Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich.
({0})
Ich möchte Ihnen, weil dies für die Ausschussberatungen wichtig ist, vorab folgende amtliche Mitteilungen zur Kenntnis bringen:
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der
Bundesregierung auf der Drucksache 17/13391 zu dem
Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für
Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt
federführend dem Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie zur Mitberatung dem Innenausschuss, dem Rechtsausschuss, dem Finanzausschuss,
dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für Arbeit und
Soziales, dem Ausschuss für Gesundheit und dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
überweisen.
Gleiches gilt für die Stellungnahme des Bundesrates
und die Gegenäußerung der Bundesregierung auf der
Drucksache 17/13392 zu dem Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU, die federführend dem Innenausschuss und zur Mitberatung dem
Rechtsausschuss, dem Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend und dem Haushaltsausschuss überwiesen werden sollen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist erfreulicherweise der Fall. Dann ist das hiermit so beschlossen, und
in den Ausschüssen kann so verfahren werden.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Berufsbildungsbericht 2013.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Frau Dr. Wanka. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Wir haben heute im Kabinett den Berufsbildungsbericht besprochen und verabschiedet.
Die duale Berufsausbildung ist ein Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Das war aus
unserer Sicht schon immer so. Das muss man in diesem
Kreis nicht näher erläutern. Trotzdem haben wir damit
sehr viel Ärger gehabt. Bei allen OECD-Vergleichen ist
Deutschland angegriffen worden, weil die duale Ausbildung nicht entsprechend bewertet wurde. Das hat sich
jetzt geändert. Wir haben eine hohe Akzeptanz für die
duale berufliche Ausbildung. Viele Staaten, nicht nur europäische Staaten, möchten die duale berufliche Ausbildung, die in Deutschland so gut funktioniert, entsprechend anwenden. Verkürzt gesagt: Die duale Ausbildung
ist ein Exportschlager Deutschlands geworden. Ein
Grund dafür ist die Arbeitsmarktrelevanz. In Deutschland liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 7,6 Prozent. In
Europa insgesamt liegt die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 23 und 24 Prozent.
({0})
In Ländern wie Spanien und Griechenland liegt sie bei
über 50, sogar über 60 Prozent. Wir sind Gott sei Dank
in einer ganz anderen Situation.
Ich möchte zwei Punkte zum Berufsbildungsbericht
nennen. Es wird eine gute Bilanz unseres Ausbildungsmarktes gezogen; er wird insgesamt gut dargestellt.
Der erste Punkt. Wir haben eine hohe Zahl an Abschlüssen. Demografisch bedingt sind es etwas weniger
junge Leute als im Vorjahr, etwa 3 Prozent. Insgesamt
haben wir aber eine sehr hohe Zahl an Abschlüssen. Der
Rückgang erfolgt vor allen Dingen zielgemäß dort, wo
wir ihn haben wollen, und zwar bei den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten. Wir wollen ja mehr betriebli30062
che Ausbildung. Besonders erfreulich ist, dass die Zahl
der Altbewerber - das sind die jungen Leute, die schon
vor zwei oder drei Jahren versucht haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen - sinkt, dass sie reduziert
wurde. Und auch der Übergangsbereich, in dem junge
Leute, die noch nicht ausbildungsfähig sind oder noch
keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, zusätzlich
qualifiziert werden, indem sie Hauptschulabschlüsse
oder anderes erwerben können, ist stark verkleinert worden. Dieser Übergangsbereich, den es über viele Jahre
gab und auch jetzt noch gibt, ist sehr teuer und führt zu
einer Verlängerung der Zeiten, in denen junge Leute
nicht ihrer Eignung entsprechend arbeiten können. Das
ist ein großer Erfolg. In diesem Übergangsbereich befinden sich jetzt über 30 Prozent weniger junge Leute als
im Jahr 2005.
Zu dieser Entwicklung haben auch Programme der
Bundesregierung beigetragen, so zum Beispiel das Programm „Abschluss und Anschluss - Bildungsketten bis
zum Ausbildungsabschluss“, welches ich klasse finde.
Im Rahmen dieses Programs werden junge Leute mit
Förderungsbedarf bereits ab der 7. Klasse angesprochen,
systematisch begleitet und motiviert, ihren Hauptschulabschluss zu machen. Ihnen wird nicht nur ein geeigneter Beruf empfohlen, sie werden auch in der ersten Zeit
begleitet. Die Zahl derer, die keinen Hauptschulabschluss machen, hat sich übrigens in den letzten Jahren
halbiert. Fünf Bundesländer haben bereits signalisiert mit anderen sind wir im Gespräch; man kann ja viele
Projekte probieren -, dass sie das Projekt „Bildungsketten“ als ständige Einrichtung in ihrem Land haben wollen. Das heißt: Ab nächstem Jahr werden diese Projekte
eventuell flächendeckend in Deutschland angeboten.
Neben der hohen Zahl der Abschlüsse ist der zweite
Punkt: Es gibt über 33 000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Dem gegenüber stehen ungefähr 15 000 junge Menschen, die noch nicht mit einem Ausbildungsplatz versorgt sind. Die Frage ist daher: Wie passen die Wünsche
der jungen Leute zu den vorhandenen Ausbildungsplätzen? An dieser Passfähigkeit wollen und müssen wir arbeiten. Die Problematik dieser Situation lässt sich erkennen, wenn man sich ansieht, wo Ausbildungsplätze nicht
besetzt sind. Unbesetzte Ausbildungsplätze finden sich
weniger in den großen, sondern eher bei den kleinen und
kleinsten Unternehmen. 40 Prozent dieser Unternehmen
sagen mittlerweile, dass sie nicht oder kaum in der Lage
sind, ihre Ausbildungsstellen mit geeigneten Bewerbern
zu besetzen. Wir verlagern deswegen unseren Schwerpunkt darauf, den kleinen und kleinsten Unternehmen zu
helfen, und starten im Herbst mit einer Modifikation des
Programms „Jobstarter“, das sich vor allem der Probleme dieser Unternehmen annimmt. Das ist sehr wichtig, weil es - das können Sie dem Bericht entnehmen im nächsten Jahr einen Peak geben wird; denn es werden
plötzlich über 17 000 junge Leute mehr für eine Ausbildung infrage kommen; danach werden die Zahlen wieder
heruntergehen. Wir müssen also das nächste Jahr intensiv nutzen, damit viele Auszubildende genau in die Betriebe, die händeringend Auszubildende suchen, gehen.
Es ist auch sehr wichtig, dass die Bundesregierung
und die Wirtschaft die jungen Leute gemeinsam unterstützen. Wir fordern aber auch auf, an die Klientel, die
für eine berufliche Ausbildung infrage kommt, heranzugehen. Die Studienabbrecher sind eine ganz wichtige
Klientel, um die sich bisher noch niemand systematisch
gekümmert hat. Damit wollen wir im Herbst beginnen.
Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von jungen Leuten, die zwar Ausbildungsplätze angeboten bekommen,
aber eben nicht aus ihrem Wunschgebiet, sodass sie dann
erst einmal ein Praktikum oder etwas anderes machen.
Genau diese jungen Leute müssen eine wichtige Zielgruppe für die kleinen und kleinsten Betriebe sein.
Insgesamt stellt der Bericht eine gute Bilanz dar.
Diese gute Bilanz ist eine Bestätigung für den Erfolg der
vielen Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Das ist ein
guter Ausgangspunkt, um zu überlegen, wie man die
noch kritischen Punkte angehen kann.
Danke schön.
Mir liegen eine Reihe von Wortmeldungen vor. Ich
gebe zunächst dem Kollegen Brase das Wort.
Frau Ministerin, herzlichen Dank für den Bericht. Die
von Ihnen angesprochenen Daten kann und muss man sicherlich bestätigen, auch wenn ein Rückgang um 3 Prozent bei den Ausbildungsverträgen nicht gerade gut ist.
Was uns stutzig macht, ist, dass der Präsident des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Herr
Schweitzer, kürzlich ausführte - ich glaube, es war heute
Morgen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen -,
dass er mit den Aktivitäten der Politik bezüglich des
Übergangsbereichs sehr unzufrieden ist. Er sagte, wir
könnten sofort 100 000 junge Leute aus diesem Bereich,
die sich in schulischen oder in BvB-Maßnahmen befinden, direkt in Berufsqualifizierung bzw. -ausbildung
übernehmen. Sie haben das im Ausbildungspakt beschrieben. Es steht auch in den Stellungnahmen des
Hauptausschusses beim BIBB, dass der Maßnahmendschungel im Bereich des Übergangs von Schule in Ausbildung endlich bereinigt werden muss. Ihre Ausführungen dazu empfinde ich als unbefriedigend.
Meine Frage ist: Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Vielfalt von über 100 Maßnahmen von
Bund, Ländern und Kommunen endlich abzubauen, damit wir tatsächlich weiterkommen und den Jugendlichen
eine reale Perspektive, nämlich einen Ausbildungsplatz,
geben können?
Für die weiteren Fragen erlaube ich mir die Anregung, dass die Frage nach den einleitenden Bemerkungen möglichst vor Ablauf der Minute gestellt wird und
nicht kurz danach.
({0})
Frau Ministerin, bitte schön.
Sie sagen nicht zu unrecht, dass es eine Vielzahl von
Maßnahmen gibt. Es ist auch unser Anliegen, sie zu konzentrieren, damit es nicht so unübersichtlich ist. Die
Konzentration sieht so aus: Wir befinden uns in dem
Prozess, die effektiven, besonderen Maßnahmen, wie
zum Beispiel „Bildungsketten“, zu verstetigen, sodass
sie zu herausragenden Maßnahmen werden. Wir sind
auch mit den Kammern und anderen im Gespräch. Denn
ein Teil der Finanzierung dieser Maßnahmen wird über
EU-Mittel gewährleistet. Es ist jetzt sozusagen in der
Planung, wie man für die neue Förderperiode Programme strickt; es soll jedenfalls weniger Programme
geben und dadurch das Ganze übersichtlicher werden.
Wir arbeiten also in diese Richtung und wollen das genau so, wie angedeutet, machen.
Herr Rupprecht.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihr Bericht ist eine
großartige Botschaft an die jungen Menschen in unserem
Lande. In Zeiten - Sie haben es ausgeführt -, in denen in
anderen Ländern Europas 60 Prozent der jungen Menschen ohne Arbeit sind, ohne Lehre sind,
({0})
wird die Situation der deutschen Jugendlichen immer
besser. Das ist in der Tat eine große Erfolgsgeschichte.
Sie haben aber auch das Thema „Altbewerber“ angesprochen. Sie haben angesprochen, dass die Zahl der
Altbewerber reduziert wurde. Meine Frage an Sie ist
nichtsdestotrotz: Mit welchen Instrumenten wurde diese
Verbesserung auch vonseiten des Bundes bewirkt, und
was ist in den nächsten Jahren für diesen Bereich geplant?
Der Bereich der Altbewerber ist einer, der uns viele
Sorgen gemacht hat und in dem über Jahre hinweg keine
Bewegung erkennbar war. Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, waren sehr individuell und zielgerichtet; sie
wurden auf unterschiedlichste Gruppen ausgerichtet.
Zum Beispiel wurden ältere Menschen, sogenannte Seniorexperten, für die Beratung, für die Unterstützung
und die Motivation gewonnen; das gehört zum Bereich
der Bildungsketten. Genau in diese Richtung wollen wir
weitergehen.
Der Aussage, dass der Rückgang der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 3 Prozent traurig
ist, halte ich entgegen: Man muss auch die demografische Entwicklung vor Augen haben: Wenn wir weniger
junge Leute haben, dann spiegelt sich das natürlich auch
in der Zahl der Ausbildungsverträge wider, die abgeschlossen oder nicht abgeschlossen werden.
Der Weg ist ganz klar: auf dem bisher eingeschlagenen Weg weitergehen, mit Maßnahmen, um die Einzelnen vor allem zielgerichtet und individuell zu unterstützen.
Frau Kollegin Hein.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin erwähnt, dass es
zunehmend freie Ausbildungsstellen gibt. Nun weiß ich,
dass es da in den östlichen Bundesländern in der Tat in
den letzten Jahren eine entsprechende Entwicklung gegeben hat und andere Verhältnisse als in den westlichen
Bundesländern herrschen. Können Sie vielleicht einmal
quantifizieren, wie sich die Situation bei den freien Ausbildungsplätzen in Ost und West gestaltet und wo Sie die
Ursachen für die entsprechende Entwicklung sehen?
Wir hatten in den neuen Bundesländern schon vor
Jahren die Situation, dass sich die Zahl derer, die für einen Ausbildungsplatz infrage kommen, stark reduziert
hat. Es gibt dort intensive Maßnahmen vieler Betriebe,
auch von Handwerksbetrieben; man geht dort in die
Schulen und versucht, junge Menschen für Ausbildung
zu gewinnen. In den alten Bundesländern hat sich die Situation erst jetzt hin zu einem Mehr an freien Plätzen
verändert.
In den neuen Bundesländern gibt es auch im Bereich
der außerberuflichen Ausbildung ein sehr großes Interesse. Wir wollen dort eine Stärkung der betrieblichen
Ausbildung hinbekommen.
Der Anteil derer schließlich, die nicht in Ausbildung
sind, ist in den neuen Bundesländern immer noch höher
als in den alten Bundesländern.
Kollege Kamp.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
haben dargelegt, dass die Zahl der unversorgten Bewerber sehr hoch ist. Wir haben jetzt eigentlich einen Bewerbermarkt und zugleich eine sehr große Lücke. Für
mich stellt sich die Frage: Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die Wirtschaft bei der Fachkräftesicherung zu
unterstützen?
Dafür gibt es eine Reihe von Maßnahmen, etwa die
Programme, die auf Passfähigkeit setzen. Es ist immer
wieder ein großer Mangel, dass für entsprechende Berufe nicht die geeigneten Personen geworben werden,
weil im Hinblick auf neue Berufe viel Unkenntnis
herrscht. Es gibt entsprechende Programme bei der BA,
unter anderem im Rahmen von „Jobstarter“.
Für mich ist auch ganz wichtig, dass wir eine hohe
Flexibilität im Hinblick auf akademische und berufliche
Ausbildung schaffen. Das, was wir in den letzten Jahren
gemacht haben, nämlich dafür zu sorgen, dass in allen
Bundesländern Studieren und berufliche Ausbildung
gleichermaßen möglich sind, ist gerade für den Mittelstand sehr wichtig. Denn man gewinnt leichter einen guten Bewerber - der Mittelstand sucht ja gute Bewerber -,
wenn der Bewerber weiß: Ich kann jetzt eine Tischlerlehre machen und dann, wenn ich zu der entsprechenden
Erkenntnis komme oder es will, später ohne Hemmschwellen an die Hochschule gehen. Das heißt, wir motivieren junge Menschen nicht, sofort um jeden Preis zu
studieren; vielmehr sollen sie sich überlegen: Was ist für
mich der richtige Weg?
Wir stehen im Moment auch vor folgender Situation:
Wir haben auf der einen Seite sehr viele Studierende, auf
der anderen Seite haben wir aber leider gerade in den
technischen Disziplinen zu hohe Abbrecherquoten. Es
gibt Bemühungen vonseiten einzelner Handwerkskammern oder Industrie- und Handelskammern, auf diejenigen zuzugehen, die ein Studium abbrechen. Jemand, der
fünf Semester Maschinenbau studiert hat und dann abbrechen muss, weil er durch die Matheprüfung gefallen
ist, ist durch seine im Studium erworbenen Fähigkeiten
für die duale Ausbildung geeignet. Das heißt, die Leistungen, die er im Studium erbracht hat, müssten anerkannt werden, sodass er in verkürzter Form zum Beispiel
einen beruflichen Abschluss machen kann. Wir haben
mit dem BIBB versucht, unsere entsprechenden Vorstellungen in ein Programm zu gießen. Es wird im Herbst
starten. Wir wollen es begleiten, wie auch andere Versuche, die es bundesweit gibt.
Frau Ministerin! Die Uhr.
Ja, ich habe nicht hingeguckt; aber Sie haben recht,
Herr Präsident. - Das waren zwei Maßnahmen.
Geradeaus.
Klar, ich sehe es.
Kollege Gehring.
Frau Ministerin, Sie haben das Thema „Warteschleifen“ angesprochen. Hier sehe ich weder Erfolg noch Anlass zur Entwarnung; denn laut Berufsbildungsbericht
2013 befinden sich weiterhin rund 250 000 Jugendliche
in diesen Warteschleifen. Die damalige Bundesministerin Schavan hat hier im Plenum des Deutschen Bundestages am 17. Januar dieses Jahres angekündigt:
Unser Ziel muss sein, in den nächsten zwei, drei
Jahren ist das Übergangssystem auf null zu bringen,
das heißt, eine wirkliche Korrespondenz zu gewährleisten: Schulabschluss und dann Einstieg in
die duale Ausbildung.
Steht die Bundesregierung zu dieser Aussage, das
Übergangssystem in den nächsten zwei bis drei Jahren
auf null zu bringen? Machen Sie sich als Ministerin
diese Aussage zu eigen? Wenn ja, wie wollen Sie sie
umsetzen? Falls nein, warum nicht?
Wir haben im Übergangssystem riesige Erfolge erzielt - ich habe es vorhin erwähnt -: In ihm befinden
sich 35 Prozent weniger als im Jahr 2005; das sind Hunderttausende von jungen Menschen.
({0})
Gerade Warteschleifen, die im Übergangssystem gedreht
werden, wollen wir abbauen bzw. reduzieren. Da bin ich
mit Annette Schavan ganz einer Meinung. Das Übergangssystem ist aber sinnvoll und wird auch noch einige
Zeit interessant bleiben, weil wir so die individuelle Förderung Einzelner gewährleisten können, damit sie zum
Beispiel ihren Hauptschulabschluss oder Ähnliches
nachholen können.
Das heißt, ich bin gemeinsam mit Annette Schavan
der Meinung, dass wir Warteschleifen, die im Übergangssystem gedreht werden, auf null drücken wollen.
Zur individuellen Unterstützung Einzelner brauchen wir
allerdings auch in Zukunft in bescheidenem Maße ein
Übergangssystem.
Kollege Rossmann.
Frau Ministerin, wir singen mit Ihnen gerne das Hohelied auf die duale Ausbildung. Wir lesen in dem Bericht mit Schrecken, dass die Quote der Betriebe, die
ausbilden, noch einmal gesunken ist, und zwar nun auf
21,7 Prozent. Das ist der schlechteste Wert seit 1999 unter Schwarz-Gelb erreicht! Wie lautet Ihre politische
Antwort auf die Tatsache, dass wir eine höhere Ausbildungsbereitschaft bei den Betrieben brauchen? Was wollen Sie tun: von Verbundausbildung bis hin zu Branchenumlagen und Ähnlichem? Was ist Ihre schwarzgelbe Antwort auf diesen Tiefstand, jedenfalls seit 1999,
bei der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe?
Auch wir wollen, dass die Quote der ausbildenden
Betriebe steigt. Das haben wir im Nationalen Pakt für
Ausbildung auch so festgehalten.
({0})
Wir müssen bei den Betrieben eine Differenzierung in
Großbetriebe und Kleinbetriebe vornehmen. Die momentane Situation ist folgende: Viele der Kleinbetriebe
sind demotiviert, weil sie über Jahre Ausbildungsplätze
angeboten haben, diese aber nicht besetzen konnten.
Jetzt resignieren sie. Deswegen startet im September
eine Initiative, die dafür sorgen soll, die Motivation speziell dieser Betriebe, Ausbildungsplätze zu schaffen,
massiv zu erhöhen. Ihnen sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie an gute oder überhaupt an Auszubildende kommen. Das wollen wir mit Bildungsketten
und anderen Maßnahmen erreichen. Wir wollen also gerade Jugendliche mit Förderbedarf und jugendliche Migranten zielgerichtet motivieren, in Richtung handwerkliche Ausbildung oder anderes zu gehen.
Wir erwarten, dass auch die Wirtschaft entsprechend
reagiert; denn wenn die duale Ausbildung das Rückgrat
unseres Systems ist, dann ist es wichtig, dass über die
Jahre genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden.
({1})
Kollege Schipanski.
Frau Ministerin, Sie haben Ausführungen zu den Programmen im Zusammenhang mit Bildungsketten gemacht und gesagt, dass Sie auf Prävention statt auf Reparatur setzen. Das umfasst die Potenzialanalyse, die
Berufseinstiegsprogramme und die Berufsorientierung.
Welchen Beitrag leisten denn die Bundesländer, um
diese Berufsorientierungsprogramme, die der Bund als
Pilotprojekt aufgelegt hat, bundesweit dauerhaft zu verstetigen?
Wir kooperieren gut mit den Ländern in einer BundLänder-Arbeitsgruppe. Die Bereitschaft der Bundesländer, zum Beispiel von Bayern, Baden-Württemberg und
Hessen, ist vorhanden. Man will dort Bildungsketten fest
etablieren und ist bereit, sich in diesem Bereich zu engagieren. Die Länder haben erkannt, dass dies eine sehr effektive Maßnahme ist, und sie wollen sich entsprechend
engagieren bzw. für eine Verstetigung sorgen.
Frau Kollegin Alpers.
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass sich der Berg
der Altbewerber kontinuierlich abbaut. Wir wissen, dass
nur zwei Drittel der Ausbildungsinteressierten einen
Ausbildungsplatz erhalten. Das ist die Einmündungsquote. Die Angehörigen einer besonderen Gruppe - es
geht um die Menschen mit Migrationshintergrund - erhalten bei gleichen Abschlüssen aber nur halb so oft eine
Ausbildungsstelle. Wir haben insgesamt über 2 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, damit wir diese beiden Knackpunkte endlich, wie schon
lange angekündigt, in den Griff bekommen? Mir geht es
also zum einen um die Menschen mit Migrationshintergrund und zum anderen um die Menschen, die schon seit
Jahren ausgeschlossen sind.
Wir haben für die Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die keinen beruflichen Abschluss haben, ein Programm konzipiert. Es sollen 100 000 Ausbildungsplätze
für diese Klientel geschaffen werden. Das zeigt, dass wir
diese Menschen ganz besonders im Blick haben. Durch
dieses speziell entwickelte Programm sollen diese Menschen, die vor vielen Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben - Sie können ja mal ausrechnen, wann
jemand, der jetzt 30 Jahre alt ist, keinen Ausbildungsvertrag bekommen hat -, nachqualifiziert werden bzw. eine
Ausbildung absolvieren können, wenn sie es denn wollen. Dieses Programm startet jetzt.
Die Situation der Absolventen mit Migrationshintergrund ist - diesbezüglich haben Sie recht - im Vergleich
zu den deutschen Absolventen schlechter. Die Tendenz
ist aber positiv. Schon im vorletzten Bildungsbericht haben Bund und Länder analysieren lassen, wie es bei den
jungen Männern und Frauen mit Migrationshintergrund
aussieht. Die Tendenz ist positiv; das heißt, die ergriffenen Maßnahmen beginnen langsam zu wirken. In diesem
Zusammenhang ist aber auch das Engagement der Wirtschaft wichtig. Wenn sie sagt, dass 33 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, muss sie auch bereit
sein, junge Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen. Ich glaube, an dieser Stelle ist auch die Wirtschaft gefordert.
Kollege Kaczmarek.
Frau Ministerin, Sie haben gerade das Verhältnis zwischen unbesetzten Stellen und unversorgten Bewerbern
angesprochen. Ich habe mir stichwortartig notiert: Die
Passfähigkeit muss erhöht werden. Ich würde gerne
nachfragen, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen,
um Bewerber und Stellen besser zusammenzubringen.
Ich möchte auch nach der hohen Zahl der Ausbildungsabbrüche fragen, die damit vielleicht in Zusammenhang steht. Haben Sie konkrete Maßnahmen geplant, um diesbezüglich gegenzusteuern?
Bei der Passfähigkeit geht es nicht in erster Linie bzw.
nicht nur um junge Menschen mit speziellem Förderbedarf - ich sage das, weil man den Fokus häufig auf diese
Klientel richtet -, sondern auch um junge Menschen mit
guten Schulabschlüssen, zum Teil sogar sehr guten
Schulabschlüssen. Das große Informationsdefizit bezüg30066
lich einer Vielzahl der Berufs- und Einsatzmöglichkeiten
führt dazu, dass viele Berufe nicht gewählt werden, obwohl sie beste Chancen für die Zukunft bieten. Dem
kann man nur durch ein sehr viel besseres Informationsangebot begegnen. Für dieses Informationsdefizit kann
man nicht die Schule verantwortlich machen. Es geht
vielmehr um das Angebot der Jobcenter. Es geht um Potenzialanalyse und spezielle Angebote. Das heißt, diese
Situation kann man nur mit einem hohen Kommunikationsaufwand verbessern. Das ist nämlich ein schwieriges Thema. Viele Eltern und Großeltern kennen viele
Berufe nicht und wissen nicht, welcher Beruf geeignet
wäre. Ich könnte ein schönes Beispiel nennen, aber dann
schimpft der Präsident.
Nein, nächstes Mal. - Kollege Schummer.
Ich wollte nach dem Beispiel fragen, das Sie gerade
nennen wollten.
({0})
Wenn ich nicht wüsste, dass sich der Kollege
Schummer vor etwa 20 Minuten zu Wort gemeldet hat,
könnte man dies natürlich für eine Vereinbarung halten.
Intuition, verehrter Herr Präsident. - Es war ja ein
wichtiger Erfolg, dass im Qualifikationsrahmen die
Gleichwertigkeit der dualen Ausbildung mit der akademischen Ausbildung festgelegt wurde. Erste Frage: Welche Maßnahmen gibt es denn vonseiten der Bundesländer, um in den Gymnasien die Möglichkeit einer dualen
Ausbildung stärker zu propagieren? Zum Zweiten: Wie
sehen Sie die Übertragung des Prinzips der dualen Ausbildung auf das duale Studium?
Zur ersten Frage: Es gibt bereits eine Imagekampagne
mit dem Titel „Berufliche Bildung - praktisch unschlagbar“, die unser Haus gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium aufgelegt hat und mit der wir für die
duale Ausbildung werben. Die Möglichkeiten, die man
hat, haben sich erhöht, seitdem man auch ohne Abitur
studieren kann, wenn man eine entsprechende berufliche
Qualifikation hat.
Was die einzelnen Bundesländer machen, um jungen
Leuten dies zu ermöglichen, ist sehr unterschiedlich. Duale Studiengänge, bei denen man im Rahmen des Studiums auch einen beruflichen Abschluss erwirbt, habe
ich als Landesministerin immer sehr präferiert. Im Rahmen des Hochschulpakts hatte sich Annette Schavan
sehr dafür eingesetzt, dass die Anzahl dieser Studiengänge erhöht wird. Das liegt im Interesse der Wirtschaft,
und auch einzelne Länderministerien setzen sich dafür
ein. Da wir jetzt beim Hochschulpakt vereinbart haben,
dass zusätzliche Gelder an die Hochschulen gehen, kann
dies auch realisiert werden. Man kann neue Studienangebote mit praktischem Bezug etablieren, weil frisches
Geld in die Hochschulen kommt.
Kollege Brase.
Frau Ministerin, Sie haben davon gesprochen, dass
die Unternehmen teilweise nicht genügend Auszubildende finden, um ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.
Auf der anderen Seite sind immer noch über 250 000 Jugendliche im Übergangsbereich zwischen Schule und
Ausbildung. Gleichzeitig gibt es Branchen, in denen die
Abbrecherquoten bei den Auszubildenden sehr hoch
sind. Was will und wird die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Partnern machen, damit in diesen
Branchen, zum Beispiel im Hotel- und Gaststättenbereich und im Sicherungsbereich, die Zahl der Abbrüche
verringert wird? Dadurch gäbe es automatisch wieder
mehr Stellen, die zu besetzen sind.
Nochmals: Herr Schweitzer hat ausgeführt, dass
100 000 dieser jungen Leute direkt eine Ausbildung oder
betriebliche Einstiegsqualifizierung beginnen könnten,
wenn die Mittel für BvB-Maßnahmen und Berufsfachschulen gekürzt werden. Was macht die Bundesregierung?
Herr Schweitzer kann das gerne so sehen. Die jungen
Leute, die im Übergangssystem sind, stehen zur Verfügung. Man kann sie ansprechen, die Wirtschaft kann sie
ansprechen, man kann ihnen Angebote machen. Diese
jungen Leute warten darauf und würden sich darüber
freuen.
({0})
Ich habe bereits versucht, auszuführen, was wir vonseiten der Bundesregierung machen. Wir wollen zum einen die Vielzahl von Programmen reduzieren. Ich habe
zum anderen immer wieder auf ein Programm, das besonders effektiv ist, hingewiesen; dieses wollen wir flächendeckend einführen. Ich denke nämlich, gerade für
bestimmte junge Leute - dabei geht es nicht nur um
schulische Qualifikationen, sondern zum Teil auch um
Werteinstellungen, um Fleiß, um Pünktlichkeit und anderes - ist individuelle Unterstützung nötig. Wenn sie
nicht vom Elternhaus kommt, dann durch Seniorberater
und andere. Das sind die Instrumente, die wir haben.
Ganz entscheidend bei der Vermittlung von Haltungen
ist das Elternhaus. Die jungen Leute müssen eben bereit
sein, sich in einer beruflichen Ausbildung an die Regeln
zu halten. Man muss auch Forderungen an sie stellen
und darf nicht immer nur fragen, welche Hilfspakete es
gibt. Im Moment befinden sich die jungen Leute in einer
idealen Situation. Es gibt viel mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als junge Leute. Erinnern Sie sich einmal
daran, wie die Situation zu Ihrer Zeit war. Das sah die
Situation ganz anders aus.
({1})
- Mit „Ihrer Zeit“ meine ich natürlich die Zeit Ihrer Regierung. Das andere kann ich nicht beurteilen.
Ich sage jungen Leuten, egal ob sie studieren oder etwas anderes machen, immer wieder, dass sie in einer privilegierten Situation sind. Daraus müssen sie etwas machen. Dazu müssen sie den Willen haben. Wenn Herr
Schweitzer uns 100 000 aus dem Übergangsbereich abnehmen will, damit diese dann nicht mehr in Warteschleifen sind, dann freuen sich Annette Schavan und
ich darüber, weil das Ziel dann schneller erreicht wird.
({2})
Frau Canel.
Mein Kollege Herr Professor Neumann hatte sich vor
mir gemeldet. Ich bin jetzt etwas irritiert, dass ich zuerst
dran bin.
({0})
Den Möglichkeiten des amtierenden Präsidenten sind
fast keine Grenzen gesetzt.
({0})
Bitte schön.
Okay. - Wir haben ja ein wunderbares Berufsbildungssystem. Aufgrund der erfolgreichen Arbeit, die Sie
machen, wirkt unser Berufsbildungssystem über die
deutschen Grenzen hinaus. Welchen Einfluss haben wir
europaweit im Hinblick auf unser sehr gutes Berufsbildungssystem?
Wir werden umworben, und man will die Erfahrungen, die wir mit diesem System gemacht haben, kennenlernen. Im Dezember letzten Jahres fand eine Konferenz
statt, auf der vor allen Dingen die europäischen Länder,
die in einer schwierigen Situation sind, etwa Spanien
und Griechenland, dringend um Unterstützung gebeten
haben. Dabei ging es um die Herstellung von Kontakten
in den jeweiligen Ländern, um Überlegungen, ob deutsche Firmen dort duale Ausbildung anbieten können,
und um die Frage, wie das mit Blick auf die Kammern,
falls sie dort vorhanden sind, funktionieren kann. All das
geschieht im Moment. Das heißt, aus deutscher Sicht ist
unser Berufsbildungssystem ein Exportschlager. Der Export dualer Ausbildung soll nicht nur vom BMBF ausgehen, sondern auch vom Auswärtigen Amt und am besten
von der ganzen Bundesregierung, weil wir glauben, dass
dies ein wichtiger Schritt auch zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist.
Es kommt immer darauf an, ein System zu entwickeln,
das zum jeweiligen Land passt. Man kann unser System
nicht eins zu eins exportieren, weil die Ausgangsbedingungen in anderen Ländern ganz andere sind. Es muss darum gehen, die guten Aspekte der dualen Ausbildung in
anderen Ländern zu implementieren. Private deutsche
Bildungsanbieter und Firmen vor Ort haben daran ein Interesse. Eine wichtige Klientel sind darüber hinaus die
deutschen Firmen in den entsprechenden Ländern.
Der Kollege Gehring stellt die nächste Frage.
Vielen Dank. - 2008 fand ja der Dresdner Bildungsgipfel statt. Dort ist beschlossen worden, die Quote der
unter 30-Jährigen ohne Berufsabschluss bis 2015 auf
8,5 Prozent zu halbieren.
({0})
Den Zahlen des letzten Datenreports zufolge haben immer noch 15 Prozent der unter 30-Jährigen keinen Berufsabschluss. Das sind ungefähr 1,44 Millionen junger
Menschen, die damit auch erheblich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Frau von der Leyen hat angekündigt, 100 000 Personen eine Nachqualifizierung zu ermöglichen, Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Genau.
- 100 000 der 1,44 Millionen Menschen. Der Pressemitteilung auf der Internetseite des BMAS ist zu diesem
Thema nicht allzu viel zu entnehmen. Deshalb wüsste
ich gerne, ob die Bundesregierung weiterhin das Ziel
verfolgt, die Quote der unter 30-Jährigen ohne Berufsabschluss bis 2015 auf 8,5 Prozent zu halbieren, wie sie
dieses Ziel erreichen will und welche Maßnahmen Sie
ganz konkret ergreifen werden und wollen, um dieses
Ziel noch zu erreichen.
Eine gute Basis bildet die eben genannte Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen. Vor einigen Jahren war das
nicht so. Zum damaligen Zeitpunkt konnte man nicht sagen: Es gibt viele Stellen. Bewerbt euch! Kümmert euch
darum! Wir geben euch Unterstützung, damit ihr in die
Lage versetzt werdet, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. - Das 100 000-Stellen-Programm ist ein Vorhaben,
das die Bundesregierung gemeinsam trägt. Ich sage es
noch einmal ganz deutlich: Denjenigen, die jetzt 30 Jahre
alt sind, ist vor zwölf, dreizehn Jahren keine Ausbildungsmöglichkeit gegeben worden. Es ist nicht einfach,
dies zu reparieren. Das erfordert einen hohen Aufwand.
({0})
Ich bin sehr froh, dass im Bundesbildungsbericht
deutlich zum Ausdruck kommt, dass die jungen Leute,
die jetzt ihren Schulabschluss machen, mit viel höherer
Wahrscheinlichkeit einen Ausbildungsplatz bekommen
und damit bessere Möglichkeit haben. Wir arbeiten systematisch daran, die genannte Quote zu senken. Aber das
ist ein schwieriges Vorhaben. Wichtig ist auch, dass diejenigen, die in Arbeit sind - sie sind ja nicht arbeitslos;
sie sind in Arbeit -, eigene Bereitschaft zeigen und sagen: Ich will einen Ausbildungsabschluss. - Wir wollen
sie nicht dazu zwingen.
Kollege Neumann.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben vorhin erwähnt, dass über 50 Prozent eines Altersjahrganges ein
Studium aufnehmen; das ist eine gute Sache. Sie haben
auch davon gesprochen, dass Abbrecher für die berufliche Bildung geworben werden könnten. Welche Maßnahmen - hier kommt der Begriff „Attraktivität“ ins
Spiel - ergreift die Bundesregierung zur Steigerung der
Attraktivität der beruflichen Bildung?
Ich glaube, dass an dieser Stelle die Imagekampagnen, in deren Rahmen für die berufliche Bildung geworben wird, eine wichtige Rolle spielen. Jeder, der
heute ein Studium beginnt oder abschließt, weiß, dass
dies die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist,
die beste Aussicht auf ein relativ hohes Einkommen bietet etc. Man muss also mit dem, was die berufliche Ausbildung bietet, werben. Das tun wir im Rahmen verschiedener Imagekampagnen.
Die heutige Situation ist so, dass sich viele junge
Leute, die ein Studium abbrechen, erfolgreich etwas anderes suchen, dass man sich aber nicht systematisch um
sie kümmert. Mir ist wichtig, dass die Betriebe davon erfahren, wenn es vor Ort beispielsweise zehn Maschinenbauer oder Elektrotechniker gibt, die aber kein Studium
absolvieren wollen. Ihnen muss man dann konkrete Angebote machen; um diese jungen Menschen muss man
sich kümmern.
Wir haben auch im Rahmen der Arbeitsgruppen des
Demografiegipfels darüber beraten. Bei diesem Thema
müssen eben alle zusammenarbeiten. Das kann die Bundesregierung nicht allein leisten. Da sind die Hochschulen gefragt - sie müssen sich kümmern um Studierende,
die die Hochschule verlassen -, da sind die Kammern
gefragt, da ist die Wirtschaft insgesamt gefragt, da
braucht es eine breite Basis.
33 000 unbesetzte Stellen, dieser Druck ist bei der
Wirtschaft angekommen. Deswegen ist die Bereitschaft,
sich auf diese jungen Leute einzurichten, jetzt ausgeprägter als noch vor einigen Jahren.
Frau Hein.
Frau Ministerin, Sie hatten vorhin die Bildungsketten
erwähnt. In diesem Zusammenhang wollte ich noch einmal nach den Berufseinstiegsbegleitern fragen. Frau
Schavan hat ja immer blumig betont, dass diese Berufseinstiegsbegleiter helfen, gute Lösungen zu finden.
Möglicherweise ist das so. Ich wüsste gern: Wie viele
Berufseinstiegsbegleiter sind derzeit tatsächlich unterwegs? Wie viele davon sind vollzeitbeschäftigt, und wie
viele sind ehrenamtlich tätig?
Frau Schavan mag das blumig beschrieben haben;
aber sie hat völlig recht: Die Berufseinstiegsbegleiter
sind ganz wichtig, weil sie individuelle Betreuung bieten. Wir wollen, dass diese Berufseinstiegsbegleiter flächendeckend zur Verfügung stehen. Im Moment sind
über 2 000 beschäftigt; wie viele davon in Teilzeit, muss
man schauen. Dazu kommen die Seniorberater, die auch
eine wichtige Funktion haben.
Kollege Rossmann.
Frau Wanka, Sie pflegen in diesem Pingpongspiel ja
eine schnelle Rückhand.
Danke.
Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie die Erfahrungen mit den sogenannten Ausbildungsbausteinen von
Jobstarter Connect bewerten - es gab ja bis in den Haushaltsausschuss und den Haushaltsprüfungsausschuss hinein viel Kritik daran, was Aufwand und Ertrag dieser
Kampagne für Bildungsbausteine für die Berufsbildung
angeht - und welche Konsequenzen Sie daraus in Bezug
auf die künftige Konzeption der Berufsbildungspolitik
ziehen.
Natürlich fließt alles, was wir analysieren und evaluieren, in neu zu konzipierende Maßnahmen ein. Die
schnelle Rückhand kann ich an dieser Stelle nicht bieten.
Wie die konkrete Evaluation in diesem Punkt aussieht,
kann ich im Moment nicht sagen; Sie bekommen das
nachgeliefert.
({0})
- Da schauen wir auch drauf.
Ich habe noch die beiden Wortmeldungen vom Kollegen Schipanski und von Frau Alpers notiert; ich hoffe,
niemanden übersehen zu haben. Damit wären wir auch
etwa in unserem Zeitrahmen und könnten dann diesen
Teil der Regierungsbefragung abschließen.
Bitte schön, Herr Kollege Schipanski.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, in dieser Woche sind
die Wirtschaftsjunioren im Deutschen Bundestag zu
Gast. Wir hatten gestern eine spannende Diskussion über
Berufsorientierung. Die jungen Unternehmer beklagen
oftmals die mangelnden Kernkompetenzen junger Absolventen in Schreiben, Rechnen, Lesen. Man hat festgestellt, dass die Berufsorientierung nicht dazu geeignet
ist, mangelnde Kernkompetenzen von Schülern auszugleichen. Daraus ergibt sich für mich die Frage, ob der
Bundesregierung bekannt ist, wie die Bundesländer - sie
sind letztendlich dafür zuständig - mit diesen mangelnden Kernkompetenzen umzugehen beabsichtigen.
Diese Klage ist nicht neu; sie wird schon erhoben, solange ich denken kann. Es mag - das kann man nicht abstreiten - individuelle Erfahrungen mit diesem oder jenem Bewerber gegeben haben.
Die Wirtschaft hat sich aber immer auch auf die Ergebnisse der PISA-Studien berufen, denen zufolge Lesekompetenz und Mathematikkompetenz weit unter dem
Durchschnitt lägen. In diesen Bereichen haben die Bundesländer Enormes erreicht: Es ist ein großer Erfolg,
dass wir mittlerweile den OECD-Durchschnitt mindestens erreicht haben. Zum Beispiel in Mathematik liegen
wir sogar über dem Durchschnitt. Das heißt, einen handfesten Beleg für dieses Klagen kenne ich nicht.
Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Zahl derer,
die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, in
den letzten Jahren fast halbiert wurde. Der Bund weiß
also, dass die Länder an dieser Stelle auch aktiv sind.
Frau Alpers.
Danke. - Frau Wanka, Sie haben vorhin betont, die
duale Ausbildung sei ein Exportschlager. Sie haben den
Schwerpunkt darauf gelegt - so war es auch bei Staatssekretär Fuchtel in Griechenland -, dass entsprechend der
Situation vor Ort das Theorie-Praxis-Verhältnis erhöht
wird.
Nun gibt es tatsächlich aber auch eine große Bewegung, Auszubildende - ich sage das in Gänsefüßchen „zu importieren“. Welche Strategie fährt die Bundesregierung hier? Soll mehr direkt vor Ort in den jeweiligen
Ländern mit Perspektiven oder mehr hier ausgebildet
werden? Wie ist das Verhältnis, und wie ist Ihre Strategie?
Beides ist wichtig. Das gilt insgesamt für die Fachkräftesicherung und nicht nur bezogen auf die Ausbildung. Man kann die Probleme nicht mit einem Instrument sozusagen erschlagen, sondern wir brauchen hier
auch einen qualifizierten Zuzug aus anderen Ländern.
Gleichzeitig müssen wir uns aber auch um jeden in unserem Land bemühen.
Zum Export der Lehrlingsausbildung möchte ich
noch etwas sagen. Ich habe vorhin die Konferenz erwähnt, die im vergangenen Dezember stattgefunden hat.
Diese Konferenz war sozusagen die Initialzündung dafür, zu sagen: Wir gehen eine europäische Allianz zur
Lehrlingsausbildung ein. - In Kürze - im Sommer werden wir in Leipzig die Berufsweltmeisterschaft erleben. Dort wird diese Allianz aus der Taufe gehoben. Das
heißt, das ist ein Miteinander. Dort wird nicht irgendetwas implantiert, sondern man agiert miteinander.
Ich glaube auch, dass die deutschen Firmen im Ausland sehr aktiv sind, die Fachkräfte, die benötigt werden,
dort auszubilden, was ich auch völlig legitim finde.
Deutschland ist Exportweltmeister. 12 Prozent aller technologieintensiven Produkte kommen aus Deutschland.
Wenn wir diese Produkte verkaufen, dann wollen wir,
dass in den entsprechenden Ländern auch die Kompetenz
für Reparaturen und für die Erneuerung vorhanden ist.
Deswegen ist es wichtig, dort Fachkräfte zu haben.
Ich finde es ebenso eine gute Maßnahme, sie temporär in Deutschland auszubilden oder nach Deutschland
zu ziehen. Das dient auch den jungen Menschen, unabhängig davon, ob sie sich dann entscheiden, in Deutschland zu leben oder in ihr Heimatland zurückzugehen,
weil ihnen das eine berufliche Qualifikation und damit
bessere Lebenschancen bietet.
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Ich darf fragen, ob es andere Fragen zu der heutigen
Kabinettssitzung gibt. - Herr Kollege Krischer.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine
Frage an die Bundesregierung. In der heutigen Kabinettssitzung sollte eigentlich eine gesetzliche Regelung
zum Thema Fracking beschlossen werden. Wie wir den
Medien entnommen haben, ist dieser Beschluss nicht erfolgt. Meine Frage lautet, ob das so zutreffend ist.
Daneben habe ich den Medien entnommen, dass Herr
Grosse-Brömer, der der Bundesregierung meines Wissens nicht angehört, hat verlautbaren lassen, dass das
Thema am 29. Mai erneut im Kabinett behandelt werden
soll. Ist das auch der Wunsch der Bundesregierung? Ist
das im Kabinett verabredet worden?
Herr Staatsminister von Klaeden.
Herr Kollege, ich kann den ersten Teil Ihrer Frage bestätigen und deswegen zu dem zweiten keine Stellung
nehmen, weil das Thema in der Kabinettssitzung eben
keine Rolle gespielt hat.
Dann darf ich nach dieser ebenso bündigen wie nachvollziehbaren Auskunft fragen, ob es unabhängig von
der heutigen Kabinettssitzung Fragen an die Bundesregierung gibt. - Das wundert mich nun wiederum, dass es
die nicht gibt, ich stelle dies fürs Protokoll aber ausdrücklich fest.
Damit schließe ich die Befragung der Bundesregierung mit Dank an alle Beteiligten ab.
Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/13393, 17/13455 Ich werde die Fragen in der Ihnen bekannten Reihenfolge der Ressorts aufrufen, wobei ich schon jetzt insbesondere für diejenigen, die noch aus der gesicherten
Distanz ihrer Büros auf ihren Einsatz warten, darauf hinweisen möchte, dass inzwischen viele Fragen zur schriftlichen Beantwortung angekündigt worden sind, also mit
einem relativ zügigen Ablauf zu rechnen ist.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin
Volkmer auf:
Wie werden gesundheitliche Schäden entschädigt, die
Testpersonen durch Arzneimittelprüfungen in der ehemaligen
DDR erlitten haben, sollten die Ausführungen in dem Artikel
im Magazin Der Spiegel vom 13. Mai 2013 zutreffen, dass
diese Versuche ohne das Einverständnis der Probanden durchgeführt wurden?
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit Annette
Widmann-Mauz zur Verfügung. - Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Frau Kollegin Volkmer, die Frage, ob
Schadenersatzansprüche von Geschädigten oder von
Hinterbliebenen von Geschädigten, die von der an ihnen
vorgenommenen Arzneimittelerprobung keine Kenntnis
hatten, bestehen, die Frage, gegen wen sie bestehen - also
gegen die verantwortlichen DDR-Einrichtungen und/
oder die Pharmaunternehmen, die nach dem Artikel mit
diesen Stellen Vereinbarungen zur Arzneimittelerprobung trafen -, und die Frage, ob solche Ansprüche noch
nicht verjährt sind, können nur nach genauer Sachverhaltsermittlung und nur für jeden konkreten Einzelfall beantwortet werden.
Aus diesem Grund prüft das Bundesinnenministerium
derzeit eine finanzielle Beteiligung an dem vom Institut
für Geschichte der Medizin der Charité geplanten Forschungsvorhaben. Hierbei steht aus Sicht des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer die
Förderung der zeithistorischen Aufarbeitung im Vordergrund. Eine finanzielle Beteiligung setzt voraus, dass
sich auch andere Akteure, wie Ärzteverbände oder der
Verband forschender Pharma-Unternehmen, an dem Vorhaben beteiligen. Die Gespräche hierüber dauern an.
Unabhängig davon stellt sich die Frage der Durchsetzung von Ansprüchen, soweit die Verantwortung für
die Durchführung der Erprobung bei nicht mehr existierenden DDR-Einrichtungen lag. Ebenso hängt die Frage
etwaiger Entschädigungsansprüche von der jeweiligen
Konstellation des Einzelfalls und der damit verbundenen
Anwendbarkeit entsprechender öffentlich-rechtlicher
Vorschriften ab. Bei einer klinischen Prüfung, die bei
Wirksamwerden des Beitritts in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet durchgeführt wurde,
war gemäß § 120 des Arzneimittelgesetzes eine Versicherung nach § 40 Abs. 1 Nr. 8, nämlich eine Probandenversicherung, abzuschließen.
Nachfragen? - Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Es wird ja darum gehen, Vorwürfe zu belegen oder zu entkräften.
Deswegen meine Frage an die Bundesregierung: Was tut
die Bundesregierung, um relevante Akten zu sichern?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung unterstützt
alle Bemühungen, die auf die Aufklärung der gemachten
Vorwürfe gerichtet sind. Ich habe bereits berichtet, dass
das Bundesinnenministerium ein entsprechendes Gutachten vorantreiben und auch finanziell unterstützen
will. Wir werden uns auch dafür einsetzen und an alle
Verantwortlichen appellieren, was die Daten- und Aktensicherheit anbelangt, hier keine Fakten zu schaffen.
Wir prüfen derzeit, wie wir dies entsprechend unterstützen und durchsetzen können.
Zweite Nachfrage?
({0})
Dann hat der Kollege Ackermann eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Auch in der DDR gab
es ein Arzneimittelgesetz. In diesem DDR-Arzneimittelgesetz stand, dass bei der Durchführung klinischer
Prüfungen der Arzt gegenüber seinen Patienten eine
Aufklärungspflicht hat. Er muss über Wirkungen und
Nebenwirkungen aufklären. Dann muss der Patient einwilligen. Er muss sagen: Jawohl, ich möchte an dieser
klinischen Prüfung teilnehmen - oder nicht.
Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sie weiß,
ob dieses DDR-Gesetz befolgt wurde oder ob vonseiten
der SED-Führung Druck auf die Ärzte ausgeübt wurde,
nicht aufzuklären, und ohne Wissen der Patienten kliniJens Ackermann
sche Tests durchgeführt wurden, um einfach nur Westdevisen abzugreifen.
Sehr geehrter Herr Kollege Ackermann, auch diese
Frage treibt die Bundesregierung um. Genau deshalb
halten wir es für erforderlich, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben wird, um derartige Sachverhalte zu klären.
Frau Gleicke.
Schönen Dank. - Frau Staatssekretärin, Frau Kollegin
Volkmer hat nachgefragt, was die Bundesregierung tut,
um Akten zu sichern. Diese könnten bei den Pharmaunternehmen liegen, aber eben auch in den ehemaligen
DDR-Kliniken. Ich finde, dass der Handlungsbedarf sehr
groß ist. Ich möchte Sie fragen: Was ist denn da vorstellbar?
Wir wissen, dass jetzt Patientenakten aus dem Jahrgang 1983 geschreddert werden. Wie kann man das verhindern? Bis ein Gutachten erstellt ist, wird wahrscheinlich sehr viel Zeit ins Land gehen. Es wurde berichtet
- ich gehe einmal davon aus, dass das stimmt -, dass
beispielsweise die Firma Hoechst sogar schriftlich bestätigt hat, dass die Aufklärung nach damaligem DDRRecht gar nicht erfolgen musste. Solchen Dingen
müssen wir natürlich zügig nachgehen können, ohne
dass Akten verschwinden. Ich möchte Sie hier um Präzisierung bitten.
Wie Sie selbst, Frau Kollegin, schon angesprochen
haben, handelt es sich um unterschiedliche Daten, die
derzeit an unterschiedlichen Stellen vorhanden sind. Sie
haben in diesem Zusammenhang die Krankenhäuser und
die Pharmaunternehmen genannt. Auch im Bundesarchiv sind Daten und Akten eingelagert. Wie gesagt, wir
prüfen derzeit sehr intensiv, wie wir dem berechtigten
Interesse, nämlich dass jetzt keine Akten sozusagen verschwinden, nachkommen können. Wir appellieren aber
auch an alle Verantwortlichen, diesem Grundsatz jetzt
Rechnung zu tragen, und wir werden sicherlich auch in
Verantwortung des Bundesgesundheitsministeriums
alles dafür tun, dass die in unserem nachgelagerten
Bereich befindlichen Akten und von dort an das Bundesarchiv gegebenen Akten zur Verfügung stehen - auch
über die Aufbewahrungsfristen hinaus.
({0})
Frau Enkelmann.
Ich würde da gerne nachhaken, weil Appelle offenkundig nicht helfen werden. Wie groß ist denn nach
Ihrem Eindruck die Bereitschaft der betroffenen
Pharmaunternehmen, die inzwischen alle aufgelistet
sind, tatsächlich die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, und welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung,
wenn diese Bereitschaft verweigert wird? Dann gibt es
möglicherweise auch die Chance, diese Akten zum Beispiel durch eine gerichtliche Entscheidung einzuziehen.
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe gerade ausgeführt, dass wir genau diese Fragen im Moment mit
Nachdruck verfolgen und prüfen. Wir werden Sie dann
gegebenenfalls auch sehr zeitnah über das Ergebnis
informieren.
Jetzt rufe ich die zweite dringliche Frage der Kollegin
Volkmer auf:
Welche Auswirkungen ergeben sich für die in dem Artikel
im Magazin Der Spiegel vom 13. Mai 2013 genannten Arzneimittel ({0}), sofern die Ausführungen stimmen, dass die
Zulassungen der Medikamente auf Studien beruhen, die gegen
die bereits damals gültige Deklaration von Helsinki verstießen?
Frau Kollegin Volkmer, das Arzneimittelgesetz sieht
in § 30 gestufte Möglichkeiten der Rücknahme des
Widerrufs und der Anordnung des Ruhens einer Zulassung vor, wenn nachträglich bekannt wird, dass der Zulassungsantrag anfängliche Mängel aufwies. Die Möglichkeiten der zuständigen Bundesbehörde reichen von
einer obligatorischen Rücknahme in besonders schweren
Fällen - wenn etwa das Arzneimittel nicht nach dem
jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden ist - bis hin zu
einer fakultativen Rücknahme oder der Anordnung des
Ruhens nach Ermessen, wenn in den Zulassungsunterlagen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht
worden sind.
Ob ein solcher Fall bei den oben genannten Arzneimitteln vorliegt, ist derzeit nicht bekannt. Das für die genannten Arzneimittelgruppen fachlich zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat zu
der Fragestellung ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
Nach dem Recht der DDR durfte eine klinische Prüfung
nur dann vorgenommen werden, wenn der Proband
durch den Arzt ausreichend und über die Bedeutung und
den Umfang der Prüfung, den Ablauf der Prüfung und
den Ablauf der Untersuchungen sowie über mögliche
Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken aufgeklärt
und mit der Prüfung einverstanden war. Ob und inwiefern die Aufklärungen durchgeführt und die Einwilligungen erteilt wurden, kann vonseiten des BfArM nicht beurteilt werden, da diese Einwilligungen nicht in den
Zulassungsunterlagen vorliegen.
Im Übrigen macht das BfArM darauf aufmerksam,
dass die für den Wirkstoff Levoprotylin beantragten
Zulassungen zweimal wegen nicht ausreichend nachge30072
wiesener Wirksamkeit versagt wurden und keine Zulassung für ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff besteht.
Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, meine Nachfrage ist: Wird eine
Prüfung der Medikamente vorgenommen, die in der
DDR getestet worden sind und für die aufgrund der
Tests, die ausschließlich in der DDR vorgenommen wurden, die Zulassung erfolgt ist? Denn Sie haben gerade
aufgeführt, was man in einem gestuften Verfahren alles
machen kann.
Die entsprechenden eingereichten Zulassungsunterlagen, die nach deutschem Zulassungsrecht oder nach
europäischem Recht zu gelten haben, werden natürlich
überprüft. Diesen Zulassungsunterlagen ist aber nicht zu
entnehmen - das habe ich gerade ausgeführt -, ob die
Einwilligung eines Probanden in einer klinischen Studie
schriftlich erfolgt ist oder nicht. Diese Unterlagen liegen
aus datenschutzrechtlichen Gründen beim Prüfer und
stehen damit nicht der entsprechenden Zulassungsbehörde zur Verfügung.
Ich habe noch eine Frage. 1986 wurden die klinischen
Prüfungen für Zulassungsstudien in der Bundesrepublik
der amtlichen Überwachung unterstellt, und zwar durch
das Bundesgesundheitsamt. Meine Frage ist: Gab es
durch das Bundesgesundheitsamt Beanstandungen zu
klinischen Prüfungen, die in der DDR im Auftrag von
Sponsoren aus der BRD durchgeführt wurden,
({0})
oder gab es zumindest Bedenken, die nachweislich auch
artikuliert worden sind?
Frau Kollegin Volkmer, diese Frage kann ich Ihnen
heute so nicht beantworten, da mir die entsprechenden
Informationen nicht vorliegen und sich diese erst im
Zuge einer ausführlichen Auswertung ergeben können.
Weitere Zusatzfragen sehe ich nicht. Dann können
wir diesen Komplex abschließen.
Wir kommen nun zu den eingereichten mündlichen
Fragen auf der Drucksache 17/13393, die ich in der vorliegenden Reihenfolge aufrufe.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Kollegin Ursula Heinen-Esser steht
zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler
auf:
Wie will die Bundesregierung mit ihren politischen Zusagen im Bereich des internationalen Klima- und Umweltschutzes umgehen, wenn laut Bewirtschaftungsrundschreiben 2013
des Bundesministeriums der Finanzen, BMF, für den internationalen Titel 687 01 des Energie- und Klimafonds, EKF,
trotz Substitution durch die KfW Bankengruppe fast 100 Millionen Euro weniger zugewiesen werden als im Wirtschaftsplan des EKF vorgesehen?
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kollegin Frau Dr. Kofler, zu Ihrer Frage: Selbstverständlich
steht die Bundesregierung zu ihren politischen Zusagen
im Bereich der internationalen Klimafinanzierung. Bei
der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen wurde von den
Industriestaaten zugesagt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz zu mobilisieren. Die
Bundesregierung steht zu der Zusage, einen fairen Anteil
beizutragen. Darüber hinaus haben die Industriestaaten
zugesagt, in den Jahren 2010 bis 2012 30 Milliarden USDollar als Fast-Start-Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Der Anteil der Europäischen Union betrug dabei
7,2 Milliarden Euro, der Anteil Deutschlands 1,26 Milliarden Euro. Die Zusage wurde von Deutschland mit
1,29 Milliarden Euro erfüllt.
Dann hat bei der UN-Klimakonferenz in Doha
Deutschland bekannt gegeben, dass die Bundesregierung
im Jahr 2013 plant, etwa 1,8 Milliarden Euro für die
internationale Klimafinanzierung bereitzustellen. Als öffentliche bzw. aus dem Bundeshaushalt oder aus dem
Wirtschaftsplan des Energie- und Klimafonds stammende Klimafinanzierung plant Deutschland, in diesem
Jahr rund 1,74 Milliarden Euro aus den Einzelplänen
23 und 16 und dem von BMZ und BMU gemeinsam bewirtschafteten EKF-Titel 276,2 Millionen Euro bereitzustellen.
Nachfrage.
Es freut mich, wenn Mittel zur Verfügung gestellt
werden. Aber ich möchte noch eine konkrete Nachfrage
nach dem EKF stellen. Da sind für das Jahr 2013
372 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz
eingestellt gewesen. Noch im Oktober letzten Jahres hat
das Finanzministerium im Haushaltsausschuss Dokumente vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass 94 Prozent
dieser Mittel gebunden sind durch internationale Zusagen. Wenn nun nur etwa 276 Millionen Euro ausgegeben werden, dann fehlen rund 100 Millionen Euro. Dann
stellen sich folgende Fragen: Erstens. Stimmt die Aussage des Finanzministeriums nicht, dass 94 Prozent der
Mittel durch internationale Zusagen gebunden sind? Wie
ist diese Aussage zu bewerten?
Zweitens. Wenn das Finanzministerium den Haushaltsausschuss nicht angelogen hat - davon gehe ich aus -,
dann stellt sich für mich die Frage, wie die Mittel im
Hinblick auf die Differenz bei internationalen Zusagen
aufgebracht werden sollen.
Ich habe gerade ausgeführt, mit welchen Beträgen wir
exakt die internationalen Zusagen einhalten wollen. Wir
werden in zwei Bereichen aufgrund der geringeren
Mittel im EKF nicht aktiv werden können. Das betrifft
zum einen ganz neue Vorhaben - das belastet mich auch
persönlich sehr, weil das eine oder andere Projekt über
meinen Schreibtisch gegangen ist -, in die wir einsteigen
bzw. bei denen wir etwas machen wollten, für die es aber
keinerlei Zusagen gegeben hat.
Zum anderen betrifft das den Green Climate Fund, bei
dem wir uns schon in diesem Jahr finanziell engagieren
wollten. Wir müssen es allerdings nicht, weil die institutionellen Voraussetzungen des Green Climate Fund noch
nicht gegeben sind. Das heißt, es steht noch nicht fest,
welche Geberländer wie viel geben werden, sodass wir
in diesem Jahr noch keine Mittel verausgaben müssen.
Weitere Nachfrage.
Es ist schon bedauerlich, dass Sie an dieser Stelle zum
ersten Mal zugeben, dass die Mittel, die für den Klimaschutz schon eingeplant waren, so nicht abfließen können.
Das habe ich nicht gesagt, Frau Kollegin.
So kam das aber bei mir an.
Meine Nachfrage ist grundsätzlicher Natur. Wir als
SPD-Fraktion haben zum Thema EKF schon immer eine
andere Haltung als die Bundesregierung gehabt und begrüßen sehr, dass Sie die Mittel für den internationalen
Klimaschutz jetzt in die Einzelpläne 23 und 16 zurücküberführen. Die Frage ist: Was ist mit den anderen
Titeln, die im EKF vorhanden sind? Warum werden
diese Titel nicht in die Einzelpläne zurücküberführt?
Wie werden Sie mit der Unterfinanzierung des EKF umgehen?
Zur Klarstellung des ersten Teils: Ich habe nicht gesagt, dass gegebene Zusagen nicht eingehalten werden,
sondern ich habe gesagt, dass Projekte, die wir vielleicht
gerne gemacht hätten, für die es aber keine Zusagen gegeben hat oder Ähnliches, nicht durchgeführt werden
können aufgrund der Tatsache, dass die Mittel zurzeit
noch nicht zur Verfügung stehen. - Das nur zur Klarstellung, auch für das Protokoll.
Der zweite Punkt Ihrer Frage betraf die internationalen Mittel. Sie begrüßen - das ist sehr schön -, dass wir
diese Mittel wieder in den Haushalt zurücküberführt haben. Auch andere Positionen sind Teil des EKF. Ich habe
die Liste mitgebracht; da geht es um Elektromobilität, es
geht um das MAP, das uns als Umweltpolitiker sehr
wichtig ist, und es geht um Forschungsvorhaben im Bereich der erneuerbaren Energien. Hier gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen den eingenommenen
Mitteln, beispielsweise durch den Emissionshandel, von
dem wir alle hoffen, dass er in Zukunft besser wird, und
dem, wofür wir die Mittel verausgaben wollen.
({0})
Kollege Ott.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich
muss sagen, dass auch ich einen Lernprozess mitgemacht habe. Wir als grüne Umweltpolitiker im Verein
mit der NGO-Szene waren generell sehr angetan von
dem Instrument eines Fonds, der unabhängig von gewissen Budgetrestriktionen Klimaschutz voranbringt, mussten uns aber eines Besseren belehren lassen. Ich sage es
ganz offen: Unsere Haushälter hatten recht, dieses Instrument abzulehnen.
Meine Frage ist deshalb an Sie, ob es ganz allgemein
Überlegungen in der Bundesregierung gibt, wie mit diesem Instrument weiter umgegangen werden soll. Auch
wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass Sie nach der
nächsten Wahl weiter die Bundesregierung stellen, stelle
ich doch noch die Frage, ob Sie auch für diese Zeit planen.
Erst einmal, Herr Kollege Ott, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem heutigen Geburtstag, bevor ich auf die
weiteren Planungen zu sprechen komme.
Mir sind keine Planungen bekannt, den EKF wieder
komplett in den Haushalt zurückzuüberführen.
Frau Vogt.
Frau Staatssekretärin, aufgrund Ihrer Ausführungen
möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Sie haben davon gesprochen, dass Sie Hoffnungen haben, dass der Emissionshandel bald wieder in Gang kommt. Ich möchte Sie
fragen, woher Sie diese Hoffnung nehmen, nachdem die
Koalition doch den Antrag zu diesem Thema heute sehr
brachial von der Tagesordnung gedrängt hat.
Kollegin Vogt, wenn ich richtig darüber informiert
bin - ich bin heute Morgen nicht im Umweltausschuss
gewesen -, wurde der Antrag in der Tat von der Tagesordnung abgesetzt, aber doch mit dem Hinweis, erst einmal eine Anhörung zu diesem Thema durchzuführen.
Wir stehen zurzeit nicht unter Zeitdruck, schon heute einen Antrag verabschieden zu müssen;
({0})
denn der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments wird sich erst im Laufe des Juni mit der Frage neu
befassen. Wir wissen heute noch nicht, welchen Kompromissvorschlag es geben und in welche Richtung dieser gehen wird. Ich denke, dass wir die europäische Positionsfindung erst einmal abwarten und diese durch eine
eigene Anhörung begleiten sollten.
Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, aber dass es keinen Zeitdruck geben
würde, ist natürlich ein Witz. Ganz Europa schaut auf
Deutschland, auf die Debatte hier; aber Sie schaffen es
auch nach Jahr und Tag nicht, eine abgestimmte Position
hinzubekommen. Es war in der Tat schon ein besonderes
Schauspiel heute im Ausschuss, als das Thema sozusagen einfach von der Tagesordnung gedrängt wurde. Aber
es wird weiter aktuell sein. Wir haben den Antrag auf die
Tagesordnung des Plenums gesetzt. Sie kommen also
nicht umhin, dort Flagge zu zeigen.
Ich will noch einmal nach der Zukunft fragen. Sie
haben gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, dass es Änderungsvorstellungen gibt, was die Finanzierung des EKF
betrifft. Jetzt haben wir aber gehört: Teile dieser Finanzierung werden in den Bundeshaushalt überführt. Ergibt
sich daraus eine veränderte Planung, was die Einnahmen
im Bereich des Emissionshandels angeht? Haben Sie
eine neue Prognose, aus der hervorgeht, wie hoch die
Summe aussehen müsste, damit die Dinge, die nicht über
den Bundeshaushalt finanziert werden, über den EKF finanziert werden können?
Herr Kollege Schwabe, wir werden in den nächsten
Wochen und Monaten prüfen müssen, wie die künftigen
Haushaltsansätze auszusehen haben. Wir haben schon
angegeben, wie die Mittelausstattungen, auch die für das
Jahr 2014, aussehen könnten. Alles Weitere wird noch
zu prüfen sein.
Kollege Bülow.
Frau Staatssekretärin, auch ich sehe es so, dass wir in
der Tat in Zeitnot sind. Wenn noch einmal eine Anhörung stattfindet - wir hatten schon eine - und wieder
Sachverständige benannt werden müssen, dann wird das
auf jeden Fall erst in der nächsten Wahlperiode geschehen; bis dahin wird mindestens ein halbes Jahr vergangen sein.
Sie sprachen davon, dass Sie die Hoffnung haben,
dass der Emissionshandel in Schwung kommt. Nun lebt
Politik nicht gerade von Hoffnungen; vielmehr müssen
wir versuchen, wenigstens Erwartungen zu hegen. Ich
frage Sie ganz speziell, aber auch Ihr Haus: Was ist Ihre
Einschätzung - nicht Ihre Hoffnung -, wie sich der
Emissionshandel entwickelt? Ich glaube, sie ist für den
Umgang mit Haushaltsgeldern viel wichtiger.
Kollege Bülow, ich denke, wir müssen jetzt vor allen
Dingen das Verfahren auf der europäischen Ebene abwarten und uns anschauen, wie sich das Europäische
Parlament positionieren wird. Sie wissen, dass wir erst
dann in den Trilog mit der europäischen Ebene über die
Frage, wie es im Emissionshandel weitergeht, einsteigen
können, wenn das Europäische Parlament seine Position
gefunden hat. Da dies noch nicht der Fall ist, weil die erforderlichen Darlegungen erst Mitte Juni vorliegen, kann
ich darüber zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen.
Wir halten uns mit Einschätzungen zurück; auch das
sei hier ganz deutlich gesagt. Ich zum Beispiel hätte
nicht damit gerechnet - ich weiß nicht, ob Sie es gewusst
haben -, dass sich 60 Kollegen im Europäischen Parlament bei der Backloading-Entscheidung enthalten, sondern ich habe gedacht, es werde zu einer klaren Entscheidung pro Backloading kommen.
Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, im Juni finde
eine neue Abstimmung statt. Welche Rolle nimmt die
Bundesregierung im Rahmen der Vorbereitung dieser
Abstimmung ein? Ist es nicht Aufgabe und gute Tradition, jedenfalls vieler Jahre zuvor, dass wir mit einer abgestimmten Position Vorreiter in der Europäischen
Union sind? In den letzten Jahren war davon nichts zu
spüren.
Wenn Sie jetzt erst einmal eine Expertenanhörung
durchführen wollen, um vielleicht eine Meinung zu finden, wie man den europäischen Prozess begleitet, dann
ist der Zug im Juni garantiert abgefahren. Also meine
Frage: Schweigt die Bundesregierung bis Juni, und überlässt sie das dem freien Spiel der Kräfte? Welche Rolle
nimmt die Bundesregierung in den nächsten Tagen - die
Vorbereitungen laufen - ein?
Ich kann, Herr Dr. Miersch, hier nur für das Bundesumweltministerium sprechen,
({0})
wie auch Ihnen bekannt ist. Für das Bundesumweltministerium kann ich natürlich sagen, dass wir sehr wohl
auch das begleiten, was im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments besprochen und diskutiert wird.
Wir persönlich sind allerdings sehr unsicher, ob es im
Umweltausschuss des Europäischen Parlaments tatsächlich zu einem neuen Backloading-Vorschlag kommen
wird oder ob es andere Instrumente geben wird, die dort
diskutiert werden.
Um auf Expertenanhörungen oder Ähnliches im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages zurückzukommen: Das heißt für uns, dass wir das Ganze, wenn es
veränderte Positionen gibt, gerne auch mit Ihnen besprechen würden.
Kollege Bollmann.
Frau Staatssekretärin, nach den Verhandlungen gab es
unterschiedliche Stellungnahmen. Wirtschaftsminister
Rösler hat sich begeistert von dem Ergebnis gezeigt. Er
hat gesagt: Ein wesentlicher Fortschritt ist erzielt worden. Andererseits hat sich der Umweltminister enttäuscht gezeigt und gesagt: Das war sicherlich keine
Sternstunde der Umweltpolitik. Nun steht an der Spitze
der Regierung ja eine Kanzlerin, die die Richtlinienkompetenz hat. Gibt es eine Position der Kanzlerin zu diesem
Thema?
Die Bundeskanzlerin hat auf der Petersberger Konferenz in der vergangenen Woche ihre Position dazu klargelegt, Kollege Bollmann. Wenn der Präsident gestattet,
dann zitiere ich dazu auch gerne aus der Rede der Bundeskanzlerin.
Alles, was in dem gegebenen Zeitmaß möglich ist,
wird gestattet.
Okay. Ich bemühe mich. Es ist ein kurzer Abschnitt. Die Kanzlerin hat gesagt:
Ich persönlich sage: Wenn man ein marktwirtschaftliches Instrument hat, bei dem die Annahme
über die Wachstumsraten eine wesentliche Rolle
spielt, und die Wachstumsraten alles andere als das
sind, was man angenommen hat, dann kann die
Frage, ob man das noch einmal revidieren muss,
kein Tabu sein. Bei dieser Frage, das sage ich ganz
offen, sind wir in Deutschland nicht entschieden.
Hier bringen unterschiedliche Kräfte ihre Argumente vor …
So ist die Situation zurzeit.
Ich denke, dass wir insgesamt abwägen müssen und
dass wir die Frage des Funktionierens des Emissionshandels - ich komme gleich bei einer Frage des Kollegen
Ott noch einmal darauf zu sprechen - auch in engem Zusammenhang mit dem Thema „Reformen bei den erneuerbaren Energien“ betrachten müssen.
({0})
Jetzt habe ich noch die Wortmeldungen der Kollegin
Haßelmann und der Kollegin Wolff notiert. Damit hat
auch fast jeder, der hier ist, eine Zusatzfrage gestellt.
({0})
Dann ist es auch gut, nicht?
Frau Haßelmann, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident, dafür, dass auch ich die
Gelegenheit zu einer Frage habe. - Frau Heinen-Esser,
Sie haben gerade die Kanzlerin zitiert und die persönliche Einschätzung der Kanzlerin dargelegt. Die Frage
meines Kollegen Bollmann war eine ganz andere. Die
bitte ich dann zu beantworten.
Es ging nicht um persönliche Auffassungen der Kanzlerin Angela Merkel, sondern es ging darum, ob die
Kanzlerin in dem Streit, den es in der Bundesregierung
zwischen CDU-Ministerium Umwelt und FDP-Ministerium Wirtschaft ganz offensichtlich gibt, von ihrer
Richtlinienkompetenz Gebrauch machen wird und wir in
den nächsten drei Sitzungswochen noch mit einem Vorschlag der schwarz-gelben Bundesregierung zum Emissionshandel und mit einer deutschen Position dazu rechnen können.
Die Bundeskanzlerin hat eindeutig gesagt, dass es
eine Gesamtlösung geben muss, sowohl beim Emissionshandel als auch bei den erneuerbaren Energien. In
welchem Zeitraum das möglich sein wird, hängt zu einem Teil auch davon ab, wie sich die Bundesländer verhalten.
Frau Wolff.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Frau HeinenEsser, ich möchte mich auch auf das beziehen, was Sie
eben aus der Rede der Bundeskanzlerin zitiert haben. Ich
habe das Gefühl, dass die Bundeskanzlerin sehr nahe bei
der SPD und ihren Positionen ist. Ich gehe davon aus,
dass wir, wenn die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin
angesprochen ist, überhaupt keine Anhörung mehr brauchen und dass eine Position zum Emissionshandel noch
vor der Sommerpause zu erwarten ist. Ich frage Sie:
Gehe ich recht in der Annahme?
Kollegin Wolff, es ist schade, dass ich keine Rückfrage stellen darf; im Ausschuss hätte ich die Möglichkeit dazu, aber hier leider nicht. Deshalb die Antwort:
Wir wissen noch nicht, wie sich der Umweltausschuss
des Europäischen Parlaments positionieren wird. Was
ist, wenn er - davon gehen wir aus; das ist nicht nur eine
persönliche Einschätzung - den Backloading-Vorschlag
nicht erneut zur Diskussion stellt, sondern einen ganz
anderen Weg geht, den wir hier in den vielen Sitzungen,
die wir im Ausschuss beispielsweise oder auch hier im
Plenum dazu hatten, vielleicht noch gar nicht besprochen haben? Von daher halte ich es schon für durchaus
sinnvoll, dass wir noch einmal eine Anhörung durchführen. Ich plädiere auch dafür, dass diese relativ zügig
stattfindet, sodass wir als Deutscher Bundestag den europäischen Prozess auch vernünftig begleiten können.
Die Frage 2 der Kollegin Behm wird schriftlich beantwortet, sodass wir nun zur Frage 3 des Kollegen Ott
kommen, der in die Planung seines heutigen Geburtstages die Bundesregierung offenkundig langfristig einbezogen hat:
Zu welchem Emissionsminderungsziel muss die Europäische Union nach Ansicht der Bundesregierung im Jahr 2030
konkret kommen, nachdem die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel anlässlich ihrer Rede beim diesjährigen Petersberger
Klimadialog angekündigt hat ({0}), dass Europa „dringend“ zu einem Emissionsziel
für 2030 kommen muss, „weil die Wirtschaft planen, investieren und daher wissen muss, auf welche Rahmenbedingungen
sie sich einzustellen hat“, und was tut die Bundesregierung
konkret, um schnell zu einer Entscheidung in dieser Frage zu
kommen?
Frau Kollegin Heinen-Esser, bitte schön.
Herr Kollege Dr. Ott, eine umfassende und ambitionierte EU-Klima- und -Energiepolitik ist aus Sicht der
Bundesregierung auch für die Zeit nach 2020 erforderlich. Wie in anderen Mitgliedstaaten gibt es auch in der
Bundesregierung noch keine abschließende Festlegung
zu EU-Zielen und -Instrumenten für die Zeit nach 2020.
Bevor wir über einen neuen energie- und klimapolitischen Rahmen für 2030 sprechen, sollten wir, wie von
der Kommission durch den Stakeholder-Prozess und die
Folgenabschätzung beabsichtigt, das bestehende Instrumentarium und den Stand der Zielerreichung einer Analyse unterziehen. Entsprechend dem Energiekonzept
sollen in Deutschland gemäß der Zielformulierung der
Industriestaaten die Treibhausgasemissionen bis 2050
um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden.
Dies bedeutet in Deutschland einen Entwicklungspfad
von minus 55 Prozent bis zum Jahr 2030.
Bis 2030 soll in Deutschland ein Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch von 30 Prozent
erreicht werden. Auf europäischer Ebene gilt es, die
Zielsetzung des Klimaschutzes, der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, der Versorgungssicherheit sowie der Bezahlbarkeit der Energieversorgung in Einklang zu bringen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, wenn
man Sie so hört, dann wird klar, auf welchem Gebiet
Deutschland weiterhin Weltmeister ist, nämlich im Formulieren von Zielen. Diese hören sich zwar ganz toll an.
Aber die Frage ist, wie die entsprechenden Maßnahmen
zur Erreichung dieser Ziele umgesetzt werden.
In der letzten Woche lag der Anteil von CO2 in der
Atmosphäre das erste Mal bei über 400 ppm - ppm bedeutet: Teile von 1 Million -; das entspricht 0,04 Prozent.
Wir haben in der Schule noch gelernt, dass der Anteil von
CO2 in der Luft 0,028 Prozent beträgt, was allerdings
schon damals nicht stimmte. Wir müssen heute Werte
verzeichnen, die es seit mindestens 800 000 Jahren nicht
gab. Dieser Zeitraum umfasst zehn Eiszeiten, zehn Zwischeneiszeiten und die entsprechenden Wärmephasen.
Das heißt, wir bewegen uns mit hoher Geschwindigkeit
auf eine Situation zu, die die Menschheit noch nie erlebt
hat.
Finden Sie nicht auch, dass angesichts dieser erschreckenden und dramatischen Zahlen eine Festlegung nunmehr auf ein 2030-Ziel, nachdem es anscheinend nicht
möglich ist, für das Jahr 2020 eine Einigung innerhalb
der Bundesregierung zu erreichen, den Anforderungen
nicht gerecht wird?
Das finde ich nicht, Herr Kollege Ott. Da Sie die Situation in Deutschland und den Stand bei der Treibhausgasminderung so schwarzgemalt haben, will ich noch
Folgendes sagen: Wir haben bis heute eine Treibhausgasminderung von etwa 26 Prozent gegenüber 1990 erreicht. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr
2020 40 Prozent zu erreichen. Dieser große Kraftakt
liegt noch vor uns.
({0})
- Lassen Sie mich doch bitte ausreden. - Wir benötigen
für die Erreichung dieses Ziels wahrscheinlich noch einige zusätzliche Maßnahmen. Wir liegen zurzeit für das
Jahr 2020 bei einer Treibhausgasminderung von etwa
35 Prozent.
Wir haben - diese beiden Aspekte darf man nicht getrennt betrachten - neben der Treibhausgasminderung
noch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Bei den erneuerbaren Energien liegen wir oberhalb dessen, was wir
in den Zielen formuliert haben, nämlich bei 23 Prozent.
Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, werden
wir es schaffen, bis zum Jahr 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von fast 38 Prozent zu erreichen.
Das würde sich wieder positiv auf die Treibhausgasminderung auswirken.
Weitere Zusatzfrage?
Auf jeden Fall. - Um Ihre Aussage nicht so stehen zu
lassen: Die CO2-Emissionen in Deutschland sind 2012
- das wissen auch Sie - das erste Mal seit vielen Jahren
wieder gestiegen, nämlich um 1,6 Prozent. Der Anteil
der Kohle an diesen Emissionen ist um 4 Prozent gestiegen. Das liegt vor allen Dingen daran, dass der Emissionshandel darniederliegt und Kohle mittlerweile billiger zu verfeuern ist als das eigentlich klimafreundlichere
Gas.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang die Kanzlerin:
Europa muss zu einem Emissionsziel für 2030
kommen …, weil die Wirtschaft planen, investieren
… muss.
Und weiter:
Die Investitionspläne für 2018/2019/2020 werden
in den Unternehmen schon heute gemacht …
Also ist es doch wichtig, jetzt die Ziele für 2020 zu
beschließen. Sind Sie der Meinung, dass Ihr Minister
von der Bundeskanzlerin gegenüber dem Wirtschaftsministerium genügend unterstützt wird?
Zum ersten Teil Ihrer Frage, was die Zielformulierung
für das Jahr 2030 - und nicht für 2020 - betrifft. Diese
Ziele haben wir formuliert. Wir müssen hier in einen
Prozess eintreten und darüber beraten, was tatsächlich
möglich ist.
Außerdem gibt es einen europäischen Prozess, bei
dem wir natürlich auch sagen müssen: Wie sieht der europäische Fahrplan und die Verteilung innerhalb Europas
aus, um bestimmte Treibhausgasminderungsziele zu erreichen? Der Bundesumweltminister ist - davon können
Sie ausgehen - sehr stark darin, seine politischen Positionen durchzusetzen.
Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, es ist eigentlich noch viel
schlimmer: Sie haben erstens kein Ziel für 2030. Sie sind
zweitens nicht bereit, das europäische Ziel für 2020 entsprechend zu verschärfen, obwohl alle sagen, das sei
notwendig. Jetzt kommt das Dritte: Sie haben aber ein
nationales Ziel für 2020. Das haben Sie im Koalitionsvertrag festgelegt. Das haben wir im Deutschen Bundestag miteinander beschlossen.
Jetzt geht es um die Frage, ob Sie dieses Ziel im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen in Brüssel
notifizieren. Das haben Sie bisher nicht getan. Die Frage
ist: Warum tun Sie das eigentlich nicht angesichts dessen, dass Sie auf nationaler Ebene das Ziel einer CO2Einsparung von 40 Prozent haben? Warum wird das
nicht verbindlich nach Brüssel gemeldet? Stehen Sie am
Ende gar nicht zu dem, was Sie hier beschlossen haben?
Kollege Schwabe, ich finde es total nett, dass Sie für
Ihren Kollegen Kelber die Fragestellung übernehmen,
der in dieser Fragestunde nicht anwesend sein kann.
Deswegen trage ich Ihnen die Antwort vor, die ich Kollegen Kelber gegeben hätte.
Wir haben uns in der Tat das Ziel gesetzt, die Treibhausgasminderung bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Eine Meldung dieses Ziels an
die EU-Kommission ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erforderlich.
Für die zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls haben sich die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu
verpflichtet, nur noch 80 Prozent ihrer Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 zu emittieren. Die EU und
ihre Mitgliedstaaten haben erklärt, dass sie ihre Verpflichtungen im Sinne von Art. 4 Kioto-Protokoll gemeinsam
erfüllen werden. Dabei können Einzelmitgliedstaaten
eine von den 80 Prozent abweichende Verpflichtung
übernehmen und müssen diese jeweils im Rahmen der
Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Sekretariat
des Kioto-Protokolls beifügen.
Wie die Aufteilung der gemeinsamen Verpflichtung
gemäß Kioto-Protokoll vorgenommen wird, wird die
Bundesregierung zusammen mit den anderen europäischen Mitgliedstaaten entscheiden. Die Europäische
Kommission wird hierzu zeitnah einen ersten Vorschlag
vorlegen. - Das zu Ihrer Kelber-Frage.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Ott auf:
Was bedeutet die Aussage der Bundeskanzlerin anlässlich
ihrer Rede beim diesjährigen Petersberger Klimadialog ({0}), für eine Reform des
Präsident Dr. Norbert Lammert
Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Emissionshandels
eine „zusammenhängende“ Lösung anzustreben, konkret, und
gibt es diesbezüglich schon Planungen innerhalb der Bundesregierung?
Kollege Ott, bei einer Reform des Emissionshandels
sind auch die Energie- und Klimapolitik insgesamt und
die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Wirtschaft und deren internationale Wettbewerbsfähigkeit zu
berücksichtigen. Der Zeitplan für das Verfahren liegt
weiterhin in den Händen der europäischen Institutionen
- wir sprachen ja vorhin schon bei den anderen Fragen
darüber -, vor allem beim Europäischen Parlament. Dies
gilt auch für die Fortentwicklung und Stärkung des
Emissionshandels.
Ihre Zusatzfrage.
Ich muss noch einmal nachfragen. So wie es sich bei
der Bundeskanzlerin anhört, geht alles nur zusammen.
Die Reform des Emissionshandels hängt zusammen mit
der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Meine Frage: Gibt es diesen Konnex? Gibt es diese
Verbindung? Zweitens. Wenn das so wäre, was soll die
rationale Begründung dafür sein, dies miteinander zu
verknüpfen? Denn - drittens - wenn es keine nationalen
Vorreiter gibt, wird sich auf europäischer Ebene nichts
bewegen. Wir müssen also zusehen, dass wir unseren
Laden zu Hause in Ordnung bringen, um auf europäischer Ebene überhaupt handeln zu können.
Kollege Ott, Sie sind doch ein echter Energie- und
Klimaexperte. Daher ist Ihnen sicherlich bekannt, wie
sehr Energiepolitik, Emissionshandel und Treibhausgasemissionen tatsächlich miteinander verknüpft sind und
zusammenhängen und dass wir das Ganze nicht isoliert
betrachten können. 83 Prozent der Treibhausgasemissionen sind energiebedingt. Das heißt, sie hängen direkt damit zusammen, wie wir Energie erzeugen bzw. verbrauchen.
Zu sagen: „Wir kümmern uns nur um eine Baustelle“,
und die anderen Baustellen nicht zu beachten, wäre ein
Fehler. Nicht zu Unrecht gibt es unsere Zieltrias: Wir haben erstens das Ziel, die Emissionen zu reduzieren. Wir
haben zweitens das Ziel, die Energieeffizienz zu verbessern. Wir haben drittens das Ziel, die erneuerbaren Energien auszubauen. Weil alle drei Ziele zusammenhängen,
finde ich es absolut richtig, sie alle drei gemeinsam zu
betrachten. Wir müssen uns fragen: Wie machen wir den
Ausbau der erneuerbaren Energien kosteneffizient? Wie
wirkt sich das auf den Emissionshandel aus? Wie muss
der Emissionshandel tatsächlich gestaltet sein?
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Das hört sich sehr gut an. Tatsache ist jedoch, dass die
Bundesregierung in allen drei Bereichen, die Sie genannt
haben, als Bremser auftritt: bei der Energieeffizienz, bei
der europäischen Effizienzrichtlinie - das ist klar - und
beim Emissionshandel. Der Bundesregierung ist es nicht
möglich, sich auf ein Modell zur Reparatur des Emissionshandels zu einigen. Das gilt auch für die erneuerbaren Energien, die Sie gegen die Wand fahren. Wenn Sie
sagen, dass alles zusammenhängt, und dann alles blockieren, dann haben Sie natürlich etwas Konsistenz hergestellt. Tatsächlich ist das aber eine negative Konsistenz; denn Sie kommen nicht weiter.
Meine Frage betrifft den Emissionshandel und das
Backloading. Sie wissen, dass alle zehn FDP-Mitglieder
im Europäischen Parlament gegen das Backloading gestimmt haben. Sie wissen, dass zwei Drittel Ihrer eigenen Partei, der CDU, im Europäischen Parlament gegen
das Backloading gestimmt haben. Hätten diese Abgeordneten oder auch nur ein Teil davon dafür gestimmt, dann
wäre das durchgegangen und wir hätten jetzt zumindest
die Chance auf eine Reparatur des Emissionshandels.
Meine Frage lautet daher: Was tun Sie auf der europäischen Ebene, um einem erneuten Backloading-Vorstoß
oder einem permanenten „set-aside“ - was natürlich
noch besser wäre - zum Erfolg zu verhelfen?
Die Zeit.
Haben Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament gesprochen? - Danke schön.
Entschuldigung, Herr Präsident.
Sie haben in Ihrer langen Frage zwei Themen angesprochen. Ich möchte gern auf den ersten Punkt zurückkommen, nämlich auf die Frage, wie es denn weitergeht
und was sich fortentwickelt hat. Ich darf Sie an Folgendes erinnern - Sie haben eben in einer anderen Frage
schon gesagt, dass Deutschland hier vorangehen sollte -:
Als wir gesagt haben, dass wir steuerliche Vergünstigungen bei der Gebäudesanierung schaffen wollen - dies
wird dringend benötigt, um im Gebäudebereich zu einer
besseren Energieeffizienz zu kommen -, waren es insbesondere die rot-grünen Länder, die das abgelehnt haben
und somit verhindert haben, dass wir bei uns in Deutschland in puncto Energieeffizienz weiterkommen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, zum Thema Backloading. Ich will jetzt die Wörter „Einschätzungen“ bzw.
„persönliche Hoffnungen“ oder wie auch immer nicht
noch einmal gebrauchen. Wir wissen nicht genau, wie
sich der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments
positionieren wird. Wir sind natürlich im Gespräch mit
den Kollegen aus dem Europäischen Parlament. Aber bis
heute liegt noch kein Kompromissvorschlag vor, den wir
mit den Kollegen diskutieren und besprechen können.
Aus diesem Grund finde ich die Idee, noch einmal eine
Anhörung im Deutschen Bundestag zu diesem Thema
durchzuführen - um darauf zurückzukommen -, gut.
Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, es gibt verschiedene Reden und
Initiativen. Sie haben gerade die Kanzlerin zitiert - sie
wurde auch in den Fragen von Herrn Ott zitiert -, die einen Zusammenhang zwischen dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und der Reform des Emissionshandels hergestellt hat.
Vor einer Woche etwa, also fast zeitgleich, hat Herr
Altmaier, wie man lesen konnte, eine Initiative mit acht
anderen Umweltministern der Europäischen Union gestartet. Dazu heißt es in einer dpa-Meldung:
Umweltminister aus neun EU-Staaten pochen auf
einen raschen Neuanlauf für eine Reform des am
Boden liegenden Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. … Bis Juli müsse es zwischen
Europaparlament sowie den Staats- und Regierungschefs
- Frau Merkel gehört ja wohl dazu eine endgültige Entscheidung geben.
Sehen Sie eigentlich einen Widerspruch zwischen der
Aussage von Herrn Altmaier, dass es bis Juli eine Entscheidung geben müsse, und der Tatsache, dass die
Kanzlerin hier einen Zusammenhang mit dem EEG herstellt?
Kollege Schwabe, ich bin mir jetzt nicht ganz sicher,
von wann das gemeinsame Schreiben ist, ob es nicht vor
der Entscheidung des Europäischen Parlaments verfasst
wurde.
({0})
- Das war nur eine Rückfrage, denn das macht schon einen Unterschied.
({1})
- Ja, es gab vorher eine Initiative, um die europäischen
Kollegen ein Stück weit zu motivieren, beim Backloading-Vorschlag voranzugehen. Das ist leider nicht gelungen. Bedauerlich finde ich - das habe ich eben schon
gesagt - vor allen Dingen die 60 Enthaltungen, die es im
Europäischen Parlament gegeben hat. Ich hoffe, dass
man die 60 Kolleginnen und Kollegen im weiteren
Prozess überzeugen kann, sich entsprechend zu positionieren.
Eine Gesamtlösung ist notwendig; ich halte das für
den fachlich gebotenen Weg. Denn es gibt hier - ich
habe das eben auf die Frage des Kollegen Ott hin erläutert - einen engen Zusammenhang zwischen dem
Ausbau der erneuerbaren Energien und der Höhe der
Treibhausgasemissionen. Deshalb ist es auf jeden Fall
sinnvoll, eine Gesamtbetrachtung anzustellen.
Ich weise jetzt darauf hin, dass die Fragen 5 und 6 des
Kollegen Kelber schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Becker,
({0})
der aber nicht da ist. Damit müssen die Fragen 7 und 8
des Kollegen Becker nicht beantwortet werden. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Der Kollege Schwabe ist aber immer noch da, dessen
Frage 9 ich jetzt aufrufe:
Welche abgestimmte Meinung vertritt die Bundesregierung zum Vorschlag der Europäischen Kommission, Zertifikate aus dem Emissionshandel herauszunehmen ({1})?
Kollege Schwabe, wir haben es in der vergangenen
Stunde schon miteinander besprochen: Die Bundesregierung hat bisher keine gemeinsame Haltung zu den
Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Herausnahme von Zertifikaten aus dem europäischen Emissionshandel.
({0})
Eine erste Nachfrage.
Ich frage nur noch einmal nach; denn es kommt ja
nichts. ({0})
Der Herr Minister hat sich mehrfach zum Thema Backloading und zu seiner Sinnhaftigkeit geäußert. Ich
nehme einmal an, dass er dies auf einer fundierten
Grundlage getan hat. Der Herr Umweltminister wird
wissen, wie das Backloading funktioniert. Deswegen
will ich Sie noch einmal fragen: Halten Sie es auch vor
dem Hintergrund, dass der Umweltausschuss bereits im
letzten Jahr eine Anhörung zum selben Thema veranstaltet hat, wirklich für sinnvoll, dass der Umweltausschuss
erneut eine Anhörung durchführt und der Bundestag
möglicherweise am Ende aus Zeitmangel nicht mehr zu
einer Entscheidung kommen kann, oder würden Sie vielleicht hier zusichern wollen, dass der Umweltminister
die Informationen des Umweltministeriums einfach an
die Koalitionsfraktionen weitergibt, damit wir uns die
Anhörung ersparen können?
Herr Kollege Schwabe, ich denke, dass wir das heute
Vormittag im Umweltausschuss besprochen und auch
mit den Kollegen der Koalitionsfraktionen diskutiert
haben.
({0})
Ich bin hier die falsche Ansprechpartnerin, wenn es
darum geht, zu sagen, ob es gut oder schlecht ist, eine
Anhörung durchzuführen. Ich habe Ihnen nur meine persönliche Meinung gesagt, dass ich es vernünftig finde
und es absolut sinnvoll sein kann, im Zusammenhang
mit der Entscheidungsfindung auf der europäischen
Ebene - ich habe jetzt nachgeguckt: am 19. Juni wird es
zu einer neuen Abstimmung im Umweltausschuss des
Europäischen Parlaments kommen - hier im Deutschen
Bundestag eine solche Anhörung durchzuführen, da wir
nach heutigem Stand - auch das habe ich bereits
mehrfach gesagt - noch nicht wissen, ob es überhaupt zu
einem Backloading-Vorschlag kommt oder ob der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments nicht einen
völlig anderen Vorschlag unterbreitet.
Keine weitere Frage? - Dann rufe ich die Frage - Habe ich jemanden übersehen? Muss es sein oder nicht?
({0})
- Ja, okay. Bitte, Kollege Ott.
Vielen Dank für das kleine Geburtstagsgeschenk. Weil wir jetzt doch wirklich sehr viel über den europäischen Rahmen gesprochen haben und dies wahrscheinlich auch noch weiter tun werden, würde ich doch gerne
eine Frage zur nationalen Ebene stellen. Denn es gibt die
Möglichkeit, trotz eines taumelnden, funktionsunfähigen
Emissionshandels eine gewisse Funktionsfähigkeit zu
gewährleisten, indem man nämlich einen Mindestpreis
für CO2-Zertifikate formuliert. Ähnliches ist gerade vom
Umweltbundesamt ins Spiel gebracht worden. Auch auf
der europäischen Ebene gibt es Stimmen, die sich dafür
aussprechen. Haben Sie innerhalb der Bundesregierung
über eine entsprechende Steuer oder Abgabe pro Tonne
CO2 diskutiert, und was ist die Haltung des BMU dazu?
Das UBA hat den Vorschlag gerade erst vor wenigen
Tagen vorgelegt. Natürlich tauschen wir uns auch intern
darüber aus, ob es Sinn machen könnte, auf einen nationalen Alleingang zu setzen. Ich persönlich empfehle, so
etwas nicht zu tun, weil man damit massiv in die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie eingreift.
Es ist sinnvoll, eine Lösung auf europäischer Ebene
zu finden, statt jetzt in einem nationalen Alleingang zu
sagen: Wir legen einen Mindestpreis fest, oder wir führen noch einmal eine CO2-Steuer ein, oder was auch immer an Vorschlägen kursiert. Davon würde ich abraten.
({0})
Ich rufe nun die Frage 10 des Kollegen Frank
Schwabe auf:
Wie wird die Bundesregierung bei der Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für die unkonventionelle Förderung von
Erdgas ({0}) den Sachverhalt der Horizontalbohrungen,
somit Bohrungen, die von außerhalb eines Trinkwasserschutzgebietes unter ein Trinkwasserschutzgebiet geführt werden,
regeln?
Wir sind nun beim Thema Fracking. - Kollege
Schwabe, die Bundesregierung plant bei der Schaffung
von gesetzlichen Regelungen für die unkonventionelle
Förderung von Erdgas, Horizontalbohrungen ausdrücklich zu verbieten, die von außerhalb eines Wasserschutzgebietes in ein Wasserschutzgebiet hineingeführt oder
abgelenkt werden; also: Verbot.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Das ist interessant, Frau Staatssekretärin. Es ist schön,
dass Sie die Öffentlichkeit an Ihren Verhandlungen teilhaben lassen. Herr Staatssekretär Otto hatte nämlich in
der letzten Fragestunde noch etwas anderes behauptet
und eine andere Position für das Wirtschaftsministerium
vertreten; das können Sie im Protokoll nachlesen. Sie
sind immerhin einen Schritt weiter.
Ich möchte Ihnen eine Frage zum Thema Bodensee
stellen. Es ist zu lesen, dass dies Diskussionsgegenstand
in der Koalition ist. Wie sehen Sie das für das Umweltministerium? Finden Sie, dass alle Gebiete rund um den
Bodensee, aus denen Wasser in den Bodensee eindringen
kann, in Zukunft von Fracking-Maßnahmen ausgenommen werden sollen? Ja oder Nein?
Die Kollegen der Koalitionsfraktionen im Deutschen
Bundestag haben das Thema Bodensee intensiv diskutiert, und sie diskutieren es noch. Sicherlich können Sie
auch die Besorgnis derjenigen teilen, die dort leben,
gegenüber den Auswirkungen von Fracking auf den Bodensee, wenn es denn dazu käme. Wir haben gemeinsam
mit dem Wirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf
vorgelegt. Jetzt sind die Kollegen im Bundestag gefragt,
sich ihre Meinung zu diesem Thema zu bilden.
Frau Staatssekretärin, wir haben keine klare, bundeseinheitliche Rechtslage. Derzeit werden in Gemeinden
deutschlandweit zuhauf Anträge auf Aufsuchung von
Erdgas, auch im Fracking-Verfahren, gestellt, zum
Beispiel im Kreis Recklinghausen bei den Städten Marl,
Haltern am See, Dorsten und Oer-Erkenschwick, und
zwar von Unternehmen wie Dart Energy, Mingas-Power
und anderen. Das ist nicht nur in Nordrhein-Westfalen,
sondern auch in Niedersachsen so.
Ich habe hier einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen von vorgestern. Dort sagt der Rotenburger
Kreisrat Lühring - bei uns würde man ihn Dezernent
nennen -, nun lade der Bund die Verantwortung beim
Kreis als der unteren Wasserbehörde ab; denn der Kreis
müsse die Lage nach Recht und Gesetz bewerten.
Wie sehen Sie das? Ist es so, dass durch die Nichttätigkeit des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung die Kommunen und die Kreise vor einer wirklich schwierigen Situation stehen, da sie nach altem
Recht entscheiden und so möglicherweise Maßnahmen
genehmigen müssen? Bringen Sie die Kommunen nicht
in eine völlig unmögliche Situation, indem Sie nicht
handeln?
Herr Kollege Schwabe, auch mich treibt dieses
Thema um; denn wenn wir nicht zu einer neuen gesetzlichen Regelung kommen, bleibt es in der Tat bei der alten
Regelung. Deshalb favorisiere ich persönlich ein Gesetz
zum Thema Fracking.
Ich habe aber Verständnis, wenn es Kolleginnen und
Kollegen im Deutschen Bundestag gibt, die den einen
oder anderen Punkt noch besonders intensiv diskutieren
möchten, damit das, was Sie vorhin gesagt haben
- Stichwort Bodenseeregion -, auch gesichert ist.
Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, wir reden schon jahrelang über
dieses Thema und bekommen von Schwarz-Gelb immer
signalisiert, dass geplant und diskutiert wird. Landauf,
landab warten die Menschen aber auf eine Regelung,
weil längst Fakten geschaffen werden.
Ich habe eben aufgehorcht, als Sie gesagt haben: Wir
haben etwas vorgelegt; das liegt jetzt im Parlament.
({0})
Den Agenturmeldungen ist zu entnehmen, dass das
Thema Fracking auf der ursprünglichen Kabinettstagesordnung von heute gestanden haben soll, es aber wieder
heruntergenommen worden sein soll. Können Sie uns
die Pläne der Bundesregierung wenigstens skizzenhaft
beschreiben? Ich gehe nicht davon aus, dass es Pläne
gibt, die 17. Legislaturperiode zu verlängern, sodass wir
nur noch begrenzte Sitzungszeit zur Verfügung haben.
Wie sieht der Beratungsablauf aus? Befasst sich das
Kabinett noch in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf zum Thema Fracking, und, wenn ja, wann?
Sie wissen, dass die betroffenen Gemeinden und
Kommunen, Bundestagskollegen und Landesregierungen, insbesondere die nordrhein-westfälische Landesregierung, immer wieder Vorschläge einbringen, was
verändert werden kann. Das betrifft zum Beispiel - ich
glaube, es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen jetzt
alle Eckpunkte nennen würde, um die es geht - die
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes - das ist Ihnen
bekannt - und vor allen Dingen auch - das ist uns auch
ganz besonders wichtig - die Änderung der UVP-Verordnung Bergbau. Das sind die beiden großen Bereiche.
Über eine Einbringung kann ich Ihnen zum jetzigen
Zeitpunkt leider nichts sagen.
Kollege Lenkert.
Frau Staatssekretärin, Ihnen ist sicherlich bekannt,
dass Mineralwasserbrunnen oftmals nicht in einem
Trinkwasserschutzgebiet liegen. Wie planen Sie, sicherzustellen, dass Einzugsgebiete von Mineralwasserbrunnen zukünftig vor Fracking geschützt sind?
Wir haben ein generelles Verbot der Tiefbohrung sowie der untertägigen Ablagerungen in Wasserschutzund Heilwasserschutzgebieten geplant.
Kollegin Vogt.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie uns Einblicke in
den derzeit stattfindenden Meinungsfindungsprozess in
den Koalitionsfraktionen gegeben haben, will ich eine
Nachfrage in Bezug auf den Bodensee stellen. Der Bodensee ist ja nicht nur als See für diejenigen spannend,
die in der Region leben und ihn nutzen, sondern er ist
vor allem auch ein großes Trinkwasserreservoir für
weite Teile des Landes Baden-Württemberg. Da die
Koalition sich noch im Meinungsfindungsprozess befindet, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung und insbesondere das Bundesumweltministerium für sich schon
sagen können, dass sie ein generelles Verbot von
Fracking-Bohrungen im Bereich dieser Trinkwasserressource für denkbar halten.
Ja, ich halte das für denkbar.
Kollegin Flachsbarth.
Frau Staatssekretärin, eben wurde der Vertreter einer
niedersächsischen Kommune genannt, der besorgt sei,
dass die Bundesregierung die betroffenen Kommunen
alleine lassen würde. Könnten Sie mir bestätigen, dass in
den letzten 20 bis 30 Jahren in Niedersachsen circa
20 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs gefördert
wurden, und zwar unter Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen? Wir müssen aber an der derzeitigen gesetzlichen Situation dringend arbeiten; das ist auch mein
unbedingtes Verständnis als Umweltpolitikerin.
Könnten Sie mir ferner bestätigen, dass zumindest
Vertreterinnen und Vertreter der Regierungsfraktionen in
sehr engem Kontakt mit Ihrem Haus und dem Bundeswirtschaftsministerium stehen, um eine tatsächliche
Verbesserung der derzeitigen rechtlichen Situation herbeizuführen, insbesondere in Bezug auf den Umweltschutz, den Wasserschutz und den Bodenschutz?
Kollegin Flachsbarth, das kann ich bestätigen. Das ist
das zentrale Anliegen, weshalb wir hier zu neuen gesetzlichen Regelungen kommen sollten, weshalb Veränderungen notwendig sind. Wenn die Hürde Bundestag genommen ist, wird die Hürde Bundesrat zu nehmen sein.
Dort wird die Unterstützung der rot-grünen Länder notwendig sein, um einen entsprechenden Gesetzentwurf
durchzubringen.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Bollmann auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die
zunehmende Meeresverschmutzung, insbesondere durch
Plastikmüll, wie vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, anlässlich der
Berliner „Internationalen Konferenz zur Verhinderung von
Meeresmüll in europäischen Meeren“ angekündigt, konkret
bekämpfen?
Aus Sicht der Bundesregierung, Kollege Bollmann,
ist eine geordnete Abfallwirtschaft von der sicheren Erfassung über die hochwertige Verwertung bis hin zur
umweltgerechten Beseitigung das zentrale Element zur
Reduzierung der Meeresverschmutzung vom Lande aus.
In Deutschland haben wir auf diesem Gebiet viel erreicht
und damit auch die Verschmutzung der Meere durch Abfälle vom Lande aus weitestgehend minimiert.
Die Bundesregierung hält alle Aktionsebenen - national, regional, EU-weit und global - sowie alle Aktivitäten - Regierungshandeln, NGO-Aktivitäten, Maßnahmen des privaten Sektors - für gleichermaßen
bedeutsam. Nur durch vertikale und horizontale Integration aller Aktivitäten kann eine erfolgreiche Bekämpfung des Problems Meeresmüll erfolgen. Die Bundesregierung wird daher weiterhin auf nationaler,
europäischer und internationaler Ebene zur Förderung
der Kreislaufwirtschaft und zur Stärkung des Kunststoffrecyclings beitragen.
In Bezug auf die Umsetzung der MeeresstrategieRahmenrichtlinie der EU wird sich die Bundesregierung
weiterhin durch aktive Mitarbeit bei den Facharbeiten,
unter anderem durch einen Kovorsitz in einer einschlägigen technischen Facharbeitsgruppe, engagieren. Das Engagement auf regionaler Ebene im Rahmen der regionalen Meeresschutzkooperation, insbesondere mit Blick
auf die nun zu erarbeitenden regionalen Aktionspläne,
ist für uns eines der Herzstücke einer erfolgreichen Bottom-up-Politik zur Verhinderung der Meeresvermüllung
weltweit. Auch hier wird die Bundesregierung ihr Engagement fortsetzen.
Auf nationaler Ebene wird Bundesumweltminister
Altmaier einen Runden Tisch „Meeresmüll“ einberufen,
der regionale Lösungen für unsere Küsten erarbeitet. Am
geplanten Runden Tisch, der möglichst noch in diesem
Sommer stattfinden soll, sollen nach Ansicht der Bundesregierung unter anderem Inselbürgermeister, Vertreter der Tourismusindustrie, der Fischerei, der Schifffahrt,
der Hafenbetreiber und der Umweltverbände teilnehmen. Die Fragestellung lautet: Was kann konkret vor Ort
gemacht werden?
Nachfragen?
Es gab ja im Vorfeld dieser Konferenz aus den Reihen
der Opposition den einen oder anderen Vorschlag zu
Plastiktüten und zu anderem. Für diese Vorschläge
zeigte sich die Bundesregierung nicht besonders empfänglich. Deshalb meine Frage: Herr Altmaier hat auf
der Konferenz gesagt, dass er dies nun bekämpfen will.
Wie stellt er sich das konkret vor?
Wir haben hinsichtlich der Plastiktragetaschen gesagt,
dass der deutsche Beitrag dazu nicht mehr sehr gesteigert werden kann. Das wissen Sie, Kollege Bollmann;
Sie beschäftigen sich ja schon lange mit diesem Thema.
Plastiktragetaschen machen bei uns weniger als 1 Prozent des gesamten Kunststoffverbrauchs aus. Im Lebensmittelhandel beispielsweise muss man Plastiktragetaschen kostenpflichtig erwerben. Wir haben das Thema
Plastiktragetaschen in Deutschland also sehr gut gelöst.
Bundesumweltminister Altmaier - das habe ich hier
gerade vorgetragen - plant jetzt einen Runden Tisch zum
Thema Meeresmüll, bei dem potenzielle Verursacher
und unmittelbar Betroffene aus wesentlichen Bereichen,
in denen wir national Einfluss nehmen können, mit an
Bord sind.
Weitere Zusatzfragen? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Bollmann
auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die
leichte Austauschbarkeit von Batterien und Akkumulatoren
für die Verbraucherinnen und Verbraucher garantieren?
Augenblick, ich hatte jetzt mit Nachfragen gerechnet.
Man muss hier immer mit Überraschungen rechnen,
Frau Staatssekretärin.
({0})
Danke, Herr Präsident, dessen war ich mir so nicht
bewusst. - Jetzt geht es um Batterien und Akkumulatoren. Auf nationaler Ebene, Kollege Bollmann, sind derzeit keine Maßnahmen im Hinblick auf die Gewährleistung einer leichten Austauschbarkeit von Batterien und
Akkumulatoren aus Elektro- und Elektronikgeräten geplant; denn Anforderungen an das Produktdesign sind
aus binnenmarktrechtlichen Gründen nur EU-weit möglich und sinnvoll. Die EG-Ökodesign-Richtlinie bietet
hierfür eine geeignete Rechtsgrundlage. Die Bundesregierung hat sich im Konsultationsprozess zum neuen Arbeitsprogramm der Ökodesign-Richtlinie dafür eingesetzt, dass die Entnehmbarkeit von Batterien und
Akkumulatoren als produktgruppenübergreifende Anforderung untersucht wird und die Vor- und Nachteile einer entsprechenden Regelung geprüft und abgewogen
werden. Die EU-Kommission kam dieser Forderung bislang nicht nach.
Im Februar 2013 wurden für Computer und Notebooks jedoch Ökodesign-Anforderungen beschlossen,
die bezüglich der Akkumulatoren zumindest verbindliche Verbraucherinformationen einführen werden. Demnach muss ab Mitte 2014 bei neu in Verkehr gebrachten
Notebooks auch auf der Verpackung deutlich kenntlich
gemacht werden, falls der Akkumulator des Geräts vom
Verbraucher nicht ausgetauscht werden kann. Darüber
hinaus müssen die technische Dokumentation und frei
zugängliche Internetseiten Auskunft über die minimale
Anzahl der Ladezyklen des Akkumulators geben.
Die Frage der Entnehmbarkeit von Batterien ist zudem Gegenstand der aktuellen Beratungen in Brüssel zur
Änderung der Batterierichtlinie. Die Batterierichtlinie
macht in ihrem Art. 11 Vorgaben für die problemlose
Entnehmbarkeit von Batterien, schreibt jedoch nicht vor,
für wen diese leicht entnehmbar sein müssen. Der Berichterstatter beim Europäischen Parlament hat zuletzt
einen Kompromiss vorgeschlagen, nach dem eine Entnehmbarkeit durch den Endnutzer oder durch vom Hersteller unabhängiges Fachpersonal möglich sein muss.
Zudem sollen den Produkten Anleitungen beigefügt werden, wie die Verbraucher oder die unabhängigen Fachleute die Batterien oder Akkumulatoren sicher entnehmen können. Diese Kompromissvorschläge sind
Grundlage für die weiteren Verhandlungen mit der Europäischen Union.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort, Frau
Staatssekretärin. - Nur eine Zusatzfrage: Heute Abend
um kurz vor 23 Uhr werden wir im ZDF wieder einen
Film zu diesem Themenbereich sehen können, und man
wird wieder nicht nur die Frage stellen, inwieweit es tatsächlich zutrifft, dass in Gebrauchsgegenstände ganz bewusst Dinge eingebaut werden, die zulasten der Haltbarkeit gehen, sondern auch, inwieweit es zutrifft, dass
Gebrauchsgegenstände bewusst so konstruiert werden,
dass eine Austauschbarkeit überhaupt nicht möglich ist.
Sollte nachweisbar sein, dass dies bewusst so gehandhabt wird, gedenken Sie dann irgendwelche Schritte dagegen zu unternehmen?
Es ist ja so, dass eine Fraktion des Deutschen Bundestages eine recht spannende Studie zu diesem Thema veröffentlicht hat. Ihre Ergebnisse belegen die These, dass
manche Geräte so konstruiert werden, dass ihre Haltbarkeit eine bestimmte Dauer nicht übersteigt. Wir nehmen
dieses Thema sehr ernst und setzen uns immer wieder,
auch im Rahmen der aktuellen Verhandlungen zur Ökodesign-Richtlinie, für eine Verbesserung der Reparaturfähigkeit ein. Ich hoffe, dass wir im Rahmen der aktuellen Beratungen zu einem Erfolg kommen werden.
({0})
Kollege Lenkert.
Frau Staatssekretärin, eine andere Fraktion des Deutschen Bundestages hat den Antrag eingebracht, die
Nutzbarkeit von Batterien und Akkumulatoren zu verlängern und die Austauschbarkeit zu regeln, nämlich
meine Fraktion. Ich stelle Ihnen die Frage: Wieso versuchen Sie nicht, den von uns vorgeschlagenen Weg zu gehen und über die Abfallwirtschaft eine nationale Lösung
zu finden? Die Bundesrepublik ist einer der größten
Märkte in der Europäischen Union. Wenn die Bundesrepublik im Rahmen der Erfassung des Sondermülls - Batterien würde ich im Prinzip hier einstufen - die Vorgabe
machen würde, sicherzustellen, dass Sondermüll getrennt und sauber erfasst werden muss, dann hätten wir
die gesetzliche Möglichkeit, diesen Missstand zu beseitigen. Ich frage Sie, warum die Bundesregierung diesen
Weg nicht geht.
Die Bundesregierung wird erst einmal eine neue Datengrundlage schaffen. Das Umweltbundesamt hat ein
entsprechendes Forschungsvorhaben ausgeschrieben, in
dessen Rahmen das Thema „Haltbarkeit von Produkten“
erforscht werden soll.
Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Sylvia KottingUhl werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 15 der Kollegin Vogt auf:
Treffen Berichte in den Medien, so zum Beispiel in der tageszeitung vom 30. März 2013 zu, wonach sich die Inbetriebnahme des Endlagers Schacht Konrad von 2019 auf mindestens 2021 verzögert, und welche Gründe sind hierfür
verantwortlich?
Kollegin Ute Vogt, ja, das stimmt. Aufgrund neuer
Befunde eines Berichts der Deutschen Gesellschaft zum
Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe zur Statik des Mauerwerks im Schacht Konrad 1 zeichnet sich
ein erheblicher Sanierungsbedarf ab. Im Schacht
Konrad 1 sind aus Gründen der Herstellung der Standsicherheit zusätzliche Maßnahmen zur Sanierung des
Mauerwerks erforderlich, da sonst der Nachweis einer
ausreichenden Statik des Mauerwerks nicht geführt werden könne. Der sich abzeichnende Sanierungsbedarf
lässt nach derzeitigem Kenntnisstand den Abschluss der
Errichtung des Endlagers nicht vor dem Jahr 2021 erwarten.
Bitte schön.
Gibt es aufseiten des Bundesumweltministeriums
Ideen, wie man das Ganze beschleunigen kann? Das Volumen für den Abfall, der dort gelagert werden soll, wird
ja schon früher gebraucht.
Wie man das beschleunigt, können wir als Bundesumweltministerium nicht vorgeben; wir sind keine Techniker oder Ingenieure. Wir wissen das Vorhaben beim
Bundesamt für Strahlenschutz in sehr guten Händen.
Dass jetzt Sanierungsbedarf aufgetaucht ist, ist sehr unglücklich. Es wird alles darangesetzt, dass die erforderlichen Baumaßnahmen so schnell wie möglich durchgeführt werden. Es ist ja genauso in unserem Interesse,
dass Schacht Konrad möglichst schnell fertiggestellt
wird.
Haben Sie schon einen Überblick oder eine Schätzung, was die erforderliche Sanierung an zusätzlichen
Kosten verursachen wird?
Frau Vogt, genau diese Frage habe ich auch gestellt in
Vorbereitung auf die heutige Fragestunde. - Wir können
noch nicht sagen, in welchem Rahmen sich die Kosten
bewegen werden. Wir sind zurzeit dabei, die finanziellen
Auswirkungen zu prüfen. Ich bin gern bereit, Ihnen das,
sobald die Zahlen vorliegen, schriftlich zukommen zu
lassen oder im Ausschuss noch einmal einen gesonderten Bericht dazu abzugeben.
Kollege Lenkert.
Frau Staatssekretärin, ich habe eben etwas überrascht
vernommen, dass schon bevor Schacht Konrad überhaupt in Betrieb geht, Sanierungsmaßnahmen notwendig
geworden sind. Jetzt soll Schacht Konrad ja für mehrere
Zehntausend, Hunderttausend Jahre Standsicherheit für
die eingelagerten radioaktiven Abfälle gewährleisten.
Wenn jetzt schon nach wenigen Jahren Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden, woher nehmen Sie dann
die Sicherheit, dass nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen die Standsicherheit für diese unvorstellbar langen Zeiträume gewährleistet werden kann?
Kollege Lenkert, ich denke, es ist gut, dass wir nicht
nach Inbetriebnahme des Endlagers, sondern schon zum
jetzigen Zeitpunkt ermessen können, wo es in Schacht
Konrad Nachbesserungsbedarf gibt. So müssen wir jetzt
alle nötigen Standsicherungsmaßnahmen, beispielsweise
für die Schachtförderanlage Süd in Schacht Konrad 1
durch Verfüllung der Mauerwerksfugen, durchführen.
Ich rufe die Frage 16 auf:
Welche Auswirkungen hat eine weitere Verzögerung der
Inbetriebnahme auf den Rückbau der stillgelegten Atomkraftwerke und die Lagerung des Atommülls in den Zwischenlagern, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um
eine rechtzeitige Inbetriebnahme zu gewährleisten?
Kollegin Vogt, auch die Bundesregierung sieht einen
faktischen Zusammenhang zwischen der Inbetriebnahme
des Endlagers Schacht Konrad und den jeweiligen Fortschritten beim Abbau stillgelegter Kernkraftwerke. Allerdings ist die Erteilung einer Genehmigung zur Stilllegung oder zum Abbau eines Kernkraftwerks oder von
Kernkraftwerksteilen nicht von der Annahmebereitschaft eines Endlagers abhängig. Es ist Aufgabe der Betreiber, sicherzustellen, dass die im Zusammenhang mit
dem Abbau anfallenden radioaktiven Abfälle bis zur Abgabe an das Endlager gegebenenfalls in einem Zwischenlager sicher aufbewahrt werden. Die Prüfungen
und Bewertungen zum Sachverhalt in Schacht Konrad
und zu den terminlichen und finanziellen Auswirkungen
werden bis Ende 2013 abgeschlossen sein.
Dann stimmt die Bundesregierung der Annahme zu,
dass es dadurch wahrscheinlich zu einer Verlängerung
der Genehmigungen für den Betrieb der Zwischenlager
kommen muss oder gegebenenfalls zur Eröffnung eines
weiteren, neuen Zwischenlagers?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich verweise noch einmal auf etwa Ende des Jahres.
Bis dahin werden wir genau überblicken, welche zeitlichen Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von
Schacht Konrad zu erwarten sind.
Dann möchte ich fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, dem Umweltausschuss in der nächsten Sitzung
einen ausführlichen Bericht dazu vorzulegen?
Die Bundesregierung ist gerne dazu bereit.
({0})
Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, mit der Asse, die sich in räumlicher Nähe zu Schacht Konrad befindet, haben wir ein
zweites Bergwerk. Wir sehen, dass es in der Asse ein
Riesenproblem gibt. Jetzt berichten Sie bzw. die Medien
wieder über Probleme mit Schacht Konrad, der ja durchaus ein rechtskräftig genehmigtes Endlager darstellt. Hat
die Bundesregierung augenblicklich Anhaltspunkte dafür, dass an der Geeignetheit von ehemaligen Bergwerken zur Endlagerung von radioaktiven Stoffen grundsätzlich gezweifelt werden muss?
Wir haben es hier mit zwei völlig unterschiedlichen
Sachverhalten zu tun.
Bei der Asse besteht das Hauptproblem darin, dass
durch das Salz Wasser einläuft. Damit ist nicht nur die
Standfestigkeit gefährdet, sondern das führt darüber hinaus dazu, dass Fässer korrodieren und sich die Flüssigkeiten bzw. Inhalte gegebenenfalls verteilen können.
Bei Schacht Konrad besteht aktuell, wenn ich das
richtig sehe, Sanierungsbedarf beim Mauerwerk. Das
heißt, wir müssen dort Verfüllungsmaßnahmen durchführen, und es geht hier auch um eine Schachtförderanlage.
Das sind also ganz unterschiedliche Themen.
Nichtsdestotrotz werden wir das in dieser Woche
noch diskutieren. Wenn das Standortauswahlgesetz hier
in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, werden
noch einmal alle Möglichkeiten, wo radioaktive Abfälle
gelagert werden können, zu diskutieren sein.
Es gibt keine weitere Nachfrage.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Marianne
Schieder, die Fragen 19 und 20 des Kollegen Willi
Brase, die Fragen 21 und 22 des Kollegen René Röspel,
die Fragen 23 und 24 des Kollegen Swen Schulz, die Fragen 25 und 26 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann
und die Fragen 27 und 28 des Kollegen Michael Gerdes
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Die Frage 29 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto zur Verfügung.
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Oliver Krischer
werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Eduard Oswald
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Ralph Lenkert auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Europäischen Kommission vorgesehene Erhebung von Sonderzöllen
bei der Einfuhr von Solarmodulen aus China?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Lenkert,
wie Sie wissen, stammt die Entscheidung der EU-Kommission, in einem vorläufigen Verfahren Sonderzölle gegen China zu verhängen, erst vom 7. Mai 2013. Deswegen analysiert die Bundesregierung im Moment noch die
damit zusammenhängenden Rechtsfragen. Insbesondere
wird geprüft, ob die Entscheidung im Einklang mit der
WTO, der Welthandelsorganisation, und EU-rechtlichen
Vorgaben steht.
Das Verfahren, vorläufige Antidumpingzölle zu verhängen, ist sehr stark juristisch bzw. rechtlich normiert.
Deswegen müssen wir darauf achten, dass alle Vorschriften eingehalten sind.
Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam mit der EU-Kommission in Brüssel
den Vorschlag der Kommission gerade heute im Beratenden Antidumpingausschuss eingehend erörtert haben.
Die Ergebnisse kenne ich noch nicht, weil die Beratung,
wie gesagt, erst heute stattfand.
Im Lichte der Erkenntnisse aus dieser Sitzung und der
Diskussion wird dann das federführend zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zusammen mit den übrigen Bundesressorts eine abschließende
Beurteilung des Vorschlages der EU-Kommission herbeiführen. Diese ist bis Ende Mai dieses Jahres der EUKommission zu übermitteln.
Dabei möchte ich noch einmal besonders hervorheben, dass die EU-Kommission die Einführung von vorläufigen Maßnahmen beschlossen hat, was allein in der
Zuständigkeit der EU-Kommission liegt. Das heißt, der
Ministerrat und insbesondere natürlich auch die deutsche
Bundesregierung sind an diesem Verfahren nur beratend
beteiligt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
die EU-Kommission wird einen vorläufigen Strafzoll ja
nicht ohne Grund verhängt haben. Ich unterstelle jetzt
einmal, dass die Annahmen der EU-Kommission richtig
sind und dass das Vorgehen mit den Regeln der Welthandelsorganisation übereinstimmt. Wie wäre in diesem
Falle die Einstellung der Bundesregierung im Hinblick
auf eine dauerhafte Einrichtung dieser Strafzölle?
Die Bundesregierung, insbesondere vertreten durch
die Bundeskanzlerin, die sich in dieser Frage über einen
langen Zeitraum schon mehrfach geäußert hat, und auch
der Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler haben immer gesagt, dass wir versuchen sollten, mit der chinesischen Regierung eine einvernehmliche Regelung zu erreichen. Wir sind hier durchaus zuversichtlich, dass dies
gelingt, selbst wenn es jetzt zu einer vorläufigen Erhebung von Antidumpingzöllen kommen sollte. Eine einvernehmliche Regelung mit der chinesischen Regierung
sollte dergestalt aussehen, dass die chinesische Regierung eine Selbstverpflichtung anbietet. Dieses Angebot
kann dann von der EU-Kommission gegebenenfalls angenommen werden. Das ist das Verfahren, vor dem wir
stehen.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege Ralph Lenkert.
Herr Staatssekretär, in den letzten anderthalb Jahren
sind mehrere Tausend Arbeitsplätze in der Solarmodulherstellung weggefallen, sei es in Frankfurt an der Oder,
sei es im Raum Bitterfeld, sei es bei mir im Wahlkreis in
Jena. Schon damals wurde von Solarfachverbänden die
Dumpingpolitik der chinesischen Regierung und Hersteller stark angegriffen. Es war also genügend Zeit für
eine bilaterale Abstimmung und Beseitigung des Problems.
Meine Frage an Sie also: Welche Maßnahmen haben
Sie im Vorfeld des Tätigwerdens der EU unternommen,
um dieses Dumping zu unterbinden?
Herr Kollege Lenkert, ich kann Ihnen versichern
- das können Sie im Übrigen auch Presseberichten entnehmen -, dass die Bundesregierung in den vergangenen
Jahren bei vielfältigen Gelegenheiten mit der chinesischen Regierung über die Situation der Solarindustrie
und die Vorwürfe von Subventionen gesprochen hat und
darauf gedrungen hat, dass hier eine einvernehmliche
Regelung herbeigeführt wird.
Ich möchte Ihnen aber auch gleichzeitig sagen, dass
das Verfahren, vor dem wir jetzt stehen, nicht auf Antrag
der Bundesregierung in Kraft gesetzt wird, vielmehr haben sich deutsche Solarindustrieunternehmen an die EUKommission gewandt. Das Ganze ist in der Verantwortung der EU-Kommission. Eine wie auch immer geartete
Zuständigkeit der Bundesregierung für ein Antidumpingverfahren besteht nicht. Das bitte ich Sie zu beachten, weil wir hier in einem rechtsförmlichen Verfahren
sehr genau darauf achten müssen, wer wofür zuständig
ist.
Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen Ralph
Lenkert:
Welche Auswirkungen für die deutsche und europäische
Solarbranche erwartet die Bundesregierung durch die von der
Europäischen Kommission vorgesehene Erhebung von Sonderzöllen bei der Einfuhr von Solarmodulen aus China?
Vizepräsident Eduard Oswald
Bitte schön zur Beantwortung: Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hans-Joachim Otto.
Lieber Herr Kollege Lenkert, die Auswirkungen,
positiver oder vielleicht auch negativer Art, auf die Solarbranche sind Gegenstand der jetzt vorzunehmenden
Gesamtanalyse des Vorschlags der EU-Kommission
durch die Bundesregierung. Hier gibt es noch keine abschließende Stellungnahme, sie ist im Laufe der nächsten Tage von der Bundesregierung zu erwarten.
Wir müssen dabei - das will ich jetzt schon sagen die Interessen der Europäischen Union und auch die Interessen der unterschiedlichen Beteiligten in die Abwägung einbeziehen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass
wir natürlich auch darauf zu achten haben, dass es nicht
zu einer handelspolitischen Verschärfung, einer Eskalation der Beziehungen mit China kommt, weil China ein
extrem wichtiger Handelspartner für die Europäische
Union ist. Wir legen deshalb größten Wert darauf, möglichst im Einvernehmen mit der chinesischen Regierung
zu einer Regelung zu kommen. Es kann also hier nicht
nur darum gehen, eine Rechtsposition knallhart durchzuziehen und zu exekutieren. Es geht vielmehr darum - die
Bundesregierung hat ihr Interesse immer wieder deutlich
gemacht -, dass man sich zu einer einvernehmlichen Lösung mit der chinesischen Seite durchringt.
Jetzt Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, noch einmal Bezug nehmend auf
Ihre vorige Antwort: Ich hätte auch nicht erwartet, dass
die Bundesregierung sich für Arbeitsplätze in der Solarmodulfertigung in der Bundesrepublik einsetzt. Deswegen mussten die Hersteller letzten Endes selbst aktiv
werden. Eine andere Wahl blieb ihnen nicht. Es wäre
besser gewesen, wir hätten Wirtschaftspolitik gemacht.
Aber jetzt zu der von Ihnen angesprochenen Verhandlung mit China: Ich war in China zu der Zeit des großen
Streits um die Lehrbücher, als es hieß, die chinesisch-japanischen Beziehungen würden am Boden liegen. Zum
damaligen Zeitpunkt war ich vor Ort. Es gab Tumulte
auf den Straßen. Ich kann Ihnen versichern: Die Chinesen haben den Auftrag trotzdem an die japanische Firma
vergeben, weil sie einfach nach Marktlage entscheiden.
Wenn die Bundesregierung mit gerechten, ausgewogenen Forderungen an die chinesische Seite herantritt,
dann sind die Chinesen nach meinen Erfahrungen bereit,
darüber zu reden und zu verhandeln, sofern sie sich nicht
benachteiligt fühlen. Eine Benachteiligung kann ich in
dem Fall nicht erkennen.
Ich frage Sie also: Wann haben Sie konkret mit den
Chinesen über welche Punkte gesprochen, um die Benachteiligung der europäischen Solarindustrie abzubauen?
Lieber Herr Kollege Lenkert, um das klarzustellen:
Den Vorwurf, den Sie eben ganz nebenbei erhoben haben, die Bundesregierung kümmere sich nicht um die
Arbeitsplätze in der Solarbranche, weise ich wegen Unsinnigkeit zurück. Das ist natürlich nicht der Fall. Die
Bundesregierung kümmert sich darum, dass wir so viele
Arbeitsplätze wie möglich auch in der Solarindustriebranche erhalten. Das gilt namentlich auch für den
Bundeswirtschaftsminister.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir haben bei allen
deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen immer
wieder zur Sprache gebracht, dass die Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen zwischen China und Deutschland
von großem Vertrauen, von Transparenz und Fairness
geprägt sein müssen. Wir haben das von dem Gesichtspunkt des Schutzes geistigen Eigentums beispielsweise
bis zu Finanzierungsfragen und Dumpingfragen bei jedem der Gipfeltreffen, die es ja zwischen der Bundeskanzlerin und der chinesischen Regierung wie auch zwischen dem Wirtschaftsminister und der chinesischen
Regierung regelmäßig gibt, immer wieder angesprochen.
Um Ihren Optimismus zu befeuern: Die chinesische
Seite hat durchaus die Möglichkeit, sich den Argumenten der deutschen Bundesregierung, aber auch der EUKommission anzuschließen und diesen Handelsstreit
beizulegen. Wir gehen auch davon aus, um das ganz klar
zu sagen, dass wir innerhalb der sechs Monate bis zur
Verhängung von endgültigen Maßnahmen noch zu einer
Regelung mit der chinesischen Seite kommen werden.
Ihren Optimismus teilen wir. Aber das Verfahren
muss so ablaufen, wie es jetzt begonnen wurde.
Unsere Geschäftsordnung sieht vor, dass Sie eine
weitere Nachfrage stellen können. Bitte schön, Kollege
Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, es
gibt inzwischen Erfahrungen der Vereinigten Staaten, die
in einem ähnlichen Verfahren schon seit geraumer Zeit
den Missbrauch von Maßnahmen in der Volksrepublik
China zur Förderung ihrer Industrie bekämpfen. Planen
Sie, diese Erfahrungen in Ihre Bewertung der Antidumpingzölle gegenüber der EU-Kommission aufzunehmen?
Selbstverständlich, Herr Kollege Lenkert, befassen
wir uns auch mit den Erfahrungen, die die Vereinigten
Staaten mit den Antidumpingzöllen machen. Aber ich
will betonen: Wir sind jetzt in dem Verfahren zur Einführung vorläufiger Antidumpingzölle. Zuständig dafür
ist die EU-Kommission. Deswegen hätten Sie vielleicht
besser fragen sollen: Hat die EU-Kommission das auch
einbezogen? Ich kann Ihnen darauf nur antworten, dass
ich auch dabei fest davon ausgehe, dass die EU-Kom30088
mission vor Einleitung dieser Maßnahmen die Entwicklung in den USA sehr genau betrachtet hat.
Die Bundesregierung ist dennoch zuversichtlich, dass
wir anders als die Vereinigten Staaten in Gesprächen mit
der chinesischen Regierung doch noch einen Weg finden
werden, um eine Eskalation dieses Konfliktes zu vermeiden.
Vielen Dank. - Die Fragen 34 und 35 der Kollegin
Katja Keul werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Die Frage 36 des Kollegen Tom Koenigs,
die Fragen 37 und 38 der Kollegin Sevim Dağdelen sowie die Fragen 39 und 40 des Kollegen Dr. Rolf
Mützenich werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie begründet die Bundesregierung, dass bei dem Einstellungsverfahren des Bundesministeriums des Innern aus dem
Herbst 2012 für 24 Volljuristen im Bezug auf die Auswahl der
zu Bewerbungsgesprächen eingeladenen und letztlich ausgewählten Bewerberinnen und Bewerber von der durch das
Bundesverwaltungsamt erstellten Liste abgewichen wurde
({0}), und wie erklärt die Bundesregierung den dabei überproportional hohen Anteil von
Kandidatinnen und Kandidaten, die politisch der CDU und
CSU nahestehen - durch Parteimitgliedschaft oder Stipendien
der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Beck, meine Antwort lautet: Die in der
Presse und auch von der Opposition über das letzte Juristenauswahlverfahren des Bundesinnenministeriums getroffenen Behauptungen sind falsch. So gab es keine
Rangliste des Bundesverwaltungsamts, von der durch
das BMI hätte abgewichen werden können. Die Auswahl
der Bewerber erfolgte streng nach Eignung, Befähigung
und fachlicher Leistung. Ob die Bewerber einer Partei
angehören oder nahestehen, wurde weder abgefragt,
noch wurden entsprechende Daten erhoben, und spielte
schon deshalb im Auswahlverfahren keine Rolle.
Das BMI bedauert insbesondere im Hinblick auf die
ausgewählten und eingestellten Personen, dass es zu
einer derart unzutreffenden Presseberichterstattung gekommen ist. Auch das Arbeitsgericht Berlin hat das Juristenauswahlverfahren in keiner Weise beanstandet. Das
Auswahlverfahren zur Einstellung von Juristen in das
BMI wurde im Februar 2013 abgeschlossen. Personalrat
und Gleichstellungsbeauftragte waren umfassend in das
Verfahren eingebunden, mit der Auswahl der Bewerber
einverstanden und haben allen Einstellungen zugestimmt.
Das Auswahlverfahren verlief in einem seit vielen
Jahren bewährten strukturierten Auswahlprozess. Es
wird unter umfassender Beteiligung der Interessenvertretung durchgeführt und regelmäßig evaluiert. Mit diesem Verfahren werden seit Jahren hervorragende junge
Juristen eingestellt, die erfolgreich im Bundesinnenministerium tätig sind.
Der Kollege Volker Beck hat eine Nachfrage, bitte
schön.
Lassen Sie mich kurz vorausschicken, dass die Nachfragen zu dem Verfahren kein Unwerturteil über die Befähigung der eingestellten Bewerber beinhalten. Da will
ich niemandem zu nahe treten. Ich kenne die Leute gar
nicht.
Das Bundesinnenministerium hat durch seine Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe am 8. Mai ein Rundschreiben geschickt, das weitgehend dem Sprechzettel
entspricht, den Sie gerade vorgetragen haben. Auch in
diesem Schreiben heißt es: Das Arbeitsgericht Berlin hat
das Verfahren in keiner Weise beanstandet. - Das widerspricht allerdings in grober Weise der Presseberichterstattung. So ist in dem in meiner Ausgangsfrage zitierten
Artikel aus der Welt zu lesen, dass das BMI vom Arbeitsgericht wegen dieses Verfahrens verurteilt worden sei.
Außerdem deckt sich Ihre Aussage, es handele sich um
ein seit vielen Jahren bewährtes strukturiertes Auswahlverfahren, nicht mit der Aussage in diesem Artikel, dass
das Ranking des Bundesverwaltungsamts in Nachtarbeit
umgestellt worden sei.
Was war denn nun der Anlass der Hausmitteilung, in
der einfach pauschal den Vorwürfen widersprochen
wird, ohne zu belegen, wie dieses Verfahren ablief? Sie
müssen mir den Sprechzettel, der bereits veröffentlicht
wurde, nicht noch einmal vorlesen.
Nein, das mache ich nicht.
Ich möchte gerne wissen, wie die Vorgänge tatsächlich waren, wenn sie anders waren als im Artikel beschrieben, und ob Sie vom Arbeitsgericht wegen des
Verfahrens verurteilt wurden oder ob Sie gegenüber dem
Kläger obsiegt haben.
Herr Kollege Beck, was die ausgewählten Personen
betrifft, so ist es natürlich fatal, wenn das Verfahren, das
zu ihrer Auswahl geführt hat, nachträglich in Zweifel gezogen wird und man parteipolitische Präferenzen unterstellt. Ich kann Ihnen nachher die tatsächlichen Zahlen
nennen, aus denen die erklärten parteipolitischen Präferenzen hervorgehen.
Zum Verfahren: Frau Rogall-Grothe hat mit ihrem
Schreiben auf die Presseberichterstattung und die Äußerung der Behindertenbeauftragten auf einer Belegschaftsversammlung reagiert.
Der Streit, der vor dem Arbeitsgericht stattgefunden
hat, war ein Streit zwischen der Behindertenbeauftragten
und der Personalvertretung, weil die Behindertenbeauftragte der Meinung war, dass die Personalvertretung ihre
Zustimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hätte
geben dürfen, weil sie als Behindertenbeauftragte eine
nachträgliche Beanstandung hatte. Es war die Frage, ob
das verfahrensmäßig richtig war. Das Arbeitsgericht hat,
ohne die gegenwärtige Entscheidung infrage zu stellen,
der Behindertenbeauftragten für zukünftige Entscheidungen in Verfahren ein nachträgliches Einspruchsrecht
eingeräumt.
Das betrifft aber von der Sache her nicht die Qualität
der Personalauswahl. Auf diese Feststellung muss ich
großen Wert legen. Das begründet in keiner Weise den
Vorwurf, hier seien parteipolitische Präferenzen gesetzt
worden.
Obwohl die rote Lampe aufleuchtet, möchte ich,
wenn es der Herr Präsident gestattet, sagen, was die
nachträgliche Erhebung ergeben hat, weil manche der
Vorwürfe dadurch vielleicht gegenstandslos werden. Von
den 24 zur Einstellung vorgesehenen Bewerbern - wie
gesagt, es wurde keine parteipolitische Zugehörigkeit
abgefragt - hat lediglich ein Bewerber seine CDU-Mitgliedschaft angegeben, zwei Bewerber haben Angaben
über ihre Mitgliedschaft in der Jungen Union gemacht.
Der in der Presse erfolgte Hinweis auf fünf Bewerber betrifft fünf Personen, die Stipendiaten der KonradAdenauer-Stiftung gewesen sind, von denen einer, übrigens vor der Pressekampagne, ein anderes Angebot angenommen hat.
Im Übrigen setzt die Förderung durch die KonradAdenauer-Stiftung - das wissen Sie; das gilt analog auch
für andere politische Stiftungen - gerade keine CDUMitgliedschaft voraus. Wenn ich richtig informiert bin,
hat auch der Kollege Lauterbach ein Stipendium der
Konrad-Adenauer-Stiftung gehabt.
({0})
- Nein. - Ich halte die Äußerungen in dem Artikel, auf
den Sie sich beziehen, für grob irreführend. Es ist mir
ein wichtiges Anliegen, diese Darstellung zurückzuweisen. Ich kann nur bedauern, dass ein einzelner Journalist
der Welt sich hier offenbar aufgrund einer sehr mangelhaften Recherche zu einer Darstellung hinreißen ließ, die
in keiner Weise zutrifft.
Der Kollege Volker Beck nutzt die Möglichkeit einer
weiteren Nachfrage.
Ganz so einsam scheint dieser Mensch nicht zu sein;
denn seitdem ich erklärt habe, dass ich Sie diese Woche
befragen will, erreichen mich aus dem Umfeld Ihres
Hauses zahlreiche Behauptungen; ich will hier klären,
welche davon stimmen. Es wird behauptet, es habe Einstellungen einer erheblichen Zahl von Personen gegeben, die ein CDU-Parteibuch oder eine Nähe zu dieser
Partei gehabt hätten. Das Verfahren sei entsprechend
korrigiert worden.
Andere behaupten, es gebe eine auffällig hohe Zahl
von Kandidaten, die in katholischen Organisationen
seien und aus dem Erzbistum Köln stammten, was ich
als Kölner grundsätzlich begrüße. Es könnte, so die Behauptungen, einen Zusammenhang mit Herrn PaulJohannes Fietz geben, der Abteilungsleiter in Ihrem
Hause ist, über theologische Fragen veröffentlicht und
zufälligerweise auch aus dieser Gegend stammt.
Ich stelle meine Frage in Kenntnis von zwei Urteilen,
die mir zu anderen Verfahren im Zusammenhang mit
Herrn Fietz vorliegen - eines stammt vom Februar 2013,
eines vom November 2012 - und bei denen das Bundesinnenministerium jeweils erstinstanzlich vor dem Arbeitsgericht Berlin unterlegen ist. Die Begründungen der
Urteile sind wirklich lesenswert. Es werden dem Innenministerium nämlich abenteuerliche Verfahren und
rechtswidrige Begründungen bei den Ausleseverfahren
vorgeworfen.
Es heißt, offenbar verfahre der Leiter der Zentralabteilung, Herr Fietz, nach einem ganz eigenen Personalmanagement. Das sei zumindest der Eindruck, den
man bekomme. Er selbst sei ehemaliger Mitarbeiter der
Unionsfraktion und beabsichtige wohl, nur noch Juristen
und Informatiker einzustellen, die zumindest kulturell,
nicht unbedingt vom Parteibuch her, eine möglichst
große Nähe zur Union hätten. In internen Auswahlverfahren aktuell Tarifbeschäftigte des BMI gegen Beamte,
die aus anderen Behörden ans BMI abgeordnet worden
seien, gegeneinander antreten zu lassen, sei die übliche
Praxis. Wer gewinne, dürfe bleiben, wer verliere, müsse
gehen.
Um solche Fälle, in denen Leute gehen sollten, geht
es in den zwei arbeitsgerichtlichen Verfahren. Ziel ist es
offenbar, dass viele altgediente und unangenehme Mitarbeiter nicht zum Zuge kommen.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Unionsparteibuch
und ohne Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung
mussten aufgrund dieser Verfahren in den letzten Jahren
gehen? Wie viele der dadurch frei gewordenen Posten
wurden mit Menschen besetzt, die ein Unionsparteibuch
haben, von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert
wurden oder ehemalige Mitarbeiter der Unionsfraktion
sind?
Herr Kollege Beck, ich erlaube mir die Gegenfrage,
ob Sie tatsächlich auf diesem Niveau mit mir hier diskutieren wollen.
({0})
Aber ich fühle mich verpflichtet, Ihre Frage zu beantworten.
Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass Konfessionszugehörigkeit überhaupt nicht abgefragt wird und
insofern gar nicht Gegenstand des Auswahlverfahrens
sein kann.
({1})
Was nun den Rundumschlag betrifft, den Sie aus dem
Schriftstück, aus dem Sie hier zitiert haben, ableiten, so
kann ich nur sagen, dass der Inhalt dieses Schriftstücks
in einem ziemlichen Kontrast zu dem sonstigen Einstellungsverfahren und auch zu dem Umstand steht, dass die
Einstellungen in Übereinstimmung mit dem gewählten
Personalrat vorgenommen wurden.
Was das konkrete Einstellungsverfahren betrifft
- diese Zahlen sollen noch einmal klar benannt werden -: Es gab 573 Bewerbungen. Davon waren 479 formal geeignet. 80 Bewerber sind nach einem Auswahlverfahren, dessen Kriterien ich Ihnen gerne nenne, wenn
es Ihr Wunsch ist, in die nähere Auswahl durch das
Assessment-Center mit entsprechenden ausführlichen
Einstellungsgesprächen gekommen. 24 dieser Bewerber
wurden ausgewählt. Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie
sich die erklärte Parteizugehörigkeit unter diesen
24 Kandidaten aufteilt.
Wenn von 24 ausgewählten Kandidaten einer erklärtermaßen ein CDU-Parteibuch hat, 2 sagen, dass sie der
Jungen Union angehören, und 5 Stipendiaten der
Konrad-Adenauer Stiftung sind - übrigens wurden weitere fünf durch die Studienstiftung des deutschen Volkes
gefördert -, dann weiß ich nicht, ob Sie tatsächlich die
Behauptung aufrechterhalten sollten, hier werde Parteibuchpolitik gemacht. Ich muss Ihnen diese Frage einfach
auch als Gegenfrage stellen.
({2})
Der Kollege Volker Beck - er ist Mitglied des Ältestenrates - kennt die Geschäftsordnung mindestens so gut
wie der amtierende Präsident. Ich weiß, dass die Beantwortung einer solchen Frage auch in anderen Fällen
nicht zugelassen würde. Wir beenden nun die Behandlung dieser Frage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fragen 42 bis
62 - das sind alle weiteren Fragen aus diesem Geschäftsbereich wie auch aus den Geschäftsbereichen des Bundesministeriums der Justiz, des Bundesministeriums der
Finanzen, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, des Bundesministeriums
der Verteidigung, des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung - werden schriftlich beantwortet.
Mit Blick auf die Uhr und nach Rücksprache mit den
Geschäftsführern der Fraktionen unterbrechen wir bis
15.35 Uhr die Sitzung. Danach beginnt die Aktuelle
Stunde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Pläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein allgemeines „Tempolimit 120“ auf
Autobahnen
({0})
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Gero
Storjohann. Bitte schön, Kollege Gero Storjohann.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind hier zusammengekommen wegen Presseäußerungen, die uns sehr erstaunt haben.
({0})
Herr Gabriel, Vorsitzender der SPD, hat am 8. Mai eine
Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 120 Stundenkilometer begrüßt. Er hat gesagt:
Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll,
weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die
Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt.
({1})
Diese Aussage hat nicht lange Bestand gehabt - jedenfalls nicht innerhalb der SPD. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier erklärte gegenüber der Neuen
Westfälischen:
Tempolimits sind kein Selbstzweck. Auf Autobahnen sehe ich im Hinblick auf den Stand und die
Qualität des Autobahnausbaus keine Notwendigkeit
für ein generelles Tempolimit.
Hier haben wir zwei Aussagen - die innerhalb eines
Tages gemacht wurden -, die uns doch verwundern. Bei
Gabriel wundert uns das natürlich nicht; denn schon
2007 hat er als Umweltminister etwas Ähnliches gefordert. Nur hat er sich damals nicht für Tempo 120, sonGero Storjohann
dern für Tempo 130 ausgesprochen. Wir wollen heute
gerne näher beleuchten, was davon denn nun richtig ist.
({2})
Im Jahre 2007 hat die SPD einen Parteitagsbeschluss
gefasst, in dem sie sich auf Tempo 130 festgelegt hat. Im
Gegensatz zu den Linken oder auch zu den Grünen hat
die SPD im Bundestag aber keine eigenen Anträge dazu
gestellt. Auch in ihrem Wahlprogramm hat sie sich bisher nicht auf eine allgemeine Tempobeschränkung festlegen können.
({3})
- Sehen Sie! Ich lese alles.
({4})
Wir werden ja gleich von Ihnen, Herr Kahrs, hören, wie
das weitergehen soll.
Nun gibt es ja auch Fachpolitiker. Fachpolitiker in
Schleswig-Holstein ist der Verkehrsminister Meyer. Er
gibt dafür keine Rückendeckung und sagt, in SchleswigHolstein gilt schon heute auf mehr als einem Drittel aller
Autobahnkilometer faktisch ein Tempolimit aufgrund
von Baustellen oder aufgrund von Geschwindigkeitsbeschränkungen, die wegen der Verkehrslage erforderlich
sind.
({5})
Was ist die Position des ADAC? Herr Becker - er ist
ein Vizepräsident des ADAC und kommt ebenfalls aus
Schleswig-Holstein - sagt, dass die Zahl der Getöteten
auf Autobahnen bezogen auf die gefahrenen Kilometer
hierzulande niedriger sei als in Österreich, wo Tempo
130 gelte.
({6})
Die Autobahnen seien die sichersten Straßen in Deutschland.
Das ist die Ausgangssituation. Wir freuen uns natürlich, nachher von Herrn Kahrs und weiteren Rednern der
SPD zu hören, was die SPD wirklich will. Der Bürger
könnte ja auf die Idee kommen, sich mit dem Programm
der SPD zur Bundestagswahl zu beschäftigen.
({7})
Wir als CDU/CSU - das wissen Sie aus vielen Debatten hier im Hause; diese Debatten sind nicht neu - lehnen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab.
({8})
Ich weise darauf hin, dass bereits 40 Prozent aller Autobahnabschnitte dauerhaft oder zeitweilig mit Geschwindigkeitsbegrenzungen versehen sind, nämlich da, wo es
Sinn macht.
({9})
Es macht Sinn an Baustellen und gefährlichen Stellen.
Sicherheit ist das A und O im Straßenverkehr.
({10})
Jeder Verkehrstote, jeder Verkehrsverletzte ist einer zu
viel. Deswegen haben wir eine aktive Verkehrssicherheitsarbeit auch unter dieser Bundesregierung auf den
Weg gebracht. Es geht hier nicht nur um das Tempolimit,
wenn man Verkehrssicherheit erreichen will; sondern dabei geht es auch um Fahrzeugsicherheit. Es geht um die
Beschaffenheit von Straßen und die Verbesserung von
Infrastruktur. Und auch das Wetter spielt bei der Verkehrssicherheit eine entscheidende Rolle.
({11})
Wir haben die Winterreifenpflicht auf den Weg gebracht.
Auch das trägt zur Verkehrssicherheit bei.
Wir plädieren für intelligente Streckenbeeinflussungsanlagen bei Unfallschwerpunkten. Wir bemühen
uns ferner, die Aufklärungsarbeit zu verbessern. Sinnvoll ist es, wenn der Bürger einsieht, dass er seine Geschwindigkeit den Gegebenheiten anpassen muss. Das
fördern wir mit unserer Politik.
Die CDU/CSU setzt sich mit aller Kraft dafür ein,
dass die Verkehrssicherheit in Deutschland ein Hauptthema bleibt. Dazu gehören der Umbau von Unfallschwerpunkten, die Bereitstellung sicherer Infrastruktur
sowie gute Rahmenbedingungen für intelligente Fahrzeugtechnik. Das ist das A und O.
({12})
Zum Abschluss möchte ich betonen, dass wir die Reform des Zentralregisters auf den Weg gebracht haben.
Die neuen Regelungen konzentrieren sich ausdrücklich
auf Verkehrssünder, die wiederholt und rücksichtslos die
Verkehrssicherheit gefährden. Das ist der richtige Ansatz, um den Verkehrssündern das Handwerk zu legen
und sie letzten Endes zu vernünftigen Verkehrsteilnehmern zu machen, die ihre Geschwindigkeit der jeweiligen Situation anpassen. Damit erhöhen wir entscheidend
die Verkehrssicherheit auf Deutschlands Straßen.
({13})
Vielen Dank, Kollege Gero Storjohann. - Nächster
Redner für die Fraktion der SPD ist unser Kollege
Florian Pronold. Bitte schön, Kollege Florian Pronold.
({0})
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter
Herr Präsident! Ich kann mir vorstellen, mit welcher
Vorfreude die zukünftigen Oppositionsfraktionen dieses
Thema aufgesetzt haben,
({0})
weil es immer schön ist, über vermeintliche Widersprüche eine Aktuelle Stunde anzusetzen. Das Tempolimit ist
ein Thema, das viele zu Tränen rührt. Auch ich kann zitieren. Ich weiß nicht, ob die liebe Union weiß, wie die
Bundeskanzlerin zum Tempolimit steht. Das ist eine sehr
spannende Frage. Ich habe Ihnen zwei Buchausschnitte
mitgebracht: von Gerd Langguth Angela Merkel und
Angela Merkel - Mein Weg mit Originalzitaten.
({1})
Ich hoffe, dass Sie es gründlich gelesen haben. Dort
steht, dass die Bundeskanzlerin im Jahre 1995 als damalige Umweltministerin im Zusammenhang mit der Sommersmogverordnung für ein Tempolimit war.
({2})
Dann - jetzt wird es besonders lustig - wurde sie im Kabinett von Helmut Kohl und anderen gebremst. Sie brach
- das kann man nachlesen - darüber sogar in Tränen aus.
({3})
Sie ist eine menschliche Umweltministerin, die sogar in
Tränen ausbricht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie
haben damals die Umweltministerin als Vaterlandsverräterin bezeichnet. Auch dies ist in der von Angela
Merkel autorisierten Biografie nachzulesen, und zwar
auf Seite 98.
({5})
Und das, weil sie für ein Tempolimit eingetreten ist. Sie
stellen sich hierher und wollen mit uns eine Debatte über
diese Frage machen. Wo ist denn Frau Merkel? Wo ist
denn Herr Ramsauer? Ich möchte über diesen Widerspruch diskutieren, den die Frau Kanzlerin und der Herr
Verkehrsminister zum Thema Tempolimit haben.
({6})
Ist es da vielleicht genauso wie beim Thema PkwMaut? Herr Ramsauer lügt die Menschen an, indem er
behauptet, es gebe eine Pkw-Maut nur für Ausländer.
Die Bundesregierung sagt in einer Antwort: Das geht
nicht. - Dann sagt die Kanzlerin, in Treue zum ADAC:
Nein, niemals eine Pkw-Maut. - Aber der Herr
Ramsauer ist weiterhin dafür. Wo ist die Einigung? Darüber lassen Sie uns reden! Bei dem Thema ist es genauso wie beim Thema Tempolimit: Bundeskanzlerin
und Bundesverkehrsminister in geschlossener Vielfalt.
({7})
Ich finde es sehr mutig, dass Sie angesichts der klaren
Bekenntnisse Ihrer Kanzlerin für ein Tempolimit behaupten, es gebe darüber Klarheit. Ich bin wirklich gespannt, wie Sie das auflösen. Ich würde mich freuen,
wenn Sie Ihre Redner noch austauschen würden. Ich
fände es nämlich wirklich gut, wenn Herr Ramsauer und
Frau Merkel uns hier darüber Auskunft gäben, was denn
nun die Richtlinie der Politik der Bundesregierung ist.
Vielleicht führt das dann auch dazu, dass sich die Regierungsparteien CDU und CSU darüber einig werden, ob
die Kanzlerin eine Vaterlandsverräterin ist, weil sie sich
für das Tempolimit ausspricht, oder nicht. Das würde ich
wirklich gern wissen.
({8})
Wenn es schon eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema gibt, dann lassen Sie uns wenigstens über das
reden, was die Menschen bewegt.
({9})
Ich sage: Wir sind in der großen Gefahr,
({10})
ein De-facto-Tempolimit auf deutschen Autobahnen zu
bekommen. Denn der Bundesverkehrsminister hat es zugelassen, dass im Verkehrsbereich, in dem jedes Jahr
1,5 Milliarden Euro mehr für den Staatshaushalt eingenommen werden, so gut wie nichts ausgegeben wird, um
die Infrastruktur instandzusetzen.
({11})
Der Schlaglochminister Ramsauer wird de facto für ein
Tempolimit sorgen, weil es, wenn er so weitermacht, auf
den Autobahnen so viele Schlaglöcher geben wird, dass
man gar nicht mehr schneller als 130 fahren kann.
({12})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unser Kollege Oliver Luksic. Bitte
schön, Kollege.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Kollege Pronold,
Sie führen hier Schein- und Ablenkungsdebatten. Die
Haltung der Koalition ist klar.
({0})
Ihre Haltung ist unklar. Ein Tempolimit wird weder das
Weltklima retten noch die Verkehrssicherheit signifikant
verbessern.
({1})
Das ist ein klares Signal Ihrer Symbol- und Bevormundungspolitik, die mit dieser Koalition nicht zu machen
ist.
({2})
Eines ist sicher: Wir beschäftigen uns alle Jahre wieder mit den Forderungen nach Tempolimits auf Autobahnen. Das ist ein bisschen so eine Loch-Ness-Debatte
der Verkehrspolitik. Das taucht immer auf und versinkt
dann wieder schnell. Herr Gabriel hat sich oft mit dem
Eisbären Knut befasst.
({3})
Ich glaube, in Zukunft muss man bei ihm eher an Nessie
denken, dem Ungeheuer der deutschen Verkehrspolitik.
Lieber Kollege Pronold, wer von Ihnen spricht jetzt
eigentlich für die SPD? Was ist denn Ihre Haltung?
({4})
Das kommt nicht dabei heraus.
({5})
Ihr Slogan ist: Das Wir entscheidet. - Bei dieser Frage
ist das „Wir“ aber diffus. Sie haben 2007 einen Parteitagsbeschluss in Bezug auf das Tempolimit gefasst:
130 Kilometer in der Stunde. Im Wahlprogramm steht es
nicht. Herr Gabriel wollte wahrscheinlich wieder an die
SPD-Beschlusslage erinnern. Dafür herzlichen Dank!
Leider kennt Herr Gabriel wohl sein eigenes Programm
nicht. Darin steht ein Tempolimit von 130. Er will jetzt
120, obwohl die Partei für 130 ist. Das hat wohl den
Kanzlerkandidaten auf 180 gebracht.
Die eigene Generalsekretärin, Frau Nahles, sagt dann
auch noch in der FAZ, sie komme aus der Eifel, sie fahre
nicht nur gern schnell auf dem Nürburgring, sondern
auch besonders gern schnell auf der Autobahn.
({6})
Herr Steinmeier hat wiederum gesagt - ich zitiere -:
Tempolimits sind kein Selbstzweck. - Herr Ude hält die
Äußerungen Ihres Chefs für überflüssig wie einen
Kropf. Aber Sie, die Verkehrspolitiker, wollen weiterhin
ein Tempolimit. Das zeigt doch: Gabriel und Steinbrück
bremsen sich gegenseitig aus.
({7})
Letzten Endes bleibt hängen: Das Ganze ist wie ein
munteres Rätselraten. Die Politik der SPD ist wie eine
Quizshow: Die einen wollen 130, die anderen 120, wieder andere gar kein Tempolimit. Wahrscheinlich muss
der Wähler raten, was am Schluss herauskommt. Das ist
keine seriöse Politik.
Sie wollen außerdem, dass Tempo 30 in allen geschlossenen Ortschaften vorgeschrieben wird. Das haben
Sie beschlossen und hier im Deutschen Bundestag beantragt. Auch das hat Ihr SPD-Vorsitzender scheinbar verschlafen. Dieser Vorschlag wurde vom ADAC und vom
Städtetag kassiert. Daraufhin hat Herr Gabriel getwittert,
das solle man doch besser den Kommunalpolitikern
überlassen.
Wir sehen ganz klar: Wenn Rot-Grün regiert, gibt es
nicht nur ein Tempolimit auf Autobahnen,
({8})
sondern auch Tempo 30 in allen geschlossenen deutschen Ortschaften. Das ist der falsche Weg. Das lehnt
diese Koalition klar ab.
({9})
Der Kollege Storjohann hat es ja klar gesagt: Es gibt
heute überall die Möglichkeit, da, wo es notwendig ist,
Beschränkungen einzuführen. Deswegen ist ganz klar:
Alles ist gut, wenn es der Unfallvermeidung dient. Wir
brauchen keine starren Limits; wir brauchen situationsangepasste Geschwindigkeitsbegrenzungen. Das macht
Sinn.
Sie müssen einfach feststellen - schauen Sie sich
wirklich einmal die Unfallzahlen an! -: Das große Problem, das wir in Deutschland haben - da gibt es Bedarf -,
liegt bei Unfällen auf Landstraßen. Dort müssen wir bei
der Erhöhung der Verkehrssicherheit ansetzen, und da
tun wir einiges; Kollege Storjohann hat darauf hingewiesen.
Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es keinen
direkten kausalen Zusammenhang zwischen einem Tempolimit auf der einen Seite und der Verkehrssicherheit
auf der anderen Seite gibt.
({10})
Denn sonst gäbe es in Österreich, wo es ein Tempolimit
von 130 gibt, weniger Unfallopfer. Aber die Zahl der
Verkehrsopfer im Bereich der Autobahnen ist in Österreich im Verhältnis höher als in Deutschland. Alle Zahlen für Deutschland zeigen, dass die wenigen Unfälle auf
Autobahnen meist bei Geschwindigkeiten unter 120 passieren. Insofern gibt es im Hinblick auf die Verkehrssicherheit ein paar mehr Erklärungsfaktoren: Es geht um
die Infrastruktur, das Alter von Fahrzeugen, den Faktor
Mensch und vor allem um den technischen Fortschritt,
der dafür gesorgt hat, dass die Unfallzahlen zurückgehen. Es hat daher relativ wenig Sinn, ein Element einzeln
anzuschauen.
Die von Ihnen angestoßene Debatte zeigt uns relativ
eindeutig: Die Genossen - Sie haben auch nichts anderes
gesagt - wollen eigentlich ein Tempolimit; das ist Ihre
Beschlusslage. Sie wollen es zusammen mit den Grünen
einführen.
({11})
Das ist wahrscheinlich der Klartext, von dem Herr
Steinbrück immer redet, meine lieben Kollegen.
({12})
Die Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen ist
eine Symboldiskussion. Es geht Ihnen um eine Bevormundungspolitik. Exakt das Gleiche gilt für das Tempolimit, das Sie für geschlossene Ortschaften fordern.
({13})
Das Fazit der Debatte ist ganz klar: Wenn die SPD
nicht einmal beim Tempolimit eine gemeinsame Linie
findet - ich habe immer noch nicht verstanden, was Ihre
Linie ist -,
({14})
wie wollen Sie dann die anderen wichtigen Probleme des
Landes angehen?
({15})
Sie können nicht regieren; Gabriel und Steinbrück können es nicht. Ihre Politik bringt die Wähler auf 180.
Vielen Dank.
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Luksic. - Jetzt ist der
nächste Redner für die Fraktion Die Linke unser Kollege
Herbert Behrens. Bitte schön, Kollege Herbert Behrens.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Vorsitzende der SPD unterstützt in der Frage eines
Tempolimits auf Autobahnen das Wahlprogramm der
Grünen, aber auch den Entwurf unseres Wahlprogramms, das wir noch beschließen werden,
({0})
und fordert Tempo 120 auf Autobahnen.
({1})
Der Kanzlerkandidat der SPD unterstützt hingegen lieber das Wahlprogramm der CDU und sagt: Es darf jetzt
auf keinen Fall eine Debatte über ein Tempolimit geben. Es wird wohl auch nicht zu einem Tempolimit kommen.
({2})
Das ist natürlich eine Steilvorlage für die Koalition - das
ist klar -, und wir hören, wie genüsslich dieser Widerspruch innerhalb der SPD hier in der Aktuellen Stunde
zelebriert wird. Aber nach dem Ende dieser Debatte wird
dieses Thema vermutlich wieder in der Versenkung verschwinden, und das will ich nicht zulassen.
({3})
Ich fordere die Regierungsfraktionen und auch die
SPD-Fraktion auf, sich der Frage der Schaffung von
mehr Verkehrssicherheit auf allen Straßen zuzuwenden.
Diese Frage gehört auch in den Wahlkampf. Warum?
Die Tatsache, dass es auf Deutschlands Straßen viele
Verkehrsopfer gibt, die durch zu schnelles Fahren zu
Tode kommen oder lebenslang mit den Folgen ihrer
Verletzungen leben müssen, zwingt uns dazu, jeden
Vorschlag zu prüfen, der darauf abzielt, mehr Verkehrssicherheit zu erreichen.
({4})
Wir müssen endlich mehr für den Schutz der Verkehrsteilnehmer tun, unabhängig davon, ob sie im Auto,
auf dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Wir brauchen eine Diskussion und eine richtige Beschlussfassung
zur Frage: Wie gehen wir mit den Geschwindigkeiten
um? Ich finde es schlimm, wie die Regierungsfraktionen
- das hat sich eben in Ihren Redebeiträgen, aber auch in
den letzten Tagen in Ihren Pressemitteilungen und Statements gezeigt - gegen einen Vorschlag polemisieren, der
darauf zielt, die Zahl der Unfalltoten auf deutschen
Autobahnen erheblich zu reduzieren.
({5})
An dieser Stelle ist Wahlkampfgetöse völlig unangebracht.
Vor allem der angeschlagene Ton muss für die Unfallopfer und deren Angehörige unerträglich sein. Wenn der
FDP-Generalsekretär Patrick Döring
({6})
in der Bild am Sonntag behauptet, die Oppositionsparteien wollten „den Menschen ihr Weltbild aufzwingen
und ihnen das Autofahren vermiesen“,
({7})
und die entsprechende Programmatik als „Gegenprogramm zu einer Republik freier Bürger“ bezeichnet,
dann unterschreitet er damit selbst das Niveau der BildZeitung.
({8})
Um jetzt Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, die
ich sowohl in der Presseberichterstattung als auch teilweise hier in der Debatte vermisst habe, möchte ich
mich an die Fakten halten. Wir reden über ein verkehrspolitisches Relikt, das in anderen Ländern der Welt eigentlich schon längst verschwunden und überwunden
ist. Deutschland ist neben Afghanistan, Bhutan, Haiti,
Nepal und Somalia das einzige Land, in dem die Höchstgeschwindigkeit nicht gedeckelt ist. Auch wenn Autobahnen im Vergleich zu Landstraßen als sicherer gelten,
so müssen wir doch sehen, dass 42 Prozent aller schweren Unfälle auf Autobahnen Geschwindigkeitsunfälle
sind. Ein Tempolimit wäre ein viel effektiverer Beitrag
für mehr Verkehrssicherheit, Herr Storjohann, als
Ramsauers vermurkste Punktereform, über die wir morgen zu diskutieren haben.
({9})
Ein Tempolimit führt zu flüssigerem Verkehr - das
stellen wir als Autofahrerinnen und Autofahrer sicherlich fest - und weniger Staus, die aufgrund hoher Geschwindigkeitsunterschiede entstehen. Durch Raserei
entstehen vielfach gefährliche Situationen. Ein Tempolimit würde Unfälle vermeiden. Faktisch ist es schon
heute so, dass auf 98 Prozent aller deutschen Straßen
Tempolimits gelten - das sagen auch die Verkehrsverbände -, auf 40 Prozent der bundesdeutschen Autobahnen gibt es ebenfalls Geschwindigkeitsbeschränkungen; darauf wurde ja schon hingewiesen.
In den vergangenen Jahren sind noch weitere Argumente hinzugekommen als die der Verkehrssicherheit.
Gerade an Autobahntrassen ist die Lärmbelastung für
Bürgerinnen und Bürger extrem hoch. Sie fordern Lärmschutz und Lärmschutzwände, die sie aber nicht bekommen, weil sie nicht an Neubaustrecken wohnen, sondern
an alten Strecken.
Auch nicht neu sind die Argumente, die aus Umweltschutzgründen für eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf Autobahnen sprechen. Die Fachverbände weisen
darauf hin, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeit
auf 120 Kilometer pro Stunde den CO2-Ausstoß um
9 Prozent senken würde; das entspräche ungefähr
3,4 Millionen Tonnen CO2, das ist mehr, als der gesamte
Schienenverkehr in Deutschland verursacht.
Die Debatte über ein generelles Tempolimit ist schon
alt, damit hat Herr Steinbrück durchaus recht. Doch
bislang ist diese Idee an der Lobbyarbeit der mächtigen
Autokonzerne gescheitert. Auch Rot-Grün hat vor ihnen
gekuscht, obwohl es eine Mehrheit für die Einführung
eines Tempolimits gab. Sie haben das Thema umschifft
und es gar nicht erst auf die Tagesordnung gesetzt.
Alle Argumente liegen auf dem Tisch. Nehmen wir
diese Argumente ernst und knicken nicht gleich wieder
ein, nur weil uns Gegenwind ins Gesicht pustet. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben den
Wählerinnen und Wählern auch in dieser Frage noch einiges zu erklären. Wenn Sie schon mal beim Erklären
sind, dann erklären Sie doch auch die Position der SPD
zur Rente erst mit 67! Oder hat der Kanzlerkandidat seinen Schattenminister möglicherweise schon korrigiert?
({10})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Stephan Kühn. Bitte schön, Herr Kollege Stephan Kühn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Würden in Deutschland in einem Jahr zwei vollbesetzte Linienflugzeuge mit 400 Personen abstürzen was hätten wir für eine Debatte über die Sicherheit im
Luftverkehr. Wenn aber 400 Menschen ihr Leben auf
deutschen Autobahnen lassen und 28 000 Menschen
zum Teil schwer verletzt werden, fällt Schwarz-Gelb nur
ein, zu sagen, dass wir bereits ein hohes Sicherheitsniveau auf Autobahnen haben. Wir finden: Jeder Verkehrstote und jeder Verkehrsverletzte ist einer zu viel.
({0})
In diesem Zusammenhang kann ich die Albernheiten in
dem einen oder anderen Debattenbeitrag nur wenig
nachvollziehen.
Tempo 120 würde die Sicherheit auf deutschen Autobahnen deutlich verbessern; denn das Ziel muss sein:
Keiner kommt um, alle kommen an. Das ist die Vision
von „Vision Zero“. Diese Philosophie teilt übrigens auch
der Wissenschaftliche Beirat des BMVBS, also die
Fachleute. Sie haben nämlich gesagt: Deutschland
braucht ein Tempolimit. - Der Einzige, der das offensichtlich nicht wahrhaben will und auf die Meinung des
fachlichen Beirats nicht viel gibt, ist der Minister selber.
({1})
Alle Fakten sprechen für ein Tempolimit. Es wurde
schon gesagt: Wir sind weltweit fast das einzige Land,
auf dessen Autobahnen kein generelles Tempolimit gilt.
Nur in Deutschland darf per Gesetz gerast werden. Wir
finden: Damit muss Schluss sein!
({2})
Kommen wir zu den Fakten, Herr Kollege Luksic.
Die Einführung von Tempo 130, in dem Fall auf der
Autobahn A 24 zwischen dem Dreieck Havelland und
dem Dreieck Wittstock/Dosse, hat innerhalb von kürzester Zeit zu einer erheblichen Verkehrsverbesserung geführt: Halbierung der Unfallzahlen und minus 60 Prozent bei Verletzten bzw. Getöteten. Die Fakten belegen
klar, dass eine Verbesserung der Verkehrssicherheit mit
der Einführung eines Tempolimits einhergeht.
Tempolimit reduziert Verkehrslärm. Durch Tempolimit - das ist schon gesagt worden - können die CO2Emissionen reduziert werden, aber nicht nur die, sondern
auch die Kohlenmonoxid- und Stickstoffbelastung kann
bis zu 28 Prozent gemindert werden. Auch das ist ein
Argument für ein Tempolimit.
Auch die Kapazität der Autobahnen spielt eine Rolle.
Es gibt an vielen Stellen im Autobahnnetz Staus. Die
Strecken sind überlastet. Wir wissen, dass ein generelles
Tempolimit die Kapazität der Autobahnen erhöht,
({3})
weil das Geschwindigkeitsniveau homogener ist. So passen mehr Fahrzeuge auf die Autobahn, und deshalb geht
es flüssiger voran.
({4})
Ähnlich ist es bei der Frage der Standards. Es wird
immer pauschal behauptet, die Krötentunnel und die
Wildbrücken würden den Autobahnbau verteuern. Alles
Unfug! Grund sind die hohen Standards, die notwendig
sind, weil hohe Geschwindigkeiten gefahren werden.
({5})
Wenn diese hohen Geschwindigkeiten nicht erlaubt wären, könnten die beim Autobahnbau eingesparten Mittel
für die Verkehrssicherheitsarbeit verwendet werden.
Tempo 120 würde auch das Aggressionspotenzial auf
Autobahnen reduzieren. Alle kämen entspannter ans
Ziel. Gerade die älteren Verkehrsteilnehmer sagen zunehmend, dass sie sich auf den deutschen Autobahnen
nicht mehr sicher fühlen. Wer rasen will, kann das tun:
auf dem Lausitzring, auf dem Nürburgring oder auf dem
Hockenheimring. Nach meinem Kenntnisstand haben
alle drei Rennstrecken wirtschaftliche Probleme; vielleicht könnte man ihnen damit sogar helfen.
({6})
Diese Bundesregierung hat außer Appellen und Werbekampagnen nichts getan, um die Unfallursache Nummer eins, Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit,
wirksam zu bekämpfen. Nichts ist passiert! Kein substanzieller Beitrag! Das nationale Verkehrssicherheitsprogramm ist nichts anderes als ein Papiertiger; denn er
leistet in der Praxis keinen Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit.
Da wir in der Debatte gemerkt haben, dass Sie von
der Koalition sachlichen Argumenten nur in begrenztem
Maße offen gegenüberstehen,
({7})
sage ich Ihnen: Helfen Sie doch wenigstens Ihrem
Minister, der jetzt sogar an der Debatte teilnimmt! Mit
Tempo 120 können alle im Auto entspannt und stressfrei
seine CD „Adagio im Auto“ mit Klavierkonzerten von
Mozart hören.
({8})
Dieses Argument für Tempo 120 müsste bei Ihnen doch
tragen. Wir sind uns sicher: Freie Fahrt für Raser war
gestern.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin für die Fraktion von
CDU und CSU ist unsere Kollegin Frau Daniela
Ludwig. Bitte schön, Frau Kollegin Daniela Ludwig.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Herr
Pronold, Sie haben auf das Jahr 1995 und Frau Merkel
zurückgegriffen. Das kann ich auch. Ich gehe noch ein
Jahr weiter zurück: Herr Schröder, damals noch Ministerpräsident von Niedersachsen, wurde im Spiegel gefragt, was er denn als Autoministerpräsident von einem
Tempolimit halte.
({0})
Er sagte: Ganz schlecht, schädlich für die Autokonjunktur. - Sie finden den Aufhänger Ihrer Rede - Frau
Merkel/1995 - wahrscheinlich extrem originell. Ich fand
das gähnend langweilig und würde gerne zur Sache reden;
({1})
denn die Sache ist ernst genug und ernst zu nehmen.
Herr Kühn hat mir und meinen Kollegen mit einem
Satz definitiv aus der Seele gesprochen - damit bin ich
bei der Sache und beim Ernst der Sache -: Jeder Verkehrstote ist tatsächlich einer zu viel und jeder Verletzte
auch. Wir glauben aber im Gegensatz zu Ihnen
({2})
- wenn Sie mich ausreden lassen, erkläre ich es Ihnen,
Frau Höhn; immer gern -, dass ein generelles Tempolimit auf allen Autobahnen, für jeden Autobahnkilometer
in dieser Republik nicht zielführend ist. Warum? Die
Zahlen sind schon genannt worden - ich nenne sie aber
gerne noch einmal, weil ich glaube, dass sie uns bei der
Erkenntnisfindung helfen können -: Auf 40 Prozent der
deutschen Autobahnen gibt es bereits ein Tempolimit,
weil es aus Lärmschutzgründen notwendig ist oder weil
es Sicherheitsgründe dafür gibt. Sie haben Autobahnabschnitte genannt, auf denen die Zahl der Verkehrstoten
gesunken ist, nachdem ein Tempolimit eingeführt wurde.
Dazu kann man den Straßenverkehrsbehörden nur gratuDaniela Ludwig
lieren; denn das zeigt, dass sie die richtigen Abschnitte
ausgewählt haben.
({3})
Im Gesetz steht, dass der Autofahrer um eine angemessene Fahrweise gebeten wird, und zwar so oder so.
Auch bei einem Tempolimit muss er sich angemessen
verhalten und überlegen, ob er situationsbedingt vielleicht noch langsamer fahren muss als vorgeschrieben.
Auch das verhindert Unfälle.
Man muss auch sagen: Dort, wo am meisten Verkehr
ist, nämlich auf den Autobahnen - ein Verkehrszuwachs
von 31,6 Prozent in den letzten Jahren -, kommen im
Vergleich weniger Menschen bei Unfällen zu Tode,
wenn auch immer noch zu viele; denn am schlimmsten
ist es auf den Landstraßen.
({4})
Auf den Landstraßen haben wir aber schon ein Tempolimit. Der Grund für die vielen Verkehrsunfälle auf
Landstraßen ist nicht, dass dort, wie Sie so schön sagen,
gerast wird, sondern zum Beispiel, dass Bäume am Straßenrand stehen.
({5})
Eine nasse Fahrbahn, schlechter Asphalt, schlecht ausgebaute Straßen und hügelige bzw. bergige Straßenverläufe
führen häufig zu Unfällen, egal wie schnell oder langsam man fährt.
({6})
- Selbstverständlich. Aber Sie reden doch letztlich am
Problem vorbei. Schauen Sie sich die Zahlen an! Die
Zahlen aus Österreich sind oft genannt worden. Es gibt
noch ein anderes Land mit einem sehr strikten Tempolimit und mit dennoch vielen Verkehrstoten auf den
Highways, nämlich die Vereinigten Staaten. Auch da
hilft das generelle Tempolimit nicht, um die Zahl der
Verkehrstoten deutlich zu verringern. Also müssen wir
uns fragen: Ist ein generelles Tempolimit richtig, ja oder
nein? Ich sage Ihnen für unsere Koalition: Nein, es ist
nicht richtig.
({7})
Ich will jetzt nicht wieder die Vergangenheit bemühen
und sagen, dass Sie es doch längst hätten einführen können. Wissen Sie, an den Folgen Ihrer fatalen Verkehrspolitik knabbern wir noch heute. Da müssen wir uns nur
den teilweise schlechten Zustand der Infrastruktur anschauen.
({8})
Die Situation ist immer noch schwierig. Wir baden immer noch die Sünden aus, die uns ein gewisser ostdeutscher Verkehrsminister leider Gottes hinterlassen hat;
wir kümmern uns um seine unerledigte Arbeit.
({9})
Das regt mich viel mehr auf als die Debatte, ob Herr
Steinbrück für oder gegen was auch immer ist. Das interessiert mich nicht.
({10})
Vielmehr ist dies eine gute Gelegenheit, hier noch einmal darzustellen, dass Sie für alles Mögliche in Ihrer Regierungszeit Geld hatten, nur nicht für die Infrastruktur.
({11})
Der große Teil des Landes, insbesondere der westliche
Teil, leidet nach wie vor unter den fürchterlichen Folgen
dieser Politik. Das ist das Schlimme.
({12})
Ich kann nur sagen: Leute wie Sie machen hoffentlich
nie mehr Verkehrspolitik und sind hoffentlich nie mehr
in der Regierungsverantwortung für dieses Land. Das
kann ich wirklich nur hoffen.
({13})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
Johannes Kahrs. Bitte schön, Kollege Johannes Kahrs.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Diese Debatte ist von CDU/CSU und FDP angemeldet worden, weil sie hier eine Runde billige Polemik abladen wollen.
({0})
- Selbstverständlich, Herr Kollege. Mir ist das gänzlich
fremd. Ich bewege mich vorzugsweise auf der Sachebene.
({1})
Wenn man also feststellt, warum Sie diese Debatte
initiiert haben, dann merkt man auch, dass Sie etwas verbergen wollen. Frau Ludwig, Sie haben sich ja eben gekonnt aufgeregt. Schauen wir uns einmal die Leistungsbilanz Ihres Ministers - er ist gerade gekommen - an! In
der Welt, bekanntermaßen kein Kampfblatt der deutschen Sozialdemokratie, kann man lesen: „Es brennt an
allen Ecken und Enden“. Dort steht auch, dass die Präsidiumsmitglieder des Deutschen Verkehrsforums einen
Brandbrief geschrieben und gewarnt haben, „Straßen
und Trassen stünden vor dem Kollaps“. In der Welt steht
auch, dass es in Deutschland „erhebliche Defizite“ gibt.
Gleichzeitig hat diese Bundesregierung, der Ihr Minister
angehört, ein Eckwertepapier beschlossen, in dem vorgesehen ist, dass dieser Haushalt jedes Jahr 1 Milliarde
Euro weniger bekommt. Das sind die Fakten. Sie streichen im Bau- und Verkehrshaushalt. Das hat dieses Kabinett beschlossen. Ad eins.
Ad zwei. Sie stellen sich hierhin, klagen laut und diskutieren mit uns über ein Tempolimit 120, weil Sie selber Ihre eigene miserable Politik nicht geregelt bekommen. Wir haben hier in den letzten Wochen und Monaten
lange über die Situation am Nord-Ostsee-Kanal gesprochen, wo Sie es verbaselt haben, wo Sie das Geld abgezogen haben, wo Sie es nicht hingekriegt haben.
({2})
Es gibt eine verkorkste Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Wir haben unendlich viele Probleme.
Es gibt gesperrte Brücken. Das Einzige, was Ihnen einfällt, aber ist, aus diesem Etat Geld herauszunehmen.
Frau Ludwig, es gehört eine ganz schöne Portion Unverschämtheit dazu,
({3})
sich hier hinzustellen und uns Vorwürfe zu machen,
während Sie diesen Etat um Geld erleichtern.
({4})
Sie sollten auf der Sachebene bleiben und den Haushalt
lesen und verstehen. Auch Sie, Herr Döring, kommen
dann weiter; jedenfalls habe ich die Hoffnung.
Die Situation in Bezug auf dieses Thema ist doch relativ einfach. Frau Merkel war für ein Tempolimit; sie ist
hier eben zitiert worden. Ob sie es noch ist, weiß man
nicht; denn sie äußert sich zu keinem Thema.
({5})
Als Umweltministerin war sie jedenfalls dafür und ist
dann von der CSU als Vaterlandsverräterin beschimpft
worden. Ich muss ehrlich sagen: Das ist ein Umgang,
den man, wie ich finde, nicht pflegen sollte. Wenn man
die SPD hier vorführen möchte,
({6})
muss man doch zumindest aufpassen, dass man in der eigenen Veranstaltung nicht bloßgestellt wird. Wir können
hier laufend Ihre eigene Kanzlerin zitieren, die für ein
Tempolimit ist. Das ist doch peinlich für Sie. Es ist unsäglich.
({7})
Jetzt kommen wir zu der Frage, wofür wir als Sozialdemokraten sind.
({8})
Wir haben einen Kanzlerkandidaten, der klar gesagt hat:
Jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Ad eins. Ad zwei hat
er gesagt: Da, wo man aus Sicherheitsgründen ein Tempolimit braucht, sind wir dafür. Aber wir sind gegen ein
generelles Tempolimit.
({9})
Das ist die klare Ansage unseres Kanzlerkandidaten, und
in unserem Wahlprogramm steht nichts anderes.
Wenn Sie sich unser Programm ansehen, stellen Sie
fest, dass einige meiner Vorredner recht haben: Auf der
einen Seite ist es wirklich schwierig, viele rationale Argumente zu finden, warum man schneller als 120 fahren
sollte.
({10})
Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen dürfen:
Es gibt auch keine rationalen Argumente dafür, dass in
Deutschland geraucht wird. Es gibt kein rationales Argument dafür, dass in Deutschland Bier und Wein getrunken werden. Es gibt kein rationales Argument dafür, dass
in Deutschland Schokolade gegessen wird,
({11})
außer von mir vielleicht. Ich glaube, man muss zur
Kenntnis nehmen, dass die Bürger in diesem Land das
eine oder andere selbst entscheiden wollen,
({12})
und das muss auch möglich sein.
({13})
Man muss alles tun, was möglich ist, um die Sicherheit zu erhöhen. Insofern hat unser Kanzlerkandidat Peer
Steinbrück recht.
({14})
Wir Sozialdemokraten haben das entsprechend richtiggestellt. Auch ich zitiere gerne meine Generalsekretärin
Andrea Nahles, die eben von der Noch-Regierungspartei
vielfach zitiert worden ist; sie ist eine gute Frau.
({15})
Ich sage Ihnen: In der Sache sind die Sozialdemokraten
eindeutig und klar.
({16})
Jetzt möchte ich auf Folgendes hinweisen: Diese Debatte dient ja einem Zweck. Wir diskutieren doch nicht
ernsthaft im Deutschen Bundestag über dieses Thema,
damit sich die Union darüber klar wird, wie der Stand
der Diskussion innerhalb der SPD ist. Dass es zu solch
einem Thema in einer großen Volkspartei unterschiedliche Standpunkte gibt, ist doch klar.
({17})
- Aber Entschuldigung, das ist doch völlig in Ordnung.
({18})
Ich könnte Ihnen reihenweise Themen nennen, zu denen
selbst FDP und Union unterschiedliche Meinungen haben.
Man muss in der Lage sein, zu differenzieren. Ich persönlich habe nicht einmal einen Führerschein, bin also
im Gegensatz zu Ihnen komplett objektiv; denn ich rase
nicht.
({19})
Ich bin auch kein Verkehrslobbyist; ich habe, wie gesagt,
nicht einmal einen Führerschein. Mein Freund hat einen
Käfer, 63er-Baujahr; damit kann man, wenn es hochkommt, 120 fahren.
Ich denke, man muss in der Lage sein, ein paar Dinge
in diesem Land nicht zu regeln. Das, glaube ich, haben
wir Sozialdemokraten klargemacht. Ich hoffe, Sie verstehen das.
Glück auf!
({20})
Vielen Dank, Kollege Kahrs. - Nächster Redner in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP
unser Kollege Patrick Döring. Bitte schön, Kollege
Patrick Döring.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktuelle Stunden und Debatten dieser Art sind immer sehr
lehrreich. Der Kollege Pronold hat sich als Hardcorefan
der Frau Bundeskanzlerin geoutet. Ich hoffe, all die Bücher sind nicht nur gelesen, sondern auch signiert; ansonsten können Sie das ja morgen nachholen.
({0})
Der Kollege musste - das war bestimmt mühsam - bis in
das Jahr 1995 zurückgehen, um ein geeignetes Zitat zu
finden. Selbst wenn es so stattgefunden hat - und wer
bin ich, den Autoren zu widersprechen? -: Die Frau
Bundeskanzlerin unterscheidet sich von Ihrem Kanzlerkandidaten darin, dass sie einen vor 20 Jahren gemachten Fehler nicht wiederholt.
({1})
Wir haben in dieser Debatte viele bösartige Unterstellungen gehört. Das ist immer so, wenn mit dem Anspruch der überheblichen Moralität denjenigen, die für
differenzierte Lösungen sind, die glauben, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Leib und Leben und mit
dem Leben anderer besser umgehen als Verordnungen,
die sicher sind, dass Landesverkehrsminister an den
Stellen, an denen es nötig ist, die richtige Regelung treffen, und die der festen Überzeugung sind, dass es nicht
klug ist, die Menschen zu Tag- und Nachtzeiten, zu denen unsere Autobahnen in manchen Gegenden nicht sehr
stark befahren sind, mit einem kaum noch verstehbaren
Verbot zu belegen, unterstellt wird, sie seien dafür, dass
Menschen auf der Autobahn zu Tode kommen.
Ich stelle fest: 6 Prozent aller Unfälle mit Personenschäden passieren auf deutschen Autobahnen, davon weniger als ein Drittel wegen nicht angepasster Geschwindigkeit. Jeder davon ist einer zu viel. Aber ich lasse mir
von der Partei des erhobenen Zeigefingers, den Grünen,
nicht unterstellen, dass wir das anders sehen als Sie. Wir
haben nur andere Lösungen für das Problem.
({2})
Aber das passt ins Muster. Wenn man sich das Programm dieser Partei anschaut, dann staunt man. Im Programm von Bündnis 90/Die Grünen lautet das meist benutzte Verb „müssen“. 583-mal „müssen“ die Deutschen
das tun, was Sie auf Ihren Parteitagen beschlossen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist
vielleicht noch eine Hausordnung für eine grüne Besserungsanstalt; ein Konzept für eine Republik freier Bürger ist das sicher nicht.
({3})
Die Sozialdemokraten sind nicht viel besser: 314-mal
„müssen“ die Bürgerinnen und Bürger tun, was die Sozialdemokraten in ihrem Programm beschlossen haben.
Sie müssen verzichten, zum Beispiel auf die Pendlerpauschale. Sie müssen höhere Steuern zahlen, zum Beispiel
eine höhere Mineralölsteuer. All das müssen die Deutschen zum Wohle der Republik tun.
({4})
Sozialdemokraten und Grüne meinen zu wissen, wie
die Menschen leben sollen. Die Politik des erhobenen
Zeigefingers als Konzept für die nächsten vier Jahre? Da
sagen wir: Nein, danke, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({5})
Die Grünen sind wenigstens ehrlich. Sie fordern nicht
nur ein Tempolimit auf Autobahnen, sondern gleich
auch noch auf allen Bundes- und Landstraßen Tempo 80
und innerorts überall Tempo 30, und natürlich sollen die
Voraussetzungen dafür geschaffen werden, in deutschen
Großstädten eine Citymaut zu erheben und alle Lkws,
die schwerer sind als 3,5 Tonnen, auf allen Straßen zu
bemauten. Da die SPD sowieso nicht weiß, was sie will,
ist klar: Am Ende wird es so kommen, wie die Grünen es
wollen. Die sind wenigstens ehrlich und erklären den
Menschen, dass sie sie gängeln wollen - erstaunlicherweise werden sie dafür auch noch gewählt.
({6})
- Darüber können Sie sich freuen.
({7})
Ich finde fantastisch, was für ein Weltbild Sie haben.
Sie haben ein so konservatives Gesellschaftsbild,
({8})
dass es Ihre innere Überzeugung ist, dass der Staat, dass
die Politik alles besser weiß als die Bürger. Meine sehr
verehrten Damen und Herren, wir werden die Diskussion führen, ob die Menschen wirklich ein Schnäppchenverbot, ein Sonntagsfahrverbot, ein Motorrollerverbot,
ein Glühbirnenverbot, ein Billigfliegerverbot, ein Gentechnikverbot, ein Killerspielverbot, ein Nachtflugverbot, ein Rauchverbot, ein Heizpilzverbot, ein Fleischverbot an Wochentagen in Schulen und Kitas, ein
Solarienverbot für Jugendliche, ein Alkoholverbot im
ÖPNV, ein Grillverbot in Parks, ein Werbeverbot für
Fahrzeuge mit hohem Benzinverbrauch, ein Alkoholwerbungsverbot, ein Flatrateverbot, ein Verbot von
verkaufsoffenen Sonntagen, ein Verbot von Lichtverschmutzung, ein Verbot von Tieren in Zirkussen, ein
Verbot von nicht energieeffizienten Kühlschränken, ein
Verbot von getrenntgeschlechtlichen Toiletten, ein Verbot von Handynutzung in Kulturveranstaltungen, ein
Verbot von Süßigkeitenwerbung im Umfeld von Kindergärten und ein Verbot von Stand-by-Funktionen bei
Elektrogeräten wollen. All das steht im Programm der
Grünen. Wir werden sehen, wie viele Menschen auf
diese Weise erzogen werden wollen.
({9})
Aber was will man anderes erwarten von einer Partei der
Soziologen und Sozialpädagogen?
({10})
Wir stehen für Freiheit und Verantwortung. Deshalb
sind wir der Meinung, dass die Regeln, die auf deutschen
Autobahnen gelten, ausreichend sind.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Volkmar
Vogel. Bitte schön, Kollege Volkmar Vogel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Pronold und Herr Kahrs, Sie haben zitiert, was die Kanzlerin im Jahr 1995 gesagt hat. Damit
zeigen Sie, dass Ihr Vorsitzender und die SPD eigentlich
auf dem Stand von 1995 stehen geblieben sind.
({0})
Wir hingegen, so auch unsere Vorsitzende, haben uns
weiterentwickelt und sehen die Situation heute in einem
ganz anderen Licht.
({1})
Man muss eines deutlich sagen: Mit Tempolimit 120
stellen Sie zur Alternative: Mobilität oder Verkehrssicherheit. Sie stellen zur Alternative: Mobilität oder
Ökologie.
({2})
Das ist nicht der Weg, den wir beschreiten wollen. Wir
sind der Auffassung, dass beides zusammengehört:
Mobilität und Verkehrssicherheit, Mobilität und Ökologie.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute nicht
die erste Debatte, die wir über dieses Thema führen.
Man muss eines ganz deutlich sagen: Tempolimit 120
auf den deutschen Autobahnen ist ein Angriff auf die
Mobilität in unserem Land.
({4})
Das wäre der Anfang vom Ende des Individualverkehrs.
Der Individualverkehr hat jedoch einen berechtigten
Platz in unserem System.
({5})
Ein Tempolimit 120 ist auch mit der Verkehrssicherheit
nicht begründbar - Patrick Döring hat es ausgeführt -:
Auf ungefähr 3 Prozent des Straßennetzes fließen über
30 Prozent des Verkehrs; dort geschehen aber lediglich
6 Prozent der Unfälle. Das ist auch noch sehr viel, viel
zu viel.
({6})
Darum wollen wir dafür sorgen, dass die Zahl der getöteten Menschen und die Zahl der verletzten Menschen
weiter sinkt.
Volkmar Vogel ({7})
({8})
Wir sind hier auf einem richtigen Weg. Vor drei Jahren
lag die Zahl der Getöteten schon einmal unter 4 000
- eine hohe Zahl -, danach ist sie wieder auf über 4 000
angestiegen; im vergangenen Jahr ist sie glücklicherweise aber wieder gesunken und lag bei 3 600. Das ist
auch noch viel zu viel, zeigt aber, dass wir mit unseren
Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind.
({9})
Wir müssen eine ganzheitliche Betrachtung vornehmen, Infrastruktur sicher ausbauen, selbstlernende Systeme installieren, Technik, die dafür sorgt, dass weniger
Menschen zu Schaden kommen, also Airbags, Sicherheitsgurte, aber vor allen Dingen auch neue Systeme, intelligente Fahrassistenzsysteme, die schwere Unfälle
verhindern.
({10})
Das ist der Weg, den wir gehen, und das ist der richtige
Weg, weil unseres Erachtens wichtig ist, dass die Politik
den Bedürfnissen der Menschen folgt und nicht umgedreht.
({11})
Patrick Döring hat das in eindrucksvoller Art und Weise
dargelegt, und dazu stehen wir.
({12})
Ich weiß auch aus eigener Erfahrung: Die Menschen
wollen mobil sein, und sie müssen aufgrund ihrer konkreten Lebenssituation mobil sein. Dabei müssen wir sie
mit politischen Maßnahmen unterstützen. Hier hilft
keine sozialistische Gängelei oder Bevormundung, sondern nur eines,
({13})
nämlich eine Stärkung der effektiven Mobilität durch
uns. Deswegen ist unser Ziel die Verbesserung der Infrastruktur. Dazu werden wir in den nächsten Monaten weitere Maßnahmen mit Wirkung für die nächsten Jahre
einleiten.
({14})
Dafür gibt es auch die Bodewig-Kommission, deren
Arbeit wir sehr unterstützen. Im Gegensatz zur SPD, die
starre Vorstellungen hat, gehen wir hier ergebnisoffen
heran.
({15})
Wir werden den technischen Fortschritt gerade im KfzBereich weiter unterstützen, wenn es darum geht, intelligente Fahrassistenzsysteme auf den Weg zu bringen,
({16})
und wir werden alle Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen unterstützen, die dafür Sorge tragen, die Kraftfahrer zu informieren und in den Verkehrserziehungsprogrammen entsprechend zu unterweisen, und auf diese
Art und Weise das Verständnis eines freien Bürgers in
diesem Land weiter voranbringen.
({17})
Aber natürlich werden wir dort, wo es notwendig ist, um
Menschen vor Gefahren zu bewahren, und wo es Gefahrenstellen gibt, entsprechende Maßnahmen einleiten, gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern und entsprechend der Möglichkeiten, die wir hier im Bundestag
haben.
Ich bleibe dabei - damit komme ich zum Anfang meiner Rede zurück -:
({18})
Für uns sind Verkehrssicherheit auf der einen Seite und
zügige Mobilität auf der anderen Seite kein Widerspruch; beides gehört zusammen, und daran werden wir
weiter arbeiten.
Vielen Dank. Glück auf!
({19})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Kirsten Lühmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Lühmann.
({0})
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Präsident!
Nordrhein-Westfalen: Eine Pkw-Fahrerin fährt an einem
Stauende auf einen Lkw auf. Hessen: Auf einer Kreuzung verursacht ein Pkw-Fahrer durch Missachten der
Vorfahrt einen Unfall; das Auto überschlägt sich. Bayern: Ein alkoholisierter Lkw-Fahrer verunfallt an einer
Baustellenauffahrt. Niedersachsen: Ein Lkw-Fahrer hat
beim Abbiegen einen neben ihm fahrenden Fahrradfahrer übersehen und angefahren. - Zwei Sachen haben
diese vier Vorfälle gemeinsam. Das Erste ist: Sie sind in
den letzten Tagen passiert. Das Zweite ist: Alle Beteiligten sind glücklicherweise nur leicht verletzt worden.
({0})
Aus meiner Erfahrung als Polizeibeamtin weiß ich aber,
dass nicht alle Menschen bei solchen Vorfällen solches
Glück haben. Im letzten Jahr sind 3 606 Menschen bei
Verkehrsunfällen tödlich verunglückt.
Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, die EU-Initiative umzusetzen, nach der wir die Zahl dieser Unfälle
bis zum Jahre 2020 um 40 Prozent senken wollen.
Minister Ramsauer hat dazu eine wunderschöne Hochglanzbroschüre aufgelegt und verteilt. Die Frage, die wir
uns zum Thema Verkehrssicherheit stellen, ist: Was ist
passiert? Was hat der Minister in den letzten vier Jahren
gemacht - außer den bekannten Ankündigungen in der
Presse, dass er gegen die Verrohung von Kampfradlern
vorgehen will, dass er für eine Helmpflicht für unwillige
Fahrradfahrende ist, dass er für eine Reform der sogenannten Idiotentests ist,
({1})
und der Versicherung, er wolle die Winterreifenpflicht
auf Effektivität überprüfen? Das sind wunderschöne
Themen für die Verkehrssicherheit.
({2})
Aber passiert ist nichts - außer vielleicht, dass Sie den
Etat für den Neubau von Fahrradwegen um über 40 Prozent gekürzt haben.
({3})
Im Rahmen der Verkehrssicherheit ist das einfach ein
Skandal.
({4})
Dabei hätten Sie einfach nur, Herr Ramsauer, wenn
Sie etwas für die Verkehrssicherheit machen wollten, unsere Debatten aufmerksam verfolgen müssen. Dann
wäre Ihnen aufgefallen: Wir könnten sehr viel für Fahranfänger zwischen 18 und 24 Jahren tun; denn sie sind
besonders gefährdet. Herr Storjohann, wir beide haben
hier in diesem Hause den Vorschlag gemacht, ein Mehrphasenmodell einzuführen, also junge Menschen, die
keine Möglichkeit haben, ab 17 Jahren begleitet im Auto
zu fahren, auch nach der Fahrprüfung zu unterstützen.
({5})
Unser Antrag wurde abgelehnt. Ihr Antrag wurde angenommen; das ist wenigstens etwas. Aber was ist passiert? Der Herr Minister hat ihn schlicht ignoriert. Als
die Verkehrssicherheitsverbände dann gefragt haben,
was denn nun in diesem Bereich passiere, haben Sie,
Herr Ramsauer, geantwortet: Ich habe einen Bericht angefordert; er liegt gerade auf meinem Tisch. - Meine
Herren und Damen, ich vermute, da wird dieser Bericht
auch noch im Oktober liegen, wenn der neue Minister
oder die neue Ministerin einer rot-grünen Regierung dieses Büro übernehmen wird. Ich kann Ihnen aber versichern: Dann wird dieser Bericht ausgewertet, und dann
werden wir etwas tun.
({6})
Alcolocks, Herr Storjohann, ist noch ein Thema im
Bereich der Verkehrssicherheit, bei dem wir uns einig
sind. Jeder zehnte Verkehrsunfalltod wird durch Alkoholmissbrauch verursacht. Andere Länder haben technische Möglichkeiten, um Wiederholungsgefahren zu verhindern. Wir beide haben uns für die Einführung von
Alcolocks ausgesprochen. Der Minister hat einen Bericht angefordert, der - Sie ahnen es - auf seinem
Schreibtisch liegt. Die Verkehrssicherheitsverbände, die
den Antrag gestellt haben, zu diesem Thema einen Pilotversuch durchführen zu dürfen, haben bis heute keine
Antwort bekommen. Ich vermute einmal: Auch dieser
Mangel wird erst im Oktober geheilt werden können.
Viel hängt beim Thema Verkehrssicherheit von der
Qualität von Schulungen ab. Diese Bundesregierung will
im Rahmen der Reform des Punktesystems die unwirksamen Seminare durch wirksame ersetzen. Wir wissen
alle: Qualität kostet Geld. Wenn diese neuen Seminare,
wie geplant, bis zu 800 Euro kosten werden, dann, denke
ich, haben die Menschen in diesem Land ein Anrecht darauf, dass überprüft wird, ob sie dieses Geld nicht umsonst ausgeben, sondern für eine wirksame Maßnahme.
Herr Storjohann, Sie haben bei der letzten Debatte zu
diesem Thema richtigerweise gesagt: Wir müssen in das
Gesetz verpflichtend aufnehmen, dass nach einer gewissen Zeit überprüft wird, ob diese Maßnahmen etwas
bringen oder nicht. - Was hat Ihr Minister gemacht? Sie
ahnen es:
({7})
Nichts! Das ist unmöglich.
({8})
Ich könnte die Beispiele fortführen. Fazit ist: Dieser
Minister hat in den letzten vier Jahren zum Thema Verkehrssicherheit viel angekündigt, aber wenig entschieden. Wenn das Thema effektiv angegangen werden soll,
dann müssen wir das tun, wenn wir in Regierungsverantwortung sind, und das umsetzen, was die SPD in ihr Regierungsprogramm geschrieben hat, nämlich die Verkehrssicherheit ernst nehmen und die Probleme, die
schon auf dem Tisch liegen - und zwar auf Ihrem Tisch,
Herr Minister -, mit allen Akteuren, den ehrenamtlichen
und den hauptamtlichen, endlich angehen. Ich freue
mich darauf.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster und letzter
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von CDU und CSU unser Kollege Thomas Jarzombek.
Bitte schön, Kollege Thomas Jarzombek.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden heute über Verkehrssicherheit. Schauen wir uns
die Zahlen an: Auf 1 Milliarde gefahrene Kilometer
kommen in Deutschland 3,1 Tote, in Österreich hingegen 4,8 Tote und in den USA sogar 5 Tote. Diese Zahlen
sind immer noch zu hoch; aber sie zeigen offensichtlich,
dass die Anzahl der Verkehrstoten nicht mit Geschwindigkeitslimits korreliert.
({0})
Lassen Sie uns einmal darauf schauen, wo beim
Thema Verkehrssicherheit die Handlungsfelder sind. Die
Zahl der Verkehrstoten auf der Landstraße ist sieben Mal
höher als die Zahl der auf der Autobahn Getöteten; sie
macht einen Anteil von 60,9 Prozent aus. Im Bereich der
Landstraße müssen wir viel mehr tun als bisher. Worum
es geht, ist eine angepasste Geschwindigkeit.
({1})
Am gefährlichsten sind die, die auf der Landstraße immer das vorgegebene Tempo fahren, egal wie die Verkehrsbedingungen sind. Wir brauchen eine angepasste
Geschwindigkeit.
Was wir auch brauchen, sind Vorbilder und Leute mit
Vernunft, die den Menschen die richtigen Ideen geben.
Ich zitiere aus einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
Woher kommt Ihre Freude am schnellen Autofahren?
Frau Nahles’ Antwort:
Ich wohne zehn Kilometer entfernt vom Nürburgring. In der ganzen Region gibt es viel Begeisterung
für den Motorsport. Es macht halt unheimlich Spaß,
durch die Eifel zu fahren. Weil es so kurvige Strecken sind …
Meine Damen und Herren, da kommen die Unfalltoten
her: durch das Rasen auf den Landstraßen, nicht durch
diejenigen, die auf der Autobahn 150 fahren.
({2})
Die Technik wird die Vernunft nie ersetzen können.
Aber wir haben hier allerhand erreicht. Wir haben es
zum Beispiel seit 2011 geschafft, ein elektronisches Stabilitätsprogramm, ESP, verpflichtend einzuführen, was
sicherlich gerade auf der Landstraße viele Erfolge
bringt.
({3})
- Kollege Pronold, dass Sie nicht im Schattenkabinett
sind, tut mir leid. Aber wenn Sie eine Rednerplattform
brauchen, dann drücken Sie den Knopf und melden Sie
sich zu Wort!
({4})
Maulen Sie nicht unentwegt herum, und berauben Sie
mich nicht meiner Redezeit! Also, Ruhe jetzt dahinten!
({5})
Angepasste Geschwindigkeit ist also das Thema. Ein
weiteres Thema ist die Frage, wie viele Unfälle wir eigentlich innerorts haben. Sie werden feststellen: 70 Prozent der Unfälle geschehen innerorts. Das kann man beobachten. Ich bin heute Morgen mit dem Fahrrad die
Linienstraße entlanggefahren. Dort sind unglaublich
viele Radfahrer zu sehen; man sieht aber auch Autos daneben. Es gibt viel Konfliktpotenzial.
Ich glaube, dass wir gerade beim Thema Sicherheit in
den Innenstädten viel mehr tun müssen als bisher. Ich
wundere mich, dass die Grünen dort so wenig tun. Nehmen wir zum Beispiel die aktiven Motorhauben. Einige
Fahrzeuge haben sie; andere haben sie nicht.
Was passiert, wenn wirklich ein Auto mit einem Radfahrer kollidiert? Ich glaube, hier können wir noch eine
Menge an Sinnvollem tun.
Die Frage ist: Gibt es durch ein Tempolimit eigentlich
weniger Staus? Der Rheinischen Post hat der sehr renommierte Unfallforscher Professor Schreckenberg gesagt: „Das ist Unsinn“.
({6})
Weiter hat er gesagt - dabei geht es eigentlich um das
Bild, das wir vom mündigen Bürger haben -:
Im Auto muss der Fahrer wissen, dass ihn auf den
nächsten 20 Kilometern zähfließender Verkehr erwartet. Dann passt er von selbst seine Geschwindigkeit an und rast nicht mehr mit 180 km/h in den
Stau hinein.
({7})
Deshalb brauchen wir mehr Informationen, mehr Freiheit und mehr Selbstverantwortung.
({8})
Wir müssen nicht jedem Autofahrer alles vorschreiben.
Wenn die rot-grüne Mehrheit in Prenzlauer Berg - ich
habe dort meine Zweitwohnung - aus 16 Parkplätzen
8 Parkplätze macht und mutwillig einfach die Parkflächen wegreduziert, dann ist das Bevormundung. Damit
werden Sie das Rad und die Bahn nicht attraktiver machen.
Wir müssen Verkehrsmittel attraktiver machen, statt
andere abzuqualifizieren. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({9})
Am Ende möchte ich noch auf den Zeitpunkt dieser
ganzen Initiative zu sprechen kommen.
({10})
Denn es ist eine erstaunliche Koinzidenz, dass genau zu
dem Zeitpunkt, als die Deutsche Telekom erklärt hat,
dass sie ihre Internettarife umstellt, Sigmar Gabriel auf
solche Ideen gekommen ist.
({11})
Dabei hat man tatsächlich den Eindruck: Während die
Telekom beschlossen hat, nach 75 Gigabyte ihre Kunden
zu drosseln, hat Sigmar Gabriel offensichtlich beschlossen, nach 200 Wahlkampftagen die SPD auf 23 Prozent
zu drosseln.
({12})
Insofern kann ich nur feststellen: Sigmar Gabriel ist
die rote Drossel von Peer Steinbrück.
Einen schönen Tag noch.
({13})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 16. Mai 2013,
um 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.