk-Problematik zeigt auch auf, dass wir
ein Problem im Bereich der Beschaffungsvorhaben der
Bundeswehr haben. Deswegen ist es gut, dass im Rahmen der Bundeswehrstrukturreform in Zukunft klare Zuständigkeiten, klare Kompetenzen und eine klare Verantwortung bei Beschaffungsvorhaben vorliegen sollen.
({1})
Ich hätte, ehrlich gesagt, auch erwartet, dass die Opposition am heutigen Tag einmal erklärt, dass sie die
Entscheidung, eine Reform durchzuführen, grundsätzlich befürwortet,
({2})
auch wenn sie natürlich einzelne Kritikpunkte hat. Das
ist ausgeblieben. Von den Grünen hätte ich erwartet, dass
sie positiv erwähnen, dass diese Regierungskoalition das
umgesetzt hat, was sie seit Jahren und Jahrzehnten gefordert haben - genauso wie die FDP -, nämlich die
Aussetzung der Wehrpflicht. Sie ist eine Erfolgsgeschichte für die Bundeswehr. Das belegen die aktuellen
Bewerberaufkommen. Die Bundeswehr hat momentan
kein Nachwuchsproblem, wenngleich die Nachwuchsgewinnung eine große Herausforderung bleibt; der Minister hat es zu Recht angesprochen. Insofern ist es unser
aller Aufgabe, die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu gestalten.
Ja, dem Reformprozess sind eine breite Diskussion
und eine breite Beteiligung im Parlament und auch in der
Öffentlichkeit vorausgegangen. Zunächst wurde die
Weise-Kommission eingesetzt. Dazu fanden Meinungsbildungen in den Fraktionen, beim BundeswehrVerband
und auch beim Reservistenverband statt. Der Generalinspekteur hat die verschiedenen Modelle im Verteidigungsausschuss vorgestellt, und anschließend gab es eine
Festlegung der Regierungskoalition über die Eckpunkte
der Neuausrichtung und daraufhin die Entscheidung des
Bundesministers. Diese Reform steht in der Tat auf einem
soliden Fundament, so wie man es sich wünschen kann.
Meine Redezeit geht zu Ende. Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, und zwar auf die Frage der Finanzierbarkeit. Herr Arnold beispielsweise hat nämlich gesagt, es fehle an jeder Ecke Geld, unter anderem für
Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war diese Bundesregierung
bzw. diese Koalition, die es geschafft haben, die Bundeswehr auf eine solide Finanzierungsgrundlage zu stellen,
auch durch ganz bestimmte Maßnahmen, etwa dadurch,
dass wir das Sparziel gestreckt haben; das ist richtig.
Aber heute ist der Finanzierungsrahmen besser als vor
vier Jahren. Mit Blick auf das Wahlprogramm der Grünen möchte ich einen Satz zitieren - Herr Präsident,
dann komme ich zum Ende -:
Wir wollen über 10 % des derzeitigen Wehretats
einsparen.
({3})
Daran sieht man in der Tat: Die einen wollen bei der
Bundeswehr sparen; die anderen wollen die Bundeswehr
zukunftsfit gestalten.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.
({4})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Wort
zur Euro-Hawk-Debatte: Es ist schon bemerkenswert,
dass am Mittwoch vergangener Woche im Kabinett ein
Bericht zu den 30 Hauptwaffensystemen der Bundeswehr vorgelegt wurde ({0})
- ja, ja -, die strukturrelevant sind. Dieser Bericht enthält Obergrenzen hinsichtlich der Anzahl der Panzer und
der geschützten Fahrzeuge; vorgesehen waren auch fünf
Euro Hawk und vier Global Hawk. Zwei Tage später, am
Freitag, entscheidet ein Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, dass die beiden Hauptwaffensysteme Euro
Hawk und Global Hawk aus diesem Bericht herausgestrichen werden. Es ist schon bemerkenswert, wer das
entscheidet.
({1})
- Herr Präsident, Herr Brandl ruft dazwischen. Geben
Sie ihm Redezeit?
Da Sie dem Haus nicht erst seit gestern angehören,
sollten Sie mit Zwischenrufen als gelegentlichen parlamentarischen Übungen hinreichend vertraut sein.
({0})
Wenn Herr Brandl eine Zwischenfrage stellt, habe ich
mehr Redezeit. Das wäre besser.
({0})
- Jetzt will er eine Zwischenfrage stellen. Da eine Zwischenfrage meine Redezeit verlängert, bin ich einverstanden.
Wenn ich dem zustimme, was ich ausnahmsweise tue.
Bitte schön.
({0})
Herr Kollege Bartels, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Tabelle, die Sie zitiert haben, die Überschrift trägt: „gebilligte Obergrenzen“? Es geht um
Obergrenzen, die vom Minister gebilligt worden sind. Es
geht also nicht um etwas, was endgültig beschafft wird.
Die Überschrift dieser Tabelle lautet: „Strukturrelevante Hauptwaffensysteme der Streitkräfte“. Sie befindet sich auf Seite 24 des vom Kabinett gebilligten Berichts über die Neuorganisation der Bundeswehr.
Ich bemerke, dass zwei Tage später ein Staatssekretär
zwei dieser Hauptwaffensysteme aus der Tabelle herausstreicht. Es ist wohl mit einer gewissen Absicht geschehen, dass es der Staatssekretär und nicht der Minister
war, der dies getan hat. Der Minister hat das Wort „Euro
Hawk“ auch heute nicht in den Mund genommen. Das
Problem, das Ihr Haus hat, ist, dass Sie seit zwei Jahren
wissen, dass es gravierende Probleme bei diesen Hauptwaffensystemen der Bundeswehr gibt, und dass Sie den
Bundestag nicht darüber unterrichtet haben und sich
zweimal über den Haushalt weiteres Geld dafür haben
beschließen lassen. Wir als Bundestagsabgeordnete wissen darüber nichts. Wir bekommen es erst auf Nachfrage
mit, und dann sagen Sie: Jetzt ziehen wir die Reißleine. So geht es nicht! Das Verhältnis von Parlament und
Ministerium muss anders gestaltet werden. Das ist kein
vertrauensvolles Miteinanderumgehen. Sie haben die
Verantwortung dafür, dass das Parlament über zwei
Jahre getäuscht worden ist.
({0})
Ihre Bundeswehrreform, Herr Minister, steht unter
keinem guten Stern. Sie haben noch einmal eine rein nationale Reform versucht. Das ist altes Denken. Wir Europäer stehen in den gleichen Auslandseinsätzen - auf
dem Balkan, in Afghanistan, in Afrika und auf hoher
See. Wir vertreten die gleichen Werte. Wir haben in Europa manche alten Strukturen. Wir alle beschließen
Sparhaushalte, auch für das nationale Militär. Deshalb
wäre es besser gewesen, vorher mit den Briten, den
Franzosen, den Italienern, den Spaniern, den Polen darüber zu reden: Wer will wo Schwerpunkte setzen, und
was kann man gemeinsam organisieren?
Stattdessen hat der Verteidigungsminister erst im
April in einem Interview mit dem britischen Guardian
beteuert, er wolle ausdrücklich keine europäische Armee. Das scheint er für eine Art sozialdemokratisches
Hirngespinst zu halten. Aber wie, um Gottes willen, ist
dann diese gefährliche SPD-Politik in Ihren schwarzgelben Koalitionsvertrag geraten?
({1})
Dort steht nämlich das Ziel einer europäischen Armee.
Oktober 2009! Da steht ausdrücklich: „Langfristiges Ziel
bleibt für uns der Aufbau einer europäischen Armee“,
übrigens „unter voller parlamentarischer Kontrolle“; das
steht da auch. Recht haben Sie, vollkommen recht! Das
ist ganz und gar die Meinung der deutschen Sozialdemokratie. Das darf man aber nicht nur aufschreiben; das
muss man auch machen. Man muss Schritte auf dieses
langfristige Ziel zu machen, wenn man es denn ernst
meint. Aber Ihnen ist es nicht wirklich ernst damit, Herr
Minister; siehe Guardian-Interview.
({2})
Wieso machen Sie ein Geschäft mit der bayerischen
Hubschrauberindustrie, nach dem die Ihnen nun 25 Prozent weniger Hubschrauber liefert, der Bund bei der Beschaffung aber nur 2 Prozent vom Vertragsvolumen
spart? Das klingt wie ein ganz besonders schlechtes Geschäft. Warum lassen Sie die überzähligen Tiger und
NH90 nicht bauen und verkaufen sie zum Freundschaftspreis weiter an EU-Partner, die ihre Streitkräfte auch gerade modernisieren? Das wäre gut für die Partner, gut für
die Standardisierung in Europa, gut für die Ausbildung
und Instandhaltung, die man in Europa gemeinsam machen könnte, gut also auch für Europa, und ein bisschen
Geld hätte es auch gebracht, jedenfalls mehr als 2 Prozent Ersparnis, für die Sie persönlich so kraftvoll mit
Herrn Enders von EADS verhandelt haben. Wenn es Ihr
mitgebrachter Staatssekretär gewesen sein sollte, der Sie
da so schlecht beraten hat, dann wechseln Sie ihn aus! Er
ist zu teuer für Sie und zu teuer für unsere Bundeswehr.
Es ist der gleiche, der das Drohnendesaster zu verantworten hat.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wenn Ihr langfristiges Reformziel eine europäische Armee ist, dann hat dieses Ziel bei dieser Reform erkennbar
keine Rolle gespielt. Wenn das Ziel gewesen sein sollte,
Geld zu sparen - das war der Ausgangspunkt bei Minister
zu Guttenberg; wir erinnern uns: die Schuldenbremse als
höchster strategischer Parameter der Bundeswehrreform -,
wenn es also ums Sparen gegangen sein sollte, dann ist es
damit auch wieder nichts. Fehlanzeige! Wir schauen auf
die Haushaltszahlen: Sie steigen. Wohlgemerkt: Wir kritisieren nicht die steigenden Zahlen - das hatten wir Ihnen
vorhergesagt -; wir kritisieren die Politik der dröhnenden
Ankündigungen - 8,3 Milliarden Euro sollten eingespart
werden -, die man hinterher stillschweigend wieder einkassiert. Das ist es, was die Öffentlichkeit als schlechtes
Reformmanagement wahrnimmt.
({4})
Hören Sie auf mit den Tricks, die es so aussehen lassen sollen, als würde doch kräftig gespart! In Wirklichkeit werden nur Kostenblöcke verschoben. Das passt
nicht zu Ihrem seriösen Image, Herr Minister. Wenn
2 500 Zivilbeschäftigte aus dem Geschäftsbereich des
Verteidigungsministers in die nachgeordneten Bereiche
des Innenministers und des Finanzministers outgesourct
werden mit der gleichen Aufgabe, nämlich für die gleiche Bundeswehr Bezüge und Beihilfen zu berechnen
und Dienstreisen abzurechnen, nur hinter einem anderen
Türschild, dann ist das nahe an haushaltspolitischer Täuschung. Es spart nicht. Im Gegenteil: Ihre eigenen Fachleute geben zu, dass sogar noch Zusatzkosten für neue IT
anfallen. Wir lehnen diese Verstöße gegen den Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit ab.
({5})
Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warum diese fünfte Bundeswehrreform innerhalb von 20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges noch einmal mit diesem großen Pathos des
ganz Neuen, endlich einmal vernünftig Durchdachten,
objektiv Richtigen angepriesen wurde. Eine Nummer
kleiner hätte es vielleicht auch getan.
Es war bisher nicht alles Murks, und es wird in Zukunft nicht alles Gold. Man muss nicht an jedem
Schräubchen drehen, nur weil man es kann. Dass so
viele Soldatinnen und Soldaten, so viele Zivilbeschäftigte heute immer noch nicht wissen, wie es mit ihrer beruflichen Zukunft weitergeht, das ist kein Zufall, das ist
kein Versehen; das ist strukturell so gewollt.
Minister de Maizière hat selbst immer wieder die Metapher benutzt, er wolle die Treppe von oben kehren,
also mit den Veränderungen oben anfangen. So läuft das
jetzt auch ab. Das heißt für viele an der breiten Basis, in
den Bataillonen und Dienststellen: Sie werden die Letzten sein, die Sicherheit über Dienstposten und die eigene
Verwendung haben. Wenn dieses personalwirtschaftliche
Prinzip „die Treppe von oben kehren“ ein Experiment
gewesen sein sollte, dann würde ich empfehlen, es als
gescheitert zu betrachten. Es hat sich nicht bewährt.
Drei Jahre nach Ausrufung der neuen Reform durch
Minister zu Guttenberg herrschen immer noch Unsicherheit und Unbehagen bei den meisten Reformbetroffenen
vor. Der BundeswehrVerband hat das mit seinen Umfragen eindrucksvoll bestätigt. Das Bild vom Burn-out der
Bundeswehr, mit dem Oberst Kirsch die Lage gekennzeichnet hat, ist sehr treffend. Deshalb werden wir Sozialdemokraten diese Reform nicht wieder komplett umkrempeln, wenn die Regierung wechselt. Manches ist
ausgezeichnet gelungen und sollte von Dauer sein: Das
Heeresmodell der sechs Standardbrigaden ist gut, ebenso
das Festhalten am gepanzerten Kern.
Zum Schluss noch ein Wort zur Amtsführung des
Ministers, der diese Reform zu verantworten hat. Es gab
viele Vorschusslorbeeren
({6})
und auch weithin anerkannte Verdienste aus der Zeit der
vorherigen Regierung. Thomas de Maizière ist in jeder
Beziehung ein anderes Kaliber als Karl-Theodor zu
Guttenberg. Aber es läuft im Moment nicht so gut für
den Minister.
({7})
Wenn ich mir das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit anschaue, stelle ich fest: Es wachsen die Irritationen und die Kritik.
({8})
Der Satz mit den Worten „Gier nach Anerkennung“ hat
viele Soldaten vor den Kopf gestoßen. So sollten Sie als
oberster Dienstherr nicht über Ihre Untergebenen reden,
Herr Minister.
({9})
Ihre Debatte um den Veteranentag hatte etwas sehr
Künstliches. Gut, dass Sie hier keine allzu hohen Erwartungen mehr wecken. Der seltsame HubschrauberEADS-Deal und das Euro-Hawk-Debakel zeugen nicht
von hoher Regierungskunst. In der Kampfdrohnenfrage
haben Sie sich offenbar erst von den eigenen Leuten
wieder auf den Boden der Realität holen lassen. Nichts
überstürzen; es gibt heute keine Fähigkeitslücke. Und
dass alle Waffen ethisch neutral seien, haben Sie natürlich nicht ernst gemeint. Das können Sie nicht ernst gemeint haben, Herr Minister.
Die Bundeswehr hat heute im Einsatz und in der Reform schwierige Zeiten zu bestehen. Es ist nicht die Aussicht auf geniale neue Strukturen, die gegenwärtig sozusagen den Laden am Laufen hält, sondern es sind die
Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten, die
nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern kameradschaftlich und kollegial das Chaos meistern und dem
täglichen Wahnsinn trotzen, weil sie ihren Dienst und die
ihnen anvertraute Aufgabe mögen. Sie tun oft sehr viel
mehr als ihre Pflicht.
Ich danke Ihnen.
({10})
Burkhardt Müller-Sönksen hat nun für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Nein, es ist gar nicht wahr. Entschuldigung, ich habe
den Kollegen Otte übersehen.
({1})
- Ja, ist gut. Wir können das aber friedlich lösen, bevor
beide gleichzeitig am Pult stehen.
({2})
Bitte schön, Herr Kollege Otte.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Bartels, Ihre Rede war kein wirklicher Ansatz von Kritik. Sie haben um Argumente gerungen, haben aber kein
wirklich gewichtiges Argument genannt.
Ich habe mich zudem gefragt, warum Ihr Spitzenkandidat heute nicht eine Minute bei dieser Regierungserklärung anwesend war. Entweder hat er den Anspruch
verloren, oder ihm ist das zentrale Thema der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht wichtig.
({0})
Der erfolgreiche Einsatz für Frieden auf dieser Erde
und für die Sicherheit unseres Landes ist nicht selbstverständlich. Es bedarf dazu einer andauernden Anstrengung und eines konsequenten Handelns. Ich danke daher
ausdrücklich zu Beginn meiner Rede unserem Verteidigungsminister Thomas de Maizière dafür, dass er die
Neuausrichtung der Bundeswehr als konsequente Antwort auf die sicherheitspolitische Analyse gleichsam mit
Ruhe, Stärke und Weitsicht erfolgreich vorangetrieben
hat.
({1})
Diese Neuausrichtung stellt die wohl intensivste Anpassung der Streitkräfte in der Geschichte der Bundeswehr an die Erfordernisse der Gegenwart und der Zukunft
dar. Die Aussetzung des verpflichtenden Wehrdienstes,
die damit einhergehende Reduzierung des Truppenumfangs und die Schließung von Standorten sind - das ist
ganz klar - eine Herausforderung für die Beteiligten.
Unter dem Strich war und ist die Neugestaltung der
Bundeswehr eine zwingende Schlussfolgerung der sicherheitspolitischen Analyse. Die christlich-liberale Koalition hat sich dieser Aufgabe angenommen und den
Umbau der Armee sicherheitspolitisch begründet, demografiefest ausgestaltet und finanzpolitisch abgesichert.
Diese Neuausrichtung gibt der Bundeswehr bis weit in
die Zukunft hinein Handlungssicherheit.
Viel mehr noch: Die Sicherheit Deutschlands - darum
geht es bei der Bundeswehr in erster Linie - kann auf
diese Weise gewährleistet und gestärkt werden. Es darf
und wird aber keine weitere Reduzierung des Umfangs
geben, schon gar nicht aus finanziellen Gründen. Dafür
stehen wir von der Union auch nach der Wahl. Das unterscheidet uns von der Opposition.
({2})
Eng mit einer soliden Finanzierung hängt die Modernität der Ausrüstung zusammen. Die Bundesregierung
hat mit einer soliden Planung und einer moderaten Verringerung von Stückzahlen den finanziellen Handlungsspielraum der Bundeswehr verbessert. Erstmals seit
Jahrzehnten ist der Druck auf den Ausrüstungstitel gesunken und Geld für andere Dinge verfügbar gemacht
worden.
({3})
Die Bundeswehr ist während unserer Regierungszeit zu
einer der modernsten Armeen der Welt geworden.
Wir haben die richtigen Lehren aus den Einsätzen für
die Beschaffung gezogen.
({4})
Vor der Neuausrichtung waren die Systeme zum Teil erheblich verzögert geliefert worden. Das hat sich mit dem
neuen Beschaffungs- und Nutzungsprozess wesentlich
verbessert. Wir Verteidigungspolitiker haben die langen
Entwicklungs- und Lieferzeiten nicht geduldet. Das neue
Beschaffungskonzept ist der richtige Schritt. Es dokumentiert den Willen der notwendigen engen Zusammenarbeit aller Beteiligten aus der Truppe und mit der Fachexpertise der Wirtschaft, mit dem Ziel, das Gerät zu
beschaffen, das unsere Soldaten für den Einsatz in allen
denkbaren Szenarien benötigen.
Daraus abgeleitet wurde das Prinzip „Breite vor
Tiefe“. Dieses Prinzip ist richtig; denn es ermöglicht uns
politische Handlungsoptionen und macht uns flexibel in
der Gestaltung von Mandatsausübungen. Auf diese
Weise kann Deutschland seiner sicherheitspolitischen
Verantwortung in Europa und der Welt nachkommen.
Die Neuausrichtung - „Breite vor Tiefe“ und Steigerung
der Durchhaltefähigkeit auch durch multinationale Ergänzungen - steht für das, was wir wollen; denn sie ist
Ausdruck von Souveränität, von Kooperationsfähigkeit
und von Bündnistreue. Dafür steht die Union. Dafür
steht auch Deutschland.
({5})
Meine Damen und Herren, ich sehe auch in sicherheitspolitischer Hinsicht zum jetzigen Zeitpunkt keine
Alternative zu dieser Maßgabe. Wir sind uns einig:
Deutschland kann und will Konfliktvermeidung und -verhütung in mandatierten Einsatzgebieten nicht alleine
durchführen. Kein Land in einer eng vernetzten Welt
kann das. Eine immer engere Zusammenarbeit der Nationen innerhalb von UN-Mandaten, innerhalb der NATO
und der EU-Staaten durch Pooling und Sharing ist ein
gangbarer, ja zukunftsfähiger Weg, und zwar auch um unterschiedliche Fähigkeiten in einem Einsatz bereitzustellen.
Es stellen sich aber zwei grundlegende Fragen: Erstens. Wie erhalte ich die einzelnen Fähigkeiten in den
Bündnisstaaten? Zweitens. Wann und wie beginne ich
mit der Zusammenarbeit unter den neuen Bedingungen?
Visionen von einer europäischen Armee sind gut und
schön. Wir sollten aber nicht euphorisch damit umgehen.
Wir sollten nicht nur den großen Wurf suchen, sondern
uns ganz pragmatisch um die Umsetzung kümmern. Die
Europäische Union wurde schließlich auch nicht an einem Tag erschaffen, sondern Schritt für Schritt. Die Sicherheitspolitik ist für die christlich-liberale Koalition zu
wichtig, um aus ihr ein Experimentierfeld zu machen.
Ich warne davor, das Pferd von hinten aufzuzäumen.
Vielmehr müssen wir Smart Defense auch smart betreiben und Pooling und Sharing vom Kopf auf die Füße
stellen.
Wenn das Motto „Train as you fight“ für die Bundeswehr richtig ist, dann bestimmt das auch die multinationale Ebene. Wir arbeiten im Einsatz sehr erfolgreich mit
unseren Partnern zusammen. Meines Erachtens beginnt
die Zusammenarbeit als solche aber zu spät. Wir sollten
vielmehr früher ansetzen und in Form einer gemeinsamen Ausbildung beginnen, und zwar dort, wo es schon
heute möglich ist. Es gibt hier gute Beispiele, etwa bei
der Tiger-Ausbildung oder der gemeinsamen Nutzung
des Gefechtsübungszentrums.
Wenn wir abwarten, bis im europäischen Abstimmungsprozess für jede Nation Kernfähigkeiten definiert
sind, werden wir nirgends in Europa funktionierende
Streitkräfte erhalten können. Es kann gelingen, mit einer
gemeinsamen Ausbildung zu beginnen, ohne damit einhergehende staatsrechtliche Probleme, etwa die Parlamentsbeteiligung usw., usf., sofort regeln zu müssen.
Durch die Multinationalisierung der Ausbildung und der
Ausbildungseinrichtungen würde die europäische Interoperabilität auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Das ist
aus meiner Sicht die Fortführung einer erfolgreichen
Neuausrichtung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die christlich-liberale Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben bei der notwendigen Konsolidierung nicht nur in der Wirtschaftsund Finanzpolitik, sondern mit der Neuausrichtung der
Bundeswehr auch in der Sicherheitspolitik erledigt. Es
zeigt sich, Herr Nouripour: Wir können zusätzlich Umwelt, wir können Bildung, wir können Soziales, wir können Arbeit, und deswegen werden wir am 22. September
das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler bekommen.
({6})
Ich komme nun zu denjenigen, die für uns bei der
Neuausrichtung die wichtigsten Beteiligten sind: die
Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr, die
die Reform bei laufendem Einsatz gestalten müssen. Für
sie muss die Bundeswehr trotz aller reformbedingten
Veränderungen ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Ich
bin der Überzeugung, dass wir hier eine ordentliche Bilanz vorweisen können und einen guten Job gemacht haben.
Mit der Besoldungsverbesserung und der Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes wurden Bezugserhöhungen um durchschnittlich 8,1 Prozent sichergestellt. Mit
dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz
({7})
wurde die Versorgung von im dienstlichen Einsatz Geschädigten und der Hinterbliebenen wesentlich verbessert. Gerade im Bereich PTBS konnte viel gemacht werden. Ich weise auch auf die Härtefall-Stiftung für
Radargeschädigte und auf das Bundeswehrreform-Begleitgesetz hin, mit dem wir gemeinsam den Wegfall der
Hinzuverdienstgrenzen erreicht haben, aber auch auf die
Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die
über einen sehr kompetenten Background verfügt und
sich jetzt mit Vorfällen im Einsatz auseinandersetzen
kann. Bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie ist
noch Luft. Hier haben wir die gemeinsame Absicht,
noch vieles zu erreichen.
Aber noch nie wurden in einer Legislaturperiode so
viele Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten
erreicht.
({8})
All das dokumentiert: Die christlich-liberale Koalition
ist für die Bundeswehr und für unser Land richtig.
Meine Damen und Herren, ich habe skizziert, woher
wir gekommen sind und wohin wir wollen. Ich freue mich
auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit unserem
Bundesverteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière.
Mein Dank gilt auch unserem Koalitionspartner, der FDP,
mit dem wir immer sehr gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben.
({9})
Ich grüße an dieser Stelle unseren verteidigungspolitischen Sprecher Ernst-Reinhard Beck, der heute nicht
hier sein kann. Vor allem danke ich im Namen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion den Soldaten und den zivilen
Mitarbeitern, die in der Bundeswehr ihren Dienst leisten.
Ihnen gilt unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie stehen für
unsere Bundeswehr, für Frieden und Freiheit, für Verlässlichkeit und Professionalität, für die Sicherheit unseres Landes, und dafür danken wir ihnen.
({10})
Nun hat der Kollege Müller-Sönksen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Neuausrichtung der Bundeswehr ist eine Erfolgsgeschichte der koalitionsgeführten Bundesregierung; das
muss angesichts der heute hier teilweise neben dem
Thema des Tagesordnungspunktes geäußerten Kritik
gleich am Anfang unterstrichen werden.
({0})
Der Fokus der Neuausrichtung liegt völlig zu Recht
auf der Optimierung der Einsatzfähigkeit. Die Reform
ist kein Selbstzweck, sondern wird die Bundeswehr flexibler machen, damit sie ihre zukünftigen Aufgaben
bestmöglich erfüllen und unseren Verbündeten weiterhin
ein verlässlicher Partner sein kann.
Die grundsätzlichen strukturellen Veränderungen dieser Legislaturperiode gehen mit einem Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung unserer Soldaten und Soldatinnen einher. So hat die Aussetzung der Wehrpflicht - ein
lang verfolgtes Ziel der FDP - eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen. Mit dem Reformbegleitprogramm und legislativen Grundlagen wie dem novellierten
Einsatzversorgungsgesetz reagieren die Koalitionsfraktionen auf diese gesellschaftlichen Veränderungen.
({1})
Die Bundeswehr soll auch in Zukunft ein attraktiver
Arbeitgeber sein, der motivierte und engagierte junge
Menschen anspricht. Wenn ich die Opposition heute so
höre, dann weiß ich gar nicht, ob Sie mit Ihren Reden
überhaupt noch motivierte Menschen ansprechen und
adressieren wollen, um sie für unsere Bundeswehr zu gewinnen.
({2})
Wenn wir gemeinsam wollen, dass die Bundeswehr
ein attraktiver Arbeitgeber bleibt, müssen wir dafür sorgen, dass die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass sie
sich im Worst Case auf die Unterstützung der Bundesrepublik verlassen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten sollen wissen, dass wir im Ernstfall für sie und ihre
Angehörigen sorgen. Sie sollen sich nicht als Bittsteller
fühlen. Anerkennung für die Leistungen der Soldatinnen
und Soldaten drückt sich in jeder öffentlichen Würdigung aus, auch zum Beispiel im Umgang mit den Verwaltungsbehörden.
Es ist deshalb ein großer Erfolg, dass traumatisierte
Soldatinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt
werden als ihre Kameraden, die sichtbare körperliche
Schäden erlitten haben. Ich bin dankbar, dass wir dieses
wichtige Thema gemeinsam, über alle Fraktionsgrenzen
hinweg, angepackt haben.
({3})
Wir haben auch eine Härtefall-Stiftung ins Leben gerufen, damit niemand in Bezug auf die Absicherung
durch das Raster fällt. Ich denke dabei vor allem an die
Soldatinnen und Soldaten, bei denen sich die Verfahren
auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung über
Monate, manchmal Jahre hinziehen und die hierdurch in
eine finanzielle Schieflage geraten, von dem psychologischen Druck in dieser Situation ganz zu schweigen.
Neben den konkreten Verbesserungen in der Versorgung brauchen wir vor allem einen Paradigmenwechsel,
was die öffentlichen Anerkennung der Veteranen und der
Gefallenen angeht. Das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften wurde einmal sehr passend
als „freundliches Desinteresse“ beschrieben. Im Rahmen
dieser Reform gilt es, deutlich zu machen: Die gefallenen Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen gehören
in die Mitte unserer Gesellschaft.
({4})
Wir brauchen keine zur Schau gestellte Symbolpolitik
- nein, weiß Gott nicht -, sondern Aufrichtigkeit im
Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten, die wir aufgrund der Beschlüsse unseres Parlamentes in die Einsätze schicken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die
Neuausrichtung der Bundeswehr weiter vorantreiben und
die wichtige Debatte um die Verankerung der Truppe in
der Gesellschaft offensiv führen. Die Bundeswehr wird
gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen. Lassen Sie uns
diesen Weg gemeinsam beschreiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich auf diese Legislaturperiode zurückblicke und
nachdem ich die heute vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage gelesen habe, bin ich
schon etwas stolz darauf, was der Bundeswehr unter ihren Verteidigungsministern und mit der großen Unterstützung des Parlaments in den letzten Jahren gelungen
ist.
Die Bundeswehr ist 23 Jahre nach Ende des Kalten
Krieges im Jetzt angekommen. Sie hat sich in den
23 Jahren Schritt für Schritt von einer Armee der Landesverteidigung zu einer modernen Einsatzarmee entwickelt. Es war ein langer Weg mit vielen schweren Schritten. Der größte und letzte Schritt war die Aussetzung der
Wehrpflicht. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben uns in
der Union gerade mit dem letzten Schritt, der Aussetzung der Wehrpflicht, sehr schwergetan; aber am Ende
haben wir uns dafür entschieden, weil wir wussten, dass
dieser Schritt notwendig ist.
Wir haben den Soldaten in den letzten vier Jahren
ziemlich viel zugemutet. Einen Apparat wie die Bundeswehr bewegt man nicht so einfach. Vom Kabinettsauftrag bis zur Verkündigung der Feinausplanung vergingen zwei Jahre Planungszeit. Das bedeutete: Zwei
Jahre lang Unsicherheit für jede einzelne Organisationseinheit. Erst danach konnte der einzelne Soldat der Frage
nachgehen: Was passiert mit mir? Kann ich bleiben? Wie
sehen die Modalitäten aus, wenn ich ausscheide? Wo
finde ich meinen Platz in der neuen Bundeswehr? Es gibt
viele Soldaten, für die diese Fragen immer noch nicht
endgültig geklärt sind.
Hinzu kommt, dass wir in der Übergangsphase noch
die alten Strukturen haben, aufgrund der Aussetzung der
Wehrpflicht aber plötzlich viel weniger Soldaten, die
diese Strukturen ausfüllen müssen. Als Betroffener wäre
ich mit dieser Situation auch unzufrieden. Ich werbe
aber auch um Verständnis. Jeder Soldat und jeder Zivilbeschäftigte hat neben dem Anspruch auf Information
auch einen Anspruch darauf, dass eine einmal verkündete Entscheidung gültig bleibt. Darauf muss man sich
verlassen können. Wenn man diesen beiden Ansprüchen
gerecht werden will, dann muss gründlich geplant werden, und alle Abhängigkeiten, die in einer Armee bestehen, müssen berücksichtigt werden. Das braucht Zeit.
Ich habe großen Respekt vor denen, die diese Neuausrichtung fachlich planen. Ich habe großen Respekt vor
den Vorgesetzten, die vor der nicht immer einfachen
Aufgabe stehen, ihren Soldaten erklären zu müssen, dass
noch nichts sicher ist. Sie müssen ihren Soldaten die
Neuausrichtung erklären und ihnen sagen, dass es noch
ein bisschen dauern wird, bis endgültige Entscheidungen
getroffen werden und der Nutzen sichtbar wird. Ich habe
auch großen Respekt vor den Soldatinnen und Soldaten
und ihren Familien, die diese Phase der Unsicherheit
aushalten müssen.
({0})
Sie alle leisten das neben ihrem normalen Auftrag und
den Einsätzen, bei denen wir nicht einfach eine Pause
einlegen können. Dafür möchte ich ihnen von dieser
Stelle aus meinen Dank und meine große Anerkennung
aussprechen.
Die Unsicherheit, die uns in dieser Phase der Umsetzung der Neuausrichtung begleitet, wird mit jedem Tag
kleiner werden. Ich bin sicher, dass eine vergleichbare
Reform auf absehbare Zeit nicht notwendig sein wird.
Für mich hat die Bundeswehr ihre Zielstruktur erst einmal erreicht. Ich möchte das kurz begründen: Maßgeblich für die Neustrukturierung war der Bedarf an einem
möglichst breiten Fähigkeitsspektrum. Daneben waren
die verfügbaren Finanzmittel und das verfügbare Nachwuchspotenzial strukturbestimmend.
Ich weiß noch sehr genau, dass wir im Bundestag und
im Verteidigungsausschuss in den Jahren 2009/2010
über das Fähigkeitsspektrum gesprochen haben. Wir haben uns die Köpfe zermartert, wie mögliche Einsatzszenarien der Bundeswehr in der Zukunft aussehen könnDr. Reinhard Brandl
ten: Wo wollen bzw. müssen wir unsere Bundeswehr in
fünf oder zehn Jahren einsetzen? Damals hat niemand
von uns gedacht, weder von der Opposition noch von der
Regierung, dass wir nur zwei Jahre später - 2013 - mit
Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien stehen würden,
({1})
und keiner von uns hat damals gedacht, dass wir einen
Einsatz in Mali haben könnten - Pionierausbildung oder Einsätze im Senegal mit Lufttransport und Luftbetankung. Das war für mich prägend. Ich habe daraus die
Erkenntnis gezogen, dass man das vielleicht gar nicht
vorhersehen kann. Wir wissen heute nicht, welche Aufgaben wir 2015 mit der Bundeswehr zu bewältigen haben werden. Wir wissen nur, dass wir als größte Volkswirtschaft in Europa auch in Zukunft mit Verantwortung
für Frieden und Sicherheit in der Welt tragen werden.
Wir wissen auch, dass die Bedrohungen, insbesondere
die Bedrohungen durch zerfallende, schwache Staaten,
in Zukunft eher größer als kleiner werden.
Deswegen war der Ansatz „Breite vor Tiefe“ richtig;
denn eine erneute Verkleinerung oder ein anderer Ansatz
hätten bedeutet, dass wir auf substanzielle Fähigkeiten
hätten verzichten müssen. Ich tue mich wirklich schwer,
zu sagen, auf welche Fähigkeiten wir verzichten können,
weil ich nicht weiß, was wir in Zukunft brauchen werden; denn es gibt nun einmal Unsicherheiten in der Welt.
Ich hoffe, dass wir mit der Zeit immer mehr Fähigkeiten
in der NATO und in Europa gemeinsam erlangen werden. Aber das werden kleine Schritte sein, Stück für
Stück. Kollege Otte hat die Ausbildung angesprochen,
die man stärker europäisieren kann. Diese kleinen
Schritte werden in der nächsten Zeit nicht strukturbestimmend für die Bundeswehr sein.
Der zweite Grund, warum ich glaube, dass diese
Struktur Bestand haben wird, ist die Finanzierung. Es ist
gelungen, die Struktur der neuen Bundeswehr nachhaltig
zu finanzieren. Sie erleben es in den Haushaltsverhandlungen. Die Armee insgesamt wird kleiner, die Anzahl
der Soldaten und Zivilbeschäftigten nimmt ab, das Budget bleibt aber konstant. Was bedeutet das? Das heißt,
dass wir das Geld, das wir sparen, in die Verbesserung
der Attraktivität, in effektivere Strukturen und in die
Verbesserung der Ausrüstung für unsere Soldatinnen und
Soldaten stecken können.
Da haben wir große Fortschritte gemacht. Das erkennen wir, wenn wir daran denken, welche Diskussionen
wir am Anfang dieser Legislaturperiode geführt haben,
insbesondere über die Ausrüstung der Soldaten in Afghanistan. Der Wehrbeauftragte hat damals mehrmals
auf Probleme hingewiesen. Wenn ich sehe, welchen hohen, guten Ausrüstungsstand wir gerade in diesem Einsatz erreicht haben, dann muss ich sagen, dass das ein
riesengroßer Erfolg für die gesamte Bundeswehr ist.
({2})
Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, dann kann
ich feststellen: Niemand kritisiert, dass wir zu wenig
Geld für die Bundeswehr ausgeben, sondern die Kritik
richtet sich darauf, dass wir zu wenig sparen. Aber damit
kann ich als Verteidigungspolitiker sehr gut leben. Ich
sage auch, wem wir die gute Situation zu verdanken haben. Das ist vor allem ein Verdienst unseres jetzigen
Ministers Thomas de Maizière, der gemeinsam mit dem
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dafür gesorgt
hat, dass die Bundeswehr in Zukunft nachhaltig finanziert ist. Dafür meinen herzlichen Dank!
({3})
Der dritte Grund, warum ich glaube, dass diese Struktur hält, ist der starke Zulauf an Freiwilligen zur Bundeswehr trotz einer historisch guten Situation auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben so wenig Arbeitslose wie seit der
Wiedervereinigung nicht mehr. Wir hatten große Angst,
dass die Bundeswehr nach dem Aussetzen der Wehrpflicht Probleme hat, genügend qualifizierten Nachwuchs für die Strukturen zu finden, und wir sie deswegen irgendwann verkleinern müssen. Aber heute zeigt
sich, dass diese Angst unberechtigt war.
Dank einer aktuellen Anfrage der Linken wissen wir,
dass die Bundeswehr zum Beispiel bei den Offizieren im
letzten Jahr über 10 000 Bewerber bei knapp 1 800 Einstellungen hatte. In einzelnen Bereichen, zum Beispiel
bei der Marine und auch bei den IT-Kräften, gibt es Probleme, Nachwuchs zu finden. Aber wenn ich die gesamte Bundeswehr betrachte, dann ist es überhaupt kein
Problem, den Bedarf zu decken, und das, obwohl die neu
aufgestellte Organisation zur Nachwuchsgewinnung
noch gar nicht richtig angefangen hat, zu arbeiten.
Das ist ein Riesenerfolg und sagt auch etwas über den
Stellenwert der Bundeswehr in der Gesellschaft aus. Jeder, der heute zur Bundeswehr geht, weiß, dass er wahrscheinlich auch in einen Einsatz gehen muss. Aber er hat
das Vertrauen in die Bundeswehr und in uns Abgeordnete,
dass wir über die Einsätze nicht leichtfertig entscheiden.
Dieses Vertrauen haben wir uns in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der Opposition hart erarbeitet. Wir
müssen dem immer wieder neu gerecht werden.
Wir haben in dieser Legislaturperiode mit der Neuausrichtung der Bundeswehr ein großes Projekt erfolgreich aufs Gleis gesetzt. Wir sind damit aber noch nicht
am Ziel. Die Umsetzung dauert noch an. Wir werden
auch in den nächsten Jahren noch kräftig anschieben
müssen. Wir als christlich-liberale Koalition haben die
Bundeswehr erfolgreich in das Jetzt geführt. Ich wünsche mir, ich werbe dafür und ich kämpfe dafür, dass wir
im September vom Wähler den Auftrag bekommen, die
Bundeswehr auch erfolgreich in die Zukunft zu führen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach
§ 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich Kollegen
Volker Kauder.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In seinem Redebeitrag hat der Kollege Nouripour auf ein
Interview von mir hingewiesen, in dem ich formuliert
habe, dass es in der Politik durchaus Dilemmata geben
kann. Ich habe darauf hingewiesen, dass in Saudi-Arabien keine Religionsfreiheit herrscht und dass dort
Christen auch verfolgt werden.
({0})
Aber ich habe auch darauf hingewiesen, dass es in dieser
Region einen Zielkonflikt zwischen der Religionsfreiheit, die wir einfordern, und den Interessen in der Außenpolitik gibt. Wer den Eindruck erweckt, dass es solche
Dilemmata, solche Zielkonflikte nicht gibt, der macht
den Menschen etwas vor.
Ich bekenne mich in meinen Vorträgen zum Menschenrecht auf Religionsfreiheit; ich äußere mich also zu
genau diesem Dilemma und verschweige es nicht. Sich
aber hier hinzustellen und zu sagen, dies sei wohl ein typisches Problem einer konservativen, schwarz-gelben
oder christlich-liberalen Regierungskoalition, das ist von
einer Moral getragen, lieber Herr Nouripour, die ich
nicht akzeptieren kann. Ich habe in diesen Tagen ohnehin den Eindruck, dass Sie von den Grünen, was Ihre
moralischen Vorgaben angeht, sich zunächst einmal an
die eigene Nase fassen sollten, bevor Sie anderen Leuten
ständig die Moralkeule um die Ohren hauen.
({1})
Jetzt komme ich zum Thema. Ich möchte auf einen
Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 18. Februar dieses Jahres und auf einen Bericht von Spiegel Online vom
12. Juni 2011 zu sprechen kommen und nur einmal die
Fakten nennen, damit Sie Ihr Gewissen ein bisschen
schärfen können.
({2})
- Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen: Wenn man hier in
diesem Haus von einem Kollegen in dieser Art und
Weise moralisch angegriffen wird, wird man wohl noch
das Recht haben, sich zu verteidigen, ohne von Ihnen
vorgeworfen zu bekommen, ein Oberlehrer zu sein. Das
ist ja unglaublich! Sie sollten sich dafür schämen!
({3})
Jetzt komme ich zum Thema. Im Jahr 2004 wurden
von der rot-grünen Bundesregierung Genehmigungen
für Ausfuhren nach Saudi-Arabien erteilt. Dabei ging es
um Teile für Patrouillenboote, Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Logistikausrüstung und mehr. Die Süddeutsche Zeitung schreibt
dazu:
Die Geschäfte mit den Scheichs gingen also auch
damals schon ziemlich gut.
Auch Spiegel Online befasst sich damit, was Sie damals alles gemacht haben.
Herr Kollege Kauder, Sie wollten eine Erklärung zur
Aussprache abgeben
({0})
und nicht die Aussprache verlängern.
({1})
Ja, ich wollte das nur sagen.
Ich bitte sehr darum, die Grenzen der GO zu beachten.
({0})
Jawohl. - Bei Spiegel Online ist zu lesen:
Ich kann nur sagen: Jeder blamiert sich - so gut es
geht - selbst.
({0})
Dann heißt es dort:
Ein bisschen gilt das in diesen Tagen aber auch für
SPD und Grüne.
Das ist die Wahrheit. Geben Sie zu, dass es diesen Konflikt gibt, und tun Sie nicht so, als ob Sie sich immer astrein verhalten hätten. Sie haben nach Saudi-Arabien geliefert, obwohl Sie die Menschenrechtslage dort gekannt
haben.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/13480. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Linke
stimmt dafür. Dagegen stimmen die beiden Koalitions-
fraktionen, die Grünen und die SPD.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Michael Gerdes, Ulrike
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Gottschalck, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Projekt Zukunft - Deutschland 2020 - Bildungschancen mit guten Ganztagsschulen für
alle verbessern
- Drucksache 17/13482 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aydan
Özoğuz, Willi Brase, Ulla Burchardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Projekt Zukunft - Deutschland 2020 - Eine
moderne Integrationspolitik für mehr Chancengleichheit
- Drucksache 17/13483 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte all diejenigen, die an der Debatte jetzt nicht teilnehmen wollen,
den Saal zu verlassen, damit wir in Ruhe weiter debattieren können.
So, Kollege Steinmeier, Sie haben das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das ist ja eigenartig: Kaum ist die Bundeswehrdebatte vorbei, verlassen die Kabinettsmitglieder geradezu fluchtartig die Regierungsbank, keine Bundeskanzlerin mehr da, keine Arbeitsministerin mehr da, die
Plätze verwaist.
({0})
Aber genau das, meine Damen und Herren, ist eben symptomatisch: Entweder haben die Beteiligten immer noch
nicht begriffen, dass es beim Thema Bildung um die
zentrale Schlüsselfrage unserer gesamten Zukunft geht,
({1})
oder es ist die magere Bilanz von vier schwarz-gelben
Regierungsjahren, die Ihnen so peinlich ist, dass Sie sich
nicht hertrauen.
({2})
Diese Regierung hat wahrlich keinen Grund, stolz zu
sein. Die bildungspolitische Bilanz dieser Regierung ist
nicht nur ernüchternd, sie ist aus meiner Sicht sogar katastrophal: Statt mit vereinten Kräften den Kitaausbau
voranzutreiben, haben Sie sich lieber im Hickhack um
das Betreuungsgeld zerlegt.
({3})
Statt Kindern aus benachteiligten Familien gleiche Chancen zu eröffnen, haben Sie mit Ihren Bildungsgutscheinen
- ich sage: erwartungsgemäß - einen Flop gelandet. Statt
gemeinsam mit den Ländern zu arbeiten, beharken Sie
sich gegenseitig. Ich sage Ihnen: Das Kooperationsverbot
ist ein Fehler. In der Praxis taugt es nichts. Die Eltern, die
Menschen verstehen es nicht. Schwarz-Gelb schafft es
nicht einmal, im eigenen Laden eine gemeinsame Linie
zu finden.
({4})
Ich sage für uns: Dieses Kooperationsverbot ist ein in
Verfassungsrecht gegossener Irrtum, der beseitigt werden muss.
({5})
Wir sind dazu bereit - seien Sie es auch!
Vor Jahren - Sie werden sich erinnern - fand Ihre
Bundeskanzlerin es schick, von der „Bildungsrepublik
Deutschland“ zu reden. Bildungsrepublik wird man aber
nicht durch bloßes Beschwören. Der Begriff klingt
schön, klingt anspruchsvoll; aber es braucht Taten und
Entscheidungen, die den Weg dahin ebnen. Das Einzige,
was Sie geebnet haben, ist der Weg in die Einbildungsrepublik: Inszenierung statt echter Politik, Simulation statt
Weichenstellungen.
({6})
Aber Sie wissen es, Sie ahnen es: Das reicht nicht für unser Land.
Die Menschen draußen haben es in den letzten vier
Jahren immer wieder erleben müssen: Anstatt Politik zu
machen, anstatt Entscheidungen zu treffen, anstatt hier
in diesem Hause Gesetzentwürfe vorzulegen, tummelt
sich die Regierung auf Bildungsgipfeln, Zukunftsgipfeln
oder - vor wenigen Tagen erst - auf sogenannten Demografiegipfeln. Sie erstürmen einen ganzen Himalaya von
Gipfeln; nur, erreicht haben Sie bisher nichts.
({7})
„Über allen Gipfeln ist Ruh“ - wenn Sie Goethe schätzen; aber ich kann Ihnen versichern: Als Goethe das geschrieben hat, hat er nicht an Politik und erst recht nicht
an Ihre Regierung gedacht. Er hätte gesagt: „Über allen
Gipfeln ist Ruh; aber aus Ruhe und Stillstand entsteht
eben keine Zukunft“, und damit hätte er recht gehabt,
meine Damen und Herren.
({8})
Sie veranstalten einen Demografiegipfel, machen
aber nichts gegen den Fachkräftemangel. Sie veranstalten einen Frauengipfel, machen aber nicht wirklich etwas für Gleichstellung. Sie veranstalten Energiegipfel,
machen aber keine Energiewende. Sie veranstalten
IT-Gipfel, schaffen es aber nicht, den Breitbandausbau
voranzutreiben. In 45 Monaten schwarz-gelber Regierung haben Sie 45 Gipfel veranstaltet. Das ist simulierte
Politik in Serie.
({9})
Deshalb sage ich Ihnen: Kommen Sie hierher in den
Bundestag! Legen Sie Konzepte vor für die Bewältigung
der Folgen des demografischen Wandels, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für gleiche Chancen von
Frauen - mit einer ehrlichen Frauenquote! Und machen
Sie den Weg frei für den Ausbau von Ganztagsschulen,
wie wir das heute vorschlagen!
({10})
So geht Politik, die etwas will. Aber ich befürchte, Sie
wollen nichts außer wiedergewählt zu werden. Mit dieser Bilanz - das kann ich Ihnen versprechen - wird daraus nichts, und das ist gut für unser Land.
({11})
Wir haben in Deutschland alle Chancen, wir könnten
die erreichte Stärke nutzen und jetzt richtig loslegen;
aber Sie legen unser Land lahm. Deshalb ist die Bundestagswahl in 18 Wochen eine wirklich wichtige Wahl.
Entweder wir packen es und bereiten Deutschland auf
die Zukunft vor, oder unser Land fällt wieder zurück.
Wenn wir über Zukunft reden, dann gibt es aus meiner
Sicht nur drei wichtige Themen in diesem Land, nämlich
erstens Bildung, zweitens Bildung und drittens Bildung,
({12})
weil wir wissen und wissen sollten: Bildung ist der
Schlüssel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft,
für die Zukunft unserer Kinder und - das sage ich Ihnen
deutlich - auch für unsere wirtschaftliche Stärke. Das erfahren Sie doch auch von Ihren Leuten.
Schon heute drückt der Fachkräftemangel auf Innovation und Wachstum. Wir können es uns überhaupt nicht
leisten, auch nur ein einziges Kind zurückzulassen. Jedes
Jahr verlassen 60 000 Jugendliche ohne einen Abschluss
die Schulen, und nach den Arbeitslosenstatistiken sind
über 1 Million Menschen ohne die Chance auf geregelte
Arbeit. Das sind die, um die wir uns zu kümmern haben.
Für sie müssen wir uns anstrengen. Deshalb brauchen
wir mehr und gute Ganztagsschulen, wie wir sie heute in
unserem Antrag fordern.
({13})
Keiner bleibt zurück, jeder kriegt eine Chance: Das ist
mehr als nur das Schließen von Lücken bei den Facharbeitskräften. Wir müssen am Ende die Antwort auf die
Frage geben, ob unsere Gesellschaft lebenswert bleibt.
Nicht der Geldbeutel, das Stadtviertel oder die Herkunft
dürfen darüber entscheiden, welchen Schulabschluss ein
Kind macht, sondern es muss wieder das gelten, womit
wir, unsere Generation, groß geworden sind: Aufstieg
durch Bildung.
Die Frage ist aber doch: Was ist eigentlich von diesem
großen Versprechen an die Gesellschaft - Aufstieg durch
Bildung - übrig geblieben? Wenn man genau hinschaut,
dann sieht man doch: Ob man heute nach oben kommt,
hängt mehr denn je davon ab, ob man sich das leisten
kann.
({14})
1,5 Milliarden Euro geben heute Eltern jedes Jahr für
den privaten Nachhilfeunterricht aus. Das ist nichts anderes als die teilweise Privatisierung von Bildungschancen. Kleiner Geldbeutel, kleine Chancen: Diese Rechnung darf nicht gelten. Dafür, dass sie nicht gilt, gibt es
die Politik.
({15})
Gerade Kinder aus Zuwandererfamilien kommen
heute nicht oder zu wenig nach oben. Ich finde schon,
dass Sie sich hier besonders ignorant zeigen - ich nenne
Ihnen ein Beispiel, das ich Ihnen nicht ersparen kann -,
weil Sie mit dieser unsinnigen Betreuungsprämie auch
noch einen Anreiz geben, dass gerade die Kinder zu
Hause bleiben, die dringend auf Förderung angewiesen
wären. Sie vernichten die Chance, die diese Kinder brauchen. Sie alle haben Einzelbeispiele im Kopf und sind
ihnen begegnet.
Ich habe erst vor wenigen Monaten ein Mädchen türkischer Abstammung getroffen, dem nach dem Hauptschulabschluss Gott sei Dank ein Lehrer gesagt hat: Hör
jetzt nicht auf, mach deinen Realschulabschluss. Sie hat
ihren Realschulabschluss gemacht, ist weiter gefördert
worden und hat schließlich ihr Abitur gefeiert. InzwiDr. Frank-Walter Steinmeier
schen hat sie das Studium schon hinter sich. Individuelle
Förderung, Ermutigung in der Bildungspolitik - darum
geht es!
({16})
Ich will, dass solche Beispiele keine Einzelbeispiele
bleiben. Das wird uns aber nur mit mehr Ganztagsschulen gelingen.
Wir haben hier zu unseren eigenen Regierungszeiten
einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Das war nicht
ganz einfach. Ich glaube aber, das erste Ganztagsschulprogramm, das es damals gegeben hat, war ein Durchbruch. Wenn der Anfang auch gemacht ist, so heißt das
aber natürlich noch nicht, dass das Ziel erreicht ist. Die
Qualität in den Ganztagsschulen, die es gibt, ist nicht
überall so, wie wir uns das wünschen.
({17})
Das ist der Grund dafür, weshalb wir heute vor Sie treten und sagen: Wir brauchen ein Ganztagsschulprogramm 2.0.
({18})
Das soll den Ländern zu einem neuen Schub beim Ausbau verhelfen und dabei helfen, einen starken Akzent auf
Betreuungs- und Bildungsqualität zu setzen.
Ja, das kostet am Ende Geld. Unsere Programme kosten 8 Milliarden Euro über mehrere Jahre. Das geht eben
nur über eine gemeinsame Anstrengung. Das funktioniert
nicht mit einem Kooperationsverbot und Steuersenkungen und darf nicht über die Erhöhung der Neuverschuldung finanziert werden. Deshalb sagen wir vorneweg:
Für den, der Investitionen in Bildung wirklich ernsthaft
will,
({19})
darf auch ein höherer Spitzensteuersatz kein Tabu sein.
Das sagen wir ehrlich vor den Wahlen.
({20})
Ich bin mir sicher, die Menschen draußen im Land
sind da ein bisschen weiter als manche hier in Berlin.
Die wissen oder ahnen zumindest, dass es Bildung zum
Nulltarif nicht gibt, dass sich Investitionen in Bildung
aber am Ende auszahlen.
Ja, Bildung ist teuer, das stimmt. Aber es gibt eine Sache - hat John F. Kennedy gesagt -, die ist noch teurer
als Bildung, und das ist: keine Bildung. Damit hat er immer noch recht, meine Damen und Herren.
({21})
Wir bieten Ihnen deshalb an: Beschließen Sie mit uns
ein neues Ganztagsschulprogramm. Lassen Sie uns jetzt
einen kräftigen Schub geben, damit 2020 jedes Kind in
Deutschland, egal wo es wohnt, vor allem egal woher es
stammt, egal wie arm oder reich die Eltern sind, einen
Ganztagsschulplatz finden kann. Wir stehen bereit, wir
stehen auch jetzt vor den Wahlen noch bereit, dafür die
Weichen zu stellen. Sie können davon ausgehen, dass die
Mehrheit dafür im Bundesrat steht. Wir haben keine Zeit
zu vergeuden, und wir sind bereit, dafür jeden Sitzungstag zu nutzen.
Wenn Sie dafür den Weg frei machen, dann können
Sie sich in Zukunft Bildungsgipfel und Demografiegipfel sparen, dann können wir endlich wieder anfangen,
Bildungspolitik in diesem Land zu machen.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat nun Dorothee Bär für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Steinmeier, ich verstehe Ihre
Nervosität, weil Sie merken, dass es im September
schwierig werden wird. Dennoch finde ich es schade,
dass Sie hier die Chance vertan haben, dass Sie hier einfach nur laut waren und ganz bewusst und wider besseres Wissen die ganzen Erfolge, die wir in den letzten
Jahren erzielt haben, hier auch noch negieren.
({0})
Wenn sich die einzige Kritik darin erschöpft, zu fragen, wo ist denn der Minister oder die Ministerin, kann
ich nur sagen: Wir sind ja da, wir reden gern mit Ihnen,
und ich erkläre Ihnen auch gern, was wir alles geleistet
haben. Danach werden Sie aus der Debatte rausgehen
und sagen: Entschuldigung, Frau Bär, Sie hatten recht!
({1})
- Deshalb wäre es gut, einfach einmal zuzuhören.
Wenn Sie behaupten, die bildungspolitische Bilanz
sei katastrophal, wenn Sie sagen, der Kitaausbau gehe
schleppend voran, dann ignorieren Sie Fakten. Erstens
einmal war es unsere Fraktion, die diesen Kitaausbau
überhaupt auf den Weg gebracht hat.
({2})
Wir waren diejenigen, die gesagt haben: Der Bund ist
zwar nicht zuständig, aber wir machen das eben.
({3})
- Herr Kollege Oppermann, ich komme noch zum Betreuungsgeld, dann erkläre ich Ihnen, wie auch Sie das in
Anspruch nehmen können.
({4})
Also, wir haben den Kitaausbau angestoßen. Im April
haben wir beispielsweise in Bayern den 100 000. Krippenplatz eröffnet.
({5})
Damit haben wir in Bayern momentan eine Abdeckung
in Höhe von 50 Prozent.
Diese Woche hatten wir ein Gespräch mit Vertretern
der CSU-Landesgruppe und des Bayerischen Städtetages. Der Bayerische Städtetag ist kein Gremium, in dem
zu 100 Prozent CSU-Politiker sitzen. Der Präsident beispielsweise ist ein SPD-Oberbürgermeister. In unserem
Gespräch gab es auch vonseiten der SPD-Oberbürgermeister und Ersten Bürgermeister einen ganz, ganz großen Dank an die CSU-Landesgruppe dafür, dass wir uns
dafür eingesetzt haben.
({6})
- Ja, die Wahrheit tut weh.
Spannenderweise war es eben so, dass auch Ihre SPDOberbürgermeister zu uns gesagt haben, als ich sie nach
dem Rechtsanspruch gefragt habe: Rechtsanspruch, das
ist ja beeindruckend, damit haben wir überhaupt kein
Problem, das kriegen wir locker hin. Das hat mir zum
Beispiel der Nürnberger Oberbürgermeister gesagt. Er
hat auch darauf hingewiesen, dass er Angst hat oder zumindest denkt, dass einige Boulevardmedien versuchen
werden, jemanden zu finden, der dann klagt.
({7})
Aber all unsere Oberbürgermeister, egal ob sie von den
Freien Wählern, SPD oder CSU kommen, haben gesagt:
Das ist locker ab dem 1. August 2013 einzuhalten. Es
hieß nicht nur: „Danke, Bundesregierung“, sondern ganz
besonders: „Danke, CSU!“ - Das sehen wir natürlich als
Auftrag.
({8})
Herr Kollege Steinmeier, mir ist eines wieder aufgefallen: Ich finde es schade, dass Sie Ihre Redezeit nur
dazu genutzt haben - ich kenne Sie noch von früher aus
dem Auswärtigen Ausschuss, da waren Sie anders -,
({9})
unser Land und unsere Menschen systematisch schlechtzureden. Das finde ich schade. Ich finde es schade, dass
unsere ganzen Bemühungen und Ansätze, die wir auf
den Weg gebracht haben, schlechtgeredet werden und es
nur heißt: Ja, es gibt vielleicht auch ein paar positive
Beispiele. Warum werden diese ganzen Bemühungen,
die vor Ort stattfinden, so kaputtgemacht, indem man
sagt, das sei alles zu wenig oder das, was da an Engagement laufe, funktioniere nicht? Bei Ihnen läuft es immer
auf das Gleiche hinaus. Ihre Haltung widerspricht aber
völlig unserem Menschenbild. In Ihrer Rede ging es immer nur um Zwang und Bevormundung.
({10})
Schauen wir uns an, was SPD-Politiker gefordert haben: Buschkowsky fordert eine Kitapflicht für jedes
Kind mit Migrationshintergrund. Hannelore Kraft hat in
ihrem Wahlkampf eine grundsätzliche Kitapflicht gefordert. Herr Steinmeier fordert jetzt einen Ganztagsschulenzwang.
({11})
Was soll das eigentlich? Warum akzeptieren Sie nicht
auch Optionen?
({12})
Wir sind diejenigen, die sagen: Nicht alle Kinder sind
gleich.
({13})
Natürlich brauchen wir Ganztagsschulen, aber wir brauchen nicht für jedes Kind einen Platz in einer solchen
Schule. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass unser Vereinswesen kaputtgemacht wird. Ich möchte nicht, dass
funktionierende Familienstrukturen kaputtgemacht werden.
Herr Oppermann hat eben wieder das Betreuungsgeld
angesprochen. Für uns liegt der Schlüssel zu Integration
und zu Bildung an allererster Stelle in den Familien. Ich
lasse nicht zu, dass suggeriert wird, Bildung könne es
nur außerhalb von Familien geben.
({14})
Es ist auch spannend, zu sehen, wie die SPD hier wieder
versucht, publikumswirksam im Zusammenhang mit
dem bösen B-Wort die Gefahr heraufzubeschwören, dadurch würden Frauen von der Erwerbstätigkeit abgehalten.
({15})
Das Betreuungsgeld mit zunächst 100 Euro und dann
150 Euro wird längstens 22 Monate und in dem Zeitraum gezahlt, in dem die Kinder zwischen 14 und
36 Monate alt sind. Die SPD dagegen plant, das Kindergeld für Geringverdiener um monatlich 140 Euro aufzustocken,
({16})
und zwar 25 Jahre lang. Damit Sie verstehen, was in diesem Wahlkampf läuft, sage ich deutlich, dass hier ganz
bewusst versucht wird, Tatsachen zu verfälschen. Sie
wollen 25 Jahre lang mehr Geld zahlen, während wir ein
Betreuungsgeld für 22 Monaten übrigens nicht nur für
Mütter, sondern auch für Väter, die eine familiennahe
Betreuung möchten, eingeführt haben. Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie das Betreuungsgeld kritisieren.
({17})
Herr Kollege Steinmeier, Sie sind ja nicht bei uns im
Ausschuss. Erkundigen Sie sich einmal bei Ihren Familienpolitikerinnen und Familienpolitikern. Ich möchte
ein positives Beispiel, ein Erfolgsmodell, herausgreifen,
eines von vielen, zum Beispiel die bundesweite Offensive „Frühe Chancen“, die wir auf den Weg gebracht haben.
({18})
Auch Ihre SPD-Kolleginnen und -Kollegen loben uns
andauernd dafür, auch im Ausschuss.
({19})
Wir haben 4 000 Schwerpunktkitas ausgewählt, vor allem in sozialen Brennpunkten, um da Kinder in ihrer
sprachlichen Entwicklung zu begleiten und zu fördern.
({20})
Was ganz wichtig ist: Das gilt nicht nur für Kinder mit
Migrationshintergrund, sondern selbstverständlich auch
für Kinder aus Familien, bei denen die Spracherziehung
nicht an allererster Stelle steht. Mit dieser Offensive
konnten wir in den Schwerpunktkitas sehr viel Positives
schaffen.
Wir haben im Zusammenhang mit den Jugendfreiwilligendiensten ganz besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund angesprochen und gefördert. Wir haben
die „Aktion zusammen wachsen“ ins Leben gerufen. Wir
haben die Mehrgenerationenhäuser geschaffen. Schauen
Sie sich einmal vor Ort an, wie da Integrationspolitik
funktioniert, wie gut die Treffen für Eltern von Babys
und Kleinkindern sowie die Deutschkurse angenommen
werden. Insbesondere der Deutschkurs „Komm voran“
ist hier zu nennen.
({21})
- Natürlich ist das neu. Wir haben in dieser Legislaturperiode das Thema Integration extra für die zweite Förderwelle dieses Bundesprogramms auf den Weg gebracht.
Hätten Sie zugehört, wüssten Sie das. Mehr Integration
kann man sich überhaupt nicht vorstellen.
({22})
Uns ist wichtig: Wir stellen uns nicht so wie Sie hier
hin und sagen: Alles muss vom Bund gemacht werden,
Berlin kann es am besten. - Es war die unsinnige Idee
von ehemaligen SPD-Ministern, alles zentralistisch nach
Berlin zu verlagern.
({23})
Wir sagen: Es gilt das Subsidiaritätsprinzip. Erledigen
sollen die Aufgaben vor Ort diejenigen, die es am besten
können: Das sind die Menschen in den Kleinstädten, die
sich für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzen
und die Patenschaften übernehmen.
Wir sind auf einem hervorragenden Weg. Ich möchte
unseren Bundeswirtschaftsminister zitieren, der gesagt
hat: Wir leben im coolsten Land der Welt. - Wir werden
auch die nächsten vier Jahre für das coolste Land der
Welt Politik machen.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß
nicht, ob es für die CSU gerade die richtige Zeit ist, sich
so ausführlich zur Familienpolitik zu äußern.
({0})
Aber davon abgesehen haben wir ein gravierendes gesellschaftspolitisches Problem, das sich über viele Jahre
entwickelt hat. Ich werde es Ihnen ganz kurz zusammengefasst wie folgt nennen: Kinder waren mal für die Familien ein Sicherheitsfaktor - Kinder sind inzwischen
für die Familien ein Unsicherheitsfaktor. Wenn wir das
nicht ändern, dann nutzt Ihr komischer Gipfel, auf dem
Sie erzählen, dass wir irgendwann nur noch 63 Millionen statt 80 Millionen sind, überhaupt nichts.
({1})
Sie müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass die
Leute wieder gerne Kinder bekommen.
({2})
Sie haben es nicht handwerklich verlernt, sondern die
Bedingungen stimmen nicht.
Das Bildungssystem in Deutschland ist altmodisch
und antiquiert, chronisch unterfinanziert und unterscheidet die Bildungschancen ganz klar nach sozialer Herkunft.
({3})
Andreas Schleicher, der PISA-Koordinator der OECD,
hat gesagt: Wenn wir die Kinder des 21. Jahrhunderts
von Lehrern mit einem Ausbildungsstand des 20. Jahrhunderts in einem Schulsystem unterrichten lassen, das
im 19. Jahrhundert konzipiert wurde, dann kann das so
nicht funktionieren.
Das gegliederte Schulsystem stammt aus dem Kaiserreich. Wir haben es bis heute nicht überwunden. Das ist
ein Skandal sondergleichen.
({4})
Jetzt komme ich zum nationalen Bildungsbericht der
Bundesregierung, also unser aller gemeinsamen Bundesregierung, gesetzt von CDU, CSU und FDP, von 2012.
Was steht da drin? 50 000 junge Menschen sind ohne
Schulabschluss. 300 000 Ausbildungssuchende - das
sind 30 Prozent - landen in Übergangsschleifen. 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren sind ohne
Berufsabschluss. 7,5 Millionen Menschen - das alles laut
Bundesregierung - oder 14,5 Prozent der Bevölkerung
zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabeten. 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter
18 Jahren wachsen in sogenannten Risikolagen auf, also
mit armen oder bildungsfernen Elternhäusern.
({5})
Der Zusammenhang zwischen Bildungschancen und
sozialer Herkunft wird an einem Beispiel deutlich
- mehr Zeit habe ich nicht -: 24 Prozent der Kinder von
Nichtakademikern studieren sowie 71 Prozent der Kinder von Akademikern. Da ist doch ganz klar, welcher soziale Unterschied hier durch eine falsche Struktur im
Bildungssystem manifestiert wird.
({6})
Die öffentlichen Bildungsausgaben sind bei uns im
Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um 20 Prozent geringer als in den meisten Industriestaaten, im Vergleich zu
Skandinavien sogar um 50 Prozent. Der Gipfel ist, dass
Lehrerinnen und Lehrer zum Teil prekär beschäftigt
sind.
({7})
Wenn dann gesagt wird: „Das sind ja bloß Vertretungen“, dann sage ich: Dann sorgen Sie doch dafür, dass
sich endlich die Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen
und Lehrer verbessern und es an allen Schulen in
Deutschland eine ausreichende Zahl von Lehrerinnen
und Lehrern gibt!
({8})
Das Ganze machen wir als ein Industriestaat, der kaum
über Rohstoffe verfügt und schon deshalb, aber auch wegen der sozialen Gerechtigkeit auf eine gute Bildung angewiesen ist. Wir haben 16 Bundesländer, 16 verschiedene Schulsysteme und 16 verschiedene Lehrpläne. Ich
bitte Sie, da hat der Mann doch recht. Das ist 19. Jahrhundert. Das ist die Zeit der Postkutschen. Es hat mit dem
21. Jahrhundert rein gar nichts zu tun.
({9})
Es ist doch die Union, die immer den flexiblen Arbeitsmarkt predigt und sagt: Ein Ingenieur oder eine
Lehrerin müssen eben dahin umziehen, wo sie einen Job
kriegen, ob in Bayern, in Hessen oder in MecklenburgVorpommern. - Aber sie sollen auch Kinder haben, nach
Ihren Vorstellungen am besten drei. Aber dann frage ich
Sie: Wie sollen sie das gegenüber den Kindern verantworten, wenn sie jedes Mal das Schulsystem wechseln?
Das wäre völlig unverantwortlich. Schaffen Sie endlich
Bedingungen, dass wir von Mecklenburg-Vorpommern
bis Bayern ein Top-Bildungssystem haben, sodass man
umziehen kann, ohne sich Sorgen zu machen!
({10})
Wir können nicht - ich habe es schon gesagt - von der
einfachen Reproduktion der Bevölkerung ausgehen. Sie
haben gerade gesagt: Bis zum Jahr 2060 wird die Bevölkerung von 81,7 Millionen auf 65 Millionen Menschen
sinken. Das wollen Sie dadurch ausgleichen, dass Sie
Fachkräfte aus der Dritten Welt nach Deutschland holen
wollen.
({11})
Vielleicht braucht die Dritte Welt ihre Fachkräfte selbst.
Vielleicht sollten wir andere Wege gehen. Es geht
schließlich auch um Integration. Ich nenne Ihnen eine
spannende Zahl: 2,87 Millionen Menschen, zum Teil
auch Deutsche, leben in Deutschland mit Bildungsabschlüssen aus anderen Ländern, die hier nicht anerkannt
sind. Warum eigentlich nicht?
({12})
- 500 Anerkennungen im letzten Jahr. Das ist ja eine
tolle Zahl.
({13})
Wir brauchen eine gebührenfreie Anerkennung ausländischer Abschlüsse.
({14})
Dort, wo es erforderlich ist, muss eine Nachqualifikation
gebührenfrei angeboten werden; anders geht es überhaupt nicht. Das wäre einmal eine Leistung bei der Integration.
({15})
Welche Schule brauchen wir? Ich sage Ihnen ganz
klar, auch wenn Sie das nicht hören wollen: Ja, die Gemeinschaftsschule ist die Lösung. Ich weiß, dass Sie die
Gemeinschaftsschule immer Einheitsschule nennen. Das
ist großer Quatsch. Gemeinschaftsschulen lassen sich
ganz unterschiedlich ausrichten.
({16})
- Warten Sie doch! - Man kann Gemeinschaftsschulen
für alte Sprachen, für neue Sprachen, für Musik, für
Sport, für Tanz und für Mathematik und Naturwissenschaften einrichten. Man kann das sehr unterschiedlich
gestalten. Ich will Ihnen die Vorteile der Gemeinschaftsschule, wie wir sie in Berlin eingerichtet haben, nennen:
Es gibt keinen Schulwechsel mehr und keine feste Aufteilung in nach Leistung sortierten Gruppen, sondern einen individualisierten Unterricht und Förderung nach
den jeweiligen individuellen Fähigkeiten. Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen. Das alles ist ein großer
Vorteil.
Als die Gemeinschaftsschulen in Berlin gegründet
wurden, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeitgleich begonnen, die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, die eine Gemeinschaftsschule in Berlin
besuchen, mit der von Schülerinnen und Schülern in
Hamburg zu vergleichen. Bei dieser Untersuchung ist etwas Interessantes herausgekommen: Die leistungsschwachen Schüler in Berlin sind deutlich stärker als die in
Hamburg, und die leistungsstarken Schüler in Berlin sind
auch besser als die in Hamburg.
({17})
Die Mär, dass gerade die Leistungsstarken unter einer
Gemeinschaftsschule leiden, ist damit für immer wissenschaftlich widerlegt.
({18})
Ich werde Ihnen auch sagen, warum diese Mär schon immer Quatsch war. Wenn Sie Kinder auf Eliteschulen
schicken, dann isolieren Sie sie. Wenn Sie sie isolieren,
dann lernen sie nicht sozial. Diese Kinder haben zwar
ein größeres Faktenwissen, aber sie können letztlich
nicht sozial damit umgehen.
({19})
Übrigens hat die Studie noch ergeben - auch das ist
interessant -, dass das Faktenwissen der bayerischen
Abiturienten größer ist als das der Berliner. Das glaube
ich sofort, weil ich Abiturienten aus beiden Bundesländern kenne. Andererseits ist auch festgestellt worden,
dass die Berliner Abiturienten Zusammenhänge besser
erklären können. Nun frage ich Sie: Was ist eigentlich so
schlimm daran?
({20})
Die bayerischen Abiturienten wissen genauer, wer wann
geboren und gestorben ist, und die Berliner, warum. Warum darf man das eigentlich nicht zusammenführen? Ich
verstehe es nicht.
({21})
Dann sage ich Ihnen noch etwas zur Gemeinschaftsschule. Es gibt wahrscheinlich mehrere Abgeordnete im
Bundestag, die eine Gemeinschaftsschule besucht haben,
aber zumindest von zwei Abgeordneten weiß ich es. Das
sind Angela Merkel und Gregor Gysi. Wir beide haben
eine Gemeinschaftsschule besucht. Glauben Sie im
Ernst, dass wir beide die Dümmsten im Bundestag sind?
Das kann sein, aber ich habe meine Zweifel. Ich will nur
sagen: Gemeinschaftsschulen sind sinnvoll. Alles andere
ist soziale Ausgrenzung. Wir müssen jede Begabung fördern. Das haben die Kinder verdient, und das haben wir
verdient. Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern
Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sind. Kinder
dürfen nach der vierten oder sechsten Klasse nicht aussortiert werden. Ich finde das abenteuerlich. Lassen Sie
uns endlich ein wirklich modernes Bildungssystem in
Deutschland einführen, und zwar für alle Kinder.
({22})
Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Steinmeier, wenn ich nicht
ganz irre und den zeitlichen Ablauf genau Revue passieren lasse, dann müssen Sie ab dem Jahre 2005 Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein. Wenn
Sie sich dann hier hinstellen und eine Verfassungsreform, die Sie selbst mitgetragen haben, als „in Verfassungsform gegossenen Irrtum“ bezeichnen, dann kann
ich nur eines sagen: Sie sind der hier sitzende fleischgewordene Irrtum. Das ist die Verantwortung, die Sie eigentlich wahrnehmen und der Sie sich stellen sollten.
({0})
„Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut
genug.“ Das schreiben Sie von der SPD als ersten Satz in
Ihrem Antrag. Ich sage Ihnen: Das deutsche Bildungswesen ist gut, nur nicht dort, wo Sie regieren.
({1})
Sie stellen mittlerweile Dreiviertel aller Kultusminister
in der Bundesrepublik Deutschland. Sie tragen die Verantwortung für Dreiviertel aller Schülerinnen und Schüler in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn es also aus
Ihrer Sicht in der Schule nicht gut und nicht richtig läuft,
dann tragen Sie die Verantwortung dafür.
({2})
Dass ich noch erleben darf, dass es eine gemeinsame
Presseerklärung des Deutschen Philologenverbandes
und des Verbandes Deutscher Realschullehrer gibt - ich
zitiere -:
({3})
Mit großer Sorge sehen die Verbandsvorsitzenden
des Deutschen Philologenverbandes … und des
Verbandes Deutscher Realschullehrer … die schulpolitische Entwicklung in Baden-Württemberg. Die
von der dortigen Landesregierung bereits ergriffenen oder geplanten bildungspolitischen Maßnahmen würden nach Ansicht beider Verbände nicht
nur zu einer Zerstörung und inneren Aushöhlung
erfolgreicher Schularten wie der Realschule und
des Gymnasiums führen, sondern mittel- und langfristig zu einem gewaltigen Qualitäts- und Niveauverlust. …
Beide Verbände kündigten im Vorfeld der Bundestagswahl eine bundesweite Aufklärungskampagne
über die fatalen Auswirkungen der in BadenWürttemberg und einigen anderen Bundesländern
betriebenen, gegen Realschulen und Gymnasien gerichteten Bildungspolitik an.
Sie sollten sich das einmal in Ihr Stammbuch schreiben lassen und Ihre Bildungspolitik verändern.
({4})
In diesem Hohen Hause wird nie irgendjemand, der in
bildungspolitischer Verantwortung steht, irgendetwas
dagegen sagen, dass es gute Ganztagsangebote an Schulen geben muss. Sie müssen aber vor Ort, in den Schulen, in den Regionen befürwortet werden und aus der
Region heraus wachsen. Wir brauchen kein flächendeckendes Beglückungsprogramm,
({5})
wir brauchen Ganztagsschulen vor Ort, wo sie notwendig sind, und deswegen mehr Eigenverantwortung für
die Schulen.
({6})
Wenn es darum geht, wer was wo finanzieren soll, so
ist zu fragen: Was passiert denn in Sachsen, dem Bundesland mit dem höchsten Anteil - 73 Prozent - an
Ganztagsschulen?
({7})
Ich zitiere die sächsische Kultusministerin, Frau Kurth:
Wir bauen das Angebot an Ganztagsschulen ohne
Bundesmittel aus. Das Geld im Landeshaushalt für
Bildung ist ganz einfach eine Frage der Priorität.
({8})
Nehmen Sie sich ein Vorbild an dem, was die bürgerliche Koalition in Sachsen, was die Landesregierung an
dieser Stelle tut. Ich glaube, wir müssen an dieser Stelle
auch deswegen ansetzen, weil wir das Gegenprojekt gerade in meinem Heimatland Baden-Württemberg sehen.
11 600 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer werden gestrichen.
({9})
Zwei Drittel - per Presseerklärung der damaligen Kultusministerin mitgeteilt und bestätigt durch den jetzigen
Kultusminister - der demografischen Rendite werden
per Kabinettsbeschluss aus dem Bildungsetat herausgenommen, und dann stellen Sie sich hier hin und fordern
vom Bund das Geld, das Sie auf Landesebene kürzen.
({10})
Das ist an Heuchelei und Unverschämtheit nicht zu überbieten.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rossmann?
Der Kollege Steinmeier hatte genügend Zeit, die Position der SPD darzustellen.
({0})
Ich glaube, dass wir dann vernünftig miteinander umgehen können, wenn keine Schaufensteranträge gestellt
werden. Diese Bundesregierung hat gezeigt und zeigt
weiterhin, was sie im Bereich der Bildungs- und Forschungspolitik zu Wege gebracht hat: über 13 Milliarden Euro Investitionen, intensive Förderprogramme,
13,8 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das ist der größte
Haushalt für Bildung und Forschung, den es je in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben
hat, ein Rekordhaushalt. Das ist ein Zeichen und zeigt,
wer für Bildungsaufstieg steht und für Bildungsgerechtigkeit kämpft.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
Ihre frühere nordrhein-westfälische Kultusministerin
Gabriele Behler hat den Bereich der Bildungspolitik als
das „Ventil für das sozialistische Gären in der SPD“
bezeichnet. Lasst uns alle in diesem Hohen Hause, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP,
dafür kämpfen, dass dieses Ventil auf der Bundesebene
zubleibt.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Meinhardt, Sie haben jetzt zwar ganz viel zu den
Ländern gesagt, was aber Sie auf der Bundesebene machen wollen, das haben Sie uns verschwiegen.
({0})
Ich muss jetzt bedauernd feststellen, dass Sie das verschwiegen haben. Aber es ist gut, wenn man eine
Debatte nutzt, um über die Sache zu reden. Ich will mit
etwas anderem anfangen.
In den letzten Tagen haben Sie sehr viel über die Forderungen der Grünen zur Steuerpolitik gesprochen.
({1})
Da haben Sie genauso reflexartig wie jetzt ein komplettes Zerrbild gezeichnet, Stichwort „Abzocker“. Allein
das ist schon falsch. Grüne Steuerpläne entlasten 90 Prozent der Steuerzahler.
({2})
10 Prozent der Steuerzahler hingegen werden - ja, dazu
stehen wir - zusätzlich belastet.
Ich will Ihnen auch sagen, warum. In dieser Gesellschaft geht die Schere zwischen Reich und Arm auseinander. Die Tatsache, dass Sie irgendwelche Berichte
schönen, ändert nichts daran.
({3})
Die privaten Vermögen im Land werden größer, die öffentlichen Haushalte verarmen. Ich gebe Ihnen dazu ein
Beispiel. Wenn die Bibliotheken schließen, wenn die
Schwimmbäder nicht mehr funktionieren, wenn Familien- und Jugendhilfe nicht mehr zu finanzieren sind,
dann werden auch Sie feststellen, dass das Betreuungsgeld den Familien nichts, aber auch gar nichts bringen
wird.
({4})
Am deutlichsten wird Ihr Irrweg in der Bildungspolitik. Ja, wir Grünen wollen hierfür mehr Geld, weil wir
noch den Anspruch haben, zu gestalten, weil wir dieses
Land voranbringen wollen und weil wir das Geld gezielt
dorthin bringen wollen, wo wir es dringend brauchen,
nämlich in der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, in
der Daseinsfürsorge. Wir wollen dieses Geld in die Kinder, in Institutionen investieren. Wir wollen Armutsbekämpfung. Das ist unser Ziel. 72 Prozent der Menschen
in diesem Land stimmen uns darin zu, weil sie verstanden haben, dass Gestaltung nur über diese Infrastruktur
funktioniert. 90 Prozent der Menschen halten Bildung
für einen der wesentlichen Faktoren der sozialen Gerechtigkeit in diesem Land. Dafür müssen wir einstehen
({5})
und nicht dafür, dass wir noch mehr privatisieren.
({6})
Von Ihnen hören wir dazu nichts. Ihr komisches Gerede
von einer Bildungsrepublik ist doch nur eine Worthülse.
Sie wagen doch nicht einmal selber, das hier zu verteidigen. Das spricht doch für sich.
({7})
Lesen Sie Ihre eigenen Berichte. Wir brauchen weder
die PISA-Studie noch OECD-Berichte. Schon die Berichte Ihrer Häuser besagen: In diesem Land gibt es zu
viele Bildungsverlierer; der Bildungserfolg in diesem
Land hängt vom Einkommen des Elternhauses ab. - In
Ihrer Regierungszeit hat sich daran nichts, aber auch gar
nichts geändert.
({8})
Sie verstetigen diesen Zustand sogar noch, anstatt irgendetwas daran zu verändern.
Die Zahlen sprechen für sich. Gerade Jugendliche mit
Migrationshintergrund bleiben auf der Strecke. Gestern
präsentierte Frau Böhmer Zahlen, aus denen hervorgeht,
dass Kinder mit Migrationshintergrund zu 46 Prozent
sprachliche Defizite haben. Die Frage ist aber: Warum
schauen Sie darauf? Schauen Sie sich auch deutsch-deutsche Kinder, also Kinder ohne Migrationshintergrund,
an: Auch von ihnen haben 32 Prozent sprachliche
Defizite. Wenn Sie die sprachlichen Defizite der Kinder
der ersten Gruppe mit deren Migrationshintergrund begründen, was sagen Sie dann zu den Sprachdefiziten der
deutsch-deutschen Kinder? Bei ihnen sprechen die Eltern zu Hause Deutsch, und diese Kinder haben trotzdem
sprachliche Defizite. Machen Sie doch endlich einmal
Ihre Augen auf!
({9})
Sie sollten endlich aufhören, ständig eine Unterscheidung zwischen deutschen Kindern und Kindern mit
Migrationshintergrund vorzunehmen. Schauen Sie sich
einfach einmal die soziale Lage der Kinder in diesem
Land an! Wir sollten uns endlich einmal darüber streiten,
was der beste Weg ist, um alle Kinder, egal welchen
Hintergrund sie haben, gleichermaßen bestmöglich zu
fördern. Das tun Sie nicht. Das werfe ich Ihnen vor.
({10})
Was wir brauchen, ist offensichtlich: einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Kindertagesstätte.
Dabei geht es um mehr als um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Reduzieren Sie diesen
Rechtsanspruch nicht darauf. Gerade die Kinder, deutsche Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund
- über sie rede ich -, werden die großen Verlierer Ihrer
Betreuungsgeldeinführung sein; denn die Sprachbildung
fängt in der frühesten Kindheit an, und Sie halten diese
Kinder davon ab, bestmöglich gefördert zu werden.
({11})
Wir brauchen eine Aktion im Bereich der Ganztagsschulen. Wir müssen da entschlossener vorangehen. Ihr
Protest gegen die Aufhebung des Kooperationsverbotes
hindert uns daran, an dieser Stelle weiterzukommen,
({12})
Kein Mensch redet hier von Zwang. Wenn die Jugendlichen heute nicht mehr so aktiv sind - in der Feuerwehr,
in den Vereinen; gerade in Bayern, Frau Bär -, dann liegt
das nicht an den Ganztagsschulen, sondern an der von
Ihnen vorangetriebenen Einführung von G8. Viele Kinder haben heute überhaupt keine Zeit mehr, sich um etwas anderes als um die Schule zu kümmern.
({13})
Wenn wir nicht in Bildung investieren, dann sparen
wir an der Substanz dieser Gesellschaft. Wenn wir aber
in die Bildung investieren, dann profitieren alle davon:
die Familien, die Wirtschaft, die Gesellschaft und auch
die 10 Prozent, die das am Ende mitfinanzieren.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat nun Bundesministerin Johanna Wanka.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine
Damen und Herren von der SPD, ich war von Ihrem Antrag zu Ganztagsschulen positiv überrascht; denn in diesem Antrag wird ganz deutlich, dass Sie davon ausgehen: Wenn man ein neues Ganztagsschulprogramm will,
muss man das Grundgesetz ändern. - Diese Erkenntnis
ist schon mal ein Anfang. Ihre SPD-Länderkollegen
sehen das ganz anders.
({0})
- Lassen Sie mich ausreden!
({1})
- Die kenne ich.
Wahrscheinlich haben Sie die Begründung des Gesetzes zur Föderalismusreform I nicht richtig gelesen. In
der Begründung steht explizit, dass man diese Änderung
unter anderem macht, weil man kein Ganztagsschulprogramm will. Das hat Herr Müntefering mit Herrn Stoiber
erarbeitet, und das hat die SPD mitbeschlossen.
({2})
Jetzt will ich nicht nachkarten, sondern einfach sagen:
Das ist im Moment der Stand. Das ist die Verfassungslage.
({3})
Förderung und Finanzierung von Schulen sind zurzeit
Länderkompetenz.
Wenn Sie die Bundeskompetenz ausweiten wollen
- ich bin sehr dafür -,
({4})
dann sollten Sie, wenn es Ihnen wirklich ernst ist, sich
um die kümmern, die das ablehnen. Unter Annette
Schavan gab es große Runden - ich war als Landesministerin dabei - zu der ganz klaren Frage: Gibt es eine
Bereitschaft der Länder, sich auf eine Grundgesetzänderung für die Kompetenz im Schulbereich zu verständigen? Es ist eindeutig gesagt worden: Nein.
({5})
- Ich rede von der Diskussion, Herr Steinmeier; da waren Sie nicht dabei.
({6})
Sie müssen mir zuhören. Ich bin zwar nicht so laut wie
Sie, aber ich rede deutlich.
({7})
Das heißt, wir haben die Tür aufgemacht und gesagt:
Bringt einen Vorschlag, eine Einigung der Länder, und
dann kann auch vonseiten des Bundes darüber diskutiert
werden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Burchardt?
Nein, ich würde gern erst zu Ende reden;
({0})
das können wir gern am Schluss machen.
({1})
- Ja, bin ich.
Herr Steinmeier sagte vorhin, es gebe alle möglichen
Gipfel; wir bräuchten Gesetzesvorschläge. Wenn es um
das Kooperationsverbot geht: Ein konkreter Gesetzesvorschlag zu Art. 91 b Grundgesetz liegt schon seit längerem auf dem Tisch.
({2})
Er ist wichtig.
({3})
Jeder im Hochschulbereich und im Wissenschaftsbereich weiß: Das ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wir haben an dieser Stelle kein
großes Zeitfenster. Das ist eindeutig.
Vorhin kam die Behauptung, wir machten nichts gegen den Fachkräftemangel. Ich erwarte, dass man auch
in der SPD zumindest die Presse liest oder sich entsprechend zuarbeiten lässt. Was ist denn der Hochschulpakt,
den wir Gott sei Dank hinbekommen haben und in dessen Rahmen wir Milliarden mehr ausgeben?
({4})
Das sind die Fachkräfte für die 20er-, 30er- und 40erJahre dieses Jahrhunderts. Das haben wir gemacht. Nennen Sie mir ein Beispiel dafür, dass zu Ihrer Zeit einmal
frisches Geld ins Hochschulsystem gekommen ist! Über
viele Jahre gar nichts!
({5})
Was bringen Sie jetzt? Großes Geschrei: Das Kooperationsverbot muss weg! - Ich bin sehr dafür. Was ist Ihr
Angebot? Grundgesetzänderung; neuer Art. 104 c. Worum geht es da? Finanzierung durch den Bund. Wir können mehr zahlen, aber nicht mitentscheiden.
({6})
Nehmen Sie doch den Dialog zur Kenntnis, den Ihre Partei für das Wahlprogramm geführt hat! Da haben die
Bürger gesagt, sie wollten die Gesetzgebungskompetenz
des Bundes sogar für Bildungsfragen. Davon will ich an
dieser Stelle ja gar nicht reden. Aber dass wir nur neues
Geld geben, ohne mitreden zu können, das geht nicht.
Wenn Sie jemanden brauchen, der Ihnen das bestätigt:
Gucken Sie doch einmal in die dpa-Meldung zu Herrn
Steinbrück! Der sieht das genauso.
({7})
Ich will zu drei Punkten etwas sagen. Das war der
erste.
({8})
Zweiter Punkt. Ich bin sehr für die Ganztagsschule.
Ich freue mich auch über die Entwicklung der letzten
Jahre. Es gibt viele Gründe für Ganztagsschulen. Für
mich sind zwei Gründe besonders wichtig. Der eine
- das will ich gar nicht abwerten - ist die Vereinbarkeit
von beruflicher Tätigkeit und Kindern. Ich will, dass die
jungen Frauen und auch die jungen Männer, die mithilfe
des Pakts studieren können und später Fachkräfte sind,
auch arbeiten sollen - und das nicht nur aus volkswirtschaftlichen Gründen. Vielmehr sollen sie Freude haben.
Deswegen finde ich Ganztagsschulen außerordentlich
wichtig.
Der zweite Grund. Wir sind eine reiche Nation. Es ist
so, dass das Elternhaus natürlich einen Einfluss auf Bildung hat; sonst wäre es ja auch anormal. Das bezieht
sich nicht allein auf ökonomische Gründe: Es gibt auch
bildungsferne Elternhäuser mit sehr viel Geld. Ich bin
der Meinung: Gerade weil wir eine reiche Kulturnation
sind, müssen wir dann, wenn das Elternhaus, aus welchen Gründen auch immer, keine Anregungen bietet,
versuchen, durch unsere Möglichkeiten - das ist in der
Schule; das ist im Kindergarten - das auszugleichen.
Hierbei sind Ganztagsschulen wichtig.
Man kann nicht sagen: Ganztagsschule ist per se gut
oder schlecht. Irgendwo habe ich etwas Irriges dazu gelesen, dass nämlich Ganztagsschulprogramme eine Konsequenz aus der PISA-Studie gewesen wären. Gucken
Sie sich das doch einmal an: PISA 2000 war eine europaweite Untersuchung. Seit diesem Zeitpunkt - das war
im letzten Jahrhundert - haben fast alle Länder ihre
Schulform so verändert, dass es de facto Ganztagsprogramme sind. Gucken Sie sich einmal die Leistungen in
Spanien, Frankreich und anderen Ländern an! Das heißt:
Das war nicht die Folge, sondern es handelte sich um einen Vergleich. Deswegen ist nicht die Form, sondern die
Qualität, was und wie man es macht, wichtig. Das bestätigen immer wieder alle Untersuchungen.
({9})
Wenn Sie sich die Studie zur Entwicklung der Ganztagsschulen, StEG, ansehen, dann sehen Sie, dass die
Angebote der Ganztagsschulen,
({10})
die bundesweit vorhanden sind, wesentlich stärker genutzt werden und Kindern aus höheren sozialen Schichten zugutekommen. Wollen Sie das so lassen? Ich will
da Einfluss haben.
({11})
Ich will Einfluss haben, wenn wir Geld zahlen sollen.
Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, warum jemand,
der hier im Bundestag sitzt, von einer Bildungsrepublik
redet, jeden Gestaltungsanspruch abgeben und nur Geld
rüberschieben will.
({12})
Deswegen ist für Sie der neue Art. 104 c, den Sie in das
Grundgesetz einfügen wollen, wichtig. Sie können lesen.
({13})
- Nein.
Zudem: Der Bund gibt da, wo er die Möglichkeit hat,
schon jetzt Geld.
({14})
Hierzu zählt zum Beispiel das Begleitprogramm für die
Ganztagsschulen, wo der Bund zwei Drittel der Kosten
trägt. Das ist außerordentlich wichtig. Die Begleitforschung ist ganz wichtig, weil man dort auf Defizite aufmerksam gemacht wird; denn das hat eine breite Wirkung; das ist anregend. Schauen Sie sich einmal die
Begleitforschung, den letzten Bericht von StEG an! Was
sind die Probleme, die die Schulleiter von Ganztagsschulen sehen? Über 60 Prozent sagen, mit Abstand das
Hauptproblem ist die Rekrutierung von gutem Personal.
({15})
Deswegen geben wir im Rahmen der Qualifizierungsinitiative „Lehrerbildung“ genau dafür Geld.
({16})
Nun zum dritten Punkt: Bundesländer, die ja die
Kompetenz haben. Die Untersuchungen besagen: Es gibt
ein Ost-West-Gefälle. Das hat etwas mit unterschiedlicher Sozialisation und der unterschiedlichen Ausgangsposition zu tun. In Niedersachsen sind wir mit 150 Ganztagsschulen zu Beginn der Amtszeit von Schwarz-Gelb
gestartet. Am Ende war es das Zehnfache: 1 500.
({17})
Thüringen - Herr Matschie ist hier und wird später reden - hat eine klasse Zahl: 75,5 Prozent der öffentlichen
Angebote sind praktisch Ganztagsangebote. 51 Prozent
der Schüler sind dort. Sachsen ist natürlich besser: In
Sachsen sind es 98 Prozent.
({18})
Sachsen ist bei allen Rankings, gerade auch bei der
Nichtabhängigkeit vom Elternhaus, Spitzenreiter. Dort
ist die CDU seit 1990 an der Macht.
({19})
Es ist auch keine Frage des Geldes. Ich sehe, dass im
Schulgesetz von Thüringen die Ganztagsschule als eigene Schulform außerhalb des Grundschulbereiches
überhaupt nicht verankert ist. Es gibt Probleme mit den
Verkehrsbetrieben, weil sie sich nicht darauf einstellen
können. Ferner ist die Tatsache zu nennen, dass es keinerlei Qualitätskriterien für Ganztagsschulen gibt, und
die Tatsache, dass bisher nur Ganztagsschulen im
Grundschulbereich finanziert und unterstützt werden.
Das sind Dinge, die nicht vom Bund abhängen, sondern
sie sind vom Land zu regeln. Oder nehmen wir Mecklenburg-Vorpommern. Mecklenburg-Vorpommern hat in
Bezug auf die Ganztagsschulen eine gute Ausgangsposition.
Frau Ministerin, Sie überziehen Ihre Redezeit deutlich, Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja. Ich bin gleich fertig.
- zulasten der nachfolgenden Redner der Unionsfraktion.
Das erträgt meine Fraktion.
({0})
Ich komme aber zum Schluss, Herr Präsident.
Also: 39 Prozent der Schulangebote in MecklenburgVorpommern sind Ganztagsschulangebote. Bayern hat
eine schlechte Ausgangsposition, holt aber rasant auf.
Dort sind es mittlerweile über 43 Prozent. Bayern gibt
richtig Geld hinein, auch zusätzliches Personal. Das gilt
auch für andere Länder. Deswegen glaube ich: Der Weg
ist an vielen Stellen frei. Vielleicht sollten Sie sich bemühen, dass die Kultusminister von der SPD und den
Grünen, die in den Ländern am Ruder sitzen, das machen, was möglich ist, und uns hier nicht mit Schaufensteranträgen belästigen.
({1})
Das Wort hat nun Aydan Özoğuz für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Frau Wanka, ich finde es sehr
schade, dass Sie als Wissenschaftsministerin bei den
vorliegenden Anträgen nicht auch ein Stück weit auf das
Einwanderungsland Deutschland eingegangen sind. Da
ich aber weiß, dass es noch einen Beitrag geben wird,
der sich explizit mit den von Ihnen aufgeworfenen Punkten befasst, will ich mich auf diesen Bereich konzentrieren.
Ich glaube, wenn man es mit unserer Gesellschaft, mit
dem Zusammenwachsen, mit der Notwendigkeit von
Zuwanderung - diese Einsicht ist im Kabinett nicht geschlossen gegeben - und mit Teilhabe und Chancengleichheit für alle Mitglieder in unserer Gesellschaft
ernst meint, muss man nicht nur ernsthafter über die
Punkte, die Frank-Walter Steinmeier angesprochen hat
- das Kooperationsverbot und die Zusammenarbeit von
Bund und Ländern - nachdenken und diese fördern. Man
muss auch Kategorien und Begrifflichkeiten wie Bildungsinländer, Integration oder auch Migranten perspektivisch überwinden und aufhören, diese Begriffe immer
wieder zu zementieren, wie es diese Bundesregierung tut als seien Migranten per se eine andere Art von Mensch.
({0})
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Vielfalt ist
eine Zukunftsressource. Sie sollte endlich zu unserem
Selbstverständnis gehören. Es geht schließlich darum,
ein „Wir“ zu entwickeln, und nicht darum, immer wieder
zwischen „uns“ und „denen“ zu unterscheiden. Für uns
gilt das ursozialdemokratische Aufstiegsversprechen
durch Bildung. Herkunft darf kein Schicksal sein, das sagen wir immer und immer wieder. Weder die Bildung
der Eltern noch das Geburtsland der Eltern oder der
Großeltern dürfen ausschlaggebend sein.
Ich möchte einmal daran erinnern, dass der FDP-Generalsekretär Döring an dieser Stelle in seiner Plenarrede
am 16. März 2010 gesagt hat, die Zeit der Bibliotheken
für Migrantenmädchen sei vorbei. Unabhängig davon,
wie unsinnig eine solche Aussage ist: Das unterscheidet
uns ganz klar von Ihnen.
({1})
Wir sagen: Wir brauchen mehr Bildung. Wir brauchen
Ausbildungsgarantien. Wir brauchen mehr Anerkennung
von ausländischen Abschlüssen. Wir brauchen mehr
Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir brauchen eine verstärkte und früher ansetzende Sprachförderung.
({2})
- Wir hatten da schon einige Ideen mehr, die Sie partout
nicht wollten.
({3})
Und wir brauchen das Wiederaufleben des Programms
„Soziale Stadt“, das Sie von der Regierungskoalition in
einen Komazustand gefahren haben.
({4})
So viel zu den Aktivitäten vor Ort, Frau Bär.
Es hat etwas Absurdes, wenn Menschen, deren Angehörige über mehrere Generationen hinweg in Deutschland leben und die auch hier geboren wurden, kategorisch Ausländer bleiben. Deswegen musste dieses alte
Staatsangehörigkeitsrecht reformiert werden. Bekanntermaßen ist dies nur zum Teil gelungen. Wenn ich mich
richtig erinnere, hat das mit Blockaden von der rechten
Seite des Hauses, nämlich der FDP, zu tun, die heute
munter für die doppelte Staatsangehörigkeit wirbt. Sie
tun so, als hätte das gar nichts mit Ihnen zu tun, dass es
all diese Einschränkungen gibt. Das ist schon erstaunlich.
({5})
Wir wollen, dass Kinder, die in Deutschland geboren
wurden, immer Deutsche werden, sein und bleiben, aber
gleichzeitig - unter bestimmten Voraussetzungen - ihre
Herkunft nicht aufgeben müssen. Das geltende Optionsmodell bewirkt aber genau das Gegenteil: Es zwingt sie
nämlich, mit dem Erwachsenwerden sich gegen ihre eigene Herkunft zu entscheiden. Die Lebenswirklichkeit
von Menschen, die wandern, ist eben eine andere.
Außerdem müssen Sie auch zugeben: 19 EU-Staaten
leben mit dem Doppelpass, ohne dass die angeblich drohenden Schreckensszenarien eintreten, die einige Mitglieder Ihres Kabinetts gerne entwickeln, so als ob es
hier um etwas ganz Schwieriges ginge. Sie verheimlichen natürlich auch gerne, dass bereits bei über der
Hälfte der Einbürgerungen die doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen wird. Wenn man aus Marokko, Iran
oder Afghanistan kommt, ist das etwas anderes, als wenn
man türkischer Herkunft ist. Dann ist man - auch bei
Geburt in diesem Land - immer nur Deutscher unter
Vorbehalt. Das wird von den Betroffenen als ein Misstrauensvotum aufgefasst, wie es auch die BertelsmannStiftung ganz richtig festgestellt hat. Die Optionspflicht
gehört also endlich abgeschafft.
({6})
Ich möchte auf eine weitere Sache eingehen. Sowohl
Familienministerin Schröder als auch Bundesinnenminister Friedrich haben in den letzten Jahren wirklich
großes Versagen an den Tag gelegt, wenn es darum ging,
dass diese Gesellschaft ein Stück zusammenkommen
soll. Frau Schröder hat viel Geld für Studien ausgegeben, die immer wieder zeigen sollten, wie es nun um
junge Muslime bestellt ist. Aber sie hat sich nicht einmal
an die Ergebnisse der Forscher gehalten, sondern hat immer wieder versucht, auf Pressekonferenzen die Ergebnisse zu verzerren. Das ist schon der Gipfel an Unseriosität im Umgang mit seriöser Forschung. Es hat die
Wissenschaftler dazu getrieben, der Ministerin deutlich
zu widersprechen - Gott sei Dank. Bundesinnenminister
Friedrich hat es fertiggebracht, Studienergebnisse an die
Bild-Zeitung weiterzugeben, dies sogar zu leugnen und
erst Wochen später, auf eine Kleine Anfrage der Linken
hin, zuzugeben, dass er dies überhaupt getan hat. Ich
glaube, auf diese Art und Weise kann man nun wirklich
keine vernünftige Gesellschaftspolitik für unser Land
gestalten.
({7})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme sofort zum Schluss. - Anfang dieser Woche sagte die Bundeskanzlerin, wir bräuchten mehr Zuwanderung. Bundesinnenminister Friedrich widersprach
ihr natürlich sofort. Das bringt es doch auf den Punkt:
Diese Regierung hat gar keinen klaren Plan, wo es hingehen soll. Wie man dann eine vernünftige Bildungspolitik gestalten will, das bleibt ihr Geheimnis.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke.
({0})
- Ich sehe in meiner Liste einen ganz dünnen Pfeil von
ganz unten nach oben. - Bitte schön, Kollege Kaufmann.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD hört sich
zunächst gut an: Ganztagsschulen für alle, Qualitätsverbesserungen, bessere Schulgebäude und anderes mehr.
Jetzt muss man den Antrag nicht wie ich von der ersten
bis zur letzten Zeile gelesen haben, um zu erkennen, dass
es sich wieder einmal um nichts anderes als bloßen
Wahlkampfpopulismus handelt.
({0})
Warum das? Zunächst dachte ich, ich hätte mich verlesen: Auf Seite 14 Ihres Antrags fordern Sie nicht weniger als - hören Sie! - 20 Milliarden Euro zusätzlich, und
das jährlich. Davon sollen allein die Länder 10 Milliarden Euro jährlich tragen. Jetzt frage ich Sie: Wie soll das
denn funktionieren? Jeder von Ihnen, der schon einmal
an der Regierung beteiligt war, wird berichten können,
dass die Länder um jeden Cent feilschen, und selbst
kleinste Ausgabensteigerungen zugunsten unserer Studierenden sind mit den Ländern nicht zu machen. Ich
darf nur an die letzte BAföG-Erhöhung im Jahr 2010
oder auch an das Deutschlandstipendium erinnern. Das
alles stört Sie aber nicht. Sie laufen mit einem großen
Füllhorn durch die Gegend und haben schlicht vergessen, vorher etwas hineinzugeben.
({1})
Wenn man nun schon etwas so hemmungslos fordert
wie Sie, dann müssen zumindest die eigenen Hausaufgaben gemacht werden, und davon sind Sie leider weit entfernt. Im Gegenteil: Rot-grüne Länder sparen eisern an
der falschen Stelle. Das merken mittlerweile auch die
Betroffenen: Warnstreiks der Lehrer im rot-grünen Bremen, Proteste wegen der Kürzungen sowohl im Wissenschafts- wie auch im Bildungsbereich in Niedersachsen,
blankes Entsetzen - der Kollege Meinhardt hat es ausgeführt - angesichts der radikalen Kürzungen und des massiven Bildungsabbaus in meiner Heimat Baden-Württemberg. Dort, wo Sie regieren, sind die Wähler mit
realer Streichpolitik konfrontiert, und dort, wo Sie nicht
regieren, erzählen Sie den Wählern von dem Huhn, das
goldene Eier legt und jedes Jahr 10 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben wird. Aber wie heißt es so schön: Eine
Henne, die viel gackert, legt wenig Eier.
({2})
Ich weiß, jetzt erzählen Sie uns wieder etwas von
einer soliden Gegenfinanzierung und von Steuererhöhungen. Die Grünen haben gerade erst unter heftiger
Kritik grüner Realpolitiker, wie Ministerpräsident
Kretschmann, beschlossen, die Steuern vor allem für die
breite Mittelschicht zu erhöhen - egal wie die Kollegen
hier das darstellen.
({3})
In Stuttgart trifft ihre Steuererhöhung beispielsweise jeden leistungsstarken Facharbeiter; auch das muss einmal
gesagt werden.
({4})
Ich muss nicht erwähnen, dass der Staat über Rekordsteuereinnahmen von über 600 Milliarden Euro verfügt.
Wenn Sie also mehr Geld für Bildung in den Ländern
ausgeben möchten, dann machen Sie es so wie die Bundesregierung: Setzen Sie die richtigen Prioritäten zugunsten von Bildung und Forschung, statt Steuern zu erhöhen und Kredite aufzunehmen!
({5})
Zur der leidigen Zuständigkeitsdebatte. Nur weil der
Bund weniger Schulden macht als die meisten Länder,
({6})
kann dies doch noch lange nicht bedeuten, dass der Bund
alles bezahlen muss, obwohl er gar nicht zuständig ist.
Genau dieses Geschäft betreiben Sie, meine Damen und
Herren Kollegen von der SPD.
({7})
Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Art. 91 b
GG, der dem Bund begrenzte Mitspracherechte einräumen würde - Ministerin Wanka hatte es erwähnt -, lehnen Sie in Ihrem Antrag explizit ab.
({8})
- Herr Steinmeier, stattdessen fordern Sie einen neuen
Art. 104 c. Demnach sollen Finanzhilfen des Bundes
fließen, ohne dass der Bund überhaupt eine Zuständigkeit erhält. Das heißt, wir überweisen das Geld, haben
aber weiterhin keine Kontrolle über die Verwendung.
({9})
Und das kann nicht sein! Mittel ohne Zweckbindung
wird es mit uns nicht geben.
({10})
Darüber hinaus sollten Sie auch einmal bedenken, wie
das Ende Ihrer Politik aussieht: Wenn Sie den Weg für
Finanzhilfen des Bundes für den Schulbereich freimachen, dann werden die Milliarden für die Ganztagsschule nur ein Anfang sein. Ich erinnere Sie an die Länderaufgabe Inklusion, die notwendige Sanierung von
Schulgebäuden, den Bau von Wohnheimplätzen und,
und, und. Wenn der Bund in diesem Bereich auf einmal
Verpflichtungen in Milliardenhöhe eingehen soll, werden wir sie auf der anderen Seite, im Wissenschaftsbereich, einsparen müssen. Damit spielen Sie selbst den einen Bereich gegen den anderen aus. Und auch das kann
nicht sein! Unser gemeinsames Ziel sollte doch sein,
dass die Länder endlich selbst mehr für Ganztagsschulen, für bessere Lernbedingungen und auch für ein besseres Schulsystem tun.
({11})
Schließlich: Ihr Ganztagsschulprogramm ist nicht nur
aus förmlichen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen
abzulehnen; denn mit Ihrem Antrag fördern Sie zum einen versteckt die Einheitsschule. Darüber hinaus sollen
nach Ihrem Willen gebundene, also verpflichtende
Ganztagsschulen mehr Geld erhalten als Ganztagsschulen mit einem offenen Angebot. Auch dies lehnen wir
ab. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland zur
Ganztagsschule zu verpflichten, das kann nicht das Ziel
sein.
({12})
Sie sprechen diesen Punkt in Ihrem Antrag ja auch
selbstkritisch an. Denn es stellt sich die Frage: Wie ist
eine zwangsweise Ganztagsschule mit der Jugendarbeit
oder mit Vereinsaktivitäten vereinbar? Wie soll ein
Schüler, der in einer Sportart sehr begabt ist oder ein Instrument gut spielen kann, diesem Hobby weiter nachgehen, wenn er den ganzen Tag in der Gemeinschafts- oder
Ganztagsschule eingespannt ist?
Ich darf auch darauf hinweisen, dass Ihr ständiger Ruf
nach mehr Ganztagsschulen noch lange kein besseres
Schulsystem zur Folge hat. Entgegen Ihren Schlussfolgerungen kann man anhand der KMK-Zahlen feststellen,
dass Berlin zwar einen der höchsten Anteile an Ganztagsschulen vorzuweisen hat, während Länder wie Baden-Württemberg und Bayern eher geringere Anteile
vorzuweisen haben, und dass trotzdem das Schulsystem
in diesen beiden Ländern nach einhelliger Auffassung
wesentlich besser und effizienter ist. Das heißt, Ganztagsschulen führen nicht automatisch zu einem besseren
Schulsystem, wie Sie das suggerieren.
({13})
Abschließend darf ich den früheren SPD-Politiker
Hans Schwier zitieren:
Die Bildungspolitik ist ein Teil von einer Kraft, die
stets das Gute will und oft Probleme schafft.
Genau das trifft leider auf Ihren Antrag zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Frau Wanka, Herr Kaufmann, bei der Bundesbeteiligung an der Bildungsfinanzierung nehme ich wahr:
Die größten Bremser dabei kommen immer noch aus
Bayern.
Aber lassen wir das, kommen wir zum Antrag der
SPD. Unsere Kritik an diesem Antrag fängt schon mit
dem ersten Satz an. Dort steht:
Das deutsche Bildungssystem ist gut …
Nein, wir haben zwar gute Schulen und gute Lehrerinnen und Lehrer, aber das Bildungssystem ist nicht gut.
Die Gründe hat Ihnen Gregor Gysi vorhin ziemlich deutlich erklärt.
({0})
Wir haben noch weitere Kritikpunkte:
Erstens. Sie bürden Ganztagsschulen die ganze Last
notwendiger Reparaturen an diesem Schulsystem auf.
Das können sie gar nicht leisten; diesbezüglich gebe ich
meinem Vorredner teilweise recht. Ganztagsschulen, die
Gymnasien sind, bleiben Gymnasien, und Sekundarschulen oder Sekundarschulen plus - wie sie in den einzelnen Ländern auch immer heißen mögen - bleiben in
einem gegliederten System immer Sekundarschulen. Sie
wollen von den Schulformen ja nicht weg.
Zweitens. Die unterschiedlichen Schulsysteme verschwinden nicht durch Ganztagsschulen, sondern bleiben erhalten. Das ist aber ein wesentlicher Punkt in Ihrem Antrag. Das können die Ganztagsschulen doch gar
nicht leisten.
Drittens. Sie erwarten von den Ganztagsschulen die
Umsetzung von Inklusion. Auch das können sie so nicht
leisten. Wenn Sie nicht auch die Schulformen reformieren und ein tatsächlich inklusives Schulsystem etablieren, bürden Sie der Schulform, die überwiegend von
Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern besucht wird, auch noch die schwierigsten Inklusionsaufgaben auf. Das kann nicht funktionieren.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
ich glaube, Sie haben seit langem Ihren Frieden mit dem
gegliederten Schulsystem gemacht. Noch einmal: Das
kann nicht funktionieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rossmann?
Aber gerne.
Frau Kollegin, bevor Sie die Suada fortsetzen, darf
ich Ihnen den ganzen ersten Satz des SPD-Antrags vorlesen?
Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut
genug.
Das ist der ganze Satz. Daraus können Sie entnehmen,
dass wir weder blind sind noch alles schlecht finden,
sondern die klassische sozialdemokratische Reformpolitik weitergeführt sehen wollen, unter anderem in Richtung Ganztagsschule, unter anderem in Richtung Inklusion, unter anderem in Richtung gemeinsames Lernen.
Ist es nicht politisch fair, ganze Sätze zu zitieren?
Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut
genug.
({0})
Ich finde, verehrter Herr Kollege, dass dieser Nachsatz den ersten Teil des Satzes nicht besser macht. Das
deutsche Bildungssystem ist nicht gut. Es stammt aus
dem 19. Jahrhundert, und da gehört es hin. Wir müssen
endlich Schritte weitergehen.
({0})
Diesbezüglich war die SPD einmal Vorreiter. Das vermisse ich bei Ihnen jetzt einfach.
({1})
Sie haben in fast allen Ländern, in denen Sie regieren,
Ihren Frieden mit dem gegliederten Schulsystem gemacht. Es gibt kaum noch intensive Versuche, das System aufzubrechen.
Ich fahre fort. Ich verstehe auch nicht, warum die
Schulsozialarbeit in Ihrem Antrag nicht mehr explizit
vorkommt. Das ist ein wesentlicher Punkt in einer Ganztagsschule.
({2})
Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, über den in
den Ausschüssen noch zu debattieren ist. Den finden Sie
offensichtlich so gut, dass Sie sich darauf beziehen. Das
ist in Ordnung - wir werden sehen, ob Sie dem zustimmen -, aber mir fehlt das Thema trotzdem in diesem Antrag.
Wir plädieren aus den genannten Gründen für eine
Gemeinschaftsschule. Diese muss natürlich nicht nur inklusiv sein, sondern selbstverständlich auch eine Ganztagsschule. Ich muss meinem Kollegen Kaufmann auch
insofern recht geben: Sie fordern zwar - richtigerweise die Zusammenarbeit mit regionalen Bildungslandschaften, mit kulturellen und sportlichen Akteuren vor Ort,
vergessen dabei aber, dass das nur exemplarisch immer
gut funktioniert. Sobald es in der Fläche funktionieren
muss, wird es schwierig, dann fehlt die Kapazität, dann
fehlt es an Möglichkeiten vor Ort. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Musikschulen in der Lage sind, jeder
Ganztagsschule ein dauerhaftes Angebot zur musikalischen Förderung der Kinder zu unterbreiten. Das wird
nicht funktionieren.
({3})
Das ist auch in anderen Bereichen so. Außerdem darf
man nicht vergessen, dass dieser Bereich sehr stark an
die Ehrenamtlichkeit gebunden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vor
etwa 20 Jahren war die SPD die Lokomotive in der Bildungspolitik, zumindest in meinen Augen. Jetzt stehen
Sie auf der Bremse, lassen unglaublich viel Dampf ab,
freuen sich über die Wolken und wundern sich, dass es
nicht wirklich vorwärts geht.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat nun Sibylle Laurischk für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zuerst möchte ich der Bildungsministerin sagen:
Chapeau! Das war eine gute und klare Rede, die auch
davon geprägt war, dass sie die Landespolitik versteht
und sich insofern in der Bundespolitik gut bewegen
kann.
({0})
Ich erinnere mich noch ganz gut daran, dass der damalige Arbeitsminister von der SPD, Herr Scholz, auf
einem Integrationsgipfel gesagt hat, die Berufsanerkennung sei so schwer zu erreichen wie ein Flug auf den
Mond. Ich nehme an, dass er sich jetzt als Ministerpräsident des Landes Hamburg mit den Niederungen der
Ebene etwas mehr abgibt und gerade die Berufsanerkennung vorantreibt.
Ich wende mich dagegen, dass Herr Gysi hier sagt,
Kinder seien ein Armutsrisiko. Ich möchte das nicht so
stehen lassen. Ich weiß, dass Eltern, die sich für Kinder
entscheiden und Kinder haben wollen, sehr positiv dazu
stehen und sich nicht gegen Kinder entscheiden, weil sie
in ihnen ein Armutsrisiko sehen. Vielmehr wollen sie
dieser Gesellschaft etwas geben.
({1})
Sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Zukunft und gute
Bildungschancen haben. Wir sind aufgerufen, dafür zu
arbeiten.
({2})
Das tun wir auch hier im Bundestag und in allen politischen Gremien.
Ich stimme durchaus zu, dass es sinnvoll wäre - ich
persönlich bin dieser Auffassung -, die Optionspflicht
abzuschaffen. Ich bearbeite im Moment den Fall eines
jungen türkischen Mannes, geboren in Deutschland und
deutschsprachig, der versucht, sein Aufenthaltsrecht zu
halten, um hier eine Ausbildung zu machen. Es gibt eine
Menge zu tun, gerade in den Kommunen und auf Landesebene. Das sollten wir nicht vergessen.
Gerade deshalb sage ich hier sehr deutlich: Wir sind
ein Einwanderungsland. Diese Diskussion führen wir
nicht mehr; das ist die Realität, und dieser Realität stellen wir uns. Wir wissen, dass bundesweit in den Grundschulen 50 Prozent der Kinder und in allen Schultypen
ungefähr 30 Prozent der Kinder mittlerweile einen Migrationshintergrund haben.
Deswegen ist mein Petitum - das wissen Sie; das
prägte meine Arbeit in den ganzen Jahren hier im Bundestag -, dass man sich gerade auch für den Spracherwerb einsetzt. Wir brauchen gute Möglichkeiten für alle
Kinder, die deutsche Sprache so zu lernen, dass sie nicht
nur von ihren körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten her schulreif sind, sondern auch sprachlich. Denn nur
die Kinder, die verstehen, was in der Schule passiert, haben echte Bildungschancen. Darum haben wir uns auf
Bundesebene gekümmert. Wir sind in vielen Fällen für
die Bildungspolitik leider nicht zuständig - leider. Aber
dort, wo wir zuständig sind, haben wir uns darum gekümmert.
Wir haben als Familienpolitiker das Programm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache &
Integration“ aufgelegt. Das wird hier gerne vergessen,
weil es genau das widerlegt, was die Opposition mit ihren Anträgen darstellen will, nämlich dass wir nichts getan hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben 4 000
Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen bzw. mit einem hohen Anteil an Kindern mit
Sprachförderbedarf als „Schwerpunkt-Kitas Sprache &
Integration“ Geld gegeben und diese ausgebaut. Ich habe
sie mir vor Ort angeschaut. Dort wird ganz gezielt mit
Kindern gearbeitet, die es schwer haben, aus ihrem familiären Rahmen heraus die deutsche Sprache ausreichend
zu lernen. Hier gibt es eine sehr sinnvolle Entwicklung,
die zeigt, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten
durchaus einen Beitrag leisten können.
({3})
Aber wir können nichts daran ändern, dass die Länder
- hier in der Mehrzahl die SPD- und mittlerweile auch
grün regierten Länder - das nicht schaffen und die Bildungspolitik möglicherweise gegen die Wand fahren. Ich
will ihnen nicht unterstellen, dass sie dies wissentlich
und willentlich tun, aber die Ergebnisse sind leider mangelhaft. Entsprechend sehen wir das, was auf Landesebene geschieht, kritisch.
Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.
Die FDP will Bildungschancen für alle Kinder und Jugendliche. Wir haben bei der frühkindlichen Bildung ein
klares Zeichen gesetzt und werden diese Politik bei der
Bildung aller Kinder in ihrem weiteren Lebensverlauf,
gerade auch im Berufsschulbereich und in der Ausbildung, fortsetzen. Dafür stehen wir.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine moderne Bildungs- und Integrationspolitik entscheidet über das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und den Alltag jedes Einzelnen, darüber, ob alle
Menschen gleiche Chancen auf Teilhabe innehaben oder
ob Herkunft oder Geldbeutel der Eltern maßgeblich sind,
darüber, ob sich Menschen zu dieser Gesellschaft zugehörig und in ihrer Vielfalt anerkannt fühlen oder ob ihre
Bildungschancen und Lebensperspektiven blockiert werden. In beiden Politikfeldern, sowohl bei Bildung als
auch bei Integration, hat die Union die Erneuerung dieses Landes jahrzehntelang ausgebremst und sich den gesellschaftlichen Realitäten verweigert. Das war und ist
falsch.
({0})
Beispiel Bildung. Es ist noch nicht lange her, dass von
Konservativen Kindertagesstätten und Ganztagsschulen
als Kinderverwahranstalten diskreditiert wurden. Ich
erinnere mich noch sehr genau an die ideologischen
Unionsblockaden in den 2000er-Jahren, während die rotgrüne Bundesregierung mit ihrem 4-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm für mehr als 8 000 Ganztagsschulen
die überfällige Wende hin zu einer modernen Schulpolitik eingeleitet hat.
({1})
Erst gut zehn Jahre danach kann man sagen: Jetzt gibt es
hier einen gewissen politischen Konsens. Das gilt auch
für eine Vielzahl von Konservativen. Sie haben inzwischen ihren Frieden damit geschlossen - Frau Wanka
vielleicht noch nicht so ganz -, dass gute Ganztagsschulen doppelt gut sind,
({2})
nämlich gut zur individuellen und inklusiven Förderung
für die Kinder und Jugendlichen und gut für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern. Deshalb
war das ein großer Modernisierungsfortschritt.
({3})
Bei dieser Erkenntnis darf man aber nicht stehen bleiben. Es braucht dringend eine zweite Offensive zum
quantitativen und qualitativen Ganztagsschulausbau.
Das wollen wir, und dafür streiten wir gemeinsam mit
der SPD. Wir wollen ein Land der Chancengleichheit,
der Durchlässigkeit und des Bildungsaufstiegs.
({4})
Dafür ist es dringend notwendig, dass das im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot gekippt wird. Es ist
2006 gegen unseren erbitterten Widerstand eingeführt
worden. Das Kooperationsverbot muss weg, damit Bund
und Länder bei der gesamtstaatlichen Finanzierung unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems wieder verlässlich zusammenarbeiten dürfen.
({5})
Es geht um Kooperationskultur, es geht um eine Ermöglichungsverfassung für bessere Bildung und Wissenschaft, und es geht darum, dass man kooperieren
darf, um gesamtstaatlich Verantwortung für bessere Bildung in diesem Land zu übernehmen. Das haben Sie mit
Ihrem Vorschlag hintertrieben. Sie haben nur die Eliteunis dauerhaft finanzieren wollen. Wir wollen früher anfangen. Wir wollen, dass auch Schulen gefördert werden
können; denn auf den Anfang kommt es an.
({6})
Schwarz-Gelb hat es an Kraft und Konsenswillen gefehlt.
Beispiel Zuwanderung. Es ist noch nicht lange her, da
haben konservative Politiker behauptet, Deutschland sei
kein Einwanderungsland, und Debatten über Leitkultur
angezettelt. Das war das Gegenteil einer Willkommenskultur auf der Basis des gemeinsamen Wertefundaments
unseres Grundgesetzes, einer Willkommenskultur, die
wir so dringend brauchen.
Auf dem vorgestrigen Demografiegipfel hat Kanzlerin Merkel mit Blick auf die Zuwanderung von Fachkräften gesagt - Zitat -:
Unser Ruf ist … sehr schlecht. Wir gelten als abgeschlossen, wir gelten als ein Land, in das zu kommen sehr kompliziert ist.
({7})
Ja, das stimmt leider, Frau Merkel. Es wäre aber ehrlicher gewesen, wenn Sie als Kanzlerin hinzugefügt hätten: Das ist auch das Resultat von Lebenslügen und Fehlern von CDU und CSU in den letzten Jahrzehnten,
angefangen bei der Gastarbeiterpolitik.
({8})
Sie sagen den Leuten lieber: „Multikulturalität ist tot“,
anstatt Integrationsprobleme zu lösen und Rassismus
und Islamophobie in unserer Gesellschaft zu bekämpfen.
Als jemand, der vor kurzem dort gewesen ist, sage ich
Ihnen: Deutschland sollte mehr Kanada wagen. Dort ist
tagtäglich spürbar, was ein modernes Einwanderungsland wirklich auszeichnet, nämlich gelebte Willkommenskultur und Wertschätzung von Multikulturalität.
Dort gibt es ein kluges Punktesystem zur Steuerung und
Gestaltung von Zuwanderung. Dort gibt es regelhaft die
doppelte Staatsbürgerschaft statt eines Optionszwangs.
Dort gibt es eine gute Bildungspolitik, die in jeder Kita
und jeder Schule sehr aktiv Mehrsprachigkeit und Inklusion fördert. Wie kanadische Schulen müssen auch deutsche Schulen je nach sozialer Lage und Vielfalt der
Schülerschaft mehr Unterstützung erhalten: mehr Mittel,
mehr Lehrkräfte, mehr Schulsozialarbeit, mehr Elternarbeit, mehr Ganztagsbetreuung. Das Schlagwort
„Brennpunktschulen“ wird so zum Fremdwort. Das ist
genau der Weg, den die rot-grün und grün-rot regierten
Länder einschlagen.
Das alles macht Kanada zum Integrationsweltmeister.
Auch Deutschland hat das Potenzial dazu. Mit dieser
Bundesregierung gelingt das aber offensichtlich nicht,
weil sie sich einem modernen Zuwanderungsrecht verKai Gehring
schließt. Ein modernes Zuwanderungsrecht würde auch
dabei helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Hier
brauchen wir endlich eine echte Doppelstrategie. Es
reicht nicht aus, wenn eine solche Strategie von Frau von
der Leyen lediglich verbal vorgetragen wird. Vielmehr
brauchen wir klares politisches Handeln: einerseits gute
Bildung und lebenslange Qualifizierung, um das inländische Potenzial besser auszuschöpfen, andererseits gesteuerte Zuwanderung, verknüpft mit Integrationsmaßnahmen und Sprachförderung für alle.
Wenn man wie wir für Bildungsgerechtigkeit und für
Strategien zur Fachkräftesicherung kämpft, dann darf
man keine Bildungsverlierer produzieren, dann darf niemand zurückgelassen werden. Schwarz-Gelb hat es nicht
geschafft, die eklatante Bildungsspaltung in unserem
Land zu mildern. Es darf nicht sein, dass weiterhin jeder
zehnte Bürger als funktionaler Analphabet gilt, dass jeder fünfzehnte Jugendliche die Schule abbricht und über
2 Millionen junge Erwachsene keinen Berufsabschluss
haben. Solange diese Zahlen nicht gravierend sinken, so
lange ist Frau Merkels Bildungsrepublik ein Jammertal.
({9})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Deshalb sage ich: Eine andere Bildungs- und Integrationspolitik ist nötig, und sie ist möglich, aber ganz sicher nicht mit dieser Bundesregierung.
({0})
Das Wort hat nun Marcus Weinberg für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Deligöz von den Grünen hat den Kollegen Patrick Meinhardt gebeten, er solle doch einmal erklären, was der Bund gemacht hat. Liebe Frau Kollegin
Deligöz, Sie müssen eigentlich nur drei Schriftstücke
lesen. Sie müssen in den Haushaltsplan schauen, Sie
müssen das aktuelle Integrationsbarometer lesen, und
Sie müssen die aktuellste Bildungsuntersuchung lesen.
Dann werden Sie feststellen: Noch nie hat eine Bundesregierung so viel in Bildung und Forschung investiert,
noch nie waren die Ergebnisse im Bildungsbereich so
gut wie heute,
({0})
und noch nie - das ist eine Wahrnehmung der Betroffenen - wurde der Bereich Integration so positiv wahrgenommen. Das heißt, hier erkennen Sie ganz deutlich
stringentes Regierungshandeln.
({1})
Kai Gehring hat noch einmal das Modell der Bildungsgerechtigkeit formuliert. Bei dem Koalitionspartner, den die ehemals selbstständigen Grünen in ihrem
Regierungsprogramm schon fixiert haben, der SPD,
findet man nicht Bildungsgerechtigkeit, Herr Gehring,
sondern Gleichheit. Sie sollten einmal darüber nachdenken, wo im Wertekanon Sie eigentlich stehen: Wollen
Sie Gerechtigkeit,
({2})
oder wollen Sie Gleichheit durch Gleichmacherei? Das
ist Ihre Linie, Herr Schulz, nicht unsere Linie.
({3})
Die Grünen werfen uns vor, wir wären in der Integrationspolitik rückständig. Daher frage ich Sie, Herr
Gehring: Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass der
Koalitionspartner, auf den Sie sich festgelegt haben,
({4})
namentlich Herr Steinbrück, eine Trennung von Jungs
und Mädchen beim Sportunterricht gefordert hat? Das ist
in Ihrer Linie, glaube ich, nicht auffindbar. Sie sollten
sich einmal Gedanken darüber machen, wo Sie eigentlich stehen.
({5})
Um aus der Parallelwelt wieder ein bisschen in die
Realität zurückzukommen, liebe Aydan Özoğuz: Sie
haben kritisiert - das sage ich als Hamburger zu einer
Hamburgerin -, dass sich die Ministerin in ihrer Rede
nicht mit dem Thema Integration beschäftigt hat. Nun,
wenn man viele Erfolge hat, dann braucht man auch viel
Redezeit. Leider ist die bei uns auch begrenzt; wir
bräuchten, glaube ich, zwei bis drei Stunden, um hier die
Erfolge der Regierung in den Bereichen Bildung, Familie und Integration darzustellen.
({6})
Deshalb will ich nur einige Daten aus dem Integrationsbarometer wiedergeben:
Erstens. Über zwei Drittel der jungen Menschen mit
Migrationshintergrund fühlen sich in diesem Land wohl.
Dieser Wert war noch nie so hoch wie heute.
({7})
Marcus Weinberg ({8})
Zweitens - um auf den Bereich „Arbeitsmarkt und
Beschäftigung“ zu kommen -: In Deutschland findet
man leichter als in jedem anderen westeuropäischen
Land eine Beschäftigung.
({9})
Drittens. 70 Prozent der unter 25-Jährigen glauben an
eine gute Zukunft in Deutschland, und die Hälfte der
jungen Menschen geht davon aus, dass die Unterschiede
in zehn Jahren abnehmen werden. Das bestätigen übrigens auch die Bildungsergebnisse in diesem Bereich.
Die Anzahl der jungen Migranten ohne Hauptschulabschluss ist um 40 Prozent zurückgegangen,
({10})
wesentlich stärker als bei den jungen Menschen ohne
Migrationshintergrund. Das ist eine hervorragende Bilanz.
({11})
Sicherlich ist das - auch das sei gesagt - in weiten
Teilen noch nicht ausreichend. Das streiten wir auch
nicht ab. Wir verkünden keine heile Welt. Wir sagen
weiter: Nutzen wir die Riesenchance der Integration!
Wenn man Gerechtigkeit will, Bildungsgerechtigkeit
und Chancengerechtigkeit, dann kann man die Chance
der Integration nutzen. Das ist aber ein anderes Konzept,
Herr Dr. Rossmann, als das Konzept der Gleichheit. Mit
Gleichmacherei wird man dieser Gesellschaft nicht gerecht.
({12})
Wir wollen die Familien stärken, wir wollen die Individuen fördern, wir wollen Talente und Begabungen
fördern, aber nicht alles nivellieren auf einem gewissen
Niveau.
({13})
- Man muss immer die Realität darstellen.
({14})
Ich finde ja, Sie leben hier in einer Parallelwelt. In Ihrem
Antrag findet sich eine nette Lyrik; aber Sie müssen das
schon konkretisieren und die Fakten klar benennen.
({15})
Sie müssen sagen, was getan wurde, was erreicht wurde
und wie die Ziele sind.
Ich möchte jetzt noch ein bisschen auf Herrn
Steinmeier eingehen,
({16})
der uns kritisierte, indem er sagte, wir würden nichts für
den Kitaausbau tun. Wir haben über 4 Milliarden Euro
für den Krippenausbau ausgegeben. Wir haben - das
wurde von den Kollegen bereits angesprochen 400 Millionen Euro für das Programm „Offensive Frühe
Chancen“ ausgegeben.
({17})
Deswegen kann ich das, was die Kollegin von der FDP
gesagt hat, nur bestätigen. Gehen Sie einmal in eine Kita
in Hamburg, in unserer gemeinsamen schönen Stadt!
Über 70 Kindertagesstätten profitieren dort von diesem
Programm. Wenn Sie mit den Mitarbeitern, den pädagogischen Fachkräften, diskutieren, dann erfahren Sie, dass
sie für dieses Programm sehr dankbar sind.
({18})
Ein anderes Programm hat die Ministerin bereits angesprochen. Wenn wir ernsthaft über Bildungsimplikationen sprechen, dann stehen natürlich zuallererst die
Qualifizierung und die Ausbildung der Lehrkräfte vornean. Wir haben hier vor wenigen Wochen darüber diskutiert, dass wir endlich ein exzellentes Programm für
die Ausbildung unserer Lehrkräfte haben. Das hat diese
Bundesregierung mit 500 Millionen Euro auf den Weg
gebracht. Liebe Frau Hein, hier geht es um die Qualität
und nicht nur um eine reine Strukturreform, wie Sie sie
immer fordern, in Richtung einer Einheitsschule unter
Abschaffung des gegliederten Schulsystems. Es geht um
die Qualität, und die steigern wir auch mit diesem Programm.
({19})
Daneben gibt es weitere Fortbildungsprogramme im
Bereich der pädagogischen Fachkräfte und das Programm „Lesestart“. Damit versuchen wir - und wir werden es schaffen -, früh Bildungsgerechtigkeit zu produzieren, indem wir junge Menschen für das Lesen
begeistern. Jeder junge Vater und jede junge Mutter
weiß, wie wichtig es für Kinder ist, dass sie für das
Lernen und Lesen begeistert werden. Über 2 Millionen
Kinder profitieren bereits von diesem Programm.
({20})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Gerne. - Ich glaube, dass wir in den nächsten Monaten Zeit und Gelegenheit haben, noch vieles deutlich zu
machen. Es gibt den Schein, und es gibt das Sein. Hier
regiert das Sein. Das ist gut für die Bildungslandschaft in
Deutschland und ein Erfolg der Nachhaltigkeit. Darauf
werden wir auch in den nächsten vier Jahren aufbauen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Ernst Dieter Rossmann.
Herr Kollege Weinberg, wir haben Debattenbeiträge
gehört, bei denen man sich bemühte, den Kern der Bildungspolitik - das heißt dann immer, sich an der Sache
zu orientieren - in den Mittelpunkt zu stellen. Ich will
Ihnen deshalb nur ganz knapp sagen: Mal eben einen
Patsch auszuteilen, nach dem Motto, die Sozialdemokratie oder andere seien für Gleichmacherei, trifft es nicht.
({0})
Wir erkennen an, dass die Menschen unterschiedliche
Begabungen und Talente haben und dass sie sich unterschiedlich entwickeln. Wir sagen aber: Sie müssen alle
die gleiche Chance haben, diese entwickeln zu können.
({1})
Das ist doch etwas anderes als Gleichmacherei. Es geht
doch um die Gleichheit bezogen auf die Entwicklung der
Chancen. So haben wir das aufgeschrieben, und dafür arbeiten wir. Wir verlangen Respekt vor diesen Menschen
und möchten, dass Sie dies so anerkennen, statt hier
einen billigen Patsch auszuteilen. Das ist unter Ihrem
Niveau und auch unter dem Niveau des Bildungskonsenses in Deutschland.
({2})
Wenn Sie es handfester wollen: Sie haben in Hamburg unter anderem mit einem Schulkonsens parteiübergreifend - die CDU, die SPD, die Grünen und andere
waren dabei - dafür gesorgt, dass es diese Chancengleichheit über verschiedene Schulangebote, die nicht
gleich, aber gleichwertig sind, gibt. Auch aus Respekt
vor sich selbst könnten Sie doch vielleicht einmal anerkennen, dass andere dies teilen und dass es mitnichten
eine Gleichmacherschule ist, wenn es verschiedene Bildungswege gibt, aber alle die gleichen Bildungschancen
entwickeln können.
Entschuldigen Sie diesen emotionalen Vortrag, aber
ich will ausdrücken: Es gibt einen Kern, den man bei allem parteipolitischen Streit, der hier manchmal ziemlich
billig geführt wird, nicht aus den Augen verlieren darf.
Danke schön.
({3})
Herr Weinberg, wollen Sie reagieren? - Nein.
Dann erteile ich das Wort dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Thüringen, Christoph
Matschie.
({0})
Christoph Matschie, Minister ({1}):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
hat mich schon überrascht, dass es hier noch Rednerinnen oder Redner gibt, die den Ausbau von Ganztagsangeboten grundsätzlich infrage stellen.
({2})
Ich verstehe das nicht. Der Kollege Kaufmann hat hier in
Zweifel gezogen, dass es überhaupt sinnvoll ist, ganztägige Angebote zu machen.
({3})
Dann kam der Vorwurf von der Kollegin Bär, hier würde
ein Zwangsprogramm aufgelegt. Das ist ein solcher Unfug, den ich aus der Unionsfraktion gehört habe. Gehen
Sie doch einmal raus, und erklären Sie das den Eltern!
({4})
Frau Kollegin Wanka, ich habe hier von Ihnen keine
klare Stellungnahme dazu gehört, wie Sie als Bundesministerin zum Ausbau von Ganztagsschulen stehen. Sie
haben hier deutlich gemacht - auch ganz stolz -, dass
Sie als Ministerin in Niedersachsen die Ganztagsschulen
ausgebaut hätten. Warum stehen Sie heute nicht hier und
sagen: „Auch als Bundesministerin halte ich das, was ich
als Landesministerin gemacht habe, für sinnvoll und
setze mich gemeinsam mit der SPD dafür ein, dass ein
neues Bund-Länder-Programm für mehr Ganztagsschulen kommt“? Warum tun Sie das nicht, Frau Wanka?
({5})
Stattdessen verbreiten Sie hier Unwahrheiten. Sie haben von einer Gesprächsrunde von Bildungsministern
aus den Ländern mit der damaligen Bundesministerin,
Frau Schavan, gesprochen und gesagt, da hätten SPDBildungsminister gesessen, die gegen die Ausweitung
der Grundgesetzänderung auf die Schulen gewesen
seien. Nennen Sie mir einen einzigen! Ich war damals
dabei: Die Meldungen dagegen kamen aus Bayern, aus
Hessen und von Ihnen als damalige niedersächsische
Bildungsministerin. Auf der Seite erfolgte eine Blockade
der Länder, nicht vonseiten der SPD-Bildungsminister.
({6})
Dann wurde hier der absurde Vorwurf geäußert, es
solle alles auf den Bund delegiert werden. Darum geht es
doch überhaupt nicht, Kolleginnen und Kollegen.
Schauen Sie sich einmal die Zahlen aus dem Bildungsfinanzbericht an! Die Länder tragen 80,4 Milliarden Euro,
die Kommunen tragen 22,6 Milliarden Euro und der
Bund trägt 7,3 Milliarden Euro, also rund 5 Prozent, an
den öffentlichen Bildungsaufwendungen. Wenn jemand
behauptet, da wäre keine Luft mehr nach oben, dann irrt
er ganz gewaltig. Wir brauchen eine gemeinsame An30166
Minister Christoph Matschie ({7})
strengung von Bund und Ländern für eine bessere Bildungspolitik.
({8})
Es ist auch nicht so, dass nur einzelne Bundesländer,
dass nur SPD-geführte Bundesländer mehr Geld vom
Bund wollen. Ich darf einmal aus dem letzten Protokoll
über die Besprechung der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin zitieren. Darin haben die Länder einvernehmlich festgehalten:
Die Länder erwarten, auch im Hinblick auf ihre laufenden Aufgaben im Bildungsbereich, dass neben
zusätzlichen Bildungsausgaben des Bundes dieser
die Länder im Rahmen der verfassungsmäßigen
Kompetenzordnung mit zusätzlichen Umsatzsteuermitteln unterstützt.
Die Länder waren einstimmig der Meinung, dass sie zu
knappe finanzielle Ressourcen haben.
Ich kann Ihnen das einmal aus Sicht eines Bildungsministers in einem Land, und zwar in einem ostdeutschen Land, schildern: Wir haben in dieser Legislaturperiode unsere Bildungsausgaben um 400 Millionen Euro
angehoben. Gleichzeitig sinken die Mittel im Landeshaushalt. Versuchen Sie sich doch einmal vorzustellen,
wie wachsende Bildungsausgaben in einem abgesenkten
Landeshaushalt untergebracht werden sollen.
({9})
- Jetzt rufen Sie „Sachsen“ dazwischen. Dazu kann ich
Ihnen etwas sagen;
({10})
das Beispiel kam ja schon. Eben wurde von Frau Wanka
Frau Kurth zitiert. Herr Kollege, ich habe eine Erinnerung an Sachsen. Da gab es einen Kollegen, den Vorgänger von Frau Kurth, Professor Wöller. Der ist zurückgetreten, weil die sächsische Staatsregierung insgesamt
nicht bereit war, ihm eine ausreichende Anzahl an
Lehrerstellen zu finanzieren. Das ist inzwischen die Bildungswahrheit in Sachsen.
({11})
Jetzt gibt es da eine Kollegin - mit Verlaub, ich möchte
ja niemanden schlechtmachen -, deren Worte, dass
Sachsen mit seinen Ausgaben hinkommen wird, angesichts dieses Rücktritts nicht besonders glaubhaft erscheinen.
({12})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, hat
eine Forderung nach einer gemeinsamen Bund-LänderAnstrengung Aussicht auf Erfolg? Ich meine: Ja, das hat
sie. Es gibt dafür auch schon ein erfolgreiches Beispiel.
Die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 ein gemeinsames Bund-Länder-Programm für den Ausbau von Ganztagsschulen aufgelegt. Ich selber habe damals auf Bundesseite die Gespräche mit den Ländern mit geführt. Am
Anfang gab es da von einer ganzen Reihe von Ländern
viel Widerstand. Aber schauen Sie sich einmal die Zahlen an: 2002 lag das Angebot an Ganztagsschulen für
Schüler bei 10 Prozent. 2009, am Ende dieses Programms, lag das Angebot an Ganztagsschulen bei knapp
30 Prozent. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist
es gelungen, das Angebot innerhalb eines knappen Jahrzehnts zu verdreifachen. Warum packen wir das nicht
wieder gemeinsam an? Warum sagen wir nicht: „Wir ändern das Grundgesetz;
({13})
wir schaffen die Voraussetzung für diese gemeinsame
Anstrengung“?
({14})
Das, was im Moment vorliegt, eine Änderung des
Art. 91 b Grundgesetz, reicht nicht aus. Wir brauchen
eine umfangreichere Änderung, die eine Zusammenarbeit nicht nur im Hochschulbereich ermöglicht, sondern
im gesamten Bildungsbereich.
Ich kann Ihnen nur eines raten - lassen Sie mich das
zum Schluss sagen -: Machen Sie einen Praxistest! Reden Sie mit Eltern, und versuchen Sie einmal, denen zu
erklären, warum es dem Bund möglich ist, ein „Kita-Invest“-Programm gemeinsam mit den Ländern zu gestalten - eine sinnvolle Sache -, aber warum es dem Bund
nicht möglich ist, gemeinsam mit den Ländern ein neues
Ganztagsschulprogramm aufzulegen. Ich wünsche Ihnen
dabei viel Spaß und hoffe, dass es Ihnen gelingt.
({15})
Ich glaube, es ist höchste Zeit für eine gemeinsame
Anstrengung von Bund und Ländern über die Parteigrenzen hinweg. Lassen Sie uns die Verfassung so ändern,
dass wir einen kooperativen Bildungsföderalismus bekommen, in dem Bund und Länder gemeinsam an einem
Strang ziehen!
({16})
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Sylvia Canel für die FDP-Fraktion.
({0})
Mein lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist heute eine interessante Veranstaltung. Wenn
man allerdings schon so viele Argumente gehört hat,
dann bleiben nicht mehr viele übrig, die man nennen
kann, ohne das Plenum damit zu langweilen. Es ist ganz
bezeichnend, wie hier gegensätzlich argumentiert wird.
Wir haben hier einen Antrag der SPD vorliegen, und
Herr Rossmann hat sehr leidenschaftlich darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, auch einmal die Gegenseite
zu loben, deren Leistungen anzuerkennen und sie nicht
willentlich falsch zu verstehen. Ich finde das richtig,
Herr Rossmann. Aber das gilt für unsere Seite genauso.
Der vorliegende Antrag ist voll des Lobes für Ganztagsschulen. Ich kann mich diesem Lob unbenommen
anschließen. Natürlich brauchen wir viel mehr Ganztagsschulen, die mit gut ausgebildeten Lehrern ausgestattet sind. Natürlich brauchen wir in der heutigen Zeit
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber nicht nur
das: Wir brauchen auch gemeinschaftliche Erziehung,
damit es in den Schulen überhaupt zum Unterrichten
kommt. Wer aus der Großstadt kommt, weiß, was ich damit meine.
Ja, da sind wir ganz beieinander. Aber ich verstehe
nicht, warum Sie das noch nicht vorangetrieben haben.
Mitglieder Ihrer Partei sind in den Bundesländern dafür
zuständig. Und was sehen wir zum Beispiel in Hamburg? Ich komme aus Hamburg. In Hamburg regiert die
SPD mit absoluter Mehrheit. Die Priorität für gut ausgebaute Ganztagsschulen statt „schlechte Schulen den ganzen Tag“ haben wir in Hamburg so noch nicht wiederfinden können, wie Sie das hier so richtig verkaufen. Aber
genau dort liegt die Verantwortung, vor Ort in den Ländern, und das ist auch richtig so.
({0})
Vor Ort sollte man am besten wissen, was für die Schule
wichtig ist.
In Hamburg laufen Vermessungsteams über die
Schulhöfe und prüfen, ob da nicht vielleicht zu viele
Quadratmeter pro Schüler vorhanden sind. In diesem
Fall könnte man die Fläche nämlich gut für den Wohnungsbau nutzen. Meine Damen und Herren, wie passt
das zu Ihrem Anspruch, gute Ganztagsschulen einzurichten? Man weiß doch, dass Kinder Bewegung brauchen und ein Mindestmaß an Raum.
In Berlin ist es ähnlich. Auch in Berlin wird nicht der
Schwerpunkt auf gute Ganztagsschulen gelegt, obwohl
dort Sozialdemokraten in der Verantwortung sind.
({1})
Warum setzen Sie das nicht einfach einmal um? Sie haben die Priorität gesetzt: Wir wollen unsere Infrastruktur
ausbauen. - Deshalb wird es dort irgendwann einmal einen Flughafen geben, der so teuer wird wie der Kölner
Dom. Bitte sehr! Aber Sie hätten auch eine ganze Menge
für gute Ganztagsschulen abzweigen können.
Warum ist Sachsen denn so erfolgreich? Weil sie dort
nicht im ideologischen Schulkampf verharren und Strukturmodelle bis zum Erbrechen diskutieren, sondern einfach nur in guten Unterricht investieren. Das ist ein Vorbild.
({2})
Der Antrag ist auch deshalb interessant, weil er die eigene Arbeit sehr lobt, etwa das Ganztagsschulprogramm: Unsere Arbeit ist die tollste; alle anderen sind
Versager. - Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass
die Lehrer in guten Ganztagsschulen ein anderes Miteinander vorleben als das, was heute im Parlament zu erleben ist.
({3})
- Das steht im Antrag so drin. Ich habe ihn sehr genau
gelesen, Herr Rossmann.
Das Nächste ist: Der Antrag schließt nicht nur mit
dem eigenen Lob und blendet alles aus, was in diesen
vier Jahren an Gutem investiert und umgesetzt wurde,
sondern auch mit der Forderung nach mehr Geld. Herr
Steinmeier hat es selbst gesagt: Es geht um Bildung, Bildung, Bildung. In diesem Antrag heißt es nur: Mehr
Geld! Mehr Geld! Mehr Geld! Das ist für eine gute Bildungspolitik eindeutig zu wenig.
({4})
Was geben wir den Leuten von unserer Bildungspolitik mit, die wir in vier guten Jahren gemacht haben? Das
ist zunächst einmal die Priorität: Ja, Bildung braucht
Geld. Wir haben knapp 14 Milliarden Euro draufgelegt,
mehr als jede Koalition zuvor.
({5})
Darüber hinaus haben wir eine sehr gute Bilanz vorgelegt.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Danke sehr. Auch dann sind Sie noch mein Präsident.
Ich möchte nicht überziehen.
Man braucht eine ganze Menge Geld, aber Sie wissen
auch, dass das nicht alles ist. Strengen Sie sich in den
Bundesländern an! Sehen Sie zu, dass Ihre Ministerpräsidenten, Bürgermeister und wie sie alle heißen das tun,
was Sie hier fordern und in völlig überzogener Art und
Weise vorbringen.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat nun Thomas Feist für die CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Vielleicht hätte der eine oder andere
die Losung für den heutigen Tag lesen sollen. Sie lautet:
Ich will Frieden geben an dieser Stätte, spricht der
Herr Zebaoth.
So ein Gepolter, dabei hatte ich mich auf eine sachliche
Debatte gefreut.
Ich will manches auslassen, das in dem Antrag enthalten ist. Ich will nicht über kollektive Zwangsbeglückung
sprechen. Ich will auch nicht darüber sprechen, dass man
aus dem Antrag herauslesen könnte, der Weg führe weg
von der Bildungseinrichtung hin zur Erziehungsinstitution. Das alles will ich nicht tun. Aber eine Bemerkung
kann ich mir nicht verkneifen. Sehr geehrte Kollegen
von der SPD, Sie waren schon mit Ihrem Wahlkampfslogan nicht sehr erfolgreich. Sie haben nämlich den Slogan
von einer Zeitarbeitsfirma geklaut. Nun habe ich mich
gefragt: Was ist denn „Projekt Zukunft“ für ein putziger
Spruch? Wo kommt der her? Im Internet habe ich entdeckt, dass es eine Firma gibt, die unter dem Stichwort
„Projekt Zukunft“ wirbt - das können Sie sich vielleicht
merken -: „Ihr zuverlässiger Partner für professionelle
Verkaufsaktionen, Aktionsmarketing, Krisenmanagement und Insolvenzen“.
({0})
Sie sollten vielleicht nächstes Mal aufpassen, was Sie
über Ihren Antrag schreiben, und vielleicht erst einmal
googeln.
({1})
Sie beginnen den Antrag mit dem Satz: „Das deutsche
Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug.“ Das
könnte auch als Überschrift über dem Antragsentwurf
vom 7. Mai stehen. Einen derart lieblos hingeklitterten
Antragsentwurf mit einem Haufen Rechtschreibfehlern,
grammatikalischen Unwuchten und Satzwiederholungen, die irgendwo im Nirgendwo enden, habe ich noch
nie gesehen. Man sollte sich genau überlegen, ob man einen Referentenentwurf nicht besser durchliest, bevor
man seinen Namen darüberschreibt.
({2})
Ein Blick in den Antrag zeigt: Es gibt Forderungen,
Forderungen, Forderungen, aber keine Lösungen. Es
hätte der Ehrlichkeit halber zumindest bedurft, dass man
abschließend nicht nur den Ländern und Kommunen für
die enormen Anstrengungen dankt, sondern vielleicht
auch einmal die Leistungen des Bundes erwähnt. Denn
den 400 Millionen Euro, die damals von Ländern und
Kommunen für das Ganztagsschulprogramm aufgebracht wurden, stehen 4 Milliarden Euro des Bundes gegenüber. Das wäre eine kleine Erwähnung an dieser
Stelle wert gewesen. Forderungen statt Lösungen - das
kann man nachlesen.
({3})
- Das ist doch Quatsch. So bescheiden sind Sie doch
sonst auch nicht, Herr Rossmann.
({4})
Sie erheben nur Forderungen, bieten aber keine Lösungen. Das gilt vor allen Dingen für die Diskrepanz
zwischen der schulischen Arbeit und der Freizeitgestaltung der Jugendlichen; das ist schon angesprochen worden.
({5})
Die Jugendlichen brauchen auch Zeit, um Sportvereine,
Kirchengemeinden oder Musikschulen zu besuchen. Sie
schreiben in Ihrem Antrag dazu:
Als ungelöst muss weiterhin das Problem gelten, einen tragfähigen Ausgleich in der Zeitkonkurrenz
insbesondere zur freien Jugendarbeit oder zu den
Sportvereinen zu schaffen.
Ungelöst! Eine Lösung wäre schön gewesen, wenn Sie
schon einen so blumigen Antrag vorlegen. Oder ist das
zu viel erwartet?
({6})
Zu den Ganztagsschulen möchte ich Ihnen noch eines
sagen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Begriff
noch gar nicht genau definiert ist. Das ist an mehreren
Stellen Ihres Antrags zu lesen. Sie weisen außerdem darauf hin, dass die Auslastungszahlen ganz unterschiedlich sind. So liegt die Ganztagsteilnahmequote in Bayern
bei 11,4 Prozent, während sie in Sachsen mit fast 80 Prozent den Spitzenwert erreicht. Doch auf die Ergebnisse
hat die Ganztagsschule anscheinend gar keinen Einfluss.
Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sieht, dass
die Ergebnisse in der Bildung sowohl in Bayern als auch
in Sachsen hervorragend sind. Oder geben Sie mir da
nicht recht?
({7})
Sie sagen, dass wir mehr Qualität in den Ganztagsschulen brauchen. Ich finde es bezeichnend, dass kein
Bildungspolitiker der SPD heute hier gesprochen hat,
abgesehen von einem Zwischenruf des Kollegen
Rossmann. Sie sagen, dass wir eine bessere Ausgestaltung der Ganztagsschulen brauchen. Ich begreife daher
nicht Ihre ablehnende Haltung, wenn wir 230 Millionen
Euro für die kulturelle Bildung zur Verfügung stellen,
die unserer Meinung nach zur Bildung - auch in den
Ganztagsschulen - gehört. Sie erheben ständig Forderungen, aber wenn es darum geht, etwas zu tun, machen
Sie nichts.
Die Exzellenzinitiative „Lehrerbildung“ wird genau
in die richtige Richtung weisen. Wir werden das in den
nächsten vier Jahren weiterhin begleiten. Für Ihr Projekt
„Zukunft - Deutschland 2020“ haben Sie noch ein paar
Jahre Zeit. Machen Sie Ihre Hausaufgaben!
({8})
Vielen Dank, Kollege Dr. Feist. - Nächster Redner
für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege Helmut
Brandt. Bitte schön, Kollege Helmut Brandt.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als letzter Redner will ich zum Schluss die
Debatte auf den zweiten thematischen Teil, die Integrationspolitik, lenken; denn die Bildungspolitiker aus meiner Fraktion sind auf jeden Fall schon zu Wort gekommen. Im Übrigen möchte ich Ihnen, Frau Ministerin,
danken. Sie haben zwar etwas von unserer Redezeit in
Anspruch genommen. Sie haben aber recht: Wir haben
das gerne hingenommen; denn Sie haben ganz entscheidend zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen.
Jeder Satz von Ihnen war jede von Ihnen in Anspruch
genommene Minute wert.
({0})
Im Gegensatz dazu steht der Aufschlag des SPDFraktionsvorsitzenden. Er hat zwar lautstark artikuliert,
die Regierungsbank sei nicht hinreichend besetzt. Er selber hat aber das Ende der Debatte nicht erlebt und einem
großen Teil der Debatte nicht beigewohnt. Ich finde das
nicht gut. Man sollte schon mit gleichem Maß messen.
({1})
- Sie müssen diese drei Minuten nicht ertragen. Sie können - genauso wie Ihr Fraktionsvorsitzender - nach
draußen gehen.
({2})
Ich möchte einen Punkt ansprechen, auf den ich Wert
lege.
({3})
Sie fordern in Ihrem Antrag eine Grundgesetzänderung
und wollen erreichen, dass der Bund zukünftig in der
Lage sein soll, mehr Geld für Bildung auszugeben. Aber
Sie haben keinen einzigen Satz dazu verloren, dass dann
damit auch mehr Einfluss verbunden sein muss. Ich kann
Ihre Ausführungen nicht würdigen, Herr Matschie, weil
auch Sie dazu keinen einzigen Satz gesagt haben.
Angesichts der demografischen Entwicklung in
Deutschland haben wir ein großes Interesse daran, dass
alle hier lebenden Menschen, auch diejenigen mit Migrationshintergrund, an unserem Bildungssystem teilhaben und davon profitieren. Nach dem Grundsatz „Fördern und fordern“ erwarten wir von den Migranten
allerdings, dass sie sich den Herausforderungen stellen,
die ein Leben in Deutschland mit sich bringt. Für mich
und, wie ich denke, für uns alle bedeutet das in erster
Linie das Erlernen der deutschen Sprache. Ohne Bildung
und ohne eine gute Ausbildung, für die die deutsche
Sprache nun einmal unabdingbar ist, erleiden die Betroffenen selbst große Nachteile, und - das muss man ganz
klar sehen - unserem Land droht damit die Gefahr, dass
nachwachsende Generationen ganz oder teilweise verloren gehen. Das können wir alle nicht wollen.
Deshalb war und bleibt es richtig, dass die Maßnahmen zur Sprachförderung besser geworden sind, dass
auch da mehr Koordination stattgefunden hat. Die jüngsten Zahlen der Integrationsbeauftragten belegen, dass
- und das ist etwas Trauriges, das eben auch schon Erwähnung gefunden hat - in manchen Bundesländern beinahe jedes zweite Kind bei Eintritt in die Grundschule
nicht mehr über das erforderliche Sprachniveau verfügt.
Das ist ein, wie ich finde, dramatischer Befund, wenn
man bedenkt, dass in Deutschland bei den unter fünfjährigen Kindern 35 Prozent einen Migrationshintergrund
haben; denn dieser Nachteil zu Beginn des Schullebens
ist nur schwer aufzuholen und wirkt sich - das ist die Erfahrung - während der ganzen Schulzeit aus. Deshalb
müssen wir hier weitere Anstrengungen unternehmen.
Zum Schluss - meine Redezeit geht zu Ende möchte ich auf eines hinweisen, was hier noch nicht gesagt worden ist. Im letzten Jahr hat die Zuwanderung in
Deutschland extrem zugenommen, was wir begrüßen.
Menschen aus europäischen Ländern und von außerhalb
Europas sind zu uns gekommen. Deshalb werden in Zukunft - davon bin ich überzeugt - die Bildungs- und die
Integrationspolitik einen immer höheren Stellenwert haben. Ich würde mir wünschen, dass wir da jedenfalls einer Meinung wären.
Besten Dank.
({4})
Kollege Helmut Brandt war der letzte Redner in unse-
rer Aussprache, die ich nun schließe.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/13482 und 17/13483 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 l sowie
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g auf:
56 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Prävention
- Drucksache 17/13401 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Sportausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung
- Drucksache 17/13402 30170
Vizepräsident Eduard Oswald
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von
Apotheken ({2})
- Drucksache 17/13403 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksache 17/13404 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({4})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November
2001 zum Europäischen Übereinkommen vom
20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsa-
chen
- Drucksache 17/13415 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 13. Januar 2013 über
die Vorrechte und Immunitäten der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien
- Drucksache 17/13416 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zu dem OCCAR-Überein-
kommen vom 9. September 1998
- Drucksache 17/13417 -
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Abkommens vom 20. März 1995 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Polen über die Erhaltung der
Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundes-
fernstraßen und der polnischen Landesstra-
ßen an der deutsch-polnischen Grenze
- Drucksache 17/13418 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
i) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 17/13427 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({6})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die
Bekanntmachungen zum Ausstellungsschutz
- Drucksache 17/13428 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tabakprävention und Schadensminderung
stärken - EU-Tabakprodukterichtlinie weiter
verbessern
- Drucksache 17/13244 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({8})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Serkan
Tören, Joachim Günther ({10}), Dr. Lutz
Knopek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im und durch den Sport nachhaltig
stärken
- Drucksache 17/13479 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({11})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 2a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine
Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dopingbekämpfung im Sport ({12})
- Drucksache 17/13468 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({13})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Vizepräsident Eduard Oswald
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum Abschluss bringen
- Drucksache 17/12507 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({14})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände einführen
- Drucksache 17/13477 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({15})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Schmidt ({16}), Siegmund Ehrmann, Angelika
Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen
und Männern auch im Kunst-, Kultur- und
Medienbereich
- Drucksache 17/13478 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({17})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Ländliche Räume als Lebensräume bewahren
und zukunftsfähig gestalten
- Drucksache 17/13490 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({18})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für eine kohärente Politikstrategie zur Überwindung des Hungers
- Drucksache 17/13492 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({19})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Atomrisiken ernst nehmen - Auch in Bezug
auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien
- Drucksache 17/13491 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({20})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a und b, 57 d
bis h sowie 57 j bis q sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b
auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 57 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Seearbeitsübereinkommen 2006 der
Internationalen Arbeitsorganisation vom
23. Februar 2006
- Drucksache 17/13059 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({21})
- Drucksache 17/13302 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13302,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13059 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das Ergebnis ist wie vorhin, alle stimmen dafür. Wer
stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand.
Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli
2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die
Nachnutzung der ehemaligen deutsch-österreichischen gemeinschaftlichen Grenzzollämter
- Drucksache 17/12954 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({22})
- Drucksache 17/13346 Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Petra Hinz ({23})
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13346, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12954 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die
Verordnung ({24}) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung
technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung ({25}) Nr. 216/2008 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 20. Februar
- Drucksache 17/13029 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({26})
- Drucksache 17/13349 Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Behrens
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13349, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13029 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des Hauses.
Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind wiederum alle Kolleginnen und Kollegen. Wer
stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Ebenfalls
niemand. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung ({27})
Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 16. Februar 2011 über die
Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und
zur Änderung der Verordnung ({28}) Nr. 2006/
- Drucksache 17/13031 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({29})
- Drucksache 17/13350 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Gottschalck
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13350, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13031 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Enthaltungen? - Das sind die Fraktion der
Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes
- Drucksache 17/13028 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({30})
Vizepräsident Eduard Oswald
- Drucksache 17/13352 Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13352, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13028 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen
und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Gegenstimmen? - Niemand. Enthaltungen? Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke. Der
Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Abkommens vom 11. April
1955 über die Internationale Finanz-Corporation
- Drucksache 17/12953 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({31})
- Drucksache 17/13366 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle
Dr. Barbara Hendricks
Harald Leibrecht
Heike Hänsel
Ute Koczy
Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13366, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12953 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 h:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes
- Drucksache 17/13027 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({32})
- Drucksache 17/13465 Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13465, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13027 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und
Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion und
Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkte 57 j bis q; das sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 57 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 582 zu Petitionen
- Drucksache 17/13260 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 582 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34})
Sammelübersicht 583 zu Petitionen
- Drucksache 17/13261 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen.
Sammelübersicht 583 ist angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Tagesordnungspunkt 57 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35})
Sammelübersicht 584 zu Petitionen
- Drucksache 17/13262 Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 584 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36})
Sammelübersicht 585 zu Petitionen
- Drucksache 17/13263 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? Niemand. Die Sammelübersicht 585 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37})
Sammelübersicht 586 zu Petitionen
- Drucksache 17/13264 Wer stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Linksfraktion. Sammelübersicht 586 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 587 zu Petitionen
- Drucksache 17/13265 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sammelübersicht 587 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 588 zu Petitionen
- Drucksache 17/13266 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Niemand.
Sammelübersicht 588 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 57 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 589 zu Petitionen
- Drucksache 17/13267 Wer stimmt dafür? - Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? - Die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Sammelübersicht 589 ist angenommen.
Zusatzpunkt 3 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes ({41})
- Drucksache 17/13032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({42})
- Drucksache 17/13532 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Valerie Wilms
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13532, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13032 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen
und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Zusatzpunkt 3 b:
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({43})
- zu der Verordnung des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie
Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen ({44})
- zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
Verordnung zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung ({45})
- Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525 Berichterstattung:
Abgeordneter Ingo Egloff
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, der Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie über die
Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen auf Drucksache 17/13308 in der Ausschussfassung
zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zur Durchführung der Seeschiffbewachungsverordnung auf Drucksache 17/13309 in der
Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Niemand. Enthaltungen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmungen
haben wir geschafft.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD:
Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier - Bilanz der Chancen, Reden und Ergebnisse
Ich habe eine Änderung der Rednerliste bekommen.
Diese wird den Fraktionen bekannt gegeben.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer
Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Ulrich Kelber. Bitte schön, Kollege
Ulrich Kelber.
({46})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor etwa einem Jahr löste Frau Bundeskanzlerin
Merkel den damaligen Umweltminister Röttgen wegen
Erfolglosigkeit ab. Peter Altmaier sollte nun verhindern,
nachdem die CDU alle Landtagswahlen seit 2009 verloren hat, dass das Missmanagement bei der Energiewende
auch das Bundestagswahlergebnis verhageln könnte.
Nach einem Jahr Umweltminister Altmaier können wir
eine Bilanz ziehen: netter Typ, bunte Show, praktisch
keine Ergebnisse.
Es ist natürlich viel angenehmer, mit Peter Altmaier
zu sprechen und ihm zuzuhören als früheren oder aktuellen Energiepolitikern von CDU/CSU. Da schwärmt einer von den Chancen der Erneuerbaren. Da betont einer
die Wichtigkeit von Klimaschutz. Da redet einer von
Biodiversität. Da beschwört einer den Ressourcenschutz.
Aber dann kommt leider die Methode Norbert Röttgen:
Nach den warmen Worten folgt nichts oder sogar das
Gegenteil des Angekündigten. Dieser Altmaier bremst
dann die Erneuerbaren aus. Dieser Altmaier kämpft dann
gegen wichtige Instrumente zum Klimaschutz. Dieser
Altmaier folgt dann dem Landwirtschafts- und dem
Wirtschaftsministerium und tut nichts für die Biodiversität. Dieser Altmaier legt dann kein Wertstoffgesetz vor.
Das ist die Nullbilanz von Peter Altmaier.
({0})
Unsere vier Redner werden das an den Themen Energie, Fracking, Klimaschutz und internationale Atompolitik exemplarisch darlegen. Leider haben wir nur vier
Redner in der Debatte. Es hätte sicherlich mehr Themen
gegeben, an denen man das Ganze hätte veranschaulichen können.
Ich widme mich dem Thema Energie. Da staunt die
Öffentlichkeit seit etwa einem Jahr über den Dauerstreit
Altmaier und Rösler. Sie muss diesem Dauerstreit zuschauen. Das ist immerhin soziale Gleichheit; denn auch
die Bundeskanzlerin schaut diesem Dauerstreit nur zu.
Eine bessere Koordinierung der Energiepolitik hatte
Peter Altmaier vor einem Jahr versprochen. Ein einfacher Faktencheck: Gestern haben wir ein Jubelpapier der
Regierung zu ihrer Energiepolitik erhalten. Sucht man
dort nach dem Thema „Interne Koordinierung“, findet
man tatsächlich einen Punkt: Die Staatssekretäre der beteiligten Ministerien träfen sich jetzt zweimal im Jahr.
Das ist die Koordinierung der Energiepolitik.
Lieber Peter Altmaier: Man kann sich nicht aussuchen, mit wem man regiert. Ich gestehe Ihnen zu, dass
Herr Rösler wirklich eine Prüfung ist, wenn man mit ihm
zusammen Ergebnisse erzielen muss. Die Frage allerdings ist: Warum müssen Sie immer nachgeben? Warum
darf Herr Rösler die Energieeffizienzrichtlinie in Brüssel
blockieren? Warum darf er verhindern, dass der Emissionshandel repariert wird? Warum können Sie nicht
durchsetzen, dass Deutschland ambitionierte Klimaschutzziele nach Brüssel meldet? Warum kämpfen Sie
gemeinsam mit Herrn Rösler dafür, dass auch neue Autos weiterhin viel Benzin verbrauchen dürfen? Das verstehen wir nicht, Peter Altmaier. Was hat die Umwelt
von einem Umweltminister, der keine Umweltpolitik
macht? Gar nichts.
({1})
Ein besonderes Bubenstück war die sogenannte
Strompreisbremse. In dem Papier ist richtig analysiert
worden, dass nicht der Zubau der Erneuerbaren den
Strompreis treibt, sondern das gesetzlich erzwungene
Verscherbeln des aus erneuerbaren Energien gewonnenen Stroms an der Spotmarktbörse. Aber genau für die30176
ses Problem legt der Minister dann keinen Vorschlag
vor, sondern sagt: Ich will den Zubau der erneuerbaren
Energien ausbremsen. Das ist das, was stört. Und dann
geht er auch noch mit Pathos hin und sagt: Wenn meinen
Vorschlägen nicht gefolgt wird, dann kostet das 1 Billion
Euro. Ging es nicht eine Nummer kleiner, Peter
Altmaier?
({2})
Bis heute weigert er sich, diese Zahl zu erklären. Auf
eine schriftliche Anfrage antwortete er, er könne das nur
mündlich unter vier Augen und nicht in der Öffentlichkeit machen.
Peter Altmaier vermittelt immer mehr den Eindruck,
man müsse bei der Energiewende auf die Wendebremse
treten. Er stellt den Zuwachs der erneuerbaren Energien
als Problem dar. Dabei ist der Zuwachs, ein schneller
Zuwachs, die Chance und die Lösung. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass der weltweite Erfolg erneuerbarer Energien immer mit dem Namen und dem Wirken unseres verstorbenen Parteifreundes Hermann
Scheer verbunden bleiben wird. Wir wollen nicht auf die
Bremse treten.
({3})
In Wirklichkeit haben Sie längst alle Regierungsversuche eingestellt. Im Rahmen des Beirats der Bundesnetzagentur haben wir Staatssekretär Becker, Herr über
Hunderte Fachbeamte, gefragt, welche Vorschläge die
Regierung für diese konkreten Probleme vorlegen
würde. Einige, die hier sitzen, waren anwesend. Die Antwort lautete: Wir werden keinen Vorschlag machen. Machen Sie doch einen Vorschlag an dieser Stelle. - Dazu
passt das, was Sie mir letzte Woche auf Twitter geschrieben haben; wir treffen uns da häufiger virtuell. Sie haben
mich tatsächlich gefragt, was denn eine SPD-Regierung
in Zukunft zur Förderung der erneuerbaren Energien machen wird.
({4})
So sehr hat sich wohl noch kein Minister die eigene Ablösung herbeigesehnt.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Ulrich Kelber.
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Dr. Christian
Ruck. - Bitte schön, Kollege Dr. Ruck.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Aktuelle Stunde der SPD hat nur den
einen durchsichtigen Sinn: eine polemische Kampagne
gegen unseren engagierten Umweltminister Peter
Altmaier zu führen. Das ist sowohl schäbig als auch
scheinheilig.
({0})
Es ist schäbig, weil die Vorwürfe entweder an die falsche
Adresse gerichtet oder schlichtweg falsch sind. Das
nennt man Verleumdung. Scheinheilig ist es, weil die
Opposition von ihrem eigenen umweltpolitischen Versagen ablenken will.
({1})
In Wahrheit hat Bundesumweltminister Altmaier in
knapp einem Jahr Amtszeit mehr erreicht und angestoßen als so mancher rote und grüne Amtsvorgänger zuvor
in einer ganzen Legislaturperiode.
({2})
Zu den erneuerbaren Energien: Entgegen Ihren Behauptungen und falschen Thesen haben die erneuerbaren
Energien unter der Amtszeit Peter Altmaiers gewaltig
zugelegt.
({3})
2012 wurden 10 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren
Energien erzeugt als 2011, und das, obwohl Peter
Altmaier völlig zu Recht und entgegen dem erbitterten
Widerstand mit seiner PV-Novelle dafür gesorgt hat,
({4})
dass die Photovoltaik heute nicht mehr der Hauptkostentreiber bei der Energiewende ist.
({5})
Zum Bundesbedarfsplangesetz: Auch hier hat Peter
Altmaier gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister den Netzausbau vorangetrieben und die Grundlagen
für einen weiteren Ausbau gelegt. Ich erinnere an dieser
Stelle auch an die neue Haftungsregelung im Bereich
Offshore und die Bundeskompensationsverordnung,
({6})
bei denen Peter Altmaier für ein einheitliches Verfahren,
für mehr Transparenz und Effektivität gesorgt hat.
({7})
Zu den KfW-Förderprogrammen für dezentrale
Stromspeicher: Auch hier hat Peter Altmaier die Integration der erneuerbaren Energien gefördert und die Speichertechnologien stärker in den Markt gebracht.
({8})
Zur organisatorischen Neuordnung des BMU: Mit
den drei neuen Unterabteilungen hat der Minister Kompetenzen gebündelt
({9})
und die Strukturen für die großen Herausforderungen der
Umwelt- und Energiepolitik geschaffen.
({10})
Zum Asse-Gesetz: Im großen Konsens aller Akteure
hat der Minister sichergestellt, dass die Rückholung der
Abfälle die bevorzugte Lösung ist. Auch das ist das Verdienst von Peter Altmaier.
Zum Standortauswahlgesetz: Wir haben morgen die
erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf. Der parteiübergreifende Konsens in dieser so wichtigen und auch generationenübergreifenden Frage ist ebenfalls das Ergebnis
einer wirklich unermüdlichen Anstrengung von Peter
Altmaier.
({11})
Ich möchte die Opposition warnen, diesen Kompromiss
jetzt mit parteitaktischen Spielchen zu gefährden. Wer
jetzt noch Absetzbewegungen vornimmt, betreibt Sabotage auf dem Rücken zukünftiger Generationen.
({12})
- So ist es.
Weitere Beispiele: die Mittelstandsinitiative Energiewende und die kostenlose Energieberatung für einkommensschwache Haushalte. Kurz: Alle Vorhaben des
10-Punkte-Programms, das Peter Altmaier am 16. August letzten Jahres vorgestellt hat, hat er entweder engagiert umgesetzt
({13})
oder sind in der Mache.
({14})
Hier möchte ich insbesondere auf seinen Verfahrensvorschlag für die mehr als notwendige Überarbeitung
des EEG hinweisen.
({15})
Die Vorarbeiten für eine grundlegende Reform des EEG
hat Peter Altmaier vorangetrieben. Ich glaube schon,
dass diese Reform des EEG entscheidend für den Erfolg
der Energiewende ist, entscheidend dafür ist, ob wir es
trotz Energiewende schaffen, dass die Industrie das
Rückgrat unserer Wirtschaft bleibt, sodass wir ein Beispiel für die Welt sein können.
Gerade beim EEG und bei Peter Altmaiers Vorschlag
zur Strompreisbremse zeigt sich die Scheinheiligkeit der
Opposition:
({16})
Auf der einen Seite lamentieren Sie laut über steigende
Energiepreise, auf der anderen Seite lehnen Sie über die
Länder die preisdämpfenden Vorschläge von Peter
Altmaier ab. Das ist keine verantwortungsvolle Energiepolitik.
({17})
Der Höhepunkt Ihrer verantwortungsvollen Haltung war
Ihr jämmerlicher Auftritt im Zusammenhang mit der
steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Das bleibt ein Skandal, und da lassen wir Sie auch
nicht aus der Verantwortung.
({18})
Scheinheilig ist auch Ihre Nummer, dem Umweltminister bei seinem mutigen Eintreten für internationale
Umweltbelange ständig in den Rücken zu fallen,
({19})
und das bei dem massiven Gegenwind, den gerade der
internationale Umweltschutz in dieser Zeit verspürt; das
sehen wir auch beim Klimaschutz. Wenn ich mir dann
auch noch die zwielichtige Haltung etwa der rot-grünen
Landesregierung in Nordrhein-Westfalen - Stichwort
„Kohle“, Stichwort „Backloading“ ({20})
oder die schwachbrüstige Bilanz der rot-grünen Landesregierung von Baden-Württemberg bei den erneuerbaren
Energien anschaue, dann bleibt als Resümee der rot-grünen Umweltpolitik nur übrig: Scheinheiligkeit als Parteitaktik.
({21})
Das ist für eine zukunftsfähige Umweltpolitik zu wenig.
Wir jedenfalls stärken Peter Altmaier bei seiner Umweltpolitik den Rücken.
({22})
Mut in der Umweltpolitik birgt natürlich viele Risiken
und ruft Kritik hervor, vor allem, wenn es sich um große
internationale Herausforderungen oder um ein Megaprojekt wie die Energiewende handelt.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Gerade in der Umweltpolitik gilt: Wer nicht kämpft,
der hat schon verloren. Darum sind wir sehr froh darüber, dass Peter Altmaier unser Bundesumweltminister
ist.
({0})
Wir brauchen ihn, die Umwelt braucht ihn; aber die Umwelt braucht keine rot-grünen Saboteure.
({1})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Eva
Bulling-Schröter. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Peter Altmaier ist ein angenehmer Zeitgenosse. Ich persönlich nehme dem Umweltminister auch ab, dass er die
Energiewende tatsächlich will. Aber im politischen Geschäft ist das letztlich unerheblich; denn die Bundesregierung als Ganzes will diese Wende offensichtlich nicht
bzw. nur gebremst oder verzögert.
({0})
Da nutzt weder Nettigkeit noch ein tatkräftig federnder
Gang - es zählt, was am Ende herauskommt.
In Sachen Klimaschutz bescheinigt gerade das Umweltbundesamt der Bundesregierung, dass mehr herauskommt, nämlich mehr CO2 aus deutschen Kohlekraftwerken und Industriebetrieben, und zwar deshalb, weil
der EU-Emissionshandel versagt hat. Auf dem Markt befinden sich rund 1,7 Milliarden CO2-Emissionszertifikate zu viel, vor allem aufgrund von Überzuteilungen an
die Wirtschaft und einer Schwemme fauler Zertifikate
aus Auslandsprojekten. Die deutsche Regierung enthält
sich in Brüssel, wenn es darum geht, diese Überschüsse
auch nur zeitweise stillzulegen. Und diese Entscheidung
ist gegen den Klimaschutz und pro Erderwärmung, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Ich kann jetzt nicht beurteilen, wie hart Peter
Altmaier und Philipp Rösler in Sachen Emissionshandel
verhandelt haben; ich weiß es nicht. Am Ende hat jedenfalls die Industrie- und Kohlelobby gesiegt, also der
FDP-Wirtschaftsminister. Eine Reform des Emissionshandels wird in Brüssel aber nicht nur von den Liberalen, sondern auch von den deutschen Abgeordneten der
Union mehrheitlich blockiert. Herr Altmaier, ich kann
Ihnen nur sagen: Sie haben offensichtlich Ihren eigenen
Laden nicht im Griff.
Wir Linke streiten nach dem Scheitern des Emissionshandels für ein Kohleausstiegsgesetz; denn ein radikales
Umsteuern im Kraftwerksbereich ist dringend notwendig.
({2})
Grüne und SPD schlagen hingegen so etwas wie Preisuntergrenzen für CO2-Zertifikate vor. Sehr mutige Politik, muss ich sagen. Viel Spaß beim Rumdoktern!
Der Vollständigkeit halber sollte man ohnehin anfügen, dass die Ursachen für die gegenwärtige Zertifikatsschwemme nicht bei Schwarz-Gelb liegen, sondern
bei Rot-Grün bzw. Schwarz-Rot. Leute wie Schröder,
Clement, Trittin oder Gabriel
({3})
haben die Spielregeln für den Emissionshandel genauso
mit aufgestellt
({4})
bzw. in Brüssel maßgeblich beeinflusst wie Bundeskanzlerin Merkel. Kostenlose Zuteilung statt Versteigerung,
großzügige Anrechnung windiger Auslandszertifikate,
Überzuteilung an die Industrie, irrsinnige Extraprofite
für Energieversorger - das alles geht auf Ihr Konto und
fällt auf Sie zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt haben wir den Salat.
Mir wird auch ganz mulmig, wenn ich an das Endlagersuchgesetz denke, zu dem diese ganz große Koalition
gerade so einen tollen Konsens erbrütet hat. Auch hier
wurde die Linke wieder einmal von den anderen vier
Fraktionen ausgegrenzt. Das Ergebnis: ein Endlagersuchverfahren, das die Beteiligung der Bürgerinnen und
Bürger zu einer Alibiveranstaltung macht.
({5})
Weder die Linke noch die engagierten Bürgerinnen
und Bürger um Gorleben, Morsleben, Schacht Konrad
oder die Asse wurden zu den Gipfelgesprächen mit den
Fraktionen des Bundestages hinzugezogen. Angesichts
jahrzehntelangen Widerstands und der Sachkenntnis dieEva Bulling-Schröter
ser Bewegung halte ich das für eine Ohrfeige für die Demokratie.
({6})
Obwohl die Castoren mit ihrem Atommüll noch Jahrzehnte oberirdisch abkühlen müssen, setzen die etablierten Parteien wieder auf Tempo statt auf Qualität und
Transparenz.
({7})
Richtig wäre es aber gewesen, zunächst eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie Deutschland
grundsätzlich mit dem Atommüll umgehen soll, und die
Fehler der Vergangenheit schonungslos aufzuarbeiten.
Schließlich werden jetzt die Weichen für eine Atommüllverwahrung über mehrere Hunderttausend Jahre gestellt. Dabei sollten Profilneurosen und Wahlkampfgetöse eigentlich mal außen vor bleiben können - sind sie
aber leider nicht. Ein Endlagersuchgesetz dürfte erst am
Ende einer gesellschaftlichen Debatte stehen, nicht am
Anfang.
({8})
Dass Mitreden nicht gewollt ist, darauf gibt das merkwürdige Endlagersuchgesetz-Symposium Ende Mai einen Vorgeschmack. Hier soll nun die Öffentlichkeit an
der Diskussion über dieses Thema beteiligt werden: bei
einer zweieinhalb Tage dauernden Veranstaltung, für die
zwei Wochen vor Beginn - heute habe ich die Einladung
gesehen - weder die Tagesordnung feststeht noch klar
ist, welche Referentinnen und Referenten da sein werden. Kein Wunder, dass die Antiatominitiativen überlegen, diese Alibiveranstaltung zu boykottieren - zu
Recht, wie ich finde.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Eva Bulling-Schröter. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde für die
Fraktion der FDP unser Kollege Michael Kauch. Bitte
schön, Kollege Michael Kauch.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das waren
vier gute Jahre mit dieser Regierungskoalition für den
Umweltschutz in Deutschland.
({0})
Wir waren es, die die Energiewende beschlossen haben.
({1})
Sie haben es nicht hinbekommen, aus der Kernkraft auszusteigen
({2})
und gleichzeitig in das Zeitalter der erneuerbaren Energien einzusteigen. Das war die Koalition aus Union und
FDP, die das gemacht hat.
({3})
Deshalb waren es vier gute Jahre für den Umweltschutz.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben eine dynamische Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien
erreicht und gleichzeitig die Subventionen für die Solarenergie massiv gesenkt. Als wir die Regierungsverantwortung übernahmen, haben wir 43 Cent für die Kilowattstunde Solarstrom bezahlt, genauer gesagt: haben
die Stromkunden mit ihrer Rechnung bezahlt. Jetzt vergüten wir weniger als 16 Cent; dennoch konnten wir in
den letzten vier Jahren den stärksten Ausbau der Solartechnik in Deutschland verzeichnen. Das ist kluge Politik.
({5})
Mehr Ökostrom für weniger Geld - das ist unser Ansatz.
Ihr Ansatz ist: mehr Geld, möglichst viel Geld und dann
gucken, was dabei herauskommt.
({6})
Wir haben für die Gebäudesanierung dauerhaft ein Finanzvolumen von 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt.
({7})
Selbst jetzt, wo wir Probleme mit dem Energie- und Klimafonds haben, ist an dieser Stelle kein einziger Euro gekürzt worden. Wir haben das Mietrecht in Bezug auf
energetische Sanierungen modernisiert. Wir waren auch
diejenigen, die eine weitere Förderung der Gebäudesanierung mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro hier
im Deutschen Bundestag beschlossen haben, nämlich die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung. Das haben
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im
Bundesrat abgelehnt. Sie stellen die Blockademehrheit
im Bundesrat. Sie können es nicht dieser Regierung anlasten, wenn Sie im Bundesrat ständig blockieren. Wir
haben unsere Hausaufgaben in Sachen Energieeffizienz
gemacht.
({8})
Diese Regierung hat auch den Großkonflikt um die
Atomkraft beendet.
({9})
Wir haben einen Bundesumweltminister, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, einen gesellschaftlichen Konsens
herbeizuführen.
Und es ist diese Regierung, die die Mittel für den internationalen Klima- und Umweltschutz sowie den
Waldschutz erhöht hat. Auch im Bereich der internationalen Umweltpolitik waren das vier gute Jahre für den
Umweltschutz.
Aber auch auf nationaler Ebene hat diese Regierung
viel auf den Weg gebracht, gerade für den Naturschutz.
Es ist diese Bundesregierung gewesen, die endlich ein
Bundesprogramm Biologische Vielfalt aufgelegt hat.
({10})
Es ist diese Regierung, die ein Bundesprogramm zur
Wiedervernetzung von zerschnittenen Lebensräumen
eingeführt hat. Es ist diese Regierung, die die Luftreinhaltung vorangebracht hat, indem sie die Standards für
Kraftwerke erhöht hat,
({11})
indem sie die Standards für Kleinfeuerungsanlagen erhöht hat, indem sie die Rußpartikelfilter für Pkw gefördert hat. Auch für den Naturschutz und die Luftreinhaltung waren das vier gute Jahre für Deutschland.
({12})
In Sachen Lärmschutz haben die SPD und ihre Umweltminister jahrelang geschlafen. Sie haben alle unsere
Anträge zum Lärmschutz bei der Bahn abgelehnt. Wir
haben lärmabhängige Trassenpreise eingeführt. Wir haben den Schienenbonus abgeschafft. Auch hier waren
das vier gute Jahre für den Lärmschutz in Deutschland.
({13})
Wir haben unsere Hausaufgaben auch bei anderen
Dingen gemacht. Wir sind diejenigen, die dafür sorgen
wollen, dass die Strompreise zum 1. Januar 2014 nicht
weiter steigen. Deshalb haben die Minister Altmaier und
Rösler ein Konzept vorgelegt. Dieses Konzept haben die
Koalitionsfraktionen noch einmal verbessert. Und wer
blockiert wieder? Die rot-grünen Länder im Bundesrat
signalisieren: Nein, wir wollen, dass die Strompreise
zum 1. Januar 2014 weiter steigen, damit keine Lobby
auf irgendetwas verzichten muss.
({14})
Das ist rot-grüne Politik. Unsere Politik ist es, die Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken.
({15})
Meine Damen und Herren, auch beim Thema Emissionshandel wird hier viel heiße Luft verbreitet. Die Kollegin Bulling-Schröter hat dankenswerterweise schon
deutlich gemacht, dass nicht die FDP dafür verantwortlich ist, dass übermäßig viele Zertifikate in den vergangenen Handelsperioden verteilt worden sind.
({16})
Die FDP macht aber zugleich deutlich, dass dieser Emissionshandel nicht gescheitert ist;
({17})
denn das wesentliche Ziel des Emissionshandels ist erreicht worden, nämlich die Klimaschutzziele in Deutschland und Europa bei möglichst niedrigen Kosten einzuhalten.
({18})
Anders als in den Sektoren, in denen wir keinen Emissionshandel haben, ist das Klimaschutzziel in den Emissionshandelssektoren eingehalten worden. In den Sektoren, in denen wir Probleme haben, gibt es keinen
Emissionshandel. Deshalb ist es ein Märchen, dass der
Emissionshandel gescheitert ist.
({19})
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({20})
Vielen Dank, Kollege Michael Kauch. - Nächste
Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Bärbel
Höhn. Bitte schön, Frau Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man von Herrn Kauch gehört hat, welch tolle Politik die FDP gemacht hat, kann man gar nicht verstehen,
warum die FDP momentan in den Umfragen so schlecht
dasteht. - Es wird Zeit, dass endlich wieder Taten sprechen und nicht Worte. Es wird Zeit für eine Veränderung. Ab dem 22. September ist es so weit.
({0})
Herr Minister Altmaier, Sie sind jetzt seit einem Jahr
im Amt. Ich wünsche Ihnen, dass das für Sie persönlich
ein gutes Jahr war. Für die Energiewende, für den
Umweltschutz und für den Klimaschutz war es ein
schlechtes Jahr. 20 Jahre lang ging der Ausstoß an Klimagasen zurück. Das erste Mal, dass wir wieder einen
Anstieg verzeichnet haben, war das erste Jahr Ihrer
Amtszeit, Herr Altmaier. Dieses Jahr ist das erste Jahr, in
dem die CO2-Werte wieder gestiegen sind, und zwar um
1,6 Prozent.
Für ein Jahrzehnt fungierte der Ausbau der erneuerbaren Energien als Jobmotor für Deutschland. In Ihren
ersten zwölf Monaten ist die Zahl der Arbeitsplätze in
diesem Bereich durch den Zusammenbruch der Photovoltaikwirtschaft in großen Teilen Deutschlands zum
ersten Mal zurückgegangen. Sie sind der erste Umweltminister in der Geschichte Deutschlands, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, den Ausbau der Erneuerbaren
auszubremsen, anstatt ihn zu fördern.
Sie haben nicht die Entscheidung des Europaparlaments verhindert, wodurch es jetzt weniger Klimaschutz
geben wird. Ein Beschluss für mehr Klimaschutz ist an
Deutschland gescheitert, an deutschen Abgeordneten, an
Konservativen und Liberalen, die sich gegen einen ehrgeizigen Klimaschutz in Europa ausgesprochen haben.
Deutschland ist in Ihrer Amtszeit letzten Endes zum
Hindernis für europäischen Klimaschutz geworden.
Morgen werden Sie Ihren einzigen Erfolg erzielen.
Morgen wird nämlich das sogenannte Atommüllendlagersuchgesetz in den Bundestag eingebracht. Aber
auch diesen Erfolg haben Sie nur Rot-Grün zu verdanken. Denn es war Ministerpräsident Kretschmann, der
diesen Prozess wieder eröffnet hat, indem er gesagt hat:
Ich bin bereit, auch in Baden-Württemberg nach einem
Endlagerstandort suchen zu lassen.
({1})
Es sind rot-grüne Regierungen wie die von Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, die sagen: Okay,
damit es keinen Castortransport mehr nach Gorleben
gibt, sind wir bereit, den Müll in Zwischenlagern bei uns
aufzubewahren. Wo ist Bayern? Wo ist Hessen? Herr
Ruck, Sie sind scheinheilig: Sie wollen die Zwischenlagerung und das Endlager nicht in Ihren konservativen
Bundesländern, stellen sich hier aber hin und versuchen,
Rot-Grün die Schuld zu geben. Das ist nicht in Ordnung.
({2})
Die Bilanz dieses ersten Jahres als Bundesumweltminister ist eine traurige Bilanz für den Umweltschutz. Ich
komme noch einmal auf die Entscheidung im Europaparlament zurück. Herr Altmaier, Sie hatten einen
flehenden Brief an die Kollegen von CDU und CSU geschrieben. Was war der Erfolg? Die CSU hat fast geschlossen nicht in Ihrem Sinne, sondern gegen den Klimaschutz gestimmt. Es war der Kollege Reul von der
CDU, der den Widerstand gegen den Klimaschutz auf
EU-Ebene massiv nach vorne getrieben hat. Auch die
FDP - dazu steht sie - hat gegen den Klimaschutz gestimmt.
({3})
- Geschlossen dagegen gestimmt. - Das heißt, auch die
Kanzlerin zeigt Ihnen die kalte Schulter und hat nur ein
paar warme Worte übrig. Das bedeutet andersherum: Sie
stehen mit Ihrer Politik und Ihren Positionen alleine da.
Sie werden von den eigenen Kollegen alleine gelassen.
({4})
Was machen Sie? Sie schreiben eine Zeitungskolumne. Das machen Sie gar nicht so schlecht. Die eigentliche Frage ist doch, ob Sie das nicht sogar besser
können. Also lautet mein guter Rat: Ab dem 22. September sollten Sie Zeitungskolumnen schreiben, statt Bundesumweltminister zu sein.
({5})
Gerade beim Naturschutz, Herr Ruck, der Ihnen eigentlich so am Herzen liegt, ist die Bilanz nach diesem
einen Jahr verheerend. Bei der Kompensationsverordnung geht es nun nur noch um die Frage: Wie machen
Sie es Naturzerstörern einfacher, das zu tun, was die
wollen? Sie wollen es ihnen einfacher machen, indem
sie sich freikaufen können. Das Einzige, was Sie in diesem Jahr für den Naturschutz zu bieten haben, ist, dass
Sie einen Ablasshandel zulasten der Natur auf den Weg
bringen wollen. Das wird nicht mehr Geld für den Naturschutz bringen, sondern weniger. Dieses Vorgehen ist
nicht in Ordnung und nicht gut für den Naturschutz.
({6})
Nehmen wir das Thema Fracking. Sie sind dabei, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den erlaubt wird,
hochgiftige Chemikalien in den Untergrund zu pumpen.
({7})
Sie sagen zwar, dass Sie Fracking verbieten wollen, aber
tatsächlich würde durch den Gesetzentwurf Fracking auf
über 80 Prozent der Landesfläche freigegeben werden.
Das ist letzten Endes kein Fracking-Verbotsgesetz, sondern ein Fracking-Ermöglichungsgesetz, was Sie da machen. Das lehnen wir ab.
({8})
Wenn ich mir Ihre Amtszeit, Herr Altmaier, anschaue,
dann habe ich den Eindruck, Sie sind der Ritter von der
traurigen Gestalt. Sie haben keinen Rückhalt in den eigenen Reihen, kämpfen buchstäblich gegen Windmühlen
und bremsen die Erneuerbaren aus. Sie wollen gerne
Heldentaten vollbringen, aber das, was Sie beim Thema
Fracking machen, ist am Ende ein schlechter Kompromiss. Deshalb kann ich nur sagen: Sie sind immer noch
in Ihrer Rolle als Parlamentarischer Geschäftsführer: Sie
wollen unbedingt den Kompromiss, aber die Sache inte30182
ressiert Sie nicht. Das merkt man all den Entscheidungen, die Sie treffen, an.
Wir wollen die Energiewende zum Erfolg führen. Wir
wollen wieder zum Vorreiter beim Klimaschutz werden.
Wir wollen, dass Naturschutz nicht nur ein Ablasshandel
ist. Wir wollen eine andere Politik, meine Damen und
Herren, und deshalb brauchen wir eine andere Regierung. Dafür kämpfen wir am 22. September dieses
Jahres.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bärbel Höhn. - Nächster
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister Peter Altmaier. Bitte
schön, Herr Bundesminister Peter Altmaier.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei Ihnen, lieber Herr Kelber, und bei Ihnen, lieber Herr Miersch,
ganz herzlich für das nette Geburtstagsgeschenk, das Sie
mir gemacht haben, bedanken. Nicht jeder Minister hat
die Möglichkeit, nach einem Jahr im Amt über all das,
was in dieser Zeit geschehen ist und angestoßen worden
ist, vor dem deutschen Parlament und der deutschen Öffentlichkeit zu berichten.
({0})
Einige haben gemeint, ich hätte meinem alten Freund
Thomas Oppermann etwas versprochen, damit er dafür
sorgt, dass dieser Punkt auf die Tagesordnung kommt.
Ich sehe das eher als eine Bestätigung des guten Verhältnisses an, das wir jenseits aller Polemik und allen Streits
in den letzten zwölf Monaten in fast allen wesentlichen
Fragen hatten. Deshalb möchte ich die verbleibenden
Redner ermuntern und bitten, ihr Licht nicht unter den
Scheffel zu stellen, indem sie das, was wir erreicht haben, kleiner machen, als es in Wirklichkeit ist. Nicht nur
die letzten vier Jahre, sondern auch das letzte Jahr waren
gute Jahre für den Umweltschutz und die Energiewende
in Deutschland. Manches hat diese Koalition vorangebracht, vieles haben wir gemeinsam bewegt.
Lassen Sie mich das im Einzelnen anhand der drei
großen Gesetzesvorhaben, die wir bereits verabschiedet
haben oder bis zur Sommerpause auf den Weg bringen
werden, erläutern: anhand des Asse-Gesetzes, der Reform der Photovoltaik und des Endlagersuchgesetzes.
Nachdem die Energiewende nach Fukushima beschlossen war, haben wir noch lange Zeit Debatten darüber geführt, ob der Ausstieg aus der Kernenergie
endgültig ist oder nicht. Als ich Minister wurde, hat jede
Äußerung von mir in dieser Richtung Agenturmeldungen und öffentliche Aufmerksamkeit provoziert. Inzwischen ist es so, dass der Ausstieg aus der Kernenergie
eindeutig, umfassend und überall - nicht nur auf grünen
Parteitagen, sondern auch in der Wirtschaft, auch im
Mittelstand - akzeptiert ist und unterstützt wird.
({1})
Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es
richtig, dass wir für die Hinterlassenschaften dieser Ära
gemeinsam und im Konsens nach Lösungen suchen.
({2})
Es war doch meine Entscheidung, als Erstes die Asse
zu besuchen, und zwar nicht alleine, sondern gemeinsam
mit dem vor Ort zuständigen Wahlkreisabgeordneten
Sigmar Gabriel - auch auf die Gefahr hin, dass die Statik
des Förderkorbes vielleicht überbeansprucht wird, wenn
wir beide gemeinsam drinsitzen. Jedenfalls haben wir
damit deutlich gemacht: Die Asse ist ein Thema, das
nicht innerhalb von Vierjahresschritten behandelt werden kann, sondern über Wahltermine hinaus geregelt
werden muss.
Bei meinem damaligen Besuch habe ich angekündigt:
Wir machen ein Asse-Gesetz. - Das, was die Betroffenen vor Ort über viele Jahre gefordert hatten, was weder
Sigmar Gabriel noch Jürgen Trittin erreichen konnten,
was die Betroffenen bis dahin von keinem anderen Bundesumweltminister bekommen konnten, habe ich ihnen
zugesagt, unter der Voraussetzung eines Konsenses im
Deutschen Bundestag.
Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich bei Frau
Kotting-Uhl, bei Frau Brunkhorst, bei Maria Flachsbarth
und auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei, die damals daran mitgewirkt haben, dass es
möglich wurde, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen.
Wir haben die finanziellen Mittel erhöht. Wir haben die
Zahl der Planstellen erhöht. Wir werden dort einen
neuen Schacht bauen. Wir sind dabei, dafür zu sorgen,
dass das Thema Asse, das ein skandalöses Thema war,
aus den Skandalschlagzeilen herauskommt. Die Menschen vor Ort sehen das, und sie schöpfen Hoffnung.
Deshalb war das ein gutes Jahr für die Bewohner aus
dem Umkreis der Asse und darüber hinaus.
({3})
Es war, meine Damen und Herren, auch ein gutes Jahr
für die Suche nach einem Endlager. Wir haben in all dieser Zeit unabhängig von Wahlkämpfen, unabhängig von
vielem öffentlichen Geschrei immer wieder über das
Thema Endlager gesprochen: mit Sigmar Gabriel, mit
Jürgen Trittin, aber auch in Niedersachsen mit David
McAllister und Stefan Birkner, anschließend mit
Stephan Weil und Stefan Wenzel sowie mit Herrn
Kretschmann in Baden-Württemberg. Wir haben damit
aufgegriffen, was Norbert Röttgen angefangen hat. Wir
haben darüber gesprochen, dass es wichtig ist, das Signal
zu geben, dass wir diese generationenübergreifende
Aufgabe gemeinsam lösen. Jürgen Trittin, Winfried
Kretschmann und Sigmar Gabriel waren nach dem Kompromiss fast noch euphorischer als ich. Deshalb tun Sie
mir den Gefallen, wenn wir morgen darüber sprechen:
Reden Sie diesen Kompromiss jetzt nicht schon wieder
klein! Haben Sie vielmehr den Mut, zu sagen: Das haben
wir parteiübergreifend und gemeinsam erreicht.
({4})
Nun zum Ausbau der erneuerbaren Energien in
Deutschland. Ich bin zutiefst überzeugt, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht nur für unser Land,
sondern für den Umwelt- und Klimaschutz weltweit die
richtige Entscheidung war und ist. Aber damit diese Entscheidung am Ende nicht eine deutsche Sonderlösung
bleibt, sondern auch von anderen Ländern - China,
Indien, Ländern in Afrika und in Lateinamerika - übernommen werden kann, muss diese Energiewende so organisiert werden, dass sie funktioniert und dass sie ein
Erfolgsprojekt ist, von Anfang an.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte sprechen Sie einmal mit Matthias Platzeck und mit Klaus
Wowereit. Ich bin überzeugt: Auch vom BER aus werden eines Tages Flugzeuge starten.
({6})
Genauso wird die Energiewende gelingen. Aber ich
möchte, dass - im Unterschied zum BER - die Energiewende als Erfolgsprojekt wahrgenommen wird, und
zwar vom allerersten Tag an. Dafür müssen wir die Weichen jetzt stellen.
({7})
- Lieber Herr Fell und lieber Herr Ott, wenn Sie jetzt
versuchen, die Energiewende Ihrerseits schlechtzureden,
({8})
dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass wir
auch die Verpflichtung haben, den Bürgerinnen und Bürgern offen und ehrlich zu sagen, was auf sie zukommt.
({9})
Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wer
den Bürgerinnen und Bürgern etwas anderes erzählt,
({10})
der führt sie hinter die Fichte. Ich lese Ihnen jetzt einmal
ein Zitat vor:
Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer
Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur
rund 1 Euro im Monat kostet - so viel wie eine Kugel Eis.
Das hat Umweltminister Jürgen Trittin im Jahre 2004 gesagt.
({11})
Meine Damen und Herren, wer mit den Bürgerinnen und
Bürgern so umgeht, wer sie so wenig darüber informiert,
was diese Energiewende bedeutet, der wird seinen demokratischen Verpflichtungen nicht gerecht. Deshalb
muss über die Kosten geredet werden.
({12})
Über die Kosten muss auch geredet werden, damit wir
die Kosten begrenzen können. Wir müssen die Kosten
begrenzen, damit die Energiewende ein Exportschlager
wird. Wir müssen die Kosten auch im Interesse der Rentnerinnen und Rentner und der Familien mit niedrigem
Einkommen begrenzen.
({13})
Eine Begrenzung der Kosten liegt auch im Interesse der
vielen Handwerker und des mittelständischen Gewerbes,
das viele Arbeitsplätze in Deutschland schafft.
({14})
- Liebe Frau Höhn, ich nenne Ihnen jetzt einmal ein Beispiel. Wir haben mehrere wichtige Gesetze verabschiedet. Eines davon war das Gesetz zur Reform der Förderung der Photovoltaik. Dieses Gesetz, das die Opposition
im Bundestag bekämpft hatte und das der Bundesrat
noch im Mai 2012 mit 16 zu 0 Stimmen abgelehnt hatte,
haben wir wenige Wochen später nach intensiven Verhandlungen, an denen einige von der Opposition beteiligt waren, mit breitester Mehrheit im Bundestag und mit
16 zu 0 im Bundesrat beschlossen. Wozu hat dieses Gesetz geführt?
({15})
Dieses Gesetz, lieber Herr Fell, hat dazu geführt, dass
die Photovoltaik in Deutschland weiterhin stark ausgebaut wird.
({16})
Der Ausbau findet in einem Tempo statt, wie wir es noch
nie in Deutschland hatten.
({17})
Trotzdem wird der Bürger in seiner Stromrechnung
weniger belastet, weil die Menschen und die Betriebe
PV-Anlagen für den Eigenverbrauch installieren.
Sie haben damals diesen Regelungen zugestimmt.
Hinterher haben Sie versucht, sich vom Acker zu
machen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Photovoltaik
bezahlbar bleibt und in Deutschland eine Zukunftsperspektive hat.
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
einen Jahr sind nicht alle Probleme der Welt gelöst worden.
({19})
Wir haben aber über vieles diskutiert, zum Beispiel über
die Strompreisbremse.
({20})
Ich habe vorgeschlagen, die Finanzierbarkeit der erneuerbaren Energien auch dadurch zu verbessern, dass
wir Einschränkungen bei den Ausnahmeregelungen für
energieintensive Unternehmen vorsehen. Unter anderem
habe ich mit dem Kollegen Rösler vorgeschlagen, dass
wir die Förderung von Steinkohle und Braunkohle nicht
mehr mit der Besonderen Ausgleichsregelung nach dem
EEG subventionieren. Das fanden die Grünen gut. Frau
Kraft und Herr Platzeck haben dann böse geguckt, und
dann war es mit Ihrem Mut vorbei. Ich habe selten erlebt, dass jemand so als Tiger gestartet und anschließend
als Bettvorleger gelandet ist.
({21})
Wir haben es in den letzten zwölf Monaten geschafft,
die Umwelt- und Energiepolitik wieder auf einen ganz
prominenten, vorderen Platz in der politischen Agenda
zu setzen.
({22})
Die Menschen interessieren sich dafür und diskutieren
darüber. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Umweltund Energiepolitik nicht in Hinterzimmern stattfindet,
sondern den Stellenwert bekommt, den sie verdient hat.
Darauf bin ich stolz.
Dies habe ich in Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU/CSU
erreicht. Auch der eine oder andere von Ihnen hat daran
einen Anteil, weil Sie mit dazu beigetragen haben, viele
Gesetzentwürfe im Bundestag gemeinsam zu verabschieden.
Deshalb sollten wir bei allem Streit über Einzelregelungen beim Fracking, beim Backloading und bei vielen
anderen Dingen eines nicht vergessen: Diejenigen, die
hier sitzen, sind die Unterstützer der Umwelt- und Energiepolitik in Deutschland, und wir sollten uns auch ein
bisschen bemühen, Gemeinsamkeiten nach außen zu zeigen.
In diesem Sinne noch einmal herzlichen Dank für die
Gelegenheit, Ihnen und der Öffentlichkeit meine Leistungen und meine Erfolge darstellen zu dürfen.
Vielen Dank.
({23})
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Matthias Miersch.
Bitte schön, Kollege Dr. Matthias Miersch.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, zunächst vielen Dank, dass Sie uns würdigen, weil wir die Umweltpolitik hier zum Zentrum der
Aktuellen Stunde gemacht haben. Es ist in der Tat ein
wichtiges Thema.
({0})
Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass Sie hier
auch zu den relevanten energie- und umweltpolitischen
Themen Stellung nehmen, wenn es um Ihre Bilanz geht.
Zu den wirklich wichtigen Dingen haben Sie hier aber
leider geschwiegen, Herr Minister.
({1})
Sie haben vor einem Jahr in einer Hochglanzbroschüre mit vielen netten Fotos - der Minister im Watt,
der Minister mit Windmühle, der Minister mit Photovoltaikanlage - zehn Punkte aufgeschrieben und Ihre Pläne
vorgelegt. Am Ende müssen wir fragen: Was ist eigentlich aus diesen zehn Punkten geworden? Bis auf ganz
wenige Ausnahmen, die wir nicht Ihnen und nicht
Schwarz-Gelb, sondern wenn, dann unserer gemeinsamen Vernunft zu verdanken haben, haben Sie nichts geliefert, Herr Minister.
({2})
Deswegen zu Beginn mein Hinweis: Das Thema Endlagerung sollten wir auch in diesem Raum sehr sensibel
besprechen; denn das ist kein Verdienst von einem
Minister oder einer Abgeordneten. All das, was dort in
den nächsten Wochen, Monaten und Jahren passiert, ist
hochfragil.
Wenn Sie von einem Endlagerkonsens sprechen, ohne
zu wissen, wie die Suche wirklich gestaltet wird und wo
sie tatsächlich stattfindet, dann sage ich: Vorsicht! Frau
Bulling-Schröter und Herr Ruck, wir sollten den politischen Schlagabtausch hier nicht auf Kosten dieses Konsenses führen.
Für die SPD und auch für das Land Niedersachsen ist
wichtig, dass - wir werden das morgen diskutieren Vereinbarungen, die getroffen worden sind, eingehalten
werden. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die
Menschen bei dieser Frage überhaupt Vertrauen bekommen, ein Vertrauen, das wir sicherlich Jahrzehnte brauchen werden.
({3})
Mir und uns geht es heute in dieser Aktuellen Stunde
aber darum, wie es mit den großen Themen weitergeht.
Sie haben heute zum Beispiel ein Thema, zu dem ich
hier reden will, völlig außer Acht gelassen - Sie haben
es als Randthema beschrieben -, nämlich das Thema
Fracking, die Förderung von unkonventionellem Erdgas.
Wir stellen fest: Inzwischen versprechen Sie hier seit
Jahren, wir würden eine gesetzliche Regelung treffen.
Wenn Pinocchio Ihre Reden und die Ihres Vorgängers
hier zitieren würde, dann könnte man nur froh sein, dass
die Kuppel nach oben hin offen ist, weil seine Nase dann
länger wäre als dieser Raum.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem 10-PunkteProgramm haben Sie aufgeschrieben: Dem Prinzip der
Nachhaltigkeit fühle ich mich verantwortlich. Nachhaltige Ressourcennutzung und nachhaltige Energieversorgung stehen ganz oben.
Lieber Herr Bundesumweltminister Altmaier, gerade
bei einer solchen Diskussion würde ich mir von einem
Umweltminister wünschen, dass er die grundsätzliche
Frage stellt, ob es denn Sinn macht, in einem Land wie
Deutschland zu diesen Zeiten auch noch das Letzte aus
dem Boden herauszupressen. Wir hören leider gar nichts
davon, hierzu eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln, lieber Herr Minister.
({5})
Wenn Sie sich dann schon bemühen und sagen, wir
wollen ein Gesetz machen, stellt sich die Frage: Was legen Sie vor? Dazu kann man von Tag zu Tag neue Meldungen verfolgen. Plötzlich soll das Kabinett etwas entscheiden. Zwei Stunden später liest man: Es ist wieder
von der Tagesordnung genommen. Dann kommen Abgeordnete aus ihren Wahlkreisen und sagen: Wir müssen da
etwas tun! - Das geht seit Monaten so, und es bewegt
sich nichts.
({6})
Oder Sie versuchen, ebenso wie Ihr Vorgänger - der Kollege Krischer weist zu Recht darauf hin, dass das schon
seit drei Jahren so geht -, irgendwelche Fragmente in einem Gesetz zu regeln. Der neue Entwurf scheint eine
Länderklausel zu beinhalten, nach der die Bundesländer
selbst entscheiden sollen. Was ist das für eine Verantwortungsübernahme dieser Bundesregierung?
({7})
Man kann diese Frage nicht in Kleinstaaterei lösen; hier
brauchen wir eine bundesgesetzliche Regelung, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Es geht darum, Giftstoffe im Grundwasser zu unterbinden. Warum können wir uns auf diese Regelung hier
nicht im Konsens einigen - zumal die Vertreter der großen Konzerne sagen, dass man in zwei Jahren so weit ist,
ohne Chemikalieneinsatz daran zu arbeiten?
({9})
Nicht einmal das bekommen Sie mit einem Gesetzentwurf hin, Herr Meierhofer. Sagen Sie uns, wo dieser Gesetzentwurf ist - wir würden uns sofort an der Debatte
beteiligen. Aber bei Ihnen ist nichts, aber auch gar nichts
zu dieser Frage zu sehen.
({10})
Lieber Herr Altmaier, am Ende Ihres 10-Punkte-Programms haben Sie zum Thema Umweltpolitik geschrieben:
Gerade in einem Politikbereich wie der Umweltpolitik ist es wichtig, kurzfristigen Aktionismus und
ständige politische Richtungsänderungen zu vermeiden, damit sich alle Akteure auf bestimmte
Sachverhalte und Entwicklungen einstellen können.
Die Energiepolitik dieser schwarz-gelben Regierung
und dieser schwarz-gelben Koalition, durch die zunächst
die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert wurden
und dann eine Rolle rückwärts gemacht wurde, ist ein
Lehrbeispiel dafür, wie man Energie- und Umweltpolitik
nicht machen darf.
Das Beispiel Fracking ist ein zweites Lehrbeispiel dafür, dass Sie ganz einfach durch Nichthandeln Fakten
schaffen, die der Bevölkerung und den nachfolgenden
Generationen gerade nicht guttun. Sie können an dieser
Stelle leider nichts vorweisen.
Deshalb dient diese Aktuelle Stunde dazu, dass sich
auch die Bevölkerung, um die es geht, mit den Themen
auseinandersetzen kann. Ihre Bilanz ist an dieser Stelle
erschütternd.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser
Kollege Horst Meierhofer. Bitte schön, Kollege Horst
Meierhofer.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Weil wir gehört haben, wie die Grünen gebrüllt
haben, als der Herr Altmaier am Rednerpult war, wie sich
der Herr Ott, die Frau Höhn und der Herr Krischer nicht
mehr eingekriegt haben vor Eiferei, möchte ich als Erstes
sagen: Die grüne Krawatte würde ich noch einmal überdenken, Herr Altmaier.
({0})
Wenn man sich die Herrschaften hier anschaut, muss
man denen nicht zu sehr entgegenkommen. Aber das nur
nebenbei.
Angesichts dessen, was die Kollegen von der SPD,
die ja diese Aktuelle Stunde beantragt haben, uns aus der
Zeit, als der Umweltminister noch Sigmar Gabriel hieß,
hinterlassen haben,
({1})
ist es eine Frechheit, die aktuelle Situation zu kritisieren;
das ist vollkommener Wahnsinn. Da frage ich mich
wirklich, ob Sie sich überhaupt noch an irgendetwas erinnern, was Sie damals geleistet haben. Können Sie sich
noch daran erinnern, wie viel erneuerbare Energien wir
damals hatten? Es gab 1,1 Cent EEG-Umlage in einer
Zeit, in der wir fast keine Erneuerbaren ausgebaut hatten. Wissen Sie, wie viel erneuerbare Energien, wie viel
aus Photovoltaik, wie viel aus Wind und wie viel aus
Biomasse, wir heute haben?
({2})
Wissen Sie, wie viel es zu der Zeit gab, als Sie noch die
Verantwortung für den Umweltschutz hatten? Wissen
Sie von den Grünen noch, wie viel erneuerbare Energien
damals ausgebaut waren, als Trittin Umweltminister
war?
({3})
Und da trauen Sie sich, sich hier hinzustellen und so zu
tun, als würde jetzt zu wenig passieren! Das ist doch
wahnsinnig.
({4})
Pippi-Langstrumpf-Politik ist das. Sie malen sich die
Welt so, wie sie Ihnen gefällt. Dabei erinnern Sie sich
nicht daran, was in der Realität jemals passiert ist.
({5})
Was war denn in der letzten Legislatur zum Thema
CCS? Haben Sie dazu in der Großen Koalition irgendetwas vorangebracht? Ist da vonseiten Herrn Gabriels irgendetwas passiert? Hat man versucht, irgendetwas zu
ändern?
({6})
Wohl kaum; das Ganze ist in dieser Legislaturperiode
beendet worden.
Was ist denn beim Thema Endlagerung passiert, als
Rot und Grün Verantwortung trugen, als der Kollege
Trittin Umweltminister war? Was ist denn passiert, als
der Kollege Gabriel Umweltminister war?
({7})
Nichts! In der Zeit haben Sie nichts anderes getan, als alles auszusitzen und nichts anzupacken, weil Sie Angst
hatten, einen Fehler zu machen.
({8})
Deswegen sind Sie in einer Schockstarre verhaftet und
haben nichts, aber auch gar nichts getan.
({9})
Wenn jetzt jemand einmal den Mut hat, etwas anzupacken, dann drohen Sie damit, nicht zustimmen. Das ist
doch die Schizophrenie Ihrer eigenen Arbeit.
({10})
Sie leisten doch nichts anderes als Widerstand bei jeder
einzelnen Sache.
Jetzt habe ich gehofft, sagen zu können, dass im Bereich der Endlagersuche ein großer Sprung nach vorne
gelungen ist, weil Peter Altmaier jemand ist, der alle einbezieht.
({11})
Ich an seiner Stelle würde mir nach der heutigen Debatte
die Frage stellen, ob seine Taktik überhaupt die richtige
ist. Während er versucht, alle mit einzubeziehen, um gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen, machen Sie
doch nichts anderes, als das Ganze immer wieder aufzuschnüren.
Jetzt haben wir heute von Herrn Trittin gehört: Wenn
das Ganze so weitergeht, dann gibt es hier keinen Konsens.
({12})
So etwas macht man doch nicht über Spiegel Online. So
etwas macht man in Gesprächen, die man miteinander
führt.
({13})
Haben Sie erlebt, dass der Umweltminister an die Öffentlichkeit gegangen ist, ohne mit Ihnen gesprochen zu
haben? Gleichzeitig werfen Sie mir jetzt vor, ich würde
hier ein Thema ansprechen, das viel zu sensibel ist.
Nein, das muss man direkt miteinander besprechen,
wenn man an einem Ergebnis Interesse hat. Aber ich unterstelle Ihnen, dass Sie kein echtes Interesse an Ergebnissen haben, sondern dass Sie nur ein Interesse daran
haben, die anderen schlechtzureden, ohne selbst vernünftige Vorschläge zu machen.
({14})
Sie haben bei dem schönen Thema EEG in der letzten
Legislatur sehenden Auges nichts getan, obwohl Ihr
Umweltminister Gabriel dafür hätte sorgen können, die
absehbaren Fehlentwicklungen einzudämmen.
Michael Kauch hat darauf hingewiesen, wie stark die
Kosten für die Erneuerbaren in dieser Legislatur gesunken sind und dass gleichzeitig der Ausbau der Anlagen
zugenommen hat. Trotzdem war das noch zu langsam,
zumindest zu Beginn 2010/2011. Das muss man zum
Thema Kostendegression selbstkritisch sagen. Woran lag
es? Es lag daran, dass vorher nichts passiert ist und weil
es natürlich die Akteure, die Player, gewohnt waren,
dass sie das Ganze aussitzen konnten; denn sie wussten:
Im Umweltministerium sitzt jemand, der selber nicht
den Mumm und die Kraft hat, hier etwas anzupacken. Über Jahre hat man alle Probleme ausgesessen, nichts
angegangen und nichts erreicht, aber jetzt macht man anderen Vorwürfe. Das ärgert mich furchtbar.
({15})
Jetzt erzähle ich Ihnen etwas zum Wertstoffgesetz, zur
Gebäudesanierung,
({16})
zur Strompreisbremse. Fällt Ihnen unter Umständen auf,
dass all das Themen sind, bei denen konkrete Vorschläge
von Herrn Altmaier gekommen sind?
({17})
Wenn es aber um die Umsetzung ging, haben Sie nichts
anderes gemacht, als sich querzustellen.
({18})
Wenn es Ihnen um Klimaschutz geht und darum,
Energie einzusparen, frage ich Sie: Was hat denn der
Bundesrat beim Thema Gebäudesanierung gemacht?
({19})
Er hat alle Vorschläge abgelehnt. Wissen Sie, womit wir
beim Wertstoffgesetz begonnen haben? Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Wissen Sie, was damit im Bundesrat passiert ist?
({20})
Dann wissen Sie vielleicht auch, dass es im Bundesrat
nicht darum ging, möglichst etwas für den Schutz der
Umwelt und der Ressourcen zu tun, sondern einfach nur
darum, Pfründe und Besitzstände zu verteidigen und alle
entsprechenden Maßnahmen um Monate und Jahre hinauszuzögern.
({21})
Jedes Mal, wenn wir ein Gesetz einbringen, dem im
Bundesrat zugestimmt werden muss, dann geht es doch
nicht mehr um die Sache, sondern dann reiben Sie sich
mit Ihren rot-roten Kollegen die Hände und sagen: Wunderbar! Da können wir die Regierung wieder einmal blockieren. Danach stellen wir sie an den Pranger und sagen:
Sie machen nichts! - Das ist dermaßen durchsichtig, dass
es fürchterlich ärgerlich ist.
({22})
Als Letztes komme ich noch zum schönen Thema
Fracking. Wissen Sie, was Sie beim Fracking gemacht
haben? Beim Fracking haben Sie nichts anderes gemacht, als Vorschläge zu machen, die nicht einmal halb
so umweltfreundlich waren wie das, was wir momentan
in der Bearbeitung haben.
({23})
- Schauen Sie sich einmal die Anträge der SPD an. Sie
haben doch gar nichts Konkretes vorgelegt. Wissen Sie,
was das bedeutet, wenn man ein Einvernehmen mit den
Wasserbehörden erreicht?
({24})
Wissen Sie, was man macht, wenn Flowback verboten
wird und man das Rückwasser nicht in ein Wasserschutzgebiet einbringen kann? Ist Ihnen klar, was los ist?
Sie wussten gar nicht, dass Flowback überhaupt ein Problem ist, als Sie Ihren Gesetzentwurf eingebracht haben.
So schaut es doch aus.
({25})
Jetzt geht es um das, was passieren wird. Es wird in
Deutschland keine Wasserschutzbehörde und kein Wasseramt ein Verfahren mit giftigen Chemikalien genehmigen, wenn es in einem Jahr ohne giftige Chemikalien
geht.
({26})
Deswegen ist doch die Frage, ob dieses Gesetz Ihre Unterstützung bekommt. Dazu hätte ich gerne eine Aussage
gehabt, statt dass Sie nur blockieren. Es geht darum, dass
wir dieses Verfahren dort verbieten, wo es Schaden anrichtet. Genau das wollen wir machen. Da stellen Sie
sich wieder einmal quer. Aber das ist natürlich auch bequem.
({27})
- Lieber Herr Kelber, Sie hatten vorher genügend Zeit. Deshalb sollte man vielleicht ein bisschen mehr in den
Spiegel schauen, bevor man sich hier groß aufplustert
und den anderen Vorwürfe macht.
({28})
Man sollte sich also ein bisschen herunterkühlen und
über die gemeinsamen Erfolge freuen, und wenn man
weiß, dass man selber nichts getan hat, dann sollte man
sich zumindest ruhig verhalten und nicht die anderen
auch noch ankeifen.
({29})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Frank
Schwabe. Bitte schön, Kollege Frank Schwabe.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und
Herren! Eigentlich ist es unfair, dass Herr Altmaier heute
alleine auf der Regierungsbank sitzt - wollte ich eigentlich sagen; aber jetzt hat er sie gerade verlassen.
({0})
Eigentlich müssten auch Herr Röttgen und Frau Merkel
dabei sein. Aber vielleicht wird Herr von Klaeden ihr alles sagen.
Wir reden über die Bilanz von Peter Altmaier nach einem Jahr als Bundesminister. Aber eigentlich reden wir
über das Scheitern einer bald vierjährigen Energie-,
Klima- und Umweltpolitik in Deutschland.
Sie, Herr Altmaier, werden am Ende eine Randnotiz
in der Umweltgeschichte bleiben, ein Fortsetzungsminister nach Herrn Röttgen.
({1})
Aber ich will Ihnen zugestehen, dass es weniger ein personelles Problem ist - die Nettigkeiten sind entsprechend verteilt worden -; es ist eher ein politisch-strukturelles Problem. Sie haben in diesem Ministerium einfach
Pech gehabt. Sie sind genauso wie Herr Röttgen Opfer
der Methode Merkel, nämlich des Lavierens, des Aussitzens, des Herumeierns und des Nichtentscheidens. Sie
sind fleischgewordenes Symbol einer traurigen Energie-,
Umwelt- und Klimapolitik.
({2})
Man muss wirklich lange überlegen - und es fällt mir
eigentlich gar nichts ein -, welches erfolgreiche Projekt
Sie zu verantworten haben. An Ihrer Rede ist deutlich
geworden: Sie glauben selber nicht, dass es sehr viele erfolgreiche Projekte gibt. Die Strompreisbremse hat die
Kanzlerin einkassiert. Beim Fracking ist es die eigene
Fraktion, die es dazu kommen lässt, dass es am Ende
nicht einmal eine Kabinettsbefassung gibt.
Nehmen wir das Thema Klimaschutz und Emissionshandel. Es ist interessant, dass Sie in Ihrer Rede keinen
Satz zu Ihrem 10-Punkte-Programm gesagt haben. Ich
habe das Programm so verstanden, dass es die Leitschnur Ihres Regierungshandelns sein soll. Sie haben es
aber heute gar nicht erwähnt. Sie haben sich über die Gelegenheit bedankt, zu der Bilanz nach einem Jahr
Altmaier hier zu sprechen, aber Sie haben Ihr 10-PunkteProgramm nicht erwähnt. Darin trägt der Bereich Klimaschutz die Überschrift „Neuer Schwung für Klimaschutz“. Zentraler Baustein im Klimaschutz ist - darin
sind wir uns, glaube ich, einig - der Emissionshandel
bzw. das sogenannte Backloading.
In Ihrem 10-Punkte-Programm gehen Sie darauf umfassend ein und schreiben:
Das Bundesumweltministerium wird kurzfristig die
Initiative ergreifen … Ziel ist eine abgestimmte
Haltung der Bundesregierung bis Ende September.
({3})
Geschrieben wurde dies im August letzten Jahres. Mit
Ende September war wahrscheinlich 2012 gemeint. Sie
werden bis Ende September 2013 nichts vorlegen. Ich
finde das durchaus lustig, aber in der Sache hilft uns das
überhaupt nicht weiter.
Sie haben für Deutschland maßgeblich zu verantworten, dass der europäische Emissionshandel am Boden
liegt, und Sie haben mit Ihrer Politik eine vielfache Klatsche bekommen - das ist schon gesagt worden -: von
der eigenen Regierung, von der eigenen Koalition, von
der eigenen Fraktion, von der eigenen Partei und von Ihren eigenen Europaabgeordneten. Das Thema Klimaschutz ist in diesem Jahr kein Stück vorangekommen.
Ganz im Gegenteil: Ihre Koalition verfällt jetzt - das
muss ich in dieser Deutlichkeit sagen - auf eine erbärmliche Verschleppungstaktik, weil sie nicht will, dass wir
im Deutschen Bundestag noch über die Frage des Backloading abstimmen und deshalb Anhörungen und Ähnliches durchführen müssen und sollen. Frau Dött kann
gleich noch darauf Bezug nehmen und sagen, wann die
Anhörung stattfinden soll und welche Fragen noch offen
sind, bevor Sie entsprechend entscheiden können.
({4})
Deutschlands Führungsrolle im Klimaschutz ist
längst verspielt. In Ihrer eigenen Hilfslosigkeit greifen
Sie zu Symbolpolitik, die mit nichts unterlegt ist. Es mag
wie eine Marginalie klingen, aber es ist symptomatisch
für Ihre Politik. Sie haben den Klub der Energiewendestaaten ausgerufen. In dem 10-Punkte-Programm kommt
er sogar dreimal vor.
In einer Regierungsbefragung vor einigen Wochen
haben wir Frau Reiche als Ihre Stellvertreterin gefragt
- das hat der Herr Kelber gemacht -, wie weit es mit
dem Klub der Energiewendestaaten ist bzw. ob es mehr
gibt als eine Pressemitteilung.
({5})
Die Antwort von Frau Reiche war - ich darf zitieren -:
Es gibt informelle Konsultationen, und informelle
Konsultationen haben es an sich, dass man sich informell austauscht.
Das war die Antwort. Das heißt unterm Strich: Es gibt
gar nichts.
({6})
Es ist nicht schlimm, dass Sie sich informell austauschen. Bloß blasen Sie es nicht zu einem Ballon ohne
Substanz auf.
({7})
Sie sind nicht in der Lage, Ihr nationales Klimaschutzziel mit Maßnahmen zu unterlegen; Sie sind nicht
einmal in der Lage, dieses Klimaschutzziel nach Brüssel
zu melden. „Neuer Schwung für Klimaschutz“, wie Sie
es überschrieben haben, sieht ganz bestimmt anders aus.
Herr Bauchmüller von der Süddeutschen Zeitung, sicherlich einer der kundigsten Journalisten bei diesem Thema,
hat vor kurzem einen Kommentar mit „Klimakanzlerin
a. D.“ übertitelt. Der Chef des Umweltbundesamtes,
Herr Flasbarth, hat von einer existenziellen Krise gesprochen, nicht weil keiner weiß, was zu tun wäre, sondern weil der politische Wille fehlt. Sie sind Getriebener
einer Politik, der der politische Wille fehlt. Sie ersetzen
das Ganze durch Symbolpolitik und manche Nettigkeiten. Aber in der Substanz hilft uns das nicht weiter. Deswegen ist Ihre Bilanz nach einem Jahr miserabel.
({8})
Vielen Dank, Kollege Frank Schwabe.
Wie Sie sehen, hat sich der Herr Bundesminister extra
auf die Parlamentsbänke gesetzt, um Zwischenrufe machen zu können. Er ist da und ist bekanntlich nicht zu
übersehen. Insofern ist auch die Bundesregierung durch
ihn vertreten.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist unsere Kollegin Marie-Luise Dött für die Fraktion von
CDU/CSU. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
durchaus Mitgefühl angesichts der Situation, in der die
SPD derzeit ist. Wenn man jede Woche mit Enttäuschung die Umfragewerte betrachtet, dann kommt man
auf alle möglichen und unmöglichen Ideen, von Steuererhöhungsorgien bis zum Tempolimit.
({0})
Aber wenn das Parlament für eine Show benutzt wird,
wie es heute der Fall ist, fehlt mir dafür jedes Verständnis.
({1})
Auch die Bürger haben für diese Art von Politik kein
Verständnis. Aber da wir nun einmal hier versammelt
sind, um über den Umweltminister und seine Politik zu
reden, können wir das natürlich tun.
Peter Altmaier ist jetzt ein Jahr im Amt, und das bei
einer schwierigen Konstellation, weil die Opposition
ihre Mehrheit im Bundesrat nicht zum Gestalten, sondern zum Verhindern nutzt.
({2})
Trotz dieser schwierigen Situation hat er in diesem einen
Jahr sehr viel erreicht. In der Amtszeit von Peter
Altmaier ist die Umweltpolitik entscheidende Schritte
vorangekommen. Eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen konnte gerade in den Bereichen Klimaschutz
und Energiepolitik beschlossen oder auf den Weg gebracht werden. Dialogprozesse für die Energiewende,
für die Weiterentwicklung der Förderung der erneuerbaren Energien und für Fortschritte beim Klimaschutz wurden erfolgreich gestartet. Der internationale Klimaschutz
ist gerade auch dank seines Einsatzes auf der Klimakonferenz in Doha - ich erinnere daran, dass dort bis in die
Nacht beraten wurde - und beim Petersberger Dialog
weiter vorangekommen.
Es ist auch gelungen, sich mit den Bundesländern und
den Fraktionen auf einen gemeinsamen Vorschlag zu einem Standortauswahlgesetz zu einigen. Das Gesetz zum
weiteren Vorgehen in der Schachtanlage Asse II ist bereits in Kraft getreten. Die Bundeskompensationsverordnung zur Neuregelung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung konnte im Kabinett verabschiedet werden,
Frau Höhn. Der Schutz vor elektromagnetischen Feldern
wurde verbessert.
Das alles sind nur Beispiele für die engagierte Arbeit
dieser Koalition und für die von Peter Altmaier im Speziellen.
({3})
Und, meine Damen und Herren, das ist nicht die Bilanz
einer Legislaturperiode - ich hoffe, wir haben noch einmal Gelegenheit, Bilanz zu ziehen -, sondern das ist die
Bilanz eines Jahres.
Jetzt können wir auch über weitere wichtige umweltpolitische Themen reden, wo wir gern mehr erreicht hätten, bei denen Sie allerdings lieber Wahlkampf machen,
statt als Opposition umweltpolitische Verantwortung zu
übernehmen. Nehmen wir als Beispiel das Thema der
Kostenentwicklung bei den erneuerbaren Energien.
({4})
Bei den Gesprächen zur Strompreisbremse haben Sie mit
Ihren Vorschlägen, die von Beginn an als Störfeuer angelegt waren, erreicht, dass hinsichtlich der Entlastung der
Bürger von unnötigen Kosten wertvolle Zeit verschenkt
wird. Sie haben doch nie einen ernstgemeinten Vorschlag gemacht.
({5})
Nein, Sie haben sich mit der Rolle des Neinsagers begnügt. Die Forderung nach einer Senkung der Stromsteuer war der einzige, leider völlig untaugliche Vorschlag, den ich von Ihnen gehört habe.
({6})
Selbst hier haben Sie nicht einmal eine gemeinsame
Sprachregelung zwischen Rot und Grün hinbekommen.
Sie haben mit dem Finger auf die energieintensiven Unternehmen und übrigens auch auf die dort Beschäftigten
gezeigt und die Abschaffung der besonderen Ausgleichsregelung gefordert.
({7})
Als es dann darum ging, konkrete Vorschläge zu machen, welche Branchen oder Unternehmen denn künftig
die EEG-Umlage zahlen sollen, haben Ihre Ministerpräsidenten nicht einen einzigen Vorschlag gemacht. Im
Gegenteil: Frau Kraft hat sich als Anwältin der energieintensiven Unternehmen geriert.
({8})
Nach demselben Strickmuster agieren Sie beim Emissionshandel. Sie wollen den Bürgern weismachen, dass
die SPD für das Backloading steht.
({9})
In der politischen Realität bittet aber SPD-Minister Duin
aus NRW - unser ehemaliger Kollege - die Abgeordneten des Europaparlaments, dem Vorschlag nicht zuzustimmen, weil er der Wirtschaft schade.
({10})
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, spielen
ein doppeltes Spiel.
({11})
In der Öffentlichkeit sind Sie der Anwalt der Umweltpolitik, und hinter den Kulissen verhindern Sie Umweltund Klimapolitik. So haben Sie die Strompreisbremse
torpediert. Es hätte ja sein können, dass unser Minister
damit Erfolg hätte. So haben Sie im Europaparlament
dazu beigetragen, dass es zunächst keine Änderungen
beim Emissionshandel gibt. So haben Sie die steuerliche
Absetzbarkeit der energetischen Gebäudesanierung verhindert, und so haben Sie auch versucht, die notwendige
Reduzierung der Vergütung für Photovoltaikanlagen zu
verhindern.
Das ist pure Verhinderungspolitik zulasten der Bürger, zulasten der Unternehmen und ihrer Beschäftigten
und zulasten einer ambitionierten Umweltpolitik.
({12})
Jetzt starten Sie erneut den völlig untauglichen Versuch, Umweltminister Peter Altmaier in die Ecke zu stellen. Sie sind die Verhinderer, niemand anders.
Dir, Peter Altmaier, herzlichen Glückwunsch und
herzlichen Dank für deine Arbeit.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Marco Bülow. Bitte schön, Kollege Marco Bülow.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
ist schon ein bisschen wie im Kabarett heute. Die Spitze
aufgesetzt haben dem Ganzen Herr Meierhofer und Herr
Kauch.
({0})
Herr Meierhofer sprach von den unglaublichen Errungenschaften der Regierung. Wir können einmal alle Bereiche auflisten, und dann sagen Sie, Herr Meierhofer,
mir bitte einmal, wann die Gesetze zu diesen Bereichen
zum ersten Mal verabschiedet worden sind: Emissionshandel, erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung,
Atomausstieg, Marktanreizprogramm und Gebäudesanierungsprogramm. All die Gesetze zu diesen Themen
sind zum ersten Mal unter Rot-Grün verabschiedet worden.
({1})
Alle diese Gesetze sind Gesetze, gegen die die FDP
grundsätzlich und die Union in den meisten Fällen gestimmt haben. Das ist die Tatsache, über die wir hier
sprechen.
({2})
Das alles kann man nachlesen und nachprüfen. Das
Schönste wäre, die Reden der FDP zu diesen Themen
hervorzuholen, vor allem die zum Atomausstieg. Was
wurde hier nicht gegen den Atomausstieg gewettert und
geeifert, den Rot-Grün beschlossen hat und der nicht in
dieser Legislaturperiode seinen Ursprung hatte!
({3})
Das ist damals übrigens auch gegen die Stimme von
Herrn Altmaier geschehen.
Die Große Koalition hat große Teile von diesen Errungenschaften ausgebaut, von denen die schwarz-gelbe
Koalition heute noch profitiert, weil einiges übrig geblieben ist. Die Krone setzt Herr Kauch dem Ganzen mit
der Behauptung auf, Sie hätten den Atomausstieg eingeleitet. Ich möchte daran erinnern, dass Sie den Atomausstieg am Anfang dieser Legislaturperiode rückgängig gemacht haben. Ich mag ja einigen, wie zum Beispiel
Herrn Altmaier, glauben, dass sie nach Fukushima etwas
gelernt und endlich Vernunft angenommen haben, aber
leider gilt das nicht für alle. Es gibt Protokolle über Sitzungen dieser Legislaturperiode, in denen zu lesen ist,
dass es Unions- und FDP-Abgeordneten schon wieder
leidtut, aus der Atomenergie ausgestiegen zu sein. Das
zeigt, dass Sie es mit dieser Politik leider immer noch
nicht ernst meinen.
Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, auf die meine
Kollegen noch nicht eingegangen sind, weil sie zeigen,
dass wir da nicht vorankommen.
Erstens. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist, wie
gesagt, faktisch noch gar nicht durchgeführt worden.
Zweitens. Die internationale Dimension von Atompolitik ist besonders wichtig. Wir wissen: Wenn ein
Atomkraftwerk in die Luft fliegt, sind vor allem die
Nachbarländer betroffen. Aber was haben Sie unternommen? Gab es denn zum Beispiel mit den Franzosen
Gespräche? Wir haben mehrere Male diesbezüglich
nachgefragt und keine Antwort bekommen. Marode
französische Atomkraftwerke stehen kurz vor der
Grenze zu Deutschland.
({4})
Wir wissen, dass wir die Suppe mit auszulöffeln haben
- man bedenke, wie häufig Westwind ist -, wenn diese
Atomkraftwerke in die Luft fliegen. Was ist bisher geschehen? Gar nichts.
Was ist hinsichtlich Euratom geschehen? Wir haben
diesbezüglich mehrmals angemahnt und mehrere Anträge eingebracht, die Sie alle abgelehnt haben. Wir haben darin gefordert, Euratom so umzubauen, dass es
auch andere Dinge, wie Energieeffizienz und erneuerbare Energien, fördert und eben nicht nur Atom. Auch da
sind Sie nicht vorangekommen.
Im Gegenteil: Sie haben international dafür gesorgt,
dass Hermesbürgschaften, also Geldgarantien Deutschlands, mittlerweile wieder für Atomkraftwerke eingesetzt werden können. Wenn eine Regierung, beispielsweise die brasilianische, in einem Erdbebengebiet ein
Atomkraftwerk bauen will und dafür von Deutschland
Hermesbürgschaften braucht, dann werden deutsche
Steuergelder dafür missbraucht, dieses Atomkraftwerk
zu finanzieren. Auch das ist Ihre Politik. Sie ist doppeldeutig und beweist, dass Sie nichts dazugelernt haben.
({5})
Nächstes Stichwort: Energieeffizienz. Es ist schon
verwunderlich, dass dieses wichtige Thema von keinem
Vertreter der Regierungsfraktionen hier heute behandelt
worden ist.
({6})
- Auch von Ihnen nicht.
Man muss sich das Ganze einmal genau anschauen;
dann wird vielleicht deutlich, warum das so ist. Ich habe
mich einmal auf der BMU-Internetseite umgeschaut.
Dort ist eine Studie zugänglich, in der steht: Der Energiebedarf in der Europäischen Union kann um zwei Drittel gesenkt werden. - Das macht deutlich, wie wichtig
Energieeffizienz ist.
Es gibt mehrere Reden von Ihnen, Herr Bundesminister, und von den beiden Staatssekretärinnen dazu, warum
Energieeffizienz so wichtig ist. Dennoch werden auf dieser Internetseite keine Maßnahmen aufgeführt. Unter
dem Punkt „Parlamentarische Vorgänge“ sind drei Einträge verzeichnet. Ein Eintrag stammt vom 15. April
2012. Das ist eine Antwort auf eine Anfrage von Frau
Dr. Kofler zur Energieeffizienz im internationalen Bereich. Die nächsten beiden Einträge sind von 2011. Auch
das sind nur Antworten auf Anfragen der Opposition.
Das ist Ihre Bilanz hinsichtlich Energieeffizienz, und
zwar nicht bezogen auf ein Jahr, sondern auf vier Jahre.
Das zeigt doch, wie wichtig Ihnen diese Themen wirklich sind und dass wir an bestimmten Punkten nicht weiterkommen.
({7})
Ich komme zum Schluss. Man muss Ihnen zugutehalten, Herr Umweltminister - auch das wurde ein paarmal
gesagt -, dass Sie sich in einer schwierigen Lage befinden, weil Sie teilweise von der eigenen Fraktion nicht
unterstützt werden und weil Sie einen Wirtschaftsminister im Nacken haben, der Ihnen nicht zur Seite steht,
sondern der viele Dinge, die Sie vorbringen, blockiert.
Wir haben es im Umweltausschuss erlebt: Die FDP hat
sich an Diskussionen teilweise nicht beteiligt, beispielsweise an denen über Strompreisbremsen; die Union ist
da alleingelassen worden.
Am Ende ist das aber weder Herrn Altmaiers noch
Herrn Röslers Problem, sondern eines der Kanzlerin;
denn sie hat die Richtlinienkompetenz. Wenn die beiden
Minister sich nicht einigen, dann müsste sie durchgreifen. Insofern haben nicht Sie persönlich eine schlechte
Bilanz, sondern die Kanzlerin. Das müssen wir am Ende
feststellen.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner für die
Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege
Dr. Thomas Gebhart. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas
Gebhart.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist in der Tat eine gute Gelegenheit, einmal darüber zu sprechen, dass wir einen hervorragenden Umweltminister haben, der vieles geleistet
und vieles vorangebracht hat. Ich sage: Er ist ein Glücksfall für unsere Regierung und für unser Land.
({0})
Thema Endlagersuche. Es gab jahrelang Streit. Peter
Altmaier hat es, auch dank der Mithilfe vieler, geschafft,
dieses Thema aus dem parteipolitischen Gezänk herauszuholen. Wir haben eine Verständigung über Parteigrenzen hinweg. Das ist ein echter Meilenstein und ein echter
Erfolg.
Thema Klimaschutz. Sie haben bemängelt, dass dieses Thema hier zu kurz kommt. Peter Altmaier ist ein
Streiter für mehr Klimaschutz. Wir haben ihn gemeinsam auf der letzten Weltklimakonferenz in Doha erlebt.
Er hat sich unglaublich ins Zeug gelegt, auch vor der
Konferenz und nach der Konferenz. Er hat international
ein unglaublich hohes Ansehen erworben. Er hat angekündigt, eine Initiative ins Leben zu rufen: den Klub der
Energiewendestaaten.
({1})
Er hält Wort. Dieser Klub geht in Kürze an den Start.
({2})
- Er hält Wort. Am 1. Juni geht dieser Klub an den Start.
({3})
Es gibt weitere Themen, die vielleicht nicht so im
Rampenlicht stehen, aber bei denen er große Erfolge
erzielt hat und eine Menge erreicht hat. Ich komme zu
einem Thema, das uns in diesen Wochen und Monaten
sicherlich intensiver beschäftigt als alles andere: die
Energiewende. Ich will eines vorwegschicken: Die Energiewende ist selbstverständlich kein Projekt, das von
heute auf morgen vollständig umgesetzt werden kann,
sondern die Energiewende wird ein langer Weg sein,
mitunter auch ein steiniger Weg. Es liegt sicherlich noch
vieles vor uns, aber wir haben auch schon eine ganze
Menge erreicht, und das sollten wir nicht kleinreden.
Wir haben bei den Energieeffizienzmaßnahmen einiges
erreicht, Gesetzgebung Netzausbau erneuerbare Energien.
({4})
Sie haben uns in der Vergangenheit immer wieder
vorgeworfen, wir würden den Ausbau der erneuerbaren
Energien stoppen wollen. Meine Damen und Herren, die
Wahrheit ist: Der Anteil der erneuerbaren Energien ist so
hoch wie nie zuvor.
({5})
Wir wollen und werden weitergehen. Wir setzen neue
Impulse. Das Batteriespeicherprogramm ist am 1. Mai
dieses Jahres, vor wenigen Tagen, gestartet.
Klar ist aber auch: Zum Gelingen der Energiewende
gehört - dies ist Teil einer nachhaltigen Energieversorgung -, dass die Preise am Ende für die Menschen in
diesem Land bezahlbar bleiben, für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die kleinen und mittleren Unternehmen genauso wie für die großen Unternehmen.
Peter Altmaier hat dies erkannt. Er hat Maßnahmen zur
Strompreisbremse vorgeschlagen. Er hat ausdrücklich
alle eingeladen, sich konstruktiv in diese Debatte einzubringen.
Nur, Fakt ist erstens: Rot und Grün sind sich uneinig.
Die Grünen wollen vor allem die energieintensiven Industrien stärker belasten. Die SPD will dies nicht. Sie
sagt, das würde viele Tausende von Arbeitsplätzen in
diesem Land gefährden. Die SPD setzt stattdessen eher
auf die Senkung der Stromsteuer. Nur, da kann man die
Frage stellen: Würde sie tatsächlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen? Selbst wenn diese
Senkung dort ankommen würde, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das kann nicht die Lösung der
Probleme sein.
({6})
Fakt ist zweitens: Bis auf den heutigen Tag gibt es
beim Thema Strompreisbremse auf Ebene der Ministerpräsidenten - ich schaue wieder Sie von Rot-Grün an keine Bewegung in Richtung einer Einigung. Deswegen
sage ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir könnten bei der Umsetzung der Energiewende heute viel weiter sein, wenn Sie nicht Blockadepolitik betreiben und wichtige Schritte behindern
würden.
({7})
Ich nenne Ihnen gleich noch ein Beispiel. Der Vorredner hat bemängelt, dass das Thema Energieeffizienz hier
nicht angesprochen werde. Ich spreche das Thema Energieeffizienz an. Energieeffizienz, Energieeinsparung, das
sind die wichtigsten Bausteine der Energiewende überhaupt.
({8})
Wir haben einiges gemacht, aber wir wollen weitergehen. Wir wollen die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Was ist passiert? Bis auf den
heutigen Tag: Blockade der Länder im Bundesrat.
({9})
Es ist nicht nachzuvollziehen.
Deswegen sage ich, meine Damen und Herren:
Streuen Sie den Menschen nicht Sand in die Augen! Ich
bitte Sie und fordere Sie auf: Werden auch Sie Ihrer Verantwortung als Opposition gerecht
({10})
und tragen Sie konstruktiv zum Gelingen unserer Energiewende bei!
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste und letzte Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von CDU und CSU unsere Kollegin Frau Dr. Maria
Flachsbarth. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und
insbesondere liebe Kollegen von den Sozialdemokraten!
Ich finde, dass es eine wirklich richtig klasse Idee war,
diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Wo sonst hat man
noch einmal die Chance, die Umweltpolitik
({0})
und auch einen Minister der Bundesregierung so in den
Mittelpunkt einer Debatte zu stellen - und das zur
Primetime? Also: richtig gut!
Unser Minister ist seit dem 22. Mai letzten Jahres im
Amt. Ich finde, dass sich seine Bilanz absolut sehen lassen kann.
Ich möchte aus der Sicht als Berichterstatterin für die
Endlagerung auf einige Aspekte eingehen. Nehmen wir
als Erstes die Asse. Der Minister hat sein umweltpolitisches Programm am 31. Mai letzten Jahres vorgestellt.
Schon damals kam ein expliziter Hinweis auf die Asse.
Er sagte - ich zitiere -:
Wenn wir Umweltschutz … ernst nehmen, dann
dürfen wir solche offenen Wunden in der Natur
nicht einfach hinnehmen.
Am 1. Juni, also wenige Wochen nachdem er sein
Amt übernommen hatte, war er in der Asse und hat in
Begleitung von Sigmar Gabriel und Stefan Birkner mit
den Menschen gesprochen. Dort hat er gesagt und versprochen - ich zitiere wieder -:
Ich kann nicht versprechen, dass die Bürger immer
zu 100 Prozent mit meinen Entscheidungen einverstanden sind, ich verspreche aber, dass ich mit Ihnen über alle Probleme reden werde.
Mich hat diese offene und konstruktive Art immer
sehr angesprochen. Dass dies kein leeres Gerede ist, hat
sich unter anderem bei seinem zweiten Besuch in der
Asse gezeigt - und das, wohlgemerkt, in dieser kurzen
Amtszeit -: Am 23. November hat er sich in Wolfenbüttel wiederum mit der Asse-Begleitgruppe, mit Vertretern
der betroffenen Kommunen und der Umweltverbände,
getroffen und über die Fassung des Asse-Beschleunigungsgesetzes, das am 11. Dezember in den Bundestag
eingebracht wurde, diskutiert.
Auf Initiative der Berichterstatterinnen im Bundestag,
ganz besonders unserer Kollegin Kotting-Uhl von den
Grünen, ist dieses Gesetz auf den Weg gebracht worden,
nämlich die Rückholung als Vorzugsoption festzuschreiben und sie so weit zu beschleunigen, wie es uns im
Rahmen unserer Möglichkeiten als Parlament möglich
ist. Diese Gespräche waren sehr konstruktiv. Ja, sie
kamen aus der Mitte des Parlamentes, sind aber immer
begleitet worden von unserer Staatssekretärin HeinenEsser und von Fachbeamten aus dem Ministerium, natürlich unter positiver Begleitung unseres Ministers.
Was mir auch sehr wichtig ist und häufig vergessen
wird: Die Bürgerinnen und Bürger der Region saßen immer mit am Tisch, indem ein Anwalt, den die Asse-2Begleitgruppe beauftragt hat, unsere Berichterstattergespräche begleitet und eigene Vorschläge gemacht hat.
Dieser Anwalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aus
den Mitteln des BMU bezahlt worden. Das zeigt letztendlich, dass der Minister nicht nur Gespräche und die
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger anbietet, sondern dass er sich auch tatkräftig dafür einsetzt, dass diese
Beteiligung auf Augenhöhe stattfinden kann. Das ist in
unserer Debatte überhaupt noch nicht erwähnt worden.
Ich komme zu der großen und schwierigen Problematik, die noch länger andauert als die Frage der Sanierung
der Asse: Das ist die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Wir haben seit 35 Jahren einen Status
quo: Lediglich der Salzstock in Gorleben, im Wendland,
wird daraufhin untersucht, ob er möglicherweise geeignet sei, radioaktives Material aufzunehmen. Dort ist
- wir hatten heute Morgen die letzte Sitzung des Gorleben-Untersuchungsausschusses - sehr viel Vertrauen
verloren gegangen. Eigentlich ist gar kein Vertrauen
mehr da. Wir brauchen - das kann ich als Lehre aus dem
Untersuchungsausschuss ziehen - dringend einen Neustart bezüglich einer Suche nach einem Endlager für
hochradioaktive Stoffe.
({1})
Darum haben sich in der Vergangenheit schon mehrere Bundesumweltminister bemüht. Bundesumweltminister Trittin hat damals in der rot-grünen Koalition im
Rahmen des AK End Vorschläge erarbeiten lassen, die
jetzt wieder in unsere Überlegungen einbezogen werden.
Aber damals war es nicht möglich, einen Gesetzentwurf
zu formulieren. Somit war es auch nicht möglich, dass
ein Gesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet
worden ist.
Auch Bundesminister Gabriel hat an dieser Problematik in der Großen Koalition gearbeitet. Damals stand im
Koalitionsvertrag:
CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen
Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage
zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen
in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu
kommen.
Das ist nicht gelungen. Umso mehr rechne ich es diesen beiden ehemaligen Bundesumweltministern an, dass
sie sich jetzt konstruktiv in die neue Debatte eingebracht
haben.
Meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten
nach der verlorenen NRW-Wahl, der Niedersachsenwahl
({2})
- jetzt steht die Bundestagswahl an - hat es sich Peter
Altmaier nicht nehmen lassen, diese schwierige Problematik, die er genauso gut zur Seite hätte legen können,
anzugehen und zu versuchen, die Fäden zusammenzuführen und die Gesprächspartner zusammenzubringen,
um noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu
kommen.
Herr Altmaier war selbstverständlich auch in Gorleben und hat den Menschen dort einen Tag nach der Niedersachsenwahl, um keine Interaktionen herbeizuführen,
versprochen - ich zitiere -:
Für Sie hier wäre es sicher der einfachste Weg,
wenn Gorleben von vornherein ausscheidet … Aber
das kann ich Ihnen nicht liefern.
Er ist ein offener, ehrlicher und konstruktiver Anwalt
der Umwelt, des Naturschutzes und der Reaktorsicherheit. Ich kann daher nur sagen: Lieber Peter Altmaier,
wir sind ziemlich froh, dass wir Sie als Bundesminister
haben.
({3})
Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen
Ihre Arbeit von ganzem Herzen. Wir hoffen, dass Sie
noch lange unser Bundesumweltminister sind.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth.
Wir sind damit am Ende unserer Aktuellen Stunde.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2012/…/EU
über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur
Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung ({0}) Nr. …/2012 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen ({1})
- Drucksachen 17/10974, 17/11474 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen 17/13524, 17/13541 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
2011/61/EU über die Verwalter alternativer
Vizepräsident Eduard Oswald
Investmentfonds ({3})
- Drucksache 17/12294 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4})
- Drucksache 17/13395 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13396 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel ({6})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({7})
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes
und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz ({8})
- Drucksachen 17/12603, 17/13036, 17/13562 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({9})
- Drucksache 17/13522 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Tillmann
Lothar Binding ({10})
Dr. Daniel Volk
Zum CRD IV-Umsetzungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zum
CRD IV-Umsetzungsgesetz und zum AIFM-Umsetzungsgesetz liegen jeweils Entschließungsanträge der
Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich gehe davon aus, dass die Redner im Interesse aller
Zuhörerinnen und Zuhörer die Abkürzungen so erläutern, dass sie nicht nur das Fachpublikum versteht, sondern auch jeder Einzelne, nicht nur hier im Hause, sondern auch außerhalb.
({11})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Sie
sind alle damit einverstanden. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in dieser umfassenden Aussprache ist für die Fraktion von
CDU/CSU unser Kollege Hans Michelbach. - Bitte
schön, Kollege Hans Michelbach.
({12})
Herr Präsident, ich werde mich intensiv bemühen, Ihren Anforderungen gerecht zu werden.
Ich bitte darum.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Finanzmarkt,
kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt
darf unbeaufsichtigt bleiben. Das war die Ansage der
Bundeskanzlerin im Jahre 2009 beim G-20-Gipfel in
Pittsburgh und danach beim Londoner EU-Gipfel. Das
war und ist die Konsequenz aus der weltweiten Finanzund Wirtschaftskrise.
Diese ist leider noch nicht vorüber. Deshalb müssen
die Tätigkeit und Beaufsichtigung von Kreditinstituten,
insbesondere der systemrelevanten Institute, mit gesetzlichem Nachdruck neu geordnet werden. Haftung und
Verantwortung auf den Finanzmärkten gehören nach unserer Überzeugung zu den Grundwerten der sozialen
Marktwirtschaft. Wer da Hand anlegt, der wird diese soziale Marktwirtschaft letztendlich zerstören. Deshalb
schaffen wir Schritt für Schritt gemeinsam mit unseren
Partnern einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Wir halten Wort. Über 30 Gesetze haben wir auf
unserer Habenseite. Da kann uns niemand etwas vormachen.
({0})
In dieser Woche bringen wir gleich vier große Gesetzespakete ins Ziel: für die Stabilität und Sicherung unserer Banken durch hohe Eigenkapitalanforderungen, für
die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, für
die Abschirmung von Risiken, für eine größere Verantwortung von Bankvorständen, für das Wachstum unserer
Realwirtschaft durch die Anpassung des Investmentsteuerrechts und damit letzten Endes auch für die Erhaltung
unserer Wirtschaftsgrundlage und unserer gemeinsamen
Euro-Währung.
Meine Damen und Herren, so verabschieden wir
heute mit dem CRD IV-Umsetzungsgesetz
({1})
das Kernprojekt der europäischen Finanzmarktregulierung, besser bekannt als Basel III. Damit wird eine neue
Grundordnung für Banken geschaffen. Wir schaffen da30196
mit auch im Interesse unserer Institute eine neue Vertrauensbasis. Als eines der ersten Länder in Europa stellen
wir die vereinbarte Umsetzung von Basel III in nationales Recht zum 1. Januar 2014 sicher. Durch die Stärkung
der Kapitalbasis wird die Risikotragfähigkeit jeder einzelnen Bank deutlich gestärkt und das Finanzsystem insgesamt stabiler gemacht. Die Eigenkapitalanforderungen
an Banken werden verschärft. Die Bankenaufsicht erhält
mehr Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten. Das ist
notwendig; das ist das Fazit aus der Krise. Es ist ein
Meilenstein auf dem Weg zur Konsolidierung und zu einer höheren Widerstandsfähigkeit des gesamten Finanzmarktes und Bankensektors.
({2})
Je höher das Risiko eines Kreditnehmers ist, desto
mehr Eigenkapital muss für die Kreditaufnahme vorgehalten werden. Das ist Marktwirtschaft, das ist die Reaktion. Mit der neuen Regulierung besteht nun die Verpflichtung, das Niveau des Eigenkapitals von bisher
8 Prozent auf mindestens 10,5 Prozent hochzusetzen.
Somit wird die Qualität des durch die Banken vorzuhaltenden Eigenkapitals erheblich gesteigert.
({3})
Das qualitativ beste Eigenkapital, das harte Kernkapital,
wird um den Faktor 3,5 erhöht; es macht letzten Endes
mindestens 7 Prozentpunkte des verpflichtenden Niveaus
von 10,5 Prozent aus. Die Kreditinstitute müssen also im
Vergleich zu heute mehr als dreimal so viel hochwertiges
Eigenkapital bereithalten. Das ist ein Weg zu einer neuen
Vertrauensbasis für den Finanzmarkt, für den Bankensektor.
Meine Damen und Herren, die neuen Liquiditätsanforderungen sorgen dafür, dass die Banken auch in
Stresssituationen über ausreichend Liquidität verfügen,
damit sie auch ohne externe Refinanzierung zahlungsfähig bleiben können. Durch Meldung einer Verschuldungskennziffer findet eine bessere Überprüfung statt.
Wir wollen nicht, dass die Steuerzahler weiterhin als
Einzige die Zeche zahlen müssen. Wir sagen unseren
Unternehmern und Arbeitnehmern: Das Geschäftsrisikound Finanzierungsprofil der Banken darf sich nicht negativ auf die Gesamtwirtschaft auswirken. Die Banken
sind für die Realwirtschaft da, und nicht umgekehrt. Der
dienende Faktor der Finanz- und Kreditwirtschaft ist ein
wichtiges Anliegen der Realwirtschaft.
({4})
Unsere Institute nehmen diesen Faktor weitgehend
schon heute ernst.
Erfreulich ist, dass Basel III eine unterschiedliche Risikoeinstufung der einzelnen Kredite vorsieht. Die Bundesregierung hat auf unseren Wunsch durchgesetzt, dass
risikoärmere Mittelstandskredite nicht nur bis zu einem
Betrag von 1 Million Euro, sondern bis zu einem Betrag
von 1,5 Millionen Euro privilegiert werden. Meine Damen und Herren, das ist ein großer Erfolg im Hinblick
auf die Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft
und führt zu einer angemessenen Risikostreuung.
({5})
Das ist der richtige Weg bei der Mittelstandsfinanzierung, im Interesse unseres Mittelstandes, der über
70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland beschäftigt, und insbesondere unserer kleinen und mittleren Institute, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Mittelstand nachdrücklich zu unterstützen.
({6})
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf
schaffen wir auch Regelungen zur internen Risikosteuerung der Institute und zu einer intensiveren Überwachung
der Risiken durch die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte.
Ich glaube, wir haben hier Augenmaß bewiesen. Wir sorgen für strengere Anforderungen an die Zusammensetzung und Qualifikation der Aufsichtsräte; auch das ist ein
wichtiger Punkt. Wir haben Regelungen zur Deckelung
der variablen Vergütung von Bankenmanagern geschaffen. Der Nachhaltigkeit der Geschäftsstrategie kommt
eine größere Bedeutung zu.
Wir verabschieden heute einen Meilenstein. Wir haben noch weitere Gesetze auf den Weg gebracht, insbesondere das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz.
({7})
Die Kollegin Antje Tillmann wird in ihrer Rede das Gesetz ausführlich erläutern. Wir haben uns sehr bemüht
und viel erreicht.
Abschließend möchte ich deutlich machen: Diese
Bundesregierung und unsere bürgerliche Koalition haben einen wesentlichen Fortschritt erzielt. Wir können
stolz darauf sein, dass wir heute die vorliegenden Gesetzentwürfe verabschieden. Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Wir schaffen eine neue Vertrauensbasis.
Lassen Sie uns damit in eine bessere Zukunft gehen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Hans Michelbach. - Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Manfred Zöllmer. Bitte schön, Kollege Manfred
Zöllmer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
war wirklich eine schwierige Geburt auf europäischer
Ebene, dieses Werk von insgesamt 1 300 Seiten beschlussreif zu machen. Es geht darum, wichtige und richtige Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise zu ziehen.
Der überwiegende Teil des Werks kommt als Verordnung
daher und ist daher unmittelbar geltendes Recht. Lieber
Herr Michelbach, man sollte sich da nicht mit fremden
Federn schmücken.
Wir setzen jetzt den Teil um, der als Richtlinie in den
europäischen Gremien vereinbart wurde. Wir sollten
nicht vergessen, besonders den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament für ihr Engagement in
dieser Sache zu danken. Sie haben einen wirklich guten
Job gemacht.
({0})
In der Finanzmarktkrise zeigte sich, wie anfällig das
Finanzsystem war, weil die Kapitaldecke der Banken
viel zu gering war und die Kreditinstitute ihre Liquidität
nicht mehr sicherstellen konnten. Die Refinanzierungsquellen waren versiegt. Von daher war es logisch, wichtig und richtig, Quantität und Qualität des Eigenkapitals
in den Fokus zu rücken. Durch höhere Eigenkapitalanforderungen soll die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems in der Krise gestärkt werden. Dies sieht der vorliegende Gesetzentwurf vor. Zusätzlich gibt es eine
Reihe von Kapitalpuffern, die die gleiche Aufgabe erfüllen sollten. Auch die Anforderungen an die Qualität des
Eigenkapitals wurden deutlich verbessert.
Aber niemand in der Wissenschaft kann Ihnen präzise
Auskunft darüber geben, ob dies in einem möglichen
Krisenszenario in der Zukunft ausreicht, um eine Krise
zu verhindern. Immerhin verfügte Lehman über eine Eigenkapitalquote von 10 Prozent. Das hat nicht gereicht.
Viele Wissenschaftler fordern deshalb deutlich höhere
Quoten als diejenigen, die jetzt vereinbart wurden.
Ob der gefundene Kompromiss wirklich gut genug
ist, weiß niemand. Aber es ist gut, dass ein Kompromiss
gefunden wurde, und er geht in die richtige Richtung. Er
zeigt, dass Europa fähig ist, sich zu verständigen, und
dies auch bei sehr unterschiedlichen nationalen Märkten.
({1})
Dabei ist es gelungen - das muss man wirklich sagen -,
auf die deutschen Besonderheiten weitgehend Rücksicht
zu nehmen.
({2})
Doch es gibt auch hier einige kritische Punkte, die wir
thematisieren und die ich jetzt ansprechen will. Man
setzt beim Baseler Ansatz unverändert auf eine risikogewichtete Eigenkapitalunterlegung. Das heißt, die von
den Kreditinstituten selbst entwickelten internen Modelle zur Risikoabschätzung bilden die Grundlage. Es
hat sich aber gezeigt: Diese Modelle haben in der Vergangenheit versagt. Das hat die Krise deutlich gezeigt.
Nun soll durch eine Verfeinerung dieser Modelle das
ganze System sicherer werden. Ob dies gelingt, ist völlig
offen. Es wäre deshalb sinnvoll und notwendig, sie
durch eine Kennziffer zu ergänzen, die eine Verschuldensobergrenze einzieht und damit die exzessive Verschuldung eines Kreditinstituts verhindert. Eine solche
Kennziffer nennt man Leverage Ratio. Sie muss dabei
nach dem spezifischen Risikogehalt verschiedener Geschäftsmodelle differenziert werden. Aber dies fehlt. Die
Entscheidung über die Einführung einer solchen Quote
soll erst im Jahr 2017 erfolgen.
Das Gleiche gilt für die Liquiditätsregulierung. Die
Kreditinstitute sollen künftig eine kurzfristige und eine
mittelfristige Liquiditätskennziffer einhalten müssen;
aber die Entscheidung darüber, wie sie auszugestalten
sind, wurde auf spätere Jahre verschoben. Wir bedauern
dies, da die Sicherung der Liquidität von Kreditinstituten
für die Krisenprävention von zentraler Bedeutung ist.
Zusätzlich enthält der Gesetzentwurf einige Regelungen zur Verbesserung des Corporate Governance Kodex.
Im Mittelpunkt stehen dabei die neuen Vergütungsregeln. Zukünftig sollen exzessive Boni, wie sie in der
Vergangenheit gang und gäbe waren, verhindert werden.
Diese Boni führten in der Vergangenheit zum Eingehen
unzumutbarer Risiken. Das war ein wichtiger Auslöser
der Krise. Zukünftig müssen Boni, die über 100 Prozent
der fixen Vergütung hinausgehen, von der Hauptversammlung genehmigt werden. Wir Sozialdemokraten
begrüßen den Ansatz einer Bonibegrenzung grundsätzlich; wir sind aber der Auffassung, dass die Hauptversammlung, also die Eigentümerversammlung, nicht der
richtige Ort ist, um eine solche Entscheidung zu treffen.
Für solche Fragen sollte auch zukünftig der Aufsichtsrat
zuständig sein.
({3})
Die von uns seit langem geforderte Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit solcher Zahlungen würde zu einer wirksamen Begrenzung von Bonizahlungen führen.
Die Umsetzung von Basel III in nationales Recht
umfasst auch das sogenannte Country-by-CountryReporting. Mit der Veröffentlichung verschiedener
Kennziffern soll das Agieren von Banken transparent gemacht werden. Verluste zum Beispiel müssten transparent gemacht werden. Aber die Veröffentlichungspflicht
setzt zu spät ein. Es wäre möglich, sie bereits 2014 zur
Pflicht zu machen. Wir würden dies unterstützen.
Wenn man nun abwägt - was ist bei der Umsetzung
von Basel III erreicht worden, und was ist nicht erreicht
worden? -, dann kommen wir Sozialdemokraten zu dem
Ergebnis, dass die Umsetzung zwar ein wichtiger, aber
noch nicht hinreichender Schritt ist, um mehr Stabilität
auf den Finanzmärkten sicherzustellen.
({4})
Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf dennoch
zustimmen, aber weiter darauf drängen, die noch offenen
Punkte in dem von uns angesprochenen Sinne zu regeln.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Björn Sänger für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute zwei weitere große Pakete zur Finanzmarktregulierung vorliegen, den Entwurf eines
AIFM-Umsetzungsgesetzes mit dem zugehörigen Entwurf eines Steuergesetzes und die Umsetzung von Basel III in Deutschland. Das sind zwei Pakete, die den
Verbraucherschutz und die Sicherheit und die Stabilität
der Finanzmärkte weiter stärken werden.
Ich will mit der AIFM-Richtlinie beginnen, zu der
heute noch gar nichts gesagt worden. Es geht um die
Frage der Regulierung alternativer Investmentvehikel,
des sogenannten grauen Marktes, der durch diese Regulierung etwas mehr in den Blick gerückt wird. Das ist ein
wichtiger Finanzierer der Realwirtschaft; denn Schiffe,
Flugzeuge, Existenzgründungen und Immobilien werden
häufig über diese alternativen Investmentvehikel finanziert. Ich hatte beispielsweise einen Petenten am Telefon, der Kindergärten für Kommunen im Rahmen
geschlossener Fonds baute. All das sind alternative Investmentvehikel, die wir hier regulieren. Auch volkswirtschaftlich gewünschte Investments wie beispielsweise die Finanzierung der Energiewende werden häufig
über derartige Konstrukte abgewickelt. Deswegen ist es
wichtig, dass wir mit Augenmaß regulieren, wie der Kollege Michelbach schon gesagt hat.
Augenmaß ist auch beim exekutiven Handeln wichtig. Wir haben eine sehr breite Bemessungsgrundlage geschaffen, um Umgehungstatbestände auszuschließen.
Das heißt, wir haben einen breiten Anwendungsbereich.
Das bedeutet aber auch, dass wir hier möglicherweise
Beifang haben, das heißt, dass bestimmte Unternehmen
- beispielsweise betrifft das Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft - als Fonds erfasst werden, obwohl
sie eigentlich gar keine Fonds sind und daher eigentlich
nicht unter diese Richtlinie fallen sollen. Insofern
kommt der BaFin hier eine besondere Verantwortung zu.
Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie diesen Spielraum in unserem Sinne nutzen wird.
Wir haben bei der Energiewende einiges erreicht. Wir
haben uns zum Beispiel auf die Genossenschaftsmodelle
konzentriert. Im Wesentlichen geht es dabei um bürgerschaftliches Engagement, um Modelle, bei denen sich
Menschen zusammenschließen, um die Energiewende
voranzutreiben, um einen Windpark zu betreiben, um
eine Photovoltaikanlage, Biogasanlage oder was auch
immer zu betreiben. Dies soll weiterhin im genossenschaftlichen Rahmen möglich sein. Wenn die Betreffenden es selber tun, das heißt, operativ tätig sind, sind sie
sowieso außen vor.
Wir haben - dies ist ein weiterer Punkt aus dieser
Richtlinie - die offenen Immobilienfonds erhalten. Dieses Investmentvehikel, bei dem jedermann mit kleinen
Beträgen in Immobilienvermögen investieren kann,
bleibt erhalten. Wir haben diese offenen Immobilienfonds krisenfester ausgestaltet, indem wir die Auszahlungsmodalitäten näher mit dem Investitionsobjekt,
nämlich eine Immobilie, verbunden haben. Jetzt ist es
eben kein Tagesgeldkonto mehr; als das wurde es häufig
verkauft.
Ein weiterer Aspekt in diesem Gesetzentwurf, der
vollkommen unstrittig war, ist das sogenannte PensionAsset-Pooling. Hiermit stärken wir den Finanzplatz
nachhaltig. Wir erweitern den Verbraucherschutz, indem
es internationalen Unternehmen möglich ist, Pensionsfonds zu bündeln und dies auch von Deutschland aus zu
gestalten. Das war bisher nicht möglich. Da waren wir
im internationalen Vergleich im Nachteil. Ich freue mich
außerordentlich, dass es gelungen ist, auch ein solches
Anlageinstrument zur Verfügung zu stellen. Das ist meines Erachtens ein ganz großer Erfolg.
({0})
Hinsichtlich der Umsetzung von Basel III in Deutschland kam es uns auf drei Kernpunkte an: Erhöhung der
Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen, Verbesserung
des Risikomanagements und Erhöhung der Transparenz.
Auf die klassischen Insolvenzgründe, fehlendes Kapital
und fehlende Liquidität, wird angemessen reagiert, indem zukünftig mehr Eigenkapital besserer Qualität zur
Verfügung gestellt werden muss. Ergänzend werden
Kapitalpuffer eingeführt, um bei Krisen eine höhere
Widerstandskraft zu haben. Zukünftig soll der Cashflow
so gesteuert werden, dass die Liquidität jederzeit zur
Verfügung steht.
Wir haben einen einheitlichen Ordnungsrahmen vorgelegt, der für alle Banken gilt; denn der Finanzsektor
muss sich entwickeln können. Es gab und es gibt nach
wie vor Stimmen, die sagen, dass das eigentlich alles nur
für die systemrelevanten Banken oder die Verursacher
der Krise gelten soll. Aber eine Bank ist eine Bank.
({1})
Insofern gilt der Ordnungsrahmen grundsätzlich erst einmal für den gesamten Finanzplatz. Wir können heute
noch nicht sagen, was zukünftig eine systemrelevante
Bank ist. Der Finanzmarkt muss sich an dieser Stelle
entsprechend entwickeln können.
Gleichzeitig haben wir die Anforderungen vor allem
an kleine und mittlere Institute nach dem Proportionalitätsprinzip gestaltet, das sich durch das gesamte Regulierungsvorhaben zieht. Wer sozusagen ein einfaches Geschäft betreibt, wer mit dem sogenannten Standardansatz
arbeitet, wird nicht viel zu befürchten haben, weil er
auch nicht mit großen Risiken arbeitet. Auch kommunale Aspekte hinsichtlich der Ausgestaltung von Aufsichtsräten, zum Beispiel bei Sparkassen, haben wir entsprechend berücksichtigt.
Unter dem Strich kann man sagen: Es handelt sich
wie immer um eine Regulierung mit Augenmaß, die die
Ziele der Regulierung, mehr Sicherheit und Stabilität in
den Finanzmarkt zu bringen, erreicht. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir vier gute Jahre in Deutschland erlebt haben.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2008 begann die weltweite Finanzkrise, vor zwei Jahren
die Krise des Euro-Raums. Seitdem gibt es zumindest
ein politisches Umdenken dahin gehend, dass die Finanzmärkte reguliert werden müssen. Aber die Umsetzung erfolgt sehr schleppend. 2009, also vor vier Jahren,
wurde in Pittsburgh von den G-20-Staaten eine Reihe
von Beschlüssen gefasst. Sie sind immer noch nicht in
Gänze in Kraft.
Wir beraten hier heute drei Gesetzentwürfe; auf diese
möchte ich mich konzentrieren.
Erstens geht es um das CRD IV-Umsetzungsgesetz.
Ich versuche, es einfach auszudrücken: Es geht darum,
Eigenkapitalanforderungen, Liquiditätsstandards und
Maßgaben zur Unternehmensführung einfachgesetzlich
zu verankern, Stichwort Basel III. Da ich hier nicht den
gesamten Gesetzentwurf bewerten kann, möchte ich
zwei Punkte herausgreifen.
Erstens: die Eigenkapitalvorschriften. Prinzipiell ist
die Heraufsetzung der Eigenkapitalquote im Verhältnis
zu dem Kreditvolumen, mit dem die Bank arbeitet, richtig. Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob die vorgeschlagenen Eigenkapitalanforderungen, die für die verschiedenen Bereiche unterschiedlich sind, ausreichen,
um Kredite ausreichend abzusichern. Darauf die klare
Antwort: nein.
Nehmen Sie das Beispiel der Verbriefungen; das ist
eine besondere Form von Wertpapieren. Hier wird jetzt
eine Eigenkapitalquote von 5 Prozent verlangt. Die
Organisation Finance Watch, ein gemeinnütziger Verein,
der das Ziel hat, das Finanzgewerbe zum Wohle der Gesellschaft zu beeinflussen, sagt: Wenn das verfolgte Ziel
erreicht werden soll, muss die Quote bei 20 bis 25 Prozent liegen. - Davon sind wir meilenweit entfernt. Aber
nur bei einer solch hohen Quote würde wirklich kein Anreiz mehr bestehen, locker-fröhlich mit Verbriefungen zu
spekulieren.
Zweitens: die Fremdverschuldungsquote; man kann
sie auch als Schuldenbremse für die Banken bezeichnen.
Verbindliche Pflichten sollen erst ab 2018 gelten, also
erst in fünf Jahren, neun Jahre nach dem Gipfel in Pittsburgh. Warum so spät? Das ist doch eine Frage, die sich
stellt. Bis dahin soll es nur eine Begrenzung der Bilanzsumme im Verhältnis zum Kernkapital und Offenlegungspflichten geben. Das ist einfach zu wenig.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert eine verbindliche Quote in Höhe von 3 Prozent für alle. Das halten wir für nicht zielführend, nicht deshalb, weil wir die
3 Prozent ablehnen, sondern weil wir eine Gleichbehandlung der verschiedenen Institute für nicht richtig
halten.
Lassen Sie mich an dieser Stelle hervorheben, dass
wir froh sind, dass der besonderen Rolle der Sparkassen
und Genossenschaftsbanken - dieses Anliegen haben
wir Linke im Finanzausschuss als Erste thematisiert - in
einem Mindestmaß Rechnung getragen wurde; denn genau diese Kreditinstitute zählten nicht zu den Verursachern der Finanzkrise.
({0})
Insgesamt sage ich zur Umsetzung von Basel III: Die
Richtung stimmt, die Umsetzung ist zu zögerlich und
nicht ausreichend, und deshalb werden wir uns enthalten.
Zum zweiten Gesetz, zum AIFM-Umsetzungsgesetz
und zum AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz. Hier muss
man wirklich grundsätzliche Fragen stellen. Es geht um
die Regulierung von Fonds, die bisher noch nicht reguliert waren - so weit, so gut. Da diese Fonds aber kein
wirtschaftliches Eigenleben haben, erfolgt die Regulierung nur bei denen, die die Fonds verwalten, den Managern, also bei denen, die das Geld eingesammelt haben
und dann dafür zuständig sind. Aber lassen Sie uns doch
einmal die Frage stellen: Wozu braucht man diese Fonds
überhaupt? Der Nachweis, dass man sie braucht, ist
überhaupt noch nicht erbracht worden. Da Herr Sänger
gerade davon gesprochen hat, dass es sich dabei um
Vehikel handelt - für mich ist ein Fahrrad, das ich als
Vehikel bezeichne, schon kurz davor, nicht mehr fahren
zu können -, muss erst einmal der Nachweis erbracht
werden, warum es immer heißt: Die Finanzwelt muss
sich entwickeln können.
({1})
Sie soll ihre Kernaufgaben erfüllen. Das ist der Drehund Angelpunkt.
Außerdem gibt es eine Minimumregelung, die besagt,
dass gewisse Vorschriften und Registrierungspflichten
eingehalten werden müssen. Aber sie gilt nur dann,
wenn das Fondsvermögen 100 Millionen Euro nicht
übersteigt. Dazu haben Sachverständige in der Anhörung gesagt: Damit wird der Großteil der Fonds überhaupt nicht erfasst.
Letzte Bemerkung. Sie führen eine völlig neue
Rechtsform ein: die Investmentkommanditgesellschaft.
Hierzu muss ich klipp und klar sagen: Das ist für international tätige Konzerne eine spezielle Form, Steuern
sparen zu können. Denn für sie ist das nur dann attraktiver, wenn sie die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland zentral verwalten
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
- und die Vorteile der zwei Rechtsformen Kapitalund Personengesellschaft nutzen können. Um das zu ermöglichen, führen Sie diese neue Rechtsform ein.
({0})
Wir werden diese beiden Gesetzentwürfe ablehnen.
Danke.
({1})
Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn Erdbeeren in einer Schale sehr eng zusammenliegen, dann ist es schwierig, die faulen Stellen
zu sehen. Wenn wir jetzt sehr dicht gedrängt - im
Rahmen eines Tagesordnungspunktes - mehrere Finanzgesetze diskutieren, ist es vielleicht auch schwierig - das
ist vielleicht auch die Intention, die hinter der Tagesordnung steckt -, die faulen Stellen zu sehen. Obwohl es
auch viele schöne Stellen an den Erdbeeren gibt, werde
ich jetzt über zentrale faule Stellen sprechen und zeigen,
wie man es nicht machen sollte.
Der erste wichtige Punkt: In der Bankenregulierung
- Basel III ist sozusagen der Verhandlungsrahmen gewesen - gibt es zwei Richtungen, wie man es machen kann.
Die eine Richtung sagt: Wir führen den Weg weiter, den
wir in den letzten Jahren - vor der Finanzkrise - zu beschreiten begonnen haben, wir verlassen uns bei der
Bankenregulierung auf die Risikominimierungsmodelle
der Banken, wir lassen die selber ausrechnen, wie viel
Eigenkapital sie brauchen. - Wir mussten allerdings feststellen, dass diese Modelle so gestrickt sind, dass sie
zum Beispiel diese Finanzkrise überhaupt nicht berücksichtigt haben. Nach den Modellen von Goldman Sachs
hätte es diese Finanzkrise nicht ein Mal in fünfzig Jahren, nicht ein Mal in hundert Jahren, nicht ein Mal seit
der Eiszeit und auch nicht ein Mal seit dem Urknall geben dürfen, es hätte sie eigentlich gar nie geben dürfen.
Sollen wir die Stabilität unseres Bankensektors auf solchen Modellen gründen? Wir Grünen meinen: nein.
({0})
Um es konkret zu machen - daran wird dann deutlich,
warum wir einen neuen Weg beschreiten müssen -: Die
Deutsche Bank hat eine Bilanzsumme von 2 Billionen
Euro. Nach dem Risikomodell, nach dem die Bank das
Risiko selbst gewichtet, schnurpselt die Bilanzsumme
plötzlich zusammen auf einen Wert von unter 400 Milliarden Euro. Plötzlich wirkt die Bank viel kleiner. So
wirkt auch das Eigenkapital, das sie hat, als würde es
ausreichen.
Deswegen braucht es einen neuen Weg der Bankenregulierung - diesen Weg fordern nicht nur wir Grünen,
sondern auch Wissenschaft und Regulatoren weltweit -,
nämlich eine ungewichtete, von den Risikominimierungsmodellen der Banken unabhängige Größe, eine
Schuldenbremse für Banken. Warum sind wir denn mit
dem Finanzausschuss nach Kanada gefahren - wir konnten sehen, dass dort mit einer Mindestgrenze von 5 Prozent die Banken stabil geblieben waren -, wenn wir in
Europa nicht von Kanada lernen wollen? Die Bundesregierung und - von der Bundesregierung beauftragt die Finanzaufsichtsbehörde haben bei den Verhandlungen in Basel und in Brüssel auf der falschen Seite gekämpft: für die alte Bankenregulierung. Was wir bräuchten, wäre jedoch eine neue, stabilere Bankenregulierung.
({1})
Ein zweiter wichtiger Punkt: Bei dem sogenannten
AIFM-Umsetzungsgesetz, wo es um den grauen Kapitalmarkt, die geschlossenen Fonds geht, sind viele Sachen
richtig, und dabei sind Sachen, die wir schon lange gefordert haben. Aber eines kann man doch nicht machen:
eine große Ausnahme für alle geschlossenen Fonds unter
100 Millionen Euro. Wenn man sich die Skandalfälle der
letzten Jahre anschaut, sieht man, dass ganz viele davon
unter diesen Bedingungen wieder stattfinden könnten.
Dieses Loch darf man nicht offen lassen. Deswegen haben wir im Ausschuss gefordert: Schließen Sie diese Lücke, damit Abzocker am deutschen Kapitalmarkt nicht
weiter freie Fahrt haben! Diese Lücke muss geschlossen
werden, da muss ein Stoppschild her; das vermissen wir
dringend in diesem Gesetz.
({2})
Schließlich zu dem Punkt, zu dem wir unseren Änderungsantrag stellen. Wir wollen endlich Transparenz,
wenn es um Steuerzahlungen geht. Große Konzerne
- und eben auch große Banken - können ihre Steuerlast
durch eine Verlagerung der Gewinne in Steueroasen und
verschiedene Länder senken.
({3})
Im diesjährigen Geschäftsbericht der Deutschen Bank
steht sogar explizit, dass so etwas geht. Bei diesem
Thema herrscht bisher viel Dunkelheit. Wir erfahren gar
nicht, welche Gewinne wo anfallen, welche Steuern wo
gezahlt werden. Die Bundesregierung hat leider dagegen
gekämpft, dass da Licht angemacht wird. Das Europäische Parlament hat hier für Transparenz gekämpft. Wir
wollen, dass der Deutsche Bundestag das klare Signal
gibt: „Licht an!“, damit wir die Steuervermeidungsstrategien von großen Banken aufdecken können. Wir müssen endlich etwas gegen diese Steuervermeidung tun;
denn alle Unternehmen sollen gleichmäßig Steuern zahlen, nicht nur die kleinen Unternehmen, sondern auch
die großen. Das ist unser Ziel.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat nun Antje Tillmann für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer auf den Rängen! Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen setzen wir unseren Weg konsequent fort, gegen Steuergestaltung und Steuerschlupflöcher vorzugehen, ohne wirtschaftlich vernünftige
Gestaltungen in Deutschland zu verhindern. Wir wollen
ein Steuerrecht nach Leistungsfähigkeit. Das beinhaltet,
dass derjenige, der leistungsfähig ist, auch mehr Steuern
zahlt als der, der es nicht ist.
Durch die Umsetzung der AIFM-Richtlinie, über die
Ralph Brinkhaus nachher noch berichten wird, sind wir
gezwungen, bis Juli dieses Jahres auch das Investmentsteuerrecht zu reformieren. Das gibt uns die Gelegenheit,
auch hier Steuerschlupflöcher und ungewollte Gestaltungen zu verhindern, so zum Beispiel - erster Punkt - beim
Bond-Stripping.
Mit der Neuregelung des § 3 Investmentsteuergesetz
wird eine Umgehung der Verlustabzugsbeschränkungen
gemäß § 8 c Körperschaftsteuergesetz verhindert. Der
Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass hier in erheblichem Umfang Steuern ausfallen.
Bei diesem Modell investieren Investmentfonds in
Anleihen. Nach Erwerb der Anleihen werden die
Zinsscheine vom Anleihemantel abgetrennt und die Anschaffungskosten für die Anleihe vollständig dem Anleihemantel zugeordnet. Eine Aufteilung der Anschaffungskosten auf Zinsscheine und Anleihemantel erfolgt
bisher nicht.
Durch die Veräußerung der Zinsscheine generiert der
Investmentfonds künstliche Erträge. Diese gelten mit
Ablauf des Geschäftsjahres des Investmentfonds als dem
Anleger zugeflossen. Bestehen beim Anleger Verluste,
können diese mit den dem Anleger fiktiv zugerechneten
Erträgen ausgeglichen werden. Damit wird § 8 c Körperschaftsteuergesetz, bei dem die Nutzung von Verlusten
in solchen Fällen eigentlich ausgeschlossen ist, umgangen. Dieses Gestaltungsmodell werden wir mit der Neuregelung heute verhindern.
Zweiter Punkt. Das Gleiche ergibt sich beim Werbungskostenabzug. Auch hier sind die gegenwärtigen
Regelungen des Werbungskostenabzugs im Investmentsteuergesetz sehr gestaltungsanfällig. Es gilt im Steuerrecht grundsätzlich der Grundsatz, dass Werbungskosten
immer nur dann abzugsfähig sind, wenn sie im Zusammenhang mit Erträgen stehen, die hier in Deutschland
versteuert werden. Werbungskosten im Zusammenhang
mit steuerfreien Erträgen sollen nicht abzugsfähig sein.
Auch für diesen Bereich haben wir in diesem Gesetzentwurf eine Neuregelung vorgesehen.
Dritter Punkt. Ausschüttungsreihenfolge. Wir wollen,
dass sämtliche Erträge des laufenden Jahres und vorheriger Geschäftsjahre steuerpflichtig ausgeschüttet werden
und dass sich der Steuerpflichtige dieser Steuerpflicht
nicht durch Thesaurierung entziehen kann.
Vierter Punkt. Auch international nutzen wir jede
Möglichkeit, Steuerhinterziehung zu unterbinden. So
werden wir mit dem heutigen Gesetzentwurf die Voraussetzungen dafür schaffen, dem internationalen FATCAAbkommen mit den USA beizutreten. Dabei geht es um
einen automatischen Datenaustausch mit den Vereinigten Staaten, der es ermöglichen soll, Steuerhinterzieher
noch rechtzeitiger und noch ausgiebiger verfolgen zu
können.
({0})
Dieses Abkommen ist dann auch ein Vorbild für einen
generellen automatischen Informationsaustausch auf europäischer und internationaler Ebene.
Neben der Beseitigung dieser ganzen Gestaltungsmissbräuche wollen wir es aber auch möglich machen,
großes Kapital in Deutschland zu konzentrieren. Liebe
Frau Dr. Höll, Sie haben eben gefragt, wofür wir die Investmentkommanditgesellschaft brauchen. Wir brauchen
sie deswegen, weil es - fünfter Punkt - internationale
Pension-Asset-Poolings gibt, wodurch Altersvorsorgemittel bzw. Pensionsvermögen in einer Größenordnung
von fast 1 Billion Euro verwaltet werden, die gebraucht
werden, um Pensionsverpflichtungen gegenüber deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicherzustellen.
Wenn es so wäre, wie Sie sich das wünschen, dass
nämlich dieses verwaltete Vermögen ordnungsgemäß in
Deutschland versteuert und verwaltet würde, dann
könnte man Ihnen recht geben, aber tatsächlich wandert
dieses Billionenvermögen ins Ausland. Das heißt, es
werden Länder mit entsprechend sinnvollen und einfachen Gestaltungsmöglichkeiten ohne Regulierung gesucht, durch die man an der deutschen Steuer vorbeigehen kann. Das wollen wir verhindern.
Wir wollen es den Unternehmen ermöglichen, auch in
Deutschland Pensionsvermögen zu verwalten. Das geht
nur über die Investmentkommanditgesellschaft, die wir
regulieren, weil ich es richtiger finde, die deutsche
Altersvorsorge in Deutschland zu regulieren und zu kontrollieren, und weil wir darüber hinaus zurzeit mehrere
hundert Millionen Euro Steuereinnahmen in Deutschland nicht erzielen, weil die Möglichkeiten im Ausland
als besser empfunden werden als in Deutschland. Wir sehen das anders. Mit der Investment-KG werden wir das
auch zukünftig zulassen.
({1})
Natürlich sehen wir aber auch die Missbrauchsmöglichkeiten. Deshalb haben wir den ursprünglichen Gesetzentwurf des BMF dahin gehend eingeschränkt, dass
wir diese Investmentkommanditgesellschaft ausschließlich für Altersvorsorgeverpflichtungen zulassen. Wir
werden uns das Gesetz in der nächsten Legislaturperiode
noch einmal ansehen und gucken, wie die Auswirkungen
sind, um gegebenenfalls weiteren Missbräuchen entgegenzutreten.
Sechster Punkt. OGAW. Der Vorsitzende hat eben darauf hingewiesen, wir mögen Abkürzungen doch auch
erklären.
({2})
- Axel Troost, du weißt, was OGAW sind. Wir haben sichergestellt, dass verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, sowohl nach OGAW-Richtlinie, aber auch bei
Alternativen Investmentfonds, bei der Frage der Investmentbesteuerung den gleichen Anlagebestimmungen unterliegen. Wer privilegiert besteuert werden möchte,
muss dieselben Anlagebedingungen erfüllen. Trotz aller
engmaschigen Kontrolle wollen wir sinnvolle Investitionen in Deutschland möglich halten. Ich habe das eben
schon bei den Pension-Asset-Poolings gesagt. Das gilt
genauso für die Möglichkeit, in erneuerbare Energien zu
investieren.
Durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen lassen wir die Möglichkeit zu, in erneuerbare Energien auch im Rahmen von OGAW und AIF zu investieren. Wir wollen die Energiewende zu einem positiven
Ergebnis führen, und wir wollen keine steuerlichen
Maßnahmen beschließen, die da Schwierigkeiten verursachen können.
({3})
Insgesamt ist das ein Gesetzentwurf, der in vielen
Bereichen Steuertricksereien, Steuergestaltungen verhindert, die ausschließlich dem Ziel dienen, Steuerzahlungen zu umgehen. Das ist ein weiterer Schritt hin zu dem,
was Hans Michelbach eben genannt hat, zu einer gerechteren Besteuerung in Deutschland.
Aber es gibt auch einige fachfremde Anträge in diesem Gesetzespaket. So haben wir es gegen den Widerstand der gesamten Opposition geschafft, das steuerfreie
Existenzminimum von 8 130 Euro in diesem Jahr auf im
kommenden Jahr 8 354 Euro steigen zu lassen. Das
sächliche Existenzminimum wird 2013 und auch 2014
steuerfrei gestellt. Demzufolge müssen auch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber unterhaltsberechtigten Personen an dieses Existenzminimum angepasst werden. Wir
setzen unsere versprochene Steuerentlastung der Bürgerinnen und Bürger fort. Wer Unterhalt leistet, der soll das
steuerlich geltend machen können. Diejenigen, die das
tun, sparen durch diesen Gesetzentwurf 30 Millionen
Euro.
Ein letzter Satz noch kurz zu den Änderungsanträgen
der SPD. Es gibt weitere Steuergestaltungsmöglichkeiten in § 4 f EStG, die uns auch bekannt sind. Der Antrag
der SPD ist aber nicht geeignet, diese Steuerlücke zu
schließen, weil er bei der falschen Person ansetzt. Es
geht darum, übernommene Verpflichtungen steuerbegünstigt aufzulösen. Wir werden in der neuen Legislaturperiode dieses Problem mit den Ländern gemeinsam lösen. Der jetzt von der SPD vorgelegte Vorschlag wirft
beihilferechtliche Probleme auf, was nur dazu führen
würde, dass wir über Jahre keine Rechtssicherheit hätten. Wir brauchen die Rechtssicherheit aber sehr schnell
und werden dieses Thema deshalb einvernehmlich mit
den Ländern angehen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Abschließend kann ich Sie nur bitten - wenn wir den
Termin 22. Juli 2013 halten wollen, müssen wir gemeinsam mit dem Bundesrat dieses Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden -, uns dabei zu begleiten. Ich
hoffe, das tun Sie, damit im Juli keine Rechtsunsicherheit entsteht. Wir möchten das mit diesem Gesetz verhindern. Sie können dabei mitmachen.
Danke.
({0})
Das Wort hat jetzt Dr. Carsten Sieling für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist der
Tag, an dem man sinnlich erfahrbar machen kann, dass
Sie als schwarz-gelbe Regierungskoalition im Bereich
der Finanzmarktregulierung
({0})
wertvolle Zeit verschenkt haben, dass Sie Entscheidungen verzögert und verschoben haben, dass Sie vieles verschleppt haben.
({1})
Das Ganze hat nämlich ein Ergebnis. Kolleginnen
und Kollegen der Regierungskoalition stellen sich hier
hin und reden davon, Sie hätten 30 Gesetze verabschiedet.
({2})
- Nein, nein. Es sind 30 Gesetze am Ende des Tages,
aber erst am Ende des Tages. Denn richtig in die
Puschen gekommen sind Sie erst in den letzten Monaten.
So ist das: Am Abend werden die Faulen fleißig! Das ist
Ihre Politik und Ihr Herangehen.
({3})
Das ist heute sinnlich erfahrbar.
Wir führen heute in eineinhalb Stunden eine abschließende Beratung zu einem Gesetzespaket durch, das diesen großen Stapel Papier hier umfasst - für alle, die noch
zweifeln: es sind natürlich doppelseitig bedruckte Blätter. Wir reden über drei große Gesetzesverfahren, die jeweils einen Umfang von 300 bis 400 Seiten haben. Ich
finde, das ist ein Stück weit auch eine parlamentarische
Stresssituation, die Sie damit bei sich auslösen, die Sie
auch in allen anderen Bereichen hier auslösen - nur deshalb, weil Sie zu viel Zeit haben ins Land gehen lassen
und erst jetzt versuchen, das umzusetzen. Das ist wirklich unglaublich und keine verantwortliche Regulierung.
Von wegen: Jeder Akteur, jeder Markt und jedes Produkt
wurde geregelt. - All das kommt ziemlich spät, meine
Damen und Herren von der Koalition.
({4})
Ich will hier auf das Gesetz, das die Regulierung der
hochgefährlichen Investmentfonds betrifft, hinweisen.
Es ist wie in allen Bereichen: Es sind weitgehend europäische Vorgaben, die Sie umzusetzen haben und umzusetzen hatten. In dieser Situation hatten Sie nicht viele
Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Das haben wir
über alle Fraktionen immer so gesehen. Aber es gab ein
paar Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen und auch
eigene Fehler zu machen.
Diese Chance, Fehler zu machen, haben Sie nicht ausgelassen, jedenfalls nicht bezogen auf die Sicherung und
die endlich durchgreifende Regulierung sogenannter geschlossener Fonds. Dabei bleibt weiterhin, um ein bekanntes deutsches Magazin aus dieser Woche zu zitieren,
der „Abenteuerspielplatz“ der Finanzbranche unangetastet. Das ist Ihre Regulierungspolitik. Die entscheidenden
Regelungen rühren Sie nicht an. Hinterher jubiliert die
Branche darüber, dass sie ihre Positionen in den Beratungen erfolgreich durchgesetzt hat.
({5})
Worum es geht, wissen wir, glaube ich, alle. Ich will
es aber noch einmal sagen: Es geht um Investitionen in
Fonds, bei denen man sein Geld nicht mehr so einfach
zurückbekommt. Am Ende des Tages geht es um große
Betonruinen, marode Einkaufszentren, erfolglose Filmprojekte in Hollywood. Da geht es sogar, so liest man
mittlerweile, um Krankenhauskomplexe in der Wüste. In
all diese Dinge können Leute ihr Geld investieren, die
auch das Risiko eingehen können. Aber wir wissen auch,
dass diese Einlagen in der Vergangenheit an Privatanleger vergeben worden sind. Sogar älteren Menschen sind
diese Fonds verkauft worden. In Deutschland beträgt das
Volumen dieses Marktes 91 Milliarden Euro allein im
Bereich der Kleinanleger. Hier werden für die Risiken
wirklich die Bürgerinnen und Bürger herangezogen.
Deshalb sagen wir sehr eindeutig: An dieser Stelle
unterläuft Ihnen ein großer Fehler. Sie sorgen nicht dafür, dass die Teilnahme von Privatanlegern an diesen
Fonds ausgeschlossen ist. Sie haben entgegen Ihren ersten Überlegungen die Regelung zur Kreditaufnahme
deutlich gelockert. Die Grenze wurde von 30 auf 60 Prozent verschoben.
({6})
Die Branche wollte erheblich mehr und hat dies auch
verlangt. Der Bundesrat hat dieses Anliegen unterstützt.
Sie öffnen dem Wildwuchs Tür und Tor und sorgen dafür, dass fehlerhafte Entwicklungen weiter Raum greifen.
Sie haben insbesondere bei den einzubringenden Anlagesummen keinen Schutz für diejenigen vorgesehen,
die am stärksten davon bedroht sind, dass ihr Geld da
verwendet wird, wo sie es nicht mehr so einfach zurückbekommen, wo man es nicht sichern kann und wo auch
die Risiken besonders hoch sind. Das ist an diesem Gesetz kritikwürdig und auch verwerflich.
Nichtsdestoweniger haben Sie und haben auch wir
- das muss man sagen -, nachdem die Regierung ihren
Entwurf vorgelegt hat, in konstruktiven Beratungen
noch ein paar Veränderungen erzielen können. Ich sage
sehr deutlich: Uns als Sozialdemokraten - das haben wir
in unseren Änderungsanträgen klargemacht - reicht es
nicht, was Sie im Bereich der offenen Immobilienfonds
gemacht haben und mit Ihrer Mehrheit heute machen
werden. Sie enthalten dieses Instrument Privatanlegern
jetzt und auch in Zukunft vor. Das ist eine falsche Entscheidung.
Aber zumindest sind wir bei der Abgrenzung von
wirtschaftlichen Aktivitäten und Finanzanlagen weitergekommen. Wir haben vor allem in der Sicherung der
für die Energiewende so notwendigen Bürgerenergieprojekte mit der sogenannten Genossenschaftslösung gemeinsam eine gute Lösung erreicht. Von daher ist dies
ein Gesetz mit leider immer noch zu viel Schatten, aber
immerhin ein wenig Licht, was uns Sozialdemokraten
dazu führt, nicht durchgängig Nein dazu zu sagen. Wir
lehnen dieses Gesetz nicht ab, sondern wir werden uns
enthalten.
({7})
- Wir hätten gerne zugestimmt, Herr Kollege
Michelbach. Aber dann hätten Sie auch unseren sehr
konkreten Änderungsanträgen Folge leisten müssen. Das
ist nicht geschehen. Von daher ist das Ergebnis, wie bereits vorgetragen, ein großer Stapel, den Sie am Ende des
Tages produziert haben. Das hätten wir gerne vor zwei,
drei Jahren gesehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident, ich danke Ihnen. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was wir heute beraten, rundet die Arbeit
der Finanzmarktregulierung der christlich-liberalen Koalition ab. Wir haben die Regulierung in den letzten vier
Jahren konsequent vorangetrieben und sind stolz auf die
Bilanz, die wir vorzuweisen haben.
({0})
Wir haben ein Leerverkaufsverbot umgesetzt und einen erhöhten Selbstbehalt bei Verbriefungen durchgesetzt. Wir haben die Bankenaufsicht in Deutschland
reformiert. Wir haben Ratingagenturen unter Aufsicht
gestellt. Wir haben ein Restrukturierungsgesetz geschaffen, um Bürger künftig vor Bankeninsolvenzen zu schützen. Wir haben eine Bankenabgabe eingeführt. Wir haben den Hochfrequenzhandel reguliert. Wir haben eine
europäische Bankenaufsicht auf den Weg gebracht.
Heute regulieren wir die Fondswirtschaft und legen
einen sehr wichtigen Gesetzentwurf vor, nämlich zur
Umsetzung von Basel III. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sind Meilensteine in der Finanzmarktregulierung.
({1})
Der Gesetzentwurf ist sehr wichtig, weil es um ein
zentrales Gesetz zur Finanzmarktregulierung geht. Es
geht um die Verpflichtung der Marktteilnehmer, ihre Risiken selbst abzusichern, indem sie ausreichend Kapital
vorhalten, um Verluste selbst tragen zu können und sie
am Ende nicht den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern
vor die Füße zu werfen. Das, was passiert ist, darf sich
nicht wiederholen. Dieses Gesetz ist die richtige Antwort auf die Finanzkrise.
({2})
Wir führen mit dem Gesetzentwurf Freiheit und Verantwortung zusammen. Deswegen sind wir fest davon
überzeugt, einen sehr wichtigen Schritt zu gehen. Es ist
ein sehr komplexes Regelwerk, aber es ist ein zentrales
Regelwerk, um Finanzmärkte künftig stabiler und die Finanzwirtschaft wieder sicherer zu machen.
Was heute vorliegt, ist gelungen. Es ist sehr umfangreich gewesen, es vorzubereiten. Der Kollege Sieling hat
freundlicherweise schon darauf hingewiesen, wie fleißig
wir waren und in welchem Umfang wir die Finanzmarktregulierung vorangebracht haben. Es ist uns ein dickes
Konvolut mit präzisen, umfangreichen, aber notwendigen Regelungen gelungen.
({3})
- Herr Kollege Sieling, es war ein Versuch, an unserer
Arbeit noch irgendeine Kritik zu finden, dass Sie gesagt
haben, sie sei zu spät gekommen. Nun wissen aber alle
Kundigen, dass das auf europäischer Ebene vorbereitet
werden musste.
({4})
Es ist nicht wahr, dass wir erst am Ende dieser Legislaturperiode damit angefangen haben, das auf europäischer Ebene voranzubringen; es war bereits 2009 und
2010.
({5})
Das wissen Sie auch. Deswegen kann ich Ihren Vorwurf
nur zurückweisen. Sie blamieren damit sich selbst mehr,
als Sie uns schaden.
({6})
Lieber Kollege Sieling, meine Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, nachdem Sie in eigener Verantwortung elf Jahre lang die Finanzmarktregulierung verschlafen haben und seit 2009 unseren Regulierungsvorschriften im Bundestag nie zugestimmt, sondern sie
immer abgelehnt haben, beglückwünsche ich Sie, dass
Sie wenigstens heute bei dem einen Gesetzentwurf zur
Vernunft gekommen sind und endlich bei der Finanzmarktregulierung mitmachen, statt nur zu reden. Sie
stimmen sonst immer nur dagegen.
Als Sie Verantwortung hatten, haben Sie nichts getan.
Deswegen ist es gut, dass Sie wenigstens bei der BaselIII-Umsetzung mit im Boot sind.
({7})
Bei den Grünen ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Sie haben in eigener Regierungsverantwortung
die Finanzmarktregulierung verschlafen. Sie haben seit
2009 die Finanzmarktregulierung im Deutschen Bundestag immer abgelehnt. Auch heute stimmen die Grünen
- auch das Publikum sollte das wissen - wieder mit
Nein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach vier Jahren
christlich-liberaler Regierung haben wir in Deutschland
den am stärksten regulierten Finanzmarkt in Europa. Unsere gezielte Regulierung ist konsequent und hat immer
einen fairen Umgang auch mit der für unser Land notwendigen und wichtigen Finanzwirtschaft im Blick. Sie
hat auch immer im Blick, dass Regulierung wettbewerbsneutral sein muss. All das exportiert die Bundesregierung vorbildlich nach Europa.
Deswegen sind wir nicht nur in Deutschland Vorreiter. Nein, wir sind Regulierungsvorreiter in ganz Europa.
Wir haben ein zentrales Ziel christlich-liberaler Politik
erreicht. Was die Menschen zu Recht von uns erwartet
haben, wurde von uns Stück für Stück erarbeitet. Hinter
uns liegen vier gute Jahre für Deutschland und vier gute
Jahre für Europa. Wir können heute sagen: Mit diesem
Gesetz runden wir unsere Regierungspolitik weiter ab.
Wir schaffen stabile Finanzmärkte. Wir erfüllen eine
wichtige Aufgabe.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steckt nach wie vor in einer tiefen Krise. Das liegt
daran, dass die Bundesregierung unverändert an einer
verbohrten und falschen Sparpolitik festhält. Im Gegensatz dazu stimmt bei der Finanzmarktregulierung zumindest die Richtung. Aber ich will heute eine ernüchternde
Bilanz der letzten Zeit ziehen. Zu den heutigen Gesetzentwürfen hat meine Kollegin Barbara Höll das WesentDr. Axel Troost
liche gesagt. Über das peinliche Trennbankengesetz und
die Finanzaufsicht werden wir morgen reden.
Fangen wir mit einer Institution an, über die hier selten geredet wird, dem Bankenrettungsfonds, dem Soffin.
Dieser aus der Zeit der Großen Koalition übernommene
Fonds weist inzwischen einen Verlust in Höhe von
23 Milliarden Euro auf. Er sollte ursprünglich 2010 auslaufen. Er wurde aber Anfang 2012 reaktiviert und Ende
2012 abermals verlängert, weil Banken nach wie vor zu
groß zum Scheitern sind und im Notfall wieder Staatsgelder benötigen. Wegen dieses Problems haben Sie das
Restrukturierungsgesetz geschaffen, auf das Sie besonders stolz sind.
({0})
Nur, dieses Gesetz hat einen großen Nachteil: Aus ideologischen Gründen ist festgelegt, dass der Staat erst dann
eingreift, wenn alles andere gescheitert ist. - Ein führender Vertreter einer großen Anwaltskanzlei, der bisher an
allen großen Bankenrettungen beteiligt war und sich daher auskennen muss, hat gesagt: „In Fachkreisen wird
bezweifelt, ob dieses Instrument jemals zur Anwendung
gelangen wird.“
Ein weiterer Flop ist die Begrenzung der Managergehälter. Jetzt werden zwar Bonuszahlungen im Verhältnis
zum Fixgehalt gedeckelt, was nicht Ihre Idee war. Aber
dieser kleine Erfolg ändert nichts daran, dass nach wie
vor horrende Gehälter gezahlt werden, die nichts mit den
geschaffenen Werten zu tun haben.
({1})
Nächster Punkt. In sehr großem Umfang sind inzwischen Geschäfte in den unregulierten Sektor abgewandert, in den sogenannten Schattenbanksektor. Bei dessen
Regulierung haben Sie überhaupt keine Erfolge vorzuweisen.
Beim Hochfrequenzhandel haben Sie im Wesentlichen den Status quo festgeschrieben. Sie haben also die
bescheidenen Sicherheitsmaßnahmen verpflichtend gemacht, welche die Börsen aus Eigeninteresse sowieso
schon eingeführt hatten.
Sie haben zwar die EU-Ratingverordnung umgesetzt.
Aber die Schlupflöcher sind nach wie vor riesengroß.
Sie haben es verpasst, eine große europäische Ratingagentur zu schaffen, die das Oligopol der bisherigen
Ratingagenturen durchbricht.
Im Bereich des Anlegerschutzes haben Sie sicherlich
eine Reihe von Verbesserungen erreicht. Aber weder
konnten Sie sich durchringen, die provisionsgetriebene
Beratung wie in anderen Ländern abzustellen, noch haben Sie die Verbraucherzentralen gestärkt.
Bei Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen
haben Sie einige Einschränkungen vorgenommen. Doch
damit regulieren Sie nur einen winzigen Teil des Finanzmarkts.
Den Derivatehandel haben Sie transparenter und sicherer gemacht. Sie lassen den Wildwuchs an riskanten
und undurchschaubaren Derivaten aber ansonsten unangetastet.
({2})
Wir brauchen nach wie vor nicht ein Hinterherregulieren, sondern einen Finanz-TÜV, der nur diejenigen Finanzprodukte genehmigt, die nützlich, beherrschbar und
verständlich sind.
({3})
Vertreter aller Parteien hatten gestern ein Gespräch
mit Bankern. Aus dem Mund von Bankern haben wir gehört, dass in Deutschland 1 Million Zertifikate unterschiedlicher Art vertrieben werden und dass davon mindestens 700 000 überflüssig sind. Es bleibt dabei: Hier
erfolgt nichts in Richtung Regulierung. Natürlich ist Finanzmarktregulierung wegen der internationalen Abstimmung - das ist unbestritten - eine mühsame Arbeit.
Das erklärt aber nicht, warum etliche Ihrer Gesetze nur
Symbolpolitik sind. Es geht in der Tat darum, ein großes
Problem zu lösen, nämlich die Machtverhältnisse. Hier
muss man entsprechend herangehen.
Das ist aber eben nicht gelungen, weil man sich, wenn
das gelingen soll, mit der Lobby in ganz anderem Umfang auseinandersetzen muss. Dass die Branche nach
wie vor sehr ruhig ist, zeigt, dass das, was beschlossen
worden ist, ihr nicht wirklich wehtut.
Deswegen muss man ganz eindeutig sagen: Ihre Regulierung war umfangreich. In einem Zeugnis würde
man formulieren: Sie haben sich ständig bemüht. - Aber
Sie waren nicht ambitioniert genug; von einem Meilenstein, Herr Michelbach, kann noch nicht einmal in Ansätzen die Rede sein.
({4})
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun Thomas Gambke für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich habe mich schon bei den
Ausführungen von Herrn Michelbach und Herrn Wissing
gewundert, eine doch sehr merkbare Selbstzufriedenheit
feststellen zu müssen. Herr Wissing, wenn Sie sich hier
hinstellen und so tun, als sei das jetzt das letzte Gesetz,
das Sie gemacht hätten, und Sie aufzählen, was alles passiert sei, wenn Sie damit nach außen den Eindruck vermitteln, die Finanzkrise sei überwunden, weil alles geregelt sei und nichts mehr passieren könne - das ist der
Eindruck, der möglicherweise entstanden ist -, dann
möchte ich hier ausdrücklich widersprechen und betonen,
dass noch ein gehöriger Regelungsbedarf besteht.
({0})
Weil Sie es immer wieder erwähnen, Herr Wissing,
möchte ich auf eines hinweisen: Ich erinnere mich noch
an das Jahr 2000. Damals war ich noch nicht im Deutschen Bundestag. Ich erinnere mich, dass ich eines
Abends nach Amerika flog. Ein Kunde von uns mit einem Umsatz von 100 Millionen US-Dollar hatte einen
Verlust von 200 Millionen US-Dollar, und die Firma
wurde für 400 Millionen US-Dollar verkauft. Am selben
Abend erzählte mir der Chefvolkswirt der Deutschen
Bank, Herr Professor Walter, von den tollen Aktien.
({1})
Keiner von Ihnen, weder aus der liberalen noch aus
der Unionsecke, hat damals gesagt: Leute, wenn heute
hohe Zinsen gezahlt werden, dann ist das mit Risiken
verbunden, wenn heute Bubbles entstehen, ist das mit
Risiken verbunden. - Keiner von Ihnen ist damals dem
Neoliberalismus ernsthaft entgegengetreten. Nichts haben Sie gemacht.
({2})
Lassen Sie mich auf das jetzige Gesetz kommen.
Schon die Tatsache, dass wir innerhalb von eineinviertel
Stunden drei wesentliche Gesetze beraten, zeigt, dass
wir unmöglich die Bedeutung und Wichtigkeit dieser
Gesetze würdigen können. Das aber ist meine Aufgabe
hier.
Ich möchte Ihnen sagen, wo die Lücken in den Gesetzentwürfen sind. Nehmen wir zum Beispiel den Entwurf des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes, der heute
beraten wird.
({3})
Ja, es werden viele Lücken geschlossen. Das ist auch
gut so. Wir begrüßen das ausdrücklich. Aber es gibt eben
auch Steuerlücken. So ist bekannt, dass ausländische
Fonds Veräußerungsgewinne steuerfrei aus dem Land
lotsen können. Die Antwort der Koalition darauf ist: Das
sehen auch wir, das machen wir in der nächsten Legislatur. - Meine Damen und Herren von der Koalition, so
können Sie damit nicht umgehen. Sie können sich nicht
hier hinstellen und sagen, Sie hätten alles geregelt, was
geregelt werden sollte. Das, was Sie uns hier vorlegen,
ist ein Skandal.
({4})
Nehmen wir das Thema Pensionsrückstellungen. Die
Länder haben auf konkrete Fälle der Steuergestaltung
hingewiesen. Große Konzerne können durch das Verschieben von Pensionsverpflichtungen unter eigenen
Teilfirmen Steuern sparen. Die Steuerausfälle - das muss
man einmal sagen - werden auf eine Größenordnung
von 20 Milliarden Euro geschätzt. Das sind Angaben der
Experten. Und was sagt die Koalition? Wir sehen uns
das in der nächsten Legislatur an. - Das ist einfach nicht
akzeptabel. Dass Sie angesichts dieser Sachlage diese
Selbstzufriedenheit und Selbstsicherheit zeigen, ist einfach nicht in Ordnung.
({5})
Lassen Sie mich zu dem Thema Transparenz kommen. Da hätten Sie als Koalition wirklich reagieren können. In der EU ist ein Kompromiss erreicht worden,
2016 ein Country-by-Country-Reporting, also eine länderbezogene Berichterstattung, einzuführen. Sie müssen
sich einfach einmal damit auseinandersetzen, dass die
Geschäftsbanken in den letzten zehn Jahren 4 Milliarden
Euro Steuern gezahlt haben, die Volksbanken, Sparkassen und Landesbanken aber 40 Milliarden Euro. Das ist
eine große Differenz. Die wird mir sogar von den Banken bestätigt. Aber da muss man doch einmal Licht hineinbringen, da muss man sehen, was Sache ist. Aber was
machen Sie? Sie verweisen auf 2016. Das ist einfach
nicht in Ordnung.
({6})
Sie sollten bescheiden auf Ihre Plätze zurückgehen. Am
22. September dieses Jahres wird der Wähler entscheiden, ob Sie einen guten Job gemacht haben. Ich glaube,
Sie haben einen schlechten Job gemacht.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Patricia Lips für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Gambke, keiner hat hier in den
Raum gestellt, dass wir heute zum Abschluss der Finanzmarktregulierungen kommen, die wir uns vorgenommen haben. Keiner hat hier in den Raum gestellt,
dass wir mit allem, was damit zu tun hat, aus der Krise
bereits heraus sind. Ich glaube, das zeigt sich auf weiten
Teilen dieses Kontinents.
Lassen Sie mich noch etwas sagen: Kritik und Klappern gehören zum Handwerk einer Opposition. Das ist
ihr natürliches Recht. Es wäre schlimm, wenn es an dieser Stelle anders wäre. Aber ich möchte auch darauf
hinweisen, dass der Vorwurf der Verzögerung und Verschleppung angesichts der zahlreichen Gesetzgebungsinitiativen, die wir hier gestartet haben - im Übrigen bisher als Einzige; Sie haben so etwas in den elf Jahren
Ihrer Regierungszeit nicht geschafft;
({0})
das darf man durchaus einmal erwähnen -, unzutreffend
ist.
Was uns - ich will nicht sagen: erschüttert - nahegeht
und worauf wir natürlich auch aufmerksam machen wolPatricia Lips
len, das ist die Tatsache, dass Sie sich in das Zustandekommen dieser zahlreichen Gesetzeswerke nur bedingt
eingebracht haben und dass Sie in Ihrer Regierungszeit
dazu nichts beigetragen haben.
({1})
- Herr Sieling, Sie haben davon gesprochen, dass Sie
sinnliche Wahrnehmungen haben, wenn Sie über Investmentfonds reden. Ich sage Ihnen eines: Sinnliche Wahrnehmungen hatten wir im Jahr 2004, als Ihre Regierung
das Investmentmodernisierungsgesetz auf den Markt gebracht hat, womit Hedgefonds überhaupt erst ermöglicht
wurden.
({2})
Wir fangen jetzt an, zu kontrollieren, was Sie damals auf
den Markt gebracht haben.
({3})
Uns liegen heute in der Tat mehrere größere Gesetzentwürfe vor. Es wurde darauf hingewiesen: Einer der
größten Gesetzentwürfe steht heute nach viermonatiger
Beratungszeit zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung, der Entwurf des sogenannten AIFM-Umsetzungsgesetzes. Wir haben hier schon davon gesprochen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Sieling?
Nein, ich würde gerne im Kontext fortfahren. Herr
Sieling hat schon zu diesem Tagesordnungspunkt gesprochen.
Worum geht es? Es geht darum, Verwalter, sprich:
Manager, sogenannter alternativer Investmentfonds, die
erhebliche Teile aller Anlagen kontrollieren, unter Aufsicht zu stellen. Wir schaffen darüber hinaus ein gänzlich
neues Kapitalanlagegesetzbuch, ein in sich geschlossenes, fast epochales Regelwerk, mit dem Ziel, sämtliche
Investmentfonds und ihr Management zu bündeln und
einer Finanzaufsicht zu unterwerfen. Es geht uns um
eine erhöhte Stabilität der Finanzmärkte, um die weitere
Begrenzung der sogenannten grauen Kapitalmärkte. Zusammengefasst: Es geht einmal mehr um den Schutz der
Anleger.
Wir gehen mit dem heutigen Beschluss an dieser
Stelle einen weiteren wichtigen Schritt voran. Zum einen
setzen wir die europäische Richtlinie AIFM in die Tat
um. Wir haben darüber hinaus wieder nationale Ermessensspielräume genutzt, und es werden zusätzliche Anforderungen an Fonds - und deren Verwalter - gestellt,
die an Kleinanleger vertrieben werden, die sogenannten
Publikumsfonds.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Beschlüsse zur Finanzmarktregulierung werden in diesem
Haus über die interessierte Fachwelt hinaus oft wenig
spektakulär in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verabschiedet. Die meisten hätten ganz sicher ein Mehr an
Aufmerksamkeit verdient, so auch dieser. Eine mangelnde Wahrnehmung hat oft damit zu tun, dass technische Vorgänge und Begriffe im Vordergrund stehen, aber
auch damit, dass man mit einer pauschalen Bankenschelte oder der undifferenzierten Aufteilung der Finanzwelt in Gut und Böse oft mehr Aufmerksamkeit erregt. Ganz sicher hat sie auch etwas damit zu tun, dass
viele Menschen glauben, es betreffe sie nicht.
Dass dies nicht so ist, möchte ich kurz an zwei Beispielen deutlich machen. So wird mit diesem Gesetzentwurf unter anderem auf Erfahrungen mit den offenen
Immobilienfonds reagiert, die auch bei Kleinanlegern
ein hohes Interesse erfahren. Hier ist es in der Vergangenheit zu Fondsschließungen und Abwicklungen gekommen. Anleger konnten nicht mehr an ihr Geld gelangen.
Das dürfen wir nicht verkennen. Für uns hat oberste
Priorität: Diese Fonds bleiben als indirekte Immobilienanlage erhalten. Darüber hinaus konnten wir im Zuge
der Beratungen geeignete Maßnahmen finden, um auch
hier zu einer erhöhten Stabilität zu kommen und gleichzeitig die Anlageform flexibel und attraktiv zu halten.
Ein weiteres Beispiel, über welches wir ebenfalls sehr
intensiv diskutiert haben, weil es viele Bürgerinnen und
Bürger betrifft - dieses Beispiel zeigt, dass nicht alle
diese Fonds immer böse sind und alles ganz schrecklich
ist -, sind die zahlreichen kleinen und großen Bürgerenergieprojekte in den Regionen unseres Landes. Meine
sehr geehrten Damen und Herren, sie leisten unbestritten
einen wichtigen Beitrag zur Energiewende in der Fläche.
Keiner wird infrage stellen, dass diese Projekte fachlich
geeignete und zuverlässige Geschäftsleiter haben sollten. Darüber hinaus war es uns wichtig, Regelungen zu
finden, die ein Zukunftsobjekt nicht behindern und dennoch ein verständliches Maß an Anlegerschutz bieten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesetzeswerk ist derart umfassend, dass es uns mehr als bei
manch einem anderen Gesetz wichtig ist, die weitere
Entwicklung genau zu beobachten. In Teilen betreten
wir hier echtes Neuland. Es ist auch ein enorm hohes finanzielles Volumen, welches wir indirekt angepackt haben. Ich betone es noch einmal: Dieses Gesetzeswerk ist
nicht der Abschluss, aber es reiht sich ein in eine ganze
Reihe von Gesetzesmaßnahmen dieser Koalition zur Regulierung der Finanzmärkte - oft sind wir dabei Vorreiter in Europa, aber es wäre natürlich wünschenswert,
dass möglichst alle von Anfang an dabei sind -; es dient
damit gleichzeitig dazu, für den Schutz der Anleger erneut einen hohen Standard zu schaffen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Carsten Sieling.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Lips, in
solchen Debatten sind alle Argumente möglich und in
Ordnung, aber wir müssen hart bei der Wahrheit bleiben.
({0})
Ich will Ihnen erstens sagen, dass Deutschland bei
den Hedgefonds mit - wenn ich das jetzt richtig weiß 18 Hedgefonds ein Zwerg ist, wohingegen diese Fonds
in anderen Ländern massenhaft vertreten sind. Das liegt
daran, dass wir, als wir gemeinsam mit den Grünen an
der Regierung waren, dafür gesorgt haben, dass es eine
strikte Hedgefonds-Regulierung in Deutschland gibt. Sie
wollten erheblich mehr.
({1})
Ein Zweites, wenn ich das noch sagen darf. Es ist
wirklich unglaublich, uns vorzuwerfen, wir hätten uns in
die Beratungen der letzten Monate und Jahre nicht eingebracht. Wir waren es, die eine Reihe von Vorschlägen
gemacht haben, beginnend 2010 mit der Finanztransaktionsteuer. Zu jedem Gesetzgebungsverfahren haben wir
Änderungsanträge in die Beratungen eingebracht. Es
war das Papier von Peer Steinbrück zur Finanzmarktregulierung vom September letzten Jahres, das bei Ihnen
eine solche Aufregung ausgelöst hat, dass Sie jetzt sogar
für Trennbanken in Deutschland sind. Vorher war das für
Sie schlimmes Zeug. Es sind unsere Vorschläge, denen
Sie hier hinterherlaufen, und das muss man auch sagen.
({2})
Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Kollege Sieling, ich glaube, Ihr größtes Problem in allen diesen Debatten ist, dass Sie sich in weiten Teilen an
Nebenkriegsschauplätzen aufhalten. Sie vergeuden Ihre
Zeit.
({0})
Finanzmarktregulierung ist ein hartes Brot. Dazu gehören viel Fleiß und viel Engagement. Wir alle wollen
die Finanztransaktionsteuer. Die Bundesregierung ist in
Europa vorn. Wir machen sehr gute Fortschritte. Aber
tun Sie doch nicht so, als ob das das Allheilmittel in der
Finanzmarktregulierung wäre! Das kann immer nur ein
Element sein.
({1})
Ob der Anteil der Hedgefonds nun groß oder klein
ist - es bleibt doch Fakt, dass Sie dieses Baby in
Deutschland mit auf die Welt gebracht haben.
({2})
Das können Sie nicht abstreiten. Fakt ist auch, dass wir
das Ganze hier und heute unter Aufsicht und Kontrolle
stellen.
Herr Sieling, ich glaube, wir haben uns an dieser
Stelle verstanden. Machen Sie mit! Arbeiten Sie mit!
Das tun Sie hinter den Kulissen ja auch. Sie tun es nur
nicht, wenn es darum geht, hier ins Mikrofon hineinzusprechen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat nun Lothar Binding für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich gewusst
hätte, dass der Herr Wissing heute wieder die gleiche
Rede hält, dann hätte ich einige Zitate aus der Vergangenheit herausgesucht.
Ich will einmal einen Satz sagen: Die Freiheit des
Marktes geht über alles. - Von welcher Fraktion würden
Sie den hier erwarten? Wann immer jemand etwas in
Richtung Deregulierung tun wollte, war die FDP mit dabei. Wenn es etwas zu regulieren gab, waren wir mit dabei und Sie haben gesagt, wir sollten nicht jeden Unternehmer unter Generalverdacht stellen, wir sollen nicht
den Markt gängeln, die Freiheit des Marktes gehe über
alles. - Wann immer wir über Schlupflöcher geredet haben: Waren Sie eigentlich mit dabei? Die Antwort ist
Nein. Wann immer es um Steuergestaltung ging, haben
Sie gesagt: Das ist Misstrauen gegenüber Unternehmern.
Wer macht denn das schon, Steuerhinterziehung, Steuergestaltung? Außerdem: Wer würde denn CDs kaufen?
({0})
Eigentlich sind die Leute doch ganz ehrlich und werden
es sicherlich noch anzeigen. - Sie - ich glaube sogar, Sie
persönlich, Herr Wissing - haben Irland als leuchtendes
Vorbild hinsichtlich des Finanzmarktes und der Steuersätze hingestellt. Wer sich daran erinnert, weiß, wie unehrlich Ihr Vortrag heute war.
Wer hier vor fünf oder zehn Jahren das Wort Bankgeheimnis in den Mund genommen hat, musste aufpassen,
dass er nicht von den Zwischenrufen von rechts erdrückt
wurde, die das Bankgeheimnis beinahe zum Heiligtum
erhoben haben. Jetzt sind wir froh, dass es aufgehoben
wird und wir mit der Regulierung endlich schärfer vorLothar Binding ({1})
angehen können. Insofern haben Sie recht: Sie sind fleißig gewesen und haben viel gemacht. Man muss aber
auch nach der Qualität fragen. Denn die Materie - haben
Sie gesagt - ist wirklich komplex. Es sind mehr als
1 000 Seiten. Das stimmt auch. In diesem Kontext könnten Sie der Opposition auch mal dankbar sein, angesichts
dessen, was wir hier mitgemacht haben in den letzten
Wochen. Noch in der letzten Nacht - oder war es heute
Morgen? - war eine Korrektur in den Unterlagen zu bestätigen und zu unterschreiben. Ich glaube, das, was Sie
uns in den letzten Wochen Ihrer Regierungszeit zugemutet haben, ist schon grenzwertig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wissing?
Ja, erlaube ich.
({0})
Ich verspreche Ihnen, Herr Kollege Binding, es ist
eine einfache und klare Frage, nämlich: Sind Sie der
Meinung, dass die SPD, die den Finanzminister in
Deutschland elf Jahre gestellt hat, bis sie 2009 aus der
Bundesregierung ausgeschieden ist, Deutschland regulierte Finanzmärkte hinterlassen hat?
Ich will Ihnen mit einem Beispiel antworten, das
schon erwähnt wurde, um den Wahrnehmungsunterschied zwischen uns deutlich zu machen. Eben wurde
kritisiert, dass wir die Hedgefonds zugelassen haben. Es
wurde dem Sinne nach gesagt: Das war eine Art Deregulierung. - Die Antwort ist ganz anders: Es gab in Frankreich und England Hedgefonds en masse. Die Gesetzgebung hierzu war in Arbeit. Viele Deutsche, die dort
investieren wollten, mussten Französisch oder Englisch
sprechen. Wir haben gesagt: Ist es nicht klüger, Hedgefonds in unserem eigenen Markt zu erlauben, um sie zu
regulieren? Sie sprechen mich jetzt auf eine Prüfung an.
({0})
- Darauf komme ich gleich zurück. - Wie hat diese Regulierung eigentlich funktioniert? War sie gut oder
schlecht? Es gibt heute etwa 8 400 Hedgefonds in der
Welt.
({1})
- Ich gebe eine einfache Antwort, damit man merkt, wie
sich unsere Wahrnehmung verschiebt.
Von diesen 8 400 Hedgefonds gibt es nur 15 oder 18
in Deutschland. Damals haben die Märkte, für deren
Freiheit Sie kämpfen, gesagt: 80 Milliarden Euro gehen
an Deutschland vorbei. - Ich möchte einmal wissen, was
Sie gesagt hätten, wenn wir Hedgefonds nicht zugelassen hätten. Sie hätten gesagt: Sie sind schuld, dass
80 Milliarden Euro am deutschen Markt vorbeigehen. Deswegen haben wir dieses Instrument erlaubt. Jetzt
kann man sagen: Der Hedgefonds war gefährlich. Wie
war die Regulierung? Die Antwort ist: Von den 80 Milliarden Euro sind heute weniger als 2 Milliarden Euro in
Hedgefonds. So funktioniert gute Regulierung. Sie ist
messbar. Nach zehn Jahren kann man sagen: Das war erfolgreich. Das Gesetz kann sich sehen lassen.
({2})
Deshalb ist die Antwort auf Ihre Frage ähnlich. Wenn
Sie mit meiner Wahrnehmung für sich die Antwort geben, dann ist das eine supergute Antwort für Peer
Steinbrück. Wenn Sie aber mit Ihrer falschen Wahrnehmung die Antwort suchen, werden Sie sie nicht finden.
Das macht mir die Antwort natürlich einfach.
({3})
An dem jetzigen Gesetz ist die Abkopplung des
Steuer- vom Aufsichtsrecht gut. Es gibt eine eigenständige Definition, bezogen auf die Investmentbesteuerung.
Die Neustrukturierung des Investmentsteuerrechts ist
ebenfalls gut - ich kritisiere nur die Dinge, die uns nicht
gefallen -: Es schafft insbesondere die Differenzierung
bezogen auf die Investmentfonds, die bestimmten Anforderungsprofilen genügen müssen. Im Gesetz findet
sich dazu ein Katalog; das ist sehr gut. Ferner werden die
Investitionsgesellschaften wie Kapitalgesellschaften behandelt. Man kann sagen: Das ist wieder ein schönes Gesetz. Hierzu möchte ich gern den Eimervergleich anführen: Es ist wieder ein Eimer. Sie haben richtig viele
Eimer produziert. Ein Eimer kann schön sein, weil er
eine schöne Form hat, weil er schön gebördelt ist, weil
der Henkel schön ist. Und doch: Wenn der Eimer Löcher
hat, dann werde ich diesen Eimer nicht kaufen. Ich
würde der SPD-Fraktion, den Grünen, auch den Linken
empfehlen, dies ebenfalls nicht zu tun. Warum Sie Eimer
kaufen, die Löcher haben, möchte man doch gern wissen.
({4})
Sie sagen: Der Eimer ist ganz schön. - So wie Sie ihn
hinstellen, ist er auch ganz schön. Denn man sieht die
Löcher nicht. Manche Löcher sind klein, die großen sind
unten. Erst wenn man den Eimer hochhebt, merkt man,
was passiert ist.
({5})
Deshalb ist klar: Mit dieser Komplexität können Sie
erreichen, dass niemand versteht, was wirklich passiert.
Wo sind eigentlich die Schlupflöcher? Ich vermute,
von den Zuhörern, die heute hier sind, betreiben die wenigsten einen Investmentfonds. Die wenigsten haben irgendwelche Thesaurierungen in Luxemburg. Falls dies
doch auf Sie zutrifft, dann müssen Sie sich überlegen, ob
das, was die SPD will, nicht besser für Sie ist. Denn wir
Lothar Binding ({6})
wollen nicht diejenigen schützen, die solche Thesaurierungsgestaltungen im Ausland haben. Wenn Sie diese
nicht haben, können Sie sich beruhigt zurücklehnen.
Dann sind Sie bei uns auf der sicheren Seite.
({7})
Was wir ebenfalls gut finden, ist, dass die Koalition
einer Bundesratsforderung, und zwar in Bezug auf die
OGAW, gefolgt ist. Ich soll das immer schön übersetzen,
hat der Herr Präsident vorhin gesagt. Es handelt sich bei
den OGAW um die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren; das ist die deutsche Übersetzung.
Es ist aber trotzdem schlecht zu verstehen. Das sind Investmentfonds, die bestimmten europäischen Richtlinien
folgen. Es sind also gut geregelte Investmentfonds nach
europäischem Recht. Man unterwirft diese OGAW, also
eine große Gruppe von Fonds, nun einem ganz bestimmten, auch auf Deutschland angepassten Anforderungskatalog. Auf diese Weise können sie dann so besteuert werden, wie wir das gerne möchten. Ich denke, das haben
Sie ganz gut geregelt, indem Sie die OGAW in den Anforderungskatalog aufgenommen haben.
Was uns auch gut gefällt: Sie haben eine Anregung
aus der Anhörung mit aufgenommen, nämlich die Befristung des Bestandsschutzes für AIFs, also für alternative Investmentfonds, die die Anforderungen des Katalogs nicht mehr erfüllen. Das ist eine gute Sache. Denn
einem Fonds auf alle Ewigkeit etwas zu gewähren, der
Bedingungen nicht erfüllt, die alle anderen erfüllen müssen, wäre natürlich sehr schlecht gewesen.
Wir sehen noch ein Problem in der Einführung einer
Investmentkommanditgesellschaft und überlegen entlang der Einwände des Bundesrates, ob hier nicht in Bezug auf die Gestaltung große Gefahren existieren. Man
muss sich in Anbetracht der zahlreichen bereits existierenden Rechtsformen, die unser System so komplex und
kompliziert machen, überlegen, ob es im Rahmen der
speziellen Fragestellung, die wir hier zu lösen haben,
klug ist, eine neue Rechtsform einzuführen. Wenn das
unser Verfahren wird, dann haben wir demnächst x-beliebig viele Rechtsformen. Das wird sicherlich sehr
kompliziert.
Was am Schlechten gut ist, ist, dass Sie dieses Instrument auf Pension Pooling reduzieren. Das ist eine gute
Sache. Es bleibt natürlich fraglich, ob diese neue Rechtsform nötig ist. Mit dieser offenen Frage will ich zum
Ende kommen.
Auf die ausländischen Kapitalinvestitionsgesellschaften, in die man Gewinne thesauriert und damit auf sehr
lange Zeit steuerfrei stellt, inklusive der Zinseszinseffekte, ist schon eingegangen worden. Die vielen anderen
Löcher kann ich jetzt mit Blick auf die Uhr, die mir „minus 16 Sekunden“ anzeigt, nicht mehr vortragen. Aber
wir hätten in dieser Richtung noch viel zu sagen.
Ich fasse zusammen: Sie folgen mit diesem Gesetzentwurf einer marktkonformen Demokratie. Und die
wollen wir nicht.
({8})
Das Wort hat Ralph Brinkhaus für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Frühling 2010 haben wir hier das erste Finanzmarktregulierungsgesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet.
Das hatte etwas mit aufsichtsrechtlichen Vergütungsstrukturen zu tun. Mit dem Zustimmungsgesetz zur Bankenunion werden wir aller Voraussicht nach im Juni dieses Jahres das letzte Gesetz für diese Legislaturperiode
in diesem Bereich verabschieden.
Dazwischen liegen mehr als 30 Gesetze und 10 Initiativanträge. Dabei waren kleine Sachen wie das Sitzabkommen für die Europäische Versicherungsaufsicht, die
EIOPA in Frankfurt. Dabei waren kleine, aber wichtige
Sachen wie das KfW-Gesetz, in dessen Rahmen wir die
KfW unter Aufsicht gestellt haben. Dabei waren ganz
große Dinge, zum Beispiel die Gesetzentwürfe - AIFM
und CRD IV -, über die wir heute sprechen. Dabei waren Sachen wie die OGAW-IV-Richtlinie und die sehr
wichtige Regulierung der Derivate unter dem Titel
EMIR, die wir umgesetzt haben, weil sie uns von europäischer Seite vorgegeben wurden. Dabei waren auch
eine Menge ziemlich innovativer Dinge; in diesem Bereich ist Deutschland nämlich vorangegangen. Dazu gehören das Restrukturierungsgesetz - das wurde eben
schon angesprochen -, das Verbot der Leerverkäufe, die
Regulierung des Hochfrequenzhandels und auch die
erstmalige Regulierung der Honorarberatung. Da haben
wir etwas ganz Neues geschaffen.
Wenn man sich die Bilanz insgesamt anschaut, dann
erkennt man, dass es eine durchaus erstaunliche Bilanz
ist. Sie zeigt, dass diese Bundesregierung von dem starken Willen beseelt war, die Finanzmärkte zu regulieren
und den finanziellen Verbraucherschutz zu verbessern.
Ohne dass wir damit fertig sind, kann man, glaube ich,
sagen: Das ist uns durchaus gelungen.
({0})
Aber man muss auch sagen - es ist hier an der einen
oder anderen Stelle angeklungen -: Das war hin und
wieder mit der einen oder anderen Zumutung verbunden.
Erst einmal war es - das muss man ganz klar sagen eine Zumutung für die Kreditinstitute in diesem Land.
Da hat jemand gesagt: Ein Regulierungs-Tsunami ist
über uns hereingebrochen. - Das ist nicht ganz falsch.
Die Institute müssen unglaublich viele Verfahren ändern
und Bürokratie aufbauen. Auf der anderen Seite ist es
auch für diejenigen eine Zumutung, die fragen: Ist denn
alles, was da reguliert werden soll, richtig aufeinander
abgestimmt? Ist das alles konsistent?
Es ist auch eine Zumutung für die Verbraucher, die
sich an viele neue Produktinformationsblätter und Regeln gewöhnen müssen. Es ist eine Zumutung für die
Unternehmen, die den Preis dafür zahlen müssen, weil
Finanzdienstleistungen teurer werden. Es ist nicht zuletzt für uns hier im parlamentarischen Verfahren eine
Zumutung. Man muss sich einmal überlegen, wie viele
Daten, Paragrafen und Gesetze wir im Finanzausschuss
in den letzten vier Jahren bewegt haben. Das ist eine
enorme Leistung, die wir hier vollbracht haben.
Jetzt könnte man fragen: Musste das denn alles so
sein? Musste das alles in dieser Geschwindigkeit geschehen? Ist da wirklich „no alternative to it“, wie es so
schön im europäischen Kontext heißt? - Natürlich wäre
die Alternative gewesen, sich mehr Zeit zu lassen, Auswirkungsstudien in Auftrag zu geben und es noch genauer zu prüfen. Aber man muss eines sagen: Wir holen
hier Versäumnisse auch vergangener Regierungen nach,
die nicht reguliert haben oder in die falsche Richtung reguliert haben.
({1})
Das, meine Damen und Herren, ist jetzt gar nicht mal so
sehr der große Vorwurf. Denn die Regulierungspolitik
auch unter der rot-grünen Koalition war vom Zeitgeist
geprägt, der besagte: Wir müssen deregulieren.
Ich möchte das Stichwort Zeitgeist einfach hier in die
Runde werfen. Denn wir haben momentan einen Zeitgeist, der besagt, dass alles reguliert werden muss. Vielleicht ist es so, dass in zehn Jahren jemand fragt:
Mensch, was haben die denn da alles reguliert? Warum
haben die nicht ein bisschen mehr darüber nachgedacht? Insofern wird es in der nächsten Legislaturperiode
unsere große Aufgabe sein, dass wir das, was wir wahnsinnig schnell aufgebaut haben, fine-tunen - wie es so
schön heißt -, dass wir für Konsistenz sorgen und bei
diesen Prozessen Bürokratie abbauen. Ich glaube, das
sind wir auch den Menschen schuldig, die in diesem
Land in den Finanzinstituten arbeiten. Das sind wir insbesondere den mittelständischen Strukturen, den Volksbanken, Sparkassen und kleinen Privatbanken, schuldig,
weil sie von der Bürokratie im Zusammenhang mit der
Regulierung am meisten betroffen sind.
Wenn ich all das, was wir gemacht haben, zusammenfasse und es an den Kritikversuchen der Opposition
messe, die wir gerade gehört haben, komme ich zu dem
Schluss: Es ist wohl so schlecht nicht gewesen. Lieber
Axel Troost, du hast immer gesagt: Eigentlich nicht
schlecht, aber man hätte noch ein bisschen mehr machen
können.
({2})
Das heißt doch, wir haben die Probleme identifiziert. Es
ist das Privileg der Opposition, zu sagen: Wir hätten all
das noch ein bisschen schärfer gestaltet. - Morgen, bei
der Debatte zum Trennbankengesetz, werdet ihr uns erzählen: Unser Trennbankengesetz wäre noch viel trennbankiger als das gewesen, was ihr entwickelt habt.
({3})
Ihr werdet auch sagen: Unser Hochfrequenzhandelsgesetz hätte den Hochfrequenzhandel noch viel stärker reguliert als das, was ihr entwickelt habt. - Aber Sie müssen doch eines anerkennen: Wir haben die Probleme im
Prinzip richtig identifiziert und die richtigen Maßnahmen eingeleitet; das Herumkritisieren bezieht sich auf
Details. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es wäre auch
schlecht, wenn die Opposition das nicht machen würde;
denn das ist ihre Aufgabe. Insofern vielleicht ein Applaus dafür, dass die Opposition ihrer Aufgabe nachgekommen ist.
({4})
Ich komme jetzt zu den drei Gesetzen, die heute verabschiedet werden. Das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz, mit dem sich Antje Tillmann dankenswerterweise beschäftigt hat, ist schon hochesoterisch und
hochspeziell. Da muss man einfach sagen: Klasse, dass
wir das so schnell hinbekommen haben.
Vielleicht ein Satz zum AIFM-Umsetzungsgesetz. Da
ist behauptet worden: Ein riesiger Bereich dort wird
nicht reguliert; da liegt eine Schwelle bei 100 Millionen
Euro, und die dürfen sich auch noch bis zu 60 Prozent
verschulden. - Soll ich Ihnen einmal sagen, wo es die
meisten Projekte mit einem Volumen unter 100 Millionen Euro und einer Verschuldung von über 60 Prozent
gibt? Im Bereich der erneuerbaren Energien. Es sind die
Windparks an der schleswig-holsteinischen Westküste,
die mit einem Leverage von 90 Prozent finanziert werden. Lieber Lothar Binding, da könnte man sich einmal
fragen, ob das nicht die Hedgefonds der Neuzeit sind.
Denn kein Hedgefonds würde mit einem solchen Hebel
arbeiten. Insofern muss man immer aufpassen, dass man
das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet. Wir wollten
auch diese Projekte schützen. Wir haben die Bürgerenergieprojekte im Bereich der Genossenschaften geschützt,
weil uns die Energiewende in diesem Land sehr wichtig
ist.
({5})
Zu dem CRD IV-Umsetzungsgesetz. Kollege Sieling
hat gesagt: Ja, ihr habt ja erst ganz spät angefangen, zu
arbeiten, und jetzt müsst ihr alles so schnell fertigmachen. Sorry, lieber Kollege Sieling, wir haben lange auf
unsere europäischen Kollegen gewartet.
({6})
Wir wären schon im Jahr 2010 handlungsfähig gewesen. Dieser Bundestag hat im Jahr 2010 einen Entschließungsantrag auf den Weg gebracht, in den wir unsere Erwartungen an den CRD IV-Prozess hineingeschrieben
haben. Im Übrigen sind von den elf geforderten Punkten
im Zuge des Brüsseler Prozesses zehn Punkte von dieser
Bundesregierung mehr oder weniger hineinverhandelt
worden.
({7})
Darüber hinaus haben wir es noch geschafft, die Mittelstandskomponente zu stärken. Man kann insgesamt feststellen: eine hervorragende Bilanz.
Eben sind die Kollegen im Europäischen Parlament
gelobt worden - dem schließe ich mich teilweise an -,
aber ehrlich gesagt: Wir wären viel schneller fertig gewesen, wenn sie diesen Prozess nicht immer wieder mit
neuen Forderungen belastet hätten. Dann hätten wir das
Gesetzesvorhaben schon längst abgeschlossen. Das ist
nicht geschehen, aber das liegt nicht in unserer Verantwortung.
Wir haben ein nahezu wahnwitziges Verfahren durchgezogen: Mitte April haben wir die Daten von der Europäischen Union erhalten. Das Bundesfinanzministerium
hat in zwei Wochen die entsprechenden Umdrucke, die
Gesetzesänderungen, produziert. Eine Woche später
wurde die Anhörung dazu durchgeführt, und wieder eine
Woche später werden wir nun das ganze Gesetzgebungsvorhaben abschließen. Das ist für ein reguläres Gesetzgebungsvorhaben in der Geschichte des Deutschen Bundestages einmalig. Ich möchte mich ausdrücklich bei all
denjenigen bedanken, die das konstruktiv begleitet haben, die es möglich gemacht haben, dass das überhaupt
geschieht. Das war kein Selbstzweck, und es ist auch
kein Spaß gewesen.
Unsere Finanzindustrie muss die Basel-III-Regeln,
die CRD IV-Regeln bis zum 1. Januar 2014 in den Systemen verankern und umsetzen. Wenn wir uns, wie von einigen gefordert, mehr Zeit genommen hätten, dann hätte
der 18. Deutsche Bundestag dieses Gesetz im November
wahrscheinlich in einem ähnlichen Hauruck-Verfahren
beschlossen, und unsere Banken hätten dann vier Wochen oder auch nur zwei Wochen Zeit gehabt, das Ganze
umzusetzen.
({8})
Deswegen bitte ich um Nachsicht, wenn es an der einen
oder anderen Stelle geruckelt hat. Wir mussten so vorgehen, und es war richtig, dass wir das gemacht haben. Das
zeigt, dass diese Regierungskoalition und diese Bundesregierung sehr verantwortungsvoll mit Finanzmarktregulierung umgehen.
({9})
Die Redner der FDP schließen heute immer mit dem
Satz: Es waren vier gute Jahre.
({10})
Die Jahre waren auch gut für Deutschland. Die Jahre waren nicht gut für jede Oppositionspartei, aber die Jahre
waren sehr gut für den Bereich der Finanzmarktregulierung. Das kann man wohl sagen.
Wir haben unglaublich viel bewegt. An einigen Stellen hat die Opposition durchaus sehr konstruktiv mitgearbeitet, an anderen Stellen nicht. Insgesamt können wir
alle, die wir hier sitzen, sehr stolz auf das sein, was wir
geschafft haben. Die Aufgabe ist nicht beendet. Wir werden weitermachen. Wir haben in den nächsten vier Jahre
noch viel vor.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über den Zugang zur Tätigkeit von
Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des
Aufsichtsrechts an die Verordnung über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen
({0}). - Wahrlich ein langer Titel eines Gesetz.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Empfehlung - das sind die Drucksachen 17/13524
und 17/13541 -, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10974 und 17/11474 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/13542 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der beiden Koalitionsparteien und der SPD gegen die
Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Beratung angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13524,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13543.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden KoalitionsfraktioVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
nen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/13544. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 5 b. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter
alternativer Investmentfonds, AIFM-Umsetzungsgesetz.
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13395, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 17/12294 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD
und Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/13518. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD
und Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/13519. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 5 c. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer
Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
- das sind die Drucksachen 17/13522 und 17/13562 -,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/12603 und 17/13036 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Bevor ich den Tagesordnungspunkt 6 aufrufe, teile
ich mit, dass die Tagesordnungspunkte 8 und 9, die dann
folgen werden, getauscht werden, sodass die namentliche Abstimmung zum Atalanta-Einsatz gegenüber dem
ursprünglichen Zeitplan etwa 30 Minuten früher stattfinden wird.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in
Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten
- Drucksachen 17/11880, 17/13451 Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Hans-Michael Goldmann
Nicole Maisch
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Carola Stauche für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meiner Rede eine Definition voranstellen, die ich beim Durchblättern eines Politiklexikons gelesen habe und die, wie ich finde, sehr gut
zu diesem Antrag passt:
Populismus bezeichnet eine Politik, die sich volksnah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Ängste der
Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und vermeintlich einfache und klare Lösungen für politische Probleme anbietet.
Ich denke, eine bessere Beschreibung für diesen Antrag
kann man nicht finden. Es klingt gerade im Wahlkampf
natürlich besonders gut, kostenlose Verpflegung in
Schulen und Kindertagesstätten zu fordern.
({0})
Wir haben über dieses Thema bereits im Januar ausführlich diskutiert. Ich habe Ihnen, der Opposition, be30214
reits damals gesagt, dass eine gesunde und ausgewogene
Ernährung der Kinder auch für uns als christlich-liberale
Koalition sehr wichtig ist. Dies gilt ebenfalls für die Bundesregierung. Viele der im Antrag gestellten Forderungen
wurden bereits umgesetzt. Bundesministerin Aigner und
dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz gilt hierfür mein Dank.
({1})
Ich verweise gerne noch einmal auf die Internetseite des
Ministeriums,
({2})
auf der man, wenn man es will, viel Wissenswertes und
Interessantes zu dem im Antrag diskutierten Thema findet. Die Bedeutung von Schulgärten und eines gesunden
Frühstücks werden dargestellt. In einem Absatz erfährt
man, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Orientierung verstanden werden
sollen. Dies wird übrigens im Antrag gefordert. Ideen für
Ernährungswettbewerbe, ein Kinderkochbuch, ein Ernährungsleitfaden und vieles mehr sind ebenfalls auf der
Seite des BMELV zu finden. Auch auf die „IN FORM“Projekte, welche sich an Kinder und Jugendliche richten,
wird dort hingewiesen.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass komplett kostenlose Verpflegungen in Schulen und Kindertagesstätten nicht hilfreich sind,
({3})
um Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für den
Wert von Nahrung zu vermitteln.
({4})
- Ja, das stimmt.
({5})
Wertschätzung bildet man nicht nur durch eigenes Zubereiten der Nahrung. Um etwas wertschätzen zu können, muss man auch den monetären Wert erkennen. Sicherlich bildet sich Wertschätzung nicht nur dadurch,
aber man darf diesen Aspekt nicht vernachlässigen.
Ich denke, besonders gefragt sind die Familien; denn
hier findet zuallererst Ernährungsbildung statt.
({6})
Die Familien sind zum Beispiel beim Frühstück gefragt;
dies haben Sie in Ihrer letzten Rede gefordert. Die Familien sollen sich morgens für ein gemeinsames Frühstück
zusammensetzen. Ich weiß, dass das nicht in jedem Fall
möglich ist, aber man kann den Kindern zumindest einen
schön gedeckten Frühstückstisch bieten, sodass sie sich
an den Tisch setzen und frühstücken. Die Eltern müssen
darauf achten, dass dies auch getan wird. Wenn das nicht
möglich ist, kann man auch zusammen Abendbrot essen.
Das fördert Ernährungsbildung zuallererst.
Sie kritisieren in Ihrem Antrag das Bildungs- und
Teilhabepaket als zu bürokratisch. Ich habe mich in meinem Wahlkreis kundig gemacht. Es ist nicht so, wie Sie
es beschreiben; Beispiele zeigen dies deutlich. Das Essensgeld wird direkt an die Schulen überwiesen, und
dort werden den betroffenen Kindern die Essensmarken
genauso gegeben wie den Kindern, deren Eltern das
Geld selbst überweisen. Es besteht kein Unterschied.
Aber man kann nicht mehr tun, als den Kindern das
Essen hinzustellen und ihnen Besteck zu geben. Essen
müssen die Kinder selbst.
({7})
- Ja, es ist so.
Es findet keine Stigmatisierung der bedürftigen Kinder statt. Die Hilfe kommt unbürokratisch und unkompliziert an. Natürlich müssen der Landkreis und der
Landrat das im Vorfeld entsprechend organisieren. Ich
habe auch schon anderes erlebt - das gebe ich zu -, aber
nicht unbedingt bei unserer Klientel.
Ängste zu schüren und Bürger und Bürgerinnen zu
verunsichern, überlassen wir Ihnen. Wir maßen uns nicht
an, zu wissen, was gut und was schlecht für die Kinder
oder für die Bürger ist.
({8})
- Doch, eine Präventionsstrategie haben wir. Nur, sie
muss vor Ort auch angewandt werden. Gefragt sind hier
die Länder, die Schulen und die Eltern im Schulbeirat
vor Ort; denn sie sind die Hauptverantwortlichen, wenn
es darum geht, was in den Schulen gegessen wird, wer
die Auswahl trifft und wie hoch die Kosten sind. Sie entscheiden vor Ort mit. Deshalb steht für uns der selbstbestimmte, eigenverantwortliche Bürger über allem.
({9})
Wir lehnen Ihren Antrag auf Bevormundung ab.
Danke.
({10})
Das Wort hat Petra Crone für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Frau Stauche, Sie hatten
uns sehr neugierig gemacht. Sieben Minuten hatten Sie
nun Zeit, uns zu erzählen, was diese Regierung in puncto
Schulernährung gemacht hat. Ich habe dazu leider nichts
hören können.
({0})
Gestern war der Internationale Tag der Familie. Dieser
Gedenktag der Vereinten Nationen ist ein klarer Auftrag
an uns, die Politik, auch hier in Deutschland.
Meine Fraktion will mehr für Familien tun. Wir wollen, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen
Herkunft, gute Lebenschancen erhalten. Heute Morgen
haben wir an dieser Stelle über unseren Stufenplan im
Hinblick auf das Ganztagsangebot in Kitas und Schulen
bis 2020 diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion will
20 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Betreuung
investieren.
({1})
Davon profitieren alle Kinder, egal ob arm oder reich.
({2})
Familien sind bunt. Sie haben ganz unterschiedliche
Vorstellungen vom Leben. Die Politik muss sie dabei unterstützen, auch beim Thema Ernährung. Früher trafen
sich Alt und Jung meist dreimal am Tag am Familientisch. Dort herrschte zwar nicht durchweg Idylle, aber es
kam immer zum Austausch. Heute sind fast alle Familienmitglieder ganztags außer Haus:
({3})
in der Kindertagesstätte, in der Schule bzw. Ganztagsschule oder auf der Arbeit. Vergangenheit ist Vergangenheit. Was allein zählt, ist die Gegenwart. Die Gesellschaft hat sich verändert. Das müssen auch Sie, liebe
Kollegen und Kolleginnen von der Koalition aus CDU/
CSU und FDP, akzeptieren. Wir müssen diese neuen
Herausforderungen bewältigen, indem wir geeignete
politische Rahmenbedingungen setzen.
({4})
Berufstätige Mütter und Väter werden durch eine vernünftige Schulverpflegung deutlich entlastet, organisatorisch und - wie ich finde, trotz oder gerade wegen des
Elternanteils - auch finanziell. Das ist eine schöne Sache
für die Eltern und ein weiterer Schritt hin zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Auch heute treffen sich die meisten Familien zum
Abendessen. Neben der Aufnahme von Lebensmitteln
und Nährstoffen für den Organismus kommt jetzt auch
die Kommunikation zu ihrem Recht. Mahlzeiten sind
eine Form davon. Wichtig ist, dass dabei jeder und jede
zu Wort kommt, auch die Kleinsten und Kleinen. Ich bin
überzeugt, dass dieser „Appetit auf Gemeinschaft“ in
uns allen steckt. Wir müssen bei der Schulernährung
Strukturen und Qualitäten schaffen, die diesen Appetit
wecken und stillen: in der Gemeinschaft, auf gesunde
Weise und ohne Diskriminierung.
({5})
Liebe Kollegin Binder, es ist Ihr Verdienst, dass wir
heute zum zweiten Mal den Antrag Ihrer Fraktion zur
Verbesserung der Schulverpflegung in Deutschland debattieren. Keiner hier im Saal darf sich aus der Verantwortung für die gesunde Ernährung unserer Kinder und
Enkel stehlen.
({6})
Gerade haben Union und FDP mit viel Tamtam ein
Präventionsgesetz auf den Weg gebracht. Bei genauer
Betrachtung stellt man leider fest: Es ist - wie sagte es
meine Kollegin Angelika Graf so schön? - ein Hauch
von Nichts.
({7})
Damit ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gelingen kann, müssen Gesundheitsförderung und Prävention verstärkt in Kindertagesstätten und
Schulen ansetzen. Gute Ganztagsschulen, wie sie die
SPD-Bundestagsfraktion will, bieten hervorragende
Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Ernährungsbildung. Daraus wachsen positive Präventions- und mittelfristige Gesundheitseffekte.
Wir betrachten den Bund als Nutznießer guten Ernährungsverhaltens. Neben der eigenen Person profitieren
Krankenkassen, öffentliche Haushalte und Sozialversicherer.
Die Bereitstellung einer gemeinsamen, gesunden und
diskriminierungsfreien Schulverpflegung ist von essenzieller Bedeutung; dabei sollen die Qualitätsstandards
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur Orientierung dienen. Ja, das ist mit höheren Kosten verbunden.
Wir sagen nicht: Der Bund ist der Goldesel, der alles
zahlt. - Wir sagen: Der Bund wird die Länder wie die
Kommunen durch geeignete Maßnahmen in die Lage
versetzen, diese Aufgaben auch erfüllen zu können.
Was kann der Bund konkret tun? Drei Beispiele: Erstens. Er kann dafür eintreten, dass die Schulspeisung in
den EU-Katalog von Bereichen einer möglichen Mehrwertsteuerermäßigung aufgenommen wird. Zweitens. Er
kann die Vernetzungsstellen Schulverpflegung weiterhin
unterstützen und die Förderung der Forschung zum
Ernährungsverhalten von Kindern stärken. Drittens. Er
kann, wie von uns vorgeschlagen, mit einem Investitions- und Entschuldungspakt die Kommunen in die
Lage versetzen,
({8})
bei der Vergabepraxis die Qualität vor den Preis zu setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich
finde es wirklich schade, dass Sie mit Ihrer „Vollkostenmentalität“ in diesem Punkt über das Ziel hinausge30216
schossen sind. Sie geben dadurch - wir haben es gerade
gehört - Union und FDP die Möglichkeit, der Debatte zu
entgehen. Dass unsere Kolleginnen und Kollegen von
der schwarz-gelben Koalition diese Chance nutzen, versteht sich von selbst. Man werfe nur einen Blick auf die
Argumentation der CDU/CSU-Fraktion in der Beschlussempfehlung, über die wir heute debattieren: Es
müsse mehr getan werden. - Ja, unbedingt! - Verantwortlich seien aber Länder, Kommunen und Eltern. Die
Aussagen zur mangelhaften Schulspeisung würden jeder
Grundlage entbehren. - Diesen Punkt finde ich besonders interessant: Hier wird einmal ganz schnell eine Studie der Hochschule Niederrhein als unseriös dargestellt.
({9})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, über welches belastbare Datenmaterial verfügen Sie und Ihr Ministerium eigentlich, wenn Sie die Zuständigkeit mantraartig Ländern und Kommunen zuschieben? Die FDP warnte im
Ausschuss sogar davor, die Frage der Verpflegung von
Kindern und Jugendlichen auf die Bundesebene zu verlagern. Dazu fällt mir, ehrlich gesagt, gar nichts mehr
ein.
Die SPD-Bundestagsfraktion entzieht sich ihrer Verantwortung nicht. Wer wie wir einen Rechtsanspruch auf
eine Ganztagsschule schaffen möchte, der macht sich
auch Gedanken über die Zukunft der Schulernährung.
Darum, liebe Kollegen und Kolleginnen, wird die SPDBundestagsfraktion nach dem Regierungswechsel
({10})
die finanziellen Aspekte einer besseren Schulspeisung
genauer unter die Lupe nehmen. Bis dahin ist glücklicherweise nicht mehr lange hin.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat nun Hans-Michael Goldmann für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Crone, ich habe eben erst einmal
meinen Kollegen gefragt, bei welchem Tagesordnungspunkt wir eigentlich im Moment sind. Wenn ich das
richtig sehe, diskutieren wir über einen Antrag der
Linken, dessen Titel lautet: „Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung
in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten“.
({0})
Wir diskutieren nicht über die Inhalte, die Sie hier angesprochen haben, Frau Crone; Sie haben nämlich gar keinen Antrag dazu vorgelegt.
({1})
Man muss sich das, was Sie eben gesagt haben, einmal
auf der Zunge zergehen lassen: Sie wollen mit Ihren guten Ideen erst hinter dem Berg hervorkommen, wenn Sie
Regierungsverantwortung haben. So habe ich Opposition bis jetzt nicht verstanden. Ich glaube, es ist die Aufgabe der Opposition, in einen aktuellen Diskussionsprozess Anträge einzubringen, die deutlich machen, in
welche Richtung man marschieren will.
Ich bin ja einverstanden, darüber zu reden, dass der
Mehrwertsteuersatz auf Schulverpflegung geändert werden muss. Ich bin einverstanden, wenn Sie sagen, es
solle noch mehr für Forschung getan werden, obwohl
wir das schon tun. Aber man sollte schon zur Sache sprechen, und die Sache ist von ganz einfachem Charakter:
Die Linken sagen, der Bund solle für eine Aufgabe aufkommen, die eindeutig Sache der Länder oder der Schulträger ist, und das sind manchmal nicht nur die Kreise.
({2})
- Sie haben eine so liebliche Stimme. Sprechen Sie doch
einmal, indem Sie sich melden! ({3})
Die Zuständigkeit muss bei denjenigen liegen - lassen
Sie sich das ganz in Ruhe sagen -, die das am besten
können. Ich kann nur davor warnen, zu glauben, man
müsse unsere Schulen mit Finanzmitteln von oben überschütten und damit wäre für eine vernünftige Ernährungskunde bzw. Ernährungslehre und eine vernünftige
Verpflegung in der Schule gesorgt. Das ist der falsche
Weg.
Die Schulen müssen in Verbindung mit den Elternvertretungen und den Schulvorständen das richtige Modell
für die jeweilige Schule entwickeln, und dabei darf es
nicht nur um die Bestellung des Caterers gehen.
({4})
Lassen Sie uns doch gemeinsam bei den Entscheidungen
auf Kreis- und Stadtebene dafür plädieren, dass bei der
Ausschreibung für ein Angebot, das in der Schule realisiert werden soll, nicht nur die Kosten, sondern auch die
Qualität entscheidend sind. Hier sind wir uns sofort einig. Wir müssen aber auch ehrlich sein und sagen: Die
Entscheidung für die richtige Weichenstellung muss vor
Ort getroffen werden.
({5})
Ich möchte noch einmal betonen: Es geht nicht nur
darum, dass etwas hingestellt wird. Es müssen Räumlichkeiten vorhanden sein, in denen Kommunikation gepflegt wird, und es muss auch eine Verbindung zur Region hergestellt sein. Mir ist ein Besuch in einer
berufsbildenden Schule hoch im Norden, in Wittmund,
unvergessen, wo ein riesiger Kerl mit großer Liebe
kleine, gleich große Möhrenstückchen schnitt. Dabei
stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Wahrscheinlich hat
er es in seinem Alltag, vielleicht sogar in seinem Berufsleben, mit größeren Teilen zu tun. Ich fragte ihn: Warum
geben Sie sich eigentlich so viel Mühe, damit alles
gleich groß ist? - Er sagte mir: Ansonsten wäre die
Kochzeit unterschiedlich, und damit wäre der Energiekostenaufwand höher. Deswegen müssen alle Stücke
gleich groß sein. - Da habe ich gesagt: Herzlichen
Glückwunsch, lieber Lehrer, du hast kapiert, was beim
Thema Schulverpflegung im Grunde genommen auf die
Tagesordnung gehört. Es geht nicht darum, nur etwas bereitzustellen, sondern es muss ein Prozess so weit durchdrungen werden, dass er für die Menschen erfahrbar
wird und dass daraus ein Ernährungswissen entsteht, das
vernünftige Entscheidungen ermöglicht.
({6})
Zum Antrag der Linken - Frau Binder, Sie können
mir abnehmen, dass ich ein bisschen Ahnung davon
habe; schließlich war ich über Jahrzehnte Ernährungslehrer in berufsbildenden Schulen - kann ich nur sagen:
Ihr Antrag geht völlig an der Sache vorbei. Ich will Ihnen auch sagen, warum - Frau Crone und Frau Stauche
haben das hier schon angesprochen: Es macht keinen
Sinn, für jedermann einen gleichen Betrag zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall macht es vielmehr Sinn,
sich Gedanken darüber zu machen, wo wir Akzente setzen können und wo wir das lassen sollten.
Meine Kinder brauchten in der Schule keinen Zuschuss zur Schulverpflegung. Das konnte ich wirklich
selbst leisten. Wir sollten dafür sorgen, dass auch in diesem Bereich ein gewisses Maß an Gerechtigkeit realisiert wird.
({7})
Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass Sie, Frau Crone, heute an vielen
Stellen so getan haben, als wollten Sie dem Antrag zustimmen. Ganz zum Schluss haben Sie dann noch einen
eleganten Schwenk gemacht und von der Regierungsverantwortung gesprochen, die Sie sich erträumen. Ich frage
mich: Warum diskutieren Sie das eigentlich nicht mit
uns im Ausschuss in der nötigen Qualität? Warum haben
Sie Ihre Argumente nicht bei der Beratung im Ausschuss
eingebracht? Warum bauen Sie hier ein Luftschloss, von
dem Sie genau wissen, dass das der Realität in keinster
Weise Rechnung trägt?
Die Schulverpflegung ist eine ganz wichtige Sache,
keine Frage. Ich bin auch für eine Anschubfinanzierung
in diesem Bereich, analog zu dem, was die Bundesregierung bei den Krippen und den Kindertagesstätten gemacht hat. Ich durfte letzten Sonnabend dabei sein, als
eine Kindertagesstätte eingeweiht wurde. Dabei wurde
endlich einmal erwähnt, dass solche Einrichtungen auch
mit Fördermitteln des Bundes und nicht nur mit Mitteln
der Kommunen auf den Weg gebracht werden.
Wir sind bei den Themen Kita und Ganztagsschule,
bei den Bereichen Bildung und Information, auch beim
Projekt IN FORM, doch gar nicht auseinander; das verfolgen wir doch gemeinsam. Lassen Sie uns diesen Weg
zum Wohl der Kinder gemeinsam weitergehen. Das ist
der richtige Weg. Der Antrag der Linken sieht vor, dass
8 Milliarden Euro für die Schulen und 11 Milliarden
Euro für die Kitas ausgegeben werden. Das Geld soll sozusagen im Power-on-Verfahren über alle Schulen mit
ihren völlig unterschiedlichen Strukturen ausgeschüttet
werden. Das ist der falsche Weg.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eine Schülerin aus Berlin
schreibt im Internetportal „openpetition“ zu einer vor
kurzem angestoßenen Petition für eine kostenfreie
Schulverpflegung:
In unserer Schule gibt es gutes Bioessen, allerdings
habe ich nicht das Geld, mir dort … etwas zu kaufen. Teilweise hab ich von 8 bis 17 Uhr Schule, und
da halte ich es nicht ohne Essen aus.
Eine Mutter aus Niedersachsen, die von BAföG lebt, erklärt:
Und dann muss ich monatlich noch 60 Euro fürs
Schulessen zahlen … Und das Schlimmste daran
ist, dass es … nur winzige Portionen gibt und mein
Kind trotzdem hungrig von der Schule kommt.
Das, meine Damen und Herren, liebe Kollegin Stauche,
ist die traurige Lebenswirklichkeit an Schulen und Kitas
in Deutschland.
({0})
Frau Kollegin Stauche und auch Herr Kollege
Goldmann, ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie die
Kommentare - ich schicke Ihnen den Link zu, Herr
Goldmann - und nehmen Sie zur Kenntnis, wie das Leben vieler Kinder und Eltern tatsächlich aussieht.
({1})
Frau Heil, Sie haben im Ausschuss gesagt, Deutschland sei bei der Schulverpflegung gut aufgestellt. Herr
Goldmann, Sie meinten, Eltern und Lehrer kümmerten
sich nicht genug, wenn die Qualität und die Versorgung
nicht stimme, und der Bund sei nicht zuständig.
({2})
Kollegin Crone, auch ich hatte das Gefühl, die SPD
müsste eigentlich zustimmen können; aber Sie halten unsere Aufstellung der Kosten für utopisch. Frau Crone,
wir haben uns das nicht ausgedacht. Wir haben viele Gespräche mit Köchen, Hauswirtschafterinnen und Ernährungswissenschaftlern, Eltern und Kommunen geführt.
Von den Fachleuten wurde ermittelt: Wir kommen mit
unter 4 Euro pro Mahlzeit nicht hin, wenn wir eine qualitativ hochwertige Ernährung in der Kita- und Schulverpflegung gewährleisten wollen.
({3})
Kommen wir zu den leidigen Fakten: 90 Prozent der
Schulkantinen in Deutschland weisen Qualitätsmängel
auf, urteilt die Hochschule Niederrhein.
({4})
Höchstens ein Drittel der Kitas und Schulen mit Verpflegung orientiert sich an den anerkannten Qualitätskriterien, mit denen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
arbeitet. An vielen Schulen sind Mensen nur behelfsmäßig vorhanden, und die Essenspausen sind mit 30 bis
45 Minuten definitiv zu kurz, um ordentlich essen zu
können.
({5})
Wenn es überhaupt warme Mahlzeiten gibt, sind die
Speisen einseitig, oft zu süß und zu fett. Oft werden
diese Speisen bis zu sechs Stunden warmgehalten. Dann
haben sie erstens jeden Geschmack verloren, zweitens
sind die Nährstoffe und Vitamine weg,
({6})
und drittens bieten sie den idealen Nährboden für Krankheitskeime. - Mahlzeit!
({7})
Ich frage Sie: Was sind Ihnen die Kinder und unsere
Zukunft wert?
({8})
Essen, eine gute Kita- und Schulverpflegung, gehört zu
einer guten Bildung dazu.
({9})
Es geht um das Selbstverständnis, dass Ernährung und
Bildung zusammengehören. In vielen Ländern ist dies
eine Selbstverständlichkeit. Wer kluge Köpfe haben will,
muss auch für die notwendige Grundlage sorgen. Bauch
und Kopf arbeiten da Hand in Hand. Deshalb fordert die
Linke eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung
für jedes Kind in Schule und Kindergarten.
({10})
Liebe Kollegin Maisch von den Grünen, wir stehen
vor dem Problem, Chancengleichheit für die Kinder in
der Bildung herzustellen. Das funktioniert nur, wenn die
Verpflegung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ist
und jedem Kind unentgeltlich zur Verfügung steht.
({11})
Nun zum Stichwort „Geld“. Die Fachleute - ich habe
sie vorhin aufgezählt - sind sich einig: Unter 4 Euro pro
Kind am Tag ist eine hochwertige Verpflegung nicht zu
machen. Es geht doch nicht nur um die Kosten für die
Lebensmittel und die Zutaten. Es geht doch auch um
eine ordentliche Bezahlung von Fachpersonal, um Kosten für den Unterhalt der Mensa, um Geschirr und die
Reinigung. Es geht, nicht zu vergessen, auch um 19 Prozent Mehrwertsteuer, wenn das Ganze nicht über eine
gemeinnützige Einrichtung oder einen Verein organisiert
werden kann. Wenn wir allen Kindern eine gute Mahlzeit zur Verfügung stellen wollen, kostet das den Bund
circa 8,3 Milliarden Euro im Jahr. Dieses Geld muss
aufgebracht werden, und es wäre aufzubringen. Wir
bräuchten lediglich das Dienstwagenprivileg und die
Ausnahmeregelungen der Industrie im Energiebereich
abzuschaffen. Dann wäre das Geld für die Schulverpflegung für alle Kinder beisammen.
({12})
Die Linke fordert erstens hochwertige und unentgeltliche Kita- und Schulverpflegung, und zwar vom Bund
finanziert. Der Bund ist hier in der Pflicht, für die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse zu sorgen.
({13})
Wir fordern zweitens, Qualitätsstandards, wie sie die
Deutsche Gesellschaft für Ernährung vorschlägt, gesetzlich zu verankern. Wir fordern drittens, ein Investitionsprogramm zum Aus- und Neubau von Küchen und Mensen in Kitas und Schulen aufzulegen.
({14})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
({0})
Ich bin gleich so weit, Herr Präsident. - Wir fordern
viertens, die Vernetzungsstellen Schulverpflegung durch
den Bund dauerhaft zu finanzieren. Es ist ein Skandal,
dass Frau Ministerin Aigner die Förderung dieser Fachstellen auslaufen lassen will. Fünftens fordern wir, die
praktische Ernährungsbildung und Lernküchen zum festen Bestandteil des Erziehungs- und Lernalltags zu machen. Das ist eine ganz wichtige Sache, die man aber mit
den Ländern und Kommunen regeln muss.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Jawohl. - Ich schließe meinen Beitrag mit der Forderung einer Schülerin bei „openpetition“:
Jedes Kind muss gleiche Chancen haben. Das betrifft den Lernstoff, aber auch ein gesundes regelmäßiges Essen.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({0})
Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kolleginnen und der Kollege von Union und FDP haben
heute zum wiederholten Mal ihre Lieblingsausrede für
politisches Wenig- oder Nichtstun zur Aufführung gebracht: Sie fühlen sich einfach nicht zuständig für die
Schulernährung.
({0})
Handeln sollen immer die anderen: die Kommunen, die
Bundesländer, Frau Crone,
({1})
die EU, im Fall von Frau Stauche auch die Eltern am
heimischen Herd. So ist es natürlich auch beim Thema
„Mittagessen an Schulen“.
Dabei wissen die PR-Profis auf der Ministerinnenbank doch durchaus, dass man mit dem Thema „gesunde
Ernährung für Kinder“ bei den Bürgern und Bürgerinnen
punkten kann. Die Ernährungsministerin weiht mit
Herrn Mälzer zehn Schulküchen pro Jahr ein. Die Sozialministerin verkauft ihr Bildungs- und Teilhabepaket
als wirksames Mittel, das jedem Kind ein warmes Mittagessen auf den Tisch bringt.
({2})
Die Öffentlichkeitsarbeit war wie immer grandios. Chapeau, die Damen! Aber wo sind die konkreten Schritte
zur Einführung einer gesunden und bezahlbaren Verpflegung für alle Schul- und Kindergartenkinder in unserem
Land?
({3})
Die Notwendigkeit ist unbestritten; Frau Binder hat Ihnen das, denke ich, überzeugend dargelegt. Auch die
Handlungsmöglichkeiten des Bundes sind vorhanden.
Was Ihnen fehlt, sind Kreativität und politischer Gestaltungswille.
Sie kennen die erschreckenden Zahlen zu Übergewicht und Fehlernährung bei Kindern. Sie wissen, dass
Ganztagsschule ohne vernünftiges Essen nicht funktionieren kann. Sie wissen auch, dass von Übergewicht und
Fehlernährung besonders Kinder aus armen Familien betroffen sind. Hier bildet sich die soziale Spaltung an den
Körpern der Kinder ab. Ich denke, das sollte für Sie Motivation für politisches Handeln sein.
({4})
Frau Stauche, Sie haben uns die Erfolge der Koalition
ausführlich dargelegt. Ich finde es schön, dass es ein
Kinderkochbuch gibt. Ich finde es schön, dass es eine
entsprechende Homepage gibt. Aber wir wollen, dass
Kinder in der Schule etwas Vernünftiges zu essen haben.
({5})
Ich denke, das ist das politische Ziel.
({6})
Aber was macht die Bundesregierung? Sie streicht
den Schulvernetzungsstellen das Geld zusammen. Der
Bedarf an Schulverpflegung steigt. Sie streichen die Finanzierung zusammen. Das passt inhaltlich nicht zusammen.
({7})
Frau Stauche, was das Bildungs- und Teilhabepaket
angeht, empfiehlt es sich bisweilen, die Empirie der eigenen Argumentation über den eigenen Wahlkreis hinaus auszuweiten.
({8})
Dann hätten Sie erfahren, dass lediglich 27 Prozent der
anspruchsberechtigten Kinder den Anspruch auf ein Mittagessen wahrnehmen. Das liegt daran, dass über 50 Prozent der Anspruchsberechtigten von dem Programm
noch gar nichts wissen oder die Beantragung der Leistungen aufgrund von bürokratischen Hindernissen nicht
bewältigen können.
({9})
30 Prozent der Kinder, die Anspruch auf ein warmes
Essen in der Schule haben, besuchen Schulen, in denen
es ein solches Angebot nicht gibt. Ich denke, auch das
muss Anstoß zu politischem Handeln sein, das über das
Kinderkochbuch und die nette Homepage hinausgeht.
({10})
Wir Grünen sagen: Alle politischen Ebenen sind im
Zusammenspiel gefordert. Wenn Sie auch der Meinung
sind, dass kein kleiner Bauch in der Schule oder Kita
leer bleiben soll, dann müssten Sie doch die Kommunen
und die Länder beim Ausbau von Schulküchen und
Mensen unterstützen.
Es war vielleicht nicht der schlaueste Schritt, den Sie
- das muss man zugeben - gemeinsam mit der SPD unternommen haben, nämlich ein Kooperationsverbot im
Bildungsbereich einzuführen. Das erschwert die Neuauflage eines Ganztagsschulprogramms; aber es wird auch
wieder andere Mehrheiten geben, die das hoffentlich beenden.
({11})
Lassen Sie uns die Instrumente, die wir schon auf
Bundesebene haben, wie die Absatzförderung, die Förderinstrumente in der GAK und die Förderinstrumente
für den ökologischen Landbau nutzen, um regionale
Strukturen der Schulverpflegung auszubauen.
({12})
Dazu braucht man nicht einmal eine Föderalismusreform. Dazu braucht man einfach nur den Willen und
Kreativität.
({13})
Die Instrumente liegen auf dem Tisch. Ich finde, Sie
sollten sie nicht länger dort liegenlassen, sondern entweder aktiv werden oder es andere besser machen lassen.
({14})
Nächste Rednerin ist Kollegin Marlene Mortler für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das waren schon einige Zumutungen, die wir
hier erleben mussten.
({0})
Ich konstatiere: Ihr Weltbild ist teilweise so weltfremd,
dass es für mich in weiten Teilen Ihrer Aussagen erschütternd, ja nahezu erschreckend war.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will keinem im Raum
Autismus unterstellen.
({2})
Aber der Ministerin und dem BMELV zu unterstellen, in
diesen vier Jahren wäre nichts passiert, ist nicht nur hanebüchen,
({3})
sondern schlichtweg gelogen. Ich erinnere an die Vernetzungsstelle Schulverpflegung und an die sogenannten
DGE-Standards, die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wer hat denn diese Themen gespielt bzw. in die Länder getragen? Das war unsere
Ministerin.
({4})
Auch wenn der Lernort Familie an Bedeutung verloren hat, gilt für mich heute und in Zukunft - ich denke
dabei an Kolping -: In der Familie muss beginnen, was
in Staat und Gesellschaft blühen soll.
({5})
In Ihrem Antrag spielen die Eltern eine absolute Nebenrolle. Für mich spielen die Eltern auch in Zukunft eine
Hauptrolle. Elternverantwortung ist Eigenverantwortung, und Eigenverantwortung braucht Elternverantwortung.
Schule und Staat - das wissen wir alle - können die
Herausforderungen der Zukunft nicht stemmen. Der
Bund kann und darf nicht immer mehr Aufgaben und
Ausgaben der Länder übernehmen, schon gar nicht,
wenn er nicht zuständig ist.
({6})
Der Bund ist weder für hochwertige und kostenlose Verpflegung zuständig noch für ein Investitionsprogramm
für Küchen, Mensen, den Ausbau und Neubau oder zusätzliches Personal. Das können Sie in meiner letzten
Rede genau so nachlesen.
Aber lassen Sie mich zur Vernetzungsstelle Schulverpflegung kommen. Sie ist aus dem Projekt IN FORM
des BMELV, unseres zuständigen Ministeriums, entstanden. Ich danke an dieser Stelle unserem Ministerium
- der Staatssekretär ist anwesend - ganz ausdrücklich.
Es ist aus meiner Sicht noch nie so viel im Zusammenhang mit Ernährungsbildung passiert wie in dieser
Legislaturperiode.
({7})
Ich finde es klasse, wie mein Bundesland Bayern gerade die Verpflegung zusammen mit der ganzen Schulfamilie, insbesondere mit den Eltern, und mithilfe von
Coaching jeden Monat optimiert: Was können wir tun,
damit das Schulessen noch besser abgestimmt ist?
Was nichts kostet, wird aus meiner Sicht nicht wertgeschätzt. Deshalb muss mindestens 1 Euro pro Schulessen als symbolischer Beitrag vonseiten der Eltern gezahlt werden; denn auch das Essen zu Hause kostet
Geld.
({8})
Ich halte fest: Schulessen ist Ländersache, genauso
wie die Gestaltung des Schulorts.
Ich bin stolz, dass meine Landfrauen in Bayern mit einer großen Unterschriftenaktion ein weiteres wichtiges
Ziel erreicht haben. Ab dem Schuljahr 2013 werden Alltagskompetenz und Lebensökonomie in Bayern zum
verpflichtenden Unterrichtsgegenstand erklärt. Die entsprechenden Fächer werden zielgerichtet ausgebaut,
({9})
und zwar in Modulen gegliedert und über alle Jahrgangsstufen und Schularten hinweg. Das ist ein toller Erfolg.
Ich würde mich freuen, wenn diese verpflichtenden Unterrichtsfächer auch in anderen Bundesländern Schule
machen würden;
({10})
denn wer Bescheid weiß, ist klar im Vorteil. Dabei gehen
die Inhalte sicherlich über die Themen Ernährungsbildung und Kochen hinaus.
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele für Defizite, die uns
nicht egal sein dürfen. Erstes Beispiel. Ein Klassenkamerad ist bei einer Familie zu Gast, um Hausaufgaben
zu machen und zu essen. Als die Mutter ruft: „Das Essen
ist fertig“, geht der Klassenkamerad nicht zum Tisch,
sondern zur Tür, weil er glaubt, dass der Pizzaservice da
ist.
Zweites Beispiel. Väter und Mütter von „Miniköchen“ sind oft erstaunt, dass sie sich plötzlich nach ihren
Kindern richten müssen. Denn Kinder, die spielerisch
das Kochen von A bis Z erlernen, sagen zu Hause auf
einmal: Ich möchte einen schön gedeckten Tisch, und
zwar nicht nur, wenn ich bei den „Miniköchen“ bin.
Vor diesem Hintergrund werbe ich dafür, dass wir alle
in Zukunft dazu beitragen, dass wir nicht nur in Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen, sondern auch zu
Hause in unseren Familien einen schön gedeckten Tisch
haben.
In diesem Sinne: Danke schön.
({11})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Marianne Schieder.
({0})
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird niemand bestreiten, dass eine ausgewogene, gesunde Ernährung für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern von ganz besonderer
Bedeutung ist. Es wird auch niemand bezweifeln, dass
über die angelernte Esskultur Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten geprägt werden, die Menschen ein
ganzes Leben lang beeinflussen. Daher haben wir allen
Grund, darüber zu diskutieren, wie es um die Mittagsverpflegung in unseren Schulen bestellt ist, und alles dafür zu tun, dass die Mittagsverpflegung nicht als notwendiges Beiprogramm abgewickelt, sondern als wichtiger
Teil des schulischen Lernens und des Lebens betrachtet
wird. Es kann nicht nur darum gehen, dass die Schulverpflegung möglichst günstig ist. Vielmehr muss es gesundes, aber auch schmackhaftes, kindgerechtes Essen geben. Es muss die Chance ergriffen werden, schon in der
Schule Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang
mit der Schulverpflegung grundlegendes Wissen über
ausgewogene und gesunde Ernährung zu vermitteln und
mit ihnen vernünftiges Verbraucherverhalten einzuüben.
({0})
Natürlich gehört es für mich dazu, dass bei der Schulverpflegung auf die Ressourcen vor Ort geachtet wird;
denn wir haben mitbekommen, welche Probleme es mit
zentralen Cateringstrukturen gibt. Es sind Tausende Kinder in mehreren Bundesländern krank geworden, weil
ein einziger Betrieb verdorbene Erdbeeren verarbeitet
hat. Es gibt also wirklich viel zu tun.
Ich meine, dass das Luisen-Gymnasium in München
ein sehr gutes Beispiel ist. Dort ist die Mittagsverpflegung in den Unterricht eingebunden. Da wird nicht nur
gesundes und schmackhaftes Essen vor Ort gekocht,
sondern die unterschiedlichen Klassen der Schule sind in
die Zubereitung eingebunden. Die Kinder lernen im Unterricht den Umgang mit und die Verarbeitung von Lebensmitteln im praktischen Handeln.
So positiv dieses Beispiel auch ist, dürfen wir die Augen doch nicht davor verschließen, dass das kein flächendeckender Zustand ist, auch nicht in Bayern, liebe
Frau Mortler. Ich zitiere Ihren eigenen Landwirtschaftsminister. Der hat in einem Vorwort zu einer Studie der
TU München-Weihenstephan gesagt:
Durch den Ausbau des G8 und der Ganztagsschulen
gewinnt die Schulverpflegung in Bayern zunehmend an Bedeutung. Jede zweite Schule bietet
künftig eine Mittagsverpflegung an.
({1})
Somit erhalten etwa 200 000 Schüler täglich ein
warmes Mittagessen. Das bedeutet aber nicht
zwangsläufig, dass das Essen auch schmeckt oder
gesundheitsförderlich ist.
Er führt weiter aus, dass es da noch viel zu tun gibt,
um den Qualitätsstandard, den er gerne hätte, zu erreichen.
Im Übrigen, liebe Frau Mortler, ich war noch im Bayerischen Landtag, als Ihre Kolleginnen und Kollegen
von der CSU gegen unseren Widerstand und gegen unsere Warnung all die Fächer abgeschafft haben, die Sie
jetzt mit den Landfrauen in kleinen Teilen wieder erkämpft haben. Es ist also nicht so, dass die Welt in Bayern in Ordnung wäre und es überhaupt nichts zu tun
gäbe.
Marianne Schieder ({2})
({3})
Insofern haben die Kolleginnen und Kollegen der
Linken natürlich recht mit ihrem Antrag. Aber ich sage
auch dazu: Hier 8 bis 9 Milliarden Euro vom Bund zu
fordern und es als ganz selbstverständlich zu betrachten,
dass es an allen Schulen ein vollkommen kostenloses
Mittagessen geben soll, halte ich für sehr überzogen, für
sehr unseriös, für nicht finanzierbar, auch nicht für notwendig und nicht für sinnvoll.
({4})
Daher werden wir diesen Antrag ablehnen.
({5})
Ich möchte aber auch sagen, dass wir nur weiterkommen werden, auch in Sachen Schulverpflegung, wenn
sich die Rahmenbedingungen ändern. Wir haben heute
schon über unseren Antrag diskutiert, der unter dem
Motto steht, die Bildungschancen mit guten Ganztagsschulen für alle zu verbessern. Wir müssen in diesem
Zusammenhang natürlich über die Aufhebung des Kooperationsverbotes reden;
({6})
denn solange es das gibt, ist da nichts zu machen. Es ist
leider wahr. Die Aufhebung müsste mehr umfassen als
das, was Union und FDP vorschlagen. Es darf dabei
nicht nur um Hochschulen gehen, sondern auch der Bereich Schule muss dabei sein, sodass all die Probleme,
die alle Bundesländer gleichermaßen zu bewältigen haben, auch gemeinsam bewältigt werden können, Kräfte
gebündelt werden können und der Bund den Ländern
und den Kommunen unter die Arme greifen kann.
Ich weiß natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union und der FDP, dass wir von Ihnen nicht
mehr viel zu erwarten haben, in dieser Legislaturperiode
schon gar nicht. Aber ich bin zuversichtlich; denn der
September ist nah. Spätestens dann, wenn der Münchener Oberbürgermeister Ministerpräsident unseres schönen Landes Bayern ist und Peer Steinbrück Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland,
({7})
werden wir als SPD-Bundestagsfraktion dafür sorgen,
dass die Länder mit unserem Ganztagsschulprogramm
die nötige Unterstützung vom Bund bekommen. Das ist
ein Grund mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Zuhörerinnen und Zuhörer, für einen Regierungswechsel
in Berlin und auch in Bayern.
Danke schön.
({8})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Mechthild Heil von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das alte deutsche Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ - und natürlich Gretel auch nicht -, gilt auch im
Bereich der Ernährung allzu oft; denn die Grundlagen
für einen gesundheitsbewussten Lebensstil werden in der
Kindheit gelegt, und da steht die Familie an erster Stelle.
({0})
Die Eltern und die Geschwister leben Ernährungsund Bewegungsmuster vor, an denen sich dann die Kinder orientieren und die sich im Laufe des Lebens verfestigen. Die Eltern sind es auch, die die Pausenbrote
schmieren und die die Zutaten für die Pausenbrote einkaufen. Die Eltern fragen sich: Kaufe ich eigentlich das
Richtige? Ist das gut und gesund?
Hier herrscht große Verunsicherung. Das zeigt sich an
einem kleinen Beispiel, an der sogenannten Hamburger
Keks-Affäre. Die Eltern von einem vierjährigen Jungen
hatten morgens verschlafen. Sie haben dann ihrem Sohn
ein paar Butterkekse anstatt eines Pausenbrots mit in den
Kindergarten gegeben. Der Junge durfte die Butterkekse
nicht essen. Stattdessen wurden die Eltern aufgefordert,
ihm etwas „Gesundes“ einzupacken.
({1})
Hier zeigt sich: Hysterie und Verunsicherung sind mindestens genauso schlimm wie Unwissen und Desinteresse an gesunder Ernährung, womit wir es leider allzu
oft zu tun haben. Hilfe ist also gefragt.
({2})
Aber Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, hilft uns an dieser Stelle überhaupt nicht
weiter. Was soll dieser Antrag? Kollegin Stauche hat es
eben schön auf den Punkt gebracht: Das ist reiner Populismus im Wahlkampf.
Ich will Sie gar nicht noch einmal darauf hinweisen,
dass der Bund überhaupt nicht zuständig ist. Denn Sie
wissen sehr genau, dass das Grundgesetz einer vollen,
direkten Finanzierung der Schulverpflegung durch den
Bund entgegensteht.
({3})
Aber das stört Sie nicht weiter; wir kennen das. Sie fordern munter drauflos, ohne Maß und ohne rechtliche
Grundlage.
Tatsache ist: Jede Ganztagsschule ist verpflichtet, ein
Mittagessen anzubieten. Dabei wird auch an die Kinder
aus einkommensschwachen Familien gedacht. Sie waren
damals dagegen. Wir haben es eingeführt. Heute erhalten im Rahmen dieses Bildungs- und Teilhabepakets einkommensschwache Familien Leistungen wie das Mittagessen in Kindertagesstätten, in Horten und in Schulen,
und das wird gut angenommen. Es ist die am häufigsten
genutzte Komponente des Bildungs- und Teilhabepakets.
Reicht das? Ist das gut, und ist das gesund? Ja, es ist
sehr gut. Damit es auch gesund ist, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung einen Qualitätsstandard für die
Schulverpflegung entwickelt. Das ist hier wahrlich eine
große Hilfe. Dieser Standard liefert nämlich erstmals
wissenschaftlich gesicherte und praxisbezogene bundesweite Standards. Mit gutem Grund liegt es in den Händen der Bundesländer und je nach Landesregierung sogar der Schulträger oder der Schulen selbst, in welcher
Weise sie diese Standards in ihren Schulen umsetzen.
In diesem Jahr wurde zum Beispiel ein Integrationsbetrieb in meiner Region mit diesem DGE-Zertifikat
ausgezeichnet. Das ist der erste Betrieb in RheinlandPfalz, der ein solches Zertifikat bekommt. Dieser Betrieb
beliefert pro Tag Schulen und Kindergärten mit ungefähr
1 800 Essen.
Es gibt eine Fülle solcher guten Beispiele von Schulverpflegungen in den verschiedenen Regionen. Hier ist
es ein Altenheim, das die Versorgung von Kindergarten
oder Grundschule übernimmt. Dort legen die Eltern freiwillig einen Euro drauf, um einen Extrawunsch erfüllt zu
bekommen, und die Verbandsgemeinde übernimmt diesen Euro für einkommensschwache Kinder. Hier erstellt
ein Spitzenkoch den Küchenplan, und dort findet sich
eine private Anbieterin, die mit frischen Zutaten aus der
Region kocht.
Ich bin immer noch Mitglied im Kreistag und im
Stadtrat. Viele Schulen gehören in unsere Trägerschaft.
Ich kenne viele solcher Beispiele, wie viele von Ihnen
bestimmt auch; es gibt davon Hunderte in Deutschland.
Vor Ort weiß man ganz genau, was die Kinder brauchen.
Aber eins ist klar: Bevormundung von den Linken brauchen wir vor Ort ganz bestimmt nicht.
({4})
All den Initiativen vor Ort, den vielen engagierten Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Betreuern und
Caterern sei hier an dieser Stelle ein ganz großer Dank
für ihre super Arbeit ausgesprochen.
({5})
Denn nur so geht es: wenn alle mitmachen und sich für
eine gesunde Lebenswelt für unsere Kinder und Jugendlichen einsetzen.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Für alle Kinder und Jugendlichen eine hoch-
wertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und
Kindertagesstätten gewährleisten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/13451, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/11880 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen an-
genommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union
- Drucksache 17/11872 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({0})
- Drucksache 17/13444 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Oliver Luksic
Alexander Ulrich
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Josip
Juratovic, Dietmar Nietan, Axel Schäfer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg führen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar
Nietan, Axel Schäfer ({3}), Michael Roth
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Volker Beck ({5}), Marieluise Beck
({6}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitritts-
prozessen beteiligen
- Drucksachen 17/12182, 17/12821, 17/13444 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Alexander Ulrich
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung von Rechtsvorschriften des
Bundes infolge des Beitritts der Republik
Kroatien zur Europäischen Union
- Drucksachen 17/12769, 17/12852 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({7})
- Drucksache 17/13445 Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Oliver Luksic
Alexander Ulrich
Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem
Vertrag über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union werden wir später namentlich abstimmen.
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung von Rechtsvorschriften liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich Sie
darüber informieren, dass auf der Ehrentribüne der Botschafter der Republik Kroatien, Herr Dr. Miro Kovač,
Platz genommen hat.
({8})
Herr Botschafter, im Namen der Kolleginnen und Kollegen begrüße ich Sie sehr herzlich. Ich freue mich, dass
Sie dieser Debatte zum Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union persönlich beiwohnen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Oliver Luksic von der FDPFraktion.
({9})
Sehr geehrter Herr Präsident! Botschafter Kovač!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute mit
Freude feststellen, dass zum zweiten Mal ein Staat des
ehemaligen Jugoslawien bereit ist, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Wir können einen großen Erfolg
feiern, nicht nur für Kroatien, für Deutschland und für
Europa; dieser Schritt ist ein Signal für die ganze Region. Ich freue mich, dass wir als Bundestag heute in
großer Einmütigkeit und im breiten Konsens dieses Zeichen setzen wollen.
({0})
Kroatien hat einen langen Weg zurückgelegt. Seit Beginn der Verhandlungen sind knapp sieben Jahre vergangen. Der Prozess dauerte so lange wie bei keinem anderen Land zuvor. Das liegt auch an den Erfahrungen, die
man bei vorherigen Beitrittsprozessen gemacht hat. Es
ist wichtig, noch einmal klar zu sagen, dass wir hier besonders genau hingeschaut haben. Die Anforderungen
waren eher härter, die Beurteilungen noch genauer.
Kroatien hat in diesen sieben Jahren enorme Fortschritte gemacht, es hat allein in der letzten Legislaturperiode über 300 Gesetze verabschiedet, um sich Europa
anzupassen und anzunähern. EU-Kommissar Füle hat
recht, wenn er sagt, Kroatien sei heute ein anderes Land
als zu Beginn der Verhandlungen.
Dieser Wandel, der durch den Beitrittsprozess angestoßen wurde, wird nicht enden; er wird weitergehen. Es
ist ein neues Kapitel für das Land, das von Reformbemühungen und Anstrengungen gekennzeichnet ist. Die freiwillige Teilnahme am Europäischen Semester macht
diese Bereitschaft Kroatiens besonders deutlich.
Gerade wegen der aktuellen Lage - Stichwort „Serbien“ -, wegen der Annäherung, die dort passiert, ist es
jetzt besonders wichtig, dass der Deutsche Bundestag
und die Europäische Union ein klares Zeichen setzen,
dass sich Anstrengungen auszahlen und für mehr Stabilität im Land, in der Region und in Europa sorgen. Deswegen ist der Beitritt Kroatiens auch ein Signal für den gesamten Westbalkan.
({1})
Die EU hat eine entscheidende Rolle bei Stabilisierung und Demokratisierung gespielt. Wenn man sich einmal die Begründung für die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union anschaut, stellt man
fest, dass darin der Beitritt Kroatiens explizit als Faktor
für die Aussöhnung auf dem Balkan genannt wird. Deswegen können und sollten wir offen sagen, auch hier im
Deutschen Bundestag, dass die Europäische Union der
größte Demokratieförderer nicht nur in Europa, sondern
auch in anderen Regionen ist. Genau diese Bedeutung
des europäischen Beitrittsprozesses müssen wir immer
wieder erwähnen.
Wir haben Verantwortung, und wir nehmen sie wahr.
Als Bundestagsfraktion der FDP und als Koalition sagen
wir auch immer, dass wir uns zum Thessaloniki-Prozess
bekennen.
Der Beitrittsprozess mit Kroatien ist für den Balkan
ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratisierung
und auf dem Weg der Annäherung an die Europäische
Union. Es zeigt vor allem, dass trotz des Geredes über
die europäische Krise Europa ein Magnet für viele Länder bleibt, die Mitglied der Europäischen Union werden
wollen. Deswegen ist der Beitrittsprozess eine Erfolgsgeschichte.
({2})
Auch Deutschland profitiert vom Beitritt Kroatiens.
Viele Kollegen waren in Kroatien unterwegs und haben
gesehen, wie stark die Vernetzung ist. Gerade Mittelständler erschließen sich dort neue Märkte. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind eine Chance. Deswegen freuen wir uns.
Kroatien ist bereit, als 28. Staat der Europäischen
Union beizutreten. Der Beitritt Kroatiens ist nicht nur für
das Land selbst und für den gesamten Balkan wichtig; er
ist gut für Deutschland und - gerade in der jetzigen
Zeit - gut für Europa.
Vielen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dietmar
Nietan das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Während sich in manchen Gründungsstaaten der Europäischen Union Euroskepsis und Renationalisierung
breitmachen, freuen sich die Menschen in Kroatien auf
den Beitritt ihres Landes in die EU. Auch ich freue mich,
dass Kroatien am 1. Juli der 28. Mitgliedstaat unserer Europäischen Union wird. Ich möchte an dieser Stelle den
Menschen in Kroatien zurufen: Dobrodošla Hrvatska!
Herzlich willkommen Kroatien in der Europäischen
Union!
({0})
Oliver Luksic hat schon darauf hingewiesen: Mit keinem anderen Beitrittskandidaten ist so lange und intensiv und hart verhandelt worden, weil die Europäische
Union aus ihren Fehlern zum Beispiel bei der Aufnahme
von Bulgarien und Rumänien gelernt hat. Der Monitoringbericht vom 26. März hat deutlich gemacht, dass
Kroatien die geforderten Punkte, die noch offen waren,
erfüllt hat. Das freut uns sehr. Ich will an dieser Stelle
aber auch betonen, dass Kroatien nicht den Fehler machen darf, dass man die Haltung entwickelt: Einmal in
der Europäischen Union drin, muss man keine weiteren
Reformen machen. Es gibt für Kroatien noch viel in den
Bereichen der Bekämpfung der Korruption, der organisierten Kriminalität und der Wettbewerbsfähigkeit zu
tun. Das muss weitergehen. An dieser Stelle will ich
auch deutlich sagen, dass wir alle dafür sorgen müssen,
dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Grundwerte unserer Europäischen Union, gelten. Deshalb will
ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass ich die
Rechtsstaatsinitiative unseres Außenministers begrüße.
({1})
Ich finde es richtig, dass es Bemühungen gibt, einen
Mechanismus zum Schutz der Grundwerte der EU zu
entwickeln. Ich freue mich auch sehr, dass der Bundesaußenminister bei seiner Initiative von den drei Außenministern der Niederlande, Dänemarks und Finnlands
Unterstützung bekommen hat. Ich hoffe, dass es nur ein
Zufall ist, dass es drei Außenminister der Sozialdemokratie sind, die ihn unterstützt haben. Ich hoffe, es gibt
auch konservative Außenminister, die diese Initiative
unterstützen.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren - auch das hat Oliver
Luksic gesagt -, der Beitritt Kroatiens ist ein Signal für
die gesamte Region: für die Menschen in Serbien, im
Kosovo, in Montenegro, in Albanien, in Mazedonien
und in Bosnien-Herzegowina. Es zeigt nämlich, dass das
Versprechen der Europäischen Union von Thessaloniki
gilt: Wer sich anstrengt, wer Demokratie, Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft und Frieden mit seinen
Nachbarn ernst nimmt und dafür arbeitet, hat die
Chance, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf es keinen Zweifel geben, dass
das Versprechen von Thessaloniki weiter gilt, dass auch
nach dem Beitritt Kroatiens die Tür der Europäischen
Union für alle Staaten, die harte Reformen durchführen,
die unsere Werte erreichen wollen, weiter offensteht.
Auch das muss deutlich werden. Es gibt kein: Nach
Kroatien ist Schluss.
({3})
Es ist schon gesagt worden: Die Perspektive, Mitglied
der EU zu werden, ist der Motor für die Demokratisierungsbewegungen in den Staaten, zum Beispiel des
Westbalkan. Sie ist aber auch eine Rückversicherung dafür, den an manchen Stellen immer noch fragilen Frieden
und die noch immer fragile Stabilität dort weiter zu festigen. Deshalb muss ich hier sehr deutlich sagen: Wer davon redet, dass der EU-Erweiterungsprozess nach der
Aufnahme Kroatiens zu stoppen sei, stoppt nicht nur diesen Reformmotor, sondern handelt auch verantwortungslos im Hinblick auf eine Perspektive auf Frieden und
Stabilität in dieser Region.
({4})
Wir alle dürfen nicht vergessen, dass die Europäische
Union und wir Europäer in den Vorwehen, beim Ausbruch und während des jugoslawischen Bürgerkriegs bitter versagt haben. Ich finde, deshalb tragen wir eine Mitverantwortung für die Sicherung von Frieden, Stabilität,
Demokratie und Menschenrechten in dieser Region. Es
darf daher keinen Zweifel daran geben, dass wir den
Weg mit diesen Staaten mitgehen. Deshalb sage ich an
dieser Stelle sehr deutlich: Sollte es - hoffentlich bald das Implementierungsabkommen zwischen dem Kosovo
und Serbien geben und sollten - das ist wichtig - aus
diesem Abkommen konkrete nachprüfbare Schritte erfolgen, die zeigen, dass das nicht nur ein Stück Papier
ist, sondern dass man die Normalisierung zwischen Kosovo und Serbien voranbringen will, dann darf es keinen
Zweifel daran geben, auch nicht in diesem Hohen Hause,
dann muss Serbien ein Beitrittsdatum genannt bekommen, damit die Menschen, die jetzt in Serbien diese Reformen durchführen, sehen, dass auch für Serbien gilt:
Wer die Bedingungen erfüllt, kann sich auf uns verlassen
und bekommt dann auch ein faires Angebot für den EUBeitritt.
Am Ende möchte ich sagen: Viele Menschen in Kroatien freuen sich sicherlich; denn für viele Menschen dort
- das ist dort vielleicht stärker der Fall als bei uns - ist
die Europäische Union immer noch ein großes Friedensprojekt. Für die Menschen in der kroatischen Stadt
Vukovar ist der Krieg noch eine reale Erfahrung. Es ist
noch keine 22 Jahre her, dass die Stadt einer schlimmen
Belagerung und Massakern ausgesetzt war. Für die Menschen Vukovars ist die Europäische Union der sichere
Hafen für Frieden und Stabilität. Diesen sicheren Hafen
für Frieden und Stabilität sollen aber nicht nur die Menschen in Vukovar, sondern alle Menschen in dieser Region bald erreichen. Deshalb müssen wir weiter hart daran arbeiten, glaubwürdig zu bleiben. Wer Reformen
eingeht, wer ein verlässlicher Partner ist, erhält unsere
ausgestreckte Hand. Darauf müssen sich die Menschen
verlassen können. In diesem Sinne sage ich gerne noch
einmal: Herzlich willkommen, Kroatien!
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Thomas Dörflinger.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 19. Mai
1991 war der Tag, an dem sich die Mehrheit der Kroatinnen und Kroaten in einem Referendum für die Unabhängigkeit vom bisherigen jugoslawischen Bundesstaat ausgesprochen hat. Wenige Wochen später, im Juni desselben Jahres, erklärte Kroatien einseitig seine Unabhängigkeit. Nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber
hinaus gab es viele, die mit der Position der seinerzeitigen Bundesregierung, namentlich mit der Position von
Hans-Dietrich Genscher als Bundesaußenminister und
von Bundeskanzler Helmut Kohl, die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens anzuerkennen, kritisch umgegangen
sind.
({0})
- Wir erinnern uns, Herr Bundesaußenminister. - In der
Rückschau können wir durchaus feststellen, dass die
Position der Bundesregierung von damals einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, Kroatien den Weg nach
Europa zu ebnen und so ein Stück Vorarbeit dafür geleistet hat, dass Kroatien in wenigen Tagen Mitglied der Europäischen Union werden kann.
({1})
In früheren Jahren und Jahrzehnten, schon aus historischen Gründen, ist der Balkan nicht selten als das Pulverfass Europas bezeichnet worden. Vor dem Hintergrund,
dass die Europäische Union Trägerin des Friedensnobelpreises geworden ist, ist dies - da teile ich die Einschätzung des einen oder anderen Vorredners - ein Stück ganz
konkrete und praktizierte Friedenspolitik. Durch den Beitritt Kroatiens und durch die Ebnung des Weges für andere Staaten des Westbalkan können wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass es in dieser Region und in
Europa in der Zukunft nicht wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen kann, da die Europäische
Union sich als ein Friedensprojekt eo ipso begreift.
({2})
Kroatien hat - das darf man wohl mit Fug und Recht
behaupten - mit die strengsten Beitrittsverhandlungen
hinter sich gebracht, die es mit Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union je gegeben hat. Ich gestehe
gerne ein, Herr Botschafter, dass nicht nur der Deutsche
Bundestag in Gänze, sondern speziell auch die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion nicht immer nur ein bequemer
Gesprächspartner für Kroatien waren. Ich sage das nicht,
um mich dafür zu entschuldigen, sondern um zu bekräftigen, dass unsere Haltung richtig war. Ich sage das
auch vor dem Hintergrund, dass der Kollege
Dr. Schockenhoff erst vor wenigen Wochen wieder im
Rahmen einer Fact Finding Mission in Kroatien war, um
im Zusammenhang mit dem abschließenden „Monitoring-Bericht über die Beitrittsvorbereitungen Kroatiens“
der Europäischen Kommission ein Auge darauf zu werfen, ob denn die Left-overs in den verschiedenen Verhandlungskapiteln tatsächlich abgearbeitet sind und ein
Zustand herbeigeführt worden ist, der es erlaubt, dass
Kroatien tatsächlich beitreten kann. Es hat uns alle gefreut, dass er von seiner Mission die Botschaft mitgebracht hat, dass dies erfolgreich abgeschlossen worden
ist.
An dieser Stelle können wir ein Dankeschön an unsere kroatischen Partnerinnen und Partner sagen, aber
auch, Herr Botschafter, an die Botschaft hier in Berlin,
denn zu jedem Zeitpunkt war es ein konstruktives Miteinander. Man hat das ehrliche Bemühen gespürt. Man hat
sich also nicht darauf verlassen, dass der Beitrittsprozess
quasi ein Selbstläufer ist, sondern aus der Einsicht, dass
Kroatien wesentliche Beiträge zum Beitrittsprozess leisten muss, dafür gearbeitet.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will zwei Punkte nennen, die für Kroatien sicher nicht einfach waren. Als Erstes nenne ich die Umstrukturierung und Privatisierung
im Bereich der Werften. Es ist erst kurze Zeit her, dass
dies tatsächlich abgeschlossen worden ist. Als Zweites
möchte ich den Sektor der Justiz nennen. Uns allen sind
in den letzten Tagen E-Mails und Schreiben mit dem
Ziel zugegangen, die Beitrittsreife Kroatiens in Zweifel
zu ziehen. Das konnte ich schon deshalb nicht nachvollziehen, weil man einerseits einem unserer deutschen
Berater in Kroatien, dem früheren thüringischen Staatssekretär Haußner, pauschale Urteile und Polemik unterstellt hat, aber dieses Pamphlet, das uns zuging, andererseits genau jene Polemik und Unsachlichkeit beinhaltete,
die man Herrn Haußner vorwarf; es passte auch inhaltlich nicht ganz. Ich sage vor dem Hintergrund dessen,
was wir in den letzten Wochen und Monaten festgestellt
haben: Kroatien hat einen harten Weg hinter sich gebracht und ihn erfolgreich abgeschlossen, meine Damen
und Herren.
Ich will noch ein Wort zu den Entschließungsanträgen
sagen, die uns heute vorliegen und die wir mitberaten.
Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion können
diese Anträge nicht mit unserer Zustimmung versehen.
Warum? - Ich glaube, dass die Beratungen im Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union, aber
auch hier im Deutschen Bundestag in den letzten Wochen und Monaten ein Beweis dafür waren und sind, wie
Beitrittsverhandlungen - am Beispiel Kroatien kann man
das sehr schön nachvollziehen - für die Öffentlichkeit in
ausreichendem Maße transparent gestaltet werden können; das wird auch in Zukunft so sein. Deswegen können
wir uns Bemühungen, die darauf zielen, diesen Prozess
noch transparenter zu gestalten, im Grunde genommen
sparen. Wir sind heute an einem Punkt, an dem der Prozess transparent ist.
Ich habe mich - das sage ich auch mit Blick auf die
Beratungen, die wir im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union geführt haben - etwas über
den Inhalt des einen oder anderen Entschließungsantrages zum Thema Freizügigkeit gewundert. Denn ich habe
natürlich noch im Ohr und im Gedächtnis, wie sich die
damalige rot-grüne Bundesregierung bei der großen Erweiterungsrunde 2004 verhalten hat, als Bundeskanzler
Gerhard Schröder im deutschen Interesse sehr darauf gedrungen hat, die Freizügigkeit in einem abgestuften Verfahren umzusetzen, durchaus mit unserer Zustimmung
als seinerzeitige Opposition. Die Regelung zur Freizügigkeit, die Gegenstand der Begleitgesetzgebung der
Bundesregierung ist, wird von Rot-Grün nun nicht nur
im Bundesrat infrage gestellt, sondern auch im Bundestag. Diesen Kurswechsel kann ich nicht nachvollziehen;
wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden da
auch nicht mitgehen.
Nachdem mir der Kollege Hartwig Fischer eben, vor
Beginn der Debatte, einen Mini-Crashkurs in Kroatisch
gegeben hat, möchte ich dem Auftrag nachkommen, den
er mir erteilt hat. Weil ich mich in Ihrer Sprache, Herr
Botschafter, zugegebenermaßen nicht so gut auskenne,
({4})
konzentriere ich mich auf das, was mir der Kollege
Fischer beigebracht hat. In seinem Auftrag, aber auch im
Auftrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich
Kroatien nicht nur in der Europäischen Union willkommen heißen, sondern Ihnen auch ein fröhliches „Živjeli!“
zurufen.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege
Thomas Nord.
({0})
Herr Präsident! Herr Botschafter! Sehr geehrte Damen und Herren! Kroatien hat - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - bis zum Beitritt zur Europäischen
Union einen langen Weg zurückgelegt, einen längeren
als alle anderen Beitrittsländer bisher. Nun jedoch wird
Kroatien am 1. Juli dieses Jahres das jüngste Mitglied
der Europäischen Union. Das ist für viele Menschen dort
und auf dem Westbalkan ein Grund zur Freude. Das positive Referendum zum EU-Beitritt in Kroatien ist für
uns ein wesentliches Argument, um ihm zuzustimmen;
denn für uns ist die Akzeptanz des Beitritts in den Ländern selbst entscheidend für unsere eigene Zustimmung.
({0})
Das 2003 gegebene Versprechen einer Beitrittsperspektive an den gesamten Westbalkan - davon war hier
schon die Rede - darf angesichts der momentanen Krise
der Euro-Zone und der Europäischen Union nicht zurückgenommen werden. Deutschland steht da gerade angesichts der politischen Mitverantwortung für den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens - und hier trennen sich
die Wege - aus unserer Sicht in moralischer Verantwortung.
({1})
Wer an dieser Stelle sagt, dass Kroatien von der Anerkennung als unabhängiger Staat bis zum heutigen Tag
eine geradlinige Entwicklung vollzogen hat, der blendet
einen Bürgerkrieg aus, der Zehntausende Tote gefordert
hat. Ich finde, das kann man hier nicht machen.
({2})
Gerade das aktuelle Abkommen zwischen Serbien
und Kosovo besagt im Kern, dass sich beide Seiten auf
dem Weg in die Europäische Union keine Hürden in den
Weg stellen wollen. Das zeigt: Die Beitrittsperspektive
ist der einzige positive Anreiz für einen rationalen Umgang zwischen nach wie vor verfeindeten Parteien. Ein
wirklicher Aussöhnungsprozess oder gar eine Anerkennung des Kosovo als eigenständiger Staat durch Serbien
kann hieraus eben nicht abgeleitet werden. Erst die Praxis der nächsten Zeit wird erweisen, welche Substanz
dieses Abkommen hat.
Allerdings gibt es auch in Kroatien Menschen, die
den Beitritt nicht mit Freude, sondern eher mit Sorge erwarten, und das sind bei weitem nicht alles unbelehrbare
Nationalisten. Es gibt Sorgen und Bedenken, auch in
Kroatien, die wir ernst nehmen sollten. Von 1,7 Millionen erwerbsfähigen Menschen in Kroatien sind 370 000
arbeitslos. Der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisierung der Werften hat hier mehr geschadet, als dass er
genutzt hat. Das Wirtschaftswachstum fiel im Vorjahr
um 1,9 Prozent. Das Haushaltsdefizit stieg zuletzt auf
5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein großer Investitionsboom wird mit dem Beitritt in Kroatien nicht
erwartet. Kroatien wird mit dem EU-Beitritt Handelsvorteile verlieren, und nur vom Tourismus wird auch
Kroatien auf Dauer nicht leben können.
({3})
Gerade an Beitrittsstaaten wie Kroatien wird deutlich:
Die mit dem Beitritt auferlegte Wirtschaftspolitik von
Deregulierung, Privatisierung und Abbau öffentlicher
Leistungen ist kein zukunftsfähiger Weg für Europa und
die Europäische Union.
({4})
Im Gegenteil, wie die aktuelle Lage in Griechenland,
Spanien, Portugal, Zypern usw. zeigt: Dieser Weg gefährdet nicht nur die Existenz der Euro-Zone,
({5})
sondern der Europäischen Union insgesamt, Kollege
Luksic.
Notwendig sind gerade auf dem Westbalkan auch öffentliche Programme, also zum Beispiel EU-Investitionsprogramme zur Reindustrialisierung der Region.
Das kann übrigens zum Vorteil für alle Mitgliedstaaten
und ein guter Weg zur Überwindung der Krise insgesamt
sein. Wer sich nur auf private Investoren verlässt, wird
noch die letzte Privatisierung der Telekommunikation
bekommen, und das war es dann. Die Politik der Troikas, der Schuldenbremsen und der Kürzung der Mittel
für die EU ist, aus unserer Sicht jedenfalls, ein Irrweg.
({6})
Die Kritik an der jetzigen neoliberalen EU-Politik
kann aber nicht dazu führen, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung abzulehnen.
({7})
Nach Slowenien wird nun ein zweiter Staat, der aus dem
Zerfall Jugoslawiens hervorging, der Europäischen
Union beitreten. Damit wird der Beschluss von Thessaloniki weiter umgesetzt. Durch diese Umsetzung wird
wieder ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger
der Staaten, die aus dem blutigen Konflikt in Jugoslawien hervorgegangen sind, in einer gemeinsamen Union
ermöglicht.
Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens zu, weil damit die Aussicht verbunden ist, einen jahrhundertealten
Konflikt beizulegen und dem gesamten Westbalkan eine
Friedensperspektive zu bieten.
({8})
Dauerhaft, meine Damen und Herren, wird diese Friedensperspektive für den Westbalkan und ganz Europa
nur dann sein, wenn die jetzige selbstzerstörerische Politik in der Europäischen Union
({9})
von einer solidarischen, gerechten und demokratischen
Politik für die Menschen in der EU insgesamt abgelöst
wird.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich persönlich teile nicht viel von dem, was Herr Nord in
seiner Rede gesagt hat. Ich freue mich aber ausdrücklich
darüber und erkenne an, dass wir hier mit allen Fraktionen dieses Hauses diesen Beitrittsvertrag ratifizieren. An
dieser Stelle möchte ich auch einmal sagen: Kompliment
an die Linkspartei.
({0})
Von mir kommt das nicht so häufig, aber es ist verdient.
Ich finde es auch gut, dass Sie am Schluss Ihrer Rede
zum Ausdruck gebracht haben, dass die EU, an der es
natürlich immer viel zu kritisieren und noch mehr zu
verbessern gibt, trotzdem eine unglaubliche Kraft hat
und die EU auch als Friedensprojekt keineswegs passé
ist. Deswegen ist es wichtig, dass man zu diesem Projekt
steht.
({1})
Meine Damen und Herren! Herr Botschafter! Es gibt
in Kroatien einen Spruch, der an mich herangetragen
wurde: Der Hase ist noch im Wald, das Feuer muss noch
nicht angemacht werden. - Ich glaube, wir können an
dieser Stelle sagen, dass die Republik Kroatien in den
letzten Jahren wirklich viel getan hat, um die Voraussetzungen zu erfüllen, die ihr von der Kommission und den
Mitgliedstaaten auferlegt wurden. Kroatien ist durch einen echten Transformationsprozess gegangen. Kroatien
hat viel geliefert. Wenn ich Kroatien sage, dann meine
ich damit ausdrücklich nicht nur die jetzige oder die vorherige Regierung, die Politik oder die Wirtschaft, sondern eben auch die Zivilgesellschaft. Dieser Beitrittsprozess verlief nur deshalb so erfolgreich, wie er sich bis
jetzt darstellt, weil die gesamte Gesellschaft mitgezogen
und mitgegangen ist. Es gab also einen wirklichen politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozess im
Lande. Das ist das Besondere.
({2})
An dieser Stelle muss man sagen: So ein Transformationsprozess ist natürlich nie an einem Punkt zu Ende.
({3})
Zu den Äußerungen unseres Präsidenten, des Bundestagspräsidenten, muss man hier, so glaube ich, deutlich
sagen: Natürlich muss dieser Transformationsprozess
weitergehen. Das, Herr Dörflinger, ist der Grund für unseren Entschließungsantrag. Wir wollen, dass dieser entscheidende Akteur, die unabhängige Zivilgesellschaft,
die die Politik immer wieder getrieben hat - bei der Bekämpfung der Korruption, in Sachen Rechtsstaatlichkeit
und Anerkennung von Minderheitenrechten, beim
Thema Umweltschutz und beim Thema Naturschutz,
weil Naturschutz und Umweltschutz in vielfacher Hinsicht die beste Versicherung gegen Korruption sind -,
jetzt, wo Brüssel als überwachendes Element wegfällt,
weiterhin eine wichtige Rolle in der innerstaatlichen Debatte in Kroatien spielt. Sie muss weiterhin Gehör finden, um der Politik weiterhin Dampf machen zu können.
({4})
Dieses Dranbleiben können wir Kroatien zutrauen.
Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass es einen
breiten gesellschaftlichen und überparteilichen Konsens
gibt, die Herausforderungen anzugehen. Die Schwierigkeiten, die Herausforderungen, das, was an Transformation noch in Kroatien stattfinden soll, soll in einem
Kroatien stattfinden, das gleichberechtigtes Mitglied der
EU der 28 ist und nicht mehr außen vor der Tür steht.
Das ist unser Ziel für die Zusammenarbeit mit Kroatien
in den nächsten Jahren.
Es ist auch eine Frage der Fairness. Auch angesichts
der wirtschaftlichen Probleme in Kroatien, die Herr
Nord gerade genannt hat, ist es nur fair, jetzt zu sagen:
Wir gehen diesen Weg gemeinsam. Wer sich jetzt gegen
diesen Beitritt aussprechen würde, würde nicht nur die
Chancen für das Land verringern, sondern auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Landes gefährden.
Wir Grünen richten eine ganze Reihe von Wünschen
an Kroatien, Herr Botschafter. Diese kennen Sie zum
größten Teil schon. Neben der Frage der Transformation
des Landes ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, dass der Beitritt Kroatiens wirklich ein Teil des
Friedensprojektes für die gesamte Region ist. Es gab in
den letzten Jahren gewisse Schwierigkeiten, hinsichtlich
eines Beitritts Kroatiens immer überall Einstimmigkeit
herzustellen. Wir erwarten nun natürlich - das wissen
Sie -, dass es den nächsten Staaten, die beitreten wollen,
nicht ähnlich ergeht. Ich glaube, es ist entscheidend, dass
wir in Kroatien einen starken Partner haben, der sich darum kümmert, Bosnien und Herzegowina als direkt angrenzendem Staat in der Region so viele Chancen wie
möglich einzuräumen, damit es an den Möglichkeiten,
die Kroatien durch die EU hat, partizipieren kann. Dabei
geht es um Grenzübergänge und um Handelspolitik, aber
natürlich auch um institutionelle Hilfe beim EU-Beitritt.
Es ist einer der wichtigsten Punkte auf unserem Wunschzettel an das EU-Mitglied Kroatien, dass wir uns gemeinsam mehr um die Zukunft von Bosnien und Herzegowina kümmern.
({5})
Meine Damen und Herren, es muss unser Ziel sein,
wirklich offen für junge Leute aus ganz Europa zu sein.
Die Betonung der Tatsache, dass 2030 in Deutschland
6 Millionen Erwerbspersonen weniger sein werden - dies
hat die Bundeskanzlerin diese Woche auf dem großen
Demografiegipfel gesagt -, ist die beste Antwort auf Ihre
ablehnende Haltung zu den Entschließungsanträgen von
Rot und Grün. Wir sollten nicht den Fehler machen, die
Arbeitnehmerfreizügigkeit in Bezug auf Kroatien einzuschränken.
({6})
Ich komme zum Schluss.
({7})
Unter Bezugnahme auf das genannte kroatische Sprichwort „Man sollte das Feuer nicht anmachen, wenn der
Hase noch im Wald ist“ möchte ich sagen: Liebe Menschen in Kroatien, lieber Herr Botschafter, Sie können
jetzt getrost das Feuer anstecken, denn der Hase nähert
sich durch diese Abstimmung sprichwörtlich dem Topf.
Darüber freuen wir uns.
Danke sehr.
({8})
Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Guido
Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Nur anderthalb Jahrzehnte nach Krieg, schweren Menschenrechtsverletzungen und Vertreibung integrieren wir Kroatien in das
große europäische Friedensprojekt. Kroatien ist geschichtlich und auch kulturell ein zutiefst europäisches
Land, und jetzt wird es auch Teil unserer politischen Familie. Ich denke, wir können parteiübergreifend feststellen: Diese Debatte mag unspektakulär und unaufgeregt
verlaufen, aber das Ergebnis ist historisch. Wir gratulieren Ihnen, Herr Botschafter, stellvertretend für das kroatische Volk.
({0})
Kroatien hat unter großen Anstrengungen sein Staatswesen aufgebaut und seit seinem Beitrittsantrag 2005
seine politische, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung am Standard der Europäischen Union ausgerichtet.
Bei der Erfüllung der Kriterien und Auflagen für die
Mitgliedschaft gab und gibt es keine Rabatte. Kroatien
wird als vollwertiges europäisches Mitglied den allgemeinen Überwachungsmechanismen unterworfen sein.
Ich begrüße die Versicherungen der kroatischen Regierung, auch nach dem Beitritt bei den Reformanstrengungen nicht nachzulassen. Dies ist nicht der Schlusspunkt
einer Entwicklung. Die Entwicklung geht weiter.
Der Beitritt Kroatiens zeigt, dass die Strahlkraft der
Europäischen Union ungebrochen ist. Europa ist eben
nicht nur Krise. Die europäische Perspektive ist der
Treibstoff für den Reformmotor in unserer Nachbarschaft. Diejenigen, die schon länger in diesem Hohen
Haus Mitglied sind, erinnern sich bestimmt an manche
Debatte, die wir gerade über den Balkan geführt haben.
Was haben wir hier manchmal mitgelitten? Was haben
wir über die Kriege gesprochen, über die Tausende von
Toten? Was haben wir über die vielen Vertriebenen gesprochen, die Flüchtlinge, die auch in unser Land gekommen sind? Denken wir einmal daran, welche Debatten es in den 90er-Jahren gab, zum Beispiel unsere
Beratungen im alten Deutschen Bundestag in Bonn.
Dass wir heute so weit sind, erfüllt mich und, wie ich
glaube, alle Kolleginnen und Kollegen mit ganz großem
Glück.
Europa ist attraktiv - das ist die Nachricht, die heute
an alle Bürgerinnen und Bürger Europas gesendet wird.
Vielen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Josip Juratovic.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kroatiens Beitrittsprozess war so lang und so
intensiv wie kein anderer EU-Beitrittsprozess zuvor, und
das war gut so. Der Beitrittsprozess hat die kroatische
Gesellschaft reifen lassen. Nach der Monarchie, dem Faschismus, dem Kommunismus und dem nationalistischen Postkommunismus ist Kroatien endlich in einer
funktionierenden Demokratie angekommen. Mit den
Forderungen der EU nach mehr Demokratie und nach effizienter und unabhängiger Justiz hat sich die kroatische
Gesellschaft modernisiert. Dass Kroatien der EU beitritt,
ist nicht nur für die Kroatinnen und Kroaten gut, sondern
auch für die Europäische Union, und zwar aus vier
Gründen:
Erstens. Dank seiner Reife kann Kroatien mit seinen
Herausforderungen jetzt selbstständig umgehen.
Zweitens. Kroatien übernimmt eine Vorbildfunktion
für die anderen Staaten des westlichen Balkans. Das Beispiel Kroatien zeigt: Es lohnt sich, Reformen durchzuführen.
Drittens. Kroatien nimmt eine aktive Vermittlerrolle
zwischen der EU und dem westlichen Balkan ein. Dadurch ist Kroatien ein Garant für Frieden und Stabilität
in Südosteuropa.
Viertens. Kroatien wird innerhalb der EU ein verlässlicher Partner bei der Lösung der europäischen Herausforderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich spreche heute
aber nicht nur zu diesem feierlichen Anlass. Wir als
SPD-Fraktion fordern die sofortige Arbeitnehmerfreizügigkeit für die kroatischen EU-Bürger.
({0})
Europa ist eine Wertegemeinschaft. Zu den Werten
unserer Gemeinschaft zählen vor allem Frieden, Freiheit
und Solidarität. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die
Übersetzung des europäischen Freiheitswertes in ein
konkretes Recht für jeden Einzelnen. Dieses Freiheitsrecht muss vor allem für die Menschen gelten; es darf
nicht nur für den freien Verkehr von Waren und Kapital
gelten. Wir dürfen die Menschen nicht in „brauchbar“
und „unbrauchbar“ einteilen, nach dem Motto: Die einen
lassen wir rein, die anderen nicht. Jeder europäische
Bürger hat das Recht auf diese Freiheiten und sollte gleiche Chancen auf Arbeit haben.
({1})
Nun gibt es Kritiker, die Panik verbreiten, dass unser
Arbeitsmarkt überschwemmt würde. Doch es gibt keinen Grund zur Panik. Denn die Erfahrungen aus den vergangenen EU-Beitritten zeigen: Diejenigen, die kommen
wollen, kommen so oder so nach Deutschland, ob sie regulär arbeiten dürfen oder nicht. Wenn sie nicht als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten dürfen,
dann zwingen wir sie allerdings in ihrer Not in die
Scheinselbstständigkeit und in die Schwarzarbeit. Das
ist Ausbeutung. Das kann nicht in unserem Sinne sein.
({2})
Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit stärken wir hingegen
gute Arbeit in Deutschland und in Europa.
Wir machen einen Fehler, wenn wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien mit der sogenannten Armutszuwanderung aus Südosteuropa vermischen. Die
Armutszuwanderung ist ein europaweites Phänomen,
das auch europaweit gelöst werden muss. Vor allem
brauchen wir eine Lösung, wie die Kommunen entlastet
werden, die so knapp bei Kasse sind, dass schon verhältnismäßig wenige Asylbewerber eine finanzielle Herausforderung darstellen.
Der Bundesrat hat die Bedeutung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits erkannt und beschlossen, dass keine
Übergangsfristen für Kroatien gelten sollen. Die Bundesregierung will jedoch, dass Deutschland die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien einschränkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Gewähren Sie den kroatischen EU-Bürgern die gleichen
Rechte, die für alle Europäer gelten!
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zur Europäischen Union war für Kroatien sehr lang. Kroatien hat
dabei viel Unterstützung aus Europa erfahren, insbesondere aus Deutschland. Der Vorsitzende des Europaausschusses im kroatischen Parlament, Daniel Mondekar,
hat mich darum gebeten, in seinem Namen dem Bundestag für diese großartige Unterstützung zu danken. Dem
Dank schließt sich auch der kroatische Botschafter
Dr. Kovač an. Auch für mich als gebürtigen Kroaten
geht mit dem EU-Beitritt Kroatiens ein Traum in Erfüllung. Dafür danken wir allen Fraktionen dieses Hauses,
die den Beitritt Kroatiens aktiv und konstruktiv begleitet
haben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kroatien wird der
Europäischen Union in einer schweren Wirtschafts- und
Finanzkrise beitreten. Kroatien ist bereit, einen aktiven
Beitrag zu leisten, damit die EU diese Krise bald hinter
sich lässt. Dies ist eine ermutigende Nachricht. Erstens
zeigt dies, dass Solidarität nicht nur von der EU einem
Beitrittskandidaten gewährt wird, sondern diese auch erwidert wird. Zweitens zeigt der Beitritt Kroatiens, dass
das europäische Projekt nicht der Vergangenheit angehört, sondern der Zukunft.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Karl Holmeier.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr
Botschafter! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in
einer Zeit, in der diejenigen, die an der europäischen
Idee zweifeln, immer lauter das Wort ergreifen, in einer
Zeit, in der Europaskeptiker leider immer mehr Gehör
finden, zuerst ein paar Worte an die Kritiker eines Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union
richten: Am 1. Juli dieses Jahres wird nicht irgendein
Land das 28. Mitglied der Europäischen Union, am
1. Juli tritt ein Land der Europäischen Union bei, das
eine lange europäische Tradition hat und das im Übrigen
ein traditionell sehr beliebtes Urlaubsland von uns Deutschen ist.
Mit Kroatien tritt aber auch ein Land der Europäischen Union bei, das einen unvorstellbar langen und
steinigen Weg gegangen ist, um dort anzukommen, wo
es heute steht. Ich denke dabei zum einen an die schrecklichen Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, an die
Kriegsereignisse, nach denen das Land erst mühsam
wiederaufgebaut werden musste. Zum anderen denke ich
aber auch an das Beitrittsverfahren, das Kroatien durchlaufen hat: Es war eines der längsten und inhaltlich
strengsten in der Geschichte der Erweiterung der Europäischen Union.
Kroatien bekam die Konsequenzen zu spüren, die die
Europäische Union aus den negativen Erfahrungen mit
vergangenen Beitritten gezogen hat. So hat die Europäische Union den Beitritt Kroatiens nicht, wie von einigen
gefordert, schon im Jahr 2012 vollzogen und sich auf ein
sogenanntes Nachmonitoringverfahren eingelassen,
({0})
sondern ganz genau darauf geachtet, dass sämtliche Voraussetzungen für einen Beitritt Kroatiens vollumfänglich erfüllt sind. Das war langwierig und hart für die
Kroaten; aber es hat sich, glaube ich, ausgezahlt. Die Europäische Kommission hat Kroatien dann am 26. März
2013 die Beitrittsreife in vollem Umfang bestätigt. Es ist
daher nur folgerichtig, dass wir heute auch im Deutschen
Bundestag dem Beitritt Kroatiens zustimmen. Darüber
freue ich mich für Kroatien und für die Menschen in diesem Land.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer
Zeit der Krisen, in der zunehmend die Tendenz vorherrscht, nach einer Stärkung der Nationalstaaten zu rufen, einen Austritt aus der Euro-Zone zu fordern oder sogar über einen Austritt aus der Europäischen Union
nachzudenken, sollte man sich immer wieder klarmachen, welchen unschätzbaren Wert die Europäische
Union für uns alle hat. Die Europäische Union hat nicht
ohne Grund den Friedensnobelpreis bekommen. Die europäische Integration ist der Garant für Frieden, Freiheit,
Wohlstand und die Wahrung gemeinsamer Werte in Europa.
Gerade wir Deutsche haben seit der Gründung der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von den
positiven Aspekten der europäischen Integration profitiert wie kaum ein anderes Land in Europa. Wir leben
seit 68 Jahren in Frieden mit unseren europäischen Partnern. Das ist eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. Der Wohlstand der Menschen in Europa ist stetig gewachsen, vor allem im Vergleich zu
vielen anderen Ländern der Welt. Wir haben mit dem
Maastrichter Vertrag eine echte Wertegemeinschaft geschaffen, die auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht. Wir haben eine Gemeinschaft geschaffen, die weltweit einzigartig ist und in der sich die
Menschen völlig frei bewegen und frei entscheiden können, wo sie leben und wo sie arbeiten möchten.
Mit der jetzigen Aufnahme Kroatiens gehen wir diesen Weg in eine europäische Integration konsequent weiter. Wir geben diesem Land damit nicht nur die Möglichkeit, von den zahlreichen Vorteilen der Union ebenfalls
zu profitieren. Wir geben Kroatien auch eine Perspektive
für eine positive Zukunft und setzen zugleich ein klares
Zeichen für Stabilität, um die Attraktivität und die Chancen der europäischen Wertegemeinschaft zu verbessern.
Gerne möchte ich an dieser Stelle aber auch ein paar
Worte an die Kroaten selbst richten. Zunächst möchte
ich den Kroaten ein großes Lob und die ausdrückliche
Anerkennung für die Arbeit aussprechen, die dieses
Land in den letzten Jahren, Monaten und Wochen geleistet hat. Wir alle wissen, wie schwierig der Weg zu grundlegenden Reformen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Gemeinschaft mit künftig 28 Mitgliedstaaten ist es unerlässlich, eine gemeinsame Basis zu haben, auf der man
sich begegnet. Die weltweit einzigartigen Freiheiten und
Vorteile, die die Europäische Union gewährt, erfordern
einheitliche Regelungen, an die sich alle Beteiligten halten müssen.
Die Europäische Kommission hat daher den Kroaten
noch im Oktober vergangenen Jahres klarmachen müssen, dass die von ihr aufgezählten Mängel zwingend beseitigt werden müssen, bevor ein Beitritt stattfinden
kann. Das war kurz vor dem Ziel noch einmal ein harter
Schlag für das Land; denn damit war klar, dass Kroatien
nicht beitreten kann, wenn nicht innerhalb kürzester Zeit
erhebliche weitere Reformanstrengungen unternommen
werden. Kroatien hat hart gearbeitet und darf nun den
verdienten Lohn dafür ernten.
Ich gratuliere dem Land und den Menschen hierzu
und freue mich, dass wir Kroatien am 1. Juli 2013 als
28. Mitgliedsstaat und künftigen neuen Partner innerhalb
der Europäischen Union begrüßen dürfen.
In meiner Heimatgemeinde gibt es eine einzigartige
Europaallee, sozusagen einen kleinen Wanderweg durch
Europa. In dieser Allee ist für jedes Land der Europäischen Union ein landestypischer Baum gepflanzt. Die
Menschen können hier einen Spaziergang durch Europa
machen; vor allem viele Schüler kommen hierher. Ich
freue mich daher ganz besonders, dass nach dem Beitritt
Kroatiens im Juli der Baum für Kroatien gepflanzt werden kann. Ich darf Sie, sehr verehrter Herr Botschafter,
zu diesem Termin recht herzlich in meine Heimatgemeinde einladen.
In diesem Sinne: Herzlich willkommen, Kroatien! Alles Gute und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
in der Europäischen Union!
Vielen Dank.
({1})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Horst Meierhofer von
der FDP-Fraktion.
({0})
- Ich bitte Sie, die drei Minuten noch in Ruhe abzuwarten und zuzuhören, weil dann die namentliche Abstimmung folgt. - Bitte, Herr Meierhofer.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Vorsitzender
der Deutsch-Kroatischen Parlamentariergruppe - dies
darf ich seit dreieinhalb Jahren sein - als Letzter zu diesem wichtigen Tagesordnungspunkt sprechen darf. Ich
glaube, wenn man die Begegnungen in Kroatien erlebt
hat und gesehen hat, welches Ansehen Deutschland in
Kroatien genießt, dann weiß man, dass wir uns auf einen
wirklich engen Freund Deutschlands in der Europäischen Union freuen dürfen.
({0})
Deutschland ist seit wirklich langen Jahren ein besonders enger Freund. Wir haben das vorhin schon in einer
anderen Intonation, als es mir recht wäre, gehört. Dabei
ging es auch um die Anerkennung und die Rolle, die
Hans-Dietrich Genscher damals gespielt hat. Spätestens
seitdem gibt es eine besonders gute und vertrauensvolle
Zusammenarbeit, die über die Jahre fortgesetzt und jetzt
in dem Beitrittsprozess in vielen Kleinigkeiten, aber
auch bei vielen wichtigen Punkten unterstrichen wurde,
zum Beispiel durch den bereits erwähnten Staatssekretär
Haußner, der im Justizministerium mitgeholfen und den
Kroaten gezeigt hat, wie sie im Justizsystem noch etwas
verbessern können. Er trat nicht als Lehrmeister von außen auf, sondern hat sich als Teil Kroatiens verstanden.
Ich glaube, das kam sehr gut an. Dafür auch herzlichen
Dank ans Auswärtige Amt, das dies zusammen mit dem
Freistaat Bayern ermöglicht hat.
({1})
Bei vielen Besuchen hatten wir auch die Möglichkeit,
mit jungen Menschen zusammenzukommen. Man
konnte erkennen, wie weltoffen, neugierig und europäisch die Kroaten - gerade die jungen Kroaten - geprägt sind und dass sie mit den alten Gefechten und
Schwierigkeiten, die es in Ex-Jugoslawien noch gibt,
nichts mehr zu tun haben und sich ganz anders orientieren. Auch deswegen ist es besonders wichtig, dass Kroatien jetzt endlich diese Chance hat.
Ich finde es ebenso besonders erfreulich, dass der sozialdemokratische Staatspräsident Josipovic immer wieder auch die eigene Schuld darstellt. Es ist eine Leistung,
so kurz nach einer Zeit, in der man Opfer eines Krieges
war, trotzdem zu sagen: Auch wir haben Fehler gemacht.
Das spricht für eine große demokratische Reife. Auch
das zeigt, wie wichtig Kroatien als Anker für die Region
ist und welche Möglichkeiten Kroatien haben wird, die
Nachbarn mit auf den Weg zur europäischen Integration
zu nehmen, auf die wir uns alle freuen.
Viele von uns denken, dass Kroatien relativ weit weg
ist. Aus München fliege ich eine Stunde nach Berlin;
nach Kroatien, nach Zagreb, dauert der Flug von München 45 Minuten. Daran erkennt man, wie nah wir zuHorst Meierhofer
sammen sind. In den Köpfen ist dieses Bewusstsein oft
noch nicht so ausgeprägt, außer vielleicht bei dem einen
oder anderen im Urlaub: Wir gehören zusammen, und
wir müssen in der Europäischen Union gut zusammenarbeiten.
Der Außenminister hat es bereits gesagt: Der Beitritt
ist nicht das Ende des Weges, sondern er ist der Anfang.
Das wissen auch die Kroaten. Sie haben sich im letzten
Jahr, in einer Zeit, als die Europäische Union schon
große Schwierigkeiten hatte, in einem Referendum mit
einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln ganz klar für
die Europäische Union ausgesprochen. Der Botschafter
selbst hat gesagt, dass sich vielleicht die Euphorie hin
zum Realismus gewandelt habe. Aber ich glaube, es ist
keine schlechte Grundvoraussetzung, wenn man sich
trotz der schwierigen Zeiten klar zu Europa bekennt.
Darauf und darüber freuen wir uns. Wir freuen uns
auf Kroatien, wir freuen uns auf einen deutschen und auf
einen europäischen Freund. Herzlich willkommen!
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich Ih-
nen mitteilen, dass zahlreiche Erklärungen nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vorliegen, die zu Protokoll ge-
nommen werden.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union. Der Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13444, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11872 anzunehmen.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich
noch darauf hinweisen, dass wir nun drei namentliche
Abstimmungen durchführen werden. Wir führen jetzt
gleich die namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf zu dem Vertrag über den Beitritt Kroatiens durch,
anschließend folgt ohne Debatte die namentliche Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 57 c betreffend die
Sammlung von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt und schließlich die namentliche Abstimmung zu
Tagesordnungspunkt 9 über den Bundeswehreinsatz vor
der Küste Somalias.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf zum Beitritt Kroatiens ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung und bitte darum, die Stimmkarten einzuwerfen.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann
schließe ich den Wahlgang und bitte, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union auf Drucksache 17/13444 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12182 mit dem Titel
„EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg führen“.
Ich bitte um Handzeichen derjenigen, die dieser Beschlussempfehlung zustimmen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen SPD und Grüne bei Enthaltung der Linken.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12821 mit dem
Titel „Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitrittsprozessen
beteiligen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Repu-
blik Kroatien zur Europäischen Union bekannt:
abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 583,
keine Neinstimmen, 6 Enthaltungen.1) Anlagen 2 und 3
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon
ja: 583
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({15})
Dr. Kristina Schröder
({16})
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({23})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({25})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil ({27})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({28})
Frank Hofmann ({29})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Daniela Kolbe ({30})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({32})
Dr. Matthias Miersch
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({33})
Michael Roth ({34})
({35})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
({37})
Werner Schieder ({38})
Ulla Schmidt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
({42})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({43})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({44})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({45})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({46})
Michael Link ({47})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({48})
Dr. Martin Neumann
({49})
Hans-Joachim Otto
({50})
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
({51})
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({52})
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({53})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({54})
Volker Beck ({55})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({56})
Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Undine Kurth ({57})
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({59})
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({60})
Wolfgang Wieland
Enthalten
SPD
Willi Brase
Ulla Burchardt
DIE LINKE
Annette Groth
Heike Hänsel
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
({61})
Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge
des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen
Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13445, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/12769 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Entschuldigung, es ist sehr schwierig, den Über-
blick zu gewinnen, weil ich kaum etwas sehe. - Also
Ablehnung der Grünen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/13520. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und
Grünen und Enthaltung der Linken.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/13521. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei
Enthaltung von SPD und Linken.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 57 c auf:
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September
1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt
- Drucksache 17/13030 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({62})
- Drucksache 17/13348 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Gustav Herzog
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP vor.
Zur Abstimmung liegen wiederum zahlreiche Erklä-
rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir
zu Protokoll nehmen.1)
Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetz-
entwurfs, über den wir jetzt gleich namentlich abstim-
men werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die
absolute Mehrheit, das sind 311 Stimmen, erforderlich
ist.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
1) Anlagen 6 und 7
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13348, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/13030 in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu
liegt der Änderungsantrag der CDU/CSU und der FDP
auf Drucksache 17/13481 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der
CDU/CSU und der FDP? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Gegenstimmen der SPD und der Linken an-
genommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen - mit der so-
eben beschlossenen Änderung -, um das Handzeichen. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen gegen
die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD.
Interfraktionell ist vereinbart, trotz der Annahme ei-
ner Änderung sofort in die dritte Beratung einzutreten.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer
haben ihre Plätze besetzt. Dann können wir mit der na-
mentlichen Abstimmung beginnen. Ich bitte, die Stimm-
karten einzuwerfen.
Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen
ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist der Fall. Dann
schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({63}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen ({64}) von 1982 und der Resolutionen
1814 ({65}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({66})
vom 2. Juni 2008, 1838 ({67}) vom 7. Oktober
2008, 1846 ({68}) vom 2. Dezember 2008, 1851
({69}) vom 16. Dezember 2008, 1897 ({70})
vom 30. November 2009, 1950 ({71}) vom
23. November 2010, 2020 ({72}) vom 22. November 2011, 2077 ({73}) vom 21. November
2012 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der
Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union ({74}) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP
des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem
Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU
vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/
GASP des Rates der EU vom 7. Dezember
2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des
Rates der EU vom 23. März 2012
- Drucksachen 17/13111, 17/13529 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Jan van Aken
Kerstin Müller ({75})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({76})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13534 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Petra Merkel ({77})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich die
Kollegen, die der Aussprache nicht folgen wollen, bitten, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen den
Rednern zuhören können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Stinner von der
FDP-Fraktion.
({78})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seitdem wir vor einem Jahr das letzte Mal über das
Atalanta-Mandat gesprochen haben, hat sich in der Region, über die wir sprechen, erfreulicherweise vieles
zum Positiven geändert.
({0})
Während im Jahr 2011 noch 32 Schiffe mit 700 Geiseln gekapert waren, befinden sich gegenwärtig nur noch
zwei Schiffe mit sage und schreibe 54 Geiseln - das ist
immer noch zu viel - in der Hand der Piraten. Im letzten
Jahr hat es keinen einzigen erfolgreichen Piratenangriff
gegeben. Das ist auch ein Erfolg des Mandates Atalanta.
({1})1) Ergebnis Seite 30239 C
Natürlich gibt es auch andere Faktoren - das wissen wir;
ich komme darauf noch zu sprechen -; aber es ist auch
ein Erfolg des Mandates Atalanta.
Als wir hier vor einem Jahr zusammengesessen und
dieses Mandat um die Option, auf Land tätig zu werden,
erweitert haben, haben die Kolleginnen und Kollegen
der Opposition ein Horrorszenario gezeichnet. Ich
möchte Ihnen einige Ihrer damaligen Aussagen vorhalten.
Die Kollegin Buchholz der Linken hat gesagt:
Die Ausweitung des Atalanta-Mandats ist eine
Kriegserklärung gegen die Zivilbevölkerung in Somalia.
({2})
Der Kollege Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen hat
gesagt:
Denn ich befürchte, dass wir durch den Einsatz der
Bundeswehr an Land bald hier in Deutschland Bilder von sogenannten Kollateralschäden an Menschen, die an der Küste Somalias durch die Bundeswehr verursacht werden, bekommen werden.
({3})
Herr Arnold hat sich ähnlich negativ geäußert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder kann sich täuschen. Aber wer sich in einer so dramatischen Weise getäuscht hat, der sollte seine Haltung überdenken und
heute anders als vor einem Jahr stimmen.
({4})
Die Lage auf See vor Somalia hat sich verbessert; das
hatte ich kurz ausgeführt. Aber auch innerhalb Somalias
gibt es Fortschritte. Es gibt langsame Fortschritte bei der
Regierungsbildung. Wir wissen, dass auch die jetzige
Regierung fragil ist und dass sie keinen Zugriff auf Puntland und Somaliland hat - ganz wichtig -, und deshalb
ist es richtig, dass die Bundesregierung dafür gesorgt
hat, dass wir einen Teil unserer Entwicklungshilfe unmittelbar nach Somaliland und Puntland bringen können, also dorthin, wo die Leute Hilfe brauchen. Das ist
die Devise der Bundesregierung. Ich finde, wir haben allen Anlass, das zu begrüßen.
({5})
Wir unterstützen die Vereinten Nationen beim Aufbau
der Gerichtsbarkeit und des Justizwesens in Somaliland
und Puntland. Auch das ist ein ganz wichtiges Element
zur Stabilisierung.
Diese Maßnahmen sind abgewogen. Sie sind sinnvoll.
Sie werden seit einigen Monaten um die EU-Mission
NESTOR ergänzt, die die Region langfristig in die Lage
versetzen soll, selbst gegen Piraterie vorzugehen. Auch
das ist eine sinnvolle Geschichte.
Meine Damen und Herren, wir können also von einem erfolgreichen Mandat sprechen. Wir können von einem erfolgreichen Vorgehen sprechen. Wir können von
einem Erfolg einer konzertierten Aktion von militärischen und zivilen Maßnahmen sprechen. Das ist das
Konzept dieser Bundesregierung und der sie tragenden
Koalition seit Anbeginn. Jeder von uns weiß, dass wir allein mit militärischen Mitteln Konflikte nicht auf Dauer
lösen können. Wir wissen aber auch, jedenfalls wir auf
der Seite des Hauses, die die Regierung trägt, dass es
manchmal notwendig ist, auch mit militärischen Mitteln
dafür zu sorgen, dass Frieden und Stabilität überhaupt
erst möglich sind.
({6})
Ich fordere die Oppositionskollegen auf, diese Binsenweisheit bei ihrem Abstimmungsverhalten heute zu realisieren.
Was sehen wir stattdessen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der SPD? Sie verweigern sich der Realität. Sie
haben jahrelang dem Atalanta-Mandat zugestimmt - zu
Recht. Sie haben es das letzte Mal mit den absurden Begründungen, die ich teilweise vorgelesen habe - ich
kann auch alle vorlesen -, abgelehnt. Sie sind durch die
Realität eines Besseren belehrt worden. Was gäbe es
Besseres für Sie, als zu sagen: „Wir haben einen Fehler
gemacht; heute stimmen wir dem zu, genauso wie wir es
in den Jahren zuvor gemacht haben“?
({7})
Das wäre der richtige Weg für eine Partei, die den Anspruch erhebt, außen- und sicherheitspolitisch Verantwortung in Deutschland zu übernehmen. Diesen Anspruch erheben Sie ja noch - ich nehme es an; ich weiß
es nicht -,
({8})
vielleicht ja ab heute nicht mehr.
Die Grünen loben in dem Entschließungsantrag den
Erfolg des Mandats bzw. der Bemühungen - das finden
wir sehr gut -, sind dann aber nur bereit, sich heute
kraftvoll zu enthalten.
({9})
Auch Ihnen rufe ich zu: Sie haben dem Mandat doch immer zugestimmt.
({10})
Erst beim letzten Mal haben Sie dieses absurde Verhalten an den Tag gelegt. Von daher: Geben Sie sich einen
Ruck!
Ich kenne viele Kollegen, verstehe mich mit vielen
von Ihnen auch persönlich sehr gut; das geht zum Glück
im Deutschen Bundestag.
({11})
Aber ich weiß, dass einige von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wirklich Nackenschmerzen haben vom
Kopfschütteln über die Entscheidungen, die Ihre beiden
Fraktionsführungen hier getroffen haben und die Sie
zwingen, heute gegen etwas zu stimmen, was Sie eigentlich als sinnvoll erachten.
({12})
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Auskurieren Ihrer
Nackenschmerzen.
({13})
- Herr Ströbele, Sie bekommen sicherlich nachher noch
Redezeit von Ihrer Fraktion.
({14})
Deshalb möchte ich Ihnen heute keine zusätzliche Redezeit geben. Ich nehme an, Sie werden von Ihrer Fraktion
heute als Redner nominiert. Darauf freue ich mich
schon.
Herr Kollege Stinner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Nein, erlaube ich nicht.
({0})
Das ist ja jedes Mal so - ich habe Herrn Ströbele schon
öfter Redezeit gegeben -: Herr Ströbele ist nicht in der
Lage, sich in seiner Fraktion durchzusetzen und zu erreichen, dass seine Fraktion ihm Redezeit gibt. Ich sehe
nicht ein, warum wir als Koalition Herrn Ströbele das
Forum für seine zum Teil sehr absurden Stellungnahmen
geben sollen. Das mache ich nicht.
({1})
Meine Damen und Herren, wir können mit Fug und
Recht sagen - das zum Schluss -: Das, was wir hier betreiben, ist ein Leuchtturmprojekt europäischer Außenund Sicherheitspolitik. Wir sind stolz darauf, hier in
Kombination von zivilen und militärischen Maßnahmen
vorzugehen. Die FDP stimmt diesem Mandat heute zu.
({2})
Zunächst gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt - es ging um das Erste Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem
Übereinkommen vom 9. September 1996 über die
Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der
Rhein- und Binnenschifffahrt -: abgegebene Stimmen
587. Mit Ja haben gestimmt 378, mit Nein haben gestimmt 71, Enthaltungen 138. Der Gesetzentwurf hat die
erforderliche Mehrheit erreicht.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon
ja: 378
nein: 71
enthalten: 138
Ja
CDU/CSU
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({15})
Dr. Kristina Schröder
({16})
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({23})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({24})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({25})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({26})
Michael Link ({27})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Dr. Christiane RatjenDamerau
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({28})
Dr. Martin Neumann
({29})
Hans-Joachim Otto
({30})
Jörg von Polheim
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Judith Skudelny
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
({31})
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({32})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({33})
Volker Beck ({34})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({35})
Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Undine Kurth ({36})
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({37})
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({38})
Manuel Sarrazin
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({39})
Wolfgang Wieland
Nein
SPD
Michael Groß
Ewald Schurer
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({40})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({41})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({42})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({43})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({44})
Hubertus Heil ({45})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({46})
Frank Hofmann ({47})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Daniela Kolbe ({48})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({49})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({50})
Dr. Matthias Miersch
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({51})
Michael Roth ({52})
({53})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({54})
Bernd Scheelen
({55})
Werner Schieder ({56})
Ulla Schmidt ({57})
Carsten Schneider ({58})
Swen Schulz ({59})
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
({60})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({61})
Jetzt erteile ich zu einer Kurzintervention das Wort
dem Kollegen Christian Ströbele.
({62})
Sehen Sie, Herr Kollege Stinner, so einfach machen
wir es Ihnen nicht.
Ich weise Sie darauf hin - das hätte ich Ihnen auch
schon im Auswärtigen Ausschuss gesagt, wenn wir darüber diskutiert hätten; aber das ist ja diesmal ausgefallen -, dass sich natürlich alle freuen, auch ich, dass die
Zahl der Kaperungen von Handelsschiffen durch Piraten
an der Küste vor Somalia und im Indischen Ozean zurückgegangen ist. Der Rückgang ist dramatisch: über
zwei Drittel.
({0})
Aber die Frage ist: Wird der Rückgang durch die
Kriegsschiffe, die deutsche Fregatte oder die internationale Armada bewirkt? Ich sage Ihnen: Nein. Sie haben
mich vorhin zitiert. Hätten Sie meine persönliche Erklärung anlässlich der letzten Entscheidung zu diesem
Mandat gelesen, dann wüssten Sie, dass ich immer wieder gefordert habe, dass sich die Reeder so verhalten,
wie es die internationalen Seerechtsrichtlinien vorschreiben. Das haben sie aus Kostengründen nicht getan. Diese
sehen nämlich vor, dass sie Schiffe benutzen, die schneller fahren, und dass sie auch tatsächlich schneller fahren.
Das kostet zwar mehr Sprit und mehr Öl,
({1})
bringt aber ein gewisses Maß an Sicherheit. Es ist immer
wieder gefordert worden, dass die Reeder versuchen,
ihre Reling mit NATO-Draht oder Ähnlichem zu befestigen. Schließlich wird gefordert, dass sie in Konvois fahren.
({2})
All das ist im letzten Jahr viel mehr praktiziert worden.
Außerdem haben inzwischen - das wissen Sie so gut wie
ich - mehr als 70 Prozent der Schiffe zivile Sicherheitskräfte an Bord.
Deshalb ist die Anzahl der Überfälle bzw. Kaperungen zurückgegangen. Das ist gut und richtig. Daher
brauchen wir keine Kriegsarmada im Indischen Ozean.
Daher brauchen wir dort auch keine Bundeswehr.
({3})
Zur Erwiderung Rainer Stinner.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie mir durch Ihre
Intervention nochmals die Gelegenheit geben, unseren
intensiven Dialog fortzusetzen, was ich außerordentlich
gerne tue.
Sie haben völlig recht, Herr Ströbele - das habe ich
deutlich gesagt -: Das, was wir erleben, ist das Ergebnis
eines Bündels von verschiedenen Maßnahmen; gar keine
Frage. Ich habe sehr deutlich zum Ausdruck gebracht,
dass die Kombination von militärischer Präsenz und Zivilmaßnahmen zu diesem erfreulichen Ergebnis beigetragen hat. Daraus machen wir gar keinen Hehl.
Im Übrigen ist es erstaunlich, Herr Ströbele, dass Sie
sagen, dass die Präsenz von Teams an Bord ein wesentlicher Baustein ist. Dafür muss zunächst einmal der rechtliche Rahmen geschaffen werden. Ich habe bisher nicht
gesehen, dass Sie dem Gesetzentwurf, der dafür sorgt,
dass solche Teams an Bord eingesetzt werden dürfen,
Begeisterung entgegengebracht haben. Das ist ein gewisser Widerspruch.
Ein Letztes, Herr Ströbele. Ihr sogenannter maritimer
Vorschlag, die Schiffe sollten schneller fahren, lässt
mich an folgenden Vergleich denken: Wir könnten es ja
auch nicht akzeptieren, wenn Lkws auf der Strecke von
Berlin nach Köln von Dieben aufgehalten werden. Dann
müssten wir auch sagen, dass wir die Lkws mit Maserati-Motoren ausrüsten, damit sie den Dieben voranfahren können.
Das ist ein bisschen blauäugig, Herr Ströbele. Auf
Ihre Kompetenz, was das operative Abwehren von Piraten angeht, würden wir auch in Zukunft am liebsten verzichten.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Dietmar Nietan.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stinner, ich
werde den Verdacht nicht los, dass Sie sich mit dem Kollegen Ströbele abgesprochen haben, damit Sie gegenseitig etwas mehr Redezeit bekommen.
({0})
Im Ernst: Sie haben völlig richtig dargestellt: Seitdem
es das Mandat gibt, seit 2008, hat die SPD dem Mandat
immer zugestimmt; im letzten Jahr jedoch nicht. Ich bin
sehr froh, dass Sie unsere Begründungen sehr intensiv
studiert haben; aber Sie haben nicht alle genannt. Eine
Frage, die wir immer wieder gestellt haben, war folgende: Gibt es eine militärische Begründung, den EinDietmar Nietan
satz auf einen bestimmten Streifen an Land auszuweiten,
um sicherzustellen, dass die Bekämpfung von Piraterie
effektiviert wird? Oder ist dies nicht im Sinne der Abwägung der Chancen und Risiken abzulehnen, weil dies militärisch wahrscheinlich nicht viel Sinn macht, aber die
Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu
Kollateralschäden, also zu Verletzungen in der Zivilbevölkerung, kommt? Wenn Sie sich die Situation seit dieser Mandatserweiterung anschauen, stellen Sie fest: Es
hat nur einen Einsatz gegeben. Das war, wenn ich mich
richtig erinnere, im Mai 2012. Seitdem hat es keinen
Einsatz mehr gegeben.
Das war eines unserer Argumente. Es ist für die Piraten sehr leicht, auf andere Küstenstreifen oder weiter ins
Landesinnere auszuweichen. Aus diesem Grund haben
wir den militärischen Nutzen der Erweiterung des Mandats auf einen Streifen von 2 000 Metern letztlich nicht
gesehen. Was wir aber gesehen haben, ist die Gefahr,
dass es, wenn auch unbeabsichtigt, zu Übergriffen auf
die Zivilbevölkerung kommt. Infolge dieser Abwägung
haben wir das Mandat damals abgelehnt. Wir haben es
nicht abgelehnt, weil wir es grundsätzlich für falsch erachten; sonst hätten wir die Jahre zuvor nicht zugestimmt. Da es seit diesem einen Einsatz im Mai 2012
aber keine weiteren Einsätze mehr gegeben hat, gehen
wir davon aus, dass diese Mandatserweiterung nicht
mehr notwendig ist.
Wir haben Ihnen auch angetragen, zu überlegen, ob
man die Abstimmung in zwei Teile aufsplitten kann, damit wir deutlich machen können, dass wir der Bekämpfung der Piraterie und dem Mandat grundsätzlich zustimmen. Das ist nicht geschehen. Deshalb sehe ich für
unsere Fraktion keinen Grund, warum wir unser Abstimmungsverhalten heute ändern sollten.
({1})
- Herr Kauder sagt gerade, ich soll es noch mal wiederholen, damit mehr klatschen. Ich will die Redezeit aber
nicht über Gebühr ausweiten.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
einem anderen Punkt kommen, den ich für sehr wichtig
erachte. In der Tat - das hat Kollege Stinner bereits gesagt - ist ein Rückgang der Zahl der Überfälle am Horn
von Afrika zu verzeichnen. Das ist eine positive Entwicklung; das wollen wir in keiner Weise infrage stellen.
Wir müssen aber vielleicht noch einmal überlegen, was
wir insgesamt tun können, um die Piraterie schon in ihren Ursachen weltweit besser zu bekämpfen. Denn wir
stellen fest, dass es an anderen Stellen in der Welt eine
Zunahme der Piraterie gibt. Ich verweise auf Entwicklungen an der westafrikanischen Küste und auf Entwicklungen im Indischen Ozean, vor Kenia, vor Tansania,
vor dem Jemen und vor dem Oman.
Wir müssen intensiv miteinander darüber reden, was
wir insgesamt tun können, um die Piraterie besser zu bekämpfen. Dabei ist es wichtig, nicht nur auf die militärische Komponente zu schauen, sondern uns zu fragen:
Was können wir in Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit, den Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen
und den Aufbau von Polizeistrukturen in den betroffenen
Staaten tun? Wo können wir unser Engagement ausweiten, um in den betroffenen Ländern, also in den Ländern,
in denen himmelschreiende Armut und Ungerechtigkeit
herrschen, die Ursachen für Piraterie zu bekämpfen? An
diesem Grundübel müssen wir etwas ändern.
({3})
Das gilt natürlich auch für Somalia. Es ist sehr wichtig, zu überlegen, was wir tun können, um die Situation
in Somalia zu stabilisieren. Wir müssen überlegen, was
wir gemeinsam mit Partnern tun können, um eine positive Entwicklung Somalias, weg von einem Failing
State, zu ermöglichen. Wir müssen das Engagement in
zivilen Strukturen, in Fragen der Entwicklungszusammenarbeit auch dort verbessern.
Wichtig ist auch - das gehört für mich ebenso zu den
zivilen Komponenten; ich habe das schon erwähnt -, die
Ausbildung der regionalen Küstenwache und der regionalen Polizeistrukturen, zum Beispiel durch die EU-Mission EUCAP NESTOR, weiter auszubauen und zu stärken. Auf diese Weise können Rechtsstaatlichkeit und
Stabilität in den betroffenen Ländern - dies gilt nicht nur
für Somalia - hergestellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es eben
schon betont: Meine Fraktion hätte sich gewünscht,
wenn es bei der Abstimmung eine Trennung zwischen
Mandatsverlängerung und Mandatserweiterung gegeben
hätte. Das hätte es uns ermöglicht, unsere differenzierte
Meinung darzustellen. Das ist nicht geschehen. Deshalb
- sosehr es Sie betrübt, Herr Stinner - wird die SPD bei
ihrer Ablehnung des Mandats in dieser Form bleiben.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Ingo Gädechens.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir
stimmen heute erneut über die Verlängerung eines aus
unserer Sicht sehr erfolgreichen Mandats ab, des Mandats der sogenannten Operation Atalanta.
Wie sich sicherlich alle erinnern, gab es im vergangenen Jahr eine aus militärischer Sicht, aber auch aus Sicht
der Koalitionsfraktionen notwendige Erweiterung der
sogenannten Rules of Engagement, also der strikt einzuhaltenden Einsatzregeln. Diese Erweiterung erhitzte vor
allem die Gemüter der Opposition; der Kollege Stinner
wies schon darauf hin. Diese Erweiterung folgte dem
militärischen Wunsch, die eindeutig erkannte Piratenlogistik am Strand bekämpfen zu dürfen. Diese zusätzliche
Maßnahme sollte ermöglichen und hat ermöglicht, das
Geschäftsmodell der somalischen Piraten effektiver zu
bekämpfen, zumindest aber erheblich zu erschweren.
Meine Damen und Herren, allein ein Angriff hatte eine
überaus nachhaltige Wirkung: Für die Piraten geht mit
dem Einsatz nicht nur auf See, sondern bereits von Land
aus ein unkalkulierbares Risiko einher. Ich sage: Gut so!
Die christlich-liberale Koalition hat das Einsatzgebiet
und die Regeln präzise definiert und eindeutig festgelegt, sodass nur Logistik mit einer Entfernung von maximal 2 000 Metern zur Küste angegriffen werden darf.
Außerdem ist der Einsatz an der Küste nur aus der Luft
erlaubt. Diese nachvollziehbare, vernünftige Erweiterung der Einsatzregeln nutzten die Damen und Herren
der Opposition - auch das haben wir schon gehört -, um
sich mit unrealistischen Szenarien gegen eine Verlängerung der Mission zu stemmen. Man wollte eine Teilung
des Mandats erreichen; aber ich denke, das macht überhaupt keinen Sinn. Die Operation Atalanta ist ein Mandat.
Leider wurde in den Wortbeiträgen der Opposition
noch etwas deutlich, nämlich, wie wenig Vertrauen Sie
in die Führungskräfte der vor Ort handelnden Offiziere
und Unteroffiziere der Bundeswehr haben.
({0})
Von Kollateralschäden an Menschen in Somalia, verursacht durch die Bundeswehr, war seinerzeit die Rede.
Nun, meine Damen und Herren, ich kann Sie sehr beruhigen: Die von uns durchgesetzte Mandatserweiterung
hat sich bewährt. Es gab kein unkalkulierbares Abenteuer oder gar ein Massaker an Zivilisten an den Küsten
von Somalia. Nein, wir können lediglich den Kampf gegen die Piraten seit der Erweiterung des Mandats gemeinsam mit unseren Bündnispartnern effektiver und
auch nachhaltiger führen.
Das Mandat sorgt insgesamt dafür, dass humanitäre
Lieferungen über See bei den Menschen vor Ort sicher
ankommen können, und das ist wichtig, insbesondere
vor dem Hintergrund, dass in Somalia allein zwischen
2010 und 2012 mehr als 260 000 Menschen den Hungertod erlitten haben. Dies zeigt, wie notwendig humanitäre
Hilfe und das Engagement im Rahmen der Operation
Atalanta sind.
2012 konnten die Übergriffe der Piraten am Horn von
Afrika vor allem durch den multinationalen Einsatz - im
dortigen Seegebiet sind viele Einheiten vertreten - und
die Präsenz der Soldaten spürbar eingedämmt werden.
Kollege Stinner hat schon die Zahlen genannt, die den
Erfolg untermauern.
Der Kollege Ströbele hat natürlich in einem Punkt
recht - auch das wurde bestätigt -: Wir haben gemeinsam mit dem Verband Deutscher Reeder, der Bundespolizei See, der Deutschen Marine und vielen Fachkräften Best-Practice-Methoden entwickelt, um das Entern
von Handelsschiffen zu erschweren. Aber hören Sie auf,
eine Erhöhung der Geschwindigkeiten zu fordern! Ein
Frachtschiff fährt auf Marschfahrt mit einer Geschwindigkeit von 16 bis 18 Knoten; aber die Skiffs, die von
den Piraten eingesetzt werden, haben eine Geschwindigkeit von 40 Knoten. Selbst wenn die Handelsschiffe bei
der Geschwindigkeit noch 2 Knoten drauflegen, werden
die Skiffs sie immer erreichen, wenn sie sie erreichen
wollen. Da spreche ich Ihnen jede maritime Kompetenz
ab.
({1})
Dank dieser erfolgreichen Antipiratenmission konnten über 150 Schiffstransporte des Welternährungsprogramms ihre Zielhäfen in Somalia sicher erreichen.
Auch hier wissen viele, welche schwierigen Aufgaben
unsere Marine im Einsatzgebiet bewältigen muss.
Bis vor kurzem lag die deutsche Einheit noch wegen
Nachversorgung und Instandsetzungsarbeiten im Hafen
von Salalah in Oman. Seit neun Tagen, verehrte Frau
Kollegin Roth, operiert die Fregatte „Augsburg“ im Seegebiet des Golfs von Aden. Alleine die Tatsache, dass
diese Fregatte dort operiert, könnte doch ein Umdenken
in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervorrufen, sodass sie sich nicht enthalten, sondern dem Mandat zustimmen.
({2})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie
wissen alle, dass mein Dank weniger symbolisch gemeint ist, sondern von Herzen kommt, wenn ich meinen
Kameradinnen und Kameraden der Marine, sicherlich
auch im Namen vieler hier im Hohen Haus, für ihren
aufopferungsvollen Dienst sehr herzlich danke.
({3})
Herr Kollege, Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.
Wir können mit Fug und Recht von einer Erfolgsstory
reden. Wir könnten auch eine Erfolgsstory schreiben.
Dazu müssen wir das Mandat gemeinsam beschließen.
Wir müssen unseren Soldatinnen und Soldaten den Rücken stärken, indem wir hier mit größtmöglicher Mehrheit einen Konsens herstellen.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Christine Buchholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke
lehnte die Beteiligung der Bundeswehr an der Antipiratenmission Atalanta von Anfang an ab;
({0})
denn Atalanta reiht sich in eine immer länger werdende
Kette von Auslandseinsätzen ein.
Herr de Maizière behauptete unlängst, es gebe keine
Region auf der Welt mehr, wo die Bundeswehr nichts zu
suchen habe. Ich sage Ihnen: Die Bundeswehr hat am
Horn von Afrika nichts zu suchen, genauso wenig wie
am Hindukusch oder in Westafrika.
({1})
Der wahre Zweck von Atalanta ist es, die Marine in
einer Art Dauermanöver unter Realbedingungen operieren zu lassen. Deshalb gibt es auch keine ehrliche Bilanz
dieses Einsatzes. Jedes Jahr sagen Sie, dass der Einsatz
weitergeführt werden muss, und Sie wiederholen das,
ganz gleich, ob - wie in den Jahren vor 2012 - die Zahl
der Piratenangriffe ansteigt oder ob sie - wie jetzt - zurückgeht. Es brauchte erst die Intervention des Kollegen
Ströbele, um darauf hinzuweisen, dass es vor allen Dingen die Selbstbewaffnung der Reeder war, die seit 2012
die Piraterie vor Somalia zurückgedrängt hat. Um keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Privatisierung der Sicherheit ist keine Lösung. Sie leistet keinerlei
Beitrag zum nachhaltigen Kampf gegen die Ursachen
der Piraterie.
({2})
Der Zulauf zu privaten Sicherheitsfirmen ist eine weitere Schattenseite der Neuausrichtung der Bundeswehr
als Interventionsarmee; denn immer mehr deutsche Soldaten mit Erfahrung in Auslandseinsätzen heuern nun
bei Söldnerfirmen an, viele davon illegal. Aber ich sage
Ihnen: Die Angst vor deutschen Kriegsschiffen hat junge
arbeitslose Somalis nicht davor geschützt, in die Hände
von Piratenclans zu gelangen und Handelsschiffe zu attackieren, und sie wird sie auch in Zukunft nicht davon
abhalten. Armut und Elend in Somalia sind die Wurzeln
der Piraterie.
({3})
Der eigentliche Skandal ist, dass europäische Firmen
weiterhin vor Somalia die Fischgründe plündern und unbehelligt Giftmüll verklappen können und so die Lebensgrundlagen von Fischern zerstören.
({4})
Dagegen gehen Sie nicht vor. Das nenne ich Heuchelei.
({5})
Atalanta soll noch eine weitere Militärmission absichern, nämlich die seeseitige Versorgung der in Somalia
kämpfenden Truppen von AMISOM. AMISOM ist
nichts anderes als der aus Europa bezahlte Einmarsch
bewaffneter Truppen aus Somalias Nachbarländern Kenia, Burundi und Uganda. Händler in Mogadischu warfen den AMISOM-Soldaten vor - so berichtet es der frühere ARD-Korrespondent Marc Engelhardt -, den
zentralen Markt in Mogadischu ohne Rücksicht auf zivile Verluste mit schwerer Artillerie beschossen zu haben. AMISOM ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil
des Problems.
({6})
Der Westen trägt eine Mitschuld an den schlimmen
Zuständen in Somalia. 1993 heizte der Einmarsch von
US-Truppen den Bürgerkrieg in Somalia an. 2006 beendete die von den USA und der EU unterstützte Invasion
Äthiopiens eine zwischenzeitliche Stabilisierung in Somalia. Erst danach sind die Schabab-Milizen stark geworden, erst danach stieg die Zahl der Fälle von Piraterie
massiv an.
Während die Zahl der Piraterieangriffe vor Somalia
jetzt zurückgeht, nehmen Piratenangriffe in anderen Regionen der Welt, zum Beispiel vor der Westküste Afrikas, zu. Was ist Ihre Antwort darauf? Sollen die Bundeswehrsoldaten nun auch dorthin? Wir sagen: Piraterie
lässt sich auf diese Art und Weise nicht bekämpfen. Die
Ursachen müssen bekämpft werden. Die Militarisierung
der Seewege ist und bleibt ein Irrweg.
({7})
Vielleicht noch eine kleine Bemerkung zur Position
der SPD und der Grünen: Wir freuen uns natürlich immer, wenn unser Nein zu Bundeswehreinsätzen Unterstützung bekommt.
({8})
Ihre Begründung ist allerdings nicht konsistent.
({9})
Die Kollegin Katja Keul hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Zahl der Piratenangriffe und Entführungen am Horn von Afrika ist seit 2011 stark rückläufig.
Wir haben es schon gehört: Im letzten Jahr ist kein einziges Schiff mehr gekapert worden, und die Zahl der Geiseln hat sich von ehemals über 500 auf 77 reduziert.
Zur Stabilisierung der Lage in Somalia haben viele
Entwicklungen beigetragen: die stärkere Verfolgung von
Piraten in den somalischen Regionen und die Eroberung
weiterer Gebiete durch die Truppen der Afrikanischen
Union. Zuletzt wurde die Übergangsphase mit der Wahl
von Präsident, Regierung und Parlament abgeschlossen,
und Deutschland hat erstmalig wieder eine Botschafterin
für Somalia benannt. Die Fortsetzung dieses politischen
Prozesses ist zweifelsohne der Schlüssel zum Frieden in
Somalia.
Aber auch die Mission Atalanta hat zur Bekämpfung
der Piraterie einen wichtigen Beitrag geleistet.
({0})
Die wichtigste Aufgabe dieser Mission war von Anfang
an die sichere Begleitung der Schiffe des Welternährungsprogramms.
({1})
Seit 2008 haben mehr als 170 Schiffe Nahrungsmittel
und andere humanitäre Hilfsgüter unter dem Schutz von
Atalanta nach Somalia gebracht.
Leider mussten wir kürzlich erfahren, dass die große
Hungerkatastrophe im letzten Jahr dennoch fast 260 000
Menschen das Leben gekostet hat. Meine Fraktion ist
daher ganz überwiegend der Meinung, dass die EU-Mission auf See nach wie vor ein unverzichtbarer Beitrag
zur humanitären Hilfe in der Region ist.
({2})
Sowohl der Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms als auch die Verhinderung von Piratenüberfällen wurden vom UN-Sicherheitsrat mandatiert und
von der somalischen Übergangsregierung begrüßt. So
weit steht die völkerrechtliche Legitimation dieser Mission außer Frage.
({3})
Der Marineeinsatz auf hoher See und in den Küstengewässern Somalias ist nützlich und sinnvoll, sodass meine
Fraktion dem Mandat bis letztes Jahr ganz überwiegend
zugestimmt hat.
({4})
Die Ausweitung des Atalanta-Einsatzes auf Gebiete
an Land war allerdings ein untaugliches Mittel.
({5})
Aufgrund des erhöhten Eskalationspotenzials und des
Risikos ziviler Opfer konnte meine Fraktion dieser Mandatserweiterung im letzten Jahr nicht zustimmen. An
dem Risiko hat sich nichts geändert, deswegen auch
nichts an unserem Abstimmungsverhalten.
({6})
Die Untauglichkeit dieser Landoption sieht man schon
daran, dass von ihr nur ein einziges Mal Gebrauch gemacht wurde. Seitdem haben alle Atalanta-Teilnehmerstaaten von Angriffen auf Piraten am Strand abgesehen.
Ziehen Sie also endlich die Konsequenz aus dieser Erkenntnis und streichen Sie diesen Teil aus dem Mandat.
({7})
Legen Sie uns das auf den Einsatz auf See beschränkte
Atalanta-Mandat wieder vor, und Sie bekommen dafür
die breite Unterstützung meiner Fraktion. Bis dahin werden wir uns enthalten.
({8})
Zum Schluss noch ein paar Worte zum sonstigen Engagement am Horn von Afrika. Mit der Mission EUCAP
NESTOR soll der Aufbau einer eigenen Küstenwache in
der Region unterstützt werden, was wir durchaus für
sinnvoll halten. Trotz einjähriger Laufzeit kommt diese
Mission wegen fehlender Abkommen und Logistikproblemen nicht recht vom Fleck. Auch das neue Operationszentrum in Brüssel ist dabei wenig hilfreich. Die
Bundesregierung sollte sich dringend für die Behebung
dieser Defizite in Brüssel einsetzen und nicht erst auf
den Europäischen Rat im Dezember warten.
Immerhin ist es Ihnen nach zwei Jahren endlich gelungen, ein Gesetz zur Regulierung des Einsatzes privater Sicherheitskräfte auf Handelsschiffen auf den Weg zu
bringen. Anderthalb Jahre haben Sie bis zur Verabschiedung des Gesetzes gebraucht und dann ein weiteres halbes Jahr bis zum Erlass der entsprechenden Verordnung.
Die verlorene Zeit haben andere für sich genutzt. Deutsche Soldaten haben in ihrer Freizeit Schiffe im Auftrag
privater Sicherheitsdienste begleitet. Es gibt klare Regeln, die Bundeswehrangehörigen solche Aktivitäten
verbieten. Diesen Berichten muss das Verteidigungsministerium konsequent nachgehen, und nachgewiesene
Verstöße müssen dienstrechtlich geahndet werden.
({9})
Ein solches Auftreten bewaffneter deutscher Bundeswehrsoldaten zerstört viel Glaubwürdigkeit und konterkariert die positiven Wirkungen, die der Marineeinsatz
zweifelsohne hat. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als wir am 1. Dezember 2011 über den Antrag zur Operation Atalanta gesprochen haben, hatten wir gerade
zehn Tage vorher erlebt, dass die Büros von UNICEF,
WHO und GIZ geschlossen werden mussten und dass
die Schabab-Milizen Krieg geführt haben. Die Situation
war geprägt durch 352 Überfälle, 50 entführte Schiffe,
1 000 Entführte und 4 Millionen zu versorgende Menschen. Vor diesem Hintergrund sind Äußerungen, wie sie
heute wieder Frau Buchholz gemacht hat und wie sie in
der Vergangenheit von Herrn van Aken und anderen in
Debatten zu diesem Thema gemacht worden sind, aus
meiner Sicht menschenverachtend. Sie zeigen das Gegenteil von dem, was wir eigentlich mit unserer Parlamentsarmee erreichen wollen.
({0})
Frau Buchholz, man konnte das Sterben in diesen Lagern sehen. Wer in Dadaab gewesen ist, weiß, dass sich
die Probleme durch die Hungersituation und die klimatische Situation verstärkt haben. Direkt zu dem Zeitpunkt,
als wir damals die Debatte geführt haben, waren 50 000
Hartwig Fischer ({1})
Menschen durch den Ausbruch von Cholera bedroht.
Wer heute immer noch nicht begriffen hat,
({2})
dass der Einsatz gegen die Piraterie mit dazu geführt hat,
dass wir heute eine vollkommen veränderte Situation haben, blickt den Realitäten nicht ins Auge.
({3})
Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir haben heute
Morgen bei der Regierungserklärung das Hohelied auf
diese Parlamentsarmee gesungen.
({4})
Parlamentsarmee bedeutet auch - auch für Sie - Verantwortung. Verantwortung bedeutet, sich zu informieren.
Verantwortung bedeutet, veränderte Situationen und veränderte Lagebilder aufzunehmen. Verantwortung bedeutet aber auch - das sage ich auch an die SPD und die
Grünen -, eigene Fehleinschätzungen zu korrigieren.
Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, auch nach der
Rede von Frau Keul, noch einmal ernsthaft darüber
nachzudenken, ob nicht gerade Prävention ein wichtiger
Bestandteil dieses Programms zur Bekämpfung der Piraterie ist. Mit der Möglichkeit des Einsatzes am Strand
sorgen wir dafür, dass Nachschubwege blockiert werden.
Einen einzigen Einsatz hat es gegeben und keinen Verletzten. Aber die Nutzung des Strands bzw. das Anlegen
von Lagern dort hat aufgehört. Von daher sind auch dieser Einsatz und das neue Mandat erfolgreich.
({5})
Da ich nur eine begrenzte Redezeit habe, bitte ich die
Kolleginnen und Kollegen, die nicht in den entsprechenden Ausschüssen sind, sich noch einmal den Antrag der
Bundesregierung durchzulesen. Wir haben gestern im
AwZ und im Auswärtigen Ausschuss darüber diskutiert.
Aufgrund der kurzen Redezeit gebe ich die Diskussionen
jetzt im SMS-Stil wieder. Wir haben festgestellt, dass die
Zahl der Angriffe rückläufig ist. Wir setzen nicht eindimensional auf einen militärischen Ansatz, sondern auf einen vernetzten Ansatz. Wir haben seit Jahren mit der EU
Nothilfemaßnahmen gemacht. Dadurch konnten Zehntausende von Menschen gerettet werden. Die Schiffe tragen entscheidend dazu bei, dass das World Food Programme zumindest teilweise umgesetzt werden kann und
eine Versorgung stattfindet.
Politisch unterstützen wir die Somalis gemeinsam mit
zahlreichen anderen Akteuren dabei, ihr Gemeinwesen
und einen wenigstens grundlegend funktionierenden
Staat wiederaufzubauen. Die im letzten Herbst auch mit
Unterstützung der deutschen Max-Planck-Gesellschaft
etablierte neue Übergangsverfassung und das neue Parlament sind beachtliche Fortschritte, die sich in diesem
Land zeigen. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung.
Dass wir die breite Unterstützung der Institutionen
insgesamt und der somalischen Institutionen haben, ist
- das ist vorhin gesagt worden - bei der Somalia-Konferenz deutlich geworden. Das ist für die Menschen ein
politisches Symbol der Hoffnung, das sich mit der förmlichen Akkreditierung von Frau Hellwig-Bötte bei der
Regierung in Mogadischu und mit der Eröffnung der britischen Botschaft fortsetzt. Der Aufbau staatlicher Strukturen ist eine langfristige Aufgabe. Deshalb helfen wir
auch im Bereich der Polizei, deren Bedeutung von Ihnen
abgewertet worden ist. Ohne Polizei kann man aber keinen Rechtsstaat aufbauen. Auch ohne Justiz und Strafvollzug kann man keinen Rechtsstaat aufbauen. Das alles gehört zu diesem Programm, das vereinbart worden
ist.
Dennoch steht weiterhin der Sicherheitsaspekt im
Vordergrund. Deshalb ist AMISOM für Somalia unglaublich wichtig. Wir sollten gerade den afrikanischen
Kräften, die in diesem Land mit Leib und Leben für
Frieden kämpfen, weiter unsere Unterstützung gewähren.
Wir haben die Ausbildungsmission in Uganda für somalische Sicherheitskräfte unterstützt. In Zukunft werden wir diese Ausbildung, wahrscheinlich sogar in Somalia, entsprechend fortsetzen. Wir haben uns auf einen
vernetzten Ansatz fokussiert, zu dem auch EUCAP
NESTOR gehört. Im Rahmen dieser Mission werden
funktionale und miteinander vernetzte Küstenwachen
aufgebaut; auch das ist eine Aufgabe, in die die Somalis
direkt einbezogen werden. Auch die Zusammenarbeit
mit anderen Akteuren wie Indien, Russland, Korea, Japan und arabischen Anrainern, die bereit sind, mitzumachen, verläuft gut.
Ich kann Sie nur bitten, über diese Aspekte in Ihren
Fraktionen - vielleicht auch jetzt per Mund-zu-MundPropaganda - noch einmal zu diskutieren. EU und
NATO werden bei dieser Mission von 13 weiteren Staaten unterstützt. Philipp Mißfelder hat noch in der letzten
Debatte gesagt:
Kein Problem,
- dabei geht es nicht nur um Somalia das den Kontinent Afrika oder andere Regionen betrifft, werden wir rein militärisch lösen;
- das war nie unser Ansatz die Probleme werden wir immer nur mit einem Gesamtansatz von diplomatischen und entwicklungspolitischen Initiativen lösen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich auf das Thema
Militarisierung zu sprechen kommen. Frau Buchholz
- das sage ich jetzt aber auch an Sie, Frau Roth -, als wir
in Angola waren, ist Deutschland von der angolanischen
Regierung gebeten worden - diese Anfrage stellte Angola gemeinsam mit anderen westafrikanischen Staaten -, zwei Patrouillenboote mit 40-Millimeter-Bewaffnung zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Situation
auf den Meeren vor der Westküste Afrikas wollte man
diese zwei Patrouillenboote haben, um selbst Verantwortung für die Sicherung der Küsten in dieser Region übernehmen zu können. Sie haben diese Anfrage damals im
Morgenmagazin mit der Lieferung von Panzern nach
Saudi-Arabien und Ähnlichem in Verbindung gebracht.
Bedenken Sie bitte, welche Auswirkungen so etwas im
Hartwig Fischer ({6})
Hinblick auf die Wahrnehmung von Eigenverantwortung
in diesen Ländern hat.
Ich habe eine letzte Bitte. Weil mich das Sterben in
den Flüchtlingslagern - nicht nur in Somalia, sondern
auch anderswo - umtreibt, habe ich im Jahre 2006 die
Homepage www.30000-kinder-sterben-taeglich.de erstellt. Schauen Sie sich diese Seite doch einmal an. Dort
können Sie viele Ansätze sehen, die zeigen, was wir gemeinsam bewirken können. Manche Probleme, über die
wir in diesem Parlament diskutieren, wirken im Vergleich zu dem, was diese Kinder durchmachen mussten,
bevor sie starben, wirklich klein.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13529, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 17/13111 anzunehmen.
Mir liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor; wir nehmen sie entsprechend un-
serer Geschäftsordnung zu Protokoll.1)
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? - Von
mir aus gesehen hinten links fehlt noch ein Schriftführer.
- Das scheint jetzt gelöst zu sein. Ich eröffne die Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich bitte die Kolle-
ginnen und Kollegen, die uns schon verlassen wollen,
doch diejenigen, die noch abstimmen wollen, an die Ur-
nen durchzulassen.
Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hau-
ses anwesend, welches seine Stimme noch nicht abgeben
konnte? - Dann bitte ich, das jetzt zu tun.
Ich frage ein letztes Mal: Fühlt sich noch jemand be-
hindert bei der Stimmabgabe, oder konnte jeder von sei-
nem Recht Gebrauch machen? - Das ist jetzt der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)
Ich bitte diejenigen, die unseren Beratungen jetzt
nicht weiter folgen wollen, weil sie wichtige Vorhaben
haben - ich weiß, im Paul-Löbe-Haus warten über einhundert Stipendiatinnen und Stipendiaten auf Mitglieder
aller Fraktionen -, so zu gehen, dass wir die Abstimmungen fortsetzen können und die Abstimmungsergebnisse
zweifelsfrei feststellen können.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/13545. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Darf ich erfahren, wie die Linken abgestimmt haben?
({0})
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und Nichtteilnahme der Fraktion Die Linke abgelehnt. - Die Linke
hat jetzt nachträglich noch das Votum „Ablehnung“ hinzugefügt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten
- Drucksache 17/12850 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bereits am Anfang dieser Wahlperiode haben die Oppo-
sitionsfraktionen verschiedene Anträge zur Finanzierung
von Unterstützungsangeboten für von Gewalt betroffene
Frauen vorgelegt. Die Koalition meinte zwar auch, dass
generell etwas geändert werden müsse, aber man müsse
zuerst den Bericht abwarten.
Letzten Herbst wurde er nach langer Verzögerung
endlich vorgelegt, und auch vom Bundesverband Frau-
enberatungsstellen und Frauennotrufe und von einem
Bündnis der Wohlfahrtsverbände lagen Gutachten vor.
Alle Berichte kommen zu dem Ergebnis, dass das der-
zeitige Unterstützungsangebot überwiegend unterfinan-
ziert ist. Bis heute ist aber leider keine Regelung gefun-
den, die garantiert, dass jeder von Gewalt betroffenen
Frau bundesweit und zeitnah ein niedrigschwelliger Zu-
gang zu Hilfe ermöglicht werden kann.
Dass die Bundesregierung im Anschluss an die Er-
gebnisse wieder nicht handelt, macht mich traurig und
wütend zugleich. Das ist wieder ein guter Bericht, der in
den Regalen des Ministeriums verstaubt.
1) Anlagen 4 und 5
2) Ergebnis Seite 30251 C
({0})
Die Ergebnisse dürfen nicht kleingeredet werden,
sondern müssen endlich zu einer Reform der Finanzierung führen. Die Ministerin kann sich nicht immer damit
herausreden, dass sie mit der Freischaltung des Hilfetelefons eine wichtige Lücke im Hilfesystem geschlossen
hat.
({1})
Was ist mit den anderen Lücken, die das Hilfesystem offensichtlich aufzeigt?
Schutzräume und Beratungsstellen vor Ort sind von
zentraler Bedeutung für den nachhaltigen Erfolg des
neuen Angebots. Lokale Strukturen müssen gestärkt
werden, da der Hilfebedarf bei erfolgreicher Umsetzung
des Angebots eines Hilfetelefons steigen wird.
Der Bund darf die Verantwortung nicht länger von
sich weisen und muss sich endlich an der Reform der Finanzierung beteiligen;
({2})
denn Gewalt an Frauen ist kein individuelles, sondern
ein gesellschaftliches Problem. Wir dürfen die Frauen in
dieser Situation nicht alleinlassen.
Die Zuständigkeit für die Finanzierung muss neu festgelegt werden, statt die Neugestaltung durch Blockaden
immer weiter nach hinten zu verschieben. Wir machen
uns nicht nur gegenüber den Verbänden, sondern auch
gegenüber den betroffenen Frauen unglaubwürdig, wenn
wir nicht endlich zur Tat schreiten.
Wir Grünen fordern in unserem neuen Antrag eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die darauf hinwirkt, dass
die Ausgestaltung und Finanzierung bundesweit geregelt
werden. Alle Beteiligten müssen endlich an einen Tisch
und endlich Verantwortung übernehmen.
({3})
Die Bundesregierung muss die Länder bei der Bedarfsplanung unterstützen. Qualitätsstandards müssen
gemeinsam mit den Einrichtungen geschaffen, Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit muss mitgedacht werden. Die Mitarbeiterinnen müssen entsprechend ausgestattet und vor allem endlich auch tarifgerecht entlohnt
werden. Bisher unzureichend ausgestattete Bereiche, wie
die Betreuung von Kindern der betroffenen Frauen und
die Arbeit mit Suchtkranken und psychisch Erkrankten,
müssen besser berücksichtigt werden.
In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll geprüft werden, ob eine neue Regelung über eine Entbürokratisierung der Leistungsansprüche nach SGB II oder SGB XII
möglich ist oder ob sie unabhängig von diesen ausgestaltet werden muss.
Die Finanzierung über Tagessätze hat insbesondere
bei kurzen Aufenthalten jedenfalls zu Problemen geführt. Nicht alle Frauen haben Anspruch auf Leistung
nach dem SGB und müssen den Tagessatz für den Aufenthalt dann selbst aufbringen. Viele dieser betroffenen
Frauen verfügen jedoch über kein eigenes Einkommen.
Hier ist der bürokratische Aufwand zu hoch und verhindert eine sofortige Aufnahme der Frauen ins Frauenhaus.
Weiterhin ist zu prüfen, ob eine Neuregelung in einem
eigenen Leistungsgesetz festgelegt werden sollte. Dadurch könnte den von Gewalt betroffenen Frauen und
deren Kindern ein Rechtsanspruch auf Leistung verschafft werden. Diese Geldleistung würde dann gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen getragen werden. Die jeweiligen Anteile müssen miteinander
verhandelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die rechtlichen und
haushälterischen Hürden stehen vor uns, sie sind aber
mit politischem Willen zu überwinden.
({4})
Die neue Regierung wird jedenfalls den Willen aufbringen und in der nächsten Wahlperiode endlich für Lösungen sorgen.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Dorothee Bär hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede vierte
Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem
Leben Gewalt durch ihren Partner: Beleidigungen,
Schläge, Demütigungen, Vergewaltigungen, bis hin zu
lebensgefährlichen Verletzungen. Natürlich ist es so,
dass es oft viele Anläufe braucht, bis die Betroffenen bereit und in der Lage sind, sich aus der Gewaltsituation zu
lösen. Die Frauen schämen sich, sie trauen sich nicht,
anzusprechen, was mit ihnen passiert. Oft haben sie auch
gar nicht mehr die Kraft, sich Hilfe zu holen.
Um es den Frauen, die oft auch Kinder haben, zu erleichtern, diese Unterstützungsangebote auch in Anspruch zu nehmen, haben wir im März dieses Jahres das
Hilfetelefon für von Gewalt betroffene Frauen freigeschaltet.
Frau Kollegin Lazar, ich finde es schade, dass Sie sagen, dass das Hilfetelefon nicht das ist, was Sie sich vorstellen. Denn es ist natürlich wichtig, eine sehr niedrigschwellige Erreichbarkeit zu haben. Es ist wichtig, dass
man kostenlos und natürlich auch anonym und egal, wo
man wohnt, die Möglichkeit hat, sich schnell diese Hilfe
zu holen. Denn am anderen Ende der Leitung sitzen ausgebildete Fachkräfte, die Erfahrung mit von Gewalt betroffenen Frauen haben. Ganz wichtig ist auch - weil
viele Frauen betroffen sind, die vielleicht der deutschen
Sprache nicht so mächtig sind -, dass sehr zeitnah Dol30250
metscherinnen zugeschaltet werden können. Ich freue
mich sehr, dass wir als Bundesregierung das auf den
Weg gebracht haben.
Das Hilfetelefon hat natürlich eine Lotsenfunktion,
weil es eine Erstinformation bietet, eine Erstberatung
und dann auch an die Unterstützungseinrichtungen vor
Ort weiterleitet, je nachdem, wo die Frauen herkommen.
Für viele Frauen ist nach diesem ersten Schritt der Kontaktaufnahme der letzte Ausweg die Flucht aus der eigenen Wohnung in ein Frauenhaus. Hier erhalten sie die
notwendige Unterstützung,
({0})
Unterkunft, Essen, Soforthilfe und zunächst einmal die
Möglichkeit, sich zu verstecken.
Wir haben momentan in Deutschland 350 Frauenhäuser und 60 Frauenzufluchtswohnungen. Und in diese
Wohnungen - das finde ich eine ganz bemerkenswerte
Zahl - fliehen jedes Jahr zwischen 30 000 und 34 000
misshandelte Frauen mit ihren Kindern. Dennoch finden
leider nicht alle Frauen Platz.
Ich habe in meiner Nachbarschaft in Schweinfurth
auch ein Frauenhaus und bin dort schon mehrfach zu
Gast gewesen. In diesem Frauenhaus in der Nachbarschaft gab es im Jahr 2012 die Situation, dass 55 Frauen
wegen Platzmangels abgewiesen werden mussten. Im
Jahr 2011 wurden fast zwei Drittel der Frauen abgewiesen. Deswegen stimmt ein Teil des Antrags der Grünen,
wenn sie sagen, dass das Unterstützungsangebot unterfinanziert sei.
({1})
Deswegen fordern die Grünen hier eine bundesgesetzliche Neuregelung. Aber ein Bundesgesetz - das müssten
Sie auch wissen -, mit dem vom Bund die Kosten der
Einrichtung übernommen würden, wäre laut Rechtsgutachten verfassungswidrig.
({2})
Deshalb muss man ganz ehrlich sagen - so steht es im
Bericht der Bundesregierung zu den Frauenhäusern -,
dass die Verantwortung für die Finanzierung der Frauenhäuser vorrangig bei den Ländern und den Kommunen
liegt.
({3})
An dieser Stelle müssen wir auch ansetzen.
({4})
Und manche Bundesländer, beispielsweise Bayern, haben schon eine zusätzliche Unterstützung auf den Weg
gebracht - was ich sehr befürworte. So wurde in Bayern
eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für die Frauenhäuser um 13 Prozent - ({5})
- Frau Kollegin Deligöz, vielleicht haben Sie es noch
nicht kapiert, aber wir haben den Föderalismus in unserem Land. Deshalb muss man natürlich ansprechen, wer
dafür zuständig ist. Wir sind hier Bundestagsabgeordnete - das nur zur Klarstellung.
({6})
Also, wir haben in Bayern eine Erhöhung der staatlichen
Zuschüsse um 13 Prozent. Aber diese Erhöhung kommt
in vielen Frauenhäusern oft deswegen nicht an, weil einige Kommunen diese Erhöhung auf ihre eigenen Zuschüsse für die Frauenhäuser angerechnet haben und
diese dann kürzen. Das geht natürlich nicht. Die Kommunen müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden.
Das muss man hier ansprechen, weil es nicht angeht,
dass die Mittel, die die Länder an der einen Stelle zusätzlich zur Verfügung stellen, an anderer Stelle wieder gekürzt werden.
Deswegen sage ich: Gewalt zu stoppen, zu ächten und
zu vermeiden, muss auf kommunaler Ebene oberste
Priorität haben. Wir haben mit der Freischaltung der
Hotline eine wichtige Lücke geschlossen. Es ist aber
nicht nur wichtig, dass man Gutes tut, man muss auch
darüber sprechen. Deshalb wollen wir parallel zu der
Freischaltung die von uns ergriffenen Maßnahmen bundesweit bekannt machen. Dazu haben wir eine bundesweite Kampagne gestartet.
Die Botschaft ist: Gewalt ist Unrecht. Es gibt Hilfe. Das hat auch präventive Wirkung. Deswegen hoffe ich
sehr, dass am Ende des Jahres 2013 in den meisten Frauenarztpraxen, in den Hausarztpraxen und in öffentlichen
Einrichtungen in unserem Land Flyer mit den Rufnummern für Hilfe bei Gewalt ausliegen. In den USA beispielsweise klebt in jeder öffentlichen Toilette ein Aufkleber mit der entsprechenden Nummer auf dem
Spiegel, sodass jede Frau, die sich die Hände wäscht,
diese Nummer vor Augen hat. Das führt dazu, dass die
Nummer bekannt wird. Das ist ganz entscheidend. Es
reicht eben nicht aus, gute Kampagnen zu entwickeln,
sondern diese Angebote müssen niederschwellig und für
jeden gut zugänglich sein.
Deswegen fördert die Bundesregierung sehr viele
Modellprojekte und sehr viele Forschungsvorhaben, beispielsweise das Modellprojekt „Medizinische Intervention gegen Gewalt an Frauen“. Nichtsdestoweniger sollten, wie im Bericht auch zur Situation der Frauenhäuser
vorgeschlagen, auf Bundesebene noch weitere Maßnahmen ergriffen werden.
({7})
- Wenn ich darf, kann ich sie alle noch erwähnen.
Ich weiß nicht, wie viele das sind, Kollegin Bär. Versuchen Sie, sie kurz zusammenzufassen.
Ganz kurz. Nachdem danach gefragt wurde, antworte
ich jetzt. Das geht dann nicht von meiner Redezeit ab.
({0})
Ich nenne hier das Modellprojekt zur kommunalen
Bedarfsplanung in Kooperation mit den Ländern, dann
ein Modell zur besseren Versorgung für psychisch
kranke und für suchtkranke Frauen, dann auf gesetzlicher Ebene eine Anpassung des Umgangsrechts und eine
Regelung zur praktikableren Kostenerstattung zwischen
öffentlichen Kostenträgern, sodass alle, auch Schülerinnen und Studentinnen, Asylbewerberinnen, einen direkten und unbürokratischen Zugang zu allen Hilfen haben.
Auch sollte man einmal das Asylbewerberleistungsgesetz überprüfen, ob dem Schutzbedarf gewaltbetroffener
Asylbewerberinnen ausreichend Rechnung getragen
wird, und nicht zuletzt sollten auch Hindernisse im Opferentschädigungsgesetz beseitigt werden.
({1})
Es gibt ein großes Maßnahmenpaket. Ich glaube, dass
es sehr wichtig ist, dass wir das gemeinsam machen. Es
sollte nicht so sein, wie hier gerade hereingerufen wurde,
dass alles auf Bundesebene gezogen werden sollte. Ich
sehe es als unseren Anspruch an: Das, was vor Ort geregelt werden kann, soll auch vor Ort geregelt werden.
Deswegen finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen, dass
die Länder und Kommunen ihrem Auftrag gerecht werden.
Kollegin Bär, machen Sie jetzt bitte einen Punkt.
Vielen Dank. - Wir als Bundesregierung tun auf jeden
Fall alles, um den von Gewalt betroffenen Frauen zu helfen.
({0})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,
gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias“ bekannt: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben 310 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 206
Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 61 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 310
nein: 206
enthalten: 61
Ja
CDU/CSU
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Vizepräsidentin Petra Pau
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({8})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({9})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({10})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({11})
Anita Schäfer ({12})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({13})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({14})
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({15})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({16})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({17})
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({18})
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
SPD
Hans-Ulrich Klose
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({21})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({22})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({23})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({24})
Michael Link ({25})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Dr. Christiane RatjenDamerau
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({26})
Dr. Martin Neumann
({27})
Hans-Joachim Otto
({28})
Jörg von Polheim
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
({29})
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({30})
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({31})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({32})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({33})
Kerstin Griese
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Vizepräsidentin Petra Pau
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({34})
Hubertus Heil ({35})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({36})
Frank Hofmann ({37})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Astrid Klug
Daniela Kolbe ({38})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({39})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({40})
Dr. Matthias Miersch
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({41})
Michael Roth ({42})
({43})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
({44})
Werner Schieder ({45})
Ulla Schmidt ({46})
Silvia Schmidt ({47})
Carsten Schneider ({48})
Swen Schulz ({49})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
({50})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({51})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({52})
Volker Beck ({53})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({54})
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Undine Kurth ({55})
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({56})
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({57})
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({58})
Wolfgang Wieland
Vizepräsidentin Petra Pau
Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion.
({59})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1976 hat das erste deutsche Frauenhaus hier in Berlin eröffnet.
({0})
- Wie viele Jahre? 37 Jahre ist das her. Es wurde von einem Forschungsprogramm begleitet, um zu erkennen,
was in diesem Frauenhaus notwendig ist, wie man es
strukturieren muss, wie es aufgebaut sein muss und welche Qualität es haben muss.
1999 gab es den ersten Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit
Christine Bergmann haben wir das Thema aufgegriffen
und umgesetzt.
Seit Frühjahr 2000 gibt es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Häusliche Gewalt“, die die nationale Umsetzung der Aktionspläne I und II begleitet. Seit 2001 haben wir eine Frauenhauskoordinierung. Ich erzähle es
Ihnen bewusst, damit auch diejenigen, die in der Zeit
noch nicht dabei waren, wissen, was schon alles gemacht
worden ist.
2002 ist das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten, das
zum Beispiel die Wegweisung des Täters aus der gemeinsamen Wohnung ermöglicht. Im September 2007
kam der Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Im November
2008 - das ist auch schon wieder fast fünf Jahre her fand die Anhörung des Familienausschusses zur Frauenhausfinanzierung statt.
Im Dezember 2009 haben wir darüber eine Debatte
geführt. Das war kurz vor Weihnachten - ich habe noch
einmal meine Rede herausgesucht -; anschließend sind
wir in die Weihnachtsferien gefahren.
2011 hat die Bundesregierung die Istanbul-Konvention gezeichnet. Zwei Jahre später haben wir sie immer
noch nicht ratifiziert. Das steht also noch aus.
Wir hatten nach der Anhörung 2008 festgestellt, dass
wir einen Bericht, vor allem einen verfassungsrechtlichen Bericht, darüber brauchen, was getan werden kann
und muss. Der Bericht wurde im August 2012 vorgelegt
und trifft Aussagen zur Situation der Frauenhäuser,
Fachberatungsstellen und anderen Unterstützungsangeboten für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder in Deutschland.
Dazu haben wir im Dezember 2012 eine Anhörung
durchgeführt. Im März 2013 haben wir die Vorgaben der
EU umgesetzt und ein Hilfetelefon freigeschaltet.
Mit Blick auf das alles kann ich mit Stolz sagen: Wir
haben in Deutschland ganz viel gemacht. Das ist unbestritten. Ich glaube, das wird kein einziger hier bestreiten.
Aber warum haben wir das gemacht? Nicht etwa, weil
es hier oder sonst wo, zum Beispiel in den Landesparlamenten, zu viel Elan gibt, sondern weil es vor Ort
Frauen gibt, die sich unermüdlich dafür eingesetzt haben, dass sich etwas bewegt.
Das Hauptproblem für alle Einrichtungen besteht darin, dass sie nach wie vor nicht wissen, wie sie sich finanzieren sollen. Sie stützen sich selber auf die ehrenamtlich dort Arbeitenden. Ich habe es Ihnen schon
mehrmals erzählt: Meine ehrenamtlichen Frauen, die
von 5 Uhr abends bis 9 Uhr morgens und am Wochenende rund um die Uhr den Dienst aufrechterhalten, kriegen keinen Cent für diese Arbeit. Sie sind immer abrufbereit.
Das geht nur, wenn es Frauen gibt, die dies machen.
Damit muss jetzt irgendwann Schluss sein.
Bei den Anhörungen war klar: Originär ist der Bund
nicht zuständig. Ich würde die Finanzierung der Frauenhäuser aber zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählen,
und zwar zur sozialen Daseinsvorsorge. Sie gehört auf
die kommunale Ebene und ist Aufgabe der Länder.
Bei den Banken würden wir sagen: Es sind systemrelevante Einrichtungen. Dann hätten wir über Nacht ein
Gesetz. Wir sind viel bescheidender und würden uns mit
ein paar Milliönle zufrieden geben. Wir wollen gar keine
Milliarden. Ein paar Milliönle würden reichen, um alle
Häuser des Landes abzusichern. Nein, da erkennen wir
nicht die Systemrelevanz.
Ja, ich gebe Ihnen recht, Frau Bär: Der Bund muss
vorrangig nicht zahlen. Aber er hat eine wichtige Aufgabe, nämlich alle Länderminister, die dafür zuständig
sind, an einen Tisch zu bringen und die Frage zu klären,
wer für eine Frau aus Schleswig-Holstein, die in Bayern
aufgenommen wird, zahlen muss. Hier müssen wir zu einem Ausgleich und zu Rechtssicherheit kommen.
({1})
Ganz zu schweigen davon, dass wir auch Frauen aufnehmen, die nirgendwo Geld herbekommen. Die ganzen
Osteuropäerinnen, die zureisen dürfen oder mit Angeboten hierhergelockt werden - und wenn man sie auf einmal satt hat, versucht man sie loszuwerden, indem man
sie halb totprügelt -, haben kein Geld, um irgendetwas
zu bezahlen. Also werden die Frauen in den Vorständen
und die Mitarbeiterinnen es wieder kostenlos machen,
und wir bemühen uns dann um Spenden.
Die Regierung hat die Aufgabe, alle Länderminister
an einen Tisch zu holen. Dafür gibt es keine Ausrede.
Wir müssen es zum Hauptthema machen, dass ein reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das viel
bewerkstelligt - dafür müssen wir uns nun wirklich nicht
schämen -, endlich eine Finanzierung auf die Beine
stellt, die für alle Bundesländer gilt. Jedes Bundesland
muss die Finanzierung sicherstellen. Dabei reicht die Finanzierung auf Tagessatzbasis bei weitem nicht aus.
Vielmehr muss den entsprechenden Einrichtungen
Marlene Rupprecht ({2})
Strukturhilfe gewährt werden. Davon sind wir aber noch
Lichtjahre entfernt.
Wir müssen endlich zur Umsetzung kommen und
- das ist dringend notwendig - die Konvention gegen
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ratifizieren.
Der Kollege aus dem Ausschuss des Europarats - diesem gehöre ich ebenfalls an -, der die Kampagne zum
Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt leitet und vorwärts bringt, wird uns besuchen - dem Ausschuss liegt
eine entsprechende Anfrage vor - und wird uns dann
noch einmal nahelegen, wirklich etwas zu tun. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Sicherstellung der Finanzierung.
Ich hoffe, dass Frauen auch für diese Regierung ein
Thema sind. Dass die Welt aus zwei Geschlechtern besteht, wissen wir. Ich habe aber manchmal den Eindruck
- ich glaube, Frau Laurischk stimmt mir zu -, dass wir
ein Geschlecht meistens vergessen. Wir sollten die
Frauen in den Fokus rücken, die am wenigsten dafür
können, dass sie Zufluchtsstätten wie Frauenhäuser aufsuchen müssen. Wir sollten dafür sorgen, dass sie das
mit Würde tun können, wenn ihnen schon zu Hause die
Würde genommen wird. Wir, die wir uns für den Schutz
von Frauen vor häuslicher Gewalt engagieren, sollten
nicht in jeder Verhandlung mit Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten betteln müssen. In diesen
Verhandlungen kommt man sich als Vorsitzende eines
Frauenhausvereins fast wie eine Prostituierte vor, wenn
man Geld erbettelt, damit die Finanzierung des Frauenhauses für die nächsten zwei Jahre wieder sichergestellt
ist. Nur so können diese Häuser bestehen. Das ist die
Realität.
Wenn die solidarischen Männer, die heute hier sitzen
- dafür bedanke ich mich -, ebenfalls Verantwortung
übernehmen, dann werden sie endlich denjenigen, die
bislang eine zuverlässige Finanzierung der Frauenhäuser
verhindern, sagen: Es reicht! Wenn ihr es in dieser Legislaturperiode nicht mehr hinbekommt, dann müssen
wir es in der nächsten Legislaturperiode schaffen. - Diesen Appell richte ich an das ganze Haus. Sonst muss sich
der Bundestag wirklich dafür schämen, dass trotz zahlreicher Gutachten und endloser Erkenntnisse nichts von
dem umgesetzt wird, was als richtig erkannt wurde. Das
fände ich schade.
In diesem Sinne wünsche ich diesem Parlament noch
einen wunderschönen Abend, der nach der Tagesordnung bis morgen Abend um 18.30 Uhr geht.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Rupprecht, eigentlich wollte ich meine Rede anders beginnen, aber ich knüpfe an das an, was Sie gerade über
die Mühen gesagt haben, die viele Mitarbeiterinnen, insbesondere die ehrenamtlichen, in den Frauenhausvereinen haben, wenn es um die Sicherstellung der Finanzierung geht. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als ich
mit meinem Frauenhausverein beim Kämmerer vorgesprochen habe. Es war mühsam und alles andere als einfach. Aber wir Frauen sind an diesen Aufgaben auch gewachsen. Mittlerweile hat zumindest der Ortenaukreis
den Mitteleinsatz - wenn auch nicht im Millionenbereich - von 100 000 Euro auf 200 000 Euro verdoppelt.
Das reicht zwar auch noch nicht, aber das ist ein klares
Signal. Es wird registriert, dass wir uns im Bundestag
mit der Situation der Frauenhäuser bundesweit befassen,
und das nicht erst seit gestern. Schon in der letzten Legislaturperiode haben wir über die Finanzierung diskutiert.
Die Frage, ob der Bund zuständig ist oder nicht, ist
unter grundgesetzlichen Aspekten problematisch. Die
breite Mehrheit der Gutachter ist der Meinung, das sei
nicht Aufgabe des Bundes, sondern Aufgabe der Länder.
Ich persönlich bin der Meinung, dass das diskussionswürdig ist. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre sicherlich gut; denn egal um welche Gewalttaten es sich
handelt, ob um Schläge, ständige Misshandlung oder
- noch schlimmer - Vergewaltigung, sie werden bundeseinheitlich als Straftaten angesehen. Daher bin ich der
Meinung, dass es gut wäre, wenn es bundeseinheitlich
flankierende Maßnahmen gäbe.
({0})
Nun haben wir eine verfassungsrechtlich schwierige
Lage. Entsprechende Gutachten und Berichte stellen immer wieder fest, dass nicht wir für die Frauenhäuser zuständig sind, sondern die Länder. Die Länder sollen,
können und müssen auch etwas tun. Ich habe die Vermutung, dass die Länder ein Stück weit versuchen, sich ihrer Aufgaben und insbesondere ihrer finanziellen Verpflichtungen zu entledigen, indem sie dem Bund die
Verantwortung zuschieben.
Das ist eine schwierige Gemengelage, in deren Rahmen wir uns als Bundespolitiker und Bundespolitikerinnen durchaus dem Thema gewidmet haben, und zwar
mit guten Ergebnissen. Ich nenne zum einen das Gewaltschutzgesetz. Ich glaube, dieses Gesetz hat viel verändert. Es führt nämlich zu dem Ergebnis, dass derjenige,
der Gewalt anwendet, also der schlägt, gehen muss. Das
ist gesetzlich klar und leicht umsetzbar, und das geht
mittlerweile auch sehr schnell. Die Familiengerichte zögern gar nicht mehr lange, es wird nicht erst ein langer
Strafprozess abgewartet, sondern es ist klar, dass derjenige, der Gewalt angewendet hat, das Feld verlassen
muss.
Das führte dazu, dass sich die Situation in den Frauenhäusern mittlerweile geändert hat. Es suchen immer
mehr Migrantinnen dort Zuflucht, weil sie mittlerweile
wissen, dass es dort eine Zuflucht gibt. Sie sind nun aber
eine Gruppe unter den Frauen in Deutschland, die sich
häufig nicht artikulieren kann, weil sie zu wenig Sprachkenntnisse und zu wenig Selbstvertrauen hat, um die
angebotenen Hilfen und die Möglichkeiten, die das
Gewaltschutzgesetz bietet, in Anspruch zu nehmen. Deswegen ist die Versorgungssituation der Frauen in den
Frauenhäusern noch schwieriger geworden, als sie ohnehin schon war. Die Mitarbeiterinnen leisten eine ganz
schwierige und wichtige Arbeit. An dieser Stelle möchte
ich gerade diesen Frauen für ihre Arbeit danken, die
nicht in der Öffentlichkeit stattfindet, sondern in der vertraulichen und geschützten Situation des Frauenhauses.
Wir als Bundesgesetzgeber hätten die Möglichkeit,
durch Änderungen im SGB XII und im Asylbewerberleistungsgesetz für diese spezielle Gruppe eine bundeseinheitliche Lösung zu schaffen. So weit sind wir nicht
gekommen. Das muss man selbstkritisch sagen. Aber
wir haben einen wichtigen Schritt geschafft. Darauf können wir als Koalition stolz sein. Wir haben das bundesweite Hilfetelefon installiert, das gerade den Migrantinnen, gerade den Frauen, die sich nur sehr schwer auf
Deutsch verständigen können, um sich Hilfe zu verschaffen, die Möglichkeit bietet, in ihrer Muttersprache
Gehör zu finden.
Diesen Frauen können in dieser sehr schwierigen
Situation in der vertrauten Sprache erste Hilfsangebote
genannt werden, damit sie der Gewaltsituation entkommen können. Das ist in der isolierten Situation, in der sie
häufig leben, besonders schwierig; denn Gewalt gegen
Frauen beruht oft auf strukturellen Gegebenheiten, die
so leicht nicht zu ändern sind. Da reicht ein Willensakt
nicht aus, sondern es müssen flankierende Maßnahmen
in Form von Hilfsangeboten vorhanden sein.
Ich glaube, dass wir mit der Einrichtung dieses Hilfetelefons tatsächlich etwas Richtungsweisendes getan haben. Wir werden eine Evaluation durchführen, wie das
Hilfetelefon angenommen wird. Im Moment jedenfalls
besteht eine große Nachfrage. Wir werden sicherlich vor
dem Hintergrund der Erfahrungen mit diesem Hilfetelefon nach weiteren Lösungen suchen. Ich setze darauf,
dass die Diskussion, die von engagierten Frauenpolitikerinnen, insbesondere was die Thematik der Frauenhäuser
angeht, weitergeführt wird. Ich glaube, dass sicherlich
auch in der nächsten Legislaturperiode dieses Thema
weiterverfolgt wird, damit es zu einer bundesweiten Finanzierung von Frauenhäusern kommt. Ich hoffe das
und setze darauf. Wir wissen, in der Politik bleibt immer
noch etwas zu tun.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Yvonne Ploetz für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Schwere Wege leicht machen!“, das ist der Titel der aktuellen Kampagne der Frauenhäuser. Sie wollen wachrütteln, uns alle, Sie alle, sie wollen darauf hinweisen,
wie wichtig eine bedarfsgerechte Finanzierung der Frauenhäuser ist. Sie erzählen davon, dass rund 16 000 bis
20 000 Frauen mit noch einmal so vielen Kindern jährlich bei ihnen Zuflucht finden, Frauen, die vor ihren
Ehemännern, vor ihren Vätern, vor ihren Partnern flüchten. Sie werden erniedrigt, beschimpft, isoliert. Sie werden in ihrem Selbstwertgefühl verletzt. Jeder vierten
Frau passiert das in ihrem Leben. Da sind Frauenhäuser
oftmals der einzige Schutz, der einzige Zufluchtsort für
Mütter und für Kinder. Nicht selten fliehen sie in Nachtund-Nebel-Aktionen von zu Hause und werden dann
ganz sorgsam aufgenommen, werden beschützt und werden beraten. Man kommt wirklich unweigerlich zu dem
Schluss, dass Frauenhäuser unverzichtbar sind und dass
es eine Tragödie ist, wenn an allen Ecken und Enden
Geld fehlt. Dies ist leider eine politische Tragödie, die
Sie als Regierung endlich beenden müssen.
({0})
Schutz können Frauenhäuser nur dann bieten, wenn
Plätze frei sind. 2011 wurden 9 000 Frauen - 9 000
Frauen! - abgewiesen, weil einfach keine Plätze vorrätig
waren. Stellen wir uns kurz vor, wir wären eine Mitarbeiterin in einem Frauenhaus und müssten eine misshandelte Frau abweisen. Das ist die reinste Katastrophe für
diese Frauenhausmitarbeiterin und insbesondere für die
hilfesuchende Frau. Wir sind doch dafür zuständig, dass
beide vor einer solchen Situation bewahrt bleiben.
({1})
Deshalb streiten wir heute wieder dafür, dass wirklich
jeder Frau 24 Stunden täglich, also rund um die Uhr,
Schutz gewährt werden kann und muss, und zwar in allen Lebenslagen. Bei meinen Besuchen in saarländischen Frauenhäusern wurde mir immer wieder klargemacht, was für Herausforderungen dort eigentlich zu
bewältigen sind. Da geht es darum, dass auch Mütter und
Kinder mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang
haben. Da geht es darum, dass schwangere Frauen Kontakt zu Hebammen und zu Ärztinnen haben müssen.
Frauen und Kindern, die kaum Deutsch sprechen, müssen Übersetzerinnen zur Seite gestellt werden, damit sie
sich überhaupt verständlich machen können. Frauen mit
ihren jugendlichen Söhnen müssen Platz finden. Gerade
für traumatisierte Kinder müssen Therapeutinnen und
Therapeuten da sein, damit das Erlebte überhaupt aufgearbeitet werden kann.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Hilfe
kostet nun einmal Geld; sie muss finanziert werden. Wir
sind heute, fast 40 Jahre nachdem das erste Frauenhaus
die Türen geöffnet hat, immer noch in der gleichen
Situation: Die Finanzierung der Frauenhäuser hängt vom
Wohlwollen der Politik auf Bundesebene, in den Ländern und in den Kommunen ab. Es ist doch kein Geheimnis, dass gerade in Zeiten knapper Kassen der Rotstift zuallererst bei sozialen Einrichtungen angesetzt
wird. Aber Sie können sich sicher sein: Finanzierung
nach Kassenlage, gerade bei Gewaltopfern, werden wir
Linke niemals akzeptieren.
({2})
In nicht wenigen Fällen wird die Finanzierung - das
haben wir heute schon gehört - direkt an die Frauen über
sogenannte Tagessätze weitergegeben. In diesem MoYvonne Ploetz
ment wäre ein Hotelaufenthalt sicherlich günstiger; aber
dort finden die Frauen den nötigen Schutz einfach nicht.
So müssen sie sich in ihrer sowieso schon sehr schwierigen Lage schlimmstenfalls verschulden. Sie werden hilfebedürftig gemacht und rutschen eventuell noch in die
Armut. Dass mangelnde Finanzierung den Frauen den
Weg in ein Frauenhaus versperrt, ist wirklich zynisch
und schlichtweg nicht tragbar.
Jeder Frau in Not muss geholfen werden. Das geht
aber nur dann, wenn die Hilfeeinrichtungen selbst nicht
um ihre eigene Existenz kämpfen müssen. In Ihrem eigenen Lagebericht beschreiben Sie die Situation vieler
Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern als „Selbstausbeutung“. Am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“
fiel der Satz:
Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kann anderen
nicht den Rücken stärken.
Ja, das ist sehr richtig. Spätestens hier sollten wirklich
alle hellhörig werden und sich um eine bedarfsgerechte,
bundeseinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser bemühen. Machen Sie endlich schwere Wege leicht!
Danke schön.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zum Thema Frauenhäuser hat die Bundesregierung
in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal einen sehr instruktiven Bericht vorgelegt. Wir hatten dazu außerdem
eine sehr informative Anhörung. Für mich fällt die Bilanz gemischt aus: Zum einen wurde uns sehr glaubhaft
berichtet, was für eine Arbeit geleistet wird und mit welcher Professionalität, mit welchem Engagement das geschieht; das hat schon ermuntert. Auf der anderen Seite
hat betroffen gemacht, dass es nötig ist, diese Arbeit in
diesem Umfang zu leisten. Betroffen haben natürlich
auch die erkennbaren Defizite und Probleme gemacht.
Es wurde uns nämlich sehr glaubhaft aus der Praxis
geschildert, dass nicht allen Frauen eine passende Hilfe
angeboten werden konnte, dass zu viel Zeit damit vertändelt wird, Formulare und Anträge auszufüllen, anstatt
mit den Frauen zu arbeiten. Es wurde auch klar, dass
ohne Ehrenamt und ohne viel Improvisationstalent an
der Stelle das Ganze überhaupt nicht zu leisten wäre, obwohl - das muss man sich klarmachen - dieser Schutz
vor Gewalt ebenso wie die Daseinsvorsorge in einer bestimmten Notsituation sicherlich zu den ureigenen staatlichen Aufgaben gehört. Es ist eigentlich nur historisch
zu erklären, dass das nicht vollauf in der staatlichen Finanzierung ist. Man muss sich einmal vorstellen, dass
eine andere Institution im Bereich der Innenpolitik von
Ehrenamtlern unterstützt werden müsste, dass wir in Gefängnissen zum Beispiel Ehrenamtler einsetzen müssten,
um sie überhaupt unterhalten zu können! Der Handlungsbedarf an der Stelle ist also unstreitig.
Die Bundesregierung erkennt ihn an, erkennt ihre
Verantwortung an, nicht nur theoretisch, sondern auch
ganz praktisch. Das hat sich durch den Bericht und durch
die Anhörung gezeigt, aber eben auch durch die Installierung der Helpline, die in dem Zusammenhang eine
ganz hohe Bedeutung hat, die den Frauen wirklich niedrigschwellig hilft, die aber auch die einzelne Einrichtung
ein Stück weit davon entlastet, eine geeignete Einrichtung zu finden, wenn sie selbst keinen Platz hat.
Darüber hinaus formuliert der Regierungsbericht
selbst, dass es weiteren Handlungsbedarf gibt. Das ist
ein Punkt, der unstreitig ist - mit und ohne Antrag der
Grünen. Aber wir müssen in der Tat darüber sprechen,
wie es weitergehen kann.
Nun gibt es einiges von dem, was Sie ansprechen, in
der Praxis schon; das dürfen wir nicht vernachlässigen.
Es gibt die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Es gibt die Ebene der
Frauenhauskoordinierung, die vom Bundesministerium
auch gefördert wird. Es gibt die Frauenministerkonferenz, die natürlich auch mit dem Bund kooperiert. Es
gibt den Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Alle diese Strukturen gibt es. Wir müssen
ihnen die richtigen Fragen stellen, um zielführende Ergebnisse herauszubekommen.
Sie sprechen in dem Antrag zu Recht an, dass es Probleme in der Abgrenzung der verschiedenen Rechtskreise - SGB II, Asylbewerberleistungsgesetz - gibt.
Wir alle wissen, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur auf
Bezieher von SGB-II-Leistungen zum Beispiel beschränkt ist. Es sind also nicht nur Frauen betroffen, die
diesen Rechtskreisen zuzuordnen sind. Das sind Gesetze, bei denen man eine ganz andere Notsituation im
Auge hatte. Sie können nicht passgenau sein. Von daher
ist da wirklich etwas nachzuarbeiten. Darum kann sich
durchaus der Bund kümmern.
Sie sprechen weitere Punkte an, natürlich auch die Finanzierung und die Zuständigkeit. Das waren schon in
der Debatte bisher die wichtigsten Punkte. Ich möchte
drei Bemerkungen zur Finanzierung machen:
Erstens. Das, was da aus der Warte der Frauenhäuser
verlangt wird, ist wirklich nicht zu viel verlangt.
({0})
Es geht wirklich nirgendwo darum, dass jemand sich
eine goldene Nase verdient, es geht nicht darum, dass irgendwo Luxus nachgefragt wird, sondern es geht darum,
wirklich eine angemessene, bescheidene und sichere Unterkunft für Frauen in einer Notsituation zu bekommen.
Wie gesagt, ohne Ehrenamt und ohne Spenden wäre das
bisher nicht möglich.
Zweite Bemerkung. Es ist schon einiges Geld im System. Wir fangen nicht bei null an. Die Länder bringen
einiges zusammen, die Kommunen bringen einiges zusammen, sei es in der institutionellen Förderung oder
auch in der fallweisen Unterstützung. Wie viel das genau
ist, lässt sich schwer sagen, weil es darüber keine genaue
Statistik gibt. Aber allein die Leistungen der Länder
dürften die Größenordnung von 50 Millionen Euro erreichen. Hinzu kommt das, was der Bund für die Kosten
der Unterkunft und dergleichen - Stichwort „Asylbewerberleistungsgesetz“ - leistet.
Was letztlich gebraucht wird, ist nicht die Welt. Wir
haben die Zahlen. Wir gehen davon aus, dass auf
7 500 Einwohner ein Platz im Frauenhaus gebraucht
wird. Bei dem Verhältnis gäbe es eine wirklich gute Versorgung. Wenn man das hochrechnet, dann liegt das, was
insgesamt gebraucht wird, in der Größenordnung von
150 Millionen Euro. Vieles davon ist, wie gesagt, schon
im System. Das müsste doch zu schaffen sein.
({1})
Dritte Bemerkung. Denken Sie einmal daran, was allein die Polizeieinsätze samstags in den Fußballstadien
kosten!
({2})
Wir reden da von Beträgen in einer Größenordnung von
50 Millionen Euro für ein Sicherheitsbedürfnis - vorwiegend der Männer,
({3})
was ihnen gegönnt sein mag; wir haben nichts dagegen.
({4})
Wenn man das bedenkt, dürfte die Forderung hier doch
nicht zu viel verlangt sein. Ich appelliere wirklich an
alle, die da mitwirken können: Helfen Sie mit, dass wir
dieses Geld auftreiben! Das müssen wir aber auch auf
die verschiedenen Schultern verteilen. Zuständig sind
zunächst einmal wesentlich die Länder, auch wenn der
Wunsch nach einem Bundesgesetz, durch das alles bezahlt wird, verständlich ist. Man sagt: Wir möchten ein
Bundesgesetz, damit dieser Bürokratismus ein Ende hat.
- Das kann ich verstehen. Trotzdem kommen wir an dieser Stelle an einigen Realitäten nicht vorbei: Sowohl die
innere Sicherheit als auch die Daseinsvorsorge sind originäre Länderaufgaben. Wir können auf das Geld, das
die Länder einbringen, nicht verzichten, genauso wenig
wie auf deren Planungskompetenz vor Ort. Das muss bei
den Ländern bleiben. Trotzdem gibt es für den Bund
auch Spielraum.
Kollegin Winkelmeier-Becker, ich unterbreche Sie
ungern, gerade in dieser Debatte, aber achten Sie bitte
auf die Zeit und kommen Sie zum Schluss.
Ja, ich bin sozusagen beim letzten Satz.
Ich möchte auf das zurückkommen, was Professor
Rixen in der Anhörung als mögliche Option aufgezeigt
hat. Er hat gesagt, der Bund könne bestimmte Standards
und Rahmenbedingungen in einem eigenen Kapitel des
SGB XII festlegen. Das wäre von den Ländern auszuführen, sodass dies als gemeinsame Aufgabe unternommen werden soll. Lassen Sie uns das einmal vornehmen!
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12850 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim
Poß, Ingo Egloff, Burkhard Lischka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Exorbitante Managergehälter begrenzen
- Drucksache 17/13472 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr. Tobias Lindner, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Mitfinanzierung exorbitanter Gehälter
durch die Allgemeinheit - Steuerliche Abzugsfähigkeit eingrenzen
- Drucksache 17/13239 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Joachim Poß für die SPD-Fraktion.
({2})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Viele Menschen, immer mehr Menschen
verzweifeln an einer gesellschaftlichen Situation, in der
wie selbstverständlich Spitzenmanager rund das 70-Fache des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens
haben. In Einzelfällen, wie wir wissen, ist die Relation
noch weit größer: Da beträgt sie das 200- bis 300-Fache.
Das wissen wir von teilweise prominenten Fällen. Das
ist für einen modernen Sozialstaat eine viel zu große
Diskrepanz, die meines Erachtens durch nichts zu legitimieren ist. In einer Zeit, in der der Niedriglohnbereich
und die Prekarisierung zunehmen, ist das ein weiterer
Faktor, der den sozialen Frieden unterminiert. Deshalb
wollen wir, dass der Aufsichtsrat dazu verpflichtet wird,
eine Relation vom Vorstandsgehalt zum Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer ihres Unternehmens zu
bestimmen, zu veröffentlichen und eine Obergrenze dafür festzulegen.
({0})
Außerdem wollen wir die steuerliche Abzugsfähigkeit von Gehältern und Abfindungen als Betriebsausgaben beschränken. Einen ähnlichen Vorschlag haben wir
schon in den Verhandlungen mit der CDU/CSU in der
Großen Koalition gemacht. Dort haben wir das Gesetz
zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung verabschiedet. Damals hat die CDU/CSU auch schon nicht gerne
mitgemacht. Nach diesem Gesetz, das ein Anfang war,
ist die CDU/CSU bei diesem Thema in einen Tiefschlaf
gefallen. Erst jetzt wieder, nach mehr als drei Jahren,
sind Frau Merkel und Co. aufgewacht. Das gilt auch für
andere Fragen wie Bankenregulierung, Kampf gegen
Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Kurz vor der Bundestagswahl wird nach mehr als drei Jahren Ignoranz
und Blockade aufgedreht.
({1})
Das trifft auch für den Vorschlag der schwarz-gelben
Regierung zu, der nicht zielführend ist. Dieser Weg ist
ein Irrweg. Eine klitzekleine Änderung des Aktiengesetzes - die Verschiebung der Entscheidung über die Vorstandsvergütung auf die Hauptversammlung - ist keine
Lösung. Denn damit geht die schwarz-gelbe Koalition
den Weg des ungebremsten Finanzkapitalismus weiter,
anstatt Lösungen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft
zu suchen.
({2})
Nichts wird dadurch, dass jetzt die Hauptversammlung zu entscheiden hat, besser; denn Vorschläge zur
Struktur kann sie jetzt schon machen. Im Gegenteil:
Nicht nur bei den DAX-Unternehmen dominieren in der
Hauptversammlung Banken, internationale Fonds und
institutionelle Anleger, die oft gar kein Interesse an Gehaltsbegrenzungen haben und zu deren Geschäftsmodell
die systematische Erhöhung von Boni gehört. Das ist jedenfalls die belegte Praxis der Vergangenheit.
Was die Transparenz der Entscheidungen angeht,
wird nichts von vornherein besser werden. Diejenigen
Eigentümer, die die Hauptversammlung dominieren,
werden sich vorher hinter den Kulissen mit ihren Vertretern im Aufsichtsrat über das Vergütungskonzept einigen. Wir werden mehr Kungelei haben als jetzt. Ganz
nebenbei werden die Vertreter der Arbeitnehmer ausgeschaltet.
Diesen Anschlag auf die bewährte Balance von Kapital- und Beschäftigungsinteressen werden wir nicht mitmachen. Es muss bei dem Weg bleiben, den wir im
Jahre 2009 gemeinsam mit der CDU/CSU eingeschlagen
haben. Diesen Weg wollen auch die Regierungskommission, der BDI und andere gehen: mehr Verantwortung
für den Aufsichtsrat. Ich füge hinzu: Der Aufsichtsrat
muss diese Verantwortung allerdings stärker als in der
Vergangenheit wahrnehmen.
Während die Regierungskommission bei ihren Vorschlägen auf Freiwilligkeit setzt, glauben wir nach allen
Erfahrungen, die wir in den letzten eineinhalb Jahrzehnten mit freiwilligen Regelungen gemacht haben, dass wir
an manchen Stellen - das steht in unserem Antrag - Gesetzesverschärfungen zwingend benötigen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der
Managervergütung ist ein wichtiges Thema. Deshalb ist
es gut, dass gehandelt wird. Es ist gut, dass die christlich-liberale Koalition handelt. Wir haben einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Wir werden diesen Vorschlag noch in dieser Legislaturperiode abschließen.
Unser Vorschlag unterscheidet sich allerdings von
dem Ihren. Er unterscheidet sich darin, dass er auf Stimmigkeit statt auf Unstimmigkeit setzt. Es handelt sich
um ein durchdachtes und nicht um ein undurchdachtes
Konzept. Es handelt sich um ein Konzept, das auf eine
systematisch richtige Lösung und nicht auf Bevormundung setzt.
({0})
Der Vorschlag, den Sie heute auf den Tisch legen, ist
unter einer Vielzahl von Aspekten bemerkenswert. Bemerkenswert ist zunächst einmal die Frage, wie Sie mit
Betriebsausgaben umgehen wollen. Sie wollen die Absetzbarkeit der Vergütung von Vorstands- bzw. Managergehältern als Betriebsausgaben auf einen Betrag von
500 000 Euro beschränken. Viele Gehälter in diesem
Land gelten als Betriebsausgaben. Dazu zählen die Gehälter für Manager, für Künstler, für Fußballstars, für
Fernsehmoderatoren und für viele andere mehr. Es ist
allgemein anerkannt, dass sie abgesetzt werden können.
Die Einzigen, für die diese Regelung künftig nicht
mehr gelten soll, sind nach Ihrem Vorschlag Vorstände
und Manager. Schauen Sie sich einmal folgenden Fall
an: Ein Juror bei Deutschland sucht den Superstar bekommt 1,2 Millionen Euro, wohlgemerkt: nicht pro Jahr,
sondern pro Staffel. Nach Ihrem Vorschlag ist in diesem
Fall die Absetzbarkeit als Betriebsausgabe künftig weiterhin möglich. Für den Manager soll dies bei einem Gehalt von etwa 600 000 Euro nur noch eingeschränkt
möglich sein. Das sagt viel darüber aus, wo für die deutsche Sozialdemokratie Leistungsträger angesiedelt sind
und wo nicht.
({1})
Schauen Sie sich einmal die Gehälter von Fußballstars oder von Formel-1-Rennfahrern an. Es ist für mich
besonders überraschend, dass Sie dafür keine Regelung
vorsehen. Denn Formel-1-Rennfahrer machen gleich
zwei Dinge, die aus Sicht der Sozialdemokratie in hohem Maße anstößig sind: Sie verdienen viel Geld, und
obendrein fahren sie schneller als 120. Letzteres ist im
Grunde noch schlimmer als Ersteres.
({2})
Es ist ganz offensichtlich: Das, was Sie vorlegen, ist
eine Regelung für irgendwelche Gruppen, bei denen es
im Augenblick einfach opportun und billig ist, auf sie
einzuhauen. Eine andere Regelung sehen Sie für andere
Personen vor, die wesentlich mehr verdienen. Das ist unstimmig, unsinnig und obendrein verfassungswidrig.
({3})
Interessant ist auch, wie einfach Sie es sich bei der
Frage machen: Was ist noch angemessen und was ist eigentlich unangemessen? Sie haben es herausgefunden:
Die Trennlinie liegt offensichtlich bei 500 000 Euro. Die
großen Denker der Antike wie Aristoteles und später
Thomas von Aquin
({4})
haben sich lange mit der Frage des angemessenen Preises befasst, aber hätten sich, glaube ich, viel Arbeit ersparen können, wenn sie die Beiträge der Sozialdemokratie zur Erkenntnisgeschichte der Menschheit im Jahr
2013 hätten erahnen können.
({5})
Wir haben einen Vorschlag der Regierung auf dem
Tisch, der vorsieht, die Rolle der Eigentümer zu stärken:
Wir wollen die Rolle der Hauptversammlung stärken,
weil wir der Überzeugung sind, dass die Eigentümer am
besten mit dem Geld umgehen. Hier unterscheidet sich
unser Ansatz von Ihrem. Sie sagen im Ausgangspunkt da sind wir noch bei Ihnen -, dass die Aufsichtsräte in
Deutschland in vielen Fällen eine gute Arbeit leisten.
Die Frage ist: Warum sind Sie, wenn Sie das konstatieren, überhaupt für Einschränkungen?
Wenn es Einschränkungen geben soll - das ist jedenfalls unsere Überzeugung -, dann können diese nicht
vom Gesetzgeber kommen; es ist viel besser, wenn sie
vom Eigentümer kommen, weil er mit dem Geld einer
Gesellschaft vernünftiger umgeht.
({6})
Sie behaupten, Eigentümer in der Hauptversammlung
könnten damit nicht vernünftig umgehen. Erklären Sie
doch einmal, warum ein Eigentümer eines Unternehmens, warum die Aktionäre in einer Hauptversammlung
ein Interesse haben sollten, den Vorständen mehr Geld
zuzuschanzen, als sie eigentlich verdienen.
({7})
Ein solches Interesse der Eigentümer gibt es nicht. Das
Interesse der Eigentümer ist, für die Gehälter eine angemessene Gegenleistung zu bekommen. Deshalb werden
wir die Rolle der Hauptversammlungen stärken. Wir
werden die Aufsichtsräte dabei nicht entmachten, weil
uns der Wert der Mitbestimmung zu hoch ist.
({8})
Wir werden allerdings ermöglichen, dass die Hauptversammlung den Aufsichtsräten einen äußeren Rahmen für
die Vergütung absteckt.
Im Augenblick ist die Situation folgende: Es ist aktienrechtlich unzulässig, dass die Hauptversammlung dem
Aufsichtsrat aus eigenem Antrieb eine Obergrenze für
die Managervergütung vorgibt. Daran wollen Sie mit Ihrem Vorschlag offensichtlich nicht rütteln. Wir wollen
daran rütteln und sagen: Die Eigentümer sollen den äußeren Rahmen vorgeben, innerhalb dieses Rahmens sollen die Aufsichtsräte entscheiden; sie machen das gut.
Das wird nach unserer Überzeugung funktionieren.
Wir sind mit diesem Ansatz im Übrigen - anders als
Sie - genau auf der Linie des EU-Aktionsplans „Europäisches Gesellschaftsrecht“, der besagt: Wir brauchen
Veränderungen; wir brauchen eine Stärkung der Rolle
der Aktionäre als Eigentümer der Unternehmen. - Im
EU-Aktionsplan heißt es zu Recht, dass die aktuelle
Rolle der Aktionäre eine der großen Schwächen im Bereich der Corporate Governance ist. Das beheben wir,
und zwar durch strukturgerechte Maßnahmen und nicht
durch staatliche Bevormundung und Dirigismus.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Kein Topmanager ist das 300- oder 400-Fache eines
einfachen Angestellten wert …
Das sagte der Präsident des Verbandes Die Familienunternehmer im letzten Jahr. Ich sage: Jawohl, er hat recht.
Auch wenn der Vorstand eines DAX-Unternehmens
im Durchschnitt - so war es im vergangenen Jahr - etwa
das 54-Fache seiner Angestellten erhält, ist das viel zu
viel. Das ist eben nicht durch Leistung zu erklären. Die
Durchschnittsvergütung der Vorstände der DAX-Unternehmen lag 2012 bei 5,33 Millionen Euro; das sind
3 Prozent mehr als im Vorjahr. Diese völlig überdrehten
Managergehälter untergraben unser Sozialsystem und
das Leistungsprinzip; das liegt auf der Hand. Es ist überfällig, dass wir hier im Haus jetzt endlich ernsthaft und
mit Gestaltungswillen darüber diskutieren.
({0})
Martin Winterkorn verdiente 2012 bei VW 14,5 Millionen Euro. Dieter Zetsche von Daimler verdiente
8,2 Millionen Euro. 2011 verdiente Peter Löscher bei
Siemens 9,8 Millionen Euro - eine Steigerung im Vergleich zu 2007, innerhalb von vier Jahren, um immerhin
67 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der
Angestellten von Siemens in diesen vier Jahren eine solche Lohnsteigerung zu verzeichnen hatte.
Ich frage mich wirklich, wie Sie einer Krankenschwester, die, wenn es hochkommt, jährlich
40 000 Euro brutto verdient, Managergehälter in dieser
Größenordnung erklären wollen; denn durch Leistung
sind sie nicht zu erklären. Sie sind auch nicht durch
Bildung, Qualität der Arbeit oder Verantwortung zu erklären.
Ich glaube schon, dass die Menschen aufhorchen,
wenn sie mitbekommen, dass jede Krankenschwester,
jeder Hartz-IV-Empfänger und sogar jedes Kind diese
Managervergütungen letztendlich mitfinanzieren; denn
sie alle zahlen Steuern: Lohnsteuer, Mehrwertsteuer; die
Windeln für ein Baby kosten Geld, auch darauf wird
Mehrwertsteuer erhoben. Die Absetzbarkeit der Managergehälter von den Betriebsausgaben schmälert unser
Gesamtsteueraufkommen. Deshalb ist die Höhe der Managergehälter einfach nicht zu erklären. Sie ist grob ungerecht.
({1})
Lassen Sie mich kurz einen Blick in die Geschichte
werfen. Das Problem steigender Managergehälter, das in
den letzten Jahr zusätzlich an Fahrt gewonnen hat, gibt
es seit den 70er-Jahren, als die Firma Xerox das Benchmarking - vergleichende Analyse von Ergebnissen mit
festgelegtem Bezugswert - eingeführt hat. Die Bezüge
richten sich also nicht nach dem Betriebsergebnis, sondern die Bezüge werden im Vergleich zu anderen Unternehmen festgelegt. Das heißt, die Vergütung kann sich
immer aufschaukeln: In einem Unternehmen steigen die
Gehälter, dann müssen sie auch im nächsten steigen. Wir
befinden uns in einer tollen Spirale nach oben. Welche
Geschwindigkeit das erhalten hat, haben wir in den letzten zehn Jahren gesehen.
Ihr Kabinettsentwurf zur Begrenzung der Managergehälter ist die pure Augenwischerei. Es wird sich
überhaupt nichts ändern, wenn Sie nur den § 120 des
Aktiengesetzes neu fassen und festlegen, dass die Hauptversammlung entscheidet. Ja, Gott, wer sitzt denn in der
Hauptversammlung? Da sind Großaktionäre, Banken
und Fonds mit Stimmrechten,
({2})
die kleinen Aktionäre sind nur das Nebenprogramm.
Ich zitiere aus einem Artikel von Heribert Prantl aus
der Süddeutschen Zeitung. Es
steht schon in der Bibel: Man kann nicht den Teufel
mit dem Beelzebub austreiben.
Man wird an einer gesetzlichen Begrenzung der
Managergehälter nicht vorbeikommen.
({3})
Daran werden wir nicht vorbeikommen, wenn wir etwas
ändern wollen, aber Sie wollen nichts ändern.
Die Abzugsfähigkeit muss begrenzt werden. Wir haben das bereits im vergangenen Jahr in einem Antrag gefordert. Sie kommen dann immer mit Vertragsfreiheit
und verweisen auf die Eigentümer. Vertragsfreiheit ist
keine Freiheit zur Tollerei, und wir haben im Steuerrecht
durchaus Deckelungen. Es geht hier nicht um eine völlige Streichung, es geht um eine Deckelung. Die Abzugsfähigkeit von Dienstwagen, Geschenken und Bewirtung, im Körperschaftsteuerrecht die Abzugsfähigkeit
von Zinsaufwendungen - wir haben überall Deckelungen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den USA. Dort ist
die Abzugsfähigkeit der Managergehälter bei den Betriebsausgaben auf 1 Million US-Dollar gedeckelt. Sie
können von Ihrem großen Bruder etwas lernen.
({4})
Wir brauchen unmittelbar eine Deckelung. Wir müssen eine grundlegende Diskussion führen. Wie Herr Poß
schon sagte: Wir müssen eine Verhältnismäßigkeit herstellen zwischen dem, was die Spitzenleute verdienen,
und dem, was ihre Angestellten verdienen.
Frau Kollegin Höll.
Auf diesem Weg werden wir garantiert weitermachen.
Das ist ein kleiner Beitrag für mehr Glück in der Gesellschaft; denn der Glücksgrad steigt laut soziologischer
Untersuchung, wenn die Einkommensunterschiede nicht
so exorbitant groß sind wie jetzt in der Bundesrepublik.
Danke.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Marco
Buschmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich greife den Punkt der Leistungsgerechtigkeit,
den Kollegin Höll eben angeführt hat, direkt auf. Leistungsgerechtigkeit bedeutet, dass die Menschen akzeptieren, dass unterschiedlich verdient wird, wenn dahinter
eine Leistung steht.
Menschen akzeptieren beispielsweise - ich greife Ihre
Aufzählung auf, Sie haben sehr viele Bezüge und Einkommen dargestellt -, dass Musiker wie Dr. Dre
100 Millionen US-Dollar im letzten Jahr verdient haben.
({0})
Das ist übrigens 1 700-mal so viel, wie ein durchschnittlicher Orchestermusiker in Deutschland verdient. Ich
habe noch keinen Aufschrei gehört. Roger Waters von
Pink Floyd hat fast 90 Millionen US-Dollar verdient,
und Elton John hat 80 Millionen US-Dollar verdient, ein
Viel-Viel-Vielfaches dessen, was ein gut ausgebildeter
Orchestermusiker verdient. Auch hier: kein Aufschrei.
({1})
David Beckham hat im letzten Jahr 36 Millionen Euro
verdient, Lionel Messi 35 Millionen und Cristiano Ronaldo 30 Millionen. Da gab es ebenfalls keinen Aufschrei. Herr Poß, in unserem Heimatverein, Schalke 04,
verdient Klaas-Jan Huntelaar 5 Millionen Euro im Jahr.
Das ist ungefähr 180-mal so viel, wie ein einfacher
Platzwart durchschnittlich in Deutschland verdient.
({2})
Ich weiß aber von keinem Entschließungsantrag der SPD
zur Deckelung der Einkommen von Fußballmillionären.
({3})
Die Menschen akzeptieren auch, dass Vorstandsmitglieder und Vorstandsvorsitzende von DAX-30-Unternehmen viel Geld verdienen, wenn dahinter eine Leistung steht, insbesondere wenn sie Verantwortung für
Zehntausende von Jobs und einen Umsatz in Milliardenhöhe tragen. Deshalb ist der Ansatz von SPD und Grünen grundfalsch, mit einer Art gesetzlichem Maxilohn
zu agieren,
({4})
quasi eine Sanktion zu verhängen, wenn man eine Gehaltsgrenze überschreitet, ohne die Branche oder die
Größe des Unternehmens zu berücksichtigen. Sie wollen
hier im Deutschen Bundestag nicht nur Mindest-,
sondern auch Maxilöhne einführen. Der Deutsche Bundestag ist dafür aber der falsche Ort. Das ist Sache der
Tarif- und Vertragsparteien. So läuft das in der sozialen
Marktwirtschaft.
({5})
Was das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit in der Tat
verletzen kann, sind intransparente Vergütungsmodelle
oder hohe Abfindungen trotz objektiver Fehlleistung. Im
Fall Zumwinkel zum Beispiel wurde trotz schlechter
Leistung eine hohe Abfindung gezahlt.
({6})
Deshalb bin ich der Meinung, dass es der richtige Weg
ist, die Verantwortung für die Vorstandsvergütung in die
Hände der Eigentümer zu legen. Wer hat denn das größte
Interesse an einem nachhaltigen Erfolg des Unternehmens?
({7})
Die Eigentümer. Sie haben das größte Interesse an einem
nachhaltigen Erfolg des Unternehmens, weil dadurch der
Wert ihres Eigentums steigt. Deshalb ist es sinnvoll, die
Verantwortung in die Hände der Eigentümer zu legen
und hier keine politisch festgelegten Maxilöhne zu beschließen.
Sie führen Ihre Neidangriffe ausschließlich gegen
Vertreter der Wirtschaft, sagen aber nichts über Künstler
und nichts über Fußballer, bei denen die Gehaltsunterschiede - ich habe das aufgezeigt - noch viel, viel exorbitanter sind als in den Fällen, die Sie uns hier vorgetragen haben.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Thomas Gambke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eigentlich war es die Finanzkrise, die die negative Wirkung der Erfolgsboni zum
Vorschein gebracht und dieses ganze Thema nach oben
gespült hat. Bankmanager haben für Geschäftsabschlüsse, die weder der Bank noch den Kunden und
schon gar nicht der Gesellschaft irgendeinen Nutzen gebracht haben, Boni erhalten. Der Mehrwert dieser Geschäftsabschlüsse kam nur ihnen persönlich zugute.
({0})
Diese Boni stehen in keinem Verhältnis zur Leistung des
Einzelnen. Die Geschäftsabschlüsse wurden allein mit
dem Ziel getätigt, das eigene Portemonnaie zu füllen.
({1})
Darüber sind sich alle Fachleute und die Öffentlichkeit
einig: Diese Bonivereinbarungen waren Brandbeschleuniger.
({2})
Es ist an der Zeit, dass wir diesem Treiben endlich ein
Ende setzen.
({3})
- Ich komme dazu, Herr Buschmann.
Das Thema betrifft aber nicht nur den Bankensektor.
In den Debatten ging es auch um die bereits genannten
Manager, um Herrn Winterkorn, der mit 17 Millionen Euro im Jahr ungefähr das 500-Fache eines durchschnittlichen Facharbeiterlohnes bekommt,
({4})
und Herrn Vasella, den Vorstandsvorsitzenden und Verwaltungsratspräsidenten von Novartis, und jeder wusste:
Diese Summen stehen nicht mehr im Verhältnis zur persönlichen Leistung, Herr Buschmann. Damit war der
Handlungsbedarf klar: Das Verhältnis zwischen Vergütung und persönlicher Leistung muss wiederhergestellt
werden.
({5})
Wenn wir dieses Thema anpacken, müssen wir allerdings zwei Randbedingungen beachten: Erstens darf die
Regulierung eben nicht nur den Vorstand einer Aktiengesellschaft betreffen, und zweitens können wir in die
Vertragsfreiheit nicht eingreifen. Das sind enge Grenzen,
in denen wir uns zu bewegen haben.
Es gibt Regierungsvorschläge dazu. Über diese Regierungsvorschläge war ich extrem erstaunt. Ich kann
dazu nur sagen: Ungenügend! So sieht es auch die Fachwelt. Warum? Der Vorschlag verkennt, dass die Aktionäre letztendlich die eigene Rendite im Auge haben,
Herr Buschmann, aber nicht die Belegschaft und schon
gar nicht die Gesellschaft.
({6})
Erinnern Sie sich an den Mannesmann-Deal? Herr
Esser hatte damals 50 Millionen D-Mark bekommen.
Glauben Sie im Ernst, die Aktionäre hätten dies gestoppt? Nein. Die Verantwortung muss beim Aufsichtsrat bleiben.
({7})
Es war auch gut so, dass damals der Aufsichtsrat zur Rechenschaft gezogen worden ist.
({8})
Wir können keine allgemeine gesetzliche Regelung
machen, mit der wir in die Vertragsfreiheit eingreifen.
Insofern liegt die Kommission, die von der Regierung
eingesetzt wurde, mit einer Forderung richtig, nämlich
mit der Forderung nach mehr Transparenz, Transparenz
über das Verhältnis zwischen der Vergütung von Vorständen und Managern - Manager werden dort mit eingeschlossen - und dem durchschnittlichen Facharbeiterlohn.
({9})
Vielleicht eine persönliche Bemerkung. Ich habe
25 Jahre meines Berufslebens in einem Konzern verbracht, in dem das Vorstandsgehalt maximal das Zehnfache des durchschnittlichen Facharbeiterlohnes betragen
durfte. Daraus sind zwei Weltkonzerne entstanden: Carl
Zeiss und Schott. Das sage ich nur für Sie, Herr
Buschmann.
({10})
Wir haben eine steuerliche Regelung vorgeschlagen,
die für jeden und nicht nur für den Vorstand gilt. Da
kommen wir ins Spiel. Wir verbieten ja gar nicht höhere
Gehälter; das ist absoluter Blödsinn.
({11})
Wir wollen aber, dass sie nicht mehr steuerlich absetzbar
sind. Das ist der entscheidende Punkt. Sie können
100 Millionen Euro als Gehalt zahlen, aber dieses Geld
ist nicht mehr steuerlich absetzbar.
({12})
Das heißt, wir als Steuerzahler beteiligen uns nicht mehr
an diesen exorbitanten Gehältern, die kein Verhältnis
mehr zur persönlichen Leistung haben. Das sollten Sie
endlich zur Kenntnis nehmen.
({13})
Nun zu dieser Placebomaßnahme. Ich bin wirklich erschüttert, welcher Vorschlag von der Regierung gemacht
wurde. Das ist von den Experten zerrissen worden.
({14})
Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, eine Art Überaufsichtsrat zu schaffen. Die Hauptversammlungen heute
geben eben nicht die Ansicht des Einzelaktionärs wieder.
Sie kennen das Problem, Stichwort „Depotstimmrecht“.
Was Sie da erzählt haben, Herr Buschmann, war von
vorne bis hinten keine Begründung für eine vernünftige
Regelung.
Ich denke, wir von den Grünen haben hier sehr vernünftige Regelungen vorgelegt. Es gibt sehr interessante
Vorschläge von der SPD. Lassen Sie uns das konstruktiv
angehen! Denn es muss unser gesellschaftlicher Auftrag
sein, das Missverhältnis zwischen Vergütung und Leistung wieder in Ordnung zu bringen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor hier wohlfeile Forderungen zur Vergütung von
Managern aufgestellt werden, sollten wir zunächst das
tun, was gute Juristen gelegentlich tun, nämlich ins
Gesetz schauen. Der Blick ins Gesetz erleichtert bekanntermaßen die Rechtsfindung. Im Aktiengesetz steht in
§ 87 Abs. 1:
Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds …
dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen
Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen
({0})
des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne
besondere Gründe übersteigen.
Das, was Sie gerade lautstark eingefordert haben, steht
also längst im Gesetz.
({1})
Der Aufsichtsrat hat dafür zu sorgen. Weiter heißt es:
Variable Vergütungsbestandteile sollen … eine
mehrjährige Bemessungsgrundlage haben …
Auch das steht also bereits im Aktiengesetz.
({2})
- Entschuldigung, Herr Kollege, ich referiere nicht über
Vorschläge, sondern ich referiere über die bereits beschlossene Rechtslage.
({3})
In Abs. 2 des § 87 ist bereits heute in Form einer Sollregelung die Empfehlung für den Aufsichtsrat enthalten,
bei Unbilligkeit, beispielsweise durch eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens,
die Vorstandsvergütung selbst nachträglich anzupassen.
Auch das ist Bestandteil der jetzigen Rechtslage. Diese
Regelung ist sachgerecht und klug. Wir haben dies im
Übrigen 2009 in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen.
({4})
Das Ziel, das wir damit verfolgt haben, war, die Risiken
von kurzfristig ausgerichteten Managementvergütungssystemen zu beseitigen. Das ist auch erreicht worden.
Untersuchungen haben gezeigt, dass es im Anschluss an
diese neue Regelung zu mehr Transparenz gekommen ist
und dass nachhaltiges Wirtschaften in den Unternehmensspitzen größere Beachtung als zuvor gefunden hat.
Sicherlich ist richtig, was Sie hier anführen, dass in
einigen Unternehmen sehr hohe Vorstandsvergütungen
gezahlt werden. Entscheidend ist aber nicht allein die
Höhe der Vergütung, sondern zunächst einmal, dass eine
Vergütung leistungsgerecht ist und dass sie dem jeweiligen Unternehmen angemessen ist. Dazu gehört freilich
auch, dass Unternehmen, die Verluste schreiben oder sogar staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, bei der Vergütung ihrer Manager maßhalten müssen; auch das ist
eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Wir haben das,
als es im Deutschen Bundestag um die Finanzhilfen
ging, genau so beschlossen.
Schließlich bin ich der Auffassung, dass auch Missmanagement Konsequenzen haben muss. Das ist ein
Punkt, der aus meiner Sicht wichtiger ist als die Höhe
von Vorstandsvergütungen.
({5})
Für mich ist viel unbefriedigender, dass immer wieder
selbst dann hohe Abfindungen gezahlt werden, wenn
Manager ihre Projekte und damit viel Geld in den Sand
gesetzt haben.
({6})
Aber auch das ist nicht in erster Linie eine Aufgabe des
Gesetzgebers, sondern eine Aufgabe der Unternehmen,
die solche Vergütungsregelungen treffen.
Im Übrigen reicht es nicht aus, nur auf die Vergütungen der Vorstände abzustellen. Viel wichtiger ist in meinen Augen, dass ein gesundes Unternehmen, das hohe
Gewinne erwirtschaftet, die gesamte Belegschaft am
Unternehmenserfolg teilhaben lässt. Dafür gibt es gute
Beispiele; es gibt große deutsche Unternehmen, in denen
genau das praktiziert wird. Es muss also der Gesamtkonzern in den Blick genommen werden. Wer Vorstandsvergütungen an internationalen Vorbildern misst, der sollte
bei der Belegschaft den gleichen Maßstab anlegen.
Nur, meine Damen und Herren, es stellt sich die
Frage, welche Aufgabe die Politik und der Gesetzgeber
hier haben. Auch Politiker sollten maßhalten, wenn es
um Eingriffe in freie unternehmerische Entscheidungen
geht. Wir können gerne darüber diskutieren, ob wir die
Rechtslage, die wir erst 2009 neu geschaffen haben,
noch verbessern können. Aber dann müssen wir auch die
Mitverantwortung hervorheben, die Sie in Ihrem Antrag
zu Recht der Arbeitnehmerseite beimessen. Sie schreiben - ich zitiere -:
Hierzulande ist der Aufsichtsrat jedoch in mitbestimmten Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten auch mit Arbeitnehmervertretern besetzt. Es ist in der Sache richtig und trägt zur
Akzeptanz der Entscheidung bei, wenn die Festsetzung der Bezüge auch von der Arbeitnehmerseite
mit verhandelt und mit verantwortet wird.
Ja, dem kann ich durchaus zustimmen.
Wenn Sie aber nun zu dem Schluss kommen, dass die
Entscheidungen, die in Mitverantwortung und nach Mitverhandlung der Arbeitnehmerseite getroffen worden
sind, nicht akzeptiert werden können, dann müssen Sie
sich schon die Frage gefallen lassen, ob mit der Mitverantwortung, die den Arbeitnehmern vom Gesetzgeber
zugeschrieben worden ist, auf Arbeitnehmerseite angemessen umgegangen worden ist. Auch wenn Gewerkschaftsvertreter als Mitglieder von Aufsichtsräten offenbar einen Teil ihrer Vergütung an die Gewerkschaften
abführen, ihre Verantwortung können sie damit nicht ablegen. Deswegen rate ich Ihnen aufseiten der SPD: Nehmen Sie bitte auch Ihre außerparlamentarische Verantwortung wahr, bevor Sie den ganzen Bundestag mit
unausgegorenen Vorschlägen behelligen!
({7})
Die Koalition ist der Auffassung, dass wir die Mitverantwortung der Eigentümer der Unternehmen stärken
müssen. Wir sollten die Vorstandsvergütung stärker auf
die Schultern der Anteilseigner legen. Das wird für
Transparenz sorgen und Öffentlichkeit herstellen. Deswegen wollen wir, dass die Hauptversammlung zwingend über den Rahmen der Struktur der Vergütung von
Vorständen Beschluss fasst; innerhalb dieses Rahmens
kann der Aufsichtsrat dann Detailregelungen treffen. Es
sind die Eigentümer, egal ob institutionelle Anleger oder
Kleinanleger, die das größte Interesse daran haben, dass
Vorstände in einem angemessenen Verhältnis zum Unternehmenserfolg vergütet werden.
Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, Neiddebatten zu schüren. Vielmehr müssen wir dafür sorgen,
dass Leistungsbereitschaft gefördert wird; denn davon
hängt der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen ab.
Nicht zuletzt sind auch wir Politiker als diejenigen, die
Steuern einnehmen, auf den wirtschaftlichen Erfolg unserer Unternehmen angewiesen.
Vielen Dank.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Stefan
Rebmann das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, es ist richtig und wichtig, dass wir heute die Begrenzung exorbitant hoher Managergehälter debattieren. In
der Schweiz ist dieses Thema ja nicht nur debattiert worden; dort hat sogar eine Volksbefragung dazu stattgefunden.
Für die Gewerkschaften und für die Betriebsräte sind
die Managergehälter verbunden mit der Frage nach der
Übernahme von Verantwortung für den Betrieb, für die
Arbeitnehmerschaft, für die Anteilseigner, für die Aktionäre, für die langfristigen Unternehmensziele und für die
Allgemeinheit schon lange ein Thema; denn Betriebsräte
und Arbeitnehmer haben zu oft erfahren müssen, dass
über Verantwortung und über Leistung und Leistungsgerechtigkeit zwar gerne geredet wird, aber nicht selten die
Arbeitnehmer mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes die
Folgen einer schlechten Leistung des Managements zu
tragen haben.
({0})
Während so manche Leistungsniete in Nadelstreifen
weiter ein Spitzengehalt kassierte, mussten viele Arbeitnehmer zur Bundesagentur für Arbeit gehen und sich arbeitslos melden.
Wir haben als SPD - der Kollege Poß hat schon darauf hingewiesen - im Jahr 2009 in der Großen Koalition
mit viel Druck das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung auf den Weg gebracht. Das war ein guter und wichtiger Schritt. Wir wollten aber schon damals
weit mehr als nur eine Veröffentlichung der Vorstandsgehälter. Wir, die SPD, die Gewerkschaften und der
Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinen über 6 Millionen Mitgliedern, fordern schon seit langem eine Verbesserung der Transparenz, mehr Rechte für die Aufsichtsräte, dass die steuerliche Absetzbarkeit von
Vorstandsgehältern, Boni, Abfindungen und Antrittsprämien begrenzt wird und dass die Gehälter von Managern
in einem bestimmten, nachvollziehbaren Verhältnis zum
Durchschnittseinkommen der Belegschaft stehen.
({1})
Nicht in allen Führungsetagen herrschen Gier und
Selbstbedienungsmentalität vor; das muss man fairerweise sagen. Aber - und das stimmt leider auch - immer
mehr Menschen können trotz Arbeit von ihrem Gehalt
nicht leben, während es Managergehälter gibt, die mit
der tatsächlich erbrachten Leistung, der Verantwortung
und mit Verdienen im besten Wortsinne rein gar nichts
mehr zu tun haben. Die Managergehälter - darauf ist
heute schon hingewiesen worden - haben sich, insbeson30266
dere im Bankensektor, seit längerem von der allgemeinen Gehaltsentwicklung komplett abgekoppelt. Vor
25 Jahren hat ein Vorstand eines DAX-Unternehmens im
Regelfall etwa das 14-Fache des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmer in seinem Betrieb verdient. Heute
ist es das 70-Fache, in Einzelfällen sogar das 200-, 300oder gar 400-Fache. Ich finde, da sind Maß und Mitte
vollkommen verloren gegangen.
Es hat sich leider gezeigt, dass Appelle nichts nützen,
sodass wir Druck machen und die gesetzlichen Regelungen verschärfen müssen. Wir wollen, dass die Aufsichtsräte eine Höchstgrenze für das Verhältnis von Vorstandsvergütung und Belegschaftseinkommen beschließen.
Wir wollen, dass ein Maximalverhältnis zwischen
Grundgehalt und Boni festgeschrieben wird. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch.
({2})
Sie brauchen nur noch zuzustimmen.
Ich möchte Ihnen eine kleine Entscheidungshilfe
geben: Wenn man die Jahresrente eines Eckrentners in
50-Euro-Scheinen abzählt, kommt ein Geldbündel von
2,8 Zentimetern Höhe heraus.
({3})
Wenn Sie dasselbe mit dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Arbeitnehmers machen, kommt ein
Geldbündel von 6,1 Zentimetern Höhe heraus. Mit der
Antrittsprämie, die Utz Claassen für 74 Tage Dienst bekommen hat - 9,2 Millionen Euro -, kommen Sie auf
18,4 Meter.
({4})
Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass wir eine Regelung brauchen, dem kann ich auch nicht helfen.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({5})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Dr. Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kommen zu Recht Unmut und Empörung auf, wenn immer
wieder spektakuläre Fälle von schwindelerregend hohen
Managervergütungen durch die Medien gehen, vor allem
bei Unternehmen, die Verluste schreiben und Stellen abbauen, oder von Managern, die mit einem goldenen
Handschlag verabschiedet werden, selbst wenn sie mangels Erfolg ausscheiden. Deutscher Rekordhalter ist ExPorsche-Chef Wiedeking, der gehen musste, nachdem
die Übernahme von VW geplatzt war und der Konzern
Milliardenschulden angehäuft hatte. Zum Abschied bekam er 5 Millionen Euro. Ein anderes Beispiel ist der
Ex-Chef des Berliner Skandalflughafens BER, der auf
ganzer Linie versagte und jetzt mit rund 1,8 Millionen
Euro abgefunden werden soll. Seltsam ist nur, dass ich
hier keine Empörung der SPD höre.
Es geht heute nicht um die Neid- und Umverteilungsdebatte der linken Seite dieses Hauses, sondern um die
Frage, wie wir solche Exzesse verhindern und Leistung
und Vergütung wieder in Einklang bringen können, und
darum, was angemessen ist, welchen Wert eine Leistung
für das Unternehmen hat, nicht für die politischen Entscheidungsträger.
({0})
Der ökonomische Wert muss im Unternehmen diskutiert
werden, die ethische Dimension in der Wirtschaft insgesamt, und das geschieht gerade. Diese Angemessenheit
kann weder ein Finanzministerium noch das Parlament
beurteilen. Das ist originäre Aufgabe der Eigentümer eines Unternehmens, der Aktionäre.
({1})
Unsere Unternehmen stehen im internationalen Wettbewerb, auch bei der Rekrutierung ihres Spitzenpersonals. Sie brauchen die fähigsten Köpfe für Deutschland,
um die Zukunft der Unternehmen und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu sichern. Was ihnen das wert sein
darf, lässt sich nicht politisch an Kennzahlen festmachen, wie die SPD in ihrem Antrag fordert, und schon
gar nicht national. Eine gesetzliche Obergrenze ist genauso falsch wie der Versuch der SPD und der Grünen in
ihrem Antrag, über das Steuerrecht zu steuern. Eine Sonderregelung für Manager im Steuerrecht wäre verfassungswidrig und auch nicht wirklich ein Beitrag zur
Steuervereinfachung.
Was den Unternehmen ihre Vorstände und Aufsichtsräte wert sind, ist bisher alleinige Entscheidung der Aufsichtsräte. Richtig, manche kriegen den Hals nicht voll.
Vergütung und Leistung scheinen in keinem ausgewogenen Verhältnis zu stehen. Der Aufsichtsrat, der übrigens
paritätisch besetzt ist, spielt in diesen Fällen aber mit, inklusive Gewerkschaften, inklusive Arbeitnehmervertretern. Diese Exzesse wollen wir beenden.
({2})
Der Staat ist hier gefordert, einen gesetzlichen Rahmen
zu schaffen, weil die bisherigen Kontrollgremien dem
offensichtlich nicht gewachsen sind bzw. in einigen Fällen eigene Interessen dominieren. Richtig ist deshalb der
Ansatz der Koalitionsfraktionen, nicht die Vergütungen
politisch zu regeln, sondern die Befugnis, über die Vergütungen zu entscheiden, denen zu übertragen, die auch
die Verantwortung tragen, nämlich den Eigentümern des
Unternehmens, den Aktionären, und damit der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft. Folgerichtig werden wir das Problem nicht im Steuerrecht, sondern im
Aktienrecht lösen, und dort gehört es auch hin. Wir wollen die Eigentümer stärken und gleichzeitig auch stärker
in die Pflicht nehmen. Sie sollen die vom Aufsichtsrat
vorgeschlagenen Vergütungssysteme künftig bewerten
und beschließen; denn sie stehen in der Verantwortung
für das Unternehmen. Es geht um ihr ureigenes Interesse, um ihr Geld. Daneben wollen wir die Transparenz
der Hauptversammlung und weg von den Kungelrunden
in abgeschlossenen Räumen; denn so entsteht ein guter
Ordnungsrahmen, um derartige Exzesse künftig zu vermeiden.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/13472 und 17/13239 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 17/13239 - das ist der Tagesordnungspunkt 10 b - soll federführend beim Rechtsausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 17/12636 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 17/13452 Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13454 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Sven-Christian Kindler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Dr. Peter Ramsauer.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf zu einem Thema, das viele Millionen Menschen in unserem Land betrifft. Allein 9 Millionen Menschen haben Eintragungen im Verkehrszentralregister in
Flensburg bzw. in der „Verkehrssünderdatei“, wie der
Volksmund sie nennt.
Diese Verkehrssünderdatei ist durch immer weitere
Verkomplizierungen aus den Versuchen heraus, sie vermeintlich besser zu machen, Opfer einer Verschlimmbesserung geworden. Das geht so weit, dass es heute in
Deutschland im Grunde genommen kaum noch jemanden gibt, der dieses Punkteregelwerk bis in alle Verästelungen vollkommen und zuverlässig beherrscht. Hinzu
kommt: Wenn Sie Ihren Punktestand abfragen, erhalten
Sie zwar eine Auskunft. Sie können aber nicht sicher
sein, ob das, was Ihnen mitgeteilt wird, auch stimmt. Es
können mehr Punkte sein, es können aber auch weniger
sein. - Dies zusammengenommen war für uns Anlass, zu
sagen: Wir wollen das Ganze durchforsten und auf den
Prüfstand stellen. Wir wollen das System einfacher,
durchschaubarer und vor allem auch gerechter machen.
({0})
Vor allen Dingen aber - das ist die Hauptüberschrift muss ein solches verbessertes Regelwerk auch der Verbesserung der Verkehrssicherheit dienen; denn die Verkehrssicherheit muss immer Maßstab aller Dinge sein.
({1})
Wir haben es uns wirklich in jeder Hinsicht sehr
schwer gemacht, um die bestmögliche Lösung zu finden.
Wir haben gerungen, auch in vielen guten Gesprächen
mit der Opposition. Deshalb möchte ich mich nicht nur
bei den Koalitionsfraktionen, sondern auch bei den
Oppositionsfraktionen für die sachliche Art des Austausches und des Ringens um gute Lösungen aufs Allerherzlichste bedanken. Ich möchte mich auch bei den
Bundesländern, sprich: beim Bundesrat, bedanken, dessen Empfehlungen wir nach dem ersten Durchgang weitestgehend übernommen haben.
In einem Punkt gibt es eine gewisse Abweichung,
nämlich bei der Frage: Soll auch in Zukunft ein Punkteabbau durch Seminare möglich sein? Ursprünglich war
vorgesehen, diese Möglichkeit nicht mehr vorzusehen;
denn die Praktiker, die Fahrlehrer, haben gesagt, die
Punkteabbauseminare würden oft nur abgesessen, von
ihnen gehe kein pädagogischer Effekt aus. Wenn Verkehrssünder nach diesen Seminaren aber genauso fahren
wie bisher, hat ein solches Abbauseminar natürlich keinen Sinn. Also müssen und wollen wir an der Verbesserung dieser Seminare arbeiten.
Die großen Verbände, der ADAC, den man mit über
18 Millionen Mitgliedern weiß Gott zu den repräsentativen Vertretern der Autofahrerinteressen zählen kann,
ebenso wie die anderen Verbände, AvD usw., haben gefordert, dass doch eine Möglichkeit geschaffen werden
sollte, Punkte in einem gewissen Ausmaß abzubauen. Im
Übrigen hat mich auch das Anliegen der Berufskraftfahrer überzeugt, die nicht nur 10 000 Kilometer, sondern
100 000 Kilometer und mehr im Jahr fahren. Wir sollten
dieses arbeitnehmerfreundliche Anliegen aufgreifen.
Deshalb halte ich es auch für vertretbar, wenn man bis zu
einem gewissen Punktestand innerhalb von fünf Jahren
einmal zwei Punkte abbauen kann. Nach reiflicher Überlegung halte ich das für geboten, für richtig und für arbeitnehmerfreundlich.
({2})
Gehen wir eine solche Frage doch mit gesundem
Menschenverstand an! Versetzen wir uns in die Lage der
Betroffenen! Es gibt ganz kuriose Fälle, etwa den: Ein
Berufskraftfahrer übernimmt seine Zugmaschine mit
Auflieger und bereitgestellten Containern. Er ist zwar
für die Sicherung der Ladung verantwortlich; aber die
Beladung hat er nicht vorgenommen. Er fährt los, die
Ladung verrutscht, er wird kontrolliert und bekommt einen Punkt, obwohl er den Auflieger nicht beladen hat. Ich bitte deshalb die Länder und auch die Kolleginnen
und Kollegen der Oppositionsfraktionen, dieses Arbeitnehmeranliegen, das ohnehin nur in geringem Umfang
zur Geltung kommt, aufzugreifen.
({3})
Es soll mehr Sicherheit geben, aber auch mehr Klarheit. In Zukunft wird der Entzug des Führerscheins nicht
mehr bei 18 Punkten erfolgen, sondern bei maximal acht
Punkten. Es werden nicht mehr bis zu sieben Punkte für
ein einzelnes Delikt vergeben, sondern nur noch bis zu
drei Punkte. Für schwere Vergehen gibt es einen Punkt,
für besonders schwere Vergehen 2 Punkte. Wenn mit
dem besonders schweren Vergehen noch eine Straftat
verbunden ist, beispielsweise später als eine Sekunde
nach dem Umspringen der Ampel bei Rot gefahren und
dann auch noch ein kleiner Unfall verursacht wurde, verbunden mit Fahrerflucht, dann gibt es drei Punkte.
Was die Gerechtigkeit anbelangt: Wir wollen nicht
denjenigen, der einmal eine lässliche Sünde begeht, an
die Kandare nehmen.
({4})
Der Grundsatz der Überlegungen war immer: Der notorische, der unbelehrbare Verkehrsrowdy muss an die
Kandare genommen werden. Derjenige, der eine lässliche Sünde begeht, zum Beispiel einmal ohne Umweltplakette in eine Umweltzone fährt, soll in Zukunft keinen Punkt mehr bekommen,
({5})
obwohl er natürlich sein Verwarngeld - in diesem Fall
sogar in erheblicher Höhe - zu zahlen hat.
Wir haben auch die Belange des Verkehrsgerichtstages in Goslar aufgenommen. Der Präsident hat mir gesagt, wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, damit es zu
dieser Reform kommt. Es wäre schlecht, wenn sie scheitern würde, wenn es beim alten System bliebe. Deshalb
meine Bitte an alle Beteiligten: Ziehen wir jetzt gemeinsam an einem Strang, damit wir im Interesse von Millionen von Autofahrern in Deutschland für mehr Fairness
und Ausgewogenheit bei diesen Regelungen sorgen!
Herzlichen Dank.
({6})
Die Kollegin Kirsten Lühmann hat für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! 30 Milliarden Euro pro Jahr, 2 Prozent unseres
Bruttoinlandsproduktes, das sind die jährlichen Kosten,
die infolge von Straßenverkehrsunfällen entstehen und
die von uns allen, von der Allgemeinheit, getragen werden müssen. Eine zweite Zahl: Ein Drittel der 3 606 Verkehrsunfälle mit Todesfolge im letzten Jahr wurden
durch aggressive Fahrer verursacht. Das ist erschreckend. Diese Zahlen müssen wir reduzieren.
({0})
Wie können wir vorbeugen? Zum einen, indem wir die
Fahrenden feststellen, möglichst bevor sie diese Schäden
verursachen, und indem wir ihnen im Extremfall die
Fahrerlaubnis wegnehmen, damit sie keinen Schaden
mehr anrichten können.
Ein Instrument, um diese Raser und Drängler aus der
Masse der verantwortungsbewussten Fahrzeugführenden
herauszufinden, ist seit mehr als 50 Jahren die bestehende Flensburger Verkehrssünderdatei. Zurzeit sind
dort gut 9 Millionen Personen registriert. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich werde Sie nicht fragen, ob
Sie dabei sind. Aber es gibt Untersuchungen, die besagen: Wenn Sie dabei wären, wüssten Sie nicht, wie viele
Punkte Sie aktuell haben. Die Regeln sind nämlich zu
unübersichtlich, zu intransparent mit den Verjährungshemmnissen und Überliegefristen. Das ist der wesentliche Grund für die Reform des Verkehrszentralregisters.
Daher hat der ehemalige Verkehrsminister Tiefensee
eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge für
eine Reform erarbeitet hat. Ziel ist - so hat Minister
Ramsauer das einmal formuliert -: Das System soll
einfacher werden, gerechter und transparenter. Aber zwischen dem Ergebnis der Tiefensee-Experten und der medienwirksamen Erläuterung der Punkteampel von Minister Ramsauer, zwischen dem ersten Gesetzentwurf und
dem, was wir heute debattieren,
({1})
liegen Welten.
({2})
Sofern diese Reform je einfacher, gerechter und transparenter war, ist sie es jetzt jedenfalls nicht mehr. Der Auto
Club Europa fragte jüngst in der Presse: Macht die
Reform überhaupt noch Sinn? Eine berechtigte Frage,
insbesondere weil das Kernstück der Reform, das Regelwerk, wofür es wie viele Punkte geben soll, noch gar
nicht debattiert wurde.
Wir sollen also heute quasi die Katze im Sack kaufen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, und das, obwohl in der
ersten Lesung der Kollege Storjohann noch vollmundig
verkündet hat: Natürlich werden wir darüber reden;
diese Regierung wird uns auch die entsprechende
Verordnung zur Verfügung stellen, auch wenn sie dafür
formal nicht zuständig ist.
({3})
Dabei stellt sich die Frage: Wen meinen Sie mit „uns“?
Die SPD-Fraktion ist nicht „uns“. Wir haben die Verordnung nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Ich nehme
an, die anderen Oppositionsfraktionen auch nicht.
Es gab auch nicht, wie bei solchen Projekten üblich,
ein Berichterstattergespräch, in dem Fachleute der Fraktionen einen solchen Katalog hätten besprechen können.
Herr Ramsauer, in einem solchen Gespräch hätte man
die von Ihnen angesprochenen Probleme der Berufskraftfahrenden, die Probleme mit der Ladungssicherung,
locker lösen können, und zwar ohne dafür aufwendige
Ausnahmen in der Reform machen zu müssen.
({4})
Wofür wird es also zukünftig Punkte geben, Herr
Ramsauer? Was ist relevant für die Verkehrssicherheit?
Was muss registriert werden? Was fällt heraus? Transparenz sieht anders aus.
Was ist mit den Argumenten gegen den Punkterabatt?
In der ersten Lesung vor wenigen Wochen hat Minister
Ramsauer zu dem Argument, Vielfahrer sollten entlastet
werden, das er uns eben sehr breit dargelegt hat, noch
gesagt:
Bei allem, was wir hier entscheiden und tun, sollten
wir … immer die Frage der Verkehrssicherheit an
vorderste Stelle rücken … Dabei eine Abgrenzung
vorzunehmen,
- ab wie vielen Kilometern jemand Vielfahrer ist ist auch keine ganz einfache Angelegenheit.
Der Kollege Storjohann ergänzte:
Verkehrsunfälle entstehen hauptsächlich durch
rücksichtsloses und zu schnelles Fahren … Deshalb
ist mein Petitum, dass wir keinen Punkteabbau ermöglichen sollten.
Richtig, meine Herren. Wären Sie doch bei Ihrer Meinung geblieben!
({5})
Jahrelang hat diese Bundesregierung an der Reform
herumgedoktert, geforscht, experimentiert und die Bürger gefragt. Das Ergebnis war immer: Punkteabbau ist
mit der Verkehrssicherheit nicht vereinbar. Punktabbau
dient übrigens auch nicht zur Vereinfachung und transparenten Gestaltung dieses Systems. Deshalb lassen Sie
das doch einfach weg. Damit wäre der Sicherheit wesentlich mehr Genüge getan.
({6})
Einen Punkteabbau soll es nach dem Besuch eines
Fahreignungsseminars geben. Das soll nach übereinstimmender Meinung, ich denke von uns allen, das zurzeit geltende unwirksame Seminar ablösen.
({7})
Neues zu versuchen, ist sinnvoll. Aber wir haben - dabei
sollten wir ehrlich sein - überhaupt keine Ahnung, ob
das Neue, das wir versuchen, wirklich funktionieren
wird. Es gibt noch nicht einmal klare Regelungen zur
Qualitätssicherung und zur Überwachung der Fahreignungsseminare. Diese Richtlinien bräuchten die Länder,
die nämlich dafür zuständig sind, dringend, um sachgerecht handeln zu können. Sie haben einfach nicht geliefert, obwohl Sie mehrfach dazu aufgefordert wurden,
und das bei den zu erwartenden Kosten von 600 bis
800 Euro pro Veranstaltung. Wenn wir die Menschen in
Deutschland zu so teuren Maßnahmen verpflichten,
dann haben sie, denke ich, auch ein Recht darauf, dass
wir untersuchen, ob das das Geld wert ist, das sie ausgeben, ob es wirklich wirkungsvoll ist.
({8})
Das bedeutet, wir brauchen im Gesetz eine verbindliche Pflicht zur Überprüfung. Herr Storjohann, das haben
Sie in der ersten Lesung auch ganz richtig gefordert.
Selbst der ADAC hat in unserer Expertenanhörung zugeben müssen, dass nicht sichergestellt ist, dass diese Seminare einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten.
({9})
Sie waren bereit, eine Evaluation abzuwarten.
Zusätzlich stellt sich die Frage: Wer wird sich ein solches Seminar leisten können? Mit Sicherheit nicht die
Arbeiter im Niedriglohnsektor, die es in der Bundesrepublik, wie wir im Armuts- und Reichtumsbericht erfahren
haben, in immer größerer Zahl gibt. Die Folge wird deshalb sein: Die Reichen können sich freikaufen. Mit der
Gerechtigkeit Ihrer Reform ist es nicht weit her, Herr
Minister.
({10})
Dennoch hat sich die Union in der Frage des Punkterabatts den liberalen Kräften gebeugt. Die FDP betreibt
ihre übliche Klientelpolitik, und die Union hat es noch
nicht einmal geschafft, die verbindliche Überprüfung der
Wirksamkeit der neuen Regeln durchzusetzen. Das gibt
uns wieder einmal einen tiefen Einblick in den Zustand
der Koalition und ist ein weiterer Hinweis, wie wichtig
ein rot-grüner Regierungswechsel im Herbst ist.
({11})
Fazit: Der Gesetzentwurf ist unzureichend und wird
deshalb im Bundesrat voraussichtlich angehalten werden.
({12})
Es ist vernünftig, wenn der rot-grün dominierte Bundesrat dem CSU-geführten Ministerium die Fehler korrigiert, die die FDP in den ursprünglichen Entwurf hineinverhandelt hat. Vielleicht kommt dann noch etwas
Vernünftiges im Sinne der Verkehrssicherheit heraus.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Neuregelung des Punktesystems ist ein wichtiges
Anliegen, das eigentlich alle Fraktionen teilen. Das jetzige System ist unübersichtlich und intransparent. Deswegen wurde die Reform angegangen. Wir sind uns alle
einig, dass es sich hier eigentlich um eine Verbesserung
im Vergleich zum bestehenden System handelt. Kollegin
Lühmann hat nun das Thema Punkteabbau angesprochen. Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, dass sich
die Experten in der Anhörung unisono für die Aufnahme
der Möglichkeit des Punkteabbaus ausgesprochen haben; denn frühe und freiwillige Maßnahmen haben unter
verkehrspsychologischen Aspekten einen positiveren
Einfluss als ein Zwangsseminar.
Schauen Sie sich die Zahlen und Fakten genau an.
Ausweislich der Studie von Kolbert-Ramm, Seite 68
- so steht es auch in der Begründung zum Gesetzentwurf -,
wird durch die freiwillige Seminarteilnahme die Zahl der
Verkehrsdelikte um 64 Prozent reduziert. Es ist ganz klar
wissenschaftlich-empirisch nachgewiesen, dass diese
Seminare wirken. Deswegen sind der ADAC, der DVR,
die Fahrlehrer, die Psychologen, der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Verkehrsgerichtstag, also die
gesamte Szene, für solche Seminare. Nehmen Sie dies
bitte zur Kenntnis. Die Grünen tun es doch auch, liebe
Kollegen von der SPD.
({0})
Ein großes Problemfeld hat sich - der Minister hat es
zu Recht angesprochen - bei den Berufskraftfahrern und
den Vielfahrern ergeben. Bei Bus- und Taxifahrern ist es
erforderlich, dass ein gewisser Punktestand nicht überschritten wird, weil sonst die berufliche Existenz auf
dem Spiel steht. Ich habe gerade in diesen Tagen mit einem Taxifahrer darüber diskutiert. Er hat mir berichtet,
dass er selber aus Hartz IV herausgekommen ist, dass
Taxifahren seine letzte Chance ist und dass er, wenn er
nicht die Möglichkeit hätte, Punkte abzubauen, seiner
Existenzgrundlage beraubt würde. Der Gesetzentwurf
stellt daher einen ausgewogenen Kompromiss dar. Der
Kollege Kühn hat durchaus anklingen lassen, dass er
sich dem Ganzen anschließen kann.
({1})
Hinzu kommt, dass fast alle Änderungswünsche des
Bundesrates durch die Bundesregierung berücksichtigt
wurden. Diesen Punkt hat Kollegin Lühmann weggelassen. Wir haben anerkannt, dass es durchaus Anpassungsbedarf beim Bußgeldkatalog gibt. Wir haben uns einer
Verlängerung der Tilgungsfrist von zwei auf zweieinhalb
Jahre bei den Einpunktverstößen nicht verschlossen. Das
ist eine massive Verschärfung des Systems. Insofern
steht die Verkehrssicherheit klar im Zentrum.
Es ist richtig, dass wir uns im neuen System auf die
verkehrssicherheitsrelevanten Verstöße konzentrieren
und ein neues Fahreignungsseminar einführen, das mit
Sicherheit ein Stück weit zur Prävention beiträgt. Einer
der wesentlichen Kernpunkte zur Vereinfachung des derzeitigen Systems ist die Bewertung der Verstöße mit ein,
zwei oder drei Punkten anstelle der bisherigen sieben unterschiedlichen Kategorien. Kollegin Lühmann, wenn da
noch Gesprächsbedarf besteht, dann werden alle Fraktionen und auch das Ministerium sehr gern noch einmal
über diesen Punkt diskutieren. Aber Sie müssen anerkennen, dass sowohl die festen Tilgungsfristen als auch
der Wegfall der Tilgungshemmung, der sogenannten
Überliegefristen, dafür sorgen, dass dieses System sehr
viel einfacher und besser ist als das jetzige. Deswegen
handelt es sich um eine gute Reform und ein gutes Gesetz.
({2})
Die Änderungswünsche des Bundesrates wurden eingearbeitet. Deswegen ergibt es keinen Sinn, den Vermittlungsausschuss anzurufen. In der Fachszene sind sich
alle einig, dass der jetzige Kompromiss, den wir gefunden haben, eine klare Verbesserung im Vergleich zum
Status quo darstellt. Ich habe schon darauf hingewiesen,
wie groß der Rückhalt in der Szene für die Änderungen
ist, die wir im Ausschuss noch vorgenommen haben.
Das gilt nicht nur für die Änderungen beim Punkteabbau, die im Hinblick auf die Verkehrssicherheit sinnvoll
sind - das ist empirisch belegt und wird von allen Verbänden unterstützt -, sondern auch für die Änderungen
des Bundesrates. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass wir mit der Reform des Verkehrszentralregisters Mobilität nicht nur ermöglichen, sondern auch sicherer machen.
({3})
Für uns ist entscheidend, Sicherheit in Einklang mit
Freiheit und Verantwortung zu bringen. Die Punktereform ist ein guter Kompromiss. Es handelt sich um ein
gutes Gesetz und um einen guten Kompromiss mit der
Position des Bundesrates. Deswegen könnten dem eiOliver Luksic
gentlich Sie alle zustimmen, wenn es Ihnen nicht nur um
den Wahlkampf geht, sondern um die Sache.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Herbert Behrens für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß jetzt gar nicht, ob wir über das gleiche Gesetz
hier reden, nachdem ich eben gehört habe, was Herr
Luksic dazu zu sagen hatte. Durchaus kundige Pressevertreter sind offenbar samt und sonders Geisterfahrer,
wenn sie schreiben: „Eine Schlappe für Ramsauer“, „die
Reform droht zur Lachnummer zu werden“, „ein Herz
für Verkehrssünder“. So titeln nämlich manche Zeitungen zur Punktereform.
({0})
Die Reform sollte mehr Verkehrssicherheit bringen.
Doch von diesem guten Vorsatz ist im Gesetzentwurf nur
noch wenig zu sehen. Es gab viele Anregungen und viel
Zeit für Verbesserungen. Wir reden seit über einem Jahr
über dieses Projekt. Letztes Jahr hat der Deutsche Verkehrsgerichtstag die Reform komplett abgelehnt. Die
Begründung: Sie hilft nicht beim Kampf gegen aggressives Verhalten auf der Straße. Diese Einschätzung teile
ich noch heute.
({1})
Die Bundesländer kritisierten Anfang des Jahres, das
neue System sei nicht einfacher und transparenter. Auch
das trifft nach wie vor zu. Leider haben Sie es seit einem
Jahr unterlassen, die Anregungen aufzunehmen. Sie haben jetzt einige Nachbesserungen vorgenommen; das
gebe ich zu. Die sind im vorgelegten Gesetzentwurf vorhanden, aber sie haben nicht dazu geführt, dass dieses
Gesetz ein gutes Gesetz geworden ist.
Wenn wir mehr Verkehrssicherheit erreichen wollen,
dann brauchen wir mehr als ein Schrauben am Punktesystem. Wir brauchen Vorschriften, die von allen Verkehrsteilnehmern verstanden und auch akzeptiert werden. Auch Verkehrsteilnehmer müssen lernen dürfen. Sie
müssen wissen, wodurch man sich selbst und andere
Verkehrsteilnehmer gefährdet und welches Verhalten
man an den Tag legen muss, um die Grundregeln der
Straßenverkehrsordnung umzusetzen, die klar und eindeutig formuliert sind. Da gibt es kein Vertun. Der § 1
der Straßenverkehrs-Ordnung ist mehr als eindeutig.
Vergehen im Straßenverkehr müssen sanktioniert
werden können. Das ist uns allen klar. Wenn man immer
wieder gegen Regeln verstößt, dann muss man mit
scharfen Konsequenzen rechnen. Auch dazu stehen wir,
das fordern wir. Aber den Verkehrssündern muss man
auch die Chance geben - ich sagte es schon -, ihr Verhalten zu verändern, dazuzulernen. Darum haben wir dafür plädiert, bei den Punkten stärker zu differenzieren.
Diese Möglichkeit lässt das neue Punktemodell nicht zu.
Künftig soll der Führerschein nach acht Punkten entzogen werden. Dass das System dadurch einfacher und
transparenter wird, bezweifle ich. Klar ist nur, dass unterschiedlich schwere Verstöße künftig weniger differenziert beurteilt werden können. Das führt dazu, dass mit
einer groben Keule auf Verkehrssünder eingeschlagen
wird.
Es ist in meiner kurzen Redezeit nicht möglich, die
einzelnen Versuche von Nachbesserungen am Gesetzentwurf zu bewerten. Ich will hier nur den Punkt der Fahreignungsseminare nennen. Bisher war es möglich, freiwillig Seminare zu besuchen, um Punkte löschen zu
können. Das wurde schon erwähnt. Insbesondere diejenigen, die aus beruflichen Gründen Tausende Stunden
am Steuer sitzen, sind darauf angewiesen, so handeln zu
können. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie oft unter
Zeitdruck stehen.
Natürlich haben sie darum keinen Freifahrtsschein für
Rowdytum auf der Straße. Das ist klar. Sie haben sich
genauso an die Geschwindigkeitsregelungen und andere
Vorschriften zu halten, um andere nicht zu gefährden.
Sie sollen auch keinen Rabatt bekommen. Aber wir müssen sehen, dass der Verlust des Führerscheins für einen
Berufskraftfahrer dazu führen kann, dass er seine Existenz verliert. Das Beispiel hatte der Minister selber erwähnt.
({2})
Aber nun wird es sehr teuer, wenn man an einem Seminar entweder freiwillig oder verpflichtend teilnimmt.
Die Kosten werden sich vermutlich verdreifachen oder
sogar vervierfachen. Zwischen 600 und 800 Euro sind
im Gespräch. Das kann sich nicht jeder leisten. Wer aber
ein vorgeschriebenes Seminar nicht ableistet, dem wird
der Führerschein entzogen. Wenn wir finanziell schwächer Gestellte bei Verkehrsverstößen nicht systematisch
vom Straßenverkehr ausschließen wollen, müssen wir an
dieser Stelle zu einer anderen Lösung kommen.
({3})
Die Kosten sollten der Einkommenssituation der Betroffenen angepasst werden können. Dieses Verfahren
kennen wir beispielsweise aus Schweden, wo zumindest
bei den Bußgeldern nach Tagessätzen gerechnet wird.
Schlingerkurs und Verweigerung von Verhaltensänderung gefährden nicht nur den Straßenverkehr. Auch im
Gesetzgebungsverfahren müssten sie sanktioniert werden. Dem Verkehrsminister wäre dann aber längst das
Führen eines Ministeriums untersagt worden.
Danke schön.
({4})
Stephan Kühn hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
4 000 Verkehrstote und Zehntausende Verletzte haben
wir jedes Jahr auf Deutschlands Straßen zu beklagen. Es
besteht für die Politik also dringender Handlungsbedarf.
Doch dieser Verkehrsminister hat außer Appellen und
Plakatkampagnen nichts Substanzielles zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Deutschland auf den Weg
gebracht. Die Reform des Fahreignungsregisters, die sogenannte Punktereform, über die wir heute reden, ist ein
Nebenschauplatz. Vieles wäre wichtiger gewesen, wurde
aber nicht angepackt. Ein paar Beispiele:
Zur Reform der Fahrlehrerausbildung hat sogar der
Bundesrat Vorarbeit geleistet. Im Ministerium wurde das
entsprechende Papier auf die lange Bank geschoben,
wird also nicht bearbeitet.
Die Fahrschulausbildung zu reformieren, wäre dringend und wichtig, weil gerade die Fahranfänger eine Risikogruppe sind. Da gibt es viele qualifizierte Vorschläge; doch nichts ist angepackt worden.
Für die Fahranfänger gilt beim Alkohol die 0,0-Promille-Grenze. Das heißt, es darf nicht getrunken werden.
Aber das gilt nicht generell: Wer aus der Anfängerzeit
heraus ist, darf unter Alkohol fahren. Wir finden, bei Alkohol wäre die 0,0-Promille-Grenze für alle Verkehrsteilnehmer richtig. Auch hier hat der Minister nichts angepackt.
({0})
Wir haben keine verbindlichen Sicherheitsaudits bei
Bundesfernstraßen.
Wir haben keine Anreize für eine stärkere Marktdurchdringung bei Fahrassistenzsystemen sowohl von
Pkws als auch von Lkws.
Es gab keinen Ausbau der Mobilitätserziehung oder
der Unfallforschung.
Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Vor allen
Dingen zeigt sie: Es wird nichts angepackt.
Von der Reform des Verkehrszentralregisters in der
Ursprungsfassung ist nicht viel übrig geblieben. Zum
Glück haben die Experten einen Blick darauf geworfen
und das Ganze unter die Lupe genommen. Der Anfangsreformentwurf sah eine geringere Spreizung bei den
Punkten vor. Das hätte dazu geführt, dass Wiederholungstäter eine Art Flatrate für das Rasen gehabt hätten.
Glücklicherweise ist das endlich vom Tisch.
({1})
Andere Probleme bleiben aber. Erst ab 31 km/h Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts bzw. 41 km/h
außerorts gibt es im neuen Katalog zwei Punkte. Fahren
mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist Unfallursache
Nummer eins. Wir finden, dass die Geschwindigkeitsübertretungen angesichts des damit verbundenen Gefährdungspotenzials viel zu nachsichtig bewertet wurden. Das muss aus unserer Sicht korrigiert werden.
({2})
Angesprochen wurden heute von verschiedenen Rednerinnen und Rednern die Fahreignungsseminare, die
wirksamer als die alten Aufbauseminare sein sollen. Ob
das so kommt, ist offen. Im Gesetz, über das wir heute
entscheiden sollen, sind keine Regelungen zur Qualitätssicherung und zur Evaluierung vorgesehen, von den
Kosten für die Teilnehmenden einmal ganz abgesehen.
({3})
So verkorkst, wie die ganze Reform selber ist, ist
auch die Art, wie die Reform kommuniziert wird. Wir
erinnern uns: Auf Flyern, die das Ministerium hat drucken lassen, sieht man einen sogenannten Punkte-Tacho
mit insgesamt 8 Punkten. 0 bis 3 Punkte auf diesem Tacho sind grün dargestellt. 3 Punkte zu haben, heißt, dass
man dreimal mit 60 km/h durch eine Tempo-30-Zone
gefahren ist. Danach wäre man also, auf diesem Flyer
optisch gut dargestellt, noch im sogenannten grünen Bereich. Ich finde, Geschwindigkeitsübertretungen in diesem Bereich sind kein Kavaliersdelikt.
({4})
Herr Minister, ändern Sie deshalb endlich auch die grafische Darstellung und die Kommunikation bezüglich dieser Punktereform.
({5})
Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Gero Storjohann.
({0})
Null Promille vorab. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen
heute über das Fahreignungsregister. Das ist ein neuer
Begriff, den Peter Ramsauer, unser Verkehrsminister,
hier eingeführt hat. Ich habe schon in meiner Rede in der
ersten Beratung gesagt: 2009 sind der Kollege Vogel und
ich in Flensburg gewesen und haben uns das Zentralregister angeguckt. Man hat uns sehr deutlich vor Augen
geführt, dass Handlungsbedarf besteht, dass wir Bürokratie abbauen müssen und dass das System sehr
schwerfällig ist. - Heute ist der Tag, wo wir das endgültig auf den Weg bringen. Ich bin froh und stolz, dass wir
das nach vielen Debatten und trotz unterschiedlicher Ansichten jetzt endlich auf den richtigen Weg führen.
({0})
Ich bin dem Mitarbeiter Dr. Albrecht dankbar, der
manches ertragen musste. Wir als Politiker haben immer
wieder etwas hineingeschrieben, was er dann doch wieder ändern musste.
({1})
Ich kann auch nachvollziehen, dass die Opposition mit
der Einbindung in den Arbeitsprozess nicht ganz zufrieden ist. Das haben wir auch zugestanden. Das machen
wir beim nächsten Mal viel besser; das verspreche ich.
({2})
Was ich gut finde, ist das, was Sie sehr stark kritisieren, nämlich der Punkte-Tacho. Kommunikativ hat der
Verkehrsminister da wirklich einen Volltreffer gelandet.
({3})
Nicht nur die Autofahrer, auch wir als Politiker haben
sofort erkannt: Das ist ein wichtiges Thema. Es ist auch
visuell gut rübergebracht worden. Sie haben in all den
Debatten immer nur die Hochglanzbroschüre kritisiert,
({4})
aber in der Sache kam nie besonders viel rüber.
({5})
Das Schönste ist ja: In der Schlussabstimmung im Ausschuss haben Sie sich der Stimme enthalten. Das heißt,
wir haben eine einstimmige Empfehlung, dieses Gesetz
heute so auf den Weg zu bringen.
({6})
Wir haben also das Ziel erreicht,
({7})
mit der Reform des Verkehrszentralregisters neue, klare
und transparente Regeln zu schaffen.
({8})
Diese neuen Regelungen werden im Sommer 2014 in
Kraft treten. Bis dahin haben alle Betroffenen Zeit genug, sich mit den neuen Regelungen vertraut zu machen.
({9})
- Es ist immer schön, wenn der Kollege Pronold da ist.
Dann muss man sehr laut sprechen, damit man hier überhaupt noch durchdringt.
({10})
Bereits gespeicherte Punkte werden in das neue System überführt. Altpunkte werden Verkehrssünder bei der
Neuregelung nicht los. Bestehende Punkte für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Straßenverkehr
werden aus der aktuell 18-stufigen Skala in eine 8-stufige Skala überführt. Vielleicht ist es für einige interessant, wie das genau läuft. Wer jetzt 1 bis 3 Punkte hat,
hat zukünftig 1 Punkt. Wer 4 bis 5 Punkte hat, hat künftig 2 Punkte. So geht das weiter. Wer 14 bis 15 Punkte
hat - keiner hier im Raum -, hat künftig 6 Punkte. Wer
16 bis 17 Punkte hat, hat künftig 7 Punkte. Wer 18 und
mehr Punkte hat, hat künftig 8 Punkte; dann ist der Führerschein weg.
Es gibt keine Amnestie. Aber Punkte werden künftig
nur noch für Verstöße gegeben, die die Verkehrssicherheit gefährden.
Jetzt geht es um das Einfahren in die Umweltzone
ohne die erforderliche Plakette. Es schmerzt einige sicherlich sehr, dass das zukünftig nicht mehr mit einem
Punkt geahndet wird. Rückwirkend werden diese Punkte
beim Umrechnen der Einträge sogar gelöscht. Das finde
ich dann auch konsequent.
Das Ergebnis der Anhörung ist, dass der freiwillige
Punkteabbau nach der Reform fortgeführt wird. Es gab
- das wissen Sie - eine sehr intensive Debatte innerhalb
der Koalition, auch mit dem Ministerium. Gerade die
Anhörung der Fachverbände hat gezeigt, dass auch sie
sich zurückgenommen haben. Sie wollten eine Reform,
und das sollte nicht am Punkteabbau scheitern. Jetzt ist
das drin. Wir hoffen, dass dann auch der Bundesrat seine
Zustimmung geben kann.
({11})
- Nein, das war nicht in der ersten Rede drin. Ich erinnere mich an unseren geschätzten verstorbenen Kollegen
Peter Struck, der sehr zu Recht gesagt hat: Kein Gesetz
geht so aus dem Bundestag raus, wie es eingebracht worden ist; dazwischen sind nämlich die Abgeordneten. Es
ist unser Recht, eine Meinung zu ändern.
({12})
- Wie bitte?
({13})
- Jawohl! Ich entnehme Ihrer Enthaltung, dass es besser
geworden ist; denn vorher haben Sie nicht angekündigt,
dass Sie sich so verhalten wollen.
({14})
Ich möchte gerne noch auf die Kosten des Seminars
zu sprechen kommen. Im Gesetzentwurf - das haben Sie
gesehen - gab es eine Kostenberechnung. Sie tragen immer andere Zahlen vor. Im Gesetzentwurf steht, dass das
Seminar 650 Euro kostet. Das sind 400 Euro mehr als
bei den bisherigen Seminaren zum Absitzen. Das ist viel
Geld.
({15})
- Wenn Sie jetzt den Vorwurf machen, Herr Pronold,
dass das zu viel Geld sei, dann empfehle ich Ihnen: Fahren Sie nie nach Dänemark. Wenn Sie fahren, halten Sie
sich bitte an die Verkehrsregeln. Da sind Sie bei einem
Verkehrsverstoß ganz schnell mit 500 Euro dabei.
({16})
Das sind Kosten, die in anderen Ländern selbstverständlich erhoben werden.
({17})
Ich kenne viele Leute, die trotzdem in diese Länder fahren.
Also: Wir bekommen ein qualitativ hochwertiges Seminar. Es wird auch zum Erfolg geführt werden. Die
Evaluierung wird nach fünf Jahren zeigen, ob es richtig
war oder nicht. Dann können wir uns gerne wieder darüber unterhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich empfehle Ihnen: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu und
bleiben Sie nicht bei einer kleinkarierten Enthaltung. Ich
glaube, es ist ein wichtiges Signal aus diesem Bundestag
dafür erforderlich.
Danke schön.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer
Gesetze. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13452, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12636 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen das bitte durch
Handzeichen bekunden. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Linke war dagegen. SPD und Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13452 empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Alle anderen haben dafür gestimmt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Informationsfreiheit und Transparenz unter Einschluss von Verbraucher- und
Umweltinformationen - Informationsfreiheitsund Transparenzgesetz
- Drucksache 17/13467 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe
oder höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Kirsten
Lühmann für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Zum kleinen Einmaleins der Diktatur gehört die
Ausschaltung oder die weitgehende Behinderung der Öffentlichkeit bei der Kontrolle politischer Macht. Für uns
in der Demokratie gilt das Gegenteil: Staatliche Machtausübung muss öffentlich kontrollierbar sein. Das ist sie
wiederum nur, wenn staatliches Handeln transparent ist.
Demokraten wollen und müssen wissen können, was
der Staat macht. Deshalb haben wir unter anderem das
Informationsfreiheitsrecht. Das ist gut so. Aber - das haben uns auch die Experten gesagt - unser Recht hat
Mängel. Das sagt auch der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit. Das sagen uns die Bürger und Bürgerinnen, die Petitionen schreiben. Das sagen uns auch die
Experten bei der Anhörung. Wenn wir Demokratie ernst
nehmen, sollten wir diese Mängel beseitigen. Das tun
wir mit dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorlegen.
({0})
Die Experten sagen, es gibt Probleme in drei Bereichen: Erstens. Das Recht ist zersplittert. Zweitens. Zu
viele Anträge auf Informationszugang werden abgelehnt. Drittens. Die Behörden veröffentlichen zu wenig
Informationen von sich aus.
Zum ersten Punkt. Allein für die Bundesbehörden
gelten sieben verschiedene Bundesgesetze, die den Zugang zu Informationen regeln. Das ist nicht nur für die
Antragstellenden verwirrend. Es ist auch für die Behörden selber nicht einfach, zu regeln, wer zuständig ist.
Wir führen mit unserem Gesetzentwurf drei große Gesetze zusammen. Das bringt Vereinfachung. Das bringt
Klarheit.
Zum zweiten Punkt, den Ausnahmen. Immer noch
werden zu viele Anträge auf Informationszugang abgelehnt. Das jetzige Recht lässt einerseits große Spielräume für Ausnahmen. Es ist andererseits aber in vielen
Punkten unklar, was wirklich als Ausnahme gedacht war
und was man dort hineininterpretiert hat. Natürlich gibt
es Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die geschützt
werden müssen. Es gibt aber auch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit daran, dass gegen Interessen anderer, zum Beispiel von Firmen und Einzelpersonen, abgewogen werden muss. Wir schaffen mit unserem
Gesetzentwurf die Möglichkeit und die Rechtsklarheit
dazu.
Zum dritten Punkt. Wir machen in unserem Gesetzentwurf klare Vorgaben - für Verträge der Daseinsvorsorge, Formulierungshilfen der Bundesregierung an den
Bundestag -, die die Behörden verpflichten, von sich aus
Informationen ins Netz zu stellen und nicht erst zu warten, bis die Bürger und Bürgerinnen das von ihnen verlangen.
In ihrer Stellungnahme hat die Bundesregierung leider keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, die Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis aufzunehmen. Die
Vereinheitlichung des Rechtes: abgelehnt. Weniger Ausnahmen: abgelehnt. Klare Veröffentlichungspflichten:
abgelehnt. Stattdessen schmückt sich die Bundesregierung mit einem Open-Data-Portal, das seinen Namen
nicht verdient. Das Portal ist nicht mehr als ein Feigenblatt, das Ihre Nacktheit nur notdürftig bedeckt. Sie wedeln andauernd mit diesem Blättchen herum, täuschen
aber nicht darüber hinweg, dass Sie nichts tun wollen,
um die Informationsrechte von Bürgern und Bürgerinnen zu verbessern.
({1})
Bei der CDU/CSU erstaunt mich das nicht. Aber bei
der FDP stellt sich mir schon die Frage, was aus der
selbsterklärten Partei der Bürgerrechte geworden ist.
({2})
Haben Sie keinen Bedarf mehr an Transparenz und an
Wissen für selbstbestimmte Bürger und Bürgerinnen,
was eben in der Debatte eindrucksvoll dargelegt wurde?
Ich kann hier nur einmal mehr feststellen, dass vom ehemaligen Markenkern der FDP nicht mehr viel übrig ist.
({3})
Wir bewegen uns. Wir sind davon überzeugt, dass Informationsfreiheitsrechte die demokratischen Beteiligungsrechte und die Kontrolle staatlichen Handelns
nicht schwächen, sondern stärken. Hierin liegen Chancen, Vertrauen zurückzugewinnen, das wir verloren haben.
Der Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, ist ein
Meilenstein in der Entwicklung der Informationsfreiheit.
Im Interesse der Bürger und Bürgerinnen appelliere ich
an Sie von der Koalition: Bewegen Sie sich in dieser
Frage! Emanzipieren Sie sich von Ihrer untätigen Bundesregierung! Lassen Sie uns zusammen an einer aufgeklärteren, an einer transparenteren Gesellschaftsform arbeiten! Ich freue mich auf die Beratung.
Danke schön.
({4})
Der Kollege Stephan Mayer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion,
den wir heute in erster Lesung beraten, zeigt wieder, wie
die SPD Politik betreibt.
({0})
Unabhängig von Expertenmeinungen und unabhängig
von den Auffassungen von Sachverständigen wird hier
ungeniert ein Gesetzentwurf vorgelegt, der in der Realität das Gegenteil dessen bewirken würde, was Sie sich
davon versprechen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, Sie sind wirklich beratungsresistent. Wir haben
uns im Innenausschuss am 24. September 2012 sehr ausführlich mit dem Informationsfreiheitsgesetz auseinandergesetzt. Wir haben beim Forschungsinstitut in Speyer
eine umfangreiche Evaluation in Auftrag gegeben. Insgesamt umfasst dieses Gutachten 600 Seiten.
({1})
Auf keiner dieser 600 Seiten steht die klare Handlungsempfehlung, dass die verschiedenen Gesetze - Umweltinformationsgesetz, Verbraucherinformationsgesetz und
Informationsfreiheitsgesetz - zusammengefasst werden
sollen. Wenn die Schlussfolgerung sein sollte, dass es
notwendig ist, hier eine gemeinsame Kodifizierung vorzunehmen, dann hätte doch Herr Professor Ziekow zu
dieser Schlussfolgerung kommen müssen; er ist es aber
nicht. Das Gegenteil ist der Fall: In diesem Gutachten
wird keinesfalls die Notwendigkeit oder die Realisierbarkeit einer undifferenzierten Zusammenführung der
unterschiedlichen Informations- und Zugangsrechte ge30276
Stephan Mayer ({2})
sehen, die ihrem Wesen nach sehr voneinander abweichen.
Wir haben uns in der genannten Anhörung am
24. September aufgrund Ihrer Fragen, Frau Kollegin
Lühmann, auch damit auseinandergesetzt, ob denn eine
solche Zusammenlegung nach Auffassung der Sachverständigen sinnvoll wäre. Auch hier war das Votum aller
Sachverständigen, unter anderem auch des Sachverständigen, den Sie selbst benannt haben, einmütig: Es wurde
abgelehnt. Es verwundert wirklich, dass sogar der von
der SPD benannte Sachverständige deutlich gemacht
hat, dass er keine Notwendigkeit sieht, die verschiedenen Informations- und Zugangsrechte zusammenzulegen. Herr Professor Schulz vom Hans-Bredow-Institut
für Medienforschung in Hamburg hat es deutlich zum
Ausdruck gebracht: Selbst er sprach davon, dass eine
Fusion des Informationsfreiheitsgesetzes mit anderen
Gesetzen nicht zwingend sei.
({3})
Wesentlich konkreter und deutlicher wurden die
Sachverständigen Dr. Partsch, Professor Ziekow sowie
Professor Ibler. Herr Dr. Christoph Partsch führte aus,
dass lediglich eine Zusammenlegung von IFG und UIG
in Betracht kommen könnte; alles andere sei - ich zitiere
wörtlich - „wesentlich aufwendiger bzw. kompetenzrechtlich nicht möglich“.
Professor Ziekow empfahl gar ein noch vorsichtigeres
und differenzierteres Vorgehen, und zwar mit den Worten - auch hier zitiere ich -:
Es ist eine alte Erfahrung: Wenn man das Rad zu
groß macht, dann rollt es schlecht.
Er legte nahe, keine neuen Probleme zu schaffen, die
aufgrund der Rechtsprechung keine praktische Relevanz
besitzen. Er sprach sich sodann zwar für eine Angleichung des IFG an das UIG aus, aber auch für ein Beibehalten beider Gesetze.
Noch deutlicher wurde Professor Martin Ibler, der die
Gefahr sah, „Äpfel zu Birnen“ zu machen. Bereits die
Zusammenführung von UIG und IFG sei aus seiner Sicht
zum Scheitern verurteilt, da die Gesetze sehr unterschiedliche Zwecke verfolgten. Das UIG, also das Umweltinformationsgesetz, entstand aufgrund der Pflicht
zur Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie, sodass für die Betroffenen gegebenenfalls die Möglichkeit
besteht, den Weg durch die Instanzen bis zum EuGH zu
gehen. Beim Informationsfreiheitsgesetz, das nicht aufgrund einer EU-Richtlinie geboren wurde, besteht diese
Möglichkeit nicht.
Das UIG hat auch einen ganz anderen Zweck: Beim
Umweltinformationsgesetz geht es darum, mögliche
Umweltdefizite in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union zu beheben. Das Informationsfreiheitsgesetz hat
einen ganz anderen Zweck. Da geht es möglicherweise
um die Beseitigung vorhandener Demokratiedefizite.
Die Regelungszwecke der beiden Gesetze sind komplett
unterschiedlich, sodass es aus nachvollziehbaren Gründen von den Sachverständigen abgelehnt wurde, einer
Zusammenlegung das Wort zu reden.
Wenn ich mir zudem die aktuelle Diskussion über das
von Ihnen über alle Maßen gelobte Hamburgische Transparenzgesetz anschaue, bei dem offensichtlich bald gerichtlich geklärt werden muss, wie einzelne Regelungen
grundsätzlich auszulegen sind, habe ich zudem erhebliche Zweifel daran, dass die von Ihnen vorgeschlagene
Zusammenführung mehrerer Informationszugangsgesetze im Ergebnis zu mehr Effizienz und Effektivität in
der Verwaltung führen wird; das Gegenteil dürfte der
Fall sein.
Darüber hinaus möchte ich Ihnen, Frau Kollegin
Lühmann, schon sagen, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf
einen aus meiner Sicht unzulässigen Generalverdacht
gegen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung erheben. Wir haben in Deutschland
eine auf allen Ebenen effektive und qualitativ außerordentlich hochwertige Verwaltung, von den Kommunen
über die Länderebene bis zum Bund.
({4})
Ich lasse es einfach nicht zu, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass Sie hier einen Pauschalverdacht gegenüber der Verwaltung erheben, nach dem
Motto: Die mauern, die geben Akten nicht weiter, die
sind nicht transparent genug.
({5})
Diesen Vorwurf lasse ich einfach nicht gelten. Wir haben
ein außerordentlich funktionstaugliches Informationsfreiheitsgesetz und eine Verwaltung, die sich daran entsprechend orientiert.
({6})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
auch der Bund ist in Vorleistung gegangen: Es gibt seit
dem 19. Februar dieses Jahres ein Pilotprojekt, das Open
Data gewährleistet. Mittlerweile, nach heutigem Stand,
sind dort auf freiwilliger Basis 5 788 Datensätze eingestellt worden, nicht nur vom Bund, sondern teilweise
auch von den Ländern und den Kommunen. Aus meiner
Sicht kommt die Verwaltung in Deutschland der Obliegenheit sehr wohl nach - wohlgemerkt von sich aus,
freiwillig, ohne rechtliche Verpflichtung und gesetzlichen Zwang -, nicht nur offene Daten, sondern teilweise
auch Daten, die verschlüsselt sind, entsprechend zu veröffentlichen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir
damit der Verpflichtung Genüge tun, dass in der Verwaltung offen und transparent mit Daten umgegangen wird,
sodass die Bürger die Möglichkeiten haben, an die Daten
zu gelangen, auf die sie zurückgreifen wollen.
({7})
Stephan Mayer ({8})
Es war ja nicht nur so, dass die Sachverständigen und
die in der Anhörung Anwesenden die Notwendigkeit der
Zusammenlegung der unterschiedlichen Informationsund Zugangsrechte verneint hätten, sondern selbst die
Open-Government-Expertin und Piratin Anke Domscheit-Berg bemängelt den Verstoß und sagt ausweislich
eines Artikels in der taz von heute, der Entwurf sei ein
für den Wahlkampf geschriebenes Patchworkgesetz und
keine zielgerichtete Umsetzung einer Open-Government-Strategie.
({9})
Ich glaube nicht, dass Frau Domscheit-Berg im Verdacht
steht, uns politisch nahezustehen und uns irgendetwas
Gutes tun zu wollen.
({10})
Selbst sie lässt kein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf,
sodass ihm aus meiner Sicht nur eine klare Absage zu erteilen ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Idee, mehrere Bundesgesetze zusammenzulegen, um allein das zu erreichen, was man
schon im Titel verlangt, nämlich zu mehr Transparenz
und zu mehr Information zu kommen.
({0})
Sie wollen ein Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz schaffen. Das finden wir gut. Dabei soll
gleichzeitig das Informationsfreiheitsgesetz von 2005 reformiert und an entscheidenden Stellen verbessert werden. Es soll eine verbindliche Auskunftspflicht geben,
und staatliche Stellen sollen wichtige Informationen für
die Bürgerinnen und Bürger ins Netz stellen. Damit wäre
niemand mehr gezwungen, selbst aufwendig recherchieren zu müssen, um bestimmte Informationen zu bekommen. Ich kann mir vielmehr Informationen holen über
den Zustand meiner unmittelbaren oder auch ferneren
Umwelt, ich kann heraussuchen und nachlesen, wie hoch
die Lärmbelästigung an Straßen und Eisenbahntrassen
ist. Die Linke unterstützt deshalb die Initiative der SPD.
Auch das Ziel, Transparenz zu schaffen und so, wie es
heißt, einen Kulturwandel in der Verwaltung herbeizuführen, teilt meine Fraktion ausdrücklich.
({1})
Die Bundesregierung will es offenbar nicht wahrhaben; aber im Bereich Informationsfreiheit und Transparenz liegen wir im internationalen Vergleich weit hinter
den Regelungen anderer europäischer Staaten und auch
der USA. Die Regierung unternimmt nichts, um das zu
ändern. Im Gegenteil: Sie jammert darüber, dass eine
transparente Informationspolitik mit viel Arbeit verbunden sei und deshalb nicht geleistet werden könne. Das
führt dazu, dass die Bundesrepublik noch weiter ins Abseits gerät und den Anschluss an internationale Standards verliert. Das akzeptieren wir nicht.
({2})
Manche Regierungs- und Behördenvertreter glauben
offenbar, dass es ausreicht, wenn eine Behörde eine
Website hat. Von selbstständiger, bürgerfreundlicher Informationsfreigabe fehlt aber jede Spur. Entweder hat
die Bundesregierung immer noch nicht die Bedeutung
von Transparenz im staatlichen Handeln für die Demokratie erkannt, oder sie geht einfach nur von einem anderen Demokratieverständnis aus; aber das ist ein Demokratieverständnis von gestern oder vorgestern.
({3})
Die Verpflichtung der Verwaltungen zu unaufgeforderter und selbstständiger Veröffentlichung einer Vielzahl von Verwaltungsdaten im Internet, wie es im Gesetzentwurf heißt, ist lange überfällig. Wir brauchen ein
Informationsfreiheitsgesetz, das die Bürgerinnen und
Bürger in die Lage versetzt, schnell und selbstständig die
Informationen zu erlangen, die sie für die Gestaltung ihres Lebens brauchen oder dafür, um ihre demokratische
Teilhabe an der Gesellschaft zu organisieren.
Leider bleiben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, hinter dem zurück, was an anderer Stelle
schon einmal eingefordert worden ist. Sie haben das
Hamburgische Transparenzgesetz erwähnt. Sie wollten
es als Vorbild nehmen; aber das Hamburgische Transparenzgesetz umfasst eine Reihe von weitergehenden, fortschrittlicheren Regelungen als die, die Sie jetzt übernommen haben. So finden wir dort zum Beispiel
Informationen über Subventions- und Zuwendungsverfahren sowie Daten von Unternehmen, an denen die
Stadt beteiligt ist. Darauf verzichten Sie in Ihrem Entwurf.
Auch fallen Sie hinter das Sondervotum im Bericht
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zurück, das Sie mit uns, den Grünen und den
Sachverständigen zusammen zum Thema Open Data
und E-Government erarbeitet haben. Über Maschinenlesbarkeit der Daten und freien Lizenzen liest man in Ihrem Gesetzentwurf leider nichts. Das ist schwach. Haben
Ihre Internetexperten in dieser Frage nicht den Freiraum,
den sie eigentlich brauchen?
Ihnen ist es auch nicht gelungen, die Ausnahmetatbestände auf das tatsächlich notwendige Maß zu reduzieren. Sie fordern sogar, dass das Urheberrecht sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Gründe für das
Verweigern von Informationen sein können. So kommen
wir doch nicht zu transparentem staatlichen Handeln. Sie
kennen das doch aus der alltäglichen Berichterstattung:
Das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis verhindert regelmäßig, dass Bürgerinnen und Bürger Informationen über
öffentlich-privatwirtschaftliche Projekte bekommen.
Vollkommen kostenlos soll dieser Service auch nicht
sein. Das ist, wie gesagt, schwach.
Wie ernst nehmen Sie die Sache mit der Transparenz
eigentlich? Das frage ich mich, da Sie erst vor ein paar
Wochen unseren Antrag „Demokratie durch Transparenz
stärken“ einfach abgelehnt haben. Ich finde das bedauerlich. Das ist, glaube ich, der Sache nicht angemessen.
Danke schön.
({4})
Gisela Piltz hat das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer!
Ungünstig ist auch, dass es bereichsspezifische Regelungen in anderen Gesetzen und daneben jetzt ein
Informationsfreiheitsgesetz gibt. Das führt nur zu
Unklarheit und Verwirrung. Die Regelung eines
einheitlichen Anspruches auf Information wäre
richtig gewesen.
Das hat unser viel zu früh verstorbener Kollege Max
Stadler am Freitag, den 3. Juni 2005, in der abschließenden Lesung des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes gesagt. Es wäre schön - so geht es mir jedenfalls -,
wenn Max heute hier sein könnte, um diesen Gedanken
fortzuführen und den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf daran messen könnte. Aber uns bleibt nur, in seinem Sinne und im Gedenken an ihn seine liberale und
bürgerrechtsfreundliche Grundüberzeugung weiterzutragen und fortzuführen. Das werden wir Liberale sicher
tun.
Das Anliegen der SPD ist durchaus richtig; aber
freuen Sie sich nicht zu früh über diese Aussage. Informationsfreiheit darf kein Stückwerk sein. Informationsfreiheitsregelungen in einem Gesetz zu regeln und hierbei auch den Gedanken von Open Data, also der
grundsätzlich proaktiven Veröffentlichung von Daten
aufzunehmen, ist ein richtiger Ansatz. Aus unserer Sicht
ist es auch richtig, dass Orientierungspunkt die größtmögliche Transparenz und Offenheit sein muss. Informationsfreiheit ist aus Sicht der FDP ein Gewinn für die
Demokratie.
({0})
Das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutionen braucht Offenheit. Wo der Eindruck entsteht, es
werde in Hinterzimmern gemauschelt, blüht Misstrauen.
Daher ist vor allem der Ansatz von Open Data wichtig
und ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für mehr Transparenz. Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem
Handeln der Verwaltung ist nicht nur zur Kontrolle des
Staates durch den Souverän unabdingbar, sondern auch,
weil damit schon in der Entscheidungsfindung eine
Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann. Das ist sicherlich eine gute Idee. Das ist Demokratie.
Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung hier
schon Schritte gegangen ist. Mit der Verabschiedung des
Programms der Bundesregierung „Vernetzte und transparente Verwaltung“ und der Eröffnung des Open-DataPortals unter www.govdata.de wurde der Grundstein gelegt. Es ist auch gut, dass der Deutsche Bundestag mit
dem Planungsvereinheitlichungsgesetz, das in diesem
Jahr verabschiedet wurde - Sie sagen ja immer, wir täten
nichts -, im Verwaltungsverfahrensgesetz die elektronische Veröffentlichung von Plänen durch die Verwaltung
vorgeschrieben hat. Jeder kann diese nun einsehen. Die
Verwaltung muss sie ins Internet stellen.
So wichtig Informationsfreiheit auch ist, sie steht immer in Konkurrenz mit anderen Grundrechten wie dem
Datenschutz oder dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Hier müssen Lösungen gefunden werden, um einen Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten herzustellen. Nach dem vorliegenden
Gesetzentwurf müsste sich interessanterweise derjenige
rechtfertigen, dessen Daten betroffen sind. Gemäß dem
Vorschlag der SPD dürften personenbezogene Daten erst
einmal herausgegeben werden, und zwar an jedermann,
ohne weitere Voraussetzungen, schlicht aufgrund des Informationsanspruchs. Nur eine „erhebliche“ Beeinträchtigung soll dem entgegenstehen.
Nach dem geltenden IFG hingegen muss das Informationsinteresse gegenüber dem schutzwürdigen Interesse
des Betroffenen überwiegen. Nach Ihrem Gesetzentwurf
wäre das umgekehrt. Eigentlich wäre das nicht nur umgekehrt, sondern sogar noch viel schlimmer. In der Einleitung zu Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie, dass Sie
sich jeweils am größtmöglichen Transparenzniveau in
den unterschiedlichen Gesetzen orientiert hätten. Offensichtlich bedeutet das aber auch, dass Sie sich eben nicht
am größtmöglichen Datenschutzniveau orientiert haben,
sondern genau am Gegenteil, nämlich am schlechtestmöglichen Datenschutzniveau.
({1})
Die Formulierung, die Sie aus dem UIG übernommen
haben, war und ist in der Literatur umstritten, weil sie
eine deutliche Herabsetzung des Datenschutzniveaus bedeutet. Das ist doch einmal interessant. Interessant ist
auch, dass der Kollege Reichenbach, der hier sonst immer für den Datenschutz - vermeintlich - kämpft, Ihnen
so etwas durchgehen lässt. Er ist heute Abend nicht da;
jetzt weiß ich auch, warum.
Zu rot-grünen Zeiten hatten SPD und Grüne noch versucht, sich herauszureden, indem sie die Änderung am
UIG so rechtfertigten, dass ansonsten Wertungswidersprüche zwischen dem Schutz der informationellen
Selbstbestimmung einerseits und dem Schutz des Urheberrechts und der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
andererseits entstehen würden. So stand es damals in IhGisela Piltz
rer Gesetzesbegründung; wenn Sie wissen wollen, wo
genau, kann ich Ihnen auch die Seite nennen.
Jetzt aber haben Sie ersichtlich keine Probleme mehr
mit diesen Wertungswidersprüchen. Denn während personenbezogene Daten im Grunde genommen keinen
Schutz mehr genießen, gibt es bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder beim Urheberrecht nur die für
den Datenschutz noch zusätzlich geltende Einschränkung, dass die Ablehnung unterbleiben darf, wenn Einwilligung vorliegt oder das öffentliche Interesse überwiegt. Damit sind diese Rechtsgüter beinahe absolut
geschützt. Ich will - das kann und muss ich ja auch nicht Ihnen das gar nicht vorwerfen. Selbstverständlich ist es
richtig, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wie
etwa Rezepturen nicht frei verfügbar gemacht werden
können; denn sonst würden wir der Industriespionage
Tür und Tor öffnen. Beim Überwiegen öffentlicher Interessen, also sozusagen des Allgemeinwohls, kann davon
abgewichen werden. Das ist richtig und angemessen.
Aber ich werfe Ihnen vor, dass Sie diesen hohen Schutz
bei personenbezogenen Daten nicht gewähren wollen.
Ich finde, so kann man mit dem Datenschutz wirklich
nicht umgehen.
({2})
Man könnte noch eine Menge dazu sagen. Wenn ich
mir ansehe, welche Veröffentlichtungspflichten Sie für
„politische Konzepte“ vorsehen, frage ich mich schon,
was unter politischen Konzepten zu verstehen sein soll.
({3})
- Ach, Herr von Notz, ich finde, zu dieser späten Stunde
müssen Sie das nicht mehr tun. - Frau Lühmann, ist es
schon ein Konzept, wenn eine Idee in Ihrem Kopf entsteht oder wenn Herr von Notz hier etwas sagt? Auch die
Frage der Aufbereitung von Informationen in verständlicher Form für Verbraucher ist ein schwieriges Thema.
Ich finde, Ihr Gesetzentwurf, vier Wochen vor Beginn
der Sommerpause eingebracht, ist nicht mehr als ein
Schnellschuss. Er wurde aus Versatzstücken rasch zusammengeschustert. So kann man kein Informationsrecht aus einem Guss schaffen.
Ich komme zum Schluss.
({4})
Sie täuschen Aktionismus vor, der durch nichts gerechtfertigt ist. Wir kümmern uns.
Frau Kollegin.
Es waren vier gute Jahre für die Informationsfreiheit.
Mit Ihnen wird es nicht besser.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bei den Themen Transparenz und Informationsfreiheit ist es so ähnlich wie bei dem für diese Koalition
und Frau Merkel besonders schwierigen Thema Familienpolitik. Sie beharren einfach weiterhin auf einem
überholten Gesellschaftsbild.
({0})
Die alten Rollenbilder, die zu Absurditäten wie dem Betreuungsgeld führen, lauten in der Transparenzpolitik:
Der gütige Staat als Geheimanstalt.
({1})
Im Grunde klammert sich diese Koalition weiterhin an
den Grundsatz der Amtsverschwiegenheit wie an ihr Familienbild aus dem 19. Jahrhundert, und zwar gegen die
Rechtslage, gegen alle Empfehlungen der Informationsfreiheitsbeauftragten, gegen die Signale aus Karlsruhe
und gegen die EU-Grundrechtecharta. Dem dahinterstehenden Staatsbild fehlt einfach die Mehrdimensionalität
des Verständnisses, was den modernen Staat ausmacht.
({2})
Vor allem geht Ihr Bild gegen jede Vernunft, Herr
Kollege, meine Damen und Herren von der Koalition.
Erst gestern wurde wieder berichtet, dass 30 Prozent der
Wählerinnen und Wähler keinen Grund sehen, im September zur Wahl zu gehen. Vor diesem Hintergrund
müsste es doch unser aller Ziel sein, endlich diese Frustrationen ernst zu nehmen. Niemand, der sich für Politik
interessiert, darf vom politischen Apparat, vor allem
aber von der öffentlichen Verwaltung und Regierung von
Informationen generell abgeschnitten sein.
({3})
Transparenz des Parlaments heißt Öffentlichkeit der
Ausschüsse, der Dokumente, ehrliche Ansagen und
nachprüfbare Politik, Lobbyistenregister
({4})
- Herr Kollege, für Sie besonders schwierig -, Offenlegung von Gehältern. Eigentlich müssten wir dazu in dieser Legislaturperiode fraktionsübergreifend sehr viel unternommen haben, als Signal an die Bürgerinnen und
Bürger, dass dieses Haus verstanden hat, dass wir uns für
ihre Anliegen und Bedürfnisse einsetzen.
({5})
Aber - wie in so vielen Bereichen, Herr Kollege -:
schwarz-gelbe Leere auch beim Thema Informationsfreiheit. Das ist ein echtes Armutszeugnis, meine Damen
und Herren.
({6})
Natürlich sind Transparenz und Informationsfreiheit
kein Allheilmittel. Doch Transparenz von Verwaltungsentscheidungen ist eine zentrale Grundvoraussetzung für
Partizipation, aber auch für Vertrauen in das Gemeinwesen und die Rechtmäßigkeit der Abläufe. Wir Grünen
haben zusammen mit einer breiten Basis der Zivilgesellschaft und der SPD
({7})
das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gegen härteste Widerstände auf den Weg gebracht. Ich sage Ihnen
heute: Wir werden es gemeinsam sachgerecht weiterentwickeln.
Dazu zählt mindestens die Ergänzung des Individualanspruchs auf Auskunft um proaktive Open-DataVerpflichtungen der Behörden. Dazu zählt aber auch die
Beseitigung der vielen im Speyer-Gutachten - Herr Kollege Mayer, Sie haben es angesprochen - bereits aufgezeigten Hindernisse für Freiheitsanträge wie zum Beispiel die viel zu pauschalen Ausnahmegründe. Das steht
da x-mal drin; das haben Sie entweder überlesen oder
verschwiegen.
({8})
In der zurückliegenden Sitzungswoche haben wir unsere Forderung nach einem Grundrecht auf Informationsfreiheit, mit dem eine sehr gute Basis auch für den
heute von der SPD präsentierten Gesetzentwurf geschaffen würde, unterstrichen. Zu den lange erhobenen und
gut begründeten Forderungen der Informationsbeauftragten wie auch eines breiten Bündnisses zivilgesellschaftlicher Organisationen zählt die Zusammenlegung
der zentralen Gebiete des Umweltinformations- und des
Verbraucherinformationsrechts mit dem IFG. Selbstverständlich, Frau Kollegin Piltz, darf es dabei nicht zu einer Absenkung der bestehenden Standards kommen,
auch nicht beim Datenschutz; das ist für uns Grüne ein
ganz zentraler Punkt.
({9})
Zu guter Letzt - Herr Kollege Mayer, das sage ich vor
allen Dingen in Ihre Richtung -: Frau Stamm, immerhin
CSU-Landtagspräsidentin, erklärte heute Morgen im
Deutschlandfunk, ({10})
- nicht nur von der CSU, genau; aber auch -, dass wir
als Abgeordnete Transparenz, Transparenz und Transparenz in den Mittelpunkt stellen müssen. So reden Sie leider nur, wenn Ihnen das Wasser, wie jetzt in Bayern, bis
zum Hals steht. Weil das aber auch aus Einsicht und
Überzeugung geschehen soll, werden wir das machen,
ab September dieses Jahres.
Ganz herzlichen Dank.
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Thomas
Gebhart das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist doch selbstverständlich, dass der Staat
eine besondere Pflicht hat, sein Handeln transparent zu
machen. Der Staat ist verpflichtet, seinen Bürgerinnen
und Bürgern Auskunft zu erteilen, beispielsweise in Fragen des Umweltschutzes; darüber kann hier, glaube ich,
kein ernsthafter Dissens bestehen.
Wir haben heute in Deutschland unterschiedliche Gesetze, die diesen Informationszugang regeln: bei Umweltinformationen das Umweltinformationsgesetz, bei
Lebensmitteln das Verbraucherinformationsgesetz, bei
amtlichen Informationen das Informationsfreiheitsgesetz. Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD schlägt
nun vor, die drei angesprochenen Gesetze zusammenzufassen. Der Kollege Stephan Mayer hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass diese Debatte nicht neu ist, und er hat
- völlig richtig - auf die Argumente in diesem Zusammenhang hingewiesen. Deswegen brauche ich sie an dieser Stelle nicht zu wiederholen.
Alles in einer Hand; für die Bürger wäre dies besser
verständlich - so Ihre Idee. Allerdings, meine Damen
und Herren, ist es doch bereits heute so, dass die angefragten Behörden von sich aus entscheiden, nach welchem Gesetz Auskunft erteilt wird. Das heißt, die Wirkung auf die Bürgerinnen und Bürger ist durch das
Vorhandensein mehrerer Gesetze nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Zudem weisen die verschiedenen Informationszugangsgesetze im Detail auch Unterschiede auf,
zum Beispiel bei der Ausgestaltung von Gründen für die
Ablehnung eines Informationsantrags. Eine Zusammenlegung muss daher - auch in Bezug auf die unmittelbare
Wirkung des Gesetzes lediglich für Bundesbehörden und
nicht nur für die Länderbehörden - sorgfältig geprüft
werden.
Einige Sachverständige haben bei der Evaluation des
Informationsfreiheitsgesetzes ausdrücklich davor gewarnt, die Anforderungen des Umweltinformationsgesetzes auf das Informationsfreiheitsgesetz zu übertragen,
weil der Ursprung der Gesetze und die Motivation für sie
schlicht und ergreifend jeweils andere sind.
Der Hauptvorschlag der SPD, dass die Behörden angehalten werden sollen, Informationen von allgemeinem
Interesse von sich aus einfach und kostenfrei zu veröffentlichen, ist nicht neu. Sowohl das Umweltinformationsgesetz als auch das Verbraucherinformationsgesetz
kennen solche Regelungen. Die SPD will den Katalog
der aktiven behördlichen Veröffentlichungspflichten erweitern. Eine Abschätzung jedoch - das ist ein Manko
Ihres Gesetzesvorschlags -, wie hoch denn der Erfüllungsaufwand für die Behörden wäre, leisten Sie nicht.
Speziell zum Bereich des Umweltinformationsgesetzes. Aus Umweltsicht ist der von Ihnen vorgeschlagene
Gesetzentwurf auf den ersten Blick zunächst relativ unproblematisch - es sind nur kleinere Neuerungen -: Sie
haben das Umweltinformationsgesetz im Wesentlichen
übernommen und versuchen, dessen Anforderungen
auch auf andere Gesetze zu übertragen.
Es gibt aber durchaus kritische Punkte. Ich will einen
kritischen Punkt, über den in den Ausschussberatungen
sicherlich zu diskutieren sein wird, konkret ansprechen:
§ 7 Abs. 3, der die Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes für Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten bei Verschlusssachen auch auf Umweltinformationen anwendet. Diese Bestimmung, meine Damen
und Herren, ist europarechtlich, aber auch völkerrechtlich hochproblematisch, weil bei Umweltinformationen
insofern kein Abwägungsspielraum besteht. Ohne diesen
Bezug zu einer Abwägung dürfte der Text europa- und
völkerrechtlichen Vorgaben kaum genügen. Übrigens
nimmt Ihr Gesetzentwurf auch auf die Århus-Konvention keinen Bezug; auch das ist an dieser Stelle ein Stück
weit bemerkenswert.
Meine Damen und Herren, wir werden Ihren Gesetzentwurf in den Ausschüssen mit Sicherheit sehr gründlich beraten und insbesondere die kritischen Punkte intensiv diskutieren.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt Lars Klingbeil das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Mayer, Sie haben vorhin sieben Minuten geredet. Sie haben kritisiert, was die SPD
in ihren Gesetzentwurf geschrieben hat, Sie haben gemeckert,
({0})
Sie haben aus der Anhörung zur Evaluierung zitiert; aber
Sie haben eines vergessen: Sie haben vergessen, zu sagen, wofür Sie eigentlich stehen, wofür diese Koalition
eigentlich steht, wenn es um Informationsfreiheit geht
und darum, Transparenz in diesem Land zu verbessern;
das haben Sie zu sagen vergessen. Rot-Grün gibt hier
den Takt vor
({1})
und zeigt, in welche Richtung sich das alles entwickeln
soll. Es ist enttäuschend, das von Schwarz-Gelb an dieser Stelle nichts kommt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch daran
erinnern, dass Rot-Grün dieses Informationsfreiheitsgesetz im Jahr 2005 auf den Weg gebracht hat. Wir haben
damals die Türen des Staates aufgestoßen, wir haben gesagt: Wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen
mehr Offenheit in diesem Land, wir wollen, dass staatliches Handeln nachvollziehbarer wird. - Das war damals
progressiv. Rot-Grün hat sich aufgemacht, den Staat zu
modernisieren.
({3})
Seit 2006 ist viel passiert: Wir sehen, dass die Informationsfreiheitsgesetze, die damals auf den Weg gebracht wurden, Strukturen verändert haben. Wir sehen
aber auch, dass es in der Praxis viel zu häufig noch Hürden gibt, an denen die Informationsfreiheit scheitert. Zuletzt konnten wir im April in einem Artikel in der Zeit
mit der Überschrift „Achtung! Geschäftsgeheimnis“ lesen, dass es noch heute große Unsicherheiten in Behörden gibt, dass manchmal der Wille fehlt, aber dass vor
allem eine Gesetzgebung fehlt, die wirklich Informationsfreiheit ermöglicht. Deswegen müssen wir acht
Jahre nach Verabschiedung des Informationsfreiheitsgesetzes festhalten: Der Kulturwandel in Politik und Verwaltung, wie wir ihn wollten, wie wir ihn uns vorgenommen haben, ist an vielen Stellen noch nicht da.
Deswegen ist es Zeit für eine grundlegende Überarbeitung.
({4})
Es ist Zeit für ein Informationsfreiheitsgesetz 2.0, und
das hat die Sozialdemokratie hier heute auf den Tisch
gelegt. Darüber wollen wir reden und abstimmen.
({5})
Die Evaluierung, lieber Kollege Mayer, und auch die
intensive Diskussion in der Enquete-Kommission haben
gezeigt, dass es Handlungsbedarf gibt. Wir sagen, es gibt
ihn in drei Bereichen: Wir wollen die großen Regelungswerke zusammenführen - das ist hier häufig diskutiert
worden -, wir wollen vor allem auch eine radikale Eingrenzung der Ausnahmetatbestände, und wir sagen, dass
wir im Sinne der Transparenz auch eine proaktive Veröffentlichung von Informationen und Daten einführen wollen. - Auskunftsrechte sind gut und wichtig, aber wir
wollen, dass diese auch effektiv genutzt werden können.
Hier geht es dann auch um Open Data. Ich will die
Linke gerne einladen, dass wir im Verfahren noch über
die Maschinenlesbarkeit und all diese Dinge reden. Ich
will aber auch sagen: Wir müssen erkennen, dass Informationsfreiheit und Open Data ein riesiges Innovationspotenzial haben und dass wir auf dieses Innovationspotenzial setzen müssen.
Hier geht es noch einmal um den Kulturwandel der
Behörden. Es muss darum gehen, dass Offenheit
herrscht, dass wir also diese Offenheit des Staates erreichen. Das Wissen des Staates muss den Menschen gehören. Bei Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechten brauchen wir Ausnahmen, aber ich sage Ihnen:
Transparenz schafft Vertrauen, Transparenz schafft
Nähe, und Transparenz schafft auch Teilhabe. Darum
muss es uns doch gehen.
({6})
In den USA sehen wir, wie erfolgreich eine OpenData-Strategie sein kann und wie erfolgreich Informationsfreiheit ist. Ich verrate Ihnen aber auch: Dort gibt es
einen Präsidenten Obama, der das Ganze lebt und vorantreibt. Genau eine solche Person mit einer solchen Verantwortung fehlt in der schwarz-gelben Bundesregierung. Es gibt niemanden in dieser Regierung, der die
Offenheit des Staates vorantreibt.
Sie verweisen auf GovData. Ja, das ist ein tolles Projekt - das will ich Ihnen auch sagen -, aber wenn die
proaktive Veröffentlichung von Daten nicht die Grundvoraussetzung ist, dann haben wir hier die falschen Weichen gestellt.
Ich sage Ihnen: Rot-Grün hat damals den Staat modernisiert. Schwarz-Gelb weigert sich an dieser Stelle,
auf die nächste Stufe der Modernisierung des Staates zu
gehen. Deswegen wird es wieder Rot-Grün sein, die die
nächste Stufe der Modernisierung des Staates nehmen
werden.
({7})
Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt
und freuen uns auf die Diskussion hier im Parlament.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/13467 an die Ausschüsse
zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung finden. Dazu gibt es keine anderen Vorschläge. Dann ist das so
beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich
- Drucksache 17/12726 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 17/13526 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Valerie Wilms
Vorgesehen ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Damit sind Sie einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es geht in diesem
Gesetzentwurf, zu dem wir heute die zweite und dritte
Lesung abhalten, um eine durchaus abstrakt erscheinende Materie, wenngleich sie von ganz erheblicher Bedeutung für das bahnwirtschaftliche Geschehen in
Deutschland ist.
Ich möchte diese Materie zunächst einmal darstellen
und zwei ganz wesentliche Dinge herausstellen, die uns,
glaube ich, auch überfraktionell verbinden:
Erstens. Wir wollen ein Maximum an Wettbewerb im
Schienenverkehr gewährleisten,
({0})
und zwar sowohl im Bereich des Schienenpersonenverkehrs - egal ob im Schienenpersonennahverkehr oder im
Schienenpersonenfernverkehr - als auch im Bereich des
Güterverkehrs.
({1})
Zweitens. Ich habe mich in Bezug auf die DB von Beginn meiner Amtszeit an - vorher natürlich auch schon aus tiefer Überzeugung immer für das Prinzip des integrierten Konzerns ausgesprochen.
({2})
- Frau Wilms, können Sie sich nicht anschließen?
Wie gesagt, das ist meine tiefe Überzeugung. Hier ist
nicht die Zeit, vertieft darüber zu diskutieren und das
ordnungspolitisch zu begründen, aber es muss erwähnt
werden, weil es mir wichtig ist. Dieser Weg führt dann
zu dem Eisenbahnregulierungsgesetz, das entgegen vielen anderslautenden Darstellungen zeigt, dass man zwei
Dinge zusammenbringen kann: den integrierten Konzern
mit seinen gesamten strategischen und operativen Vorzügen und gleichzeitig ein Maximum an Wettbewerb.
Schon jetzt haben wir ein Maß an Wettbewerb im
Schienenverkehr in Deutschland, von dem sich andere
Länder in der Europäischen Union dicke Scheiben abschneiden können.
({3})
Ich habe heute noch im Ohr, was Guillaume Pepy, als er
vor etwa einem Jahr hier in Berlin eine Rede gehalten
hat, gesagt hat, nämlich dass Deutschland das Land in
der Europäischen Union sei, in dem auf der Schiene bis
heute der meiste Wettbewerb herrsche. Das sagt der französische Bahnchef.
Dieser Wettbewerb kann sich sehen lassen. Es gibt
etwa 350 Wettbewerber zur Bahn. Zahlenmäßig klingt
das viel. In Anteilen ausgedrückt bedeutet das im Bereich der Fracht, des Güterverkehrs, 26 Prozent und im
Bereich des Personenregionalverkehrs nach Sitzplatzangeboten 24 Prozent. Zugegebenermaßen ist im Schienenpersonenfernverkehr noch viel Raum nach oben; da
liegen wir, was den Wettbewerb anbelangt, etwa bei
1 Prozent. Aber wir sind hier auf dem richtigen Weg.
Jetzt müssen wir die Debatte natürlich gerade auf europäischer Ebene führen, insbesondere was das Thema
Unbundling betrifft. Verlangt werden von uns - Stichwort 4. EU-Eisenbahnpaket - immer stärker eine weitergehende Zerschlagung der Konzernstrukturen, die Zerschlagung des integrierten Konzerns und die Trennung
von Netz und Betrieb.
Meine Richtung ist eine andere. Das habe ich gerade
dargestellt.
Das bedingt und verlangt aber natürlich, dass wir auf
der anderen Seite das Maximum an Wettbewerb sicherstellen, das heißt ein Maximum in Bezug auf einen
völlig diskriminierungsfreien Zugang der Wettbewerber
zum Eisenbahnnetz und zu den Stationen, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Dienstleistungen, die von
der DB erbracht werden. Das heißt beispielsweise
- diese Kinkerlitzchen kennen wir ja; das ist aber in
anderen Ländern nicht besser -, wir brauchen - dann
reguliert - einen diskriminierungsfreien Zugang beispielsweise zu Rangierleistungen oder die Zurverfügungstellung von Fahrkartenverkaufsmöglichkeiten im
Bereich von Stationen.
({4})
- Ja, es muss aber kodifiziert werden. Deshalb schaffen
wir genau dieses Eisenbahnregulierungsgesetz, mit dem
wir die Befugnisse, Zuständigkeiten und Kompetenzen
der Bundesnetzagentur stärken. Wir zeigen damit, dass
beides möglich ist: ein diskriminierungsfreier Zugang zu
den Märkten für Wettbewerber der DB und die gleichzeitige Aufrechterhaltung des integrierten Konzerns. Ich
finde, das ist ein hervorragender zukunftsweisender
Weg.
Ich bedanke mich.
({5})
Martin Burkert spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, nach dieser Rede muss man sich in
der Tat fragen, warum Sie dieses Gesetz eingebracht haben. Ich muss Ihnen vorhalten, auch heute Abend, dass
die Bundesregierung schienenpolitisch nichts zustande
gebracht hat. Sie hat durch die Bahndividende einerseits,
aber auch durch verkehrsbezogene Geldströme - wenn
ich an die Lkw-Maut denke - andererseits dem Verkehrsträger Schiene immer wieder Geld entzogen.
Herr Minister, Sie haben alles versemmelt. Sie haben
Regionalisierungsmittel in die nächste Periode geschoben. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen? Verlängert in die nächste Periode. GVFG-Fortführung? Nächste Periode. Alles verschoben. Ich sage Ihnen: Wir
werden das in der nächsten Legislaturperiode richten.
({0})
Wir sind gut aufgestellt. Schauen Sie in unser Wahlprogramm: verkehrspolitisch exzellent.
({1})
Ich sage Ihnen: Heute ist kein guter Tag für den Verkehrsträger Schiene.
({2})
Es wird eine einseitige Regulierung für den Schienenverkehr in Deutschland durchgepeitscht. Es gibt kein
verkehrsübergreifendes Konzept in Deutschland. Die
Bundesregierung hat es versäumt, einen Bundesmobilitätsplan, der alle Verkehrsträger beinhaltet, aufzustellen.
Sie hätten die Chance gehabt, Herr Minister, einen Masterplan für den Verkehrsmarkt aufzustellen. Wenn diese
Regulierung jetzt scharfgeschaltet wird, gibt es einen
weiteren Wettbewerbsnachteil für die Schiene.
Wir werden nach der Beschlussfassung im ersten
Quartal 2015 durch das Europäische Parlament dieses
Gesetz sowieso wieder auf der Tagesordnung haben. Sie
hätten eigentlich deswegen der gestrigen Ankündigung
in der VerkehrsRundschau folgen sollen und den Tagesordnungspunkt einfach absetzen müssen.
({3})
Wer die politischen Abläufe hier in Berlin kennt, der
weiß, dass hier der Schwanz mit dem Hund gewedelt
hat. Wie sich das personifiziert darstellt, das überlasse
ich einmal Ihrer Fantasie.
({4})
Wissen Sie eigentlich, was Sie hier machen? Sie entziehen unserem Unternehmen, Herr Minister, der DB
Netz AG, mit dieser Regulierung die Geschäftsgrundlage.
({5})
Sie schaffen mit dieser Überregulierung Fehlsteuerungen und Fehlanreize, die am Ende zu einer Leistungsreduzierung führen werden. Die EVG hat Ihnen in diesem
Sinne ihre Sorgen zur Tarifautonomie dargestellt, und
der Konzernbetriebsrat der Deutschen Bahn AG hat in
einem Brandbrief an alle Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden die Auswirkungen der heutigen Regulierung beschrieben. Das Ergebnis dieser Regulierung wird
nicht nur zu einer drastischen Reduzierung von Infrastruktur führen, sondern auch dramatische Arbeitsplatzverluste zur Folge haben.
Ich frage Sie: Können Sie sich vorstellen, dass Sie zur
Lufthansa gehen und dort Air-Berlin-Flugtickets bekommen? Genau das wird mit dieser Regulierung passieren.
({6})
Sie verlangen, dass der Fahrkartenverkauf einseitig
gemacht wird. Ich sage Ihnen: Wir haben heute ein funktionierendes System. Ich nenne ein Beispiel aus Ihrer
Heimat Rosenheim, wo zwei Fahrkartenausgaben von
der Deutschen Bahn und dem Konzern Veolia hervorragend nebeneinander funktionieren.
Sie führen die Verpflichtung für die Erbringung von
Rangierleistungen ein. Herr Ramsauer, Sie loben das.
Sie haben aber vergessen, eine Sicherung für Vorrangverkehre einzuführen. Wir sind froh, dass wir im Güterverkehr auf der Schiene wieder einen Anteil von 17 Prozent haben. Aber was glauben Sie eigentlich, wie lange
sich das die Firmen mit Termingüterzügen bieten lassen,
wie lange sich das der Kunde gefallen lässt, bis er den
Verkehrsträger wechselt, weil durch diesen Unsinn der
normale Fahrplanablauf durcheinanderkommt? Sie haben eben keine Ahnung von der Praxis.
({7})
Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wenn es dann im
Übrigen noch zu Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen kommt, dann ist dies die Trennung
durch die Hintertür. Wir wissen, dass Frau Wilms sich
dafür starkmacht.
({8})
Ich sage: Schauen Sie sich in der Welt um. Wir sind viel
herumgekommen, der Kollege Fischer besonders. Ich
glaube, nur wo integrierte Schienensysteme vorhanden
sind, funktioniert der Bahnverkehr.
Wir alle sind der Auffassung, dass wir in diesem System mehr Geld brauchen.
({9})
- Wir im Ausschuss. - Bei einer Bilanzierung der Gelder
- das wissen die Experten hier - der DB Netz AG wird
dies per se Auswirkungen auf die Trassenpreise haben,
und zwar nach oben. Wenn die Regulierung zu weniger
Geld im System und im DB-Konzern führt, dann muss
man sich einmal anschauen: Was passiert denn dann
beim Rating?
({10})
Ist dann die Kapitalaufnahme zu diesen Zinssätzen noch
möglich?
({11})
- Herr Döring, Sie wissen genau, was passiert, wenn wir
kein Triple-A mehr, sondern nur noch das Double-A
oder ein einfaches A hätten. Dann müssten wir 200 Millionen bis 400 Millionen Euro mehr Zinsen zahlen, die
wir dringend für diese Infrastruktur brauchen. Es ist, wie
gesagt, unser Unternehmen, und wir werden diese Fehlsteuerungen am Ende wieder bezahlen müssen.
Wir können gerne zu einer durchdachten Eisenbahnregulierung kommen. Es gibt ohne Zweifel gute Ansätze. Gute Ansätze sind der Ausschluss zivilrechtlicher
Billigkeitskontrollen, die kapitalmarktübliche Verzinsung, ein einheitlicher Zinssatz für alle und die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts bei Rechtsbehelfen. Es gibt viele Punkte in dem Gesetzentwurf, die sehr
gut sind.
Wir sollten zu diesem Zeitpunkt auch einmal darüber
nachdenken und beleuchten, wie viel Kompetenz wir in
diesem Parlament der Bundesnetzagentur übertragen
möchten und ob uns dann noch ein Beirat zur Auskunft
ausreicht. Auch darüber sollten wir ernsthaft nachdenken. Es lohnt auch, darauf zu blicken und darüber nachzudenken, wer die Bundesnetzagentur überwacht, wenn
sie diese Kompetenzen bekommt. Das Parlament sollte
also genau prüfen, welche Rechte es an eine Behörde abgibt.
Zum Schluss darf ich Ihnen noch sagen: Die Zustimmung des Bundesrates haben Sie heute noch nicht. Dort
wird es auch keinen Schnellschuss-Jerry-Cotton Döring
geben, der hier mitwurstelt. Sie haben viele Fragen ungeklärt gelassen. Jetzt freuen wir uns darauf, dass heute
Nacht - wenn auch die Reden zu Protokoll gehen - noch
ein gutes Gesetz auf den Weg kommt. Das ist aber nur
ein schwacher Trost bei dem Desaster.
Ich bin trotzdem froh, dass wir heute Nacht für die
nicht bundeseigenen Eisenbahnen Geld zur Verfügung
stellen, damit die Infrastruktur verbessert werden kann.
Darüber werden wir leider nicht mehr reden können.
Aber dieses Desaster wird hoffentlich im Bundesrat ein
Ende finden.
({12})
Vielen Dank.
({13})
Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gilt in Berlin der Spruch, dass man, wenn man etwas geheim halten
will, im Plenum nach 18 Uhr vorträgt. Aber ich will die
Gelegenheit nutzen, weil alle hier im Haus und Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribünen, wissen sollen: Es ist beschämend, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands acht Minuten ihrer
Redezeit einem knallharten Eisenbahnlobbyisten aus
dem Gewerkschaftsvorstand der Eisenbahngewerkschaft
zur Verfügung stellt.
({0})
Ich halte es für nachgerade unangemessen, Herr Kollege Burkert, dass Sie mit keinem Wort erwähnen, dass
die von der Sozialdemokratie regierten Bundesländer
und die von der Sozialdemokratie gestellten Verkehrsminister in den Bundesländern viel mehr Regulierung wollen, als wir es in dem Gesetzentwurf vorsehen. Das gehört zu dem Programmbruch in Ihrer Partei dazu.
({1})
Sie sind in der Minderheit. Deshalb ist es doppelt beschämend, dass Sie die ganze Redezeit verbraten dürfen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
in dieser Wahlperiode die Investitionen in die Schienenwege gesteigert, den Lärmschutz erhöht und den Schienenbonus abgeschafft, damit die Bürgerinnen und Bürger an der Schiene ruhiger leben können.
({3})
- Sehr geehrter Herr Kollege Herzog, der berühmte
Bundesverkehrsminister Stolpe, der Verkehrsminister
Müntefering und „Pfütze“
({4})
haben sich nicht einmal bemüht, den Schienenbonus abzuschaffen. Wir haben es gemacht: die Koalition aus
Union und FDP.
({5})
Ich halte es nachgerade für unverschämt, den Eindruck zu erwecken, dass mit diesem Gesetz weniger
Wettbewerb möglich wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Deutscher Bundestag seit der Privatisierung der Deutschen Bahn immer dafür gesorgt, dass
mit den Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt in die Infrastruktur die Trassenpreise niedrig bleiben. Jeder weiß,
dass man die Kapitalkosten für die Infrastruktur Schiene
nicht verdienen kann, auch nicht mit Trassenentgelten.
Wir wollen viel Eisenbahnverkehr, und deshalb sorgen wir mit staatlichen Zuschüssen in beträchtlicher
Höhe - es sind fast 5 Milliarden Euro - für eine gute Eisenbahninfrastruktur.
({6})
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es weder in
Deutschland noch in Europa zulässig sein darf, dass die
bundeseigenen Unternehmen auf einem Wettbewerbsmarkt bei den Trassenpreisen anders behandelt werden
als die nicht bundeseigenen Unternehmen. Wir wollen
mehr Wettbewerb wagen, und das seit 1994 und nicht
erst seit 2013.
({7})
Deshalb ist es richtig, im Eisenbahnregulierungsgesetz klarzustellen: Beim Bezug von Bahnstrom, beim
Zugang zu Eisenbahninfrastrukturanlagen, beim Zugang zu Bahnhöfen und bei den Trassenpreisen gilt gleiches Recht für alle. Genauso wie bei den Stromnetzen
und den Telekommunikationsnetzen gibt es dafür eine
Behörde. Das ist die Bundesnetzagentur. Sie hat ein mit
Mitgliedern des Deutschen Bundestages besetztes Aufsichtsgremium, nämlich den Beirat. Das ist eine Behörde
des Bundes, und sie handelt nach Recht und Gesetz. Es
ist gut, dass wir das, was bei Telekommunikations- und
Stromnetzen gilt, auf die Eisenbahn übertragen. Wir
wollten das.
({8})
Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass sich
mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz nicht alle Probleme, die wir auf dem Eisenbahnmarkt haben, lösen
lassen. Aber wir werden ein Stück weit mehr Wettbewerb und mehr Rechtssicherheit für jene bekommen, die
sich auf diesem Markt bewegen. Wenn ich mir das Klagelied, das der Kollege Burkert zu Beginn seiner Rede
angestimmt hat, durch den Kopf gehen lasse, dann wundere ich mich, dass wir derzeit so viele Personen und so
viele Tonnenkilometer im Schienennetz zu verzeichnen
haben wie noch nie in der Geschichte der DB AG.
({9})
Der Fernverkehr und der Nahverkehr brummen. Es werden mehr Menschen von der Deutschen Bahn AG, aber
auch von den vielen Wettbewerbsunternehmen befördert
als jemals zuvor. Wir wollen mehr Menschen auf der
Schiene befördern. Aber wir wollen nicht bestimmen, ob
durch bundeseigene Unternehmen oder durch andere
Unternehmen. Das unterscheidet uns von den Sozialdemokraten.
({10})
An einem Punkt sind wir noch nicht so weit, wie wir
sein wollten. Das betrifft die Frage, ob tatsächlich alle,
die das Netz vermarkten, zuallererst das Interesse haben,
dass das Netz ausgelastet ist. Letztendlich ist die Frage,
wie der Konzern, der dem Bund gehört, organisiert ist,
nicht die Schlüsselfrage. Entscheidend ist vielmehr, dass
wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass durch die
mit Steuergeldern finanzierte öffentliche Infrastruktur so
viel Schienenverkehr wie möglich abgewickelt wird.
Deshalb muss sichergestellt sein, dass derjenige, dem
das Netz gehört, Schienenverkehre nicht verhindert. Es
ist gut, dass die Bundesnetzagentur Zugriff auf die Vergabe von Trassen und die Gestaltung von Trassenpreisen
hat. Denn darum geht es: Viel Verkehr auf der Schiene,
egal durch wen, Hauptsache, Schienenverkehr.
({11})
Letzter Punkt. Die DB AG ist wirtschaftlich erfolgreich. Die DB AG gibt es nur, weil der Bund und die
Vorgänger des Bundes seit 175 Jahren Schieneninfrastruktur geschaffen haben und weil die Bundesrepublik
Deutschland nach der Bildung der Aktiengesellschaft
15 Jahre auf Dividenden verzichtet hat, da es dem Unternehmen nicht gut ging. Das war richtig. Wenn es aber
dem Unternehmen gut geht und der Konzern mit Personen- und Güterverkehr Geld verdient, dann ist es der Anspruch des Parlaments und dieser Koalition, dass unser
Kapital verzinst wird und dass ein Teil der Dividende zurückfließt.
({12})
Ich bin Bundesverkehrsminister Ramsauer dankbar, dass
er dafür gesorgt hat, dass diese Mittel in die Eisenbahninfrastruktur zurückfließen, über die wir hier entscheiden.
Herzlichen Dank.
({13})
Sabine Leidig hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe, ehrlich gesagt, kein Interesse an einer Kapitalverzinsung, sondern ein Interesse an einer gut funktionierenden Bahn. Ich benutze sie täglich.
({0})
Es interessiert mich überhaupt nicht, wie die Kapitalverzinsung in den Staatshaushalt einfließt.
({1})
Es geht um Lebensqualität und darum, dass wir eine
Bahn haben, die für die Bürgerinnen und Bürger funktioniert.
({2})
Es gab gestern im Ausschuss eine Expertenanhörung
zu dem Entwurf Ihres Gesetzes, mit dem Sie versuchen,
die Eisenbahn zu regulieren, ohne allerdings das Grundproblem, auf das wir immer wieder stoßen, anzutasten.
Sie haben die Deutsche Bahn AG wie einen privatwirtschaftlichen Konzern aufgestellt,
({3})
der seine Geschäftspolitik, wie Sie es gerade schon gesagt haben, an einem möglichst großen Bilanzgewinn
ausrichtet.
({4})
Dazu gehört natürlich, dass man die Nahverkehrsunternehmen und Privatbahnen mit saftigen Trassenpreisen
und Stationsgebühren belasten muss, damit der Gewinn
steigt. Dazu gehört, dass langfristige Investitionen in die
Infrastruktur vernachlässigt werden.
({5})
Dazu gehört, dass sogenannte Wettbewerber auf der
Schiene benachteiligt werden.
({6})
Dazu kommt, dass weder die politisch Verantwortlichen
noch die Vertragspartner noch die Aufsichtsbehörden
wie die Bundesnetzagentur oder der Bundesrechnungshof die nötigen Daten und Informationen bekommen,
um dieses Unternehmen wirklich wirkungsvoll kontrollieren zu können. Ganz vieles unterliegt dem Betriebsgeheimnis. Es gibt keine Transparenz. Das alles ist weit
von dem entfernt, was wir gerade im Rahmen der Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger diskutiert
haben.
Das Gegenstück dazu sind die Schweizerischen Bundesbahnen, die auch als Aktiengesellschaft organisiert
sind und wie bei uns zu 100 Prozent in der Hand des
Bundes sind.
({7})
In der Schweiz sind alle wesentlichen Betriebs- und Planungsdaten im Internet für alle öffentlich zugänglich, sodass die Bürgerinnen und Bürger beobachten können,
was ihr Unternehmen treibt und plant.
({8})
Ich finde, so muss es auch sein.
({9})
Obwohl auch in der Schweiz die Eigenwirtschaftlichkeit der Bundesbahnen gewährleistet ist, gibt es dort ein
völlig anderes Grundverständnis und eine andere Grundausrichtung des Eisenbahnunternehmens. Erstens. Der
Eigentümer Bund stellt fest, dass eine schwarze Null in
der Bilanz ausreicht,
({10})
weil damit nämlich volkswirtschaftlich mehr gewonnen
ist, als wenn die Gewinne irgendwo in einer Bilanz konzentriert werden; denn auf der anderen Seite gehen damit
Verluste einher, sei es, dass die Regionalbahnen höhere
Trassenpreise entrichten müssen, sei es, dass die Bahntickets immer teurer werden und damit die Fahrgäste zur
Kasse gebeten werden oder dass Infrastrukturinstandhaltungsmaßnahmen zu Buche schlagen, die lange Zeit vernachlässigt wurden. Das wäre der richtige Schritt auch
bei uns. Die Deutsche Bahn AG muss am Allgemeinwohl, am volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen ausgerichtet werden.
({11})
Ich finde übrigens, dass die Kollegen von der SPD
durchaus einen Schritt weitergehen sollten.
({12})
Ich halte es für halbherzig, zu sagen: Wir wollen die
Deutsche Bahn AG, aber wir wollen gleichzeitig diese
Konzernstruktur und diese Konzernausrichtung beibehalten. - Das passt nicht zusammen, Herr Kollege
Burkert. Ich finde, dass ein Unternehmen in öffentlicher
Hand - da sind wir als Linke schon sehr weit vorangeschritten und haben konkrete Vorschläge entwickelt - an
gesellschaftlichen Zielen ausgerichtet werden muss, für
die Bund und Länder Verantwortung tragen, und zwar
zum Teil im Grundgesetz verankerte Verantwortung.
Wettbewerb ist kein solches Ziel.
({13})
Sie sind nicht verantwortlich für Wettbewerb. Wettbewerb an sich nützt gar nichts.
({14})
Wettbewerb ist überhaupt keine inhaltliche Angelegenheit.
({15})
Ein Ziel wäre zum Beispiel - Herr Döring, das würden
Sie verstehen, wenn Sie öfter in der Fläche unterwegs wären - ein flächendeckendes Fernverkehrsangebot. Es
steht im Grundgesetz, dass der Bund dafür Verantwortung hat.
({16})
Ein notwendiges Ziel ist auch, dass Bahnen und
Busse miteinander vertaktet werden, und zwar deutschlandweit, damit die Leute zuverlässig an den Bahnhöfen
umsteigen können.
({17})
Die Forderung nach einem integralen Deutschlandtakt
erhebt auch die Bundesarbeitsgemeinschaft des Schienenpersonennahverkehrs. Ich weiß nicht, ob Sie die für
einen sozialistischen Verein halten.
({18})
Ich weiß, dass die Länderbahnen dort organisiert sind.
Ein sinnvolles Ziel wäre zum Beispiel auch, dass die
Fahrgäste mit einem Ticket und einem Preissystem durch
das ganze Land kommen.
({19})
Das wäre tausendmal wichtiger und kundenfreundlicher
Frau Kollegin.
- als eine gesetzliche Regulierung, die festschreibt,
dass verschiedene Fahrkartenautomaten an einem Bahnsteig stehen.
({0})
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss. - Wir sagen ganz klar: Wir
wollen keine Kontrollbehördenbürokratie, wie Sie es
jetzt hier vorschlagen, sondern wir wollen eine Bahn,
({0})
die kooperativ und am Gemeinwohl ausgerichtet ist und
in diesem Rahmen eigenwirtschaftlich arbeiten kann.
Danke.
({1})
Jetzt hat Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Besucherinnen und Besucher, Sie sehen hier eine äußerst interessante Debatte,
der Sie entnehmen konnten: Was Kollege Döring gesagt
hat, war zwar hochinteressant, aber leider nicht kongruent mit dem, was der Minister dieser schwarz-gelben
Koalition erzählt hat. Das passt irgendwie noch nicht so
ganz zusammen.
({0})
Dieser Zustand wird im September beendet; dann ist Feierabend.
Worum geht es heute? Im Kern geht es darum, ob ein
Staatskonzern auf Kosten des Nahverkehrs weiter Milliardengewinne erzielen soll. Ich habe nichts gegen Gewinne. Ich freue mich auch, dass die Bahn gut aufgestellt
ist. Insofern bin ich an dieser Stelle deckungsgleich mit
dem Kollegen Döring. Ich bin aber überzeugt, dass dies
nicht zulasten eines vernünftigen Nahverkehrs auf der
Schiene gehen darf.
({1})
Der Wettbewerb hat das System Bahn - werte Kollegin
Leidig, da können Sie sich noch sehr echauffieren wirklich besser gemacht. Mit dem heutigen Gesetz können wir diesen Wettbewerb auch endlich fair machen.
({2})
Das fehlt nämlich noch.
Wir können nicht zulassen, dass die Nutzung einer
Bahnstation für einen Wettbewerber der DB exorbitant
teuer wird. Dann gibt es diese Wettbewerber mit ihren
guten Angeboten nämlich bald nicht mehr; darüber reden wir hier. Deswegen ist die Regulierung für uns
Grüne zwingend notwendig.
({3})
Ich halte eine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat weiterhin für möglich, auch wenn die Meinungen
jetzt noch sehr weit auseinanderliegen. Die Bundesregierung hat ihre ersten Vorschläge nachgebessert. Auch der
Bundesrat hat sich mit breiter Mehrheit zu diesem Gesetz bekannt. Er hat natürlich auch Änderungen vorgeschlagen, wie es dort so üblich ist. Das müssen wir jetzt
zusammenbringen.
Uns als Abgeordneten muss klar sein, dass wir vor allem eine Gesamtverantwortung tragen. Wir dürfen nicht
nur das Wohl des Bundesunternehmens Deutsche Bahn
im Blick haben. Es ist grundsätzlich in Ordnung, wenn
die Deutsche Bahn ihre Interessen verteidigt. Daher laden wir die DB zu Anhörungen in den Ausschuss ein. Es
ist aber eine Unverschämtheit, wenn die DB noch während der Ausschussberatungen bei der Kanzlerin interveniert und auf die Absetzung dieses Tagesordnungspunktes von der heutigen Plenarsitzung drängt.
({4})
Das dürfen wir uns als frei gewählte Abgeordnete nicht
bieten lassen. Wir müssen noch einmal deutlich sagen:
Die Deutsche Bahn gehört dem deutschen Staat und
nicht der deutsche Staat der Deutschen Bahn.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf
enthält einige sinnvolle Ansätze. Er muss aber deutlich
verbessert werden. In der jetzigen Form hat dieser Entwurf zu viele Mängel. Dem können wir so nicht zustimmen. Für uns Grüne sind die Ländervorschläge zur Beendigung der Gewinnabführung wichtig. Auch die
Möglichkeit zur Abstufung regionaler Schienenstrecken
sehen wir als wichtigen Baustein für einen besseren
Schienenverkehr. Darüber möchten wir reden. Aber vielleicht können wir diese Fragen anderweitig lösen.
Es sollte jetzt unser gemeinsames Ziel sein, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um dort noch einen Kompromiss zu finden. An unserer Bereitschaft soll es nicht
mangeln.
Für die Mehrheit der Experten in der Anhörung war
ein Gesetz wichtiger als kein Gesetz; das haben wir am
Mittwoch deutlich gehört. Es wurde deswegen vorgeschlagen, sich auf die Punkte zu konzentrieren, die essenziell zur Regulierung gehören. Hier könnte man in
den Verhandlungen nämlich ansetzen.
Wir müssen also vor allem über die Transparenz in
der Verrechnung konzerninterner Leistungen und die
Frage der Kapitalverzinsung sprechen. Herr Kollege
Burkert, das ist nämlich der entscheidende Punkt. Da
wird getrickst ohne Ende.
({6})
Außerdem müssen wir bei der zivilrechtlichen Kontrolle, der sogenannten Billigkeitskontrolle, und den
Ausnahmemöglichkeiten für bestimmte Kostenblöcke
Lösungen finden. Damit könnten wir zumindest in die
Regulierung einsteigen.
Ich appelliere an alle hier im Hause und auch im Bundesrat, dieses Gesetz nicht zu versenken. Wir haben es
jetzt in der Hand. Schaffen wir noch eine Lösung bis
zum Ende der Wahlperiode!
Herzlichen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat Ulrich Lange jetzt
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Burkert, Sie dürfen klatschen zu der hervorragenden Schienenpolitik, die wir in den letzten vier
Jahren gemacht haben:
({0})
Schienenbonus, Infrastrukturbeschleunigungsprogramm
und heute Eisenbahnregulierung. Ich glaube, das ist einen Applaus für uns und unseren Bundesminister wert.
({1})
- Den Fasching, glaube ich, hat der Kollege Burkert selber ein bisschen eingeleitet. Lassen Sie uns wieder zum
Ernst der Debatte kommen.
Das ist heute ein großer und richtiger Schritt im Rahmen der vielen Reformen, die die Bahn seit ihrer Zeit als
Deutsche Bundesbahn in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemacht hat. Wir setzen mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf einen wesentlichen Baustein des
Koalitionsvertrages um; lieber Kollege Döring, unseres
Koalitionsvertrages. Ich war mir gerade nicht so sicher,
ob ich zwischendurch nicht die Anbahnung einer gelbgrünen Koalition herausgehört habe. Wir sind da aber
recht ruhig: Es wird nicht reichen.
({2})
Wir sind einen großen Schritt weiter. Wir haben den
Spannungsbogen zwischen Wettbewerb und Überregulierung, lieber Kollege Burkert, den Sie im Ausschuss so
sehr beklagt haben, gut bewältigt, auch dank des Einsatzes des Ministeriums und unseres Bundesministers, der
in den letzten Tagen und Stunden stark dafür gekämpft
hat, dass wir heute hier stehen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Es war uns Verkehrspolitikern wichtig, dass wir
dieses Gesetz auf den Weg bringen.
({3})
Was machen wir? Wir regulieren den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und die Nutzungsentgelte. Wir stärken aber vor allem die Befugnisse der Bundesnetzagentur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass es
uns damit sehr wohl gelungen ist, einen Einstieg in eine
echte Regulierung zu finden.
Wir regeln - das wurde vorhin schon angesprochen den Zugang zur Bahninfrastruktur neu. Die Rangierdienstleistungen sind schon angesprochen worden, aber
auch das Zugangsrecht zu den Werksbahnen. Ganz wichtig ist - das ist in meinen Augen für viele Servicestationen eine gute Botschaft heute Abend -: Die Stilllegung
von Serviceeinrichtungen ist zukünftig genehmigungspflichtig.
({4})
- Das ist ein guter, wichtiger Punkt. Herr Kollege
Burkert, ich habe so sehr auf Ihren Applaus gewartet.
({5})
Wir stärken die Bundesnetzagentur in wesentlichen
Punkten: Genehmigung der Entgelte für die Trassenrechte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zusammengesessen und versucht, auszuloten, an welchen Stellen noch der eine oder andere Bewegungsspielraum besteht. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir mit
unserem Änderungsantrag im Ausschuss viele Vorschläge des Bundesrates aufgenommen haben, ob das
die Schmalspurbahnen, die Befreiungsmöglichkeit für
Schienenwege, die nicht mit anderen Schienenwegen
vernetzt sind, oder die Förderung der NE-Bahnen betrifft. Kollege Burkert, da waren wir uns ganz einig.
({6})
Das ist heute - das haben wir zu Protokoll gegeben ein guter Tag für den Schienenverkehr in Deutschland.
Ich nenne die Ausnahmen von der Anreizregulierung für
kleine Eisenbahninfrastrukturunternehmen und viele
Dinge mehr. Wir haben also sehr genau geschaut, an
welchen Stellen wir wie regulieren, wo wir dem Markt
freien Lauf lassen, wo wir aber auch Schutzinteressen
haben. Die SPD-Fraktion verweist jetzt auf den Bundesrat: Viele Änderungsvorschläge des Bundesrates sind natürlich rein den Länderinteressen geschuldet. Sie sind
stellenweise offensichtlich sachfremd. In vielen Punkten
sind sie so weit regulierend, dass sie sogar die Effektivität des Gesetzes gefährden. Deshalb kann ich nur an die
Länder appellieren, dieses Gesetz im Bundesrat nicht zu
blockieren; denn wenn man 80 bis 90 Prozent eines Gesetzes für gut erachtet, kann man nicht aus irgendwelchen Spielchen oder wahltaktischen Überlegungen eine
so wesentliche Reform im Eisenbahnverkehr stoppen.
Das wäre falsch.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen Satz zu den Fahrscheinen sagen; denn hier
wird mit - so muss man fast sagen - unlauteren Worten
gearbeitet. Wir regulieren nicht, wir wollen nur eine
Missbrauchskontrolle, und das ist ein Unterschied. Missbrauchskontrolle heißt: Wir wollen einen diskriminierungsfreien Zugang. Es ist im Interesse aller bahnfahrenden Kunden, dass man sich darauf verlassen kann, sich
auf dem gesamten Schienennetz mit allen Anbietern frei
bewegen zu können. Dafür müssen wir einstehen.
Insgesamt ist es ein gelungener Gesetzentwurf, ein
großer Schritt in die richtige Richtung. Vom Minister
wurde die europäische Komponente angesprochen. Hier
werden wir natürlich immer wieder nachsteuern oder
nachregulieren.
Herr Kollege.
Ich kann jetzt nur sagen: Für das ökologische Verkehrsmittel Schiene ist es heute ein guter Tag. Und an
den Bundesrat: Stellt die Weichen in die richtige Richtung!
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich. Der
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13526, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12726 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen
das bitte mit Handzeichen deutlich machen. - Die
Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer ist dafür und erhebt sich
deswegen? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Enthaltungen gibt es nicht, nur einzelne, die sitzen bleiben.
Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul
Schäfer ({1}), Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck ({2}), Marieluise Beck
({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen
- Drucksachen 17/11208, 17/11724 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({4})
Wolfgang Hellmich
Paul Schäfer ({5})
Hier ist es vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Das
ist dann so beschlossen.
Der erste Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist ein erfreulich bundeswehrstarker Tag im Plenum. Zu fast guter Letzt diskutieren wir auch noch einen
Antrag der Fraktion der Grünen und der Fraktion der
Linken, der sich mit der Frage der Benennung von Bundeswehrkasernen beschäftigt.
Die CDU/CSU-Fraktion wird diesen Antrag ablehnen. Auch der Ausschuss hat empfohlen, diesen Antrag
abzulehnen. Wir sind der Meinung, dass er zum einen in
vielen Punkten überholt ist. Vieles von dem, was in dem
Antrag gefordert wird, wird konkret umgesetzt. Zum
Beispiel wurden uns im Verteidigungsausschuss die
Kurzanalysen des Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr, dem früheren
Militärgeschichtlichen Forschungsamt, zugeleitet. Das
war eine der Forderungen in diesem Papier.
Zum anderen erweckt der Antrag den Eindruck, dass
im Bereich der Beschäftigung mit den Lebensläufen der
Namensgeber für Kasernen der Bundeswehr nichts geschehen sei. Genau das Gegenteil ist der Fall: Es gibt gerade in diesem Jahr eine ganze Reihe von Umbenennungen. Diese sind entweder im Gange oder bereits erfolgt.
Ich möchte nur die Medem-Kaserne in Holzminden, die
General-Hüttner-Kaserne in Hof und die Generaloberstvon-Fritsch-Kaserne in Pfullendorf nennen. Das sind
drei Beispiele. Weitere werden folgen. Sie wissen: Es
gibt vor Ort, in den Räten und Garnisonen der jeweiligen
Städte, Gespräche darüber, welche Empfehlung in Richtung Verteidigungsministerium abgegeben werden soll.
Es wird dann auch konsequent gehandelt.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zum Thema der
Namen für Einrichtungen der Bundeswehr einiges
Grundsätzliches zu sagen. Man könnte es sich einfach
machen. Ein Stück weit machen wir es uns bei Luftwaffen- und Heereskasernen auch einfach, indem wir uns
von Personennamen gänzlich wegbewegen und uns einfach an regionale Bezeichnungen halten. Bei der Marine
zum Beispiel haben wir ausschließlich Städte- und Ländernamen sowie Flussbezeichnungen, also harmlose Begriffe. Lediglich der eine oder andere Begriff ist vielleicht aus ästhetischen Gründen verbesserungswürdig.
Auf einem Schnellboot „Hyäne“ fahren zu müssen, ist
vielleicht nicht jedermanns Sache. Das ist aber, glaube
ich, kein Thema für eine Historikerkommission, sondern
eher eine Frage des Geschmacks.
Die Tendenz geht dahin, Kasernen, die bisher nach
Soldaten benannt waren, nun nach Regionen zu benennen. Ich glaube aber dennoch, dass wir die Gelegenheit
nicht verpassen sollten, auch in der Bundeswehr an diejenigen Soldaten zu erinnern, und zwar an Soldaten aller
Armeen auf deutschem Boden, die in ihrem Dienst die
Herausforderung, Soldat zu sein, in vorbildlicher Weise
gemeistert haben. Solche Beispiele gibt es selbstverständlich. Das wird auch in diesem Hause keiner bestreiten.
Im Traditionserlass von 1982 - das ist eines der letzten zugegebenermaßen guten Werke der sozial-liberalen
Koalition aus dem Jahr 1982 - heißt es:
Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr können mit Zustimmung des Bundesministers
der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt
werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder
eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben.
Eine herausragende Tat wäre zum Beispiel die des
Grafen von Stauffenberg, um ein konkretes Beispiel zu
nennen.
Wenn wir uns dazu entschließen, die Kasernen nicht
nach Landschaften, sondern weiterhin nach Personen zu
benennen - ich bin der Meinung, dass wir das tun sollten -,
dann sollten wir den Blick natürlich verstärkt auf die
Bundeswehr richten. Wir haben mittlerweile eine Bundeswehrtradition und damit eine Vielzahl vorbildlicher
Soldaten in ihren Reihen, welche als Vorbild für die Namensgebung von Kasernen infrage kommen. Das sind
zum Beispiel Generalinspekteure. Das könnten aber
auch einzelne Soldaten sein, die Herausragendes geleistet haben. Wir verleihen seit einiger Zeit an Soldaten, die
im Auslandseinsatz Besonderes geleistet haben, Medaillen für Tapferkeit. Sicherlich wäre es eine weitere Würdigung, wenn vielleicht der eine oder andere zum Namensgeber der Kaserne würde, in der er gedient hat.
Ich möchte an dieser Stelle zu guter Letzt noch anfügen, dass ich der Meinung bin, dass wir früher oder später auch eine Kaserne nach einer Frau benennen sollten.
({0})
Frauen machen in der Bundeswehr mittlerweile einen
Anteil von 9 Prozent aus.
({1})
Ich möchte zum Beispiel auf die erste Frau hinweisen
- sie ist vor längerer Zeit aus Altersgründen aus der
Bundeswehr ausgeschieden -, die General wurde, eine
Generalärztin. Warum soll nicht ein Bundeswehrkrankenhaus oder ein Sanitätszentrum der Bundeswehr nach
Frau von Weymarn benannt werden? Das ist nur eine
kleine Anregung, um die Fülle der Ideen, die man in diesem Bereich, wie ich finde, sinnvollerweise entwickeln
könnte, anzusprechen.
Es sollen also weiterhin Namen von Personen für die
Namensgebung von Bundeswehrkasernen benutzt werden. Die Überprüfung der bestehenden Namensgebungen ist in vollem Gange. Wir tun dies in Konzentration
und in Zusammenarbeit mit den Regionen, mit den betroffenen Soldaten sowie mit den Stadträten und Gemeinderäten in den Orten, wo sich eine entsprechende
Garnison befindet. Denn wir wollen das in einem möglichst breiten Konsens lösen.
Wir sollten uns beim Finden neuer Namen nicht nur
an schönen Landschaften wie die im Allgäu oder in
Oberfranken orientieren, sondern uns ganz konkret den
Vorbildern der Bundeswehr im 20. und 21. Jahrhundert
zuwenden. Ich glaube, dann werden wir insgesamt zu einem sehr guten Ergebnis kommen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Der Kollege Ullrich Meßmer spricht jetzt für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Hardt, die Diskussion um die Benennung von
Bundeswehrstandorten, auch um die Frage, welche Namen oder Landschaften man einbeziehen kann, ist eigentlich sehr spannend. Ich komme gleich auf den Erlass
zurück, den Sie schon zitiert haben.
Wenn man darüber redet, Standorte nach Frauen zu
benennen, sollte man auch über Frauen nachdenken, die
sich in anderen Bereichen verdient gemacht oder sich im
Parlament für Recht und Freiheit eingesetzt haben. Da
würden mir Politikerinnen einfallen, die man nehmen
könnte, weil sie viel geleistet haben. Ich denke zum Beispiel an Rita Süssmuth und Annemarie Renger. Auch
das wäre ein Gedanke, den man bei diesem Thema ins
Gespräch bringen könnte.
Ich finde es gut, dass eine Debatte über die Benennung von Standorten der Bundeswehr geführt wird.
Diese Debatte hat dazu geführt, dass auch unter den Soldatinnen und Soldaten eine Diskussion um die Namensgebung entbrannt ist. Ich glaube, dass dies eine richtige
Entwicklung ist, entspricht es doch der Leitlinie des Soldaten als Bürger in Uniform, die gefasst worden ist.
Natürlich müssen wir feststellen, dass Kasernen gerade in der Phase der Gründung der Bundeswehr oftmals
nach Vorbildern benannt wurden, die sich im rein militärischen oder militärisch-handwerklichen Sinne hervorgetan haben. Dabei wurden teilweise - das können wir heute
feststellen - unreflektiert Namen übernommen, die bereits bestanden hatten. Wir brauchen an dieser Stelle nicht
den einzelnen Namen nachzugehen; denn die den Abgeordneten seit Mitte Januar 2013 als Drucksache vorliegende Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes spricht eine deutliche Sprache. In der Studie wird
deutlich, dass sich die Namensgebung tatsächlich häufig
an Werten orientiert hat, die mit dem heutigen von Ihnen,
Herr Kollege Hardt, wiedergegebenen Grundverständnis
und Traditionsverständnis der Bundeswehr nicht mehr
übereinstimmen.
In den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur
Traditionspflege in der Bundeswehr heißt es:
Maßstab … sind das Grundgesetz und die der Bundeswehr übertragenen Aufgaben und Pflichten. Das
Grundgesetz ist Antwort auf die deutsche Geschichte.
Weiter heißt es:
Alles militärische Tun muss sich an den Normen
des Rechtsstaats und des Völkerrechts orientieren.
Vor dem Hintergrund dieser klaren Aussage erscheint
es natürlich besonders problematisch, wenn sich Kasernen nur daran orientieren, wer hinter militärischen Erfolgen steht.
Die Fokussierung auf rein militärisches Können, auf
Erfolg und auf die Erfolgreichen steht oftmals in der historischen Kontinuität der Kriegspropaganda zweier von
Deutschland entfachter Weltkriege. Deshalb zeugte das
Ausblenden dieser Zusammenhänge ein Stück weit vom
unkritischen Verhältnis zur deutschen Geschichte, wie es
zum Beispiel im Traditionserlass von 1965 tatsächlich
noch zum Ausdruck kam; das muss man an dieser Stelle
festhalten.
({0})
Die heutigen Richtlinien lehnen ein derart unkritisches Verhältnis zur deutschen Geschichte ausdrücklich
ab. Damit ist eigentlich alles gesagt. Aber auch zu der
Frage, welche Taten folgen sollen, sagt dieser Erlass einiges - ich denke, es wird dort deutlich -:
Traditionsbewußtsein zu wecken, ist eine wichtige
Aufgabe der Vorgesetzten.
Herr Kollege Hardt hat dankenswerterweise hier schon
festgestellt:
Kasernen … können mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten
benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und
Recht verdient gemacht haben.
Wenn der oberste Vorgesetzte also der Minister ist,
dann wäre es eigentlich die vornehmste Aufgabe des
Ministers oder des jeweiligen ihn vertretenden Staatssekretärs, dies entsprechend zu erledigen.
Es liegt ein weites Feld vor Ihnen, meine Herren.
Nehmen Sie den Traditionserlass ernst, und fordern Sie
die Soldatinnen und Soldaten in ihren Kasernen auf,
über die Namensgebung zu diskutieren. Damit würden
wir tatsächlich etwas erreichen, was nicht nur dem Bild
des Staatsbürgers in Uniform entspräche, sondern es
würde diesen Traditionserlass, der schon lange gilt, ein
Stück weit mit Leben erfüllen, und zwar in freiheitlichdemokratischem Sinne.
Diesen Auftrag ernst zu nehmen, macht eigentlich
den vorliegenden Antrag überflüssig. Das ist sicherlich
auch einer der Gründe, warum ihn meine Fraktion trotz
mancher guter, wichtiger - und ich füge hinzu - und
auch sehr richtiger Inhalte ablehnt.
Ich möchte hinzufügen, dass ein Grund für die Diskussion innerhalb unserer Fraktion sicherlich auch der
war, dass unter den Antragstellern auch diejenigen sind,
die die Kasernen eigentlich ganz abschaffen wollen
- warum dann noch über den Namen diskutieren? -, die
aber auch in der Vergangenheit - und zum Teil auch in
der Gegenwart - all denjenigen eine Plattform geboten
haben, die unter anderem alle Soldatinnen und Soldaten
mit Mördern vergleichen. Das lehnen wir aufgrund unseres Verständnisses der Bundeswehr völlig ab.
({1})
Nichtsdestotrotz muss der Traditionserlass ernst genommen werden. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte, auch der militärischen Geschichte, muss in den
Kasernen, in den Regionen, im Kreis der Soldatinnen
und Soldaten - ich sage das sehr deutlich -, aber auch
unter den Menschen im Umfeld der jeweiligen Kasernen
geführt werden, damit die Menschen, die dort leben, diesen Prozess akzeptieren.
Es wäre schön, wenn der Minister dies als seine vornehmste Aufgabe begreift und die entsprechenden geschichtlichen Kenntnisse als Grundlage nimmt, um die
Diskussion über Kasernennamen zu forcieren. Ich finde,
das wäre gelebte Tradition, auch Militärtradition im besten Sinne. Es wäre eine Tradition, die die Menschen mitnimmt, die die Soldatinnen und Soldaten sehr ernst
nimmt, aber auch über die Geschichte aufklärt. Wir
könnten damit das Anliegen des Traditionserlasses wesentlich nach vorne bringen, aber auch das Anliegen der
Inneren Führung ernst nehmen und entsprechend umsetzen. Dafür haben wir eine Menge getan.
Wenn uns dies gemeinsam gelingen würde - der Antrag allein hilft uns da nicht weiter -, dann wäre das gelebte Tradition im besten Sinne. Wir könnten etwas umsetzen. Das käme nicht nur unseren Soldatinnen und
Soldaten zugute, sondern auch unserem Umgang mit der
eigenen Geschichte und unserem eigenen Leben.
Da ich gerade den Herrn Kollegen Siebert hier sitzen
sehe: Die Kasernen in unserem Umfeld tragen meistens
Namen von Landschaften: Burgwald und Herrenwald.
Aber deshalb können wir trotzdem diese Diskussion führen.
({2})
In diesem Sinne werden wir uns verhalten.
Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
({3})
Joachim Spatz hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Präsidentin! Werfen Sie einen Blick in die Reihen der antragstellenden Fraktionen.
({0})
- Nein, das ist nicht erschütternd, sondern es gibt die
Wertigkeit wieder, die dieses Thema angesichts der Probleme, die wir bei der Bundeswehr insgesamt haben,
schlicht und ergreifend haben sollte.
({1})
Hier wird eine Daueraufgabe der Bundeswehr thematisiert. Im Zuge des Reformprozesses denkt man über die
Namensgebung von Kasernen nach, und zwar vorrangig
die Soldatinnen und Soldaten und auch die Bevölkerung
vor Ort.
Wir haben, wissenschaftlich begleitet - das wurde
vom Kollegen Hardt schon angesprochen -, einige der
Kasernennamen überdacht. Dieser Prozess ist bereits im
Gange und wird auch Konsequenzen nach sich ziehen.
Das ist überhaupt keine Frage.
Ich will trotzdem generell zu dem Thema, wie man
mit Geschichte umgeht, ein paar Worte sagen. Es wurde
schon gesagt, dass unterschiedliche Erlasse, nämlich aus
den 60er-Jahren und den 80er-Jahren, vorhanden waren.
Daran sieht man, dass es bei der historischen Betrachtung eine Entwicklung gibt. Natürlich hatte die Bundeswehr in den 60er-Jahren einen anderen Stellenwert und
eine andere gesellschaftliche Einbettung als in den 80erJahren unter der sozial-liberalen Koalition. Hier ist ein
Fortschritt erkennbar. Auch das sollte man ernst nehmen.
Die Bundesregierung, die von FDP und CDU/CSU
getragen wird, setzt dies in eine heute zeitgemäße Politik
um. Natürlich gibt es die Möglichkeit - auch das hat der
Kollege Hardt angedeutet -, auf die Geschichte, auf eine
eigene Bundeswehrgeschichte zurückzugreifen, die es zu
früheren Zeiten naturgemäß so noch nicht gegeben hat,
({2})
erstens wegen der damals noch sehr jungen Bundeswehr
und zweitens, weil zu dem damaligen Zeitpunkt Auslandseinsätze der Bundeswehr noch nicht Realität waren. Diese Auslandseinsätze haben wir seit einiger Zeit.
Gerade in diesen Auslandseinsätzen haben sich Menschen als Soldatinnen und Soldaten in einer Weise bewährt, die Anlass gibt, darüber nachzudenken, ob sie als
Namensgeber infrage kommen. Sie sehen: Das Fortschreiten der Geschichte ermöglicht eine andere Betrachtungsweise.
Weshalb sage ich das? Ich sage das, weil wir natürlich
- das ist ein ganz normaler Prozess - alte Namensgebungen überdenken. Wenn wir das tun, sollten wir aber nicht
einfach mir nichts, dir nichts den Stab über diejenigen
brechen, die in ihrer Zeit die Namensgebung vorgenommen haben. Ich gehe davon aus, dass sie auch damals
nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.
({3})
Deshalb sollten wir das, was in unserer heutigen Zeit
umgesetzt werden kann, mit der notwendigen Sachlichkeit und Nüchternheit umsetzen.
Ich betone es noch einmal: Wir sind zu jedem Zeitpunkt zu einer konstruktiven Diskussion bereit. Wir sind
aber nicht dazu bereit, eine Plattform zu liefern, auf der
ein ideologisches Süppchen gekocht werden soll, auf der
letztendlich, zumindest, was die Linke angeht, eine
grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber der Bundeswehr durch diese Dinge legitimiert werden soll. Das
wollen wir nicht. Wir wollen den heutigen Stand der
Dinge weiterentwickeln.
({4})
- Wenn Sie sagen: „Bleiben Sie bei dem Antrag“, dann
kann ich nur das wiederholen, was der Kollege Hardt
schon gesagt hat: Wesentliche Forderungen sind schlicht
und ergreifend umgesetzt. Wenn ich nur darauf rekurrieren wollte, wäre meine Rede nach einer Minute zu Ende
gewesen,
({5})
weil dieser Antrag schlicht überflüssig ist. Solche Anträge sind überflüssig, weil die Aufgabe schon erledigt
wird. Wir brauchen weder die Grünen noch die Linkspartei dafür; die brauchen wir überhaupt nicht.
({6})
- Das ist überhaupt keine unverschämte Geschichtsklitterung. Herr Kollege, das stimmt überhaupt nicht.
({7})
Herr Kollege Schäfer, Sie sind ohnehin der nächste
Redner.
Herr Kollege, es nutzt doch nichts, dass Sie sich hier
so echauffieren. Es ist doch schlicht und ergreifend so,
dass die Prozesse der Namensüberprüfung auch ohne
Ihre Anregung stattfinden. Sie finden bereits statt. Jetzt
können Sie nicht behaupten, der große Antragsteller gewesen zu sein. Dazu kann ich nur sagen: Es gibt einen
Unterschied zwischen Kausalität und Parallelität.
Wenn es in diesem Zusammenhang um die Weiterentwicklung geht, sind wir zu jedem sachlichen Kompromiss bereit. Wir sind aber nicht bereit, eine Plattform für
eine ideologische Diskussion zu bieten.
Danke schön.
({0})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion Die Linke Kollege Paul Schäfer. Bitte schön,
Kollege Paul Schäfer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Leider hat es keine gemeinsame Initiative aller Fraktionen gegeben. Daraufhin haben Sozialdemokraten, Linke und Grüne den vorliegenden Antrag erarbeitet, den die SPD jetzt nicht mehr mitträgt. Schade!
Paul Schäfer ({0})
Trotzdem mein eindringlicher Appell: Lassen Sie uns
gemeinsam darauf hinwirken, dass in der Bundeswehr
endgültig - ich betone: endgültig - die falschen Vorbilder verschwinden und ein neues Kapitel demokratischer
Traditionspflege beginnt.
({1})
Das ist der Kern des gemeinsamen Antrags von Linken und Grünen. Bundeswehreinrichtungen sollen nicht
nach Personen benannt werden, die nach ethischen,
rechtsstaatlichen oder demokratischen Kriterien nicht in
besonderer Weise beispielhaft und erinnerungswürdig
sind. Das ist doch nicht zu viel verlangt.
({2})
Es ist seit Jahrzehnten ein Ärgernis, dass Kasernen
nach belasteten Wehrmachtsoffizieren benannt sind. Erst
im letzten Jahr, lieber Kollege, 57 Jahre nach der Aufstellung der Bundeswehr, wurde die General-KonradKaserne in Bad Reichenhall in Hochstaufen-Kaserne
umbenannt. Dieser General Konrad war maßgeblich am
Vernichtungsfeldzug im Osten beteiligt. Er war ein ganz
schlimmer Judenhasser, und er hoffte nach 1945 zum
Beispiel darauf - ich zitiere -, dass aus der weichen
Schale Bundeswehr noch die harten Wehrmachtssoldaten des Dritten Reiches hervorkommen würden, die unter Hitler Ruhm und Ehre errungen hätten. Im vergangenen Jahr war er noch ein Namenspatron.
Auch andere belastete Wehrmachtsoffiziere, zum Beispiel Kübler, Dietl, Mölders, waren noch bis vor kurzem
Namenspatrone, auch wider den Traditionserlass. Es ist
leider immer noch nicht Vergangenheit. Das zeigen die
Studien des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, die
besagen, dass eine ganze Reihe von noch heute bestehenden Namensgebungen nicht mit den aktuell gültigen
Traditionsrichtlinien in Einklang zu bringen sind. Leider
wurde der Öffentlichkeit bislang der Zugang zu diesen
Studien verwehrt. Lieber Kollege Spatz, vielleicht sollten Sie das einmal ein bisschen im Blick haben. Meine
Anfrage Anfang 2006 - seit ich im Bundestag bin, habe
ich dieses Thema verfolgt - wurde mit den Worten abgelehnt, die Studien seien nur für den internen Gebrauch.
Erst jetzt, sieben Jahre später, wurden sie dem Verteidigungsausschuss in Zusammenfassung vorgelegt. Das ist
der Vorgang.
({3})
Wir wollen - das steht in unserem Antrag -, dass alle
diese Kurzstudien öffentlich zugänglich gemacht werden
und dass sie zur Grundlage für öffentliche Debatten an
den Standorten der Kasernen werden. Das ist nicht zu
viel verlangt. Das ist von uns angestoßen worden.
({4})
Im Sinne eines fairen kollegialen Umgangs - an diesem sollte auch Ihnen gelegen sein - sollte man dies zumindest anerkennen. Das hätte ich von einem geschätzten Kollegen erwartet.
({5})
All das wirft auch die Frage auf, warum das so lange
gedauert hat. Warum gibt es so ein zähes Ringen um das
Traditionsverständnis der Bundeswehr? Die Bundeswehr hat das Thema lange vernachlässigt, es verdrängt,
sie hat weggeschaut. Offensichtlich haben wir es bis
heute mit Haltungen, Einstellungen und Leitbildern zu
tun, die durch viele Führungsgenerationen der Bundeswehr geprägt und zementiert worden sind. Anders ist es
nicht zu erklären, dass manche falschen Erzählungen unter der Oberfläche - an der Oberfläche gilt die Innere
Führung als Credo der Streitkräfte - bis heute noch existieren. Eine General-Hüttner-Kaserne veranschaulicht
dieses Problem und passt nicht zu Streitkräften in einer
Demokratie, zu Staatsbürgern in Uniform.
({6})
Deshalb muss das jetzt geändert werden. Es reicht
nicht, dass die Bundeswehr im Zuge der aktuellen Kasernenschließungen dazu übergegangen ist, die sensiblen
Namen einfach stillschweigend zu tilgen. Wir wollen die
intensiven Debatten vor Ort, auch mit den Bundeswehrangehörigen - das ist richtig -, aber wenn es um so belastete Namen geht, muss auch von der Weisungsbefugnis Gebrauch gemacht werden.
Die Innere Führung wurde als Konzept entwickelt,
um sich grundlegend kritisch von der verhängnisvollen
deutschen Militärtradition abzusetzen. Strikte Bindung
an Völkerrecht und Gesetz, Verantwortung des Einzelnen statt Kadavergehorsam - das sind Grundelemente
dieses Leitbilds, und das muss im Alltag gelebt werden.
Dazu gehört ein richtiges Traditionsverständnis. Wir
wollen, dass die Innere Führung ohne diese Doppeldeutigkeit und Widersprüche zur Grundlage des Traditionsverständnisses der Streitkräfte wird.
Sie sagen, dass das alles auf einem guten Wege ist. Ja,
viele Dinge sind in Bewegung geraten. Das ist gut so.
Wir wollen diesen Prozess zu Ende führen. Ich finde, an
dieser Stelle ist es nur angemessen, denjenigen wie
Jakob Knab, die das seit Jahrzehnten zum Thema gemacht haben, die es unermüdlich zum Thema gemacht
und verfolgt haben, und auch den antifaschistischen
Gruppen, die es thematisiert haben, damit dieser Schandfleck endlich aus der Geschichte der Bundeswehr getilgt
wird, gebührend Dank zu sagen.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Omid
Nouripour. Bitte schön, Kollege Omid Nouripour.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
über die Tonalität in dieser Diskussion ein wenig irritiert. Wir hatten diese Debatte aufgrund eines Antrages,
den wir Grüne eingebracht hatten - als es diesen Antrag
so noch nicht gab -, ja schon einmal im Ausschuss geführt. Da bestand in der Sache eigentlich Konsens. Deshalb bin ich ein bisschen verwirrt, warum die Debatte
jetzt in dieser Schärfe, die der Sache nicht angemessen
ist, geführt wird. Ja, der Traditionserlass aus dem Jahre
1982 ist eine sehr gute Grundlage - das ist überhaupt
nicht die Frage; es gab Anpassungen, die richtig waren -,
aber er ist mit dem Traditionserlass aus dem Jahre 1965
nicht zu vergleichen. Er ist auch heute noch gut.
Nichtsdestotrotz möchte ich auf eine Kleine Anfrage
der Linken vom 9. Mai 2011 hinweisen, auf die die Bundesregierung eine Antwort gegeben hat, die da lautete:
Die Bundeswehr hat sich spätestens seit der Traditionsdebatte der Jahre 1997/1998 einer kritischen Betrachtung offen gestellt und alle Kasernennamen einer Prüfung unterzogen.
Als diese Antwort gegeben wurde, gab es noch eine
Kaserne, die nach General Konrad benannt war, und es
gab eine Kaserne, die nach General Hüttner benannt war.
Deshalb kann man nicht sagen: Wir haben alle Probleme
längst gelöst. - Die Probleme sind nämlich nicht gelöst.
In unserem Antrag geht es übrigens nicht nur um Kasernennamen, sondern auch um Straßennamen auf Geländen und um die Namen aller möglichen Einrichtungen
der Bundeswehr. Ich weiß ja, dass die Einigkeit im Kern
größer ist, als in dieser Debatte zum Ausdruck kommt.
Ich finde, man sollte dieses Thema nicht ganz so schrill
angehen.
({0})
Wir haben gehört - das ist jetzt mehrfach gesagt worden -, dass die Studie des damaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr besagt, dass es
immer noch 15 Personen gibt, die den Kriterien des Traditionserlasses nicht gerecht werden. - Herr Fricke, Sie
haben einen wunderschönen Rücken, aber Ihr Gesicht ist
noch viel schöner. Darf ich es auch einmal zu sehen bekommen?
({1})
- Herzlichen Dank. - Es geht um 15 Namen. Bei 7 Personen gibt es keine Beweise dafür, dass sie am Vernichtungskrieg beteiligt waren - die Kriterien des Traditionserlasses erfüllen sie allerdings trotzdem nicht -, bei den
übrigen 8 Personen ist das anders. Deshalb gebe ich dem
Kollegen Schäfer recht: Angesichts mancher Beispiele,
die es gibt, kann man nicht einfach, wie es die Bundeswehr bzw. das Ministerium tut, sagen: Wir diskutieren
das ergebnisoffen. - Das ist nicht ergebnisoffen.
({2})
Es gibt bestimmte Grade an Verbrechen, bei denen man,
wie bei der Beteiligung am Vernichtungskrieg, keine ergebnisoffene Diskussion mehr führen kann.
Ja, wir wollen, dass eine Beteiligung stattfindet: der
Kommunen, der Menschen vor Ort, der Soldatinnen und
Soldaten. Auch deswegen steht in unserem Antrag, dass
die Ergebnisse der Studie veröffentlicht werden sollen.
Wir wollen nämlich, dass eine vertiefte Diskussion stattfinden kann.
Ich will noch auf einen Namen eingehen, der für mich
persönlich ein Beleg dafür ist, warum diese Debatte
Grenzen hat, die sie nicht haben sollte. Es geht um Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Rommel war, historisch betrachtet, ein großer General. Er hat Unglaubliches geleistet, und er hat unglaubliche militärische
Verdienste; daran ist nicht zu rütteln. Es gibt sehr viele
glaubwürdige Berichte, die belegen, dass er gerade im
Rahmen des Afrika-Feldzuges Dinge anders gemacht hat
als andere Angehörige der Wehrmacht zum Beispiel an
der Ostfront; ja, das ist richtig.
Gleichzeitig ist aber auch klar - wir wissen das -: Es
gibt glasklare Beweise dafür, dass Rommel 1943 in Italien Befehle gegeben hat, die zu Kriegsverbrechen geführt haben. Diese Diskussion muss man führen dürfen,
und zwar auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage, für die wir die Daten der genannten Studie brauchen. Auch an dem Bild von Menschen, die aus Gründen, die man vielleicht nur psychologisch erklären kann,
nach dem Krieg Säulenheilige geworden sind, muss man
rütteln dürfen, wenn sie so sehr in Kriegsverbrechen involviert waren, wie Erwin Rommel es war.
({3})
Es ist bekannt, dass die Graf-Stauffenberg-Kaserne in
Sigmaringen demnächst geschlossen wird. Es stellt sich
natürlich die Frage, ob es demnächst eine andere Kaserne geben wird, die diesen Namen trägt. Wenn man
sich vor Augen hält, dass es einige Kasernen gibt - wenn
ich es richtig sehe, drei -, die den Namen Erwin
Rommel tragen, dann muss doch die Frage erlaubt sein,
ob darüber nicht eine breite öffentliche Diskussion geführt werden sollte, die wissenschaftlich fundiert ist und
für die wir die öffentliche Zugänglichkeit der Papiere
nun einmal brauchen.
Herr Kollege, behalten Sie die Uhrzeit im Auge?
Deshalb kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen, warum eine solch große Aufregung herrscht. Drei
Fraktionen haben über einen Antrag verhandelt, jetzt
wollen ihn nur noch zwei Fraktionen unterstützen. Aber
nach meiner festen Überzeugung ist das, was wir alle gemeinsam im Ausschuss verhandelt und miteinander besprochen haben, von dem, was wir beantragen, nicht
sehr weit entfernt.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. - Nächster und
letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Florian Hahn für die Fraktion von CDU und
CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden heute über einen von Grünen und
Linken gemeinschaftlich gestellten Antrag zum Thema
„Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen“.
Damit betreiben beide Oppositionsfraktionen einmal
mehr eine eigene, linke Traditionspflege, um sich bei
entsprechenden - zum Teil, wie es ein Kollege der Linken heute formuliert hat, „abgedrehten“ - Organisationen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, lieb
Kind zu machen, könnte man leicht vermuten. Schließlich steht die Bundestagswahl vor der Tür, und man will
sich seiner Stammwählerschaft, wie zum Beispiel von
der „Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung“, „syndikalismus“ oder „linksunten“, andienen.
Meine Damen und Herren von den Grünen und den
Linken, Sie wissen ganz genau, dass wir schon lange dabei sind, sämtliche Namen von Kasernen und Straßen
auf den Liegenschaften zu prüfen und auch umzubenennen. Die Bundeswehr hat sich spätestens seit der Traditionsdebatte 1997/1998 einer kritischen Betrachtung von
Namensgebungen geöffnet. Viele aus heutiger Sicht problematische Kasernennamen wurden bereits aufgegeben.
Das Militärgeschichtliche Forschungsamt leistet dabei
einen wertvollen Beitrag zur Meinungsbildung an den
jeweiligen Standorten.
Traditionspflege ist ein laufender Prozess, der dem
gesellschaftlichen Wandel unterliegt und die Menschen
mitnehmen muss. Ich halte deshalb nichts davon, sämtliche Namen in einer Hauruckaktion per Verordnung von
oben zu ändern. Es ist wichtig, dass die Initiative für
eine Umbenennung aus der Truppe kommt und in enger
Abstimmung mit den kommunalen Gremien erfolgt.
Dies hat auch schon in vielen Fällen dazu geführt, dass
eine Umbenennung angeordnet wurde. So wurde gerade
vor kurzem die Kaserne in Holzminden in „Pionierkaserne am Solling“ umbenannt, und im Juli wird die Kaserne in Hof auf „Oberfranken-Kaserne“ getauft.
Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass sich unsere Streitkräfte schon vor dem Prozess der Umbenennung am Traditionserlass der Bundeswehr von 1982
orientierten. Natürlich wird die Wehrmacht als Organisation nicht als traditionsbildend für die Bundeswehr angesehen, doch können nach dem Traditionserlass einzelne
Angehörige der Wehrmacht sehr wohl als Vorbilder anerkannt werden. Eine bloße Zugehörigkeit zur Kaiserlichen Armee und zur Wehrmacht allein kann kein
Ausschlussgrund sein - oder wollen Sie etwa der Bundeswehruniversität in Hamburg und der Kaserne in Altenstadt die Namen Helmut Schmidt bzw. Franz Josef
Strauß nehmen?
Wie wir bereits seit Monaten sehen können, fällt der
Opposition nicht wirklich ein Mittel ein, die äußerst erfolgreiche schwarz-gelbe Regierungsbilanz zu erschüttern. Das haben wir auch heute Morgen bei der Debatte
zur Bundeswehrreform erlebt: Es war keine echte, substanzielle Kritik möglich, weil wir trotz der großen Herausforderung erfolgreich sind.
({0})
Ich möchte die Grünen und die Linken daher warnen:
Machen Sie vor lauter Verzweiflung über die große
Beinfreiheit und die für Schwarz-Gelb immer besser
werdende Stimmung nicht den Fehler, auf Kosten der
Streitkräfte Wahlkampf zu machen. Das haben unsere
Soldatinnen und Soldaten nicht verdient.
({1})
Ich glaube, dass die Soldaten zwar nicht unbedingt
der Partei Die Linke besonders am Herzen liegen, aber
in jedem Fall dem Kollegen Paul Schäfer, den ich gerade
auch dafür sehr schätze - trotz seiner aus meiner Sicht
politischen Fehlorientierung.
({2})
Ich wünsche dir alles Gute für die Zeit nach dem Mandat!
({3})
Vielen Dank, Kollege Florian Hahn.
Wir schließen damit die Aussprache und kommen zur
Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu
dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Überprüfung der Namen von
Bundeswehrkasernen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11724, den
Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/11208 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte
- Drucksache 17/11268 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
Vizepräsident Eduard Oswald
- Drucksache 17/13535 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Sonja Steffen
Judith Skudelny
Ingrid Hönlinger
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Es hat sich niemand anders entschlossen. Alle sind damit
einverstanden, sodass wir zur Abstimmung kommen.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13535, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11268 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das
sind die drei Oppositionsfraktionen. - Enthaltungen? Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola
von Cramon-Taubadel, Wolfgang Wieland,
Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rente für Dopingopfer in der DDR
- Drucksache 17/12393 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
Es ist die interfraktionelle Vereinbarung getroffen
worden, eine halbe Stunde für die Aussprache vorzusehen. Mit Ausnahme der Frau Kollegin Viola von
Cramon-Taubadel, die nun für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen sprechen wird, haben sich die Kolleginnen
und Kollegen aber entschlossen, ihre Reden zu Protokoll
zu geben. - Bitte schön, Frau Kollegin.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir von der grünen Bundestagsfraktion sprechen uns mit diesem Antrag für eine monatliche Rente
für Dopingopfer der ehemaligen DDR aus.
Wir wissen seit langem: Dopingmittel wurden in der
DDR jahrelang flächendeckend verabreicht und kamen
in allen olympischen Sportarten zum Einsatz. Die Dopingverabreichung erfolgte auch an minderjährige Sportlerinnen und Sportler. Die DDR finanzierte mit dem
Staatsplan 14.25 ein umfangreiches und kriminelles Dopingforschungssystem mit Medizinern und Wissenschaftlern. Trainer in Spitzenpositionen spielten bei der
Dopingverabreichung eine hervorgehobene Rolle. Sportlerinnern und Sportler wurden weder über den Einsatz
der Dopingmittel noch über deren Nebenwirkungen aufgeklärt.
({0})
Das Spitzensportsystem der DDR hat eine schwere
Hypothek hinterlassen; denn es hat eine große Anzahl
von Opfern in Kauf genommen. Die Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfevereins, Ines Geipel, nennt diese Schattenseite des Sports einen Kollateralschaden aufgrund
von politischer Gier. Es ist keine Übertreibung, wenn
man heute sagt: Das Dopingsystem der DDR ist der
größte bisher bekannte Dopingskandal. - Es sollte uns
eine besondere Mahnung sein, dass dieser Skandal leider
auf deutschem Boden stattgefunden hat.
Seit der Wiedervereinigung ist vieles durch Strafgerichtsprozesse und wissenschaftliche Forschung sowie
durch Berichte von Opfern und jahrelange Recherche öffentlich geworden. Auch Stasidokumente, die vom Staat
zur Abschottung des Dopingsystems eingesetzt wurden,
haben bei der Aufdeckung eine besondere Rolle gespielt.
Der Sport selbst allerdings hat im Vergleich dazu nur
wenig zur Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit
beigetragen. Bis heute gibt es für Sportorganisationen in
Deutschland, für die belastetes Personal in Führungspositionen tätig ist, sogar noch Steuermittel. Ich halte
das für ein extrem schlechtes Signal für die Integrität des
Sports. Unsere Fraktion hat das auch immer wieder angemahnt.
({1})
Die gesundheitliche Situation von vielen Dopingop-
fern ist alarmierend. Anfang 2010 gab es einen weiteren
Todesfall eines anerkannten Dopingopfers, nämlich ei-
ner ehemaligen Leichtathletin. Auch ihr wurden schon
als Minderjähriger Dopingmittel verabreicht. Es gibt
weitere und leider sehr viele dieser schweren Fälle.
Wir sprechen uns daher dafür aus, denjenigen Sport-
lerinnen und Sportlern, denen schon als Kinder, als Min-
derjährigen, Dopingmittel verabreicht wurden und die
heute unter teilweise sehr erheblichen gesundheitlichen
Schäden leiden, eine dauerhafte Rente zu gewähren. Die
Rentenzahlung sollte schnellstmöglich und nicht erst als
zusätzliche Rente bei Erreichen des gesetzlichen Renten-
eintrittsalters einsetzen. Die Höhe der Rente sollte sich
an den gesetzlichen Regelungen für Opfer des SED-Un-
rechts bemessen. Wir denken hier an eine monatliche
Zahlung von mindestens 200 Euro.
Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit parlamen-
tarischer Entscheidungen, denn der Deutsche Bundestag1) Anlage 9
hat sich 2002 in einem Antrag selbst auferlegt, die Frage
der Nachfolgeregelung für schwerstgeschädigte Dopingopfer der DDR zu prüfen. Ich nenne diese Tatsache
vor allem vor dem Hintergrund, dass es seinerzeit die
CDU/CSU war, die eine weitergehende Hilfe für Dopingopfer angeregt hatte. Wir vonseiten der rot-grünen
Regierungskoalition waren damals einen Tick überzeugender mit unseren Vorschlägen, aber die Tatsache, dass
es zum damaligen Zeitpunkt eine große parlamentarische Übereinstimmung für eine erneute Überprüfung
gab, ob es nicht für Schwerstgeschädigte eine Nachfolgeregelung geben sollte, sollte uns doch jetzt zu denken
geben.
({2})
Heute möchten die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und der FDP davon offenbar nichts mehr
wissen.
Es ist immer das gleiche Spiel: Wenn es in der Sportpolitik ernst wird, komplizierte Themen auftauchen,
dann machen sich die Sportfreunde vom Spielfeld. So ist
es bei der notwendigen Umgestaltung der Spitzensportförderung, so ist es im Spannungsverhältnis zwischen
Sportgroßereignissen und Menschenrechten, und so ist
es aktuell auch bei der notwendigen Unterstützung der
Dopingopfer. Liebe Herren und Damen von der Koalition, stellen Sie sich doch bitte einmal vor, welche Wirkung es auf die betroffenen Dopingopfer haben muss,
wenn Sie wie bei den letzten Haushaltsverhandlungen
über Nacht zusätzliche Millionen für den Spitzensport
hin- und herschieben, aber für eine Dopingopferrente
keinen einzigen Cent bereitstellen.
Wir werben weiter für unseren Antrag und unterstützen das Anliegen von Dopingopfern der ehemaligen
DDR.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Viola von Cramon. - Die
anderen Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache
17/12393 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Über-
weisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des
Kostenrechts ({0})
- Drucksache 17/11471 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkostenrecht
- Drucksache 17/5313 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 17/13537 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Seif
Christoph Strässer
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts
- Drucksache 17/11472 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe ({3})
- Drucksache 17/1216 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Beratungshilferechts
- Drucksache 17/2164 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 17/13538 Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Seif
Christoph Strässer
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger
Ich möchte die Herren auf meiner rechten Seite darauf hinweisen, dass ich hier jedes Wort von der Regierungsbank verstehe. Man sollte ein bisschen darauf achtgeben, dass die Akustik so ist, dass man hier alles
versteht.
({5})
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mo-
dernisierung des Kostenrechts liegt ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden1) Anlage 8
Vizepräsident Eduard Oswald
sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Alle sind damit
einverstanden.
Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Modernisierung des Kostenrechts.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13537, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/11471 ({6}) in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13546 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? -
Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Die
sozialdemokratische Fraktion. Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand.
Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Linksfraktion.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Sozialde-
mokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist so-
mit angenommen.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 und
kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des
Bundesrates zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Ge-
richtsvollzieherkostenrecht. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13537, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 17/5313 abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das ist niemand. Wer stimmt dage-
gen? - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Ich frage
vorsichtshalber: Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wis-
sen, entfällt nach unserer Geschäftsordnung damit die
weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 18 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Bera-
tungshilferechts. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13538, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 17/11472 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und
Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialde-
mokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an-
genommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? -
Das sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen.
Enthaltungen? - Die Sozialdemokraten. Der Gesetzent-
wurf ist angenommen.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 c. Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozess-
kostenhilfe. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13538, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf
Drucksache 17/1216 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Niemand. Wer stimmt dagegen? - Das
sind alle Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? - Keine.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.
Wir sind noch im Tagesordnungspunkt 18 c. Abstim-
mung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Än-
derung des Beratungshilferechts. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13538, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 17/2164 abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Das ist niemand. Wer
stimmt dagegen? - Das sind alle Fraktionen des Hauses.
Enthaltungen? - Das ist niemand. Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung abgelehnt. Auch hier entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinderund Jugendhilfe ({7})
- Drucksache 17/13023 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({8})
- Drucksache 17/13531 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Marlene Rupprecht ({9})
Florian Bernschneider
Diana Golze
Katja Dörner1) Anlage 10
Vizepräsident Eduard Oswald
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({10})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan
Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mit einer eigenständigen Jugendpolitik
Freiräume schaffen, Chancen eröffnen,
Rückhalt geben
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Schneider, Katja Dörner, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eigenständige Jugendpolitik - Selbstbe-
stimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, De-
mokratie und Emanzipation
- Drucksachen 17/12063, 17/11376, 17/12907 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Sönke Rix
Florian Bernschneider
Diana Golze
Ulrich Schneider
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Lebenssituation junger
Menschen und die Leistungen der Kinder- und
Jugendhilfe in Deutschland
- 14. Kinder- und Jugendbericht und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 17/12200 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene
Rupprecht ({12}), Stefan Schwartze, Willi
Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche ermöglichen - Konsequenzen aus dem
14. Kinder- und Jugendbericht ziehen
- Drucksache 17/13473 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({13})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wurde vereinbart, für die Aussprache
eine halbe Stunde vorzusehen. - Alle sind damit einver-
standen.
Ich eröffne die Aussprache. Eine Reihe von Kollegin-
nen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben1) - die Namen liegen mir hier vor -, sodass wir zwei
Rednerinnen und einen Redner haben. Als Erstes spricht
für die Fraktion von CDU/CSU unsere Kollegin
Dorothee Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Dorothee Bär.
({14})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
gute Nachricht vorweg: Den Kindern und Jugendlichen
in Deutschland geht es gut. Uns liegt eine aktuelle internationale UNICEF-Vergleichsstudie zur Lage von
Kindern und Jugendlichen vor. Anders als die UNICEFStudie von vielen interpretiert wurde, kann man sagen,
dass sich die meisten Kinder und Jugendliche gut fühlen.
84,2 Prozent der Mädchen und Jungen haben in einer
Befindlichkeitsskale von 1 bis 10 einen Positivwert zwischen 6 und 10 angekreuzt. In den anderen Ländern sind
sie nicht sehr viel zufriedener. In Frankreich sind es gut
85 Prozent, in Dänemark 86,1 Prozent und in Norwegen
88 Prozent. Sogar die drittplatzierte Nation im internationalen Vergleich, Spanien, liegt mit 89,9 Prozent nur
5,7 Prozentpunkte über den Deutschen, was schon sehr
bemerkenswert ist, wenn man sich einmal die aktuelle
Situation von Jugendlichen in Spanien vor Augen führt.
Ich bin der Kollegin Rupprecht dankbar, dass wir die
Möglichkeit haben, heute Abend Redezeit in Anspruch
nehmen zu dürfen.
({0})
Ich möchte deswegen die Gelegenheit nutzen, um einen
besonderen Aspekt zu erwähnen. Wir reden immer über
den demografischen Faktor. Wir wissen, dass in unserem
Land sehr wenige Kinder auf die Welt kommen. Wir
wissen, dass die Jugendlichen in unserem Land nicht
wahnsinnig an Politik interessiert sind. Übrigens gilt das
nicht nur für Jugendliche. Zahlen vom Vortag zeigen,
dass überhaupt nur 25 Prozent der Deutschen an Politik
interessiert sind, also noch nicht einmal engagiert sind,
sondern nur ein gewisses Interesse haben. Das ist nur je-
der Vierte in unserem Land.
Vielleicht sollten wir die späte Stunde nutzen - es
sind noch sehr viele interessierte Kolleginnen und Kolle-
gen da -, uns zu überlegen, wie wir verhindern können,
dass aus dem demografischen Problem, das wir haben,
ein demokratisches Problem erwächst. Denn wenn sich,
wie gesagt, nur 25 Prozent interessieren, dann bedeutet
das auch in sehr starkem Maße eine sehr niedrige Wahl-
beteiligung, und zwar gerade bei den Jugendlichen und
Erstwählern.
Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Jugendpoli-
tik richtet sich nicht nur nach Bedarfen von Kindern und
1) Anlage 12
Jugendlichen. Wenn Jugendpolitik gemacht wird, sollte
man immer sehr stark auf Risikolagen achten. Aber vielleicht ist keine allgemeine Jugendpolitik für alle Jugendlichen in unserem Land möglich.
Deswegen hat die Regierung beschlossen, ressortübergreifend eine eigenständige Jugendpolitik zu machen, damit für die Anforderungen aller Generationen
eine demokratische Gesellschaft gestaltet werden kann.
Deswegen haben wir im Ministerium - der Staatssekretär ist anwesend - im Sinne einer „Allianz für Jugend“
unter Federführung des Jugendministeriums alle wichtigen Akteure beteiligt, die eine eigenständige Jugendpolitik ausarbeiten wollen. Wir wollen diese systematische,
ressortübergreifende Jugendpolitik, die im 14. Kinderund Jugendbericht angeregt wird, weiter vorantreiben.
Ich bitte alle, daran mitzuwirken und verstärkt als Multiplikatoren hinauszugehen und dafür zu sorgen, dass der
Spaß an der Demokratie geweckt wird.
Es reicht meines Erachtens nicht, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, wenn als einziger
Vorschlag kommt, das Wahlalter zu senken. Eine reine
Absenkung des Wahlalters reicht nicht. Denn wer mit 18
keine große Lust hat, wählen zu gehen, hat das auch mit
16 nicht, wenn von denjenigen, die Politik machen, Politik vermitteln und versuchen wollen, für Demokratie zu
begeistern, nichts herüberkommt. Deswegen muss unser
erklärtes Ziel sein, zu sagen, was das Ganze für jeden
Einzelnen bringt.
Es hat mich schon erschreckt, als ich mich noch einmal mit der Bundestagswahl 2009 befasst habe. Es heißt
immer, die Bundestagswahl ist die Königsdisziplin aller
Wahlen. Vor über 30 Jahren sind noch über 90 Prozent
der Wahlberechtigten in Deutschland zur Bundestagswahl gegangen. Bei einer so wichtigen Wahl wie der
Bundestagswahl im Jahr 2009, als das Thema 20 Jahre
Mauerfall in aller Munde war - mein Wahlkreis grenzt
an Thüringen an; nur einen Steinwurf entfernt konnte
man also nicht an einer demokratischen Wahl teilnehmen -, hatten nur noch 70 Prozent ein Interesse daran,
zur Wahl zu gehen. Dabei hatten wir 2009 auch noch die
Situation, dass erstmals Erstwähler an den Urnen waren,
die beim Fall der Mauer noch gar nicht auf der Welt waren.
Wir haben jetzt flächendeckend in Deutschland die
Situation, dass bei manchen Kommunalwahlen nur noch
40 Prozent zur Wahl gehen. Bei einer Landratswahl vor
ein paar Wochen standen fünf Kandidaten zur Wahl. Das
heißt, es gab eine echte Auswahl. Es kam auf jede
Stimme an, und dann gingen nur noch 40 Prozent zu dieser Wahl. Bei der Stichwahl waren es auch nicht viel
mehr. Manchmal ist es bei Stichwahlen so, dass gerade
noch 20 Prozent meinen, sich für unsere Demokratie interessieren zu müssen.
Deswegen hoffe ich, dass wir es auch in Zukunft
schaffen, nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit
Jugendlichen Politik zu machen und dass wir in unseren
Gemeinderäten, Stadträten und Kreistagen, selbstverständlich auch im Landtag, Bundestag und Europaparlament nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit
jungen Menschen Politik machen, sprich: auch mit jungen Kolleginnen und Kollegen. Deswegen freue ich
mich, dass ich das heute noch loswerden konnte.
Jetzt freue ich mich noch auf die Reden des Kollegen
Hüppe und der Frau Rupprecht. Dann treffen wir uns
vielleicht noch auf einen Feierabendwein.
Vielen Dank.
({1})
Die Kolleginnen und Kollegen haben das aber nicht
als Einladung verstanden. - Nächste Rednerin wie angekündigt Frau Kollegin Marlene Rupprecht. Bitte schön,
liebe Frau Kollegin Marlene Rupprecht für die Fraktion
der Sozialdemokraten.
({0})
Ich finde das liebenswürdig. Ja natürlich, das rentiert
sich bei mir immer, Herr Grübel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
knüpfe an das an, was die Kollegin Bär sagte, nämlich
dass sich nur noch 25 Prozent für Politik interessieren.
Wie fördert man das Interesse, wenn man Pädagogik
macht? Indem man ein gutes Vorbild ist. Denn die meisten Kinder und Jugendlichen lernen durch Vorbilder.
Jetzt zeige ich Ihnen, was wir heute so machen. Wenn
ich mir unseren Wochenplan und insbesondere die Tagesordnung vom heutigen Donnerstag anschaue, dann
stelle ich fest: Wir haben heute Morgen um 9 Uhr begonnen. Wenn wir zu allen wichtigen Themen durchgehend,
also ohne Pause und auch in der Nacht, reden würden,
dann würden wir morgen, am Freitag, um 18.30 Uhr enden. Dann würde die Tagesordnung vom Freitag beginnen.
Wenn ich mich nicht verzählt habe, haben wir heute
Nacht 20 Abstimmungen ohne Debatte nach zweiter und
dritter Lesung. Ich sage das nicht, um mit dem Finger
auf irgendjemanden zu zeigen. Vielmehr will ich das
Parlament daran erinnern, dass wir den Bürgerinnen und
Bürgern eigentlich zeigen wollen, dass wir transparent
arbeiten und unsere Entscheidungen sehr ernst nehmen.
Wir als Abgeordnete haben keine großen Möglichkeiten,
über Sachverhalte, die nicht in Fachausschüssen behandelt werden, zu reden. Wir können nur in der Fraktion, in
Ausschüssen und im Plenum reden. Wenn aber so viel
auf der Tagesordnung steht, können wir die meisten Tagesordnungspunkte in den Ausschüssen und im Plenum
nur durchwinken.
({1})
Marlene Rupprecht ({2})
- Natürlich müssen wir um 13 Uhr Schluss machen,
Herr Kollege. Wenn das Plenum am Mittwoch um
13 Uhr beginnt, müssen wir anwesend sein.
({3})
Kein Dialog! Der Ausschussvorsitzende hat einen Zuruf gemacht. - Bitte, Frau Rupprecht, Sie haben das
Wort.
Zur Politik gehört auch dazu, zu lernen, sich Zeit für
Gespräche zu nehmen und so für eine Entschleunigung
zu sorgen. Das ist das Beste, das wir machen können, um
das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Politik
zu wecken.
Was wir jetzt machen, ist nichts anderes als ein
Durchpeitschen. Deshalb will ich auf einen Tagesordnungspunkt eingehen, dessen Beratung wir für heute
Nacht angesetzt haben. Das ist die Kinder- und Jugendpolitik. Zudem soll der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetzes - ein etwas sperriger Name
- in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden.
Ich will auf das Gesetz näher eingehen. Die SPD hat
dem Gesetzentwurf im Ausschuss zugestimmt, weil er
Regelungen enthält, die für die Kinder und Jugendlichen
und deren Leben wichtig sind. So wird unter anderem
der rechtliche Umgang leiblicher Väter mit ihren Kindern geregelt. Des Weiteren wird die Kostenbeteiligung
bei teilstationärer und stationärer Unterbringung neu geregelt; auch diese Regelung ist angenommen. Eine andere wichtige Regelung betrifft immerhin ein paar Tausend Pflegeeltern in der Bundesrepublik, die Kinder mit
schweren Behinderungen aufgenommen haben. Es geht
also um Kinder, die weder in der Herkunftsfamilie noch
in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben. Die Geltungsdauer der entsprechenden Eingliederungshilfe, die
wir auf vier Jahre festgelegt hatten, wird nun per Gesetz
verlängert.
Woher sollen die Menschen erfahren, dass das alles
geregelt wird, wenn wir darüber mitten in der Nacht abstimmen? Wenn ich nicht so stur gewesen wäre und darauf bestanden hätte, dass wir darüber reden, würde es
kein Mensch mitbekommen, auch nicht die Kollegen.
Sie könnten noch nicht einmal Auskunft geben.
Des Weiteren liegen uns drei Anträge - zwei von der
SPD und einer von den Grünen - zur Jugendpolitik vor.
Das alles wird einfach en passant behandelt.
Alle paar Jahre muss die Bundesregierung einen Gesamtbericht über die Lebenssituation junger Menschen
und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in
Deutschland vorlegen. Der letzte Gesamtbericht mit dem
Titel „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“
wurde 2002 vorgelegt. Der nun vorliegende 14. Kinderund Jugendbericht schreibt das fort, was damals begonnen wurde, nämlich dass es neben der privaten eine öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gibt. Diese öffentliche
Verantwortung ist im Wandel begriffen. Das heißt, wir
haben die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen und
Verantwortungen zu übernehmen. Darüber diskutieren
wir heute Nacht aber gar nicht. Wir stellen den Bericht
noch nicht einmal vor. Es ist auch gar nicht machbar, ihn
in einer halben Stunde vorzustellen, geschweige denn
darüber zu diskutieren.
Ich weiß, dass ich Sie damit nerve. Ich würde Ihnen
lieber Ihr Bett gönnen. Dann würden wir auch das Arbeitsrecht einhalten.
({0})
- Ja, aber stellt euch vor, jeder würde sein Recht in Anspruch nehmen, zu den Punkten, für die er zuständig ist,
zu reden und der Öffentlichkeit das Thema vorzustellen.
Es gibt verfassungsrechtliche Grundsätze, die der Transparenz und der Beteiligung, und die nehmen wir nicht
ernst. Deshalb wollte ich heute Abend reden. Das betrifft
nur meinen Teil und den Teil der Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen. Die sozialen Themen fallen meistens
hinten runter.
Aber nehmen Sie doch Ihre eigene Arbeit ernst, oder
gehen Sie nach Hause! Wenn Sie nur ein Abnickverein
sind, haben Sie hier nichts zu suchen.
({1})
Es tut mir schrecklich leid, dass ich das so deutlich sagen
muss. Wenn sich das neue Parlament ernst nimmt, dann
muss es sich überlegen, ob es Tagesordnungen ansetzt,
die einen Umfang von mehr als 24 Stunden haben und
bei denen mehr als die Hälfte der Tagesordnungspunkte
nur durch Abnicken, Aufstehen und Abstimmungsgymnastik erledigt werden. Das halte ich für den eigentlichen
Skandal.
Aber das ist Ihre Entscheidung. Ich bin ein Mitglied
von über 620. In dem Sinne wünsche ich Ihnen trotzdem
eine gute Nacht. Hoffentlich können Sie gut schlafen.
({2})
Das war unsere Kollegin Frau Marlene Rupprecht. Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Otto
Fricke.
Frau Kollegin Rupprecht, Sie wissen, dass ich Sie
schätze, vor allen Dingen Ihr Engagement, aber auch das will ich ausdrücklich sagen - die bei einem Politiker
notwendige Emotion, die dazu gehört, weil wir eben
nicht nur nach Vernunft handeln und rein nach Paragrafen vorgehen.
Ich will aber doch eines klar sagen: Keiner von denen,
die hier sind, sitzt nur deswegen hier, weil er hier sitzen
muss, sondern er sitzt auch deswegen hier, weil er gerne
Abgeordneter ist. Seien Sie nicht unfair! Hinsichtlich der
Frage, welcher Punkt der Tagesordnung zu welchem
Zeitpunkt besprochen wird,
({0})
müssen wir ehrlicherweise auch sagen: Die Tagesordnung wird in Absprache zwischen Opposition und Koalition festgelegt. Das heißt, Ihre eigene Fraktion hätte immer die Möglichkeit, Tagesordnungspunkte an eine
andere Stelle zu setzen. Wenn wir wollen, dass wir als
Parlament entscheiden - das sollte man in einem Parlament auch sagen -, müssen wir akzeptieren, dass bestimmte Punkte weiter vorne und andere Punkte weiter
hinten sind. Diese demokratische Entscheidung hat dieses Parlament hier gefällt.
Weil der Tag schlichtweg nur 24 Stunden hat und weil
wir uns überlegen müssen, ob wir nur noch hier sein
wollen oder auch in den Wahlkreisen, wäre die Alternative für uns als Parlament, über weniger Punkte zu entscheiden. Ich will das für meine Fraktion ausdrücklich
festhalten. Deswegen kann ich die Äußerungen, die Sie
hier getroffen haben, nicht teilen; wenn man Ihnen
folgte, würde das dazu führen, dass sich das Parlament
im Endeffekt in die falsche Richtung bewegt und in seinen Entscheidungen reduziert wird. Das will ich nicht,
bei allem Engagement und bei aller Bedeutung des Tagesordnungspunktes, über den wir heute reden und über
den der Kollege Hüppe - da bin ich mir sicher - gleich
viel Wesentliches sagen wird.
Danke.
({1})
Frau Kollegin Marlene Rupprecht, Sie haben nach unserer Geschäftsordnung die Möglichkeit, zu antworten.
Bitte schön.
Es geht doch darum, ob dieses Parlament ernsthaft arbeitet. Überlegen Sie, wie lange Sie heute hier sitzen. Eigentlich müssten Sie bis morgen Abend hier sitzen, um
die Tagesordnung abzuarbeiten. Ich weiß, dass alle Fraktionen das abgestimmt haben. Ich habe meine Äußerungen ganz bewusst jetzt gemacht, weil ich denke, dass es
wichtig ist, dass das Parlament sich über eines klar wird:
Wenn das Parlament ein Arbeitsparlament bleiben soll,
dann muss man reden, diskutieren und Beschlüsse fassen. Wenn das nicht mehr der Fall sein soll, dann frage
ich mich, warum wir so viele Abgeordnete brauchen, die
sich Mühe geben, sich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen; denn letztendlich kommt es dann gar nicht
mehr darauf an.
Ich wollte Ihnen hier nicht sagen, dass Sie faul sind,
({0})
sondern ich wollte Sie bitten, darüber nachzudenken, ob
die Arbeitsweise, die sich im Laufe der Jahre - ich gehöre jetzt 17 Jahre dem Hause an - eingebürgert hat, angemessen ist. Ist es richtig, in der Nacht 20 zweite und
dritte Lesungen und Abstimmungen über Tagesordnungspunkte durchzuführen, die Sie in den Wahlkreisen
zu verantworten haben? Wenn Sie nicht im Fachausschuss sitzen, können Sie doch nicht mehr über die Inhalte entscheiden. Sie hören die Argumente weder im
Ausschuss noch in den Fraktionen oder im Plenum.
Wenn Sie zustimmen, rennen Sie einfach der Mehrheit
hinterher. Das war ein Appell. Ich weiß, Sie nehmen ihn
mir jetzt übel. Ich glaube immer noch an die parlamentarische Demokratie. Vor allem das neugewählte Parlament, dem Sie womöglich angehören werden, muss sich
Arbeitsweisen und Verfahren überlegen, durch die die
Transparenz, also die Öffentlichkeit, die wir herstellen
müssen, aber auch die Beteiligung der Abgeordneten gesichert werden können. Das kann nicht geschehen, wenn
die Tagesordnung so umfangreich ist, dass mehr als
24 Stunden nötig sind, um sie zu bewältigen.
Vielen Dank. - Zunächst möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen herzlich danken, dass sie bei diesem
Tagesordnungspunkt und auch bei weiteren zu dieser
späten Stunde noch da sind. Es zeigt, dass dieses Thema
von uns allen hier sehr ernst genommen wird.
({0})
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, auch in Zukunft
permanent über die Wirkung unserer Arbeitsweise zu reden und zu sprechen. Wir sollten weiterhin darüber
nachdenken, was wir zukünftig verbessern können.
Jetzt hat der Kollege Hubert Hüppe das Wort für die
Fraktion von CDU/CSU.
({1})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich teile die Auffassung von Herrn Fricke,
dass Sie, Frau Rupprecht - wir kennen uns lange genug -,
sehr viel Engagement zeigen. Ich könnte aber auch sagen: Vielleicht überzeugen Sie einmal Ihre eigene Fraktion, nicht so viele Anträge zu stellen, die eigentlich nur
noch etwas mit Wahlkampf zu tun haben,
({0})
sondern nur noch solche, die wirklich inhaltlich begründet sind. Dann bräuchten wir nicht um diese Uhrzeit
diese Vorlagen zu beraten.
Ich nutze meine wenigen Minuten Redezeit für ein
Thema, das gerade für den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen wichtig
ist. Angesichts der vielen Regelungen, die wir zu einem
einzigen Gesetzentwurf zusammengeführt haben, erscheint das erst einmal nicht so wichtig; es ist aber für
eine bestimmte Gruppe sehr wichtig - da sind wir uns einig -, und zwar nicht so sehr für die Pflegefamilien, son30304
dern für die Kinder mit Behinderung. Ich beziehe mich
auf § 54 Abs. 3 SGB XII; das sagt wahrscheinlich nicht
jedem sofort etwas.
Unser Problem ist, dass es laut Gesetz leider immer
noch zwei Gruppen von Kindern gibt, nämlich Kinder
mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung. Die einen gehören nach dem jetzigen Recht in den Bereich der
Jugendhilfe, und die anderen fallen unter die Eingliederungshilfe. Aber eigentlich gehört sich diese Unterscheidung nicht; denn Kinder sind erst einmal Kinder, egal ob
sie behindert oder nicht behindert sind.
({1})
Es ist so, dass bis 2009 die Eingliederungshilfe für
Kinder mit Behinderung die Unterbringung in Pflegefamilien gar nicht vorsah. Ich selbst habe in meinem Wahlkreis erlebt, dass ein kleines, fast neugeborenes Kind mit
Behinderung, das von seiner Familie abgelehnt worden
ist, von einem Kinderkrankenhaus in eine Profipflegefamilie vermittelt worden ist. Das zuständige Jugendamt
hat alles dafür getan, dieses Kind in einem Heim unterzubringen. Der Grund war, dass dieses Jugendamt zwar
die Pflegefamilie hätte bezahlen müssen, nicht aber die
Unterbringung in einem Heim, weil es einem überörtlichen Träger der Sozialhilfe untersteht. Es darf nicht wieder passieren, dass Kinder aus finanziellen Gründen in
Einrichtungen gebracht werden, in die sie nicht gehören.
({2})
Insofern ist die Fristverlängerung des § 54 Abs. 3
SGB XII wichtig. Es gibt sie seit 2009. Frau Rupprecht
hat mit für sie gekämpft. Aber auch die CDU/CSU-Fraktion hat damals - auch auf meinen Hinweis hin; ich war
damals noch Beauftragter der CDU/CSU-Fraktion für
die Belange von Menschen mit Behinderungen - ein
Fachgespräch zum Thema und Gespräche geführt mit
Pflegeeltern und mit Verbänden, unter anderem mit der
Diakonie Düsseldorf, die auf diesem Gebiet schon sehr
lange aktiv ist und die Schwierigkeiten kannte. Wir haben eine Lösung gefunden: § 54 Abs. 3 SGB XII ermöglicht es, diese Kinder im Rahmen der Eingliederungshilfe in Familien unterzubringen. Vorher war es so:
Kinder wurden zwischen Kostenträgern hin und her geschoben. Örtliche Sozialhilfeträger haben sich geweigert. Argument: Es gibt die Betreuung in einer Pflegefamilie nicht nach der Eingliederungshilfe. - Die
Jugendhilfe hat gesagt: Wir zahlen das nicht. Das ist
nicht Jugendhilfe; das ist Eingliederungshilfe. Wir sind
für diese Kinder nicht zuständig.
Wir haben heute noch ein Problem. Es gibt auch die
seelisch behinderten Kinder. Dann entsteht auch noch
Streit darüber: Ist es ein seelisch behindertes Kind oder
ein sogenanntes geistig behindertes Kind? Es verrinnt
wertvolle Zeit, die die Kinder für ihre Entwicklung
bräuchten.
Deswegen haben wir damals eine Regelung eingeführt. Wir haben sie befristet bis zum Jahr 2013. Wenn
wir jetzt nichts tun würden, würde diese Regelung auslaufen, und diese Kinder müssten möglicherweise in
Heimeinrichtungen.
Ich habe mich sehr darüber geärgert - das will ich an
dieser Stelle einmal sagen -, dass ein Wohlfahrtsverband
mich angeschrieben hat, weil ich in einer Presseerklärung geschrieben habe, es gehe darum, zu verhindern,
dass diese Kinder in Heimen untergebracht würden, und
die Pflegefamilie sei die bessere Alternative. Dieser
Wohlfahrtsverband hat gesagt, ich sollte die Heime nicht
in ein schlechtes Licht rücken; die seien doch manchmal
vielleicht sogar besser für die Kinder.
Kinder, ob behindert oder nicht, haben ein Recht auf
Familie. Wenn das in der leiblichen Familie nicht zu gewährleisten ist, ist die Pflegefamilie einer Heimeinrichtung vorzuziehen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir nicht,
wie es jetzt im Entwurf heißt, bis zum Ende des Jahres
2018 warten müssen. Wir hatten die Befristung bis 2013
hineingeschrieben, weil wir gehofft hatten, es würde
eine große Lösung geben, sodass die Kinder - das steht
auch im 14. Kinder- und Jugendbericht - nicht mehr danach sortiert werden, ob sie behindert sind oder nicht behindert sind. In diesem Bericht spricht die Bundesregierung sich in ihrer Stellungnahme für eine solche große
Lösung aus.
Jetzt hoffe ich, dass nicht weiter der eine dem anderen
den Schwarzen Peter zuschiebt, dass die Länder, der
Bund und die Kommunen zusammenarbeiten, damit
Kinder eine Chance haben, damit behinderte Kinder dieselben Rechte haben wie nicht behinderte Kinder. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Frist verlängern.
Wir hoffen aber, dass diese Regelung früher abgelöst
wird, nämlich durch eine Lösung, die allen Kindern hilft.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Kollege Hubert Hüppe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Ju-
gendhilfe. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13531, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/13023 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitions-
fraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer
stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt
dagegen? - Das ist niemand. Enthaltungen? - Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzent-
wurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/12907. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf der Drucksache 17/12063 mit dem Titel
„Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume
schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten
und Linksfraktion. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/11376 mit dem Titel „Eigenstän-
dige Jugendpolitik - Selbstbestimmt durch Freiheit,
Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfrak-
tion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkte 20 c und 20 d. Interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 17/12200 und 17/13473 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Widerspruch erhebt sich nicht.
Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel
Humme, Petra Crone, Angelika Graf ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Rechte intersexueller Menschen stärken
- Drucksache 17/13253 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Grundrechte von intersexuellen Menschen
wahren
- Drucksache 17/12859 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Volker Beck ({3}), Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Grundrechte von intersexuellen Menschen
wahren
- Drucksache 17/12851 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden.
({5})
- Darf ich Sie bitten, die notwendige Konzentration zu
haben.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/13253, 17/12859 und 17/12851
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau
und weiterer Gesetze
- Drucksache 17/12815 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze
- Drucksache 17/13061 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({6})
- Drucksache 17/13318 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Kudla
Björn Sänger
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) -
Alle sind damit einverstanden, sodass wir gleich zur Ab-
stimmung kommen. Der Finanzausschuss empfiehlt in
1) Anlage 11
2) Anlage 13
Vizepräsident Eduard Oswald
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13318,
die genannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP auf Drucksache 17/12815 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 17/13061 zusammenzuführen und als Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen?
- Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Graf ({7}), Wolfgang Gunkel,
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte der Baha’í wahren
- Drucksache 17/13474 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Wir beraten parallel zur aktuellen weltweiten Kampagne der internationalen Bahai-Gemeinde zur Freilassung der seit fünf Jahren inhaftierten sieben Führungsmitglieder über einen Antrag, in dem sich die
SPD-Fraktion für eine Stärkung der Religionsfreiheit
im Iran und die Wahrung der Menschenrechte der Bahai ausspricht.
Lassen Sie mich zunächst die großen Defizite des
Iran bei der Frage der Religionsfreiheit in einigen
Punkten zusammenfassen, bevor ich auf die nach wie
vor alarmierende Situation der Bahai eingehen werde.
Im Anschluss werde ich verdeutlichen, warum wir
zwar die grundsätzliche Zielrichtung Ihres Antrags unterstützen, ihn in dieser Form aber nicht mittragen
können.
Im Weltverfolgungsindex 2013 des christlichen
Hilfswerks Open Doors steht der Iran an achter Stelle
der 50 Staaten, in denen christliche Minderheiten am
stärksten bedrängt und verfolgt werden. Auch in ihrem
aktuellen Bericht hat die United States Commission on
International Religious Freedom, USCIRF, dem amerikanischen Außenministerium empfohlen, den Iran
unter dem International Religious Freedom Act, IRFA,
erneut als Country of Particular Concern, CPC, einzustufen.
Die massive Verschlechterung der Situation der religiösen Minderheiten begann 2004 mit dem Wahlsieg
konservativer Parteien. Im Juni 2005 folgte auf die
Wahl des konservativen Hardliners Mahmud
Ahmadinedschad zum Präsidenten eine neue Welle der
Verfolgung. Präsident Ahmadinedschad bejubelte seinen Wahlsieg als neue islamische Revolution, die sich
weltweit verbreiten könne, und versprach die Wiederherstellung einer „islamischen Regierung“ im Iran.
Seine umstrittene Wiederwahl im Juni 2009 löste landesweite Proteste aus. Bei dem darauffolgenden harten Vorgehen der staatlichen Behörden gegen die Demokratiebewegung wurden auch die religiösen
Minderheiten hart getroffen.
Die Religionsfreiheit ist im Iran stark eingeschränkt, auch wenn nach der iranischen Verfassung
den „anerkannten“ vorislamischen und monotheistischen Gruppen zumindest formal teilweise die gesellschaftliche Anerkennung, politische Integration und
die Zuerkennung religiöser Rechte zustehen. Die Missionierung für ihre Religion ist aber keiner der religiösen Minderheiten gestattet.
Die christliche Minderheit setzt sich aus traditionellen, „anerkannten“ und neueren, mitunter stark verfolgten Gemeinschaften - wie zum Beispiel protestantischen und evangelikalen Gruppen - zusammen.
Dennoch berichten auch Mitglieder „anerkannter“
Christengemeinschaften von Repressionen und Diskriminierung, denen sie aufgrund ihres Glaubens ausgesetzt sind. Menschen, die vom Islam zu anderen Religionen wechseln, sind zum Teil sogar von strafrechtlicher Verfolgung bedroht, da der Abfall vom Glauben
- die sogenannte Apostasie - im Iran mit der Todesstrafe geahndet werden kann.
Religiöse Minderheiten unterliegen darüber hinaus
konkreten Beschränkungen im Zivil- und Strafrecht
und werden in der Arbeitswelt und beim Zugang zur
Bildung stark benachteiligt. Strafrechtlich wird zwischen Muslimen und Nichtmuslimen unterschieden.
Selbst Heiratsverbote existieren. So darf ein Nichtmuslim keine Muslimin heiraten. Obwohl rechtlich nicht
verankert, gilt die Ehe eines Muslims mit einer Nichtmuslimin gemeinhin ebenfalls als verboten.
Insgesamt wächst der Druck auf Nichtmuslime, unter anderem auch auf Juden, die zu den ältesten und
größten religiösen Minderheiten des Irans zählen.
Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für
Menschenrechte, IGFM, hat die Anzahl der Mitglieder
der traditionellen religiösen Minderheiten deshalb
kontinuierlich abgenommen. Aber auch iranische
Muslime, die nicht der schiitischen Mehrheitsreligion
angehören - wie Sunniten, Sufis und ähnliche
Gruppen -, werden staatlicherseits und gesellschaftlich stark diskriminiert, als Bürger zweiter Klasse behandelt und zum Teil verfolgt. Dies gilt zum Beispiel
für die Ausübung ihrer Religion, die Besetzung öffentlicher Ämter oder im Berufsleben.
Ende 2010 und Anfang 2011 kam es zu Massenverhaftungen von Christen. Insgesamt wurden über
200 Personen festgenommen. Zu den Verhaftungswellen führten öffentliche christenfeindliche Äußerungen
hochrangiger religiöser und politischer Führer. Im
Oktober 2010 hatte der oberste geistliche Führer des
Iran, Ajatollah Ali Chamenei, in einer öffentlichen Ansprache zum ersten Mal vor der Gefahr durch wachsende Hauskirchen im Land gewarnt. Auch Geheimdienstminister Heydar Moslehi warnte vor der
Bedrohung durch christliche Hauskirchen und andere
christliche Aktivitäten. Seinen Aussagen zufolge hätten
„seine Agenten“ Hunderte von Untergrundgruppen
entdeckt, unter anderem 200 in der bei Muslimen heiligen Stadt Maschhad. Als Reaktion auf die Festnahme
von Christen kündigte der Provinzgouverneur von Teheran, Morteza Tamadon, im Januar 2011 weitere Verhaftungen in naher Zukunft an. Er übte besonders Kritik an der christlichen Mission als eine „verdorbene,
abweichlerische Bewegung“ und nannte sie „eine kulturelle Invasion des Feindes“. Die protestantische Bewegung verglich er mit der Taliban und den Wahhabiten im Islam. Er deutete zudem an, dass neue
Anstrengungen unternommen würden, um das Anwachsen der hauskirchlichen Bewegung im Iran zu bekämpfen. Die öffentliche christenfeindliche Rhetorik
hochrangiger Führer ist auch für die gestiegene Zahl
von Festnahmen von Christen verantwortlich. Zwar
kamen die meisten Festgenommenen später wieder
frei, doch der Druck auf Hausgemeinden von Christen
muslimischer Herkunft bleibt unvermindert hoch. Seit
September 2011 sind mindestens 46 Christen verhaftet
worden. Die Regierung kontrolliert das Internet und
überwacht christliche Internetseiten und Fernseh- und
Radiostationen.
Nicht anerkannte Gruppen haben demgegenüber
keinerlei Rechtsanspruch und Rechtssicherheit. Besondere Missachtung wird der Religionsgemeinschaft
der Bahai entgegengebracht, deren Mitglieder nicht
nur zu den Ungläubigen, sondern zu den „Schmutzigen“ gezählt werden. Entgegen der Auffassung des islamischen Klerus betrachten die Bahai Mohammed
nicht als den letzten Propheten. Gemäß den Lehren ihres Glaubens mischen sie sich nicht in die iranische
Politik ein und praktizieren das Prinzip der Gewaltlosigkeit.
Theologisch betrachtet, gelten Bahai im orthodoxen
Islam als Abgefallene. Ihre Religion wurzelt im schiitischen Islam, hat sich aber von ihm gelöst. Daher gelten sie nicht als schützenswerte Minderheit. Ihre Verfolgung wird mit Zielen der „nationalen Sicherheit“
begründet und von der Staatsführung instrumentalisiert, um sich die Unterstützung der Massen zu sichern. Menschenrechtsverletzungen an den Bahai sind
daher oftmals staatlich inszeniert und gesteuert.
Seit der islamischen Revolution hat sich auch ihre
Situation im Iran weiter verschlechtert. Bis heute wird
ihnen die Aufnahme in Bildungseinrichtungen verweigert, Angestellten im öffentlichen Dienst wurde ohne
Sozialversicherung und Rente gekündigt, Gehälter und
Ausbildungskosten mussten unter Androhung von Gefängnis zurückgezahlt werden. Bahai-Eigentum wurde
enteignet, Geschäftsverkehr mit Angehörigen der Religion verboten, Läden und Geschäfte wurden geschlossen, Geschäfts- und Privatkonten gesperrt. Immer wieder kam es zu Pogromen. Alle Bahai werden
seit dem Amtsantritt des Präsidenten Mahmud
Ahmadinedschad systematisch vom Geheimdienst
überwacht. Das im Jahr 1983 erklärte Verbot der Bahai als Organisation wurde in einem am 15. Februar
2009 veröffentlichten Schreiben des Generalstaatsanwalts Najafabadi bestätigt. Ferner wird den Bahai
häufig Spionage für den Westen vorgeworfen, da ihr
religiöses Zentrum in Haifa im Norden Israels liegt.
Die Bahai-Gemeinde im Iran zählt aufgrund dieses
Verfolgungsdrucks nur noch rund 300 000 bis 350 000
Gläubige.
Die deutsche Bundesregierung und die Europäische
Union haben auch in jüngerer Zeit mehrfach Menschenrechtsverletzungen an den Bahai gegenüber Teheran mit Demarchen zur Sprache gebracht. Auch das
Europäische Parlament und der Europäische Rat äußern sich regelmäßig zur Menschenrechtslage der Bahai im Iran. So hat jüngst der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, vor dem
Hintergrund des bevorstehenden fünften Jahrestages
der Inhaftierung der sieben Führungsmitglieder von
der iranischen Regierung die Aufhebung der Urteile
gefordert. Er betonte, dass die Verfolgung der Bahai
und anderer religiöser Minderheiten gegen das Recht
auf Religionsfreiheit verstoße. Zu dessen Einhaltung
habe sich der Iran mit der Unterzeichnung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische
Rechte verpflichtet.
Aus demselben Anlass hat auch die Vorsitzende der
Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unsere Kollegin
Erika Steinbach, den Iran daran erinnert, dass er als
Vertragsstaat des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte an die darin enthaltenen menschenrechtlichen Verpflichtungen gebunden
ist.
Innerhalb der Unionsbundestagsfraktion haben wir
die kritische Menschenrechtssituation im Iran - und
hier vor allem den Aspekt der Religionsfreiheit - auch
im Stephanuskreis thematisiert, zuletzt im April 2013.
In diesem Kreis haben sich auf meine Initiative hin
mittlerweile 58 Kolleginnen und Kollegen aus der
Unionsfraktion zusammengeschlossen. In Erinnerung
an den ersten christlichen Märtyrer, dem sowohl Katholiken als auch Protestanten gedenken, hat der Stephanuskreis die Religionsfreiheit ins Zentrum seiner
Arbeit gestellt und widmet sich dabei insbesondere der
Lage verfolgter Christen in aller Welt. Nach unserer
Sitzung im April haben wir mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 das FaZu Protokoll gegebene Reden
zit gezogen, dass Deutschland gemeinsam mit seinen
Partnern auch bei einem möglichen Wahlsieg eines
vermeintlichen Reformers weiter auf den Iran einwirken muss, um die bedrohliche Situation der religiösen
Minderheiten zu verbessern. In diesem Zusammenhang
erwartet auch die schon von mir erwähnte USCIRF,
dass die iranische Regierung bereits im Vorfeld der
Wahlen ihre Anstrengungen erhöhen wird, jede Form
von Dissens im Keim zu ersticken und die religiösen
Minderheiten zu Sündenböcken zu machen.
In dieser Legislaturperiode hat sich der Deutsche
Bundestag ebenfalls bereits mehrfach mit der Lage der
Religionsfreiheit und der Menschenrechte im Iran befasst. So hat beispielsweise der umfassende Antrag der
Koalitionsfraktionen „Religionsfreiheit weltweit
schützen“, Bundestagsdrucksache 17/2334, unter anderem das Recht auf Religionswechsel thematisiert
und in diesem Zusammenhang auf den Iran verwiesen,
wo in einem solchen Fall denjenigen die Todesstrafe
droht, die sich einer anderen Religion als dem Islam
zuwenden. Zusätzlich hat der von den Koalitionsfraktionen vor dem Hintergrund der Eindrücke der Niederschlagung der sogenannten Grünen Revolution initiierte und später interfraktionell geöffnete Antrag
„Menschenrechtslage im Iran verbessern“, Bundestagsdrucksache 17/4011, den auch die SPD-Fraktion
mitgetragen hat, bereits im Jahr 2010 die Diskriminierung der religiösen Minderheiten im Iran ausführlich
thematisiert.
Wie meine Ausführungen gezeigt haben, wird also
bereits auf den unterschiedlichsten politischen Ebenen
intensiv auf eine Verbesserung der Situation der Religionsfreiheit und der bedrohlichen Lage der Bahai im
Iran hingearbeitet. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft konsequent weiter beschreiten.
Der Antrag der SPD geht nach unserer Auffassung
nur unwesentlich über die Forderungen hinaus, die
seitens der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung bereits in der Vergangenheit an den Iran gestellt
wurden und weiterhin gestellt werden. Vor diesem Hintergrund teilen wir zwar die grundsätzliche Zielsetzung des vorliegenden Antrags, können diesen aber
aus den genannten Gründen nicht mittragen.
Im November letzten Jahres besuchte ich im Rahmen einer Reise der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe den Iran. Unsere Reiseabsichten wurden
vorab stark in der Öffentlichkeit diskutiert. Ich bin
froh, dass wir trotz aller Kritik dennoch das Land besucht haben. Der Schwerpunkt unserer Gespräche lag
auf dem Thema Menschenrechte. Ich denke, das ist ein
Bereich, in dem Fortschritte nicht durch Sanktionen
oder einfaches Ignorieren der Regierung erreicht werden, sondern durch kontinuierlichen Dialog, kritische
Nachfragen und das Erkunden der Situation vor Ort.
Die menschrechtliche Lage im Iran ist dramatisch.
Das machte auch Ahmad Shaheed, der derzeitige UNSonderberichterstatter zum Iran, in seinem jüngsten
Bericht im Februar dieses Jahres erneut deutlich. Die
Religionsfreiheit ist durch das Regime besonders gefährdet. Die Situation nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften oder bekennender Atheisten ist prekär.
Vor allem die Glaubensgemeinschaft der Bahai steht
im Fokus der iranischen Regierung. Ihnen wird vorgeworfen, Spitzel Israels zu sein und Spionage für den
Westen zu betreiben. Seit den umstrittenen Wahlen
2009 hat sich die Menschenrechtslage stetig verschlechtert. 50 Iraner hat die Bundesrepublik Deutschland damals als politische Flüchtlinge mit Flüchtlingsstatus aufgenommen, unter ihnen auch einige Bahai.
In ihrem Heimatland wird ihre Glaubensgemeinschaft
systematisch diskriminiert und verfolgt und vom gesellschaftlichen und politischen Leben ausgegrenzt.
Sie müssen um ihr Überleben bangen. Diese Tatsache
deckte der damalige UN-Sonderberichterstatter für
Menschenrechte im Iran, Galindo Pohl, bereits 1993
auf. Seitdem hat sich die Situation weiter verschlimmert. Die Unterdrückung der Bahai erfolgt auf mehreren unterschiedlichen Ebenen.
Die iranische Verfassung erkennt die Bahai nicht
als religiöse Minderheit an, weil sie nach dem Islam
entstanden ist. Nur vorislamischen, monotheistischen
Gruppen wie den Christen, Juden und Zoroastriern
werden in Art. 13 der iranischen Verfassung zumindest
teilweise die gesellschaftliche Anerkennung, politische
Integration und die Zuerkennung religiöser Rechte zugestanden. Doch auch die Situation der anerkannten
Gruppen ist kritisch. Grundsätzlich werden religiöse
Minderheiten anders behandelt als Muslime. Christen,
die nicht zu den alteingesessenen ethnischen oder religiösen Minderheiten des Iran gehören, sehen sich oft
mit Verhaftungen, Drohungen seitens hoher Funktionsträger und Vorwürfen der Apostasie konfrontiert.
Die freie Wahl und die Verbreitung des Glaubens ist
ebenfalls stark eingeschränkt. Staatsreligion ist die
Scharia. Selbst Sunniten haben durchaus Probleme.
Strafrechtliche Verfolgung droht aber denjenigen, die
vom Islam zu einem anderen Glauben konvertieren
wollen oder sich als Atheisten outen. Der Abfall vom
muslimischen Glauben - Apostasie - kann mit der Todesstrafe belegt werden. Unterscheidungen zwischen
Muslimen und Nichtmuslimen sind alltäglich, ebenso
wie Diskriminierungen im Arbeitsleben und im Bildungssystem. Darüber kann auch der Parlamentssitz
für Juden, orthodoxe Christen und Zoroastrier nicht
hinwegtäuschen.
Das betrifft die Menschen ganz gravierend im Alltagsleben: Ein Liebespaar aus unterschiedlichen religiösen Bevölkerungsgruppen hat keine Zukunft. Einem
Nichtmuslim ist es gesetzlich verboten, eine muslimische Frau zu heiraten. Rechtlich ist es zwar nicht verankert, jedoch als gemeinhin verboten gilt die Ehe eines Muslims mit einer Nichtmuslimin. Sie muss
gegebenenfalls konvertieren. Missionarische Tätigkeiten, selbst von den anerkannten Gemeinschaften, sind
streng verboten. Dies betrifft vor allem Angehörige
evangelikaler Freikirchen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Angelika Graf ({0})
Nichtanerkannte Gruppen wie die Bahai sind im
Iran weitgehend rechtlos. Dabei haben sie als pazifistische, aufgeklärte Religion weltweit rund 7 Millionen
Anhänger. Sie sind - wie zum Beispiel hier bei uns in
Deutschland - als Körperschaft des Öffentlichen
Rechts anerkannt. Selbst bei den Vereinten Nationen
haben sie einen beratenden Status. Im Iran wird ihnen
jegliche Anerkennung versagt, und das, obwohl sie mit
300 000 Anhängern die größte religiöse Minderheit
bilden.
Menschenrechtsverletzungen an den Baha‘i sind
oftmals staatlich veranlasst und gesteuert. Im vergangen Jahr war besonders die Provinz Semnan von Festnahmen betroffen, mit dramatischen Folgen für die
Familien. Wenn die Eltern inhaftiert sind, ist niemand
mehr da, der Geld verdienen kann. Sitzen die Eltern
für längere Zeit - oft zwei oder drei Jahre - im Gefängnis, sind meist alle finanziellen Reserven aufgebraucht. Auch die willkürlichen Schließungen von Geschäften oder das Entziehen von Gewerbescheinen
haben gravierende Folgen für die finanzielle Sicherheit und das Überleben der Bahai-Mitglieder. Eine Arbeit im öffentlichen Dienst zu finden, ist für sie unmöglich. Inoffiziell werden Listen mit Namen von BahaiAngehörigen geführt - ihnen werden regelmäßig Stellen im öffentlichen Dienst verweigert oder ihnen wird
gekündigt. Der ökonomische Druck ist hoch. Das Berufsverbot geht auch mit dem Verlust von Pensionsund Rentenansprüchen einher. Hinzu kommt, dass die
iranische Regierung de facto Bahai-Angehörigen die
höhere Schulbildung verweigert und die Baha‘i somit
von vornherein nicht die gleichen Chancen auf dem
Arbeitsmarkt haben. Über das Internet versuchen die
Bahai dennoch, sich weiterzubilden.
In diesen Tagen jährt sich zum fünften Mal die Verhaftung des informellen Führungsgremiums der Bahai-Gemeinde. Im Mai 2008 wurde die siebenköpfige
Riege verhaftet. Im August 2010 wurden sie in einem
grob unfairen Gerichtsverfahren der Spionage für Israel und der Propaganda gegen den Islam schuldig gesprochen. Sie wurden zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Angesichts der prekären Situation der religiösen
Minderheiten, besonders der Bahai, und bekennender
Atheisten im Iran fordern wir die Bundesregierung auf,
stärker als bisher aktiv zu werden. Zum Beispiel, indem Gruppenverfolgte der Bahai in Deutschland als
Flüchtlinge aufgenommen werden oder die Religionsund Weltanschauungsfreiheit in den multi- und bilateralen Gesprächen verstärkt eingebracht wird.
In ihrem Antrag fordert die SPD die Bundesregierung auf, auf internationaler und nationaler Ebene die
Religionsfreiheit im Iran zu stärken und die Menschenrechte der Bahai zu wahren. Dazu möchte ich sagen,
dass diese christlich-liberale Bundesregierung wie
keine andere Regierungskoalition zuvor die Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt
hat. Entsprechend haben wir im Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion
explizit festgeschrieben, dass sich diese Regierungskoalition weltweit für Religionsfreiheit einsetzen wird.
Auch haben wir in unserem gemeinsamen Antrag
„Religionsfreiheit weltweit schützen“ die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich auf binationaler und
multinationaler Ebene weiterhin mit Nachdruck für die
Religionsfreiheit zu engagieren. In diesem Antrag vom
30. Juni 2010 haben wir im Übrigen dediziert auf die
Situation der Bahai im Iran hingewiesen und deutlich
gemacht, dass sich die Situation der Bahai im Iran
dramatisch verschlechtert hat.
Der Forderung des Deutschen Bundestages, sich
für die Religionsfreiheit einzusetzen, kommt diese
christliche-liberale Bundesregierung mit den unterschiedlichsten Mitteln sowie auf allen Ebenen nach.
Mit Nachdruck macht sich die Bundesregierung dabei
für die Rechte der Bahai stark. Lassen Sie mich bitte
zusammenfassen, auf welchen Wegen dies geschieht.
Erst letzte Woche, am 8. Mai 2013, hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung von der
Regierung in Teheran die Freilassung der im Iran inhaftierten Bahai gefordert. Wie Sie sicher wissen, sitzt
seit fünf Jahren die Führung der iranischen Bahai-Gemeinde im Gefängnis. Sie wurde in einem intransparenten Gerichtsverfahren unter Missachtung grundlegender rechtsstaatlicher Regeln zu jeweils 20 Jahren
Haft verurteilt.
Gern zitiere ich aus dem Aufruf des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung: „Ich fordere
die Justiz auf“, sagt Markus Löning, „ die unrechtmäßigen Urteile sofort aufzuheben. Die sieben Bahai und
alle anderen aufgrund ihrer religiösen Gesinnung Inhaftierten müssen unverzüglich freigelassen werden.“
Zu diesem Gerichtsprozess gegen die Führung der
iranischen Bahai-Gemeinde ist außerdem anzumerken, dass sich diese Bundesregierung auch schon vor
der Verurteilung für die Freilassung der seinerzeit angeklagten Führung der iranischen Bahai-Gemeinde
eingesetzt hat. So hat der damalige Staatssekretär des
Auswärtigen Amts, Dr. Wolf-Ruthart Born, am 15. Juni
2010 den iranischen Botschafter einbestellt und dringend auf die Einhaltung grundlegender bürgerlicher
Rechte im Verfahren appelliert.
Ebenfalls am 8. Mai 2013 forderte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung die iranische
Regierung auf, dass sich der Iran an die von ihm unterzeichneten völkerrechtlichen Verträge hält; denn - so
stellt der Menschenrechtsbeauftragte unmissverständlich fest, - „die Verfolgung der Bahai und anderer religiöser Minderheiten verstößt gegen das Recht auf
Religionsfreiheit. Iran hat sich zu dessen Einhaltung
mit der Unterzeichnung des Internationalen Paktes
über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet.
Daran muss sich der Iran nun auch halten.“
Auch am 14. November 2012 hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung die Verfolgung
Zu Protokoll gegebene Reden
von Angehörigen der Bahai im Iran verurteilt. Insbesondere bezog er sich dabei auf die Berichte über die
Verfolgung der Bahai in der iranischen Provinz Semnan.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bunderegierung stellte damals fest, dass Anschläge, Verhaftungen
und gezielte Einschüchterungen von Angehörigen der
Bahai ebensowenig hinnehmbar sind wie die willkürliche Schließung von Geschäften und die Exmatrikulation vonseiten iranischen Universitäten. Iran verstoße
damit gegen die fundamentalen Prinzipien der Religionsfreiheit, zu deren Einhaltung sich Iran unter anderem durch die Unterzeichnung des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet hat. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung appellierte daher an die iranische Führung, der Verfolgung von Angehörigen der Bahai
umgehend Einhalt zu gebieten und sich an seine völkerrechtlichen Verpflichtungen zu halten.
Diese Bundesregierung ruft den Iran regelmäßig
zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich auf, unter anderem - um nur ein paar
Beispiele zu nennen - : am 22. Februar 2012 im Fall
Youssuf Nadarkhani; am 3. März 2012 im Fall Youssuf
Nadarkhani; am 5. März 2012 im Fall Abdolfattah
Soltani; am 11. Mai 2012 bezüglich der Bahai und am
3. Juli 2012 bezüglich religiöser und ethnischer Minderheiten.
Letztlich möchte ich auf einen gemeinsamen Antrag
von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen verweisen; denn der Deutsche Bundestag hat bereits am 1. Dezember 2010 in guter Zusammenarbeit
und in voller Übereinstimmung die Bundesregierung
dazu aufgefordert, „gegenüber dem iranischen Regime
weiterhin im bilateralen und multilateralen Rahmen
nachdrücklich deutlich zu machen, dass der Iran als
Vertragsstaat des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte ({0}) die
darin festgehaltenen menschenrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten und seinen Bürger essenzielle
Menschenrechte zu gewähren hat“ und dabei vor allem auf die „Nichtdiskriminierung von ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten“ verwiesen.
Daher kann ich zusammenfassend sagen, dass der
Antrag der SPD zwar gewiss gut gemeint ist, aber faktisch leerläuft und daher abzulehnen ist. Denn wie die
wenigen Beispiele, die ich angeführt habe, zeigen,
setzt sich diese Bundesregierung für die Religionsfreiheit im Iran und die Rechte der Bahai kontinuierlich
und nachhaltig ein.
Leider müssen wir feststellen, dass sich die Lage
der Menschenrechte im Iran in den letzten Jahren nicht
verbessert hat. Die freie Meinungsäußerung, aber
auch die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind
weiterhin stark einschränkt. Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger müssen mit
Überwachung und willkürlichen Verhaftungen rechnen. Oppositionelle, engagierte Frauenrechtlerinnen
und Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten
sind häufig Verfolgung ausgesetzt und werden zu drakonischen Gefängnisstrafen verurteilt. Des Weiteren
gehört der Iran auch zu den Ländern, die weltweit die
meisten Todesurteile vollstrecken.
Der Iran hat sowohl den Zivilpakt als auch den Sozialpakt ratifiziert. Deshalb sind diese Verträge für den
Iran völkerrechtlich verpflichtend. Ausdrücklich unterstützten wir die Forderung im Antrag der SPD, bei
bilateralen Gesprächen die Einhaltung dieser Pakte
anzumahnen und Verletzungen des Rechtes auf freie
Religionsausübung oder des Rechtes auf Bildung zu
thematisieren.
Die Gesetzgebung und die Rechtsprechung im Iran
diskriminierten zweifellos Angehörige religiöser und
ethnischer Minderheiten. Deshalb ist der Antrag „Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte
der Bahá’í wahren“ grundsätzlich zu begrüßen, da
hierdurch eine Debatte im Bundestag über die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer politischen
und religiösen Überzeugung möglich wird.
Ausdrücklich unterstützt die Fraktion Die Linke die
Forderung, dass alle Menschen ein uneingeschränktes
Recht haben müssen, ihren Glauben frei zu leben und
auszuüben. Dies schließt für uns selbstverständlich
auch das Recht auf negative Religionsfreiheit, also das
Bekenntnis gegen jede Religion, ebenso wie das Recht,
die Religion wechseln zu können, mit ein.
Staaten haben auf der anderen Seite die Pflicht, sich
gegenüber allen Glaubensrichtungen neutral zu verhalten. Die Fraktion Die Linke setzt sich seit ihrer
Gründung für eine klare Trennung von Staat und Religion ein. Auch diese Forderung gilt für uns universal.
Nur wenn ein Staat eine laizistische Grundausrichtung
hat, kann wirkliche Religionsfreiheit, als individuelles
und privates Recht, erreicht werden.
Von einer solchen Entwicklung ist der Iran, wie
auch viele westliche Staaten, leider weit entfernt. Religiöse Minderheiten werden im Iran benachteiligt, häufig auch verfolgt. Gerade auch die Bahá’í werden in
dem Land ihrer Religionsstiftung, dem ehemaligen
Persien und der heutigen Islamischen Republik Iran,
massiv diskriminiert.
Die Geschichte der Bahá’í ist seit ihrer Gründung
auch eine Geschichte von Verfolgung und Unterdrückung. Die Religionsgemeinschaft der Bahá’í wird
selbst heute noch als Sekte diffamiert, übrigens auch in
nicht wenigen westlichen Staaten. In vielen muslimischen Ländern begegnet ihnen häufig das Vorurteil, sie
seien Apostaten, also vom „wahren Glauben“ Abgefallene. Schon der Religionsstifter Mirza Husain Ali Nuri
musste wegen massiver Anfeindungen im 19. Jahrhundert aus Persien fliehen.
Demokratinnen und Demokraten sind gefordert,
wenn Menschen wegen ihres Glaubens, aber auch weZu Protokoll gegebene Reden
gen ihres Nichtglaubens diskriminiert werden. Die
Linke verurteilt jeglichen religiösen Fanatismus und
begegnet allen, die vom „einzig wahren Glauben“
sprechen, mit kritischer Distanz.
Fundamentalistische Missionare kennen wir gerade
auch aus dem fundamental-christlichen Umfeld mit allen ihren negativen Auswirkungen auf die jeweiligen
Gesellschaften. Deshalb ist es für mich auch wichtig,
dass wir allen Eiferern, egal ob aus dem christlichen,
dem jüdischen, dem hinduistischen, wie aus dem muslimischen Glauben, mit aufklärerischer Kritik entgegentreten und die Errungenschaft und Bedeutung des
Säkularismus für demokratische Gesellschaften hervorheben.
Religiösen Eiferern in christlichen Ländern steht
die Linke genauso skeptisch gegenüber wie religiösen
Eiferern in muslimischen Ländern. Hier darf nicht mit
zweierlei Maß gemessen werden: Es sind zum Teil fundamentalistische, christlich-evangelikale Gruppen aus
Europa und den USA, die in Afrika die massive Diskriminierung von pluralistischen Lebensstilen, sexuellen
Ausrichtungen, aber auch von anderen Glaubensrichtungen betreiben.
Alle Menschen haben ein Menschenrecht, ihren
Glauben frei zu wählen, den Glauben zu wechseln oder
auch eine neue Religionsbewegung zu gründen. Kein
Staat hat das Recht, Menschen deshalb zu diskriminieren, zu kriminalisieren oder zu verfolgen. Gleichzeitig
haben auch die Religionsgesellschaften die Pflicht, anderen nicht ihre religiösen Gesetze aufzuzwingen oder
sie gegen ihren Willen an den eigenen Glauben binden
zu wollen.
Heute leben etwa 300 000 Baháí im Iran. Sie sind die
größte nichtmuslimische Minderheit in dem 75-Millionen-Einwohner-Land. Im Gegensatz zu Christen, Juden und Zoroastriern sind sie jedoch keine nach der
iranischen Verfassung anerkannte Gruppe. Hier setzt
der SPD-Antrag an. Mit seiner Forderung, „die verfassungsrechtliche Anerkennung der Baháí als religiöse Minderheit anzumahnen“ geht der Antrag unseres Erachtens jedoch zu weit. Gut gemeint heißt aber
nicht automatisch auch gut gemacht. Die Frage, ob religiöse Minderheiten verfassungsrechtlich anerkannt
werden, sollte nicht durch Einmischung von außen,
sondern in einer souveränen Entscheidung der jeweiligen Staaten entschieden werden. Richtiger wäre hier
die Forderung, dass alle Menschen im Iran ihre jeweilige religiöse Überzeugung frei leben und ausüben
können.
Auch die Forderung nach „Freilassung aller politischen und aus Gewissensgründen Inhaftierter“ schießt
über das Ziel hinaus. Richtig wäre hier die Forderung
nach Freilassung aller gewaltfreien politischen Gefangenen. Wir alle wissen, dass aufgrund der wechselhaften Geschichte des Iran viele politische Oppositionsgruppen zum Teil mit massiver Gewalt um ihre Ziele
gekämpft haben. Durch gewaltsame Aktionen gegen
den iranischen Staat wurden in den letzten Jahrzehnten viele Menschen getötet oder verletzt. Deshalb erscheint die bedingungslose Freilassung von allen politischen Gefangenen, auch wenn sie zum Teil schwere
Straftaten begangen haben, zumindest hinterfragbar.
Auch in den Staaten der Europäische Union werden
solche politischen Gefangenen keineswegs bedingungslos freigelassen.
Menschen müssen frei von Diskriminierung und
Verfolgung leben können. Gleichzeitig erwarten wir jedoch von der deutschen Außenpolitik, dass menschenrechtliche Forderungen nicht als Instrument für die
Durchsetzung von geostrategischen oder hegemonialen Interessen missbraucht werden. Eine Dämonisierung des Iran als Hort oder Achse des Bösen lehnen
wir entschieden ab. Es muss auch im Fall des Iran versucht werden, die vorhandenen gravierenden Menschenrechtsprobleme mittels Dialog zu lösen. Menschenrechte haben eine zivile Logik und lassen sich
nicht mit militärischen Interventionen von außen erzwingen.
Es ist Aufgabe der deutschen Außenpolitik, die Menschenrechtsverträge in der internationalen Zusammenarbeit immer wieder anzumahnen und nicht aufgrund
von wirtschaftlichen oder geopolitischen eigenen Interessen zu vernachlässigen und zu instrumentalisieren.
Die Menschenrechtsverträge wurden geschaffen, um
präventiv zu wirken und Menschenrechtsverletzungen
zu verhindern.
Wenn jedoch durch die deutsche Außenhandelspolitik und die Waffenlieferungen an despotische Regime
immer mehr die Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechtspolitik infrage gestellt wird, werden damit
letztlich die Menschenrechte immer weiter ausgehöhlt.
Für die Fraktion Die Linke setzt deshalb menschenrechtspolitische Arbeit gerade auch in der deutschen
Außenhandelspolitik an. Hier erwarten wir politische
Kohärenz. Nur dann sind Forderungen nach Einhaltung der universalen Menschenrechte überhaupt glaubwürdig.
Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit; dies Recht schließt die Freiheit ein,
seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, Religion oder Weltanschauung allein
oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen. So steht es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Art. 18. Der
Iran hat dies, wie 192 andere Staaten auch, ratifiziert.
Der im Februar 2013 veröffentlichte Bericht des UNSondergesandten für den Iran, Dr. Ahmed Shaheed, über
die Menschenrechtslage im Land zeigt, dass diese
Standards für viele religiöse Minderheiten im Iran
nicht gelten. Nach iranischer Verfassung sind einige
religiöse Minderheiten zwar formell der Staatsreligion
gleichgestellt, de facto werden sie jedoch noch in vielerlei Hinsicht diskriminiert.
Zu Protokoll gegebene Reden
Besonders alarmierend ist die Situation der Bahai,
der größten religiösen Minderheit im Iran. Anders als
Juden, Christen oder Zoroastrier werden Angehörige
der Religionsgemeinschaft der Bahai nicht durch die
Verfassung geschützt. Sie gelten als vom Islam Abgefallene und sind damit „Staatsfeinde“.
Mit allen Mitteln wird zunächst versucht, sie zum Islam zu bekehren. Religionsfreiheit aber ist auch ein
Schutzrecht für und vor Religion. Bleiben diese „Bekehrungsversuche“ erfolglos, muss ein gläubiger
Bahai mit willkürlicher Verhaftung, Vertreibung, Folter oder gar Hinrichtung rechnen. Oft wird den Bahai
Spionage vorgeworfen. Immer wieder berichten iranische Medien, die Bahai würden eng mit dem Westen
und vor allem mit Israel zusammenarbeiten, um den
Umsturz des iranischen Regimes herbeizuführen. Die
Verbreitung von Vorurteilen und Gerüchten führt zu
Misstrauen gegenüber den circa 300 000 im Iran lebenden Bahai. Bahai haben keine Möglichkeiten, in
Ministerien zu arbeiten oder gar Regierungsposten zu
bekleiden. Jugendliche werden wegen ihres Glaubens
an Schulen und Universitäten abgewiesen.
Momentan sind laut UN-Bericht 110 Mitglieder der
Bahai-Gemeinde in Haft, weitere 133 warten auf den
Vollzug ihrer Haftstrafe und noch einmal 268 Mitgliedern steht der Prozess bevor. Unter diesen 511 Menschen befinden sich auch zwei junge Mütter, Taraneh
Torabi und Zohreh Nikayin. Zusammen mit ihren Kleinkindern wurden Sie zu 20 beziehungsweise 23 Monaten
Haft verurteilt. Die iranischen Gefängnisse sind keine
kinderfreundliche Umgebung, gelinde gesagt.
Mit der Verfolgung von religiösen Minderheiten wie
den Bahai oder auch den neueren christlichen Kirchen
wie zum Beispiel den Baptisten verstößt der Iran systematisch gegen fundamentale Prinzipien der Religionsfreiheit, zu deren Einhaltung sich der Iran 1976 durch
die Unterzeichnung und Ratifizierung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte
nochmals verpflichtet hat.
Von den 169 für den UN-Report befragten Iranern
berichteten 81, von den iranischen Sicherheitskräften
gefoltert worden zu sein. Die Untersuchung der Fälle
bestätigte die Vorwürfe. 76 Prozent der Verhörten wurden gefoltert. Davon wurden mehr als die Hälfte Opfer
körperlicher Gewalt. Sie wurden mit Knüppeln, Kabeln oder Peitschen geschlagen, bis sie aussagten.
Man setzt die Befragten unter emotionalen Druck.
71 Prozent wurden Opfer seelischer Gewalt. Sie wurden gedemütigt, beleidigt und bedroht, bis sie aussagten, um die Qualen zu beenden.
Während meiner Reise in den Iran im Januar 2012
habe ich einen Menschenrechtsdialog zwischen Vertretern unterschiedlicher Institutionen der deutschen Gesellschaft und der Islamischen Republik Iran prinzipiell
begrüßt. Dafür müssen aber bestimmte Bedingungen
erfüllt sein: Erstens darf er Einzelschicksale nicht ausblenden. Bei Menschenrechten geht es immer um die
Rechte Einzelner. Zweitens sollte der Menschenrechtsdialog explizit für die Zivilgesellschaft, NGOs und
Universitäten beider Seiten offen sein. Drittens sollte
Kritik von beiden Seiten offen angesprochen werden
können. Hierzu gehört auch, die Berichte der Vereinten
Nationen und die darin enthaltenen Empfehlungen in
den Dialog einzubeziehen.
Die Bundesregierung übt nur verhalten Kritik an
der Diskriminierung religiöser Minderheiten im Iran,
so 2009 mit Bezug auf den Umgang mit der kommissarischen Führung der Bahai. Den sieben Mitgliedern
der Führung drohte die Todesstrafte wegen „Spionage
für Israel, Beleidigung religiöser Gefühle und Propaganda gegen die Islamische Republik“. Die Bundeskanzlerin drückte damals ihre Sorgen gegenüber dem
Geschäftsträger der iranischen Botschaft in Deutschland aus. Ein Anfang, aber leider eben nur ein Anfang.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag, der Zivilgesellschaft in Deutschland,
den NGOs und den internationalen Medien, in ihrer
Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen im
Iran nicht nachzulassen. Als Menschenrechtspolitiker
stehen wir auf der Seite der Schwachen, der Bedrohten, aller Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
Deswegen stehen wir an der Seite der Bahai.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13474 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Ja, das ist der Fall. Dann haben wir das
gemeinsam so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
- Drucksachen 17/12619, 17/13037 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 17/13527 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Groß
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) -
Alle sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13527,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sachen 17/12619 und 17/13037 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und
1) Anlage 14
Vizepräsident Eduard Oswald
Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Gregor Gysi, Klaus
Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Schließung des einzigen deutschen
Schienenherstellers TSTG Schienen Technik
in Duisburg - Übernahme des Unternehmens
durch die Deutsche Bahn AG
- Drucksachen 17/9581, 17/12880 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Für Deutschland und insbesondere für den Wirtschaftsstandort Duisburg wäre es ein Verlust, wenn der
einzige verbliebene Schienenhersteller auf deutschem
Boden, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG
in Duisburg, geschlossen würde. Ich denke, darin sind
wir uns einig. Bedauerlich wäre eine Schließung nicht
nur, weil eine erhebliche Anzahl an Mitarbeitern betroffen wäre. Deutschland würde auch großes unternehmerisches Know-how verlieren.
Als Grund für die geplante Schließung führt der
Vorstand der Voestalpine AG an, dass die Produktion
am Standort Duisburg-Bruckhausen nicht mehr rentabel sei. In den letzten Jahren hatte die TSTG mit sinkender Auslastung zu kämpfen. Sie hatte zuletzt hohe
Verluste eingefahren. Zurückzuführen ist dies offenbar
auf Überkapazitäten im Markt, die zu einer Zuspitzung
der Wettbewerbssituation und zu einem stark sinkenden Preisniveau führten.
Dass die voestalpine AG beschlossen hat, sich aus
dem Segment der Standardschienenproduktion zurückzuziehen, verwundert trotzdem ein wenig. Die DB Netz
AG hatte mit der TSTG noch im Jahr 2011 nach einem
wettbewerblichen Vergabeverfahren einen Rahmenvertrag über Schienenlieferungen im Wert von 75 Millionen Euro abgeschlossen. Der Zuschlag an die
Voestalpine AG konnte erfolgen, nachdem von den Bietern umfassende Sicherungsmaßnahmen gegen künftige Wettbewerbsverstöße zugesichert wurden und
Transparenz hinsichtlich der organisatorischen Konsequenzen aus dem Schienenkartell hergestellt wurde.
Damit hat der DB-Konzern bereits einen erheblichen
Beitrag zur Auslastung des Werkes geleistet.
Natürlich würden wir alle es sehr begrüßen, wenn
es gelingen würde, dieses Werk und selbstverständlich
auch die Arbeitsstellen zu erhalten. Die Konsequenz
daraus kann aber nicht sein, dass wir in die unternehmerische Planung der DB AG eingreifen.
Wie Sie wissen müssten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, ist der Einfluss der Bundesregierung auf die Deutsche Bahn AG beschränkt. Weder
der Bund noch andere Dritte können dem Privatunternehmen Deutsche Bahn AG Vorgaben machen, die in
den unternehmerischen Entscheidungsbereich eingreifen. Das ist auch richtig so - nicht nur aus rechtlichen
Gründen, sondern eigenständige unternehmerische
Entscheidungen entsprechen auch unserem Verständnis von Marktwirtschaft. Folglich kann und wird der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung auch nicht
mehrheitlich dazu auffordern, entsprechenden Einfluss
zu nehmen.
Ein Einstieg bei der TSTG wäre allein zwischen der
Deutschen Bahn AG und der Voestalpine AG zu verhandeln. Dies hat unser Bundesverkehrsminister
Dr. Peter Ramsauer Ihnen doch auch schon schriftlich
mitgeteilt. Er hatte Ihren ehemaligen Oberlinken
Klaus Ernst darüber informiert, dass die Beschaffung
von Schienen durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG in eigener Verantwortung erfolgt und dass er aus rechtlichen Gründen
hierauf keinen Einfluss nehmen kann. Es ist schon klar,
dass man bei Ihnen kein Vorwissen und schon gar kein
Verständnis von marktwirtschaftlichen Vorgängen erwarten kann. Aber alleine aufgrund der Information
durch unseren Verkehrsminister hätten Sie doch verstehen müssen, wo der Hammer hängt.
Hinzu kommt, dass wir doch alle - zumindest alle
außer Ihnen - wissen, dass die Produktion von Schienen nicht zum Kerngeschäft des DB-Konzerns gehört.
Und die DB AG beabsichtigt meines Wissens nach
auch nicht, in diesen Markt einzutreten. Für die DB
AG ist eine Übernahme des Werkes in Duisburg daher
auch keine Option.
Die Linken wollen den Bahnkonzern jedoch dazu
zwingen, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG
zu kaufen. Das sieht Ihnen wieder einmal ähnlich.
Auch wenn ich über Ihre Forderung nicht wirklich erstaunt bin, kann ich mir ein Kopfschütteln über Ihre
Auffassung von Ökonomie nicht verkneifen.
Man muss es sich wirklich einmal auf der Zunge
zergehen lassen: Was unsere Kommunisten von der
Linkspartei wollen, ist, dass ein gesundes Unternehmen zur Übernahme eines kranken Unternehmens und
damit zum Erzielen von Verlusten gezwungen werden
soll. Und es kommt noch besser: Die Folge wäre, dass
der Bund als Eigentümer ein Unternehmen finanziert,
das eventuell langfristig subventioniert werden muss,
das also vom Steuerzahler am Leben gehalten werden
muss. Da fällt mir nichts mehr ein - weder als Ökonom
noch als Steuerzahler oder als Politiker. Durch diesen
Vorgang wird wieder einmal sehr deutlich, dass die
Linken bis heute nicht in unserer sozialen Marktwirtschaft angekommen sind. Und deutlich wird umso
mehr: Es ist gut, dass die christlich-liberale Koalition
regiert!
Lassen Sie mich direkt am Anfang meiner Rede sehr
deutlich sagen: Die TSTG Schienen Technik muss erhalten bleiben, und Voestalpine muss endlich dem Verkauf des Werkes zu fairen Konditionen zustimmen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Gestern und heute erst haben die TSTG-Beschäftigten ihre Arbeit niedergelegt und mit einer Mahnwache
die Forderung nach einem Verkauf kräftig betont. Ein
weiteres Zeichen für die beeindruckende Solidarität.
Die Belegschaft hält zusammen, aber die Zeit drängt.
Wir müssen gemeinsam verhindern, dass 400 Menschen ihren Job bei der TSTG und die Existenzgrundlage für ihre Familien verlieren, von den Arbeitsplätzen bei Zulieferern und Dienstleistern ganz abgesehen.
Das Ziel für die TSTG kann nur lauten: Verkauf statt
Schließung.
Am 28. Juni 2012 haben wir im Deutschen Bundestag bei der ersten Lesung dieses Antrages schon einmal über die TSTG debattiert. Damals wie heute war
die TSTG das einzige deutsche Schienenwerk. Die Auftragsbücher sind voll. Das Werk arbeitet mit einer Jahreskapazität von etwa 280 000 Tonnen Stahl. Die Anlagen sind nach Investitionen von rund 70 Millionen
Euro auf höchstem technischem Niveau. Die TSTG
steht für technologisches Know-how, innovative Forschung und hohe Qualität.
Der größte Wert der TSTG ist aber sicher die Belegschaft. Trotz des Schließungsbeschlusses vom 13. März
2012 und der massiven Zukunftsangst arbeiten die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hochqualitativ, wirtschaftlich erfolgreich und mit vollem Einsatz. Seit
März 2012 kämpfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der TSTG zudem in jeder freien Minute zusammen mit der IG Metall und den Menschen meiner
Heimatstadt Duisburg gegen diese Schließungspläne.
Wieder einmal zeigen die Duisburgerinnen und Duisburger eine beeindruckende Solidarität, die mich als
Duisburger Abgeordnete wirklich stolz macht. Und
wer so um seinen Arbeitsplatz kämpft wie die TSTGBelegschaft, der macht seinen Job auch in Zukunft mit
großem Engagement. Identifikation mit dem Arbeitgeber ist eine Ressource, die man gar nicht hoch genug
wertschätzen kann.
Voestalpine will keine defizitäre Konzerntochter
schließen. Das Unternehmen will Produktionskapazitäten vom europäischen Markt nehmen, um den Schienenpreis nach oben zu treiben und Fehler des Managements zu korrigieren. Voestalpine ist schließlich eines
der Unternehmen, die von 2001 bis 2011 illegal Quoten und Preise für Schienenlieferungen an die Bahn
abgesprochen haben. Die 400 Beschäftigten von TSTG
tragen keine Schuld an diesem Kartell, sie sollen aber
jetzt die Lasten tragen. Das ist ein Skandal.
Mein Duisburger SPD-Bundestagskollege Johannes
Pflug hatte im Juni 2012 bei seiner Plenarrede verschiedene Alternativen zur Schließung benannt: die
Prüfung einer Übernahme durch die Bahn, die Umstellung der Produktion auf Strommasten für die Umsetzung der Energiewende oder auch die Fokussierung
auf die Weiterentwicklung der Produktinnovation
Vignolschiene.
In dieser Debatte hatte die große Mehrheit des Hauses ihre Skepsis zu einem Antrag deutlich gemacht, der
die Bahn mehr oder weniger zur Übernahme verpflichten soll. Wir müssen feststellen, dass die Schienenproduktion kein Kerngeschäft der DB Netz AG ist und die
DB kein Angebot zum Kauf gemacht hat. Deshalb werden wir heute für die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
sowie der mitberatenden Ausschüsse für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung sowie Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit stimmen. Auch wenn wir nicht den
gleichen Weg gehen wollen, beim Ziel sind sich aber
fast alle Parteien einig.
Die realistischste Lösung ist gleichzeitig die einfachste Lösung: Voestalpine muss den Weg für faire
Verkaufsverhandlungen frei machen und eine Übernahme ermöglichen.
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am
19. Februar parteiübergreifend - mit Ausnahme der
FDP - für einen Antrag zum Erhalt der TSTG gestimmt. In diesem Antrag hat der NRW-Landtag nicht
nur die Landesregierung NRW, sondern auch die Bundesregierung zur Unterstützung der Beschäftigten der
TSTG aufgefordert. Das muss auch unser Weg hier und
heute im Deutschen Bundestag sein. In den vergangenen Monaten haben wir auf diesem Wege ein außergewöhnlich hohes Maß an Geschlossenheit gezeigt. Abgeordnete fast aller Fraktionen haben Gespräche zur
Zukunft der TSTG geführt, die Bundesregierung ist in
verschiedenen Briefen aus allen Parteien zum Handeln
aufgefordert worden. Vergangene Woche hat auch der
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ein Zeichen der
Solidarität für die TSTG-Belegschaft gesetzt. Parteiübergreifende Geschlossenheit ist immer auch ein klares Zeichen für die Wichtigkeit eines Themas.
Eine Schließung der TSTG würde die Bahn und andere deutsche Abnehmer in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis von Schienenherstellern aus dem Ausland
manövrieren. Der Industriestandort und die Exportnation Deutschland sind auf eine stabile, moderne und
flexible Infrastruktur angewiesen. Die TSTG leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes.
Nach allem, was wir wissen, steht mittlerweile mindestens ein Kaufinteressent für das Werk bereit - obwohl Voestalpine das Werk zum jetzigen Stand nur
Zu Protokoll gegebene Reden
unter der Auflage eines dreijährigen Schienenproduktionsverbotes verkaufen würde. Spätestens dieses
Kaufinteresse macht deutlich, dass Voestalpine sicher
kein defizitäres Werk abstoßen will. Warum hätte
Voestalpine sonst auch in Ofen, Walzwerksmotoren
oder Prüftechnik eines Werkes investieren sollen, das
ohnehin verkauft werden muss?
Eine Bundesregierung kann es nicht hinnehmen,
dass der deutsche Steuerzahler für ein kriminelles
Schienenkartell doppelt zur Kasse gebeten wird. Wer
das Motto „Leistung muss sich lohnen“ so stark vor
sich herträgt wie die schwarz-gelbe Bundesregierung,
muss jetzt erst recht eingreifen. Bei der TSTG lohnt
sich die Leistung, weil die Beschäftigten viel leisten.
Die soziale Marktwirtschaft darf nicht ihrer Marktwirtschaft beraubt werden.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der
TSTG, Kenan Ilhan, hat bei der DGB-Kundgebung am
1. Mai in meiner Heimatstadt Duisburg gesagt: „Bei
der derzeitigen Weichenstellung droht die Stahlindustrie …auf dem Abstellgleis der Demontage zu landen. …
Lassen Sie uns jetzt gemeinsam die Weichen stellen für
die Zukunft der TSTG.“
Ich möchte die Bundesregierung eindringlich auffordern, sich zum Gespräch mit den Beteiligten zu treffen und den Druck auf Voestalpine zu erhöhen. Viel
Zeit bleibt uns leider nicht mehr, also stellen wir jetzt
endlich die Weichen für die Zukunft der TSTG.
In der Bundesrepublik Deutschland gilt das Prinzip
der sozialen Marktwirtschaft. Daraus folgt, dass hierzulande ansässige Unternehmen effizient wirtschaften
müssen. Die Verantwortung für die dazu notwendigen
Entscheidungen liegt bei den Inhabern oder den Führungsgremien der Unternehmen. Der Staat bleibt außen vor und mischt sich nicht ein.
Dieses Prinzip gilt ebenso für die Deutsche Bahn
AG - auch wenn sie zu 100 Prozent im Besitz des Bundes ist. Denn dieser Umstand macht sie nicht zu einer
Auffanggesellschaft für unrentable Unternehmen. Vielmehr hat sie sich der wirtschaftlichen Bewältigung des
Personen- und Güterverkehrs zu widmen. Demzufolge
richtet sich der vorliegende Antrag an den falschen
Adressaten. Denn nur der Vorstand und der Aufsichtsrat der Bahn AG und nicht der Deutsche Bundestag
entscheiden über mögliche Fusions- oder Kaufentscheidungen der Gesellschaft.
Wir bedauern, dass sich der österreichische Mutterkonzern Voestalpine AG für die Schließung des Duisburger Unternehmens TSTG Schienen Technik GmbH
& Co KG entschlossen hat. Das ist eine besonders
traurige Entscheidung vor dem Hintergrund des Umstrukturierungsprozesses, in dem sich das Ruhrgebiet
befindet; denn dieser ist noch lange nicht abgeschlossen. Daher ist an einem Standort wie Duisburg jede
Firmenschließung und der damit verbundene Arbeitsplatzverlust besonders schmerzlich. Allerdings gibt es
in einer sozialen Marktwirtschaft juristische Regelungen und Institutionen, die in solchen Fällen greifen
und sich um die betroffenen Mitarbeiter kümmern. Die
Argumente der Linken in ihrem Antrag sind aus meiner
Sicht nicht überzeugend. Denn die Aussagen der Unternehmensführung hinsichtlich der Rentabilität und
Auslastung des Duisburger Werkes infrage zu stellen,
ist sehr gewagt. Dass betriebswirtschaftliche Effizienzrechnung das Spezialgebiet der Linken-Fraktion
ist, war bislang jedenfalls nicht aufgefallen. Auch der
im Antrag aufgeführte Verweis, dass das Duisburger
Werk in der Vergangenheit „fast immer gut ausgelastet
war“, ist kein Beleg hierfür. Denn die Aussichten für
die Zukunft sind das, was für Unternehmen entscheidend ist. Durch Erfolge der Vergangenheit allein können sie nicht am Markt bestehen. Neben dem technischen Stand der Produktionsstätte dürften auch
absehbar unzureichende Chancen, nach einer Modernisierung der Anlagen auf dem Markt bestehen zu können, eine Rolle bei der Entscheidung der Muttergesellschaft gespielt haben.
Die von der Linken angeführten kartellrechtlichen
Vergehen der Voestalpine AG sind ebenfalls kein
Grund für den Deutschen Bundestag, sich in unternehmerische Entscheidungen einzumischen. Fehlverhalten zu sanktionieren, ist in diesem Falle Aufgabe des
Kartellamtes. Die hat es auch wahrgenommen und gegen das Unternehmen ein Bußgeld verhängt.
In den vergangenen Tagen war in der Presse zu lesen, dass es nun doch noch einen ernsthaft interessierten Investor für das Duisburger Werk geben soll. Das
ist ein neuer Lichtblick und birgt die Hoffnung, dass in
den Gesprächen und Verhandlungen doch noch ein Erhalt der Arbeitsplätze am Standort Duisburg realisiert
werden kann. Diese Entwicklung bleibt abzuwarten.
Die FDP-Bundestagsfraktion folgt der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie und lehnt den vorliegenden Antrag ab.
Am 26. März 2013 schrieb Bundesminister Ronald
Pofalla im Namen der Kanzlerin: „Ich teile Ihre Sorgen hinsichtlich der möglichen Werksschließung und
des damit verbundenen Arbeitsplatzabbaus bei der
TSTG. Der Bundesregierung ist an einem starken und
wettbewerbsfähigen Industriestandort gelegen. ({0})
Ich würde mich freuen, wenn es in den kommenden Wochen noch gelänge, in konstruktiven Gesprächen für
TSTG eine gute Lösung zu finden.“
Eigentlich könnte man bei solchen Sätzen Beifall
klatschen, sich zurücklehnen und erwartungsfroh dem
entgegensehen, was die Bundesregierung jetzt zu tun
gedenkt, um diesen Worten gerecht zu werden. Denn es
liegt doch im vorliegenden Fall TSTG in der Macht
dieser Bundesregierung, die Werkschließung, die für
Ende 2013 angekündigt ist, zu verhindern, gut 400 Arbeitsplätze zu retten und damit dem Ziel eines „starken
und wettbewerbsfähigen Standorts“ Rechnung zu tragen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Halten wir doch mal drei Dinge fest: Die TSTGMutter Voestalpine befindet sich in einer äußerst
schwachen Position. Der österreichische Konzern war
zusammen mit ThyssenKrupp Kartellführer und hat die
Bahn in Deutschland, Bundesbahn und Deutsche Bahn
AG, um mindestens 1 Milliarde Euro geschädigt.
Voestalpine will auch nach einer eventuellen Schließung von TSTG große Aufträge für Schienen von der
Deutschen Bahn AG erhalten und diesen Schienenstahl dann aus Österreich anliefern. Die Bundesregierung als Vertreterin des Bundes, des alleinigen Eigentümers der DB AG, muss da zumindest mitspielen.
Die Bundesregierung könnte und sollte unseres Erachtens nach tätig werden, dass dann, wenn es keinen
seriösen Käufer für Voestalpine gibt, die Deutsche
Bahn AG die Duisburger TSTG selbst übernimmt. Damit würde die DB AG ihr vertikales Wachstum fortsetzen und neben dem Weichenwerk in Witten auch einen
Schienenhersteller im Konzernverbund haben. Das erbringt erhebliche Synergiegewinne. Damit würde
auch, wie es jüngst in einer Studie mit dem Titel „Vorwärtsstrategie für die TSTG Duisburg“, erstellt von
der Wert-Arbeit GmbH in Duisburg, heißt, „die Betriebssicherheit und die Innovation im Netz stabilisiert
werden.
Jetzt höre ich: Die Bundesregierung will nichts tun.
Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion scheinen unseren konstruktiven Antrag ablehnen zu wollen.
Wenn die SPD sich enthalten sollte, dann wäre das bereits eine Art des Entgegenkommens - oder auch Ausdruck eines schlechten Gewissens. Darauf komme ich
zurück.
Und was wird stattdessen vorgeschlagen? Nichts,
rein gar nichts! Es ist jetzt diese Bundesregierung, die
sich zurücklehnt und die darauf wartet, dass irgendwie „der Markt“ das regelt, beziehungsweise, dass
Voestalpine mit ihrer Marktmacht TSTG zerschlägt.
Und warum will Voestalpine seit mehr als einem Jahr
TSTG um alles in der Welt in den Konkursabgrund stoßen, mehr als 400 Beschäftigte und deren Familien in
die Arbeitslosigkeit schicken oder sie mit Arbeitslosigkeit und Hartz IV bedrohen - wo doch, und das sagen
ja alle - die TSTG-Produkte Hightech-Qualität haben
und TSTG selbst zumindest auf mittlere Frist rentabel
arbeitet?
Den Hintergrund, um das zu verstehen, bildet das
Kartell „Die Schienenfreunde“. Die Details zu diesem
Kartell wurden nun bereits auf den Wirtschaftsseiten
und in den führenden Zeitungen und Zeitschriften - so
im „Handelsblatt“ und in der „Wirtschaftswoche“ ausgebreitet. Hier nur zusammenfassend: Dieses Kartell, dem die 15 maßgeblichen Stahlkonzerne Europas
angehörten, hat der Bahn und vielen Nahverkehrsorganisationen, denen sie mehr als 15 Jahre lang Schienen
zu um 30 bis 50 Prozent überhöhte Preise verkauften,
einen Schaden in Höhe von weit mehr als einer Milliarde Euro zugefügt. Nachdem dieses Kartell aufflog,
brach der Preis für Schienenstahl deutlich ein.
Voestalpine will nun mit der Betriebsschließung in
Duisburg erreichen, dass die Kapazitäten und das Angebot sich weiter verknappen und dass der Preis für
Schienenstahl wieder steigt. Und es dürfte sich dann
erneut um einen Stahlpreis handeln, der über den
Marktpreisen liegt. Nunmehr würde er durch die Monopolposition von Voestalpine künstlich überhöht werden. Das aber heißt: Den Steuerzahlenden in Deutschland würde ein zweites Mal Schaden zugefügt. Nach
dem Milliardenschaden, den das Kartell anrichtete,
würde es erneut einen in die Hunderte Millionen Euro
gehenden Schaden dadurch geben, dass zukünftig Voestalpine Schienenstahl aus Österreich nach Deutschland liefert - erneut zu überhöhten, zu Monopolpreisen.
Die Deutsche Bahn AG scheint bei diesem Spiel mitzuspielen. Jedenfalls hat sie an Voestalpine bereits
wieder Großaufträge vergeben bzw. solche angekündigt - völlig unabhängig davon, wie das Schicksal von
TSTG aussehen wird. Und warum macht die DB AG
das? Sehr viel spricht dafür, dass sie dies tut, weil sie
mit Voestalpine unter einer Decke steckt, weil sie von
dem Kartell „Die Schienenfreunde“ wusste und weil
sie nicht will, dass diese Decke weggezogen und
Transparenz darüber hergestellt wird, wer da die Steuerzahlenden um wieviel und warum schädigte.
Wenn ich das sage und wenn das in unserem Antrag
steht, dann ist das keine Räuberpistole, die die Linke
ersonnen hat; das deckt sich inzwischen mit neueren
Erkenntnissen, beispielsweise des „Handelsblattes“.
Dort war am 10. Dezember 2012 zu lesen: „Top-Manager beider Seiten ({1}) vereinbarten damals ein Koppelgeschäft: Die Bahn akzeptierte
überhöhte Preise - was ihr nicht schadete; denn die Investitionen werden vom Bund getragen. Im Gegenzug
soll ThyssenKrupp Kunde der Bahn-Tochter DB Cargo
geblieben sein. Diese Version bestätigen auch Ex-Führungskräfte von ThyssenKrupp.“
Gerade angesichts der neuesten Entwicklung
- TSTG soll baldmöglichst in den Konkurs getrieben
werden, die Deutsche Bahn AG will weiter bei Voestalpine Großeinkauf machen - fordern wir: Die für diesen
Deal Verantwortlichen bei der DB AG müssen identifiziert werden und aus dem Unternehmen ausscheiden.
Verkehrsminister Ramsauer muss klar machen, inwieweit sein Amt - das Kartell wirkte ja bis Mitte 2011! von dem Kartell und von der Einbeziehung der DB AG
in das Kartell etwas wusste. Da gibt es ja nur zwei
Möglichkeiten: Entweder war das im Ministerium bekannt, oder die Aufsicht über das bundeseigene Unternehmen hat kläglich versagt.
Die SPD verhält sich, wie erwähnt, in Sachen TSTG
eher bedeckt. Das könnte mit ihrem Kanzlerkandidaten
zusammenhängen. Im Protokoll des ThyssenKruppAufsichtsrats vom 13. Mai 2011, in dem Herr
Steinbrück damals saß, steht das Folgende: „Herr
Steinbrück weist darauf hin, dass es schädlich wäre,
wenn der aktuelle ({2}) Fall in der Pressekonferenz
nach der Aufsichtsratssitzung thematisiert würde.“
Zu Protokoll gegebene Reden
Mit „der Fall“ war das Kartell „Die Schienenfreunde“ gemeint. Damals war noch nichts über das
Wirken dieses Kartells in die Öffentlichkeit gedrungen.
Das aber heißt im Klartext: Herr Steinbrück wollte
damals, als er noch nicht Kanzlerkandidat war, lieber
in der Nähe des Thyssen-Konzerns und seiner Interessen stehen als für Öffentlichkeit darüber zu sorgen, wie
die Steuerzahler durch ThyssenKrupp und das Kartell
ausgenommen werden. Das ist nicht allzu verwunderlich. Herr Steinbrück wollte als Finanzminister in der
Großen Koalition und im Zeitraum 2005 bis 2008 unbedingt die Bahn an die Börse bringen, was dem
Schienenverkehr in Deutschland maximalen Schaden
zugefügt hätte.
Ein Wort noch zu den Hoffnungen der Belegschaft
auf einen Investor. Einen solchen soll es ja geben; ein
Consultant verhandelt ja mit der IG Metall und zumindest indirekt auch mit dem TSTG-Betriebsrat in dieser
Angelegenheit. Allerdings wird kein Name genannt,
wer denn nun konkret Kaufinteresse hat. Wir können
uns da nur zwei Varianten vorstellen.
Entweder es handelt sich um einen fragwürdigen Investor. Jemand, der Kreditgeld oder Hedgefondskapital einsetzt, oder auch jemand, der im Auftrag von
Voestalpine aktiv ist: Dann dürfte das eher ein kurzlebiges Investment sein; ein Projekt, mit dem bewusst
oder unbewusst Zeit geschunden wird, mit dem der Widerstand vor Ort in Duisburg kanalisiert und abgebogen wird. Nach drei oder fünf Jahren würde dann die
Schließung des Duisburger Werks eher geräuschlos
vollzogen werden. Oder es handelt sich um einen großen Stahlhersteller, also um Tata mit Sitz in London
oder um Arcelormittal, den indischen Stahlkönig mit
großen Engagements in Polen, England, Frankreich,
Belgien und auch Deutschland. Dann könnte es gut
sein, dass es zu einem Technologietransfer kommt und
dass in drei oder fünf Jahren in Osteuropa ein neues
Werk zur Herstellung von Hightech-Schienen entsteht
und erneut der Standort Duisburg gefährdet ist.
Wir haben volles Verständnis, wenn sich die Belegschaft hier an jeden Strohhalm klammert. Allerdings
müssen wir die Öffentlichkeit und die Kolleginnen und
Kollegen bei TSTG vor den beschriebenen Gefahren
warnen.
Klar ist: Eine Übernahme von TSTG durch die
Deutsche Bahn AG wäre die optimale Lösung. Und:
Die Bundesregierung hat die Macht, das zu realisieren.
Über das Problem sind wir uns alle einig. Mit der
TSTG droht dem letzten deutschen Schienenhersteller
die Schließung. Das wäre dramatisch für die Beschäf-
tigten, 460 Menschen verlieren dann ihre Arbeit. Die
Schließung des Werks in Duisburg hätte außerdem
Folgen für die Region. Die Produktion läuft gut und ist
eng mit Zulieferern aus dem Ruhrgebiet verknüpft. Zu-
sammen mit weiterverarbeitenden Betrieben wäre das
Aus für die TSTG ein schwerer Schlag für einen gan-
zen industriellen Cluster in Nordrhein-Westfalen. Auch
der bundeseigene Konzern der Deutschen Bahn würde
die TSTG als Zulieferer für das Weichenwerk in Witten
verlieren. Zudem müsste die Deutsche Bahn einen
neuen Lieferanten für ihre Schienen finden. Bisher
deckt sie über die Hälfte ihres Bedarfs mit Produkten
der TSTG.
Auch die Gründe für die drohende Schließung mit
den beschriebenen Folgen liegen auf der Hand und
werden von keiner Partei hier im Bundestag bestritten.
Ein Schienenkartell hat der Bahn, und damit auch dem
Steuerzahler, jahrelang großen Schaden zugefügt. Jetzt
beschweren sich Firmen, die unmittelbar an den Preis-
absprachen beteiligt waren, über ein Überangebot an
Schienen, das sie selbst zu verantworten haben. Als
Lösung und Bauernopfer soll jetzt die TSTG herhalten.
Der Eigentümer Voestalpine erhofft sich damit wieder
stabilere Preise und die Sicherung der eigenen Stand-
orte. Daher besteht offensichtlich auch kein Interesse
an einem Verkauf.
Doch der Lösungsansatz, den die Linke mit ihrem
Antrag fordert, geht klar am Ziel vorbei. Es macht kei-
nen Sinn, dass die Deutsche Bahn das Werk über-
nimmt. Es gehört nicht zu den Aufgaben der Deutschen
Bahn, Schienen herzustellen. Wenn der Eigentümer ein
Interesse am Verkauf hätte, sähe die Suche nach Inte-
ressenten vielversprechend aus. Aussagen des Be-
triebsrats zufolge gäbe es bereits einen. Dafür müsste
der Bund nicht aktiv werden. Mit einer solch unseriö-
sen Forderung Hoffnung bei den Beschäftigten zu
schüren, ist auch in Wahlkampfzeiten mehr als schä-
big.
Der Eigentümer hat kein Interesse an einem Ver-
kauf, und die Deutsche Bahn kein Interesse an einem
Kauf. An die Kollegen der Linken appelliere ich daher:
Hören Sie auf, sich mit dieser Luftnummer profilieren
zu wollen! Der Bundestag kann nicht auf eine solche
Art und Weise in die Privatwirtschaft eingreifen.
Allerdings muss die Bundesregierung endlich aus
der Defensive kommen. Die Bundesregierung hat sich
in den gemeinsamen Gesprächen der letzten Wochen
viel zu sehr zurückgehalten. Wir teilen die Forderung
der Linken nicht. Doch wir fordern von der Bundesre-
gierung, dass sie den Beschäftigten der TSTG und ih-
rem Anliegen endlich die gebotene Aufmerksamkeit zu-
kommen lässt.
Wir kommen infolgedessen direkt zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12880,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9581
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokra-
ten. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Bünd-
nis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige
Arbeit für Hausangestellte
- Drucksache 17/12951 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 17/13303 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Johann Wadephul
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arbeitsbedingungen von Hausangestellten
verbessern - ILO-Übereinkommen Nr. 189 ratifizieren
- Drucksachen 17/11370, 17/13303 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Johann Wadephul
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. - Damit sind alle einverstanden.
Ich kann heute nahtlos an meine Rede vom 29. November 2012 anknüpfen, als wir über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen debattiert haben.
Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, hat
auf ihrer 100. Internationalen Arbeitskonferenz am
16. Juni 2011 das ILO-Übereinkommen Nr. 189 über
menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte und die
Empfehlung 201 betreffend menschenwürdige Arbeit
für Hausangestellte angenommen und damit das Problem der sogenannten Arbeit hinter verschlossenen
Türen aufgegriffen.
Das Übereinkommen bekräftigt die Rechte der
Hausangestellten und soll sie vor Diskriminierung und
Missbrauch schützen. Zu diesem Zweck enthält das
Übereinkommen Regelungen unter anderem zur Gewährung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszeiten, zur sozialen Sicherheit, zur Stärkung des Rechts auf
Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater Arbeitsvermittler. Die Empfehlung ergänzt das Übereinkommen und stellt eine nicht bindende Orientierungshilfe für die Anwendung des Übereinkommens dar.
Die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des
Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung
konstruktiv mitgewirkt und mit dem Kabinettsbeschluss des Vertragsgesetzentwurfs am 6. Februar
2013 die Voraussetzungen für eine zügige Ratifikation
des Übereinkommens geschaffen. Der Bundesrat hat
dem Gesetzentwurf am 22. März 2013 einstimmig und
ohne Aussprache zugestimmt. Arbeitgeberverbände
und Gewerkschaften waren bei der Verhandlung des
Übereinkommens beteiligt und unterstützen das Vorhaben, das Übereinkommen zu ratifizieren. Und schließlich haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages
den Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 24. April 2013 einstimmig angenommen.
So viel Konsens ist selten. Ich möchte deshalb die
heutigen Beratungen zum Anlass nehmen, mich bei allen Beteiligten für die hervorragende Vorarbeit bei
diesem wichtigen Thema zu bedanken. Zwar sind in
Deutschland Ergänzungen der innerstaatlichen gesetzlichen Vorschriften nicht erforderlich, um die Anforderungen des Übereinkommens zu erfüllen. Deutschland
hat seit jeher hohe arbeits- und sozialrechtliche Standards, auch für Hausangestellte. Sie sind Arbeitnehmer und unterliegen in gleicher Weise dem Schutz des
deutschen Arbeitsrechts. Daneben sind sie bei Eintritt
von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. In
Deutschland besteht kein zusätzlicher Regelungsbedarf. In vielen anderen Ländern dagegen fehlen verbindliche Regelungen für Hausangestellte. Für sie
schafft die Ratifizierung des Übereinkommens eine
deutliche Verbesserung ihrer arbeits- und sozialrechtlichen Situation. Mit der heutigen Entscheidung des
Deutschen Bundestages setzt Deutschland ein deutliches Zeichen, der Arbeit von Hausangestellten mehr
Anerkennung zu verschaffen und sie vor Rechtsverletzungen zu schützen. Das macht in erster Linie die Bedeutung unserer heutigen Entscheidung aus.
Rot-Grün hat in ihrem gemeinsamen Antrag versucht, das berühmte Haar in der Suppe zu finden. Am
Ende aber erfolglos. Ihre zusätzlichen Forderungen
werden weitgehend im deutschen Recht bereits umgesetzt. Natürlich darf bei Rot-Grün nicht die Forderung
fehlen, einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe
von 8,50 Euro für Hausangestellte einzuführen. Allerdings verpflichtet das ILO-Übereinkommen die Bundesrepublik Deutschland nicht zur Einführung eines
allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Das Übereinkommen begründet lediglich die Verpflichtung, dass im
Falle der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohnes dieser auch für Hausangestellte gelten
muss. Dem Übereinkommen kann ebenso wenig entnommen werden, dass die Bundesregierung einen allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Hausangestellte festsetzen muss. Abgesehen davon, dass es
bislang gar keine Initiative der Sozialpartner gibt, einen solchen Branchenmindestlohn für den Bereich der
Hausangestellten auf der Grundlage des bestehenden
gesetzlichen Instrumentariums zu erlassen. Da sind
Rot-Grün erkennbar die ideologischen Gäule durchgegangen. Der Antrag ist fachlich überflüssig und politisch falsch. Aus diesem Grund haben wir ihn im Ausschuss auch abgelehnt.
Mit der Ratifizierung des ILO-Übereinkommens
Nr. 189 setzt der Deutsche Bundestag einmal mehr ein
Beispiel für andere Staaten bei der Umsetzung von
Standards für menschenwürdige Arbeit. Deshalb ist
heute ein guter Tag für die Betroffenen weltweit.
Heute wollen wir über ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO sprechen, deren Zweck es ist, die Situation von Hausangestellten
weltweit zu verbessern. In vielen Ländern der Erde
werden Menschen in fremden Haushalten beschäftigt,
um dort verschiedene Tätigkeiten rund um Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen
oder ähnliche Dienstleistungen auszuführen. Mit zunehmendem Wohlstand und der steigenden Anzahl von
Familien mit zwei berufstätigen Partnern werden solche haushaltsnahen Dienstleistungen immer stärker
nachgefragt. Gleichzeitig erkennen mehr und mehr
private Arbeitsvermittler diese Branche als neues Geschäftsfeld. Der Wettbewerb um gute Arbeitskräfte,
aber auch um gute Arbeitsplätze weitet sich aus. Dass
dabei nicht immer nur gute oder zumindest akzeptable
Arbeitsbedingungen herrschen, sondern auch missbräuchliche oder mangelhafte Zustände existieren, ist
leider nicht zu leugnen.
So kommt es vor, dass im Rahmen illegaler Beschäftigungsverhältnisse unzureichende bis gar keine soziale Absicherung für die Angestellten getroffen wird.
Im Krankheits- oder Rentenfall beispielsweise erhalten die Betroffenen folglich keine Sozialleistungen. Etliche sind in solchen Fällen dann schnell einem Armutsrisiko ausgesetzt.
Doch selbst in eigentlich regulären Beschäftigungsverhältnissen gibt es auch Fälle, in denen die Hausangestellten entweder eine sehr niedrige Entlohnung
erhalten, überlange Arbeitszeiten haben oder kaum
Urlaub erhalten.
Aus diesem Grund begrüße ich es außerordentlich,
dass mit dem IAO-Abkommen verbindliche Regelungen für die Gewährleistung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen geschaffen wurden. Diese betreffen zum Beispiel den Arbeitsschutz, Arbeitszeiten,
die soziale Sicherheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen oder die Kontrolle privater Arbeitsvermittler.
Dies sind alles Bereiche, die wir in Deutschland ebenfalls als sehr schützenswert betrachten und wozu wir
infolgedessen seit langer Zeit umfassende Regelungen
getroffen haben; sei es durch entsprechende Arbeitsgesetze und Rechtsverordnungen, durch Richterrecht
oder sehr weit verzweigt durch tarifvertragliche Normen. Dass unsere Bundesregierung an der Erarbeitung des IAO-Übereinkommens und der begleitenden
Empfehlung konstruktiv mitgewirkt hat und den politischen Zielen der Instrumente wohlwollend gegenübersteht, demonstriert überdies das große politische Interesse an diesem Thema.
Die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen greifen das IAO-Übereinkommen
zur Stärkung der Rechte der Hausangestellten und zum
Schutz derselben vor Missbrauch und Diskriminierung
auf und stellen nun jedoch zahlreiche Forderungen,
die aus Sicht der Unionsfraktion entbehrlich sind.
So fordern Sie unter anderem die unverzügliche
Einleitung des Ratifizierungsverfahrens des IAO-Abkommens. Hierzu liegt bereits ein Beschluss über einen
entsprechenden Gesetzentwurf des Bundeskabinetts
vor, dem sogar der Bundesrat schon einstimmig zugestimmt hat. Ihr Anliegen ist damit also längst obsolet.
Mit Blick auf das deutsche Recht möchte ich vorweg
folgende grundsätzliche Bemerkung auf Ihre zahlreichen Einzelforderungen machen. Unser Recht erfüllt
alle Vorgaben des IAO-Übereinkommens und setzt
diese bereits wirksam um. Hausangestellte sind Arbeitnehmer wie alle anderen Beschäftigten in Deutschland
und haben daher die gleichen Rechte und Pflichten wie
die anderen. Auch können Arbeitsverträge sowohl
mündlich als auch schriftlich in deutscher oder einer
anderen Sprache abgeschlossen werden. Zusätzlicher
Regelungsbedarf im deutschen Arbeitsrecht ist hier
beim besten Willen nicht zu erkennen.
Auf wenige einzelne Punkte möchte ich dennoch
kurz eingehen. Auf Ihrem Wunschzettel findet man erneut - wie in so mancher Debatte, die wir in diesem
Hause führen dürfen - das Schlagwort Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von
8,50 Euro. Eine solche Verpflichtung sieht das IAOAbkommen überhaupt nicht vor. Es soll lediglich im
Falle einer Neueinführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns dieser auch für Hausangestellte
gelten. Ebenso wenig lässt sich direkt oder indirekt aus
dem Übereinkommen ableiten, dass die Unterzeichnerstaaten einen allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Hausangestellte festlegen müssen. Dazu
wären auch in Deutschland zunächst die Sozialpartner
gefragt, die sich per Antrag beim Bundesministerium
für Arbeit und Soziales für die Allgemeinverbindlicherklärung ihrer bereits abgeschlossenen Tarifverträge
einsetzen müssen.
Ferner schreiben Sie, geringfügig beschäftigte
Hausangestellte müssen wie andere geringfügig Beschäftigte rechtlich behandelt werden. Da haben Sie
völlig recht - nur, das erfolgt bereits. Hausangestellte
erfahren sowohl im sogenannten HaushaltsscheckVerfahren, mittels dessen eine geringfügige Beschäftigung in einem Privathaushalt angemeldet werden
kann, als auch im Teilzeit- und Befristungsgesetz denselben Schutz und dieselbe Sicherheit wie die übrigen
geringfügig Beschäftigten in Deutschland. Die Gleichbehandlung ist somit auch in diesem Bereich gewährleistet.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ihre Forderung, die Situation von Hausangestellten
in Diplomatenhaushalten zu verbessern, scheint ebenfalls die Realität auszublenden. Es ist nämlich Usus,
dass die Vertreter der diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik
Deutschland Arbeitsverträge mit ihren Hausangestellten abschließen, die selbstverständlich den geltenden
arbeits- und sozialrechtlichen Anforderungen entsprechen müssen. Bereits vor der Einreise des Personals
werden diese Verträge auf die Einhaltung dieser Vorschriften überprüft. Unregelmäßigkeiten können auf
diese Art und Weise schon im Vorfeld einer Beschäftigung festgestellt und verhindert werden. Darüber
hinaus finden im Rahmen der Verlängerung von Protokollausweisen jährliche Kontrollen statt. Sogar persönliche Gespräche werden mit den Hausangestellten
geführt.
Die Tatsache, dass selbst in einem solch überschaubaren Anwendungsbereich ein so hervorragendes Netz
an Schutzvorschriften und -maßnahmen besteht, belegt
eindrucksvoll, dass in diesem Bereich kein zusätzlicher
Handlungsbedarf besteht. Das müssten eigentlich
auch Sie, meine verehrten Damen und Herren der
SPD-Fraktion und vonseiten der Grünen, erkennen.
Lassen Sie uns noch die letzten Schritte auf dem Weg
zur Ratifizierung gehen, um auch formal alles Erforderliche getan zu haben. Materiell herrschen bereits
jetzt vorbildliche Zustände hierzulande, die natürlich
auch von den Arbeitgebern so einzuhalten und umzusetzen sind.
Wir werden jedenfalls mit der baldigen Ratifizierung des Gesetzes wieder einmal mit gutem Beispiel
vorangehen und für viele andere Länder damit ein Zeichen setzen, sich diesem anzuschließen.
Ich freue mich, dass wir heute über die Ratifizierung
des ILO-Übereinkommens Nr. 189 über die Arbeitsbedingungen von Hausangestellten entscheiden. Wir Sozialdemokraten hatten in einem gemeinsamen Antrag
mit den Grünen bereits im vergangenen Jahr gefordert,
dass das Übereinkommen in Deutschland so schnell
wie möglich ratifiziert und umgesetzt wird. Es ist gut,
dass die Bundesregierung unserer rot-grünen Forderung nachgekommen ist.
Ich war 2011 auf der ILO-Konferenz in Genf, als
das Übereinkommen dort verabschiedet wurde. Es war
eine große Freude von allen Frauen im Saal, die lange
für ein solches Übereinkommen gekämpft hatten. Wir
müssen uns bewusst sein, welche Bedeutung dieses
Übereinkommen hat und welch ein Erfolg es ist, dass
wir dieses Übereinkommen heute ratifizieren.
Das Übereinkommen ist ein Meilenstein; denn erstmals wird Hausarbeit gleichgestellt mit regulärer Erwerbsarbeit. Wir brauchen auch in Haushalten gute
und faire Arbeitsbedingungen - weltweit, aber auch
hier in Deutschland. Denn es ist nicht so, dass bei uns
alles im grünen Bereich ist. Wir Sozialdemokraten haben im vergangenen Sommer eine Kleine Anfrage zu
Hausangestellten in Diplomatenhaushalten gestellt. In
unserem Land passiert hier immer wieder Missbrauch;
denn durch die Immunität der Diplomaten gibt es einige - nicht viele, aber doch ein paar -, die dies ausnutzen und den Hausangestellten grundlegende Rechte
verwehren. Es gibt immer wieder Presseberichte über
Frauen, die keinen Lohn erhalten, nicht aus dem Haus
gelassen werden und die keinerlei Freizeit haben. Wir
sollten die heutige Ratifizierung des ILO-Übereinkommens zum Anlass nehmen, hier zu handeln. Beispielsweise sollten wir überlegen, die Regelung einzuführen,
dass Hausangestellte bei der Abholung und Verlängerung ihrer Protokollausweise im Auswärtigen Amt
persönlich erscheinen müssen. Zudem brauchen wir
mehrsprachiges und besseres Informationsmaterial,
mit dem Hausangestellte über ihre grundlegenden
Rechte informiert werden.
Die Arbeit von Hausangestellten wird in unserer
Gesellschaft leider oft nicht genug wertgeschätzt.
Dumpinglöhne sind auch in diesem Bereich an der Tagesordnung. Wir Sozialdemokraten setzen uns daher
für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
als Lohnuntergrenze und für einen allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Hausangestellte ein.
Denn gerade weil die Arbeit der Hausangestellten in
den Privathaushalten oft „unsichtbar“ ist, brauchen
wir eine angemessene Wertschätzung der Arbeit.
Lassen Sie uns die Ratifizierung zum Anlass nehmen, um über die Situation von Hausangestellten in
Deutschland nachzudenken und um Missbrauch besser
als bisher zu verhindern. Für uns Sozialdemokraten ist
das Übereinkommen mit der heutigen Ratifizierung
nicht abgehakt, sondern die eigentliche Arbeit beginnt
erst. In unserem Antrag zeigen wir auf, in welchen Bereichen etwas geschehen muss. Hier müssen wir weiterarbeiten. Darum werden wir Sozialdemokraten uns
kümmern und die Bundesregierung an die Verpflichtungen, die aus dem Übereinkommen erwachsen, erinnern.
Vor fast genau zwei Jahren hat die Internationale
Arbeitsorganisation, ILO, das Übereinkommen
Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte verabschiedet. Damit wurden erstmals internationale Standards für Beschäftigte im informellen Sektor verbindlich vereinbart.
Heute - vier Wochen vor dem Internationalen Tag
der Hausangestellten - legt die Bundesregierung dem
Bundestag dieses ILO-Übereinkommen zur Ratifizierung vor und erfüllt damit die zentrale Forderung der
SPD-Fraktion aus dem gemeinsamen Antrag mit der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bereits im November letzten Jahres hatten die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung aufgefordert, das Übereinkommen schnell zu ratifizieren.
Der parlamentarische Druck hatte Erfolg und zeigt,
dass die Bundesregierung und die Koalition die Handlungsnotwendigkeit erkannt haben.
Zu Protokoll gegebene Reden
Karin Roth ({0})
Die ILO-Konvention zum Schutz von Hausangestellten hat ganz große Bedeutung in Schwellen- und
Entwicklungsländern. Dort sind vor allem Mädchen
und Frauen von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen betroffen.
Es ist kein Geheimnis, dass aufgrund des oft engen
persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses sehr häufig
Arbeits- und Menschenrechte von Hausangestellten
verletzt werden. Ich nenne hier nur extrem lange Arbeitszeiten ohne Pausen, die Einbehaltung von Lohn
sowie körperlichen und sexuellen Missbrauch. Sklavenarbeit ist keine Seltenheit.
Eine aktuelle Studie der ILO aus dem Januar 2013
zeigt auf, wie prekär die Lage von Hausangestellten
mitunter ist und wie dringend notwendig die ILONorm ist. Ein paar Fakten dazu: Über 53 Millionen
Menschen auf der Welt arbeiten als Hausangestellte.
83 Prozent davon sind Frauen und junge Mädchen.
Diese Zahlen beruhen auf offiziellen Erhebungen in
117 Ländern - mit der Folge, dass Kinder nicht mitgezählt werden, obwohl in diesem Bereich Kinderarbeit
nicht selten ist. Seriöse Schätzungen gehen daher davon aus, dass tatsächlich bis zu 100 Millionen oder bis
zu 10 Prozent der arbeitenden Menschen in Entwicklungsländern als Hausangestellte arbeiten - vielfach
im informellen Sektor.
30 Prozent aller Hausangestellten sind daher vollständig von der nationalen Arbeitsgesetzgebung ausgenommen. Das führt unter anderem dazu, dass
45 Prozent dieser Menschen nicht einmal das Anrecht
auf einen freien Tag in der Woche haben. Geregelte Arbeitszeiten - Fehlanzeige! Die Menschen schuften nahezu rund um die Uhr.
Auch der Zugang zu Systemen der sozialen Sicherung ist ihnen in der Regel verschlossen. In Lateinamerika verfügen beispielsweise rund 75 Prozent aller
Hausangestellten über keinerlei soziale Sicherung.
Durch soziale Sicherungssysteme wie Bolsa Familia in
Brasilien konnten in den letzten Jahren gerade in Lateinamerika deutliche Verbesserungen erreicht werden.
Und genau hier setzt die Konvention Nr. 189 an.
Künftig sollen Hausangestellte die gleichen sozialen
Rechte haben, die auch für alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten - einschließlich
des Mutterschutzes.
Es ist besonders erfreulich, dass mittlerweile sechs
Länder die Konvention ratifiziert haben: Uruguay,
Philippinen, Mauritius, Nicaragua, Bolivien - und als
erstes europäisches Land auch Italien. Damit kann das
Übereinkommen am 5. September 2013 in Kraft treten.
Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nun auf die
Schulter klopfen und anschließend die Hände in den
Schoß legen können. Im Gegenteil: Jetzt muss die Konvention weiter verbreitet und mit Leben erfüllt werden.
Denn nur so kann sichergestellt werden, dass Hausangestellte die gleichen Rechte bekommen wie Beschäftigte im formellen Sektor.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Abschaffung von Kinderarbeit, den Schutz vor Gewalt,
Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel, den
Zugang zur sozialen Sicherung, geregelte Arbeitszeiten, Pausenregelungen, faire Entlohnung, die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und ganz wichtig - um staatliche Kontrollen der Arbeitsbedingungen.
Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 189 bei
uns leisten wir auch ganz konkret einen Beitrag zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage in Entwicklungsländern. Warum? Mehr als 170 Millionen Menschen
aus Entwicklungsländern arbeiten im Ausland. Das
sind beachtliche 6,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung,
darunter auch sehr viele Hausausangestellte. Diese
Migranten leisten einen Entwicklungsbeitrag durch
Einkommensrücküberweisungen, indem sie den Lebensunterhalt dort mitfinanzieren. Dazu gehören auch
die Ausbildung ihrer Kinder und die Unterstützung der
Gesundheitsleistungen.
Die Ratifizierung dieser ILO-Norm durch die Bundesrepublik Deutschland hat somit unmittelbare Auswirkungen auf die sozio-ökonomischen Verhältnisse in
den Entwicklungsländern und ist zudem ein wichtiges
Signal an die internationale Staatengemeinschaft.
Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf: Setzen Sie sich auf internationaler und europäischer
Ebene dafür ein, dass möglichst viele Industrie-,
Schwellen- und Entwicklungsländer die Konvention
ratifizieren und diese in nationales Recht umsetzen.
Wir alle begrüßen die Ziele des ILO-Übereinkommens zur Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit für
Hausangestellte. Dass wir heute mit dem voraussichtlichen Beschluss des Vertragsgesetzes die Voraussetzungen schaffen, die nach Art. 59 des Grundgesetzes für
die Ratifikation des Übereinkommens notwendig sind,
ist ein schöner Anlass für einhellige Freude, die es ja
so in dieser breiten Übereinstimmung jetzt nicht immer
im Plenum des Deutschen Bundestags gibt. Ich danke
allen für die Zustimmung, je breiter ein solches Vorhaben vom Parlament getragen wird, desto besser. Die
Ratifikation und damit die völkerrechtlich abschließende Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland
ist auch ein wichtiges internationales Zeichen. In vielen Ländern fehlen feste Regeln für Hausangestellte,
und wo es sie gibt, werden sie nicht immer beachtet.
Auch hier gilt: Je breiter die Unterstützung ist, je mehr
Länder sich dem Übereinkommen anschließen, desto
besser.
Außerdem ist es erfreulich, dass breite Einigkeit
darüber besteht, dass die Standards in Deutschland
bereits erfüllt sind und wir keinen gesetzlichen Handlungsbedarf haben, weil für Hausangestellte in der
Bundesrepublik, wie generell für alle Angestellten in
Zu Protokoll gegebene Reden
Johannes Vogel ({0})
der Bundesrepublik, schon ein hohes arbeitsrechtliches Schutzniveau gilt. Auch ich zitiere hier gerne
noch einmal aus dem Gutachten der Böckler-Stiftung:
„Insgesamt entspricht das deutsche Recht den Mindestvorgaben der Konvention. Ein Anpassungsbedarf
besteht nicht.“ So, und die Böckler-Stiftung ist ja nicht
gerade als arbeitgebernah verschrien. Eigentlich
schade, dass Sie das Verfahren dann noch einmal nutzen, um einige ziemlich sachfremde Aspekte mit hereinzunehmen, die viel mit Ihren Wahlprogrammen gemein haben.
Sie fordern neben der Ratifizierung des ILO-Übereinkommens zum Beispiel auch noch die Bekämpfung
der Schwarzarbeit in Privathaushalten und die Einführung eines flächendeckenden politischen Einheitsmindestlohns in Höhe von 8,50 Euro. Nun hat ja, wie gesagt, Deutschland die Ratifizierung bereits eingeleitet:
Das entsprechende Gesetz beraten wir gerade abschließend. Und auch Sie hätten einfach anerkennen
können, dass die deutsche Gesetzeslage bereits den
Vorgaben der Konvention entspricht. Sowohl vom Bundesrat als auch von den bei den Verhandlungen des
Übereinkommens beteiligten Arbeitgeberverbänden
und Gewerkschaften wird diese Auffassung geteilt.
Jetzt in ihrem Antrag wieder mit Ihrer altbekannten
Forderung nach einem politischen Einheitsmindestlohn anzukommen, ist wirklich nicht nötig.
Zum Abschluss möchte ich außerdem meinen hoch,
ach was, höchst geschätzten Kollegen Dr. Heinrich
Leonhard Kolb zitieren, der sich zur ersten Beratung
Ihres Antrags wie folgt eingelassen hat: „In einem
Punkt widersprechen Sie allerdings allen Ihren bisherigen Äußerungen: Sie fordern zwar die Verstärkung
von Anreizen, um bisher schwarz geführte Hausarbeit
zu legalisieren. Auf der anderen Seite verteufeln Sie
aber alle Flexibilisierungselemente auf dem Arbeitsmarkt und haben unsere Verbesserungen bei den
Minijobs - das ideale Instrument für Hausangestellte,
die bei verschiedenen Arbeitgebern arbeiten! - strikt
abgelehnt. Denn gerade die Erleichterungen für Hausangestellte machen es doch erst attraktiv für einen
Privathaushalt, der jemanden nur für wenige Stunden
in der Woche oder im Monat beschäftigt, ihn bei der
Minijobzentrale anzumelden und Sozialabgaben zu
zahlen. Das sind bereits starke Anreize. Dass diese
Anreize noch mehr kommuniziert werden können - da
stimme ich gerne mit Ihnen überein. Die Beschäftigung
von Schwarzarbeitern ist kein Kavaliersdelikt. Damit
wir Schwarzarbeit legalisieren, müssen Sie Ihr Sperrfeuer gegen die Minijobs einstellen. Weiter gehende
Anreize brauchen wir nicht.
Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen.“
Dem ist - aus Ihrer Sicht vielleicht leider, aus meiner Sicht aber wie so oft bei Zitaten von Dr. Heinrich
Leonhard Kolb - wirklich nichts hinzuzufügen. Ich bin
gespannt darauf, ob Sie so fair sind, uns im Wahlkampf
ausdrücklich für unsere Neuregelung der Minijobs zu
loben, mit der wir nicht nur die rentenrechtliche Absicherung deutlich verbessert haben - gerade für geringfügig Beschäftigte in Haushalten -, sondern mit
der wir auch effektiv etwas gegen Schwarzarbeit erreicht haben, weil die Entgeltgrenze angehoben wurde.
Fast zwei Jahre nachdem die Vollversammlung der
Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, das Übereinkommen 189 über menschenwürdige Arbeit für
Hausangestellte verabschiedet hat, hat nun auch die
Bundesregierung die Prüfung zur Ratifizierung des
Übereinkommens abgeschlossen. Mit der heutigen Beratung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung
schaffen wir abschließend die Voraussetzung zur Ratifizierung des Abkommens.
Um das klar zu sagen: Das ist allerdings nicht allein
ein Verdienst der Bundesregierung, sondern vor allem
ein Verdienst zahlreicher Initiativen und Verbände, die
sich vehement für eine rasche Ratifizierung des ILOÜbereinkommens eingesetzt haben. Sie waren es, die
maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Deutschland zu den ersten europäischen Ländern gehört, in
dem die Konvention verbindlich wird.
Das ist auch bitter nötig: Nach der im Januar von
der ILO vorgestellten Studie, die erstmals das Ausmaß
und die Situation von Hausangestellten untersucht hat,
gibt es weltweit mindestens 52 Millionen Hausangestellte. Die Studie soll zukünftig die Grundlage dafür
schaffen, wie die Situation für diese Menschen verbessert werden kann.
Allein für Deutschland geht das Statistische Bundesamt von rund 712 000 Hausangestellten aus. Allerdings dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen: So
geht der Deutsche Gewerkschaftsbund davon aus, dass
rund 2,6 Millionen deutsche Haushalte regelmäßig
Hausangestellte auf Teilzeitbasis beschäftigen. Ein
großer Teil arbeitet schwarz.
Wir müssen feststellen, dass die Strategie zur Legalisierung und zur Einhaltung von Arbeitsrechten haushaltsnaher Dienste in Deutschland bisher nicht
sonderlich erfolgreich war. Besonders betroffen sind
Frauen aus Polen und anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, die über dubiose Vermittlungsagenturen
angeheuert in der 24-Stunden-Pflege tätig sind und in
häuslicher Gemeinschaft mit ihrem Arbeitgeber leben.
Gerade hier werden arbeitsrechtliche Bestimmungen
massenhaft missachtet. Vor allem Arbeitszeitstandards
werden nicht eingehalten, die Privatsphäre wird nicht
geachtet, oft fehlen Arbeitsverträge oder Löhne werden vorenthalten.
Gleichwohl hat die Bundesregierung eine entscheidende Abweichung in ihrem Gesetzentwurf vorgenommen: Sie interpretiert das Übereinkommen so, dass die
24-Stunden-Pflege vom ILO-Abkommen nicht erfasst
ist. Damit bleibt der „graue Pflegemarkt“ auch weiterhin unreguliert. Die quasi rechtlose Lage der
24-Stunden-Pflegenden wird so zementiert. Die Betroffenen - und hier meine ich nicht nur die HausangeZu Protokoll gegebene Reden
stellten, sondern auch die Angehörigen von zu pflegenden Menschen, die oftmals mit der Situation völlig
überfordert sind - werden von der Bundesregierung
weiterhin im Stich gelassen. Aus unserer Sicht ein inakzeptabler Zustand! Hier haben Sie sich einen
schlanken Fuß gemacht. Gerade für Menschen in der
24-Stunden-Pflege brauchen wir vergleichbare arbeitsschutzrechtliche Regelungen, wie sie für alle anderen Beschäftigten auch gelten.
Nichtsdestotrotz bietet die Ratifizierung dennoch
Entwicklungsmöglichkeiten gerade für diese Beschäftigtengruppe, die ohne die Gültigkeit des Abkommens
für Deutschland nicht vorhanden wären, ein nicht zu
unterschätzender Fortschritt: Mit der Ratifizierung
gelangt die Praxis des jeweiligen Landes in den Überwachungsmechanismus der ILO und erlaubt so den
Sozialpartnern, auf die Bewertung der Rechtslage und
der Praxis Einfluss zu nehmen sowie den Rechtsweg zu
beschreiten.
Das Beispiel des „grauen Pflegemarktes“ zeigt:
Ausbeutung und der Missbrauch der Rechte von Hausangestellten ist auch in Deutschland kein Einzelfall.
Hier steckt die Bundesregierung den Kopf in den Sand.
Die Hans-Böckler-Stiftung hat bereits im Mai 2012
festgestellt, dass „nach der Ratifikation noch Schritte
zur vollständigen Verwirklichung der Konventionsrechte vorgenommen werden müssten“. Wer also
glaubwürdig sein und ein solches Abkommen mit Leben füllen will, muss an der eigenen Haustür anfangen. Das heißt, dass wir auch bei uns vor Ort für faire
und gute Arbeitsbedingungen sorgen müssen.
Insofern bieten der gemeinsame Antrag der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen dafür eine gute
Vorlage, auf der Strecke noch weiter tätig zu werden.
Dies gilt auch für ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, der, um wenigstens nach 45 Versicherungsjahren einen Rentenanspruch oberhalb der
Grundsicherung zu erwerben, nach unserer Auffassung bei mindestens 10 Euro liegen müsste.
Dem Deutschen Bundestag bleiben nur noch wenige
Sitzungswochen, um wichtige Beschlüsse zu fassen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat viel angekündigt, aber wenig auf den Weg gebracht. Stattdessen
wurde viel Zeit damit vertan, unwichtige und unsinnige
Dinge zu beschließen - wie das Betreuungsgeld. Vor
diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf, um den es
heute geht, umso mehr zu begrüßen. Denn die Ratifizierung des ILO-Übereinkommens über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte ist wichtig und richtig.
Der Gesetzentwurf wird daher unsere volle Zustimmung erhalten.
Das Übereinkommen mit der Nummer 189 ist eine
große Errungenschaft. Es wirft ein wenig Licht auf die
oft unsichtbare und unterbezahlte Arbeit der Hausangestellten überall auf der Welt. Den Beschäftigten
- meist sind es Frauen, oft Migrantinnen - werden
endlich Rechte eingeräumt, die sie vor Missbrauch,
Diskriminierung und Ausbeutung schützen. Deswegen
ist es wichtig, dass das Übereinkommen von möglichst
vielen Staaten der Welt unterzeichnet wird. Gerade die
Industrienationen und unter ihnen wiederum in besonderem Maße Deutschland könnten und sollten bei
Mindeststandards für ihre Beschäftigten mit gutem
Beispiel vorangehen. Wie so oft gilt: Was wir selbst
nicht bereit sind zu leisten, das können wir schlecht
von anderen verlangen. Deshalb ist es entscheidend,
dass die Bundesrepublik Deutschland soziale und ökologische Kriterien ernst nimmt. Deswegen ist es zwingend, dass Texte, die auf internationalen Konferenzen
unterzeichnet wurden, auch möglichst zügig in nationales Recht umgesetzt werden.
Aus diesem Grund hat meine Fraktion gemeinsam
mit der SPD einen Antrag eingebracht, um das ILOÜbereinkommen zügig zu ratifizieren und die nationale
Gesetzgebung an die Erfordernisse des Abkommens
anzupassen. Über diesen Antrag haben wir Ende
November im Bundestag beraten zu einem Zeitpunkt,
als nur Uruguay, die Philippinen und Mauritius bereits
ratifiziert hatten. Mittlerweile sind Nicaragua und
Bolivien dazugekommen. Von allen entwickelten Industrieländern, von allen EU-Staaten hat bisher nur
Italien das Übereinkommen ratifiziert - im Januar dieses Jahres. Es wird Zeit, dass sich diese noch viel zu
kurze Liste um Deutschland verlängert.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der erste
Teil unseres Antrags erfüllt. Da der Bundesrat keine
Einwendungen erhebt, liegt es jetzt am Deutschen
Bundestag, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit
das Übereinkommen formal in Kraft treten kann. Wir
werden zustimmen. Als kritisch sehen wir jedoch die
Einschätzung der Bundesregierung, dass Ergänzungen
der innerstaatlichen gesetzlichen Vorschriften nicht
erforderlich seien. So einfach kann es sich der Gesetzgeber dann doch nicht machen, wenn er den Inhalt des
ILO-Übereinkommens wirklich ernst nimmt. Denn es
gibt Handlungsbedarf auch in Deutschland, Verbesserungsbedarf für die Situation der rund 250 000 angemeldeten Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten, Reformbedarf für die geschätzten rund vier Millionen
informell beschäftigten Hausangestellten.
Allein schon diese riesige Spannweite zwischen der
offiziell gemeldeten und der geschätzten tatsächlichen
Zahl von in Deutschland beschäftigten Hausangestellten macht klar: Ein zu eng gefasster Ansatz, der rein
auf die formalen Regelungen schaut, geht an den tatsächlichen Schutzbedürfnissen der Betroffenen vorbei.
Die Grauzone und Dunkelziffer sind gerade bei Hausangestellten so groß wie in kaum einem anderen Beschäftigungsbereich.
Aus gutem Grund haben wir in unserem Antrag
auch eine Aufklärungskampagne über die Rechte der
Beschäftigten vorgeschlagen, die Rücksicht auf die
sprachlichen Barrieren der Hausangestellten mit
Migrationshintergrund nimmt. Es genügt schließlich
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht, auf bestehende Rechtsnormen zu verweisen,
wenn diese Rechtsnormen zu wenig bekannt sind, zu
wenig umgesetzt und überwacht werden und zu wenig
Beachtung in der Praxis finden.
Auch bei der Frage der Entlohnung genügt es nicht,
auf die bestehende Rechtslage zu verweisen. Es ist und
bleibt ein Mangel, dass es in Deutschland keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt und
auch keinen branchenspezifischen Mindestlohn für gewerbliche Arbeit innerhalb von privaten Haushalten.
Es ist ein Mangel, dass pflegende Hausangestellte, die
in der Theorie vom Branchen-Mindestlohn für die
Pflege profitieren müssten, diesen in der Praxis meistens nicht durchsetzen können - sofern sie überhaupt
davon wissen. Die ungeregelte Entlohnung ist und
bleibt für uns ein zentraler Kritikpunkt.
Wir kritisieren auch, dass Minijobs sozial schlecht
abgesichert sind, eine arbeitsmarktpolitische Sackgasse darstellen und dringend reformiert werden müssen. Das betrifft auch in ganz besonderem Maße Hausangestellte, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl in
geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen angestellt
sind.
Alle diese Mängel und Kritikpunkte wird der Gesetzgeber angehen müssen. Sie stehen formal der Ratifizierung jedoch nicht im Weg. Deswegen stimmen wir
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu und sind
froh über eine rasche Umsetzung des ILO-Übereinkommens 189. Die Zustimmung in Deutschland ist ein
wichtiges Signal für andere Staaten der Welt und ein
bedeutender Schritt nach vorne. Dieser Erfolg darf
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit dem
vorliegenden Gesetz alleine noch nicht getan ist. Es
sind noch gesetzgeberische Hausaufgaben zum Schutz
für die Hausangestellten zu leisten. Spätestens der
nächste Bundestag wird sich erneut mit diesem Themenbereich beschäftigen müssen. Anregungen und
Hilfestellungen haben wir mit unserem Antrag geliefert.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13303, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12951
anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind alle Fraktionen
des Hauses. Gegenstimmen? - Es erhebt sich niemand.
Enthaltungen? - Es erhebt sich auch niemand. So ist der
Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache
17/13303 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/11370. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen infolgedessen niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung
ohne Lücken
- Drucksachen 17/12389, 17/12906 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
In Ihrem Antrag „Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken“ vertritt die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen die Auffassung, die Regelbedarfe im SGB II und SGB XII seien fehlerhaft berechnet. Der Antrag ist ein Sammelsurium altbekannter
und bereits im Rahmen zahlreicher anderer Anträge
diskutierter Forderungen nach dem Erlass eines Sanktionsmoratoriums, der Einführung einer vertikalen
Einkommensanrechnung und einer Abschaffung des
Asylbewerberleistungsgesetzes.
Entgegen Ihrer Auffassung sind die Regelbedarfe
für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene verfassungsgemäß. Sie wurden in einem transparenten
und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie
nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren ermittelt.
Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und
zur Änderung des SGB II und des SGB XII sind wir der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, eine transparente Berechnung des Regelbedarfs bzw. eine nachvollziehbare Begründung zu liefern.
Die Ermittlung von Regelbedarfen dient der Bestimmung der Leistungshöhe für die Gewährleistung des
verfassungsrechtlich garantierten menschenwürdigen
Existenzminimums. Bei der hierfür erforderlichen Erhebung einer geeigneten Datenbasis, die eine möglichst genaue Bedarfsermittlung zulässt, hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ausdrücklich
einen Gestaltungsspielraum eingeräumt.
Die Regelbedarfe orientieren sich am Lebensstandard einkommensschwacher Haushalte. Der materielle Lebensstandard hängt im Wesentlichen vom verfügbaren Nettoeinkommen dieser Haushalte ab und
manifestiert sich in deren Konsumausgaben. Die im
Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
erhobenen Verbrauchsausgaben für alle regelbedarfsrelevanten Güter und Dienste von Haushalten mit
niedrigem Einkommen bilden hierfür die Referenzgruppe. Die jährlich erfolgende Fortschreibung der
Regelbedarfe berücksichtigt zudem die Preis- und
Lohnentwicklung.
Der monatliche pauschale Regelbedarf umfasst beispielsweise Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Energie, Bedarfe des täglichen Lebens sowie Bedarfe für Beziehungen zur Umwelt und
Teilnahme am kulturellen Leben. Über die tatsächliche
Verwendung dieses Pauschalbetrages entscheidet der
Leistungsberechtigte eigenverantwortlich nach seinen
individuellen Bedürfnissen. In seinem Urteil vom
9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht
neben der Auskömmlichkeit der Regelsätze des
SGB XII und SGB II auch die Anwendung der zugrunde liegenden Statistik als geeignet und realitätsnah bezeichnet.
Auch das von Ihnen geforderte Sanktionsmoratorium erachten wir als nicht zielführend. Mit dieser
Forderung verkennen Sie die Grundprinzipien des
Förderns und Forderns im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. All denjenigen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst oder durch
Unterstützung Dritter sichern können, wird nach dem
verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsprinzip
ein physisches und soziokulturelles Existenzminimum
garantiert.
Dies bedeutet, dass jedem Leistungsberechtigten
diejenigen materiellen Voraussetzungen zugesichert
werden, die für seine physische Existenz und für ein
Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Der
Staat gewährleistet demnach nicht nur eine bloße Sicherung der physischen Existenz in einer Notlage, sondern er sichert auch ein soziokulturelles Existenzminimum sowie einen Schutz vor Stigmatisierung und
sozialer Ausgrenzung.
Mit dieser von der Solidargemeinschaft durch Steuern finanzierten Hilfe ist selbstverständlich auch die
Erwartung verbunden, dass jeder erwerbsfähige Leistungsberechtigte alle zumutbaren Maßnahmen zur
Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit ausschöpft. Nach dem in § 2 SGB II festgelegten Grundsatz
des Forderns hat sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht nur vorrangig und eigeninitiativ um die Beendigung seiner Hilfebedürftigkeit zu bemühen, sondern auch aktiv und kooperativ an allen Maßnahmen
mitzuwirken, die seine zügige Wiedereingliederung in
den Arbeitsmarkt fördern. Wird diesen bestehenden
Obliegenheiten ohne wichtigen Grund nicht nachgekommen, so kann dies gemäß § 31 SGB II Sanktionen in
Form einer Minderung oder des Wegfalls der Leistung
zur Folge haben.
Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass sich die
überwiegende Mehrheit der Leistungsbezieher äußerst
engagiert zeigt und auch zügig wieder in Beschäftigung kommen möchte. Die von Ihnen ständig kritisierten Sanktionen betrafen im vergangenen Jahr
beispielsweise nur etwa drei Prozent aller Leistungsberechtigten. Von den verhängten Sanktionen waren
über zwei Drittel auf Meldeversäumnisse zurückzuführen - wenn also beispielsweise ein vereinbarter Termin
mit dem Jobcenter nicht eingehalten wurde.
Auch die Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Einkommen vielleicht nur knapp oberhalb der Transferleistungen liegt, finanzieren durch ihre Beiträge diese
Leistungen mit. Und daher ist es doch nur recht und
billig, wenn wir bei der Vergabe dieser durch die Solidargemeinschaft finanzierten Fürsorgeleistung auch
eine gewisse Eigeninitiative und Kooperationsbereitschaft verlangen.
Mit Blick auf die gegenwärtige Lage am deutschen
Arbeitsmarkt lässt sich feststellen, dass die Voraussetzungen, wieder zügig in Beschäftigung zu gelangen, so
gut sind wie nie zuvor. Wir haben so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie nie zuvor, die
niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und im europaweiten Vergleich mit Abstand die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Im Zuge des demografischen Wandels
und des gestiegenen Fachkräftebedarfs sind und werden die Chancen auf unserem robusten und stabilen
Arbeitsmarkt auch in Zukunft besser denn je sein, wieder rasch den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden.
Bei der in Ihrem Antrag weiter geforderten umfassenden Öffnung der Sozialleistungen für arbeitsuchende Bürger aus anderen EU-Staaten sowie der
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist zunächst einmal festzuhalten, dass alle Menschen, die
aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen
verfolgt werden, ein in Art. 16 a des Grundgesetzes
verankertes Recht auf Asyl haben. Menschen, die unseren Schutz benötigen, können sich darauf verlassen,
dass ihnen auch geholfen wird.
Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt für alle
Asylsuchenden ein menschenwürdiges Dasein sicher
und wird dies auch in Zukunft tun. Entsprechend den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes wird die
Bundesregierung eine verfassungskonforme, ableitbare, transparente und realitätsgerechte Neuregelung
erarbeiten. Der notwendige Lebensbedarf einschließlich Unterbringung, erforderliche medizinische Behandlungen sowie auch etwaige persönliche Bedürfnisse - wie etwa die von Kindern - wird sichergestellt.
Aber, meine Damen und Herren, das verfassungsrechtlich verankerte Asylrecht soll weder wirtschaftliche noch soziale Unterschiede ausgleichen und hierdurch die missbräuchliche Inanspruchnahme fördern,
sondern es soll umfassenden Schutz vor Verfolgung
jeglicher Art sichern. Anreize für das Ausnutzen des
deutschen Sozialsystems dürfen hier nicht gesetzt werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom
18. Juli 2012 das Asylbewerberleistungsgesetz als eigenes Konzept verfassungsrechtlich nicht beanstandet
hat.
Wer in unserem Land in eine Notlage geraten ist, die
er aus eigener Kraft nicht bewältigen kann, ist auf die
Hilfe der Gemeinschaft angewiesen und bekommt
diese auch. Niemand wird in unserer Gesellschaft zurück- oder alleingelassen, und jeder soll trotz Notsituation ein menschenwürdiges Leben führen können.
Diese Hilfe soll nicht nur Armut verhindern, sondern dem Empfänger auch eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen. Sie soll ihn aber auch in die
Lage versetzen, sein Leben möglichst bald wieder aus
eigener Kraft zu gestalten. Deshalb haben die Regelungen zur Stärkung dieser Selbsthilfe besondere Bedeutung.
Es gibt weder eine rechtliche Verpflichtung noch ist
es Aufgabe des Staates, auch denjenigen Leistungen
zur Existenzsicherung zu garantieren, die sie infolge
der eigenen Einkommens- und Vermögenssituation
nicht nötig haben.
Vorweg eine Klarstellung: Anders als es der vorliegende Antrag zu vermitteln versucht, ist eine soziokulturelle Teilhabe über die Grundsicherung für Arbeitssuchende und die Regelsatzberechnung im SGB II wie
auch im SGB XII in Deutschland verfassungskonform
sichergestellt.
Dazu ein Blick zurück: Vor zehn Jahren hatte sich
eine breite Mehrheit dieses Hauses auf eine gemeinsame Formel verständigt - und zwar auf das Prinzip
des Förderns und Forderns. Uns einte die feste Überzeugung, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
vor allem auch über den Zugang zum Arbeitsmarkt
hergestellt werden kann bzw. muss. Deshalb hatte der
Bundestag neue Wege beschritten und mit der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wieder vielen Menschen Zugang zu den Förderinstrumenten des Arbeitsmarktes verschafft. Heute können wir
die Ernte einfahren: auf dem Arbeitsmarkt herrscht
Rekordbeschäftigung, die Arbeitslosenquote ist massiv
zurückgegangen, die Quote der Jugendarbeitslosigkeit
ist so niedrig wie in keinem anderen europäischen
Land. Man muss es einfach immer wieder betonen: Wir
sind arbeitsmarktpolitisch auf einem guten und richtigen Weg.
Richtig ist allerdings auch, dass es ein absolut perfektes Gesetz angesichts der Komplexität der Materie
nicht geben kann. Das bedeutet auch, dass dort, wo
Probleme zutage treten, korrigierend eingegriffen werden muss. Genau das hat die Koalition in den vergangenen drei Jahren immer wieder getan. Ich möchte an
die Regelsatzreform, die Jobcenter-Reform oder an die
Instrumentenreform erinnern. All dies war notwendig,
um das „lebendige System“ der sozialen Sicherung in
Deutschland zu erhalten und nachzubessern. So sollten wir auch weiterhin verfahren. Die von den Grünen
vorgeschlagenen Veränderungen reichen jedoch weit
über den Charakter von Korrekturen hinaus. Sie stellen vielmehr das grundlegende Prinzip infrage. Insbesondere in folgenden drei Punkten wird dies deutlich:
Erstens. Sie fordern ein Sanktionsmoratorium. Ein
Sanktionsmoratorium aber widerspricht dem Grundsatz des Förderns und Forderns. Mehr als 95 Prozent
der Leistungsbezieher halten sich an die Regeln und
sind deshalb folgerichtig nicht von Sanktionen betroffen. Leistungsminderungen wegen einer Pflichtverletzung treten immer nur bei der Person ein, bei der das
Fehlverhalten vorliegt. Auch im Sanktionsfall wird
dieser Person ein menschenwürdiges Existenzminimum über Sachleitungen gesichert. Damit entspricht
die Sanktionspraxis dem grundlegenden Prinzip des
Sozialstaats: eigene Anstrengungen einerseits und
staatliche Fürsorge andererseits.
Zweitens. Sie fordern eine individuelle Einkommensrechnung bei Bedarfsgemeinschaften. Konkret
heißt es, dass Väter oder Mütter, die ein persönlich bedarfsdeckendes Einkommen erzielen, das nicht ausreicht, um die gesamte Familie zu ernähren, aus der
Bedarfsgemeinschaft herauszurechnen sind. Damit
aber würde das Konzept der Bedarfsgemeinschaft ad
absurdum geführt. Das Konzept der Bedarfsgemeinschaft folgt dem Prinzip der Subsidiarität, wonach
Familien und Lebensgemeinschaften füreinander einstehen. Es ist darauf ausgerichtet, dass allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft der Zugang zur aktiven
und passiven Arbeitsmarktförderung gewährt und damit eine Chance gegeben wird, aus der Grundsicherung herauszukommen. Ihr Vorschlag käme damit einer Abkehr vom Prinzip der Bedarfsgemeinschaft
gleich.
Drittens. Sie fordern eine Öffnung der Sozialsysteme für arbeitsuchende Unionsbürger. Eine solche
Öffnung würde jedoch dazu führen, den Zuzug in die
Sozialsysteme massiv zu befördern. Damit laufen wir
Gefahr, den Sozialstaat auf Dauer zu überfordern und
ihn in seiner jetzigen Form zu beschädigen. Das kann
niemand wirklich wollen. Daher setzt diese Koalition
auf eine zielgerichtete, qualifizierte Arbeitsmigration.
Die CDU/CSU-Fraktion wird aus den genannten
Gründen den vorliegenden Antrag nicht unterstützen
und folgt der Beschlussempfehlung des Ausschusses
zur Ablehnung.
Wir beraten heute einen Antrag der Grünen, der zu Recht - auf bestehende Defizite bei der Sicherung
des menschenwürdigen Existenzminimums hinweist.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
stimmen mit dem Ziel des Antrags überein: Es muss in
Deutschland eine ordentliche Existenzsicherung für
alle Menschen geben! Dafür haben wir uns immer eingesetzt und werden dies auch weiterhin tun.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir haben dabei auch Unterstützung von unseren
obersten Richterinnen und Richtern. So besagt das Regelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom
9. Februar 2010 im Kern: Jeder Mensch in Deutschland hat einen Rechtsanspruch auf ein menschenwürdiges physisches und soziokulturelles Existenzminimum, das transparent und nachvollziehbar ermittelt
wird.
Und wie wurde dieses Urteil von Schwarz-Gelb umgesetzt? Die eigentlich zuständige Sozialministerin
von der Leyen hat verkündet, was Finanzminister
Schäuble vorher berechnet hat. Das ist Existenzminimum nach Kassenlage. Also wurde an den Berechnungen so lange herumgedoktert und Positionen aus dem
Existenzminimum herausgerechnet, bis das Ergebnis
CDU/CSU und FDP gepasst hat. Heraus kamen minimale Erhöhungen für Erwachsene und sogar niedrigere Sätze für Kinder. Großzügigerweise hat man das
Existenzminimum für Kinder nicht gesenkt. Aber die
jährlichen Anpassungen wurden so lange ausgesetzt,
bis sie ausgeglichen waren. Somit wurde doch gekürzt.
Wir sind überzeugt, dass die neu berechneten Regelsätze nicht verfassungsfest sind.
Leider haben die Bundesregierung sowie CDU/CSU
und FDP bei den Verhandlungen unsere und die von
der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken ignoriert. Im Vermittlungsverfahren haben wir in anderen
Bereichen wichtige Fortschritte erreicht, sodass wir in
der Gesamtabwägung letztendlich zähneknirschend
zugestimmt haben. Wir konnten durchsetzen, dass rund
500 000 Kinder von Wohngeld- und KinderzuschlagsEmpfängern und -Empfängerinnen auch ein Recht auf
das Bildungs- und Teilhabepaket haben. Für unsere
klammen Städte und Gemeinden haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Entlastung
um etwa 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich erreicht, da
der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schrittweise und ab 2014 vollständig übernimmt. Außerdem
konnten wir für die Leiharbeit, die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungen
Branchenmindestlöhne aushandeln.
Mittlerweile hat das Berliner Sozialgericht unsere
Kritik bestätigt, dass die Regelsätze nach einem fehlerhaften, noch dazu willkürlichen Verfahren ermittelt
wurden. Das Bundesverfassungsgericht muss das nun
erneut überprüfen. Auch bei der inhaltlichen Kritik
gibt uns das Berliner Sozialgericht recht: Für vernünftige, bedarfs- und realitätsgerechte Regelsätze dürfen
vom Berechnungsmodell nach der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe nicht im Nachhinein willkürlich
Verbrauchspositionen abgezogen werden. Außerdem
müssen bei der Berechnung, wie früher, die unteren
20 Prozent der Haushalte zugrunde gelegt werden und
nicht, wie jetzt aus reinem Spardiktat und ohne systematische Begründung, nur die untersten 15 Prozent.
Auch die Menschen, die in verdeckter Armut leben,
weil sie ihre Sozialleistungsansprüche nicht geltend
machen, und diejenigen, die aufstockende Sozialleistungen erhalten, müssen aus der Referenzgruppe herausgerechnet werden. Sonst führt dies zu unzulässigen Zirkelschlüssen.
Wir fordern die zuständige Arbeitsministerin von
der Leyen auf, einen Runden Tisch einzuberufen, um
ein Konzept zu entwickeln, wie die Regelbedarfe ermittelt werden. Daran sollen Verbände, Expertinnen und
Experten und alle im Bundestag vertretenen Parteien
beteiligt werden.
Auf diese vielen Missstände bei der Existenzsicherung und auch auf die Verfassungswidrigkeit der Leistungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben wir die Bundesregierung in der Vergangenheit
bereits unzählige Male hingewiesen. Passiert ist
nichts! Dabei war die Folgewirkung des Regelsatzurteils vom 9. Februar 2010 auf das Asylbewerberleistungsgesetz allen klar: Flüchtlinge erhielten teilweise
nur gut die Hälfte des Sozialhilfeniveaus, und diese
Leistungen wurden seit 1993 nicht angepasst. Das hat
mit einem menschenwürdigen Existenzminimum nichts
zu tun! Selbst Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, haben die Verfassungswidrigkeit eingeräumt. Gehandelt haben Sie nicht. Sie missachten
dabei nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch die Rechte der über 150 000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland.
Auch auf den zweiten Bugschuss der Verfassungsrichter hat Schwarz-Gelb nicht reagiert: Im Juli letzten Jahres legten die Karlsruher Richterinnen und
Richter ihr vernichtendes Urteil über die derzeitige
Existenzsicherung von Asylbewerbern in Deutschland
auf den Tisch. Sie forderten eine unverzügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes und haben
die sofortige Heraufsetzung der Regelsätze angeordnet. Doch immer noch stehen die niedrigen, verfassungswidrigen Regelleistungen im Gesetz. Allein die
Bundesländer haben den offenen Verfassungsbruch
verhindert: Sie haben sich als Zwischenlösung ohne
bundesgesetzliche Regelung auf einheitliche neue
Sätze verständigt. Sie, meine Damen und Herren von
Schwarz-Gelb, haben hingegen nichts getan und haben damit die Länder voll im Regen stehen lassen.
Bis heute treten Sie, meine Damen und Herren von
CDU/CDU und FDP, unser Grundgesetz mit Füßen
und haben keine Neuregelung vorgelegt. Vor der Wahl
wird von Ihnen auch nichts mehr kommen. Sie nehmen
die Verfassungswidrigkeit einfach in Kauf. Ein beschämendes Armutszeugnis für Schwarz-Gelb!
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
haben auch hierzu einen umfassenden Reformantrag
vorgelegt, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt und das Asylbewerberleistungsgesetz auf
verfassungsfeste Füße stellt. Wir wollen auch das diskriminierende und teure Sachleistungsprinzip abschaffen, die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge verbessern und ihren Arbeitsmarktzugang erleichtern.
CDU/CSU und FDP wollen dagegen nicht einmal
Flüchtlingskinder in das Bildungs- und Teilhabepaket
Zu Protokoll gegebene Reden
einbeziehen. Wir hatten dies immer wieder - auch
durch einen Antrag - gefordert, um wenigstens diese
himmelschreiende Ungerechtigkeit für etwa 40 000 der
ärmsten Kinder in unserem Land zu beenden.
Sie, meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, müssten sich endlich um das Kernproblem
kümmern: Sie dürfen arme Kinder nicht ausgrenzen
und müssen Kinder in Familien - egal ob und wie die
Eltern zusammenleben - unterstützen. Das Ehegattensplitting und der Familienlastenausgleich müssen
dringend reformiert werden.
Stattdessen will Schwarz-Gelb ein bildungs-, integrations- und gleichstellungspolitisch völlig verfehltes
Betreuungsgeld für diejenigen einführen, die ihre Kinder nicht in Kitas bringen. Das schadet den Kindern
und den Eltern. Denn durch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die mangelnde Vereinbarkeit
von Kindern und Beruf haben vor allem die rund
1,6 Millionen alleinerziehenden Frauen schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Dort müssen wir ansetzen! Leider hat die Bundesregierung nichts für eine
vernünftige Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur getan.
Unter Rot-Grün haben wir dagegen in den Ausbau
der Ganztagsschulen investiert. In der Großen Koalition haben wir den Ausbau der Kindertagesbetreuung
und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen
Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr ab dem
1. August 2013 durchgesetzt.
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es ein wichtiges politisches Ziel, Kitas und Tagespflege auszubauen und qualitativ weiterzuentwickeln. Deshalb haben wir weitere Bundesmittel für den
Kitaausbau und einen höheren jährlichen Betriebskostenzuschuss durchgesetzt. Aber es sind noch mehr Mittel nötig. Deshalb werden wir das bildungsfeindliche
Betreuungsgeld abschaffen und die bis zu 2 Milliarden
Euro, die es jährlich kosten würde, komplett in die Kitas investieren.
Damit Länder und Kommunen eine gute Infrastruktur für gebührenfreie Bildungsangebote von der Kita
bis zur Uni schaffen können, benötigen sie natürlich
weitere Finanzmittel. Die SPD hat mit dem „Nationalen Pakt für Bildung und Entschuldung“ als einzige
Partei einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, die Bildungsfinanzierung von Bund und Ländern auszuweiten: Wir wollen für Bildung zusätzlich 20 Milliarden
Euro im Jahr bereitstellen, je 10 Milliarden Euro vom
Bund und von den Ländern. Finanziert werden soll das
aus Einsparungen, dem Abbau von überflüssigen Subventionen, der Wiedereinführung der Vermögensteuer
und einer Reform der Erbschaftsteuer zugunsten der
Länder. Nur gemeinsam wird es gelingen, Ganztagsschulen und Kitas in Deutschland auszubauen und sie
besser auszustatten - Bund und Land müssen Hand in
Hand arbeiten.
Wir setzen auf den Ausbau der Bildungsinfrastruktur. Wir wollen Kitas und Horte flächen- und bedarfsdeckend ausbauen und Schulen zu Ganztagsschulen
umgestalten - mit Betreuungs-, Freizeit- und Lernförderangeboten und Schulsozialarbeitern sowie gesunder Essensverpflegung -, damit alle Kinder diskriminierungsfrei und bürokratiearm davon profitieren
können.
Bis dahin müssen wir aber dafür sorgen, dass die
Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets ohne
ausufernde und teure Bürokratie auch bei den rund
2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kindern und Jugendlichen ankommen. Denn es ist ausdrücklich Teil
ihres soziokulturellen Existenzminimums.
Das Bildungspaket war ein Schritt in die richtige
Richtung. Es muss aber - wie die Erfahrung gezeigt
hat - dringend verbessert werden: So müssen der Teilhabebetrag von 10 Euro monatlich und das Schulbedarfspaket mit dem Regelsatz ausgezahlt werden. Der
Zugang zur Lernförderung, die möglichst direkt an den
Schulen angeboten werden soll, muss vereinfacht und
die Essenskosten müssen unbürokratisch durch den
Bund finanziert werden. Lediglich Einmal- und Härtefallleistungen und schwer pauschalierbare Kosten sollen weiterhin auf einfachen Antrag gewährt werden.
Wenn man über Existenzsicherung spricht, muss
man auch immer über Strategien zur Vermeidung von
Armut diskutieren. Dazu gehören neben guter und kostenfreier Bildung für alle vor allem faire Arbeitsbedingungen und ein einheitlicher flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro
Stunde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen, wir teilen vieles in Ihrem Antrag und
stimmen dem Anliegen einer Existenzsicherung ohne
Lücken zu. Wie ich aufgezeigt habe, ist hier die
Bundesregierung in der Bringschuld. Allerdings unterscheiden wir uns teilweise in den konkreten Umsetzungsvorstellungen. Deshalb werden wir uns enthalten.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen suggeriert
eine Verfassungswidrigkeit der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II, die bisher kein Gericht so geteilt hat.
Vielmehr hat das Bundessozialgericht am 12. Juli 2012
die von der christlich-liberalen Regierungskoalition
berechneten und beschlossenen Regelsätze für verfassungsgemäß erklärt.
In dem Urteil des Bundessozialgerichts heißt es, die
Bundesregierung habe bei der Neuberechnung „nicht
gegen das Grundrecht auf Menschenwürde verstoßen“. Daher finde ich es ein starkes Stück und auch
unredlich, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen in ihrem Antrag etwas anderes unterstellen.
Wir haben sowohl den Regelbedarf für Erwachsene,
als auch erstmalig eigenständige Kinderregelsätze auf
Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe berechnet. Noch unter Rot-Grün war es so, dass
im Regelsatz von Kleinkindern zum Beispiel Ausgaben
Zu Protokoll gegebene Reden
für Zigaretten und Alkohol enthalten waren, aber kein
Geld für Windeln.
Diese von der damaligen rot-grünen Bundesregierung vorgenommene Festlegung des Regelsatzes
wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt, und nicht etwa die Festlegung des Regelsatzes, die diese Regierungskoalition vorgenommen
hat.
Unsere Regelsatzbemessung hat Wertungen vorgenommen. Zum Beispiel dahingehend, dass Internetdienstleistungen erstmals Bestandteil des Regelsatzes
sind. Und wir haben uns bewusst entschieden, einen
höheren Anteil für den öffentlichen Personennahverkehr zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite haben
wir aber auch die Wertungsentscheidungen getroffen,
dass Alkohol und Tabak nicht Bestandteil des Existenzminimums sind. Schon Rot-Grün hatte sich dagegen
entschieden, zum Beispiel Pauschalreisen oder
Glücksspiel in den Regelsatz aufzunehmen.
Solange es keine gegenteilige Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts gibt, sind die Regelsätze
verfassungsgemäß. Sie können die Urteile anderer Gerichte, insbesondere des Bundessozialgerichts, hier
nicht so einfach ignorieren.
Sie sprechen zudem die Regelbedarfsstufe 3 an.
Hier wird diese Bundesregierung im Juli einen Bericht
vorlegen, aus dem wir dann auch Schlüsse für die weitere Praxis ziehen werden. Daher wäre eine Abschaffung der Regelbedarfsstufe 3, wie Sie sie fordern, jetzt
falsch.
Auch Ihre Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket ist
nichts Neues. Vor drei Wochen haben wir die neuen
Zahlen zur Inanspruchnahme vorgelegt bekommen,
und danach muss man das Resümee ziehen, dass die
anfänglichen Startschwierigkeiten, gerade durch die
gute Vernetzungsarbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, mittlerweile behoben sind. Wenn
73 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten haben, dann ist das eine sehr erfreuliche
Nachricht.
Klar ist auch, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen werden, damit noch mehr anspruchsberechtigte Kinder und Jugendliche die Leistungen einfordern werden.
An dieser Stelle möchte ich aber auch klarmachen,
dass es eine hundertprozentige Inanspruchnahme nie
geben kann, da Babys und Kleinstkinder keine Leistungen zu Bildung und Teilhabe nutzen können.
Ihr Vorschlag, das Bildungs- und Teilhabepaket
rückabzuwickeln und die Mittel stattdessen als Investitionen in die Bildungs- und Teilhabeinfrastruktur einzusetzen, greift zu kurz. Denn wer kann garantieren,
dass die betroffenen Kinder die neuen Angebote annehmen? Wenn sie dies nicht machen, kämen wir dem
Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nur unzureichend nach. Deswegen kann Ihr Vorschlag maximal
eine Ergänzung zum Bildungspaket sein, er kann es
aber nie ersetzen.
Ganz grundsätzlich ist es Aufgabe der Politik, die
Voraussetzungen zu schaffen, damit so wenig Menschen
wie möglich auf staatliche Unterstützung angewiesen
sind und vielmehr ihr Auskommen selbst erwirtschaften
können. Um dies zu erreichen, hat diese christlich-liberale Regierungskoalition auf eine wachstumsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik gesetzt. So konnten wir die Zahl der Langzeitarbeitslosen in dieser
Legislaturperiode um 250 000 senken.
Noch wichtiger finde ich, dass wir die Zahl der Kinder, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen, um über 130 000 senken konnten.
Wir haben mit unserer Politik den Menschen neue
Perspektiven gegeben, und dies werden wir so auch
fortsetzen.
Von einer Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums in Deutschland kann wahrlich keine
Rede sein. Die Leistungen der Grundsicherung sind
von der Bundesregierung bewusst kleingerechnet worden. Es ist und bleibt zutreffend: Hartz IV ist Armut per
Gesetz. Leidtragende der Kleinrechnung des Existenzminimums sind Kinder und Jugendliche und erwerbsfähige Hartz-IV-Beziehende. Leidtragend sind aber
auch alle Erwerbstätigen, weil ihr steuerfreies Existenzminimum zu gering ausfällt, und schließlich auch
grundsicherungsberechtige, erwerbsunfähige und ältere Menschen. An der Aufzählung sehen Sie: Fast alle
Menschen in Deutschland leiden unter dem kleingerechneten Existenzminimum. Die Linke hat hier eine
klare Position: Eine Anhebung der Grundsicherungsleistung auf 500 Euro ist ein zwingender und notwendiger erster Schritt, um Armut und Ausgrenzung zu
vermeiden.
Einig sind sich die Fraktionen von Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke darin, dass darüber hinaus Lücken in der Existenzsicherung bestehen. Beispielsweise führt die sogenannte Bedarfsgemeinschaft dazu,
dass leistungsberechtigte Personen keine Leistungen
bekommen, weil sie mit anderen Menschen zusammenleben. Dies trifft besonders Kinder und Frauen, insbesondere dann, wenn Kinder ihrerseits keinen Rechtsanspruch auf Unterhaltsleistungen haben, sondern
vom Gutdünken neuer Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner abhängig sind. So entstehen existenzbedrohende Sicherungslücken. Leistungsansprüche sind
daher zu individualisieren und die Eigenständigkeit
von Männern und Frauen zu fördern. Ebenfalls einig
sind wir uns in Bezug auf die Abschaffung der Regelbedarfsstufe 3 bei Menschen mit Behinderung über
25 Jahre. Ihre Schlechterstellung auf 80 Prozent des
Regelsatzes ist durch nichts zu rechtfertigen. Einen
entsprechenden Handlungsauftrag an die Bundesregierung durch den Vermittlungsausschuss hat die Bundesregierung schlicht nicht umgesetzt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Durch das Sanktionssystem bei Hartz IV wird politisch ganz bewusst anerkannt leistungsberechtigten
Personen zumindest ein Teil des Existenzminimums
entzogen. Bei jungen Menschen wird bei kleinen Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter die komplette
Regelleistung für drei Monate gestrichen. So lässt sich
das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht realisieren.
Besonders besorgniserregend finden wir auch, dass
Menschen aufgefordert werden, eine günstigere Wohnung zu beziehen, auch wenn es nachweislich keinen
Wohnraum im geforderten Preissegment gibt. Hier
werden Arbeitsuchende für die falsche Wohnungsmarktpolitik derer bestraft, die in Regierungsverantwortung sind. Wir fordern für diese Fälle die Übernahme der gesamten Wohnkosten.
Die Linke ist auch wesentlich konsequenter in ihren
Forderungen als die Grünen. Ich sagen Ihnen: Entweder wir legen uns auf ein verfassungsrechtliches Existenzminimum in diesem Staat fest oder eben nicht.
Sanktionen jeglicher Art führen nämlich dazu, dass
ebendieses Existenzminimum regelmäßig unterschritten wird. Wenn die Stromkosten steigen, müssen die
Regelsätze entsprechend nach oben korrigiert werden.
Stromabschaltungen sind keine Lösung, sondern menschenverachtend.
Die Diskriminierung von ausländischen Staatsangehörigen und Arbeitsuchenden, denen bisher jeglicher Leistungsanspruch verwehrt wird, lehnen wir
ebenfalls ab. Wir fordern, auch sie als gleichwertige
Menschen zu betrachten und auch ihnen die Existenzsicherung zuzusprechen.
Wir Linken stimmen dem Antrag der Grünen zu, obwohl ihre Verbesserungsstrategien oberflächlich sind.
Menschenverachtende Methoden zu „prüfen“, „einzuschränken“ oder „transparenter zu machen“, hat noch
niemanden satt gemacht. Besonders deutlich wird das
Lavieren der Grünen bei der Frage der Sanktionen.
Sanktionen führen nun mal zu einer Unterschreitung
des menschenwürdigen Existenzminimums. Wenn das
so ist, dann hilft nur die komplette Abschaffung jeglicher Sanktionen. Hier gibt es keine Kompromisse! Der
Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen
ist unantastbar“, muss ohne Einschränkungen auch
für alle Langzeiterwerbslosen gelten.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieser höchste Grundsatz unserer Verfassung ist Verbot und Gebot zugleich: Er verbietet
jede Verletzung der Würde und gebietet zugleich, dass
alles staatliche Handeln auf den unbedingten Schutz
der Würde hinwirken muss. Soweit der Anspruch. Ein
Blick in die Praxis - genauer gesagt: in die Lebenspraxis der Menschen, die Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten - macht deutlich: Hier
hat das Achtungsgebot der Würde deutliche Lücken.
Die Mindestsicherung, die das SGB II, das SGB XII
und auch das Asylbewerberleistungsgesetz vorsehen,
gewährleistet kein vollständiges soziokulturelles Existenzminimum und ermöglicht nicht lückenlos das menschenwürdige Dasein.
Die Mängelliste ist lang: So wurden die Regelsätze
für Erwachsene und Kinder künstlich heruntergerechnet, sodass die Bedarfe nicht voll gedeckt werden können. Die Abhängigkeit von Personen wird durch die
gemeinsame Veranlagung in Bedarfsgemeinschaften
verstärkt. Bei den Kosten für Unterkunft und Heizung
werden oftmals trotz angespannter Wohnungsmärkte
nicht zu realisierende Forderungen zur Senkung der
Mietkosten gestellt. Einige Jobcenter übernehmen
Mietkautionen nur, wenn diese aus dem Regelsatz zurückgezahlt werden. Umzugskosten werden ebenfalls
häufig nicht oder nur teilweise übernommen. Beides
verringert in unzulässiger Weise das soziokulturelle
Existenzminimum. Steigende Strom- und Heizkosten
bringen immer mehr Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten. Für nicht wenige enden sie mit Stromsperren,
sodass keine Grundversorgung für Heizen, Kochen,
Waschen, Duschen oder Beleuchtung gesichert ist. Pro
Monat sind 150 000 Leistungsempfänger von Sanktionen betroffen. Und Menschen mit Behinderung wird
wegen der aktuellen Regelung der Mehrbedarfserstattung die Zahlung der Mehrbedarfe verwehrt. Diese
Auswahl soll für den Moment genügen; weitere Bereiche sind in unserem Antrag - Bundestagsdrucksache
17/12906 - zusammengetragen.
Lassen Sie mich auf die zwei wichtigsten Punkte des
Grünen-Antrags eingehen: Die Tatsache, dass die
Bundesregierung den Regelsatz künstlich kleingerechnet hat, bleibt ein fortwährender Skandal. Vor allem
Kinder sind davon betroffen. So sieht der Kinderregelsatz eine monatliche Pauschale von 68 Cent für den
Kauf eines Fahrrads vor. Die Anschaffung eines neuen
Kinderfahrrades wäre demnach erst nach einer Ansparzeit von 15 Jahren möglich. Und selbst für ein gebrauchtes Fahrrad müsste man die 68 Cent mit der
Geburt des Kindes zurücklegen, damit das Kind zum
fünften Geburtstag ein Fahrrad geschenkt bekommen
kann. Die Unsinnigkeit der Pauschale in dieser Höhe
muss ich hier nicht eigens betonen. Leider zieht sich
die Ignoranz gegenüber den konkreten Bedarfen und
den Gegebenheiten der Praxis wie ein roter Faden
durch die sogenannte Sozialpolitik der Bundesregierung.
Vor drei Wochen haben wir hier zum wiederholten
Mal über den Reformbedarf des Bildungs- und Teilhabepakets gesprochen. Und ich muss mich schon wundern: Die Einzige, die gebetsmühlenartig darauf beharrt, dass das Bildungs- und Teilhabepaket ein Erfolg
sei und die Leistungen bei den Kindern ankommen, ist
Frau von der Leyen. Wenn 10 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder die monatliche Teilhabepauschale
in Anspruch nehmen, heißt das im Gegenzug: 90 Prozent tun das nicht. Neun von zehn Kindern verhilft die
monatliche Pauschale nicht zu mehr Teilhabe. Die verZu Protokoll gegebene Reden
fassungsrechtlich gebotenen 10 Euro monatlich fließen zukünftig größtenteils zurück an den Bund. Würden sie in den Kinderregelsatz integriert - so wie wir
Grünen das fordern -, dann könnte dieses Geld auch
außerhalb von Vereinen Kindern von Eltern im
SGB-II-Bezug Teilhabe ermöglichen. Dann könnten sie
mit ins Freibad oder auch ins Kino gehen. Für einige
hier mag das belanglos klingen, aber genau das sind
die alltäglichen Situationen, in denen Kinder die materielle Bedürftigkeit ihrer Eltern besonders schmerzlich
zu spüren bekommen.
Zweitens: Ebenso wichtig wie eine Anhebung des
Regelsatzes ist perspektivisch die Abschaffung der Bedarfsgemeinschaften. Durch sie geraten oft nicht nur
die Leistungsbezieher selbst, sondern auch deren Partner und Partnerinnen in den Hilfebezug. Nur ein Beispiel: Eine Frau lebt mit ihren beiden minderjährigen
Kindern aus einer früheren Partnerschaft zusammen.
Der leibliche Vater der Kinder ist nicht leistungsfähig
und zahlt deshalb keinen Kindesunterhalt. Die Frau
erhält Unterhaltsvorschuss, der auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Zieht die Frau nun mit einem
neuen Lebensgefährten zusammen, so wird dieser nach
dem Sozialrecht für die Kinder „unterhaltspflichtig“
und der Unterhaltsvorschuss entfällt. Reicht das Einkommen des Mannes nicht aus, um die Familie zu versorgen - etwa weil er Schulden hat -, gerät er selbst in
eine Bedürftigkeit. Die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft drängt erwerbstätige Partner und Partnerrinnen von Hartz-IV-Empfängern in eine künstliche
Abhängigkeit von Sozialleistungen, und zwar auch
dann, wenn diese ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten können.
Ich hatte meine Rede aus einem bestimmten Grund
mit Art. 1 des Grundgesetzes eröffnet: Wenn es um die
Konkretisierung des soziokulturellen Existenzminimums durch den Gesetzgeber geht, dann muss klar
sein, dass die Würde derjenigen Menschen, die auf Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen sind,
der Maßstab sein muss.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12906, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12389
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Übertragung der Zuständigkeiten der
Länder im Bereich der Beschädigten- und
Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten
Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den
Bund
- Drucksache 17/12956 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({0})
- Drucksache 17/13255 Berichterstattung:
Abgeordnete Robert Hochbaum
Burkhardt Müller-Sönksen
Agnes Brugger
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13275 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann ({2})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Tobias Lindner
In der Tagesordnung war bereits ausgewiesen, dass
die Reden zu Protokoll genommen werden, sodass wir
dies auch so beschlossen haben.
Uns Parlamentariern obliegt die Verantwortung für
die Soldatinnen und Soldaten unserer Parlamentsarmee. Die bestmögliche Versorgung, die Unterstützung
und auch der Schutz derjenigen Bundeswehrangehörigen, die während ihres Wehrdienstes in Deutschland
oder im Auslandseinsatz eine gesundheitliche Schädigung erleiden mussten, gehören deshalb zu unseren
bedeutendsten Aufgaben. Daher freut es mich heute
besonders, dass wir mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs diese Aufgabe erfolgreich
umsetzen und für die Betroffenen in Zukunft eine „Versorgung aus einer Hand“ ermöglichen.
Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt, über den
wir uns heute freuen können. Der Gesetzentwurf ist
fraktionsübergreifend auf Zustimmung gestoßen und
wurde ohne Änderungen angenommen. Die breite Zustimmung ist ein positives Signal für unsere Soldatinnen und Soldaten. Eine Ausnahme stellt leider die
Fraktion Die Linke dar, worauf ich später aber noch
eingehen möchte.
Nach der bisher geltenden Regelung wird die Versorgung von Wehrdienstbeschädigten sowie ihrer Hinterbliebenen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.
Während eines bestehenden Wehrdienstverhältnisses
liegt die Zuständigkeit derzeit bei der Bundeswehrverwaltung. Nachdem ein Betroffener seinen Wehrdienst
beendet hat, fällt die Zuständigkeit an die Behörden
der Länder. Diese Teilung bedeutet für die Soldatinnen
und Soldaten aber nicht nur, dass ihr Ansprechpartner
wechselt, sondern es kommt hierdurch oftmals zu ver30332
längerten Bearbeitungszeiten und zu Schnittstellenproblemen. Diese negativen Folgen der geteilten Zuständigkeit wurden in der Vergangenheit immer wieder
von den Betroffenen kritisiert.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf folgt einer Empfehlung der Strukturkommission der Bundeswehr sowie
des Bundesrechnungshofes und beinhaltet das Ziel,
über eine „Versorgung aus einer Hand“ beschleunigte
Bearbeitungszeiten und vereinfachte Strukturen zu erreichen. Die Übertragung wird ab dem 1. Januar 2015
in zwei Schritten vollzogen. Zuerst soll die Zuständigkeit für die Renten- und Heilbehandlungsleistungen
zum 1. Januar 2015 auf den Bund übertragen werden.
Als zweiter Schritt folgt dann zum 1. Januar 2016 die
Übertragung der Zuständigkeit für die Fürsorgeleistungen an Versorgungsberechtigte nach dem Soldatenversorgungsgesetz auf die Bundeswehrverwaltung.
Die Entscheidung für eine schrittweise Änderung des
Verfahrens ab 2015 wurde vor dem Hintergrund der
Neuausrichtung der Bundeswehr und den daraus resultierenden tiefgreifenden strukturellen Veränderungen getroffen.
Einige Worte möchte ich, wie ja bereits angekündigt, noch zur Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke
verlieren. Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion betonten im parlamentarischen Verfahren
zwar, dass sie den Gesetzentwurf grundsätzlich für zustimmungswürdig halten würden und sie ebenfalls der
Überzeugung seien, dass wehrdienstbeschädigte Soldatinnen und Soldaten schneller und effektiver versorgt werden sollten. Anderseits sei ihnen eine Zustimmung aber nicht möglich, da sie die Neuausrichtung
der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz ablehnen
würden. So weit ist das ja nicht überraschend; denn
diese Begründung der Linken ist keinesfalls neu, sondern uns allen bereits bekannt.
Dass die Linksfraktion aber gleichzeitig den Vorwurf äußert, dass es bedauerlich sei, dass die Übertragung der Zuständigkeit zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde und schneller erfolgen sollte, kann ich vor
diesem Hintergrund nur als paradox bezeichnen. Die
Linke stimmt dem Gesetzentwurf - und somit der Verbesserung der Versorgung der betroffenen Soldaten nicht zu, aber kritisiert gleichzeitig, dass die verbesserte Situation mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
nicht schnell genug eintreten würde. Dieses Verhalten
kann ich nicht nachvollziehen, da eine Enthaltung meines Wissens nach zu keinem Zeitpunkt zu einer Verbesserung führen kann.
Aber es sollte heute im Vordergrund stehen, dass wir
mit dem Gesetz zur Übertragung der Zuständigkeiten
der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung auf den Bund einen weiteren
wichtigen Schritt tun, um das Verfahren für die Betroffen zu vereinfachen sowie die Versorgung insgesamt zu
verbessern. Für Ihre Zustimmung zu dieser Verbesserung für unsere Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mich bedanken.
Gegenwärtig wird die Zuständigkeit für Versorgung
von Soldatinnen und Soldaten, die während ihrer
Dienstzeit eine gesundheitliche Schädigung erlitten
haben, von gleichgestellten Zivilpersonen sowie Hinterbliebenen noch zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Dies wollen wir nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern und im Sinne der Betroffenen
vereinfachen. In abschließender Lesung wird deshalb
heute der Gesetzentwurf zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigtenund Hinterbliebenenversorgung nach dem dritten Teil
des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund beraten. Damit ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Neuordnung der Versorgung von wehrdienstbeschädigten
Soldatinnen und Soldaten gelegt. Die Regierungskoalition hatte sich zu Beginn der Wahlperiode darauf
verständigt und setzt dies folgerichtig um.
Ziel des Gesetzes ist es nun, eine Versorgung aus einer Hand zu schaffen. Für die Betroffenen ist dies ein
entscheidendes Kriterium, da bürokratischer Aufwand
eine zusätzliche Belastung für die körperliche und psychische Gesundheit darstellt. Mit dem Gesetz werden
nun Schnittstellenprobleme reduziert und lange Bearbeitungszeiten beseitigt. Auch wird den Betroffenen die
Orientierung erleichtet, da sie künftig nur noch die
Bundeswehrverwaltung und keine weitere Länderbehörde mehr als Ansprechpartner haben.
Die Übertragung erfolgt in zwei Schritten. Dies ist
sinnvoll, weil sich die Bundeswehr gegenwärtig in einem tiefgreifenden Umstrukturierungsprozess befindet
und schlichtweg ausreichend Zeit notwendig ist, um
entsprechende organisatorische Vorbereitungen zu
treffen. Nichts wäre für die Versorgungsberechtigten
schlimmer, als wenn überstürzt gehandelt und nicht
zielführend gearbeitet werden würde. Daher wird
zunächst per 1. Januar 2015 die Zuständigkeit für Rentenleistungen in der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung sowie für Heil- und Krankenbehandlung auf den Bund übertragen. Zum 1. Januar 2016
erfolgt dann die Übernahme der Zuständigkeit für die
Leistungen der Kriegsopferfürsorge.
Erlauben Sie mir, an dieser Stelle noch anzuführen,
dass bis auf die Fraktion Die Linke der Gesetzentwurf
fraktionsübergreifend Zuspruch erfahren hat und auch
die Sozialverbände die Inhalte unterstützen. Das zeigt,
dass allen - bis auf unsere Kollegen der Linken - an
einer Vereinfachung, Entbürokratisierung und an einer
Versorgung aus einer Hand, die den Betroffenen zugutekommt, gelegen ist. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit herzlichen Dank.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir
schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze. Wir tun dies nicht aus Selbstzweck, sondern damit Terrorismus und kriegerische Gefahr nicht
unser Land erreichen und dort, wo sie entstehen, bekämpft werden. Wir stehen für die Sicherheit unserer
Bürgerinnen und Bürger. Aus diesem Grund muss es
unsere innere Überzeugung, unsere Pflicht sein, diejeZu Protokoll gegebene Reden
nigen Männer und Frauen zu unterstützen, die sich für
unsere Werte einsetzen, unsere Sicherheit gewährleisten und ihr Leben riskieren. Ich spreche allen Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeitern, die im Inland oder im Auslandseinsatz Dienst für unser Land
tun, meinen herzlichen Dank aus.
Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs versuchen wir, unserer Verantwortung als
Parlamentarier gerecht zu werden. Wir haben eine
Parlamentsarmee. Das ist gut so. Es bedeutet aber
auch, dass wir eine hohe Verantwortung haben. Hier
im Deutschen Bundestag entscheiden wir über die
Auslandseinsätze der Bundeswehr. Von hier aus schicken wir unsere Soldatinnen und Soldaten in die
Brennpunkte der Welt. Verletzung und Tod sind Teil ihrer Einsatzrealität. Diese traurige Erfahrung mussten
wir leider erst kürzlich wieder machen.
Die Versorgung der verletzten Soldatinnen und Soldaten sowie die Sorge für die Hinterbliebenen sind bisher nicht gut gelöst. Die bisherige Aufteilung von Verantwortung zwischen Bund und Ländern ist nicht
nachvollziehbar. Während der Dienstzeit werden die
Soldatinnen und Soldaten über das Soldatengesetz von
der Bundeswehrverwaltung betreut. Nach dem Ausscheiden aus der Truppe sind die Landesbehörden im
Rahmen des Bundesversorgungsgesetzes zuständig.
Dies führt regelmäßig zu Problemen beim Übergang
und danach. Durch die unterschiedlichen Verfahrensweisen und Informationsstände bei den Versorgungsämtern der Länder kommt es immer wieder zu längeren Verfahren, unnötiger Bürokratie und einem
erhöhten Aufwand für die Betroffenen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes ändern wir das. Die Aufgabe der Versorgung von Verletzten und Hinterbliebenen wird komplett auf den Bund übertragen. Wir
schaffen eine Anlaufstelle. Auch wenn die rechtliche
Umsetzung noch etwas dauern wird, beschließen wir
heute die Versorgung aus einer Hand. Dies ist ein
positives Signal an die Truppe und ein Zeichen der
Vernunft.
Die Umstellung wird Zeit in Anspruch nehmen; aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensweisen in den
Ländern ist sie recht komplex. Sie zeigt jedoch, dass
wir der Realität einer Armee im Einsatz Rechnung tragen. Manche Entwicklung im Zusammenhang mit den
Auslandseinsätzen war für uns nicht abzusehen. Deswegen reagieren wir. Voraussichtlich wird das Gesetz
im Wesentlichen 2015 umgesetzt sein, Teile aber auch
erst 2016.
Es ist gut, dass wir diese Regelung heute ändern
und dass wir dies fraktionsübergreifend tun. Bereits
bei der Verabschiedung des Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetzes und bei den Anstrengungen, die
Kommunikation aus dem Einsatz zu verbessern, haben
wir gezeigt, dass wir als Parlament in der Lage sind,
über die Parteigrenzen hinweg etwas für unsere Soldatinnen und Soldaten zu tun. Auch bei PTBS sind wir vorangekommen, haben aber noch viel Strecke vor uns.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich beim
Deutschen BundeswehrVerband bedanken. Sie haben
das Thema der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung vor einigen Jahren auf die Agenda gesetzt und
stetig bearbeitet. Auch der Sozialverband Deutschland
hat es immer wieder thematisiert. Und letztendlich waren es auch die Betroffenen selbst, die immer wieder
auf die Politik zugegangen sind. Dass wir heute dieses
Gesetz verabschieden können, ist auch ein Verdienst all
dieser Akteure. Herzlichen Dank dafür!
Mit unserer Zustimmung heute ändern wir die Zuständigkeiten bei der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung und lösen damit ein undurchsichtiges
System ab. Wir passen die Gegebenheiten an die Realitäten einer Armee im Einsatz an und ermöglichen damit eine Versorgung aus einer Hand.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf gehen
wir einen großen Schritt in Richtung verlässliche Versorgung der Soldaten und ihrer Hinterbliebenen. Unsere Botschaft ist klar: Wer während des Dienstes bei
der Bundeswehr gesundheitliche Schäden erleiden
muss, soll sich - und im Ernstfall auch die Hinterbliebenen - verlässlich versorgt wissen.
Bisher war für die aktiven Soldatinnen und Soldaten
die Bundeswehrverwaltung zuständig. Nach dem Ausscheiden aus dem Dienst übernahmen diese Aufgabe
die Versorgungsämter der Länder. Der Wechsel der Zuständigkeit wurde von vielen Soldatinnen und Soldaten
und ihren Angehörigen zu Recht kritisiert. Sie fühlten
sich gefangen in einem bürokratischen Dschungel aus
neuen Formularen und neuen Ansprechpartnern. Noch
schwerer als der Kampf mit der Bürokratie wog aber
ein anderes Gefühl. In zahlreichen persönlichen Gesprächen berichteten mir die Soldaten von ihrem Eindruck, dass der frühere Arbeitgeber Bundeswehr sich
leise aus der Verpflichtung und Verantwortung stehlen
wolle. Auch diesem Eindruck wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entgegentreten. Wir wollen
bürokratische und willkürlich empfundene Verwaltungsstrukturen entwirren und eine Versorgung aus einer Hand gewährleisten.
Diese Neuordnung der Zuständigkeit ist also nicht
nur ein Abbau von Bürokratie, sondern setzt ein deutliches Signal an die Soldatinnen und Soldaten und ihre
Hinterbliebenen, dass wir sie und ihre Anliegen ernst
nehmen.
Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns zu
Beginn der Legislaturperiode das Ziel gesetzt, die Soldatenversorgung so einfach wie möglich zu gestalten.
Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr attraktiv wird
als Arbeitgeber, dann müssen sich die Soldatinnen und
Soldaten dauerhaft sicher sein können, dass für sie und
ihre Angehörigen gesorgt ist. Anerkennung für die
Leistungen der Soldatinnen und Soldaten muss auch
Zu Protokoll gegebene Reden
im Umgang der Verwaltungen mit ihnen zum Ausdruck
kommen.
Wir haben auch deshalb mit dem Einsatzversorgungsverbesserungsgesetz das Soldatenversorgungsgesetz neu gefasst. Endlich werden traumatisierte Soldatinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt
als ihre Kameraden mit körperlichen Schädigungen.
Wir haben die Einmalentschädigung von 80 000 Euro
auf 150 000 Euro angehoben und ebenso Erhöhungen
für Witwen, Eltern und Großeltern erreicht.
Verdoppeln konnten wir die Ausgleichszahlungen
für Soldaten auf Zeit, Reservisten sowie für freiwillig
länger dienende Grundwehrdienstleistende.
Und wir haben die Einführung einer Glaubhaftmachung bei einem Antrag auf Wehrdienstbeschädigung,
WDB, erreicht; somit liegt die Beweislast nun endlich
nicht mehr beim Antragsteller.
Wir haben die Härtefall-Stiftung ins Leben gerufen,
damit niemand durch das Raster der Absicherung fällt.
Ich denke dabei vor allem an die Soldatinnen und Soldaten, bei denen sich die Verfahren auf Anerkennung
einer Wehrdienstbeschädigung über Monate, manchmal Jahre hinziehen und die hierdurch in finanzielle
Bedrängnis geraten.
Neben den konkreten Verbesserungen in der Versorgung wollen wir aber auch mehr öffentliche Anerkennung für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten
und ihrer Angehörigen erreichen. In unserer Arbeitsgruppe „Würdiges Gedenken“ des Verteidigungsausschusses haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie
wir Anerkennung und Gedenken einen passenden Rahmen geben können. Wir brauchen keine Symbolpolitik,
sondern mehr ehrliche und aufrichtige Anerkennung
für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten, die nur
aufgrund unserer Beschlüsse hier im Bundestag in gefährliche Einsätze geschickt werden.
Ich freue mich, dass unser interfraktioneller Vorschlag der Einrichtung eines Gedenkortes für die gefallenen Soldaten der Bundeswehr in direkter Nähe
zum Bundestag immer mehr Zuspruch findet. Dieses
wurde auch von Angehörigen von gefallenen Soldaten,
mit denen ich am Anfang dieser Woche gesprochen
habe, sehr begrüßt. Eine solche öffentliche Demonstration der Solidarität ist ein starkes Zeichen für alle
Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen. Auf
diese Weise würde jedem Abgeordneten seine persönliche Verantwortung für die Parlamentsarmee bei den
Entscheidungen über die Auslandseinsätze nochmals
verdeutlicht, wenn sich ein solches Ehrenmal bzw. eine
solche Gedenkstätte in der Nähe befände.
Ebenso wichtig ist mir das Signal an die Öffentlichkeit. Die Bundeswehr gehört in die Mitte unserer Gesellschaft. Ein Gedenkort an dem meistbesuchten Platz
unseres Landes ist aus meiner Sicht die beste Lösung,
um die gesellschaftliche Integration unserer Streitkräfte und der Gefallenen zum Ausdruck zu bringen.
Es ist ja schön, mit etwas Positivem anfangen zu
können. Die grobe Stoßrichtung dieses Gesetzentwurfes ist meiner Meinung nach absolut richtig. Ziel ist
nämlich, für Beschädigte und Hinterbliebene eine
„Versorgung aus einer Hand“ nach dem Dritten Teil
des Soldatenversorgungsgesetzes zu schaffen. Es geht
also um die Versorgung von Soldatinnen und Soldaten,
die während ihres Wehrdienstes eine gesundheitliche
Schädigung erlitten haben, aber auch um die Versorgung von diesen gleichgestellten Zivilpersonen sowie
von ihren Hinterbliebenen.
Im Moment ist die diesbezügliche Zuständigkeit
zwischen Bund und Ländern wie folgt aufgeteilt: Für
die Versorgung während des Wehrdienstverhältnisses
sind Behörden der Bundeswehrverwaltung zuständig.
Nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wird
aber die Versorgung von den zur Durchführung des
Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden der
Länder wahrgenommen. Und zwar im Auftrag des
Bundes.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen diejenigen Aufgaben, die auf dem Gebiet der Beschädigtenund Hinterbliebenenversorgung im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen, ab dem 1. Januar 2015
schrittweise auf den Bund übertragen werden.
In einem ersten Schritt ist zum 1. Januar 2015 vorgesehen, dass die Zuständigkeit für Rentenleistungen
in der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung
sowie für Heil- und Krankenbehandlung auf den Bund
übergeht. Die Übernahme der Zuständigkeiten für die
Leistungen der Kriegsopferfürsorge - §§ 25 bis 27 j
Bundesversorgungsgesetz - soll in einem zweiten
Schritt zum 1. Januar 2016 erfolgen.
Mit der Aufgabenkonzentration beim Bund möchte
man eine einheitliche Rechtsanwendung des Soldatenversorgungsgesetzes sicherstellen und eine Verkürzung der Bearbeitungszeiten erreichen. Den Versorgungsberechtigten wird somit gewiss die Orientierung
etwas erleichtert werden, wenn sie zukünftig nur noch
die Bundeswehrverwaltung als Ansprechpartner haben, unabhängig davon, ob sie sich noch im Wehrdienstverhältnis befinden oder ausgeschieden sind.
Betroffene werden eine direkte Ansprechperson in der
für sie zuständigen Stelle haben, was für ein stärkeres
Vertrauensverhältnis sorgen dürfte. Kürzere Wege und
direkter Kontakt sich absolut sinnvoll. Die Vorteile der
Neuregelung liegen zweifellos auf der Hand. Die Linke
forderte stets, dass Soldatinnen und Soldaten schneller
und effektiver versorgt werden müssen.
Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf nicht
blindlings zu. Drei Gründe sind für die Enthaltung der
Linken ausschlaggebend:
Wenn der Bundesregierung die Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten bzw. der Beschädigten und deren Hinterbliebenen wirklich so wichtig sind, wie immer getan wird, kann ich nicht verstehen, dass sich die
vollständige Übertragung der Zuständigkeiten auf den
Zu Protokoll gegebene Reden
Bund noch fast drei Jahre hinziehen sollen. Hier hätte
ein früherer Umsetzungstermin gefunden werden müssen.
Die Bundesregierung schmiert sich zweitens selbst
Honig ums Maul, indem sie hier wieder unentwegt betont, sich generell nur am Wohle der Soldatinnen und
Soldaten zu orientieren. Das sehe ich aber nur in kleinen Teilen so.
Zuletzt zeigte dies der Bericht des Wehrbeauftragten
für das Jahr 2012. Herr Königshaus vermittelte zurecht ein äußerst kritisches Bild vom Zustand der
Truppe. Die Lasten der Neuausrichtung der Bundeswehr werden nämlich viel zu einseitig den Soldatinnen
und Soldaten aufgebürdet. Menschliches fällt dabei
allzu schnell hintenrunter.
Es herrscht eine große Verunsicherung in der Bundeswehr. PTBS-Opfer werden beispielsweise oft alleingelassen, sobald sie der Bundeswehr den Rücken kehren. Eine gute Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist
weiterhin frommes Wunschdenken. Selbst der Bundesverteidigungsminister sagte heute früh im Plenum des
Bundestages: Die Neuausrichtung der Bundeswehr
„verlangt den Mitarbeitern viel ab. All das kostet Kraft
und führt zu Unsicherheit.“ Und diese Aussage ist
noch untertrieben. Die Linke fordert, auch andere
heiße Eisen endlich anzufassen und sich vollumfänglich für das Wohl der Soldatinnen und Soldaten einzusetzen.
In diesem Zusammenhang stößt uns drittens übel
auf, dass in dem Gesetzentwurf ganz konkret deutlich
gemacht wird, dass es letztlich doch weniger um die
Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten, sondern
eher um eine Fixierung der Bundeswehr auf eine Armee im Einsatz, um eine Fixierung auf Auslandseinsätze geht.
In der Gesetzesbegründung ist zu lesen, dass die Regelungen „unter Berücksichtigung der Besonderheiten
der Auslandseinsätze der Bundeswehr“ geschaffen
wurden. Noch deutlicher wird der Nationale Normenkontrollrat in seiner Stellungnahme. Dort werden
schon die „vermehrten Auslandseinsätze der Bundeswehr“ berücksichtigt. Ich kritisiere, dass Sie Ihr Interesse am Wohl der Soldatinnen und Soldaten bzw. der
Beschädigten zum Teil nur vorheucheln und stattdessen alles rücksichtslos der weltweiten Einsatzfähigkeit
der Bundeswehr unterordnen.
Die Linke will keine vermehrten Auslandseinsätze,
sondern zivile Konfliktlösungsstrategien und friedliche
Konfliktbewältigung stärken. Statt Auslandseinsätze zu
forcieren, muss sich die Bundeswehr - auch zum Wohle
der Soldatinnen und Soldaten - auf die Landesverteidigung beschränken. Und eines ist ganz wichtig: Der
Mensch muss wieder im Mittelpunkt stehen!
Es geschieht nicht häufig, dass wir einem Gesetz-
entwurf der Bundesregierung zustimmen können. Um
die Versorgung und Betreuung der im Zuge ihres Wehr-
dienstes geschädigten aktiven und ehemaligen Solda-
tinnen und Soldaten zu verbessern, hat dieses Parla-
ment aber bereits im Laufe dieser Legislaturperiode
gemeinsam wesentliche Initiativen verabschiedet.
Ganz gleich, ob wir Abgeordneten einen jeweiligen
konkreten Einsatz befürworten oder ablehnen - es
kann uns nicht egal sein, wie die Bundeswehrangehö-
rigen gegen die Risiken ihres Dienstes ganz besonders
in Einsätzen abgesichert sind.
Vor diesem Hintergrund stimmen wir auch dem vor-
liegenden Gesetzentwurf zu, denn er schafft eine wei-
tere Verbesserung im Bereich der Versorgung. Mit die-
sem Gesetz werden die Zuständigkeiten der Länder im
Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenver-
sorgung auf den Bund übertragen. Es geht dabei um
die Versorgung ehemaliger Soldatinnen und Soldaten,
die während ihres Wehrdienstes eine gesundheitliche
Schädigung erlitten haben und dann aus der Bundes-
wehr ausgeschieden sind, um diesen gleichgestellte Zi-
vilpersonen und um die Hinterbliebenen dieser beiden.
Die Länderzuständigkeit in diesem Bereich hat sich
als nicht hinreichend funktional und auch nicht sinn-
voll erwiesen. Sie führt zum einen dazu, dass die Be-
troffenen mit umständlichen Verfahren zu kämpfen ha-
ben. Allzu häufig verläuft der Informationsfluss
zwischen den Behörden nicht völlig reibungslos.
Lange Wartezeit und Frust sind für die Betroffenen da-
bei die Folgen. Andererseits bedeutet die geteilte Zu-
ständigkeit, dass Ausgaben, die infolge der Aufgaben
der Bundeswehr im In- und Ausland entstehen können,
nicht im Verteidigungsetat, sondern im Einzelplan des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geführt
werden. Das ist nicht im Sinne einer Haushaltsklarheit
und Haushaltswahrheit.
Es hat seine Zeit gedauert, bis dieser Schritt ermög-
licht wurde. Dieses Gesetz wird jedoch leider nicht so-
fort umgesetzt werden, sondern erst ab 2015 in zwei
Schritten. Das verlangt den Betroffenen weitere Ge-
duld ab. Die Zeit bis dahin soll und muss genutzt wer-
den, um die notwendigen Strukturen zu schaffen und
die Bearbeiterinnen und Bearbeiter umfassend zu
schulen und vorzubereiten - auch das ist eine unter-
stützenswerte Maßnahme. Schließlich sollen am Ende
zügige und reibungslose Verfahren stehen. Die lange
Umsetzungszeit bedeutet aber auch, dass es nicht zu
weiteren Verzögerungen kommen darf.
Ich möchte heute, fast am Ende dieser Legislaturpe-
riode, aber noch einmal daran erinnern, dass der Weg
zum Beispiel zu den Verbesserungen im Bereich der
Einsatzversorgung oder für die ehemaligen Radarsol-
daten lang und mühselig war. Bei einigen Punkten ha-
ben wir auch noch nicht alle Ziele erreicht. Die Bereit-
schaft, Probleme im Umgang mit der Erkrankung von
Soldatinnen und Soldaten an einer posttraumatischen
Belastungsstörung einzugestehen, Schwächen des Ver-
sorgungs- und Betreuungssystem offenzulegen und Lö-
sungen zu finden, musste der politischen und der mili-
tärischen Führung erst mühsam abgerungen werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Diese Bereitschaft darf den heutigen und zukünftigen
Verantwortlichen nicht wieder abhandenkommen.
Bei der Versorgung aktiver und ehemaliger Solda-
tinnen und Soldaten besteht trotz der vielen Verbesse-
rungen der letzten Jahre aber nach wie vor Hand-
lungsbedarf, den wir nicht aus den Augen verlieren
sollten. Das Gesetz ist ein nächster richtiger Schritt in
Richtung Verbesserung. Aber auch mit diesem Gesetz
sind noch nicht alle Mängel beseitigt. Als ein Beispiel
möchte ich in diesem Zusammenhang die bestehenden
Probleme im Bereich der Anerkennung von Wehr-
dienstbeschädigungen von Soldatinnen und Soldaten
ansprechen. Der Bundeswehr fehlen nicht nur behan-
delnde Ärztinnen und Ärzte, sondern auch Versor-
gungsmediziner, die die Gutachten im Anerkennungs-
verfahren erstellen. Die Verfahren ziehen sich unter
anderem durch diesen Personalmangel in eine unzu-
mutbare Länge. Hier besteht nach wie vor großer
Handlungsbedarf.
Wir dürfen nicht nachlassen, den eingeschlagenen
Weg konsequent weiter zu gehen und Probleme bei der
Versorgung und Betreuung der Bundeswehrangehöri-
gen ehrlich offenzulegen und intensiv und rasch nach
Lösungen zu suchen. Im Sinne der gemeinsamen Ver-
antwortung für die Angehörigen der Parlamentsarmee
hoffe ich, dass in diesem Bereich die Bereitschaft zur
fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit auch in Zu-
kunft besteht.
Wir kommen nun gleich zur Abstimmung. Der Vertei-
digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13255, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12956 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die
Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? -
Niemand. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand.
Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe ({0}),
Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des aufenthaltsund freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs
- Drucksache 17/8921 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Katja
Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({1})
- Drucksache 17/1626 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 17/13313 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({3})
Sevim Dağdelen
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen
- Drucksachen 17/8610, 17/13313 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({5})
Sevim Dağdelen
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({6}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen
- Drucksachen 17/1577, 17/8081 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({7})
Josef Philip Winkler
In der Tagesordnung haben wir ausgewiesen, dass die
Reden zu Protokoll genommen werden.
Vor geraumer Zeit haben der SPD-Kollege
Dr. Wiefelspütz und ich mit den Leitern aller GoetheInstitute weltweit - eine Versammlung, bei der sich
Stammwähler der CDU in Grenzen halten - über die
Pflicht diskutiert, vor einem Ehegattennachzug nach
Deutschland einfache Deutschkenntnisse nachweisen
zu müssen. Wir haben zahlreiche Berichte über konReinhard Grindel
krete Erfahrungen der Leiter der Goethe-Institute in
den Sprachkursen bekommen. Sie waren wirklich
durch die Bank entsetzt, als Herr Dr. Wiefelspütz ankündigte, eine rot-grüne Bundesregierung werde diese
Regelung wieder abschaffen. Das Urteil dieser Experten war eindeutig: Das Instrument der verpflichtenden
Deutschkenntnisse ist ein voller Erfolg; die Vorintegration stärkt gerade junge Frauen in ihrem Selbstbewusstsein, bevor sie in ein für sie völlig fremdes Land
kommen. Es ist eine Motivation, in Deutschland sofort
die deutsche Sprache noch besser zu lernen. Die Vertreter der Goethe-Institute machten deutlich, dass sie
eben gerade nicht nur Sprachkenntnisse vermitteln,
sondern auch über den Alltag in Deutschland berichten, die Gesetzeslage, Fragen der Gleichstellung von
Mann und Frau und auch über Sitten, Gebräuche und
Werte in unserem Land informieren. Und die Experten
bestätigten, dass selbstverständlich in einer ganzen
Reihe von Fällen auf verschiedensten Wegen Zwangsverheiratungen verhindert werden konnten.
Wenn SPD und Grüne dies jetzt alles wieder beseitigen wollen, dann ist das in höchstem Maße frauenfeindlich, weil sie auf ein wichtiges Instrument im
Kampf gegen Zwangsheirat verzichten, und sie leisten
einen Beitrag für weniger Integration, für eine Zunahme von Parallelgesellschaften. Kurzum: Ihr Weg
ist für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern geradezu gefährlich!
Ich bin es leid, dass hier immer wieder die gleichen,
längst widerlegten Argumente vorgetragen werden. Sie
argumentieren, dass die Frauen hier in Deutschland
doch sowieso Integrationskurse besuchen müssten,
wenn sie Integrationsbedarf haben und nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfügen. Einmal davon
abgesehen, dass sich diese Kurse ergänzen, weil das
Ziel bei den Sprachkursen im Ausland A1 und bei den
Integrationskursen in unserem Land B1 ist, kommt es
doch auf einen völlig anderen Punkt an: Wir wissen
nun wirklich seit Jahren, dass gerade die Frauen, die
einen Integrationskurs am nötigsten haben, in unseren
Kursen nicht ankommen, weil sie diese nicht besuchen
dürfen, weil es eben leider gar nicht so wenige Familienverbände gibt, bei denen es gerade der Wille der
Familienoberhäupter ist, dass diese jungen Frauen
nicht selbstbewusst und selbstbestimmt leben, wozu
ausreichende Sprachkenntnisse gehören. Es ist gerade
von den Familien beabsichtigt, diese Frauen in Abhängigkeiten zu halten. Und SPD und Grüne wissen ganz
genau, dass uns die teilweise ja sehr merkwürdige
Rechtslage in der EU verbietet, Frauen wieder in ihre
Heimat zurückzuführen, die sich beharrlich weigern,
einen Integrationskurs zu besuchen. Das heißt: SPD
und Grüne wissen ganz genau, dass es zwar eine
Pflicht zum Besuch von Integrationskursen gib, dass
wir aber praktisch keine Handhabe besitzen, diese
Pflicht auch durch die Ausländerbehörden durchzusetzen. Deshalb ist es einfach wahr: Die Anträge der
Opposition bedeuten weniger und nicht mehr Integration. Sie zementieren Parallelgesellschaften. Alles das
wollen wir als CDU/CSU nicht!
Was wir mit den verpflichtenden einfachen Deutschkenntnissen vor dem Familiennachzug wollen, ist,
auch ein ganz klares Signal an sowohl die nachziehenden Ehegatten als auch die in Deutschland lebenden
Familien zu geben, dass es ohne Deutsch nicht geht,
dass ohne die Beherrschung der deutschen Sprache
eine vernünftige Integration nicht funktionieren wird.
Wenn wir in diesen Tagen gerade neuerliche Hinweise
bekommen, dass die Sprachkompetenz von Kindern
mit Migrationshintergrund nachlässt, weil in den Elternhaushalten zu wenig Deutsch gesprochen wird,
dann zeigt das, wie nötig ein derartiges Signal seitens
der Politik ist. Die nachziehenden Ehegatten von heute
sind die hoffentlich verantwortungsbewussten Eltern
von morgen, und sie müssen wissen, dass sie sich an
der Lebensperspektive ihrer Kinder versündigen, wenn
sie diesen nicht möglichst schnell umfassende
Deutschkenntnisse vermitteln, entweder dadurch, dass
von Anfang an im Elternhaus Deutsch gesprochen
wird, oder, dass die Eltern zumindest durch den Besuch
von Krippe und Kindergarten dafür sorgen, dass an
anderer Stelle die Kinder die notwendigen deutschen
Sprachkenntnisse vermittelt bekommen, die ihnen im
Elternhaus nicht vermitteln werden können. Dieses
Verantwortungsbewusstsein verlangen wir von den Eltern mit Migrationshintergrund, und die verpflichtenden Deutschkenntnisse beim Familiennachzug sind insofern ein völlig richtiges politisches Signal, dieses
bereits frühzeitig deutlich zu machen.
Genauso alt ist das Argument, es sei für die ausländischen Ehegatten zu beschwerlich, einen Deutschkurs
vor Ort zu besuchen. Auch dieses Argument ist schlicht
falsch. Die Vertreter der Goethe-Institute haben sehr
anschaulich berichtet, dass es mittlerweile bis ins
kleinste Dorf Privatschulen und Privatlehrer gibt. Es
ist durch unsere gesetzliche Regelung geradezu ein
Markt von etwa türkischen oder thailändischen Heimkehrern entstanden, die solche Sprachkurse anbieten
und sich davon eine Existenz aufgebaut haben. Diese
Sprachlehrer wurschteln allerdings nicht ungeprüft
vor sich hin, sondern bemühen sich in aller Regel um
Zertifikate von Goethe-Instituten, um als Sprachkursanbieter auch anerkannt zu sein. Die Prüfungen werden dann meist von den Goethe-Instituten vor Ort
selbst oder anderen anerkannten Einrichtungen abgenommen.
Wegen des ganz anderen Zusammenhalts im Familienverband ist es ebenso üblich, dass Sprachkursteilnehmer zu Verwandten in Städte mit Sprachkursangeboten ziehen und sich dort dann einige Wochen
aufhalten. Es gibt darüber hinaus sehr gute Angebote
der Deutschen Welle im Internet. Und schließlich und
endlich wird man wohl sagen dürfen: Wenn ein Ehegatte denn wirklich so abgelegen wohnen sollte, dass
er von allen Angeboten abgeschnitten ist, dann hat er
ja wohl doch irgendeinen Weg gefunden, seinen hier in
Deutschland lebenden Partner zu finden, und dann
wird man wohl erwarten dürfen, dass dieser Lebenspartner Mittel und Wege der privaten Unterstützung findet, um für ein Bestehen der Sprachprüfung zu
Zu Protokoll gegebene Reden
sorgen, die im Übrigen nicht ein freies Zitieren der
Bürgschaft verlangt, sondern das Beherrschen eines
Sprachschatzes von maximal 600 Worten. Die Argumente der Opposition sind Scheinargumente, die den
Kern der Sache nicht treffen. Dementsprechend haben
das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Urteilen die Verfassungsmäßigkeit der verpflichtenden Deutschkenntnisse vor dem
Ehegattennachzug bestätigt. Insofern sind ihre Behauptungen, unsere Regelung sei mit unserer Verfassung nicht vereinbar, schlicht und ergreifend falsch.
Ein Sachverhalt, der uns gerade von Ausländerbehörden oder auch Integrationslotsen immer wieder
vorgetragen wird, ist tatsächlich zu verbessern. Es
dauert manchmal zu lange zwischen Bestehen eines
Sprachkurses und Erteilung des Visums zum Zwecke
der Familienzusammenführung. Insofern ist die Sorge
grundsätzlich ernst zu nehmen, dass die nachziehenden Ehegatten schon wieder etwas von ihrer Sprachkompetenz einbüßen, wenn ein zu großer zeitlicher
Abstand zwischen den Sprachkursen im Ausland und
dem Beginn des Integrationskurses im Inland besteht.
Allerdings muss man auch sagen, dass die Gründe dafür sich meistens in der Sphäre des Visumantragstellers befinden. Es werden zum Beispiel nicht alle notwendigen Dokumente beigebracht oder nicht die
erforderlichen Auskünfte erteilt, gerade auch seitens
des in Deutschland lebenden Ehegatten. Wo die Behörden aber enger zusammenarbeiten können, um für einen besseren Übergang von Sprachkurs im Ausland zu
Integrationskurs im Inland zu sorgen, sollte das selbstverständlich geschehen. Diese partiellen technischen
Probleme sind aber längst kein Grund, die ganze Regelung infrage zu stellen.
Ein dickes Ding ist die Kritik der Opposition daran,
dass es eine Bevorzugung für bestimmte Länder wie
die USA, Japan oder Australien gibt, für deren Ehegatten die Regelung über die einfachen Sprachkenntnisse
nicht gilt. Rein theoretisch ist es richtig, dass ein Japaner, der eine Thailänderin heiratet, diese leichter nach
Deutschland nachziehen lassen kann als ein Deutscher. Insofern ist das Argument der Inländerdiskriminierung vordergründig nicht ganz falsch, und ich persönlich bin auch bereit, über die Abschaffung dieser
Regelung nachzudenken.
Tatsächlich gibt es für diese Vorschrift aber einen
sachlichen Hintergrund. Die zwei zentralen Gründe
für die Einführung der verpflichtenden Sprachkenntnisse bei ausländischen Ehegatten waren eine Verbesserung der Integration und Bekämpfung der Zwangsheirat. Beide Gründe haben bei Staaten, für die eine
Ausnahmeregelung gilt, keine Bedeutung. Der Aufenthalt von Amerikanern oder Japanern in Deutschland
ist fast ausnahmslos geschäftlicher und damit vorübergehender Natur. In den allermeisten Fällen sind die
Ehegatten der englischen, französischen oder spanischen Sprache mächtig. In einer globalisierten Welt
kann man also nicht davon reden, dass sie aufgrund
der Sprachkompetenz nicht integrationsfähig wären.
Das Thema Zwangsheirat spielt in diesen Fällen ohnehin keine Rolle.
Entscheidend ist aber, dass wir diese Vorschrift gerade auf ausdrücklichen Wunsch der SPD aufgenommen haben, weil unser damaliger Koalitionspartner
der nicht ganz abwegigen Meinung war, dass wir uns
beim Kampf um die klugen Köpfe noch schwerer tun
würden, wenn wir deren Frauen jetzt auch noch einfache Sprachkenntnisse abverlangen. Ich stelle also fest:
Die SPD kritisiert heute eine Vorschrift, die sie selbst
als Regierungspartei ins Gesetzblatt gebracht hat.
Umgekehrt haben wir in die Regelung deutsche
Staatsbürger geradezu einbeziehen müssen, weil ansonsten wegen des Optionsmodells bei der Staatsbürgerschaft diese Maßnahme völlig leer laufen würde.
Was den Familiennachzug zu Bürgern der Europäischen Union angeht, müssen wir europarechtliche
Regelungen beachten. Hier ist die Freizügigkeit weitergehend als unsere integrationspolitischen Überlegungen. Gleichwohl bleibt es unser Ziel, gerade angesichts der vielfältigen Probleme mit Bulgaren und
Rumänen, immer mehr EU-Bürger in die Integrationskurse zu bekommen. Alles in allem kann man also nicht
ernsthaft von einer Inländerdiskriminierung sprechen.
Insofern bleibt die Frage: Weshalb wollen SPD und
Grüne diese von Experten unterstützte und von Richtern für verfassungskonform erklärte Regelung abschaffen? Die Antwort ist klar und erschreckend zugleich: Sie versuchen, Stimmen bei den DeutschTürken zu sammeln, die gerade nicht integriert in
Deutschland leben wollen. Sie machen aus wahltaktischen Überlegungen Zugeständnisse, die auf mehr Parallelgesellschaften und auf mehr Probleme hinauslaufen. Das ist beschämend. Das ist eine
integrationsfeindliche Politik. Das lehnen wir als
CDU/CSU und mit uns die übergroße Mehrheit der
Bevölkerung, einschließlich vieler SPD-Stammwähler, entschieden ab!
Das heute zu besprechende Thema haben wir hier
an dieser Stelle häufig diskutiert, und die Argumente
für und gegen das Spracherfordernis für nachziehende
Ehegatten vor Einreise sind bekannt.
Ich fasse noch einmal zusammen:
Das Spracherfordernis schränkt das Recht eines
Menschen auf das Leben einer Ehe ein. Dieses Recht
wird durch Art. 6 Grundgesetz geschützt.
Ja, wir wissen, dass sowohl Bundesverfassungs- als
auch Bundesverwaltungsgericht festgestellt haben,
dass die Regelung des Spracherwerbs vor Einreise
nach Deutschland mit dem Grundgesetz und der Familienzusammenführungsrichtlinie im Einklang stehen.
Wir wissen aber auch, dass es viele Menschen gibt, denen das Zusammenleben auf unbestimmte Zeit durch
das Spracherwerbserfordernis unmöglich gemacht
wird.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Gründe dafür liegen in den häufig großen Entfernungen der Goethe-Institute vom Wohnort oder sogar dem Fehlen solcher Institute. Um einen Deutschkurs im Heimatland besuchen zu können, müssen nicht
unerhebliche Geldmittel aufgebracht werden - eventuell Anmietung einer Wohnung am Kursort verbunden
mit der Aufgabe der eigenen Erwerbstätigkeit aufgrund nicht zu bewältigender Entfernungen -, die
nicht jeder hat, auch nicht immer der in Deutschland
lebende Ehepartner.
Diese getrennten Ehepartner erfahren täglich Not.
Dies aufrechtzuerhalten oder abzuschaffen ist eine
politische Entscheidung, die wir eindeutig zugunsten
der Betroffenen treffen: Wir wollen das Spracherfordernis vor Einreise nach Deutschland abschaffen.
Das bedeutet aber nicht, dass wir der Auffassung
sind, Kenntnisse der deutschen Sprache seien für
nachziehende Ehegatten verzichtbar. Im Gegenteil: Sie
sind eine elementare Voraussetzung für gelingende Integration. Mehr noch: Nachziehende Ehegatten sind
durch das Aufenthaltsgesetz verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise in Deutschland für einen Integrationskurs anzumelden. Das ist geltendes Recht.
Das Hauptargument für die Einführung des Spracherwerbserfordernisses war die damit angestrebte
Verhinderung von Zwangsehen. Gebildete Menschen,
die die Sprache des Landes sprechen, in das sie
zwangsverheiratet werden, können sich besser aus dieser Zwangssituation befreien, so die Vorstellung. Sechs
Jahre nach Einführung dieser Voraussetzung fehlt es
weiterhin an empirischen Belegen darüber, dass die
Zahl der Zwangsehen aufgrund des Spracherwerbserfordernisses zurückgegangen wäre. Unnötige Gesetze
aber brauchen wir nicht.
Die Einführung des Spracherwerbserfordernisses
führt zudem zu Inländerdiskriminierung. Der Ehemann
einer in Deutschland visumfrei einreisen dürfenden
Ausländerin kann nach Deutschland zu seiner Ehefrau
ziehen, ohne vorher Deutsch zu können. Der türkische
Ehemann einer in Deutschland lebenden Deutschen
muss Deutsch vor der Einreise können und nachweisen. Aufgrund von EU-Recht muss der zu einem EUBürger nach Deutschland einreisende Ausländer keine
Deutschkenntnisse nachweisen, die brasilianische
Ehefrau eines in Deutschland lebenden Deutschen
aber sehr wohl.
Diese Ungleichbehandlung mag europarechtlich
zulässig sein, aber ist sie auch politisch gewollt? Wir
sagen: Nein, nicht von uns.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir
selbst es waren, die mit großen Bedenken - die unter
anderen auch ich immer wieder zum Ausdruck gebracht habe - das Gesetz in der Großen Koalition mit
auf den Weg gebracht haben, und zwar als sehr
schmerzlichen Kompromiss in dem Sinne, dass die Verschärfungen im Familiennachzug das Opfer waren,
mit dem wir der Union die erstmalige Einführung einer gesetzlichen Altfall- und Bleiberechtsregelung abgerungen haben.
Fazit: Das Spracherwerbserfordernis vor Einreise
ist aus unserer Sicht ungeeignet, Zwangsehen zu verhindern, und daher überflüssig. Es ist mehrfach diskriminierend. Wir wollen es abschaffen.
Dass von Personen, die ein Visum zum Zwecke des
Ehegattennachzuges nach Deutschland beantragen,
die Fähigkeit zur Verständigung in deutscher Sprache
„auf einfache Art“ verlangt wird, ist nicht nur zumutbar, sondern sogar ganz im Sinne der Zuwanderer. Das
hat noch in der letzten Wahlperiode auch die SPD so
gesehen: Die SPD hat in gemeinsamer Regierungskoalition mit der Union den Sprachnachweis für den
Ehegattennachzug eingeführt. Dass sich die SPD jetzt,
ein halbes Jahrzehnt später, davon distanziert, ist wohl
als reine Taktik zu bewerten. Sollte die SPD wieder
einmal regieren, wird sie wohl auch anders reden, als
jetzt in der Opposition.
In der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich des Erwerbs und des Nachweises der erforderlichen Sprachkenntnisse gab es anfänglich Berichte
über eine Anwendungspraxis, die die Antragsteller vor
zusätzliche, in Einzelfällen unzumutbare Hürden
stellte.
Inzwischen hat eine Evaluierung ergeben, dass es
mittlerweile vielfältige Möglichkeiten gibt, Deutsch im
Herkunftsland zu lernen. Auch in dieser Hinsicht kann
man unumwunden feststellen: Die laufende Wahlperiode mit der christlich-liberalen Regierung waren
vier gute Jahre für Deutschland - und auch für die, die
nach Deutschland kommen wollen.
So hat sich die Anzahl der öffentlichen und privaten
Sprachlernzentren erhöht. Was die Abnahme der notwendigen Sprachprüfung vom Niveau „Start 1“ betrifft, sind neben den Goethe-Instituten eine Reihe anderer prüfungsberechtigter Institutionen wie dem
TELC, einer Tochter des Deutschen VolkshochschulVerbands e. V., prüfungsberechtigt. Diese sind insbesondere auf dem Balkan und in der Türkei vertreten,
woher eine hohe Zahl von Personen stammt. Ebenso
wird das österreichische Sprachdiplom anerkannt.
In den wichtigsten Herkunftsländern, zum Beispiel
Türkei, Kosovo und Russische Föderation, gibt es
auch in ländlichen Gebieten Privatschulen und Privatlehrer, die Deutsch anbieten. Ferner gibt es kostenlose
Internet-Deutschkurse der Deutschen Welle und weitere Selbstlernkurse.
2009 haben weltweit 65 Prozent der Teilnehmer die
Sprachprüfung bestanden; bei Teilnehmern, die zuvor
einen Sprachkurs des Goethe-Instituts besucht hatten,
lag die Bestehensquote sogar bei 81 Prozent.
Wir wollen dazu weiter die Möglichkeiten verbessern, im Ausland Deutsch zu lernen. Jedem Deutschen
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({0})
bleibt es ferner unbenommen, seinen ausländischen
Ehepartner persönlich zu unterstützen.
Das Argument, im deutschen Sprachraum sei das
Lernen der deutschen Sprache besser möglich, ist
sachlich unbestritten - geht aber am Thema Ehegattennachzug völlig vorbei: Denn außer dem Visum zum
Ehegattennachzug kennt das deutsche Ausländerrecht
vielfältige Möglichkeiten, um in Deutschland Deutsch
zu lernen. Die mit dem Ehegattennachzug verbundene
dauerhafte Niederlassungserlaubnis wird aber erst erteilt, wenn der Ehepartner ein Minimum an Deutsch
gelernt hat.
Ein Problem besteht tatsächlich in der Privilegierung nichtdeutscher EU-Bürger: Unionsbürger müssen keine Sprachkenntnisse vorweisen; auch mögliche
Familienangehörige aus Nicht-EU-Staaten benötigen
beim Familiennachzug zu in Deutschland lebenden
Unionsbürgern keine Sprachkenntnisse.
Vor allem ist hierzu aber anzumerken, dass diese
Privilegierung EU-Staaten sich gegenseitig gewähren,
soweit in anderen EU-Staaten vergleichbare Regelungen bestehen. Jeder Deutsche kann ein entsprechendes
Recht anderswo in der EU wahrnehmen, wie es hierzulande Unionsbürgern möglich ist.
Die FDP bleibt dabei: Zuwanderer sind in Deutschland herzlich willkommen. Sie sind aber auch selbst
klar gefordert. Die deutsche Sprache, die Grund- und
Menschenrechte sowie Demokratie und Rechtsstaat
sind das für alle verbindlich geltende Fundament unserer Gesellschaft.
Wir alle sollten bei solchen Fragen ernsthaft das
Wohl der Beteiligten ins Auge fassen. Ohne Deutschkenntnisse ist nun einmal keine volle Teilhabe an den
enormen beruflichen, kulturellen und gesellschaftlichen Perspektiven, die Deutschland bietet, möglich.
Ich wundere mich sehr, dass Parteien, die sonst Emanzipation und Teilhabe auf ihre Fahnen schreiben, diese
bei Zuwanderern offensichtlich als nebensächlich oder
gar hinderlich ansehen.
Grüne, Linke und Sozialdemokraten wollen, wie sie
mit den vorliegenden Anträgen einmal mehr zeigen,
die Abschaffung der Nachzugsregelung. Damit werden
sie, wie immer mit solchen Anträgen zur Migrationspolitik, die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland
erschweren, indem sie falsche Erwartungen wecken
und statt Engagement nur Anspruchsdenken fördern.
Offenbar wollen die Parteien des Linksblocks, dass
Zuwanderer in Deutschland Ausländer bleiben.
Ich kann nur hoffen, dass sich das bei den Betroffenen langsam herumspricht. Linke, SPD und Grüne
sind nur für die Zuwanderer eine gute Wahl, die hier
nicht wirklich ankommen, nicht wirklich integriert und
akzeptiert sein wollen. Wir Liberalen dagegen möchten eine neue Kultur des Willkommens, wollen Zuwanderer wirklich in unser Land aufnehmen, als gleichberechtigte neue Deutsche mit allen Rechten und
Chancen.
Ein Wort noch zu dem in diesem Zusammenhang
stets gemachten Verweis auf Art. 6 Grundgesetz. Art. 6
GG ist von den Vätern und Müttern des GG nie als
Freibrief für unkontrollierte und bedingungslose Zuwanderung nach Deutschland gedacht gewesen. Bis
heute wird er von der Rechtssprechung auch nicht so
interpretiert.
Das BVerwG hat mit Urteil vom 30. März 2010,
1 C 8.09, entschieden, dass die Regelung zum Sprachnachweis beim Ehegattennachzug in der geltenden
Form verfassungsgemäß ist und mit europäischem Recht
vereinbar ist. Das Gericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Regelung auch ohne allgemeine Härtefallregelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei und
dass der Erwerb einfacher Deutschkenntnisse im Herkunftsland auch nicht deshalb unzumutbar sei, weil die
türkische Klägerin des Ausgangsverfahrens Analphabetin ist.
Das Urteil des BVerwG ist durch einen Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 25. März 2011, Az. 2 BvR
1413/10, noch einmal bestätigt worden. Ich finde es
befremdlich, dass die SPD mit ihren gegenteiligen
Ausführungen meint, das Verfassungsgericht tadeln zu
müssen.
Die Oppositionsparteien verwenden jeden beliebigen Vorgang aus der Zuwanderungspolitik, um einer
ungesteuerten Zuwanderung das Wort zu reden. Wachsenden Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme und ansteigende Ausländerfeindlichkeit nehmen
sie dafür billigend in Kauf.
Wir sollten doch so ehrlich sein, gemeinsam anzuerkennen, dass weitgehend abgeschottete Gettos mit
Ehegattenimport aus unseren gesellschaftlichen Werten fernstehenden Zonen nicht unbedingt zu einem
friedlichen Zusammenleben in Deutschland beitragen
und - vor allem! - die gesellschaftlichen und beruflichen Perspektiven der Betroffenen extrem mindern.
Das hat ja auch die SPD in der letzten Wahlperiode so
gesehen, und das sehen ja auch bekannte Sozialdemokraten wie Heinz Buschkowsky so.
Die FDP hat ihre Kritikpunkte an der Ehegattennachzugsregelung nie versteckt, hält das Integrationsziel aber für übergeordnet.
Wenn die Oppositionsparteien endlich einmal nicht
nur mit Anträgen der vorliegenden Art um Migrantenstimmen buhlen, sondern auch einmal die Anliegen des
friedlichen Zusammenlebens und der Bekämpfung der
Gettobildung ernst nehmen wollten, wären ihre Initiativen ernst zu nehmen.
Wir Liberale gestalten dagegen die Zuwanderungspolitik mit der Union neu. Statt politischer Nachsicht
mit Integrationsfehlleistungen einerseits und daraus
resultierenden Ressentiments der Bevölkerung gegen
Zuwanderer andererseits wollen wir eine Steuerung
der Zuwanderung nach zusammenhängenden, klaren,
transparenten und gewichteten Kriterien, die die Integrationsziele klar benennt und einfordert.
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({1})
Wer dauerhaft hier leben und Bürgerrechte ausüben
will, muss Deutscher werden wollen - aber eben auch
die Chance erhalten, als solcher wirklich akzeptiert zu
werden. Gerade zuwanderungs- und integrationspolitisch waren unsere bisherige Regierungsjahre vier
gute Jahre für Deutschland - und das wollen wir fortsetzen.
Wir wollen eine neue Kultur des Willkommens, die
nicht falsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute
macht, sondern Chancen und Perspektiven eröffnet: für
die, die nicht nur „territorial“ nach Deutschland kommen, sondern auch in unserem Land und unserer Gesellschaft wirklich ankommen wollen.
Wir halten es nicht für unzumutbar, Deutsch zu lernen, wir halten Zuwanderer nicht, wie SPD oder Linke,
für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, denen
nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden
kann und die auf Generationen hinaus mit dem Unwort
„Migrationshintergrund“ stigmatisiert werden sollen.
Wir meinen, dass hier endlich ein Umdenken erfolgen
muss: Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden Mitleids und des Verzichts auf Integrationsforderungen muss Deutschland in der Integrationspolitik
endlich positiv denken.
Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für diejenigen, die das geschafft haben. Wir halten integrierte
Zuwanderer mit ihren Erfahrungen für eine große Bereicherung unserer Gesellschaft. Wir beglückwünschen diejenigen, die sich erfolgreich integriert haben.
Sie können stolz auf ihre Leistung sein, und wir sind
dankbar und stolz, dass sie sich für Deutschland entschieden haben.
Die heutige Debatte über die seit 2007 geltende aufenthaltsrechtliche Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Sprachanforderungen im Ausland ist in
mehrfacher Hinsicht bemerkenswert; denn wir reden
über eine Regelung, von der eigentlich alle Fachleute
- und uneingestanden wohl auch die Bundesregierung wissen, dass sie mit EU-Recht unvereinbar ist.
Bemerkenswert ist, dass die SPD in der Zeit der
Großen Koalition selbst hoffte, das Bundesverfassungsgericht möge dieses Gesetz doch wieder kassieren. Die FDP forderte vergangene Wahlperiode vehement eine allgemeine Härtefallregelung - von ihr ist
dazu nichts mehr zu hören. Und so kann die CDU/CSU
weiter ihre harte Linie durchziehen, den Zuzug sozial
und bildungsbenachteiligter Menschen zu erschweren;
denn das ist der ideologische Kern der erhöhten Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug.
Das zeigen schon die zahlreichen Ausnahmeregelungen für Ausländerinnen und Ausländer aus Industrienationen, nachziehende Ehegatten Hochqualifizierter oder für Drittstaatsangehörige, die in einem
anderen EU-Staat einen langfristigen Aufenthaltsstatus haben. Besonders hart getroffen wird hingegen die
Gruppe der türkischen Einwanderer - obwohl rechtlich mindestens umstritten ist, ob auf sie die erhöhten
Anforderungen an die Erlaubnis zum Ehegattennachzug überhaupt angewendet werden darf. Leider hat der
Europäische Gerichtshof hierzu bislang keine Entscheidung treffen können, weil die Bundesregierung
ihm jeweils mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zuvorkam. Die Niederlande mussten eine analoge
Regelung nach einem Urteil des Gerichtshofs bereits
zurücknehmen. Die Bundesregierung weiß also ganz
genau, was sie von einem solchen Urteil zu erwarten
hätte. Dennoch lässt sie Zehntausende Menschen in
jahrelang erzwungener Trennung leiden. Das ist unverantwortlich und integrationspolitisch fehlgeleitet.
Denn selbstverständlich ist der Erwerb der deutschen Sprache in Deutschland unendlich viel leichter
als im Ausland: Hier gibt es ein flächendeckendes Netz
von Sprachkursen, hier kann das Erlernte im Alltag direkt angewandt werden, hier kann der Partner oder die
Partnerin aktiv helfend zur Seite stehen. Die im
Ausland unter unzumutbaren Bedingungen und in erzwungener Trennung mühsam erworbenen Deutschkenntnisse sind hingegen häufig schon wieder verblasst, wenn die Betroffenen nach einem aufwendigen
Visumverfahren dann endlich einreisen durften. Auf
entsprechende Nachfragen meiner Fraktion musste die
Bundesregierung all dies auch einräumen.
Und auch das Argument eines angeblich besseren
Schutzes vor Zwangsverheiratungen ist geradezu lächerlich - von Zwangsverheiratungen Betroffene oder
Bedrohte brauchen ganz andere Hilfen als den Zwang
zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse im Ausland!
Häufig geht es bei Zwangsverheiratungen übrigens um
hier geborene und aufgewachsene Frauen mit perfekten Deutschkenntnissen - schon dies verdeutlicht die
Absurdität der Argumentation. Der Zwang zum Spracherwerb ist selbst dann unverhältnismäßig, wenn man
tatsächlich meint, damit Zwangsheiraten wirksam begegnen zu können. Um angeblich die doch eher seltenen Fälle einer Zwangsverheiratung mit noch nicht in
Deutschland Lebenden verhindern zu können, wird der
Ehegattennachzug gleich für alle erschwert, auch
wenn im jeweiligen Einzelfall klar auf der Hand liegt,
dass eine Zwangsverheiratung ausgeschlossen ist. Bis
heute wurde kein Nachweis erbracht, dass auch nur
eine Zwangsverheiratung durch die Regelung verhindert werden konnte. Die Berichte über verhinderte
oder über Jahre verzögerte Ehegattennachzüge hingegen stapeln sich auf den Tischen der Abgeordnetenbüros, an die sich Betroffene in ihrer Verzweiflung wenden.
Ich kann es auch nicht mehr hören, dass immer wieder auf angeblich glückliche Sprachkursteilnehmerinnen in Goethe-Instituten im Ausland hingewiesen wird.
Natürlich kann der Spracherwerb in solchen Kursen
Spaß machen und wird er von den Betroffenen prinzipiell als sinnvoll erachtet. Aber die große Mehrheit aller Ehegatten würde trotzdem unendlich viel lieber in
Deutschland die deutsche Sprache erlernen, zusammen mit ihren Partnerinnen und Partnern - und nicht
Zu Protokoll gegebene Reden
zwangsweise von ihnen getrennt, zumal viele Menschen keinen Zugang zu diesen Kursen haben oder
Tausende Kilometer dafür zurücklegen müssen.
Es bleibt dabei, was die Linke schon vor der Verabschiedung dieses unsäglichen Gesetzes gesagt hat und
mit den vorliegenden Anträgen nochmals unterstreicht: Das Menschenrecht auf Familienzusammenleben darf nicht unter den Vorbehalt deutscher Sprachkenntnisse gestellt und damit indirekt von der sozialen
Herkunft, dem Vermögen, dem Bildungs- und Familienstand und dem Alter der Betroffenen abhängig gemacht werden! Schaffen Sie diese sinnlose und grausame Schikane von Menschen, die sich lieben und
zusammen sein wollen, schnellstmöglich ab!
Schon vor meiner Wahl in den Bundestag war es mir
ein wichtiges Anliegen, die Familienzusammenführung zu vereinfachen. Als Jurist habe ich diesbezüglich
viele Fälle behandelt. Ich habe miterlebt, wie etliche
Paare über Jahre unzumutbare und unnötige Trennungen ertragen mussten. Dies ist ein großes menschenrechtliches Problem. Unmittelbar nach meiner Wahl in
den Bundestag erreichten mich viele Beschwerden wegen der restriktiven Einwanderungsregelungen beim
Ehegattennachzug. Die Beschwerden in Form von
Briefen, Anrufen und eingereichten Petitionen nehmen
kein Ende.
Vorab möchte ich mitteilen, dass wir den Initiativen
der SPD und der Linkspartei zustimmen werden. Unsere Fraktion hat bereits 2010 einen Gesetzentwurf zur
Erleichterung des Ehegattennachzugs eingereicht.
Damit wollen wir die im Jahr 2007 eingeführten Verschärfungen wieder aufheben. Insbesondere geht es
uns um die Aufhebung des sogenannten Spracherfordernisses für alle nachziehenden Ehegatten. Des Weiteren fordern wir die Aufhebung der Lebensunterhaltssicherungspflicht beim Nachzug zu Deutschen.
Seit 2007 müssen Personen Deutschkenntnisse auf
dem Sprachniveau A1 nachweisen, bevor sie ein Visum
zum Ehegattennachzug erhalten. Dieser Sprachnachweis wurde von der großen Koalition damit begründet,
dass Sprachkurse Zwangsehen verhindern würden
({0}). Belege
dafür konnte die Regierung bislang nicht vorlegen. Um
Betroffene vor Zwangsverheiratung wirksam zu schützen, sollte die Bundesregierung lieber für mehr Bildung, Aufklärung und niedrigschwellige Beratungsund Schutzangebote sorgen.
Sprachen lernt man am besten dort, wo sie gesprochen werden. Der Spracherwerb in Deutschland ist
viel leichter, schneller, günstiger und weniger belastend für die Betroffenen. Grundsätzlich ist die Teilnahme an Integrationskursen in Deutschland sogar
seit 2005 verpflichtend und kann mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden.
Das Spracherfordernis verstößt nicht nur gegen das
Grundrecht auf familiäres Zusammenleben, sondern
auch gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz. Denn nicht alle nachziehenden Ehegatten müssen Deutschkenntnisse nachweisen. Ausgenommen von
der Regelung sind etwa die Ehegatten von Unionsbürgern sowie die Ehegatten von Hochqualifizierten,
Selbstständigen und in der Forschung Tätigen. Auch
Staatsangehörige aus Ländern, mit denen Deutschland
enge wirtschaftliche Beziehungen pflegt, müssen
Deutschkenntnisse nicht nachweisen. Eine Regelung,
die sich gegen bestimmte, vermeintlich integrationsunwillige Ausländer richtet, lehnen wir ab.
Im Juni 2011 gab es eine Anhörung des Innenausschusses zu diesem Thema. Die Mehrheit der Sachverständigen vertrat die Meinung, das Spracherfordernis
stünde nicht im Einklang mit dem Grundgesetz und
dem EU-Recht. Darüber hinaus bestätigten alle Sachverständigen, dass es keine Belege dafür gibt, dass das
Spracherfordernis seinem Zweck - nämlich der Verhinderung von Zwangsehen - dient.
Die Aufhebung des Spracherfordernisses ist auch
aus europarechtlicher Sicht notwendig. Denn das
Spracherfordernis beim Ehegattennachzug verstößt
gegen die Familienzusammenführungsrichtlinie. Dies
hat die Europäische Kommission in ihrer schriftlichen
Stellungnahme vom Mai 2011 in dem Verfahren vor
dem EuGH in der Rechtssache Imran bezüglich der
dem deutschen Recht vergleichbaren niederländischen
Regelung festgestellt. Die Richtlinie verbiete es den
Mitgliedstaaten, Sprachtests als eine „Bedingung“ zu
verstehen, von der das Recht auf Familienzusammenführung selbst abhängig ist, so die Kommission. Bei
türkischen Staatsangehörigen verstößt die Pflicht,
Deutschkenntnisse nachzuweisen, zudem gegen das
Verschlechterungsverbot im Assoziationsrecht EWG/
Türkei ({1}).
Schließlich hat sich die Haltung des Bundesverwaltungsgerichts gewandelt. Als Reaktion auf die Stellungnahme der Kommission hat es sich von seiner Einschätzung distanziert, die Sprachanforderungen im
Aufenthaltsgesetz seien zweifelsfrei mit Unionsrecht
vereinbar. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 hat es
ausgeführt, dass die Frage, ob das Erfordernis einfacher
deutscher Sprachkenntnisse mit der Familienzusammenführungsrichtlinie vereinbar ist, dem Gerichtshof der
Europäischen Union zur Klärung hätte vorgelegt werden
müssen. Im September 2012 hat das Bundesverwaltungsgericht dann entschieden, dass das Spracherfordernis
für Ehegatten von Deutschen grundrechtswidrig ist
und daher nur eingeschränkt gilt.
Wir betrachten die Regelungen zum Spracherwerb
beim Familiennachzug als menschenunwürdig, verfassungswidrig und überflüssig. Außerdem sollte die Bundesregierung nicht länger warten, bis das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof uns
aufträgt, die geltenden Regelungen aufzuheben.
Auch die FDP ist der Ansicht, dass die Regelung
problematisch ist, weil sie auf die Staatsangehörigkeit
Zu Protokoll gegebene Reden
des Stammberechtigten und nicht des nachziehenden
Ehegatten abstellt. Darüber hinaus ist die FDP auch
der Meinung, dass die Regelung unverhältnismäßig
ist, weil der Erwerb von Sprachkenntnissen für die
Ehegatten im Ausland oft unzumutbar ist ({2}).
Wir freuen uns sehr, dass auch die SPD nach langem Hin und Her nun das Spracherfordernis abschaffen will.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 29 a. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13313, den Gesetzentwurf der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/8921 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt. Sie wissen, dass damit nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Wir sind
noch bei Tagesordnungspunkt 29 a. Abstimmung über
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({0}). Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13313,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/1626 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Das sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Fraktion der
Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir sind beim Tagesordnungspunkt 29 b. Wir setzen
die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des
Innenausschusses auf Drucksache 17/13313 fort. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8610 mit dem Titel
„Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen
und Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 c. Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8081, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1577 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern
- Drucksache 17/13022 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 17/13536 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({2})
Memet Kilic
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13540 Berichterstattung:
Abgeordnete Stefanie Vogelsang
Dr. Peter Danckert
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Katja Dörner
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern wurde am
22. April 2013 von Experten bei einer Sachverständigenanhörung des Innenausschusses bewertet. Es zeigt
sich, dass die Umsetzung der beiden EU-Richtlinien in
nationales Recht migrationspolitisch sinnvoll ausgestaltet wurde. Mit der einen EU-Vorgabe wurde der
Anwendungsbereich der sogenannten Daueraufenthaltsrichtlinie auf Ausländer erweitert, die internationalen Schutz genießen. Auch sie sollen nun nach fünf
Jahren legalem Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat
ein europäisches Daueraufenthaltsrecht erhalten. Die
zweite Rahmenrichtlinie sieht die Einführung eines
kombinierten Arbeitstitels zum Zweck der Erwerbstätigkeit und eine verfahrensrechtliche Bündelung angestrebt.
Der Gesetzentwurf beseitigt daneben auch eine
ganze Reihe von praktischen Unklarheiten und Unwägbarkeiten in der ausländerbehördlichen Rechtsanwendung und schafft damit Rechtssicherheit.
Es wird allen Familienangehörigen, die im Wege des
Familiennachzugs nach Deutschland kommen, unmittelbar nach Einreise und unabhängig von der jeweiligen Qualifikation voller Zugang zu jeglicher Erwerbstätigkeit ermöglicht, so zum Beispiel beim Aufenthalt
zum Zweck der Ausbildung oder bei der Zuwanderung
von Hochqualifizierten. Dieser erleichterte Arbeitsmarktzugang bietet künftig die Möglichkeit, sich von
Anfang in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und bietet
einen Anreiz zur Zuwanderung junger gut qualifizierter
Familien.
Als Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich den Wert der Sprache für die
Integration nicht oft genug betonen. Gute Kenntnisse
der deutschen Sprache sind der Schlüssel für eine gelungene Integration.
Die Kritik an die gestiegenen Anforderungen an die
Kenntnisse der deutschen Sprache für die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis für nachgezogene Familienangehörige von Deutschen teile ich
deshalb nicht. Die gestiegenen Anforderungen gefährden in keinem Fall das Familienleben oder den
Aufenthalt des Betroffenen. Selbst wenn ein Familienangehöriger aufgrund der Neuregelung keine Niederlassungserlaubnis erhalten sollte, muss er nicht
ausreisen, sondern hat weiterhin eine Aufenthaltserlaubnis. Für eine Niederlassungserlaubnis ist die Forderung nach ausreichenden Sprachkenntnissen gerechtfertigt. Es ist eine sinnvolle Motivation der
Betroffenen, die entsprechenden Sprachkenntnisse zu
erwerben. So wird auch die Eigenständigkeit des nachziehenden Ehegatten gestärkt, der ohne ausreichende
Sprachkenntnisse von seinem deutschen Ehegatten abhängig bliebe. Die geplante Regelung ist somit nicht
familienfeindlich, sondern stärkt die Position des hinzugezogenen Ehegatten.
Auch die Neuregelung des Kindernachzuges zu nur
einem in Deutschland lebenden Elternteil schützt die
Position der Familie. Dieser Nachzug wird künftig
nicht mehr von dem alleinigen Sorgerecht des Elternteils anhängen. Nun ist der Nachzug eines Kindes
auch bei gemeinsamem Sorgerecht möglich, sofern der
andere Elternteil dem zustimmt. So ist auch eine
Rechtsordnung des Heimatlandes, das kein alleiniges
Sorgerecht kennt, keine Hürde mehr für eine Familienzusammenführung.
Eine weitere familienfreundliche Neuregelung sieht
vor, dass auch nach Eintritt der Volljährigkeit eines ledigen deutschen Kindes die einem Elternteil zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis zu verlängern ist, solange das Kind mit ihm in
familiärer Lebensgemeinschaft lebt und sich in einer
Ausbildung befindet.
Geplant war eine Klarstellung in § 2 Abs. 3
AufenthG, dass der Bezug von Leistungen für Bildung
und Teilhabe nach § 6 b des Bundeskindergeldgesetzes
nicht als eine für die Regelerteilungsvoraussetzung der
Lebensunterhaltssicherung schädliche Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt. In der Sachverständigenanhörung wiesen Sachverständige jedoch darauf
hin, dass sich diese Leistungen schwer genau beziffern
lassen, da sie von der konkreten familiären und schulischen Situation und dem Bedarf der Kinder abhängen.
Auch steht der Bedarf häufig bei der Aufenthaltstitelerteilung noch nicht fest. Wegen der geringen Höhe der
Leistungen für Bildung und Teilhabe sind diese für die
Aufenthaltsentscheidung grundsätzlich nie entscheidungserheblich. Kindergeld, Kinderzuschlag und
Erziehungsgeld gelten nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und können dem Einkommen hinzugerechnet werden.
Die Forderung der Opposition, auch das Wohngeld
in den § 2 mit aufzunehmen, verkennt zum einen, dass
der Bezug sonstiger öffentlicher Leistungen, so auch
des Wohngeldes, der Annahme einer Lebensunterhaltssicherung nicht grundsätzlich entgegensteht. Sie
werden zwar nicht bei der Einkommensermittlung berücksichtigt, sind aber unschädlich, wenn der Lebensunterhalt unabhängig von diesen Leistungen gesichert
ist. Desweiteren ist eine Aufnahme in den Katalog der
Leistungen, die nicht als Bezug von öffentlichen Mitteln gelten, nicht möglich, da das Wohngeld keinen
ausschließlich fördernden Charakter hat, sondern
auch als existenzsichernde Leistung gewährt werden
kann. Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob das
Wohngeld zur Existenzsicherung beiträgt.
Die zweite Richtlinie, die mit dem Gesetzentwurf
umgesetzt wird, sieht die Einführung eines „kombinierten Aufenthaltstitels für Aufenthaltserlaubnisse
zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ und eine „verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis“ vor. Darüber hinaus
regelt sie bestimmte Gleichbehandlungsrechte, insbesondere im Renten- und Sozialrecht. Der kombinierte
Aufenthaltstitel und die verfahrensrechtliche Bündelung wurden in Deutschland bereits 2005 eingeführt,
sodass Umsetzungsbedarf vor allem im Rentenrecht
besteht.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Verbesserungen enthält, die die
Situation der in diesem Land lebenden Schutzberechtigten nachhaltig und deutlich verbessern wird.
Gleichzeitig werden qualifizierten Arbeitskräften, die
dringend für die wirtschaftliche Entwicklung gebraucht werden, zusätzliche Anreize geboten. Daher
ist dem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.
Dass es diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen tatsächlich schaffen, heute
- vier Tage vor Ablauf der Frist! - Richtlinien des Europäischen Parlaments annähernd fristgerecht in nationales Recht umzusetzen, bedarf - weil alles andere
als selbstverständlich - einer positive Erwähnung.
Dass diese Richtlinien und damit jetzt auch das nationale Recht für Personen, die internationalen Schutz
genießen und solche Drittsstaatsangehörige, die hier
längerfristig arbeiten, Verbesserungen im Status und
im Verfahren bieten, mag ebenso positiv angemerkt
werden.
Die Begeisterung der SPD-Fraktion hält sich aber
in Grenzen, weil einige Regelungen des GesetzentZu Protokoll gegebene Reden
wurfs hart an der Grenze des europarechtlich Zulässigen unnötig restriktiv am bisherigen nationalen deutschen Recht entlang ausgestaltet wurden. Ich nenne
nur einige Beispiele:
Erstens. Warum soll der Bezug von Wohngeld, das
der Sicherstellung angemessenen Wohnraums dienen
soll, der Erteilung dauerhafter Aufenthaltserlaubnisse
entgegenstehen?
Zweitens. Warum sollen Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket, die der Erziehung und damit auch der Integration ausländischer Kinder dienen
sollen, zugleich den Daueraufenthalt der Familie erschweren?
Drittens. Warum müssen alleinsorgeberechtigte Eltern erhöhte Nachweisanforderungen erfüllen, wenn
sie ihre Kinder nachziehen lassen wollen?
Viertens. Warum werden die Sprachanforderungen
für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis von
Familienangehörigen heraufgesetzt?
Unter anderem diese Kritikpunkte an dem Gesetzentwurf sind es, die uns veranlassen, zu sagen: Dies
hätte man durchaus besser machen können und müssen. Deshalb werden wir in dieser Form dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, ist
gut. Er stärkt die Rechte von international Schutzberechtigten. Er zeichnet die Linie der schwarz-gelben
Koalition im Ausländer- und Integrationsbereich fort:
Fordern und Fördern. Er zeigt, dass Schwarz-Gelb
auch im Ausländerrecht die richtigen Akzente setzt.
Nun möchte ich auf einige zentrale Vorschriften eingehen:
Der Kindernachzug wird signifikant erleichtert. Es
ist richtig, dass in Zukunft nicht mehr auf das deutsche
Familienrecht abgestellt wird, sondern auch die Realitäten in anderen Staaten berücksichtigt werden. In Zukunft kann das Kind auch bei gemeinsamem Sorgerecht zu nur einem Elternteil nachziehen, wenn der
andere Elternteil zustimmt.
Endlich wird den ausländischen Familienangehörigen der unbeschränkte Arbeitsmarktzugang eingeräumt. Aus unserer Sicht muss es selbstverständlich
sein, dass jeder selbst den eigenen Lebensunterhalt bestreiten darf. Eine Abhängigkeit der Familienangehörigen voneinander oder von staatlichen Leistungen ist
nicht sinnvoll. Das freie, selbstbestimmte Individuum
ist für uns das ideale Menschenbild.
Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes
bin ich auf die Anhebung des Sprachniveaus von A1
auf B1 für die Niederlassungserlaubnis für ausländische Ehegatten von Deutschen eingegangen. Wir haben daran bewusst nichts verändert. Die Inländerdiskriminierung, die dadurch hervorgerufen werden soll,
muss aus unserer Sicht hingenommen werden: Das Leben ist heute durchsetzt von Entscheidungen auf europäischer Ebene, die zu Ungleichbehandlung mit den
Inländern führen. Das ist gang und gäbe. Auch sind
Deutschkenntnisse für die Integration zentral. Dies
einfach immer wieder infrage zu stellen vonseiten RotRot-Grün, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Zwei weitere Kritikpunkte möchte ich aufgreifen
und richtigstellen:
Wir haben das Bildungs- und Teilhabepaket aus dem
Katalog des § 2 Abs. 3 AufenthG gestrichen. Ich kann
Ihnen versichern, dass das nicht leichtfertig geschehen
ist. Aber die praktische Umsetzung von Normen, auch
wenn sie gut gemeint sind, muss möglich sein. An dieser Stelle hat uns die Anhörung sehr zu denken gegeben: Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde hat
nachvollziehbar dargestellt, dass die Einbeziehung des
Bildungs- und Teilhabepakets zu unverhältnismäßigem
Bestimmungsaufwand für die Ausländerbehörden führen würde. Denn jeder Anspruch muss individuell
bestimmt werden. Es gibt keine Pauschalbeträge.
Gleichzeitig befindet man sich bei dieser Leistung im
Bagatellbereich. Daher ist auch in der Begründung des
Änderungsantrags klargestellt worden, dass die Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets nie zulasten der
Betroffenen ausgelegt werden darf.
Auch bei § 32 AufenthG unterliegt die Opposition
einem Irrtum: Eine Schlechterstellung von Flüchtlingen ist durch den Gesetzentwurf nicht beabsichtigt und
wird es durch die Gesetzesänderung in der Praxis
nicht geben. Wir erwarten, dass die Härtefallklausel in
§ 32 Abs. 4 großzügig in diesen Fällen angewendet
wird. Das BMI hat auch zugesichert, dieses Normverständnis in den Anwendungshinweisen zu verankern.
So kann eine einheitliche Anwendung in der Praxis sichergestellt werden.
Für uns Liberale sind zwei Änderungen von großer
Bedeutung, die beide durch den Bundesrat angeregt
worden sind:
Wir wollen, dass das Sprachniveau in § 4 IntVO angehoben wird von A1 auf B1. Dadurch können Ausländer, die Inhaber der Personensorge für ein in Deutschland lebendes minderjähriges Kind sind, über A1
hinaus zu einem Integrationskursbesuch verpflichtet
werden.
Diese Änderung wurde insbesondere von den Grünen stark kritisiert. Ich weise gerne nochmal darauf
hin, dass das ein Vorschlag des Bundesrates ist, in dem
({0}) nicht Schwarz-Gelb eine Mehrheit hat. Wenn
Sie sich also in der Kritik so aus dem Fenster lehnen,
dann sollten Sie sich mit Ihren Ländern vorher besprechen. Die Länder haben insbesondere ins Feld geführt,
dass durch die Änderung die Bildungschancen der betroffenen Kinder gestärkt werden könnten.
Auch möchte ich darauf hinweisen, dass in der Anhörung dieser Punkt positiv bewertet wurde, da es damit zu einer Kostenübernahme kommt. Denken Sie
doch wenigstens an die Betroffenen, wenn es Ihnen
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({1})
schon egal ist, ob die Bildungschancen von Kindern
erhöht werden.
Wir haben gerne den Vorschlag des Bundesrates zu
§ 18 c AufenthG aufgegriffen. Diesen Aufenthaltstitel
zur Arbeitsplatzsuche haben wir im Rahmen der BlueCard-Umsetzung richtigerweise eingeführt: Endlich
können Hochqualifizierte nach Deutschland kommen,
um einen Arbeitsplatz zu suchen. Bis zum Gesetzespaket der christlich-liberalen Koalition zur Blauen Karte
brauchten sie bereits vorab ein Arbeitsplatzangebot;
ein Zustand, der vollkommen an der Realität vorbeigegangen ist.
Nun wird die Regelung dadurch komplettiert, dass
ausländische Fachkräfte, die bereits in Deutschland
sind, aber unerwartet ihren Arbeitsplatz verlieren, diesen Aufenthaltstitel vom Inland aus beantragen können. Sie müssen also nicht erst ausreisen, um eine erneute Beantragung zu ermöglichen. Diese Änderung
ist zur Klarstellung für die Ausländerbehörden erforderlich, die sich bisher mit allgemeinen Regelungen
beholfen habe. Und es ist ein wichtiges Signal an die
Fachkräfte: Wir wollen, dass sie bleiben.
Alles in allem kann ich auch anhand dieses Gesetzentwurfes feststellen: Die Koalition aus CDU/CSU
und FDP war und ist gut und erfolgreich. Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland. Es
wird auch gut für Deutschland sein, wenn diese Koalition fortgesetzt wird.
Wir beraten heute abschließend einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der der Umsetzung von
EU-Richtlinien in deutsches Recht dient. International
Schutzberechtigte, also Asylberechtigte, Flüchtlinge
und subsidiär geschützte Personen, bekommen nun
das Recht, nach fünf Jahren Aufenthalt eine Daueraufenthaltserlaubnis-EU zu erhalten. Sie sind damit innerhalb der EU theoretisch freizügigkeitsberechtigt
und können sich auch in einem anderen EU-Staat niederlassen. Praktisch müssen allerdings weitere Bedingungen erfüllt werden, wie zum Beispiel der Nachweis
eines Arbeitsplatzes, was häufig nicht leicht sein wird.
In Umsetzung einer zweiten Richtlinie gibt es für bestimmte Drittstaatsangehörige Verbesserungen bei der
Auszahlung von Rentenansprüchen ins Ausland. Bei
Gelegenheit der Umsetzung dieser Richtlinien werden
noch weitere Änderungen vorgenommen, die wir zum
Teil begrüßen: So sollen Personen, die zu ihren Ehegatten nachgezogen sind, endlich einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Auch beim Nachzug
von Kindern sind Erleichterungen vorgesehen.
Eine weitere ursprünglich geplante Verbesserung
wurde durch die Koalitionsfraktionen in den Beratungen des Innenausschusses wieder zurückgenommen.
Der Gesetzentwurf der Regierung hatte vorgesehen,
dass der Bezug von Leistungen nach dem Bildungsund Teilhabepaket zukünftig keine negative Rolle bei
der Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels
mehr spielen soll. Nach den geltenden Regeln müssen
die meisten Ausländerinnen und Ausländer hierfür einen eigenständigen Lebensunterhalt ohne öffentliche
Mittel nachweisen. Das Aufenthaltsgesetz sieht allerdings eine Reihe von Ausnahmen bei bestimmten Leistungen wie dem Kindergeld vor. Dass nun der Bezug
der Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket
doch nicht in die Liste der Ausnahmen aufgenommen
werden soll, halten wir integrationspolitisch für fatal.
Meine Fraktion hat in den Beratungen des Innenausschusses dagegen beantragt, darüber hinaus den
Bezug von Wohngeld in die Liste der Ausnahmen mit
aufzunehmen. Das geht auf Forderungen der Kirchen
und Wohlfahrtsverbände zurück. Wohngeld ist keine
Sozialleistung, die zur Lebensunterhaltssicherung
dient, sondern eine Leistung, die gerade Familien angemessenen Wohnraum sichern soll. Darüber hinaus
dürfen auch Freibeträge im Sozialgesetzbuch, die die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit fördern sollen, nicht
dazu führen, dass die Höhe des im Aufenthaltsrecht
nachzuweisenden Einkommens steigt. Das ist absurd,
aber so ist es derzeit Praxis. Die Koalition hat leider
auch diesen Änderungsantrag abgelehnt. Grundsätzlich bleiben wir bei unserer Haltung, dass der Bezug
von Sozialleistungen generell einer Verlängerung oder
Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegenstehen
soll. Denn damit wird eine Bevölkerungsgruppe getroffen, die am Arbeitsmarkt auf vielfältige Art ohnehin
stark benachteiligt ist.
Es gibt noch weitere Gründe, die zu einer Ablehnung dieses Gesetzentwurfs durch unsere Fraktion
führen. Anlässlich der Richtlinienumsetzung werden
Verschärfungen vorgenommen, die die falsche Migrations- und Integrationspolitik dieser Koalition fortführen. So werden die Sprachhürden bei nachgezogenen
Eheleuten von Deutschen vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis heraufgesetzt. Damit werden
wieder einmal bildungsbenachteiligte Migrantinnen
und Migranten und ältere Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Erlernen der deutschen Sprache haben,
benachteiligt.
Mit der Neuregelung des Kindernachzugs, die an
sich begrüßenswert ist, geht leider auch eine vermutlich sogar ungewollte Verschärfung für anerkannte
Flüchtlinge einher. Denn auch sie müssen künftig Personensorgenachweise erbringen, wenn sie ihre Kinder
nachholen wollen. Diese Nachweise sind für Flüchtlinge aber häufig nur sehr schwer oder gar nicht zu erbringen. Warum sollte ein Verfolgerstaat seinen Opfern helfen, ihre Kinder zu sich zu holen? Hier hätte es
eine gesetzliche Klarstellung oder Ausnahmeregelung
geben müssen, aber auch das hat die Koalition bedauerlicherweise abgelehnt.
Ein dritter Punkt wurde in der Sachverständigenanhörung angesprochen. Es soll eine neue Befugnis der
Grenzbehörden geschaffen werden, beim Verdacht auf
erschlichene Visa ohne Hinzuziehen der Ausländerbehörde die Einreise zu verweigern. Mehrere Sachverständige haben die Befürchtung vertreten, dass diese
neue Befugnis zu vermehrten Inhaftierungen an der
Zu Protokoll gegebene Reden
Grenze führen könnte, weil Personen in Zurückschiebungshaft genommen werden. Diese Befürchtung
konnte durch die Bundesregierung nicht ausgeräumt
werden. Hier drohen also Freiheitsentziehungen in unbekannter Zahl auf bloßen Verdacht hin. Das können
wir, wie den gesamten Gesetzentwurf, nicht mittragen.
Wir Grünen werden dem Gesetzentwurf von
Schwarz-Gelb zur Umsetzung der sogenannten Rahmenrichtlinie und der Richtlinie zum Daueraufenthaltsrecht von International Schutzberechtigten nicht
zustimmen.
Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, dass die
Bundesregierung EU-Richtlinien entlang ihrer Mindestanforderungen umsetzt, nur um keine Untätigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof zu riskieren.
Eine menschenorientierte Politik, die einen sicheren
Aufenthaltsstatus und Gleichbehandlung für Einwanderer und Einwanderinnen gewährleistet, damit sie
sich frei von Existenzängsten in die Gesellschaft einbringen können, sieht anders aus.
Einen klaren Richtlinienverstoß begeht die Bundesregierung bei der von der Rahmenrichtlinie vorgegebenen Gleichbehandlung bei Familienleistungen. Der
Caritas Verband hat in der Ausschussanhörung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausschlussregelungen für Ausländerinnen und Ausländer im
deutschen Familienleistungsrecht unvereinbar mit der
Rahmenrichtlinie sind und - wie vom Bundesverfassungsgericht festgestellt - gegen das Grundgesetz verstoßen. Dem folgend haben wir mit unserem Änderungsantrag im Innenausschuss gefordert, dass alle
Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzen oder seit mindestens fünf Jahren
geduldet in Deutschland leben, Familienleistungen erhalten.
Noch gravierender als die problematische Umsetzung der Richtlinien sind die im Gesetzentwurf enthaltenen richtlinienunabhängigen Änderungen. So soll
das Sprachniveau für eine Niederlassungserlaubnis
bei Familienangehörigen von Deutschen von „einfachen Kenntnissen“ - A1 - auf „ausreichende Kenntnisse“ - B1 - angehoben werden. Das widerspricht
nachhaltiger Integrationspolitik: Wer mehr gesellschaftliche Teilhabe fordert, muss die Aufenthaltsverfestigung fördern, anstatt sie mit immer neuen Hürden
zu erschweren. Für türkische Staatsangehörige, bei
der die Regelung die größte Anwendung findet, wird
sie wegen des assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbots nach Art. 13 ARB 1/80 nicht gelten.
Der Gesetzentwurf erschwert außerdem ausgerechnet Kindern von Flüchtlingen den Nachzug. Es ist für
viele Flüchtlinge bereits heute schwierig, die geforderten Abstammungsdokumente vorzulegen. Die Sachverständigen haben in der Ausschussanhörung deutlich
gemacht, dass die zukünftig vorzulegenden Unterlagen
zur Personensorgeberechtigung in der Praxis zu unüberwindbaren Hürden führen werden. Wir wollen den
entgegengesetzten Weg nehmen. In unserem Antrag
„Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten“
- Bundestagsdrucksache 17/12395 - schlagen wir Verbesserungen für Kinder und ihre Familien vor.
Schließlich kritisieren wir, dass die Bundesregierung nicht die sinnvollen Änderungsanträge des Bundesrates übernommen hat. Genannt sei nur der
Vorschlag des Bundesrates, die Regelung zur Aufenthaltserlaubnis nach dem Assoziationsrecht EWG/Türkei an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2012 - Az.: 1 C 6/11 - anzupassen.
Trotz der vielen wichtigen Hinweise der Sachverständigen zum Nachbesserungsbedarf hat es SchwarzGelb geschafft, den Gesetzentwurf durch einen eigenen
Änderungsantrag zu verschlechtern. So wurde die
noch im Gesetzentwurf enthaltene Ergänzung des Katalogs der unschädlichen Leistungen für die Bewertung der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung
um das Bildungs- und Teilhabepaket zurückgenommen. Stattdessen hätte die Koalition nach den Ergebnissen der Anhörung zusätzlich das Wohngeld in den
Katalog aufnehmen müssen. Zudem hat Schwarz-Gelb
nachträglich die Teilnahmepflicht an Integrationskursen auf alle Personen erweitert, die Deutschkenntnisse
auf dem Sprachniveau B1 nicht erfüllen. Es ist absurd,
das für die Einbürgerung erforderliche Sprachniveau
auch bei Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis zu verlangen.
Insbesondere wegen der Anhebung der Sprachanforderungen, der fehlenden Umsetzung der Rahmenrichtlinie bei den Familienleistungen und der Verschlechterung für die Kinder von Flüchtlingen können
wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Bedauerlicherweise hat Schwarz-Gelb unsere entsprechenden
Änderungsanträge nicht übernommen. Mit diesem Gesetzentwurf zeigt die Bundesregierung wieder einmal,
wie schwer sie sich damit tut, die Rechte von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13536, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13022 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher,
Wolfgang Gunkel, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation
Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht
- Drucksache 17/9187 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 17/13315 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({1})
Josef Philip Winkler
Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es war
in der Tagesordnung so ausgewiesen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt die
SPD-Fraktion das Ziel, die Situation unbegleiteter
Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht zu verbessern. Unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge haben ein erhöhtes Schutzbedürfnis, dem
wir Rechnung tragen müssen. In diesem Punkt stimme
ich Ihnen zu. Allerdings stellen die hier vorgelegten
Forderungen in meinen Augen keine sachgerechte
Lösung dar oder sind schlichtweg überflüssig. Hierzu
gehört beispielsweise die Forderung der SPD nach einer Klarstellung im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht dahin gehend, dass bei der Rechtsanwendung
das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt sei. Wozu diese Klarstellung, da
eine entsprechende Verpflichtung doch bereits aus der
UN-Kinderrechtskonvention folgt?
Hierzu gehört auch Ihre Forderung, die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger nach den aufenthalts- und
asylrechtlichen Vorschriften von 16 auf 18 Jahre anzuheben und so allen unbegleiteten Minderjährigen einen gesetzlichen Vertreter zur Seite zu stellen. Natürlich ist es richtig, im Asylverfahren nicht nur
Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum
18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand
zur Seite zu stellen. Die künftige Asylverfahrensrichtlinie sieht deshalb vor, dass im Asylverfahren bei allen
Minderjährigen ein gesetzlicher Vertreter vorhanden
sein muss. Sie belässt den Mitgliedstaaten aber auch
die Möglichkeit, eine Asylbeantragung durch den
Minderjährigen selbst, also unabhängig von einem gesetzlichen Vertreter, vorzusehen. Wir werden im weiteren Verfahren prüfen, wie wir diese Richtlinienvorgaben umsetzen können. Aber Ihr Vorschlag, der 16- und
17-jährigen unbegleiteten Jugendlichen kein eigenes
Antragsrecht mehr belässt, erscheint mir zu weitgehend.
Ihre Forderung, die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung durch eine Inobhutnahme durch das
Jugendamt zu ersetzen, überzeugt mich schon deshalb
nicht, weil die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Ausländer durch das Jugendamt gemäß § 42
SGB VIII bereits verbindlich vorgeschrieben ist, und
zwar unabhängig von einem gestellten Asylantrag.
Das Jugendamt sorgt dann auch für die Unterbringung
des minderjährigen Ausländers. Dabei muss es sich
um eine für Minderjährige geeignete Wohnform handeln. Diese Anforderung sollte meiner Meinung nach
aber auch gelten, wenn es sich um im Familienverband
unterzubringende Kinder und Jugendliche handelt.
Daher erscheint es eher sachgerecht, die Anforderungen an Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte, in denen Minderjährige untergebracht werden sollen, so zu gestalten, dass sie für
begleitete und unbegleitete Minderjährige kinder- und
jugendgerecht sind. Hier sind die Länder gefragt. Dies
könnte durch eine entsprechende Zertifizierung der
Unterkünfte durch die Landesjugendämter gewährleistet werden. Bisher ist die Anwendung von § 45
SGB VIII für Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte allerdings aufgrund § 44 Abs. 3 und
§ 53 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz ausgeschlossen.
Die länderübergreifende Umverteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern im Asylverfahren
findet kaum noch statt, weil hier ein Spannungsverhältnis zur Inobhutnahmeregelung besteht. Die sehr
ungleiche Verteilung unbegleiteter minderjähriger
Ausländer über das Bundesgebiet würde durch den
Gesetzesvorschlag aber noch befördert, so dass auch
hier Prüfungsbedarf besteht.
Mit ihrem Antrag möchte die SPD wieder einmal
den Eindruck erwecken, als würden wir unserer Verpflichtung, das Kindeswohl bestmöglichst zu berücksichtigen, nur unzureichend nachkommen. Dabei war
es doch die Koalition aus FDP und Union, die in den
letzten drei Jahren gerade im Bereich des Ausländerund Asylrechts einige wesentliche Verbesserungen auf
den Weg gebracht hat. Das Bleiberecht für gut integrierte ausländische Jugendliche ist eine enorme Verbesserung und bedeutet eine realistische Perspektive
für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund.
Der Zugang für „Flüchtlingskinder“ zu schulischen
und beruflichen Bildungsangeboten wurde erheblich
verbessert. Der Schulbesuch ist mittlerweile in fast
allen Bundesländern auch für geduldete Kinder und
solche, die sich noch im Asylverfahren befinden, obligatorisch. Zudem wurde mit dem sogenannten Zweiten
Richtlinienumsetzungsgesetz § 87 Aufenthaltsgesetz
dahingehend geändert, dass Schulen sowie Bildungsund Erziehungseinrichtungen von den Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetz ausgenommen sind.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deutschland ist weltweit eines der führenden Aufnahmeländer von Flüchtlingen. 2012 hatte Deutschland mit 77 500 Asylanträgen die höchste Zahl der
Flüchtlinge innerhalb der EU zu verzeichnen. In Kürze
werden die Verhandlungen für ein verbessertes gemeinsames europäisches Asylsystem zum Abschluss
kommen. Ziel ist es, unionsweit höhere einheitliche
Schutzstandards und ein gleiches Schutzniveau zu erreichen sowie ein hohes Maß an Solidarität zwischen
den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen. Gleichzeitig
müssen den nationalen Asylbehörden geeignete Instrumente bereitgestellt werden, damit sie Asylströme effizient bewältigen und Betrug und Missbrauch effektiv
verhindern können, um so die Integrität und Glaubwürdigkeit des Asylsystems zu wahren. Deutschland
hat bei den Verhandlungen auf eine maßvolle und ausgewogene Änderung der bestehenden Regelungen hingewirkt.
Die Asylverfahrensrichtlinie als Teil des gemeinsamen europäischen Asylpakets sieht auch einige Änderungen im Bereich des Verfahrensrechts vor, die die Situation Minderjähriger betreffen. So sieht die künftige
Asylverfahrensrichtlinie bei unbegleiteten Minderjährigen besondere Verfahrensgarantien in beschleunigten Verfahren - dazu gehört in Deutschland das Flughafenasylverfahren - vor. Das deutsche Recht
entspricht dem zwar bereits weitgehend. Bei der Richtlinienumsetzung wird gleichwohl zu prüfen sein, inwieweit sich der nochmals erhöhte Aufwand für die
Durchführung dieser Verfahren bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern noch lohnt, zumal ihnen bereits jetzt in aller Regel die Einreise zur Durchführung
der Asylverfahren im Inland gestattet wird. Andererseits warne ich davor, dass ein vollständiger Verzicht
auf die Durchführung des Flughafenasylverfahrens
und ein daraus resultierendes Recht auf Einreise für
alle unbegleiteten Minderjährigen als Pull-Faktor, der
falsche Anreize für einen möglichen Missbrauch des
Asylrechts setzt, wirken könnten. Da ein vollständiger
Verzicht auf die Durchführung des Flughafenasylverfahrens für diese Personengruppe kaum mehr rückgängig gemacht werden könnte, bietet es sich eher an,
das Flughafenasylverfahren für unbegleitete
Minderjährige grundsätzlich beizubehalten, es aber
- wie bisher - nur in Ausnahmefällen anzuwenden.
Ein Recht auf Einreise allein wegen Minderjährigkeit wird es aufgrund der damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten mit uns nicht geben.
In Vorbereitung auf diese Rede habe ich auf den Seiten des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen einmal nachgelesen, was dort zu der Situation von Kindern in Deutschland allgemein gesagt wird: „Den
meisten Kindern in Deutschland geht es gut. Die Kindersterblichkeit ist eine der niedrigsten weltweit.
Praktisch alle Kinder gehen zur Schule. Viele haben
Lernmöglichkeiten und Freizeitangebote, von denen
ihre Altersgenossen in anderen Ländern nur träumen.“ Bis hierhin ein erfreulich positives Bild, so wie
ich es mir für das Land, in dem ich lebe, wünsche.
Dann aber folgt der kurze Satz: „Aber es gibt noch ein
anderes Bild von Kindheit in Deutschland. Besonders
schwierig ist die Situation für Kinder, die als Flüchtlinge in Deutschland leben. Flüchtlinge ohne gesicherten Aufenthaltsstatus haben nur eingeschränkt Zugang
zu ärztlicher Behandlung. … Schon 16-Jährige werden
wie Erwachsene behandelt.“
Die Kinderrechtskonvention gebietet, alle Kinder
gleich zu behandeln, egal ob sie aus einem anderen
Land stammen, eine andere Sprache sprechen, Eltern
haben, die anders denken und an einen anderen Gott
glauben als die meisten von uns, oder keine Eltern
mehr haben. Egal was es zu entscheiden gibt: Das
Recht des Kindes muss an erster und oberster Stelle
stehen. Es muss der Maßstab sein.
Bei uns tritt die Volljährigkeit mit 18 Jahren ein.
Erst dann ist man voll geschäftsfähig. Wir wissen alle,
dass es die Kinderrechtskonvention Ländern möglich
macht, von dieser Regelung abzuweichen und Ausnahmen zu statuieren. So setzt bislang die Verfahrensfähigkeit im deutschen Asylverfahren bereits mit 16 Jahren ein. Der jugendliche Flüchtling wird ausgerechnet
im Asylverfahren, einem Verfahren, das entscheidend
für sein weiteres Leben ist, behandelt wie ein Erwachsener; er wird nicht mehr geschützt wie ein Kind.
Wir wollen daher die Einführung der Verfahrensfähigkeit für Flüchtlinge schon mit 16 Jahren endgültig
abschaffen. Denn genau wie es die Konvention gebietet, steht für meine Fraktion das Wohl des Kindes an
erster Stelle; es ist die Messlatte, an der wir unsere
Entscheidungen und Handlungen zu orientieren haben.
Daher können wir auch keinen Argumentationen
folgen, die gelegentlich aus den Reihen der CDU/
CSU-Fraktion zu hören sind, wonach darauf verwiesen wird, dass allein die Tatsache, minderjährig zu
sein, kein Recht auf Einwanderung liefern dürfe und
man einem offensichtlichen Missbrauch des Asylrechts
gerade hier deutlich entgegentreten müsse.
Wir wollen eine durchweg am Kindeswohl orientierte Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrationspolitik, die mit Taten zeigt, dass wir es ernst meinen
und es nicht bei bloßer Symbolpolitik belassen. Aus
diesem Grund schlagen wir mit dem vorliegenden Gesetz die Anhebung der Verfahrensfähigkeit im Asylverfahren auf 18 Jahre vor. Unbegleitete Minderjährige
sollen grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des
Flughafenverfahrens herausgenommen werden.
Entsprechend der Kinderrechtskonvention müssen
Jugendliche und Kinder kindgerecht untergebracht
werden. Zwar ist die Inobhutnahme schon jetzt die eigentlich notwendige Unterbringung von Jugendlichen.
In der Praxis wird dies allerdings immer wieder unterlaufen, und minderjährige Flüchtlinge werden in asylrechtlichen Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Zum Wohle der
Zu Protokoll gegebene Reden
Jugendlichen wollen wir hier eine gesetzliche Klarstellung. Ebenso wollen wir die Klarstellung, dass jedem minderjährigen Jugendlichen im Asylverfahren
ein Vormund zur Seite zu stellen ist.
Deutschland soll ein Land werden, in dem alle Kinder gut leben können. Auch Flüchtlingskinder. Für
diese Kinder bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetz.
Grundsätzlich ist es ein ehrenwertes Anliegen, die
Situation von minderjährigen Flüchtlingen in den
Blick zu nehmen. Auch einzelne Vorschläge des SPDGesetzentwurfs sind aus unserer Sicht durchaus diskutabel. Aber warum macht die SPD den Gesetzentwurf
ausgerechnet jetzt? Die SPD hat elf Jahre im Bund
mitregiert und nichts in diesem Bereich geschafft. Aber
in der Opposition will sie allen zeigen, wo es langgeht.
Zudem ist zu sagen, dass vieles bereits von den Ländern gemacht werden könnte. Da könnte die SPD selber viel von dem gestalten, was sie hier im Bundestag
vorträgt - wenn sie es denn ernsthaft wollte. Ob etwa
eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften abträglich sein kann, können die Länder sich überlegen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich hier offenbar
nicht mit ihren Landesregierungen abgestimmt. Von
dort würden wohl eher kritische Töne kommen. Insofern ist der Gesetzentwurf eher ein billiger, aber wenig
überzeugender Anbiederungsversuch an die entsprechenden Interessengruppen.
Die Autoren des Gesetzentwurfes geben vor, die Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Ausländerrecht verbessern zu wollen. Die Anhörung dazu am
15. April im Innenausschuss hat gezeigt, dass dieses
Ziel verfehlt wird. Der Gesetzentwurf versucht durch
den konkreten Bezug auf das Kindeswohl in bestimmten Regelungen diesem mehr Gewicht zu verleihen.
Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Denn das Kindeswohl ist aufgrund der Kinderrechtskonvention immer und in allen Rechtsbereichen vorrangig zu berücksichtigen. Die explizite Nennung an bestimmten Stellen
würde nur dazu führen, dass man sich an anderen Stellen, wo das Kindeswohl nicht explizit genannt würde,
fragen müsste, ob es dort nicht geschützt werden muss.
Das wollen wir nicht.
Die SPD behauptet, dass die Änderungen wegen der
Rücknahme des Vorbehalts zur Kinderrechtskonvention durch die Bundesregierung erforderlich seien. Allerdings lässt die Konvention, wie bei internationalen
Vereinbarungen üblich, einen großen Umsetzungsspielraum; davon konkrete Änderungen im deutschen
Ausländerrecht abzuleiten, ist nicht möglich. Insbesondere wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die
Verfahrensfähigkeit von 16 auf 18 Jahre anzuheben.
Politisch mag das ja wünschenswert sein, aber die
Konvention gebietet es nicht. Stehen Sie doch einfach
dazu, dass Sie bestimmte Dinge für politisch richtig
halten; dafür müssen Sie nicht auf internationale
Übereinkommen verweisen, die das nicht hergeben.
Die Sachverständigen haben überdies darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf zur Unzeit kommt. Gegenwärtig wird das europäische Asylpaket endabgestimmt. Dort finden sich viele Regelungen, die gerade
auf diesen Bereich Einfluss haben werden. Der absehbare Abschluss der Verhandlungen sollte abgewartet
werden, um dann alle Änderungen in einem Änderungsverfahren abzuhandeln.
Im Unterschied zu elf Jahren SPD haben die bald
vier Jahre Regierungsbeteiligung der FDP sehr viel
mehr bewirkt - gerade auch im Bereich des humanitären Ausländerrechts. Gerade im Bereich der Ausländer- und Integrationspolitik können wir selbstbewusst
feststellen: Es waren vier gute Jahre für Deutschland.
Wir haben in diesen Jahren geschafft, wo die SPD in
ihrer Regierungszeit versagt hat. Wir haben dafür gesorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen
Platz im Ausländerrecht erhält.
Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir nutzen die
Chancen der Zuwanderung für unser Land besser und
stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer
bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern gehören zusammen. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu
erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen
und sich in unserer Gesellschaft weiter zu entwickeln.
Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen
sind. Multikultiromantik oder Desintegration durch
Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus
FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen
bestehende Defizite der Integrationspolitik an.
Es gilt, die Möglichkeiten der Zuwanderung für unser Land besser zu nutzen. Mit unseren bisherigen Gesetzesintiativen wurden in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur
humanitären Besserstellung von Ausländern, die in
Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir
haben erstmals für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht
der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hatte das
nicht zustande gebracht.
Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungssteuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als
die SPD in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbeteiligung. Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat
wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch
den Opfern von Zwangsverheiratungen eine Perspektive mit einem eigenständiges Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich
zu befreien. Dem dient auch die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe.
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({0})
Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen,
ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können
die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Integrationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chancen für Menschen, die nach Deutschland kommen,
auch in Deutschland wirklich anzukommen und sich
eine Existenz aufzubauen.
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert
tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in
Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven. Wir fördern und fordern. So kommt Deutschland - und alle,
die hier leben wollen - voran. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Wir stellen die Weichen dafür.
Wünsche der SPD, etwa Zurückweisungen an der
Grenze oder das Flughafenverfahren generell auszuschließen, sind von solcher Art, wie sie die SPD selbst
in ihrer Regierungszeit nie auch nur versucht hat. Sicherlich ist die SPD einverstanden, dass wir deshalb
solche Vorschläge, denen näherzutreten sie selbst in
Regierungszeiten nicht geneigt war, jedenfalls nicht
wegen ihrer jetzigen Anträge, nicht zu unseren Hauptprioritäten bei der Diskussion um besseren Flüchtlingsschutz machen.
Die FDP bleibt dabei: Unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge müssen ihren Bedürfnissen entsprechend
behandelt werden. Ihre Schutzbedürfnisse sind unbedingt zu beachten. Für uns gehört dazu auch das Recht
auf Bildung. Das Kindeswohl muss im Zentrum stehen.
Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD fordert im
Kern, den Vorrang des Kindeswohls in allem behördlichen Handeln gesetzlich zu verankern. Dies ist eine
der zentralen Forderungen aus der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat. Der Vorrang des Kindeswohls soll nach dem Willen der SPD
nun auch ausdrücklich im Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz verankert werden. Die „Verfahrensmündigkeit“ im Asyl- und Aufenthaltsrecht bereits ab
16 Jahren soll zurückgenommen werden.
Die Verfahrensmündigkeit ab 16 Jahren führt heute
dazu, dass selbst unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt
werden. Zurückweisungen an den Grenzen sollen bei
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ebenso
verboten sein wie die Durchführung eines Asyl-Flughafenverfahrens oder die Unterbringung in Asyl-Erstaufnahmeeinrichtungen. Um die Jugendlichen optimal
zu begleiten, sollen in jedem Fall sofort die Jugendämter eingeschaltet werden, um sich um Fragen der Unterbringung und Betreuung zu kümmern. Das betrifft
auch die Bestellung eines Vormundes, der die Jugendlichen dann auch in allen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Fragen vertreten kann.
Diese Forderungen entsprechen im Wesentlichen
dem, was auch die Linke in zwei Anträgen in dieser
Wahlperiode bereits gefordert hat. Auch die Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen
kritisieren regelmäßig den Umgang mit unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland und fordern deutliche Verbesserungen. Der Vorbehalt gegen
die UN-Kinderrechtskonvention, mit dem die Bundesrepublik über Jahre hinweg verhindert hat, dass diese
wichtige Konvention auch für ausländische Kinder in
Deutschland gilt, wurde zwar zurückgenommen. Geändert hat sich an der prekären Lage der unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren aber nichts.
In einer Anhörung des Innenausschusses zu diesem
Gesetzentwurf wurde von den Sachverständigen der
Regierungskoalition die Ansicht vertreten, eine eigene
Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland sei überflüssig. Sie erfolge bereits auf dem Umweg über die EU, die in der Neufassung der Aufnahme- und der Asylverfahrensrichtlinie auch die
UN-Kinderrechtskonvention beachte. Deshalb sei die
Konvention in Deutschland gar nicht mehr eigenständig umzusetzen, dies geschehe automatisch durch die
EU-Asyl-Richtlinien und die Rechtsprechung des
EuGH.
Diese Argumentation ist dürftig. Nichts hindert ja
den deutschen Gesetzgeber daran, im Vergleich zu den
EU-Asyl-Richtlinien günstigere Regelungen zu beschließen. Im Gegenteil: Wenn die Asyl-Richtlinien
nach Ansicht des Bundestages kein ausreichendes
Schutzniveau für minderjährige Flüchtlinge vorsehen,
dann besteht geradezu die Pflicht, günstigere Regelungen zu beschließen. Da nach unseren Kenntnissen kein
anderer EU-Staat solch eine absurde Regelung zur
Asylverfahrensmündigkeit kennt, enthält die Neufassung der EU-Asylverfahrensrichtlinie dazu nach dem
derzeitigen Verhandlungsstand auch nichts. Außerdem
erfolgt die Umsetzung der Richtlinien erst in ein bis
zwei Jahren; die unbegleiteten Minderjährigen sind
aber jetzt in der Bundesrepublik und brauchen Schutz
und Unterstützung.
Wir werden dem Antrag der SPD deshalb zustimmen.
Bündnis 90/Die Grünen haben sich stets für eine
vorbehaltslose Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention eingesetzt und dies auch in mehreren parlamentarischen Initiativen zum Ausdruck gebracht.
Nach der Rücknahme des deutschen Vorbehalts
müssen nun auch die bundesrechtlichen Konsequenzen
durch Gesetzesanpassungen insbesondere im Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz gezogen werden.
Die Rechtsauffassung des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, aus der
Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung ergäbe
Zu Protokoll gegebene Reden
sich ({0}) kein legislativer Handlungsbedarf, ist insofern nicht nachzuvollziehen, als dann völlig unverständlich ist, warum die Bundesregierung seit
18 Jahren mit allen Mitteln versucht hat, die Rücknahme einer angeblich völlig folgenlosen Vorbehaltserklärung zu verhindern.
Denn es trifft nicht zu, dass ausländischen Kindern
schon heute alle sich aus der UN-Kinderrechtskonvention tatsächlich ergebenden Rechte gewährt werden.
Auch wenn einzelne Regelungen der Verwaltungspraxis Spielräume bieten, ist der Gesetzgeber trotzdem
selbst gefordert. Andernfalls besteht die Gefahr uneinheitlicher Standards innerhalb Deutschlands.
Dies gilt insbesondere für die zentrale Frage der
Handlungsfähigkeit von Minderjährigen. Obwohl nach
der UN-Kinderrechtskonvention ({1}) die Kindheit
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres andauert,
werden ausländische Kinder bereits ab dem 16. Lebensjahr in allen ausländerrechtlichen Verfahren, einschließlich des Asylverfahrens, wie Erwachsene behandelt.
Der SPD-Gesetzentwurf greift diese zentrale Forderung auf, und verankert erfreulicherweise im vorliegenden Gesetzentwurf das Prinzip des Kindeswohls als
vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt.
Allerdings gibt es auch Unstimmigkeiten im Gesetzentwurf der SPD, die in der Sachverständigenanhörung des Innenausschuss auch deutlich zur Sprache
kamen:
Insbesondere das Kompetenzverhältnis der Ausländerbehörden und der Jugendämter sind im Gesetzentwurf der SPD in Richtung Ausländerbehörden bzw.
Ordnungspolitik geregelt. Dies spielt zum Beispiel eine
bedeutende Rolle beim Thema „Altersfeststellung“.
Da soll laut SPD das Jugendamt hinzugezogen werden, wenn es „strittige Fälle“ gibt. Im Sinne des Kindeswohles wäre aber die umgekehrte Vorgehensweise
sinnvoller, nämlich dass immer das Jugendamt in diesen Verfahren der Altersfeststellung die Federführung
hat.
Beim Thema „Flughafenasylverfahren“ schlägt die
SPD vor, unbegleitete Minderjährige von diesem
Schnellverfahren auszunehmen, dass im Flughafentransit unter Bedingungen der Kasernierung durchgeführt wird. Dies begrüßen wir, wenngleich die Forderung hinter der grünen Initiative zurückbleibt, die
eine vollständige Abschaffung des Flughafenverfahrens vorsieht.
Eine Klarstellung sieht der SPD-Gesetzentwurf im
Bereich der Inobhutnahme von minderjährigen Flüchtlingen vor. So müsste schon heute eine Inobhutnahme
flächendeckend erfolgen - also eine jugendgerechte
Unterbringung statt einer in Gemeinschaftsunterkünften mit Erwachsenen - ebenso wie die Bestellung eines
Vormundes. Da diese Vorgaben in der Praxis immer
wieder unterlaufen werden, ist eine solche Klarstellung hilfreich.
Andere dringend notwendige Verbesserungen für
Flüchtlingskinder werden allerdings durch den Gesetzentwurf der SPD nicht erreicht: Minderjährige
Asylsuchende sollten nicht länger aufgrund der EUZuständigkeitsverordnung Dublin II in Abschiebungshaft genommen und in andere EU-Länder zurückgeschoben werden. Die Rückschiebung von Minderjährigen widerspricht dem Kindeswohl.
Der Gesetzentwurf sieht ebenfalls keine Verbesserung hinsichtlich der strukturellen Benachteiligung
von jungen Flüchtlingen durch das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Die durch das benannte Gesetz vollzogene Schlechter-Behandlung steht im Widerspruch zu
Art. 2 der Kinderrechtskonvention, dem Verbot der
Diskriminierung.
Aus den genannten Gründen werden wir uns bei der
Abstimmung enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13315, den Gesetzentwurf der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/9187 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind Sozialdemokraten und
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Bundesförderung der Investitionen in
den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen
nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz
- Drucksache 17/13021 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 17/13494 Berichterstattung:
Abgeordneter Stephan Kühn
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13495 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Sven-Christian Kindler
Vizepräsident Eduard Oswald
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs zur Investitionsförderung in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen ließ sich
die Bundesregierung von der Erkenntnis leiten, auf
den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach
Güterfernverkehrsleistungen in Deutschland und Europa umweltgerecht zu reagieren, die öffentlichen
nicht bundeseigenen Schienenwege zu stärken und sie
langfristig für den Schienengüterfernverkehr zu ertüchtigen und zu sichern. Damit wird ein weiteres
wichtiges verkehrspolitisches Projekt dieser Koalition
auf den Weg gebracht.
Wir haben das Gesetz so einfach wie möglich gestaltet. Auf diese Weise sind eine Förderrichtlinie oder
eine Verordnung entbehrlich. Das macht die Umsetzung wesentlich einfacher. Die Vorschläge der Länder
wurden weitestgehend übernommen.
Ziel des Gesetzes ist die Einbindung einer sicheren
und nutzungsfähigen Schieneninfrastruktur der nicht
bundeseigenen Güterbahnen - mit 4 300 Kilometer beträgt der Anteil der NE-Bahnen immerhin circa
11 Prozent des Schienennetzes - in das gesamte Schienengüterverkehrsnetz. Wir schaffen damit einen zusätzlichen infrastrukturellen Baustein, um den bedeutsamen volkswirtschaftlichen und ökologischen
Schienengüterverkehr zu stärken. Damit werden wir
nicht nur die Leistungsfähigkeit der NE-Bahnen erhöhen, sondern einen positiven Effekt im Gesamtschienennetz erreichen.
Das Gesetz regelt, dass die zur Verfügung gestellten
Mittel für das Streckennetz der nicht bundeseigenen
Güterbahnen zweckgebunden verwendet werden sollen. Außerdem wird festgelegt, dass die geförderten
Bahnstrecken auch von anderen Schienenverkehren
genutzt werden können. Auch damit stärken wir den
Wettbewerb auf der Schiene.
Zu berücksichtigen ist der Netzgedanke, welcher
voraussetzt, dass die zur Förderung vorgesehenen
Schienenwege der nicht bundeseigenen Eisenbahnen
bestimmte Leistungsparameter aufweisen müssen.
Orientiert hat sich die Bundesregierung dabei sowohl
an den Leistungsparametern, die die Schienenwege
der bundeseigenen Eisenbahnen im Kernschienenwegenetz erfüllen, als auch an den Leistungsparametern
der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für den Schienengüterfernverkehr genutzten Schienenwege.
Positiv hervorheben möchte ich an dieser Stelle,
dass im Zuge der parlamentarischen Beratung einige
dieser Leistungsparameter verändert und praxistauglicher gestaltet wurden. Es wurde dabei berücksichtigt,
dass es sich bei den NE-Infrastrukturen mehrheitlich
um Nebenstrecken mit niedrigen Belastungskennwerten handelt. Deshalb wurde die Regelgeschwindigkeit
auf 30 Stundenkilometer gesenkt, um zu vermeiden,
dass von vornherein zu viele NE-Infrastrukturbetreiber ausgeschlossen werden. Ebenso ging es mit der
durchgängig zulässigen Radsatzlast, die von 22,5 Tonnen auf 20 Tonnen gesenkt wurde. Auch das Fahrzeuggewicht wurde je Längeneinheit von 8 Tonnen auf
6,4 Tonnen pro Meter herabgesetzt.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir mit diesem Gesetzentwurf ein neues Fördergebiet beschreiten, das bislang in erster Linie den Ländern und den
Kommunen vorbehalten ist. Deshalb ist es sinnvoll und
richtig, dass das Eisenbahn-Bundesamt als ausgewiesene Fachbehörde für die Bewilligung der Anträge zuständig ist und die Zuwendungsbescheide erstellt.
Mit diesem Gesetz wird der Verkehrsträger Schiene
wesentlich gestärkt. Es wird dazu führen, dass die vorhandenen Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen sinnvoll und dauerhaft das
bestehende Netz der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes durch die Sicherstellung von Redundanzen ergänzen, die Beförderung über den gesamten
Transportweg sicherstellen und dabei helfen, den Standardschienengüterfernverkehr in Deutschland zu verbessern.
Die NE-Bahnen werden in ein schlüssiges Gesamtkonzept unseres Schienennetzes eingebunden. Profiteure sind nicht nur die Umwelt aufgrund des vermehrten umweltfreundlichen Einsatzes der Bahn, sondern
auch unsere Wirtschaft, die in Zukunft auf ein verbessertes und vergrößertes Schienennetz zurückgreifen
kann.
Am Ende der Legislatur beginnt die Regierungskoalition ihre selbstgesteckten Ziele im Koalitionsvertrag
umzusetzen, und damit meine ich nicht Geschenke an
Hoteliers oder Ähnliches. Das soll heute aber nicht
das Thema sein, sondern es geht um grundsätzliche
Bestandteile unserer Volkswirtschaft, nämlich die Infrastruktur. Der Ausbau und Erhalt des Schienennetzes
ist dabei wesentlicher Bestandteil. Nur so können die
einzelnen Verkehrsträger ideal miteinander verknüpft,
ein nachhaltiges Angebot im Personen-und Güterverkehr geschaffen und die Umwelt geschont werden.
Denn eines müssen wir uns deutlich vor Augen führen:
Nur wenn der Verkehrsträger Schiene gestärkt wird,
kann der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich reduziert
und ein umweltfreundlicher Personen- und Güterverkehr realisiert werden. Schienenpolitik in Deutschland
hat einen volkswirtschaftlichen Auftrag und muss nach
betriebswirtschaftlichen Kriterien bemessen werden.
Aus diesem Grund muss auch die Förderung von nichtbundeseigener Infrastruktur in das Gesamtkonzept des
Schienennetzes mit eingebunden werden. Der Grundstein ist nun mit der 2. und 3. Lesung zum „Gesetz über
die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz
der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“
gelegt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wie bereits bei der 1. Lesung bin ich nahezu versucht, die Bundesregierung für den Gesetzentwurf zu
loben. Jedoch kann ich es nicht nachvollziehen, warum
die durch das Gesetz bereitgestellten 25 Millionen
Euro an anderer Stelle der Schiene wieder entzogen
werden. Es müssen vielmehr nicht bundeseigene Strecken als Teil einer Netzstrategie mit eingebunden werden. Als SPD-Bundestagsfraktion ist für uns daher der
Erhalt und Ausbau nicht bundeseigener Bahnstrecken,
die in einer Gesamtnetzplanung eine relevante Rolle
spielen werden, wesentlich. Wir sehen hier den Bund in
einer Finanzierungspflicht. Das heißt konkret: Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln statt Umschichtung.
Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Nicht bundeseigene Infrastrukturunternehmen bewirtschaften
heute nach Aussagen des VDV mehr als 10 Prozent der
deutschen Schienenwege. Allein im Freistaat Bayern
werden sieben Strecken für den Schienengüterverkehr
von nicht bundeseigenen Eisenbahnen betrieben, zwei
weitere sind in Planung.
Neben der Kritik, die an der Bahn- und Schieneninfrastrukturpolitik der Bundesregierung anzubringen
ist, will ich den parlamentarischen Diskussionsprozess
im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beim „Gesetz
über die Bundesförderung der Investitionen in den
Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“ ausdrücklich lobend erwähnen. Die Regierungskoalition und die Bundesregierung haben sich
sehr offen für Anregungen und Kritikpunkte gezeigt.
So konnte der Begriff des Schienengüterfernverkehrs im § 1 Abs. 3 durch eine Stellungnahme der Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess klar definiert
werden. Abgeleitet ist der Begriff nach der Definition
vom Schienenpersonennahverkehr gemäß § 2 Abs. 5
Satz 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Konkretisiert wurde nun, dass damit nicht die Schienenwegeinfrastruktur gemeint ist, sondern die Distanz, die durch
die Eisenbahn zurückgelegt wird. Das heißt es wird die
Gesamtbeförderungsweite zugrunde gelegt.
Auch konnte in § 1 Abs. 4 Nr. 1 die Angabe von
„40 Kilometern pro Stunde“ auf „30 Kilometer pro
Stunde“ abgesenkt werden. Antragsteller für eine Förderung von Schienenwegen im Bereich der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schienengüterfernverkehr, bei denen aufgrund von
notwendigen Investitionen in die Schieneninstandhaltung Langsamfahrabschnitte bestehen und daher nur
eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde erreicht werden kann, werden nun
nicht ausgeschlossen.
Ebenfalls positiv anzuführen ist, dass durch die Formulierung in § 1 Abs. 4 Nr. 4 „in dem letzten Jahr von
Antragsstellung“ die Möglichkeiten für eine Förderung für die Infrastrukturbetreiber weiter geöffnet
worden sind.
Die Abfassung des § 1 Satz 3 umfasst nun Serviceeinrichtungen nach § 2 Abs. 3 c Nr. 4 bis 6 und 8 des
Allgemeinen Eisenbahngesetzes, womit Rangierbahnhöfe, Zugbildungseinrichtungen, Abstellgleise und Häfen mit von der Förderfähigkeit eingeschlossen sind.
Gleisanlagen der See- und Binnenhäfen sowie der
Großteil der übrigen Serviceeinrichtungen machen
rund 1 800 Kilometer Gleiskilometer aus. Hinzu kommen noch die rund 4 000 Kilometer für weitere nicht
bundeseigene Schieneninfrastruktur. Somit sprechen
wir von rund 5 800 Kilometern Schienenkilometern,
die unter bestimmten Voraussetzungen förderfähig
sind.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, muss die nicht bundeseigene Infrastruktur in das gesamte Schienennetz
mit eingebunden werden. Die SPD-Bundestagsfraktion
stimmt dem Gesetzentwurf und dem vorliegenden Änderungsantrag zu, verweist aber deutlich auf den nötigen Bedarf einer Fortschreibung und Anstieg der Mittel für den Bereich der nicht bundeseigenen
öffentlichen Eisenbahnen. Gemeinsam wollen wir eine
starke, international konkurrenzfähige und vor allem
für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie unsere
Volkswirtschaft erstklassige Schieneninfrastruktur.
Denn eines darf in dieser Debatte auch nie vergessen
werden: Eine gut funktionierende und flächendeckende
Schieneninfrastruktur generiert Arbeitsplätze - sei es
durch Angebote im Personen- und Schienengüterverkehr oder sei es bei den Infrastrukturunternehmen
selbst.
Mittels dieses Gesetzes wird ein weiterer Beitrag realisiert, der die Verlagerung von Güterfernverkehrsleistungen von der Straße auf die Schiene ermöglicht.
Die finanzielle Förderung der Schienenwege öffentlicher nicht bundeseigener Eisenbahnen durch Bundesmittel wird mit dem Gesetz über die Bundesförderung
der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der
öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im
Schienengüterfernverkehr auf rechtlich solide Beine
gestellt.
Durch die Umsetzung dieses Vorhabens aus dem
Koalitionsvertrag gelingt es, Redundanzen und zusätzliche Kapazitäten für den anwachsenden Schienengüterfernverkehr zu schaffen und dabei den Güterverkehr
gleichzeitig umweltschonend auf der Schiene zu gestalten.
Der Verkehrsträger Schiene wird in seiner Bedeutung weiter gestärkt. Die öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen können jetzt in das Schienengüterverkehrsnetz eingebunden werden.
Hierbei haben wir die Besonderheiten dieser Eisenbahnen im Laufe der parlamentarischen Beratungen
bei der Definition der Voraussetzungen für die finanzielle Förderung ihres Schienennetzes berücksichtigt.
Das gilt beispielsweise im technischen Bereich in Bezug auf Radsatzlast und Schienengeschwindigkeit der
Güterzüge ebenso wie für die Tatsache, dass die SchieZu Protokoll gegebene Reden
nennetze dieser Bahnen nicht nur vom Güterverkehr
genutzt werden.
Dieses Gesetz trägt damit dazu bei, dass das Schienennetz der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen das gesamte Schienennetz mittels Lückenschlüssen und zusätzlichen Erweiterungen sinnvoll
ergänzt.
Mit diesem Gesetz werden die Grundlagen für ein
sicheres und modernes Schienennetz für den Güterfernverkehr verbessert. Da damit insgesamt die infrastrukturellen Voraussetzungen für den Wettbewerb im
europäischen Schienenfernverkehr optimiert werden
und ein weiterer Beitrag zur Ertüchtigung des deutschlandweiten Schienennetzes geleistet wird, stimmt die
FDP-Fraktion diesem Gesetzentwurf zu.
Im Bundeshaushalt 2013 wurden Mittel in Höhe von
25 Millionen Euro eingestellt, um Investitionen in die
öffentlichen, nicht in Bundeseigentum befindlichen
Schienenwege zu ermöglichen. Für solche Investitionen, die bisher nicht möglich waren - der Bund konnte
nur in bundeseigene Schienenwege investieren -, werden jetzt die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Die
Fraktion die Linke begrüßt dies; ich habe das bereits
in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung dieses
Gesetzentwurfs deutlich gemacht. Vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Bundesrates vom
22. März 2013 und der Gegenäußerung der Bundesregierung und der bisher erkennbaren Positionierungen
der anderen Parteien scheint dieses Gesetz damit beschlossen zu werden. Das ist zunächst auch gut so. Tatsächlich gibt es in Deutschland nicht nur 33 505 Kilometer Bahnnetz der DB AG bzw. von DB Netz - und
damit in Bundeseigentum befindlich -, sondern auch
viele kleinere, überwiegend öffentliche Bahnen mit eigenen Netzen, die zusammengenommen so klein nicht
sind: Mit immerhin 4 300 Kilometern machen sie gut
11 Prozent des gesamten Schienennetzes aus. Die Verkehrsleistung, die diese Bahnen erbringen, hat in den
letzten Jahren erfreulicherweise stark zugenommen.
Wir alle wissen: Es muss mehr Verkehr von der
Straße und aus der Luft auf die Schiene verlagert werden, und dafür muss unser Bahnnetz an vielen Stellen
ausgebaut werden. Gerade die nicht bundeseigenen
Bahnen könnten wichtige zusätzliche Trassen bieten.
Daher ist es aus Sicht der Bundestagsfraktion Die
Linke überfällig, diesen Bahnen ebenfalls Mittel für
Ersatzinvestitionen in ihre Infrastruktur zur Verfügung
zu stellen. Diese Gelder können dabei helfen, Bahnkapazität auszubauen und damit mehr Güter- und teilweise auch mehr Personenverkehr abzuwickeln.
Dies kann aus unserer Sicht aber nur ein kleiner
Schritt beim Ausbau der Bahn für einen zukünftig
wachsenden Bahnverkehr sein: An vielen Stellen im
deutschen Bahnnetz gibt es schon jetzt erhebliche Engpässe. Diese führen dazu, dass die Verlagerung von
Verkehr auf die Schiene überhaupt nicht in dem Maße
möglich ist, wie wir uns dies wünschen würden. Zu diesen Kapazitätsengpässen haben beispielsweise Streckenstilllegungen und der Abbau von Überholgleisen
beigetragen, die ganz besonders im Hinblick auf den
geplanten Bahnbörsengang vorangetrieben worden
sind. Hier müssen also viele Fehler aus der Vergangenheit wiedergutgemacht werden.
Der hier zu beschließende Gesetzentwurf ist nur ein
Schritt in die richtige Richtung. Die Länge des Schienennetzes reduziert sich weiter von Jahr zu Jahr. Konkret in Zahlen: Die Betriebslänge des bundeseigenen
Schienennetzes lag 1994 bei 40 385 Kilometern; 2010
waren es noch 33 723 Kilometer. Selbst 2011 waren es
rund 340 Kilometer weniger als im Vorjahr, nämlich
33 378 Kilometer. Auch wird die bundeseigene Schieneninfrastruktur von Jahr zu Jahr älter - und damit
anfälliger. Vor diesem Hintergrund erscheint der Gesetzentwurf hinsichtlich Investitionen im NE-Schienennetz einigermaßen unzureichend und die Begründung,
man wolle das Schienennetz ausbauen, wie pure Augenwischerei.
Auch bitte ich, das Augenmerk auf das Folgende zu
richten: Oft sind es eher kleine Maßnahmen wie ein zusätzliches Überholgleis oder ein neues Stellwerk, die
im Bahnbetrieb tatsächlich einen großen Nutzen entfalten könnten, die aber nur schleppend umgesetzt
werden. Oder es könnten stillgelegte Strecken mit einem vertretbaren Aufwand reaktiviert werden, und Unternehmen könnten ihre Gleisanschlüsse zurückerhalten, die die DB AG ihnen in den letzten Jahren radikal
gekappt hat. Auch hierfür konkrete Zahlen: Es gab
1994 noch 11 742 Privatgleisanschlüsse; 2010 waren
es nur noch 8 029. Das heißt: Es gab hier einen Abbau
von 31 Prozent.
Statt solche kleinen Investitionen zu tätigen und
große Sünden der Vergangenheit mit eher wenig Geld
wiedergutzumachen, werden immer wieder milliardenteure Neubaustrecken geplant und gebaut, die oft einen
sehr zweifelhaften Nutzen haben. Ich erinnere nur an
die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm oder die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald. Diese Schnellstrecken dienen nur einem kleinen Teil der Reisenden
und sind für den Güterverkehr meist sogar komplett
nutzlos, auch wenn in den Nutzen-Kosten-Berechnungen immer wieder angenommen wird, dass diese Strecken auch vom Güterverkehr genutzt würden, was
dann jedoch nicht geschieht. Andere, viel wichtigere
Ausbauprojekte wie die Rheinschiene kommen stattdessen nur langsam voran, obwohl sie tatsächlich die
Netzkapazitäten an entscheidenden Punkten erhöhen
und nicht zuletzt auch Entlastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner schaffen würden.
Außerdem muss auch der Rückzug der Bahn aus
dem Güterverkehr auf kurzen und mittleren Entfernungen - unter 300 Kilometer - und aus dem Einzelwagenverkehr rückgängig gemacht werden. Mit der Fokussierung der DB AG auf Ganzzüge über große
Entfernungen überlässt die Bahn ganze Transportsegmente dem Straßengüterverkehr. Stattdessen muss das
Gegenteil passieren: Die Bahn muss auch auf kurzen
Zu Protokoll gegebene Reden
Entfernungen und für kleinere Einheiten wieder ein attraktives Angebot bieten. Nur so kann deutlich mehr
Verkehr auf die Schiene kommen.
In diesem Sinne sollten wir durchaus mehr Geld in
die Schieneninfrastruktur investieren - sowohl in die
NE-Bahnen als auch in das bundeseigene Netz. Diese
Investitionen müssen aber sinnvoll sein und sich nicht
nur an der Maxime „schneller, höher, weiter“ orientieren. Außerdem muss der Lärmschutz für die Anwohnerinnen und Anwohner dabei eine zentrale Rolle
spielen. Wenn wir unseren Verkehr klima- und sozialverträglich umgestalten wollen, dann brauchen wir
mehr Bahn und weniger Straße und insbesondere weniger Flugverkehr. Dafür müssen wir jetzt die richtigen Investitionsentscheidungen treffen, und die stärkere Förderung der NE-Bahnen ist dazu immerhin ein
erster Schritt, dem weitere folgen sollten.
Was ich bei diesem Gesetz im Besonderen und bei
der Verkehrspolitik im Allgemeinen komplett vermisse:
Es gibt keinen Generalplan, keine weitsichtige Gesamtperspektive. Und wenn es eine solche gibt, dann
sieht die eher fatal und wie folgt aus: Man überlässt
die Verkehrsentwicklung dem globalisierten Markt und
man investiert hinterher: Man baut neue Straßen, neue
Häfen, neue Start- und Landepisten und dann vielleicht auch ein paar neue Schienenstrecken.
Bereits der erste Satz in der Gesetzvorlage findet
nicht meine Zustimmung. Dort heißt es:
„Die Schaffung eines europäischen Raums lässt die
Verkehrsleistungen in allen Teilen Deutschlands erheblich ansteigen.“
Das ist erstens nicht in vollem Umfang richtig. Immerhin sanken die Verkehrsleistungen im gesamten
Güterverkehr im vergangenen Jahr 2012, obgleich es
Wirtschaftswachstum gab. Vor allem aber handelt es
sich dann, wenn es ein solches allgemeines Wachstum
gab, nicht um einen positiv zu wertenden Prozess. So
hat sich ja der Straßenverkehr per Lkw in den letzten
15 Jahren fast verdoppelt, und auch der Schienengüterverkehr ist deutlich gestiegen, obgleich der Lebensstandard nicht mehr stieg und vielfach sogar fiel.
Diese Art Wachstum sehe ich ausgesprochen kritisch.
Hier gibt es eine ständig steigende Transportintensität.
In einer Ware von ein und derselben Qualität stecken
immer mehr Transportkilometer, und zwar solche, die
per Lkw, auf der Schiene und per Luftfracht erbracht
werden. Das Binnenschiff klammere ich mal aus; leider geht hier seit geraumer Zeit sogar die absolute
Verkehrsleistung zurück. Diese Art Wachstum, das vor
allem mit einer aus dem Ruder laufenden Globalisierung zu tun hat, ist abzulehnen. Es basiert auf absurd
gesteigerter internationaler Arbeitsteilung, und es ist
gepaart mit der Zerstörung regionaler Wirtschaftsstrukturen.
Insofern fordert die Fraktion Die Linke: Investitionen in die Schiene - ja. Verlagerung auf die Schiene ja. Aber nicht die Verlagerung eines Teils des Wachstums. Sondern die reale Verlagerung eines höchstens
gleichbleibenden Güterverkehrs und perspektivisch eines wieder reduzierten Güterverkehrs auf Schiene und
Binnenschiffe.
Ich hatte bereits in meiner ersten Rede gesagt, dass
wir Grünen das Gesetz grundsätzlich begrüßen. An
meiner Einschätzung hat sich im Laufe der Beratung
nichts geändert, aber ich möchte gern die mir wichtigen Punkte noch einmal nennen.
Mit dem Gesetz erkennt die Bundesregierung die
sich wandelnden Verhältnisse im Schienengüterverkehr endlich an: In den letzten 15 Jahren haben sich
Wettbewerber der Deutschen Bahn ein Viertel des
Marktes erobert und tragen wesentlich zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene
bei. Deswegen ist es konsequent, diese wichtigen
Akteure des Gütertransports beim Bau und Erhalt ihrer Infrastruktur zu unterstützen. Die vorgesehenen
25 Millionen Euro müssten aber nach unserer Auffassung - daran hat sich nichts geändert - verdoppelt
werden.
Das Gesetz wurde im Laufe der Beratung verbessert. Hatte es zu Beginn im November 2012 noch einige Ungenauigkeiten gegeben, konnten diese nach
Stellungnahmen der Verbände und nach der Beratung
im Bundesrat verbessert werden. Damit wurde der
Kreis der nutznießenden Unternehmen ausgeweitet.
Wir müssen jetzt sehen, wie die Mittel von den nicht
bundeseigenen Bahnen genutzt werden. Wichtig bleibt
dabei, dass sich die Nutzung der Gleise und Anlagen in
ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügt. Bei der Mittelvergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht einfach nur der Erste das Geld bekommt und losbauen
darf. Wir brauchen sinnvolle Kriterien, nach denen die
Mittel vergeben werden. Es muss darauf ankommen,
wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzielen
kann.
Es ist weiterhin mehr als fraglich, ob das diese Bundesregierung leisten kann oder leisten will. Dazu wäre
ein Bundesmobilitätsplan notwendig, der Investitionen
in die Zukunft des Verkehrs zusammen betrachtet und
Wert darauf legt, wie sich unterschiedliche Verkehrsträger gegenseitig sinnvoll ergänzen. Dazu wäre es
zum Beispiel notwendig, alle Verkehrsinvestitionen
kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wir müssten einmal
neutral bewerten lassen, wie die unterschiedlichen
Förderungen und Investitionen im Verkehrshaushalt
aufeinander abgestimmt sind. Wir müssten prüfen, wie
sie sich ergänzen, überschneiden oder auch widersprechen. Ich vermute, dass das sehr aufschlussreich sein
könnte und wir mit klarerem Blick erkennen können,
wie wir unsere Mittel viel zielgenauer einsetzen könnten.
Im heutigen System werden zum Beispiel viele Straßen oder Schienenstrecken mit fragwürdigem Nutzen
nach wie vor bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel
zu oft dorthin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleveren Bürgermeistern, Landräten und BundestagsabgeZu Protokoll gegebene Reden
ordneten am stärksten ist. Die laufenden Meldungen
der Länder zum neuen Bundesverkehrswegeplan zeigen uns, dass wir gerade wieder in die völlig falsche
Richtung laufen. Bayern hat schon wieder eine
Wunschliste mit 398 Projekten vorgelegt. Der BUND
hat gerade ausgerechnet, dass die Umsetzung mit den
heutigen Mitteln rund 160 Jahre dauern würde. Auch
wenn die hier zu beschließenden Mittel für nicht bundeseigene Bahnen grundsätzlich gut sind, hat unser
Gesamtsystem noch immer zahlreiche Defizite. Wir
müssen uns deswegen unter anderem vornehmen, die
Wirkung dieses Gesetzes nach einer gewissen Laufzeit
zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der
Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen
Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz bringen wir ein weiteres verkehrspolitisches Projekt auf
den Weg. Die Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers
Schiene im Güterfernverkehr wird weiter gestärkt und
somit ein Beitrag für einen starken Wirtschaftsstandort
Deutschland geleistet. Mit dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung wird der rechtliche Rahmen geschaffen, um die Förderung von Investitionen in den Ersatz
der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen durch den Bund zu ermöglichen.
Bislang fördert der Bund die Schienenwege auf der
Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes,
welches 1993 in Kraft trat. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz wurde beschlossen, um im Rahmen
der Bahnreform die Grundlage für die Finanzierung
von Investitionen zum Ausbau des Schienennetzes zu
legen. Es galt damals, den Anforderungen des Verkehrswachstums infolge des Zusammenwachsens der
beiden Teile Deutschlands und der fortschreitenden Integration Europas im Westen durch die Vollendung des
Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaften und
der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa zu begegnen. Seitdem sind 20 Jahre vergangen, und die Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen steigt; und wir
wissen, eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist
eine wesentliche Voraussetzung für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland und zugleich auch für die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich. Das gilt ganz besonders auch für den
Verkehrsträger Schiene.
Wir brauchen in Deutschland und in Europa den
Verkehrsträger Schiene und ein Eisenbahnsystem, das
seine Leistungsfähigkeit weiter steigert. Denn wenn es
um die Bewältigung der stetig steigenden Nachfrage
nach Güterverkehrsleistungen und um unsere gesetzten Umweltziele geht, ist die Eisenbahn als besonders
umweltfreundliches Verkehrsmittel unverzichtbar. Sie
muss in die Lage versetzt werden, eine führende Rolle
bei der Bewältigung der ständig wachsenden Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen zu übernehmen.
Daher bedürfen die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und
Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene eines
besonderen Augenmerks. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz begrenzt die Förderung auf die Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen. Um die
Leistungsfähigkeit des Schienengüterfernverkehrs zu
steigern, müssen auch die öffentlichen nicht bundeseigenen Schienenwege gestärkt und in das Schienengüterfernverkehrsnetz eingebunden werden.
Dieses Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter
Lesung verabschieden, zählt sicherlich zu den wichtigen Gesetzgebungsvorhaben im Verkehrssektor in dieser Legislaturperiode. Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag um, die
rechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung
nicht bundeseigener Eisenbahninfrastruktur für die
Einbindung in das Schienengüterfernverkehrsnetz zu
schaffen. Damit beschreitet die Bundesregierung ein
neues Fördergebiet, das bislang in erster Linie den
Ländern und den Kommunen vorbehalten war.
Der Bund verschafft sich durch eine sinnvolle und
dauerhafte Ergänzung des bestehenden Netzes der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes mit
vorhandenen Schienenwegen der öffentlichen nicht
bundeseigenen Eisenbahnen die Möglichkeit, Redundanzen für den Schienengüterfernverkehr zu schaffen
und den Verkehrsnutzen der Schieneninfrastruktur der
Eisenbahnen des Bundes zu verstärken. Die Ergänzung und die Schließung von Infrastrukturlücken im
Schienennetz dient der Sicherstellung der Beförderung
über den gesamten Transportweg und der wesentlichen Steigerung der Gesamtkapazität für den Gütertransport auf dem Verkehrsträger Schiene.
Mit diesem Gesetz reagieren wir umweltgerecht auf
den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach
Güterfernverkehrsleistungen und ermöglichen die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die
Schiene. Wir wissen, dem Schienengüterfernverkehr ist
nur mit leistungsfähigen Schienenwegen gedient. Daher müssen die Schienenwege der nicht bundeseigenen
Eisenbahnen, die zur Förderung anstehen, bestimmte
Leistungsparameter aufweisen. Orientiert hat sich die
Bundesregierung bei der Bestimmung der Förderkriterien sowohl an den Leistungsparametern, die die
Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen im Kernschienenwegenetz erfüllen, als auch an den Leistungsparametern der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für
den Schienengüterfernverkehr genutzten Schienenwege.
Der Gesetzentwurf greift bei der Förderung auf das
bewährte Zuwendungsrecht des Bundes zurück. Das
heißt, die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind gehalten, Anträge zu stellen, um Zuwendungen des Bundes zu erlangen. Bewilligungsbehörde ist das Eisenbahn-Bundesamt, das die Anträge prüft und die
Zuwendungsbescheide erstellt. Das Gesetz ist die Fördergrundlage; es wird weder eine Förderrichtlinie noch
eine Verordnung unterlegt. Dem ZuwendungsempfänZu Protokoll gegebene Reden
ger werden nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse gewährt. Um das Eigeninteresse der Zuwendungsempfänger zu stärken, finanziert der Bund anteilig 50 Prozent
der jeweiligen per Zuwendungsbescheid genehmigten
Investitionssumme. Auch für die zuwendungsfähigen
Planungskosten ist die Anteilsförderung in Höhe von
50 Prozent vorgesehen; soweit die gesamten Planungskosten 13 Prozent der Gesamtinvestitionssumme nicht
übersteigen.
Mit diesem Gesetz entsteht für den Bund eine neue
Aufgabe, die er mit zusätzlichem Personal bewältigen
muss. Die angestrebte Förderung der Investitionen
kann nur erreicht werden, wenn das für die Durchführung benötigte Personal in ausreichender Zahl bereitgestellt wird. Vorgesehen ist daher, das notwendige
zusätzliche Personal über Gebührenerhebung zu finanzieren. Auch hier lässt sich die Bundesregierung
von dem Ziel leiten, effiziente Strukturen zu schaffen
und nur dort die freiwillige Förderung des Bundes einzusetzen, wo Eigeninitiative und der Wille zum eigenen
Mitteleinsatz vorhanden sind.
Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser weitreichende Gesetzentwurf eine breite Mehrheit des Hauses
bekommen würde, und danke allen, die zum Gelingen
beigetragen haben.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13494, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13021 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren
- Drucksachen 17/11897, 17/12873 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Waltraud Wolff ({1})
Dorothea Steiner
In der Tagesordnung war ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden.
Die Wasserqualität in Deutschland erfüllt den
höchsten Standard, sowohl beim Trinkwasser als auch
beim Abwasser. Hier gibt es also keinen Grund zur
Dramatisierung wie im vorliegenden Antrag der Linken. Hinzu kommt, dass wir noch zu wenig darüber
wissen, wie sich Arzneimittel auf die Umwelt auswirken. Wir brauchen mehr Daten und Fakten. Es gibt
also noch viel Forschungsbedarf in diesem Sektor. Vergessen dürfen wir aber auch nicht, dass vor 20 Jahren
der technische Fortschritt für die Wasseranalyse, wie
wir sie heute haben, noch nicht existiert hat, und wir
heute viel bessere Analyseergebnisse erzielen: Dies ist
ein Fortschritt und eine Entwicklung in die richtige
Richtung. Nur deshalb können wir heute über Spurenstoffe sprechen, die wir vor etlichen Jahren noch nicht
einmal messen konnten.
Natürlich wird der Medikamentenbedarf auch in
Zukunft durch den demografischen Wandel in Deutschland stetig steigen, aber man könnte beispielsweise zur
Verringerung von Medikamentenüberschüssen durchaus eine stärkere Anpassung der Dosierungsmenge auf
den Bedarf des menschlichen Körpers vornehmen.
Für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist der
Schutz der Umwelt vor Risiken ausgehend von Arzneimitteleinträgen ein wichtiges Thema, denn Arzneimittel sind biologisch aktive Stoffe, die gefährlich für
Mensch und Umwelt sein können. Hier hat der Gesetzgeber sowohl auf deutscher als auch auf europäischer
Ebene klare Regelungen und Vorschriften zur Zulassung von Arzneimitteln zum besseren Schutz der Umwelt eingeführt. Bei jeder Zulassung von Arzneimitteln
werden deren Umweltauswirkungen analysiert und abgeschätzt. Auch sind die zuständigen Behörden von
Bund und Ländern bemüht, eine bessere und aktuelle
Datengrundlage hinsichtlich der Umweltbelastungen
mit Arzneistoffen zu bekommen.
Im vorliegenden Antrag der Linken wird die Bundesregierung aufgefordert, sich innerhalb der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass im Nachgang
jedes zentralen Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln ein umfassendes Umweltmonitoring für die Hersteller von Medikamenten verpflichtend ist.
Auch wollen die Linken das Arzneimittelgesetz so
ändern, dass für Arzneimittel, deren Zulassung vor
Einführung der Umweltbewertung erfolgt ist, nachträglich eine herstellerfinanzierte Bewertung des Umweltrisikos vorgenommen wird.
Schließlich wollen sie, dass die Pharmaindustrie
ein Rücknahmesystem für Altarzneimittel einführt und
finanziert. Alle Apotheken sollen eine Rücknahmeverpflichtung für haushaltsübliche Arzneimittel erhalten,
und alle Menschen in Deutschland sollen dazu gesetzIngbert Liebing
lich verpflichtet werden, eine sachgemäße Entsorgung
von Altarzneimitteln vorzunehmen. Das geforderte
Rücknahmesystem ist im Verhältnis zum erzielbaren
Nutzen sehr aufwendig, und es gibt bisher keine Belege
dafür, dass die bisherige Entsorgung normaler Arzneimittel über den Haushaltsmüll nicht hinreichend sicher für die Umwelt ist. Allerdings entsorgen zu viele
Menschen nicht benötigte Medikamente in der Toilette.
Hier ist mehr Aufklärung notwendig, auch über die
Apotheken, da der richtige Entsorgungsweg über den
Restmüll zur Verbrennung ist. Rücknahmesysteme ergeben nur dann Sinn, wenn die zurückgegebenen Stoffe
auch recycelt werden. Das ist bei den Medikamenten
gerade nicht der Fall. Deshalb ist dieser Vorschlag der
Linken schlichtweg sachlich ungeeignet.
Für besondere Arzneimittel, wie Therapien mit radioaktiven Stoffen oder Antikrebsmittel, gelten ohnehin
spezielle Vorschriften, dafür hat der Gesetzgeber hinreichend gesorgt.
Alle vorgeschlagenen Maßnahmen des vorliegenden Antrages schießen über das Ziel hinaus und haben
den falschen Ansatz. Sie sind zu illusorisch und dadurch unverhältnismäßig. Selbst bei Pflanzenschutzmitteln gibt es keine so weitreichenden Verpflichtungen.
Bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für
Umwelt im vergangenen März zu diesem Thema hatten
wir ausführlich die Gelegenheit, uns ein aktuelles Bild
über die Situation zu machen. Der Experte aus dem
Umweltbundesamt hatte betont, dass Humanarzneimittel in Gewässern schädlich für die Umwelt sind. Es
wurde aber auch deutlich, dass die deutschen Gewässer nicht flächendeckend belastet sind. Hier macht der
Antrag der Linken alles schlimmer, als es tatsächlich
ist.
Von den rund 8 000 Tonnen an Arzneimitteln mit ihren circa 3 000 Wirkstoffen, die jährlich in Deutschland verkauft werden, ist etwa die Hälfte „potenziell
umweltschädigend“, so das UBA weiter. Kläranlagen
können zwar einiges herausfiltern, jedoch nicht alle
Rückstände entfernen. Hier muss aus unserer Sicht
gelten: Die Reduzierung oder Vermeidung des Arzneimitteleinsatzes ist nachhaltiger als eine Optimierung
der Kläranlagen. Neue Techniken der Abwasserentsorgung in Abwasseranlagen, wie etwa die Membranfiltration, die Oxidation und die Adsorption an Aktivkohle, werden als Pilotprojekt derzeit getestet. Aber
auch hier kann man die Rückstände nicht völlig eliminieren und der Energieverbrauch würde um ein Drittel
steigen. Hier muss auf der Grundlage des Verursacher- und Vorsorgeprinzips an der Quelle der Belastung angesetzt werden, statt eine aufwendige Aufrüstung im Wasser- oder Klärwerk vorzunehmen. Das
reduziert die Kosten und schont die Umwelt.
Krankenhäuser sind durch die Ausscheidungen von
Menschen in medikamentöser Behandlung ein Hauptverursacher für den Eintrag von Arzneimittelrückständen und multiresistenten Keimen in die Kanalisation.
Durch beispielsweise eine dezentrale Entsorgung und
Behandlung von Krankenhausabwasser könnten negative Einflüsse in die Umwelt reduziert werden. Aber
2 bis 3 Prozent der Rückstände bleiben immer übrig.
Hier sollte man früher ansetzen und bereits bei der
Produktion und im Umgang mit Medikamenten eine
Freisetzung in die Umwelt verhindern. Eine verstärkte
Entwicklung von abbaubaren Medikamenten könnte
einen Beitrag zum Gewässerschutz leisten.
Die im vorliegenden Antrag gestellten Forderungen
geben keine richtigen Antworten auf die Komplexität
des Problems. Die Linke tut so, als hätte sie als einzige
das Problem erkannt. Aber auch schon in der Vergangenheit war das Thema „Belastung von Gewässern
durch Arzneimittel-Einträge“ Gegenstand der insgesamt sechsjährigen Beratungen einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für
Chemikaliensicherheit. Damals wurde ein von den
Ländern finanziertes Messprogramm durchgeführt. Sicherlich sollte ein solches Programm wiederholt werden, auch um zu überprüfen, ob sich die damals gemessene Gewässerbelastung im Gegensatz zu heute
verändert hat. Die Bundesregierung und die Bundesländer haben die richtigen Schritte eingeleitet. Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab.
Anthropogene - also vom Menschen gemachte Spurenstoffe werden vermehrt im Wasser gefunden. Zu
diesen gehören auch Arzneimittel, die mittlerweile flächendeckend in geringen Mengen in den Oberflächengewässern nachgewiesen werden können. Manche dieser Stoffe können in der Umwelt schädlich wirken. Die
Linken fordern in ihrem Antrag deshalb, diese Umweltbelastung durch Arzneimittel zu reduzieren. Die
Beratung im Ausschuss hat gezeigt, dass dies ein Ziel
ist, das alle Fraktionen teilen. Ich finde das gut und
wichtig.
Wir haben in einem öffentlichen Fachgespräch mit
dem Umweltbundesamt und dem der Emschergenossenschaft/Lippeverband im Ausschuss darüber diskutiert, welche Probleme die Arzneimittel in den Gewässern verursachen, was für Handlungsoptionen es gibt
und wo noch Forschungsbedarf besteht. Die gute Botschaft aus dem Fachgespräch ist: Die Konzentration
an Arzneimitteln im Trinkwasser ist so gering, dass
keine Gefährdung des Menschen zu befürchten ist.
Allerdings entbindet dies uns nicht davon, den Eintrag von Arzneimitteln in die Gewässer zu vermindern.
Das Umweltbundesamt hat dazu Vorschläge gemacht.
Letztendlich schlägt das UBA eine Minimierungsstrategie vor, die von einem umfassenden Umweltmonitoring begleitet wird. Das ist ein vernünftiges Konzept.
Was kann also getan werden? Wir können: Umweltqualitätsnormen für wichtige Wirkstoffe festlegen und
rechtlich verankern; ein Umweltmonitoring etablieren,
um die Auswirkungen von Arzneimitteln zu beobachten; langfristig die Wirkstoffe bewerten, die potenziell
umweltschädlich sind und in relevanten Mengen festZu Protokoll gegebene Reden
Waltraud Wolff ({0})
gestellt werden; eine vierte Reinigungsstufe bei
Krankenhäusern oder bei den größten 4 Prozent der
Kläranlagen prüfen; Ärzte und Apotheker über die
Umweltwirkungen von Arzneimitteln informieren und
ein Klassifikationssystem schaffen; eine Informationskampagne starten, um die Bevölkerung über die richtige Entsorgung von Arzneimitteln zu informieren; einheitliche Entsorgungswege für Arzneimittel schaffen.
Diese Ansatzpunkte sind sinnvoll. Wir wollen, dass
weniger Arzneimittel in die Gewässer gelangen. Was
wir aber nicht wollen, ist, die Gesundheit der Menschen aufs Spiel zu setzen oder die Therapiefreiheit der
Ärzte einzuschränken. Mit den verschiedenen Handlungsoptionen können wir die Einträge minimieren
und gleichzeitig die Interessen der Patientinnen und
Patienten berücksichtigen.
Wir brauchen Informationen für die Ärzte: In
Schweden gibt es eine Klassifikation der Umweltrelevanz von Arzneimitteln. Damit kann die Umweltwirkung in die Auswahl der Medikation einfließen, ohne
die Therapiefreiheit einzuschränken.
Wir brauchen auch Informationen für die Patienten:
Es muss klar sein: Altmedikamente gehören in den
Restmüll, sie gehören nicht ins Klo gespült. In den
Müllverbrennungsanlagen werden die arzneilichen
Wirkstoffe so zerstört, dass kein Eintrag in die Umwelt
mehr erfolgen kann. Das ist der richtige Weg!
Wir müssen offene Fragen klären: Eine Umweltbewertung ist mittlerweile für neu zuzulassende Arzneimittel vorgesehen. Dies ist ein wichtiger Schritt. Kümmern müssen wir uns um die Medikamente, die noch
ohne Umweltbewertung zugelassen wurden. Eine
Kombination aus Umweltmonitoring und Bewertung
der Wirkstoffe mit Umweltrelevanz scheint mir angemessen.
Wir müssen offene Fragen bei der „vierten Reinigungsstufe“ klären. Die bisherigen praktischen Erfahrungen zeigen, dass ein Teil der Stoffe aus dem Wasser
herausgefiltert werden kann. Allerdings sind die Kosten dafür hoch. 30 Prozent zusätzliche Kosten sind
bei kommunalen Kläranlagen kaum zu finanzieren.
Gleichzeitig steigt der Energiebedarf der Kläranlagen
deutlich. Und: Es entstehen Abbauprodukte, deren
Wirkungen auch noch nicht geklärt sind.
Wir waren uns im Ausschuss alle einig: Mit der Umweltbewertung von neuen Arzneimitteln ist ein wichtiger Schritt gemacht worden. Es geht darum - und das
mahnt die Linke in ihrem Antrag zu Recht an -, weiter
zu gehen. Das bedeutet für mich: Wir brauchen ein
Umweltmonitoring, und wir brauchen eine umsetzbare
und finanzierbare Minimierungsstrategie, die auch
den Interessen der Patienten und Patientinnen gerecht
wird. Das müssen wir anpacken.
Eine nachträgliche Umweltbewertung für alle bereits zugelassenen Medikamente schießt aber über das
Ziel hinaus. Deswegen tragen wir diesen Teil nicht mit
und werden uns aber wegen der weitgehenden Übereinstimmung der Stimme enthalten.
Mit ihrem Antrag „Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren“ spricht die Linke
ein Problem an, mit dem sich die Koalition und die
Bundesregierung schon seit einiger Zeit beschäftigen.
Pro Jahr werden rund 38 000 Tonnen Arzneimittel
in deutschen Apotheken verkauft. Die demografische
Entwicklung in Deutschland wird die Menge noch erhöhen, da eine ältere Gesellschaft mehr Medikamente
verbraucht als eine junge.
Damit die Wirkstoffe von Medikamenten dort im
Körper ankommen, wo sie gebraucht werden, sind sie
meist so entwickelt, dass sie sich nicht schon im Magen-Darm-Trakt zersetzen. Dazu kommt, dass sich die
Medikamente nicht im Körper anreichern sollen. Das
geht nur, wenn die Stoffe wasserlöslich sind und vom
Körper wieder ausgeschieden werden. Damit gelangen
sie zum Teil unverändert ins Wasser.
Aber auch durch eine unsachgemäße Entsorgung
von Altarzneimitteln über Toiletten oder die Spüle
kommt es zu einer Anreicherung potenziell umweltrelevanter Arzneimittelwirkstoffe in den Gewässern und
der Umwelt.
Das hat dazu geführt, dass wir in Europa auf Bestreben der Bundesregierung Hormone, zum Beispiel aus
der Anti-Babypille, oder auch Wirkstoffe wie Diclofenac
als prioritäre Stoffe stärker beobachten und entsprechende Maßnahmen wie zusätzliche Reinigungsstufen
in besonders betroffenen Gebieten durchführen lassen.
In Ihrem Antrag setzen Sie sich aber nicht mit unseren Maßnahmen auseinander, sondern stellen zwei
Forderungen auf: Einerseits wollen Sie die Hersteller
von Medikamenten im Nachgang jedes zentralen
Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln zu einem
ständigen umfassenden Umweltmonitoring verpflichten. Andererseits soll ein obligatorisches Medikamentenrücknahmesystem für Apotheken eingeführt werden.
Durch ein umfassendes Umweltmonitoring hoffen
Sie, die Gewässer besser schützen zu können. Auch ich
halte eine Senkung der Gewässerbelastung durch Arzneimittel für notwendig. Ich glaube aber nicht, dass
Ihr Vorschlag der Sache gerecht wird.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinforschung führt derzeit 91 482 zugelassene Arzneimittel
auf. Darunter sind Arzneimittel und Wirkstoffe, die in
großer Menge abgesetzt werden, und solche, die nur in
sehr geringen Stückzahlen und ausschließlich in
Krankenhäusern eingesetzt werden. Das potenzielle
Umweltrisiko neuer Arzneimittel wird auf der Grundlage der Richtlinie 2001/83/EG im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft. Vom ersten Versuch bis zur
Zulassung eines Arzneimittels durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dauert es
Zu Protokoll gegebene Reden
viele Jahre. Sie fordern darüber hinaus, dass auch eine
Überwachung der Auswirkungen einer jeden Substanz
stattfindet.
Die dafür erforderlichen Laborkapazitäten und
Kosten sind riesig. Für zahlreiche Wirkstoffe gibt es
noch keine Messverfahren. Wie gehen Sie dann damit
um? Sollen diese Wirkstoffe von der Überprüfung ausgenommen werden? Angenommen, Sie hätten für jeden
erdenklichen Wirkstoff eine belastbare Aussage über
die Konzentration in den verschiedenen Gewässern.
Dann wollen Sie einen Auftrag an das Umweltbundesamt erteilen, inwieweit stärkere Auflagen für die Anwendung von Arzneimitteln zu einer Verbesserung der
Wasserqualität führen. Und dann? Wenn es sich nämlich um ein nutzbringendes Medikament handelt, dann
hilft Ihnen die Aussage, dass es wassergefährdend ist,
nicht weiter. Sollte etwa ein wassergefährdendes, aber
hochwirksames Krebsmedikament nicht erlaubt werden? Sie müssten dann zwischen Gesundheit und Umwelt abwägen. Denn das kann das Umweltbundesamt
mit Sicherheit nicht.
Der Vorschlag der Linken ist ein bürokratisches
Monstrum, das uns unserem gemeinsamen Ziel, einem
verbesserten Gewässerschutz, nicht näher bringen
wird. Ich halte es für zielführender, einen umweltbewussten Umgang mit Medikamenten zu fördern. Doch
auch hier entscheidet sich die Linke für einen wenig
durchdachten Ansatz.
Sie wollen ein obligatorisches Medikamentenrücknahmesystem für Apotheken einführen, wie das vor
2009 der Fall war. Wie Sie sicherlich wissen, machen
die Apotheken mit den Medikamenten nichts anderes
als das, was passiert, wenn man sie über den Hausmüll
entsorgt. Sie werden verbrannt. Diejenigen, die bereits
jetzt ihre Medikamente ordnungsgemäß im Hausmüll
entsorgen, können sie damit vielleicht erreichen. Ich
bezweifle allerdings stark, dass sich die meisten anderen die Mühe machen werden, ihre alten Arzneimittel
zu den Apotheken zu bringen.
Auch dem Umweltbundesamt liegen keine Zahlen
vor, dass der Anteil an Medikamenten, die vor 2009 in
der Toilette landeten, geringer war, als er es heute ist.
Ihr Vorschlag trägt nicht dazu bei, die Menschen darüber zu informieren, dass eine Entsorgung über den
Hausmüll die richtige ist.
Ich halte es für sinnvoller, die Verbraucher und
Ärzte besser zu sensibilisieren. Ich bin dafür, auf dem
Beipackzettel auf die richtige Entsorgung hinzuweisen: die Restmülltonne. Umfragen zeigen außerdem,
dass sich viele Haushalte wünschen würden, dass der
Arzt oder Apotheker sie über die angemessene Entsorgung aufklärt. Auch das wäre eine relativ einfache und
gangbare Möglichkeit.
Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, wie wir
neue, aber umweltkritische Wirkstoffe verbieten können, sondern unser Augenmerk auf die Wirkstoffe richten, von denen wir wissen, dass sie besonders problematisch sind. Ein umweltbewussterer Umgang mit
Medikamenten, beispielsweise durch ein Ampelsystem
wie in Schweden, könnte die Situation verbessern. Anhand der Ampel weiß ein Arzt, wann er ein besonders
umweltgefährdendes Medikament verschreibt, und
kann gegebenenfalls auf ein alternatives, weniger umweltgefährdendes Produkt ausweichen. Auch kleinere
Packungsgrößen könnten dem Grundproblem, dass am
Ende immer ein Teil des Packungsinhalts übrig bleibt,
von vornherein vorbeugen.
Ihren Vorschlag, eine obligatorische Rücknahmepflicht für Apotheken und ein verpflichtendes Umweltmonitoring für alle Arzneimittelwirkstoffe einzuführen,
halte ich für gut gemeint, aber schlecht durchdacht.
Ein verbesserter Gewässerschutz ist so nicht zu erreichen.
In der ersten Beratung zu unserem Antrag am
17. Januar bestand die einzige Übereinstimmung darin, dass Wasser unser wichtigstes Lebensmittel darstellt. Klasse - aber außer Reden nichts gewesen. Im
Gegenteil: Aus dem Lager der Regierungskoalition
erfolgen Angriffe auf unsere Wasserqualität, sei es aktuell durch die Wasserprivatisierung mittels EU-Konzessionsrichtlinie, die unsere Wasserqualität auf Londoner Niveau und Londoner Wasserpreise mit trübem,
gechlortem und nichttrinkbarem Leitungswasser abfallen lassen wird, oder mit der Umsetzung der EU-Biozid-Verordnung, wo Sachverstand im Internet erworben
und abgeprüft wird - ohne Grund. Wie Wasserschutz
bei einer Prüfung nach copy and paste sichergestellt
wird, bleibt schleierhaft. Zusätzliche Schadstoffe im
Wasser sind da hingegen sicher. Beide Beispiele führen
zu zusätzlichen Belastungen von Grund- und Oberflächengewässern mit anthropogenen, also menschenverursachten Spurenstoffen im Wasser.
Auch der Fakt, dass bei der Novelle der Verpackungsverordnung die verpflichtende Annahme von
Altmedikamenten in Apotheken aufgehoben wurde,
verursacht durch die jetzt vermehrte „Entsorgung über
Abwasser“ zusätzliche, unnötige Belastungen unserer
Gewässer.
Dass unsere Gewässer Hilfe brauchen, ist unbestritten, aber wo setzt man an? Bei den Verursachern, an
den Quellen, oder am Ende, bei der Kläranlage?
Die Vorschläge meiner Fraktion zeigen Wege, wie
an den Quellen die Menge an Arzneirückständen in
Gewässern verringert werden kann und wie den schönen Worten der Kolleginnen und Kollegen endlich gute
Taten beigestellt werden können.
Im Bundestag fordern wir gesetzliche Vorgaben für
Pharmahersteller, damit unnötige Nebenwirkungen
der notwendigen Medikamente für die Umwelt zukünftig beseitigt werden. Wir fordern Forschungen zu Wegen und Verbleib und Wirkungen der Arzneimittelrückstände. Wir fordern, dass die Pharmaunternehmen
verpflichtet werden, ein einheitliches Apotheken-Rücknahmesystem für Altmedikamente einzurichten und zu
finanzieren. Außerdem soll auf jeder Medikamentenpackung und auf den Beipackzetteln der Entsorgungsweg erkennbar sein.
In Landtagen brachte die Linke die Forderung ein,
dass die Hotspots für Medikamenteneinträge, wie zum
Beispiel Krankenhäuser und Pflegeheime, extra Klärwege zur Reduzierung von Arzneimittellresten nutzen
sollen, statt sie einfach in kommunale Klärwerke einzuleiten.
Trotz ihrer in erster Lesung geäußerten Zweifel an
unseren Vorschlägen danke ich den Kolleginnen und
Kollegen, dass wir gemeinsam im Umweltausschuss
ein Fachgespräch zum Thema Arzneimittelbelastungen im Abwasser durchführten. Die Auswertung eines
EU -Großversuches zu Arzneirückständen, mit durchgeführt vom Emscher-Lippe-Genossenschaftsverband, dem größten Abwasserentsorger der Bundesrepublik, bestätigte unseren Ansatz, an der Quelle zu
handeln.
Zweiundsiebzig Substanzen aus Arzneien im Versuch wurden getestet - 57 Prozent der Gesamtbelastungen kamen aus Krankenhäusern. Mit einer gezielten Reinigung der Krankenhausabwässer, wie in den
Landtagen von uns gefordert, wäre viel erreicht, leider
lehnten CDU, FDP und SPD dies bisher ab. Warum eigentlich?
Emscher-Lippe wie auch die Abwasserentsorger im
Ausland testeten verschiedene Abwasserreinigungsverfahren. Das Ergebnis ist ernüchternd. Keines der
Verfahren konnte alle 72 Substanzen beseitigen und
beim Ozonieren, einem der Verfahren, entstanden neue
Substanzen, deren Wirkungen auf die Umwelt unbekannt sind. 30 Prozent mehr Energieverbrauch in den
Kläranlagen, Filterreste, Betriebskostensteigerung
von mehr als 20 Prozent. All dies waren Nebenwirkungen der zusätzlichen Reinigungsstufen.
30 Prozent mehr Stromverbrauch würde bei einer
Ausstattung aller 10 000 Kläranlagen Deutschlands
mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe einen Mehrbedarf von 0,7 Milliarden Kilowattstunden im Jahr bedeuten, das ist der jährliche Stromverbrauch von über
150 000 Haushalten. Aber ein Verfahren reicht nicht
für alle Substanzen - für alle Verfahren bräuchte man
noch mehr Energie, und die Kosten für Abwasser würden explodieren.
So lautet das Fazit des Vortrags - jetzt zitiere ich
noch, was der Genossenschaftsverband EmscherLippe vorschlug, damit Medikamentenrückstände in
Gewässern optimal minimiert werden können -: Einführung einer Gewässerampel für bestehende Medikamente und gegebenenfalls eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Medikamente, Ausbau
und Optimierung der Rücknahmesysteme für Medikamente, Entwicklung von abbaubaren Medikamenten,
Anpassung der Dosierung an den Bedarf des menschlichen Körpers, Veränderung der Verschreibungspraktiken und der Beratung in Apotheken, Informationen
zum Umgang mit Arzneimitteln und Minimierung der
Einträge an der Quelle, sprich an den Krankenhäusern
All diese Vorschläge sind in unserem Konzept enthalten.
Eine vierte Reinigungsstufe zu fordern, ist einfach
und erfordert keinen Mut, aber Bürgerinnen und Bürger müssen dafür hart zahlen und der stark erhöhte
Energieverbrauch konterkariert Energieeffizienzziele,
deren Umsetzung wir für den Klimaschutz brauchen.
Die vierte Reinigungsstufe als Allheilmittel steigert
jedoch die Umsätze in der Bauwirtschaft für neue
Kläranlagen, und die Pharmalobby braucht sich trotz
fetter Gewinne nicht um Umweltschutz zu scheren.
Geht man den von Emscher-Lippe und uns vorgeschlagenen Weg, sind gleiche Ergebnisse für die Umwelt,
günstig für Bürgerinnen und Bürger, bei geringen Belastungen der Verursacher, der Pharmaindustrie, und
keinen Zusatzumsätzen der Baubranche erreichbar aber man muss sich mit der Bau- und Pharmalobby
auseinandersetzen. Die Linke hat diesen Mut. Sie
auch?
Stimmen Sie unserem Antrag und damit dem Umweltschutz zu und folgen Sie in den Bundesländern unseren Vorschlägen zu Krankenhausabwässern.
Falls den Kolleginnen und Kollegen von CDU und
FDP das aus ideologischen Gründen unmöglich ist copy and paste ist erlaubt. Die Linke wird das Plagiat
gern akzeptieren. Seien Sie mutig, umwelt- und bürgerfreundlich, und lassen Sie ihren blumigen Worten zum
Schutz des Lebensmittels Wasser vernünftige Taten folgen.
Wir diskutieren heute abschließend den Antrag der
Fraktion Die Linke zum Problem der Entsorgung von
Arzneimitteln.
Wir haben derzeit ein äußerst unbefriedigendes Entsorgungssystem von Altmedikamenten, nämlich gar
keins. Nur wenige Apotheken nehmen - in der Regel
auf eigene Kosten - überhaupt noch abgelaufene oder
nicht mehr benötigte Arzneimittel an. Apotheken sind
nicht mehr verpflichtet, solche Arzneimittel anzunehmen. Das ist die Folge der 2009 erfolgten Änderung
der Verpackungsverordnung. Im Rahmen eines vom
Bundesforschungsministerium in der Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. Mai 2008 finanzierten Projektes
mit dem Titel „Strategien zum Umgang mit Arzneimittelwirkstoffen im Trinkwasser“ wurde seinerzeit
festgestellt, dass bis dahin immerhin ein Drittel der
repräsentativ befragten Bürgerinnen und Bürger ihre
Altarznei immer in den Apotheken abgeben. Nur ein
Drittel der Befragten antworteten damals, dass sie
dies nie täten. Das letzte Drittel blieb unklar.
Vonseiten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird ein Rücklauf von
nur 5 Prozent behauptet, und Verbraucherinnen und
Verbraucher werden auf die geltende Hausmüllversorgung verwiesen. Das Umweltministerium sieht es als
unproblematisch an, Arzneimittel über den normalen
Zu Protokoll gegebene Reden
Hausmüll zu entsorgen, wie wir Grüne in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion vom
Juni 2011 erfuhren. Das kann nicht der Weisheit letzter
Schluss sein, wenn man bedenkt, dass dadurch in vielen Haushalten auch Kleinkinder ungewollt Zugang zu
Arzneimittelresten bekommen können.
Das Umweltbundesamt fordert auf seiner Website
dazu auf, Medikamentenreste keinesfalls über den Ausguss oder das Klo zu entsorgen. Das ist natürlich richtig. Vor allem flüssige Arzneien landen viel zu häufig
über die Toilette in den Kläranlagen. Aber auch moderne Kläranlagen sind technisch nicht dazu in der
Lage, Wirkstoffe rückstandsfrei abzubauen. Ich nenne
als Beispiel nur Diclofenac. Solche und ähnliche Arzneimittelrückstände belasten in der Folge die Gewässer. Wir finden die belastenden Stoffe in den Meeren
oder auch in unserem durch Filter gewonnenen Trinkwasser. Sie können hormonelle Veränderungen bei Fischen bewirken und andere Organismen schädigen.
Wir brauchen wieder ein flächendeckendes Rücknahmesystem für Arzneimittel; den Menschen muss die
Möglichkeit gegeben werden, ihre Altarznei in jedem
Fall einer fachgerechten und sicheren Entsorgung zuzuführen. Eine Pflicht zur Abgabe in Apotheken, analog zu den Regelungen in § 11 des Batteriegesetzes,
wie es in dem Antrag der Linken formuliert ist, halten
wir jedoch für nicht zwingend.
Der Antrag der Fraktion der Linken greift einige
tatsächlich bestehende und sich weiter verschärfende
Probleme auf. Er liefert aus unserer Sicht allerdings
leider keine hinreichenden Lösungen um derer Herr zu
werden, sodass meine Fraktion sich heute dazu enthalten wird.
Anlässlich dieses Antrages ist es mir auch wichtig,
darauf hinzuweisen, dass Medikamente grundsätzlich
auch über andere Wege als die Humanarzneimittelentsorgung in die Gewässer und übrigens auch in die Böden gelangen. Ausscheidungen von Mensch und Tier,
als Dünger auf die Felder gebrachte Gülle und Klärschlämme, enthalten neben Nährstoffen auch schädliche Substanzen wie Schwermetalle und Arzneimittelrückstände. Hier ist die Schaffung eines konsequenten
fachrechtsübergreifenden Vorsorgekonzeptes angezeigt, welches durch Einbezug des Arzneimittelrechts,
Wasserrechts, Immissionsschutzrechts, Abfallrechts
und weiterer benachbarter Rechtsbereiche und Verordnungen strenge Grenzwerte für Stoffeinträge aller Art
in Wasser und Böden definiert. Auch das Chemikalienrecht muss dieses Problem berücksichtigen; denn nicht
nur über Altarzneien, auch über Produkte des alltäglichen Gebrauchs ergeben sich zum Beispiel durch Abund Auswaschungen massive Belastungen von Gewässern und Böden. Wir haben es hier mit langlebigen organischen Chemikalien, wie zum Beispiel bekannten
Perfluorierten Tensiden, PFT, zu tun, deren lange bestrittene negative Auswirkungen auf verschiedene Organismen inzwischen nachgewiesen wurden.
Das Ziel muss also ein umfassender vorsorgender
Gewässer- und auch Bodenschutz sein. Wir Grüne fordern in diesem Zusammenhang weiterhin auch ein systematisches bundesländerübergreifendes Arzneimittelmonitoring. Dieses alles geht in der Summe über den
Antrag der Linken noch deutlich hinaus.
Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12873, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11897 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Linksfraktion. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des TreibhausgasEmissionshandelsgesetzes
- Drucksache 17/13025 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
- Drucksache 17/13398 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({1})
Michael Kauch
Bärbel Höhn
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Der europäische Emissionshandel muss eine wichtige Säule der Klimapolitik in der Europäischen Union
bleiben. Daher gilt es, die entsprechenden Rahmensetzungen für einen sicheren und zuverlässigen Zertifikatehandel in Deutschland zu erhalten und anzupassen.
Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, TEHG,
über das wir heute in zweiter und dritter Lesung verhandeln, bildet in Deutschland diese gesetzliche
Grundlage für den Handel mit Berechtigungen zur
Emission von Treibhausgasen in einem gemeinschaftsweiten Emissionshandelssystem. Es schafft die rechtliche Voraussetzung, die 1997 im Kioto-Protokoll für die
Mitgliedstaaten vereinbarten Verpflichtungen zur Reduzierung von Treibhausgasen einzuhalten.
In den ersten beiden Handelsperioden des EUEmissionshandelssystems konnten die Mitgliedstaaten
weitgehend selbst entscheiden, wie sie die erforderliche Prüfung von Emissionsberichten und Zuteilungsanträgen durch Sachverständige regeln. Im Zuge der
Harmonisierung der Regeln für den EU-Emissions30364
Andreas Jung ({0})
handel hat die EU-Kommission auf Basis des Art. 15
der Emissionshandels-Richtlinie nun die EU-Verordnung Nr. 600/2012 über die Prüfung von Treibhausgasemissionsberichten und Tonnenkilometerberichten sowie die Akkreditierung von Prüfstellen beschlossen.
Danach dürfen ab der 2013 beginnenden dritten Handelsperiode des EU-Emissionshandelssystems grundsätzlich nur noch Prüfstellen tätig sein, die von der nationalen Akkreditierungsstelle des Mitgliedstaates
akkreditiert sind.
Auf Drängen der Bundesrepublik Deutschland erhalten die Mitgliedstaaten jedoch ebenfalls die Möglichkeit, auch Einzelsachverständige als Prüfstellen zuzulassen, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass
die Prüfung durch Einzelsachverständige im Vergleich
zur Tätigkeit akkreditierter Prüfstellen gleichwertig ist.
Das bislang in Deutschland praktizierte System der
Prüfung durch sogenannte sachverständige Stellen genügt den Anforderungen der EU-Verifizierungsverordnung weder auf der Ebene der Anforderungen an die
Zulassungsstelle noch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zertifizierung selbst. Auch enthält das bisher geltende Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz,
TEHG, bislang keine ausreichende Grundlage, um von
der Optionsmöglichkeit zur Einrichtung einer Zulassungsstelle Gebrauch machen zu können.
Zur Umsetzung der Verordnung sind daher Anpassungen des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes
erforderlich gewesen, die den Wettbewerb zwischen
den Sachverständigen stärken und die Auswahl von
geeigneten Prüfern verbreitern sollen. Hiervon profitieren unterm Strich alle Seiten.
Um den sachverständigen Stellen in Deutschland,
die bislang als Einzelsachverständige tätig waren und
die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine
Akkreditierung von Prüfstellen nicht erfüllen, eine
Weiterbetätigung als zertifizierte Prüfstellen zu ermöglichen, werden mit der Gesetzesänderung die Voraussetzungen für die Zertifizierung von Prüfstellen geschaffen.
Die entsprechenden Vorschriften zur Implementierung
eines Zertifizierungsverfahrens für natürliche Personen sollen durch eine Rechtsverordnung geregelt werden, für die das TEHG um eine neue Verordnungsermächtigung ergänzt wird.
Neben dieser Erweiterung des Rechtsrahmens für
die Tätigkeit der Sachverständigen im Emissionshandel enthält der Gesetzentwurf noch einzelne, zumeist
klarstellende Änderungen, um den Erfahrungen aus
dem bisherigen Vollzug des TEHG Rechnung zu tragen.
Zu diesen Regelungen für einen verbesserten Gesetzesvollzug hat der Bundesrat Änderungen gefordert.
Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Änderungsantrag greift ein Anliegen des Bundesrates auf,
indem eine der vorgesehenen Änderungen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wird. Dabei handelt es
sich um die von den Ländern am stärksten kritisierte
Regelung für eine verstärkte Kooperation zwischen
den Landesbehörden und der Deutschen Emissionshandelsstelle, DEHSt. Diese Änderung ist ein Entgegenkommen an die Länder, deren Zustimmung zu dem
Gesetzentwurf erforderlich ist.
Ich hoffe daher, dass der Bundesrat seine Zustimmung geben wird, damit wir mit einer zügigen Verabschiedung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes die Rahmenbedingungen für den nationalen
Zertifikatehandel auf sichere und zuverlässige Beine
stellen können.
Damit wird die formale Grundlage für den Emissionshandel für die kommenden Jahre geschaffen.
Diese Grundlage gilt es jedoch auch auszufüllen. Und
hierfür wird es auf die materiellen Regelungen ankommen. In der jetzigen Ausnahmesituation ist als Ultima
Ratio ein Eingriff im Sinne des diskutierten Backloadings unumgänglich. Zudem brauchen wir eine grundlegende strukturelle Reform des Emissionshandelssystems und eine Erhöhung des europäischen Klimaziels
auf eine Reduktion von 30 Prozent bis 2020 gegenüber
1990. Dann wird der Emissionshandel seine Aufgabe
als marktwirtschaftliches Klimaschutzinstrument wirksam erfüllen können.
In der aktuellen Stunde heute haben wir über den
Emissionshandel geredet und somit natürlich auch
über die destruktive Rolle der deutschen Bundesregierung. Die Bundesregierung trägt eine Hauptverantwortung dafür, dass der Emissionshandel zurzeit keine
Wirkung entfaltet. Es ist merkwürdig, im jetzigen Tagesordnungspunkt über technische Details der dritten
Handelsperiode zu reden, da das komplette System dahinsiecht und wir eigentlich über die dringend notwendige Reform des Emissionshandels reden müssten.
Aber hier geht es darum, die Vorgaben der EU umzusetzen, genauer gesagt soll die EU-Akkreditierungsund Verifizierungsverordnung umgesetzt werden. Im
Zuge der Harmonisierung der Regeln für den EUEmissionshandel hat die EU-Kommission auf Basis
des Art. 15 der Emissionshandels-Richtlinie eine EUVerordnung zur Akkreditierung und Verifizierung beschlossen. Dies hat zur Folge, dass ab der dritten Handelsperiode des EU-Emissionshandelssystems, die bekanntermaßen Anfang dieses Jahres begonnen hat,
grundsätzlich nur noch Prüfstellen tätig sein dürfen,
die von der nationalen Akkreditierungsstelle des Mitgliedstaates akkreditiert sind. Daneben eröffnet die
EU-Verifizierungsverordnung den Mitgliedstaaten die
Möglichkeit, auch Einzelsachverständige als Prüfstellen zuzulassen, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen,
dass die Prüfung durch Einzelsachverständige mit der
Prüfung akkreditierter Prüfstellen gleichwertig ist. Im
Unterschied dazu konnten die Mitgliedstaaten in den
ersten beiden Handelsperioden des EU-Emissionshandelssystems weitgehend selbst entscheiden, wie sie die
erforderliche Prüfung von Emissionsberichten und Zuteilungsanträgen durch Sachverständige regeln. Die
EU-Akkreditierungs- und Verifizierungsverordnung reZu Protokoll gegebene Reden
gelt detailliert und in allen Mitgliedstaaten verbindlich, wie die Prüfung von Emissionsberichten zu erfolgen hat, welche Voraussetzungen dazu befugte
Prüfstellen erfüllen müssen, dass Prüfstellen künftig
durch die nationalen Akkreditierungsstellen akkreditiert werden müssen, wie das Akkreditierungsverfahren
abläuft, welche Anforderungen die nationalen Akkreditierungsstellen erfüllen müssen, wie die Prüfstellen
durch die Akkreditierungsstellen beaufsichtigt werden,
welche Informationen zwischen Akkreditierungsstellen
und Emissionshandelsbehörden ausgetauscht werden.
Als Prüfstellen sind aber nach dem Willen der Verordnung nur „juristische Personen“ oder „sonstige juristische Einheiten“ akkreditierungsfähig.
Will ein Mitgliedstaat es ausnahmsweise auch natürlichen Personen ermöglichen, als Prüfstellen aktiv
zu sein bzw. zu bleiben, muss er eine nationale Zertifizierungsbehörde einrichten und Regelungen treffen,
die sicherstellen, dass die Zertifizierung von natürlichen Personen als Prüfstellen die gleichen Anforderungen erfüllt wie das Akkreditierungsverfahren. Das
bislang in Deutschland praktizierte System der Prüfung durch sogenannte sachverständige Stellen genügt
den Anforderungen der EU-Verifizierungsverordnung
nicht. Das betrifft sowohl die Voraussetzungen für die
Zertifizierung als auch die Anforderungen an die Zulassungsstelle. Auch enthält das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz bislang keine ausreichende Grundlage, um von der Optionsmöglichkeit zur Einrichtung
einer Zulassungsstelle Gebrauch machen zu können.
Eine Änderung des TEHG ist notwendig, um die neuen
Vorschriften der Akkreditierung und Verifizierung umzusetzen. Wichtig ist dabei auch, dass Voraussetzungen
für die Zertifizierung von Prüfstellen geschaffen werden. Das ist für die sachverständigen Stellen wichtig,
die bislang als Einzelsachverständige tätig waren und
die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine
Akkreditierung von Prüfstellen nicht erfüllen. Damit
sie als zertifizierte Prüfstellen weiter arbeiten können,
ist diese Gesetzesänderung notwendig. Die entsprechenden Vorschriften zur Implementierung eines Zertifizierungsverfahrens für natürliche Personen sollen
durch eine Rechtsverordnung geregelt werden, für die
das TEHG um eine neue Verordnungsermächtigung ergänzt wird. Soweit zur TEHG-Novelle.
Nun möchte ich doch noch von den technischen zu
den politischen Fragen kommen. Und hier hat
Schwarz-Gelb gestern im Umweltausschuss einen
Bock geschossen. In einem für den Umweltausschuss
einmaligen Vorgang hat die Regierungsmehrheit einen
Antrag der SPD zum europäischen Emissionshandel
von der Tagesordnung abgesetzt. Dort sollte die Koalition gezwungen werden, in einer Abstimmung zum sogenannten Backloading Farbe zu bekennen. Dazu ist
sie aber seit Monaten und Jahren nicht in der Lage. Es
wurde nicht nur der Antrag zum Backloading abgesetzt, es soll nun nach dem Willen der Regierungsfraktionen im Juni eine Anhörung zum Thema Backloading
geben. Als wären nicht schon längst alle Argumente
ausgetauscht. Diese Anhörung dient nicht dazu, weitere Erkenntnisse zu sammeln, sondern sie soll verhindern, dass vor der Anhörung eine Abstimmung zum
Backloading stattfindet. Dieses Vorgehen offenbart in
schonungsloser Weise die klimapolitische Handlungsunfähigkeit Deutschlands auf europäischer Bühne. Die
Bundeskanzlerin trägt mit ihrer „Methode Merkel“
dafür als ehemalige „Klimakanzlerin“ auch ganz persönliche Verantwortung. Jetzt versucht die Koalition
mit allen Tricks der Geschäftsordnung, das Ende der
Legislaturperiode zu erreichen. Nach einem Jahr als
Umweltminister stellen wir fest, dass Herr Altmaier
krachend gescheitert ist. Das liegt nicht nur an der
FDP, sondern auch an Teilen seiner eigenen Bundestagsfraktion, aber auch an der Entscheidungsunwilligkeit von Kanzlerin Merkel.
Die vorgeschlagene Änderung des TreibhausgasEmissionshandelsgesetzes schafft die Grundlage
dafür, dass in Deutschland zukünftig auch Einzelsachverständige im Bereich des Emissionshandels tätig
werden können. Deutschland hatte sich auf EU-Ebene
dafür eingesetzt, dass den Mitgliedstaaten eine
entsprechende Option eröffnet wird. Neben dieser Erweiterung des Rechtsrahmens für die Tätigkeit der
Sachverständigen im Emissionshandel enthält der Gesetzentwurf noch einzelne, zumeist klarstellende Änderungen, um den Erfahrungen aus dem bisherigen Vollzug des TEHG Rechnung zu tragen.
Den Bundesländern sind wir dahin gehend entgegengekommen, dass wir die von ihnen kritisierte Regelung für eine verstärkte Kooperation zwischen den
Landesbehörden und der Deutschen Emissionshandelsstelle aus dem Gesetzentwurf herausgenommen
haben. Die vorgesehene Erweiterung der Sachverständigenzulassung soll noch in diesem Jahr umgesetzt
werden.
Interessanter im Zusammenhang mit dem Emissionshandel ist allerdings, wie mit dem Preisverfall der
CO2-Zertifikate umgegangen werden soll. Um es vorweg zu sagen: Der Emissionshandel funktioniert. Er
hält zu möglichst geringen Kosten die Klimaschutzziele genau ein. Dennoch: Dadurch, dass die Preise
zurzeit in einem Bereich zwischen 3 und 4 Euro pro
Tonne CO2 pendeln, fehlt ein langfristiger Anreiz, in
neue CO2-arme und nachhaltige Technologien zu investieren. Diese Anreize benötigen wir aber, wenn die
EU nach 2020 das Emissionsziel absenkt, um auf dem
Klimaschutzpfad bis 2050 voranzukommen.
Zur Stabilisierung des CO2-Preises fordern die Oppositionsfraktionen, einen Anteil der in dieser Handelsperiode neu auszugebenden Zertifikate entweder
stillzulegen oder zurückzuhalten. Letzteres hat auch
die Europäische Kommission unter dem Stichwort
Backloading vorgeschlagen, ist damit allerdings im
Europäischen Parlament gescheitert.
Mit diesem Vorschlag würde man jedoch das Pferd
von hinten aufzäumen: Sinn und Zweck des EmissionsZu Protokoll gegebene Reden
handels ist nämlich nicht ein Mindestpreis für CO2Emissionen, sondern die Einhaltung des Cap, das
heißt, der EU-weit gedeckelten Gesamtmenge an CO2,
die von emissionshandelspflichtigen Anlagen ausgestoßen wird. Und das gelingt. Schraubt man willkürlich an der Zertifikatmenge, um einen bestimmten
Preis anzupeilen, führt man das System ad absurdum.
Zudem basiert das Vertrauen der Wirtschaftsakteure in
das System auf stabilen Rahmenbedingungen. Eine
willkürliche Änderung dieser Rahmenbedingungen
würde das Emissionshandelssystem mehr gefährden
als der aktuell sehr niedrige Preis.
Ein systematischerer Ansatz wäre es, das Klimaziel
anzuheben. Die Bundesregierung hat in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eine europaweite Anhebung des Klimaziels auf 30 Prozent bis 2020 befürwortet, wenn Deutschland sein nationales 40-Prozent-Ziel
nicht erhöhen muss und alle EU-Staaten einen angemessenen Beitrag leisten. Diesen Ansatz sollte man
nach dem Scheitern der Backloading-Pläne im Europäischen Parlament jetzt noch einmal forcieren. Klar
ist aber auch: Beide Voraussetzungen müssen erfüllt
sein. Zusatzbelastungen der deutschen Industrie über
die ambitionierten deutschen Ziele hinaus sind nicht
sinnvoll, ebenso wenig Lösungen, die zu Wettbewerbsverzerrungen in Europa führen.
Diese Gesetzesänderung ist so ein Fall, wo wir
grundsätzlich eher leidenschaftslos sind, zum einen,
weil das Ganze eine technische Anpassung von Begriffen und Zuständigkeiten an das EU-Recht ist, zum andern, weil das Emissionshandelssystem gründlich gegen die Wand gefahren wurde. Deshalb stehen für uns
ganz andere Probleme im Raum als die technische Verwaltung des vor sich hin siechenden Handelssystems.
Kurz: Das EU-Emissionshandelssystem, ETS, ist so
gut wie tot und die Bundesregierung blockiert seine
Reform.
Darum werden wir jetzt mehr Kraft verwenden, Alternativen zu suchen, als uns weiter am komplizierten
Rechtsgeflecht im ETS abzuarbeiten.
Doch zunächst noch ein Wort zum vorliegenden Gesetzentwurf. In dem wird unter anderem Bezug auf die
Kompensationsmöglichkeiten für indirekte emissionshandelsbedingte Strompreiserhöhungen genommen.
Darum lehnen wir ihn ab. Diese Kompensation für die
energieintensive Produktion ist schließlich ein kleiner
Teil dessen, was den Emissionshandel unwirksam
macht. Unzählige Ausnahmeregeln, Überzuteilungen
und Schlupflöcher haben seine ökologische Integrität
zerstört, dafür aber Extraprofite für Unternehmen organisiert.
An der Installierung dieser Maschinerie hat seinerzeit bis 2005 Rot-Grün genauso kräftig mitgewirkt wie
später Schwarz-Rot. Die Wirkung dieses Geschenkpakets an die Wirtschaft haben wir heute auszubaden.
Im Falle der Strompreiskompensationen sollen nun
auch Unternehmen veritable Zuschüsse erhalten, die
mit ihren Produkten überhaupt nicht oder nur wenig
im internationalen Wettbewerb stehen. Gleiches passierte ja bereits bei der kostenlosen Zuteilung an Industrieanlagen im Rahmen der Carbon-Leakage-Zuteilungsregeln. Diese insbesondere vom deutschen
Wirtschaftsministerium in Brüssel durchgesetzten Subventionen im Zusammenhang mit dem ETS-System
sind nur ein Mosaikstein des Lobbyismus gegen eine
vernünftige Klimaschutzpolitik.
Gerade gestern hat die Deutsche Emissionshandelsstelle einen Hintergrundbericht zum Emissionshandel
der abgelaufenen Handelsperiode 2008 bis 2012 veröffentlicht. Die Bilanz ist ernüchternd. Im letzten Jahr
sind die Emissionen zum Vorjahr um 2,4 Millionen
Tonnen gestiegen. In den Anlagen bestand 2012 dennoch insgesamt ein Zuteilungsüberschuss von 145 Millionen Emissionsberechtigungen. Damit ist die Menge
an Zertifikaten gemeint, die überzählig sind, zieht man
jene ab, die in Höhe der tatsächlichen Emissionen abzuliefern waren. Dieser Überschuss macht unter dem
Strich einen Marktwert von rund 570 Millionen Euro
aus. Die meisten Unternehmen haben also auch im
letzten Jahr am Emissionshandel kräftig verdient.
Doch woher kommt das Überangebot? Emissionsberechtigungen über 140 Millionen Tonnen, also rechnerisch fast die gesamte Menge des genannten Überschusses, stammen aus Auslandsprojekten. Bei denen
ist jedoch vielfach fraglich, ob sie tatsächlich zusätzlichen Klimaschutz liefern, wie viele Studien ergeben
haben. Über die gesamte Handelsperiode gerechnet
sind über 300 Millionen solcher billiger Projektgutschriften aus dem Clean Development Mechanism,
CDM, der Joint Implementation, JI, verwendet worden. Wenn aber viele davon faul sind, bläht sich das
Cap - die Emissionsobergrenze - mit heißer Luft auf.
Und diese Treibhausgasblase durfte laut Richtlinie in
die laufende Handelsperiode 2013 bis 2020 übernommen werden.
Die genannten 300 Millionen Projektgutschriften
entsprechen übrigens ungefähr dem gesamten deutschen Überschuss, der in den letzten fünf Jahren aufgelaufen ist. Das ist quasi der deutsche Beitrag dafür,
dass in Europa gegenwärtig ein Überschuss an Zertifikaten über insgesamt rund 1,7 Milliarden bis 2 Milliarden Tonnen CO2 besteht. Diese Flut drückt die
CO2-Preise nunmehr unter vier Euro in den Keller.
Eine Lenkungswirkung des Emissionshandels in die
Wirtschaft hinein kann man vergessen. Das aufgeblähte Cap repräsentiert für die Zukunft die Gefahr eines enorm wachsenden Treibhausgasausstoßes.
Wenn man berücksichtigt, dass in der zweiten Handelsperiode in Deutschland gerade einmal 20 Millionen Tonnen CO2 im ETS-Bereich eingespart wurden
({0}), demgegenüber aber allein
von der Bundesrepublik überschüssige Emissionsberechtigungen über 302 Millionen Tonnen CO2 in die
jetzige dritte Handelsperiode übertragen wurden - die
Zu Protokoll gegebene Reden
zusätzlich aufs festgelegte Emissionsbudget 2013 bis
2020 oben drauf kommen -, dann kann man das Ausmaß des Desasters erahnen.
In unserem Antrag „Kohleausstiegsgesetz nach
Scheitern des Emissionshandels“ ({1}) haben wir dargestellt, was nun unserer Ansicht nach zu tun ist. Als erster Schritt zu tiefgreifenden ETS-Strukturreformen hätte der Vorschlag
der EU-Kommission unterstützt werden müssen, zunächst 900 Millionen Zertifikate von den neuen Versteigerungen in der EU fernzuhalten. Dieses so genannte Backloading hätte es wiederum ermöglicht,
spätestens ab 2016 das ETS mit neuen Spielregeln laufen zu lassen. Stichworte dieser leider zeitraubenden
Reform der Emissionshandelsrichtlinie wären: endgültige Stilllegung der gesamten Überschussmenge,
strengere Minderungsziele und ein gänzliches Verbot
der Anrechnung von Auslandsgutschriften.
Dieses Szenario ist aber von der Bundesregierung
nicht gewollt. Bereits das Backloading wurde von
Union und FDP blockiert. Darum ist es Zeit, umzusteuern: Die Linke fordert ein Kohleausstiegsgesetz,
das Restlaufzeiten für Kohlekraftwerke festlegt und
spätestens 2040 den letzten Meiler vom Netz nimmt.
Zudem muss der Neubau von Kohlekraftwerken und
der Neuaufschluss von Tagebauen verboten werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, wo die Prioritäten dieser Bundesregierung liegen. Für den Klimaschutz tun Sie nichts. Aber im Verteilen von Subventionen an die energieintensive Industrie, da sind Sie groß.
Mit dieser klimaschädlichen Klientelpolitik muss am
22. September Schluss sein!
350 Millionen Euro an Subventionen wollen Sie an
die Industrie verteilen, als Ausgleich für vermeintlich
durch den Emissionshandel gestiegene Strompreise.
Aber die Strompreise sind gar nicht gestiegen. Sie sind
im letzten Jahr gefallen. Und sie fallen dieses Jahr
weiter. Der Strom kostet heute an der Börse 20 Prozent
weniger als letztes Jahr. Aber solche Fakten können
CDU, CSU und FDP in ihrem Subventionseifer offenbar nicht bremsen.
Ein Grund für den Preiseinbruch an der Börse ist,
dass der Emissionshandel, das zentrale Instrument der
europäischen Klimaschutzpolitik, nicht funktioniert.
Genau gesagt: Er liegt am Boden. Luftverschmutzer
müssen statt angemessener 20 Euro heute nur noch
3 Euro zahlen für jede Tonne CO2, die sie in die Luft
blasen. Da gibt es keine Anreize, sich klimaschonend
zu verhalten oder in Klimaschutztechnologien zu investieren.
Doch was macht die Bundesregierung? Hilft sie mit,
den Emissionshandel, um den es im vorliegenden Gesetz ja geht, zu reparieren? Nein, sie rührt keinen Finger. Im Gegenteil: Den Versuch der EU, dem Emissionshandel wieder auf die Beine zu helfen, haben
ausgerechnet die deutschen Abgeordneten von CDU,
CSU und FDP im Europaparlament gestoppt - mit Unterstützung von Wirtschaftsminister Rösler und stillschweigendem Einverständnis der Bundeskanzlerin.
Diese Bundesregierung macht den Klimaschutz kaputt und überhäuft die Industrie mit Subventionen, die
sie nicht braucht. Die Zeche zahlen die Umwelt und
die Verbraucher. Darauf kann es im Herbst nur eine
Antwort geben: abwählen!
Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13398, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13025 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Gegenprobe! - Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt
dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Enthaltungen? - Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung ({0})
Nr. 259/2012
- Drucksache 17/13024 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- Drucksache 17/13399 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Dr. Lutz Knopek
Dorothea Steiner
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Phosphate werden hauptsächlich in der Landwirtschaft als Pflanzendünger verwendet. In Oberflächengewässern stellen sie eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar und müssen deshalb auf ein Minimum
reduziert werden. Bisher liegt der Anteil von Phosphat
aus Maschinengeschirrspülmitteln in Haushaltsabwässern in Deutschland bei circa 10 Prozent. Der
Hauptanteil von Phosphaten im Abwasser stammt aus
den menschlichen Ausscheidungen und aus Düngern
in der landwirtschaftlichen Nutzung. Dank des hohen
Anschlussgrades an dreistufige Kläranlagen werden in
Deutschland etwa 90 Prozent des Phosphats aus den
Haushaltsabwässern entfernt.
Ganz besonders lobenswert ist, dass deutsche Haushaltswaschmittelhersteller bereits schon seit Mitte der
80er Jahre freiwillig auf Phosphate verzichten. Damit
ist Deutschland Vorreiter in Sachen Umweltschutz.
Bisher hatte jeder EU-Staat seine eigene Regelung
in Bezug auf den Gehalt von Phosphaten in Waschund Reinigungsmitteln. Das Europäische Parlament,
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der
Ministerrat haben sich dann aber im Dezember 2011
auf eine Änderung der Gesetzgebung für Wasch- und
Reinigungsmittel, die sogenannte europäische Detergenzienverordnung, geeinigt.
Kernbotschaft der neuen Phosphatverordnung ist
die Begrenzung des Phosphatgehalts, die zunächst ab
2013 für Textilwaschmittel gelten wird. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese Begrenzung auch auf Maschinengeschirrspülmittel ausgeweitet werden. EUweit wird für Haushaltswaschmittel ab dem Jahr 2013
nur noch die sehr geringe Menge von 0,5 Gramm pro
Waschladung an Phosphor erlaubt sein. Damit wird es
europaweit bald so gut wie kein Phosphat mehr als Inhaltsstoff in Waschmitteln geben. Auch für Maschinengeschirrspülmittel wird ab dem Jahr 2017 nur noch
0,3 Gramm Phosphor als Höchstwert pro Spülgang
festgelegt. Somit gilt dann auch hier: so gut wie kein
Phosphat mehr in Maschinengeschirrspülmitteln. Die
Hersteller werden europaweit neue Produkte mit Phosphatersatzstoffen auf den Markt bringen müssen, die
unschädlich für Mensch und Umwelt sind. Es existieren bereits solche Waschmittel, sie müssen nur noch
überall erhältlich sein und müssen sich noch europaweit durchsetzen.
Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die EUPhosphatverordnung hinsichtlich ihrer materiellen
Vorschriften keiner Umsetzung in nationales Recht.
Für eine wirksame Durchführung der Vorschriften ist
in Deutschland jedoch die Schaffung von Sanktionsvorschriften notwendig. Bei der heutigen Lesung des
Gesetzes zur Durchführung der sogenannten Phosphatverordnung geht es also um die rechtlichen
Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der Verordnung ({0}) Nr. 259/2012 in Deutschland. Der Gesetzentwurf sieht die Schaffung von Sanktionsvorschriften im Wasch- und Reinigungsmittelgesetz vor,
die der Ahndung von Verstößen gegen die EU-Verordnung dienen. Darüber hinaus werden bestehende Anordnungsbefugnisse der Landesbehörden erweitert sowie Anordnungsbefugnisse des Umweltbundesamtes
im Rahmen der Durchführung von EU-Schutzklauselverfahren effektiver ausgestaltet. Die Vollstreckung
derartiger Notfallanordnungen des Umweltbundesamtes wird den Ländern übertragen.
Der Bundesrat hatte am 22. März 2013 zu dem Gesetzentwurf lediglich eine Änderung beschlossen, die
ein Detail der Vollstreckungsregelung für die UBA-Anordnungen betrifft. Die Bundesregierung hat dieser
Änderung in ihrer am 10. April 2013 im Bundeskabinett beschlossenen Gegenäußerung zugestimmt. Dies
übernehmen wir als Koalitionsfraktionen mit unserem
Änderungsantrag, dem die Ausschüsse bereits zugestimmt haben.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat bei seinem Entstehen keine Konfliktpunkte aufgeworfen. Damit steht
dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am
7. Juni 2013 im Bundesrat nichts im Wege, und so können wir mit einer Verkündung noch vor der Sommerpause rechnen.
Mit diesem Gesetz werden wir einen Beitrag zur Reduzierung der Phosphatzufuhr in allen europäischen
Gewässern und damit zum Schutz der Binnengewässer
und des Meeres gewährleisten. Dadurch kommen wir
auch dem einheitlichen Binnenmarkt in diesem Bereich ein Stück näher, und vor allem einem besseren
europaweiten Schutz unserer Gewässer und Meere.
Letztes Jahr wurden auf EU-Ebene harmonisierte
Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und
anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Geschirrspülmitteln eingeführt. Die Bundesregierung hat
zur Umsetzung dieser seit 2012 bestehenden EU-Phosphatverordnung ({0}) Nr. 259/2012 ein Begleitgesetz
in den Bundestag eingebracht, über das wir heute in
zweiter und dritter Lesung abstimmen. Die EU-Verordnung selbst bedarf keiner Umsetzung in nationales
Recht. Erforderlich ist aber hierzulande eine Änderung des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes, um die
rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der
EU-Verordnung zu schaffen, mit der der Phosphateintrag in europäischen Gewässern gesenkt werden soll.
Mit dem heute zu beratenden Gesetz sollen sowohl
Sanktionsvorschriften beim Verstoß gegen die EUPhosphatverordnung als auch die Befugnisse der zuständigen Behörden geregelt werden. Mit einer entsprechenden Bußgeldvorschrift soll eine wirksame
Durchsetzung der neuen EU-Phosphatbegrenzungsregelungen in Deutschland gewährleistet werden.
Wir begrüßen diese Neureglung. Denn noch vor einigen Jahren waren Phosphate fester Bestandteil unserer Waschmittel und haben so die Gewässer stark belastet. Wer kennt sie nicht, die Schaumkronen auf den
Flüssen und Bächen: ein Resultat der Salze der Phosphatsäure, sprich: Phosphat. Diese Phosphate tragen
zur Überdüngung der Gewässer bei und verstärken dadurch das Algenwachstum, was wiederum zur Folge
hat, dass gerade im Sommer ein Sauerstoffmangel in
Gewässern entsteht. Dies ist für die Fische zum Teil lebensbedrohlich.
Viele Hersteller und Vertreiber von Wasch- und Reinigungsmitteln in Deutschland haben schon in den
letzten Jahrzehnten zu phosphatfreien Produkten geZu Protokoll gegebene Reden
wechselt. Denn inzwischen sind umweltschonendere
Alternativstoffe verfügbar, die die Funktion der Phosphate übernehmen und eine wirksame Reinigung gewährleisten. Dieses Engagement der heimischen Unternehmen begrüßen wir ausdrücklich. Und dass
diesen Vorreitern jetzt gesetzliche Regelungen für eine
europaweite Begrenzung von Phosphaten folgen, zeigt,
dass Deutschland in manchen Bereichen immer noch
seinem Anspruch als Umweltvorkämpfer gerecht wird.
Daher stimmen wir auch dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zu. Wir würden uns aber
sehr wünschen, dass auch in den anderen wichtigen
Fragen der Umweltpolitik die Bundesregierung wieder
Vorbild würde.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet die Neureglung ganz konkret, dass ab dem 30. Juni
2013 keine Waschmittel, die für sie bestimmt sind, mit
einem Gesamtphosphorgehalt von 0,5 Gramm oder
mehr in der empfohlenen Menge pro Standardwaschladung mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Das betrifft Vollwaschmittel für normal verschmutze Wäsche
und Feinwaschmittel für leicht verschmutzte Wäsche.
Ab dem 1. Januar 2017 geht es noch weiter: Dann darf
es auch keine Maschinengeschirrspülmittel für Verbraucher mehr geben, die einen Gesamtphosphorgehalt von 0,3 Gramm oder mehr pro Standarddosierung
aufweisen. Die neuen Grenzwerte führen in der Praxis
dazu, dass Phosphate aus den Produkten europaweit
verschwinden werden. Dies trägt nicht nur zur Verbesserung der Gewässerqualität bei, sondern hilft auch
den Klärwerken, teure Phosphatfällungsmittel einzusparen.
Europarechtliche Vorgaben sind die eine Seite der
Medaille beim Thema Umweltschutz, konkrete Tipps
und Aufklärung für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind die andere Seite. Daher freue ich mich,
dass es vor einer Woche, am 10. Mai, zum zehnten Mal
den bundesweiten Aktionstag „Nachhaltiges ({1})Waschen“ gab, der auch ein offizielles Projekt der Weltdekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist. Initiiert wurde der Aktionstag
unter anderem vom Industrieverband Körperpflegeund Waschmittel, der zu diesem Anlass Akteure aus
Verbraucherverbänden, Behörden, Umweltorganisationen und Forschungsinstituten mobilisierte. Ob beim
Infostand der Landfrauen in der Oberpfalz oder auf
Waschfesten in Ravensburg, rund um den 10. Mai bemühten sich überall in Deutschland Menschen, den
Verbrauchern das nachhaltige Waschen näherzubringen.
Gerade beim Waschen und Spülen wird eine Menge
Energie, Chemie und Wasser verbraucht. Daher muss
Ziel sein, noch mehr Verbraucher für den bewussten
täglichen Umgang mit den wertvollen Ressourcen zu
gewinnen. Das schont auch den eigenen Geldbeutel;
denn steigende Energiepreise reißen große Löcher in
das private Budget. Wer bewusst und schonend mit der
Energie beim Waschen und Spülen umgeht, gewinnt
immer: Sein Beitrag für die Allgemeinheit hilft gleichzeitig, privat Geld zu sparen.
Im Alltag nützt es schon, ein paar einfache Regeln
zu beherzigen. Dazu gehören zum Beispiel die Energiesparprogramme bei Geschirrspülern und Waschmaschinen oder der Einsatz von niedrigen Temperaturen und einer geringeren Dosierung.
Die Umsetzung dieser praktischen Tipps beim nachhaltigen Waschen, Abwaschen und Reinigen leistet in
Kombination mit dem Gesetz, das wir heute gemeinsam beschließen, einen entscheidenden Beitrag zum
Schutz der Qualität unserer Flüsse, Seen und küstennahen Gewässer in der gesamten EU.
Um den Phosphatgehalt in den Gewässern zu senken, wurde 1980 in Deutschland die Phosphathöchstmengenverordnung erlassen. Die Hersteller von
Waschmitteln wurden dadurch verpflichtet, die zulässige Phosphathöchstmenge in Wasch- und Reinigungsmitteln 1981 um 25 Prozent und 1984 um insgesamt
50 Prozent gegenüber dem Stand von 1980 zu reduzieren. Die Phosphathöchstmengenverordnung betrifft allerdings nur phosphathaltige Waschmittel, die zur Reinigung von Textilien im Haushalt oder in Wäschereien
bestimmt sind. 1986 war etwa die Hälfte aller Waschmittel phosphatfrei und 1987 bereits zwei Drittel. Heute
sind praktisch nur noch phosphatfreie Waschmittel auf
dem Markt. Aufgrund des Einsatzes phosphatfreier
Haushaltswaschmittel ist der Phosphatverbrauch in
Deutschland bis 1993 auf lediglich 4 000 Tonnen pro
Jahr im Haushaltsbereich gesunken.
Auf europäischer Ebene wurden 2012 mit der „Verordnung in Bezug auf die Verwendung von Phosphaten
und anderen Phosphorverbindungen in für den Verbraucher bestimmten Waschmitteln und Maschinengeschirrspülmitteln“ harmonisierte Vorschriften für die
Begrenzung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Geschirrspülmitteln eingeführt. Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf
die EU-Phosphatverordnung hinsichtlich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung in nationales
Recht. Erforderlich ist jedoch die Aufnahme einer entsprechenden Bußgeldvorschrift ins Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, um eine wirksame Durchsetzung
der neuen EU-Phosphorbegrenzungsregelungen in
Deutschland zu gewährleisten.
Mit diesem Gesetz, das in der Sache völlig unstreitig
ist, werden die dazu notwendigen Anpassungen im
Wasch- und Reinigungsmittelgesetz vorgenommen.
Deutschland kommt damit seinen europäischen Verpflichtungen nach. Mehr ist für den Deutschen Bundestag nicht zu tun.
Wir befassen uns hier mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der sogenannten PhosphatVerordnung der Europäischen Union. Inhaltlich werZu Protokoll gegebene Reden
den mit diesem Entwurf die Möglichkeiten der Landesbehörden zur Durchsetzung der Phosphat-Verordnung
konkretisiert.
Schauen wir uns also die diesem Entwurf zugrunde
liegende Phosphat-Verordnung einmal genauer an.
Mit der Verordnung werden EU-weit harmonisierte
Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und
anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Geschirrspülmaschinen eingeführt. Ab dem 30. Juni
dieses Jahres dürfen für Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmte Waschmittel nicht mehr in Verkehr
gebracht werden, wenn sie einen Gesamtphosphorgehalt von 0,5 Gramm oder mehr in der empfohlenen
Menge für eine normale Waschmaschinenfüllung aufweisen. Fast vier Jahre später, ab Januar 2017, soll
auch für die für Verbraucherinnen und Verbraucher
bestimmten Geschirrspülmaschinen eine Begrenzung
eingeführt werden: Hier gilt dann ein Wert von
0,3 Gramm Gesamtphosphorgehalt pro Standarddosierung.
Das Problem bei den Phosphaten ist, dass sie mit
dem Abwasser wieder in den Kreislauf gelangen.
Große Mengen an Phosphaten führen in Gewässern zu
einem Überangebot an Nährstoffen und damit zu massivem Algenwachstum und einer Minderung des Sauerstoffgehaltes - die Fische sterben, das Gewässer
kippt um. Wasch- und Reinigungsmittel sind in Europa
generell eine der Hauptquellen für die Belastung mit
Phosphaten. Die Begrenzung des Phosphatgehaltes in
der Verordnung ist daher ein wichtiger Schritt für den
Schutz unserer Gewässer. Dadurch werden vor allem
auch die bisher in den einzelnen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sehr unterschiedlich gehandhabten Höchstmengen angeglichen.
In Deutschland ist aufgrund der Phosphathöchstmengenverordnung aus dem Jahre 1980 der Phosphateintrag in die Gewässer aus Waschmitteln jedoch ohnehin relativ gering. Problematischer verhält es sich
da mit Geschirrspülmaschinen - leider soll für diese
der Begrenzungswert von 0,3 Gramm Gesamtphosphorgehalt pro Standarddosierung erst ab 2017 gelten.
Warum nicht früher?
In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken:
70 Prozent der Phosphateinträge in Gewässern stammen aus diffusen Quellen. Der größte Teil der Phosphatbelastung stammt aus der Landwirtschaft, so zum
Beispiel in der Ostsee. Hier besteht ein wesentlich größerer Handlungsbedarf.
Zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die Erweiterung der entsprechenden Bußgeldvorschrift bei
Verstößen gegen die neuen Phosphorbegrenzungsregelungen ist zu begrüßen. Die Phosphat-Verordnung
muss jedoch auch tatsächlich durchgesetzt werden
können, und dazu sind Kontrollen und für diese genügend Kapazitäten sicherzustellen.
Durch diese Richtlinie wird die Belastung von häuslichen Abwässern mit Phosphor vermutlich unter die
Hälfte des jetzigen Zustandes sinken. Deshalb sollte
wissenschaftlich untersucht werden, ob bei vorhandenem guten chemischen Gewässerzustand weiter am
Zubau phosphateliminierender Kläranlagen festgehalten werden muss oder ob Energieverbrauch, Ausfällmittel und Ressourcenbedarf dieses Ausbaues in
Summe nicht negativer auf die Umwelt wirken.
Es ist wichtig, dass neben dieser Richtlinie, gerade
bei den diffusen Eintragsquellen für Phosphor weitere
Bemühungen erfolgen, um Phosphateinträge weiter zu
verringern. - Gewässerschutz hilft uns allen.
Wasch- und Reinigungsmittel sind eine Hauptquelle
für die Belastung von Gewässern mit Phosphaten.
Phosphat und Phosphorverbindungen in natürlichen
Gewässern führen zu einem Nährstoffüberangebot,
das ein massives Algenwachstum und eine Minderung
des Sauerstoffgehaltes zur Folge hat. Phosphate haben
zudem die unangenehme Eigenschaft, dass sie Verbindungen mit Schwermetallen eingehen. Diese Eigenschaft macht ihre Verwendung in Wasch- und Maschinengeschirrspülmitteln zusätzlich problematisch, da
sie abgelagerte Schwermetalle in Gewässern mobilisieren.
Auf den Einsatz von Phosphaten in Waschmitteln
wird von den Herstellern inzwischen weitgehend verzichtet, da sie in der Vergangenheit rasch zur Überdüngung und schließlich zum Umkippen von Gewässern geführt haben. In Waschmitteln sind sie kaum
noch zu finden, in Geschirrspülmitteln und sonstigen
Reinigungsmitteln leider noch häufiger.
Eigentlich benötigt die EU-Phosphatverordnung
aus dem letzten Jahr, die die Verwendung von Phosphat und Phosphorverbindungen einschränkt, keine
Umsetzung in nationales Recht, da sie unmittelbare
Geltung in allen Mitgliedstaaten hat, auch in Deutschland. Die Bundesregierung legt hier eine Anpassung
des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes vor, um
Sanktionen bei Verstößen gegen die EU-Phosphatverordnung festzulegen und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden zu klären. Mit dem Gesetzesvorschlag der Regierung soll also ein wirksamer
Vollzug der EU-Verordnung sichergestellt werden, um
den Phosphateintrag in europäischen Gewässern weiter abzusenken.
Klar ist: Wo EU-Regelungen zum Schutz der
Umwelt direkt gelten, ist die Regierung verantwortlich
für den Vollzug dieser Regelungen, damit sich alle
Hersteller an die Vorgaben halten. Das kann mit der
Gesetzesänderung erreicht werden, indem die Voraussetzungen für die Durchsetzung der EU-Grenzwerte
festgelegt werden.
Der verminderte Eintrag von Phosphaten in die
Umwelt schützt die Böden, Gewässer und senkt Kosten
in den Kläranlagen, die diese Stoffe ansonsten aufwendig eliminieren müssen. Wir stimmen dem Vorschlag
der Bundesregierung zu. Er ist sinnvoll für einen besseren Vollzug der EU-Phosphatverordnung.
Zu Protokoll gegebene Reden
Dass bei Verstößen gegen die EU-Grenzwerte wirksame Sanktionen eingeführt werden müssen, ist für uns
selbstverständlich. Auch die Zusammenarbeit der
Bundes- und Landesbehörden muss klar geregelt sein,
damit sich keine Schlupflöcher bilden. Deshalb unterstützen wir die hier vorgenommenen Gesetzesanpassungen an das neue EU-Recht.
Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13399, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13024 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen,
Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt
dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist somit
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Hans-Christian Ströbele, Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und Organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika - Sicherheitsabkommen unter dem Primat der Menschenrechte
gestalten
- Drucksachen 17/13237, 17/13533 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Harald Leibrecht
Heike Hänsel
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Mexiko ist Deutschlands wichtigster Partner in der
Region Zentralamerika. Es ist Zentrum einer Region,
die in unsere Außen- und Handelspolitik meines Erachtens stärker eingebunden werden muss. In meiner
Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen
Parlamentariergruppe befasse ich mich intensiv mit
den Entwicklungen vor Ort.
Der heutigen Aussprache liegt der Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen für eine Neuorientierung im
Umgang mit Gewalt und organisierter Kriminalität in
Mexiko und Zentralamerika zugrunde.
Ich möchte an dieser Stelle zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritte in Mexiko zu unterstreichen
und meine Anerkennung für die erbrachten Reformen
und Erfolge zum Ausdruck zu bringen. Dennoch sehen
wir in den Koalitionsfraktionen auch Defizite, um deren Lösung es in der Zukunft gehen muss; hierzu zählt
ohne Frage die Drogenproblematik und die in diesem
Zusammenhang korrelierende Gewaltsituation.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert,
dass in Mexiko und anderen Staaten Zentralamerikas
staatliche Institutionen mit organisierter Kriminalität
durchsetzt seien. Aus diesem Blickwinkel heraus werden eine Gefährdung der Demokratien und die Untergrabung des Vertrauens der Bevölkerung in staatliche
Strukturen in den betroffenen Ländern angenommen.
Fakt ist: Die zentralamerikanischen Staaten gehen
gegen die organisierte Kriminalität vor, sie stellen sich
also gegen die Unterwanderung der Gesellschaft
durch die organisierte Kriminalität, beispielsweise mit
weitreichenden Maßnahmen gegen den Drogen- und
Menschenhandel. Hier muss die Kooperation der Behörden in Zentralamerika sicherlich verbessert werden, aber den Tenor des Antrags, die Bekämpfung der
Drogenkartelle bewirke eine „Militarisierung auf Druck
der USA“, teile ich nicht.
Im Folgenden nimmt der Antrag Bezug auf das Abkommen zur „Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich“
zwischen Deutschland und Mexiko. Hier sehen die
Antragsteller ebenso wenig die Fortschritte in den Bereichen der „Zusammenarbeit bei der Bekämpfung,
Verhütung und Aufklärung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftund Schleuserkriminalität, des Menschenhandels sowie des Terrorismus“, sondern sie kritisieren ein zu
striktes Vorgehen der Staaten gegen diese Strukturen.
Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität,
insbesondere der Drogenkartelle in Mexiko, hat in den
vergangen Jahren viele unschuldige Opfer gefordert.
Schätzungen gehen von bis zu 70 000 Getöteten aus.
Das ist ein Blutzoll unvorstellbaren Ausmaßes und
eine Entwicklung, die wir als CDU/CSU-Fraktion als
sehr bedrohlich empfinden und einstufen. Aktuelle
Zahlen deuten darauf hin, dass auch unter dem neuen
Präsidenten Enrique Peña Nieto die Opferzahlen noch
nicht gesunken sind. Für eine in die Tiefe gehende Bewertung ist es deshalb noch zu früh.
Die Ausweitung der Kriminalitätsbekämpfung unter
Präsident Calderón ab dem Jahr 2007 hatte in der Tat
zu einem Anstieg der Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte
geführt. Ich möchte an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass unser Partner Mexiko alle rechtsstaatlichen
Maßnahmen ergriffen hat und ergreift, um solchen
Vorwürfen nachzugehen. Alle Beschwerden wurden
vonseiten der Streitkräfte untersucht. Das Oberste
Gericht Mexikos hat zudem in einem Grundsatzurteil
festgestellt, dass Menschenrechtsverletzungen durch
Militärangehörige in Zukunft vor ordentlichen Gerichten verhandelt werden und nicht mehr vor einer Militärgerichtsbarkeit. Die Einbindung der Streitkräfte in
die Bekämpfung des Drogenhandels muss eine zeitlich
begrenzte Maßnahme bleiben.
Zudem hat Anfang dieses Jahres Präsident Nieto ein
neues Opferschutzgesetz unterzeichnet. Das Gesetz
wird die Rechte der Opfer von Straftaten und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere im Hinblick
auf Hilfe, Schutz, Pflege, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, weiter verbessern.
Ich begrüße die Ankündigung von Präsident Nieto,
die Zahl der Opfer im Kampf gegen die Drogenkartelle
einzudämmen und einen stärkeren Fokus auf Prävention, die Einhaltung der Menschenrechte sowie eine
verbesserte Koordination der lokalen, regionalen und
nationalen Polizeikräfte zu legen. Allerdings steht, wie
schon angemahnt, die Umsetzung dieses Wahlversprechens aus. Eines der größten Probleme Mexikos ist
derzeit die hohe Zahl von illegalen Waffen im Land.
Etwa 80 Prozent dieser illegalen Waffen stammen aus
den USA und werden in Zusammenhang mit der Drogenkriminalität ins Land gebracht. Primäres Ziel muss
es sein, den Zustrom illegaler Waffen nach Mexiko zu
stoppen.
In der Gesamtbetrachtung muss ich den Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen als unausgewogen kritisieren:
Es werden darin viele Kritikpunkte aufgezählt, ergriffene Maßnahmen aber systematisch verschwiegen, obwohl diese aus meiner Sicht sehr wohl in die richtige
Richtung führen. Sie betreiben Entwicklungszusammenarbeit mit ideologischer Brille. So kritisieren Sie
die Drogenbekämpfungspolitik von Präsident Calderón
als einseitig, setzen aber Hoffnungen in die Politik des
neuen Präsidenten, der die Fortführung der politischen Agenda seines Amtsvorgängers in der Drogenpolitik angekündigt hat.
Um die Drogenproblematik in Mexiko in den Griff
zu bekommen, stellen sich die Grünen hin und fordern
die Bundesregierung auf, „Reformansätze zur Entkriminalisierung und Regulierung von Drogen“ einzuleiten. In Forderung 19 Ihres Antrages fordern Sie eine
Politik, „die Entkriminalisierung von Drogenbauern
und -konsumenten fördert und Initiativen zu staatlicher Regulierung als Alternative zum prohibitiven
Ansatz und den Umbau zu einer alternativen Drogenpolitik ({0}) unterstützt“. Was
meinen Sie damit? Eine Politik nach dem Motto: „Kokain für alle, und auf einen Schlag sind wir die
gesamte Problematik los“? Insbesondere diese Forderungen machen es für die Koalitionsfraktionen unmöglich, Ihrem Antrag zu folgen. Sie verharmlosen die
Folgen von Drogenmissbrauch.
Die Problematik des Drogenanbaus und -handels
sowie des Missbrauchs weltweit ist trotz gestiegener
Prävention und Bekämpfung immer noch ein großes
Problem. Aber nicht nur in Europa ist der Konsum von
Drogen verbreitet, auch in den Schwellenländern sind
Zuwachsraten unter den Konsumenten zu beobachten.
Ich sehe deshalb drei Hauptelemente, gegen die im
Rahmen einer umfassenden und internationalen Drogenpolitik weiterhin vorgegangen werden muss: illegaler Anbau und Produktion von Drogen, illegaler
Drogenhandel und Drogenschmuggel, Drogenkonsum,
-missbrauch und -abhängigkeit.
Eine umfassende und wirkungsvolle Strategie zur
Eindämmung der internationalen Drogenproblematik
lässt sich nur durch internationale Abstimmungsprozesse umsetzen.
Ebenfalls nicht tragbar ist Ihre Forderung, die
staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf die Bereiche Recht und Justiz, Menschenrechte, Polizeireform,
Kleinwaffenkontrolle, Korruptionsbekämpfung sowie
Reform des Sicherheitssektors auszuweiten, zumindest
soweit sich diese Forderungen auf Mexiko beziehen.
Die deutsch-mexikanische Entwicklungszusammenarbeit wurde 2004 einer Überprüfung unterzogen und
dabei der gestiegenen finanziellen Leistungsfähigkeit
des Landes angepasst. So unterstützt Deutschland
keine Maßnahmen mehr, die Mexiko angesichts seiner
steigenden Wirtschaftskraft in Eigenleistung erbringen
kann. Dem deutschen Steuerzahler - dessen Geld Sie
hier einsetzen möchten - wäre diese Maßnahme nicht
plausibel zu erklären. Es hat aber auch etwas von
Gängelung. Denn damit wird der Anschein erweckt,
dass wir den Mexikanern in diesem Bereich Nachhilfe
erteilen müssten. Davor sollten wir uns hüten. Es ist
vielmehr unsere Politik, die Kooperationssektoren der
Entwicklungszusammenarbeit in Absprache mit den
Partnern festzulegen.
Der Blick in die Region zeigt: In Guatemala existiert bereits ein Arbeitsschwerpunkt „Demokratische
Regierungsführung/Gerechtigkeit“. Auch mit Honduras und Guatemala bestehen bereits heute Kooperationsschwerpunkte im Bereich Bildung; und in El
Salvador fokussieren wir die Zusammenarbeit in ein
regionales Projekt zur Jugendgewaltprävention.
Es bleibt also festzuhalten: Mexiko entwickelt sich
insgesamt positiv. Die Drogen- und Gewaltproblematik ist weiterhin ein Entwicklungshemmnis. Wir sollten
Mexiko auf seinem schwierigen Weg unterstützen und
nicht eine Politik des erhobenen Zeigefingers betreiben. Ursache und Wirkung in der Gewaltspirale sollten nicht verwechselt werden und dazu führen, dass
wir die Sicherheitskräfte Mexikos an den Pranger stellen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Uns liegt heute der Antrag der Bundestagsfraktion
Bündnis 90/Die Grünen „Für eine Neuorientierung im
Umgang mit Gewalt und Organisierter Kriminalität in
Mexiko und Zentralamerika - Sicherheitsabkommen
unter dem Primat der Menschenrechte gestalten“ zur
Abstimmung vor.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen an die Bundesregierung, sämtliche Verhandlungsschritte des Sicherheitsabkommens mit Mexiko ausführlich und
transparent dem Deutschen Bundestag offenzulegen.
Wir erachten es für richtig, dass zwischenstaatliche
Abkommen, die Sicherheitszusammenarbeit sowie
Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Polizei und
Militär zum Gegenstand haben, an bestimmte formale
Anforderungen geknüpft sind, die einheitlich und bindend festzulegen sind.
Es ist tragisch, dass ein Land wie Mexiko trotz positiver wirtschaftlicher Entwicklung im letzten Jahrzehnt
nun durch die organisierte Kriminalität brutal zurückgeworfen wird. Die bisher eingesetzten repressiven
Mittel haben die Drogenmafia nicht wirkungsvoll bekämpfen können. Deshalb ist es richtig, dass wir mehr
präventive Ansätze brauchen. Nur mit flankierenden
sozialpolitischen Maßnahmen kann der organisierten
Kriminalität begegnet werden. Gleichzeitig müssen
Polizei und Militär sich an Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit halten. Nur wenn die Polizei nicht
mehr als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung gesehen wird, kann die Kriminalität erfolgreich
bekämpft werden. Daher ist es besonders wichtig, dass
die Ausbildungsunterstützung klaren formalen Anforderungen entspricht, deren Einhaltung kontinuierlich
kontrolliert wird. Die Forderung nach einem regelmäßigen Bericht über diese Maßnahmen an das deutsche
Parlament inklusive eines Überblicks der politischen
und rechtsstaatlichen Lage in den jeweiligen Regionen
in Mexiko bewerte ich als einen sehr notwendigen und
zielführenden Vorstoß der Antragsteller. Rechtsstaatlichkeit muss die wesentliche Voraussetzung für sämtliche sicherheitspolitischen und polizeilichen Maßnahmen sein. Ich appelliere auch hier an die
Bundesregierung, eine kontinuierliche, strenge Überwachung des Vertragspartners durchzuführen.
Wesentlich entscheidend für die Frage, ob repressive Maßnahmen Erfolge erzielen oder nicht, ist darüber hinaus, dass sie von gut ausgebildeten Polizeimitarbeitern durchgeführt werden und nicht vom
Militär, wie es derzeit in Mexiko leider der Fall ist. Repressives Vorgehen bedarf glaubhafter und starker Sicherheitsstrukturen.
Wie eingangs erwähnt, reichen repressive Maßnahmen jedoch keineswegs aus. Ich teile voll und ganz die
Auffassung des mexikanischen Botschafters, die er mir
in einem Schreiben von dieser Woche mitteilte, dass
eine erfolgreiche Bekämpfung von Gewalt und Verbrechen nur möglich ist, wenn sie mit wirtschaftlicher und
sozialer Entwicklung einhergeht. Der neue mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto setzt auf diese Strategie in seinem neuen sicherheitspolitischen Plan für
das Land. Einen Beitrag hierfür kann - wie in dem Antrag gefordert - ein menschenrechtsbasierter und entwicklungsorientierter Ansatz im Umgang mit organisierter Kriminalität leisten, der mehr Mittel für soziale
Sicherungs-, Bildungs- und Beschäftigungsprogramme,
insbesondere für Jugendliche, bereitstellt. Daraus können positive Effekte für die wirtschaftliche Situation,
vor allem von Jugendlichen, resultieren. Sie werden
weniger wahrscheinlich durch das organisierte Verbrechen angezogen. Die Förderung von Bildung und Beschäftigung stellt daher nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion eine sinnvolle Präventionsmaßnahme
dar.
Allerdings wird ein entwicklungspolitischer Beitrag
das Problem der Mafia in Zentralamerika und Mexiko
mit ihren 70 000 Toten niemals alleine lösen können.
Hierzu bedarf es insbesondere auch Anstrengungen im
Bereich Waffen- und Menschenhandel sowie Geldwäsche. In diesem Kontext ist für uns auch die Forderung
nach einer stärkeren Einbindung der Parlamentarier
sowie nach mehr Transparenz der laufenden Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen zwischen
Deutschland und Mexiko wesentlich.
Ebenso tragen die Industrieländer und Deutschland
eine wesentliche Mitschuld an den Problemen, weil
wir mit den Drogenkonsumenten in unseren Ländern
die Nachfrage erst schaffen. Gleichzeitig wird durch
die Kriminalisierung des Drogenanbaus, -handels und
-konsums die Voraussetzung dafür geschaffen, dass
weltweit Milliarden Euro und Dollar in die organisierte Kriminalität fließen. Deshalb ist ein Umdenken
in der Drogenpolitik notwendig.
Wir schlagen vor, zu Beginn der nächsten Legislaturperiode eine Anhörung dazu zu veranstalten und
eine sachliche Debatte mit Abwägung sämtlicher Argumente zu führen. Im Rahmen dieser Debatte kann
die Frage, wie in Zukunft mit der Legalität von Drogen
umgegangen werden soll, erörtert werden.
Der Drogenkrieg auf dem mittelamerikanischen
Isthmus ist mittlerweile zum größten und gefährlichsten Problem der zentralamerikanischen Länder und
Mexikos avanciert. Die Drogenkartelle stellen mit ihrer Macht die ohnehin schon fragile Staatlichkeit dieser Länder komplett infrage, indem sie jedes Vakuum
füllen, das die Staaten dieser Region durch Armut,
Korruption oder Unvermögen bilden. Nicht umsonst
gilt das Länderdreieck Guatemala-HondurasEl Salvador seit 2011 mit den meisten Toten als die gefährlichste Region der Welt - noch vor dem Irak oder
Afghanistan.
Auch in Mexiko, das unter einer besonderen Brutalität des Drogenkrieges leidet, fielen im vergangenen
Jahr mehr als 70 000 Menschen der Gewalt zum Opfer,
mehr als 26 000 wurden durch den Drogenkrieg aus
Zu Protokoll gegebene Reden
ihren Dörfern vertrieben. Ein katastrophaler Zustand,
der uns nicht kaltlassen kann.
Seit Anfang dieses Jahrzehnts bemühen sich die
USA zusammen mit den Ländern dieser Region, das
Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Seit 2008
hat man im Rahmen der Mérida-Initiative mit mehr als
1,6 Milliarden Dollar die militärische und polizeiliche
Infrastruktur sowie den Ausbau von Grenzkontrollen
finanziert und diese durch Programme zur Stärkung
des Rechtsstaates bis auf die Gemeindeebene ergänzt.
Die Bundesregierung orientiert sich mit ihrem Sicherheitsabkommen, das mit Mexiko kurz vor dem Abschluss steht und um das es hier heute geht, genau daran. Und das ist auch gut so.
In der Analyse der Situation sind wir uns, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, glaube
ich, einig: Die Drogenkriminalität ist eines der größten und gefährlichsten Problemkomplexe, der diese
Region heimsucht und stellt eine akute Gefahr für die
Staatlichkeit der Länder in dieser Region dar. Und
dass etwas getan werden muss, darüber herrscht,
glaube ich, auch kein Zweifel.
Allerdings kommen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, wieder einmal zu einem völlig falschen Schluss: Sie verlangen in Ihrem
Antrag unter anderem, die Polizei und das Militär im
Drogenkrieg nicht weiter zu unterstützen. Eine völlig
irrige und hochgefährliche Forderung, die im Übrigen
auch diametral zu den Wünschen unserer Partnerregierungen in der Region verläuft.
Ich möchte Ihnen auch gerne sagen, warum. Sie
sprechen im Kampf gegen die Drogen von einer Militarisierung und fordern ein Waffenembargo gegen die
zentralamerikanischen Länder. Können Sie sich die
Konsequenzen eines Waffenembargos in dieser Region
vorstellen? Offensichtlich nicht, sonst würden Sie
nicht solche leichtsinnigen Forderungen stellen.
Sollte die Bundesregierung davon abrücken, die
Polizei und Justiz weiter zu unterstützen, würde der
Vorsprung der Drogenkartelle gegenüber den ohnehin
angeschlagenen Staatsapparaten uneinholbar - dies
käme einer Freigabe der Drogen und völligen Kriminalisierung der Gesellschaft gleich. Das Problem in
dieser Region liegt doch nicht in der vermeintlichen
Militarisierung der Gesellschaft oder gar in der Unterstützung der lokalen Polizei und des Militärs. Man
kann doch nicht ernsthaft eine einseitige Abrüstung
fordern, wohl wissend, dass die Gegenseite dies nicht
mitmacht, dass sie dadurch einen uneinholbaren Vorsprung in diesem Drogenkrieg erlangt.
Sie beabsichtigen durch Ihre Kapitulation im Kampf
gegen die Drogen deren Legalisierung durch das Hintertürchen. Das nenne ich heimtückisch, gefährlich
und gewiss nicht im Sinn der Menschen in Mexiko und
Zentralamerika.
Das Problem liegt ganz woanders. Wir müssen
selbstverständlich dem Wunsch der Staaten in der Region folgen und sie weiter im Kampf gegen die Drogen
unterstützen. Wir müssen aber auch versuchen, langfristig die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf
der Angebots- und auf der Nachfrageseite zu verändern.
Wir werden diesen Krieg niemals gewinnen, wenn
es unter unseren Jugendlichen in der EU und in
Deutschland weiter als chic gilt, Kokain zu konsumieren. Wir werden diesen Krieg niemals gewinnen, wenn
es in Zentralamerika für viele Menschen attraktiv oder
gar alternativlos ist, ihren Lebensunterhalt mit dem
Drogenschmuggel zu bestreiten.
Hier müssen wir ansetzen, und ich denke, da ist das
Sicherheitsabkommen mit Mexiko ein guter Schritt in
die richtige Richtung und ein Puzzlestein im Gesamtbild unserer Unterstützung für diese Region. Ich brauche an dieser Stelle wohl auch niemandem zu erläutern, dass hier eine funktionierende und effektive
Entwicklungszusammenarbeit den größten Beitrag
leisten kann.
Ich bitte Sie weiterhin um die Unterstützung der
Länder in der lateinamerikanischen Region im Kampf
gegen die Drogen. Ich bitte Sie aber auch, diesen
Kampf nicht durch undurchdachte Alternativen zu gefährden. Damit würden Sie den ohnehin mehr als brüchigen Frieden in Gefahr bringen und nicht wiedergutzumachende Fehler begehen.
Ich denke, in einer Sache sind wir uns weitgehend
einig: Die Menschenrechtslage in Mexiko ist äußerst
kritisch und hat sich in den vergangenen Jahren weiter
verschlechtert. Die Berichte mexikanischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen sind besorgniserregend und decken sich in weiten Strecken
auch mit den Darstellungen der Bundesregierung. Wir
wissen von Folter, die von Menschenrechtsorganisationen als „systematische, allgemeine und straffreie
Praxis“ beschrieben wird. Das Land leidet unter einer
hohen Mordrate, Gewaltexzessen, extralegalen Tötungen und Verschwindenlassen. Gleichzeitig herrscht
eine fast komplette Straflosigkeit für diese Verbrechen.
Korruption ist weit verbreitet, und die soziale Spaltung
hat sich vergrößert. In den meisten mittelamerikanischen Ländern sieht die Lage nicht viel besser aus.
In dieser Situation verhandelt die Bundesregierung
ein Sicherheitsabkommen mit Mexiko. Es ist allgemein
bekannt, dass Teile des Militärs und viele Polizeieinheiten in Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Wer aber sollen die Kooperationspartner für ein solches Abkommen sein? Es sind eben
jene Behörden, die maßgeblich mitverantwortlich für
die gefährliche Situation von Menschenrechtsverteidigern sind - sei es durch Passivität oder aktive Verfolgung. Ich denke, man sitzt einem Irrglauben auf, wenn
man in dieser Situation in den staatlichen Akteuren
verlässliche Partner für Kooperationen im Sicherheitsbereich sieht.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zwar betont die Bundesregierung immer wieder die
Wichtigkeit von Menschenrechtsklauseln in Abkommen
wie diesem, aber sie muss selbst eingestehen, dass
diese in der Regel nur Makulatur sind. Eine Evaluierung
biete sich im Rahmen von Verhandlungen über Nachfolgeabkommen oder die Verlängerung bestehender Abkommen an, sagt die Bundesregierung in einer Antwort
auf eine Kleine Anfrage - Drucksache 17/7301. Im
Klartext: Die Lage im betroffenen Land ist Ihnen bei
Abschluss des Vertrags nicht relevant.
Vor diesem Hintergrund scheint es mir zunächst unterstützenswert, dass der Antrag der Grünen eine klarere und geregelte Evaluierung laufender Abkommen
fordert. Dies wäre ein richtiger Schritt in Richtung zu
mehr Transparenz und Überprüfbarkeit. Das Hauptproblem wird dadurch jedoch nicht angegangen. Die
Vorstellung, durch Sicherheitsabkommen den Zustand
der Polizeien zu verändern, scheint mir illusorisch,
und ich bin der Meinung, dass keine deutschen Polizisten in Regionen geschickt werden dürfen, in denen eine
so desaströse Lage herrscht wie derzeit in Mexiko.
Und das bedeutet, dass es keine derartigen Abkommen
mit Staaten geben darf, deren Regierungen nicht
grundlegende Rechte ihrer Bevölkerung garantieren
und deren Sicherheitsapparate Teil des Problems und
nicht Teil der Lösung sind.
Dabei stimme ich auch mit den Organisationen überein, die sich in der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko zusammengeschlossen haben, darunter
Amnesty International Deutschland, Brot für die Welt
und Misereor, um nur einige zu nennen. In einem im
Januar 2012 veröffentlichten Positionspapier haben
sie der Bundesregierung unmissverständlich dazu geraten, das Sicherheitsabkommen mit Mexiko abzulehnen. Zuvor müsse in Mexiko ein „Politikwandel in Sachen Menschenrechte“ eintreten.
Die Bundesregierung scheint jedoch das Pferd von
hinten aufzäumen zu wollen: Durch die Kooperation
will sie Einfluss nehmen, ohne im Voraus Bedingungen
zu stellen. Leider gilt dasselbe für den Antrag der Grünen. Ich bin überzeugt, dass dies zu einem PR-Effekt
für die mexikanische Regierung führen wird, sich an
der Situation dort aber wenig ändern wird. Und ich
muss ehrlich sagen, dass ich nicht verstehen kann,
dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das konkrete Abkommen der Bundesregierung mit
Mexiko in ihren Forderungen völlig ignorieren.
Abschließend möchte ich auf einen weiteren Punkt
eingehen, der meiner Meinung nach zu kurz greift. Angesichts der Lage in Mexiko haben die illegalen Lieferungen von Sturmgewehren durch Heckler & Koch zu
Recht zu breiter Empörung geführt. Sie sind aber nur
die Spitze des Eisbergs. Im behandelten Antrag fordern
Sie eine vorübergehende Aussetzung von Waffenlieferungen nach Mexiko. Waffenlieferungen werden aber
keine Probleme lösen, weder in Mexiko noch sonst wo.
Deshalb sehen wir ein lediglich vorübergehendes Aussetzen der Waffenverkäufe als nicht weitgehend genug
an. Wir stehen für einen generellen Stopp der Rüstungsexporte.
Unser Antrag umfasst zwei wesentliche Forderungen: Erstens möchten wir, dass die Verhandlung bilateraler Sicherheitsabkommen - wie das Abkommen, welches die Bundesregierung derzeit mit Mexiko
verhandelt - transparent geschieht. Das Parlament
muss informiert werden. Nur dann können wir unserer
Aufgabe der Kontrolle nachkommen und uns vergewissern, dass beim Kampf gegen Organisierte Kriminalität die Menschenrechte, Prävention, Recht und bürgernahe Polizeiarbeit im Vordergrund stehen. Wir haben
mehrmals bei der Bundesregierung nachgefragt, aber
bisher keine befriedigende Antwort über den Stand der
Verhandlungen und die Inhalte des Abkommens bekommen. Für diese grundlegende Forderung nach Beteiligung bitten wir also um ihre Zustimmung.
Zweitens fordern wir eine Neuorientierung im Umgang mit der Gewalt, der Unsicherheit und der Organisierten Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika.
Bei meiner letzten Reise in die Region stand ich wie
schon zuvor einer Situation gegenüber, die mich hilflos
und nachdenklich zurück ließ. In Honduras ist es bis
auf wenige Ausnahmefälle unmöglich, als Außenstehender noch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
Damit meine ich, Partner in den Institutionen der
Regierung zu finden, bei denen man sich sicher sein
kann, dass sie nicht in kriminelle Aktivitäten verwickelt, korrupt oder vom Organisierten Verbrechen bedroht sind und demnach handeln. Das gleiche gilt für
den Justizapparat. Die Möglichkeit, Menschenrechtsverbrechen nach unseren Vorstellungen zu ahnden,
existiert nicht. Die Hinrichtung des Sohnes der
Universitätsdirektorin, die wir auf dieser Reise kennenlernen konnten, ist bis heute nicht aufgeklärt.
Wahrscheinlich wurden ihr Sohn und sein Freund mit
einer Waffe der Polizei ermordet. Die anhaltende Ermordung von Kleinbauern und -bäuerinnen, die im
Südosten des Landes um ihr Recht auf ein Stück Land
kämpfen, wird ebenfalls nicht geahndet. Hinter ihnen
stehen wirtschaftliche Partikularinteressen. Dieses
sind nur zwei von vielen, vielen Fällen. Der Staat kann
oder will seine wichtigste Aufgabe nicht mehr erfüllen:
die Ausübung des Gewaltmonopols und der Rechtsprechung. Er überlässt das Wohl seiner Bürger und ihre
Sicherheit den wirtschaftlichen Eliten und der Organisierten Kriminalität.
Die Situation in den Nachbarländern stellt sich
ähnlich dar, auch wenn es historisch gewachsene Unterschiede gibt. Aber auch in El Salvador und Guatemala liegen die Mordraten weit über dem weltweiten
Durchschnitt, und rund 98 Prozent der Täter kommen
ungestraft davon. Honduras war 2011 mit 92 Morden
pro 100 000 Einwohner das Land mit der höchsten
Mordrate weltweit, gefolgt von El Salvador mit
69 Morden. Guatemala verzeichnete 39 Morde pro
100 000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland
Zu Protokoll gegebene Reden
liegt diese Ziffer bei 0,9, in Afghanistan bei 2,4 und sogar Südafrika mit 32 Morden liegt auf der Skala noch
darunter.
Mexiko war bis vor kurzem der Konflikt mit den
meisten Todesopfern weltweit. Heute wird die Situation in Mexiko in seiner Dramatik allein von Syrien
übertroffen. In Mexiko sind 60 000 Soldaten im Einsatz
für die innere Sicherheit. Seit 2006 kam es durch die
Ausweitung des Kriegs gegen die Kartelle zu einer
Gewalteskalation, die mehr als 70 000 Todesopfer und
rund 30 000 Verschwundene forderte. Die meisten
Toten sind junge Männer. Doch besonders die Gewalt
gegen Frauen hat unbeschreiblich grausame Formen
angenommen. Der Fall der nördlichen Grenzstadt
Mexikos „Ciudad Juárez“ erlangte traurige Berühmtheit aufgrund der endemischen Gewalt gegen Frauen,
den sogenannten „Feminiziden“.
Unter dem Strich wird eines deutlich: Der repressive Ansatz, der sogenannte Krieg gegen Drogen und
Kriminalität, hat sich als gescheitert erwiesen. Statt
Erfolgen ist vielmehr der beschriebene Anstieg von
Gewalt festzustellen. So kann es also nicht weitergehen. Es braucht einen Paradigmenwechsel.
Natürlich wissen auch wir Grüne, dass es keine einfachen Lösungen für diesen Konflikt gibt. Aber wir
glauben, dass wir aufgefordert sind, diejenigen in der
Region zu unterstützen, die eine friedlichere und sicherere Lebenswelt anstreben. Wir müssen dazu beitragen, dass der Rechtsstaat wieder funktionsfähig und
die Polizei zu einem vertrauenswürdigen Partner wird.
Solange das Militär auf den Straßen ist, werden die
Menschenrechtsverletzungen weitergehen. Wir dürfen
nicht mehr hilflos wegschauen und weiter mit Partnern
kooperieren, deren Institutionen von Korruption zerfressen sind. Deutschland darf kein Sicherheitsabkommen mit Mexiko abschließen, ohne garantieren zu können, dass die Unterstützung in die richtigen Hände
gelangt.
Mit unserem Antrag machen wir erste konkrete Vorschläge. Diese betreffen auch die Hausaufgaben, die
die europäischen Staaten und die USA dringend erledigen müssen: die Bekämpfung von Geldwäsche in unseren Banken und die Kontrolle und Eingrenzung unserer Waffenexporte in die Region. Auch unsere
Einwanderungs- und Handelspolitik gehören auf den
Prüfstand. Wir müssen unseren Teil beitragen, sonst
haben die Regierungen in der Region keine Chance.
Gleichzeitig fordern wir mehr Mittel für soziale Sicherungs-, Bildungs- und Beschäftigungsprogramme,
insbesondere für Jugendliche. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit muss darauf und auf die Bereiche Recht und Justiz konzentriert werden. Der Schutz
der Menschenrechte, die Erneuerung und Stärkung der
Polizei, Kleinwaffenkontrolle und Kampf gegen Korruption müssen in dieser Situation vor Programmen
der Fiskaldezentralisierung oder des Umweltmanagements Vorrang haben.
Die positiven Erfahrungen der Internationalen
Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala,
CICIG, muss evaluiert und regional etabliert werden.
Die erfolgreiche Kommission erhielt noch viel zu wenig Rückhalt in der UNO und von den einzelnen Staaten, die seine Finanzierung bereitstellten. Bestrebungen anderer mittelamerikanischer Länder, die darauf
abzielen, dort ähnliche UN-Missionen zur Bekämpfung der Straflosigkeit zu installieren, müssen aktiv
aufgegriffen werden. Die zivilen Konfliktbearbeitungsmechanismen in der Entwicklungs- und Menschenrechtszusammenarbeit mit Mexiko und Zentralamerika
können weiter ausgebaut werden. Wir bitten um Ihre
Zustimmung zu diesem Antrag und dazu, diese wichtigen Themen nicht wieder in Vergessenheit geraten zu
lassen.
Wir kommen nun gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13533, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13237 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das
sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Gegenprobe! - Bündnis 90/die Grünen. Enthaltungen? Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 17/13026 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 17/13351 ({1}) Berichterstattung:
Abg. Kirsten Lühmann
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Heute schließen wir die Umsetzung der Richtlinie
zum elektronischen Halterdatenaustausch zwischen
EU-Mitgliedstaaten bei bestimmten Verkehrsverstößen
mit im EU-Ausland zugelassenen Fahrzeugen in nationales Recht ab. Damit wird der grenzüberschreitende
Austausch von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte, der sogenannten Cross Border Exchange, CBE, erleichtert.
Konkret geht es um folgende Bereiche: Regelung
des von der Richtlinie geforderten Informationsschreibens im Rahmen des Bußgeldverfahrens, Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung an den
Betroffenen, Regelung der Auskunftserteilung an die
Behörden der Mitgliedstaaten bei Vorliegen der Voraussetzungen der Richtlinie und Festlegung der im
Einzelnen zu übermittelnden Daten und Verankerung
des Kraftfahrt-Bundesamtes, KBA, als nationale Kontaktstelle im KBA-Gesetz.
Diesem, in erster Linie Datenaustausch, geht der
sogenannte „Knöllchenbeschluss“, genauer der EURahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen
und Geldbußen, voraus. Durch ihn wurde zunächst allgemein Rechtssicherheit für eine europaweite Vollstreckung von Geldbußen im Ausland geschaffen.
Jeder, der schon einmal im europäischen Ausland
mit dem Auto unterwegs war, weiß, dass es mitunter
schwierig ist, die lokalen Verkehrsregeln ausreichend
zu kennen und zu beachten, und schon manch einer bekam im besten Fall nach dem schönen Urlaub ein
Knöllchen hinterhergeschickt.
Schon 2011 hat das Kraftfahrt-Bundesamtes in seinem Jahresbericht festgestellt, dass im Jahr 2011 rund
162 Millionen Auskünfte aus dem Zentralen Fahrzeugregister, ZFZR, über Fahrzeug- und Halterdaten an
Polizei-, Bußgeld-, Zulassungsbehörden und andere
berechtigte Stellen erteilt wurden.
In erster Linie dienen diese Auskünfte der Zulassung von Fahrzeugen und der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und -straftaten. Damit
können zum Beispiel Fahrzeughalter ermittelt und ihre
Verstöße entsprechend geahndet werden. Außerdem
werden im ZFZR für einen Zeitraum von sieben Jahren
außer Betrieb gesetzte Fahrzeuge und solche mit Versicherungskennzeichen gespeichert, um bei Bedarf
auch hierzu Auskünfte erteilen zu können.
Das Straßenverkehrsgesetz lässt also schon heute
Auskünfte von Halter- und Fahrzeugdaten bei im Ausland begangenen Verkehrsverstößen zu. Und einige
europäische Länder, darunter auch Deutschland,
haben mit bilateralen Vereinbarungen diesen Datenaustausch untereinander geregelt. Das wird nun vereinheitlicht und bringt Transparenz sowie verbraucherfreundliche Nutzungsmöglichkeiten mit sich. Wenn
wir ein EU-weit angewendetes System haben, das automatisiert, standardisiert, zuverlässig und schnell arbeitet, bringt das für alle Beteiligten Vorteile und vor
allem Rechtssicherheit.
Schon seit geraumer Zeit konnte beobachtet werden, dass eine verstärkte Nutzung von Onlineabrufen
aus dem ZFZR stattfindet. Dies soll nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiter vorangetrieben und
erleichtert werden.
Neue Zeiten erfordern neue Maßnahmen. Weil auch
das Zulassungswesen immer stärker für internetbasierte Vorgänge geöffnet werden soll, müssen wir dafür
sorgen, dass die benötigten Daten sicher und zentral
gespeichert und verwaltet werden. Das soll im Kraftfahrt-Bundesamt geschehen. Dort soll dann bald den
Nutzern eine einheitliche und einfache Anwendung zur
Verfügung stehen, die auf dem neuesten Stand der
Technik ist.
Von dort soll dann auch der Datenaustausch bei bestimmten Delikten stattfinden. Es ist auch klar, dass
diese Daten dann natürlich Grundlage für eine Strafverfolgung sein können.
Das Kraftfahrt-Bundesamt sieht für die Praxis vor,
dass das europäische Ausland dem KBA in Zukunft Anfragen zu Fahrzeugen mit deutschem Kennzeichen
elektronisch übermitteln kann, deren Halterdaten dann
im KBA festgestellt werden können. Die Halterdaten
stellt das KBA dem Auskunft suchenden Mitgliedstaat
zur Verfügung, der dann wiederum dem betreffenden
Fahrzeughalter ein Informations- bzw. Anhörungsschreiben übermittelt.
Bei uns in Deutschland ist es ja so, dass nicht automatisch der Halter, sondern der Fahrer eines Fahrzeuges, das zum Beispiel geblitzt wurde oder in einen Unfall verwickelt worden ist, zur Verantwortung gezogen
werden soll. In anderen europäischen Ländern wird
aber durchaus der Halter zur Verantwortung gezogen.
Daher gelten auch weiterhin die jeweils nationalen
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Die zunächst
von Kritikern befürchtete Vereinheitlichung hinsichtlich der Art der Verstöße oder des Strafmaßes findet
also definitiv nicht statt.
Bis zum 7. November 2013 hätten wir noch Zeit gehabt, um die eingangs genannte EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Wir liegen also gut im Rennen und können heute über einen gut überdachten und
ausgewogenen Gesetzentwurf abstimmen.
„Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Vergehens für einen auswärtigen Fahrer dreimal so hoch
ist wie für einen einheimischen. Viele scheinen immer
noch zu denken, dass die Regeln für sie nicht mehr gelten, wenn sie im Ausland sind. Meine Nachricht ist,
dass sie gelten und dass wir sie jetzt anwenden werden.“ Das sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas
zum innereuropäischen Halterdatenaustauch.
Ich teile seine Auffassung: Eine grenzüberschreitende Verfolgung hat abschreckende Wirkung. Manche
Autofahrer setzen bekanntlich auf das Prinzip Hoffnung, wenn sie im Ausland einen Verkehrsverstoß begehen. Sie warten erst mal ab, ob ein Bußgeldbescheid
den Weg über die bürokratischen Grenzen innerhalb
Europas schafft. Um schwere Verstöße tatsächlich
ahnden zu können, muss der Datenaustausch in der
EU besser werden. Mit diesem Gesetzentwurf bringt
Deutschland jetzt die nationale Umsetzung in Gang.
Die Luft für Verkehrssünder wird bald dünner.
Dem vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zum elektronischen Halterdatenaustausch wird
die CDU/CSU-Fraktion aus diesem Grund ihre Zustimmung geben. Damit wird die Erleichterung des
grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen
über Verkehrsdelikte ermöglicht. Geregelt wird im
Zu Protokoll gegebene Reden
Fünften Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze der elektronische Halterdatenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union bei Verkehrsverstößen, die die
Straßenverkehrssicherheit gefährden. Die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern, ist zentrales Ziel der
Umsetzung der entsprechenden Richtlinie in nationales Recht.
Konkret bedeutet das eine Regelung eines Informationsschreibens im Rahmen des Bußgeldverfahrens
und die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung an die Betroffenen. Zusätzlich wird die
Auskunftserteilung an die Behörden der EU-Mitgliedstaaten geregelt. Das Kraftfahrt-Bundesamt wird als
nationale Kontaktstelle im KBA-Gesetz verankert.
Dort werden ausländische Behörden Daten elektronisch abfragen können. Im Einzelnen sind dies Kennzeichen und Marke des Wagens sowie Name, Adresse
und Geburtsdatum des Halters. Mit diesen Auskünften
können sie dann ein Informationsschreiben an den Autobesitzer schicken, das den Verstoß samt der näheren
Umstände nennt und die Geldbuße einfordert. Verfasst
sein darf dieser Brief nicht einfach in Landessprache.
Vorgeschrieben ist die Sprache des Zulassungsdokuments des Kraftfahrzeugs - also bei Fahrzeughaltern
in Deutschland ein Brief auf Deutsch.
Ins Visier genommen werden insgesamt acht Delikte, bei denen es um Sicherheit im Straßenverkehr
geht. Es geht um Tempoverstöße, Fahren ohne Gurt
oder Schutzhelm, das Überfahren roter Ampeln sowie
Alkohol, Drogen und das Nutzen eines Mobiltelefons
am Steuer. Falsches Parken gehört nicht dazu. Der
Datenaustausch wird dafür sorgen, dass die seit 2010
im Prinzip möglichen sogenannten EU-Knöllchen
mehr Gewicht bekommen.
Es tauchte die Frage auf, ob der Halter oder der
Fahrer des betroffenen Fahrzeugs belangt wird. Die
Regelung ist klar und deutlich in diesem Punkt: Nach
dem Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ ist der
Halter nicht für Taten anderer zu bestrafen. Nur der
Fahrer, der die Verkehrsverstöße im Ausland tatsächlich begangen hat, wird zur Rechenschaft gezogen.
Die Experten des Ministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung gehen bei der Beurteilung, wie viele
Delikte hierzulande auf das Konto von EU-Ausländern
gehen, davon aus, dass sie für etwa 20 Prozent der
Tempoverstöße verantwortlich sind. Das wäre etwa
zehnmal mehr als bisher geahndet wird; denn noch
werden Delikte nur in einigen Staaten weiterverfolgt.
Das vorliegende Gesetz treibt die europäische Integration ein Stück weit voran und leistet einen Beitrag
zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf Europas
Straßen. Ein wesentliches Problem im grenzüberschreitenden Straßenverkehr wird gelöst, und das begrüße ich. Denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
- einer Umsetzung europäischer Vorgaben - wird der
Austausch von Informationen zu Verkehrsdelikten über
die Grenzen hinweg erleichtert. Eine rundum gelungene Sache aus Sicht der Verkehrssicherheit.
Als Polizistin weiß ich, dass es in der Vergangenheit
nicht einfach bis unmöglich war, Rotlichtsünder zum
Beispiel aus Dänemark, Frankreich oder Italien zur
Rechenschaft zu ziehen. So kenne ich einen Fall, bei
dem ein britischer Autofahrer durch Missachten einer
roten Ampel fast einen Unfall verursacht hätte. Der
Betroffene, der dem rasenden Auto noch gerade ausweichen und damit einen schlimmen Unfall verhüten
konnte, ging zur Polizei, um den Fall und das Kennzeichen zu melden.
Doch den Beamten waren die Hände gebunden,
denn der Fahrer war in seine britische Heimat zurückgekehrt; die Behörden dort verweigerten die Herausgabe von Daten und der Verkehrsrowdy kam ungeschoren davon.
Eine erste verbesserte rechtliche Grundlage für die
EU-weite Vollstreckung von Bußgeldern haben wir im
Jahr 2010 geschaffen. Ab einer Grenze von 70 Euro
können seitdem Geldsanktionen aus anderen EU-Ländern in Deutschland vollstreckt werden und umgekehrt.
Die Möglichkeit der EU-weiten Ermittlung von Betroffenen - was ja die Voraussetzung für die Ahnung
von Verkehrsverstößen ist - wird mit dem vorliegenden
Entwurf endlich erweitert. Bislang verweigerten viele
Länder eine umfassende Zusammenarbeit. Statt wie
bisher lediglich mit Österreich und den Niederlanden
im Rahmen bilateraler Abkommen den Austausch von
Halterdaten zu ermöglichen, können wir Ermittlungen
bei bestimmten Ordnungswidrigkeiten nun EU-weit
auch über Landesgrenzen hinweg durchführen.
Bei acht besonders verkehrsgefährdenden Vergehen
können die Länder relevante Daten zu den Haltern abfragen. Dazu gehören unter anderem Rotlichtverstöße,
Trunkenheit im Straßenverkehr wie auch Geschwindigkeitsübertretungen, alles Handlungen, bei denen
klar ist, dass sie nicht zu den Bagatelldelikten gehören
und aufgrund ihres Gefährdungspotenzials auch geahndet werden müssen.
Wichtig und richtig ist, dass die Betroffenen ein Informationsschreiben bekommen. Mit diesem werden
sie über das Verfahren an sich in Kenntnis gesetzt und
über die ihm oder ihr zustehenden Möglichkeiten, die
behördliche Entscheidung anzufechten. Auch die Datenweitergabe ist gut geregelt: Art und Umfang der Informationen über Fahrzeug und Halter sind genau
festgelegt - der Schutz der Daten wird so gewährleistet.
Für die Behörden in Europa stellen wir Rechtssicherheit her. In Deutschland wird das Kraftfahrt-Bundesamt als die nationale Kontaktstelle installiert.
Bei der Debatte dazu ist in Deutschland die Befürchtung aufgetreten, dass über das Einfallstor Europa die Halterhaftung bei uns eingeführt wird, also
Zu Protokoll gegebene Reden
die Möglichkeit, falls die Fahrzeugführenden nicht ermittelt werden können, das Bußgeld für die Regelüberschreitung einfach den Fahrzeughaltenden aufzuerlegen. Dies ist in Deutschland bisher nur bei
Parkverstößen möglich.
Und dabei wird es auch bleiben! Wir werden den
rechtlichen Grundsatz in Deutschland wahren. Persönlich haftbar ist der Fahrende, da er den Verstoß begangen hat. Insofern wird das KBA als zuständige Behörde die Daten deutscher Halter auch nur zur
Fahrerermittlung weitergeben.
Zusammenfassend: Wir begrüßen den vorliegenden
Gesetzentwurf und freuen uns, dieses wichtige Vorhaben voranbringen zu können - für die Sicherheit auf
Europas Straßen. Nicht zuletzt begrüßen wir einen positiven Nebeneffekt - nämlich den, dass sich die Gebühreneinnahme voraussichtlich positiv entwickeln
wird durch das verstärkte Heranziehen ausländischer
Betroffener.
Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den
Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze.
Ziel unseres Gesetzentwurfs ist die innerstaatliche
Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2011/82/EU
zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Delikte. Danach wird der europaweite Halterdatenaustausch bei Verkehrsdelikten
geregelt.
Die Entwicklung der Verkehrssicherheit in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Von über 22 000 Toten
in der alten Bundesrepublik im Jahr 1972 auf letztes
Jahr 3 606 Tote. Weiterhin ist jeder Tote einer zu viel.
Dennoch zeigen diese Zahlen die positive Entwicklung. Auf die großen Erfolge der Verkehrssicherheitsarbeit der letzten Jahrzehnte können wir stolz sein, wir
dürfen uns aber nicht auf ihnen ausruhen. Denn es
sterben noch immer jeden Tag knapp zehn Menschen
auf deutschen Straßen. Im Schnitt starben täglich
knapp 80 Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen
der Europäischen Union. Deswegen hat sich die
christlich-liberale Koalition zum Ziel gesetzt, die Zahl
der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren.
Das können wir nur erreichen, wenn wir bei den
Faktoren Mensch, Infrastruktur und Technik gemeinsam ansetzen. Aber auch die konsequente Ahndung
von in der Union begangenen Straßenverkehrsdelikten
trägt zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit
bei. Wir wollen es ermöglichen, dass die dafür erforderlichen Daten vom informationstechnischen System
des Kraftfahrt-Bundesamtes zentral erfasst und an die
Behörden und Stellen der jeweiligen Länder weitergeleitet werden.
Die Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit ist
auch ein vorrangiges Ziel der Verkehrspolitik der Europäischen Union. Zur Erreichung des Ziels, die Zahl
der jährlichen Verkehrstoten auf den Straßen Europas
in den kommenden Jahren um die Hälfte zu verringern,
hat die Kommission in den Leitlinien zur Straßenverkehrssicherheit 2011 bis 2020 strategische Teilziele
festgelegt. Neben verbesserten Sicherheitsmaßnahmen
für Lkw und Pkw, sichere Verkehrswege oder die Entwicklung intelligenter Fahrzeuge forderte die Kommission auch eine bessere Durchsetzung der Vorschriften.
Zu diesem Zweck sollte laut Kommission ein effizientes System für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch bei bestimmten, die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikten nach dem
Recht des betreffenden Mitgliedstaats eingerichtet
werden, welches dem jeweiligen Mitgliedstaat Zugang
zu den Fahrzeugzulassungsdaten gewährt.
Ein effizienterer grenzüberschreitender Austausch
von Fahrzeugzulassungsdaten, der die Identifizierung
von Personen, die eines die Straßenverkehrssicherheit
gefährdenden Verkehrsdelikts verdächtig sind, wird die
Abschreckungswirkung erhöhen und zu einem vorsichtigeren Verhalten der Fahrer von Fahrzeugen beitragen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Deliktsmitgliedstaat zugelassen sind, und somit tödlichen
Verkehrsunfällen vorbeugen.
Es ist das erklärte Ziel der Koalition, die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen, damit immer weniger
Menschen im Verkehr zu Schaden kommen. Dazu müssen in erster Linie bestehende Regeln durchgesetzt und
weitere technische Verbesserungen bei Fahrzeugen
und Infrastruktur erreicht werden. Die konsequente
Ahndung von in der Union begangenen Straßenverkehrsdelikten durch den grenzüberschreitenden Informationsaustausch ist ein wichtiger Schritt. Besonders
erfreulich ist auch die Zustimmung der Oppositionsfraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Gesetzentwurf.
Die Linke begrüßt es, dass mit der EU-Richtlinie
und diesem Gesetz die EU-weite Verfolgung von Verkehrsverstößen verbessert wird. Dennoch werden wir
uns zu diesem Gesetz nur enthalten, und zwar weil die
Bundesregierung den Datenschutz mal wieder nicht
ausreichend beachtet hat. Ich möchte an dieser Stelle
kurz die Risiken ansprechen, die durch das Gesetz drohen werden.
Erstens: Laut diesem Gesetz soll es ein sogenanntes
automatisiertes Abrufverfahren durch die Finanzbehörden geben. Es scheint Mode zu werden, dass diverse Behörde in - wie es offiziell heißt - Einzelfällen
automatisiert abrufen dürfen, wenn es durch den
Zweck gebilligt wird. Die Folge ist aber meistens die
massenhafte Abfrage und das hier auch noch präventiv. So werden die Finanzbehörden auch gleich zu Ermittlungsbehörden, wenn sie irgendeinen Verdacht haben. Das darf nicht sein.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zweitens: Die Regelung, dass die Daten ausschließlich zu dem sehr eingeschränkten Zweck der Fahrerermittlung verwendet werden dürfen, steht so gar nicht
im Gesetz. Sie taucht nur in den Erläuterungen auf und
da wiederum nur mit einem Verweis auf eine Erklärung
im Verkehrsministerrat zur Diskussion der Richtlinie
selbst. Es ist übrigens bei EU-Umsetzungen auch in
anderen Bereichen üblich geworden, auf diese Art von
Protokollerklärungen zurückzugreifen, wenn es zu
kompliziert ist, aus unterschiedlichen Rechtssystemen
einheitliche Konsequenzen zu ziehen. Deren Einhaltung kann aber kaum jemand überprüfen.
Dasselbe gilt für die Voraussetzung der Datenübermittlung an sich. Auch das ist praktisch kaum zu überprüfen.
Bei der Umsetzung der europäischen Richtlinien
darf der Datenschutz nicht vernachlässigt werden. Das
bedeutet auch die Pflicht, den Umgang mit Daten klar
zu bestimmen und zu begrenzen. Da der vorliegende
Gesetzentwurf das nicht leistet, können wir nicht zustimmen.
Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes, mit dem die Richtlinie
2011/82 der Europäischen Union in nationales Recht
umgesetzt werden soll.
Ziel der Richtlinie und des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, Verkehrsverstöße innerhalb von Europa
über nationale Grenzen hinweg besser ahnden zu können und damit die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern. Das ist für Deutschland als Haupttransitland
von besonderer Bedeutung; denn bisher konnten zahlreiche Verkehrsverstöße von ausländischen Kraftfahrerinnen und Kraftfahrern nur festgestellt und dokumentiert werden, waren aber in großem Umfang nicht
verfolgbar. Genauso wie umgekehrt deutsche Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen ungestraft blieben, die beispielsweise in Italien oder Frankreich mit überhöhten
Geschwindigkeiten geblitzt wurden oder bei Rot über
eine Ampel fuhren. In vielen Fällen bekamen sie keine
Ordnungsstrafe, da die vorhandenen bilateralen Vereinbarungen zur Zustellung und Vollstreckung von
Bußgeldbescheiden aus anderen EU-Staaten wenig
praxistauglich sind. Eine Ausnahme bildet dafür lediglich das Übereinkommen zwischen Deutschland und
Österreich.
Ferner regelt der Gesetzentwurf, dass künftig neben
dem Kraftfahrt-Bundesamt als zuständiger nationaler
Behörde in Einzelfällen auch die Finanzbehörden bei
Auffälligkeiten im Bereich der Umsatzsteuer auf Daten
des Fahrzeugregisters zugreifen können, um Umsatzsteuerhinterziehungen im Bereich des Fahrzeughandels schneller und wirksamer begegnen zu können.
Wir begrüßen, dass mit der vorliegenden Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den zuständigen
Behörden einen besseren Informationsaustausch über
verkehrssicherheitsrelevante Delikte innerhalb von
Europa zu ermöglichen. Das gemeinsame europäische
Onlineinformationssystem EUCARIS, mit dessen Hilfe
die EU-Mitgliedstaaten auf den Gebieten der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung bereits erfolgreich zusammenarbeiten, bietet die technische Basis dafür.
Es ist gut und wichtig für die Verkehrssicherheit in
ganz Europa, dass gerade jene Verstöße, die am häufigsten Ursache für schwere und tödliche Verkehrsunfälle sind, endlich grenzüberschreitend verfolgt und
bestraft werden. Das sind, neben zu hohen Geschwindigkeiten und Rotlichtverstößen, Fahrten unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss. Zu begrüßen ist auch, dass
für die betroffenen Verkehrssünder Transparenz herstellt wird. So regelt das Gesetz, dass sie über das Auskunftsverfahren informiert werden müssen und Informationen darüber abrufen können, welche ihrer
personenbezogenen Daten ins Ausland übermittelt
wurden.
Problematisch bleibt aus unserer Sicht allerdings,
dass im Unterschied zu vielen EU-Staaten in Deutschland die Halterhaftung nicht greift. Das heißt, während
beispielsweise in den Niederlanden im Zweifelsfall
auch die Halter für den festgestellten Verkehrsverstoß
zur Verantwortung gezogen werden können, gilt dies in
Deutschland nur für die schuldigen Fahrer und Fahrerinnen. Dies hat berechtigte verfassungsrechtliche
Gründe, führt aber in der Praxis dazu, dass ausgerechnet zahlreiche schwere Verstöße wie das Fahren mit zu
hohen Geschwindigkeiten ungesühnt bleiben, weil die
Fahrer beispielsweise auf dem Blitzerfoto nicht eindeutig feststellbar sind. Der wissenschaftliche Beirat
beim Bundesverkehrsministerium empfiehlt in dieser
Frage daher schon seit längerem eine Überprüfung
der rechtlichen Möglichkeiten. Denn gäbe es in
Deutschland zumindest eine Übertragung von Teilen
der Bußgeldkosten auf den Fahrzeughalter, wäre die
Aufklärungsquote mit Sicherheit deutlich höher. Hier
hat die Bundesregierung bei der aktuellen Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes mal wieder eine Chance
verpasst.
Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13351
({0}), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/13026 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand.
Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerold
Reichenbach, Michael Hartmann ({1}),
Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum
Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder
Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr
({2})
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m.
§ 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union
Einheitlichen Datenschutz in Europa auf hohem Niveau weiter vorantreiben - Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur
justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit
mit Augenmaß umsetzen
- Drucksache 17/13251 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Der Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen
ist ein zentraler und positiver Bestandteil des europäischen Einigungsprozesses. Verbunden damit sind aber
auch neue und sich ständig ändernde Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden in Europa. Eine effektive Zusammenarbeit zwischen den europäischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden macht dabei auch
einen zunehmenden Datenaustausch erforderlich.
Daher ist ein möglichst einheitliches und hohes Datenschutzniveau in Europa notwendig, wobei im Bereich von Polizei und Justiz die Hoheit der Mitgliedstaaten für den Datenschutz bei innerstaatlichen
prozessualen und polizeirechtlichen Maßnahmen gewahrt bleiben muss.
Der Rahmenbeschluss des Rates - 2008/977/Jl vom 27. November 2008 hat erstmals europäische
Mindeststandards für den grenzüberschreitenden Austausch im Rahmen der justiziellen und polizeilichen
Zusammenarbeit definiert.
Bevor diese Minimalstandards in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden konnten, hat die EU-Kommission mit dem Entwurf der Richtlinie zum Schutz
natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum
Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung
oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr den bisher
eingeschrittenen Weg verlassen und verfolgt nun offensichtlich eine weitgehende Harmonisierung der vorhandenen Regelungen in den Mitgliedstaaten.
Dies wird sowohl durch den Umfang des Richtlinienentwurfs als auch durch den beabsichtigten Anwendungsbereich der Richtlinie bestätigt. Schließlich sollen sich die neuen Regelungen gemäß Art. 2
des Richtlinienentwurfs auch auf den innerstaatlichen
Datenaustausch erstrecken.
Der Bundesrat hat dies in seiner Stellungnahme
vom 30. März 2012 aus meiner Sicht zu Recht kritisiert. Neben dem Erfordernis einer Ausweitung des
Anwendungsbereichs hat er auch zutreffend die Frage
der Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Union
in dieser für die Sicherheit der Mitgliedstaaten so sensiblen Rechtsmaterie, in Zweifel gezogen. Aus meiner
Sicht macht es keinen Sinn, dass der europäische Gesetzgeber nun auch noch den behördeninternen bzw.
länderübergreifenden Datenaustausch regeln will.
Dies würde im Ergebnis nicht nur zu einem enormen
Umsetzungs- und Anpassungsbedarf bei den staatlichen Einrichtungen führen, sondern wäre auch für die
Betroffenen teilweise ein erheblicher Nachteil zu der
bisher geltenden Rechtslage.
Schließlich kennen die nationalen Polizeigesetze
sowie die Strafprozessordnung bereits jetzt eine Vielzahl von unterschiedlichen Auskunfts- und Einsichtsrechten, die einen umfassenden Datenschutz des
Betroffenen in den unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen berücksichtigen.
Vor allem berücksichtigen diese Regelungen auch,
dass es trotz eines höchstmöglichen Grundrechtsschutzes nicht zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen
des polizeilichen Ermittlungs- und Strafverfahrens
kommt.
Die von der EU-Kommission in den Art. 23 und 24
des Richtlinienentwurfs geplanten Dokumentationsund Informationspflichten berücksichtigen dies offensichtlich nicht.
Im Ergebnis stellen diese Pflichten sogar noch Verschärfungen gegenüber den bereits im Entwurf der
Datenschutzgrundverordnung kritisierten Dokumentations- und Informationspflichten dar.
Auch die in Art. 28 und 29 des Richtlinienentwurfs
vorgesehenen Pflichten zur Meldung von Datenschutzverletzungen schießen deutlich über das Ziel hinaus.
Stephan Mayer ({0}) ({1})
Die Pflicht, ausnahmslos alle Verletzungen an die Aufsichtsbehörde zu melden, wird zu einem enormen Verwaltungs- und Bürokratieaufwand führen. Von „Augenmaß“ kann daher aus meiner Sicht keine Rede
mehr sein; vielmehr von Übermaß - und das ist bekanntlich verboten.
Letztlich würden solche übermäßigen Dokumentations-, Informations- und Meldepflichten nur zu höheren Kosten für die Verwaltung und keinesfalls zu mehr
Datenschutz für den Betroffenen führen. Hier fehlt es
eindeutig an einem risikobasierten Ansatz, der berücksichtigt, welche Folgen mit der konkreten Verletzung
einhergehen können, und der zugleich legitime polizeiliche Geheimhaltungsinteressen in Einzelfällen berücksichtigt.
Ein weiterer Kritikpunkt ist aus meiner Sicht das in
Art. 12 des Richtlinienvorschlags geregelte Auskunftsrecht. Dieses geht deutlich über die in den Polizeigesetzen der Länder bestehenden Regelungen hinaus.
Ein rechtsstaatlicher Bedarf hierfür ist jedoch nicht
erkennbar.
Im Gegenteil, in der Fassung des Richtlinienentwurfs würde das Auskunftsrecht sogar in einen unmittelbaren Konflikt mit dem Recht auf Akteneinsicht nach
§ 147 StPO geraten.
Eine vergleichbare Konstellation ergibt sich für
die in Art. 11 vorgesehenen Benachrichtigungspflichten. § 101 Abs. 4 StPO enthält hierzu bereits
eine spezielle Regelung für Ermittlungsverfahren.
Zwischen Art. 11 des Richtlinienentwurfs und § 101
Abs. 4 StPO besteht aber ebenfalls keine Deckungsgleichheit. Hinzu kommt, dass die vorgesehene Regelung in Art. 11 auch noch der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersprechen würde. Dieses hat in mehreren Entscheidungen dargelegt, warum Drittbetroffene bei
bestimmten Ermittlungsmaßnahmen gegebenenfalls
nicht zu benachrichtigen sind. Dies gilt insbesondere
dann, wenn sie von der Maßnahme nur unerheblich
betroffen wurden und anzunehmen ist, dass sie kein
Interesse an einer Benachrichtigung haben. Eine
solche Differenzierung lässt der Richtlinienentwurf
jedoch gerade nicht zu. Die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts würde hinfällig.
Ich habe auch Zweifel, ob der Richtlinienentwurf
dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern gerecht
wird. So differenzieren wir in unseren Gesetzen zwischen strafmündigen und strafunmündigen Kindern
und Jugendlichen. Je nach Alter bestehen besondere
Regelungen etwa zu Löschungsfristen in polizeilichen
Dateien.
Der Entwurf der EU-Richtlinie ermöglicht solche
Differenzierungen nicht. Gemäß Art. 3 Abs. 13 des
Richtlinienentwurfs sind Kinder schlicht alle Personen
unter 18 Jahren. Dementsprechend wäre in Zukunft
eine altersgerechte Differenzierung nicht mehr möglich.
Die von mir genannten Beispiele verdeutlichen,
dass der Entwurf der Richtlinie nicht nur zahlreiche
grundlegende Fragen des Datenschutzrechts anders
bewertet, als dies der Bund und die Länder bisher gemacht haben, sondern dass er auch einige erhebliche
handwerkliche Mängel hat, die noch einer Nachbesserung bedürfen. Dagegen hilft jedoch nicht das von der
SPD-Fraktion eingeforderte „Augenmaß“. Schließlich
bleiben die vorgenannten Punkte in ihrem Antrag
schlicht unerwähnt.
Ein weiterer Mangel des Richtlinienentwurfs besteht im Übrigen darin, dass die Institutionen der EU
von dem angestrebten höheren Datenschutzniveau
ausgenommen sind.
Die in Art. 2 Abs. 3 lit. b des Richtlinienentwurfs
vorgesehene Ausnahme für Organe, Einrichtungen,
Ämter und Agenturen der Union mag regelungstechnisch nachvollziehbar sein, da es auch bisher schon
Sonderregelungen für die vorgenannten Einrichtungen
und Institutionen gibt.
Angesichts des von der EU-Kommission selbst ins
Feld geführten Anspruchs, einen „europäischen Datenschutzrahmen für das 21. Jahrhundert“ zu schaffen,
stellt die Ausnahme eher ein Armutszeugnis dar.
Für Datenübermittlungen oder gemeinsame Informationssysteme innerhalb der Europäischen Union
sollten die neuen Regelungen daher in Zukunft ebenfalls anwendbar sein. Die bisher vorgesehene Ausnahme sollte daher noch gestrichen werden.
Weitere Mängel stammen offensichtlich von der nahezu identischen Übernahme einiger Regelungen aus
dem zeitgleich veröffentlichten Entwurf für eine Datenschutzgrundverordnung.
So ist für mich nicht nachvollziehbar, warum es gerade in einem Bereich, der in besonderer Weise die
subjektiven Rechte des Einzelnen berührt, eines Verbandsklagerechtes bedarf. Dieses stellt einen vollständigen Wertungswiderspruch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung als höchstpersönlichem Recht
dar und ist somit ein weiterer Fremdkörper in dem beabsichtigten Rechtsrahmen.
Die EU-Richtlinie enthält zudem - ebenso wie der
Entwurf für die Datenschutzgrundverordnung - zahlreiche delegierte Rechtsakte und Durchführungsermächtigungen für die EU-Kommission. Diese gilt es zu
reduzieren. Schließlich soll Wesentliches unmittelbar
selbst im Rechtsakt geregelt sein.
Die Bundesregierung hat bisher im Rahmen der Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe bereits an vielen
Stellen Bedenken vorgetragen und auf mögliche negative Folgen der beabsichtigten Regelungen hingewiesen. Mit dieser Position war sie keinesfalls allein. Im
Gegenteil, viele andere Mitgliedstaaten teilen die Bedenken und möglichen negativen Auswirkungen für die
Ermittlungsbehörden bei ihrer täglichen Arbeit. Sie sehen auch, dass viele Regelungen nicht zwingend zu einem verbesserten grundrechtlichen Schutz der BürgeZu Protokoll gegebene Reden
Stephan Mayer ({2}) ({3})
rinnen und Bürger führen werden. Es bedarf daher
- aus meiner Sicht - erheblicher grundsätzlicher Änderungen an der EU-Richtlinie und nicht nur kosmetischer Korrekturen, wie sie von der SPD-Fraktion gefordert werden.
Ich bin zuversichtlich, dass diese in den bevorstehenden Verhandlungen im Europäischen Parlament
und auf Ratsebene gelingen können. Hierfür bedarf es
des heute debattierten Antrags nicht.
Anfang dieses Jahres stellte die Europäische Kommission den Entwurf einer Datenschutzreform vor.
Dieser aus zwei Teilen bestehende Entwurf, nämlich
der sogenannten Datenschutz-Grundverordnung sowie
einer Richtlinie über die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit, soll - so wünscht sich dies die Europäische Kommission - als Gesamtpaket verabschiedet
werden. Momentan wird in Brüssel heftig verhandelt,
und auch die öffentliche Debatte ist seit längerem heftig zugange; vorrangig allerdings über die Grundverordnung, weniger über die Richtlinie.
Diese Fokussierung der öffentlichen, aber auch der
parlamentarischen Debatten halten wir Sozialdemokraten für zu kurz gegriffen. Die Richtlinie gilt zwar
nicht wie die Verordnung unmittelbar für die Mitgliedstaaten und bedarf der Umsetzung in nationale Gesetze. Aber die Frage, welche Vorgaben und Grenzen
die Richtline setzt und welche Spielräume sie für den
nationalen Gesetzgeber lässt, hat weitreichende Folgen für die Arbeit von Polizei, Justiz und Strafverfolgung sowie den Schutz der Bürgerrechte in Deutschland.
Die Kommission will mit ihrem Richtlinienentwurf
EU-weit geltende einheitliche Schutzstandards zur Datenverarbeitung bei der Verfolgung und Verhütung von
Straftaten schaffen und zugleich die Zusammenarbeit
der Polizei- und Justizbehörden verbessern. Dieses
Ziel ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings greift
der Richtlinienentwurf - der ja den bisher die Zusammenarbeit regelnden JI-Rahmenbeschluss 2008/977
ersetzen soll - darüber hinaus. Aus der Logik des
Regelungsansatzes der Richtlinie sind einheitliche
Schutzstandards in der Zusammenarbeit nur zu erreichen, wenn sich die Vorgaben und damit der Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf die innerstaatliche Verarbeitung von Daten durch Polizei- und
Justizbehörden erstreckt.
Damit begibt sich die Richtlinie in das Feld des für
den Innenbereich der Mitgliedstaaten geltenden Subsidiaritätsgrundsatzes. Entsprechend ist umstritten, ob
die EU über diese Datenverarbeitung die Gesetzgebungskompetenz überhaupt besitzt. Genau aus diesem
Grunde hat der Bundesrat in seiner Verantwortung für
die Länderpolizeien eine Subsidiaritätsrüge eingelegt.
Aber auch wenn man die europäische Regelungskompetenz bejaht, wird man im Zuge der - so tituliert
es die Kommission - Vollharmonisierung fragen müssen, warum die EU dann bitteschön nicht gleich ganz
konkret regelt, welche Datenverarbeitungen aufgrund
welcher Befugnisse erlaubt sind.
Anstatt dies zu tun, wird uns ein weichgespülter
Richtlinienvorschlag vorgelegt, der mehr Fragen offen
lässt, als er löst. Das Ziel ist sicherlich erstrebenswert,
doch mangelt es hier an der Umsetzung - insbesondere
vor dem Hintergrund des Datenschutzes und der Betroffenenrechte.
Genau diese Fragen haben die SPD zu einem entsprechenden Antrag bewegt, mit dem sie der Bundesregierung parlamentarische „Leitplanken“ für ihre
Positionierung und Verhandlungen im Rat und der
Ratsarbeitsgruppe mitgeben will.
Wir wollen die parlamentarische Diskussion über
den Richtlinienentwurf, und wir wollen, dass das Parlament konkret benennt, welche Regelungen der Richtlinie entsprechend geändert, ergänzt oder gar gestrichen werden müssen, damit ein ausgeglichenes
Verhältnis zwischen Polizei- und Justizarbeit und den
Persönlichkeitsrechten der Betroffenen in Deutschland
gewahrt bleiben kann.
Die Richtlinie, die die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum
Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung
oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr zum Gegenstand
hat, nennt sich zwar auch „Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen“. Wenn man aber ins Detail geht
und genau liest, stellt man fest, dass den Polizei- und
Justizbehörden in den Mitgliedstaaten mit dieser
Richtlinie breite Zuständigkeiten eingeräumt werden
sollen.
Allerdings können die Mitgliedstaaten nach dem
Entwurf selbst festlegen, ob und welche Sanktionen bei
Verstößen erfolgen. Hier dürften sich dann auch erhebliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten auftun.
Die Güterabwägung zwischen Sicherheit und dem
Schutz vor unzulässiger Einschränkung der Persönlichkeitsrechte ist in den einzelnen Mitgliedsländern
sehr unterschiedlich, und die aktuelle Entwicklung in
einigen Mitgliedstaaten mahnt uns, an ebendieser
Stelle besonders wachsam zu sein. Ich befürchte, dass
das Ziel einer Harmonisierung sowie eines effektiven
Datenschutzes auf diesem Wege gerade nicht erreicht
werden kann.
Ich will einige weitere Punkte in der Richtlinie nennen, die der Verbesserung bzw. Änderung bedürfen,
und die wir mit unserem Antrag aufgreifen:
So sieht der Richtlinienentwurf zwar Informationsund Auskunftsrechte der Betroffenen vor - was grundsätzlich zu begrüßen ist. Diese Betroffenenrechte
werden aber wieder durch sehr weitreichende Ausnahmen eingeschränkt, sodass fraglich ist, ob hier - insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des
EuGH und der Grundrechtecharta - noch ein ausreiZu Protokoll gegebene Reden
chender Grundrechts- bzw. Datenschutz gewährleistet
werden kann.
Auch eine Harmonisierung des Grundrechtsschutzes für die Bürgerinnen und Bürger im Strafverfahren
kann aus deutscher Sicht nicht auf das niedrigste
gemeinsame Niveau in der Europäischen Union abgesenkt werden. Im Gegenteil: Durch Mindeststandards
sollte für die Mitgliedstaaten ein möglichst hohes
Datenschutzniveau festgeschrieben werden, das aber
auch weitere Spielräume nach oben lässt, um jeweils
national höhere Standards weiter zu ermöglichen, wie
dies bei uns in vielen Spezialgesetzen der Fall ist.
Dies können wir bisher so im Richtlinienentwurf
nicht erkennen. Wir fordern, dass die Kommission die
polizeilichen Tätigkeiten genau beschreibt, um unterschiedliche Auffassungen über dieselbe polizeiliche
Tätigkeit zu vermeiden.
Genauso sehen wir dort Nachbesserungsbedarf, wo
der Richtlinienentwurf vom „Bereich der nationalen
Sicherheit“ spricht. Dieser Bereich wird innerhalb der
Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich definiert. Damit
keine unterschiedliche Auslegung der Richtlinie in den
Mitgliedstaaten erfolgt, bedarf es einer klaren Beschreibung und Eingrenzung.
Insgesamt müssen die im Richtlinienentwurf enthaltenen Anforderungen an das mitgliedstaatliche Recht
überarbeitet und mit strengen Vorgaben versehen werden. Dies muss insbesondere hinsichtlich detaillierter
Vorgaben für Inhalte von Normen, hinsichtlich der Datenverarbeitungen bei Kriminalbehörden sowie hinsichtlich prozeduraler Vorkehrungen für Zugriffe von
Kriminalbehörden auf Datenbestände, die nicht zu kriminalbehördlichen Zwecken angelegt wurden, erfolgen. Dazu bedarf es konkreter Regelungen zu umfassenden Verwendungsverboten für eine rechtswidrige
Datenverarbeitung. Hier darf es im Zuge der gewollten Harmonisierung keinen unterschiedlichen Schutz
in den einzelnen Mitgliedstaaten geben.
Darüber hinaus dürfen durch die Richtlinie nicht
nationale Grenzen des Datenaustausches zwischen
Nachrichtendiensten und Polizei im europäischen Datenaustausch aufgeweicht werden - wie beispielsweise
das Trennungsgebot in Deutschland, das erst kürzlich
im Urteil des Bundesverfassungsgerichts erneut aufgegriffen wurde. Eine entsprechende Regelung, die dies
klarstellt, sollte deshalb aufgenommen werden. Wir
sind schon aufgrund unserer Geschichte dazu verpflichtet, dies klarstellend zu fordern.
Die SPD-Fraktion sieht es ebenfalls als sehr problematisch an, dass nach der Richtlinie eine Datenübermittlung an Drittstaaten nahezu uneingeschränkt ermöglicht werden soll. Es kann und darf nicht sein, dass
sich die Mitgliedstaaten innerhalb Europas ein hohes
Datenschutzniveau gegenseitig auferlegen, aber die
Datenübermittlung an Drittstaaten, auch an jene, bei
denen die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien oder
eines akzeptablen Datenschutzes nicht überprüft werden kann bzw. gar infrage steht, ohne große Hürden
zugelassen wird.
Wir fordern deshalb eine Konkretisierung der Regelungen dahin gehend, dass klare materiell-rechtliche
Anforderungen an die datenschutzrechtlichen Regelungen in den Drittländern, in die übermittelt wird, gestellt werden.
Ebenso sollten - gerade vor dem Hintergrund eines
Gesamtpakets aus Datenschutz-Grundverordnung und
Richtlinie - auch gute Ansätze aus der Verordnung
übernommen werden, wie zum Beispiel eine Folgenabschätzung.
Am Ende müssen wir insgesamt beim Erlass dieser
Richtlinie darauf achten, dass Regelungen, die es den
Mitgliedstaaten ermöglichen, die Betroffenenrechte
- insbesondere den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung - einzuschränken, endgültig gestrichen werden. Dies sind wir unseren Bürgerinnen
und Bürgern schuldig.
Wir Sozialdemokraten wollen, dass der Datenaustausch bei der Verfolgung und Verhütung von Straftaten in Europa vorangebracht wird. Wir wollen eine
Richtlinie, die dies auf einem hohen Datenschutzniveau sicherstellt und den Mitgliedsländern Spielräume lässt, höhere eigene nationale Anforderungen
zu erhalten oder zu setzen. Ich glaube, dass wir mit unserem Antrag eine gute Grundlage dazu legen können,
und freue mich auf eine positive Debatte.
„Venire contra factum proprium“ nennt man im Zivilrecht widersprüchliches Verhalten, mithin einen
Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Ein Paradebeispiel für widersprüchliches Verhalten
liefert die SPD-Fraktion ab. Eine Fraktion, die sich für
den größtmöglichen Datenschutzverstoß stark macht,
nämlich für die Vorratsdatenspeicherung, will jetzt den
Eindruck erwecken, ihr seien die Datenschutzvorschriften, die die EU für Polizei und Justiz aufstellen
will, zu lasch. Landläufig drückt man das dann auch
weniger lateinisch vornehm aus und spricht davon,
dass einer die Leute hinter die Fichte führen will.
Es ist schon ziemlich frech, was Sie hier abliefern.
Da beklagen Sie die Möglichkeiten zur Zweckänderung von Daten. Ausgerechnet Sie! Im BKA-Gesetz haben Sie sogar verankert, dass Daten, die aus der Gefahrenabwehr im Wege der Online-Durchsuchung
- bei der Sie ja auch nicht gerade zur Speerspitze der
Datenschützer gehören - gewonnen wurden, zur Strafverfolgung umgewidmet werden dürfen.
Da weinen Sie Krokodilstränen wegen der Übermittlung von Daten an Drittstaaten. Dem Vertrag von
Prüm haben Sie ohne mit der Wimper zu zucken zugestimmt. Der Übermittlung von Fluggastdaten an die
USA haben Sie in Ihrer Regierungszeit ohne auch nur
nennenswerte datenschutzrechtliche Sicherungen zugestimmt. Sicherheitsabkommen mit Ländern wie Vietnam oder auch eine 1 : 1 -Übertragung der Prüm-VorZu Protokoll gegebene Reden
lage auf ein Sicherheitsabkommen mit den USA haben
Sie hier im Hause mit Zähnen und Klauen verteidigt,
nachdem Ihre eigene Regierung dem zugestimmt hatte.
Nicht einmal einem besonderen Schutz von Daten zur
Gewerkschaftszugehörigkeit in einem nationalen Begleitgesetz - wie damals von der FDP-Fraktion vorgeschlagen - haben Sie zugestimmt.
Da geben Sie sich betroffen, wenn Daten von Personen ohne deren Wissen gespeichert werden, die selbst
gar nicht Verdächtige wegen einer Straftat sind. In der
jüngst für verfassungswidrig erklärten Antiterrordatei
haben Sie damals eine uferlose Speicherung von Kontaktpersonen gesetzlich vorgeschrieben - ohne Benachrichtigung, ja selbst mit höchst eingeschränkten
Auskunftsrechten.
Ihr Antrag ist von vorne bis hinten Heuchelei. Wenn
Sie in den Bundesländern, in denen Sie für die Polizeigesetze verantwortlich sind, auch nur die Hälfte Ihrer
hier aufgestellten Forderungen umsetzen würden,
dann gäbe es nicht neuerdings zum Beispiel in Rheinland-Pfalz die heimliche Onlinedurchsuchung.
Natürlich gibt es viele Kritikpunkte, die man berechtigterweise zur EU-Datenschutz-Richtlinie vortragen kann. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Erstreckung auf die innerstaatliche Datenverarbeitung, die
der Bundesrat zum Anlass genommen hat, Subsidiaritätsrüge zu erheben.
Angesichts der innerhalb der EU notwendigen Zusammenarbeit auch bei der Bekämpfung und Verfolgung von Straftaten ist ein Datenaustausch zwischen
den EU-Mitgliedstaaten unvermeidbar. Die FDPFraktion hat dabei immer betont, dass ein Ausbau der
Datenübermittlung auf der anderen Seite einen
Gleichlauf bei der Harmonisierung von Datenschutzbestimmungen in den Mitgliedstaaten erfordert. Die
Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen
können, dass ein einheitliches und hohes Datenschutzniveau in ganz Europa gilt, wenn die Polizei der unterschiedlichen Mitgliedstaaten mit personenbezogenen
Daten umgeht.
In dem Richtlinienentwurf finden sich an vielen Stellen lose Enden. Es werden Legaldefinitionen vorgelegt, an deren einzelne Punkte sich dann aber im
Weiteren keine Schlussfolgerungen knüpfen. Differenzierungen werden angelegt, aber nachher nicht berücksichtigt. Das findet sich richtigerweise auch im
vorliegenden Antrag, beispielsweise im Bezug auf Daten von Kindern.
Auch wenn es der SPD nicht ansteht, sich hier zu
beklagen, in der Sache ist es richtig: Die Zweckänderung bei Daten muss an strikte Vorgaben geknüpft
sein. Der viel zu weit gehende Vorschlag der Richtlinie
hebelt den für den Rechtsstaat zentralen Grundsatz
aus, dass nur Daten erhoben werden dürfen, wo auch
eine Rechtsgrundlage besteht. Wenn aber die Daten da
sind, dann könnten sie nach diesem Richtlinienentwurf
in sehr weitem Umfang für andere Zwecke genutzt
werden.
Auch lässt der Schutz besonders sensibler Daten zu
wünschen übrig, schon innerhalb der EU, erst recht
aber bei einer Übermittlung an Drittstaaten. Nicht
nachvollziehbar ist, dass die EU-Institutionen selbst
nicht dahin gehend einbezogen werden, dass auch sie
einen entsprechenden Datenschutz gewährleisten und
beachten müssen. Auch für die EU-Verträge mit anderen Staaten ergeben sich keine Konsequenzen. Umso
unverständlicher ist dann, dass die EU sich hier anmaßen will, die außenpolitische Souveränität der Mitgliedstaaten dadurch zu untergraben, dass deren bilaterale völkerrechtliche Verträge gegebenenfalls
gekündigt und überarbeitet werden müssen, um an die
Richtlinie angepasst zu werden.
Wie schon beim Verordnungsentwurf zum Datenschutz in der EU finden sich auch im Richtlinienentwurf zahllose Ermächtigungsgrundlagen für delegierte Rechtsakte. Erst recht in dem höchst sensiblen
Bereich der Datenerhebung im Bereich von Polizei
und Justiz ist das natürlich mit dem Wesentlichkeitsprinzip unvereinbar.
Die Bundesjustizministerin setzt sich in der Ratsarbeitsgruppe bereits dafür ein, dass gerade im Bereich,
in dem Datenerhebung mit grundrechtsintensiven Eingriffsbefugnissen verbunden ist, ein hohes Datenschutzniveau in der gesamten EU Einzug hält. Darin
hat sie die volle Unterstützung der FDP-Fraktion.
Unter dem Titel „Schutz natürlicher Personen bei
der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die
zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung,
Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr“ wurde ein Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Verarbeitung personenbezogener
Daten vorgelegt, der besser in der Schublade geblieben wäre.
Vermutlich liegt derjenige nicht ganz daneben, der
vermutet, dass die Richtlinie im Windschatten der ursprünglich mehrheitlich positiv begrüßten Datenschutz-Grundverordnung durchgeschmuggelt werden
sollte - Huckepack sozusagen. Nun wäre der Versuch
eigentlich ja zu begrüßen, eine Europäisierung der
Datenschutzstandards bei der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit zu erreichen - allein schon,
um den sich rasant entwickelnden Datenverkehr zwischen den Strafverfolgungsbehörden, mit ihren Kooperations- und Koordinationseinrichtungen und zentralisierten Datenbanken, einigermaßen rechtssicher zu
gestalten. Davon sind wir jedoch meilenweit entfernt,
und diesem Anspruch wird die Richtlinie überhaupt
nicht gerecht: Darin geht es nämlich eher um die beiden letzten Wörter im Titel der Richtlinie, nämlich sicherzustellen, dass dem freien Datenverkehr von Sicherheitsbehörden Vorfahrt vor dem Datenschutz
eingeräumt wird. Gerade im Interesse einer Harmonisierung auf hohem Datenschutzniveau muss die Kritik
Zu Protokoll gegebene Reden
an dieser Richtlinie deshalb besonders scharf ausfallen.
Die Sachverständigen der Anhörung am 22. Oktober letzten Jahres haben fast einhellig aufs Deutlichste
die Gefahren benannt, die diese Richtlinie für den Umgang mit teilweise hochsensiblen Daten mit sich bringen würde - zumindest wenn sie ohne bedeutende Änderungen umgesetzt werden würde.
Die gravierendsten Probleme, die auf der Anhörung
deutlich herausgearbeitet wurden, sind erstens die viel
zu weit und unklar beschriebenen Zweckbindungsgrundsätze. So hat der Sachverständige Professor
Dr. Hartmut Aden beispielsweise die Kennzeichnung
der Daten nach Herkunft und die Zweckbestimmung
als unerlässlich bezeichnet: nicht nur für Datenschutz
und Datensicherheit, sondern auch für die Qualitätssicherung der polizeilichen Datenbestände. Die Erfahrung zeigt, dass immer wieder erst Datenbanken zu allen möglichen Zwecken eingerichtet werden: im
Rahmen internationaler Abkommen zum Beispiel. Im
zweiten Schritt werden dann die Rechtsgrundlagen
oder Verordnungen vorgelegt, die den Sicherheitsbehörden den Zugriff auf diese privat oder kommerziell
geführten Datenspeicher eröffnen, also von Banken,
Transportunternehmen, Versicherungen und so weiter.
Und selbst im Rahmen der Strafverfolgung gibt es eine
ganze Reihe qualitativ unterschiedlicher Zwecke, zu
denen Daten erhoben werden können. Rechtssicherheit
braucht engste Zweckbindung und Herkunftskennung.
Zweitens ist auch der Grundsatz der Erforderlichkeit alles andere als eng gefasst. Das Prinzip der Datensparsamkeit, als Hauptsäule des Datenschutzes, ist
nicht einmal als Aufgabe formuliert worden.
Und drittens das Problem der Weitergabe an Dritte
und Drittstaaten oder internationale Organisationen.
Die Ausnahmeregelungen der Richtlinie zu Übermittlungsvorschriften sind so weit gefasst, dass sie praktisch eine umfassende Übermittlung zulassen. Der
Sachverständige Dr. Gerrit Hornung hat in seiner Stellungnahme unter anderem die Regelungen zur Datenübermittlung an Drittstaaten als „rechtsstaatlich geradezu schädlich“ bezeichnet. Der Entwurf ließe den
Eindruck entstehen, er „enthalte Sicherungsmechanismen, die de facto nicht bestehen“. Genauso wie bei der
Datenschutz-Grundverordnung sind auch bei der
Richtlinie die Ermächtigungsbefugnisse, die sich die
Kommission selbst zugeschrieben hat, viel zu zahlreich
und weitgehend, so zum Beispiel, wenn sie im Alleingang festlegen kann, was ein „angemessenes Datenschutzniveau in Drittstaaten“ ist. Die Liste der im
Rahmen der Anhörung vorgebrachten berechtigten
Kritik an diesem Entwurf ließe sich beliebig weiter
fortsetzen. Das alles ist in keinster Weise hinnehmbar.
Die SPD hat sich mit ihrem Antrag redlich Mühe
gegeben, die Verbesserungsvorschläge aus der Sachverständigenanhörung aufzulisten und als Verhandlungsauftrag an die Bundesregierung zur weiteren Bearbeitung der Richtlinie weiterzureichen. Alle Mühe
war vergebens - selbst die lange Liste der Stellungnahme hat nicht alle angesprochenen Mängel aufgreifen können. Mal davon abgesehen: Selbst wenn alle
von der SPD vorgeschlagenen Änderungen umgesetzt
würden, würde dies an dem falschen Grundprinzip der
Richtlinie, dass der Datenschutz um die Bedürfnisse
der Sicherheitsbehörden lediglich herumgestrickt
wird, nämlich nichts ändern.
Damit der Schutz persönlicher Daten in der Richtlinie nicht bloß ein reiner Euphemismus bleibt, müsste
die Zielformulierung mindestens klarstellen, dass es
sich um eine Mindestharmonisierung handelt, von der
die Mitgliedstaaten zugunsten eines höheren Schutzniveaus abweichen können. So wie es jetzt aussieht, wird
es genau andersherum laufen: Ein Run auf das niedrigste Niveau in Europa könnte die Folge sein.
Wenn die Stellungnahme des Deutschen Bundestages alle Probleme der Richtlinie benennen und dafür
Lösungen formulieren würde, hätte diese nicht den
Charakter einer Verbesserung oder, wie es in der Stellungnahme formuliert ist, einer „grundlegenden Überarbeitung“, sondern es wäre eine regelrechte Neuformulierung der Richtlinie. Deshalb wäre hier eine
Stellungnahme, die die vorliegende Richtlinie ablehnt
und eine komplette Neuvorlage unter Berücksichtigung der wesentlichen Kritikpunkte verlangt, der solidere Weg.
Es ist gut, dass wir auf der Grundlage des SPD-Antrags heute noch einmal zur EU-Datenschutzreform
diskutieren, weil es alle Bürgerinnen und Bürger betrifft, auch wenn die erforderliche Aufmerksamkeit dafür - trotz aller Skandale - noch immer nicht vorausgesetzt werden kann. Es ist auch gut, dass wir heute
noch einmal einen besonderen Fokus auf den Datenschutz bei der vielfältigen Zusammenarbeit von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden innerhalb der EU
legen.
Denn diese notwendige Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten in der EU bedarf
dringend einer datenschutzrechtlichen Einhegung
durch starke Datenschutzregelungen auf EU-Ebene.
Der „Traum“ zahlreicher EU-Innenminister von einer
unbegrenzten Verfügbarkeit der Daten aller Polizeiund Strafverfolgungsbehörden der 27 Mitgliedstaaten
wird ein Alptraum für die Menschen und ein Ausverkauf der Grundrechte über die europäische Hintertür,
wenn es nicht gelingt, ein starkes EU-Datenschutzrecht auch für den Bereich des Polizei- und Strafrechts
zu schaffen.
Es war auch das Ergebnis einer Sachverständigenanhörung des Innenausschusses, die wir zum überflüssigen und schädlichen, aber nun leider mit Regierungsmehrheit angenommenen Gesetzentwurf zur
Umsetzung des uralten EU-Rahmenbeschlusses namens „Schwedische Initiative“ durchgeführt haben.
Da kamen am Ende auch die von der Koalition vorgeZu Protokoll gegebene Reden
schlagenen Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass
wir ein massives verfassungsrechtliches Problem haben, wenn wir, wie der Rahmenbeschluss es fordert,
unsere Polizei- und Strafverfolgungsbehörden dazu
verpflichten, ihre Daten mit den Behörden anderer
EU-Staaten auszutauschen, ohne zu wissen, wie diese
Daten dort geschützt sind. Das ist aber genau der
Punkt: Es gibt nicht nur keinen für alle EU-Staaten
gültigen Datenschutzstandard im Bereich des Polizeiund Strafrechts. Die Behörden, die die Daten untereinander austauschen, haben noch nicht einmal Informationen darüber, was mit den Daten passiert, die sie
weiterleiten, und sie haben auch keine Ahnung, wie
„sauber“ oder „schmutzig“ die Daten erhoben wurden, die ihnen von anderen übermittelt werden.
Aber diese Schwedische Initiative ist nur ein Detail,
nur ein Ausschnitt, nur eine kleine Ranke im Wildwuchs von EU-Instrumenten im Sicherheitsbereich,
aufgrund derer in der EU personenbezogene Daten
zum Zweck der Verhütung und Verfolgung von Straftaten ausgetauscht werden. Das ist ein Dickicht, vor dem
die von der Datenspeicherung Betroffenen, und im Detail selbst Experten, häufig kapitulieren. Ein Dickicht,
in dem die einfachsten Dinge oft unklar bleiben: Welche Datenschutzregelung gilt? Wie sind die Betroffenen geschützt? Der Rechtsschutz ist unter diesen Umständen völlig unzureichend und bleibt oft Illusion.
Da gibt es informationsverarbeitende Agenturen
und Einrichtungen der EU wie Europol, Eurojust, Olaf
und Frontex. Da gibt es Informationssysteme wie zum
Beispiel das Schengen-Informationssystem, SIS, das
Visa-Informationssystem, VIS, das Zollinformationssystem, ZIS, und Eurodac, da gibt es die schon genannte Schwedische Initiative und den Prüm-Beschluss, die zum Datenaustausch verpflichten. Und
dann gibt es noch Verpflichtungen zur Speicherung
von Daten auf Vorrat, etwa von Telekommunikationsverbindungsdaten oder der nach der geplanten Fluggastdatenrichtlinie. Alle diese Elemente sind irgendwie untereinander verknüpft.
Das ist nur ein grober Überblick über das EU-Recht
im Sicherheitsbereich, das zur Verarbeitung personenbezogener Daten verpflichtet. Um hier dem Datenschutz zur Geltung zu verhelfen, brauchen wir eine
starke EU-Datenschutzrichtlinie im Bereich des Polizei- und Strafrechts, die auch für die innenstaatliche
Datenverarbeitung gilt. Denn wenn die Daten über die
Grenzen fließen - und das steht außer Frage und ist
gewollt -, dann helfen Datenschutzstandards nichts,
die an der Grenze haltmachen.
Natürlich, das ist ein Dilemma: Einerseits ist es unsere Aufgabe, die starken Vorgaben des Grundgesetzes
und des Bundesverfassungsgerichts nach Europa zu
tragen. Andererseits verpflichtet uns die Verfassung
aber auch dazu, die Menschen davor zu schützen, dass
ihre Grundrechte durch die europäische Sicherheitszusammenarbeit verletzt werden. Also müssen wir bindende EU-Datenschutzstandards verhandeln und voraussichtlich gewisse Kompromisse eingehen, die
unsere grundgesetzlichen Standards nicht beeinträchtigen dürfen.
Das ist eine gewaltige und extrem schwierige Gestaltungsaufgabe, der wir uns stellen müssen, um den
Grundrechten im europäischen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts zur Geltung zu verhelfen.
Den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, die die EU-Datenschutzreform verhandeln,
gilt mein großer Respekt.
Ich denke, dass es wegen des bereits fortgeschrittenen Standes der Verhandlungen nicht sinnvoll ist, hier
und heute über die Details des ursprünglichen Richtlinienvorschlages der Europäischen Kommission zu diskutieren. Deshalb gehe ich auf die einzelnen Punkte
des Antrags der SPD heute im Detail nicht ein. Ich
fürchte, der durchaus bereits kritikwürdige Entwurf
der Europäischen Kommission ist infolge der bisherigen Verhandlungen noch problematischer geworden.
Wichtig ist aber, dass auch vom Deutschen Bundestag klare Signale und Positionen für die Verhandlung
dieser Richtlinie an die gesetzgebenden EU-Organe
gehen. Da hätte ich mir an der einen oder anderen
Stelle des SPD-Antrags eine deutlichere Linie gewünscht.
Die grünen Linien und Ziele sind klar: Erstens ein
klares „Ja“ zu Europa und damit ein klares „Ja“ zu einem verbindlichen EU-Datenschutzrecht im Bereich
des Polizei- und Strafrechts, das auch für die innerstaatliche Datenverarbeitung gilt; wir brauchen ein
verbindliches Recht ohne Regelungslücken und Öffnungsklauseln, die die Absenkung des Schutzstandards
ins Bodenlose in das Belieben der Mitgliedstaaten stellen. Zweitens das klare Ziel eines hohen Datenschutzstandards, der unsere verfassungsrechtlichen Standards nicht unterläuft. Drittens der Verbleib der
Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die durch die EU
festgelegten Schutzstandards nach oben zu überschreiten. Viertens bleibt es nicht nachvollziehbar, weshalb
nicht zeitgleich ein Vorschlag für die abgestimmte
Fortentwicklung des Datenschutzrechts bei Europol
und Eurojust vorgelegt wurde. Fünftens sind die Übermittlungsbefugnisse in Drittstaaten völlig inakzeptabel
und in ihrer rückwärtsgewandten Zielrichtung grundsätzlich abzulehnen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13251 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit
einverstanden. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung ({0})
Nr. 528/2012
- Drucksache 17/12955 30388
Vizepräsident Eduard Oswald
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- Drucksache 17/13400 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Dr. Lutz Knopek
Sabine Stüber
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13413 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Beckmeyer
Stephan Thomae
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.
Das europäische Chemikalienrecht wurde in den
letzten Jahren schrittweise unter wesentlicher inhaltlicher Erweiterung von national umsetzungsbedürftigem EU-Richtlinienrecht in unmittelbar geltendes EUVerordnungsrecht überführt.
Die Verordnung ({0}) Nr. 528/2012 des Rates und
des Parlamentes vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten ({1}) ist der letzte größere
Schritt dieses Umbauprozesses. Die Verordnung löst
die auf der Richtlinie 98/8/EG beruhenden bisherigen
Vorschriften zur Zulassung von Biozidprodukten durch
eine inhaltlich in einigen Aspekten weitergehende und
verfahrensmäßig stärker EU-zentralisierte Unionsverordnungsregelung ab.
Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die Biozid-Verordnung keiner Umsetzung in nationales Recht.
Erforderlich ist jedoch eine Anpassung des nationalen
Rechts, mit der die Rahmenbedingungen für eine effektive Anwendung der Verordnung in Deutschland geschaffen werden.
Mit dem Entwurf der „Biozid-Verordnung“ können
wir heute also einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz in die Wege leiten. Schädliche Stoffe, die in Biozidprodukten enthalten sind, stellen nicht nur für die
Umwelt, sondern auch für die Gesundheit von Mensch
und Tier eine potenzielle Gefahr dar. Sie haben aber
auch einen Nutzen; denn sie dienen dazu, Schädlinge
zu töten oder abzuwehren. Sie lähmen beispielsweise
das Nervensystem oder die Vermehrungsfähigkeit von
Schadorganismen. Das macht sie gleichzeitig auch potenziell gefährlich für Mensch und Umwelt. Grundsätzlich darf ein Biozidpräparat nach Art. 19 der Verordnung nur dann zugelassen werden, wenn es keine
unannehmbaren Wirkungen auf die Gesundheit oder
auf die Umwelt hat.
Durch die Umsetzung der Verordnung auch in nationales Recht schaffen wir hier mehr Sicherheit für
Mensch und Umwelt und klare, einheitliche Regelungen.
Die im Mai 2012 verabschiedete Verordnung soll
am 1. September 2013 für alle Mitgliedstaaten der EU
als unmittelbares Recht in Kraft treten und so die bisher geltende Biozidrichtlinie ({2}) ablösen.
Ziel der Verordnung ist es, europaweit das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten zu
regeln. Betroffen ist dabei eine breite Auswahl von
Stoffen, wie etwa Desinfektionsmittel, Holzschutzmittel
oder auch Mittel zur Bekämpfung von Schadnagern.
Kern des Gesetzentwurfs ist die Neufassung des Abschnitts IIa des Chemikaliengesetzes. Künftig soll er
nun die Vorschriften zur Zuweisung von Zuständigkeiten auf Bundesebene, zur Zusammenarbeit der beteiligten Bundesoberbehörden und zur Aufteilung der
Aufgaben zwischen Bund und Ländern enthalten, die
für eine effiziente Durchführung der Biozid-Verordnung in Deutschland nötig sind. Die Behördenstrukturen des bisherigen Rechts werden dabei so weit wie
möglich übernommen.
Dabei geht es insbesondere um die Zuweisung von
Zuständigkeiten auf Bundesebene, die Zusammenarbeit der beteiligten Bundesoberbehörden und die Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern.
Grundgedanke ist hierbei die Herstellung einer möglichst weitgehenden organisatorischen und vollzugsrechtlichen Kontinuität mit dem bisherigen Recht.
Ferner sieht der Gesetzentwurf im Hinblick auf die
neue Biozid-Verordnung Streichungen und Anpassungen zahlreicher Einzelvorschriften vor, die durch die
Biozid-Verordnung überholt oder überflüssig geworden sind. Ebenso sind in der neuen Verordnung Nanomaterialien und behandelte Waren mit eingeschlossen.
Gerade Nanomaterialien, die in der letzten Zeit häufig
Gegenstand von Debatten und Anhörungen waren,
müssen künftig entsprechend gekennzeichnet werden.
Auch die Handhabung bereits heute kennzeichnungspflichtiger Stoffe wird besser geregelt. So dürfen
Biozidprodukte nur noch Wirkstoffe enthalten, die
auch nach EU-Recht für den entsprechenden Zweck
genehmigt worden sind. So müssen also auch Biozide
entsprechend benannt werden. Dabei gelten aber auch
Ausnahmen. So sind Lebens- und Futtermittel, die als
Mückenschutzmittel oder Lockmittel verwendet
werden, von der Regelung nicht betroffen. Auch für
Produkte, die als Verarbeitungshilfsstoffe verwendet
werden, gilt eine Ausnahme.
Um eine transparente Verwendung von bioziden
Wirkstoffen zu gewährleisten, müssen solche für die
nachfolgende Verwendung in Produkten genehmigt
und in eine Unionsliste genehmigter Wirkstoffe aufgenommen werden. Diese wird regelmäßig aktualisiert
und soll öffentlich verfügbar sein. Kriterien, die die
Genehmigung von Wirkstoffen mit bestimmten Eigenschaften von Vorneherein ausschließen, sind in
Art. 5 ({3}) der Verordnung klar definiert.
Durch diese Kriterien bietet die Verordnung umfassenden Schutz vor besonders schädlichen Stoffen, die
als krebserregend, mutagen und reproduktionstoxisch
eingestuft werden, CMR. Ebenso verboten sind Stoffe,
die als PBT ({4}) oder vPvP ({5}) gelten oder endokrin schädigende Eigenschaften
aufweisen.
Ausnahmen von diesen Voraussetzungen sind in diesen Fällen nur unter bestimmten Voraussetzungen
möglich und nur für einen Zeitraum von fünf Jahren
gültig. Für solche Ausnahmen muss im Sinne der Gefahrenabwehr für die Gesellschaft jedoch immer abgewogen werden, ob nicht eine ungiftigere Alternative
verfügbar ist.
Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften sollen in Zukunft gegen einen weniger bedenklichen Wirkstoff ausgetauscht werden. Sollte also ein zugelassenes Produkt
für die gleiche Verwendung existieren, dessen Gesamtrisiko geringer bewertet wird, kann die Bereitstellung
auf dem Markt und die Verwendung eines bestimmten
Biozidprodukts verboten werden. Zugleich muss sichergestellt werden, dass wir notwendige Biozidprodukte jederzeit verfügbar haben. Niemand hätte Verständnis, wenn es wegen überzogener Anforderungen
zum Beispiel zu einer Rattenplage käme. Das unterstreichen wir nochmal mit unserem Entschließungsantrag.
Eine weitere Neuerung, die die Verordnung einführt,
ist auch das vereinfachte Zulassungsverfahren: Biozidprodukte, die keine bedenklichen Stoffe enthalten,
werden in Zukunft durch vereinfachte Verfahren zugelassen.
Um die bürokratischen Hürden zu verringern und
grenzübergreifende Zulassungen zu vereinfachen, gibt
es durch die neue Biozid-Verordnung die Möglichkeit,
bei der ECHA, Europäische Chemikalienagentur, eine
unionsweit gültige Zulassung zu beantragen. So muss
ein Biozid nicht mehr von einem Mitgliedstaat zugelassen werden und diese Zulassung dann im Rahmen der
gegenseitigen Anerkennung auf andere Mitgliedstaaten ausgeweitet werden. Das neue Zulassungsverfahren wird ab Inkrafttreten der Verordnung bis 2020
schrittweise eingeführt, wobei einige Mittel grundsätzlich von der Unionszulassung ausgenommen sind.
Die neue EU-Verordnung ist dauerhaft ein Fortschritt im Schutz von Natur und Umwelt vor möglichen
Risiken von Biozidprodukten. Mit dem Gesetz, das wir
heute beschließen, sichern wir eine schlanke Umsetzung im deutschen Umweltrecht.
Vor genau einem Jahr, im Mai 2012, wurde die neue
EU-Verordnung Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bereitstellung auf dem
Markt und die Verwendung von Biozidprodukten verabschiedet. Was sich hinter diesem sperrigen Begriff
verbirgt, ist die neue Biozid-Verordnung, die ab dem
1. September 2013 angewendet werden muss. Sie führt
inhaltlich die Grundgedanken der bis dato geltenden
Biozid-Richtlinie fort und beinhaltet Vorschriften zu
Zulassung, Kennzeichnung und Verwendung von Biozid-Produkten. Im Bundestag stimmen wir heute über
zweierlei ab: einen Gesetzentwurf zu dieser BiozidVerordnung, den wir unterstützen und dem wir daher
zustimmen, und eine Entschließung der Regierungsfraktionen zum Rattengift, die wir ablehnen.
Worum geht es bei der neuen Biozid-Verordnung?
Biozidprodukte sind Stoffe oder Gemische zur Bekämpfung von Schadorganismen wie zum Beispiel Holzschutzmittel, Desinfektionsmittel, Insektenbekämpfungsmittel
oder auch Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren im
nichtlandwirtschaftlichen Bereich. Für diese Produkte
müssen über das allgemeine Chemikalienrecht hinausgehende Vorschriften gelten, die das besondere Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt berücksichtigen, das diese Produkte haben können.
Wir stehen also vor der Verantwortung, eine Neuregelung umzusetzen, die den Umwelt- und Verbraucherschutz stärken soll, gleichzeitig aber auch die Interessen der betroffenen Wirtschaft berücksichtigt in
Hinsicht auf eine Straffung und weiter gehende Zentralisierung der Verfahren und Entscheidungen.
Eigentlich ist die Biozid-Verordnung unmittelbar
geltendes Unionsrecht und braucht daher keine materielle Umsetzung in nationales Recht. Es müssen aber
die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der Biozid-Verordnung in
Deutschland geschaffen werden. Das betrifft insbesondere die Regelung der Zuständigkeiten und Befugnisse
der beteiligten Behörden. Dies soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung geschehen,
der im Wesentlichen eine Anpassung des Chemikaliengesetzes vorsieht. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf
grundsätzlich zu.
Zu den wesentlichen Neuerungen, die ab September
gelten und die wir begrüßen, zählen unter anderem
diese drei Beispiele, die eine echte Verbesserung für
Bürger und Wirtschaftsunternehmen sind:
Erstens. Die Einführung von Ausschlusskriterien
bei der Genehmigung von Wirkstoffen. Dementsprechend sind jetzt Wirkstoffe, die krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind
oder das Hormonsystem stören - abgesehen von eng
begrenzten Ausnahmen -, nicht genehmigungsfähig.
Zweitens. Die Einführung eines Verfahrens zur
Unionszulassung bei der Europäischen Chemikalienagentur, ECHA, das einem Antragsteller die Möglichkeit bietet, für Biozidprodukte bestimmter Produktarten eine Zulassung zu erhalten, die in allen EUMitgliedstaaten gilt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Drittens. Neue Regelungen für Waren, die mit Biozidprodukten behandelt wurden, das sind zum Beispiel
antibakteriell ausgerüstete Strümpfe oder Matratzen
mit einem Antimilbenstoff. Diese Biozidprodukte dürfen nur Wirkstoffe enthalten, die nach EU-Recht für
den entsprechenden Zweck genehmigt worden sind.
Die Etiketten dieser behandelten Waren müssen eine
entsprechende Kennzeichnung aufweisen. Das ist eine
Verbesserung für alle Verbraucher in Europa.
Damit werden drei Ziele verfolgt, die wir Sozialdemokraten immer in Einklang bringen wollen: Fortschritte für die menschliche Gesundheit, Fortschritte
beim Verbraucherschutz und Erleichterungen für die
Hersteller, die in Europa handeln wollen. Und darum
geht es auch im Kern: Die neue Biozid-Verordnung soll
den freien Verkehr von Biozidprodukten innerhalb der
Europäischen Union verbessern, zur Harmonisierung
des europäischen Binnenmarktes beitragen und
gleichzeitig ein hohes Niveau beim Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutz gewährleisten. Im Bereich der
nachhaltigen Entwicklung begrüßen wir insbesondere,
dass die neue Verordnung auch eine vergleichende Bewertung von Biozidprodukten vorsieht. Dahinter steht
der Gedanke, eine effizientere Suche nach Alternativen
zu bedenklichen Biozidprodukten zu ermöglichen und
damit den Wegfall besonders bedenklicher Biozidprodukte zu beschleunigen. Wir haben immer wieder
gefordert, das Prinzip der Substitution zu stärken, und
sind der Auffassung, dass es unser aller Ziel sein muss,
gefährliche Chemikalien durch ungefährliche Alternativen zu ersetzen.
Auch dem Bericht des Haushaltsausschusses stimmen wir zu, da wir den Gesetzentwurf für vereinbar
halten mit der Haushaltslage des Bundes. Durch den
Gesetzentwurf entstehen für die Wirtschaft - über die
sich unmittelbar aus der EU-Verordnung ergebenden
Belastungen hinaus - keine Kosten. Auch für die Bürgerinnen und Bürger sind keine Auswirkungen auf das
Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, zu erwarten.
Dem Bund entstehen Vollzugskosten im Hinblick auf
die Durchführung der Aufgaben nach der BiozidVerordnung, für deren Wahrnehmung hoch qualifiziertes Personal, insbesondere aus den naturwissenschaftlichen Bereichen der Chemie und Biologie, benötigt
wird.
Und damit sind wir beim Thema. Denn der Umgang
mit Bioziden ist nichts für Laien. Aber genau das will
die Regierungskoalition jetzt durch die Hintertür einführen. Dazu muss man aber nicht nur den Gesetzentwurf genau lesen, sondern auch die heute ebenfalls zur
Abstimmung stehende Beschlussempfehlung des
Umweltausschusses, die nicht nur empfiehlt, den
Gesetzentwurf anzunehmen, sondern auch eine Entschließung, die den Umgang mit Rattengift regelt. Im
Kleingedruckten heißt es dort, dass die Bundesregierung aufgefordert werden soll, „hinzuwirken, dass der
Sachkundenachweis für die Anwendung von blutgerinnungshemmenden Rodentiziden auch von Privatanwendern möglichst unbürokratisch und mit vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand erbracht werden
kann“.
Das ist nichts anderes als ein Einfallstor, damit Privatpersonen praktisch ungehindert mit den als sehr
giftig und giftig eingestuften Rodentiziden umgehen
können und gegebenenfalls mit einer Online-Schulung
möglichst „unbürokratisch und wirtschaftlich“ sich
eine Alibisachkunde besorgen. Auf der Homepage des
Umweltbundesamtes kann sich jeder Verbraucher und
jede Verbraucherin gut informieren, was es mit den
Rodentiziden auf sich hat. Wir lernen dabei Folgendes: „Rodentizide werden zur Bekämpfung von Nagetieren eingesetzt. Aufgrund ihrer Zweckbestimmung,
Säugetiere zu töten, ist ihre Anwendung hinsichtlich
ihrer Wirkung auf Mensch und Umwelt nicht uneingeschränkt unbedenklich. Fehlanwendungen stellen vermeidbare Gesundheitsrisiken dar und können außerdem zu einer verstärkten Resistenzbildung gegenüber
Wirkstoffen bei den Zielorganismen führen. Für eine
erfolgreiche Bekämpfung ist ein hohes Maß an Erfahrung und Fachwissen erforderlich. Aus diesem Grund
ist es sinnvoll, dass Betroffene das Gesundheitsamt
oder einen professionellen Schädlingsbekämpfer einschalten, sobald sie wahrnehmen, dass sie nicht in der
Lage sind, den Schädlingsbefall eigenständig zu tilgen. Eine Bekämpfung wird dann mit professionellen
Schädlingsbekämpfungsmitteln nach dem neuesten
Stand der Technik durchgeführt. Die Anwendung dieser Produkte erfolgt in den verschiedensten Bereichen,
wie zum Beispiel im Innen- und im Außenbereich von
Tierhaltungen und menschlichen Ansiedlungen, in Kanalisationsanlagen sowie in bewohnten und unbewohnten Gebäuden.“
Wie mir Experten bestätigten, wurde im Vollzug fast
Jahrzehnte gekämpft, um diese gefährlichen Stoffe
nicht mehr in private Hände kommen zu lassen. Und
das ist unserer Meinung auch gut so. Denn in der Vergangenheit konnte im Handel das gefährliche Rattengift von jedermann gekauft werden, auch ohne genaues
Wissen, wie mit diesem Gift qualifiziert umzugehen ist.
Das Problem ist: Das Gift lässt die Nager innerlich
verbluten und tötet zeitverzögert. Die Giftrückstände
in den Kadavern werden nicht abgebaut. Dadurch passiert es, dass Haustiere, andere Raubtiere oder Greifvögel die toten Ratten fressen und dann selber verenden. Bei Anwendung von fachlich nicht befähigten
Personen kann das Gift schnell in die Nahrungskette
gelangen. Daher lehnen wir die Pläne der Regierungsfraktionen ab, die die Anwendung von Rattengift durch
Privatleute wieder einführen will. Genau darauf zielt
der Entschließungsantrag laut Punkt b der Beschlussempfehlung des federführenden Umweltausschusses
nämlich ab.
Damit Biozidprodukte keine unannehmbaren Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt haben, aber
dennoch wirksam sind, gibt es seit rund 15 Jahren ein
europäisches Zulassungsverfahren. In Deutschland
sind zahlreiche Behörden und Institute mit dem InverZu Protokoll gegebene Reden
kehrbringen und Verwenden der Biozidprodukte beschäftigt. Dazu gehören die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit der Bundesstelle für
Chemikalien, das Bundesinstitut für Risikobewertung
zur Bewertung gesundheitlicher Risiken und Verbraucherschutz, das Umweltbundesamt zur Bewertung der
Umweltverträglichkeit, das Robert-Koch-Institut zur
Bewertung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln
für den medizinischen Bereich, das Julius-KühnInstitut zur Bewertung der Wirksamkeit von Nagerbekämpfungsmitteln und Vorratsschutzmitteln und die
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.
Die hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtungen arbeiten für viele Bürger
oft im Verborgenen. Daher möchte ich zum Schluss
meiner Rede ausdrücklich den Fachleuten danken, die
durch ihre tägliche Arbeit ganz konkret zum Schutz von
Mensch und Umwelt im Alltag beitragen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden auf
nationaler Ebene die Grundlagen für die Durchführung der EU-Biozid-Verordnung geschaffen. Diese
Verordnung ist bereits am 17. Juli 2012 in Kraft getreten und gilt ab dem 1. September 2013. Sie löst die bisherige EU-Biozid-Produkte-Richtlinie ab, die auch
schon bislang für ein europaweit harmonisiertes Zulassungsverfahren sorgt. Als unmittelbar geltendes
EU-Recht bedarf die EU-Biozid-Verordnung hinsichtlich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung
in nationales Recht. Jedoch bedarf es auf nationaler
Ebene einer klaren gesetzlichen Zuweisung der Zuständigkeiten und Kompetenzen, die durch deutsche
Behörden zur Durchführung der Biozid-Verordnung
wahrgenommen werden.
Wie auch bislang schon ist das Zulassungsverfahren
für Biozidprodukte zweigeteilt. Auf europäischer
Ebene werden die Wirkstoffe zugelassen und auf nationaler Ebene die eigentlichen Produkte, die nur von der
EU bereits zugelassene Wirkstoffe enthalten dürfen.
Zusätzlich, und das ist neu, können Produkte bestimmter Produktkategorien zukünftig auch auf europäischer
Ebene zugelassenen werden. Für die Zulassung auf
nationaler Ebene zeichnet, wie bislang auch, die Bundesstelle für Chemikalien verantwortlich, die eine Risikobewertung im Einvernehmen mit den zuständigen
Bundesoberbehörden vornimmt.
Das vorliegende Durchführungsgesetz dürfte weitestgehend unstreitig sein und findet auch die Zustimmung meiner Fraktion. Kritisch sehen wir jedoch zwei
Punkte des Biozidzulassungsverfahrens, die ich kurz
ansprechen möchte.
Der erste Punkt betrifft die Verordnung selbst. Gemäß Art. 5 der Biozid-Verordnung dürfen Wirkstoffe,
die bestimmte Ausschlusskriterien erfüllen, nur in Ausnahmefällen in Biozidprodukten verwendet werden.
Diese Ausschlusskriterien finden zwar unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung, jedoch erfüllt
es meine Fraktion mit großer Sorge, dass der bewährte
risikobasierte Ansatz des Stoffrechtes hier verlassen
wird. Die sichere Verwendung eines Stoffes auf Basis
einer wissenschaftlichen Risikobewertung steht zukünftig nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr reicht bereits das Vorliegen bestimmter inhärenter Stoffeigenschaften aus, um einen Stoff von der Zulassung
auszuschließen. Es besteht die Gefahr, dass dadurch
Wirkstoffe und Produkte, die für einen ausreichenden
Gesundheitsschutz notwendig sind, vom Markt verschwinden und Investitionen in neue, innovative Produkte unterbleiben.
Der zweite Punkt betrifft die bisherige Vollzugspraxis unter der Biozid-Produkte-Richtlinie in Deutschland. Das Umweltbundesamt hat im Februar 2012 ein
Positionspapier zur Verwendung von Antikoagulanzien in Rodentiziden veröffentlicht, in dem es mitteilt,
zukünftig keine derartigen Rattenbekämpfungsmittel
mehr für die Verwendung durch Privatanwender zuzulassen. Da das UBA Einvernehmensbehörde im Rahmen des nationalen Biozidzulassungsverfahrens ist,
hat die für die Zulassung zuständige Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin diese Maßnahmen
als verbindlich übernommen. Entsprechende Auflagen
sind ersten Herstellern, deren Produkte das Zulassungsverfahren gerade durchlaufen haben, bereits in
den Zulassungsbescheiden gemacht worden. Begründet wird die UBA/BAuA-Entscheidung mit möglichen
Resistenzbildungen beim Einsatz von Rodentiziden sowie der Gefahr möglicher Sekundärvergiftungen von
Nichtzielorganismen.
Diese Argumente halten einer näheren Betrachtung
durch Fachleute jedoch nicht stand. Und in der Tat haben andere europäische Mitgliedstaaten keine solche
Beschränkung vorgenommen. Im Vereinigten Königreich beispielsweise sind Rattengifte auch weiterhin
frei für Privatanwender zugänglich. Auch die Europäische Kommission hält ein generelles Verbot von Rattengiften für nicht angemessen. Die zu befürchtenden
Konsequenzen aus diesem Verbot sind gravierend: Bei
den kommensalen Nagetieren handelt es sich um hygienisch und wirtschaftlich außerordentlich wichtige
Schädlinge. Nach offiziellen Angaben sind rund
700 000 landwirtschaftliche Betriebe mit Vieh- und/
oder Lagerhaltung, 11 200 Kommunen und 40,3 Millionen Haushalte gefährdet. Bekämpfung in der gesamten Fläche ist notwendig. Eine Ausgrenzung von
Privatanwendern würde zu einer erheblichen Ausdehnung von Überlebensräumen und Befallsherden führen,
mit allen Konsequenzen für den Gesundheitsschutz.
Wegen der entstehenden Kosten würden professionelle
Schädlingsbekämpfer erst sehr spät beauftragt, möglicherweise erst nach Bekämpfungsversuchen mit illegalen und tierschutzrechtlich nicht zulässigen Mitteln.
Ich erneuere deshalb an dieser Stelle meine Forderung an Bundesumweltminister Peter Altmaier, dieses
fachlich nicht begründete Verbot zurückzunehmen. Alternativ und das ist Gegenstand des Entschließungsantrages, den die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit
diesem Gesetz verabschieden, sollen die MöglichkeiZu Protokoll gegebene Reden
ten, für Privatanwender einen Sachkundenachweis
zum Einsatz von Rodentiziden zu erwerben, erweitert
und das dazu notwendige Verfahren vereinfacht werden.
Mit diesen kritischen Anmerkungen stimmt meine
Fraktion dem Gesetzentwurf zu. Eine Glanzstunde der
Umweltpolitik ist dies heute für den Bundesumweltminister jedoch nicht.
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der EU-Biozid-Verordnung. Er enthält dementsprechend hauptsächlich Verwaltungsvorschriften und
regelt unter anderem die Zuständigkeiten und Befugnisse der jeweiligen Behörden.
Inhaltlich ist an der längst in Kraft getretenen Biozid-Verordnung nicht mehr zu rütteln - sie gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Dennoch muss der Entwurf eines reinen Durchführungsgesetzes, den wir hier heute debattieren, zum Anlass genommen werden, um den Umgang mit Bioziden
noch einmal sehr genau unter die Lupe zu nehmen.
Biozide sind Wirkstoffe in Schädlingsbekämpfungsmitteln wie zum Beispiel Desinfektionsmittel, Rattengift oder Holzschutzmittel. Deren Einsatz ist häufig unvermeidbar. Dennoch muss der Einsatz von Bioziden
mit größter Vorsicht erfolgen, da erhebliche Gefahren
für die Umwelt und die menschliche Gesundheit drohen. Rattengift zum Beispiel kann Menschen töten. Insektengifte können die Fortpflanzungsfähigkeit von
Frauen und Männern schädigen und Anti-Pilzmittel
können Erkrankungen der Atemwege oder gar Krebs
auslösen. Das Bienensterben nimmt bedrohliche Ausmaße an, weil Pestizide, so nennt man Biozide in der
Landwirtschaft, flächendeckend nach dem Motto „je
mehr, desto besser“ eingesetzt wurden. Wer will, sieht,
es ist höchste Achtsamkeit im Umgang mit Bioziden
geboten, und deren Einsatz ist auf ein Minimum zu reduzieren.
Umso mehr verwundert der im Zusammenhang mit
dem Gesetzentwurf ergangene Entschließungsantrag
der Koalitionsfraktionen: Sie wollen die rechtlichen
Vorgaben für die Schädlingsbekämpfung so gestalten,
dass diese auch durch private Anwender nach wie vor
uneingeschränkt flächendeckend eingesetzt werden
können. Für den Einsatz von blutgerinnungshemmenden chemischen Nagetierbekämpfungsmitteln, sogenannten Rodentiziden, soll ein Sachkundenachweis genügen, den der Anwender in einer Onlineschulung,
also per Internet, erbringen können soll.
Ich nenne das grobe Fahrlässigkeit! Die Damen
und Herren von der Koalition können doch nicht allen
Ernstes erlauben, dass ein im Internet erbrachter
Sachkundenachweis dazu befähigt, angemessen mit
giftigen Chemikalien umzugehen, die auch vom Umweltbundesamt äußerst kritisch betrachtet werden, da
sie zwar in der Schädlingsbekämpfung nützlich sind,
für andere Tiere und die Umwelt insgesamt jedoch
hohe Risiken bergen. Der Umgang mit solchen gefährlichen Stoffen sollte im Gegenteil nicht uneingeschränkt flächendeckend möglich sein, schon gar nicht
per sogenanntem Online-Sachkundenachweis! Eine
strenge Reglementierung der Zulassung von Bioziden
und der Einsatz von gut geschultem Personal sind notwendig, um die teils erheblichen Gefahren für Mensch
und Umwelt kontrollieren zu können. Diesen Entschließungsantrag lehnen wir ab.
Zurück zur Biozid-Verordnung: Nach wie vor gibt es
hier einiges zu bemängeln. Nicht umsonst haben
Umweltverbände die Biozid-Verordnung als vertane
Chance bezeichnet. Es gibt zwar einige Verbesserungen hinsichtlich des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Nichtsdestotrotz klaffen auch noch etliche
Regelungslücken, zum Beispiel hinsichtlich der
Verwendungsphase von Bioziden oder im Bereich des
Informationsaustausches.
Inhaltlich ändert der vorliegende Gesetzentwurf
nichts an der Biozid-Verordnung. Bitte nehmen Sie ihn
trotzdem zum Anlass, darüber nachzudenken, welchen
Umgang wir mit Bioziden pflegen wollen. Wollen wir
eine möglichst marktfreundliche Regelung, die den
Einsatz von Bioziden in großem Umfang und flächendeckend erlaubt, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden bei Mensch und Natur, oder wollen wir vor allem
unsere Gesundheit und unsere Umwelt vor hochgiftigen Chemikalien schützen? - Für Letzteres streitet die
Linke.
Biozide sind Biogifte. Mit denen darf es keinen
leichtfertigen Umgang geben. Sie belasten die Umwelt,
wenn chemische Inhaltsstoffe in Gewässer und Böden
gelangen, und gefährden auch unsere Wildtiere. Denn
es wurde festgestellt, dass oft nicht nur Nager durch
die Wirkstoffe getötet werden, sondern auch Raubtiere
wie Eulen, Mäusebussarde, Steinadler, Füchse und
Iltisse betroffen sind. Außerdem sind sie gesundheitsgefährdend, wenn bei unsachgemäßem Gebrauch zum
Beispiel kleine Kinder mit Bioziden in Berührung kommen, diese im schlimmsten Fall sogar in den Mund
nehmen. Dies gilt es zu vermeiden.
Ein effektiver Vollzug der EU-Biozid-Verordnung
mit geklärten Zuständigkeiten stärkt sowohl den Umwelt- und den Gesundheitsschutz bei der Verwendung
von Bioziden. Es wird verhindert, dass Biozide in die
Umwelt gelangen und Böden oder Gewässer beeinträchtigen. Es ist auch wichtig, dass nur solche Organismen getötet werden, die beabsichtigt sind.
Die EU-Biozid-Verordnung regelt die Zulassung,
Kennzeichnung und Verwendung von Biozid-Produkten. Das nun vorliegende Gesetz macht diese Regelungen vollziehbar. Unter anderem legt es die Strafvorschriften fest, wenn gegen die EU-Verordnung
verstoßen wird. Daher halten wir ein solches Gesetz
auch für dringend notwendig. Den EntschließungsanZu Protokoll gegebene Reden
trag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP müssen
wir allerdings ablehnen.
Aus unserer Sicht sollen mit dem zusätzlich zum
Gesetz eingebrachten Entschließungsantrag der Koalition bestehende EU-Regelungen abgeschwächt
werden, um den Interessen der Hersteller von Rattengiften entgegenzukommen - diese bangen um ihre
Absatzzahlen bei chemischen Nagetierbekämpfungsmitteln. Der Entschließungsantrag, der aus der Feder
der FDP zu stammen scheint, fordert einen vereinfachten Zugang zu Nagetierbekämpfungsmitteln für Privatanwender. Dies ist vollkommen kontraproduktiv. Nur
Expertinnen und Experten mit Sachkundenachweis
dürfen Biozide anwenden, aus gutem Grund. Eine unsachgemäße Verwendung von Rattengift kann dazu
führen, dass Ratten unnötig lange leiden, bevor sie
verenden, und dass auch andere Tiere in Mitleidenschaft gezogen werden. Außerdem droht die Gefahr,
dass die Gesundheit von Kindern gefährdet wird, wenn
sie versehentlich mit Rattengiften in Berührung kommen. Privatpersonen sollten entweder mechanische
Fallen verwenden oder entsprechende Expertinnen
oder Experten beauftragen, die einen professionellen
Einsatz von Bioziden sicherstellen und das erforderliche fachliche Wissen hierfür mitbringen. Denn dieses
professionelle Fachwissen, das ja auch aus kontinuierlicher Fortbildung stammt, bietet die größtmögliche
Sicherheit. Dies ist bereits in der EU-Biozid-Verordnung genau so festgelegt. Biozide dürfen nicht mehr
wie früher im Einzelhandel abgegeben werden, sondern nur noch im Fachhandel. Die Anwendung darf
nur von sachkundigen Personen durchgeführt werden,
die einen entsprechenden Sachkundenachweis besitzen. Und dies ist auch richtig so. Die Entschließung
der schwarz-gelben Koalition ist mehr als Begleitmusik, sie soll die Festlegungen im EU-Recht wieder aufweichen. Das können wir nur ablehnen.
Wir können also gleich zur Abstimmung kommen.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13400, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12955 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion.
Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist
angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13400 empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten René
Röspel, Karin Roth ({1}), Dr. Ernst
Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Millennium-Entwicklungsziele ernst nehmen - Infektionserkrankungen wirksam
durch eine nationale und europäische Förderung von Product Development Partnerships bekämpfen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Niema
Movassat, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Forschungsförderung zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten ausbauen - Zugang zu Medikamenten für arme Regionen
ermöglichen
- Drucksachen 17/8183, 17/7372, 17/13463 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Peter Röhlinger
Krista Sager
Die Reden werden alle zu Protokoll genommen.
Manche Dinge erledigt die Zeit. Dieses Schicksal
erleidet auch der vorliegende Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, der zur Thematik der Bekämpfung von
vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen durch sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften - kurz PDP -, im Jahr 2011 unter der Bundestagsdrucksache 17/8183 initiiert wurde.
Mittlerweile, wir haben Mai 2013, wurde die erstmalige Ausschreibung zur Förderung von PDP durch
das Bundesministerium für Bildung und Forschung,
BMBF, schon lange erfolgreich abgeschlossen. Drei
PDP, Drugs for Neglected Diseases, DNDi, die European Vaccine Initiative, EVI, und die Foundation for
Innovative New Diagnostics, FIND, werden seit Ende
2011 gefördert. Die Rückmeldungen aus den Organisationen rund um das Ausschreibungsverfahren und
die aktuelle Förderrunde sind ausnahmslos positiv.
Damit ist die Forderung der SPD nach einer schnellen
Umsetzung der nationalen Förderausschreibung für
PDP obsolet.
Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Forderungspunkt des Antrages. Noch bevor die erste Förderrunde angelaufen, geschweige denn evaluiert ist, forderten Sie, liebe Kollegen der SPD, 100 Millionen Euro
zur Förderung von PDP in den nächsten vier Jahren.
„Kompliment“ - ein glatter Schnellschuss! In diese Kategorie passt auch der Vorschlag der Linken, die im
schon hinlänglich debattierten Antrag - Bundestagsdrucksache 17/7372 - illusorische 500 Millionen Euro
jährlich für klinische Forschung mit dem Schwerpunkt
vernachlässigte Krankheiten fordern. Strategie sieht in
meinen Augen anders aus. Zum Glück handelte hier das
Ministerium verantwortungsbewusst und ging das
Thema überlegt an.
Dazu muss man wissen, dass das BMBF erst seit
dieser Wahlperiode für dieses Thema allein zuständig
ist und die Förderung von PDP in dieser Form absolutes Neuland im Förderkatalog des Ministeriums ist.
Die christlich-liberale Koalition begrüßt es, dass die
Thematik nun fest im Aufgabenbereich des BMBF verortet ist und unterstützt seit Anfang an die Vorgehensweise des Ministeriums, die erste Förderperiode gezielt und mit Augenmaß anzugehen.
In anderen Reden zum Thema habe ich es schon angesprochen, dass die PDP-Förderung für die deutsche
Förderkultur einen komplett neuen Weg darstellt. Deshalb ist das Finanzvolumen in Höhe von 22 Millionen
Euro für die erste vierjährige Förderperiode ein Aufschlag, der sich sehen lassen kann. Gerade in Relation
zum Gesamtbudget der Gesundheitsforschung wird
dies deutlich.
Klar ist aber auch, dass dies nicht das Ende der
Fahnenstange sein muss bzw. sein kann. Eine positive
Evaluation der ersten Förderperiode hat in meinen
Augen zwingend eine Anschlussförderung mit höherer
Finanzmittelausstattung zur Folge. Der Kenntnisstand
jetzt ist: Es spricht nichts gegen eine zweite Förderrunde. Eine Evaluation der ersten Erfahrungen gebietet allerdings der gesunde Menschenverstand. Wir fördern nicht der Förderung selbst willen, sondern um
Ergebnisse zum Wohle vieler Millionen Menschen
rund um den Globus zu generieren.
Im 2012 verabschiedeten Antrag der christlich-liberalen Koalition mit dem Titel „Forschung und Produktentwicklung für vernachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen stärken“ ({0}) haben wir
uns klar zu dieser Frage positioniert. Sollte die erste
Förderrunde positiv evaluiert werden, wird es eine
zweite Runde geben, und diese wird mit mehr Finanzmitteln ausgestattet werden. Auf dieses Versprechen
können sich alle Produktentwicklungspartnerschaften
verlassen. Wir bauen keine unerreichbaren Traumschlösser, sondern wir stehen zu unseren realistischen
Zusagen.
Diese potenzielle Ausweitung des aktuellen Förderprogramms zieht noch einen anderen wichtigen Punkt
nach sich. Aktuell konzentriert sich die Förderung des
BMBF auf die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele 4, Verringerung der Kindersterblichkeit und
MDG 5, Verringerung der Müttersterblichkeit und
schließt in dieser Hinsicht die Förderung um Maßnahmen gegen die zwei großen „Killer“ HIV/Aids und Tuberkulose aus. Diesen Ausschluss gilt es im Rahmen
einer noch besser ausgestatteten Nachfolgeförderung
zu überdenken.
Gern wird bei der Finanzierung der PDP zur Erforschung vernachlässigter Krankheiten unter den Teppich gekehrt, was das BMBF daneben noch alles leistete. Alle Maßnahmen zusammengerechnet, investieren
wir schon jetzt circa 80 Millionen Euro jährlich in die
Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen. Eine Maßnahme allein wird
auch hier nicht die Probleme auf der Welt lösen. Vielmehr ist ein Mix aus vielen Instrumenten gefragt, und
diesen Weg gehen wir.
Zudem wissen wir im Ministerium mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Helge Braun einen
Mitstreiter an unserer Seite, der dem Thema sehr hohe
Aufmerksamkeit schenkt. Er tritt national, auf europäischer Ebene und auch im internationalen Kontext für
noch mehr Engagement bei der Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen
ein. Dieses Engagement hat schon in den Verhandlungen zum 8. Forschungsrahmenprogramm „Horizon
2020“ Früchte getragen.
Auch unserer Fraktion war es ein großes Anliegen,
dass die Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen ihren Niederschlag
im zukünftigen EU-Forschungsprogramm findet. Einen entsprechenden Handlungsauftrag haben wir in
Form einer klaren Forderung in unserem Antrag an
die Bundesregierung gerichtet. In den Verhandlungen
konnte erreicht werden, dass nun im ersten Abschnitt
„Health, Demographic Change and Well-Being“ zu
Part III ({1}) des Entwurfs des spezifischen Programms zu Horizon 2020 in der Version der
zypriotischen Ratspräsidentschaft vom 30. November
2012 ein entsprechender Abschnitt zu finden ist.
Die dargestellten Beispiele zeigen deutlich, dass
sich in dieser Legislaturperiode im Bereich der Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen eine Menge getan hat. Die christlich-liberale Koalition zieht in diesen Fragen mit dem
BMBF an einem Strang, damit das Thema in den
nächsten Jahren weiter an Fahrt gewinnt.
Dieses Ziel sollte Anspruch aller hier im Deutschen
Bundestag vertretenen Fraktionen sein, aber auch mit
der Einsicht einhergehen, dass unrealistische finanzielle Versprechungen uns sachlich nicht voranbringen. Wenn wir es in der nächsten Legislaturperiode
schaffen, die finanziellen Mittel zur PDP-Förderung
zu verdoppeln, wäre dies ein Erfolg und eine nicht zu
unterschätzende Kraftanstrengung.
Zu Protokoll gegebene Reden
Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir aber noch
eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen, da
viele Menschen und viele unserer Kollegen noch nicht
viel über dieses Thema wissen. Einerseits ist es unsere
humanitäre Pflicht, den Millionen weltweit betroffenen
Menschen zu helfen und andererseits sollte es in unserem ureigensten Interesse liegen, neues Wissen in diesem Bereich zu generieren. Dies müssen wir immer
wieder kommunizieren.
Lange ist es nämlich noch nicht her, dass auf Madeira der größte Ausbruch von Dengue-Fieber in Europa seit 1927 zu verzeichnen war. Genauer gesagt,
stammt diese Meldung aus der zweiten Jahreshälfte
2012. Dazu passt die Meldung aus dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, wonach sich Malaria in Griechenland ausbreitet.
Diese Fälle betreffen zwar noch nicht Deutschland
direkt, befinden sich aber in direkter Nachbarschaft,
und auch in Deutschland wurden schon Exemplare der
Asiatischen Tigermücke gesichtet, die für unsere Breiten seltene Krankheitserreger übertragen kann. Ein
Thema also, was infolge des Klimawandels zukünftig
auch für uns an Brisanz gewinnen kann. Dies bestätigte mir auch gestern ein Wissenschaftler vom
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Nach seiner Aussage stimmen in Deutschland schon jetzt die
Rahmenbedingungen für einen größeren Ausbruch des
West-Nil-Virus oder des Dengue-Fiebers. Ignorieren
können wir diese Problematik also auch im eigenen Interesse nicht.
Die Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen ist und bleibt also ein Dauerbrenner. Die christlich-liberale Koalition stellt sich gemeinsam mit der Bundesregierung dieser Verantwortung
und wird auch zukünftig dafür sorgen, dass Deutschland
sein Engagement in diesem Bereich weiter stärken
wird.
Das Verhalten der Bundesregierung bei der Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten und zur
Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele bis
2015 steht exemplarisch für das gesamte Regierungshandeln von Schwarz-Gelb: zu spät, zu wenig, oder
gar nichts!
Die Zeit bis zum Ende der von uns selbst gesetzten
Frist zur Erreichung der Millenniumsziele verstreicht
unaufhörlich. Noch immer sterben täglich Kinder und
Erwachsene an Krankheiten, die einfach zu behandeln
wären oder für die es zumindest beste Aussichten gibt,
schnell ein wirksames Medikament zu finden.
Insofern ist die derzeitige Legislaturperiode, die
glücklicherweise bald abläuft, verlorene Zeit für die
Menschen. Zunächst versuchte ein neoliberaler Minister, der ein Ministerium übernommen hat, das er abschaffen wollte, das wirksamste Instrument zur Bekämpfung der schlimmsten Krankheiten, den Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und
Malaria, lahmzulegen - warum? Darüber kann nur
spekuliert werden. Letztlich musste Minister Niebel
aufgrund der Proteste klein beigeben. Die anderen
Ressorts versäumen, wichtige Initiativen wie die Produktentwicklungspartnerschaften für die Entwicklung
von Medikamenten und Behandlungen voranzubringen. Auch hier gilt: zu wenig, zu langsam.
Die Regierung, allen voran die Kanzlerin, beteuert
immer wieder ihren Willen, internationale Zusagen
wie die Millenniumsziele einzuhalten. Nur leider folgen den schönen Worten niemals Taten.
Ja, es gibt Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung
der Millenniumsziele - trotz der jetzigen Bundesregierung, nicht wegen ihr. Mit einer Förderung der sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften hätten
weit größere Erfolge erzielt werden können. Der Vorteil der PDP liegt auf der Hand: Effizienz, Geschwindigkeit und der Wille, die Ergebnisse den Ärmsten in
den Entwicklungsländern zugutekommen zu lassen.
Die Pharmaindustrie erzählt uns laufend, dass die
Entwicklung eines Medikamentes circa 1 Milliarde
Euro kostet. PDP können dies für rund ein Drittel immer noch kein Kleingeld. Und was sind dann die von
der Regierung zugesagten 5 Millionen Euro pro Jahr
im Vergleich zu den Kosten für ein einziges Medikament?
Wohl gemerkt: Es gab Ausnahmen in dieser Regierung, die aber an ihren Kabinettskollegen gescheitert
sind. Der Parlamentarische Staatsekretär Dr. Braun
vom Bildungs- und Forschungsministerium hat sich
mit viel Engagement dieser Sache verschrieben. Er besitzt den Weitblick, um über Deutschland hinauszudenken und entsprechende Initiativen auf europäischer
Ebene voranzutreiben. Einig war man sich über alle
Parteigrenzen hinweg, dass eine Ausweitung des Programms „Horizont 2020“ notwendig ist, gerade auch
im Hinblick auf eine Forschungsförderung für vernachlässigte Krankheiten - und dann kommt der Finanzminister mit dem Rasenmäher und kürzt, gemeinsam mit der Kanzlerin, das EU-Budget dramatisch.
Kohärenz und Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft sehen anders aus.
Viele wichtige Initiativen, die die Gesundheit der
Menschen zum Ziel haben, leiden oder versanden unter diesem Nichthandeln. TBVI beispielsweise, eine
Initiative zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Tuberkulose, hätte ein europäisches Leuchtturmprojekt
werden können, ganz im Sinne der Wachstumsstrategie
„Europa 2020“. Leider fehlte die Unterstützung, sodass es auch hier wieder so aussieht, als würde Spitzenforschung auf andere Kontinente abwandern oder
über private Stiftungen finanziert, die dann wiederum
ihre speziellen Interessen verankern.
Wenn wir also jetzt die „Performance“ der Regierung resümieren, müssen wir bedauernd feststellen,
dass die Zukunftsfragen verspielt und die notwendigen
Zukunftsinvestitionen versäumt wurden. Wenn dieses
Versagen schon bei den offensichtlichen und oft diskuZu Protokoll gegebene Reden
Karin Roth ({0})
tierten Problemen so evident ist, können wir uns lebhaft vorstellen, wie es zum Beispiel bei Krankheiten
wie dem verstärkt aufkommenden Denguefieber
- 300 bis 400 Millionen Neuinfektionen pro Jahr mit
weiter steigender Tendenz besonders in den Millionenstädten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas - oder bei
der Verhinderung von Todesfällen durch Schlangenbisse aussieht.
Der Klimawandel wird dazu führen, dass viele
Krankheiten des Südens uns alsbald erreichen. Die
multiresistente Tuberkulose ist schon lange in Europa
angekommen. Es fehlen jedoch die Medikamente dazu.
Wie lange noch?
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie hätten die Chance gehabt, viel für die Menschen zu erreichen, spätestens nach der Vorlage unseres Antrags. Die Chance haben Sie verpasst. Es wird
Zeit für eine neue Regierung.
Einigkeit gibt es in diesem Hause zwischen den
Fraktionen ja selten. Das ist in Anbetracht der Komplexität vieler der hier besprochenen Probleme auch
kein Wunder. Erfreulich und der Sache hilfreich ist es
aber immer dann, wenn ein Grundkonsens zwischen
den Fraktionen besteht. Ja, beim Thema Bekämpfung
von armutsbedingten Infektionskrankheiten - auch
„vernachlässigte Krankheiten“ genannt - herrscht unter uns Abgeordneten die einhellige Meinung, dass
Deutschland seinen Teil leisten soll. Das ist sehr erfreulich. Auch bei einem der Instrumente sind wir uns
einig. Alle Fraktionen unterstützen das Product-Development-Partnership-Modell, PDP. Diese einhellige
Meinung besteht nicht nur bei den Entwicklungspolitikerinnen und -politikern, wo man das vielleicht eher
erwarten würde, sondern zum Beispiel auch in meinem
Ausschuss, dem Forschungsausschuss. Also alles Konsens, könnte man meinen. Aber dann dürften die beiden hier vorliegenden Anträge zum Themen PDP ja
nicht von Teilen des Parlaments abgelehnt werden, wie
wir es heute wohl leider erleben werden. Denn trotz
des Grundkonsenses streiten sich die Expertinnen und
Experten der Fraktionen bei den Details durchaus.
Im Kern geht es bei PDPs darum, dass Vertreter der
Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, des Staates und
der Industrie zusammen daran arbeiten, Medizinprodukte zu entwickeln, die auch für die Menschen in den
Entwicklungsländern erschwinglich sind. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise 2012 ein eigenes
Budget zur Förderung der PDPs in den Haushalt aufgenommen. Unter der Großen Koalition hatte die SPD
durch Budgeterhöhungen im Bereich der vernachlässigten Krankheiten dafür bereits den Weg geebnet. In
Anbetracht der enormen Herausforderungen und Belastungen, welche die Infektionskrankheiten bereits
heute für viele Entwicklungsländer bedeuten, ist die
aktuelle Budgetsumme von circa 20 Millionen Euro für
vier Jahre für PDP im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, aber mehr
als bescheiden. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von CDU/CSU und FDP, wissen schon, dass zur Entwicklung nur eines Medikamentes im Durchschnitt
Kosten von bis zu einer halben Milliarde Euro fällig
werden können? Auch wenn PDPs Medikamente günstiger als die Industrie entwickeln, so sind 5 Millionen
Euro pro Jahr einfach viel zu wenig. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns in unserem
Antrag deshalb für ein Budget von 100 Millionen Euro
für vier Jahre ein. Auch das ist im Angesicht der vor
uns liegenden Aufgaben noch immer eine überschaubare Zahl. Aber sie ist doch realitätsnäher als Ihr Budget.
Neben der Budgetanhebung fordern wir in unserem
Antrag unter anderem auch, dass die Bundesregierung
Konzepte vorlegt, wie die Karrierechancen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern erhöht werden können. Denn es gibt viele junge Menschen, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den
Dienst einer guten Sache, wie der Entwicklung von bezahlbaren Medikamenten, stellen wollen. Aber dafür
benötigen sie Strukturen und Unterstützung. Die
schwarz-gelbe Bundesregierung sieht diesen Bereich
aber leider nicht als prioritär an. Schade, so werden
viele junge Menschen mittelfristig ihr Engagement in
diesem Bereich wohl bald wieder einstellen müssen.
Neben dem Antrag der SPD stimmen wir heute auch
über einen Antrag der Linken ab. In meiner Rede vom
1. Dezember 2011 bin ich bereits im Detail auf diesen
Antrag eingegangen und habe erklärt, warum wir diesen nicht mittragen können. Die meisten Forderungen
sind einfach unrealistisch. Das liegt aber wohl daran,
dass die Linke sowieso nicht davon ausgeht, diese irgendwann als Teil einer Bundesregierung umsetzen zu
müssen; diese Einschätzung teile ich. Die Linke will
zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die Industrie dazu verpflichten, Produkte für
die Gesundheitsbedürfnisse in Entwicklungsländern
herzustellen. Ein hehres Ziel, aber wie soll das umgesetzt werden? In der DDR hätten man das wohl von
oben befehlen können - wahrscheinlich trotzdem ohne
das gewünschte Ziel zu erreichen -, aber in der Bundesrepublik kann der Staat Wissenschaft und Industrie
zum Glück nicht einfach so Dinge vorschreiben.
Genauso weltfremd ist die Forderung, dass die forschenden Arzneimittelhersteller alle ihre geistigen Eigentumsrechte an den Wirkstoffen in einen Patentpool
abgeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
gut gemeinte, aber weltfremde Forderungen werden
am Ende den Menschen nicht helfen, sondern allein
die Umsetzungen von realistischen Ansätzen. Davon
sind Sie noch weit entfernt.
Auch wenn wir zwischen den Fraktionen bei der
Umsetzung durchaus unterschiedliche Auffassungen
haben, so lassen Sie uns alle doch trotzdem auch weiterhin gemeinsam für eine Verbesserung der Lebensumstände von Menschen in Entwicklungsländern arbeiten, zum Beispiel durch die weitere Förderung von
PDP.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir sprechen heute über zwei gut gemeinte Anträge
der Opposition zu einem wichtigen Thema. In beiden
Anträgen geht es darum, die Millenniumsentwicklungsziele im Auge zu behalten und sich ihnen anzunähern, hier speziell in Bezug auf die Eindämmung der
sogenannten vernachlässigten Krankheiten in den
Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Krankheiten sind teilweise behandelbar und wären in vielen
Fällen vermeidbar, wenn, ja, wenn die Lebensumstände der betroffenen Menschen andere wären.
Es gibt manche Übereinstimmung mit der Politik
der Bundesregierung: Unser Ziel und auch das der
SPD ist es, Forschungs- und Versorgungslücken zu
schließen. Ein probates Instrumentarium dafür sind
zum Beispiel die Produktentwicklungspartnerschaften,
PDPs. In diesen Verbünden kooperieren Vertreter aus
Wissenschaft und Wirtschaft, von Nichtregierungsorganisationen, NGOs, und von staatlichen Stellen. Dabei geht es um die Bereitstellung von erschwinglichen
Produkten, mit denen die medizinische Versorgung in
Schwellen- und Entwicklungsländern verbessert werden kann.
Die Bundesregierung unterstützt derzeit drei Verbünde, nämlich Drugs for Neglected Diseases, DNDi,
Foundation for Innovative New Diagnostics, FIND,
und European Vaccine Initiative, EVI. Diese drei Verbünde kämpfen gegen die Schlafkrankheit, gegen viszerale Leishmaniose, gegen Chagas, Wurmkrankheiten und Malaria. Die Bundesregierung hat dafür
20 Millionen Euro bereitgestellt. Wenn dieser neue
Weg erfolgreich ist, werden in absehbarer Zeit Medikamente und Impfstoffe für die Betroffenen nicht nur
zur Verfügung stehen, sondern auch erreichbar und zugänglich sein. Das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Die SPD meint nun, das sei viel zu wenig, und fordert stattdessen einen Betrag von 100 Millionen Euro.
Aber die SPD ist ja auch in der Opposition und muss
nicht sagen, woher das Geld kommen soll. Außerdem
kritisiert die SPD, es habe zu lange gedauert, bis diese
neuen Wege im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten beschritten worden seien. Das kommt mir ein
bisschen so vor wie die Sache mit dem Glas, das man
- je nach Standpunkt - als halb leer oder als halb voll
bezeichnen kann. Wenn Sie meinen, dass 20 Millionen
Euro nicht reichen, haben Sie sicher recht. Aber wir
haben leider nicht die Möglichkeit, alles zu finanzieren, was erforderlich und wünschenswert wäre. Dass
die Bundesregierung in diesen Zeiten dennoch so viel
Geld lockermacht, um kranken Menschen in armen
Ländern zu helfen, verdient Anerkennung. Ich jedenfalls freue mich über das, was wir in dieser Sache erreicht haben.
Der Antrag der Linken hat eine etwas andere Stoßrichtung. Es stimmt, dass die Armen dieser Welt nur
über geringe Kaufkraft verfügen und deshalb für die
Pharmaindustrie keinen besonders interessanten Markt
darstellen. Die Linke meint, da müssten Zwangsmaßnahmen ergriffen werden. Arzneimittelhersteller und
Forschungsinstitute sollen zur Freigabe von Patentrechten genötigt werden. Außerdem fordert die Linke
zusätzliche Auflagen und Abgaben für Pharmaunternehmen. Ob man mit solchen Maßnahmen die Forschung für die Armen der Welt beflügeln kann, wage
ich zu bezweifeln. Mit solchen Maßnahmen kann man
dem Wirtschaftsstandort richtig schaden. Aber davon
haben die Kranken in den Schwellen- und Entwicklungsländern nichts. Wie solche Maßnahmen den
Kranken dort Zugang zu Medikamenten verschaffen
sollen, bleibt das Geheimnis der Linken.
Wir Liberalen sind da pragmatisch. Wir sind der
Meinung: Wenn die Pharmaindustrie sich auf Medikamente konzentriert, mit denen sich Gewinne erzielen
lassen, ist das nicht irgendwie verwerflich, sondern
marktwirtschaftlich erfolgreiches Handeln. Wenn wir
Politiker erreichen wollen, dass auch vernachlässigte
Krankheiten erforscht und Behandlungen ermöglicht
werden, wo keine Gewinne zu erwarten sind, dann
müssen wir Anreize schaffen. Das BMBF schafft solche Anreize, indem es die Entwicklung von Produkten
zur Prävention, Diagnose und Behandlung von vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten
fördert. Das ist der richtige Weg, den die Koalitionsfraktionen gerne unterstützen. Die Anträge von SPD
und Linken lehnen wir ab.
Alle Menschen weltweit müssen ungeachtet ihrer
Kaufkraft Zugang zu lebensnotwendigen Gesundheitsprodukten haben. Es wäre die zentrale Aufgabe der
Pharmahersteller, auch für Krankheiten, die nur in armen Ländern vorkommen, ein adäquates Angebot an
Medikamenten zu entwickeln. Doch das geschieht in
der Realität leider gerade nicht.
Weltweit haben noch heute, im 21. Jahrhundert,
etwa 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu wichtigen Medikamenten und Gesundheitsdienstleistungen.
Wer nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, für
den existiert das Menschenrecht auf Gesundheit nur
auf dem Papier.
Das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und
Nachfrage versagt nirgendwo so kläglich wie bei der
Bereitstellung lebensrettender Medizin für die Ärmsten
dieser Welt. Aus Profitinteresse konzentriert die Pharmaindustrie ihre Wirkstoffforschung vor allem auf
Krankheiten, bei denen ein fertiges Medikament in den
Industrieländern großen Absatz verspricht. Menschen
in den Ländern des Südens haben zwar einen lebensnotwendigen Bedarf, aufgrund geringer Einkommen
stellt dieser Bedarf allerdings keinen wirtschaftlichen
Anreiz dar und wird viel zu wenig bedient. Nur 10 Prozent der globalen Forschungsausgaben beziehen sich
auf Krankheiten, die zu 90 Prozent zur globalen
Krankheitslast beitragen.
Dieses Missverhältnis und seine fatalen Folgen für
die Gesundheitssituation in Entwicklungsländern sind
völlig grotesk, denn: pharmazeutische Firmen geben
Zu Protokoll gegebene Reden
mehr als doppelt so viel für Marketing aus wie für Forschung! Die Pharmaindustrie betreibt lieber Wirkstoffforschung für Wellnessmedikamente, die später große
Gewinne in den Industrieländern versprechen, anstatt
den lebensnotwendigen Bedarf in den Entwicklungsländern zu decken.
Ein bedeutender Teil der Pharmaentwicklungen in
Industrieländern kommt aus öffentlich finanzierter
Grundlagenforschung. Sie orientiert sich leider unter
dem zunehmenden Druck zur Eigenfinanzierung immer mehr an profitträchtigen Bereichen, also an
Krankheiten, die vor allem in reichen Ländern auftreten. Pharmafirmen greifen die Ergebnisse aus öffentlich finanzierter Grundlagenforschung häufig auf,
führen die klinischen Tests durch und patentieren und
vermarkten schließlich das fertige Produkt. Forschungsinstitute bzw. sogenannte Patentverwertungsagenturen patentieren entsprechende öffentlich
finanzierte Forschungsergebnisse, um diese gewinnbringend vermarkten zu können.
Die Möglichkeit einer kostengünstigen Nutzung
durch nichtprofitorientierte Forschungskonsortien
oder aber auch direkt für die Entwicklung und Herstellung von Produkten für arme Länder ist derzeit nicht
explizit vorgesehen; und das, obwohl die öffentliche
Hand durch die finanzielle Förderung hier direkte Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten hat.
Geistige Eigentumsrechte erzeugen gerade in der
Pharmaindustrie eine Monopolstellung, die letztlich zu
hohen und für arme Menschen nicht bezahlbaren Preisen führt. Sie behindern außerdem weitergehende Forschung und Produktentwicklung durch Dritte. So werden Innovationsprozesse aufgehalten und Produkte
künstlich teuer gehalten. Die Versorgung der Betroffenen muss aber unbedingt im Mittelpunkt der Bemühungen stehen!
Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte
geistiger Eigentumsrechte - TRIPS - der Welthandelsorganisation, WTO, setzt weltweit Mindeststandards
für den Schutz geistiger Eigentumsrechte. Es erlaubt
Entwicklungsländern zugleich, bestimmte Maßnahmen
zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen.
Internationale Konzerne versuchen jedoch immer wieder durch Klagen, solche Schutzmaßnahmen zu verhindern.
Die EU-Kommission versucht sogar, in Handelsverträgen etwa mit Indien oder dem Mercado Común del
Sur - MERCOSUR - sogenannte TRIPS-plus-Bestimmungen durchzusetzen, die noch restriktiver sind als
das TRIPS-Abkommen selbst. Diese Politik versucht,
die Gewinne der Pharmaindustrie abzusichern, obwohl sie negative Folgen für die Arzneimittelversorgung in armen Ländern hat. Die schwarz-gelbe Bundesregierung treibt diese Politik zugunsten der
Pharmaindustrie in Brüssel aktiv voran. Sie dient der
Pharmalobby, die zu den mächtigsten im Lande gehört - und damit nicht dem Wohl der Menschen. Das
Freihandelsabkommen der EU mit Indien, dem größten Generikahersteller weltweit, steht kurz vor dem
Abschluss. Dazu erklärte Oxfam kürzlich sehr treffend:
„Im Zuge verschiedener kürzlich getroffener Entscheidungen in Indien, die positiv für die Versorgung mit
Medikamenten sind, versucht die EU jetzt umso eifriger, Indien als ‚Apotheke der Armen‘ zu verhindern
und sicherzustellen, dass die Profite von Pharmaunternehmen erhalten bleiben.“
Die Linke hat im Bundestag die gesetzlich bindende
Einrichtung eines Fonds gefordert, der eine Abgabe
auf die jährlichen auf Ärzte bezogenen Marketingausgaben von Pharmafirmen in Höhe von 5 Prozent vorsieht und dessen Einnahmen exklusiv in die Forschung
an vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten fließen sollen. In Italien existiert dieses Modell bereits. Selbst dieser Forderung nach einer kleinen Einschränkung der Interessen der Pharmaindustrie ist
keine der anderen Bundestagsfraktionen gefolgt. Die
Linke ist die einzige Partei, die die unausweichlichen
Konflikte mit der Pharmaindustrie und ihrer mächtigen Lobby nicht scheut. Open-Access-Lösungen, also
der kostenlose Zugang zu wissenschaftlicher Literatur
bzw. Daten, gehört die Zukunft. Das Menschenrecht
auf Gesundheit - das Leben unzähliger Menschen muss Vorrang haben vor der Gier einiger Weniger, mithilfe der Pharmaindustrie ihren Reichtum immer weiter zu vergrößern.
Produktentwicklungspartnerschaften bündeln öffentliche und private Kräfte, um Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Der vorliegende SPD-Antrag fordert richtigerweise, diese deutlich zu stärken,
und kritisiert die Bundesregierung zu Recht für ihren
halbherzigen Umgang mit diesem Instrument. Auf zentrale Probleme wie das bestehende Patentsystem geht
er leider nicht ein. Die Linksfraktion stimmt deshalb
mit Enthaltung.
Es ist ein Skandal, dass in der heutigen Zeit weltweit 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten haben. Dies ist auch
eine grobe Missachtung des Menschenrechts auf Gesundheit mit schwerwiegenden Folgen für die Menschen und ganze Gesellschaften. Insbesondere die so
genannten vernachlässigten und armutsbedingten Tropenkrankheiten aber auch Aids, Tuberkulose und
Malaria fordern täglich 35 000 Todesopfer. Diese
Krankheiten können schwere körperliche Beeinträchtigungen und Behinderungen hervorrufen und beeinträchtigen das Leben von über 1 Milliarde Menschen.
Viele dieser Krankheiten sind behandelbar oder wären
sogar vermeidbar. Besonders hier zeigt sich wie eng
Armut und Krankheit zusammenhängen. Die meisten
Erkrankungen in Entwicklungs- und Schwellenländern
sind nämlich armutsbedingt. Aber auch umgekehrt
gilt: Krankheiten fördern und verursachen Armut, sind
deshalb ein bedeutendes Entwicklungshemmnis und
konterkarieren die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit.
Zu Protokoll gegebene Reden
Neben funktionierenden öffentlichen und solidarischen Gesundheitssystemen gilt es vor allem, die Forschungs- und auch die Versorgungslücke zu schließen,
um den Zugang zu Medikamenten zu verwirklichen.
Vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten betreffen insbesondere Menschen in Entwicklungs- und
Schwellenländern mit geringer Kaufkraft und bieten
bisher kaum wirtschaftliche Anreize für pharmazeutische Unternehmen, Produkte gegen diese Krankheiten
zu entwickeln.
Wir müssen daher auch darüber diskutieren, wie
viel Innovationskraft das derzeitige Patentsystem tatsächlich noch hat und welche Impulse hierdurch gesetzt werden. Ein neues Medikament beinhaltet mittlerweile bis zu 100 Patente. Man spricht hier auch von
einem „Patent-Dickicht“. Dieses Dickicht kann ganze
Forschungsgebiete blockieren. Darüber hinaus zielten
weniger als 2 Prozent der neuentwickelten pharmazeutischen Wirksubstanzen zwischen 1975 und 2004 auf
vernachlässigte Krankheiten einschließlich Malaria
und Tuberkulose ab. Und immer noch gilt, dass sich
nur 10 Prozent der Forschung mit 90 Prozent der weltweiten Gesundheitsprobleme befassen. Da stellt sich
also ganz massiv die Frage, ob hier die richtigen Anreize gesetzt werden. Deshalb müssen wir auch darüber reden, ob und wie man Forschungskosten vom
Medikamentenpreis entkoppeln kann. In diesem Zusammenhang muss die Pharmaindustrie auch endlich
ihre Kostenrechnungen für diese Produkte nachvollziehbar offenlegen. Worüber wir aber nicht verhandeln
können, ist das Menschenrecht auf Gesundheit.
Im Kampf gegen die vernachlässigten und armutsbedingten Krankheiten können Produktentwicklungspartnerschaften ein wichtiges Instrument sein. Deshalb unterstützen wir auch den Antrag der SPDFraktion, der ebenso wie unser grüner Antrag, eine
deutliche Aufstockung der Mittel in diesem Bereich
fordert.
Die Anträge der Opposition dokumentieren auch,
dass die Koalition hier versagt hat. Denn ohne konkrete Forderungen zur Bereitstellung von zusätzlichen
Haushaltsmitteln lässt sich der Kampf gegen vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten nicht gewinnen. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit in der Entwicklungspolitik lassen sich nicht mit bloßen
Lippenbekenntnissen schaffen. Aber nicht nur die vielen leeren Versprechungen der Bundesregierung verhindern weitreichende Fortschritte, sondern auch die
fehlende Politikkohärenz. Die Handels- und Entwicklungspolitik müssen endlich in Einklang gebracht werden! In den letzten vier Jahren spielte die Bundesregierung eine eher unrühmliche Rolle in den Verhandlungen zu Freihandelsabkommen und setzte auf eine
Verschärfung der geistigen Eigentumsrechte statt auf
das Menschenrecht auf Gesundheit. Menschenrechte
sind aber nicht verhandelbar!
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/
13463. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8183. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7372. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die SPD und
Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Linksfraktion.
Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
und anderer Gesetze
- Drucksache 17/12856 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 17/13496 Berichterstattung:
AbgeordneterThomas Lutze
Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.
Europa wächst immer mehr zusammen, die europäische Integration schreitet voran. Erst heute Nachmittag haben wir hier im Deutschen Bundestag dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union zugestimmt.
Am 1. Juli dieses Jahres wird es so weit sein. Dann
wird Kroatien der 28. Mitgliedstaat der EU. Für andere junge Mitgliedstaaten wie Bulgarien und Rumänien laufen Übergangsbestimmungen aus. So sind mit
Wirkung vom 1. Januar 2012 sämtliche Beschränkungen für Kabotageverkehre aus diesen Ländern innerhalb Deutschlands weggefallen. All diese Änderungen
veranlassen uns als Gesetzgeber, unser nationales
Recht anzupassen.
Das vorliegende Gesetz, das wir heute voraussichtlich mit einer breiten Mehrheit, die auch den Großteil
der Opposition einschließt, verabschieden, ist eines
von mittlerweile vielen Beispielen, die zeigen, wie
stark der Einfluss Europas auf die nationale Gesetzgebung und damit auch auf unsere Arbeit hier im Deutschen Bundestag gewachsen ist. Da die einzelnen Regelungen, die mit dem vorliegenden Gesetz geändert
werden, im Wesentlichen technischer bzw. redaktioneller Natur sind, möchte ich gern die Gelegenheit nutzen, im Vorfeld darauf hinzuweisen, wie wichtig es inzwischen für uns als Abgeordnete des Deutschen
Bundestages ist, sich mit Europa und den europäi30400
schen Gesetzgebungsprozessen zu beschäftigen. Die
vereinzelt immer wieder zu vernehmenden Klagen darüber, was uns denn nun schon wieder von Brüssel aus
vorgeschrieben wurde, sind nämlich in den meisten
Fällen das Eingeständnis des eigenen Scheiterns.
Sie sind die Folge dessen, dass man selbst nicht
rechtzeitig aktiv geworden ist. Der Deutsche Bundestag hat besonders nach dem Vertrag von Lissabon eine
eigene Verantwortung bei der Mitgestaltung europäischer Rechtsvorschriften. Er muss diese Verantwortung aber auch beherzt wahrnehmen. Natürlich heißt
das auch, das man sich ein wenig an andere Spielregeln gewöhnen muss. In einem Europa mit demnächst
28 Mitgliedstaaten hat Deutschland kein Vetorecht.
Wenn wir unsere Positionen also durchsetzen möchten,
heißt das, wir müssen uns auch frühzeitig innerhalb
Europas Mehrheiten suchen. Meine Erfahrung ist darüber hinaus auch, dass es sich lohnt, sehr früh auf die
EU-Kommission zuzugehen und ihr mitzuteilen, wie
die Auffassung des Deutschen Bundestages zu bestimmten Vorhaben ist. Hier, denke ich, sind wir inzwischen auf einem guten Weg. Ich sehe aber an einigen
Stellen immer noch Verbesserungspotenzial.
Was das vorliegende Gesetz angeht, so tragen wir
mit der Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes zum
einen der Tatsache Rechnung, dass seit dem 1. Januar
2013 keine Möglichkeit mehr besteht, Kabotageverkehre aus Bulgarien und Rumänien innerhalb
Deutschlands zu verbieten. Die bisherige Beschränkung im Güterkraftverkehrsgesetz ist daher aufzuheben. Dafür wird zum anderen mit Blick auf den Beitritt
Kroatiens zum 1. Juli diese Jahres die hierfür notwendige Kabotagebeschränkung in das Gesetz aufgenommen.
Ferner setzen wir mit der Änderung des Fahrpersonalgesetzes eine völkerrechtliche Verpflichtung aus
dem Europäischen Übereinkommen über die Arbeit des
im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR, um. Damit können künftig Ordnungswidrigkeiten im Anwendungsbereich des AETR in
Deutschland auch dann geahndet werden, wenn sie im
Ausland begangen wurden.
Im Binnenschifffahrtsaufgabengesetz schaffen wir
eine Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Adressdaten aus der Binnenschiffsbestandsdatei an das
Bundesamt für Güterverkehr. Bislang fehlt diese Möglichkeit. Da das BAG die Daten zum Zwecke seiner
Aufgabenerfüllung jedoch braucht, insbesondere für
die Marktbeobachtung, ist eine entsprechende Änderung notwendig.
Infolge der Umsetzung der 3. EU-Führerscheinrichtlinie erfolgen im Fahrlehrergesetz Ergänzungen
hinsichtlich der Lehrberechtigung für Fahrlehrer.
Im Straßenverkehrsgesetz werden die Löschfristen
für Daten in den örtlichen Fahrerlaubnisregistern angepasst. Weiterhin wird die verkehrsrechtliche Einordnung von Elektrofahrrädern klargestellt. Sie sind hiernach dann nicht als Kraftfahrzeug anzusehen, wenn sie
mit Muskelkraft und elektrischem Hilfsantrieb von
höchstens 0,25 Kilowatt fortbewegt werden, wobei der
elektrische Antrieb ab einer Geschwindigkeit von
25 Kilometer pro Stunde abschalten muss. Schließlich
ändern wir das Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass bei
Erwerb der Grundqualifikation keine Fahrerlaubnis
mehr vorliegen muss. Auch hier reagieren wir auf europarechtliche Anforderungen. Sie sehen: Europa ist allgegenwärtig. Damit schließt sich auch wieder der Kreis
zu dem, was ich eingangs gesagt hatte: Die europäische Integration schreitet voran. Und es ist unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag, hier am Ball zu bleiben
und die europäische Gesetzgebung aktiv mitzugestalten.
Auch wenn sich die Legislaturperiode dem Ende zuneigt, muss nicht zwangsläufig zu jedem Gesetzesvorhaben ein politischer Dissens entstehen. Das zeigt der
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, über den wir
heute in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten. Im März hat der Bundesrat dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf bereits grundsätzlich
zugestimmt und nur einige geringfügige Änderungen
und Ergänzungen vorgeschlagen. Diese Wünsche haben wir seitens der Koalitionsfraktionen mit einem entsprechenden Änderungsantrag übernommen. Zudem
haben wir selbst auch noch weitere Anpassungen empfohlen. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung fand der Gesetzentwurf in der so geänderten Form ebenfalls breite Zustimmung. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen haben
sich der Stimme enthalten. Insofern empfiehlt der zuständige Fachausschuss also nahezu einstimmig, die
Gesetzesänderungen zu beschließen. Diese Einmütigkeit ist nicht verwunderlich. Denn in der Sache geht es
im Wesentlichen um redaktionelle Anpassungen und
Klarstellungen, die aufgrund geänderter Rahmenbedingungen erforderlich sind. Vor allem im Bereich des
Güterkraftverkehrs sind an unterschiedlichen Stellen
geringfügige Gesetzesänderungen vorzunehmen. Die
aus meiner Sicht wichtigsten Punkte möchte ich gerne
kurz darstellen.
Als Erstes sei die Anpassung der Kabotagebestimmungen genannt. So sind zwischenzeitlich die Kabotagebeschränkungen für Bulgarien und Rumänien infolge
des EU-Beitritts der beiden Länder weggefallen. Auch
für Kroatien werden diese Beschränkungen in Kürze
entbehrlich, da auch dieses Land der EU beitritt. Dieser Umstand macht Änderungen im Güterkraftverkehrsgesetz erforderlich.
Der zweite Punkt ist die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Nutzung von Daten aus der Werkverkehrsdatei. Das Bundesamt für Güterverkehr hat im
Rahmen seiner Aufgaben unter anderem Vorsorgeplanungen für Krisensituationen durchzuführen, um beispielsweise im Falle einer Naturkatastrophe Engpässe
Zu Protokoll gegebene Reden
an Transportkapazitäten zu vermeiden. Dazu soll das
Bundesamt künftig nun auch auf die Daten aus der bei
ihm bereits geführten Werkverkehrsdatei zugreifen dürfen, in der sämtliche Unternehmen aufgelistet sind, die
Werkverkehr betreiben.
Das Dritte ist die Änderung des Fahrpersonalgesetzes. Hier geht es um die Umsetzung völkerrechtlicher
Verpflichtungen aus dem Europäischen Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR-Abkommen. Durch die Neuregelung soll das bisher gültige
Prinzip der Territorialität durchbrochen werden. Wie
vom AETR-Abkommen vorgesehen, können dann auch
Verstöße gegen das Abkommen in Deutschland geahndet werden, selbst wenn diese außerhalb des Landes
begangen worden sind.
Des Weiteren ist eine Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes vorgesehen. Dort soll eine
Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Adressdaten aus der Binnenschiffsbestandsdatei an das Bundesamt für Güterverkehr geschaffen werden. Ziel ist es,
die Marktbeobachtung effektiver zu gestalten. Denn
das Bundesamt führt regelmäßig Marktgespräche mit
Unternehmen und Vertretern des Verkehrsgewerbes
und auch schriftliche Umfragen durch, um etwa die aktuelle Situation in der Binnenschifffahrt besser beurteilen zu können. Die Teilnahme an den Gesprächen
und Umfragen erfolgt zwar auf freiwilliger Basis, setzt
aber voraus, dass dem Bundesamt der potenzielle Teilnehmerkreis bekannt ist und angesprochen werden
kann.
Fünftens möchte ich die Änderung des Fahrlehrergesetzes erwähnen. Dabei geht es allerdings lediglich
um redaktionelle Anpassungen und Folgeänderungen,
die sich aus der sogenannten dritten EU-Führerscheinrichtlinie und der Änderung der FahrerlaubnisVerordnung ergeben. Im Rahmen dessen wurden nämlich die Fahrerlaubnisklassen teils neu definiert, außerdem wurde die Geschwindigkeitsbeschränkung der
Klasse L von 32 auf nunmehr 40 Kilometer pro Stunde
angehoben. Vor diesem Hintergrund muss nun auch
das Fahrlehrergesetz entsprechend angepasst werden.
Ein weiterer Punkt ist die Ergänzung der Kraftfahrzeugdefinition im Straßenverkehrsgesetz. Konkret geht
es um die Einstufung von Elektrofahrrädern, die sich
zunehmend größerer Beliebtheit erfreuen. Auch ich
selbst bin begeisterter Nutzer eines solchen Rades.
Aber angesichts des breiten Spektrums verschiedener
Modelle gibt es teilweise Rechtsunsicherheiten. Die
Nutzer fragen sich, wie diese Fahrzeuge verkehrsrechtlich einzustufen sind und ob daraus bestimmte
Konsequenzen für sie folgen, etwa im Hinblick auf
Fahrerlaubnis, Verhalten oder Zulassung. Doch da
wollen wir nun Klarheit schaffen. Wir greifen die Vorschläge der Bund-Länder-Fachausschüsse und des
Verkehrsgerichtstages auf und machen die notwendigen Klarstellungen im nationalen Recht. Damit ist
klar, dass Elektrofahrräder keine Kraftfahrzeuge sind,
wenn der Hilfsantrieb über maximal 0,25 Kilowatt
verfügt und beim Erreichen der Geschwindigkeit von
25 Kilometer pro Stunde automatisch aussetzt. Auch
eine Anfahrhilfe ist zulässig, die das Fahrrad ohne
gleichzeitiges Treten des Fahrers auf eine Geschwindigkeit von bis zu 6 Kilometer pro Stunde per Elektromotor beschleunigt.
Als Letztes will ich noch die Anpassung des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes nennen. In diesem
Zusammenhang schaffen wir die Voraussetzung dafür,
dass bei Erwerb der Grundqualifikation keine Fahrerlaubnis mehr vorliegen muss. Bislang besteht noch ein
Widerspruch zwischen Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung und Fahrerlaubnis-Verordnung, den
die Bundesregierung auflösen wird. Durch die seit dem
19. Januar 2013 geltende Fassung ist das Mindestalter
für den Erwerb bestimmter Fahrerlaubnisklassen abgesenkt, sofern eine Grundqualifikation vorliegt. Voraussetzung für den Erwerb der Grundqualifikation ist
laut Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung jedoch wiederum das Vorliegen der Fahrerlaubnis. Diesen Widerspruch wird die Bundesregierung durch eine
entsprechende Änderung der Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung beseitigen, damit die Grundqualifikation auch ohne Vorliegen einer Fahrerlaubnis erfolgen kann. Der Deutsche Bundestag sollte daher im
Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz nun klarstellen, dass bei Erwerb der Grundqualifikation aber die
Begleitung durch einen Fahrlehrer erfolgen muss.
All dies sind sinnvolle und notwendige Anpassungen. Daher freue ich mich auf Ihre breite Zustimmung
zu unserem Gesetzentwurf.
Eine Klarstellung zu Beginn: Die SPD-Fraktion
wird dem vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen. Aber
in einem Punkt entlarvt er die Untätigkeit der Bundesregierung, die bisweilen an Arbeitsverweigerung
grenzt.
Die redaktionellen Änderungen und Anpassungen
in den einzelnen Gesetzen, die die Bundesregierung
mit dem vorliegenden Entwurf vornimmt, sind sinnvoll.
Ja, sie sind notwendig.
Geändert werden, allgemein betrachtet, Kleinigkeiten, die aus juristischer Sicht jedoch wichtig sind: so
unter anderem im Güterkraftverkehrsgesetz, im Fahrpersonalgesetz und auch im Straßenverkehrsgesetz.
Im Letzteren wird übrigens Klarheit über die verkehrsrechtliche Einstufung von Elektrofahrrädern geschaffen. Endlich. Denn angesichts der zunehmenden
Beliebtheit dieser Räder und der unterschiedlich motorisierten Varianten der Drahtesel waren klare Vorschriften hier dringend nötig geworden. Diese Änderung geht damit auf das Ergebnis des 50. Deutschen
Verkehrsgerichtstages Anfang 2012 zurück, an dem ich
mitarbeiten durfte.
Aber nun kommen wir zum Knackpunkt, der sich in
Form eines Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen zum Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz darZu Protokoll gegebene Reden
stellt. Nochmals: In der aktuellen Situation ist dieser
Antrag sinnvoll, löst er doch ein Problem, das die Bundesländer bei der Umsetzung desoben genannten Gesetzes haben. Nur wäre das Problem gar nicht entstanden, wenn diese Regierung ihre Hausaufgaben
gemacht hätte.
Aber Schritt für Schritt, Worum geht es? Das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz aus dem Jahr 2006
verlangt unter anderem von allen Berufskraftfahrenden, dass sie sich jährlich sieben Stunden weiterbilden. Uberprüft wird dies alle fünf Jahre bei der Verlängerung ihrer Fahrerlaubnis. Weisen sie dort die
erforderlichen 35 Stunden Seminare nach, gibt es einen Eintrag auf dem Führerschein: Die Schlüsselzahl
95 zeigt bei jeder Kontrolle die Einhaltung der Vorschrift an.
Bei seiner Umsetzung in die Praxis - das Gesetz betrifft 805 000 Berufskraftfahrende in Deutschland sind erhebliche Probleme aufgetreten. Diese wurden
bereits 2011 durch den Bund-Länder-Arbeitskreis erkannt und benannt. Seit dieser Zeit kennt also die Bundesregierung den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet.
Dies dokumentiert sie auch in der Beantwortung einer
Kleinen Anfrage vom Januar dieses Jahres.
Was bemängeln die Länder als die Überwachungsbehörden, die Fahrschulen als die Ausführenden und
die betroffenen Speditionen und ihre Mitarbeitenden?
Das Gros der Lkw-Fahrenden ist bei kleinen Verkehrs- und Logistikunternehmen angestellt, denn diese
prägen mit einem Anteil von 75 Prozent die Branche.
Diese kleineren Betriebe suchen, angesichts des allgemeinen und internationalen Kostendrucks, nach günstigen, ja billigen Wegen, um die gesetzlichen Auflagen zu
erfüllen. Ergebnis: Die Fahrenden müssen die Kosten
für ihre Weiterbildung von einem oftmals geringen Gehalt selber tragen und für die Schulungszeiten ihren
Jahresurlaub opfern. In vielen Fällen kommt es daher
zum schwunghaften Handel mit Teilnahmebescheinigungen, ohne dass eine Seminarteilnahme stattgefunden hat. Oder die Betriebe wählen für ihr Personal den
günstigsten Anbieter für die Schulung, die zum Teil aufgrund fehlender Qualitätskriterien inhaltsleere Veranstaltungen zu Dumpingpreisen anbieten.
Beiden Problemen wäre mit klaren Vorschriften zu
begegnen: So gibt es für die Inhalte der Seminare
keine Kriterien. Zurzeit existiert zwar ein Katalog mit
drei Kenntnisbereichen und diversen Unterthemen wie
spritsparendes Fahren oder Ladungssicherung. Aber
es ist nirgends festgelegt, wie viele der Themen in dem
Fünfjahreszeitraum besprochen werden müssen. Theoretisch ist die Qualifikationsauflage auch erfüllt, wenn
sich der Kraftfahrer 35 Stunden über das Thema
„Schaltstelle Fahrer: Dienstleister, Imageträger,
Profi“ unterhält.
Auch ist die Zulassung und Überwachung der Schulungseinrichtungen nicht einheitlich geregelt. Qualitätskriterien für die Qualifikation der Lehrenden fehlen.
Hier hat die Bundesregierung versagt. Sie hat den
Ländern und auch den Seminaranbietenden keinerlei
Standards vorgegeben, die einerseits die Kontrolle ermöglichen, aber auch andererseits für Wettbewerbsgleichheit sorgen. Die Fahrschule, die ein gutes und
somit auch preislich im höheren Bereich liegendes Angebot macht, hat das Nachsehen gegenüber minderwertigen Billiganbietern. So fehlen den Ländern auch
Regeln zur Überwachung und zur Kontrolle der Weiterbildung Fahrlehrender.
Insofern handelt es sich bei dem vorgelegten Änderungsantrag um eine vernünftige Maßnahme. Er entlastet die Länder. Denn der Änderungsantrag sieht
vor: Die Nachweispflicht der Lehrenden, dass sie an
einer Weiterbildung - für die es ja zurzeit auch keinerlei Regeln gibt - teilgenommen haben, soll gestrichen
werden. Künftig sollen die Ausbildungsstätten eine
fortlaufende Weiterbildung des Lehrpersonals nur
noch gewährleisten. Diese Änderung ist richtig. Vorläufig.
Aber um das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz
zu dem zu machen, wozu es gedacht ist - einer Hilfestellung für Brummi-Fahrende, ein Instrument zur
Steigerung der Verkehrssicherheit und eine Weiterentwicklung sowohl im Umweltschutz als auch bei der
Wirtschaftlichkeit -: Da fehlen die erwähnten Regeln
und Verordnungen.
Der Bundesregierung ist all dies nach eigenen Angaben bekannt. Im Verkehrsausschuss am Mittwoch
dieser Woche musste sie jedoch zugeben, dass die notwendigen Änderungen der Gesetze in dieser Wahlperiode nicht mehr verabschiedet werden. Möglicherweise wird es jedoch noch zu Regelungen auf dem
Verordnungswege kommen.
Das ist nur ein weiteres Beispiel für die Stillstandspolitik, die für diese Regierung und insbesondere für
den Ankündigungsminister Ramsauer nichts Neues ist.
Freuen wir uns auf eine neue Wahlperiode mit einer
neuen rot-grünen Bundesregierung, die auch dieses
Problem endlich einer Lösung zuführen wird.
Die christlich-liberale Koalition regiert Deutschland seit vier Jahren. Und es sind bisher vier gute
Jahre gewesen - auch und besonders in der Verkehrspolitik. Bereits im Koalitionsvertrag hatten wir uns auf
eine Vielzahl an Vorhaben und Maßnahmen verständigt, die in Deutschland nicht zuletzt einer nachhaltigeren, stetigeren und effizienteren Finanzierung unserer Infrastruktur dienen sollen.
Hierzu gehören unter anderem neue Kriterien zur
Priorisierung von Investitionsprojekten, eine neue
Grundkonzeption für den kommenden Bundesverkehrswegeplan, die Weiterentwicklung der VIFG, der
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH,
die Verbesserung der Modelle für die Beteiligung Privater im Rahmen von ÖPP, die Beschleunigung und
Vereinfachung des Planungsrechts sowie KapazitätsZu Protokoll gegebene Reden
verbesserungen durch Verkehrssteuerungs- und Managementsysteme, um nur ein paar wenige Projekte zu
nennen. Und mit derselben Zielstrebigkeit haben wir in
den vergangenen Monaten die Novellierung des Güterverkehrsrechts vorangetrieben, über welches wir
heute debattieren.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze wollen wir als christlich-liberale Koalition eine Vielzahl
an Regelungen und Vorschriften anpassen, klarstellen
und präzisieren: angefangen beim Güterkraftverkehrsgesetz über das Fahrpersonalgesetz bis hin zum Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz. Lassen Sie mich
an dieser Stelle daher nur die wesentlichen Änderungen umreißen.
Bei Gefahrgut- und Tachografenkontrollen kam es
zwischen Lastkraftwagenfahrern einerseits und Beamten des BAG andererseits in der Vergangenheit immer
wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Dieses hat nun ein
Ende. In Zukunft muss der Lkw-Fahrer dem BAG-Beamten Zutritt zum Fahrzeug gestatten, da die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer für uns im Zweifel
Vorrang hat. Damit verbunden haben wir zudem neu
geregelt, dass die Ladungsbegleitpapiere nicht mehr
zwangsläufig in ausgedruckter Form vorliegen müssen, sondern bei einer Kontrolle beispielsweise auch
auf einem Smartphone oder Notebook präsentiert werden können. Allerdings muss der Lastkraftwagenfahrer
sicherstellen, dass die zuständigen Beamten die Dokumente jederzeit ohne technische Hilfsmittel einsehen
können. Es reicht also nicht, bloß eine CD mit den notwendigen Papieren mit sich zu führen, wenn diese
nicht auch abgespielt werden kann.
Im Vorgriff auf den Beitritt der Republik Kroatien
zur Europäischen Union am 1. Juli dieses Jahres, den
ich, am Rande bemerkt, sehr begrüße, wird im Güterkraftverkehrsgesetz bereits die notwendige Kabotagebeschränkung verankert. Die bereits ausgelaufenen
Kabotagebeschränkungen für Rumänien und Bulgarien werden hingegen gestrichen. Ein weiterer europarechtlicher Punkt betrifft die Ahndung von Auslandstaten, wozu Deutschland sich gemäß des Europäischen
Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR,
verpflichtet hat. Hierfür schaffen wir mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf die entsprechende Rechtsgrundlage.
Abschließend sei erwähnt, dass wir auch mit widersprüchlichen Regelungen zur Berufskraftfahrerqualifikation und zum Fahrerlaubniserwerb aufgeräumt haben. Auch wenn diese Regelungen auf den ersten Blick
nur als redaktionelle Anpassungen oder Klarstellungen erscheinen, so werden sie im Alltag vieles einfacher und verständlicher machen.
Die Linksfraktion beabsichtigt, diesem Gesetz zuzustimmen. Politisch umstritten ist es ja nicht. Der
Gesetzentwurf beinhaltet zwar eine Vielzahl von Neuregelungen, die aber EU-rechtliche Erfordernisse umsetzen. Vielmehr sind unserer Auffassung nach die Änderungen, die er vorsieht, fachlich auch sinnvoll.
Nichtsdestotrotz möchte ich auf ein Problem hinweisen, und zwar die Kabotageregelung. Für Kroatien
wird nun eine Kabotagebeschränkung eingeführt. Das
dürfte sich angesichts der Größe des Landes auf den
angestrebten Schutz deutscher Spediteure allerdings
kaum auswirken, zumal mit Rumänien und Bulgarien
zwei Länder aus dieser Regelung fielen, deren Lohnniveau noch niedriger ist. Dass sich dies zwangsläufig
auch auf die Lohnentwicklung in Deutschland auswirkt, macht uns Sorgen. Die Linke wünscht sich, dass
es in Europa keinen Wettbewerb mehr um die niedrigsten Lohn- und Sozialstandards gibt, sondern diese auf
einem hohen Niveau für alle festgeschrieben werden.
Nur so lässt sich Lohndumping europaweit wirksam
bekämpfen.
Wir Grüne begrüßen das Gesetz grundsätzlich. Mit
dem Gesetz erkennt die Bundesregierung die sich wandelnden Verhältnisse im Schienengüterverkehr endlich
an: In den letzten 15 Jahren haben sich Wettbewerber
der Deutschen Bahn ein Viertel des Marktes erobert
und tragen wesentlich zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bei. Deswegen ist
es konsequent, diese wichtigen Akteure des Gütertransports beim Bau und Erhalt ihrer Infrastruktur zu
unterstützen. Die vorgesehenen 25 Millionen Euro
müssten nach unserer Auffassung aber verdoppelt werden.
Das Gesetz wurde im Laufe der Beratung verbessert. Hatte es zu Beginn im November 2012 noch einige Ungenauigkeiten, konnten diese nach Stellungnahmen der Verbände und nach der Beratung im
Bundesrat verbessert werden. Damit wurde der Kreis
der nutznießenden Unternehmen ausgeweitet. Wir
müssen jetzt sehen, wie die Mittel von den nichtbundeseigenen Bahnen genutzt werden. Wichtig bleibt dabei, dass sich die Nutzung der Gleise und Anlagen in
ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügt. Bei der Mittelvergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht einfach nur der Erste das Geld bekommt und losbauen
darf. Wir brauchen vernünftige Kriterien, nach denen
die Mittel vergeben werden. Es muss darauf ankommen, wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzielen kann.
Ich bin skeptisch, ob das diese Bundesregierung
leisten kann. Dazu wäre ein Bundesmobilitätsplan notwendig, der Investitionen in die Zukunft des Verkehrs
zusammen betrachtet und Wert darauf legt, wie sich
unterschiedliche Verkehrsträger gegenseitig sinnvoll
ergänzen.
Im heutigen System werden zu viele Straßen oder
Schienenstrecken mit fragwürdigem Nutzen nach wie
vor bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel zu oft dorthin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleveren Bürgermeistern, Landräten und Bundestagsabgeordneten am
Zu Protokoll gegebene Reden
stärksten ist. Wir müssen uns deswegen vornehmen,
die Wirkung dieses Gesetzes nach einer gewissen Laufzeit zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen
vornehmen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13496, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12856
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die
Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, noch etwas durchzuhalten. Das Bündel ist noch relativ groß.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 sowie Zusatzpunkt 5 auf:
40 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Transparenz und öffentliche Kontrolle im Prozess der Organspende herstellen
- Drucksache 17/12225 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Rechtsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Organspende in Deutschland transparent organisieren
- Drucksache 17/11308 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Wir haben in der Tagesordnung bereits ausgewiesen,
dass die Reden zu Protokoll genommen werden. Das ist
auch so vereinbart.
Wir debattieren heute über den Antrag der Fraktion
Die Linke „Transparenz und öffentliche Kontrolle im
Prozess der Organspende herstellen“.
In dem vorliegenden Antrag fordert die Fraktion Die
Linke weitreichende Änderungen im Transplantationsgeschehen, da kleinere Nachjustierungen nicht ausreichen würden. Eine Überprüfung der rechtlichen und
organisatorischen Strukturen der Organtransplantation und -vergabe auf Transparenz und demokratische
Legitimierung würde grundlegende Änderungen unabdingbar machen. Dieses werde notwendig, obwohl die
Ergebnisse aus dem Spitzengespräch im Sommer 2012
zu den Manipulationsvorwürfen der Universitätskliniken Göttingen und Regensburg in die richtige Richtung
gingen.
Der Schwerpunkt der Forderungen der Linken liegt
auf einer Ausweitung der Kontrollen sowie auf mehr
Transparenz über das Organspende- und Transplantationsgeschehen. Darüber hinaus sollen Register sowohl für das Transplantationsgeschehen als auch für
Fehlverhalten bei Transplantationen eingerichtet werden.
Hierzu möchte ich Folgendes klarstellen: Im Bereich der Änderungen des Transplantationsgesetzes
wurde 2012 eine EU-Richtlinie umgesetzt und begleitend ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag, initiiert durch alle Fraktionsvorsitzenden des Deutschen
Bundestages, verabschiedet. Als erste Missstände im
Bereich der Transplantationsmedizin im Sommer
2012 bekannt wurden, wurde wiederum durch alle
Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages
der Auftrag an die Gesundheitspolitiker aller Fraktionen gegeben, sich im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit
den Vorkommnissen zu befassen und zu klären, ob aufgrund der Vorkommnisse gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Diese Arbeitsgruppe tagt seit Oktober 2012. Die Fraktion Die Linke ist regelmäßig bei
diesen Sitzungen vertreten. Alle in den Anträgen genannten Forderungen wurden bereits im Rahmen dieser Sitzungen erörtert und diskutiert. Die abschließende Sitzung hat am 20. März 2013 stattgefunden. Im
Anschluss an diese Sitzung wurde die Fraktion Die
Linke aufgefordert, ihren Antrag noch nicht in den
Deutschen Bundestag einzubringen, um den Weg für
einen gemeinsamen Bericht der Arbeitsgruppe offen zu
halten.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat zwischenzeitlich einen Entwurf für einen Entschließungsantrag ausgearbeitet, der in der kommenden Sitzungswoche mit allen Fraktionen erörtert werden soll.
Information und Aufklärung müssen bei der Organspende zukünftig stärker ins Blickfeld genommen werden.
Jeder von uns kann von heute auf morgen durch einen Unfall oder eine Krankheit in die Situation geraten, auf ein fremdes Organ angewiesen zu sein. Daher
muss noch offensiver für die Organspende geworben
werden. Deutschland bleibt bei der Organspendebereitschaft nach wie vor hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Bevölkerung muss intensiver aufgeklärt und
motiviert werden. Die Zahlen sind bekannt: 12 000 Patienten warten derzeit auf ein Organ, viele sterben, bevor der rettende Anruf zur Operation kommt. Auch haben nur 25 Prozent der Deutschen einen ausgefüllten
Organspendeausweis in ihrer Brieftasche, damit ihnen
nach dem Hirntod Organe entnommen werden können.
Bei einer Umfrage der Universität Mainz äußern sich
jedoch 90 Prozent positiv zur Organspende, 77 Prozent würden der Organentnahme bei nahen Angehörigen zustimmen.
Die Erhöhung der Spendebereitschaft in Deutschland ist sehr wichtig, denn der Erfolg der Organspende hängt auch von der Spendebereitschaft ab. Ein
Grund dafür ist sicherlich, dass man sich mit dem Tod
eigentlich nicht auseinandersetzen möchte, aber auch,
dass man Angst hat, die behandelnden Ärzte kümmern
sich nicht mehr ausreichend oder dass man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht entscheiden kann oder
will.
Information und Aufklärung der Bevölkerung müssen daher massiv verbessert werden. Voraussetzung
dafür ist zunächst ein transparentes und gerechtes
Transplantationssystem.
Der Gesetzgeber hat 1997 bei Erlass des Transplantationsgesetzes bereits die Grundsätze dafür gelegt. Mit
dem Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes
wurde im vergangenen Jahr die Kontrollinstrumentarien gestärkt und die Grundlage für mehr Transparenz
geschaffen. Eine unabhängige Prüfungs- und Überwachungskommission wurde gesetzlich verankert, ihre
Ermittlungsbefugnisse würden gestärkt und Vertreter
staatlicher Stellen in die Kommission berufen. Transplantationszentren, Entnahmekrankenhäuser sowie die
Koodinierungsstelle und Vermittlungsstelle sind gegenüber der Prüfungs- und Überwachungskommission
zur Mitwirkung an Prüfungen verpflichtet. Die
Aufsichtspflichten des Spitzenverbandes Bund der
Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der
Deutschen Krankenhausgesellschaft sind erhöht und
gesetzlich klar geregelt worden. Richtig und wichtig
war es auch, die erweiterte Zustimmungslösung beizubehalten. Forderungen nach einer Einführung der sogenannten Widerspruchslösung lehne ich ab, denn was
in einem Land wie zum Beispiel Spanien gut funktionieren kann, muss in Deutschland noch lange nicht
funktionieren.
Seit im Sommer des vergangenen Jahres Manipulationen in einem Transplantationszentrum ans Licht kamen, sind die Organspendezahlen erschreckend eingebrochen. Alle verantwortlichen Akteure müssen
deshalb die Konsequenzen aus diesen Vorgängen ziehen. Unmittelbar nach Bekanntgabe den Manipulationen hat Minister Bahr mit allen Beteiligten einen Katalog von Sofortmaßnahmen vereinbart wie die
Intensivierung der Kontrollen und Stärkung der Kontrollgremien sowie eine Erhöhung der Transparenz bei
der Wartelistenführung und der staatlichen Kontrolle
der Organspende.
Wir setzen weiterhin auf Aufklärung und Sensibilisierung. Denjenigen, die auf ein Organ warten, sprechen wir unsere Solidarität aus.
Im Gesundheitswesen werden Entscheidungen nach
verschiedenen Gesichtspunkten getroffen. Die Entscheidung für oder auch gegen eine Organspende ist
dabei immer eine persönliche Entscheidung. Jeder
Mensch sollte daher - auch mit Rücksicht auf seine
Angehörigen - eine Position zu diesem nicht ganz einfachen Thema finden. Diesem Anliegen haben wir mit
der Einführung der erweiterten Zustimmungslösung
im Mai letztes Jahr Rechnung getragen. Ich hätte mir
allerdings die Verpflichtung zu einer Entscheidung, ob
nun für oder gegen eine Spende, gewünscht. Ich hätte
es nicht bei der Freiwilligkeit für eine Entscheidung
belassen wie in der gesetzlichen Regelung zur Zustimmungslösung. Dieser Gesetzentwurf, die gesetzliche
Regelung zur verbesserten Absicherung der Lebendspender und auch ein Entschließungsantrag zur weiteren Arbeit der Deutschen Stiftung Organspende, der
DSO, waren die Ergebnisse einer fraktionsübergreifenden Runde. Unser gemeinsames Ziel war es, das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das System
der Organspende wiederherzustellen, das durch die
Kritik an der Geschäftsführung der DSO geschädigt
worden war.
Doch im Juli 2012 begann eine Entwicklung, die
wir heute als Organspendeskandal bezeichnen. Es
stellte sich heraus, dass in den Universitätsklinken in
Göttingen, Regensburg, München Rechts der Isar und
Leipzig Patientendaten manipuliert wurden, um für einige Betroffene bessere Plätze auf den Wartelisten für
ein Organ zu bekommen. In der aufgeheizten Stimmung ging in der Öffentlichkeit manches durcheinander. Die Vorfälle in Göttingen und anderswo betrafen
bekanntlich Fragen der Organverteilung, für die die
Deutsche Stiftung Organspende gar nicht zuständig
ist. Trotzdem: Auch berechtigte Vorwürfe, die etwa die
Verwendung von Stiftungsgeldern betreffen, oder Probleme bei der inneren Organisation und Zusammenarbeit innerhalb der DSO dienen nicht dazu, Vertrauen
in unser Organspendesystem zu vergrößern. Daher
tagte die fraktionsübergreifende Runde, die bisher
gute Lösungen im Konsens erreicht hatte, auch nach
der Verabschiedung des Gesetzes weiter. Auch Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
der Linken, waren vertreten. Wir haben gemeinsam mit
der Selbstverwaltung, Experten von Transplantationszentren, der DSO, Eurotransplant und Juristen weitere
Schritte diskutiert, die den gesamten Prozess der
Organspende transparenter und weniger anfällig für
Zu Protokoll gegebene Reden
Manipulationen machen sollen. Denn wir waren uns
einig, dass sich nur durch Transparenz, Kontrolle und
klare, nachvollziehbare Regelungen das Vertrauen in
den Organspendeprozess wiederherstellen lässt.
Bei den Datenmanipulationen im Transplantationsskandal wurden beispielsweise Dialysen vorgetäuscht
und medizinische Werte gefälscht. Durch die Kontrollmöglichkeit und Dokumentation der Daten in einer
entsprechenden Qualitätssicherungsmaßnahme und
Transplantationskonferenzen wären diese Datenmanipulationen aufgefallen. Diese Regelungen sind jetzt
gesetzlich vorgeschrieben.
Ich halte es für unvermeidlich, dass wir darüber
hinaus die Zahl der Transplantationszentren in
Deutschland überdenken müssen. 49 Transplantationszentren „konkurrieren“ heute um Patienten und Organe - mit allen negativen Nebenwirkungen, die eine
solche Konkurrenz hat. Es ist unvermeidlich, dass wir
nicht nur zur Stärkung der Qualität, sondern auch zur
Vermeidung von Kontrolldefiziten die Zahl der Zentren
reduzieren müssen.
Die Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion sprechen einen weiteren richtigen Punkt an: Es
gibt Fehlanreize im Krankenhausbereich, die wir beseitigen müssen. Diese Missstände betreffen nicht alleine den Bereich der Transplantationsmedizin. Nach
wie vor werden in den Verträgen der Chefärztinnen
und -ärzte finanzielle Anreize gesetzt, die Fallzahlen
zu erhöhen. Zielvereinbarungen dürfen sich aus Sicht
der SPD ausschließlich auf die Qualität der Behandlung beziehen. Ausschlaggebend für die Vergütung
darf nicht die Zahl der Operationen sein, sondern beispielsweise, ob die Patienten weniger Komplikationen
nach der Operation haben. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Regierungsfraktionen, da reichen
die kleinen Änderungen, die Sie ans Krebsplanumsetzungs- und -registergesetz geheftet haben, bei weitem
nicht aus. Die SPD setzt sich nach wie vor für ein Verbot dieser Art von Vereinbarungen ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
und der Linken, Ihre Anträge zielen nicht darauf, das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das System
der Organspende wiederherzustellen. Sie zeichnen ein
nachweisbar falsches Bild der Situation. Das hat zum
Teil damit zu tun, dass Ihre Anträge veraltet sind. Ein
Großteil Ihrer Forderungen ist inzwischen erfüllt. So
wurden beispielsweise die Offenlegung der Prüfberichte der Überwachungskommission, die Ausweitung
der Kontrollen der Transplantationszentren und die
Einführung interdisziplinärer Transplantationskonferenzen bereits umgesetzt. Wenn es Ihnen wirklich um
Verbesserungen gehen würde, hätten Sie sich wenigstens die Mühe gemacht, neue Anträge zu verfassen.
Andere Teile sind Forderungen, von denen Sie genau wissen, dass diese keine Mehrheit im Bundestag
finden. Sie verabschieden sich von einer fraktionsübergreifenden Lösung und setzen auf einen populistischen Alleingang. Das einzige, was Sie damit erreichen sind weniger Organspenden. Sie fordern in Ihren
jeweiligen Anträgen die komplette Umwandlung der
DSO in eine staatliche Behörde. Ich gebe zu, es ist in
der Tat ungewöhnlich, dass bei uns in Deutschland die
Organisation der Organentnahme und des Transports
in den Händen einer privaten Stiftung liegt. Aber was
genau wollen Sie denn an der Koordinierungsstelle
verbessern, das nur durch eine staatliche Behörde geleistet werden kann? Möchten Sie gerne, dass die Angehörigengespräche von Beamten geführt werden?
Die Einrichtung einer neuen Koordinierungsstelle löst
keines der aktuellen Probleme. Sie als Fachleute wissen es so gut wie ich: Die Manipulationen der Daten
fanden nicht in einer profitorientierten Privatklinik
statt, sondern an staatlichen Universitätskliniken.
Die geplante Ausrichtung des Stiftungsrates der
DSO, die der neue hauptamtliche DSO-Vorstand
Dr. Rainer Hess auf den Weg gebracht hat, stellt einen
guten Kompromiss zwischen staatlicher Aufsicht und
funktionierender Selbstverwaltung dar. Zukünftig verfügen neben der Bundesärztekammer, der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, dem GKV-Spitzenverband
und der Deutschen Transplantationsgesellschaft Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit und der
Gesundheitsministerkonferenz der Länder über Stimmrechte. Dadurch hat auch die Politik einen maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit der DSO. Auch die
Patientinnen und Patienten erhalten bessere Beteiligungsrechte. Sie werden durch zwei zusätzliche Mitglieder, Transplantierte oder Angehörige vertreten, die
zwar kein Stimmrecht, aber ein Antragsrecht haben.
Die Bundesländer sind aber auch aufgefordert, ihren Überwachungspflichten gegenüber den Transplantationszentren und deren Leitungen ausnahmslos
nachzukommen. Das wurde durch die Länderbehörden
in der Vergangenheit versäumt. Alle müssen an ihrem
Platz dafür arbeiten, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen und die Bereitschaft zur Organspende zu stärken.
Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir mit einer
breiten Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg
das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung verabschiedet. Wir wollten mehr Menschen mit der Frage,
ob sie nach ihrem Tod Organspender sein wollen, konfrontieren. Sich mit dem Thema auseinanderzusetzen
und eine Entscheidung zu fällen, war unser Ziel genauso wie das, durch eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte die Chancen für Schwerkranke auf ein
Spenderorgan zu erhöhen.
Durch die im letzten Jahr aufgedeckten Manipulationen an Transplantationszentren ist Vertrauen verloren gegangen, und die Spenderzahlen sind erst einmal
stark zurückgegangen.
Wir haben letztes Jahr aber auch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes verabschiedet, in
dem die Kontrollinstrumentarien gestärkt und die
Grundlage für mehr Transparenz geschaffen wurde. So
Zu Protokoll gegebene Reden
wurden beispielsweise Kontrollen intensiviert, interdisziplinäre Transplantationskonferenzen nach dem
Mehr-Augen-Prinzip eingerichtet oder auch die
Rechtsaufsicht verstärkt. Die aufgedeckten Manipulationsfälle stammen alle aus der Zeit, bevor diese Maßnahmen beschlossen wurden.
Seit Bekanntwerden der Vorwürfe war es unser
oberstes Ziel, das verloren gegangene Vertrauen durch
eine lückenlose Aufklärung der Verfehlungen sowie
Konsequenzen gegenüber den Verantwortlichen und
verstärkte Kontrolle zurückzugewinnen. So hat der
Bundesminister für Gesundheit direkt nach dem Bekanntwerden der Manipulationen einen Katalog von
Sofortmaßnahmen erstellt, die inzwischen umgesetzt
wurden: zum Beispiel regelmäßige, unangekündigte
Überprüfungen aller Transplantationszentren, die Verstärkung der Prüfungskommission durch eine Taskforce
oder die Einrichtung einer unabhängigen Vertrauensstelle zur Meldung von Auffälligkeiten.
Zudem haben wir uns im letzten Jahr regelmäßig
mit Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit
sowie zahlreichen Experten getroffen, um den Prüfprozess zu begleiten und der Frage nachzugehen, ob und wenn ja - welche weiteren Maßnahmen zur Verhinderung zukünftiger Manipulationen erarbeitet werden
müssten. Alle Fraktionen wurden beteiligt, was dem
Wunsch der Fraktionsvorsitzenden nach einem gemeinsamen Weg entsprach. Deshalb wundere ich mich,
dass wir heute zwei Anträge vorliegen haben, obwohl
die Arbeitsgruppe aktuell dabei ist, sich auf gemeinsame Maßnahmen zu verständigen.
Ihre Forderungen zeigen dabei Ihre grenzenlose
Staatshörigkeit: Obwohl die Manipulationen von einzelnen Ärzte begangen wurden und nicht durch die
Selbstverwaltung verursacht wurden, ist Ihr Ziel eine
staatliche Koordinierungsstelle. Die Manipulationen
wurden durch die Selbstverwaltung aufgedeckt. Deshalb war es der richtige Schritt von Gesundheitsminister Daniel Bahr, die Prüfungskommissionen zu stärken, anstatt wie Sie es fordern, sie durch eine neu zu
schaffende Behörde zu ersetzen.
Wir haben im letzten Jahr viele wichtige Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt, die gerade dabei sind,
zu greifen. CDU/CSU, FDP und SPD haben mit ihrem
Verhalten in dieser Frage deutlich gemacht, dass ein
gemeinsames politisches Vorgehen der Politik auch
dem Zweck dienen soll, durch Gemeinsamkeit verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Zudem wird es nach Abschluss der Beratungen im
Bundesministerium für Gesundheit noch einen weiteren Maßnahmenkatalog geben. Damit sind wir auf
dem richtigen Weg, das Transplantationswesen in
Deutschland gegen Manipulationsversuche zu stärken.
Zudem wird demnächst eine Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung anlaufen, die
die Bevölkerung mit Informationen versorgen wird,
und dadurch mithilft, verloren gegangenes Vertrauen
wieder aufzubauen. Denn das muss unser oberstes Ziel
sein, damit die rund 12 000 Menschen, die auf ein lebensrettendes Organ warten, eine Chance bekommen.
Vor genau einem Jahr hat sich der Bundestag zum
letzten Mal ausführlich mit Organtransplantation beschäftigt. Damals ging es vor allem um die sogenannte
Entscheidungslösung, mit der mehr Organspenderinnen und -spender gewonnen werden sollten. Gleichzeitig wurde noch ein Gesetz zur Organisation des
Transplantationswesens, das TPG-Änderungsgesetz,
beschlossen - gegen die Stimmen der Linken.
Kaum hatte der Bundespräsident diese Gesetze unterschrieben - die Tinte war noch nicht ganz trocken -,
als im Juli 2012 die erste „Bombe“ mit dem Göttinger
Transplantationsskandal platzte. Dort hatten Mediziner Krankenakten manipuliert, um schneller an Organe für Transplantationen zu kommen. Später wurden
weitere ähnliche Vorfälle aus Regensburg, Hamburg
und Leipzig aufgedeckt.
Dabei war schon im Frühjahr 2012 klar geworden,
dass es bei Organtransplantationen oft nicht so sauber
zugeht, wie es die Bürgerinnen und Bürger mit Recht
erwarten. Die Linke hatte schon damals mit einem Antrag mehr Transparenz, Kontrolle und Legitimierung
der mit Organtransplantationen beauftragten Organisationen gefordert. Damals war es die DSO, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die mit zweifelhaftem Geschäftsgebaren von sich reden machte.
Aber die Mehrheit des Bundestages ging davon aus,
es wäre für das Vertrauen der Bevölkerung und für die
Spendenbereitschaft besser, die Missstände unter den
Teppich zu kehren. Noch bis Sommer letzten Jahres
meinten einige gar, nicht Schummeleien und Manipulationen bei der Organzuteilung und bei der Koordinierung des Transplantationsgeschehens wären der
wahre Skandal, sondern Medienberichte über diese
Machenschaften. Aber ihre Taktik ist leider gescheitert. Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist
massiv zurückgegangen, und wenn wir weiter nichts
tun, dann können wir das verlorene Vertrauen eben
nicht zurückgewinnen und dann warten noch mehr
Menschen vergeblich auf ein Spenderorgan.
Deswegen hätte ich mir sehr gewünscht, dass wir
heute - nach einem Jahr - mit einem Gesetzentwurf
gemeinsam die Missstände beheben und so das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende wiederherstellen. Aber die Regierungsfraktionen und auch
die SPD haben auf Zeit gespielt und so verhindert,
dass noch in dieser Wahlperiode gesetzliche Veränderungen stattfinden können. So wird es bei den unzureichenden Reförmchen bleiben, die das Bundesgesundheitsministerium zusammen mit der Bundesärztekammer, der Krankenhausgesellschaft und der DSO
beim Krisengipfel vom 27. August letzten Jahres vereinbart hat.
Das Sechsaugenprinzip, etwas häufigere Prüfungen
der Zentren oder eine Verbesserung der DokumentaZu Protokoll gegebene Reden
tion sind ja nicht verkehrt. Wir meinen jedoch, das
reicht hinten und vorn nicht. Darum haben wir das,
was bei Ihrem Krisengipfel vereinbart wurde, geprüft,
sinnvolle Elemente in unseren Antrag übernommen
und sie um weitergehende Forderungen ergänzt.
Das betrifft zum Beispiel die Ärzte, die Patientendaten manipulieren: Diese gehen nach heutiger Rechtslage straffrei aus, wenn sie erklären, sie hätten nur im
Interesse ihrer Patienten gehandelt, und wenn nicht im
Einzelfall bewiesen werden kann, welche ganz konkrete Patientin in einem anderen Krankenhaus durch
die Schummeleien in Göttingen um ein Spenderorgan
betrogen wurde und eventuell dadurch sogar verstorben ist. Die Linke meint: Hier müssen im Arbeits-, Berufs- und Standesrecht wirksame Sanktionen ermöglicht werden. Bonuszahlungen und andere Anreize zur
Mengenausweitung gehören in diesem hochsensiblen
Bereich gesetzlich verboten.
Außerdem fordern wir, dass neben einem Transplantationsregister für Patienten auch die Ärzte, die auffällig geworden sind, registriert werden. Sonst reicht in
unserem Bundesstaat eventuell der Umzug von Regensburg nach Göttingen, um einem schwarzen Schaf
wieder ein weißes Fell zu verpassen.
Die Kontrollen der Transplantationszentren müssen
noch engmaschiger und effizienter gestaltet werden.
Nicht zuletzt müssen die Aufgaben der Bundesärztekammer und der DSO neu überdacht werden: Dürfen
Koordinierung, Durchführung und Richtlinienkompetenz der Organtransplantation wirklich an einen Verein und an eine private Stiftung delegiert werden?
Nach dem immensen Vertrauensverlust muss die Überführung der Koordinierungsstelle in eine Körperschaft
öffentlichen Rechts oder in eine Behörde ernsthaft erwogen werden.
Wir müssen über die Missstände im Transplantationssystem offen diskutieren und um wirksame
Lösungen ringen, denn nur dann können wir den
Menschen guten Gewissens garantieren: Als Organspender und als Organempfänger könnt ihr
euch in unserem Gesundheitswesen darauf verlassen, dass es gerecht zugeht! Deswegen bitte ich Sie
darum, unseren Antrag und den von Bündnis 90/
Die Grünen ernsthaft zu prüfen und damit eine
neue Kultur der Transparenz und des Vertrauens zu
ermöglichen.
Im letzten Jahr wurden im deutschen Transplantationswesen schwere Missstände bekannt. Wartelisten
wurden manipuliert, sodass einige Patienten auf Kosten anderer bevorzugt wurden, indem sie zum Beispiel
kränker gemacht wurden, als sie waren.
Schon zuvor hatte es massive Kritik am Führungsstil und an der aggressiven Lobbyarbeit der Deutschen
Stiftung Organtransplantation, DSO, gegeben, deren
Aufgabe eigentlich darin besteht, die Organspende in
Deutschland voranzubringen.
Diese Missstände und Skandale haben sicher dazu
beigetragen, dass die Spendenbereitschaft drastisch
gesunken ist, im Jahr 2012 um 12,8 Prozent auf den
niedrigsten Stand seit 2002. Zwischen Januar und
März 2013 gab es sogar 18 Prozent weniger Organspender als im Vorjahreszeitraum.
Wer Organe spenden will, muss sich absolut sicher
sein, dass dabei auch alles mit rechten Dingen zugeht.
Die Vorstellung, dass die eigenen Organe Objekte von
Manipulationen werden, ist grauenhaft. Man möchte
auf keinen Fall zum Opfer werden und entscheidet sich
im Zweifelsfall gegen eine Organspende, räumt den
ehemals ausgefüllten Spendenausweis in die hinterste
Schubladenecke oder vernichtet ihn sogar. Darum ist
es folgerichtig, dass die Spendenbereitschaft sinkt, sobald die Zustände undurchschaubar werden. Nicht folgerichtig ist, dass eine Reaktion der Bundesregierung
auf die Skandale ausblieb.
Das Transplantationswesen kann nur funktionieren,
wenn die Menschen ihm vertrauen. Vertrauen aber gibt
es nur mit Transparenz und Kontrolle. Statt für mehr
Transparenz und Kontrolle zu sorgen, täuscht Daniel
Bahr mit ein paar kleinen Nachbesserungen Aktivität
vor. Er hat zwar regelmäßig Vertreter aller Fraktionen
ins Gesundheitsministerium eingeladen, und es wäre
sehr schön gewesen, gerade bei diesem Thema eine gemeinsame Lösung zu finden. Doch leider verweigern
sich die Koalitionsfraktionen gegen jeden Eingriff in
die Strukturen des Transplantationssystems. Offenbar
haben sie Angst, sich mit den mächtigen Akteuren im
Transplantationswesen anzulegen.
Stattdessen feiern sie kleinste Nachbesserungen wie
die Aufnahme zweier zusätzlicher Vertreter von Bund
und Ländern in den Stiftungsrat der DSO als staatliche
Kontrolle; dabei sitzen nach wie vor nur vier - von insgesamt zwölf - Vertreter aus Bund und Ländern im
Stiftungsrat. Die können locker überstimmt werden.
Unter staatlicher Kontrolle stellen wir uns etwas anderes vor.
Solche Nachbesserungen nutzen gar nichts. Das gesamte System ist eine Fehlkonstruktion und muss auf
den Prüfstand. Wir wissen, wo die Schwachstellen und
Anfälligkeiten liegen:
Es fehlt eine staatliche Koordination und Aufsicht.
Und die Kontrolleure sind nicht unabhängig, sondern
eng mit der Transplantationsszene verbandelt. So sitzen zum Beispiel die medizinischen Vorstände von
DSO und Eurotransplant in den Kommissionen, die sie
kontrollieren sollen. Rechtsverstöße, wie sie bei der
Manipulation von Wartelisten vorliegen, können kaum
geahndet werden, da ein Straftatbestand dafür fehlt. Es
herrscht keine Vergleichbarkeit bei Organvergaben,
die auf Ausnahmeregelungen basieren. Außerdem gibt
es, zumindest in einigen Regionen Deutschlands, zu
viele Transplantationszentren, die in Konkurrenz zueiZu Protokoll gegebene Reden
nander treten, also besonders viel transplantieren
müssen, um ihre Existenzberechtigung zu beweisen.
Wir wollen die Strukturen ändern und fordern darum eine staatliche Stelle zur Koordinierung der
Organtransplantation, die auch die Kontrolle der am
Transplantationswesen beteiligten Einrichtungen
übernehmen soll. Sobald der Verdacht eines Rechtsverstoßes vorliegt, muss die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden.
Um eventuelle Unregelmäßigkeiten bei der Organvermittlung nach Ausnahmeregeln schneller erkennen
zu können, wollen wir ein nationales, öffentliches
Transplantationsregister - selbstverständlich unter
Beachtung des Datenschutzes. Und wir wollen die
Zahl der Transplantationszentren verringern, um
Fehlanreize, die zu Steigerungen der Transplantationen um jeden Preis führen können, abzubauen.
Nur mit transparenten und nachvollziehbaren Strukturen, eindeutigen Zuständigkeiten und einer unabhängigen Kontrolle können wir das Vertrauen in unser
Transplantationssystem zurückgewinnen. Die Menschen wollen wissen, was passiert, und sie wollen auch
wissen, dass Verstöße geahndet werden.
Dann könnte auch die Bereitschaft zur Organspende wieder steigen. Das würde ganz besonders
denjenigen schwer kranken Patienten zugutekommen,
die auf ein Organ warten und jetzt zusehen müssen,
wie ihre Chancen sinken.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/12225 und 17/11308 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Dann haben wir
gemeinsam die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 43:
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 3. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch
- Drucksache 17/12958 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über
den Informationsaustausch in Steuersachen
- Drucksache 17/12959 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 17/13345 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding ({1})
Die Reden werden zu Protokoll genommen.
Dem Deutschen Bundestag liegen heute zwei Gesetzesentwürfe zur Ratifikation von überarbeiten Abkommen über die Unterstützung und gegenseitigen Informationsaustausch der Cookinseln und Grenada mit
der Bundesrepublik Deutschland vor.
Grundsätzlich dienen Abkommen zum Austausch
von Informationen in Steuersachen dazu, Informationen über Steuerpflichtige zu erlangen und mögliche
unversteuerte Vermögen und Einkommen zu ermitteln.
Sie sind ein wesentlicher Baustein bei der Bekämpfung
der nationalen Steuerhinterziehung und machen es
dem Steuerschuldner schwerer, Vermögen und Einnahmen unentdeckt im Ausland zu deponieren.
Mit den Cookinseln und Grenada wird nach dem
heutigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens
die Zusammenarbeit in Steuersachen nach OECDStandard getan. Sowohl die Cookinseln als auch Grenada haben den OECD-Standard zu Transparenz und
effektivem Informationsaustausch für Besteuerungszwecke vollumfänglich anerkannt und sich bereit erklärt, ihn in Abkommen mit OECD-Mitgliedstaaten
umzusetzen.
Die beiden Informationsaustauschabkommen wurden am 3. April 2012 mit den Cookinseln bzw. am
3. Februar 2011 mit Grenada unterzeichnet. Sie verpflichten jede Vertragspartei, der anderen Vertragspartei auf Ersuchen alle für ein Besteuerungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen
Informationen zu erteilen. Die Abkommen enthalten
alle Kernelemente des OECD-Standards, wie er sich
aus dem Musterabkommen für den Auskunftsaustausch
({0}) ergibt. Beide Abkommen regeln die gegenseitige behördliche Unterstützung in Steuersachen und
Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch auf
Ersuchen im Einzelfall.
Grenada und die Cookinseln haben sich jeweils gegenüber der OECD zur Akzeptanz der Grundsätze zu
Transparenz und effektivem Informationsaustausch
verpflichtet. Mit der Unterzeichnung der Abkommen
sind beide Länder dieser Verpflichtung auch im
Verhältnis zu Deutschland nachgekommen. Mit den
vorliegenden Entwürfen für Vertragsgesetze werden
die Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden
Körperschaften erlangen, die für die Ratifikation erforderlich ist.
Die beiden Abkommen sind uneingeschränkt zu unterstützen. Sie sind wichtiger Bestandteil der Strategie
der Koalition, Steueroasen auszutrocknen und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Die heute vorliegenden
Abkommen sind ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung
der Steuerhinterziehung und zur Eindämmung eines
schädlichen Steuerwettbewerbs allgemein.
Die christlich-liberale Koalition hat in der laufenden Legislaturperiode 36 solcher Abkommen unterzeichnet und auf den Weg gebracht. In der vorherigen Legislaturperiode unter Bundesfinanzminister
Steinbrück ({1}) waren es nur 6.
Perspektivisch arbeitet Bundesfinanzminister
Schäuble daran, einen weitergehenden Standard
durchzusetzen: den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen. Hier setzt die deutsche Bundesregierung zunächst auf Bemühungen im europäischen Verbund zur Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie.
Wir wollen diesen Weg weitergehen, damit eine
effektive Bekämpfung der Steuerhinterziehung auch
weiterhin gewährleistet ist. Wir setzen auf bilaterale
Abkommen und Zusammenarbeit mit unseren Partnern
weltweit.
Die heute vorliegenden Abkommen sind ein Beitrag
zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und zur Eindämmung eines schädlichen Steuerwettbewerbs allgemein. Sie dienen weiterhin der Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland
und den jeweiligen Vertragspartnern.
Zusammenfassend kann ich feststellen, dass die
Verhandlungsvertreter der Bundesrepublik sehr gute
Ergebnisse und Regelungen im Sinne der effektiven
Bekämpfung der Steuerhinterziehung ausgehandelt
haben.
Heute stimmen wir nun über weitere Steuerinformationsaustauschabkommen ab und tun damit wirklich
etwas Direktes gegen Steuerhinterziehung. Die
Unionsfraktion begrüßt die vorliegenden Gesetzesentwürfe und wird ihnen aus den von mir erläuterten
Gründen zustimmen.
Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung zwei
Regierungsentwürfe der Bundesregierung, die beide
ein Ziel haben: die Erleichterung der Aufklärung
grenzüberschreitender Sachverhalte in Steuer- und
Steuerstrafsachen, bei denen es erforderlich ist, dass
ein Land von einem anderen Amts- und Rechtshilfe erhält. Dazu bedarf es einer völkerrechtlichen Vereinbarung, um auf dieser Grundlage durch die nationale Behörde ein Amtshilfeersuchen stellen zu können.
In Tax Information Exchange Agreements - oder
TIEAs, wie sie international genannt werden - haben
sich sowohl die Cookinseln als auch Grenada in bilateralen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik
Deutschland zu Transparenz und einem effektiven Informationsaustausch, entsprechend dem Standard der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung - OECD -, verpflichtet sowie dazu, diese
Ziele auch umzusetzen.
Solche Abkommen, ähnlich den DBA - Doppelbesteuerungsabkommen -, sind seit vielen Jahren
Standard. Schon während der Regierungsphase mit
rot-grüner Regierungskoalition haben wir, die SPDFraktion, aber auch die Grünen, darauf gedrungen,
den OECD-Standard weiterzuentwickeln. Schon damals war klar, dass über kurz oder lang der automatische Informationsaustausch unverzichtbar sein würde.
Davon wäre grundsätzlich das Bankgeheimnis berührt
und eine neue Kultur in grenzüberschreitenden Steuerfragen etabliert. Zuvorderst die FDP, aber auch viele
CDU-Kollegen haben sich mit Händen und Füßen gegen solche Vorschläge gewehrt. Das Allerprivateste,
das Bankgeheimnis aufzugeben - ein Graus für all die
ehrlichen Steuerzahler mit ihren Konten in der
Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein oder wo auch immer. Bisher haben wir auch den Abkommen, die nun
die schwarz-gelbe Regierung auf gleicher Grundlage
verhandelt hat, zugestimmt. Geduldig warteten wir darauf, dass die Regierung in der OECD für ein neues
Musterabkommen mit automatischem Informationsaustausch kämpft.
Seit einiger Zeit nun - Sie lesen das auch auf der
Website des BMF und in der Presse - verpassen sich
der Finanzminister, CDU- und FDP-Fraktion mit ihren Marketingabteilungen ein neues Image, ein neues
Bild. Der Finanzminister und seine Regierungskoalition - gestern noch die Gralshüter der Geheimniskrämerei in der Bankenwelt - simulieren die Speerspitze
von Transparenz, Informationsaustausch und Steuerehrlichkeit - wenngleich sie gleichzeitig ein bilaterales Abkommen mit der Schweiz vereinbaren, das eine
ganz andere Sprache spricht, die Sprache von Anonymisierung, von Sonderbehandlung steuerlicher Straftaten etc. etc.
Nachdem ich diesen Sachverhalt auch für die heute
zu beschließende Tax Information Exchange Agreements mit Grenada und den Cookinseln im Finanzausschuss und in der ersten Lesung ansprach und für den
neuen Geist der Regierung in diesen Abkommen eine
Vermisstenanzeige aufgab, wurden wir plötzlich dafür
beschimpft, dass wir ja bisher stets den Abkommen auf
Grundlage der alten Standards zugestimmt hätten.
Diesen Vorgang nehmen wir natürlich sehr ernst,
werden diesmal nicht Zustimmen und fordern deshalb
die Regierung auf, die Abkommen neu zu verhandeln auf Grundlage ihrer eigenen Maßstäbe, gemäß ihrem
eigenen Marketing. Auf diese Weise wollen wir die Regierung dabei unterstützen, Reden und Handeln in
Übereinstimmung zu bringen. Damit würden wir der
CDU - und uns - auch ersparen, uns dafür zu beschimpfen, dass wir gelegentlich mit ihr gemeinsam
abstimmen.
Vorgesehen ist ein OECD-konformes Verfahren bei
der Kooperation beider Länder in Steuerfragen. Dabei
haben sich die Cookinseln bereits im März 2002 gegenüber der OECD verpflichtet und sind dem mit der
Unterzeichnung des Abkommens mit Deutschland im
April 2012 nachgekommen, und Grenada verpflichtete
sich gegenüber der OECD im Februar 2002 und unterzeichnete das Abkommen mit Deutschland bereits im
Februar 2011, auf altem Standard - hier gibt es also
noch Aufgaben zur Nachverhandlung für den Finanzminister.
Zu Protokoll gegebene Reden
Lothar Binding ({0})
Was uns hier vorliegt, sind die Vertragsgesetze, die
für die Ratifikation der Zustimmung des Deutschen
Bundestages bedürfen. Dabei will ich offen sagen: Vieles an den Abkommen ist gut, deshalb haben wir in
ähnlichen Fällen in der Vergangenheit auch zugestimmt.
Diese Art der zwischenstaatlichen Amtshilfe durch
den Austausch von Informationen ist sinnvoll, wenn
die Finanzbehörden eines Landes grenzüberschreitende Sachverhalte nicht angemessen aufklären können, weil sie bei ihren Ermittlungen auf das eigene
Staatsgebiet beschränkt sind und Beteiligte oder
Dritte, die im Ausland ansässig sind, an sich nicht zur
Aufklärung herangezogen werden können. Wie schwierig die Aufklärung in diesen Fällen ist, wurde noch
einmal durch die Berichterstattung, insbesondere der
letzten Monate, deutlich. Dabei geht es nicht immer
zulasten des Steuerpflichtigen. Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung kann auch zu einer Entlastung des
Steuerpflichtigen beitragen, ein allgemeines Ziel der
BDA - doppelte Besteuerung vermeiden -, aber auch
doppelte Nichtbesteuerung.
Wir müssen uns jedoch die Frage stellen, ob wir dieses Ziel - Sachverhalte effizient und umfassend aufklären zu können - auf diese Weise und mit diesen beiden
Abkommen und Gesetzentwürfen erreichen können.
Gemessen an den neuen Ansprüchen der Bundesregierung ist die Antwort: nein.
Die Frage, die sich uns bei diesen beiden Abkommen stellt, ist die nach dem Zweck. Für uns ist dies
ganz klar die Erreichung einer höchstmöglichen Steuergerechtigkeit und die faire Gleichbehandlung aller
Steuerpflichtigen in Steuerfragen. Um aber sicherstellen zu können, dass sich niemand seinen Verpflichtungen entziehen kann, nur weil er über die entsprechenden Mittel, Möglichkeiten und Verbindungen verfügt,
muss ein Steuerpflichtiger, der grenzüberschreitend
aktiv wird, genauso behandelt werden können wie ein
Steuerpflichtiger im Inland.
Um dies angemessen beurteilen zu können, ist ein
hohes Maß an Transparenz erforderlich. Nur dann
kann ein Sachverhalt so aufgeklärt werden, wie es im
Inland möglich ist, wo die Möglichkeit besteht, dass
sich - nicht nur - Behörden untereinander verständigen und die Informationen, die sie benötigen, austauschen - alles in einem rechtmäßigen Rahmen und auf
der Grundlage von Vorschriften und Richtlinien.
Dies hat für uns einen einfachen, aber sehr überzeugenden Hintergrund. Denn wir haben uns nicht nur des
Themas Steuergerechtigkeit, sondern auch des
Kampfes gegen Steuerbetrug angenommen, der in einem nicht unerheblichen Maße gerade das Tagesgeschehen, aber auch die politische Debatte bestimmt.
Dabei möchte ich betonen, dass Steuerhinterziehung
keine Sünde ist - wie die CDU in einem Flugblatt
meint -, sondern eine Straftat, die nur durch ein effektives und zielgerichtetes Vorgehen aufgedeckt werden
kann.
Tatsächlich liegt die Lösung für eine wirksame Bekämpfung der Steuervermeidung, aber auch der Steuerhinterziehung nicht im nationalen Steuerrecht. Sie
liegt darin, zu verhindern, dass Steuerpflichtige, die
ihrer Pflicht nicht nachkommen wollen, in anderen
Ländern Anreize vorfinden, die ihnen die entsprechenden Möglichkeiten und Vorteile geben. Deshalb sind
schwarze und graue Listen notwendig, Melderegister
von Unternehmen, die Töchter in Steueroasen haben
etc. Aber so ernst meint die Koalition ihre eigenen
Marketingaussagen auch wieder nicht - oder vielleicht
doch? Ich bin gespannt, ob Sie Ihre Regierung zum
Nachverhandeln schicken oder alles einfach absegnen.
Darum lehnen wir, wie eben erläutert, in diesem
Fall und erstmalig zwei solcher Abkommen ab. Dabei
ist uns bewusst, dass es nicht nur einer weitgehenden
Vereinheitlichung des europäischen Steuerrechtes,
sondern auch noch einer ganzen Fülle internationaler
Abkommen bedarf, um Steueroasen trockenzulegen
und das Maß an Steuergerechtigkeit zu erhöhen.
Dabei gibt es sehr verschiedene Ebenen, auf denen
Verhandlungs- oder Diskussionsbedarf besteht: die internationale Ebene im Hinblick auf die internationalen
Mindeststandards, die bilaterale Ebene bei der Aushandlung von Abkommen und die Ebene, auf der es um
die Wahl der Mittel geht.
Dabei liegt ein nicht unerhebliches Problem darin,
dass Länder, die solch ein Abkommen unterzeichnen,
von der sogenannten grauen Liste der Steuerparadiese
der OECD heruntergenommen werden. Auf diesen
grauen Listen finden Sie die Länder, die angegeben haben, den OECD-Standard umsetzen zu wollen, dem
aber bislang nur ungenügend nachgekommen sind. In
den schwarzen Listen befanden sich die Länder, die
eine Kooperation verweigern. Diese schwarze Liste
musste bereits kurz nach ihrer Erstellung überarbeitet
und bereinigt werden, nicht weil man sich bei der Erstellung geirrt hatte oder die Situation falsch eingeschätzt hatte, sondern weil sich die entsprechenden
Länder dann doch kooperativ zeigten.
Ohne unterstellen zu wollen, dass dies die Intention
einer Unterzeichnung von Informationsaustauschabkommen durch die entsprechenden Länder ist, kann
man dennoch nicht ausschließen, dass die Streichung
von der grauen Liste eine Rolle spielt oder gespielt hat
und Steueroasen und Offshorezentren für Abkommen
nach dem TIEA-Modell geöffnet hat.
Auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums
können wir zudem nachlesen, dass es sich bei den Abkommen mit den Cookinseln und Grenada zum Steuerinformationsaustausch um einen wichtigen Beitrag zur
Steuergerechtigkeit handelt. Dies ist es tatsächlich: ein
Beitrag - nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen
nun aber darüber hinaus, weil das BMF andernfalls
seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.
Dies entspricht letztlich auch den Lehren, die wir
aus den Erfahrungen im Zusammenhang mit dem
deutsch-schweizerischen Steuerabkommen ziehen sollZu Protokoll gegebene Reden
Lothar Binding ({1})
ten. Die Schweizer Regierung war bestrebt, das dortige Bankgeheimnis zu schützen und die Arbeit ihrer
Banken zu erleichtern, und Deutschland wäre ihnen an
dem Punkt bei den Steueransprüchen, aber auch bei
der Strafverfolgung sogar entgegengekommen. Die
Folge war, dass - auch wenn nur ein Fall davon stellvertretend für andere prominent in den Medien behandelt wurde - viele auf das Zustandekommen des
ursprünglichen Steuerabkommens setzten und die
Steuerhinterziehung anonym bereinigen wollten. Nur
durch das Scheitern im Bundesrat konnte verhindert
werden, dass sie sich ihrer Verantwortlichkeit entziehen konnten und eine Selbstanzeige auch wirklich ein
Ermittlungsverfahren nach sich zieht.
Aus diesen Erfahrungen sollten wir gelernt haben
und ein Abkommen immer auch mit den notwendigen
Instrumenten versehen. So streben wir nach wie vor einen automatischen Informationsaustausch an, und
zwar für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen
und natürlichen Personen. Dies haben wir auch immer
wieder klargemacht und mahnen dies seit Jahren an.
Wenn Sie in die Beschlussempfehlungen und Berichte
aus dem Finanzausschuss schauen, werden Sie leicht
erkennen können, dass wir wiederholt erklärt haben,
dass wir zwar grundsätzlich einer Umsetzung auf der
Grundlage des OECD-Musterabkommens zustimmen,
aber darauf hinweisen, dass die Bundesregierung sich
im Rahmen der Verhandlungen in der OECD für die
Aufnahme des automatischen Informationsaustauschs
einsetzt. Damit kann gut auch bilateral begonnen werden. Bislang ist es jedoch so, dass Auskunftsersuchen
über relevante Sachfragen proaktiv gestellt werden
müssen. Damit lässt sich natürlich nicht ausschließen,
dass sich im Zweifel eine Behörde, deren Mitarbeiter
darin nicht geschult sind, von solchen Ersuchen und
ihren Verfahrensvorgaben durchaus auch abschrecken
lässt.
Zudem wollen wir im Verhältnis zu der Freistellungsmethode stärker zur Anwendung der Anrechnungsmethode. Dabei werden die ausländischen Einkünfte bzw. Vermögensteile bei der Ermittlung der
inländischen Steuerbemessungsgrundlage und des
Steuersatzes berücksichtigt, wobei auf die inländische
Steuer die im Ausland gezahlten Steuern angerechnet
werden. Auch dies setzt jedoch einen umfassenden Informationsaustausch voraus, was „auf Anfrage“ nur
schwer durchzuführen ist.
Dieses Verfahren wird in beiden Abkommen mit seinen Anforderungen in Art. 5 genauer beschrieben, und
man kann ahnen, wie kompliziert sich ein Auskunftsersuchen in der Praxis darstellen kann. Gleichzeitig
zeigt sich jedoch auch, wie unterschiedlich dann doch
das Ergebnis bei Abkommen auf der Grundlage einer
Mustervereinbarung sein kann, wenn der Vertragspartner geschickt zu verhandeln weiß. Wo die Mustervereinbarung in Art. 5 Abs. 6 OECD-MA mit 60 und
90 Tagen klare zeitliche Grenzen für die Bearbeitungsfrist setzen wollte, geht das Abkommen mit den
Cookinseln in seinem Art. 5 Abs. 7 weit darüber hinaus
und spricht von einem „Bemühen nach besten Kräften“, dem Vertragsstaat „innerhalb der kürzesten vertretbaren“ Frist die erbetenen Informationen zu übermitteln. Dies steht in einem sehr deutlichen
Widerspruch zu der Mustervereinbarung der OECD
und gibt einem Auskunftsersuchen einen sehr weiten
zeitlichen Rahmen.
Insgesamt wäre ohnehin mehr Klarheit wünschenswert, auch was die Möglichkeiten zur Ablehnung eines
Auskunftsersuchens angeht, die ebenso zahlreich wie
interpretationsbedürftig in Art. 7 beider Abkommen
niedergelegt sind.
Uns sind deshalb Abkommen wie diese - mit Blick
auf die Entwicklungen in den letzten Monaten - inzwischen zu wenig. Dabei fehlt es nicht nur an einem stärkeren Engagement der Bundesregierung mit Blick auf
weitergehende Standards insbesondere im Rahmen der
G20-Gespräche zur internationalen Besteuerungspolitik, sondern auch an einem deutlich erkennbaren Willen zur Aufklärung bereits bekannter Sachverhalte. Soweit die Bundesregierung meint, sie habe mit Erfolg
klare Erwartungen formuliert, frage ich doch, woran
ich diesen Erfolg erkennen kann - am Verhandlungsergebnis zu den heute befassten Abkommen jedenfalls
nicht.
Wir stimmen diesen beiden Entwürfen aus den genannten Gründen nicht zu, schlagen aber vor, die ihnen zugrunde liegenden Abkommen nachzuverhandeln, um ihnen die Zielrichtung zu geben, die
vorgeblich damit angestrebt wird.
Erst damit käme die Regierungskoalition ihrer Verantwortung nach, damit deutlich würde, dass wir weit
über die Mindeststandards hinausgehen müssen, um
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen zu können.
Mit Blick auf die Kanzlerin gelingt eine gute Zusammenfassung: Während die CDU/CSU/FDP eine
„marktkonforme Demokratie“ wollen, will die SPD einen „demokratiekonformen Markt.“
Wir haben uns ja schon in der letzten Woche ausführlich damit beschäftigt, was die Bundesregierung
alles unternimmt, um internationaler Steuervermeidung und -hinterziehung von Unternehmen und Privatpersonen zuvorzukommen, und wie erfolgreich sie
hierbei ist. In dieser Legislaturperiode wurde mehr gegen Steuerflucht und für internationale Steuergerechtigkeit getan als je zuvor in der Bundesrepublik.
Die Karibikinsel Grenada und die Cookinseln im
Pazifik gehörten bis vor kurzem noch zu den letzten
Staaten auf der Welt, die sich gegen eine umfängliche
Kooperation im Kampf gegen Steuerhinterziehung gesperrt hatten. Mit den nun beschlossenen Verträgen,
welche an die OECD-Standards für den steuerlichen
Informationsaustausch angelehnt sind und alle Kernelemente enthalten, verpflichten die Vertragspartner
sich, alle erforderlichen Informationen für ein BesteuZu Protokoll gegebene Reden
erungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren zu erteilen.
Dass wir diese Steuerabkommen nun in so zuverlässiger Regelmäßigkeit auch mit Staaten abschließen
können, die vorher als reine Steueroasen bekannt
waren, ist keine Selbstverständlichkeit und wäre vor
wenigen Jahren nur schwer vorstellbar gewesen. Es ist
der Lohn für eine zielstrebige internationale Zusammenarbeit, die über Jahre hinweg konzentriert verfolgt
wurde. Auf internationaler Ebene sind Alleingänge
fast ausnahmslos zum Scheitern verurteilt, aber durch
eine langfristige und gute Koordination der internationalen Gemeinschaft und der OECD konnte den betroffenen Staaten die Perspektivlosigkeit ihrer Abschottungsstrategie vermittelt werden.
Das Netz wird immer feinmaschiger, und es wird immer schwieriger, sein Geld zu verstecken. Wir werden
uns auf diesen Erfolgen jedoch nicht ausruhen. Es ist
ohne Frage noch viel zu tun, bis auch die letzten Winkel des Weltfinanzsystems restlos ausgeleuchtet sind.
Insbesondere bei den Möglichkeiten zur Steuervermeidung internationaler Großunternehmen, welche ganz
legal und vor unseren Augen immer noch die Gewinne
in ihren Bilanzen von Land zu Land schleusen können,
muss weiter durchgegriffen werden, auch wenn hier
schon einige vielversprechende Initiativen gestartet
wurden.
Ich bitte Sie daher, unsere Anstrengungen für Steuergerechtigkeit zu unterstützen und diese beiden Abkommen zu beschließen.
Die aktuelle Debatte um die Offshore Leaks zeigt
eindeutig, wie wichtig ein vernünftiger Informationsaustausch zwischen den Ländern ist, am besten wäre
selbstverständlich ein automatischer; denn er ist das
effektivste Mittel bei der Bekämpfung internationaler
Steuerhinterziehung.
Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um
Steuerinformationsaustausch-Abkommen, zum einen
mit den Cookinseln, zum anderen mit Grenada. Tax
Justice Network ordnet die Cookinseln und Grenada
als Steueroasen ein, aufgrund geringer Finanzströme
allerdings als nicht bedeutsame. Maßgeblich für die
Einordnung als Steueroase sind vor allem das Fehlen
steuerrelevanter Informationen, wie zum Beispiel fehlende Unternehmensregister. Die Abkommen orientieren sich weitgehend am geltenden OECD-Standard für
TIEAs, Tax Information Exchange Agreements, von
2002, das heißt unter anderem auch, dass als Informationsstandard lediglich auf Auskunft auf Ersuchen abgestellt wird.
Wir honorieren jedoch, dass die Bundesregierung
Informationsaustauschabkommen abschließen will.
Dies sei zumindest ein Versuch, auf dem Weg zu einem
automatischen Informationsaustausch ein Stück weiter
voranzukommen. Es sei allerdings enttäuschend, dass
überhaupt keine Garantie gegeben sei, dass, wenn ein
Finanzamt eine Frage stelle, es auch eine aussagekräftige Antwort aus Grenada oder von den Cookinseln erhalten werde. Es wäre wichtig, bereits vor Abschluss
eines Abkommens zu wissen, ob in diesen Ländern auf
Basis der Verhandlungen begonnen werde, zum Beispiel ein Unternehmensregister einzurichten oder andere Vorkehrungen für einen effektiven Informationsaustausch zu treffen. Man könne nicht erst ein halbes
Jahr nach Inkrafttreten anfangen zu überprüfen, ob
entsprechende Voraussetzungen überhaupt bestünden.
Die Abkommen enthalten unter anderem die theoretische Möglichkeit einer verbesserten Informationsweitergabe durch die Cookinseln und Grenada.
Deswegen und da es keine Doppelbesteuerungsabkommen sind, sind sie zumindest nicht schädlich. Angesichts der Enthüllungen durch Offshore Leaks muss
aber die Wirksamkeit derartiger Abkommen hinterfragt werden. Problematisch ist insbesondere die unzureichende Erfassung von Unternehmen durch die
Cookinseln und Grenada. Problematisch im Falle Grenada ist insbesondere, dass die Steuerbehörden von
Grenada über viele Informationen gar nicht verfügen,
da sie dort nicht systematisch erfasst werden.
Die Abkommen sind insgesamt nicht hinreichend
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, aber sie
stellen einen kleinen Fortschritt dar; daher werden wir
uns bei beiden Gesetzentwürfen enthalten.
Letztlich brauchen wir einen automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten; nur so
kann internationale Steuerhinterziehung eingedämmt
werden. Dieser muss international Standard werden.
Den Mitgliedsländern der Europäischen Union gehen jedes Jahr 1 000 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung, Steuergestaltung und Schattenwirtschaft
verloren. Auf Deutschland entfallen dabei rund
150 Milliarden Euro Steuerausfälle. Dies wird auch
ermöglicht durch den Verbund einiger Länder mit
weltweit lokalisierten Steueroasen - wie Grenada und
den Cookinseln.
Wir stimmen heute über zwei Steuerinformationsaustauschabkommen mit diesen beiden Inseln ab. Wir
Grüne begrüßen es grundsätzlich, dass sich Gebiete,
die bislang als Steuerrückzugsorte bekannt waren, zu
einer stärkeren Zusammenarbeit verpflichten. Dies hat
aber wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass die Gebiete
mindestens zwölf OECD-Abkommen geschlossen haben müssen, um von der „Grauen Liste der Steueroasen“ der OECD gestrichen zu werden.
Für eine effektive Bekämpfung der Steuerflucht
reicht das OECD-Musterabkommen allerdings nicht
aus: Denn nur in einem konkreten Verdachtsfall wird
ein Informationsgesuch an den Vertragsstaat übersandt, und nach entsprechender Prüfung durch die Behörden des Landes soll Auskunft über den konkreten
Fall gegeben werden. Es ist jedoch sehr schwierig, geZu Protokoll gegebene Reden
nug Indizien für Steuerhinterziehung zu sammeln, bevor die Behörden des anderen Landes Auskunft geben.
Amtshilfegesuche ohne konkrete Anhaltspunkte sind
nicht möglich. Diese sogenannten „Fishing Expeditions“ sind jedoch unabdingbar, um aggressive Steuergestaltung und Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen zu können. Noch weiter weg sind wir mit den
vorliegenden Abkommen von einem automatischen Informationsaustausch, wie er in Europa jetzt mit der erweiterten Zinsrichtlinie umgesetzt werden soll. Der
automatische Informationsaustausch ist das wirkungsvolle Werkzeug, mit dem Steuerhinterziehung verhindert werden und ein Wettbewerb ohne steuerliche Verzerrung realisiert werden kann.
Auch ist es wichtig, dass man im Rahmen eines Informationsaustauschabkommens nicht nur die Möglichkeit hat, eine entsprechende Anfrage zu stellen,
sondern es geht auch darum, Steuerflüchtlinge zu benennen, die sich unter dem Dach eines solchen Abkommens bisher trefflich verstecken können. Dabei spreche ich von Trusts oder Briefkastenfirmen. Erste
Auswertungen der Offshore-Leaks-Daten haben das
Problem von Briefkastenfirmen auf den Cookinseln erneut deutlich gemacht.
Ich plädiere daher für einen Strategiewechsel in der
deutschen Abkommenspolitik: Man sollte nur dann Bereitschaft signalisieren, ein Informationsabkommen
abzuschließen, wenn zumindest sogenannte Fishing
Expeditions zugelassen werden und ein automatischer
Informationsaustausch mittelfristig umgesetzt wird. So
kann Druck auf diese Staaten ausgeübt werden.
Luxemburg und auch die Schweiz haben einen Paradigmenwechsel angezeigt: Beide Staaten haben realisiert, dass sie nur dann noch ihre Position als attraktiver Finanzplatz halten können, wenn sie sich den
Transparenzregeln eines automatischen Informationsaustausches öffnen. Und wir haben gesehen: Nur mit
dem Druck der Staatengemeinschaft außerhalb lassen
sich die Steueroasen isolieren. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg wird dagegen noch
viele Jahre brauchen, bis er überhaupt Erfolg zeigen
kann.
Wir haben uns in der Vergangenheit bei der Abstimmung über die Informationsaustauschabkommen in
der Regel enthalten. Diesmal werden wir beide Gesetzentwürfe ablehnen, da wir aufgrund der veränderten
weltweiten Debatte um mehr Transparenz ein Potenzial für die schnellere Umsetzung eines effektiven Informationsaustausches sehen und die vorliegenden
Gesetzesentwürfe dieses Potenzial nicht ausschöpfen.
Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/13345, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12958 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt
dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13345 empfiehlt der Finanzausschuss,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/12959 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker
Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern - Demokratischen Protest unterstützen
- Drucksache 17/13489 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) -
Alle sind damit einverstanden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13489 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das ge-
meinsam so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 45 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Funktionen der Betreuungsbehörde
- Drucksache 17/13419 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Die Reden werden zu Protokoll gegeben. Wir haben
dies auch schon in der Tagesordnung ausgewiesen.
1) Anlage 15
Wir beraten heute in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde.
Zuletzt haben wir uns parlamentarisch am 1. März
mit der Reform des Betreuungsrechts befasst. Damals
hatte ich bereits einen ersten Überblick über die Vorgeschichte und die wesentlichen Punkte des heute beratenen Gesetzentwurfes der Bundesregierung gegeben. Darauf will ich nun heute aufbauen.
Zunächst will ich noch einmal betonen, dass das
deutsche Betreuungsrecht von 1992 als eines der modernsten Rechtsinstrumente dieser Art in Europa gilt:
Anstelle von Bevormundung ist die Anerkennung betreuter Menschen als gleichberechtigte und selbstbestimmte Mitglieder unserer Gesellschaft getreten.
Unser Betreuungsrecht entspricht damit bereits
grundsätzlich den Anforderungen der VN-Behindertenrechtskonvention: Es ermöglicht eine nach Aufgabenkreisen maßgeschneiderte Vertretung des Betreuten
in dem jeweils erforderlichen Umfang, ohne die Geschäftsfähigkeit des Betreuten aufzuheben. Damit kann
gerade die Betreuung dazu beitragen, dem Betreuten
ein möglichst selbstbestimmtes Leben nach seinen
Wünschen und Vorstellungen zu bieten. Gleichzeitig
bietet das Betreuungsrecht einen Rahmen, um Menschen in besonders gefährdeten Situationen zu schützen. Aus diesen beiden Zielsetzungen resultiert ein
ständiges Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge, das für das Betreuungsrecht bestimmend ist.
Bei einem Blick auf die Entwicklung der Fallzahlen
ist festzustellen, dass auch nach dem Inkrafttreten des
Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes im Juli
2005 die Zahl der rechtlichen Betreuungen - tendenziell abflachend - bundesweit weiter gestiegen ist: von
1,2 Millionen Ende 2005 auf 1,3 Millionen Ende 2011.
Jede Betreuung hat einen mehr oder weniger starken Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zur Folge. Das oberste Ziel jeder Weiterentwicklung des Betreuungswesens muss folglich sein,
Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht - wie auch
von der VN-Behindertenrechtskonvention vorgegeben
- auf das Notwendigste zu beschränken und andere
Möglichkeiten der Unterstützung und Assistenz aufzuzeigen und zu vermitteln. Das bedeutet, dass ein Betreuer nur dann bestellt werden darf, wenn eine Betreuung auch wirklich erforderlich ist. Das Ziel muss
also eine Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes
sein, um der steigenden Zahl der Betreuungen zu begegnen. Dies trägt auch den Herausforderungen der
demografischen Entwicklung und einer steigenden
Zahl von Menschen mit Assistenzbedarf Rechnung.
Die Bestellung eines rechtlichen Betreuers ist dann
nicht erforderlich und nicht zulässig, wenn die Angelegenheiten des Volljährigen ebenso gut durch andere
Hilfen besorgt werden können. Hierzu zählen insbesondere auch sozialrechtliche Unterstützungsangebote.
Die Debatte um die Zukunft des Betreuungsrechts
muss demzufolge interdisziplinär geführt werden. Dies
hat die Bundesregierung getan, wie die Genese des
vorliegenden Gesetzentwurfes zeigt.
Dem bereits angesprochenen 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz von 2005 waren damals langwierige
Beratungen vorausgegangen. Das Gesetz verpflichtet
die Bundesregierung zur zeitnahen Evaluation. Das
Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik
e.V., ISG, hat diese Evaluation zwischen 2005 und
2009 im Auftrag des BMJ durchgeführt. Dabei wurde
auch untersucht, ob mit der derzeitigen Regelung eine
den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Betreuung der Betroffenen gewährleistet ist.
Auf der Basis des 2009 vorgelegten Evaluationsberichtes hat im September 2009 eine durch das BMJ
eingerichtete interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ ihre Arbeit aufgenommen.
Teilnehmer waren Vertreter der Landesjustizverwaltungen von Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie
der Landessozialministerien von Hessen, Brandenburg
und Bremen. Außerdem waren eine Reihe von Richtern, Rechtpflegern, Vertreter von Betreuungsbehörden
und Betreuungsvereinen sowie der Deutsche Landkreistag eingebunden.
Die Aufgaben dieser interdisziplinären Arbeitsgruppe bestanden darin, die Ergebnisse der ISG-Evaluation zu analysieren und Möglichkeiten zur Umsetzung zu erarbeiten. Darüber hinaus sollten die
Beschlüsse der Justizministerkonferenzen von 2005
und 2009 zur Strukturreform des Betreuungsrechts und
Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der BundLänder-Arbeitsgruppe „Betreuungskosten“ vom Mai
2009 umgesetzt und mögliche Verbesserungen im Hinblick auf die VN-Behindertenrechtskonvention herausgearbeitet werden.
Die interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Betreuungsrecht“ hat am 20. Oktober 2011 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin empfiehlt sie die Beibehaltung des derzeitigen Systems der rechtlichen Betreuung und sieht gesetzgeberischen Handlungsbedarf
im Rahmen des bisherigen Betreuungs- und Verfahrensrechts.
In ihrer Herbstkonferenz 2011 haben die Justizministerinnen und -minister über den Abschlussbericht
beraten und das BMJ gebeten, einen entsprechenden
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Vorschläge der interdisziplinären Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht
zu erarbeiten, soweit diese gesetzliche Änderungen im
Bundesrecht betreffen.
Die interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe
hatte in ihrem Abschlussbericht darüber hinaus weitere Vorschläge für untergesetzliche Maßnahmen angeregt, die alle Bereiche betreffen: BetreuungsgeZu Protokoll gegebene Reden
richte, Betreuungsbehörden und Betreuungsvereine.
Die Vorschläge der AG für gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen im Betreuungswesen bilden ein
in sich geschlossenes Konzept, das möglichst komplett
umgesetzt werden sollte, um die Eingriffe in das
Selbstbestimmungsrecht zu reduzieren und das Aufzeigen und die Vermittlung anderer Möglichkeiten der
Unterstützung und Assistenz zu verbessern.
Vor diesem Hintergrund ist der heute beratene Gesetzentwurf ein weiterer Schritt hin zu einer noch besseren Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes. Mit
den hier getroffenen Regelungen soll darauf hingewirkt werden, dass andere Maßnahmen, die eine Betreuung vermeiden können, in Zukunft besser genutzt
werden. So soll die Bestellung eines Berufsbetreuers
auf die Menschen beschränkt werden, die einen komplexen bzw. hohen rechtlichen Assistenzbedarf haben.
In diesem Zusammenhang werden sogenannte vorgelagerte Systeme wie etwa Betreuungsverfügungen, Beratungsangebote oder die Bestellung einer ehrenamtlichen Betreuung gestärkt.
Heute werden rund zwei Drittel der Betreuungen
ehrenamtlich geführt. Trotzdem steigt die Zahl der beruflichen Betreuungen sowohl relativ als auch absolut
seit Jahren an. Die Bestellung eines Berufsbetreuers
darf nur Ultima Ratio in einem System der Hilfsangebote sein und nicht mehr und mehr zur Regel werden.
Die Betreuungsbehörde ist Dreh- und Angelpunkt
an der Schnittstelle zwischen Betreuungsrecht und Sozialrecht. Das Ziel des Gesetzentwurfes ist die Stärkung der bestehenden Funktionen der Betreuungsbehörde durch Änderungen im Verfahrensrecht, FamFG,
und im Betreuungsbehördengesetz: Die Aufgaben der
Behörde, die im Vorfeld eines betreuungsgerichtlichen
Verfahrens stehen, werden konkretisiert. Ferner werden qualifizierte Kriterien für den Bericht der Betreuungsbehörde an das Gericht gesetzlich verankert.
Durch Information und Beratung im Hinblick auf mögliche Betreuungsfälle können frühzeitig andere Hilfen
aufgezeigt und so betreuungsgerichtliche Verfahren
unter Umständen vermieden werden.
Der geänderte § 4 des Betreuungsbehördengesetzes
regelt zukünftig, dass die Betreuungsbehörde Betroffene beraten und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialleistungsträgern auf andere Hilfen - sprich
ohne Bestellung eines Betreuers - hinwirken kann,
wenn sozialrechtliche Hilfen und Assistenzen in Betracht kommen.
Außerdem wird eine Kooperationspflicht zwischen
der Betreuungsbehörde und den zuständigen Trägern
sozialer Hilfen in das Betreuungsbehördengesetz eingefügt und die Aufgaben der Betreuungsbehörde erweitert. Mit der steigenden Zahl der Vorsorgevollmachten müssen die Aufgaben der Behörde zur
Beratung und Hilfestellung für Bevollmächtigte im
Vorsorgefall ergänzt werden und demzufolge die Behörden auch mit entsprechenden Fachkräften ausgestattet werden.
Mit der steigenden Zahl von Vorsorgevollmachten
nimmt auch die Bedeutung der Beratung und Hilfestellung für Bevollmächtigte bei ihrer Aufgabenwahrnehmung im Vorsorgefall zu. Die vorhandenen Informationsmaterialien und Handreichungen sind zwar eine
erste Hilfe, sie können jedoch die persönliche Beratung und Betreuung der Bevollmächtigten bei der
Wahrnehmung der Aufgaben nicht ersetzen. Anknüpfend an die Änderung des § 4 durch das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz, mit der die Beratung und
Unterstützung des Bevollmächtigten ergänzt wurde,
erfolgt nun eine entsprechende Änderung von § 5. Die
Anleitungspflicht der Betreuungsbehörde soll neben
dem Betreuer nun auch den Bevollmächtigten erfassen. Anders als beim Betreuer verfügt die Behörde
nicht über die Anschriften von Bevollmächtigen und
kann diese daher nicht initiativ zu Fortbildungen einladen. Eine ausdrückliche Nennung in § 5 macht jedoch deutlich, dass - soweit der Bevollmächtigte die
Unterstützung der Behörde wünscht - auch er in seine
Aufgabenwahrnehmung eingeführt und fortgebildet
werden soll.
Im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG, wird die obligatorische Anhörung der
Betreuungsbehörde in jedem Verfahren vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes eingeführt. So wird sichergestellt,
dass alle Hilfen unterhalb der Schwelle der rechtlichen
Betreuung ausgeschöpft werden.
Durch die Änderung des § 280 Abs. 2 FamFG soll
darüber hinaus das Sachverständigengutachten mit
dem Bericht der Betreuungsbehörde verknüpft werden.
Der ärztliche Sachverständige soll bei seiner gutachterlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen der
Krankheit des Betroffenen auch auf dessen soziale Situation eingehen und hierzu nach Möglichkeit den Bericht der Behörde in den Erkenntnisprozess einbeziehen. Es wird davon abgesehen, eine feste zeitliche
Reihenfolge für den Bericht der Behörde und das medizinische Gutachten vorzugeben, um dem Richter eine
flexible Handhabung des Verfahrens im Einzelfall zu
ermöglichen. Die entsprechende Formulierung legt
aber fest, dass nur ein dem Sachverständigen rechtzeitig vorgelegter Bericht zu berücksichtigen ist.
Die Vorschriften zur Erweiterung, Aufhebung und
Einschränkung sowie zur Verlängerung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts verweisen bisher uneingeschränkt auf § 279 FamFG. Da in diesen
Fällen vor einer Entscheidung keine obligatorische
Anhörung erfolgen soll, wird eine entsprechende Ergänzung in den Verweisungsregelungen ({0}) vorgenommen, um den bisherigen Regelungsgehalt zu erhalten. Anders als bei der
erstmaligen Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts liegen dem
Gericht in diesen Verfahren bereits Informationen zu
dem Betroffenen vor. Oft enthalten die Berichte der Betreuungsbehörde im Rahmen der Erstbestellung zudem
Zu Protokoll gegebene Reden
prognostische Aussagen. Der Einschätzung der Betreuungsbehörde kann jedoch auch in diesen Verfahren
eine wichtige Funktion bei der Sachverhaltsaufklärung zukommen. Sofern beispielsweise Anhaltspunkte
für eine mögliche Aufhebung der Betreuung oder für
einen möglichen Betreuerwechsel bestehen, sollte das
Gericht daher eine Stellungnahme der Betreuungsbehörde anfordern.
Lassen Sie mich abschließend noch auf eine Änderung des BGB hinweisen, die die Bundesregierung im
Rahmen dieses Gesetzentwurfes vorschlägt: In der
Praxis stellt es zum Teil ein Problem dar, dass der ehrenamtliche Betreuer nach seiner Gewinnung sowie
der Bevollmächtigte nicht längerfristig beraten werden und eine „Kundenbindung“ nicht gelingt. § 1908 f
Abs. 1 Nr. 2 BGB wird daher um eine Formulierung ergänzt, wonach die gewonnenen ehrenamtlichen Betreuer sowie Bevollmächtigten bei der Wahrnehmung
ihrer Aufgaben unterstützt werden. Die Pflicht zur Unterstützung soll neben der Pflicht zur Anleitung und
Beratung bestehen. Mit der Ergänzung soll der Gedanke des Rückhalts für den ehrenamtlichen Betreuer
im Verein stärker betont werden. Ziel ist es, eine langfristige Einbindung der ehrenamtlichen Betreuer und
der Bevollmächtigten in das Netzwerk eines Betreuungsvereins zu erreichen. Die Parallelität der Beratungsangebote - Gericht, Behörde, Verein - hat sich in
der Praxis nicht als Nachteil erwiesen. Betreuer und
Bevollmächtigte haben so die Möglichkeiten, zwischen
den Angeboten zu wählen.
Wir sind uns darin einig, dass die beschriebenen demografischen und gesellschaftlichen Herausforderungen sowie auch die Vorgaben aus der VN-Behindertenrechtskonvention eine ständige Weiterentwicklung des
Betreuungsrechts notwendig machen.
Meine Ausführungen haben gezeigt, dass die unionsgeführte Bundesregierung mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf zur Stärkung der Funktion der Betreuungsbehörden entschlossen ist, sich dieser Aufgabe zustellen.
Im März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Seitdem diskutieren wir immer
wieder, ob unsere gesetzlichen Grundlagen diesen
Standards gerecht werden. Ich denke, zumindest die
Oppositionsfraktionen sind sich darin einig, dass es an
einigen wesentlichen Stellen Nachbesserungsbedarf
gibt. Dies ist vor allem auch vor dem Hintergrund der
immer steigenden Zahl rechtlicher Betreuungen zu sehen. Das Bundesjustizministerium spricht in einer
Pressemitteilung davon, dass sich die Zahl der rechtlichen Betreuungen in den letzten 20 Jahren insgesamt
verdreifacht hat.
Wir sprechen hier von Menschen, die Unterstützung
brauchen, die ihren Alltag nicht mehr bewältigen und
keine eigenständigen Entscheidungen treffen können.
Die Bedürfnisse dieser Menschen sind je nach Schicksal völlig unterschiedlich. Eines haben diese Betroffenen aber alle gemeinsam: Es wird in ihr Selbstbestimmungsrecht eingegriffen. Das Betreuungsrecht ist
daher ein sehr sensibler und vor allem auch schwieriger Bereich. Mit dem Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz wurde daher 2005 eine Evaluation in Auftrag gegeben, die seit Sommer 2009 vorliegt. Im
Oktober 2011 hat eine interdisziplinäre Bund-LänderArbeitsgruppe ihren Abschlussbericht vorgelegt, die
sich mit der Weiterentwicklung des Betreuungsrechts
beschäftigt hat.
Mit dem nun vom Bundesjustizministerium vorgelegten Gesetzentwurf sollen die Vorschläge dieser Arbeitsgruppe, die gesetzliche Änderungen im Bundesrecht betreffen, umgesetzt werden.
Die Betreuungsbehörde soll als Schnittstelle zu sozialen Hilfen und Assistenzen gestärkt werden. Um
dies zu erreichen, sind folgende gesetzliche Änderungen vorgesehen: Zur Feststellung eines Sachverhalts
im betreuungsrechtlichen Verfahren soll künftig vor
Bestellung eines Betreuers oder vor Anordnung eines
Einwilligungsvorbehalts die Anhörung der Betreuungsbehörde verpflichtend vorgesehen werden. Für
den Bericht der Betreuungsbehörde werden qualifizierte Kriterien festgelegt. Die Aufgaben der Betreuungsbehörde werden gesetzlich konkretisiert. Die
Wahrnehmung durch Fachkräfte wird gesetzlich verankert.
Laut Bundesjustizministerium soll der Entwurf damit ein erster Schritt zu einer weiterzuführenden Diskussion über notwendige Veränderungen im Betreuungsrecht sein, die durch eine geplante Evaluation
dieses Gesetzes begleitet werden soll. Man sollte meinen, dass wir nach den bereits erfolgten Evaluationen
und Arbeitsgruppensitzungen schon ein Stück weiter
sein sollten. Aber auf viele Fragen des Betreuungsrechts gibt der vorliegende Gesetzentwurf keine Antwort.
Wir werden sehen, wie die Bewertung der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss Anfang Juni ausfallen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Sachverständigen
erheblich mehr Änderungsbedarf im Bereich des Betreuungsrechtes sehen werden, sowohl in Bezug auf
den Einklang des Betreuungsrechts mit der UN-Behindertenrechtskonvention als auch in Bezug auf den Umgang mit den immer weiter steigenden Kosten in diesem Bereich.
Es bestehen viele weitere Unklarheiten und Lücken
im aktuellen Betreuungsrecht. Ich möchte an dieser
Stelle erneut auf das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen hinweisen.
Statt der Zersplitterung sozialer Hilfen brauchen
wir mehr Transparenz und Praktikabilität in den Sozialen Gesetzbüchern. Die Zuordnungen sozialer Leistungen muss vereinfacht werden.
Des Weiteren ist es notwendig, effektive Hilfen zur
Vermeidung einer rechtlichen Betreuung bereitzustelZu Protokoll gegebene Reden
len. Der derzeit vielerorts praktizierte Abbau sozialer
Dienste aufgrund leerer öffentlicher Haushalte ist hier
absolut kontraproduktiv. Rechtliche Betreuung sollte
eine letzte Möglichkeit sein. Betroffenen Menschen
muss schon vor der Anordnung einer Betreuung besser
geholfen werden.
Die Tätigkeit der ehrenamtlichen Betreuer und der
Berufsbetreuer ist von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Die Vergütung in diesem Bereich muss den Aufgaben entsprechend angemessen sein. Wir müssen daher zum Beispiel überprüfen, ob die Stundensätze der
Berufsbetreuer derzeit noch angemessen sind.
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, eine qualitativ hochwertige Betreuung, die den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen angepasst ist, sicherzustellen - für jetzt und für die Zukunft.
Mit dem Gesetz sollen die Betreuungsbehörde gestärkt und insbesondere darauf geachtet werden, im
Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
UN-Behindertenrechtskonvention, entsprechende Verbesserungen einzuführen.
Im Wesentlichen betrifft dies Änderungen im
FamFG und Betreuungsbehördengesetz. Es soll erreicht werden, die Betreuungsbehörde sowohl im gerichtlichen Verfahren als auch schon vor diesem gerichtlichen Verfahren zu stärken mit der Zielsetzung,
möglichst wenig oder weniger umfangreiche Betreuungen anzuordnen und damit auch das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung weitestgehend zu stärken.
So soll insbesondere im FamFG künftig das Gericht
in jedem Fall vor der Bestellung eines Betreuers oder
der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die zuständige Behörde anhören - und nicht nur für den Fall
des Verlangens durch den Betroffenen selbst.
Auch werden konkrete Kriterien genannt, welche
bei der Anhörung durch das Gericht insbesondere zu
beachten sind. Hier wird dem Schutz des Betroffenen
verstärkt Rechnung getragen, gerade im Hinblick auf
die Erforderlichkeit und die eventuell erforderliche
Betreuerauswahl.
Gleiches soll auch entsprechend bei § 293 FamFG
gelten, der die Aufgabenbereiche des Betreuers regelt.
Im Falle einer Erweiterung der Betreuung ist jedoch
die Betreuungsbehörde nur anzuhören, wenn es der
Betroffene verlangt oder es der Sachaufklärung dient.
Hier wird im Grunde der alte Status quo wieder hergestellt, da ursprünglich nur auf Antrag des Betroffenen
bei der Erst-Bestellung angehört werden sollte und
dies bei der Erweiterung entsprechend galt. Diese Entsprechung würde nun eine zwingende Anhörung nach
sich ziehen, was durch die Änderung wieder korrigiert
wird.
Gleiches gilt für den Bereich der Aufhebung oder
Einschränkung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts - § 294 FamFG. Auch hier soll der Status
quo bestehen bleiben, genau wie bei der Verlängerung
der Betreuung. Ziel ist also, möglichst wenig Betreuungen oder Betreuungen mit geringerem Umfang anzuordnen. Die weiteren gesetzlichen Regelungen bleiben in ihrem Wesensgehalt unberührt.
Positiv zu sehen sind die angestrebten Änderungen
im Betreuungsbehördengesetz, wonach die Betreuungsbehörde künftig nicht nur für Betreuer ein Angebot zur Einführung in ihre Aufgaben und Fortbildung
bereitstellt, sondern dies auch auf die Bevollmächtigten ausgeweitet wird.
Angesichts von Vorsorgevollmachtserklärungen ist
die Zahl der Vorsorgebevollmächtigten in letzter Zeit
gestiegen und dürfte auch weiter ansteigen. Daher soll
mit den Neuregelungen sichergestellt werden, dass
auch diesem Personenkreis die Möglichkeit eröffnet
wird, in die Aufgaben einer Betreuung eingeführt und
oder entsprechend fortgebildet zu werden.
Der Gesetzentwurf setzt damit ein positives Signal,
die Häufigkeit von Betreuungen im Hinblick auf die
tatsächliche Erforderlichkeit zu reduzieren.
Selbstbestimmtes Leben sollte höchste Priorität genießen. Von daher ist die verpflichtende Anhörung der
Betreuungsbehörde diesbezüglich ausgesprochen sinnvoll.
Zu den Kosten und dem Erfüllungsaufwand gibt der
Gesetzentwurf allerdings nichts her, da keine validen
Daten vorliegen, welche eine Berechnung oder Hochrechnung rechtfertigen könnten. Es bleibt festzustellen,
dass möglicherweise die Kosten für die originäre Betreuung sowohl für den Betroffenen als auch die Kommunen geringer ausfallen können. Betreuungskosten
sind vom Betroffenen zu tragen, es sei denn, er ist nicht
leistungsfähig. In diesem Fall wäre der Staat Kostenschuldner.
Bei einer Reduzierung der Zahl von Betreuungen
und auch Verstärkung der Gewinnung von ehrenamtlichen Betreuern und besserer Schulung von Bevollmächtigten können die Kosten für die Kommunen sinken. Inwieweit dies jedoch vom Erfüllungsaufwand
wieder kompensiert wird, kann keiner sagen, zumal die
Betreuungsbehörden länderspezifisch unterschiedlich
aufgestellt und eingerichtet worden sind.
In der Begründung zum Gesetzentwurf geht die
Bundesregierung selbst davon aus, dass nicht überall
sowohl sachlich als auch personell gut ausgestattete
Betreuungsbehörden vorhanden sind. Inwieweit hier
auf die Länder Kosten und in welcher Höhe zukommen, kann nicht quantifiziert werden. Vielleicht bringt
die bereits terminierte Sachverständigenanhörung
dazu und zu Kleinigkeiten des Gesetzentwurfs noch
Klarheit.
Aber selbst wenn nicht eine sogenannte Win-Win-Situation, wie sie der Nationale Normenkontrollrat beschreibt, entstehen sollte, gilt doch nach wie vor, dass
ein selbstbestimmtes Leben oberste Priorität hat und
Zu Protokoll gegebene Reden
nur in Ausnahmefällen und dann mit geringstnötigem
Umfang entsprechend eingegriffen werden sollte.
Für die Linke steht der Mensch im Vordergrund.
Menschenrechte dürfen nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Von daher gehe ich guten Mutes in die
anstehenden Beratungen.
Wir diskutieren hier einen Gesetzentwurf, der nur
enttäuschen kann. Er nimmt für sich in Anspruch, die
Selbstbestimmung von Menschen zu stärken, die auf
rechtliche Assistenz angewiesen sind. Tatsächlich ist
dieser Gesetzentwurf nicht mehr als ein Tropfen auf
den heißen Stein. Ein paar kosmetische Änderungen
bei den Betreuungsbehörden reichen nicht aus, wenn
wir die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen
ernsthaft stärken möchten.
Wir stehen in der Pflicht, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Zweifellos ist
es eine große Herausforderung, rechtliche Regelungen
und ihre Umsetzung so zu gestalten, dass alle Menschen ihr Menschenrecht auf „Gleiche Anerkennung
vor dem Recht“, Art. 12, das Menschenrecht auf „Zugang zur Justiz“, Art. 13, sowie das Menschenrecht
auf „Freiheit und Sicherheit der Person“, Art. 14,
auch wahrnehmen können. Ich verlange keine Wunder,
natürlich ist dies nicht in einem einzigen Gesetzgebungsverfahren zu erreichen. Aber das ist in meinen
Augen der Hintergrund, vor dem wir diesen Gesetzentwurf bewerten müssen.
Das sehe ich nicht alleine so: Auch der Gesetzentwurf argumentiert im „Lichte des Übereinkommens
der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen
mit Behinderung“. Gerade in diesem Licht ist deutlich
sichtbar, dass die Stärkung der Betreuungsbehörden
nur einen kleinen Beitrag zur Förderung der Selbstbestimmung der Betroffenen leisten kann. Und dies kann
sie ohnehin nur, wenn sie finanziell entsprechend unterfüttert ist. Ich höre schon jetzt von den Betreuungsbehörden, dass sie am Limit arbeiten. Wie sollen sie
eine noch größere Arbeitsbelastung stemmen? Wie sollen sie ihre Arbeit darüber hinaus an den Anforderungen der Konvention ausrichten? Wenn wir uns schon
auf die Stärkung der Behörden beschränken - und ich
halte das nicht für ausreichend - dann müssen wir
mindestens sicherstellen, dass in den Behörden entsprechend Personal aufgestockt wird und Schulungen
der Beschäftigten durchgeführt werden. An dieser
Stelle sind die Länder gefragt, und ich lese im Gesetzentwurf, dass die Umsetzung des Gesetzes für die Länder im Ergebnis zu einer Entlastung führen soll. Aber
natürlich fallen „ … bei einer erfolgenden angemessenen Ausstattung der Betreuungsbehörden nicht genau
bezifferbare Kosten für die öffentlichen Haushalte der
Länder an.“ Und weiterhin ist zu lesen, es sei doch
nicht abschätzbar, in welchem Umfang Entlastungen
entstehen. Ehrlich gesagt, auf dieser Grundlage fällt
es mir recht schwer, zu glauben, dass es zu einer Verbesserung kommen wird.
Wir werden uns im Rahmen einer öffentlichen Anhörung noch ausführlicher mit dem Gesetzentwurf befassen. Ich möchte hier daher nur kurz einige Aspekte
skizzieren, die ich für absolut notwendig halte, wenn
wir tatsächlich die Selbstbestimmungsrechte derjenigen stärken möchten, die auf diese Form der Unterstützung angewiesen sind.
Es ist richtig, Betreuungen zu vermeiden, wenn andere Formen der Unterstützung bedarfsgerecht sind.
Die Selbstbestimmung allein durch Vermeidung von
Betreuung zu stärken, ist aber nicht ausreichend. Dazu
sind auch materielle und verfahrensrechtliche Leistungsverbesserungen im Sozialrecht nötig. Wir müssen
die Zusammenarbeit von Betreuungsvereinen und -behörden untereinander und mit den Sozialleistungsträgern verbessern. Nur so kann herausgearbeitet werden, welche Form der Unterstützung und Assistenz die
individuell passendste ist. Darüber hinaus müssen die
Betreuungsvereine gestärkt werden. Die Unterstützung
und Qualifizierung ehrenamtlicher Betreuerinnen und
Betreuer ist nur möglich, wenn dazu die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen.
Nicht immer ist eine ehrenamtliche Betreuung möglich oder sinnvoll. Rechtliche Assistenz bzw. Betreuung
ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Menschen mit einem
hohen Unterstützungs- und Assistenzbedarf brauchen
in einem besonderen Maße eine professionelle Betreuung. Je qualifizierter die Betreuerinnen und Betreuer,
desto weniger werden gegenüber den Betreuten grundrechtsrelevante Eingriffe und stellvertretende Handlungen vorgenommen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, gesetzlich Eignungskriterien für berufliche
Betreuung festzuschreiben. Diese Professionalisierung
sollte sich auch in einem neuen Vergütungsbemessungssystem widerspiegeln.
Was ich hier skizziere, ist nicht neu. Es gibt dazu
zahlreiche Stellungnahmen, Studien und Arbeitsgruppenergebnisse. Ich habe es bereits in meiner Rede zu
unserer Großen Anfrage und dem Entschließungsantrag gesagt: Wir müssen eine Debatte über die Qualität rechtlicher Assistenz bzw. Betreuung führen, und
wir brauchen eine Debatte über das Zusammenspiel
sozialer und rechtlicher Leistungen. Dieser Gesetzentwurf ist zu kurz gesprungen. Er ist enttäuschend für all
diejenigen, die sich in den letzten 20 Jahren im Sinne
der Stärkung der Selbstbestimmung behinderter Menschen für die Verbesserung des Betreuungsrechts eingesetzt haben. Es ist enttäuschend für diejenigen, die
in Betreuungsvereinen und -behörden für dieses Ziel
arbeiten. Und selbstverständlich ist es enttäuschend
für diejenigen, um deren Selbstbestimmungsrechte es
hier geht.
Das Betreuungsrecht sichert die Selbstbestimmung
von Menschen, die Unterstützung benötigen, um ihre
Angelegenheiten zu regeln. Die Zahl der Betreuten beträgt mittlerweile etwa 1,3 Millionen. In den allermeisZu Protokoll gegebene Reden
ten Fällen sind die Betreuer mit großem Engagement
und zum Wohle der Betroffenen tätig. Das möchte ich
angesichts der aktuellen Berichterstattungen hier
nochmals betonen: Betreuung ist vielmals willkommene Hilfe. Aber sie ist auch ein Eingriff in die Selbstbestimmung, der deshalb engen gesetzlichen Grenzen
und der gerichtlichen Aufsicht unterliegt. Daher ist es
auch wichtig, im Betreuungsrecht immer wieder die
Frage zu stellen, wie es weiterentwickelt und verbessert werden kann. Der Deutsche Bundestag hat sich
erst jüngst mit der Regelung der betreuungsrechtlichen
Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme befasst und eine gute Regelung gefunden, die allen Beteiligten mehr Rechtssicherheit gibt.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es nun um
die grundlegende Frage, wie die richtige Unterstützung für einen Menschen mit Hilfebedarf aufgezeigt
werden kann, um Betreuungen - soweit möglich - zu
vermeiden. Das gibt uns auch die VN-Behindertenrechtskonvention auf, um das Selbstbestimmungsrecht
behinderter Menschen zu stärken.
Der vorliegende Regelungsvorschlag geht auf die
Arbeit einer interdisziplinär besetzten Arbeitsgruppe
unter dem Vorsitz des Bundesjustizministeriums zurück. Diese Arbeitsgruppe hat im Rahmen ihrer zweijährigen Arbeit Vorschläge unterbreitet, wie das Betreuungsrecht weiterentwickelt und verbessert werden
kann.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Vorschläge der Arbeitsgruppe - soweit sie Änderungen im
Bundesrecht betreffen - umgesetzt werden. Im Kern
geht es um die Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes. Ein Betreuer darf nur dann bestellt werden,
wenn dies erforderlich ist. Die Prüfung des gesetzlichen Vorrangs anderer Hilfen setzt aber voraus, dass
das vor Ort vorhandene Hilfesystem bekannt ist und
den Betroffenen andere Hilfen und Unterstützungen
aufgezeigt werden können. Diese Kenntnisse sind bei
den Betreuungsbehörden vorhanden. Sie werden jedoch derzeit leider nur in sehr unterschiedlichem Ausmaß nutzbar gemacht und sind abhängig von der personellen Ausstattung der Behörde vor Ort.
Verschiedene regionale Projekte haben jedoch gezeigt,
dass sich ein erhöhter Einsatz sozialer Arbeit in den
Betreuungsbehörden lohnt. Das gilt sowohl für die Betroffenen, die dann ohne eine rechtliche Betreuung die
notwendige Unterstützung erhalten, als auch für die
Justizkasse, die bei Mittellosigkeit des Betroffenen die
Kosten einer Betreuung trägt.
Im Mittelpunkt der Regelungsvorschläge steht daher die Betreuungsbehörde, die mit ihrem Fachwissen
über soziale Hilfen andere Wege als den einer rechtlichen Betreuung aufzeigen oder in geeigneten Fällen
ehrenamtliche Betreuer vorschlagen kann. Ihr kommt
an der Schnittstelle zwischen Sozialrecht und Betreuungsrecht eine Filterfunktion zu. Der Gesetzentwurf
enthält den Vorschlag, durch Änderungen im Verfahrensrecht und im Betreuungsbehördengesetz die Funktionen der Betreuungsbehörde zu stärken.
Bereits vor einem etwaigen gerichtlichen Betreuungsverfahren soll die Betreuungsbehörde in Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialleistungsträgern
die betroffenen Bürgerinnen und Bürger über soziale
Hilfen und andere Assistenzen informieren, die eine
Betreuung vermeiden können. Zum anderen soll der
Sachverstand der Betreuungsbehörde in das gerichtliche Verfahren besser eingebunden werden.
Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf folgende Regelungen vor:
Erstens. Zur Feststellung des Sachverhalts im betreuungsgerichtlichen Verfahren soll die Anhörung der
Betreuungsbehörde verpflichtend vorgesehen werden.
Zweitens. Damit der Bericht der Betreuungsbehörde
gewissen Standards genügt, sollen für ihn qualifizierte
Kriterien gesetzlich festgelegt werden.
Drittens. Die Aufgaben der Betreuungsbehörde sollen im Betreuungsbehördengesetz konkreter als bisher
beschrieben werden; dabei liegt der Fokus auf der Beratung, welche anderen Hilfen möglich sind.
Viertens. Schließlich soll gesetzlich verankert werden, dass die Betreuungsbehörden ihre Aufgaben
durch Fachkräfte wahrnehmen.
Der Erfolg dieser Neuregelungen wird von der
praktischen Umsetzung vor Ort abhängen, also einer
angemessenen Ausstattung der Betreuungsbehörden.
Dafür soll ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden.
Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht vergessen
werden: Der Abschlussbericht der interdisziplinären
Arbeitsgruppe enthält eine Reihe von Vorschlägen für
untergesetzliche Maßnahmen. Die Vorschläge für gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen bilden ein
zusammengehörendes Konzept, das zur Erzielung von
Verbesserungen in seiner Gesamtheit umzusetzen ist.
Untergesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung sind
in allen Bereichen - bei den Betreuungsgerichten, den
Betreuungsbehörden und Betreuungsvereinen - möglich.
Der Entwurf ist damit ein erster Schritt zu einer
weiter zu führenden Diskussion über notwendige Veränderungen im Betreuungsrecht, die durch eine geplante Evaluation dieses Gesetzes begleitet werden
soll.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13419 an den Rechtsausschuss
vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel,
Vizepräsident Eduard Oswald
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Deutschen Innovationsfonds einrichten - Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssystem endlich schließen
- Drucksachen 17/11826, 17/13464 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Philipp Murmann
Dr. Martin Neumann ({1})
Krista Sager
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Man sieht sich immer zweimal im Leben. - So erging es mir, als ich Ihren Antrag las, liebe Kollegen der
SPD; denn einen ähnlichen Antrag haben Sie schon
2010 gestellt, als wir die erfolgreiche Fördermaßnahme „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung - VIP“ eingeführt haben.
Schon damals hatten wir Ihren Antrag mit großer
Mehrheit abgelehnt. Aber offensichtlich, nun kurz vor
Ende der Wahlperiode, haben Sie Ihren alten Antrag
noch einmal herausgekramt, ihn etwas umformuliert
und hoffen anscheinend, wir merken nicht, dass Ihnen
hier nichts Neues einfällt.
Liebe Kollegen der SPD, gehen Ihnen schon jetzt
die Ideen aus? In Ihrem Antrag fordern Sie die Beendung unseres erfolgreichen Validierungsprogramms
und fordern stattdessen die Einrichtung eines Innovationsfonds. Mir scheint, hier geht es nicht um die
Sache; hier geht es einfach darum, eine neue Struktur
und neue Gremien zu schaffen, die keiner braucht.
Haben Sie sich denn schon einmal mit dem Begriff
„Validierung“ genauer auseinandergesetzt? Was genau versteht man darunter? Viele von uns haben eine
wissenschaftliche Ausbildung absolviert, und jeder
von uns hat dort das kleine Einmaleins der wissenschaftlichen Gütekriterien erlernt: erstens Objektivität, Reliabilität und drittens Validität. Vereinfacht ausgedrückt heißt das, dass erstens Forschungsergebnisse
unabhängig von der Einflussnahme des Forschers
sind, zweitens eine Messmethode zuverlässig ist, also
eine erneute Messung unter denselben Bedingungen
und mit denselben Methoden zu denselben Ergebnissen kommt, und drittens die Untersuchung das erfasst,
was sie erfassen soll, bzw. das misst, was sie messen
soll. Letzteres Kriterium, die Validität, ist das wichtigste Kriterium, da es die Gültigkeit von UrsacheWirkungs-Zusammenhängen bezeichnet. Wenn wir
also von Validierung sprechen, sprechen wir vom
Nachweis der Reproduzierbarkeit eines Forschungsergebnisses.
Bei der Validierung hier geht es aber um viel mehr.
Es geht um Machbarkeitsuntersuchungen, um Analysen zum Anwendungspotenzial, um die technische Weiterentwicklung mit Blick auf Produkt- und Prozessanforderungen. Für viele Forscherinnen und Forscher ist
die Phase der Validierung von grundlegender Bedeutung. Hier entscheidet sich, ob herausragende Ideen
und Innovationen allein in Laboren, auf Schreibtischen oder in Werkstätten ihr Dasein fristen oder aber
den Sprung in die „Freiheit“ bzw. auf den „Markt“
schaffen. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen von Bund und Ländern ist das eine
Zeit, in der sie strategische Unterstützung brauchen.
Unser Programm VIP gibt diese Unterstützung und
schließt gezielt und passgenau die Lücke zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft.
Ohne Forschung gibt es kein neues Wissen. Ohne
Forschung gibt es auch keinen Fortschritt. Die Grundlagenforschung bildet quasi die „Stammzelle“ dieses
neuen Wissens, aus der sich dann auch neue Produkte
generieren können. Unsere Grundlagenforschung bildet die Basis für bahnbrechende Anwendungen. Diese
sehr früh zu erkennen, ist jedoch schwierig und bedarf
besonderer Anstrengungen. Die nützlichen Anwendungsmöglichkeiten der Forschungsergebnisse frühzeitig zu erkennen, ist für unsere Wirtschaft von existenzieller Bedeutung.
Wofür dient uns die Forschung, wenn wir die daraus
gewonnenen Ergebnisse nicht anwenden können? Genau darin liegt der Schlüssel. Denn wir alle wissen:
Innovationen sind der Motor für Wachstum und Wohlstand, und wir in Deutschland verfügen über hervorragende Voraussetzungen dafür. Um das zu erreichen,
muss man zwischen zwei sehr unterschiedlichen
Betrachtungsweisen differenzieren: der Betrachtungsweise der Forscher und der der Unternehmer, zwei unterschiedliche Kulturen. Dem Forscher ist vor allem
an seiner Forschung gelegen. Er forscht, stellt Hypothesen auf, führt Experimente durch. In seinen Augen
ist er erfolgreich, wenn er seine Ergebnisse veröffentlichen kann, zum Beispiel in einer renommierten
Zeitschrift, und die Anerkennung seiner Fachgenossen
bekommt. Aber „research for library“ allein, das wollen wir nicht.
Die Unternehmer dagegen stellen sich die Frage,
welche Produkte oder Verfahren sich aus der Forschung ergeben können. Es bedarf folglich einem speziellen Betrachtungswinkels auf die Forschungsergebnisse, und diesen Betrachtungswinkel auf die
Forschung haben wir mit unserer Fördermaßnahme
zur Validierung unterstützt. Wir wollen Forscher und
Unternehmer verbinden, und die Ergebnisse zeigen:
Das gelingt uns auch, das gelingt uns sogar gut.
Ich kann als Unternehmer nur bestätigen: Wir brauchen Forschergeist und Unternehmertun. Und genau
darauf zielt unser VIP-Programm.
Erst heute Morgen war die Fördermaßnahme VIP
Thema bei einer Veranstaltung der HelmholtzGemeinschaft. Der Vertreter des Deutschen Zentrums
für Luft- und Raumfahrt hat sinngemäß Folgendes angemerkt: Einerseits müssen Forscher die Industrie von
ihrem Produkt, von ihrer Forschung überzeugen. Es ist
schwierig für sie, die Erwartungen der Industrie über
die Reife des Produkts zu erfüllen. Aber auch die
Industrie muss sich gegenüber dem Know-how der
Forscher öffnen und darf nicht nur die daraus resultierenden Patente begehren. Er sagte aber auch, dass die
Fördermaßnahme VIP genau an diesem Punkt ansetzt
und eine Lücke schließt, die bis 2010 offen war. VIP
hilft den Forschern dabei, ihre Produkte attraktiver für
die Wirtschaft zu machen, und oft bildet sich aus
diesem Projekt sogar eine Unternehmensgründung
heraus.
Unternehmensgründungen sind das Herz der deutschen Wirtschaft. Sie sind gerade für die Standhaftigkeit unserer Wirtschaft in den jüngsten Krisenjahren
ein positives Beispiel. In neuen Unternehmen werden
innovative Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle
entwickelt und umgesetzt. Damit leisten sie einen
wichtigen Beitrag zum notwendigen strukturellen Wandel in Deutschland.
Leider haben einige von Ihnen in der Opposition
dies noch nicht erkannt. Sie verharren in ihren alten
Denkmodellen, der Staat müsse auch dieses richten
und regulieren.
Die Anwendung des Wissens in der praktischen Welt
des Lebens ist wichtig. Es geht um neue Produkte, um
neue Verfahren und um neue Arbeitsplätze - und zwar
solche mit Wissensvorsprung. Jedes Jahr werden in
neuen Unternehmen 500 000 Arbeitsplätze geschaffen.
500 000! Und: In Deutschland arbeiten heute mehr als
eine halbe Million Menschen im Bereich „Forschung
und Entwicklung“. Der Ausbau von Forschung und
Entwicklung wird immer mehr zu einem entscheidenden Faktor für den nachhaltigen Erfolg unserer Unternehmen und damit auch zu einem entscheidenden Faktor für regionale Entwicklungen. Doch angesichts der
globalen Herausforderungen muss Deutschland noch
stärker als bisher Innovationen hervorbringen und die
Leitmärkte prägen. Wir haben das erkannt und gehandelt: 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode. Wir haben hier
klare Prioritäten gesetzt.
Lieber Herr Röspel: In Ihrer Rede vom 1. Juli 2010
zu jenem ähnlichen Antrag haben Sie Folgendes gesagt: „Wir glauben, dass das von Ihnen vorgeschlagene Instrument versanden wird, da es keinen großen
Unterschied zur üblichen Projektförderung darstellt,
die vernünftigerweise seit Jahren durchgeführt wird.
Es wird nicht dazu führen, dass mehr Forschungsprojekte in kommerzialisierbare Produkte umgesetzt werden. Folgen Sie unserem Weg. Er enthält weniger Bürokratie, und er zeigt den Forschern eine vernünftige
Perspektive auf.“ Zum Glück für uns alle kann ich Ihnen mitteilen, dass vielmehr die Prognose von Herrn
Röspel versandet ist. Die Fördermaßnahme VIP ist erfolgreich. Derzeit sind 70 VIP-Vorhaben mit einem Volumen von rund 96 Millionen Euro bewilligt worden.
Weitere 40 Vorhaben befinden sich gerade in der Bewillingungsvorbereitung. Mit ihnen steigt das Investitionsvolumen um weitere 46,2 Millionen Euro. Und
diese Woche findet sogar noch eine weitere Sitzung der
Gutachter statt, um noch mehr Projekte zu unterstützen, die noch bis Ende dieses Jahres gestattet werden
sollen.
Wenn Sie sich die Liste der Projekte anschauen, sind
viele spannende Themen dabei wie zum Beispiel die
Entwicklung eines neuen Wirkprinzips für Herzinsuffizienz aus dem Bereich der Gesundheitsforschung oder
IKARUS, eine Infrarottechnologie zur Analyse von Rotorblättern und Hochseebedingungen, oder ein „Geruchsradar“ zur Lokalisierung und Quantifizierung
diffuser Quellen von Gerüchen. Mithilfe von VIP werden innovative Forschungsergebnisse frühzeitig auf
ihre wirtschaftliche Nutzbarkeit hin validiert und weiterentwickelt. Es stellt den Wissenschaftlern das fehlende Know-how und die notwendigen Ressourcen bereit, erhöht die Chancen, dass Unternehmer später in
die neu erforschten Produkte investieren.
Also, lieber Herr Röspel: Warum etwas ändern,
wenn es gut läuft?
In Ihrem Antrag fordern Sie die Auflösung der Fördermaßnahme VIP und die Einführung eines „Innovationsfonds“ in Stiftungsform. Diesen Fonds wollen Sie
ab 2014 mit Mitteln in Höhe von 100 Millionen Euro
speisen und diese in den darauffolgenden Jahren noch
erhöhen. Was aber hier wieder einmal typisch SPD ist:
Sie unterbreiten einen Vorschlag ohne Refinanzierungsvorschläge.
Sie sagen ja selbst, dass nur von einer geringen
Refinanzierung der Stiftung über Lizenzanteile auszugehen ist. Liebe SPD-Fraktion, bei der Finanzierung
von Ideen hapert es mal wieder bei Ihnen. Oder darf es
noch eine kleine Steuererhöhung sein? Aber nicht nur
das. Sie würden mit Ihrem Vorschlag einen Keil in die
Säule der Projektförderung treiben. Wie wäre es denn,
wenn wir für jede einzelne Initiative einen unabhängigen Fonds einrichten würden? Und ich erinnere Sie
gerne wieder an Ihre Worte von 2010, lieber Kollege
Röspel. Nicht weniger Bürokratie enthält Ihr „Innovationsfonds“. Nein, ganz im Gegenteil, er führt auch
noch zu einem unnötig erhöhten koordinierenden und
administrativen Aufwand. Mit dem Fonds schaffen Sie
Doppelstrukturen, erhöhen den Verwaltungsaufwand
und erschweren eine flexible Handhabung und bedarfsorientierte Steuerung der Validierungsförderung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen die Erkenntnisse der Wissensgesellschaft besser
nutzen, damit wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze nachhaltig gesichert werden. Wir brauchen
neue Produkte und Anwendungen. Dafür bietet besonders die Vernetzung von Forschung und Anwendung
viel Potenzial.
Und genau hier haben wir mit unserer Fördermaßnahme „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung - VIP“ bereits in 2010 angesetzt. Sie ist ein wichtiges Instrument, um unsere
erfolgversprechenden Forschungsergebnisse weiterZu Protokoll gegebene Reden
zuverfolgen, damit diese nicht für eine potenzielle
Verwertung verloren gehen. Wir werden diesen erfolgreichen Weg weitergehen. Daher, lieber Kollege
Röspel, müssen wir Ihren Antrag ablehnen, erneut.
Als Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker haben wir es täglich vor Augen: Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten Tag für
Tag Herausragendes. Ob in der Mikrosystemtechnik,
in der Biotechnologie oder in den Sozialwissenschaften, deutsche Forschung ist weltweit anerkannt, international vernetzt und nicht selten führend im jeweiligen Themengebiet. Eine unserer Stärken ist die
Grundlagenforschung. Hierbei wird Wissen unabhängig von möglichen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Anwendungen erforscht und kreiert. Es geht
also allein um den Wissensdrang der beteiligten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Als Staat
unterstützen wir dies zum Beispiel durch die Grundfinanzierung der Hochschulen, durch Fördermittel der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG, oder die
Gelder für die Wissenschaftsorganisationen wie die
Max-Planck-Gesellschaft. Doch auch im Grundlagenbereich existieren viele Erkenntnisse mit einem hohen
Anwendungspotenzial. Eine strukturierte und ehrliche
Prüfung der Verwertbarkeit erfolgt aber leider noch
immer viel zu selten.
Innovationsexpertinnen und -experten sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft weisen uns
deshalb immer wieder darauf hin, dass aufgrund des
Fehlens von Finanzierungsmöglichkeiten und -strukturen die großen Fortschritte aus der Forschung an
Hochschulen und der außeruniversitären Forschung
viel zu selten ihren Weg in eine kommerzielle Anwendung finden. Es brauche deshalb neue Instrumente, um
nach einer erfolgreichen Projektförderung im Rahmen
von DFG oder Bundesministerium für Bildung und
Forschung, BMBF, die gewonnenen Erkenntnisse in
kommerziell verwertbare Produkte und Dienstleistungen weiterzuentwickeln.
Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
wollen diesem Problem der Innovationslücke dauerhaft begegnen und haben mithilfe von Expertinnen und
Experten ein Konzept entwickelt, welches wir in Form
des vorliegenden Antrages konkretisiert haben. Wir
setzen uns daher für die Einrichtung eines „Deutschen
Innovationsfonds“ ein. Dieser soll als Stiftung mit einer starken finanziellen Grundausstattung durch den
Bund langfristig eigenständig organisatorische und inhaltliche Unterstützung von Forscherinnen und
Forschern im Rahmen von Validierungsprojekten geben und eine Finanzierung von Validierungsprojekten
sowie eine Koordination mit Unternehmen und Risikokapitalgebern anbieten. Durch gezielte Maßnahmen
sollen Forscherinnen und Forscher so in die Lage versetzt werden, Innovations- und industrielle Verwertungspotenziale ihrer Erkenntnisse besser zu identifizieren.
Die Aussprache im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung hat jedoch eines
deutlich gezeigt: Die Regierungsfraktionen haben kein
Interesse daran, sachlich über strukturelle Verbesserungen der Innovationsfähigkeit Deutschlands nachzudenken oder verstehen das Kernproblem nicht.
Lieber loben CDU/CSU und FDP das VIP-Programm
des BMBF. Dabei ist dieses Programm nicht mehr als
eine Anschlussfinanzierung für Projekte, die nicht
mehr im Rahmen anderer Projektförderungen gefördert werden können. Insofern ist es grundsätzlich kein
schlechtes Programm, aber es erreicht eben nicht das
gesteckte Ziel und kann dies von seinem Aufbau her
auch gar nicht. Die guten Abflüsse des Programms
sind somit kein Zeichen dafür, dass die Innovationslücke geschlossen wird, sondern nur, dass hier eine zusätzliche, gut ausgestattete Projektförderung gern
nachgefragt wird.
Wenn das VIP-Projekt ein wirklich so einschlagender Erfolg für die Schließung der Innovationslücke
wäre, warum hat dann die Max-Planck-Gesellschaft
ihr Instrument für diesen Bereich, die Max-PlanckInnovation GmbH, noch nicht wegen Arbeitsmangel
eingestellt bzw. und noch viel wichtiger, warum hat die
Helmholtz-Gemeinschaft kurz nach der Ankündigung
des VIP-Förderprogramms ein eigenes Instrument
vorgestellt, den Helmholtz-Validierungsfonds? Wenn
es so gut stehen würde um den Wissenstransfer, wie es
das BMBF und die Regierungsfraktionen unisono erklären, dann wären diese Einrichtungen der außeruniversitären Forschungsorganisationen doch eigentlich
überflüssig.
Es ist traurig, dass das BMBF offenkundig so stark
in der klassischen Fördermethodik erstarrt ist, dass
Vorschläge, wie es uns besser gelingt, Innovationen
aus der Grundlagenforschung in die kommerzielle Verwertung zu bringen, ohne inhaltliche Auseinandersetzung im Fachausschuss des Bundestages abgelehnt
werden. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, hätte es gut getan, sich vielmehr eine eigene
Meinung von unserem Instrument zu machen und dem
BMBF nicht überall nach dem Mund zu reden. Denn
wirkliche Innovationen im Bereich des Wissensstransfers kann man unter dieser Führung von diesem Hause
nicht erwarten. Schade!
Vonseiten der Grünen wurde ihre im Ausschuss angekündigte Enthaltung gegenüber unserem Antrag mit
der nach ihrer Sicht vergleichsweise hohen Anschubsfinanzierung für den Innovationsfonds in Höhe von
100 Millionen Euro im Jahr 2014 begründet. Solche
Summen kritisch zu hinterfragen, ist natürlich richtig.
Wir halten es dennoch für sinnvoll einen Fonds in Stiftungsform, der dauerhaft eine Veränderung im Innovationsgeschehen in Deutschland herbeiführen soll, auch
ausreichend auszustatten, zumal die VIP-Projektförderung des Bundes sich schon in dieser Größenordnung
bewegt.
Wir brauchen kluge Ideen und mutige Schritte, um
die Innovationsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Der
Zu Protokoll gegebene Reden
Ideenreichtum der Regierungsfraktion beschränkt sich
auf eine „Tonnagementalität“: mehr Geld im BMBFEtat gleich mehr Innovationen. Diese Rechnung wird
nicht aufgehen, und die Reformarmut unter CDU/CSU
und FDP wird uns schmerzhaft in den nächsten zehn
Jahren vor Augen geführt werden. Mit der Ablehnung
unseres Antrages durch die Koalitionsfraktionen wird
eine weitere Chance verpasst, die Förderungslücke im
deutschen Wissenschaftssystems endlich zu schließen.
Der Antrag „Deutschen Innovationsfonds einrichten - Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssystem endlich schließen“ der Fraktion der SPD
widmet sich zweifelsohne einem wichtigen Punkt in der
Technologie- und Innovationsförderung. Die sogenannte Validierungsforschung als ein - wie es im
Antrag der SPD genannt wird - „unabhängiger
‚Stresstest‘ zur Überprüfung des Realisierungs- und
Wertschöpfungspotenzials einer Idee bzw. einer wissenschaftlichen Innovation“ schließt die Lücke zwischen Grundlagenforschung und der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung. Jedoch
wissen wir, dass der Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwendung nicht automatisch erfolgt. Damit Forschungsergebnisse in marktreife Produkte und Dienstleistungen
überführt werden können, bedarf es einer umfassenden
Förderung. Nicht nur im finanziellen Sinne muss gefördert werden, sondern insbesondere durch eine unterstützende Beratung, durch eine Analyse des wirtschaftlichen Potenzials.
Diese christlich-liberale Koalition hat bereits 2010
ein Programm initiiert, um diese Lücke zu schließen.
Ich erinnere an das von dieser Koalition aufgelegte
Validierungsprogramm „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung, VIP“. Es ist
eben nicht so, dass eine gravierende Förderlücke besteht, wie die SPD im Antrag glauben machen möchte.
Auch bestehen keine „Defizite in den Strukturen zum
Transfer“, wie im Antrag argumentiert wird. Selbstverständlich sind diese Formulierung wie der gesamte
Antrag der SPD nur ein letzter Versuch, um beim
Thema Validierungsforschung noch einen Pflock einzuschlagen, indem ein alternativer Vorschlag konstruiert und unterbreitet wird. Die SPD möchte nicht als
Letzter durchs Ziel gehen und sich vorhalten lassen,
zum Thema Validierungsforschung keinen eigenen
Vorschlag auf den Tisch gelegt zu haben. Deshalb
bringt die SPD hier einen an Inhalt stark ausgedünnten Antrag vor, der nichts Neues, nichts anderes als
Vorschlag unterbreitet als das, was schon längst besteht.
Mit dem Validierungsprogramm VIP ist diese christlich-liberale Koalition den Empfehlungen der Expertenkommission für Forschung und Innovation ganz
klar gefolgt. Wir fördern aktuell 70 VIP-Vorhaben mit
rund 96 Millionen Euro. Weitere 40 VIP-Vorhaben mit
einem Volumen von rund 46 Millionen Euro sind zudem in der Bewilligungsvorbereitung. Die SPD fordert
die Bundesregierung auf, einen Fonds mit einem Volumen von 100 Millionen Euro einzurichten. Der Vergleich der Fördersummen zeigt: Wir sind alleine schon
in diesem Punkt viel weiter.
Grundsätzlich muss am Antrag der SPD vor allem
aber die vorgeschlagene Fondslösung bemängelt werden. Der Fonds soll in Stiftungsform extern und unabhängig eingerichtet werden. Jedoch ist ein solcher
Fonds aber nur dann sinnvoll, wenn er durch Rückflüsse refinanziert wird. Die SPD aber schreibt in ihrem Antrag, dass sie von einer „geringen Refinanzierung der Stiftung über Lizenzanteile“ ausgeht.
Demnach würde der Fonds weiterhin nur von Zustiftungen leben können. Inwieweit damit eine Unabhängigkeit und Kontinuität gewährleistet wird, bleibt
bislang als Frage offen. Ebenso ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Wirtschaft in dieser frühen Phase
Zustiftungen leisten wird. Im schlimmsten Fall wird
der Bund den Fonds durch eine weitere Finanzierung
am Leben halten müssen, und das für eine vermeintliche Lösung, die unnötig ist und dadurch nur Unsicherheit schafft.
Das Validierungsprogramm VIP ist bislang sehr erfolgreich angelaufen. Es hat als Instrument einen
Bedarf angesprochen, das zeigen die Zahlen an geförderten VIP-Vorhaben. Aktuell wird das Validierungsprogramm durch eine laufende Evaluation in seiner
positiven Wirkung bestätigt. Der Vorschlag der SPD,
dieses Instrument nun auslaufen zu lassen und durch
einen Fonds abzulösen, weil es eine „im System der
klassischen Projektförderung verhaftete Fördermaßnahme“ ist, scheint wenig überzeugend. Im gesamten
Antrag wird kein stichhaltiges Argument vorgebracht.
Damit kann die FDP dem Antrag in keinster Weise folgen. Wir lehnen den Antrag ab.
Die SPD beantragt die Einrichtung einer Stiftung,
deren Aufgabe die Suche nach und die Umsetzung von
wirtschaftlich verwertbaren Forschungsergebnissen
insbesondere aus der Projektförderung werden soll.
Diese soll mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden.
Die Stiftung soll eigenständig und unabhängig von den
Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie der Politik arbeiten, um ausschließlich die Chancen einer kommerziellen Umsetzung neuer Ideen in
den Vordergrund zu rücken. Die Stiftung soll sich vom
bereits laufenden Programm zur Validierungsforschung VIP des BMBF durch eine unabhängige Bewertung durch professionelle Berater absetzen und das
besagte Programm des BMBF im Gegenzug eingestellt
werden.
Grundsätzlich können wir die im Antrag beschriebene Umsetzungslücke von der Forschung in die Anwendung bestätigen. Die Frage ist jedoch, ob die gestellte Analyse der Ursachen dieser Lücke stimmig ist.
Wir haben es zunächst offenbar mit einem spezifisch
deutschen Problem zu tun, das in einer eher konservaZu Protokoll gegebene Reden
tiven, profitstarken und wenig risikofreudigen Industrielandschaft besteht. Wagniskapitalmärkte sind
hierzulande vorhanden, aber setzen zu wenig auf
Hightechbereiche bzw. forschungsintensive Innovationen. Daran ändern auch Transferagenturen und
Validierung zunächst wenig. Trotzdem zeigen die
Transfergesellschaften etwa der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen wie Max Planck Innovation
GmbH oder der Helmholtz Validierungsfonds, dass
solche Einrichtungen sinnvolle, wenn auch im Verhältnis zur Größe und zum Budget der Forschungsorganisationen eher geringe Effekte für den Ideentransfer in
die Wirtschaft bringen können. Die Validierungsforschung könnte in diesem Zusammenhang ein Instrument
sein, um das technologiespezifische Förderportfolio der
Bundesministerien insbesondere des Forschungs- und
des Wirtschaftsministeriums zielgerichteter auf die
Umsetzung hin zu orientieren.
Bedenken haben wir wegen der Stiftungskonstruktion. Das Ziel, der Expertise eine gewisse Unabhängigkeit zu verschaffen, erkennen wir an. Stiftungen
sind jedoch stark von vielen Faktoren wie etwa dem
Kapitalmarkt und der Expertise der Vermögensverwaltung abhängig. Bei Missmanagement ist schnell der
Staat in der Verantwortung, etwaige Verluste auszugleichen. Zudem sprechen wir uns gegen eine Kreditfähigkeit einer solchen Stiftung aus.
Alles in allem ist der im Antrag geforderte Validierungsfonds eine sinnvolle Idee, die aus unserer Sicht
noch weiterentwickelt werden muss.
In ihrem Jahresgutachten 2009 hat die Expertenkommission Forschung und Innovation sich schwerpunktmäßig mit dem Wissens- und Technologietransfer
zwischen öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft beschäftigt. Dabei identifizierte sie eine Lücke im deutschen Innovationssystem.
Nicht alle Forschungsergebnisse und Entwicklungen
aus dem Wissenschaftsbereich, die prinzipiell zu
Innovationen führen könnten, werden tatsächlich zu
Innovationen. Das liegt daran, dass bei manchen Erfindungen und Forschungsergebnissen nicht unmittelbar ersichtlich ist, ob sie sich für eine kommerzielle
Verwertung eignen oder nicht. Vielmehr muss ihr
Potenzial für eine kommerzielle Nutzung in einem Zwischenschritt von Experten überprüft werden, bevor das
weitere Vorgehen entschieden werden kann.
Diese Prüfung kann mitunter sehr aufwändig sein,
in finanzieller wie in zeitlicher Hinsicht, und erfordert
zudem spezielle Expertise, über die marktnahe Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft verfügen, oft aber
nicht die Forscherinnen und Forscher selber. Ob sich
der Aufwand lohnt, ist naturgemäß höchst ungewiss.
Privates Risikokapital lässt sich daher für diese Aufgabe nur schwer mobilisieren. Erst recht können es
sich viele kleine und mittlere Unternehmen nicht leisten, ohne entsprechende Expertise solch prinzipiell
hohe Risiken einzugehen. Genauso wenig erreicht die
klassische Projektförderung gerade jene Vorhaben, deren Potenzial höchst ungewiss ist. Die Folge ist, dass
ein relevanter Teil der im öffentlichen Bereich generierten neuen Erkenntnisse nicht optimal genutzt werden kann.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung empfahl daher noch vor Beginn dieser Legislaturperiode, eine echte Validierungsprüfung für unsichere Projekte in das Spektrum
der Fördermöglichkeiten für den Wissens- und Technologietransfer einzubeziehen.
Leider hat die Bundesregierung diese Anregung mit
dem Alibi-Programm „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung“ dann nur
halbherzig aufgegriffen. Dieses Programm entpuppt
sich aber inzwischen als eine Variante der klassischen
Projektförderung, bei dem die Bewilligung danach
läuft, welche Projekte am aussichtsreichsten sind, und
bei dem die Antragsteller selbst für den nötigen marktnahen Sachverstand sorgen müssen. Selbstverständlich trifft das Programm auf Zustimmung bei den
Antragstellern - aber die diagnostizierte Förderlücke
schließt es gerade nicht.
Die SPD stellt nun zum zweiten Mal den Antrag,
sich bei der Förderung der Validierungsforschung auf
Vorhaben zu konzentrieren, deren kommerzielles Potenzial tatsächlich höchst ungewiss ist. Als Instrument
wird ein Fonds in Stiftungsform vorgeschlagen, aus
dem Validierungsprojekte finanziert werden sollen, der
die Forscherinnen und Forscher unterstützt und die
Expertise marktnaher Experten mit einbringt. Wir unterstützen den Vorschlag, ein solches Instrument auszuprobieren.
Über die Ausgestaltung im Detail sollte aber erst
noch einmal beraten werden, am besten unter Einbeziehung entsprechender Experten. Besonders die Forderung, dieses Vorhabens ab 2014 mit 100 Millionen
Euro auszustatten, möchten wir hier nicht leichtfertig
durchwinken. Gerade weil es sich bei den zu unterstützenden Projekten um besonders risikobehaftete Vorhaben handeln wird, können wir nicht von einer Refinanzierung ausgehen, sondern eine Aufzehrung des
Kapitals wäre auch im Bereich des Möglichen. Das
heißt, dass die öffentliche Refinanzierung des Fonds
dauerhaft gesichert werden müsste. Deshalb werden
wir uns bei der Abstimmung enthalten.
Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13464, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/11826 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten.
Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Vizepräsident Eduard Oswald
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 47:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren
- Drucksache 17/12578 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 17/13528 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Jörg van Essen
Jerzy Montag
Die Reden werden zu Protokoll genommen. Wir haben das auch in der Tagesordnung so ausgewiesen.
Am 14. März 2013 wurde in erster Lesung der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beteiligung von
Beschuldigten im Strafverfahren beraten. Im Nachgang zur ersten Lesung gab es noch intensive parlamentarische Beratungen. Hierbei stellten sich noch einige offene Fragen. All diese Fragen konnten aber
mittels Ergänzung der Gesetzesbegründung und durch
den vorliegenden Änderungsantrag zur vollen Zufriedenheit gelöst werden. Diesen klugen Änderungen ist
auch der Umstand geschuldet, dass wir dieses Verfahren nun mit Stimmen der SPD-Fraktion und der Koalition verabschieden können.
Zu dem Gesetz und den einzelnen Änderungen sind
folgende Anmerkungen zu machen. Mit dem nun vorliegenden Gesetz werden die europarechtlichen Vorgaben aus der Richtline 2010/64/EU und der Richtline
2012/13/EU in das nationale Recht umgesetzt.
In den Bereichen, in denen durch die europäischen
Vorgaben Anpassungsbedarf bestand, wurden die notwendigen Veränderungen vorgenommen. Dabei war
der Umsetzungsbedarf aufgrund bereits bestehender
Regelungen sowohl im Bereich der Übersetzungs- und
Dolmetscherleistungen als auch im Bereich der Informations- und Belehrungsrechte des Beschuldigten gering. Deutschland verfügt im Bereich des Strafverfahrens bereits über ein hohes Schutzniveau, welches
durch die europäischen Vorgaben nur einige Konkretisierungen erfährt, so etwa hinsichtlich des Rechts auf
Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren. Dabei konzentriert der vorliegende Gesetzentwurf die notwendigen Anpassungen in § 187 GVG.
Bereits aus Art. 6 Abs. 3 EMRK Buchstabe e EMRK
ergibt sich der grundlegende Anspruch einer beschuldigten oder verurteilten Person auf unentgeltliche
Übersetzungs- oder Dolmetscherleistungen während
des gesamten Strafverfahrens. Schon nach bisheriger
Rechtslage und Praxis wurde diesem grundlegenden
Anspruch Rechnung getragen.
Der Gesetzentwurf schlägt daher in § 187 Abs. 1
Satz 1 GVG-E lediglich eine geringfügige sprachliche
Anpassung der derzeit geltenden Regelung vor und ergänzt einen neuen § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG-E. Die Richtlinie 2012/13/ EU sieht in Art. 3 Abs.1 Buchstabe d eine
Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetscherleistungen vor. Diese Vorgabe wird im neuen Satz
2 normiert.
In § 187 Abs. 2 GVG-E wird der Anspruch auf
Übersetzung inhaltlich ausgestaltet. Dieser Anspruch
auf Übersetzung dient der Umsetzung von Art. 3 der
Richtlinie 2010/64/EU. In der Regel ist nach dem
Gesetzentwurf eine schriftliche Übersetzung von
freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen
Urteilen erforderlich. Eine lediglich auszugsweise
Übersetzung reicht nach § 187 Abs. 2 Satz 2 GVG-E
aber dann aus, wenn schon dadurch die Verteidigungsrechte der beschuldigten Person ausreichend gewahrt
werden. Ein vollständiges Absehen von der schriftlichen Übersetzung soll schließlich nach Maßgabe der
Sätze 4 und 5 möglich sein.
Im Rahmen der Beratungen hatte Kollege Montag
die Ausgestaltung dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses angemahnt und behauptet, der Umsetzungsentwurf
der Bundesregierung gehe am Geist der Richtline vorbei. Dabei ergab die fachliche Bewertung seitens des
Bundesjustizministeriums, dass der weite Ausnahmetatbestand in § 187 Abs. 2 Satz 4 und Satz 5 GVG-E,
der auch mit Blick auf die Akzeptanz der Neuregelung
in den Ländern vorgeschlagen wurde, systematisch
dem Vorbild der Richtlinie nachgebildet und auch im
Wortlaut eng an die Richtline angelehnt wurde. Ebenfalls steht die Ausgestaltung des Regel-Ausnahmeverhältnisses auch im Einklang mit den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien.
Gemäß § 187 Abs. 3 GVG-E kann die beschuldigte
Person auf die Übersetzung verzichten, wenn sie zuvor
belehrt wurde. Belehrung und Verzicht sind zu dokumentieren. Mit dieser Regelung wird Art. 3 Abs. 8 der
Richtlinie 2010/64/ EU umgesetzt.
§ 187 Abs. 4 GVG-E entspricht dem bisher geltenden § 187 Abs. 2 GVG.
Auch § 189 GVG wird geringfügig geändert. Es
wird ein neuer Absatz 4 angefügt. Dieser dient der
Umsetzung des Art. 5 der Richtline 2010/64/EU. Im
neuen Absatz 4 wird festgelegt, dass der Dolmetscher
oder Übersetzer ,,über Umstände, die ihm bei seiner
Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit
wahren“ muss. Diese Ergänzung ist notwendig, da die
Verpflichtung aller herangezogenen Dolmetscher zur
Verschwiegenheit nach aktueller Rechtslage nicht einheitlich normiert ist. Der Bundesrat hatte den Standort
dieser Regelung infrage gestellt und eine Verortung
der gesetzlichen Regelung in § 187 GVG vorgeschlaDr. Patrick Sensburg
gen. Damit würde eine Geltung lediglich im Strafverfahren bestehen.
In der Begründung zur Beschlussempfehlung heißt
es dazu, dass im Interesse der Verfahrensbeteiligten
die Neuregelung zur Verschwiegenheit der Dolmetscher nicht nur auf das Strafverfahren zu begrenzen ist,
sondern für alle Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten soll.
Hinsichtlich des Rechts auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren wurden nur punktuell Erweiterungen der Vorschriften der StPO vorgenommen.
So findet sich in § 37 Abs. 3 StPO-E nun die Regelung, dass in den Fällen des § 187 Abs. 1 und Abs. 2
GVG-E ,,das Urteil zusammen mit der Übersetzung“
zuzustellen ist.
§ 114 b Abs. 2 Satz 2 StPO-E legt fest: ,,Ein Beschuldigter, der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist oder der hör- oder sprachbehindert
ist, ist in einer verständlichen Sprache darauf hinzuweisen, dass er nach Maßgabe des § 187 Abs. 1 bis 3
des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte
Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines
Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann.“
Durch diese Regelung wird die in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d der Richtline 2012/13/EU vorgesehene Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetscherleistungen umgesetzt.
Weiterhin wird in der Beschlussempfehlung der Regierungskoalition der Vorschlag des Bundesrates unterstützt, eine Verweisung in § 114 b Abs. 2 Satz 1
Nummer 4a StPO auf § 141 Absatz 1 und 3 der Strafprozessordnung aufzunehmen. Dieser Verweis soll
klarstellen, dass sich die Belehrungspflicht auch auf
das in § 141 StPO geregelte Verfahren der Bestellung
des Pflichtverteidigers erstreckt. Es soll mit der Neuregelung jedoch keine Änderung bezüglich der Auslegung und Anwendung des § 141 Abs. 3 StPO einhergehen.
§ 136 Abs. 1 Satz 3 StPO-E schließlich ergänzt die
bisherige Rechtslage um den Zusatz ,,und unter den
Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 die Bestellung
eines Verteidigers beanspruchen“. Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b der Richtline 2012/13/EU schreibt eine Belehrung des Beschuldigten über einen möglichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung vor. Ein
solcher Hinweis erfolgte nach geltender Rechtslage
grundsätzlich nicht. Daher war eine entsprechende
Ergänzung notwendig.
Die Beschlussempfehlung der Regierungskoalition
sieht ebenfalls einen Verweis in § 136 Abs. 1 StPO-E
auf § 141 Abs. 1 und 3 StPO vor. Dieser soll klarstellen, dass sich die Belehrungspflicht auch auf das in
§ 141 StPO geregelte Verfahren bei der Bestellung des
Pflichtverteidigers erstreckt. Insoweit wird bereits in
der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass mit
der Neuregelung keine Änderung bezüglich der Auslegung und Anwendung des § 141 Abs. 3 StPO einhergehen soll.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem entsprechenden Änderungsantrag werden die beiden
Richtlinien effektiv in das nationale Recht umgesetzt.
Dabei wird ein guter Ausgleich zwischen den europäischen Verpflichtungen einerseits und nationalen Anforderungen des Strafverfahrensrechts andererseits
geschaffen. Das Gesetz ist damit ein weiterer Erfolg
der christlich-liberalen Koalition.
Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Verfahrensrechte von
Beschuldigten im Strafverfahren. Der Gesetzentwurf
dient der Umsetzung zweier Richtlinien im Bereich des
Strafverfahrens, einmal über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen und zum anderen über
das Recht auf Belehrung und Unterrichtung.
Ein notwendiges Gesetz, ein gutes Gesetz, und dank
umfänglicher und guter Vorarbeiten früherer SPDJustizministerinnen zur Verbesserung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren eben auch
ein überschaubarer Gesetzentwurf, waren doch nur
noch punktuelle Nachbesserungen erforderlich.
So regelt der Gesetzentwurf die Verpflichtung zur
Übersetzung verfahrenswichtiger Dokumente, in der
Regel freiheitsentziehende Anordnungen sowie von
Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen. Er statuiert die Verschwiegenheitsverpflichtung der Dolmetscher und die Pflicht des Richters, darauf hinzuweisen. Zukünftig soll der Anspruch
auf Dolmetschleistungen nicht auf die richterliche Vernehmung begrenzt sein, sondern auch bei Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei bestehen.
Auch darüber ist der Beschuldigte zukünftig zu belehren.
Schlussendlich soll der Beschuldigte zukünftig
bereits bei der Festnahme über das Recht auf Dolmetschleistungen, die mögliche Beantragung eines
Pflichtverteidigers und über Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte belehrt werden.
Wir werden dem Entwurf der Bundesregierung mit
den von der Koalition angestrebten Änderungen zustimmen.
Mit der heutigen zweiten und dritten Beratung des
Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren gewährleisten wir die
Umsetzung der ersten beiden EU-Richtlinien zur
Schaffung europäischer Mindeststandards für Beschuldigte. Damit zeigt die Koalition, dass sie ihr Ziel
der Regelung einheitlicher EU-weiter Mindestverfahrensrechte nicht aus den Augen verloren und die wenigen in unserem Recht erforderlichen Anpassungen zur
Stärkung der Beschuldigtenrechte zeitgerecht vorgenommen hat.
Zu Protokoll gegebene Reden
Schwerpunkt bei der Umsetzung der Richtlinie über
das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen ist die Regelung einer ausdrücklichen gesetzlichen
Pflicht zur schriftlichen Übersetzung verfahrenswichtiger Dokumente, insbesondere von Strafurteilen. Erfasst ist nach der Neuregelung das schriftliche Urteil
einschließlich der Urteilsgründe, nicht aber die bereits
im Rahmen der Verkündung des Urteils dargelegten
Ausführungen des Gerichts oder gar lediglich die Urteilsformel. Angeführt im Gesetzentwurf werden beispielhaft weitere wichtige Dokumente wie der Strafbefehl oder die Anklageschrift. Dadurch entspricht der
Gesetzentwurf der Leitlinie der Richtlinie, die darin
besteht, dass alle wichtigen zur Verteidigung notwendigen Dokumente grundsätzlich schriftlich übersetzt
werden.
Darüber hinaus wird durch den Gesetzentwurf auch
die weitere Richtlinie, welche die Belehrungs- und Unterrichtungsrechte des Beschuldigten betrifft, umgesetzt. Hervorzuheben ist dabei die nun vorgesehene
Belehrung über das Recht auf Dolmetscherleistungen.
Das Gericht ist nun verpflichtet, Beschuldigte oder
Verurteilte, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig oder hör- oder sprachbehindert sind,
auf dieses Recht hinzuweisen. Dies gilt auch für den
Fall der Festnahme.
Die in dem Änderungsantrag der Koalition aufgenommenen Änderungsvorschläge des Rechtsausschusses führen zu einer Klarstellung und Vereinfachung des
Gesetzentwurfs. Durch die ergänzende Vorschrift des
§ 189 Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz wird klargestellt, dass die als Dolmetscher oder Übersetzer herangezogenen Personen in jedem Fall Verschwiegenheit über die Umstände wahren sollen, von denen sie
bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Kenntnis erlangen.
Durch die eingeführte Belehrungspflicht des Gerichts
in § 189 Abs. 4 Satz 2 wird die Einhaltung dieses Beschuldigtenrechts wesentlich gestärkt.
Des Weiteren stellt der Änderungsantrag ausdrücklich fest, dass mit der Neuregelung keine Änderungen
bezüglich der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Bestellung eines Pflichtverteidigers
einhergehen.
Der Gesetzentwurf entspricht in seiner jetzigen Fassung den Leitlinien der EU-Richtlinien und stellt einen
verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem staatlichen Verfolgungsinteresse einerseits und dem Schutz
des Beschuldigten andererseits dar. Ich bitte Sie aus
diesem Grund um Ihre Zustimmung.
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung europäischen Rechts. Dabei geht es zum einen um
das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren und zum anderen um das Recht
auf Belehrungen und Unterrichtungen in Strafverfahren.
Vom Grundsatz her begrüßen wir, dass Mindeststandards für die gesamte Europäische Union festgelegt
werden. Aber es gilt auch hier: Die Linke will die
höchstmöglichen Standards. Wir wollen für Europa
und seine Einwohnerinnen und Einwohner nicht nur
kleine Verbesserungen, sondern das Beste.
Die Linke begrüßt, dass die Rechte des Beschuldigten im Hinblick auf Belehrungspflichten, Dolmetschund Übersetzungsleistungen erweitert wurden. Auch
die Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie im Bereich der förmlichen Belehrungen und der Frage der
Akteneinsicht finden wir begrüßenswert. Mit beiden
Regelungen wird ein Verfahren auf Augenhöhe ermöglicht. Gleiches gilt für die weiteren Verbesserungen bei
der Herstellung von Mindeststandards für die Verfahrensrechte der Beschuldigten. Allerdings erfolgt das zu
spät, nämlich nach bereits umgesetzten Rechtsakten
zur Anerkennung von - nach hiesigen Maßstäben nicht
rechtsstaatlich zustande gekommenen - ausländischen
Haftbefehlen und anderen Verfolgungsmaßnahmen.
Die Verschwiegenheitspflicht für Dolmetscher ist
angemessen und sinnvoll. In den Fällen, um die es hier
geht, kommt ihnen eine sehr besondere Rolle zu, da sie
faktisch als Mittler zwischen den verschiedenen Verfahrensbeteiligten wirken. Gerade für die Beschuldigten müssen sie eine Vertrauensstellung innehaben.
Ich habe bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes darauf verwiesen, dass es ein Problem mit dem
§ 187 Gerichtsverfassungsgesetz gibt. Wie auch in der
europäischen Richtlinie vorgesehen, gibt es die Notwendigkeit, Urteilsbegründungen vollständig zu übersetzen. Es ist mir unverständlich, warum dies nun nicht
umgesetzt werden soll, und die Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung überzeugt mich da auch
nicht. Demnach wäre das in der derzeitigen Gerichtspraxis nicht leistbar. Mag sein, aber dann muss man
eben diese Praxis ändern. Es kann ja nicht sein, dass
ich als Verfahrensbeteiligter ein Urteil und seine Begründung nur in Bruchstücken bekomme. Gerade für
die Auseinandersetzung der Beschuldigten und insbesondere bei freiheitsentziehenden Anordnungen ist es
doch wichtig, dass sie die Begründung des Gerichtes
auch verstehen. Dies gilt ebenso für ihre Verteidiger.
Sie brauchen eine Übersetzung, und zwar im Ganzen.
Es kann auch nicht sein, dass irgendwer festlegt,
welche Passagen eines Urteils übersetzt werden, weil
sie für die Verteidigung von Belang wären - und welche nicht. Das kann einzig die Verteidigung selbst entscheiden. Das gehört zu den Grundsätzen eines fairen
Verfahrens, und das wird hier nicht gewährleistet!
Eine Übersetzung der gesamten Urteilsbegründung
ist auch notwendig für die Resozialisierung im Heimatland: Für die Mitarbeiter der Justiz im Heimatland
ist es unerlässlich, alle Motive, die zum Urteil führten,
zu kennen. Oftmals gehen Resozialisierungsmaßnahmen doch gerade von solchen Sachverhalten aus, die
im Gerichtsverfahren angeführt wurden und zu einem
Urteil führten.
Zu Protokoll gegebene Reden
Unverständlich und entgegen der EU-Richtlinien
bleibt auch, dass bei verteidigten Beschuldigten eine
mündliche Übersetzung oder gar mündliche Zusammenfassung der Unterlagen in der Regel ausreichen
soll und bei rechtskräftigen Entscheidungen sogar
komplett auf eine Übersetzung verzichtet wird.
Sie sehen, wir haben dem Gesetzentwurf viel Positives abgewinnen können, aber wir bleiben auch bei unserer Kritik an einzelnen Regelungen. Deshalb werden
wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten.
Das Stockholmer Programm als Strategiepapier
und der Aktionsplan zum Stockholmer Programm von
2010 haben die Prioritäten der Europäischen Union
für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts im Zeitraum 2010 bis 2014 festgelegt. Ziel war
es, den Weg frei zu machen für eine demokratisch besser legitimierte und an gemeinsamen Grundsätzen
orientierte Innen- und Justizpolitik der Europäischen
Union.
Schon in der Umsetzung dieser Ziele auf EU-Ebene
ist der große Wurf hinsichtlich einer effektiven rechtlichen Absicherung der Verfahrensrechte jedoch gescheitert. So hat es zu einer umfassenden Richtlinie zur
Stärkung der Verfahrensrechte auf europäischer Ebene
leider nicht gereicht. Stattdessen hat die Europäische
Kommission im November 2009 einen „Fahrplan zur
Stärkung der Rechte von Verdächtigen oder Beschuldigten im Strafverfahren“ vorgelegt. Von sechs Maßnahmen dieses Fahrplans sind Mitte 2013 bisher
Richtlinien zu lediglich zwei Maßnahmen verabschiedet worden, die Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren
und die Richtlinie über das Recht auf Belehrung und
Unterrichtung in Strafverfahren. Die Richtlinie über
das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und
das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme befindet sich noch im europäischen parlamentarischen
Verfahren. Andere Maßnahmen wie die besonderen
Garantien für schutzbedürftige Beschuldigte, ein
Grünbuch für die Untersuchungshaft und insbesondere gemeinsame Mindeststandards für die Prozesskostenhilfe stehen noch aus.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die
Vorgaben der Richtlinien bezüglich der Dolmetscherleistungen und Übersetzungen sowie der Belehrungen
in Strafverfahren umsetzen soll, begnügt sich mit - so
heißt es in der Begründung - punktuellen Änderungen
des deutschen Rechts, da die Rechtstellung von Beschuldigten in Deutschland bereits de lege lata im Wesentlichen den Richtlinienvorgaben entspricht. Und
eben an diesem Punkt zeigt sich das Problem: Die
schwarz-gelbe Koalition hat ein ebenso fragwürdiges
wie problematisches Verständnis davon, welchen Inhalt der Begriff des „Wesentlichen“ hat.
So geht die Richtlinie 2010/64/EU, welche das
Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen
in Strafverfahren regelt, von folgender Regelung aus:
Schriftlich zu übersetzen sind alle Unterlagen, die wesentlich sind, um zu gewährleisten, dass sie imstande
sind, ein faires Verfahren zu gewährleisten - Art. 3
Abs. 1 der Richtlinie 2010/64/EU -, auf jeden Fall
aber jegliche Anordnungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil - Art. 3 Abs. 2, RL 2010/64/EU - mit Ausnahme
rechtskräftiger Urteile Art. 1 Abs. 2, RL 2010/64/EU.
Ausnahmsweise kann auf eine mündliche Übersetzung
oder eine mündliche Zusammenfassung der wesentlichen Unterlagen zurückgegriffen werden, wenn dies
einem fairen Verfahren nicht entgegensteht.
Die Koalition hat in der Umsetzung dieser Vorgaben daraus Folgendes gemacht: Die schriftliche Übersetzung freiheitsentziehender Anordnungen sowie von
Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen wird eben nicht, wie es die Richtlinie erfordert, ausnahmslos, sondern nur „in der Regel“ zugestanden, und auch bei diesen nur „in der Regel“ zu
übersetzenden Dokumente, wird die nur auszugsweise
Übersetzung als ausreichend angesehen, wenn hierdurch die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden.
Aber wer entscheidet dies? Schließlich wird sogar lediglich die mündliche Übersetzung als ausreichend
angesehen, und dies soll wiederum „in der Regel“
dann der Fall sein, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat. In der Zusammenschau schmelzen die
Rechte aus Art. 3 der Richtlinie 2010/64/EU in sich zusammen, und faktisch wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu einem Ausnahme-Regel-Verhältnis.
Die schwarz-gelbe Koalition hat sich leider nicht
darauf eingelassen, an diesem Punkt noch Korrekturen
an ihrem Gesetzentwurf vorzunehmen. Schwarz-Gelb
nimmt bewusst in Kauf, dass der Gesetzentwurf am
Geist der Richtlinie vorbeigeht. Dies ist besonders für
die FDP, die Beschuldigtenrechte im Munde führt, ein
Armutszeugnis. Die Intention dahinter lässt sich leicht
durchschauen: Mehr Übersetzungen kosten den Staat
mehr Geld. Solche Discount-Verfahrensrechte darf
sich Deutschland und Europa aber nicht erlauben. Wir
Grüne wollen keine europäische Justizpolitik auf dem
kleinsten Nenner und nur nach Kassenlage, sondern in
Deutschland und Europa hohe Standards, Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit.
Die Union wie die FDP verkennen wieder einmal,
dass auf dem Gebiet der Schaffung einer europäischen
Rechtsstaatlichkeit mehr getan werden muss als das
unbedingt Notwendige. Eine solche Politik lehnen wir
Grünen ab.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13528, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12578 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die So30430
Vizepräsident Eduard Oswald
zialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die
Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die
Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer
stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz ({0}), Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Bologna-Reform - Positive Entwicklungen
stützen, Fehler korrigieren und Verbesserun-
gen durchsetzen
Drucksache 17/13475 -
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Alle sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13475. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 49 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
- Drucksache 17/13469 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Wir beraten heute in erster Lesung einen atypischen
Gesetzentwurf. Es ist ein gemeinsamer Entwurf der
Koalitionsfraktionen und der Oppositionsfraktion
SPD. Es ist ein gutes Zeichen, dass es nach wie vor Ge-
genstände in der Politik gibt, über die man sich auch
über Parteigrenzen hinweg verständigen kann.
Der Gesetzentwurf geht zurück auf einen gemeinsa-
men Antrag der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
der SPD aus dieser Wahlperiode mit dem schönen Titel
„Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken“ -
Bundestagsdrucksache 17/11001. Hierin waren auch
Passagen zu den Bundesgerichten und zum Bundesver-
fassungsgericht enthalten. Danach sollten „insbeson-
dere die Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte
des Bundes, die unmittelbaren Körperschaften, Anstal-
ten und Stiftungen zur Abgabe ihrer Unterlagen nach
spätestens 30 Jahren gesetzlich verpflichtet werden“.
Bei Entscheidungen zu Akten des Bundesverfas-
sungsgerichts sollte der bedeutenden Stellung dieses
Gerichts und seiner Richter im Hinblick auf For-
schungserleichterung besonderes Gewicht beigemes-
sen werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kom-
men wir diesem Verlangen nach.
Wir haben uns dafür entschieden, eine eigenstän-
dige gesetzliche Regelung für die Einsichtnahme in die
Akten des Bundesverfassungsgerichts im Bundes-
verfassungsgerichtsgesetz zu schaffen, um der hohen
Bedeutung des Gerichts gerecht zu werden. Eine Rege-
lung im Bundesarchivgesetz hätte dies nicht vermocht.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit wegweisen-
den Entscheidungen die Verfassungswirklichkeit und
das Verfassungsverständnis im Deutschland der Nach-
kriegszeit geprägt. Die Ergebnisse einer öffentlichen
Anhörung am 29. Februar 2012 vor dem Innenaus-
schuss des Deutschen Bundestages haben gezeigt, dass
die Aufarbeitung der Geschichte des Bundesverfas-
sungsgerichts und seiner Entscheidungen für das
Verständnis und die Einordnung seiner Bedeutung für
die Entwicklung einer stabilen Demokratie in der
Bundesrepublik Deutschland entscheidend ist. Zur
Untersuchung und Einordnung der Rolle des Bundes-
verfassungsgerichts im Aufbau der bundesdeutschen
Demokratie ist ein Rückgriff auf seine Entscheidungen
und sonstige Unterlagen unerlässlich. Die Bedingun-
gen für Wissenschaft und Forschung sollen durch er-
leichterten Aktenzugang verbessert werden.
Auch der Ständige Ausschuss des Deutschen
Rechtshistorikertages hat sich 2010 in einer Resolu-
tion für eine Verbesserung des Zugangs zu den Unter-
lagen des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen.
Für die Forschung besonders bedeutend sind dabei die
Entscheidungsvorschläge - Voten - und -entwürfe. Die
vorgenommenen Ergänzungen des Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetzes schaffen die Rahmenbedingun-
gen für die Einsichtnahme in diese Unterlagen.
Eine eigenständige Regelung im Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetz ist aber nicht nur der Stellung des
Bundesverfassungsgerichts als eines der obersten Ver-
fassungsorgane geschuldet. Auch die Schutzwürdigkeit
des Beratungsgeheimnisses legt eine solche eigenstän-
dige Regelung nahe.
Zentrale Vorschrift ist der neue § 35 b Abs. 5 des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Er stellt in seinem
Satz 1 generell klar, dass für die Einsicht in die Akten
des Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundes-
archiv oder durch das Bundesarchiv als Zwischen-
archivgut aufbewahrt werden, nach Ablauf von 30 Jah-
ren nach Abschluss des Verfahrens die Regelungen des1) Anlage 16
Bundesarchivgesetzes gelten. Diese Frist von 30 Jahren ist an § 5 des Bundesarchivgesetzes angelehnt.
Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift darf Archivgut
des Bundes aus einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Zeit auf Antrag grundsätzlich von jedermann
genutzt werden. Dieser Zugang wird durch die neue
Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nunmehr explizit für die Akten und sonstigen Dokumente
des Bundesverfassungsgerichts eröffnet. Die Ansprüche aus § 5 des Bundesarchivgesetzes bleiben daneben
bestehen.
Eine Sonderregelung trifft Satz 2 für Entwürfe von
Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, Arbeiten zu
ihrer Vorbereitung und Dokumente, die Abstimmungen
betreffen. Insoweit wird eine Einsichtnahme erst nach
Ablauf von 60 Jahren nach Abschluss des jeweiligen
Verfahrens vorgesehen. Die Schutzfrist von 60 Jahren
trägt dem hohen Rang des Beratungsgeheimnisses innerhalb des jeweiligen Spruchkörpers Rechnung. Sie
lehnt sich zugleich an die Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 1
in Verbindung mit § 2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 des Bundesarchivgesetzes an.
Nach diesen Vorschriften darf Archivgut, das Vorschriften der Abgabenordnung, des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank, des Gesetzes über das Kreditwesen sowie
anderen Rechtsvorschriften des Bundes über Geheimhaltung unterliegt, erst ab 60 Jahre nach Entstehen genutzt werden. Dem Beratungsgeheimnis beim Bundesverfassungsgericht wird damit die gleiche
Schutzwürdigkeit zuerkannt wie insbesondere dem
Steuer-, Sozial- und Bankgeheimnis.
Schließlich ist noch eine Regelung vorgesehen, die
im Interesse der Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts dessen jederzeitigen und vorrangigen
Rückgriff auf das beim Bundesarchiv aufbewahrte und
abgegebene Schriftgut vorsieht. § 35 b Abs. 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz trifft für die Akten zu Kammerentscheidungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, eine Sonderregelung. Diese
Entscheidungen haben grundsätzlich keine tragende
Bedeutung für die rechtshistorische Entwicklung der
Bundesrepublik Deutschland. Deshalb können die sie
betreffenden Akten und Unterlagen mit Einverständnis
des Bundesarchivs nach Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des Verfahrens vernichtet werden.
Zum Schluss noch etwas sehr Positives: Unsere beabsichtigte Regelung verursacht keine weiteren Kosten
bei Bund und Ländern. Die erforderlichen Ressourcen
für die Einsichtnahme in Akten müssen nämlich schon
jetzt beim Bundesarchiv und beim Bundesverfassungsgericht nach dem Bundesarchivgesetz vorgehalten
werden. Ich hoffe auf gute und schnelle Beratung, damit das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode in
Kraft treten kann.
Mit der Initiative der Fraktionen CDU/CSU, FDP
und der Fraktion der SPD „Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern - Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die
NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen“ wollen wir gute wissenschaftliche Rahmenbedingungen für die zeitgeschichtliche Forschung in
Deutschland schaffen.
Dazu bedarf es einer Änderung des Bundesarchivgesetzes im Hinblick auf die Abgabevorschriften, und
es bedarf Einzelgesetze über die Bundesgerichte. Insbesondere geht es um die Akteneinsicht beim Bundesverfassungsgericht. Im Gespräch mit Vertretern des
Bundesarchives und Richtern am Bundesverfassungsgericht wurde zunächst in einem ersten Schritt die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes präferiert.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes regelt die Möglichkeit der Akteneinsicht. Es soll mit der vorgeschlagenen Änderung die Einsichtnahme in Akten und Entscheidungsvorschläge des Bundesverfassungsgerichts
zu Forschungszwecken erleichtert werden. Wir wollen
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine eigenständige Regelung für die Einsichtnahme in die Akten des
Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundesarchiv
aufbewahrt werden, schaffen.
Die Praxis der Aktenabgabe an das Bundesarchiv
und der Aktenzugang sollen nachvollziehbaren, allgemeingültigen Regeln unterliegen. Das Bundesverfassungsgericht darf demnach nicht ohne Weiteres Akten
und Archivgut vernichten. Es wird die Einsichtnahme
in die Akten des Bundesverfassungsgerichts, die beim
Bundesarchiv oder durch das Bundesarchiv als Zwischenarchivgut aufbewahrt werden und für die nach
Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des Verfahrens die
archivgesetzlichen Regelungen gelten, gesetzlich geregelt.
Für Entscheidungsvorschläge und -entwürfe wird
die Einsichtnahme nach Ablauf von 60 Jahren nach
Abschluss des Verfahrens vorgesehen, um dem hohen
Rang des Beratungsgeheimnisses und dessen Schutzwürdigkeit Rechnung zu tragen.
Des Weiteren wird für die Akten zu Kammerentscheidungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt
sind, eine Sonderregelung geschaffen. Diese Entscheidungen haben aber keine tragende Bedeutung für die
rechtshistorische Entwicklung der Bundesrepublik
Deutschland. Deshalb können die sie betreffenden Akten und Unterlagen mit Einverständnis des Bundesarchivs nach Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des
Verfahrens vernichtet werden.
Eine weitere Sonderregelung soll für die Akten zu
den in das Allgemeine Register des Bundesverfassungsgerichts eingetragenen Vorgängen gelten. Da sie
keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
Zu Protokoll gegebene Reden
haben, können die in diesen Verfahren angelegten Akten mit Einverständnis des Bundesarchivs bereits fünf
Jahre nach der letzten die Sache betreffenden Verfügung vernichtet werden.
Die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen hängt
auch vom Umgang mit der eigenen Vergangenheit und
damit den eigenen Akten ab. Wir erhoffen daher, dass
die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
eine Signalwirkung entfaltet und andere Bundesgerichte dem guten Beispiel folgen.
Lassen Sie uns die Forschung stärken, damit ihr
möglichst umfängliche Informationen über die Entstehung von Entscheidungen und Vorgängen zukommen.
Die vorgenommenen Ergänzungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen hierfür.
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben
sich im Verlauf dieser Wahlperiode intensiv mit der
Frage auseinandergesetzt, wie die Untersuchung von
personellen und institutionellen Kontinuitäten und
Brüchen in deutschen Ministerien und Behörden der
frühen Nachkriegszeit weiter vorangebracht werden
kann. Wir haben dazu im Ausschuss für Kultur und
Medien im Februar 2012 eine öffentliche Anhörung
mit Sachverständigen durchgeführt.
In der Folge hat die Koalition gemeinsam mit der
SPD-Fraktion einen Antrag - Bundestagsdrucksache
17/11001 - verabschiedet, der sich klar für eine Verbesserung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit
bei der NS-Aufarbeitung von Behörden, Ministerien
und Gerichten positioniert. Es ist Teil der Wissenschaftsfreiheit, eigene Fragen und Forschungsgegenstände zu entwickeln, es ist aber auch Teil der Wissenschaftsfreiheit, möglichst ungehinderten Zugang zu
Akten zu bekommen.
Der Ansatz der Grünen, eine durch eine staatliche
Kommission gesteuerte Auftragsforschung flächendeckend für alle obersten Bundesbehörden, -gerichte und
Ministerien zu initiieren, ist falsch. Angesichts der
Geschichte Deutschlands sollte jeder Eindruck der
Vermittlung eines Geschichtsbildes „von oben“ vermieden werden.
Am Anfang aller Forschung steht zweifellos der
freie Zugang der Wissenschaft zu historischen Akten
und Unterlagen von betroffenen Behörden, Gerichten
und Ministerien. So werden die Akten, die von der Historikerkommission im Bundesministerium der Justiz
eingesehen werden, anschließend in das Bundesarchiv
überführt und für die allgemeine wissenschaftliche
Nutzung zugänglich gemacht. Für den Potsdamer Historiker und das Mitglied der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim BMJ Manfred Görtemaker ist „das eigentliche Ziel der Kommission“,
durch verbesserten Quellenzugang die bisher mangelhafte Informationsbasis für Forschungen über das
BMJ zu verbessern und dadurch manche Lücken im öffentlichen Diskurs schließen zu helfen.
Aus den Beratungen der Bundestagsfraktionen in
dieser Wahlperiode ist für mich als Freien Demokraten, aber auch als Rechtshistoriker am Max-PlanckInstitut für europäische Rechtsgeschichte, der sich
selbst lange mit Aufarbeitungsfragen beschäftigt hat,
deutlich geworden: Ein freier Aktenzugang sollte nicht
nur staatlich berufenen Historikerkommissionen gewährt werden. Zweifellos bringen Kommissionen, beispielsweise die im BMJ, aber auch Kommissionen in
anderen Institutionen die Aufklärung, wie in der Nachkriegszeit neu gegründete Ministerien und Behörden
mit der NS-Vergangenheit umgegangen sind, verdienstvoll voran. Wünschenswert ist aber, dass diese
Möglichkeit allen Wissenschaftlern und Forschern,
Doktoranden wie etablierten Professoren gleichermaßen offensteht. Das Bundesarchivgesetz bietet hierfür
die nötigen Instrumentarien. Gemäß unserem Entschließungsantrag haben wir uns dafür eingesetzt,
eine Novellierung des Bundesarchivgesetzes bereits in
dieser Wahlperiode zu realisieren und für Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes die Abgabefristen für Unterlagen an das Bundesarchiv verpflichtend durchzusetzen. Leider haben wir dabei nicht
immer Unterstützung erfahren. Das große Projekt der
Novellierung des Bundesarchivgesetzes wird mehr Zeit
benötigen und sich bis in die nächste Wahlperiode fortsetzen.
Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sorgen wir in Teilumsetzung des gemeinsamen Antrags von Koalition und
SPD bereits jetzt für mehr Forschungsfreiheit. Das
Bundesverfassungsgericht hat mit seinen wegweisenden Entscheidungen in der Nachkriegszeit wie zum
Beispiel dem Lüth-Urteil von 1958, dem KPD-VerbotsUrteil von 1956 und der Durchsetzung eines effektiven
Grundrechtsschutzes ganz allgemein das Verfassungsverständnis der jungen Bundesrepublik entscheidend
geprägt. Eine umfassende und differenzierte Aufarbeitung seiner Geschichte seit seiner Gründung 1951
kann zum Verständnis der Festigung der bundesdeutschen Demokratie in der Nachkriegszeit entscheidend
beitragen und wird von Experten wie dem Frankfurter
Rechtshistoriker Michael Stolleis als großes Forschungsdesiderat konstatiert ({0}).
Forschungsbedarf besteht heute neben der Frage
nach institutionellen und personellen Kontinuitäten,
von denen das Bundesverfassungsgericht nahezu frei
war, insbesondere im Hinblick darauf, zu verstehen,
wie in der Bundesrepublik Deutschland bei allen Belastungen in Verwaltung, Justiz, Politik und Wirtschaft
der Aufbau eines stabilen, freiheitlich-demokratischen
Rechtsstaats gelingen konnte. Der Ständige Ausschuss
des Deutschen Rechtshistorikertages hat in einer
Resolution von 2010 transparentere Regeln für den
Zugang zu Akten des Bundesverfassungsgerichts gefordert: nach dem Vorbild der bundesarchivgesetzZu Protokoll gegebene Reden
lichen Fristen von 30, maximal 60 Jahren für dem Beratungsgeheimnis unterliegende Unterlagen wie Voten
und Entscheidungsentwürfe.
Da Institutionen, darunter auch das Bundesverfassungsgericht, ihre Unterlagen nicht zwingend gemäß
den oben genannten Regelungen an das Bundesarchiv
abgeben müssen, sondern im Zwischenarchiv, einer
Serviceeinrichtung des Bundesarchivs, dauerhaft
lagern können, ist die Akteneinsicht auch nach den
Fristen von 30 bzw. 60 Jahren trotz des Bundesarchivgesetzes vielfach nicht möglich.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erreichen wir,
dass erstmals nicht nur Archivgut des Bundesarchivs,
sondern auch Akten im Zwischenarchiv nach den bundesarchivgesetzlichen Regelungen und nach den
Fristen von 30 bzw. 60 Jahren einsehbar werden. Der
herausragenden Stellung des Bundesverfassungsgerichts sowie der besonderen Bedeutung seines Beratungsgeheimnisses wird dadurch Rechnung getragen,
dass diese Regelung nicht allein im Bundesarchivgesetz getroffen wird, sondern unmittelbar in das
Bundesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen wird.
Auch in der Fachöffentlichkeit wird diese Verbesserung des Forschungszugangs für Zustimmung sorgen.
Bei den Verhandlungen über die bestmögliche
Lösung für das Bundesverfassungsgericht haben wir
das Gespräch mit dem Gericht gesucht, um zu zeigen,
dass wir an der Aufarbeitung seiner Geschichte ein erhebliches Interesse haben. Das ist der notwendige
Dialog zwischen obersten Verfassungsorganen und
kein Dekret von hiesiger Seite. Ich danke insbesondere
dem Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof und Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier.
Ich freue mich, dass die SPD diesen Schritt zu mehr
Forschungsfreiheit mit uns gemeinsam geht. Wir zeigen, dass dies ein gemeinsames Anliegen ist. Die Erforschung der Geschichte der frühen Bundesrepublik
ist unser gemeinsames Interesse. Um die Voraussetzungen für eine umfassende Reform der Akteneinsicht
für alle Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte
des Bundes durch eine umfassende Novellierung des
Bundesarchivgesetzes in der nächsten Wahlperiode zu
verbessern, leistet der vorliegende Gesetzentwurf zur
Stärkung der Forschungsfreiheit entscheidende Vorarbeiten. Ich wünsche mir, dass die anderen Fraktionen
sich im Laufe der parlamentarischen Beratungen des
Gesetzentwurfs dazu entschließen, ihm ebenfalls zuzustimmen.
Als im Dezember 2010 die Linke einen Antrag
„Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des
Bundesverfassungsgerichtes stärken“ - Bundestagsdrucksache 17/4037 - in den Bundestag einbrachte,
betonte ich in meiner damaligen Rede, dass für eine
Demokratie Wissen keine Gefahr darstellt, sondern im
Gegenteil Transparenz und Offenheit konstitutiv für
den demokratischen und sozialen Rechtsstaat sind.
Transparenz stärkt die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger und erschwert
Manipulationen und Korruption. Die Linke forderte
daher, die Akteneinsichts- und -auskunftsrechte Dritter
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nach Vorbild des
Bundesarchivgesetzes zu konkretisieren, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Versagung
der Akteneinsicht oder -auskunft einzuführen sowie die
Sperrfristen im Bundesarchivgesetz auf 20 Jahre zu
verkürzen.
Dadurch, dass alle vergangenen Bundesregierungen im Sicherheitsbereich regelmäßig und bewusst
Gesetze auf den Weg gebracht haben, die an die
Grenzen unserer Verfassung stoßen und sie oftmals
überschreiten, wurde das Bundesverfassungsgericht,
BVerfG, vermehrt zum Raum politischer Auseinandersetzungen. Für meine Fraktion gibt es gerade deshalb
keinen Grund, die Beweggründe des Verfassungsgerichts jahrzehntelang im Geheimen zu halten, weder
bei aktuellen Auseinandersetzungen noch bei lange
vergangenen Entscheidungen.
Dies sah die Mehrheit des Hauses leider anders.
Die Koalitionsfraktionen waren sich einig, dass wir
vollkommen untragbare Forderungen aufgestellt hätten. Folgerichtig lehnten Sie unseren Antrag, bei Enthaltung der SPD, die einmal mehr herumlavierte und
sich nicht zwischen Transparenz und Herrschaftswissen entscheiden konnte, ab.
Dass Sie nun heute einen Gesetzentwurf vorlegen,
der in dieselbe Richtung wie unser Antrag geht, ist
schon bemerkenswert. Es zeigt, dass die Linke wirkt,
auch wenn Sie das natürlich niemals zugeben würden.
Aber ich bin sehr auf die Begründungen für Ihren
Sinneswandel, den ich selbstverständlich begrüße, gespannt.
Als unser Antrag im März 2012 zuletzt debattiert
wurde, hat uns der Kollege Grosse-Brömer für die
Unionsfraktion mit markigen Worten und einem tiefen
Griff in die Kalte-Kriegs-Kiste eine Kehrtwende vorgeworfen. Richtig. Meine Partei hat bereits vor über
zwanzig Jahren eine entscheidende Lehre aus der Geschichte gezogen: nie wieder Sozialismus ohne demokratischen Rechtsstaat. Die Linke steht deshalb für
Transparenz und die Abschaffung unkontrollierbarer
Geheimdienste. Die aus vordemokratischen Zeiten
stammende Politik der Intransparenz, die einzig dem
Machterhalt einer Minderheit dient, muss überwunden
werden.
Dieser Gesetzentwurf spiegelt also vielmehr eine
rasante, aber unvollendete Kehrtwende der Union
wider, welche, auch wenn sie spät kommt und auf halbem Weg stehen bleibt, wie gesagt, zu begrüßen ist.
Denn obwohl Kollege Grosse-Brömer das Thema der
Einsicht in Bundesverfassungsgerichtsakten vor einem
Jahr noch als völlig abseitig bezeichnete und keinerlei
Handlungsbedarf erblicken konnte - ich zitiere ihn
hier einmal: „Gänzlich verfehlt sind deshalb die mit
Zu Protokoll gegebene Reden
Ihrem Antrag verbundenen Forderungen. Die Forderung nach Unterordnung der Verfassungsgerichtsakten in das allgemeine Bundesarchivwesen verkennt
die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichts
als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan.“ -,
wird in Ihrem Gesetzentwurf jetzt richtigerweise eingeräumt, dass es einer Reform der Rahmenbedingungen
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz bezüglich der
Einsichtnahme in die Akten des Gerichts bedarf.
Während wir davon überzeugt sind, dass die bestehenden Sperrfristen von 30 Jahren und mehr für die
Einsicht in Vorgänge der öffentlichen Gewalt nicht
mehr zeitgemäß sind und generell verkürzt werden
müssen, wollen Sie nur die Sonderstellung des BVerfG
gegenüber dem Bundesarchiv, die jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt, beschneiden. Das ist aus
unserer Sicht zu wenig. Und leider haben Sie nicht den
Mut aufgebracht, einen anderen Punkt unseres Antrags ebenfalls zu übernehmen:
Wissenschaft und Presse stoßen regelmäßig und
nicht nur bei politisch besonders brisanten Entscheidungen auf erhebliche und kaum überwindbare Widerstände, wenn sie Akten des BVerfG teilweise oder vollständig einsehen wollen. Deshalb hatte meine
Fraktion - analog zu den Forderungen des Deutschen
Rechtshistorikertages in Münster - gefordert, den
Rechtsschutz im Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu
verbessern.
Laut Urteil des VG Karlsruhe vom 27. Juli 2009 ({0}) ist für die Akteneinsicht Dritter kein
Rechtsbehelf gegeben, da es sich „um rechtsprechende
Tätigkeit“ handele.
Es ist mehr als fraglich, ob die von Ihnen vorgelegten neuen Regelungen daran etwas ändern. Zwar verweisen die neuen Vorschriften auf die „archivgesetzlichen Regelungen“. Da diese prinzipiell sowieso
gelten, wenn das BVerfG mal dem Auftrag des BArchG
nachkommen würde, kann diese Verweisung also nur
so aufgefasst werden, wie es auch im Gesetzentwurf
angedacht ist, dass die Akten, die das BVerfG nur
„zwischenlagert“, erst danach einzusehen sind. Es
bleibt offen, ob das Bundesarchiv der Antragsgegner
ist oder weiterhin das BVerfG. Und dann, wenn Letzteres gilt, bleibt eben weiterhin die Frage des Rechtsweges gegen Entscheidungen des BVerfG stehen. Da der
vorliegende Gesetzentwurf von CDU/CSU, FDP und
SPD keine Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht, bleibt
diese Frage ungelöst, obwohl die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts Karlsruhe nicht das letzte Wort
sein kann. Denn die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht und -auskunft durch das
BVerfG ist offensichtlich nicht spruchrichterliche
Tätigkeit, sondern materiell-rechtlich der vollziehenden Gewalt zuzurechnen, mithin muss die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewährleistet werden.
Ihr Gesetzentwurf geht also nicht weit genug, aber
immerhin in die richtige Richtung. Wie beim Weitsprung sollten Sie auch hier nicht versuchen, auf halber Strecke stehen zu bleiben.
Und es wäre überaus wünschenswert, wenn Sie sich
auch in anderen Bereichen der Innen- und Rechtspolitik endlich einmal von Konzepten und Positionen der
Linken inspirieren ließen. Das täte diesem Land
verdammt gut. Ich verspreche Ihnen auch, dass Sie
keine Angst davor zu haben brauchen, von uns wegen
Urheberrechtsverletzungen belangt zu werden. Nur zu,
trauen Sie sich.
Der Zugang zu Akten und Archiven ist eine wesentliche Grundlage der historischen Forschung. Einen
möglichst guten und angemessen schnellen Zugang zu
gewährleisten, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Das gilt
auch für die Akten des Bundesverfassungsgerichts.
Die Forschung zur Arbeit des Bundesverfassungsgericht hat ein besonderes rechts- und demokratiegeschichtliches Interesse, auch und gerade weil das
Gericht sich im Laufe seiner Geschichte ein hohes
Ansehen erarbeitet hat und zu einer tragenden und
weithin respektierten Säule des demokratischen
Rechtsstaates geworden ist. Das näher zu erforschen
und nachzuvollziehen, ist aus meiner Sicht äußerst
lohnend, auch ein Akt der demokratischen Selbstvergewisserung.
Der deutsche Rechtshistorikertag 2010 kritisierte,
dass das Bundesverfassungsgericht seine Akten erst
nach 90 Jahren für die Forschung freigeben will. Mich
verwundert es ehrlich gesagt, dass ein Gericht mit einer so großen Bedeutung und Reputation eine so lange
Geheimhaltungspflicht für sich reklamiert, was dann
ja auch eine Sonderregelung gegenüber den sonst üblichen 30 bzw. 60 Jahren wäre.
Wir halten die Kritik der Rechtshistoriker für verständlich und schließen uns ihr an. In unserer Zeit mit
ihren stark beschleunigten Abläufen ist nach 90 Jahren
nur noch mit einem deutlich abnehmenden Forschungsinteresse zu rechnen. Diese viel zu lange Zeitspanne behindert eine lebendige geschichtswissenschaftliche Debatte, an der wir alle doch ein Interesse
haben.
Was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, so
sollten wir im Weiteren klären, wie wir mit den darin
genannten Fristen umgehen. Auch die 60 Jahre
Geheimhaltungsfrist für Entscheidungsvorschläge und
-entwürfe sind noch ein sehr langer Zeitraum. Und
auch die vorgeschlagenen Regelungen zur Aktenvernichtung sind zu überprüfen. Wir sollten hier ein Fachgespräch oder eine Expertenanhörung durchführen,
vor allem auch mit den Fachhistorikern, die auf diesem Gebiet arbeiten.
Insgesamt müssen wir immer wieder über Geheimhaltungsfristen und bürokratische Schwierigkeiten
beim Zugang zu unseren Archiven nachdenken. Wenn
die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kultuZu Protokoll gegebene Reden
Claudia Roth ({0})
rellen Abläufe sich so sehr beschleunigen, wie sie es
gegenwärtig tun, und wenn auch die Erwartungen an
Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen deutlich zunehmen, dann können auch die
Fristen und Modalitäten, die gegenwärtig Usus sind,
nicht für immer in Stein gemeißelt sein.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/13469 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das
gemeinsam so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 46 sowie Zusatzpunkt 8 auf:
46 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Petermann, Ralph Lenkert, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Zukunft der Solarindustrie sichern
- Drucksache 17/13242 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Energiewende sichern - Solarwirtschaft stärken
- Drucksache 17/9742 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Die Reden werden zu Protokoll genommen, wie in
der Tagesordnung ausgewiesen.
„Die Photovoltaik-Industrie in Deutschland ist
Technologieführer und wird diese Position im globalen
Maßstab mit wettbewerbsfähigen Kosten behaupten.“
So sah noch im November 2010 die Vision der Photovoltaikindustrie in der PV-Roadmap für 2020 aus.
Leider ist das Gegenteil eingetreten. Während in
den vergangenen Jahren die deutsche Industrie in vielen Bereichen deutlich gewachsen ist, ist die deutsche
Solarindustrie zwar hochsubventioniert worden, aber
trotzdem massiv in der Krise. Sie ist entgegen ihrer eigenen Prognose weit davon entfernt, zur tragenden
Säule der deutschen Industrie zu werden. Vielmehr ist
die Solarindustrie ein Beispiel dafür geworden, wie
Subventionen zu Gift werden können.
Die Negativschlagzeilen über die deutsche Solarindustrie, die Hersteller der Solarzellen- und -module,
nehmen kein Ende. Werksschließungen waren in den
vergangenen Monaten an der Tagesordnung. Die Anzahl der Betriebe ist um ein Drittel gesunken. Egal ob
Q-Cells, Bosch Solar oder Schott Solar, all diese Unternehmen mussten Werke in Deutschland schließen
mit Konsequenzen für Tausende Arbeitnehmer. Die
deutsche Solarzellen- und Modulfertigung hat kaum
noch 6 000 Beschäftigte. Und auch Branchengrößen
wie Solarworld sitzen auf Riesenverlusten, und Hunderte Mitarbeiter müssen um ihre Existenz bangen.
Die negativen Schlagzeilen stehen in deutlichem
Kontrast zu den über 100 Milliarden Euro Förderung,
die der Stromkunde in den kommenden Jahren mit seiner Stromrechnung zahlt. Keine Technologie wurde so
hoch gefördert wie die Photovoltaik. Und trotzdem
oder gerade deswegen: Die deutschen Module sind
weder wettbewerbsfähig noch technisch überlegen.
Aber nicht nur die deutsche Subventionspolitik ist
zum Totengräber der heimischen Solarindustrie geworden, sondern auch die chinesische Subventionspolitik.
So wurden insbesondere in China mit staatlichen Subventionen massiv Solarproduktionskapazitäten aufgebaut. Das hat dazu geführt, dass weltweit das Angebot
an Modulen deutlich schneller gewachsen ist als die
Nachfrage. Heute liegt das Weltmarktvolumen bei
rund 30 000 Megawatt, demgegenüber steht eine weltweite Produktionskapazität von etwa 60 000 Megawatt. Das hat zu einem deutlichen Preisverfall geführt.
Die Folgen sind, dass ein ruinöser Wettbewerb geführt wird, dessen Ende wir leider noch nicht erreicht
haben. Davon ist nicht nur die deutsche, sondern mittlerweile auch die chinesische Solarindustrie betroffen.
Auch hier gibt es erste Insolvenzen. Die Produktionsüberkapazitäten sind so hoch, dass Deutschland alleine die Solarindustrie nicht retten kann, weder mit
höheren Fördersätzen noch mit neuen Zubaurekorden.
Es ist falsch, wenn die Linken und Grünen in ihren
Anträgen schreiben, dass wir durch die Förderkürzungen mutwillig Arbeitsplätze vernichtet haben. Wir hätten zwar ohne diese Kürzungen die Solarindustrie
künstlich einige Jahre länger am Leben halten können,
die Verbraucher hingegen hätten einen nicht zu rechtfertigenden Preis dafür gezahlt. Denn schon heute
zahlt jeder Verbraucher rund 2,2 Cent pro Kilowattstunde für die Solarförderung. Damit fließen gut
40 Prozent der EEG-Förderung in die Solarenergie,
die aber nur etwa 5 Prozent an der Gesamtstromerzeugung ausmacht. Hätten wir die Förderung für Solarstrom in den vergangenen vier Jahren nicht deutlich
um 70 Prozent, von 43 auf 16 Cent pro Kilowattstunde,
reduziert, müssten die Verbraucher heute deutlich
mehr zahlen.
Die Kürzungen haben in keinster Weise den Zubauboom der Solaranlagen gebremst. Im Gegenteil, wir
haben immer neue Rekordwerte erreicht. So haben wir
in den vergangenen Jahren mehr als das Doppelte
unseres Zielkorridors erreicht, nämlich in 2010
7 400 Megawatt, in 2011 7 500 Megawatt und in 2012
7 600 Megawatt. Leider hat von diesem Zubau nicht
die heimische, sondern vor allem die chinesische Solarindustrie profitiert.
Nur mit mehr Forschung und Innovation hat die Solarindustrie in Deutschland Zukunft. Hier wurde zu
wenig getan. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung lagen jahrelang unter 3 Prozent. Das ist
deutlich unter dem Niveau anderer Industriezweige,
wie zum Beispiel der Elektroindustrie mit einem Anteil
von rund 7 Prozent.
Auch hier haben wir massiv die Branche unterstützt.
So stellt das Bundesumweltministerium rund 40 Millionen Euro jährlich für die Solarforschung zur Verfügung. Hinzu kommen weitere 100 Millionen Euro, die
für die „Innovationsallianz Photovoltaik“ zur Verfügung gestellt werden. Und auch im Bereich der Solarspeicher sind wir mit dem neu aufgelegten Speicherförderprogamm einen wichtigen Schritt hin zu neuen,
innovativen Technologien gegangen.
Ich möchte die heutigen Debatten nutzen, um auf
das von der Europäischen Kommission angestoßene
Anti-Dumping-Verfahren einzugehen. Auch hier wird
ein gefährlicher Irrweg beschritten. Protektionismus
und Zölle werden die Solarindustrie in Europa und insbesondere in Deutschland nicht retten. Im Gegenteil:
Strafzölle gegen chinesische Hersteller würden in großer Zahl Arbeitsplätze hierzulande vernichten. Laut einer Studie von Prognos könnten je nach Höhe der
Strafzölle innerhalb von drei Jahren allein in Deutschland bis über 80 000 Jobs wegfallen. Grund dafür ist,
dass durch die Zölle die Preise für Solarmodule steigen werden und die Nachfrage einbricht.
Zwar würden europäische Solarhersteller von den
Strafzöllen profitieren. Die dadurch entstehenden Arbeitsplätze entsprächen aber gerade einem Fünftel der
an anderer Stelle verlorenen Arbeitsplätze. Denn
selbst bei Verwendung chinesischer Module findet der
Großteil, circa 70 Prozent, der Wertschöpfung einer in
der EU installierten PV-Anlage in der EU statt.
Schutzzölle würden also vielleicht die deutsche Solarzellen- und Modulfertigung retten, den Rest und den
Großteil der Solarwertschöpfung hingegen in Gefahr
bringen. Dieses Instrument sollte also mit Vorsicht genutzt werden.
Ich bin überzeugt davon, dass die Solarbranche in
Deutschland eine Zukunft hat, auch wenn der Schwerpunkt nicht in der Solarzellen- und Modulfertigung liegen wird. Der deutsche Maschinenbau, Wechselrichterhersteller, Projektierer und Siliziumproduzenten
werden auch in Zukunft ihre weltweit führende Rolle
verteidigen und ausbauen. Dazu sollten wir in
Deutschland auch weiter für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen, statt immer neue Subventionen und
Zölle zu fordern.
Ich bin den Kollegen von den Grünen und der Linken sehr dankbar für diese Anträge. Sie bieten die hervorragende Gelegenheit, mit einigen Mythen um die
deutsche Solarbranche aufzuräumen, die sich auch im
vorliegenden Antrag reichlich finden.
Die Mythen zur Solarbranche in Deutschland
lassen sich auf zwei Aussagen zuspitzen: Erstens. Die
Anpassung der Förderung nach dem ErneuerbareEnergien-Gesetz, EEG, für Photovoltaik ({0})-Anlagen
in dieser Legislaturperiode ist schuld an den aktuellen
Problemen der Branche. Zweitens. Die Chinesen sind
sowieso an allem schuld.
Widmen wir uns dem ersten Mythos. Im Antrag der
Linken wird er auch deutlich geäußert: Die permanenten Attacken der Bundesregierung gegen die Förderung erneuerbarer Energien haben massiv zur Krise
der hiesigen Solarindustrie beigetragen, da sie immer
wieder die Planungs- und Investitionssicherheit infrage stellte. Mutwillig hat die Bundesregierung so
Zehntausende Arbeitsplätze in der Produktion von
Photovoltaikzellen und -modulen gefährdet. - Diese
Aussage hat zwei fehlerhafte Grundannahmen. Es wird
erstens davon ausgegangen, dass die EEG-Vergütung
den PV-Produzenten unmittelbar zugutekommt, und
zweitens, dass die Installation der PV-Anlagen in den
letzten Jahren rückläufig war. Beides ist falsch. Die
großen Profiteure der EEG-Förderung sind die Betreiber der EEG-Anlage, nicht die Handwerker oder
Hersteller. Über 20 Jahre, also während des gesamten
Vergütungszeitraums nach dem EEG, verblieben fast
90 Prozent der Erlöse beim Betreiber der PV-Anlagen.
Und diese Zahl habe ich mir nicht ausgedacht, die
kommt auch nicht von der bösen Energielobby. Dies
kann alles in einer Studie vom Institut für ökologische
Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2010 mit dem Titel
„Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare
Energien“ im Auftrag der Agentur für Erneuerbare
Energien, AEE, nachgelesen werden.
Auch die Installationszahlen der letzten Jahre sind
rekordverdächtig. Die Zahlen des Bundesverbandes
der Solarwirtschaft zur installierten Leistung belegen
es: 2009: 3 800 MW, 2010: 7 400 MW, 2011: 7 500
MW und 2012: 7 600 MW. Die Nachfrage nach PVAnlagen war also überdurchschnittlich hoch. Und in
diesem Zusammenhang ist der Satz aus dem Antrag
der Grünen eben schlicht falsch, wonach „Der Ausbau
der Solarstromerzeugung […] in den letzten Jahren
ohne nennenswerte zusätzliche Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht [wurde].“ Fast
10 Milliarden Euro werden 2013 an Eigentümer von
PV-Anlagen ausgezahlt. Das sind mehr als 50 Prozent
der gesamten EEG-Vergütung, während die PV bis zu
25 Prozent der Elektrizitätsmenge des EEG-Systems
beiträgt. Die Korrekturen der an der PV-Vergütung in
den letzten Jahren waren richtig.
Ich denke, der erste Mythos ist damit widerlegt. Die
Anpassung der PV-Sätze im EEG an die Marktpreise
der PV-Anlagen waren im Sinne der deutschen StromZu Protokoll gegebene Reden
kunden, dennoch gab es ständige Rekordzuwächse bei
den installierten Anlagen.
Den zweiten Mythos, „die Chinesen sind schuld“,
formuliert der Antrag zurückhaltender. Stattdessen
liest man von „weltweiten Überkapazitäten in der
Photovoltaikindustrie“. Aber in den Zeitungen wird
stets von chinesischen Herstellern geschrieben. Bei
oberflächlicher Betrachtung könnte dieser Vorwurf zutreffen. Im Jahr 2008 waren circa 60 Prozent der in
Deutschland installierten PV-Anlagen aus deutscher
Fertigung, chinesische Hersteller kamen auf 21 Prozent. Im ersten Halbjahr 2011 war der deutsche Anteil
bei 15 Prozent, und der chinesische lag bei 60 Prozent.
Der reflexhafte Vorwurf in Richtung China lautet:
Dumping! Es mag sein, dass die Hersteller in China
massive Unterstützung von der Regierung erhalten.
Aber das allein erklärt den Rückgang des Marktanteils
deutscher Hersteller nicht. Die deutschen PV-Hersteller haben sich auf den Erfolgen der Vergangenheit mit
zweistelligen Eigenkapitalrenditen aufgrund der durch
üppige EEG-Förderung ausgelösten Nachfrage ausgeruht. Statt in Forschung und Entwicklung, FuE, sowie
Automatisierung zu investieren, wurden Börsengänge
organisiert, Fußballvereine gesponsert und Dividenden ausgeschüttet. Manch namhafte Branchengröße
hat sich von diesen Erlösen ein Schloss am Rhein gekauft anstatt Forscher und Wissenschaftler anzustellen. Die FuE-Quote bei deutschen PV-Herstellern liegt
bei 2,5 Prozent des Umsatzes. Zum Vergleich: Im verarbeitenden Gewerbe liegt die FuE-Quote bei 5 Prozent, in der Elektroindustrie bei 7 Prozent und bei den
Automobilherstellern bei 6 Prozent. Die deutschen
Hersteller haben zu lang auf personalintensive Massenherstellung gesetzt, statt neue Produkte und Fertigungsprozesse zu entwickeln. Und Massenproduktion
zu günstigeren Preisen beherrschen andere Länder
einfach besser als wir. Ich empfehle dazu einen Artikel
in der Zeitschrift „Neue Energie“, dem Zentralorgan
der erneuerbaren Energien, aus dem Mai 2012 mit
dem Titel „Bitterer Traum“.
Im Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis der
Linken ist immer der Staat für alles verantwortlich. In
diesem Antrag stehen die Grünen den Linken in nichts
nach. Da sind sie durchaus konsequent und fordern
weitere Unterstützungs- und Förderprogramme. Aber,
meine Damen und Herren der Linken, das dies in der
Marktwirtschaft eben nicht immer der Fall ist, dürfte
sich nach über 20 Jahren auch bei Ihnen rumgesprochen haben. Schlechte unternehmerische Entscheidungen werden folglich nicht thematisiert. Neue Förderprogramme oder Strafzölle werden der Branche auch
nicht helfen.
Die Koalition hat bereits im Sommer 2010 das Programm „Innovationsallianz Photovoltaik“ gegründet.
Bis 2014 stehen 100 Millionen Euro zur Verfügung.
Forschung und Entwicklung sind der einzig sinnvolle
Weg für die PV-Branche. In meinem Dresdner Wahlkreis wird zum Beispiel an organischen PV-Modulen
geforscht. Diese Zellen sind extrem biegsam, dünn und
effizient. Das sind Lösungen, die künftig zu Wohlstand
und Wertschöpfung beitragen werden.
Ein weiteres Werkzeug haben wir Politiker in der
Hand. Es ist das EEG-Förderregime. Ich denke, es ist
Konsens in diesem Haus, dass das EEG in der heutigen Form so nicht fortgesetzt werden kann. Nur wollen
offensichtlich verschiedene Parteien vor der Bundestagswahl nicht davon reden, um ihren Wählern nicht
die Wahrheit sagen zu müssen. Der nächste Bundestag
wird hier eine andere Ausgestaltung finden müssen.
Wir sollten die nächste, grundlegende EEG-Novelle
für Anreize zur Innovationsförderung nutzen und etwa
bestimmte Wirkungsgrade der Anlagen als Voraussetzung für eine Förderung definieren. Das hilft innovativen Produkten eher als die Vollkaskovergütung oder
Protektionismus.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und stelle die
angesprochenen Artikel oder Studien sehr gern zur
Verfügung.
Die Unternehmen der deutschen Solarbranche haben in den letzten drei Jahren einen dramatischen
Wandel erfahren. Die Zahl der Arbeitsplätze ist von
einstmals 130 000 auf unter 100 000 gefallen. Q-Cells,
First Solar, Solon und SMA Solar sind nur die prominentesten Unternehmen, die entweder beispiellose
Auftragsrückgänge zu verzeichnen hatten oder sogar
den Weg in die Insolvenz antreten mussten. Besonders
für ostdeutsche Regionen, in denen viele Teile der Produktionsstätten angesiedelt sind beziehungsweise waren, ist dies ein schmerzhafter Prozess.
Die Ursachen für diese Entwicklungen sind vielfältig. So wurden in den letzten Jahren weltweit große
Überkapazitäten in der Photovoltaikindustrie aufgebaut, die einen wesentlichen Anteil an den Problemen
der deutschen Unternehmen haben. Immer wieder
wurden unter anderen von der Linksfraktion, die auch
den heute diskutierten Antrag eingebracht hat, die
Kürzungen bei den EEG-Vergütungen für Solarstrom
für den Wandel in der deutschen Solarbranche allein
verantwortlich gemacht. Doch dieses Argument greift
zu kurz. Denn eine Anpassung der Vergütungszahlungen an die stetig sinkenden Modulpreise und tatsächlichen Stromgestehungskosten war zwingend geboten,
um den Anlagenbetreibern nicht länger zweistellige
Renditen auf Kosten der Stromkunden zu garantieren.
Allerdings hätte ein weniger chaotischer Absenkungsprozess mit langfristig festgelegten Degressionsschritten der Branche bessere Reaktionsmöglichkeiten geboten. Gleichzeitig hat die chinesische Regierung ihre
Solarindustrie mit staatlichen Zuschüssen und zinsgünstigen Krediten unterstützt, was es den dortigen
Unternehmen ermöglichte, Module zu vergleichsweise
sehr niedrigen Preisen anzubieten. Diese Entwicklungen in China, aber auch eigene Versäumnisse der deutschen Unternehmen, wie zum Beispiel der zu schnelle
Aufbau von Erzeugungskapazitäten und zu geringe
Zu Protokoll gegebene Reden
Forschungsinvestitionen, führten dann zum Verlust der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen.
Letzte Woche hat die Europäische Union im Rahmen eines Antidumpingverfahrens zu chinesischen Solarmodulen die Einführung von Strafzöllen ab Anfang
Juni für sechs Monate und in Höhe von durchschnittlich 46 Prozent beschlossen. Weitere Zölle hat die EUKommission China angedroht. Dieses Vorgehen birgt
jede Menge Risiken für die europäische und besonders
für die deutsche Wirtschaft, denn es besteht die Gefahr
des sich gegenseitig Hochschaukelns. Und diese Gefahr scheint sich nun zu realisieren. Im Gegenzug zu
den europäischen Strafzöllen hat die chinesische Regierung ein Antidumpingverfahren zu Importen von legierten Stahlrohen unter anderem aus der EU eingeleitet. Im Ergebnis des Verfahrens könnten chinesische
Zölle den Import deutscher und europäischer Stahlprodukte erschweren oder gar verhindern. Dies zeigt: Ein
Handelsstreit mit der großen Volkswirtschaft China
hat Auswirkungen weit über den Sektor der Photovoltaik hinaus und kann nicht im deutschen Interesse liegen. Zwar ist für das Antidumpingverfahren die europäische Kommission allein zuständig, jedoch darf die
Bundesregierung nicht einfach nur zusehen. Zum einen
muss eine deutsche Bundesregierung, die die Interessen der deutschen Wirtschaft im Blick hat, darauf hinwirken, dass etwas Dampf aus dem Kessel genommen
wird und in bilateralen Gesprächen mit der chinesischen Regierung eine Lösung für das Problem suchen.
Zum anderen sind im Streit um Subventionen für die
chinesische Solarindustrie alle Institutionen der WTO
und deren Streitbeilegungsmechanismen auszureizen.
Denn ein Kompromiss, der sowohl der europäischen
als auch der chinesischen Solarindustrie Entwicklungsperspektiven bietet, ist für beide Seiten eine bessere Option als die Einführung von Strafzöllen.
Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Ausbau der
Photovoltaikanlagen in Deutschland durch die aus den
Strafzöllen resultierenden höheren Preise gebremst
wird. Dies sollte energiepolitisch nicht gewollt sein
und hat außerdem auch negative Auswirkungen auf
die vielen mittelständischen Installationsbetriebe in
Deutschland.
Unabhängig von der Lösung dieses europäisch-chinesischen Streites müssen Politik und Solarindustrie
mehr für die Forschung und Entwicklung im Solarsektor tun. Denn nur über eine vergleichsweise bessere
Qualität, zum Beispiel in Form höherer Effizienz beziehungsweise eines besseren Wirkungsgrades und
nicht über Dumping-Preise, kann die deutsche Solarindustrie wieder auf die Beine kommen. Zudem könnten sich die Unternehmen durch das Angebot kombinierter Lösungen neue Kundengruppen erschließen.
Ich denke hierbei an Systemlösungen aus Modulen und
Speichern für den Einsatz in Wohnhäusern oder auch
Quartieren.
Darüber hinaus müssen wir aus den Erfahrungen
der vergangenen Jahre lernen, um eine Wiederholung
in anderen Sektoren zu verhindern. Natürlich ist es ein
großer Unterschied, ob ein deutscher Handwerker ein
chinesisches Solarmodul auf einem Dach installiert
oder hier ein Park mit in China gefertigten Windenergieanlagen entstehen soll. Dennoch müssen wir die
Entwicklungen auch in anderen Sektoren genau beobachten und gleichzeitig den deutschen Unternehmen
Rahmenbedingungen bieten, die Forschung und Entwicklung von modernen Erzeugungsanlagen mit immer vielfältigeren Anforderungen ermöglichen. Wir
sind hier aktuell auf einem guten Weg, zum Beispiel bei
Technologien zur System- und Netzintegration des
Windstroms, aber um den Vorsprung zu halten, bedarf
es weiterer Anstrengungen.
Ginge es nach den zwei Anträgen von der Linken
und von den Grünen hätte die Solarindustrie in
Deutschland auch in Zukunft um jeden Preis eine gesicherte Existenz, eine gesicherte Existenz unter der
Käseglocke der Staatswirtschaft aus EEG und Finanzspritzen, eine gesicherte Existenz, die keine Notwendigkeit aufkommen lässt, dass sich diese Unternehmen
neu aufstellen oder mehr anstrengen - zum Beispiel in
Form von Forschung und Entwicklung, es sei denn,
der Staat bezahlt dafür.
Die Forderungen nach finanzieller Unterstützung
für FuE ist keine Neuigkeit. Von den Versäumnissen
der Unternehmer und Unternehmen aber spricht niemand. Jenen nämlich war es wichtiger, ihre Aktionäre
zu beglücken, erst recht jene Firmenbosse, die rechtzeitig wussten, wann die Party zu Ende sein würde.
Jetzt, nachdem alle ausbezahlt wurden, nach Forschungsgeldern vom Staat zu schreien, finde ich
schlichtweg dreist - nicht nur aufgrund meines klaren
ordnungspolitischen Kompasses, sondern auch aus einem anderen Grund.
Ich bitte Sie nämlich, eines zu beachten: Die Photovoltaikindustrie ist keine Infant Industry mehr. Vielmehr ist die Technologie in ihrer Entwicklung weitestgehend ausgereizt. Natürlich lassen sich noch
einzelne, aber nur wenige Prozentpunkte bei der Effizienz herauskitzeln. Aber im Grunde ist eine Solarzelle
kein Hightech-Produkt mehr. Und eben das ist auch
der Grund, weshalb die Unternehmen und Händler aktuell so hohe Volumina in ihren Lägern haben. Eine
Solarzelle ist vielmehr billige Massenware, die in Fabriken außerhalb Deutschlands und meist in Fernost am
Fließband produziert wird.
Während sich die einen über die verwässerten
Marktpreise freuen, geht es den Kollegen von Grünen
und Linken - ganz im Gegensatz zu ihrer Argumentation in der Öffentlichkeit - nicht primär um den Klimaschutz. Dann nämlich wäre es vollkommen egal, woher
die Module, deren Anteil an den Systemkosten kontinuierlich sinkt, kommen. Es geht alleine darum, mit fadenscheinigen Argumenten ihre Klientel zu bedienen
und staatsdirigistisch zu bestimmen, was und wie viel
in den kommenden fünf Jahren in Deutschland produziert werden muss.
Zu Protokoll gegebene Reden
Einen bestimmten Punkt aus dem Antrag der Linken
möchte ich zum Abschluss noch aufgreifen: Unverständlich ist mir, dass sich die Linke plötzlich für den
Erhalt der gesamten Wertschöpfungskette zur Modulproduktion einsetzt und dass sie dies sogar noch zur
Voraussetzung des Gelingens der Energiewende in
Deutschland macht. Ich frage mich, weshalb das nicht
auch für die Stromproduktion aus Gas gelten soll.
Nein! Da bezahlen wir lieber weiter die teuren Gaslieferungen aus Russland - und verzichten in Deutschland auf die Erdgasproduktion, die - und da vertraue
ich unseren erstklassigen deutschen Ingenieuren - in
Deutschland unter höchsten Umweltauflagen erfolgt.
Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz aus heiterem
Himmel: Am 22. März 2013 verkündete der BoschKonzern seinen Abschied aus der gesamten Solarsparte. Anfang 2014 sollen nach den Plänen der Konzernleitung bei Bosch Solar Energy im Gewerbegebiet
Erfurter Kreuz nahe Arnstadt die Lichter ausgehen.
Wenn sich kein Käufer findet, sind die meisten der
1 850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Arnstadt
überflüssig. Außerdem stehen über 1 000 weitere Arbeitsplätze bei den vielen hochspezialisierten BoschZulieferbetrieben auf dem Spiel. Nach der mit der
deutschen Einheit einsetzenden Deindustrialisierung,
der über 50 Prozent der Arbeitsplätze zum Opfer fielen
und die Massenarbeitslosigkeit in der Region zur
Folge hatte, droht nun nach zaghafter Erholung ein erneuter Kollaps. Es gilt, diesen Kollaps durch verantwortungsbewusste Politik abzuwenden.
Diese verantwortungsvolle Politik ist aber leider
nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die planlosen Einschnitte
im Erneuerbare-Energien-Gesetz haben zu einem Sterben der großen Solarbetriebe im Osten der Republik
geführt und erreichen mit dem absehbaren Ende des
letzten großen Players, der Bosch Solar Energy, ihren
vorläufigen Höhepunkt. Schwarz-Gelb hat die Marktkeule rausgeholt und lässt die Solarindustrie am ausgestreckten Arm verhungern.
Wir werden uns mit dieser Entscheidung der Regierungskoalition nicht abfinden. Die Linke kämpft um
den Erhalt jedes Arbeitsplatzes, und sie kämpft für eine
Rettung der einheimischen Solarindustrie als Standortfaktor, auch im Industriegebiet Erfurter Kreuz, und
als wichtigen, nicht wegzudenkenden Baustein des
Ausstieges aus der Atomenergie und der Energiewende. Mit meinem Kollegen Ralph Lenkert habe ich
darum einen Gruppenantrag initiiert und von der Bundesregierung ein „Solarrettungsprogramm“ eingefordert.
Statt Rettungsschirme für Banken und Kredithaie ist
ein Rettungsschirm für eine zukunftsträchtige Industrie, die Tausenden Menschen und ihren Familien eine
Existenzgrundlage bietet, notwendig. Zur Unterstützung dieses Gruppenantrages habe ich die Thüringer
Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen eingeladen:
Mitmachen? Fehlanzeige! Weder ein Mitglied der SPD
noch eines der Grünen und auch nicht die Mitglieder
der CDU/CSU- sowie FDP-Bundestagsfraktion wollten sich beteiligen und sich für eine Unterstützung
durch die Bundesregierung starkmachen. Das ist vor
allem für die Menschen, deren Arbeitsplätze akut gefährdet sind, eine herbe Enttäuschung.
Natürlich geht es darum, die Regionen in Ostdeutschland zu retten, in denen die Ansiedelung der
Produktionsstätten der Photovoltaikbranche den Menschen wieder Hoffnung für die Zukunft gab. Genau
diese Menschen mussten vor zwanzig Jahren schon
einmal dem vollständigen Zusammenbruch ihrer örtlichen Industrie tatenlos zusehen. Sie haben schmerzlich
erfahren, was es heißt, arbeitslos und auf Sozialleistungen angewiesen zu sein. Sie wissen, was es heißt,
keine Zukunftsperspektive zu haben. Zehntausende haben daraufhin diese Regionen verlassen. Die Photovoltaikindustrie stellte dort einen industriepolitischen
Neuanfang dar. Ein abermaliger Niedergang eines
ganzen Industriezweiges und eine damit einhergehende zweite Deindustriealisierungwelle wäre für die
Menschen vor Ort eine Katstrophe und würde nicht
nur die Erwerbsgrundlage Tausender Familien, sondern auch das Vertrauen in die Politik nachhaltig zerstören.
Dass Sie sich, verehrte Kollegen und Kolleginnen
von Union, FDP, Grünen und SPD nicht an einem parteiübergreifenden Gruppenantrag beteiligen wollen,
mögen die erneut vom Schicksal Gebeutelten, um ihre
Hoffnungen und die Zukunftsaussichten gebrachten
Menschen speziell in der Region Arnstadt-Erfurter
Kreuz bewerten.
Wir lassen uns von Ihrem Desinteresse nicht entmutigen und stellen nun diesen Antrag zur Diskussion.
Wir geben Ihnen hiermit erneut eine Chance, zu zeigen, dass Ihnen das Schicksal der Solarindustrie und
der Menschen, die dort Lohn und Brot finden, etwas
bedeutet. Es ist nun an Ihnen, warum Sie jeder Bankenrettung und jeder vermeintlichen Euro-Rettung zustimmen, sich aber der Rettung der Erwerbsgrundlage
für Tausende Familien, insbesondere im Freistaat Thüringen, verweigern. In meinen Augen stellen Sie sich
damit ein Armutszeugnis aus.
Das Argument, die deutsche Solarindustrie sei am
Weltmarkt aufgrund der hohen Lohnkosten in Deutschland nicht konkurrenzfähig, ist unakzeptabel. Die deutsche Solarindustrie hat sehr viel Geld in die Forschung und Entwicklung gesteckt, viele innovative
Produkte sind daraus hervorgegangen, die Effizienz
wurde erheblich gesteigert. Nun kommt es darauf an,
die gegenwärtige Durststrecke durchzustehen. Wenn
Deutschland zu früh aufgibt, werden andere Wettbewerber frohlocken. So ist das im modernen Kapitalismus. Es ist vornehmliche Aufgabe von Industriepolitik,
die Markteinführung einer neuen Technologie durch
verlässliche, ordnungspolitische Rahmenbedingungen
zu gewährleisten und der hiesigen Solarindustrie über
eine Durststecke zu helfen, die die Bundesregierung
Zu Protokoll gegebene Reden
durch ihre Fehlentscheidungen mit zu verantworten
hat.
Wir begrüßen darum auch, dass die EU-Kommission ab 5. Juni 2013 Anti-Dumping-Zölle auf Solarpaneele aus China vorerst für sechs Monate einführen
wird. Mit Zustimmung der Mitgliedstaaten besteht die
Möglichkeit der Verlängerung um fünf Jahre. Das
würde zunächst erst einmal eine faire Wettbewerbssituation herstellen und ist ein kleiner Lichtblick für die
Erholung der einheimischen Solarindustrie. Denn die
fernöstlichen Mitbewerber haben mittlerweile in Europa einen Marktanteil von 85 Prozent erarbeitet. Die
importierten Module sind um 30 Prozent billiger als
einheimische Produkte. Die Volksrepublik China fördert die Dumpingpreise ihrer Solarhersteller mit Milliardenbeträgen. Die Bundesregierung dagegen lässt
ihre Hochtechnologieindustrie vor die Wand fahren,
ohne einen Finger krumm zu machen. Von fairem Wettbewerb kann man da nicht mehr sprechen. Wenn gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt sind, hat unsere Solarindustrie eine Chance. Davon bin ich fest
überzeugt.
Deshalb fordern wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, unserer Solarindustrie durch folgende Maßnahmen eine Chance zu geben:
Erstens. Ein kurzfristiges Unterstützungsprogramm
mit zinsgünstigen Krediten aufzulegen;
Zweitens. Ein Förderprogramm für kommunale Investitionen in erneuerbare Energien auf den Weg zu
bringen;
Drittens. Die Forschung und Entwicklung von Speicherlösungen im Bereich Photovoltaik zu fördern;
Viertens. Bei der Europäischen Union für ein Investitionsprogramm für autarke Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Speicherlösungen auf bewohnten Inseln einzutreten;
Fünftens. Leasing- und Finanzierungsmodelle zur
mobilen Spezialanwendung von Photovoltaikanlagen
zu entwickeln.
Weiteren Ideen sind keine Grenzen gesetzt, wir warten auf Ihre Vorschläge.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU,
der SPD, der Grünen und der FDP, wir haben von Ihnen bis heute nichts außer Lippenbekenntnissen zur
Lösung des Problems vernommen. Die Menschen erwarten mehr. Sie haben nichts vorgelegt. Sie haben
sich wahrscheinlich nicht einmal Gedanken gemacht.
Wachen Sie endlich auf. Es ist noch nicht zu spät, sich
für die Rettung der Arbeitsplätze in der Solarindustrie
in Ostdeutschland einzusetzen. Das geht ganz einfach:
Springen Sie über Ihren ideologischen Schatten und
stimmen Sie unserem Antrag zu! Die Menschen vor Ort
werden es Ihnen danken.
Vor gut einem Jahr hat der damalige Umweltminister Röttgen aus meiner Rede zitiert, die ich zur EEGNovelle vor drei Jahren gehalten hatte. Ich hätte vor
Insolvenzen und Arbeitsplatzverlusten in der Solarindustrie gewarnt, die dann nicht gekommen seien.
Inzwischen ist der von der Bundesregierung angerichtete Schaden für alle offensichtlich. Wir hören von
50 000 Arbeitsplätzen, die in den letzten zwei Jahren
verloren gegangen sind. Und eine Insolvenzhiobsbotschaft folgt auf die andere. So hat sich nach einer
Meldung von heute der Umsatz von SMA im letzten
Jahr halbiert. Ja, natürlich hat das nicht nur mit der
verfehlten Solarpolitik von Schwarz-Gelb zu tun, sondern auch mit der wachsenden Konkurrenz aus China.
Die chinesische Regierung hat aber im Gegensatz zu
Schwarz-Gelb klar erkannt, dass die Photovoltaik einer der wichtigsten und größten Exportmärkte der nahen Zukunft sein wird und unterstützt daher strategisch den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Und was macht die Bundesregierung? Was machen
die Minister Rösler und Altmaier? Sie legen die Hände
in den Schoss und schauen der deutschen Solarindustrie beim Sterben zu.
Stehen Banken durch eigenes Missmanagement am
Abgrund, werden sie auf Kosten des Steuerzahlers gerettet. Haben die deutschen Automobilkonzerne eine
Absatzkrise, wird eine Abwrackprämie beschlossen.
Aber wann, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, machen sie endlich etwas für die Solarwirtschaft? Bis heute gibt es keine Initiative aus dem
Wirtschaftsministerium für eine strategische Industriepolitik für die Solarwirtschaft.
Die Inaktivität der Bundesregierung ist ein Grund,
warum deutsche Modulhersteller mit dem fatalen AntiDumpingverfahren bei der Europäischen Union versuchen, sich selbst zu helfen, ein Weg, der die Situation
der Solarindustrie nur noch viel schlimmer macht. So
bringen wenige Solarfirmen um Solarworld gegen den
Willen von über 500 anderen Solarfirmen nun die
ganze Branche noch näher an den Abgrund.
Die von der EU-Kommission beschlossenen Strafzölle haben bereits vor dem Anordnen der Zölle zu einer Verteuerung von Photovoltaikmodulen geführt. Als
Folge daraus kommt aktuell der Ausbau der Photovoltaik weitgehend zum Erliegen. Denn die aus den Strafzöllen resultierenden höheren Modulpreise machen bei
den heutigen Vergütungssätzen für Solarstrom in den
meisten EU-Ländern und auch in Deutschland eine
wirtschaftliche Investition in die Solarstromproduktion
in vielen Segmenten nicht mehr möglich.
Darüber hinaus werden laut einer Prognos-Studie
Zehntausende weitere Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie, bei den Solarteuren und den Anlagenbauern
verloren gehen und diese Entwicklung ist schon voll im
Gange. Aber auch den deutschen Modulherstellern
werden die Strafzölle nicht helfen, weil gerade die
hochpreisigen Module aus deutscher Produktion in eiZu Protokoll gegebene Reden
nem Umfeld mit niedrigen Einspeisevergütungen kaum
eine Chance haben. Außerdem müssen wir einen zusätzlichen Arbeitsplatzverlust in den Branchen erwarten, in denen China im Gegenzug Zölle erheben
könnte.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Verhindern Sie diese Strafzölle und entwickeln Sie endlich
eine aktive Industriepolitik für die Solarwirtschaft!
Und die EU-Kommission fordern wir auf, die vorsorglich ausgesprochenen Strafzölle sofort zurückzuziehen.
Wir brauchen einen nationalen Solargipfel, auf dem
wir folgende Punkte angehen müssen. Die deutsche
Solarindustrie braucht Bankkredite, mit denen Investitionen in Innovationen und die Erneuerung von
Produktionsanlagen und Maschinenparks finanziert
werden. Dazu bedarf es einer Absicherung durch
staatliche Bürgschaften, zum Beispiel durch die KfWBankengruppe oder die Bürgschaftsbanken.
Wir brauchen eine wesentlich stärkere Forschungsoffensive, eine Forschung, um die hohe Solarkompetenz in Deutschland zu halten. Die Gegenfinanzierung
könnte aus Mitteln der wirtschaftlich wie energiepolitisch völlig erfolglosen Kernfusion erfolgen.
Insbesondere müssen Bundesregierung und EUKommission mit der chinesischen Regierung, aber
auch mit Indien, den USA unter anderen, unverzüglich
und auf höchster Ebene Gespräche über die Schaffung
fairer Wettbewerbsbedingungen, gegenseitig freier
Marktzugänge in der weltweiten Solarbranche und die
Einhaltung der WTO-Regeln führen.
Dass die Bundesregierung keine wirksame Solarindustriepolitik angegangen hat und sie immer noch verweigert sowie nur halbherzig gegen die Strafzölle vorgeht, lässt Schlimmes vermuten: Insgeheim freuen sich
Wirtschaftsminister Rösler und der Wirtschaftsflügel
der Union über den Niedergang der Solarwirtschaft,
haben sie ihn doch immer gefordert. Aber dies ist nicht
nur fahrlässig für Klimaschutz und Energiewende, das
ist fahrlässig für die Exportnation Deutschland insgesamt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/13242 und 17/9742 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann haben wir das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 48 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Netzneutralität gesetzlich festschreiben
- Drucksache 17/13466 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Wie schon in der Tagesordnung ausgewiesen, werden
die Reden zu Protokoll genommen.
Es wäre schön gewesen, wenn sich die Kollegen der
Linken bei der Debatte um die Netzneutralität wenigstens ein Mal neutral verhalten hätten. Dass die tiefroten
Genossinnen und Genossen am liebsten alles „endlich
gesetzlich festschreiben“ würden - flächendeckende
Mindestlöhne, die Höhe der Managergehälter oder
den Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen -, ist höchstwahrscheinlich aus alten SED-Zeiten
genetisch vererbt.
Aber wie bei so vielem nicht nur in der Politik, muss
man sich die Sache auch in der Debatte um das Thema
Netzneutralität schon etwas genauer anschauen: Da
gibt es die eine Seite, die - wie Sie - Netzneutralität um
jeden Preis ins Bundesgesetzblatt schreiben will, ohne
die Entwicklung der Datennachfrage und des Netzausbaus sehen zu wollen. Und da sind auf der anderen
Seite die Netzbetreiber, die möglichst ohne Regulierung oder gar gesetzliche Regelung bleiben wollen
und darin gar eine Gefahr für künftige Netzinvestitionen sehen. Beide Entweder-oder-Positionen sind mit
Vorsicht zu genießen.
Natürlich ist es zunächst einmal - ordnungspolitisch gesehen - eine freie unternehmerische Entscheidung, wie ein Telekommunikationsanbieter seine Tarifstruktur gestaltet. Durchaus nachvollziehbar ist es für
mich, wenn ein Netzbetreiber seine Tarife vor dem
Hintergrund der in den letzten Jahren explosionsartig
angestiegenen Datenvolumina in den nicht endlos zur
Verfügung stehenden Netzen erhöht. Ob das in der
Konsequenz gut ist für Internetnutzer, für die Wirtschaft, ist eine andere Frage. Doch dazu später mehr.
Aussagen wie „Das freie und offene Internet wird den
Profitinteressen großer Internetprovider geopfert“
sollten jedenfalls nicht so unüberlegt dahergeschwätzt
werden, wie Sie das in Ihrem Antrag tun, werte Kollegen der Linksfraktion.
Mit dem Aufbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen,
VDSL-, DOCSIS-3.0- und Glasfasernetze, also den
„next generation networks“, ist die Nachfrage nach
hochvolumigen Datenströmen in den letzten Jahren erfreulicherweise stark gestiegen. In den Städten stehen
heute, Stand: 30. April 2013, bundesweit 100 Prozent
aller Haushalte mindestens 1 Megabyte pro Sekunde
zur Verfügung, 99,4 Prozent aller Haushalte mindestens 2 Megabyte pro Sekunde, 96,8 Prozent wenigstens
6 Megabyte pro Sekunde, 90 Prozent haben in den
Städten mindestens 16 Megabyte pro Sekunde und
ganze 77,3 Prozent dort schon 50 und mehr Megabyte
pro Sekunde. Die ländlichen Regionen hinken der Entwicklung leider noch etwas hinterher: 95,8 Prozent aller Haushalte auf dem Land verfügen über mindestens
1 Megabyte pro Sekunde, 90,2 Prozent über mindestens 2 Megabyte pro Sekunde, wenigstens 6 Megabyte
pro Sekunde bekommen 73,8 Prozent der ländlichen
Haushalte, mindestens 16 Megabyte pro Sekunde haben 42,3 Prozent der Haushalte in den kleinen Gemeinden und Dörfern. 50 Megabyte pro Sekunde bekommen in den ländlichen Regionen jedoch leider nur
10,2 Prozent der dortigen Haushalte. Mit der Novelle
des Telekommunikationsgesetzes im vergangenen Jahr
und mit unserer Breitbandstrategie haben wir wichtige
Maßnahmen dahin gehend auf den Weg gebracht, dass
2018 flächendeckend, also auch in den außerstädtischen Gegenden, möglichst 50 Megabyte pro Sekunde
zur Verfügung stehen. Mit diesen Netzen der nächsten
Generation schaffen wir die Voraussetzungen für die
Anwendungen von morgen: Nicht nur die Verschickung
von E-Mails und das Öffnen von Webseiten, sondern
auch für Echtzeitanwendungen wie Voice over IP,
IPTV, Web-TV, Onlinespiele, aber auch Videokonferenzen oder Telemedizinanwendungen. Das ist die Entwicklung, die wir brauchen, um unsere Lebensqualität
an heutige Bedürfnisse anzupassen, aber auch, um
wirtschaftlich im internationalen Wettbewerb bestehen
zu können.
Wenn nun die Deutsche Telekom ankündigt, ab 2016
das Datenvolumen bei ihren Internetkunden deckeln zu
wollen, und zwar für Tarife mit Geschwindigkeiten bis
zu 16 Megabyte pro Sekunde auf maximal 75 Gigabyte
und bei Tarifen mit Geschwindigkeiten bis zu 50 Megabyte pro Sekunde auf maximal 200 Gigabyte, so mögen
diese Datenvolumina aus heutiger Sicht noch relativ
hoch bemessen scheinen. Aber die rasant sich entwickelnde Welt der Daten bleibt ja nicht stehen. Die
Telekom selbst prognostiziert in ihrer „Medieninformation“ vom 22. April, dass sich das Datenvolumen
im Netz bis 2016 vervierfachen werde. Dann sollen
laut Telekom „1,3 Zettabyte Daten ({0}) pro Jahr übertragen werden“. Und das ist
eine nur vorsichtige Schätzung.
Die Gefahr, die mit einer solchen Datenbremse verbunden ist - egal ob bei der Telekom, bei 1 & 1 oder
etwa bei Kabel Deutschland, die eine Drosselung
schon im Sommer 2012 angekündigt hatten -, ist meines Erachtens die, dass bei einem Preisaufschlag
- und seien es nur 10 bis 20 Euro, wie die Telekom ihn
nehmen will - die Bereitschaft, dafür zu zahlen, bei
vielen weniger zahlungskräftigen Privatkunden nicht
mehr da ist. Das könnte den Ausbau bremsen. Ich gehöre nicht zu den marktoptimistischen Wettbewerbstheoretikern, die in einem Preisaufschlag im Sinne einer Durchleitungsgebühr für Nutzer überproportional
intensiven Datentransfervolumens mehr Wettbewerb
im Netz prognostizieren; im Gegenteil: Das noch Jahre
und Jahrzehnte kontinuierlich ansteigende Datentransferaufkommen muss vielmehr Anreiz für Wirtschaft und Politik sein, mehr Geld in die Netze zu investieren, damit die Netze mit Angebot und Nachfrage
auf Datenseite mithalten können. Wir dürfen jetzt nicht
die Hände in den Schoß legen und sagen: So, jetzt haben wir das Netz erst einmal ausgebaut, damit müsst
ihr zurechtkommen. Dann kann das Best-Effort-Prinzip, also das Prinzip, dass jedes Datenpaket mit der
gleichen Priorität behandelt und schnellstmöglich sowie in bestmöglicher Qualität weitergeleitet wird,
nicht mehr funktionieren, weil die Netze bald verstopft
sind.
Und da sind wir beim Thema Netzneutralität: Natürlich wollen auch wir von der Koalition grundsätzlich, dass „IP-Datenpakete im Internet gleichberechtigt und diskriminierungsfrei behandelt werden“, wie
auch die Linksfraktion in ihrem Antrag es fordert. Aber
wir müssen auch etwas dafür tun, nämlich die Netze
weiter ausbauen. Sonst sind die Netzbetreiber natürlich dazu gezwungen, Preisklassen abhängig von Datenvolumina einzuführen. Aber damit würgen wir die
Entwicklung bei den Datenanwendungen ab, Stichwort
IPTV und andere.
Wie Sie wissen, haben wir im Rahmen der TKG-Novelle 2012 einen neuen § 41 a ins TKG aufgenommen.
Wohlweislich haben wir da mit Blick auf die derzeitigen strittigen Diskussionen in Politik, unter Juristen
und in der Netzgemeinde - auch auf europäischer
Ebene - noch keine direkten gesetzlichen Vorgaben gemacht. Mit Ausnahme der Niederlande hat bisher kein
EU-Mitgliedstaat und auch nicht die - oftmals voreilige - EU irgendwelche Vorgaben zur Netzneutralität
erlassen. Das Thema ist sehr komplex und bedarf weiterer Auseinandersetzung. Ich verweise hier nur auf
den Bericht der Bundestags-Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ auf Bundestagsdrucksache 17/8536, der ja auch nicht ohne abweichende Meinungen zustande gekommen ist und der die
unterschiedlichen Ansätze deutlich wiedergibt. Auch das
Bundeswirtschaftsministerium befördert das Thema
kontinuierlich, etwa mit Veranstaltungsreihen zum
Thema.
Mit dem neuen § 41 a TKG haben wir eine Rahmenregelung zur Netzneutralität geschaffen, nach der die
Bundesregierung ermächtigt ist, in einer Rechtsverordnung - wohlweislich mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat - „gegenüber Unternehmen, die Telekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen
Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang
zu Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine
willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine
ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung
des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern“. Der
Gesetzestext ist ausdrücklich fokussiert auf das Vorgehen gegen eine willkürliche Verschlechterung von
Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder
Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen. Darum geht es, nicht um den Sozialismus in den Netzen.
Außerdem haben wir in § 41 a Abs. 2 Nummer 2 TKG
festgelegt, dass die Telekommunikationsanbieter in ihren Verträgen auf „alle Einschränkungen im Hinblick
auf den Zugang und die Nutzung von Diensten und Anwendungen hinzuweisen“ haben. Diese Informationsverpflichtungen können nach § 45 n Abs. 4 Nummer 3
TKG durch eine Rechtsverordnung der Bundesnetzagentur nochmals konkretisiert und erweitert werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Damit haben wir auch dem Gebot der Transparenz Genüge getan.
Im Übrigen vermengen Sie, werte Kollegen der
Linksfraktion, die Debatte um die Netzneutralität im
eigentlichen Sinne mit der zu Recht umstrittenen
Frage, ob das Telekom-eigene Fernseh- und Rundfunkangebot „Entertain“ aus dem dem Kunden maximal zustehenden Datenvolumen herausgerechnet werden darf. Die Telekom argumentiert damit, dass die
Kunden für „Entertain“ ja extra bezahlen müssten und
dass es sich hier um ein Fernsehangebot mit einer medienspezifischen Regulierung durch die Landesmedienanstalten handele, also nicht um eine IP-basierte
Internetanwendung. Die Gegenseite sieht mit der Herausnahme von „Entertain“ aus dem zur Verfügung
stehenden Datenvolumen eine Bevorzugung eigener
Dienste und damit eine unzulässige Diskriminierung
von Wettbewerbern, die ebenfalls Fernseh- und Rundfunkdienste anbieten. Darüber muss man in der Tat reden. Die Bundesnetzagentur wird diesen Telekom-Plan
juristisch genauestens unter die Lupe nehmen und
wenn notwendig einschreiten.
An dieser Stelle sei auch mal gesagt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Telekom hier nicht
gerade ein Lehrstück für gelungene Kommunikation
war. Pläne, Datenmengen und Zeiträume nur scheibchenweise herauszurücken, macht mich jedenfalls erst
einmal eher skeptisch, was denn da eventuell noch alles kommt. Erst vor ein paar Tagen etwa ist durchgesickert, dass es doch noch eine „echte“ Flatrate für
einen Preisaufschlag geben soll. Davon war in der bisherigen Debatte nicht die Rede. Ein so marktstarkes
Unternehmen kann so nicht Politik- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben.
Aber wieder zur Sache: Wir müssen sachlich debattieren über die Frage einer eventuellen Bevorzugung
eigener Dienste und über die Frage, ob wir Best Effort
erhalten können oder nicht, wenn wir den Netzausbau
nicht mit allen Kräften forcieren. Wir dürfen nicht sozialutopische Krokodilstränen vergießen, wie die Linken es in ihrem Antrag wieder tun, wenn sie schreiben:
„Der Weg zu einem Zwei-Klassen-Internet wird weiter
geebnet. In der ersten Klasse können Besserverdienende alle gewünschten Dienste nutzen. In der zweiten
Klasse gibt es für Einkommensschwache und für deren
Kinder nur noch das, was Internetprovider für wenig
Geld anzubieten haben. Damit wird ganz nebenbei und
zum wiederholten Male der Zugang zu Wissen und
Teilhabe abhängig vom Geldbeutel gemacht. Das freie
und offene Internet wird den Profitinteressen großer
Internet-Provider geopfert.“
Das ist ja mal wieder neosozialistische Propaganda
erster Güte! Wir dürfen doch nicht bei einem solchen
zukunftsweisenden Thema eine solche Neiddebatte
aufmachen und damit die - nicht nur digitale - Gesellschaft spalten! Was wir tun müssen, ist, alle Kräfte
dazu zu verwenden, den Breitbandausbau vor allem in
der Fläche voranzutreiben. Nur mit einer erstklassigen
Breitbandinfrastruktur in den Städten und auf dem
Land können wir Deutschland international in der ersten digitalen Liga behaupten. Nur „Breitband für
alle!“ zu rufen, ohne sich um den Netzausbau zu kümmern, ist einfach zu wenig. Das hat schon in vielerlei
Hinsicht in der DDR nicht funktioniert, wie sich die
Damen und Herren Genossinnen und Genossen erinnern sollten.
Der Grund für die heutige Debatte im Parlament
sind die von der Deutschen Telekom angekündigten
neuen Tarife. Das Unternehmen hatte zwischenzeitlich
laut darüber nachgedacht, künftig keinen FlatrateTarif für das Internet mehr anzubieten und innerhalb
der neuen Tarifstruktur sogenannte Managed Services
zu privilegieren. Diese Ankündigung hat für eine teilweise heftige öffentliche Reaktion gesorgt und das mitunter zu Recht.
Der Hauptstreitpunkt war in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Deutsche Telekom mit ihren
Tarifen gegen das Prinzip der Netzneutralität verstößt.
In der Tat sind hier Zweifel angebracht. Darum hat die
Bundesnetzagentur entsprechende Auskünfte des Unternehmens verlangt, um eine Bewertung vorzunehmen. Die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde
wacht über die Einhaltung der Netzneutralität in
Deutschland. Wir haben sie dazu befähigt. Parallel
dazu hat das Bundeskartellamt angekündigt, die neuen
Vorhaben der Telekom wettbewerbsrechtlich zu prüfen.
Sie sehen also, dass bereits reagiert wird.
Die christlich-liberale Koalition hat darüber hinaus
das Prinzip der Netzneutralität längst gesetzlich verankert.
Im TKG heißt es im § 41 a Netzneutralität „({0}) Die
Bundesregierung wird ermächtigt, in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des
Bundesrates gegenüber Unternehmen, die Telekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu
Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des
Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern; sie berücksichtigt hierbei die europäischen Vorgaben sowie
die Ziele und Grundsätze des § 2.“
Sie sehen also: Während Sie Anträge schreiben, haben wir bereits die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, um Netzneutralität in Deutschland durchzusetzen;
denn wenigstens in diesem Punkt sind wir uns einig:
Die Netzneutralität ist ein hohes Gut. Wie bereits in
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ festgehalten, ist für uns die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Weiterleitung von Datenpaketen eine wesentliche Grundkomponente des
freien Internets.
Vor diesem Hintergrund sollten wir einen kritischen
Blick auf die Pläne der Telekom werfen. Die erste AnZu Protokoll gegebene Reden
kündigung, keinen Flatrate-Tarif mehr anbieten zu
wollen, kann man als unternehmerisch nicht klug bezeichnen; denn nach wie vor gibt es Wettbewerber, die
genau das tun und damit unter Umständen neue Kunden generieren können. Eine unternehmerische Bewertung können wir treffen, aber sie berührt uns als Gesetzgeber zunächst einmal nicht, wenn es allein um
eine Abkehr vom Modell der Flatrate-Tarife gehen
würde.
Darum ist es wichtig, festzuhalten: Netzneutralität
bedeutet nicht Flatrate für alle und das möglichst
günstig.
Ich persönlich halte die Ankündigung der Telekom
dennoch für nicht klug; denn sie wird allein durch die
Art und Weise der Kommunikation eventuell Kunden
verlieren. Ob es demnächst wieder einen Markt in
Deutschland für an ein Volumen gebundene Tarife
gibt, wird man darüber hinaus abwarten müssen. Auch
können wir als Politik kommentieren, entscheiden wird
das allein der Verbraucher und damit der Markt.
Prinzipiell steht also einem an ein Datenvolumen
gekoppeltes Tarifmodell nichts im Wege, wenn dadurch
nicht die Netzneutralität verletzt wird.
Ich sehe daher mit einer gewissen Sorge, dass ein
wesentlicher Teil der Debatte am Kern des Problems
vorbei geführt wird. Nicht ein Tarifmodell, das ab dem
Erreichen eines bestimmten Datenvolumens die Geschwindigkeit drosselt, damit der Kunde neues Datenvolumen zukaufen muss, ist das Problem. Entscheidend ist ein ganz anderer Punkt.
Sehr kritisch muss man nämlich die Ankündigung
der Telekom sehen, bestimmte Dienste von einer Anrechnung auf das im Paket verkaufte Datenvolumen
auszunehmen. Hier erfolgt im Zweifel die Diskriminierung von Diensten Dritter quasi per Ansage, und das
wäre in der Tat ein glasklarer Verstoß gegen die
Netzneutralität. Die Telekom argumentierte zunächst,
dass sogenannte Managed Services von einer entsprechenden Bewertung ausgenommen werden müssten.
Auch hier ist unsere Haltung - und auch die der Bundesnetzagentur - mehr als klar: Eine Diskriminierung
innerhalb von Diensteklassen, also beispielsweise die
Bevorzugung eines Video-on-demand-Angebotes in
Abgrenzung zu anderen Angeboten, ist im Sinne der
Netzneutralität nicht zulässig.
Wir wollen, dass die Nutzer auch künftig frei entscheiden können, welche Dienste sie im Netz nutzen,
und dass diese Entscheidung nicht „geleitet“ wird
durch eine Koppelung von Netzzugang und dem Angebot bestimmter Dienste. Dass die Telekom oder ein anderer beliebiger Infrastrukturanbieter das zur Verfügung gestellte Datenvolumen auf bestimmte Dienste
anrechnet und auf andere nicht - ob das für den Bereich Musikstreaming, Video on Demand oder andere
Services gilt -, darf es auch künftig nicht geben. Dazu
braucht es aber derzeit keine neuen Gesetze, sondern
die zuständige Aufsicht und die Regulierungsbehörden
müssen handeln.
Die Telekom hat längst erkannt, dass sie mit ihrer
„Idee“ vor den Regulierungsbehörden in dieser Form
nicht wird bestehen können. Darum hat das Unternehmen angekündigt, dass es auch künftig eine Flatrate
geben wird - allerdings teurer. Ob es dem Unternehmen gelingt, parallel dazu andere Tarifmodelle zu etablieren, wird sich weisen. Auch diese müssen zudem
den oben formulierten Ansprüchen gerecht werden.
Darum bleibt es dabei: Wir haben die Netzneutralität im TKG verankert. Die Aufsichtsbehörden wie das
Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur haben
die Deutsche Telekom aufgefordert, ihre Pläne vorzulegen, und dem Unternehmen einen umfassenden Fragenkatalog vorgelegt. Auf die Beurteilung darf man
gespannt sein. Sollte sich die Bundesnetzagentur nicht
in der Lage sehen, der Telekom entsprechende Regulierungsvorgaben zu machen, wovon allerdings auszugehen ist, dann wird die Bundesregierung die ihr im
TKG eröffneten Möglichkeiten nutzen, um Netzneutralität in Deutschland auch für die Zukunft sicherzustellen.
Aus aktuellem Anlass ist das Thema Netzneutralität
wieder in den besonderen Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
Die SPD Bundestagsfraktion hat hierzu bereits vor
gut zwei Jahren im Rahmen der Diskussion um eine
Novellierung des Telekommunikationsgesetzes einen
umfassenden Antrag in den Bundestag eingebracht.
Darin haben wir die Aufnahme wirksamer Gesetzesregelungen zur nachhaltigen Sicherung der Netzneutralität gefordert und konkrete Vorschläge vorgelegt.
Leider weigert sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition bis heute, über lediglich abstrakte Ermächtigungen hinaus konkretere gesetzliche Vorgaben zur
Sicherung der Netzneutralität vorzunehmen. Die aktuelle Debatte beweist, wie falsch es war, die Novellierung des TKG nicht dafür zu nutzen, klare Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu definieren,
konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Bundesnetzagentur zu formulieren und somit Rechtssicherheit für
alle Beteiligten zu schaffen.
Warum ist uns Netzneutralität so wichtig? Der Charakter des Internets als freies und offenes Medium
muss bewahrt und gestärkt werden. Auf Grundlage der
Netzneutralität hat sich das Internet als Innovationsmagnet für die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklung erwiesen. Durch den gleichberechtigten
Datentransport bestehen optimale Teilhabebedingungen und geringe Marktzugangsbarrieren. Neue Anwendungen können kostengünstig im Netz eingestellt
und von den Nutzern frei abgerufen werden. Deshalb
wollen wir das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich
absichern.
Der zitierte Antrag der SPD-Bundestagsfraktion
enthält hierzu eine Vielzahl konkreter Bestimmungen.
So soll Netzneutralität als eines der Regulierungsziele
Zu Protokoll gegebene Reden
im Telekommunikationsgesetz verankert und dort definiert werden. Kern der Netzneutralität ist auch weiterhin der Gleichbehandlungsgrundsatz, weshalb ein
ausdrückliches Diskriminierungsverbot für den Datentransport erforderlich ist. Das „any to any“-Prinzip
soll festgeschrieben werden, wonach jeder grundsätzlich Zugang zu jedem Inhalt im Internet haben und Inhalte selbst anbieten kann.
Netzwerkmanagement soll weiterhin möglich sein,
um die Funktionsfähigkeit der Netze zu sichern und
dafür zu sorgen, dass zeitkritische Dienste auch in
Überlastungssituationen in der erforderlichen Qualität bei den Endkunden ankommen. Allerdings darf dies
keineswegs zur Verdrängung des heute bekannten
„Best-effort-Internet“ führen, das vielmehr weiter
ausgebaut werden muss.
Nach unseren Vorstellungen soll die Bundesnetzagentur ausdrücklich beauftragt werden, die Einhaltung der Netzneutralität und eine ausreichende
Best-effort-Qualität im Internet zu sichern. Sie soll
angemessene Mindestqualitätsstandards für die
Durchleitung von Datenpaketen festlegen können und
einen jährlichen Bericht zum Stand der Netzneutralität
erstellen. Bei Verstößen gegen Netzneutralität wollen
wir Kunden ein Sonderkündigungsrecht einräumen.
Gleiches soll gelten, wenn vertraglich zugesicherte
Mindestgeschwindigkeiten nicht eingehalten werden.
Die Regierungskoalition hat sich leider stets einer
konkreten gesetzlichen Regelung zu diesen Punkten
verschlossen und stattdessen im Rahmen der TKGNovelle in letzter Minute den § 41 a TKG aufgenommen. Darin wird die Bundesregierung zur Festlegung
einer Rechtsverordnung ermächtigt, um die willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des
Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. Zugleich
wurde die Bundesnetzagentur ermächtigt, in einer
technischen Richtlinie Einzelheiten über die Mindestanforderungen an die Dienstequalität durch Verfügung
festzulegen.
Leider wurde aber bislang von beiden Ermächtigungen kein Gebrauch gemacht. Dabei hätte dies gerade im Hinblick auf die Diskussionen sowohl bei der
TKG-Novelle als auch in der Enquete-Kommission für
Internet und digitale Gesellschaft nahe gelegen. Dies
belegt einmal mehr, dass die Bundesregierung zum
Thema Netzneutralität gerne symbolische Reden hält,
aber wenn es konkret werden soll, durch Untätigkeit
glänzt. Dies ist wahrlich kein angemessener Umgang
mit einem solch wichtigen Anliegen.
Auch im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um neue Volumentarife für Neukunden im Festnetzbereich der Deutschen Telekom gibt sich Bundeswirtschaftsminister Rösler gerne als Verfechter der
Netzneutralität. Es ist zu erwarten, dass dies am Ende
aber bloße Worthülsen bleiben. Es sind nur noch
wenige Sitzungswochen bis zum Ende der Legislaturperiode. Nicht einmal ein Entwurf für eine Rechtsverordnung zur Absicherung der Netzneutralität liegt vor.
Eine von uns immer geforderte gesetzliche Absicherung der Netzneutralität mit konkreten gesetzlichen
Vorgaben hätte einen notwendigen Befugnisrahmen
für die Bundesnetzagentur beschrieben und zugleich
Leitplanken für die TK-Unternehmen gesetzt, an denen
sie sich hätten orientieren können. Möglicherweise
wäre uns dann die aktuelle Debatte erspart geblieben.
Was den gerade diskutierten Fall Telekom angeht,
erwarten wir, dass die Bundesnetzagentur nun sorgfältig prüft, inwieweit durch die neue Tarifstruktur
eine Diskriminierung oder ein Zurückdrängen des
Best-effort-Internet verbunden sein könnte.
Auch unabhängig vom Ergebnis dieser Prüfung
sollte nun unverzüglich von den beschriebenen Ermächtigungen in § 41 a TKG Gebrauch gemacht werden. Der beste Weg, um Netzneutralität nachhaltig zu
sichern, bleibt allerdings eine klare gesetzliche Regelung hierzu. Wir begrüßen es deshalb sehr, dass die
rot-grüne Koalition im Land NRW eine entsprechende
Bundesratsinitiative angekündigt hat. Was den heute
diskutierten Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke
betrifft, so ist er uns zu knapp und an einigen Stellen zu
unpräzise, auch wenn der Beschlusstext einige Kriterien enthält, die wir teilen können.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich auch weiterhin für eine umfassende gesetzliche Regelung zur Absicherung der Netzneutralität einsetzen. Eine neue rotgrüne Bundesregierung wird nach dem 22. September
das umsetzen, was die schwarz-gelbe Regierungskoalition bislang versäumt hat.
Technische Fortschritte und Innovationen sowie
stetig wachsende Nutzerzahlen sorgen dafür, dass das
Internet einen immer größeren Raum in unserem Leben einnimmt. Und genau deshalb sehen wir Liberale
uns in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass jeder
die Potenziale des Internets diskriminierungsfrei nutzen kann.
Die Bedeutung und der Erfolg des Internets beruhen auf dem Grundsatz der Netzneutralität. Die diskriminierungsfreie Übertragung aller Datenströme sichert Chancengleichheit und den Wettbewerb.
Darüber hinaus sind die Prinzipien der Netzneutralität
notwendig für die Innovationsfähigkeit des Internets
und die Sicherung der Ansprüche seiner Nutzer. Nicht
zuletzt deshalb ist die wertneutrale Datenübertragung
im Internet ein hohes, schützenswertes Gut.
Mit der Ankündigung der Deutschen Telekom AG,
die Datenübertragungsgeschwindigkeit bei Überschreiten eines vorab festgelegten, monatlichen Datenvolumens zu drosseln, ging eine äußerst heftig und
emotional geführte Debatte um die Netzneutralität in
Deutschland einher.
Zu Protokoll gegebene Reden
Um die Situation angemessen aufzuklären und praktikable Lösungen zu finden, müssen wir zu einer sachlichen Ebene zurückfinden. Dazu tragen populistische
Schnellschüsse, wie der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke, leider nicht bei.
Die von der Telekom angekündigten Pläne, die
Datenübertragungsgeschwindigkeit zu drosseln, wenn
innerhalb eines Monats eine bestimmte Datenmenge
überschritten wird, sind zunächst einmal - ganz simpel ein Geschäftsmodell. Und selbstverständlich kann in
unserer sozialen Marktwirtschaft jedes Unternehmen
seine eigenen Geschäftsmodelle anbieten; so eben
auch solche Modelle, die Volumenobergrenzen für
Flatrate-Kunden vorsehen.
Wir sind uns bewusst, dass die gesamte Telekommunikationsbranche weiterhin große Investitionen tätigen
muss und dafür mehr Mittel benötigt. Die Ziele der
Breitbandstrategie der Bundesregierung können wir
nur erreichen, wenn die Telekommunikationsunternehmen einen Beitrag dazu leisten. Wie sie die dafür benötigten Mittel generieren, bleibt aber erst einmal ihnen
überlassen.
Nichtsdestotrotz kann ich den Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger verstehen. Aus Verbrauchersicht
sind die Pläne der Deutschen Telekom AG äußerst ärgerlich. Sie gefährden jedoch zunächst einmal noch
nicht die Netzneutralität, sondern dienen lediglich dem
Ziel der Generierung von mehr Umsatz, frei nach dem
Motto: Derjenige, der das Internet viel nutzt, bezahlt
auch viel. Wir sehen dabei aber auch, dass der Verbraucher, vor allem in finanzieller Hinsicht, letztlich
das Nachsehen hat.
Da wir aber dank des im letzten Jahr erfolgreich novellierten Telekommunikationsgesetzes einen funktionierenden Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt
haben, besteht für unsere mündigen Verbraucherinnen
und Verbraucher nach wie vor die Möglichkeit, mit ihren Füßen über die Pläne der Deutschen Telekom AG
abzustimmen. Denn der Wettbewerb hat bewirkt, dass
es viele verschiedene Telekommunikationsanbieter mit
Alternativen - und nach wie vor Flatrate-Angeboten gibt.
Unserem Verständnis nach heißt „Netzneutralität“
aber nicht, dass es zwangsläufig Flatrate-Tarife geben
muss, sondern dass alle Datenströme unabhängig von
ihrem Inhalt gleich behandelt werden. Die Drosselungspläne unterlaufen das Prinzip der Netzneutralität
erst dann, wenn die „gedrosselten“ Angebote mit der
vorzügigen Behandlung der eigenen Dienste der Deutschen Telekom AG kombiniert werden. Inwieweit das
der Fall sein wird, herrscht - das mag ich Ihnen gerne
zugestehen - durchaus Unklarheit. Auch kartellrechtlich müssen noch einige Fragen geklärt werden.
Bei aller Unklarheit, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht noch bestehen mag und meines Erachtens schnellstmöglich aus der Welt geschafft werden
muss, halte ich es für kontraproduktiv, dass die Opposition zwischen den Themen „Verteuerung der Internetnutzung“ und „Netzneutralität“ überhaupt nicht
differenziert, sondern in billiger Wahlkampfmanier die
Ängste der Verbraucherinnen und Verbraucher schürt.
Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass sich unser
Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler in einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG, Herrn René Obermann, gewandt und im Zuge
dessen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die
Netzneutralität unter den unternehmerischen Entscheidungen der Deutschen Telekom AG nicht leiden
dürfe.
Besonders für mittelständische Unternehmen steht
die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel, und die aus
der Situation entstehende Unsicherheit schadet dem
Breitbandausbau in Deutschland. Klare Botschaften
und eine eindeutige Positionierung sind deshalb nicht
nur seitens der Politik wichtig. Wir brauchen vor allem
Transparenz für die Endkunden und Zukunfts- bzw.
Planungssicherheit für die Telekommunikationsunternehmen. Daher ist es - das möchte ich an dieser Stelle
noch einmal betonen - jetzt geboten, die Debatte über
das Thema „Netzneutralität“ sachlich zu führen.
Die Bundesnetzagentur sowie das Bundeskartellamt
prüfen den Vorschlag der Deutschen Telekom AG derzeit intensiv, vor allem mit Blick auf die Wahrung der
Netzneutralität. Auf Basis der Ergebnisse dieser Prüfung müssen wir als Bundesregierung und Koalition
dann über unser weiteres Vorgehen entscheiden.
Sollten die bestehenden gesetzlichen Grundlagen
zur Klärung der Situation nicht ausreichen, versperren
wir uns weiteren gesetzlichen Maßnahmen - als Ultima Ratio - nicht grundsätzlich. Es ist lediglich unser
Bestreben, dass die bestehenden Regelungen ausgeschöpft werden, bevor wir politisch in den Telekommunikationswettbewerb eingreifen - so viel Freiheit wie
möglich, so wenig Staat wie nötig.
Wir müssen eine sorgfältige Balance zwischen der
gebotenen Freiheit der Weiterentwicklung von Technologie und Strukturen im Netz auf der einen und der Verhinderung von Ungleichgewichten und der Dominanz
einzelner Akteure auf der anderen Seite erreichen.
In diesem Sinne möchte ich meinen Mitbürgerinnen
und Mitbürgern an dieser Stelle noch einmal versichern, dass wir die Lage und das Verhalten im Telekommunikationsmarkt genau beobachten und bei tatsächlichen Verstößen gegen die Netzneutralität durch
legislative Mittel regulierend eingreifen werden, wenn
die Handlungsoptionen von Bundesnetzagentur und
Bundeskartellamt ausgeschöpft sind.
Der Grundsatz der Netzneutralität ist als Strukturelement für das Internet unverzichtbar und sichert
Chancengleichheit für Dienste und Inhalte. Deshalb
lautet unser oberstes Gebot: Die Netzneutralität muss
in jedem Fall gewährleistet bleiben.
Zu Protokoll gegebene Reden
Gegrüßt seien auch diejenigen, die diese Rede jetzt
nur lesen können, da sie zu Protokoll geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich
will es kurz machen: Ich stimme Ihrem Antrag inhaltlich zu. Er ist wohlformuliert und beinhaltet nahezu
alle wichtigen Aspekte. Ich würde dies anders begründen, aber auch damit könnte ich leben. Ich würde sogar noch weitergehen und das Thema Netzabschlusspunkt mit in die Betrachtung aufnehmen, Stichwort
Routerzwang.
Das alles würde ich tun, wenn ich ein Gesetz
machen müsste. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist,
benötigen wir ein solches Gesetz heute?
Gerade wenn es um das Internet geht, bin ich immer
ein großer Fan davon gewesen, so wenig wie irgend
möglich zu regeln. Ist doch das Internet gerade deswegen ein so großer Erfolg, weil sich Staaten und Gesetzgeber hier weitgehend herausgehalten haben. Die
Legende sagt, dass das Internetprotokoll einst entwickelt wurde, um selbst einen Atomkrieg zu überstehen,
und es hat bis jetzt auch eine ganze Reihe von Regierungen, übereifrigen Parlamentariern, und Innenministern überlebt.
Ich bin gegen Vorratsgesetzgebung.
Warum wird denn im Moment so viel über das
Thema gesprochen?
Erstens. Die Telekom hat angekündigt, ab 2016 Verträge, die nach dem 2. Mai 2013 abgeschlossen wurden, von einer Flatrate auf eine Art Volumentarif umzustellen. Nun gut, kann sie machen. Ob das
wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht, muss der Markt
entscheiden. Das einzige, was daran zu beanstanden
ist, ist, dass sie diese Tarife der Meinung der FDP
nach nicht mehr Flatrate nennen darf - das ist Etikettenschwindel, das ist digitales Pferdefleisch. Diese Art
von Tarifen ist übrigens nichts Neues, dies war bereits
bei den Glasfaseranschlüssen von Anfang an so.
Ebenso ist das im Mobilbereich ein übliches Tarifmodell.
Das alles hat übrigens mit dem Thema Netzneutralität bis hierher nichts zu tun, wird aber gerne in der
Debatte durcheinandergebracht.
Zweitens. Die Telekom hat angekündigt, bestimmte
Dienste von der oben erwähnten Volumenkappung in
diesen Tarifen auszunehmen. Hier lohnt ein etwas intensiverer Blick in das Kleingedruckte.
Es handelt sich hierbei um die Dienste „T-Entertain“ und „Internet Telefonie“.
Auch innerhalb dieser Dienste lohnt sich ein differenzierter Blick. Unstrittig ist wohl, dass die Ausnahme des eigenen Video-on-Demand-Dienstes von
der Volumenberechnung eine klare Ungleichbehandlung gegenüber den Mitbewerbern, wie zum Beispiel
Maxdome, Lovefilm oder Watchever, ist. Hier scheint
mir eine klare Verletzung der Netzneutralität vorzuliegen. Gleiches wird nicht gleich behandelt.
In einer weiteren Differenzierung ist jedoch ein bestimmter Teil des Streamings von Fernsehsendern zu
betrachten. Hier übernimmt die Telekom nicht ergänzend, sondern ersetzend die Grundversorgung mit öffentlichrechtlichen und privaten Fernsehsendern.
Diese müssen in einer definierten Qualität übertragen
werden, unabhängig vom bereits verbrauchten Volumen. Hier ist es zumindest fraglich, ob überhaupt eine
Verletzung der Netzneutralität vorliegt oder ob es sich
dabei um die Leistung der Grundversorgung unabhängig von der Übertragungstechnologie handelt, wenn
dieser Teil des Dienstes aus der Volumenberechnung
herausgenommen wird.
Ebenso einer besonderen Betrachtung sind sicherlich die Internet-Telefonie-Dienste zu unterziehen.
Gerade im Bereich Voice-Over-IP macht eine Priorisierung der Pakete Sinn, ohne Selbige würde das Telefonieren über das Internet in vielen Fällen nicht
funktionieren. Das bedeutet, in diesem Bereich wird
regelmäßig schon die Netzneutralität verletzt. Es
scheint aber hier auch teilweise einen Konsens zu geben, dass man dies nicht nur toleriert, sondern es auch
gewünscht ist.
Dies führt zu der Überlegung, dass es offensichtlich
gute und schlechte Verletzung von Netzneutralität zu
geben scheint. Und blickt man in die Geschichte des
Internets, hat es wohl schon immer solche Verletzungen gegeben. Dies gesetzlich festzuschreiben, müsste
also allgemeingültig auf diesen Umstand eingehen.
Der vorliegende Entwurf scheint mir hier noch unvollständig.
Nach diesen einführenden Überlegungen kommen
wir zurück zur grundsätzlichen Frage: Brauchen wir
ein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität?
Die Internet-Enquete hat 2011 festgestellt, dass zurzeit keine Verletzung der Netzneutralität vorliegt. An
dieser Situation hat sich nun nicht wirklich etwas geändert. Die Telekom hat lediglich angekündigt, ab
2016 ihre Tarife umzustellen.
Die bisherigen öffentlichen und politischen Reaktionen könnten jedoch nahelegen, dass hier das
letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Ebenso ist es ja nicht so, dass man gezwungen wird,
jetzt Kunde der Telekom zu werden. Eine ganze Reihe
von Mitbewerbern bieten Tarife an, die keine solchen
Einschränkungen aufweisen. Wer auf das Netz der
Telekom, der Verbreitung und den Service nicht verzichten will, kann sogar auf die Produkte der 100 Prozent Tochter congstar zurückgreifen. Letztere hat öffentlich erklärt, dass keinerlei Pläne existieren, die
neuen Tarifmodelle der Mutterfirma zu übernehmen.
Wer also einen Vertrag mit der Telekom schon hat,
ist nicht betroffen, wer einen neuen abschließt, hat im
Markt Alternativen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deswegen haben wir bereits im TKG Maßnahmen
umgesetzt: In § 41 a TKG haben wir mit der letzten
Novelle die Netzneutralität festgeschrieben, aber mit
einem differenzierten System versehen, das flexibel auf
den Markt reagieren kann.
Der Markt hat also die Möglichkeit, die Sache von
selbst zu regeln. Falls hier Probleme auftauchen sollten, kann die Bundesnetzagentur auf Basis von § 41 a
Abs. 2 TKG regulierend eingreifen und „in einer Technischen Richtlinie Einzelheiten über die Mindestanforderungen an die Dienstqualität durch Verfügung
festlegen“. Auch die Bundesregierung hat die Möglichkeit, auf Basis von § 41 a Abs. 1 TKG einzugreifen,
um „die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen festzulegen“.
Ich stelle mich nicht grundsätzlich gegen eine gesetzliche Regelung, ich glaube jedoch, dass die vorhandenen Instrumente ausreichen.
Internetgesetze haben in den seltensten Fällen das
Internet besser gemacht.
Wir haben an dieser Stelle schon mehrfach über das
Thema Netzneutralität debattiert. Ich möchte daher
nur kurz darauf eingehen, warum die Einhaltung der
Netzneutralität notwendig ist, um das Internet, so wie
wir es kennen, zu erhalten.
„Das Internet bietet enorme Potenziale für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Seine
Attraktivität und Innovationskraft verdankt es maßgeblich dem offenen und vergleichsweise einfachen Zugang für Nutzer und Anbieter sowie der Übermittlung
von Datenpaketen ohne Diskriminierung unabhängig
von Sender und Empfänger.“ Das stellte die EnqueteKommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im
Konsens fest. Uneinig war sich die Enquete-Kommission allerdings darüber, wie diese Netzneutralität auch
künftig erhalten bleiben könnte. Vertrauten Union und
FDP noch ganz auf die Kräfte des Marktes, die schon
so oft versagten, forderte die Opposition eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität.
Nur wenige Tage, nachdem der Schlussbericht der
Enquete-Kommission hier diskutiert wurde, muss jedem klar geworden sein: Hätten Sie mal auf die Opposition gehört!
Ende April kündigte die Deutsche Telekom an, ab
Mai 2013 nur noch Tarife mit einem Inklusiv-Datenvolumen anzubieten. Das heißt, die Telekom bietet keine
echten Flatrates mehr an, bei der jede Kundin und jeder Kunde nach Lust und Laune im Internet surfen
kann. Die Telekom bietet stattdessen die maximale Geschwindigkeit des gebuchten Internetanschlusses nur
noch so lange an, bis ein bestimmtes Kontingent an
Daten erreicht ist. Danach wird die Geschwindigkeit
soweit gedrosselt, dass allerhöchstens noch das normale Surfen und das Abrufen von E-Mails möglich ist.
Datenintensive Dienste wie Streaming- oder CloudDienste können dann nicht mehr sinnvoll genutzt werden. Wobei das nicht ganz stimmt. Es gibt nämlich
Dienste, die auch nach der Drosselung weiter mit voller Bandbreite genutzt werden können, und die auch
sonst nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden. Die Telekom nennt diese Dienste „Managed Services“ und suggeriert damit, dass diese Dienste irgendwie keine normalen netzbasierten Dienste sind.
Was jetzt genau der Unterschied zu anderen Diensten
ist, bleibt nebulös. Das ist auch kein Wunder, ist doch
der einzige Unterschied, dass die Dienste, die nicht gedrosselt und nicht auf das Datenvolumen angerechnet
werden, der Telekom gehören oder dafür an die Telekom zahlen. Mit Netzneutralität hat das alles nichts
mehr zu tun, da kann die Telekom behaupten, was sie
will.
Das Unternehmen verteidigt sein Vorgehen damit,
dass ein geringer Prozentteil der Nutzerinnen und
Nutzer für einen großen Datenverbrauch sorgt. Es
könne ja nicht sein, dass diese durch alle anderen Nutzerinnen und Nutzer subventioniert würden. Außerdem
würden die geplanten Inklusiv-Datenvolumen auch
nur die Vielnutzerinnen und -nutzer treffen. Für alle
anderen seien die Datenvolumen vollkommen ausreichend. Hier betreibt die Telekom ordentlich Augenwischerei. Zum einen sind die Kosten, die durch das
Surfen im Internet für den Anbieter entstehen, absolut
überschaubar. Sie entstehen hauptsächlich durch die
Infrastruktur. Und Kosten für die Infrastruktur fallen
so oder so an, egal ob sie nun viel genutzt wird oder
wenig.
Zum anderen sind die Datenvolumen mitnichten
ausreichend, wenn man das Internet im normalen Umfang nutzen möchte. Für die am weitesten verbreiteten
DSL-Anschlüsse mit einer Geschwindigkeit bis 16 Megabyte je Sekunde - oft auch DSL 16000 genannt sieht die Telekom eine Volumenbegrenzung von 75 Gigabyte im Monat vor. Das wirkt erst mal viel, ist es
aber nicht. Wenn Sie nämlich anfangen, die heutigen
Möglichkeiten des Internets zu nutzen, kommen Sie
ganz schnell an diese Grenze. Ein Film in hoher Auflösung, den Sie vollkommen legal im Internet kaufen und
herunterladen oder streamen wollen, hat heutzutage
locker die Größe von 6 Gigabyte. Nun wollen Sie im
Monat vielleicht auch mal drei oder vier Filme
schauen, und schon sind 25 Gigabyte verbraucht.
Dann haben Sie vielleicht noch ein Kind, das auch mal
gerne ein Computerspiel spielt. So ein Spiel kann heute
in digitaler Form ebenfalls die Größe von mehreren
Gigabyte erreichen. Dann nutzen Sie vielleicht CloudDienste, um Fotos und Daten einfach und überall
verfügbar zu halten. Und mit Sicherheit nutzen Sie ein
Betriebssystem, das regelmäßig über das Internet aktualisiert werden muss, um beispielsweise Sicherheitslücken zu schließen oder Fehler zu beseitigen. Das
kostet auch wieder Datenvolumen. Bald haben Sie die
Hälfte des Datenvolumens verbraucht, und Sie haben
noch gar nicht viel gemacht, geschweige denn im Internet gesurft oder E-Mails abgerufen. Davon, wie das
Zu Protokoll gegebene Reden
in wenigen Jahren aussehen wird, wenn Streamingund Cloud-Dienste viel weiter verbreitet sind, will ich
hier gar nicht erst reden.
Wer die Möglichkeiten des Internets nutzen möchte
und Telekom-Kundin oder -Kunde ist, hat also künftig
gar keine andere Chance, als die sogenannten „Managed Services“ der Telekom oder von Anbietern, die an
die Telekom zahlen, zu nutzen. Und hier schließt sich
der Kreis, und es offenbart sich, worum es der Telekom
tatsächlich geht: um reine Profitmaximierung.
Die Folge ist ein Zwei-Klassen-Internet. Die einen
bekommen die Basisfunktionen, die anderen, die es
sich leisten können, den vollen Umfang des Internets.
Die Leidtragenden? Das werden Menschen mit geringem Einkommen, Familien und kleine Anbieter, die es
sich nicht leisten können, sich bei der Telekom eine
Vorzugsbehandlung zu kaufen, sein. Kurz gesagt: Es
wäre das Ende des freien und offenen Internets.
Damit bewahrheitet sich, wovor die Linke bereits
vor über zwei Jahren gewarnt hat. Schon damals habe
ich hier das Szenario beschrieben, dass Netzbetreiber,
die gleichzeitig auch Inhalteanbieter sind, anfangen
würden, ihre eigenen Inhalte schnell und in guter Qualität anzubieten und fremde Inhalte auszubremsen und
zu blockieren. Genutzt haben diese Warnungen nichts,
die Netzneutralität ist noch immer nicht gesetzlich festgeschrieben. Der Markt würde das schon regeln, und
wenn der es nicht tut, dann helfen bestimmt böse Briefe
von Minister Rösler. Jetzt haben wir den Salat. Nein,
der Markt regelt überhaupt nichts, und Briefe erreichen nichts außer den Papierkorb. Das beweist die Telekom. Und das werden auch andere Internetprovider
beweisen, wenn diese es der Telekom gleichtun werden. Darauf werden wir nicht lange warten müssen.
Wir fordern die Bundesregierung daher auf, endlich zu handeln und endlich die Netzneutralität gesetzlich zu sichern. Jahrelang haben Sie geschlafen. Wachen Sie endlich auf!
Das Prinzip der Netzneutralität, die gleichberechtigte Übertragung von Daten, war Garant der bisherigen demokratischen Entwicklung des Internets und ist
elementar für dessen Zukunft. Die Frage, wie man die
Netzneutralität sichert, ist eine der Schlüsselfragen
der digitalen Gesellschaftspolitik. Die von uns als grüner Bundestagsfraktion seit langem erhobene Forderung, die Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben,
um so ein „Zwei-Klassen-Internet“, in dem die Daten
desjenigen bevorzugt werden, der mehr zahlen kann,
zu verhindern, muss - das haben die Entwicklungen
der letzten Wochen noch einmal deutlich gezeigt - endlich umgesetzt werden.
Anlässlich der anhaltenden Diskussion um die
neuen Datentarife der Telekom und einen damit einhergehenden Verstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität wurde offenbar, dass Sie, meine Damen und
Herren von CDU/CSU und FDP, in diesem netz-, aber
eben auch gesellschaftspolitisch hochrelevanten Bereich gänzlich gescheitert sind. Ich sage es mit aller
Deutlichkeit: Ihr, nur durch eine völlig falsch verstandene Wirtschaftsnähe zu erklärender Laissez-faire-Ansatz ist in den letzten Wochen krachend gescheitert.
Das hat nun ausgerechnet ein Unternehmen verdeutlicht, dessen Hauptanteilseigner der Bund ist.
Im Bereich der Netzneutralität stehen sie, meine
Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, wie auch
hinsichtlich zahlreicher anderer netz- und innenpolitischer Kernprojekte dieser Legislatur heute vor einem
Scherbenhaufen. Wer es bislang noch nicht wusste,
dem haben Sie dieser Tage final vor Augen geführt,
dass Sie mit den Herausforderungen des digitalen
Wandels massiv überfordert sind. Es ist ein schwarzgelbes Armutszeugnis, dass nun Verbraucherzentralen,
Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur die Hausaufgaben machen, die Sie nicht imstande waren abzuliefern.
Es ist ja nicht so, als hätte sich dieses Hohe Haus
nicht intensiv mit den Fragestellungen rund um das
Thema Netzneutralität beschäftigt. Im Gegenteil:
Kaum ein Thema hat die lange netzpolitische Agenda,
mit der wir uns gemeinsam in dieser Legislatur beschäftigt haben, dermaßen dominiert wie die Frage
der Netzneutralität. Nicht ohne Grund war die Projektgruppe Netzneutralität eine der ersten, die die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ am Anfang der Legislatur eingerichtet hat.
Seit Anfang der Legislatur hat sich deutlich gezeigt:
Die Vorstellungen in diesem Haus über den Stellenwert
der Netzneutralität und ihre Bedeutung für die Zukunft
eines freien und demokratischen Netzes gehen zwischen Koalition und Opposition weit auseinander.
Dies zeichnete sich bereits in der Projektgruppe zur
Netzneutralität der Enquete-Kommission, in der es,
anders als dies in anderen Projektgruppen der Fall
war, große Differenzen zwischen den einzelnen Fraktionen gab, ab. Auf gemeinsame Handlungsempfehlungen konnten sich die Mitglieder der Projektgruppe
nicht einigen.
Der Druck, die Netzneutralität abzuschaffen, nimmt
seit Jahren zu. Viele Telekommunikationsfirmen - das
hat eine Studie, die die europäischen Regulierer erst
vor kurzem vorgelegt haben, noch einmal deutlich gemacht - verstoßen heute schon gegen das Prinzip eines
freien und offenen Internets und der Netzneutralität.
Die vollständige Blockade und das bewusste Verlangsamen von Peer-to-Peer-Verkehr ({0}) sowie von Internet-Telefonie via Voice over IP, VoIP, sind heute
schon weit verbreitet, vor allem im Bereich des Mobilfunks. Um entsprechende Sperrungen vorzunehmen,
greifen die Provider - auch das hat die Studie gerade
noch einmal belegt - auch auf durchaus umstrittene
Techniken wie die „Deep Packet Inspection“, DPI, zurück.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Diskussion um die Wahrung der Netzneutralität
und darüber, ob es einer gesetzlichen Festschreibung
bedarf, wird seit langem, sowohl auf Bundes- wie auf
europäischer Ebene, intensiv geführt. So hatte die für
die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin
Kroes die nun vorgelegte Studie vor mehr als einem
Jahr in Auftrag gegeben und begleitend einen Konsultationsprozess gestartet, um den Bedarf an weiteren auch gesetzgeberischen - Handlungen auszuloten.
Als Grüne kämpfen wir seit langem für eine echte
Netzneutralität, sowohl auf deutscher wie auf europäischer Ebene. Die steigende Zahl der Meldungen bei
http://respectmynet.eu hatte schon vor langem gezeigt,
dass sich Probleme hinsichtlich der diskriminierungsfreien Übertragung von Daten und Inhalten derzeit
vervielfachen. Neben dem Gremium der europäischen
Telekommunikationsregulierer hatte auch die Europäische Kommission dazu aufgerufen, zur Diskriminierungsfreiheit im Internet Stellung zu beziehen und sich
an der Konsultation zu beteiligen. Wir haben uns an
dem Konsultationsprozess beteiligt und dem Generaldirektorat Informationsgesellschaft der Europäischen
Kommission die beiden in dieser Legislatur von meiner Fraktion vorgelegten Initiativen zur Netzneutralität - Bundestagsdrucksachen 17/3688 und 17/7526 zugesandt und auf die aus unserer Sicht zunehmende
Gefährdung der Netzneutralität hingewiesen.
Wir haben es begrüßt, dass sich die Abgeordneten
des Europäischen Parlaments im November 2011 mit
großer Mehrheit in einer Entschließung zur Netzneutralität für die Wahrung dieses grundlegenden Prinzips, das den Erfolg des Internets erst ermöglich hat,
ausgesprochen haben. In der Entschließung hatten die
Abgeordneten die Kommission aufgefordert, sich stärker als bisher für die Durchsetzung des Prinzips der
Netzneutralität einzusetzen.
Als grüne Bundestagsfraktion haben wir Sie, meine
Damen und Herren der schwarz-gelben Koalition,
nicht nur in der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“, sondern auch mit unserem Antrag „Gegen das Zwei-Klassen-Internet - Netzneutralität in Europa dauerhaft gewährleisten”, den wir bereits im November 2010 hier vorgelegt haben, schon
vor langer Zeit aufgefordert, sich auch auf europäischer Ebene für eine gesetzliche Regelung zur Festschreibung der Netzneutralität einzusetzen. Im Vorfeld
der Debatte um die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes, TKG, hatten wir Übersetzungen der niederländischen, belgischen und französischen Gesetzentwürfe anfertigen lassen, um Ihnen zu zeigen, wie
eine mögliche Regulierung aussehen könnte. Wir haben versucht, Ihnen zu verdeutlichen, dass es hier eben
nicht ausreicht, allein auf die Kräfte des freien Marktes zu vertrauen. Was andere zu erkennen imstande
waren, verstehen Sie bis heute nicht.
Sie haben unsere Warnungen immer in den Wind geschossen und eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität stets abgelehnt. Im Zuge der Novelle zum Telekommunikationsgesetz bot sich erneut die Chance für
eine gesetzliche Regelung. Auch diese Chance haben
CDU/CSU und FDP verstreichen lassen. Stattdessen
haben Sie, meine Damen und Herren der Koalition,
eine Regelung vorgelegt, für die Sie - berechtigterweise - nur Spott ernteten. Auch damals hatten wir
Ihnen konkrete Vorschläge unterbreitet, wie eine Regelung, die in der Lage ist, die Netzneutralität tatsächlich abzusichern, aussehen könnte, diesmal sogar in
Form eines Gesetzentwurfs. Statt unsere Forderung
aufzunehmen, haben Sie eine absolut halbgare Lösung
vorgelegt. Das rächt sich heute.
Bislang hieß es vonseiten der Bundesregierung immer, dass bisher keine Verstöße gegen das Prinzip der
Netzneutralität festgestellt werden konnten. Die Frage,
warum Sie unbedingt abwarten wollten, bis bei der
Netzneutralität das Kind endgültig in den Brunnen gefallen ist, um erst dann zu handeln, können Sie bis
heute nicht beantworten. Diese Vorgehensweise ist und
bleibt mir schleierhaft, gerade vor dem Hintergrund
Ihrer Argumentation, dass es doch angeblich keine
Verstöße gibt. Fakt ist: Auch in diesem Bereich haben
Sie eine gesetzliche Klarstellung gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Dabei hätten Ihnen doch spätestens die Diskussionen, die wir in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ geführt
haben, zeigen müssen, dass es in diesem für unsere
moderne Wissens- und Informationsgesellschaft so
elementaren Bereich mit sogenannten Selbstverpflichtungen, mit denen Sie im Übrigen auch im Bereich des
Datenschutzes fulminant gescheitert sind, eben nicht
getan ist. Dass ausgerechnet diejenigen, die jahrelang
ganz vorne im Bremserhäuschen saßen, nun versuchen, ihr Scheitern durch das Verfassen öffentlicher
Briefe zu kaschieren, ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Meine Damen und Herren der Koalition, eine gesetzliche Regelung zur Netzneutralität - das haben die
Entwicklungen der letzten Wochen und Monate
gezeigt - ist mehr als überfällig. Dadurch, dass Sie sich
trotz mehrfacher Aufforderung vonseiten der Opposition, aber auch der Zivilgesellschaft bis heute weigern,
Ihr Scheitern einzugestehen, zeigen Sie nur, dass Sie bis
heute nicht verstanden haben, wie wichtig die für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft
und die weitere Entwicklung eines freien und offenen
Internets so elementare Netzneutralität ist.
Wir fordern Sie, auch wenn die Zeit bis zum Ende
der Legislatur mittlerweile sehr knapp ist, als Opposition und Seite an Seite mit über 80 europäischen Verbraucher- und Bürgerrechtsorganisationen noch einmal dazu auf, endlich eine gesetzliche Regelung zur
Netzneutralität vorzulegen und so eines, wenn nicht
das grundlegende Prinzip, das den Erfolg des Netzes,
wie wir es heute kennen, erst ermöglicht hat, abzusichern.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13466 an die in der Tagesordnung aufgeVizepräsident Eduard Oswald
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 50 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten
Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Reisen für alle - Für einen sozialen Tourismus
- Drucksachen 17/11588, 17/13397 Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Jens Ackermann
Markus Tressel
Wie schon in der Tagesordnung ausgewiesen, werden
die Reden zu Protokoll genommen.
Heute sprechen wir erneut über den Antrag der
Fraktion Die Linke, der einen „sozialen Tourismus“
fordert.
Die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus ist für uns als Unionsfraktion eine Selbstverständlichkeit. Die Wurzeln dieses Selbstverständnisses reichen zurück bis auf die christliche Soziallehre des
19. Jahrhunderts. Diese ist die Basis der modernen sozialen Marktwirtschaft der CDU/CSU. Dies ist ein Bekenntnis mit einer langen Tradition. Aus diesem Grund
ist für die CDU/CSU-Fraktion die Teilhabe der gesamten Bevölkerung an der Gesellschaft, also auch der
Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen, ein wichtiges Ziel.
Bereits seit 60 Jahren wird der gemeinsame Familienurlaub durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung gefördert. Zielgruppen sind hier
Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Pflegebedürftige. Rund 120 Familienerholungsstätten werden
gefördert und bieten ein umfangreiches Erholungsangebot.
Ich habe gerade erst vor wenigen Wochen eine solche Einrichtung in meinem Wahlkreis besucht, das
Adam-Stegerwald-Haus in Rantum auf Sylt. Dort habe
ich mich davon überzeugen können, mit welchem Engagement der Träger der Einrichtung, der aus dem
Kolpingwerk hervorgeht, Leistungen für Menschen gestaltet, die sich sonst auf dem freien Markt keinen Urlaub leisten könnten. Vergleichbare Angebote gibt es
überall in Deutschland. Auch die ländlichen Räume
bieten qualitativ hochwertigen Urlaub zu günstigen
Preisen.
Auch junge Menschen haben wir bei der Tourismusförderung im Blick: Die Deutsche Zentrale für Tourismus wird allein in diesem Jahr mit 28 Millionen Euro
durch die Bundesregierung unterstützt. In diesem Jahr
liegt der Schwerpunkt in der Förderung des Kinderund Jugendtourismus. Auch dies zeigt die große soziale und entwicklungspsychologische Bedeutung, die
die Bundesregierung dem Tourismus beimisst. Die
Bundesregierung unterstützt jugendspezifische Einrichtungen und Jugendbegegnungen in vielfältiger
Form - auch finanziell.
Hinzu kommen Hilfen auf Landes- und Kommunalebene für Familien mit geringem Einkommen. Neben
den aus den öffentlichen Mitteln und von gemeinnützigen Organisationen unterstützten Angeboten gibt es
für diese Zielgruppe in Deutschland eine Vielzahl attraktiver und preisgünstiger Quartiere.
Schwerpunkt ist für uns auch das Handlungsfeld
Barrierefreiheit. Gerade vor dem Hintergrund einer
immer älter werdenden Gesellschaft, der Herausforderungen des demografischen Wandels und der Tatsache,
dass in Zukunft immer mehr Touristen fortgeschrittenen Alters sein werden, ist dieses Thema eine zentrale
sozialpolitische Aufgabe, der wir uns stellen. Die Anbieter müssen auf die touristischen Folgen des demografischen Wandels reagieren, indem sie sich in der
Kommunikation und beim Vertrieb verstärkt auch an
ältere Personen wenden.
Bereits jetzt sind etwa 10 Prozent unserer Bevölkerung schwerbehindert. Dieser Anteil wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Zentrale Aufgabe ist
es deshalb, dieser breiten Bevölkerungsgruppe das
Reisen zu erleichtern und deren Mobilität sicherzustellen. Vorbilder sind hier die Beneluxstaaten oder die
skandinavischen Länder. Gerade in dieser Wahlperiode hat die Bundesregierung in ihrer Tourismuspolitik einen Schwerpunkt auf diesen Bereich gelegt.
Der Antrag der Linken enthält also Forderungen,
die überflüssig sind, weil wir, die Bundesregierung und
die Koalition, schon längst gehandelt haben. Der Antrag enthält darüber hinaus Forderungen, die wir
überhaupt nicht mittragen können.
Sie fordern Reisezuschüsse für Hartz-IV-Empfänger. Ihnen selber sollte jedoch bei einem Blick ins Sozialgesetzbuch klar sein, wie problematisch diese Forderung ist. Die Regelsätze sind verfassungsrechtlich
sauber berechnet. Dazu gibt es viele Urteile, die das
bestätigen. Immer mehr Leistungen des Staates für
Hartz-IV-Bezieher bereitzustellen, schafft hier nur
neue Ungerechtigkeiten gegenüber denjenigen, die
ihre geringen Einkommen selbst erarbeiten. Nicht jedwede soziale Leistung schafft soziale Gerechtigkeit.
Eine weitere Schwäche Ihres Antrags ist, dass Sie
nicht klar zwischen Landes- und Bundeskompetenzen
unterscheiden. Sie fordern eine „Stärkung von Verantwortung und Kompetenzen des Bundes für einen sozialen Tourismus“. Wenn Sie jedoch einmal in den Gesetzen nachschlagen würden, dann könnten Sie
nachlesen, dass die Tourismusförderung primär eine
Landeskompetenz ist.
Ebenso setzen Sie sich für eine Wiederaufnahme der
Landesförderung für Familienreisen in sechs Bundesländern ein. Natürlich ist es bedauerlich, dass viele
Bundesländer in den letzten Jahren einige Programme
zur Tourismusförderung zurückgefahren haben, aber
diese Kritik müssen Sie an die Bundesländer richten,
nicht an die Bundesregierung.
Der gesamte angesprochene Strauß an Argumenten
lässt keine andere Möglichkeit zu, als Ihren Antrag abzulehnen.
Teilhabe für alle Menschen - auch an Urlaub und
Reisen - ist ein wichtiges Ziel. Darüber sind wir uns
fraktionsübergreifend einig, wie die Beratungen des
Antrages der Linken, aber auch früherer Anträge der
SPD-Fraktion zum barrierefreien Urlaub oder zu Kinder- und Jugendreisen gezeigt haben. Leider ist die Einigkeit zwischen den Fraktionen schnell dahin, wenn
es darum geht, was politisch getan werden muss, um
das Ziel von echter Teilhabe am Tourismus zu erreichen.
Die Fraktion Die Linke spricht mit dem Antrag einige relevante Punkte an, wie Investitionen in preisgünstige Urlaubs- und Übernachtungsangebote, aber
auch Zuschüsse für Familien, die sich aus der eigenen
Tasche keine Reise leisten könnten. Als SPD-Fraktion
haben wir dies in dieser Wahlperiode bereits mehrfach
gefordert - insbesondere mit Blick auf Reisemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die in ihrer persönlichen Entwicklung besonders davon profitieren können.
Sicher sind einige Punkte, die die Linke mit ihrem
Antrag von der Regierung einfordert, Sache der
Bundesländer, zum Beispiel die Festlegung von Rahmenbedingungen für Klassenfahrten. Auch die Bezuschussung von Urlaubsreisen im Rahmen der Familienerholung wird von den Ländern finanziert - oder
eben auch nicht mehr in mittlerweile sechs der sechzehn Bundesländer. Das sind vor allem Länder, in denen Schwarz-Gelb noch regiert oder bis vor Kurzem in
Verantwortung war.
Selbstverständlich aber kann eine verantwortungsvolle Bundesregierung an die Länder herantreten, damit Bund und Länder Hand in Hand daran arbeiten,
dass alle Menschen in unserem Land am Tourismus
teilhaben können. Es zeigt sich: So vehement, wie die
Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen
in ihren Reden monoton auf die Zuständigkeit der Länder hinweisen, so sehr wollen sie damit auch davon
ablenken, dass diese Bundesregierung ihre eigenen
Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Erstens. Es muss genügend preiswerte Urlaubsangebote geben. Hier hat die schwarz-gelbe Koalition
die Anbieter im Regen stehen lassen.
Wir haben in Deutschland viele gute Angebote - wie
Jugendherbergen, Familienferienstätten, Naturfreundehäuser oder Einrichtungen kirchlicher Familienerholung -, aber viele dieser Unterkünfte leiden unter
einem Renovierungsstau.
Welch ein Hohn ist es doch, dass sich die CDU/
CSU-Fraktion in der Beschlussempfehlung zum Linken-Antrag damit rühmt, den Bau und die Einrichtung
von Jugendherbergen und Jugend-, Bildungs- und Begegnungsstätten „in erheblichem Umfang“ zu fördern.
Statt mehr Investitionen anzustoßen, haben CDU/CSU
und FDP die Bundesförderung für Jugendherbergen,
Jugendbildungs- und Begegnungsstätten um ein ganzes Drittel gekappt. Statt 4,5 Millionen Euro hat die
Regierungskoalition im Haushalt 2013 nur noch 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt - gegen einen Antrag der SPD im Haushaltsausschuss, mit dem wir die
Kürzung abwenden wollten. Jetzt brechen in vielen
Häusern leider weitere Mittel für Sanierungen und Erweiterungen weg.
Zweitens. Urlaub darf nicht am Geldbeutel scheitern. Vor allem jungen Menschen müssen wir ermöglichen, zu verreisen und damit ihren Horizont zu erweitern. Deshalb ist es wichtig, zu garantieren, dass der
Staat Familien, die besonders wenig zum Leben haben
und auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angewiesen sind, unterstützt, damit auch diese Kinder und Jugendlichen bei Klassenfahrten dabei sein können.
Dank des erfolgreichen Einsatzes der SPD im Vermittlungsausschuss Anfang 2011 können auch eintägige Schulausflüge finanziert werden. Wir haben darüber hinaus dafür gesorgt, dass vom Bildungs- und
Teilhabepaket auch Kinder aus Familien profitieren,
die Kinderzuschlag und Wohngeld beziehen. Dadurch
übernimmt der Staat die Kosten für Ausflüge und
Klassenfahrten von Schulen und Kitas für rund
500 000 Kinder und Jugendliche mehr. Diese müssen
nun nicht mehr darum bangen, ob sie mit ihrer Klasse
oder Kitagruppe auf Reisen gehen können oder der
Bus ohne sie abfährt. Die monatlichen 10 Euro, die
den Familien ebenfalls zugute kommen, können zum
Beispiel für Ferienfreizeiten angespart werden.
Wichtig ist jetzt, diese Fördermöglichkeiten noch
bekannter zu machen, damit sie alle anspruchsberechtigten Familien nutzen.
Auf der Hand liegt aber auch: Würde diese Regierung die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer
weiter aufgehen lassen, hätten viele Menschen gar
nicht die finanziellen Sorgen, die ihnen die Chance
rauben, Urlaub zu machen. Wir brauchen deshalb endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Den fordert die SPD seit Langem. Was CDU und
FDP in den letzten Wochen und Monaten auf ihren
Parteitagen dazu beschlossen haben, sind nur Placebos und Beruhigungspillen. Sie taugen nicht dazu,
Niedriglöhne und Armut trotz Arbeit flächendeckend
aus unserem Land zu vertreiben.
Drittens. Reisen für alle ermöglichen, das heißt
auch, gute Rahmenbedingungen für Menschen mit
Handicap zu schaffen. Dazu sagt der Antrag der Linken trotz des Titels „Reisen für alle“ wenig.
Zu Protokoll gegebene Reden
Menschen mit Behinderungen finden noch viele
Barrieren vor, die ihnen das Reisen oft beschwerlich
oder gar unmöglich machen. Acht Millionen Menschen in Deutschland sind auf Barrierefreiheit angewiesen. In Sachen Barrierefreiheit steckt Deutschland
aber leider noch in den Kinderschuhen.
Im März hat der Tag des barrierefreien Tourismus
auf der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin
gezeigt, welche Hürden nach wie vor bestehen, aber
auch, welche Potenziale eine durchgängig barrierefreie Reisekette hat, die für alle Menschen komfortabel
ist. Ich habe mich sehr gefreut, dass dieser Tag zum
zweiten Mal auf der ITB stattfinden konnte, vor allem
dank der ausgezeichneten Organisation der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle, NatKo,
und der Beteiligung der Deutschen Zentrale für Tourismus.
Als SPD ist es uns in den letzten Haushaltsberatungen gelungen, alle Fraktionen mit unserem Antrag zu
überzeugen, den Barrierefrei-Tag auf der ITB von Bundesseite aus finanziell zu unterstützen und damit auf
der weltweit größten Tourismusplattform für barrierefreien Tourismus zu sensibilisieren und zu werben. Wir
brauchen hier - erst recht eingefordert durch die UNBehindertenrechtskonvention - deutlich mehr Anstrengungen der Bundesregierung, aber auch der Länder
und Kommunen.
Die SPD hat schon vor knapp zwei Jahren mit dem
umfassenden Antrag „Barrierefreier Tourismus für
alle“ einen entsprechenden Masterplan sowie einen
TÜV für Barrierefreiheit gefordert. Ich hoffe sehr, dass
das aktuell aus dem Bundeshaushalt finanzierte Projekt des Deutschen Seminars für Tourismus in Kooperation mit der NatKo für den nötigen Anschub sorgen
kann.
Bis das Reisen für alle möglich ist, sind noch viele
dicke Bretter zu bohren. Die aktuelle Bundesregierung
hat nicht die Kraft dafür - oder will sie nicht aufbringen. Das ist noch ein Grund mehr, sie im Herbst abzuwählen.
Reisen für alle - eine interessante, aber völlig aus
der Luft gegriffene Forderung aus dem uns hier vorliegenden Antrag der Linken. Klingt gut, ist aber totaler
Unsinn.
Teilhabe ist zu Recht eine der besseren Forderungen
aus dem uns vorliegenden Antrag der Linken. Deshalb
haben wir als christlich-liberale Koalition viel für die
Teilhabe aller Menschen in unserem Land getan. In
den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Dezember 2008 heißt es deshalb: „Auch
Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können“. Das
war und ist unser erklärtes Ziel. Es stimmt auch, dass
die sich Bundesrepublik grundsätzlich für einen nachhaltigen sozialen Tourismus im Sinne der UNWTOMenschenrechtskonvention einsetzt, die das Recht auf
direkten und persönlichen Zugang zur Entdeckung und
zum Genuss der Ressourcen des Planeten für alle Bewohner der Welt gewährleisten soll. Damit ist aber
eher die Reisefreiheit gemeint, eine Reisefreiheit, die
Ihre Vorgängerpartei systematisch eingeschränkt hat.
Fast 40 Jahre lang war es nur unter erschwerten Umständen möglich, überhaupt zu reisen - vom nicht sozialistischen Ausland ganz zu schweigen. Auch war es
natürlich nur den getreuen und systemkonformen Bürgerinnen und Bürgern vorbehalten, in den Genuss einer günstigen Reise des FDGB zu kommen. Alle anderen mussten sehen, wo sie bleiben, oder in umgebauten
Garagen zu überhöhten Preisen nächtigen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Heute gibt es ein breites
touristisches Angebot für fast jeden Geldbeutel.
Natürlich haben in einem freien Land mit mehr als
80 Millionen Einwohnern nicht alle gleich viel im
Geldbeutel, und jeder hat natürlich eine andere Vorstellung von Freizeitgestaltung. Aber wir haben in den
vergangenen Jahren mit unserer erfolgreichen Wirtschaftspolitik viel getan, damit es den Menschen in unserem Land besser geht und mehr Menschen als jemals
zuvor überhaupt die Möglichkeit haben, über Urlaub
nachzudenken.
Im vergangenen Jahr hatte die Bundesrepublik mit
durchschnittlich 2,897 Millionen so wenige Arbeitslose wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Die teilweise
verheerende Arbeitsmarktsituation in vergleichbaren
europäischen Ländern zeigt, wie robust der deutsche
Arbeitsmarkt mittlerweile ist. Nur so kann Teilhabe für
alle geschaffen werden. Nur so werden die Rentenkassen aufgefüllt, und nur so haben am Ende alle etwas
davon.
Wir wollen keine Fördermittel oder Geldgeschenke
mit der Gießkanne verteilen. Wir möchten, dass alle
Menschen in unserem Land in Lohn und Brot stehen
und sich damit ihre Freizeit selbst so gestalten, wie sie
es gerne möchten und für richtig halten.
Darüber hinaus fördert der Bund bereits Projekte
der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für
Alle, NatKo, und der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien, abm. Besonders möchte ich dabei
gern auf das Projekt „Zukunftsprojekt Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland“ hinweisen. Dieses
wurde auf Initiative der christlich-liberalen Bundestagsfraktionen auf Betreiben des Bundeswirtschaftsministeriums auf den Weg gebracht.
Aber auch die Länder engagieren sich; Sie unterstützen geringverdienende Familien bei der Finanzierung
gemeinsamer Ferien zum Beispiel in gemeinnützigen
Familienferienstätten durch Individualzuschüsse. Ich
verweise an dieser Stelle auf Programme meines Heimatlandes Sachsen-Anhalt, die Ferien für sozial
schwache Familien anbieten, die nur sehr wenig oder
nichts kosten, und in die auch Hartz-IV-Empfänger
einbezogen werden. Viel vorbildliche Unterstützung
gibt es auch von freien Trägern und den Kirchen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Abschließend möchte ich aber auf die größte inhaltliche Schwäche des Antrags eingehen. Die Linke fordert die „Stärkung von Verantwortung und Kompetenzen des Bundes für einen sozialen Tourismus“.
Tourismusförderung ist aber primär eine Kompetenz
der Länder. Hier ist die Bundesregierung klar der falsche Adressat. Die Fraktion der Linken sollte sich zunächst einmal über die Kompetenzaufteilung der Bundesrepublik informieren, bevor sie solche Forderungen
stellt.
Der Antrag der Fraktion Die Linke „Reisen für
alle - Für einen sozialen Tourismus“ soll heute mit
den Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung von SPD und den Grünen abgelehnt werden.
Warum eigentlich? Ist der Antrag nicht sinnvoll oder
unnötig, oder ist er nur schlecht gemacht? Ich meine:
weder noch.
Der Antrag der Linken für einen sozialen Tourismus
ist sinnvoll, weil dadurch alle Fraktionen im Bundestag und im Tourismusausschuss sowie die Bundesregierung gezwungen wurden, sich mit dem Thema aktiv
auseinanderzusetzen. Ohne die Linke hätte es die Debatten zum sozialen Tourismus, zur Förderung des
Kinder- und Jugendtourismus sowie zum „barrierefreien Tourismus“ in diesem Hohen Haus in diesem
Umfang und in dieser Intensität - mit Beteiligung der
Betroffenen und ihrer Organisationen - nicht gegeben.
Der Antrag der Linken für einen sozialen Tourismus
war nötig, weil das Thema - das mussten alle Fraktionen in der Diskussion eingestehen - wichtig ist. Wichtig, weil eben nicht alles „in Butter“ ist.
Und der Antrag der Linken ist auch inhaltlich gut.
Dies wird unter anderem an den Verrenkungen und
Ausflüchten anderer Fraktionen bei ihrem Versuch,
ihre Ablehnung oder Stimmenthaltung zu begründen,
deutlich. Lächerlich ist zum Beispiel die Begründung,
der Antrag richte sich mit seinen Forderungen zu sehr
an die Länder und beachte nicht die Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Dazu
heißt es im Antrag der Linken: „Sofern die Bundesländer für die Realisierung einzelner Aufgaben zuständig
sind, soll die Bundesregierung in geeigneter Weise an
diese herantreten.“ Ähnliche Formulierungen finden
sich übrigens massenhaft auch in Anträgen der Koalition wieder.
Unstrittig ist, dass Essen, Trinken, Kleidung, aber
auch Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit zu
den menschlichen Grundbedürfnissen gehören. Gehört
aber auch der Tourismus dazu? Ist die Forderung, allen Menschen Reisen zu ermöglichen, nur dummes Gequatsche aus der linken Ecke? Ich meine: nein.
Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es im Art. 24:
„Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und
insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“
Und im Globalen Ethikkodex für Tourismus, beschlossen auf der Generalversammlung der UNWTO
im Jahr 1999, heißt es im Art. 7 - „Das Recht auf Tourismus“:
„1. Die Aussicht auf den unmittelbaren und persönlichen Zugang zur Entdeckung und zum Genuss der
Ressourcen des Planeten ist ein Recht, das allen Bewohnern der Welt in gleicher Weise offen steht; die zunehmend extensive Beteiligung am nationalen und
internationalen Tourismus sollte als eine der bestmöglichen Formen der Nutzung der ständig zunehmenden
Freizeit angesehen und es sollten ihr keine Hindernisse in den Weg gelegt werden … 4. der Tourismus
von Familien, jungen Menschen und Senioren sowie
Behinderten sollte gefördert und erleichtert werden.“
Dass der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft, BTW, erst im Dezember 2012, also 13 Jahre
später, den Global Code of Ethics for Tourism unterzeichnete, sei hier nur am Rande erwähnt.
Immerhin, selbst in den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Dezember 2008 ({0}) finden sich die bemerkenswerten Sätze: „Ziel der Bundesregierung ist die
Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus. Auch
Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können.“
Wie „ernst“ dies gemeint war, erklärte mir bzw. dem
Bundestag der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Hintze, CDU, auf meine Frage vom 6. Oktober 2010 zu
den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung und den Hartz-IV-Regelsätzen ({1}). Seine Antwort: „Vorrangiges Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende
ist nicht in erster Linie die Umsetzung der tourismuspolitischen Leitlinien, sondern die schnellstmögliche
Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in
den Arbeitsmarkt … Bei der Entscheidung … wurde …
die Position ‚Übernachtungen‘ nicht als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Diese Ausgaben sind dem Bereich Urlaub zuzuordnen, der als nicht existenzsichernd anzusehen ist und folglich für den Regelbedarf
nicht zu berücksichtigen ist.“
Dass dies kein Ausrutscher war, zeigt sich auch in
den Aktivitäten und den Ergebnissen der Bundesregierung und der Bundesländer in der Tourismuspolitik.
Unbestritten, es gibt eine Reihe von Aktivitäten, es gibt
Förderungen für den internationalen Jugendaustausch
und Förderungen für Jugendherbergen und Familienheimstätten durch den Bund. Aber reichen diese Aktivitäten? Reicht es nicht, dass Deutschland Reiseweltmeister ist und die Tourismuswirtschaft immer neue
Rekorde bei Übernachtungen und Umsätzen vermeldet?
Ich meine: Nein, es reicht nicht. Der Superlativ
„Reiseweltmeister“ sagt nichts über die soziale Struktur des deutschen Tourismus aus. Seit einigen Jahren
spiegelt sich die Vertiefung der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft verstärkt auch im Tourismus wider.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung
kann nicht in den Urlaub fahren. Nach der 28. Deutschen Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen lag die Reiseintensität, also der Anteil der
Bevölkerung ab 14 Jahren, welcher mindestens eine
Urlaubsreise mit einer Dauer von wenigstens fünf Tagen unternommen hat, im Jahr 2011 bei 53 Prozent.
Bereits im Jahr 2010 konnte sich nur noch jeder Fünfte
der Geringverdienenden eine Urlaubsreise leisten.
Nur gut jede zweite Familie verreiste im Jahr 2010 für
mindestens fünf Tage. Seit dem Jahr 1990 ist das ein
Rückgang um 11 Prozent. In 6 von 16 Bundesländern
wurden in den letzten Jahren die finanziellen Mittel zur
Förderung der Familienerholung völlig gestrichen. Im
Jahr 2009 waren Urlaubsreisen für mehr als ein Fünftel, 22 Prozent, der Haushalte, in denen Kinder unter
16 Jahren lebten, finanziell unerschwinglich. Das sind
die Zahlen. Was das im Einzelnen für Familien, insbesondere die Kinder und Jugendlichen bedeutet,
spüre ich bei meinen Gesprächen in der Oberlausitz.
Eine wundervolle Urlaubsregion mit interessanten
Kulturstätten und einer abwechslungsreichen Landschaft, gleichzeitig aber auch eine Region, die zu den
ärmsten in Deutschland gehört.
Die Schaffung von mehr Reisemöglichkeiten für
Menschen mit geringerem Einkommen, für Menschen
mit Behinderungen sowie Menschen mit Migrationshintergrund wäre nicht nur ein bedeutender sozialer
Fortschritt, sondern könnte dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen und die ökonomischen Effekte des
Tourismus weiter zu vergrößern. Diese Orientierung
findet sich auch in einer Reihe von EU-Dokumenten.
So beschloss die Europäische Tourismuskonferenz am
14./15. April 2010 in Madrid: „Die Kommission sollte
Bevölkerungsgruppen mit eingeschränkter Mobilität
und gesellschaftlich und/oder wirtschaftlich Benachteiligten den Zugang zu Urlaubsmöglichkeiten erleichtern, gleichzeitig eine bessere und langfristigere Nutzung der touristischen Infrastruktur, die Durchführung
touristischer Aktivitäten in den jeweiligen Regionen
über einen längeren Zeitraum und die Stärkung des
Gefühls einer Unionsbürgerschaft fördern.“ Zu nennen wäre hier auch noch die von der EU ebenso wie
von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere der Art. 30: Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport.
Deswegen bleibt für die Linke das Thema „Reisen
für alle“, insbesondere für Familien, Kinder und Jugendliche, hier meinen wir Urlaubsreisen und Schulfahrten, Seniorinnen und Senioren sowie Menschen
mit Behinderungen, ganz oben auf der tourismuspolitischen Agenda.
Der Tourismus in Deutschland boomt, aber nicht für
jeden und überall. Dennoch ist Tourismus für viele
Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Bedürfnisse nach Erholung, Bildung, Gesundheit, Kultur,
Sport und Naturerleben werden vielfach durch Reisen
realisiert. Reisen ist Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben und nimmt seit Jahren einen der vorderen
Plätze bei der Freizeitgestaltung von Menschen ein. So
liegt zum Beispiel die Zahl der Familien, die sich keine
Urlaubsreisen mehr leisten können, seit 2009 bei circa
einem Viertel der Bevölkerung. Diese Zahl unterstreicht, dass unsere Gesellschaft sozial auseinanderdriftet. Das spiegelt sich auch im Tourismus wider.
Trotzdem kann es nicht nur darum gehen, Geld in die
Hand zu nehmen. Vielmehr müssen wir Strategien entwickeln, die den sozialen Tourismus vor allem regional
in vorhandene und zu entwickelnde Wirtschaftsstrukturen integrieren und nachhaltig gestalten. Schließlich
kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, die Billigflugreise nach Mallorca zu finanzieren.
Wir Grüne wollen einen Tourismus, der Menschen
ein- und nicht ausschließt. Eine bessere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen in Bezug auf
Projekte des sozialen Tourismus ist deshalb auch aus
unserer Sicht wünschenswert. Die Stärkung der Infrastruktur wie beispielsweise die Steigerung der Attraktivität vorhandener Naherholungszentren durch Ausbau oder Sanierung kommt auch Familien mit
niedrigeren Einkommen zugute, die auf diese Naherholungsgebiete angewiesen sind. Dennoch wollen
auch wir den Kinder- und Jugendtourismus allen Gesellschaftsgruppen zugänglich machen. Umwelt- und
Sprachbildung sind ebenso wie kultureller Austausch
wesentliche Aspekte einer nachhaltigen Gesellschaft
und dienen zugleich der Völkerverständigung.
Wir alle wissen: Reisen trägt zu einer positiven Persönlichkeitsentwicklung bei. Für Kinder und Jugendliche gilt das besonders. Hier eine Teilhabe aller Kinder
und Jugendlichen zu gewährleisten, muss unser Ziel
sein. Wir können es uns nicht mehr erlauben, ganze gesellschaftliche Gruppen bzw. deren Kinder davon auszuschließen.
Für circa 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche besteht die Gefahr, aus sozialen Gründen nicht an Reisen, Klassenfahrten, Freizeiten und anderen Angeboten teilnehmen zu können. Obwohl es für Haushalte
mit besonders niedrigem Einkommen die Möglichkeit
gibt, dass der Staat die Kosten für ein- und mehrtägige
Klassenfahrten übernimmt, nehmen Jugendliche aus
einkommensschwachen Familien mit 70,4 Prozent allerdings deutlich weniger am Tourismus teil. Ebenso
erleben wir in den letzten Jahren einen deutlichen
Rückgang der öffentlich geförderten Kinder- und Jugendreisen. Die soziale Schere öffnet sich weiter. Deshalb muss sich die öffentliche Hand wieder stärker engagieren, gerade bei den geförderten Kinder- und
Jugenderholungen.
Aber wir brauchen auch faire Urlaubsangebote, wie
sie beispielsweise vom Jugendherbergswerk, von Kirchen, Sozialverbänden etc. zur Verfügung gestellt
werden. Hier wurden die Mittel für Jugendherbergen,
Bildungs- und Begegnungsstätten im laufenden Bundeshaushalt um die Hälfte auf nur noch 1,5 Millionen
Euro gekürzt. So bleiben notwendige Investitionen in
Zu Protokoll gegebene Reden
diesem Bereich auf der Strecke. Darüber hinaus werden zentrale Probleme nur angedeutet. Wichtige Fragen nach der Finanzierung, einer besseren Zusammenarbeit der Institutionen werden nicht behandelt.
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich politisch für einen nachhaltigen und regionalen Tourismus ein, der
auch faire Löhne für die im Tourismus Beschäftigen
impliziert. Nur wenn wir in unserer Gesellschaft dazu
kommen, dass Menschen für ihre Arbeit, egal in welcher Branche, auch faire Löhne erhalten, wird Menschen gleichberechtigte Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben überhaupt ermöglicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Tourismus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13397, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11588 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Die Fraktion Die Linke.
Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht
für möglich halten: Nicht nur der Präsident ist erschöpft,
sondern auch die Tagesordnung.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf morgen, Freitag, den 17. Mai 2013, 9 Uhr,
ein.
({0})
- Völlig richtig; ja, natürlich. Das kommt davon, wenn
man am Sprechzettel festhält. Die nächste Sitzung findet
schon in wenigen Stunden statt, um 9 Uhr. Ich freue
mich, Sie alle dann begrüßen zu dürfen.
Die Sitzung ist geschlossen.