Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/24/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich. Ich teile Ihnen mit, dass interfraktionell vereinbart worden ist, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf der Drucksache 17/12611 mit dem Titel „Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013“ federführend dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie zur Mitberatung dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, dem Ausschuss für Gesundheit und dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Einwände? - Keine. Dann haben wir das so beschlossen. Dann können wir nun zu Tagesordnungspunkt 1 kommen: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft ({0}). Unter der sogenannten Bundeskompensationsverordnung kann sich sicher jeder sofort etwas vorstellen. ({1}) Das, was an Interpretationsspielräumen verbleibt, wird möglicherweise Bestandteil der Befragung der Bundesregierung sein. Bevor diese stattfindet, bitte ich den zuständigen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit um einen kurzen einleitenden Bericht.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der heutigen Tagesordnung des Kabinetts wurden drei Punkte aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit behandelt: zum Ersten der Entwurf des Endlagersuchgesetzes, den wir in der nächsten Sitzungswoche mit den Fraktionen gemeinsam parallel einbringen und dann auch diskutieren werden; zum Zweiten der erste Rechenschaftsbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt und zum Dritten die Bundeskompensationsverordnung, über die ich Sie jetzt unterrichten möchte. Diese Kompensationsverordnung ist heute vom Bundeskabinett beschlossen worden. Sie wurde gemeinsam von mir und dem Bundesverkehrsminister und der Bundeslandwirtschaftsministerin vorgelegt. Sie war in meinem Zehn-Punkte-Programm vom August letzten Jahres enthalten. Es ist kein Zufall, dass wir uns im Kontext der Energiewende und des Endlagersuchgesetzes besonders intensiv mit diesen Fragen beschäftigen; denn die Energiewende stellt gerade auch den Naturschutz vor besondere Herausforderungen. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energienetze ist ohne die Inanspruchnahme von Grundflächen und die damit verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft nicht zu bewerkstelligen. Das gilt für die Errichtung von Windkraftanlagen. Das gilt aber ebenso und insbesondere auch für Energiefreileitungen, wie sie im Netzentwicklungsplan geregelt sind. Dies kann sich nicht nur nachteilig auf Tiere und Landschaftsbild auswirken; durch den weiteren Ausbau wird auch der Druck auf land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen erhöht, und zwar sowohl durch das Vorhaben selbst, das diese Flächen in Anspruch nimmt, wie auch durch die erforderliche Kompensation, die dann vorzunehmen ist. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ist kein Instrument zur Verhinderung von Vorhaben. Sie verlangt aber, die mit ihnen einhergehenden Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft möglichst zu vermeiden, jedenfalls aber auszugleichen oder zu ersetzen. Deshalb kann sie einen wichtigen Beitrag zur naturverträglichen Gestaltung der Energiewende leisten. Das ist bisher nur in sehr unzureichendem Maße der Fall, weil wir in 16 verschiedenen Bundesländern 16 unterschiedliche Herangehensweisen beim Vollzug haben. Das hat sowohl für den Naturschutz wie auch für die Vorhabensträger, deren Planer und die zuständigen Behörden eine Fülle von Problemen zur Folge. Deshalb haben wir uns bereits vor Monaten gemeinsam darauf verständigt, in Gesprächen mit den Ländern und den übrigen Ministerien sowie den beteiligten Verbänden nach einer gemeinsamen bundesweiten Regelung zu suchen. Das wird im Übrigen nachvollziehbar, wenn Sie an die großen Hochgeschwindigkeitsenergiefreileitungen denken, die von der Nordsee länderübergreifend bis in die Verbrauchszentren im Süden Deutschlands führen sollen. Es wäre hochproblematisch, wenn man für den Bau einer einzigen Leitung vier, fünf oder sechs unterschiedliche Eingriffsregelungen anwenden müsste. Die Verordnung soll dazu beitragen, dass der Vollzug der Eingriffsregelungen effektiver wird: effektiver im Sinne transparenter und beschleunigter Verfahren, aber auch effektiver im Sinne einer qualitativ besseren Kompensation. Unser Ziel ist es, dass wir sowohl für das Gelingen der Energiewende als auch für den Erhalt landwirtschaftlicher Flächen und für den Naturschutz am Ende einen Mehrwert generieren und dass es auf keiner Seite Verlierer, sondern auf allen Seiten Gewinner gibt. Deshalb werden wir die Anforderungen an Vermeidung und Kompensation von Eingriffen erstmals bundeseinheitlich konkretisieren und standardisieren. Hierzu werden bundesweite Vorgaben eingeführt, unter anderem zu einem Biotopwertverfahren, auf dessen Grundlage in der Regel Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes kompensiert werden, sowie zur Bemessung der Ersatzzahlungen, die insbesondere für real nicht kompensierbare Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes erhoben werden. Welche Beeinträchtigungen sind damit gemeint? Damit sind insbesondere Turm- und Mastbauten gemeint, die in die Höhe gehen. Sie führen zu einer vertikalen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Man kann sie in der Regel nicht real kompensieren, es sei denn, es gibt in der Nachbarschaft einen anderen Mast oder einen anderen Turm, den man abbauen kann; aber das ist in vielen Fällen nicht der Fall, vor allen Dingen dann nicht, wenn Leitungsmasten und Windräder errichtet werden. Die Verordnung soll darüber hinaus zur Verringerung der Inanspruchnahme von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen beitragen. Dazu werden Anreize für eine möglichst hochwertige und damit flächensparende Aufwertung von Natur und Landschaft gesetzt. Es wird ein Bonus für die Kompensation durch Entsiegelung und Wiedervernetzung von Lebensräumen eingesetzt. Um es konkret zu formulieren: Es kann Fälle geben, in denen es Sinn macht, nicht die 150. Streuobstwiese herzustellen, sondern bereits bestehende Flächen so aufzuwerten, dass sie dann auch unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes eine höhere Bedeutung haben. Das gilt insbesondere für Rückbau und Entsiegelung. Es gilt für die Renaturierung von Bachläufen, aber auch für die Wiedervernetzung von Lebensräumen. Die Verordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Deshalb haben wir die Länder im Vorfeld in die Besprechungen mit eingebunden. Ich weiß, dass die Länder jahrzehntelange Erfahrungen mit dem Vollzug der Eingriffsregelungen haben. Deshalb war es wichtig, sie einzubeziehen. Ich hoffe aber, dass die Länder auch erkennen, dass es jetzt die Chance zu einer stärkeren Vereinheitlichung des Vollzuges gibt. Insofern hoffe ich, dass wir diese Verordnung noch vor der Sommerpause endgültig, also auch mit Zustimmung des Bundesrates, verabschieden können. Sie wird eine Übergangsfrist für das Inkrafttreten vorsehen, damit sich alle Beteiligten darauf einstellen können. Vielen Dank.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die erste Nachfrage hat der Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Altmaier, Sie haben dargelegt, dass das Ziel eine bundeseinheitliche Regelung ist. Ich war damals Berichterstatter in der Großen Koalition, als wir diesen Dreiklang gerettet haben. Ich weiß noch, wie die Länder darum gekämpft haben. Nun hat das bayerische Kabinett letzten Mittwoch eine bayerische Kompensationsverordnung verabschiedet; eine Woche vor dem Bundeskabinett. Wie beurteilen Sie diesen Sachverhalt vor dem Hintergrund, dass Sie eine bundeseinheitliche Regelung erreichen wollen?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ich war ganz zu Beginn meiner Amtszeit auf dem Deutschen Bauerntag in Fürstenfeldbruck und habe dort gemeinsam mit dem in Bayern für Landwirtschaft zuständigen Kollegen zu den versammelten Landwirten gesprochen. Wir waren uns damals beide darüber im Klaren, dass wir eine entsprechende Verordnung brauchen. Es gab dann einen edlen Wettstreit, bei dem es sozusagen darum ging, wer zuerst mit seinen Arbeiten fertig ist. Ich bin überzeugt, dass es aus Sicht aller Bundesländer, auch aus Sicht Bayerns, Sinn machen wird, eine bundeseinheitliche Regelung einzuführen, weil die Vorteile auf der Hand liegen: Für Investoren, Landwirte und Naturschutzverbände ist es dann wesentlich einfacher, die Folgen von Maßnahmen abzuschätzen und zu Ergebnissen zu kommen. Deshalb vertraue ich darauf, dass unser, mit guten Argumenten unterfütterter Vorschlag am Ende Unterstützung findet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Süßmair.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister Altmaier, wie berücksichtigt die Bundesregierung Forderungen von Naturverbänden, aber auch zum Beispiel vom Bundesverband WindEnergie, dass ein multifunktionaler Ausgleich vor Ort, der aus naturfachlicher Sicht und auch aus Gründen der Akzeptanz vor Ort sehr sinnvoll ist, weiterhin möglich sein soll?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, das wird mit dieser Verordnung, wenn ich das richtig sehe, auch weiterhin möglich sein. Ich kenne jetzt nicht die konkreten Forderungen, auf die Sie sich beziehen, aber Multifunktionalität heißt in diesem Fall ja, dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchgeführt werden, die jeweils auf die Kompensation mehrerer beeinträchtigter Funktionen des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes gerichtet sind und zugleich weitere Anforderungen, unter anderem des Gebiets- und Artenschutzes, abdecken, um die Inanspruchnahme von Flächen so gering wie möglich zu halten. Das verstehe ich unter Multifunktionalität, und das ist auch ausdrücklich in der vorliegenden Verordnung enthalten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kurth, bitte.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, vor meiner Frage möchte ich ausdrücklich betonen, dass wir es nicht nur mit Blick auf die Energiewende, sondern generell sehr gut und sehr richtig finden, dass es endlich eine bundeseinheitliche Regelung geben soll, um Ausgleich und Kompensation zu regeln. Das war bisher unter den einzelnen Ländern immer sehr schwierig. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung möchte ich Sie gern fragen - wir kennen den Entwurf ja noch nicht im Detail, sondern nur das, was bisher allgemein diskutiert worden ist; wenn wir aber richtig informiert sind, sieht die Verordnung Abweichungsregelungen zum Beispiel in der Bewertung von Biotopen vor: man kann drei Punkte nach oben und drei Punkte nach unten bewerten -: Wird nicht die Einheitlichkeit gefährdet, wenn jedes Land doch wieder erhebliche Abweichungsmöglichkeiten hat? Inwieweit sieht das Verfahren auch quasi Öffnungsklauseln vor bis hin zu unbestimmten Rechtsbegriffen? Wenn ich richtig informiert bin, dann gibt es unter anderem Formulierungen wie: Anforderungen in angemessenem Umfang anerkennen. Das ist, wie Sie wissen, hinlänglich allgemein. Trägt das Ihrer Meinung nach wirklich zur Vereinheitlichung bei?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Wir mussten eine schwierige Balance finden zwischen dem Wunsch, eine möglichst einheitliche, bundesweite Regelung zu bekommen, und der Notwendigkeit, auf spezifische Situationen und Probleme vor Ort Rücksicht nehmen zu können. Das haben wir dadurch gelöst, dass wir gesagt haben: Der Kernbereich der Verordnung ist abweichungsfest und für alle Länder verbindlich. Dann gibt es immer die von Ihnen zitierten Möglichkeiten, mit deren Hilfe man vor Ort in den einzelnen Ländern zu etwas abweichenden Regelungen im Detail kommen kann. Das halte ich auch für richtig. Schon das BGB hat mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert. Diese haben seit über 100 Jahren Bestand, und man hat damit nicht die schlechtesten Erfahrungen gemacht, weil sie immer wieder an die praktischen Anforderungen angepasst wurden. Ich gehe allerdings davon aus, dass wir im Laufe der Anwendung durch die Bundesländer zu einer noch stärkeren Gleichförmigkeit kommen werden, weil sich gute und gelingende Lösungen herumsprechen und dann auch durchsetzen werden. Wir werden also nach meiner Ansicht insgesamt eine wesentlich stärkere Einheitlichkeit haben, als es bis jetzt der Fall ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Altmaier, erwartet die Bundesregierung, dass man sich mit dieser Verordnung die Möglichkeit erkauft, dass in Zukunft für die Erledigung staatlicher Pflichtaufgaben im Bereich Naturschutz - ich denke an Natura 2000 und die EU-Wasserrahmenrichtlinie - Ersatzgelder für Naturzerstörungen eingesetzt werden? Wird mit dieser Verordnung nicht quasi ein Ablasshandel eingeführt?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Nein, das wird nicht passieren. Es hat auch in der Vergangenheit die Möglichkeit gegeben, Ersatzgelder zu zahlen; die wurden auch entsprechend verwendet. Im Augenblick werden zur Umsetzung der Energiewende weitere Flächen in erheblichem Umfang benötigt. Wir erwarten, dass allein in diesem Jahr der Flächenverbrauch für den Ausbau der Windkraftanlagen an Land um 50 Prozent steigen wird. Das wird auch im nächsten Jahr aller Voraussicht nach in ähnlicher Größenordnung der Fall sein. Wir werden in den nächsten Jahren mit dem Ausbau der Leitungen beginnen. In dem Maße, wie Ersatzgelder gezahlt werden, wird Geld für Naturschutzbelange zur Verfügung stehen. Das ist aber kein Ablasshandel. Das führt vielmehr dazu, dass vorhandene Flächen qualitativ aufgewertet werden. Im Übrigen ist es auch möglich, dass neue Flächen hinzukommen. Das ist bewusst nicht ausgeschlossen. Wir geben durch die Vergabe von Bonuspunkten nur einen Anreiz, die Wiedervernetzung von Lebensräumen, die Renaturierung oder die Entsiegelung von Flächen voranzutreiben. Ich halte das für ein sehr nachvollziehbares Anliegen, gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine knappe Nachfrage.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erwarten Sie, dass die bisher zur Verfügung stehenden steuerlichen Mittel für Naturschutzmaßnahmen erhalten bleiben und durch die Ersatzzahlungen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Das hoffe und wünsche ich sehr.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass Kompensationsmaßnahmen nach wenigen Jahren andere Kompensationsmaßnahmen überlagert haben. Das heißt, nach wenigen Jahren wurde wieder die gleiche Fläche in Anspruch genommen, und die zuvor auf dieser Fläche durchgeführte Kompensationsmaßnahme war damit quasi obsolet. Jetzt nehme ich wahr, dass in der Bundeskompensationsverordnung die dingliche Sicherung von Kompensationsmaßnahmen nicht generell festgelegt werden soll. Ich hätte gerne gewusst, welches Ressort das aus welchem Grund eingebracht hat und welche Konsequenzen das Ihrer Meinung nach für den Naturschutz hat.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Können Sie die Frage konkretisieren?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Konkretisierung lautet: Warum gibt es keine generelle dingliche Sicherung von Kompensationsmaßnahmen? So besteht doch die Gefahr, dass bei einem nächsten Planvorhaben wieder die gleiche Fläche für eine Kompensationsmaßnahme genutzt wird.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist doch so, dass Sie das ganz schwer statisch festschreiben und dinglich sichern können, weil Sie nicht wissen, welche Anforderungen etwa durch den Ausbau von erneubaren Energien oder den Bau von Leitungen entstehen. Entscheidend ist deshalb, dass wir insgesamt im Bereich des Naturschutzes vorankommen und den Flächenverbrauch insgesamt reduzieren. Das liegt sowohl im Interesse der Landwirtschaft wie im Interesse des Naturschutzes. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass wir im Kabinett über den Rechenschaftsbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt gesprochen haben. Zu den Bereichen, in denen wir positive Entwicklungen zu verzeichnen haben, gehört die Flächeninanspruchnahme. Hier kommt es zu einer Reduzierung des Flächenverbrauchs. Diese Reduzierung ist noch nicht so umfangreich, wie wir uns das wünschen; aber wir kommen in dem Bereich voran. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir dank der Zuwächse beim Ersatzgeld - nach den Planungen der Bundesländer ist eine Vielzahl von Maßnahmen im Bereich der erneuerbaren Energien zu erwarten - insgesamt beim Naturschutz vorankommen. Ich bin mir nicht sicher, ob eine generelle - und damit über die gesetzliche Anforderung einer rechtlichen Sicherung hinausgehende - dingliche Sicherung im Einzelfall tatsächlich zu guten und verträglichen Ergebnissen führt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Da ich aus einer Region komme, in der im Bereich regenerative Energien vieles auf dem Weg ist, befinde ich mich angesichts dieser neuen Verordnung an der Grenze des Entsetzens. Ich bin besorgt - ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie diese Sorge teilen -, weil eigentlich alles, was wir im Moment machen - Planung von 380-kV-Leitungen, nachgeordnete Netze, Windmühlen -, im Grunde genommen über Flächen ausgeglichen wird. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel Fläche von den Bauern für den Ausbau der regenerativen Energieträger insgesamt zur Verfügung gestellt werden muss? Oder haben Sie eine Vorstellung davon - diese Verordnung hat ja fast Gesetzescharakter -, wie viel Geld hier fließen wird? Und ist es richtig, dass dieses Geld überwiegend an das Umweltbundesamt geht, das dann in Eigenregie darüber verfügt, wofür entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Goldmann, da wir Koalitionspartner sind, teile ich wahrscheinlich viele Auffassungen mit Ihnen, auch all diejenigen, die im Koalitionsvertrag festgelegt sind; aber Ihr Entsetzen teile ich nicht. Ich habe nämlich immer wieder festgestellt, dass so mancher Flächenverbrauch auf gemeinsame Wünsche - auch aus Ihrer Fraktion - zurückzuführen ist. Denken Sie nur an die Freiflächenregelung für Photovoltaik, die wir vor einiger Zeit gemeinsam beschlossen haben. Viele Landwirte befinden sich in folgender Situation: Zum einen nehmen sie verantwortungsvoll und gerne die Funktion von Energiewirten wahr und leisten damit einen Beitrag zum Gelingen der Energiewende; das führt allerdings zu Flächenverbrauch. Zum anderen wollen sie für die verbrauchte Fläche dann aber nicht noch weitere Flächen stilllegen, sodass der Anteil der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen noch weiter eingeschränkt würde. Ich kann Ihnen gerne Berechnungen - die gibt es bei den zuständigen Referaten meines Hauses mit Sicherheit zur Verfügung stellen, wie groß der dadurch verursachte Flächenverbrauch ist. Unser Ziel ist es, mit der Kompensationsverordnung einen Weg vorzugeben, der es ermöglicht, die sich notwendigerweise aus der Energiewende, die wir gemeinsam wollen, ergebenden Folgen zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen. Windräder werden nun einmal meistens auf land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen gebaut, weil sie sich in der Großstadt nicht ganz ohne Störungen integrieren lassen. Deshalb haben wir sie auf den weiten Flächen in Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, aber nun auch zunehmend in Bayern, Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg. Wir haben deshalb gesagt, dass ein Weg zu einem vernünftigen Ausgleich darin besteht, dass dort, wo die Naturschutzverbände es wollen, vorhandene Flächen aufgewertet werden können und damit ein wichtiger Beitrag zur qualitativen Verbesserung des Naturschutzes geleistet werden kann. Die Gelder werden von den Ländern - nicht vom Umweltbundesamt, das keine Mittel aus dem Ersatzgeld erhält - unterschiedlichen Empfängern zur Verfügung gestellt, und wir werden dafür sorgen, dass sie angemessen verwendet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Krischer, bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich möchte an eine Frage anknüpfen, welche die Kollegin Behm eben gestellt hat. Als Vorsitzender eines Landschaftsbeirates habe ich in der Praxis über viele Jahre die Erfahrung gemacht, dass nach einigen Jahren häufig nicht mehr bekannt ist, welche Flächen für Kompensationsmaßnahmen ausgewiesen worden sind, und diese dann anderweitig in Anspruch genommen werden oder gar ganz verschwinden. Wie stellt die Verordnung sicher, dass Kompensationsmaßnahmen dauerhaft erhalten bleiben und dokumentiert werden? Welche konkreten Verbesserungen bringt diese Verordnung, um jenen Missstand zu beenden?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Da kann ich Sie beruhigen. Ich habe zwar vorhin gesagt, dass ich im Hinblick auf eine dingliche Sicherung sehr zurückhaltend bin. Aber es wird ein Kompensationskataster geben, in dem man wird nachsehen können, welche Flächen zu Kompensationszwecken verwendet worden sind. Das ist ein großer Beitrag zu mehr Transparenz bei den Kompensationsmaßnahmen und ein großer Fortschritt im Vergleich zum Status quo.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Minister, ohne dass ich den Verordnungstext im Einzelnen kenne, bin ich ein wenig hellhörig geworden, als Sie den Begriff „Rückbauten“ verwendet haben. Vielleicht zur Beruhigung des Kollegen Goldmann: Ich befürchte, dass sich die Agrarlobby bei dieser Kompensationsverordnung durchgesetzt hat. Insofern lautet meine Frage: Schließen Sie aus, dass ein Landwirt mit den Ersatzgeldzahlungen, die er für Flächen, die er in Anspruch genommen hat, dann beispielsweise einen ohnehin notwendigen Stallrückbau im Außenbereich finanziert? ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist so, dass wir lange über diese Fragen gesprochen haben. Es gab aus der Landwirtschaft den Wunsch, dass man bestimmte Kompensationsmaßnahmen gesetzlich festschreibt und privilegiert. Das konnten wir aus grundsätzlichen rechtlichen und verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht tun. Deshalb haben wir bestimmte Anreize gegeben, indem wir Bonuspunkte ausweisen. Wir haben diese Dinge im Übrigen im Gespräch mit Naturschutzverbänden entwickelt. Die Idee der Entsiegelung beispielsweise ist mir von der Naturlandstiftung Saar nahegebracht worden, die bundesweit vorbildliche Maßnahmen auf diesem Gebiet durchgeführt hat. Sie haben Ställe im Außenbereich angesprochen, die zurückgebaut werden sollen. Ich muss Ihnen diese Frage schriftlich beantworten. Im Übrigen sähe ich es aber im Einzelfall nicht als ein Problem an, wenn auf diese Weise wertvolles Land entsiegelt und dadurch der Naturschutzwert erhöht würde.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollegin Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich habe eine Frage zur stattgefundenen Partizipation, von der wir ja wissen - das wird immer öfter deutlich -, dass sie für die Akzeptanz von Gesetzesvorhaben unabdingbar ist. Ich frage Sie jetzt nicht, ob Sie bei der Erstellung des Entwurfs der Verordnung Verbände einbezogen haben; denn davon gehe ich selbstverständlich aus.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

So ist es auch.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Mich würde jetzt interessieren, in welcher Phase der Erarbeitung dies stattgefunden hat und auch hinsichtlich welcher Regelungsinhalte. Ich will mich da ganz besonders auf die Antwort beziehen, die Sie Herrn Goldmann gegeben haben. In dieser haben Sie von Flächenberechnungen gesprochen. Sind auch da die Umweltverbände einbezogen worden?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ich kann Ihnen noch einmal den Ablauf der Entstehung darlegen. Ich habe im August 2012 angekündigt, dass ich gerne eine solche Verordnung erstellen möchte. Wir haben dann im September 2012 einen Referentenentwurf vorgelegt. Über diesen ist auch in den Fachkreisen schon intensiv diskutiert worden. Es gab dann eine erste Ressortabstimmung, und im November, Dezember 2012 haben wir die offizielle Länder- und Verbändebeteiligung durchgeführt. Danach haben wir den Entwurf überarbeitet und ihn dann weiter mit den Ressorts unter Beteiligung der Länder abgestimmt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Kurth.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, mir geht es noch einmal sehr stark darum, dass die Kompensationsverordnung Vorteile für den Vollzug des Naturschutzes bringen soll, der ja sehr stark unter Druck gerät, und dass wir klare und handhabbare Regelungen haben wollen. In § 2 des Entwurfs der Verordnung, in dem es um die allgemeinen Anforderungen an die Kompensation geht, wird ja - jedenfalls soweit ich es kenne - unter anderem erwähnt, dass auch Flächen für die Kompensation genutzt oder angerechnet werden können, die aus Naturschutzmaßnahmen rekrutieren. Wie wird im Verordnungsentwurf sichergestellt, dass es sich dabei um zusätzliche Flächen handelt und nicht um Flächen, die ohnedies schon in einem Vorhaben gewertet worden sind bzw. einem Vorhaben zugerechnet werden? Wie wird sichergestellt, dass wirklich nur zusätzlich anerkannte Maßnahmen eingerechnet werden können?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ich weiß nicht, ob ich Ihre Frage richtig verstanden habe. Wir wollen schon zulassen, dass vorhandene Flächen weiter aufgewertet werden.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, das meinte ich nicht. Es ist klar, dass Flächen aufgewertet werden sollen. Mir geht es darum, dass aber nicht Flächen angerechnet werden, die bereits in Maßnahmen verplant sind, also dass nicht für die Kompensation angerechnet werden kann, was eigentlich schon einer anderen Maßnahme zugeschlagen ist.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Gut. Aus meiner Sicht ist klar, dass das nicht geschehen soll. Das muss im örtlichen Vollzug sichergestellt werden.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage war, wie das im Entwurf geregelt ist. Denn der örtliche Vollzug ist ja die Schwierigkeit, mit der wir heute zu kämpfen haben.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Behm hat noch einmal um das Wort gebeten.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wunderbar. - Wir haben ja miterlebt, dass die Fronten zwischen dem Umweltministerium und dem Agrarministerium sehr umkämpft waren und dass diese Frage strittig war. Durch die Flächenfraßkampagne des Deutschen Bauernverbandes, die wir vor allen Dingen im vergangenen Jahr erlebt haben, wurde ja der Eindruck erweckt, die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen sei vor allen Dingen durch Ausgleichsmaßnahmen bedingt. Das stimmt aber nicht; denn dafür wird nur ein Bruchteil der landwirtschaftlichen Flächen in Anspruch genommen. Sehr viel größer ist das Problem der Überbauung durch Verkehr, Siedlungen usw. In diesem Zusammenhang würde ich gerne wissen: Ist es tatsächlich zutreffend, dass wir eine bundeseinheitliche Kompensationsverordnung bekommen werden, in der geregelt ist, dass, wenn agrarstrukturelle Belange betroffen sind - was auch immer das heißt; das ist im ländlichen Raum ein weites Feld -, die regionalen Forstoder Landwirtschaftsbehörden hinzugezogen werden, um zu entscheiden, ob die entsprechenden Flächen in Anspruch genommen werden können? Ich bin sehr besorgt, wenn das so ist, weil -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja. Wir führen jetzt aber keine Debatte, sondern sind bei der Befragung der Bundesregierung. ({0})

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gut; okay.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist in der Tat so, dass die agrarstrukturellen Belange berücksichtigt werden. Das heißt, zu einer Inanspruchnahme besonders geeigneter Böden für die Landwirtschaft wird es nur dann kommen, wenn zunächst geprüft wurde, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen usw. oder durch Bewirtschaftungsoder Pflegemaßnahmen erbracht werden kann. Als für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden sind diejenigen Böden anzusehen, die, bezogen auf den jeweiligen Landkreis oder die jeweilige kreisfreie Stadt, eine besonders hohe Nutzbarkeit aufweisen. Die Bewertung der Nutzbarkeit erfolgt nach dem Kriterium der Bodenfruchtbarkeit nach dem Bodenschätzungsgesetz; das ist ein relativ objektives Kriterium. In die Bewertung sollen weitere Kriterien wie die Größe und der Zuschnitt der Flächen, ihre äußere und innere Erschließung sowie weitere natürliche Ertragsbedingungen einbezogen werden, wenn hierfür ein behördliches Konzept vorliegt. Soweit agrarstrukturelle Belange betroffen sein können, beteiligt die zuständige Behörde im Zulassungsverfahren die zuständigen Landwirtschafts- und Forstbehörden; das ist der Punkt, auf den Sie abgehoben haben. Wir kommen bei all diesen Punkten natürlich immer wieder in eine schwierige Situation, weil es einerseits ein nachvollziehbares Interesse der Landwirtschaft ist, dass sie ihre besonders geeigneten Böden weiterhin landwirtschaftlich nutzen möchte, und weil es andererseits ein nachvollziehbares Interesse des Naturschutzes ist, zu verhindern, dass die Inanspruchnahme bestimmter Flächen generell dazu führt, dass immer weniger natürliche Lebensräume zur Verfügung stehen. Dieses Problem muss man in der Praxis zu lösen versuchen. Wir haben es für richtig angesehen, die agrarstrukturellen Belange in diesem Umfang zu berücksichtigen. Wir glauben, dass man darüber gemeinsam mit den Naturschutzverbänden diskutieren und sich darauf einigen kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt hat der Kollege Krischer und danach noch einmal Frau Kurth das Wort. Ich glaube, nach diesen mir vorliegenden Wortmeldungen können wir diesen Teil der Befragung abschließen. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, es sind des Öfteren Fragen zum Vollzug und zur praktischen Umsetzung vor Ort aufgetaucht. Da drängt sich mir die Frage auf: Hat man das, was Sie vorschlagen, einem Praxistest unterzogen, das Ganze also in einer bestimmten Region - wie auch immer - unter praktischen Bedingungen überprüft, und, wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, es sind Fallbeispiele durchgerechnet worden, und wir haben über dieses Thema auch mit den Ländern gesprochen. Wir sind überzeugt, dass wir eine ausgesprochen praxistaugliche Regelung getroffen haben. Wir haben allerdings auch eine Art Sicherheitsnetz aufgespannt. Es besteht darin, dass es, wenn die Verordnung in Kraft tritt, noch eine Übergangszeit gibt, in der optiert werden kann, in der man sich also entscheiden kann, ob man die bisherige oder die neue Regelung in Anspruch nimmt. Ich bin überzeugt, dass nach sehr kurzer Zeit die allermeisten für die neue Regelung optieren werden, weil sie sich im Vergleich zu der noch bestehenden Regelung in vielen Fällen als besser erweisen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kurth.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, bislang ist es grundsätzlich so, dass bei allen Eingriffen in die Natur der Ausgleich vor dem Ersatz stehen soll, um die Funktion des Naturhaushalts erhalten zu können. Diese Rangfolge ist quasi eine Grundvoraussetzung für naturschutzfachlich korrektes Handeln. Nach der jetzigen Regelung ist ein funktionsbezogener Ausgleich - der Ausgleich, der erfolgen muss, wenn die Funktion des Naturhaushalts durch eine Maßnahme erheblich gestört wird - nur noch bei besonderer Schwere des Eingriffs vorgesehen. Stimmen Sie mir zu, dass der Vorrang von Ausgleich vor Ersatz gefährdet würde, wenn dieser Grundsatz gesetzlich auf den Bereich der besonderen Schwere eingegrenzt wird?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Wir werden weiterhin in vielen Fällen einen Naturalausgleich haben. Es wird Fälle geben, wo ein Ausgleich schwer oder gar nicht möglich ist, weil es sich vor allen Dingen um vertikale Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes handelt - ich habe ja gesagt: bei Windrädern und Mastbauten -; in diesen Fällen ist davon auszugehen, dass es in Zukunft in verstärktem Maße zur Zahlung eines Ersatzgeldes kommen wird. Ansonsten bin ich nicht Ihrer Auffassung, dass es sich um eine Umkehrung der bisherigen Systematik handelt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank. Ich schließe damit diesen Teil der Befragung ab. Zu anderen Fragen der heutigen Kabinettssitzung hat die Kollegin Enkelmann um das Wort gebeten.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Altmaier, am Wochenende wurde bekannt, dass die Verhandlungen über die sogenannte Strompreisbremse gescheitert sind. Gleichzeitig gab es Informationen - unter anderem aus der Welt -, wonach der Strom noch einmal drastisch teurer werden soll, unter anderem durch Anhebung der Ökosteuerumlage. Jetzt ist die Frage: Was tut die Bundesregierung, um diesen drastischen Preisanstieg zu verhindern? Bitte schieben Sie den Schwarzen Peter Altmaier nicht auf die Länder, sondern sagen Sie uns: Was tut die Bundesregierung?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank. - Ich muss das zunächst einmal korrigieren: Es geht nicht um die Ökosteuerumlage, es geht um die EEG-Umlage. Diese Umlage wird jedes Jahr am 15. Oktober neu berechnet und dann für das Folgejahr festgesetzt. Sie ist in den letzten Jahren stärker gestiegen, als alle es für zuträglich und vertretbar gehalten hätten. Ich habe am 28. Januar darauf hingewiesen, dass es für den Herbst dieses Jahres ein erhebliches Steigerungsrisiko gibt. Zum ersten Mal weist der zuständige Minister Monate im Voraus auf ein solches Problem hin. Ich möchte, dass man darüber diskutiert, solange Lösungen gefunden werden können. Ich habe dann auch Vorschläge vorgelegt, wie man die EEG-Umlage für die Verbraucherinnen und Verbraucher stabil halten und damit den Strompreisanstieg begrenzen kann. Über diese Vorschläge haben wir in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den zuständigen Um29588 welt-, Energie- und Wirtschaftsministern in insgesamt fünf Sitzungen diskutiert. Wir haben dort zu meinem großen Bedauern feststellen müssen, dass die Bundesländer in ihrer Gesamtheit nicht bereit sind, die notwendigen Maßnahmen mitzutragen und damit sicherzustellen, dass ein solches Gesetz auch eine Mehrheit im Bundesrat findet. Als zuständiger Minister werde ich die Entwicklung weiterhin sehr genau im Auge behalten. Ich bin überzeugt, dass in dem Maße, in dem sich das Preisrisiko in den nächsten Wochen und Monaten konkretisiert, auch der Handlungsdruck auf alle Beteiligten steigen wird. Ich darf nur darauf hinweisen, dass eine der entscheidenden Zahlen für die Höhe der EEG-Umlage der jeweilige Börsenstrompreis ist: Je höher der Börsenstrompreis, desto niedriger die EEG-Umlage; je niedriger der Börsenstrompreis, desto höher die EEG-Umlage. Als die EEG-Umlage im letzten Jahr festgesetzt wurde, hatten die Netzbetreiber die Erwartung, dass der durchschnittliche Börsenstrompreis 2013 bei 5,1 Cent die Kilowattstunde liegen würde. Als ich im Januar gewarnt habe und meine Vorschläge vorgelegt habe, lag der durchschnittliche Börsenstrompreis bei 4,5 Cent. Er liegt inzwischen zeitweise unter 4 Cent. Das heißt, wir haben hier eine Entwicklung, die keinen Anlass zur Entwarnung gibt. Deshalb hoffe ich, dass alle Beteiligten ihrer Verantwortung gerecht werden und noch zu einer Lösung kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Frage geht auch an Sie, Herr Minister Altmaier. Sie haben das Thema Gesetzentwurf zur Endlagersuche angesprochen, das heute im Kabinett behandelt wurde. Wir konnten lesen, dass Sie vor oder nach einem Geheimtreffen stehen. Meine Frage insoweit: Wann legen Sie Ihre Konzeption für eine Zwischenlagerung jenseits von Gorleben vor?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist so: Wir haben zunächst einmal im politischen Bereich, das heißt, mit den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen und unter Beteiligung aller 16 Bundesländer, eineinhalb Jahre lang über einen Endlagerkonsens gesprochen. Diese Gespräche haben in Ihrer Gegenwart und mit Ihrer konstruktiven Mitwirkung vor etwa zwei Wochen zu einem Ergebnis geführt. Auf dieser Grundlage haben wir heute im Kabinett den Gesetzentwurf beschlossen. Wir werden ihn gemeinsam mit den Fraktionen einbringen und dieses Verfahren in den Ausschüssen gemeinsam gestalten und tragen. Ein Teil dieses Konsenses besteht darin, dass noch ausstehende Transporte von Behältern mit hochradioaktiven Abfällen, die aus dem Ausland zurück nach Deutschland gebracht werden, woher sie auch stammen, nicht mehr in das Zwischenlager Gorleben, sondern in andere Zwischenlager gehen sollen. Im Augenblick gibt es zwei Gesprächsebenen. Auf der einen Ebene führe ich Gespräche mit den Bundesländern, auf deren Territorium sich solche Zwischenlager befinden. Insgesamt gibt es 15 davon. Einige davon sind in besonderer Weise geeignet, weil man bei ihnen den Transportweg minimieren kann. Dazu gibt es von einzelnen Bundesländern auch bereits öffentliche Erklärungen. Heute Morgen wurde im Landtag von Schleswig-Holstein eine Regierungserklärung zu diesem Thema abgegeben, von der ich hoffe, dass sie inzwischen zu einem positiven Votum geführt hat oder führen wird. Daneben habe ich heute Mittag nach der Kabinettsentscheidung ein erstes Gespräch mit den Betreibern der Kraftwerke und denen, die diesen Müll entsorgen müssen, geführt. Es war für mich ganz wichtig, dass wir uns - Regierung, Opposition und Bundesländer - zunächst politisch einigen und dann erst mit den Betreibern über die Frage sprechen, wie diese Einigung umzusetzen sein wird. Wir haben uns bei der Frage, ob wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen, darauf verständigt, zunächst einmal die rechtlichen, technischen und finanziellen Probleme in Gesprächen auf Expertenebene aufzulisten. Diese Gespräche werden wir in den nächsten Wochen führen. Das wird dadurch erleichtert werden, dass wir dann auch von den betroffenen Bundesländern wissen, ob sie bereit sind, solche Behälter aufzunehmen. Dann kann man die Diskussion auf diejenigen Standorte verengen, die in Betracht kommen. Ich habe die große Hoffnung, dass es uns gelingen kann, bis zur endgültigen Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes durch Bundestag und Bundesrat Klarheit in der Frage der Zwischenlagerung zu schaffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Vogt.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat ja einen erheblichen Anteil daran, dass dieser Konsens zustande kommen konnte. Leider haben wir vonseiten der Union in Baden-Württemberg schon heftige Gegenwehr erfahren, und zwar vom Landtagsfraktionsvorsitzenden, Herrn Hauk, aber auch vom Landesvorsitzenden, Herrn Strobl, der ja auch Kollege hier im Bundestag ist. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie diesbezüglich auch mit Ihren Parteikollegen aus Baden-Württemberg im Gespräch sind und wie Sie insgesamt den Meinungsbildungsprozess in der CDU/CSUBundestagsfraktion beurteilen. Denn mir ist aufgefallen, dass von anderen Parteien durchaus sehr hochrangige Vertreter bei den Gesprächen waren, während von der Union die zwar sehr geschätzten, aber doch vielleicht nicht mit maximalem Einfluss ausgestatteten Berichterstatterinnen und Berichterstatter vertreten waren.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Vogt, erstens war die Union bei den abschließenden Gesprächen mit Maria Flachsbarth vertreBundesminister Peter Altmaier ten. Das ist eine sehr hochrangige und kompetente Vertretung. Die Kollegin Flachsbarth hat, so wie der Kollege Miersch auch, konstruktiv daran mitgewirkt, dass wir eine Lösung gefunden haben. Zweitens will ich darauf hinweisen, dass die Union unter anderem durch den Bundesumweltminister und durch mehrere Ministerpräsidenten und Landesminister vertreten war, sodass wir, glaube ich, adäquat an den Gesprächen teilgenommen haben. Zum ersten Teil Ihrer Frage: Ich habe mich in dem knappen Jahr meiner bisherigen Amtszeit sehr dafür eingesetzt, in einem fairen Verfahren eine parteiübergreifende Lösung für die Endlagersuche zu finden. Das ist uns gelungen. Ich wünsche mir, dass diese Lösung nicht nur im Bundestag und im Bundesrat, sondern auch auf der Ebene der Länder von den jeweiligen Landtagen breit getragen wird. Das gilt ausdrücklich auch für die Frage der Bestimmung der Zwischenlager, die die wenigen zurückzunehmenden Behälter aufnehmen werden, die nach Inkrafttreten des Endlagersuchgesetzes noch transportiert werden müssen. Insofern wünsche ich mir auch, dass die politisch Verantwortlichen in diesen Bundesländern auf die Opposition zugehen, so wie ich in meiner Eigenschaft als Bundesumweltminister auf die Opposition zugegangen bin, und dass man dann versucht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die auf Landesebene und auch auf Bundesebene gemeinsam getragen werden. Ich werde jedenfalls nicht müde, für einen solchen Konsens zu werben, auch deshalb, weil ich weiß, dass die Endlagersuche für uns alle noch schwer genug werden wird. Bisher war es so, dass es für viele darum ging, ein bestimmtes Endlager eher nicht zu bauen. Jetzt müssen wir ein Endlager finden. Das ist ein Prozess, der uns lange beschäftigen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Hoffentlich länger als die verfügbare Redezeit, Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Im Übrigen wird der Bundestag gefordert sein, auf jeder Verfahrensstufe eine gesetzliche Entscheidung zu treffen. Deshalb haben wir alle ein Interesse daran, dass dies im Konsens geschieht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank. - Gibt es unabhängig von der heutigen Kabinettssitzung weitere Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/13171 Ich werde die Geschäftsbereiche in der Ihnen mitgeteilten Reihenfolge der Ministerien aufrufen. Wir bleiben zunächst im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Kollegin Katherina Reiche steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 1 der Kollegin Dorothea Steiner auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass im Land Niedersachsen und in der Freien Hansestadt Bremen Laserdruckgeräte in Polizei- und Justizbehörden gegen emissionsärmere Geräte auf Tintenstrahlbasis ausgetauscht werden, und daraus, dass seitens der Hersteller bis heute kein Blauer Engel nach dem neuen, ergänzten Prüfverfahren - Grenzwert der RAL-UZ 171 - beantragt wurde?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Präsident! Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung begrüßt es grundsätzlich, wenn technisch veraltete Arbeitsplatzdrucker gegen Drucker mit geringeren Ultrafeinstaubemissionen und höherer Energieeffizienz ausgetauscht werden. Die neue Grundlage zur Vergabe des Blauen Engels für Bürogeräte mit Druckfunktion RAL-UZ 171 gilt seit 1. Januar 2013. Ein Hersteller hat bereits einen Antrag für einen Laserdrucker nach der neuen RAL-Vergabegrundlage gestellt. Weitere Hersteller haben ihre Absicht bekundet, Anträge für Laserdrucker zu stellen. Die Prüfung ist aber noch nicht abgeschlossen. Während einer Übergangszeit bis Ende 2013 werden zudem noch Bürogeräte mit Druckfunktion erhältlich sein, die noch der alten Vergabegrundlage RAL-UZ 122, Ausgabe 2011, entsprechen. Diese Geräte mit dem Blauen Engel erfüllen zwar nur die Anforderungen aus dem Jahr 2011, sind aber emissionsärmer und energieeffizienter als die, die ein solches Umweltzeichen nicht tragen. Untersuchungen der BAM, der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, und des FraunhoferInstituts für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut zeigen, dass Laserdrucker im UFP-Bereich sehr unterschiedliche Mengen an Aerosolen emittieren. Der neue Prüfwert zur Erlangung des Blauen Engels wurde deshalb so festgelegt, dass nur die besonders emissionsarmen Drucker die Kriterien der RAL-UZ 171 erfüllen. Nur diese Drucker können als beste Produkte ihrer Produktgruppe zukünftig den Blauen Engel erhalten. Das lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass nun von anderen Druckern Gesundheitsgefahren ausgingen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachfrage? - Bitte schön.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich möchte die Frage der toxischen Auswirkungen und der Risiken noch etwas vertiefen. In Anbetracht der Tatsache, dass jeder Laserdrucker ein buntes Potpourri von anorganischen und organischen Nanopartikeln ausstößt - ich las irgendwo die Zahl von mehr als 1 Milliarde Nanopartikeln pro Seite - und mir nicht bekannt ist, dass wir die damit verbundenen Risiken bisher bewertet haben, frage ich Sie: Welche belastbaren Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen dieser Nanopartikel auf den menschlichen Körper, insbesondere auf Lunge und Blutkreislauf?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin, ich darf Sie dahin gehend korrigieren, dass wir tatsächlich Erkenntnisse haben, weil die Befürchtungen, die im Raum stehen, ja tatsächlich schon alt sind. Mit der Diskussion, die im Umfeld einer ganz bestimmten Gruppe, nano-Control, immer wieder vorangetrieben wird, gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung, haben wir uns selbstverständlich beschäftigt. Ich hatte eben in der Beantwortung der Frage nur kurz erwähnt - ich kann es jetzt gern ausführlicher machen -, dass sowohl die BAM, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, als auch das Fraunhofer-Institut Wilhelm-Klauditz-Institut diesen Sachverhalt mehrfach und umfassend überprüft haben. Sie sind dem nachgegangen, und die Erkenntnis nach mehrfachen, auch intensiven Prüfungen verschiedener Drucker war, dass Laserdrucker bei normalem Druckbetrieb in Innenräumen und im Vergleich zu anderen Quellen kaum bzw. gar nicht zur UFP-Belastung in den Räumen beitragen. Die Studien kann ich Ihnen gerne zukommen lassen. Aber es wurde hinreichend untersucht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Ich glaube, da sind wir unterschiedlicher Auffassung, was eine hinreichende Untersuchung und eine belastbare Studie ist. Das scheint mir in diesem Fall nicht zuzutreffen, insbesondere wenn man bedenkt, dass - was ja der Anlass meiner Fragestellung war - das Bundesland Niedersachsen und die Freie Hansestadt Bremen diese Laserdrucker aus gesundheitlichen Gründen bereits aus dem Verkehr gezogen haben, und zwar umgehend. Daher frage ich Sie: Sieht die Bundesregierung nicht doch die Notwendigkeit, eine Risikobewertung der toxischen Auswirkungen von Laserdruckern auf den Weg zu bringen, um anschließend auch weitergehende Handlungsoptionen entwickeln zu können?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Steiner, unsere Information ist die, dass in Niedersachsen deshalb die Drucker ausgetauscht wurden, weil sie schlichtweg zu alt waren ({0}) und man irgendwann einmal auch im öffentlichen Bereich neue braucht. Zu Bremen ist Folgendes zu sagen: Die Bremer Landesbehörde selbst hat das Bremer Umweltinstitut eingeschaltet, das danach im Auftrag des Bremer Justizministeriums wegen möglicher Häufung der Krankheitsfälle eine intensive Untersuchung durchgeführt hat. Die Ergebnisse, die dann aus Bremen kamen, besagten, dass es keinen Zusammenhang zwischen Krankheitsfällen und dem Drucker gegeben hat. Wie gesagt, das Bundesamt für Materialforschung und -prüfung und das schon genannte Fraunhofer-Institut sind mit der Sache befasst, und zwar nicht nur irgendwie, Frau Kollegin. Es wurde sehr wohl über die Mengen und die chemische Zusammensetzung der emittierten Partikel geforscht, und es wurde geprüft, welche emittierten Feinstpartikel wirklich aus dem Tonermaterial stammen. Die Prüfungen waren also umfangreich, und insofern kann ich die Befürchtungen dieses einen und sehr kleinen Vereins, der immer wieder Ängste zu schüren versucht, nicht bestätigen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Behm auf: Mit welchen Ergebnissen ist das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Schutz von Buchenwäldern in einem System von Prozessschutzgebieten“ ({0}), bei dem es um die Erfassung aller über 100 Hektar großen Buchenwaldgebiete in Deutschland geht, abgeschlossen worden, und wann ist die Veröffentlichung des Endberichts, der bereits 2011 vorliegen sollte, vorgesehen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Behm, der Abschlussbericht zu dem Vorhaben „Schutz von Buchenwäldern in einem System von Prozessschutzgebieten“ liegt im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vor, und die Ergebnisse sowie die Form der sich dann anschließenden Veröffentlichung des Forschungsberichts werden zurzeit geprüft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Zusatzfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Sie werden also geprüft. Es wäre ja interessant, zu wissen, welche Ergebnisse da tatsächlich vorliegen, auch im Zusammenhang mit der Untersuchung von Herrn Professor Spellmann zu den schon dauerhaft aus der Nutzung genommenen Waldflächen in Deutschland. Diese Untersuchung findet jetzt gerade statt und wird hoffentlich demnächst veröffentlicht werden. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung ist das ja durchaus eine interessante Fragestellung. Deswegen frage ich Sie: Werden Ergebnisse dazu noch vor Abschluss dieser Legislaturperiode vorgelegt werden, oder ist der EinCornelia Behm druck richtig, dass das auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben werden soll?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Darum geht es nicht. Es waren zwei Forschungsvorhaben notwendig. Bei dem einen Forschungsvorhaben, das durch das BfN durchgeführt wurde, wurden Buchenwälder über 100 Hektar aufgelistet und kartiert. Gleichwohl war auch immer eine enge Zusammenarbeit mit den Landesforstverwaltungen notwendig. Sie wissen, dass wir nicht nur Bundeswälder haben, sondern auch Landeswälder und Wälder im Kommunalbestand. Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist so - ich formuliere es einmal allgemein -, dass diese zwar von uns eine Veröffentlichung der Zahlen fordern, sich aber bei der Veröffentlichung eigener Daten nicht immer sehr freigiebig zeigen, sodass sich die Zusammenführung der Daten schwierig gestaltet hat. Jetzt haben wir einen weiteren Forschungsbericht gemacht. In dem zweiten Bericht wird sehr viel Wert auf eine klare Bilanzierung aller dauerhaft aus der Nutzung genommenen Waldflächen gelegt. Die Bilanzierungskriterien werden derzeit abgestimmt, um am Ende zu einer wirklich fundierten Studie zu kommen, an deren Ergebnis nicht gezweifelt werden kann und die keine Missinterpretationen zulässt. Deswegen zieht sich der Vorgang noch ein bisschen hin.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Noch ein bisschen“ sagt nicht, ob wir das Ergebnis noch in dieser Legislaturperiode zu sehen bekommen. Aber damit, dass die Länder nicht liefern, haben wir schon unsere Erfahrungen gemacht. Bayern ist da in die Kritik geraten. Können Sie mir sagen, welche Länder nicht geliefert haben? Es wäre vielleicht an den Politikerinnen und Politikern, Druck auszuüben, damit diese Zahlen endlich zur Verfügung gestellt werden.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ich will jetzt nicht der Versuchung erliegen, rot-grün regierte, grün-rot regierte oder andersfarbig regierte Länder zu nennen. Nehmen Sie bitte unsere Erfahrung so hin, und reden Sie, jeder dort, wo er reden kann. Dass es mit der Auskunftsfreudigkeit der Länder allgemein nicht weit her ist, ist ein Grund dafür, dass sich der Prozess so lang hingezogen hat. Das nur auf Bayern zu reduzieren, wäre falsch. Auch andere Länder haben gezögert. Ich kann die Namen gerne später zusammenstellen. Ob das allerdings hilft, den Prozess zu beschleunigen, weiß ich nicht; denn wir wollen ja gemeinsam vorankommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Vogt auf: Wie bewertet die Bundesregierung das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, LAI, wonach Überschreitungen von Immissionsgrenzwerten in Gebieten möglich sein sollen, für die nachgewiesen ist, dass eine Grenzwerteinhaltung nur mit unverhältnismäßigen Maßnahmen zu erreichen ist, und wird sie diese Eckpunkte zur Grundlage der deutschen Position in den anstehenden Verhandlungen zur Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinie auf EU-Ebene machen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Vogt, die Europäische Kommission hat beschlossen, ihre Luftreinhaltepolitik und so auch die Luftqualitätsrichtlinie umfassend zu revidieren. Nach aktuellen Vorstellungen der Kommission sollen zunächst die thematische Strategie zur Luftreinhaltung und die Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe kurzfristig fortgeschrieben werden. Die Novellierung der Luftqualitätsrichtlinie soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Für die Revision der Luftqualitätsrichtlinie hat die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz deutlich im Vorfeld der von der Kommission initiierten Revision im Auftrag der Umweltministerkonferenz ein Eckpunktepapier mit den deutschen Positionen erarbeitet. Auf der Herbst-UMK 2011 hat die UMK das Eckpunktepapier zur Kenntnis genommen und in ihrem Beschluss den Bund darum gebeten, die im Eckpunktepapier dargelegten Positionen in die Rechtsetzungsverhandlungen grundsätzlich einfließen zu lassen. Auch aus Sicht der Bundesregierung sollen bei der Revision der Luftqualitätsrichtlinie für Gebiete, in denen trotz des Eingreifens aller geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen noch Emissionsgrenzwerte, insbesondere für Stickstoffdioxid und Feinstaub, überschritten werden, unter strengen Bedingungen erneut Möglichkeiten zur Fristverlängerung vorgesehen sein.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Meine Nachfrage ist, ab wann für Sie Maßnahmen unverhältnismäßig sind und wer das dann am Ende bestimmt.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin, Sie wissen, dass hier die Länder im Vollzug sind und dass der Bund seinerseits viel getan hat, um das Thema Luftqualität und Luftreinhaltung auch in dieser Legislaturperiode voranzubringen. Wir haben mit der Industrieemissionsrichtlinie, die wir jetzt auch in nationales Recht umgesetzt haben, die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Großemittenten zukünftig nur noch nach festen Regeln emittieren dürfen. Ganz zu Anfang der Legislaturperiode - Sie werden sich erinnern: die Vorbereitungen fanden in der Großen Koalition statt - haben wir uns mit dem Thema Kleinfeuerungsanlagen beschäftigt und bei diesen Anlagen für den Zeitraum bis zum Jahr 2015 insbesondere mit Blick auf einen Hausbrand für mehr Qualität gesorgt. Wir haben in dieser Legislaturperiode das Thema Euro-6-Norm sowohl für Pkw als auch für Lkw vorangebracht. Gleichwohl sind beispielsweise Kommunen - auch in Baden-Württemberg -, die unglücklicherweise im Kessel liegen, aus dem sie halt auch nicht herauskommen können, gefordert, die Arbeit fortzusetzen. Stuttgart ist eine Metropole, wo es unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit sehr schwierig ist, zu mehr Luftqualität zu kommen, wenn man nicht den gesamten Pkw-Verkehr verbieten will. Für diese speziellen Fälle bemühen wir uns um weitere Ausnahmeregelungen.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage war, wer am Ende kontrolliert, ob tatsächlich eine Unverhältnismäßigkeit vorliegt.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin, zunächst werden die Messwerte vor Ort genommen und im UBA gesammelt. Dann werden sie ausgewertet. Das geht dann an die Europäische Kommission, die wiederum eine Auswertung vornimmt. Die Kommission scheint mir an der Stelle nicht hinreichend stringent zu arbeiten. Wir konnten für 24 der 57 Städte, die wir gemeldet haben, weitgehend ohne Diskussion eine Fristverlängerung erreichen. Andere Kommunen mussten Antworten auf Nachfragen liefern, weil ihre Argumentation durch die Kommission nicht nachvollzogen werden konnte. Das spiegeln wir jetzt wider, um auf den gleichen Argumentationsstand zu kommen. Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel, wo es schwierig ist, sich mit der Kommission darauf zu einigen, was nun eigentlich gilt. Wir haben uns von Anfang an beispielsweise für die Kleinfeuerungsanlagen starkgemacht und auf eine kurze Übergangszeit gedrungen. Wenn es jetzt aber darum geht, die Ökodesign-Richtlinie entsprechend umzusetzen, sagt die Kommission: Macht das Ganze nicht so schnell! - Die Bewertungsgrundlage ist also nicht immer gleich, wenn es darum geht, tatsächlich eine Ausnahmeregelung für eine Kommune zu genehmigen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir fahren gleich mit der Frage 4 der Kollegin Ute Vogt fort: Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass mit einem solchen Grundsatz der verbindliche Normcharakter von Grenzwerten - auch EU-weit - verloren ginge?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin, bereits in der geltenden Luftqualitätsrichtlinie sind in Art. 22 Regelungen zur Verlängerung der Fristen für die Einhaltung bestimmter Grenzwerte vorgesehen. Die Bundesregierung sieht nicht die Gefahr, dass durch eine der in dem Eckpunktepapier der BundLänder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz genannten Regelungen der Rechtscharakter von Grenzwerten verloren ginge. Das entspricht auch nicht dem Charakter des LAI-Vorschlages, also dem Vorschlag der gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft. So hebt das zitierte Eckpunktepapier ausdrücklich hervor, dass das Niveau der Grenzwerte und somit auch ihr Schutzzweck, die menschliche Gesundheit, beibehalten werden soll. Folglich soll durch diesen Eckpunkt möglichen Abweichungstendenzen bei Immissionsgrenzwerten gerade entgegengewirkt werden. Zudem soll hinsichtlich etwaiger Vertragsverletzungsverfahren im Fall von Grenzwertüberschreitungen trotz des Ergreifens aller geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen auch Rechtssicherheit gewährt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir stimmen sicherlich überein, dass wir häufig die Schwierigkeit haben, dass wir in Deutschland bei der Umsetzung relativ genau sind, während Länder in der Überprüfung oft nicht so exakt arbeiten. Die Frage ist, ob die Bundesregierung nicht befürchtet, dass dadurch, dass man dieses Tor öffnet, ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen EU-Ländern entsteht, die möglicherweise schon bei der Umsetzung nicht so stringent vorgehen und dann auch von den Ausnahmemöglichkeiten noch wesentlich mehr Gebrauch machen würden, als es bei uns der Fall wäre.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wie gesagt, wir müssen derzeit für die 57 Städte, bei denen wir uns um eine Fristverlängerung bemühen, sehr genau den Nachweis führen. Die Kommission hat - das habe ich eben schon ausgeführt - sehr detaillierte Nachfragen bezüglich einiger Kommunen gestellt. Auf der anderen Seite haben wir zum Beispiel bei der Industrieemissionsrichtlinie, aufgrund derer andere Länder ihre großen Anlagen viel mehr nachrüsten müssen als wir unsere, oder auch beim Thema Kleinfeuerungsanlagen eben nicht lockergelassen. Wir wollen auch, dass zum Beispiel bei der Ökodesign-Richtlinie keine schwächeren Grenzwerte gelten, weil nur durch ein Bündel von Maßnahmen für große Anlagen, kleine Anlagen und Individualverkehr die Möglichkeit geschaffen wird, europaweit zu mehr Luftqualität zu kommen. Wir versuchen natürlich, bei allen Richtlinien, die die Luftqualität betreffen, zu hohen Standards zu kommen, und fordern, so gut es eben geht, auch von anderen Ländern ein, dies entsprechend umzusetzen. Das ist nicht immer so stringent - so haben Sie es gerade formuliert wie bei uns.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf den Zeitplan. Können Sie uns sagen, wie das weitere Vorgehen sein wird? Sie hatten es in Ihrer Antwort auf meine erste Frage schon angedeutet.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Am 20. Februar 2013 hat die Kommission uns mitgeteilt, wo es keine Einwände gibt bzw. wo wir nacharbeiten müssen. Für Gebiete, wo die Kommission keine Einwände hat, haben wir bis zum Ende des Jahres 2014 Zeit, den Grenzwert einzuhalten. Für die Fälle, wo die Kommission Einwände hat, bereiten wir gemeinsam mit den Ländern eine umfassende Antwort vor. Das sind momentan die Fristen. Uns liegt noch kein Zeitplan für die gesamte Luftqualitätsrichtlinie vor. Wir wissen noch nicht, wann die Kommission mit den Konsultationen beginnen will.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Krischer: Wie sieht der weitere Zeitplan der Bundesregierung zur Schaffung eines gesetzlichen Rahmens bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas - Fracking - aus, und weshalb - bitte konkrete Gründe benennen - kam es bisher trotz anderweitiger Ankündigungen zu keiner Einigung innerhalb der Bundesregierung?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Krischer, die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes sowie den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der UVP-Verordnung Bergbau am 7. bzw. 11. März in die formelle Anhörung der beteiligten Kreise eingebracht. Die eingegangenen zahlreichen und recht umfangreichen Stellungnahmen betreffen wichtige Aspekte des Wasserrechts und des Bergrechts. Die Stellungnahmen bedürfen daher einer gründlichen Auswertung und Diskussion. Von dem Ergebnis der Prüfung und der Diskussion hängt der weitere Zeitplan für die Regelungen hinsichtlich der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas, Erdöl und Erdwärme unter Einsatz der FrackingTechnologie ab.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für diese Auskunft. - Ihre Antwort verwundert mich nur etwas, weil von Regierungsmitgliedern - wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sogar vom anwesenden Umweltminister - der 10. April bzw. der 24. April als mögliche Zeitpunkte für Kabinettsbeschlüsse genannt worden sind. Da die Anhörung von Beteiligten noch läuft und die Auswertung aussteht, erstaunt es mich, dass hier konkrete Termine genannt worden sind. Ich bitte Sie, mir dafür eine Erklärung zu geben. Daran schließt sich natürlich die Frage an: Wie soll im Hinblick auf die zu Ende gehende Legislaturperiode und die am 22. September stattfindende Bundestagswahl noch ein Gesetzgebungsverfahren inklusive Bundesratsbeteiligung durchgeführt werden können, wenn die nächstmögliche Sitzungswoche im Mai ist?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ihre erste Frage habe ich schon beantwortet. Die Stellungnahmen waren umfangreich. Interessanterweise kommen aus einzelnen Bundesländern immer dann, wenn man einen neuen Stand hat, gleich die nächsten Nachforderungen, die dann wieder geprüft werden müssen. Übrigens wird in keinem der Gutachten, die die Bundesländer in Auftrag gegeben haben, ein Totalverbot der Fracking-Technologie gefordert. Was ist unsere Intention, und woran bemisst sich am Ende ein erfolgreicher Entwurf? An erster Stelle steht der Schutz von Trinkwasser, menschlicher Gesundheit und Umweltgütern. Dann folgt die Abwägung mit wirtschaftlichen Interessen. Wir haben in unserem Haus den Schwerpunkt auf eine möglichst umfassende Regelung von Trinkwasserschutzgebieten inklusive Querbohrungen gesetzt. Gleichwohl sind die Details komplex; darüber wird diskutiert. Insofern kann ich Ihnen kein Datum nennen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte konkret nachfragen: Rechnen Sie damit, dass noch in dieser Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag ein Gesetzentwurf vorgelegt wird?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ich halte das Problem für so dringend, dass wir einen Gesetzentwurf vorlegen sollten. Ob dieser dann durch den Bundesrat kommt und ob das anerkannt wird, was schon während der laufenden Diskussionen und im Rahmen einer informellen Beteiligung der Bundesländer eingeflossen ist, hängt von den beteiligten Ländern ab. Ob wir das Verfahren im Bundesrat zügig abschließen können, weiß ich daher nicht. Es ist jedenfalls die feste Auffassung beider beteiligter Ressorts, zu einem Abschluss und zu einem Gesetzentwurf zu kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Schwabe.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, das ist ja eine spannende Geschichte, die Sie uns hier erzählen. Aber am Ende geht es nicht darum, was der Bundesrat macht, sondern es geht erst einmal darum, ob die Bundesregierung in der Lage ist, etwas vorzulegen. Sie ist faktisch dazu nicht in der Lage. Es ist wohl so, dass es gestern eine Sitzung innerhalb der Koalition gegeben hat, und morgen gibt es, wenn ich es richtig verstanden habe, erneut eine Sitzung; denn in der Koalition und auch in der Unionsfraktion - wie man so hören und auch lesen kann - gibt es mas29594 sive Widerstände gegen das, was Herr Altmaier und Herr Rösler gemeinsam auf den Tisch gelegt haben. Deswegen frage ich Sie an dieser Stelle: Halten Sie die Vorschläge, die Herr Altmaier und Herr Rösler gemacht haben - die Daten haben Sie ja gerade genannt -, für ausreichend, oder findet die Bundesregierung, dass man an diesen Vorschlägen Verbesserungen vornehmen muss?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Zunächst muss ich sagen: Zu Beratungen der Koalitionsfraktionen kann ich hier keine Stellung nehmen. Das werde ich auch nicht tun. Der Tagesordnungspunkt heißt ja auch nicht Fraktionsbefragung, sondern Regierungsbefragung. Ich glaube, dass wir einen guten Entwurf vorgelegt haben. Wir bemühen uns aber, im laufenden Verfahren auch Anregungen aufzunehmen. Das finde ich bei diesem Punkt auch wichtig. Wir haben bei dem, was der Herr Minister gerade zum Thema Endlager gesagt hat, gelernt, wie wichtig es ist, frühzeitig Belange aus allen Teilen der Bundesrepublik mit aufzunehmen. Das tun wir. Es bleibt dem Parlament danach immer noch vorbehalten, weitere Veränderungen in das parlamentarische Verfahren einzubeziehen. In einem Punkt, Herr Kollege, sei mir eine andere Auffassung erlaubt: Sehr wohl ist es richtig, dass zunächst die Regierung einen Entwurf vorlegen muss; gleichwohl hängt aber auch wegen der überschaubaren verbleibenden Zeit in dieser Legislaturperiode einiges davon ab, dass der Bundesrat seinen Willen dokumentiert, mitzumachen und mitzuentscheiden. Tut er es nicht, dann wird das Gesetz unter die Diskontinuität fallen, was am Ende schade wäre.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Krischer auf: Wird die Bundesregierung Initiativen auf europäischer Ebene zum Beispiel im Rahmen der derzeit laufenden ILUCReform - ILUC: indirekte Landnutzungsänderung - unterstützen, die eine Streichung oder Veränderung des prioritären Netzzugangs für Strom aus erneuerbaren Energien in der europäischen Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien ({0}) zum Ziel haben?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Krischer, die Bundesregierung wird auf europäischer Ebene keine Initiativen unterstützen, die eine Streichung oder Änderung des prioritären Netzzugangs für Strom aus erneuerbaren Energien in der europäischen Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien - das ist die Richtlinie 2009/28/EG - zum Ziel haben. Ungeachtet dessen ist es in Deutschland und in Europa zwingend notwendig, dass wir den Rechtsrahmen so weiterentwickeln, dass wir im europäischen Verbund den stark wachsenden Anteil erneuerbarer Energien so effizient in die europäische Stromversorgung integrieren können wie nur möglich. In Deutschland versuchen wir aktuell mit verschiedenen Gesetzgebungsvorhaben im Netzbereich - insbesondere mit dem Bundesbedarfsplangesetz -, die Netzinfrastruktur zukunftsfähig zu gestalten. Auch die deutlich verbesserte Zusammenarbeit der europäischen Netzbetreiber unterstreicht, dass wir die Energiewende in Deutschland auch im europäischen Kontext beachten müssen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für diese Auskunft, die mich sehr freut. Dennoch möchte ich noch einmal ganz konkret nachfragen: Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, die entsprechende EU-Verordnung im Rahmen der ILUC-Novelle zu verändern, was die Fragen des Netzzugangs und des Vorrangs der Einspeisung von erneuerbaren Energien angeht? Ich bitte um eine klare Aussage - ja oder nein. Das wäre mir wichtig.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Krischer, solche Überlegungen sind mir nicht bekannt. Der Erfolg unseres EEG besteht ja darin, dass der Einspeisevorrang und auch der Netzzugang entsprechend geregelt sind. Insofern haben wir jetzt auch keinen Anlass zu einer Änderung unserer Position.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Schwabe auf: Können nach Ansicht der Bundesregierung Unternehmen nach derzeit geltendem Recht in Deutschland Bohrungen unter Einsatz der Fracking-Technologie durchführen, bei der sie umwelttoxische oder gesundheitsgefährdende Chemikalien einsetzen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Schwabe, es wird eine etwas längere Antwort, weil das Thema komplex ist. Die Aufsuchung oder Gewinnung von bergfreien Bodenschätzen - nur für die bergfreien Bodenschätze Erdöl, Erdgas oder Erdwärme kommt ja der Einsatz von Fracking-Technologie infrage - bedürfen einer sogenannten Bergbauberechtigung nach dem Bundesberggesetz, das heißt üblicherweise zunächst einer Erlaubnis für die Aufsuchung und nachfolgend einer Bewilligung für die Gewinnung. Die Aufsuchung oder Gewinnung ist zu versagen, soweit überwiegend öffentliche Interessen dem entgegenstehen. Zu den überwiegenden öffentlichen Interessen gehören nach der Rechtsprechung auch Umweltbelange zum Beispiel das Wasserrecht, das Bodenrecht oder das Naturschutzrecht. Ob der Einsatz umwelttoxischer und gesundheitsgefährdender Chemikalien gegen diese Bestimmung verstößt, ist von der zuständigen Bergbehörde der Länder im jeweiligen Einzelfall anhand der Fracking-Fluide, die vor Ort verwendet werden oder auch nicht, sowie der geologischen Gegebenheiten zu prüfen. Sowohl für die Aufsuchung als auch für die Gewinnung von Bodenschätzen müssen darüber hinaus Betriebspläne aufgestellt und von der zuständigen Behörde zugelassen werden. In diesem Verfahren wird die Einhaltung abfall- und sonstiger allgemeiner umweltrechtlicher Vorschriften ein weiteres Mal geprüft. Ist mit Tiefbohrungen unter Einsatz der FrackingTechnologie auch eine Gewässerbenutzung verbunden, bedürfen die Bohrungen zudem der Erlaubnis nach dem Wasserhaushaltsgesetz. Eine Gewässerbenutzung liegt vor, wenn Stoffe in Gewässer entweder zielgerichtet eingeleitet oder eingebracht werden; eine Gewässerbenutzung liegt aber auch dann vor, wenn eine Maßnahme geeignet ist, in einem nicht nur unerheblichen Ausmaß nachteilige Veränderungen der Wasserbeschaffenheit herbeizuführen. Die wasserrechtliche Erlaubnis ist zu versagen, wenn schädliche, nicht vermeidbare oder ausgleichbare Gewässerveränderungen zu erwarten sind. Ob der Einsatz von Stoffen zu den genannten Gewässerveränderungen führen wird, ist ebenfalls von der zuständigen Bergbehörde im Einvernehmen mit der Wasserbehörde zu entscheiden. Die Länder haben zudem die Möglichkeit, nach dem Wasserhaushaltsgesetz das Fracking in Wasserschutzgebieten durch Verordnung generell zu verbieten, wenn es der Schutzzweck des betreffenden Wasserschutzgebietes erfordert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte sehr, Herr Kollege Schwabe, falls es da noch Zusatzfragen geben sollte. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte die Antwort von zwei Minuten in fünf Sekunden zusammenfassen: Es ist nicht ausgeschlossen. Das ist sozusagen die Realität. Im Gegensatz zu dem, was Sie gerade noch einmal versucht haben uns nahezubringen, ist es nicht der Bundesrat. Der Bundesrat hat im Übrigen eine Position beschlossen, an der Sie sich orientieren könnten. Dann könnten Sie sich sehr schnell mit ihm einigen. Es ist vielmehr die Bundesregierung, die nicht zu Potte kommt. Der Herr Bundesumweltminister Altmaier hat in einem Zehn-Punkte-Papier im letzten Jahr eine Lösung angekündigt, aber bis heute gibt es eine solche Lösung nicht. Ich möchte Sie noch einmal fragen: Ist es nicht so, dass in der Tat die Länder sich in rechtlich schwierigen Situationen befinden in dieser Frage und es zum Teil auch vom Wohlverhalten der Unternehmen abhängig ist, ob sie solche Maßnahmen anwenden oder nicht anwenden?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Die Befugnisse der Wasserbehörden sind gegeben, und sie sind weitreichend, aber unser Ziel ist es, die Befugnisse der Wasserbehörden weiter zu stärken. Beispiel: In einem Trinkwasserschutzgebiet kann schon jetzt Fracking untersagt werden. Nicht geregelt sind Querbohrungen, also wenn man außerhalb eines Schutzgebietes bohrt, aber per Querbohrung möglicherweise ein Trinkwasserschutzgebiet erreicht. Wir schlagen vor, solche Dinge mit zu regeln. Wir schlagen darüber hinaus vor, dass Vorprüfungen und eine umfängliche Umweltverträglichkeitsprüfung stattfinden und dass auch bei bestimmten Fördermengen bereits Vorprüfungen erfolgen sollen. Davon erhoffen und erwarten wir uns zusätzlichen Schutz und zusätzliche Sicherheit. Wir sind dabei, das abzustimmen. Noch einmal: Ich hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode - wir arbeiten daran - ein Gesetz vorlegen können.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mit der Hoffnung ist auch gut, und wir können auch alle gemeinsam beten, aber es liegt in Ihrer Verantwortung, in der Verantwortung der Bundesregierung, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Ich habe noch eine Frage: Sehen Sie eigentlich eine ökonomische Notwendigkeit, sehr schnell in solche Verfahren einzutreten, oder wäre es nicht eigentlich eher geboten, wie es der Bundesrat vorgezeichnet hat, in einem abgestuften Verfahren zunächst einmal probeweise Fracking-Maßnahmen durchzuführen, diese wissenschaftlich abzusichern und zu sehen, ob die gesetzgeberischen Maßnahmen ausreichend sind, um dann erst in einigen Jahren zu einer endgültigen gesetzlichen Position und zu einer abschließenden gesetzlichen Lösung zu kommen? Mit anderen Worten: Sehen Sie eine ökonomische Notwendigkeit, solches Gas, das im Fracking-Verfahren gewonnen wird, sehr schnell einzusetzen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ob ein Vorhaben ökonomisch notwendig ist oder nicht, entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern das Unternehmen. Die Unternehmen werden für sich feststellen, ob es sich lohnt, in Deutschland diese Technologie zu nutzen. Im Übrigen darf ich zum Ersten darauf hinweisen, dass wir konventionelle Erdgasgewinnung schon seit Jahrzehnten in Deutschland haben. Ich weise zum Zweiten darauf hin, dass es bei der Regelung nicht nur um Fracking zur unkonventionellen Erdgasgewinnung, sondern möglicherweise auch zur Gewinnung von Erd29596 wärme geht; Erdwärme zählt ja nun ganz unzweifelhaft zu den erneuerbaren Energien. Ich könnte jetzt nur noch referieren, wie sich andere Länder verhalten. Das muss ich jetzt nicht tun; das alles werden Sie wissen. Die USA haben sich dafür entschieden, diese Möglichkeit zu nutzen. Aber wir sind nicht in den USA; wir sind in der Bundesrepublik Deutschland und haben unsere Gesetze so anzupassen, dass zwischen den Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger, einem hohen Wasserschutzniveau - dieses Schutzniveau wollen wir auch stärken - und ökonomischen Interessen ein guter Ausgleich gefunden wird. Das ist Ziel und Zweck dessen, was wir erarbeiten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich habe gerade mit großem Interesse Ihre Überlegungen vernommen. Nach der gesetzlichen Regelung soll ausgeschlossen sein, dass beim Fracking Horizontalbohrungen, die mehrere Kilometer umfassen können, von außerhalb eines Trinkwasserschutzgebiets unter einem Trinkwasserschutzgebiet geführt werden können. Wenn ich die Gesetzentwürfe, die die Minister Rösler und Altmaier verabredet haben, richtig interpretiere, ist eine solche Regelung darin bisher nicht vorhanden. Kann ich davon ausgehen, dass dann, wenn Sie uns doch noch etwas vorlegen - die Hoffnung stirbt zuletzt; dass bisher nichts vorliegt, hat seinen Grund ja nicht darin, dass die Bundesländer da eine Rolle spielen, sondern darin, dass Sie sich in der Koalition nicht geeinigt haben; da hat der Kollege Schwabe völlig recht -, eine klare Regelung vorhanden sein wird, die ein solches Horizontalbohren unter Trinkwasserschutzgebieten untersagt?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir haben eine solche Regelung intensiv diskutiert, ja. Was am Ende drinsteht, Herr Kollege, wird man sehen, wenn wir das Gesetz eingebracht haben. Wir halten das für richtig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Frage 8 der Kollegin Hendricks wird schriftlich beantwortet. Von daher rufe ich jetzt die Frage 9 des Kollegen Ott auf: Welche Kenntnisse und konkreten Zahlen liegen der Bundesregierung zu dem Ausmaß von für 2013 und 2014 geplante oder schon durchgeführte Stellenstreichungen in Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien vor ({0}), und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für die Durchführung und gegebenenfalls Beschleunigung der Energiewende angesichts der Berichterstattung zur geplanten Stellenkürzung bei namhaften Unternehmen, deren Werke bis zur Hälfte der Stellen abbauen wollen und dies mit der kriselnden Windenergiesparte begründen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Ott, die Entwicklung der Beschäftigung im Bereich der erneuerbaren Energien wird in einem laufenden Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit abgeschätzt. Entsprechende branchenbezogene Zahlen sind in einer aktuellen Kurzstudie zu finden, unter www.erneuerbare-energien.de veröffentlicht. Ich würde Ihnen den vollständigen Link schriftlich zukommen lassen; das vorzulesen, macht sich hier etwas schlecht. Im Kern zeigen die Zahlen, dass der Beschäftigungsrückgang bei der Photovoltaik weitgehend vom Beschäftigungsanstieg bei der Windenergie kompensiert wurde. Dabei ist bemerkenswert, dass im untersuchten Jahr 2012 sowohl bei der Photovoltaik als auch bei der Windenergie der Zubau in Deutschland auf Rekordniveau war. Die Ursache für die Probleme der Unternehmen ist also nicht in einem zu geringen Tempo bei der Energiewende in Deutschland zu suchen, sondern in den in beiden Branchen weltweit bestehenden Überkapazitäten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Studie ist mir bekannt. Ich frage aus einem ganz konkreten und aktuellen Anlass. Die Firma Schaeffler hat in Wuppertal ein Werk mit 1 500 Beschäftigten. Sie hat jetzt angekündigt, dass sie 750 Beschäftigte entlassen will - aufgrund der Flaute in der Windenergiesparte. Meine Frage an Sie ist, ob Ihnen Hinweise darauf vorliegen, dass auch andere Windkrafthersteller derartige Schwierigkeiten haben und ob nach Ihrer Ansicht auch andere Gründe dahinterstehen wie zum Beispiel - das wird befürchtet - Produktionsverlagerungen ins Ausland.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Die Zahlen geben keinen Hinweis darauf, Herr Kollege. Wie gesagt, im letzten Jahr wurden Verluste in der PV-Branche durch gute Ergebnisse in der Windbranche kompensiert. Ich will jetzt keinem Unternehmen zu nahe treten, aber das scheint mir mittlerweile eine sehr gängig gewordene Begründung zu sein, auch dann, wenn es unternehmensinterne Probleme oder Fehlentscheidungen des Managements gab. Ob das konkret bei diesem Unternehmen der Fall ist, kann ich nicht sagen; ich möchte da um Gottes willen nicht missverstanden werden. Aber es scheint mittlerweile branchenüblich zu sein, die Energiewende oder einen angeblich nicht vorhandenen oder nicht schnell voranschreitenden Ausbau der erneuerbaren Energie für einen Abbau von Beschäftigten verantParl. Staatssekretärin Katherina Reiche wortlich zu machen. Ich persönlich halte dies für nicht besonders redlich. Ich war heute Morgen auf einer großen Windkonferenz in Mecklenburg-Vorpommern. Die Windbranche boomt. Es werden Einstellungen, auch bei Zulieferbetrieben, vorgenommen. Es würde mir schwerfallen, eine solche Begründung zu akzeptieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, vielen Dank. - Konkret nachgefragt: Die Ankündigung der Firma Schaeffler, von den 1 500 Beschäftigten die Hälfte, also 750, wegen Auftragsschwierigkeiten entlassen zu wollen, scheint Ihnen nicht mit der Auftragslage in Deutschland begründet zu sein?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Das können wir zumindest nicht aus den Zahlen ablesen, Herr Kollege. Um ein paar Zahlen zu nennen: In der Photovoltaik - darin sind wir uns einig - gibt es globale Überkapazitäten. Die sind seit langem bekannt und in diesem Hause hinreichend diskutiert worden. Bei der Windenergie ist es ähnlich. Hier stehen Produktionskapazitäten in Höhe von 80 Gigawatt einem Zubau von 45 Gigawatt gegenüber. Im Übrigen gehen Märkte zurück, die Sie möglicherweise nicht im Fokus haben. In China gab es 2012 ein Minus von 25 Prozent. Da die Unternehmen keineswegs nur für den deutschen oder europäischen Markt produzieren, sondern weltweit exportieren müssen, um zu überleben, müsste man, was die Begründung des Unternehmens angeht, nicht nur auf den deutschen Markt, sondern auch auf den Weltmarkt schauen. In den USA zum Beispiel begründet sich ein Rückgang von Windenergieinstallationen aus den eben diskutierten ShaleGas-Vorkommen. In den USA ist es momentan unrentabler, in Wind zu investieren als in unkonventionelles Erdgas.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Ott auf: Wie ist der aktuelle Stand des geplanten Klubs der Energiewendestaaten, dessen Gründung nun im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages für Anfang Juni dieses Jahres angekündigt wurde, und inwieweit sehen die aktuellen Planungen die Schaffung eines Mehrwerts der geplanten Allianz im Vergleich zu bestehenden Institutionen und Initiativen vor?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege, in seinem Klub möchte Herr Minister Altmaier Vorreiterstaaten im Bereich erneuerbarer Energien zusammenbringen. Dazu plant Minister Altmaier für Anfang Juni, verschiedene Vertreter solcher Vorreiterstaaten nach Berlin einzuladen. Dazu hat er bereits im Rahmen seiner Teilnahme an der jährlichen Versammlung der IRENA in Abu Dhabi im Januar 2013 informelle Konsultationen mit verschiedenen Vorreiterstaaten geführt und die Idee eines solchen Klubs diskutiert. Bei den aktuellen Planungen der Ausgestaltung wird die Schaffung des Mehrwerts des Erneuerbare-EnergienKlubs besonders beachtet. Beim Erneuerbare-EnergienKlub handelt es sich um eine politische Initiative, die nicht über neue Strukturen oder ein eigenes Sekretariat verfügen soll. Sie soll IRENA, die Internationale Agentur für erneuerbare Energien, in der Deutschland aktives Mitglied ist, vielmehr politisch hochrangig unterstützen. Minister Altmaier steht dazu mit dem Generalsekretär von IRENA in engem Kontakt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Nachfrage, bitte schön.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Haben Sie schon eine ungefähre Vorstellung davon, wer zu diesem Kreis gehören wird? Sieben oder acht Staaten wurden von Minister Altmaier bei der letzten Konferenz der Vertragsparteien eingeladen. Hat sich der Kreis mittlerweile vergrößert?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir haben Gespräche mit anderen Staaten geführt, unter anderem mit Indien. Das habe ich schon neulich im Umweltausschuss berichtet. Es stehen immer noch Konsultationen mit anderen Ländern aus. Aber bis zum 1. Juni ist noch ein wenig Zeit. Der Minister selbst telefoniert mit seinen Kolleginnen und Kollegen, um eine respektable Runde von Vorreiterstaaten zusammenzubekommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt würde ich doch gerne auf den zweiten Teil meiner Frage zurückkommen: Was soll denn der Mehrwert eines solchen Klubs sein? Sie haben IRENA und die Tatsache, dass der Minister mit dem Generalsekretär in Kontakt steht, angesprochen; das ist natürlich schön. Aber dies ist bereits ein breiter Zusammenschluss im Hinblick auf erneuerbare Energien. Was soll denn jetzt ganz konkret der Mehrwert des von Minister Altmaier geplanten Klubs sein?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Hier geht es darum, ein politisches Momentum zur Unterstützung der erneuerbaren Energien in anderen Ländern zu schaffen, insbesondere hinsichtlich häufig festgefahrener Verhandlungen im Klimaschutzbereich. Es geht also nicht um Strukturen, sondern um ein politisches Momentum für erneuerbare Energien.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Schwabe.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, das alles wäre nicht so schlimm - es versteht vielleicht auch keiner außer uns im Saal, worüber wir diskutieren -, wenn es nicht einer der zehn Punkte aus dem Zehn-Punkte-Programm wäre, das ich gerade schon angesprochen habe. Der Klub der Energiewendestaaten ist mit einem großen öffentlichen Brimborium vorgestellt worden, und wir merken: Die politische Substanz geht gegen null. Wenn man im Duden nachschlägt, was ein Klub ist, dann liest man dort: Es ist eine „Vereinigung von Menschen mit bestimmten gemeinsamen Interessen und Zielen“. Dort steht, es ist eine „Clique“ oder ein „Lokal, in dem regelmäßig Musiker, besonders Jazzmusiker auftreten“. Ihr Klub ist eigentlich gar nichts. Ihr Klub umfasst Gespräche, die auch bisher stattgefunden haben. Das ist auch vollkommen okay. Aber nennen Sie es dann nicht „Klub“, und machen Sie daraus keine große Medienkampagne! Ich frage Sie noch einmal: Wo ist die Substanz? Müssen Sie nicht eingestehen, dass es ein Marketing-Gag war, um im Zehn-Punkte-Programm tatsächlich auf zehn Punkte zu kommen, aber es am Ende keine politische Substanz hat?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Erst einmal vielen Dank für die Aufklärung über den Begriff „Klub“. Ich würde aus der Auswahl die erste Definition nehmen: das Zusammenkommen von Gleichgesinnten, und zwar von Einzelpersonen. Das ist nämlich der Unterschied zwischen staatlichen Strukturen und, wenn Sie so wollen, Political Leaders, also Personen, die in Regierungsverantwortung sind und sich vorgenommen haben, erneuerbare Energien nach vorne zu bringen. Immer mehr Staaten beziehen erneuerbare Energien in ihr Energieportfolio mit ein, mit unterschiedlicher Intensität. Wir sitzen mit allen in einem Boot, wenn es darum geht, im Bereich Klimaschutz gemeinsam voranzukommen. Wir wollen hier - ich sage es noch einmal - ein politisches Momentum schaffen. Eine Verknüpfung von erneuerbaren Energien und mehr Klimaschutz ist das Ziel dieser Idee, dieses Vorhabens.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Becker. Wo ist er? - Er ist nicht da. Also kommen wir nicht zu den Fragen 11 und 12 des Kollegen Becker. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Miersch. Er ist auch nicht mehr da. Also kommen wir nicht zu den Fragen 13 und 14 des Kollegen Miersch. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Bei den Fragen 15 und 16 der Kollegin Kotting-Uhl ist die schriftliche Beantwortung vorher beantragt worden und erfolgt dann auch. Wir kommen zu den Fragen 17 und 18 des Kollegen Bollmann. - Den Kollegen Bollmann kann ich auch nicht sehen. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Röspel werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 21 und 22 des Kollegen Gerdes, die Fragen 23 und 24 des Kollegen Kaczmarek, die Frage 25 des Kollegen Wagner und die Fragen 26 und 27 des Kollegen Hagemann. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Frage 28 der Kollegin Koczy wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 29 des Kollegen Hunko wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Frage 30 der Kollegin Koczy wird schriftlich beantwortet. Somit kommt wieder der Kollege Schwabe mit seiner Frage zum Zuge. ({0}) - Diese Art von scheinbarer Vorzugsbehandlung könnte man sich eigentlich patentieren lassen. Sie entspricht aber unserem Reglement; darauf will ich alle aufmerksam machen, die den Eindruck haben, hier gäbe es ein ungewöhnliches Verfahren. Ich rufe also die Frage 31 des Kollegen Schwabe auf: Wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zur Regelung der unkonventionellen Förderung von Erdgas - Fracking - vorlegen? ({1}) - Aber sicher dürfen Sie, Herr Kollege.

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Gut, ich folge dem Präsidenten sehr gerne, und wenn er mir nicht das Wort erteilt -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Parlamentarische Staatssekretär Otto legt zu Recht Wert darauf, dass ich darauf hinweise, dass sich diese Frage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie richtet und dass der Parlamentarische Präsident Dr. Norbert Lammert Staatssekretär Otto liebenswürdigerweise zur Verfügung steht, diese Frage nun sachkundig, vollständig und abschließend zu beantworten.

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich bin schwer beeindruckt. Die Bundesregierung antwortet dem Kollegen Schwabe: Derzeit prüfen und beraten die zuständigen Ministerien die eingegangenen Stellungnahmen der Länder und natürlich auch der Verbände. Deshalb ist momentan noch nicht einzuschätzen, ob in der verbleibenden, relativ kurzen Zeit, wie wir beide wissen, noch ein Gesetzentwurf vorgelegt werden kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt trotzdem eine Nachfrage. - Bitte schön, Herr Kollege Schwabe.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist jetzt wirklich spannend, Herr Staatssekretär. - Frau Reiche geht leider. Das ist aber in Ordnung; denn sie muss jetzt nicht antworten. - Ich hatte mich ursprünglich geärgert, dass meine Fragen zum Thema Fracking auf zwei Bereiche verteilt worden sind: auf den Umweltbereich und den Wirtschaftsbereich. Jetzt finde ich dies aber besonders spannend; denn ich kann Ihnen nun dieselben Fragen stellen wie der Kollegin Reiche. Ich bin gespannt, ob ähnliche Antworten kommen. Die Kollegin Reiche hat gerade deutlich gemacht, dass sie zwar nicht über koalitionsinterne Verhandlungen berichten mag, dass aber aus ihrer Sicht Veränderungsbedarf bei den von den Ministern Altmaier und Rösler eingebrachten Vorschlägen besteht. Eine Frage in diesem Zusammenhang hat der Kollege Krischer gerade angesprochen: Die Frage der Horizontalbohrungen ist bisher nicht geklärt. Sehen Sie, wie die Staatssekretärin Reiche, auch Änderungsbedarf bei den Vorschlägen von Herrn Rösler und Herrn Altmaier?

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Lieber Herr Kollege Schwabe, ich werde zu den noch laufenden Auswertungen und Gesprächen zwischen den Häusern hier natürlich nicht öffentlich Stellung nehmen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Bundeswirtschaftsministerium sehr gerne noch in dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen würde. Ich kann Ihnen auch verraten - aber das wird Sie jetzt nicht übermäßig beeindrucken -, dass wir - die betreffenden Häuser und letztlich auch die Bundesländer und die Verbände - uns einig sind, dass es eine absolute Priorität für den Schutz der Umwelt und des Trinkwassers geben muss. Wie wir das dann konkret umsetzen, darüber wird im Moment noch beraten. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Inhalte interner Beratungen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Fragestunde des Deutschen Bundestages ausgebreitet werden dürfen. Das ist das normale Verfahren. Sie können daher so lange fragen, wie Sie mögen - das ist Ihr gutes Recht -; aber es ist auch mein gutes Recht, das, was noch intern beraten werden muss, noch nicht auszubreiten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachdem wir jetzt wissen, wer welches gute Recht hat, erfahren wir, ob der Kollege Schwabe von seinem guten Recht, eine weitere Nachfrage zu stellen, Gebrauch machen will.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. - Das ist interessant. Natürlich ist es Ihr gutes Recht, intern alles Mögliche zu beraten. Das Spannende ist bloß, dass die Legislaturperiode ausläuft und wir immer noch keine gesetzlichen Grundlagen haben, was daran liegt, dass Sie nicht in der Lage sind, dem Bundestag entsprechende Gesetzesvorhaben zu präsentieren. Ich möchte Sie nach Ihrer Einschätzung bezüglich der aktuellen Rechtslage fragen. Wie ist diese heute, falls der Deutsche Bundestag keine Beschlüsse mehr fassen kann, weil es keine entsprechenden Vorlagen gibt? Meine konkrete Frage: Können nach Ansicht der Bundesregierung Unternehmen nach derzeit geltendem Recht in Deutschland Bohrungen unter Einsatz der Fracking-Technologie durchführen, bei der sie umwelttoxische oder gesundheitsgefährdende Chemikalien einsetzen?

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Lieber Herr Kollege Schwabe, ich hatte Ihnen schon gesagt, dass das Bundeswirtschaftsministerium durchaus ein Interesse daran hat, eine Klärung herbeizuführen. Ich brauche nicht zu betonen - Sie sind mindestens genauso dicht dran wie ich -, dass es schon in den vergangenen Jahrzehnten, jedenfalls in den letzten Jahren, FrackingAnwendungen in Deutschland gegeben hat. Daraus werden Sie messerscharf folgern können - die Logik ist klar -, dass die derzeit geltende Rechtslage die Anwendung von Fracking in gewissem Umfang und unter gewissen Voraussetzungen erlaubt. Das gemeinsame Interesse der Bundesregierung in Übereinstimmung mit den Bundesländern und den Verbänden liegt darin, eine gewisse Rechtsklarheit zu bekommen und die Bedenken und die Gesichtspunkte, die in der Diskussion - auch von Ihnen - vorgebracht werden, zu berücksichtigen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Krischer möchte noch einmal nachfragen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Otto, herzlichen Dank für die Auskünfte. - Ich möchte ganz konkret nachfragen. Die Kollegin Staatssekretärin Reiche hat eben ausgeführt, dass sie - ich gehe davon aus, dass sie für das BMU ge29600 sprochen hat - große Sympathie dafür hat, den von den Ministern Rösler und Altmaier vorgelegten Entwurf dahin gehend zu verändern, dass die Horizontalbohrungen außerhalb von Trinkwasserschutzgebieten nicht unter Trinkwasserschutzgebiete geführt werden können. Das ist eine relevante Frage, da solche Horizontalbohrungen mehrere Kilometer umfassen können. Wie steht das BMWi zu dieser Frage, wenn das BMU das befürwortet? Können wir davon ausgehen, dass sich eine solche Regelung in dem vorzulegenden Gesetzentwurf wiederfinden wird, da ein zuständiges Haus dies schon befürwortet?

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Lieber Kollege Krischer, es gibt jetzt zwei Alternativen: Entweder Sie haben mir nicht zugehört, als ich auf die Frage des Kollegen Schwabe geantwortet habe, oder Sie wollen mich in unziemlicher Weise zu einem Verhalten veranlassen, das ich zuvor ausgeschlossen habe. Ich habe dem Kollegen Schwabe gesagt - und ich sage es auch Ihnen -, dass das Gegenstand interner Abstimmungen ist, zu denen ich zu diesem Zeitpunkt nicht Stellung nehmen möchte und auch nicht Stellung nehmen kann. Dabei bleibt es. Offensichtlich haben Sie das Vertrauen verloren, dass Sie nach der nächsten Bundestagswahl hier als rot-grüne Koalition die Verantwortung tragen. Wenn Sie diesen Glauben noch hätten, dann würden Sie sagen: Das ist doch fein; lasst uns bis nach der Bundestagswahl warten. Dass Sie uns jetzt drängen, noch vor der Bundestagswahl etwas vorzulegen, ({0}) lässt für mich Rückschlüsse auf Ihre Erwartungen und Hoffnungen in Bezug auf die Bundestagswahl zu. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jedenfalls gibt es keine für Glaubensfragen zuständigen Bundesministerien, sodass sich hier Nachfragen erübrigen. Wir schließen damit diesen Teil der Befragung ab. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Movassat, die Frage 34 der Kollegin Cramon-Taubadel, die Fragen 35 und 36 des Kollegen Koenigs und die Frage 37 der Kollegin Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 38 des Kollegen Ströbele auf, der mit einer bemerkenswerten zeitlichen Präzision rechtzeitig zur Beantwortung seiner Frage hier im Plenarsaal eingetroffen ist: Haben die Bundesregierung und die ihr unterstellten Militär- und Sicherheitsbehörden nach der unzureichenden Antwort auf meine schriftliche Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 17/12582 zum Thema nunmehr nach Auswertung aller zugänglichen Informationen insbesondere auch aus der Luftüberwachung durch Flugzeuge, Drohnen oder Satelliten Erkenntnisse zum Mohnanbau in Afghanistan, inwieweit inzwischen Anbaufläche und Produktionsmenge eine Größe erreicht haben, die höher ist als je zuvor seit Beginn des Krieges, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass damit auch die Bekämpfung des Anbaus von und des Handels mit Opium und Heroin durch afghanische und ISAF-Sicherheitskräfte total gescheitert ist auch angesichts dessen, dass die Weltnachfrage nach diesen Drogen wieder zu mehr als 90 Prozent aus Afghanistan ({0}) gedeckt wird?

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Sie haben recht, Herr Präsident. Ich bin genauso beeindruckt wie Sie. Das war eine Punktlandung vom Abgeordneten Ströbele, dessen Frage ich wie folgt beantworte: Die Bundesregierung stützt ihre Datenlage zur Drogensituation in Afghanistan, wie Sie wissen, primär auf Erkenntnisse der Vereinten Nationen, in diesem Fall speziell auf die Berichte des Büros der Vereinten Nationen zur Drogen- und Verbrechensbekämpfung, UNODC. Insoweit erhebt sie keine eigenen Daten. Dieser Hintergrund wurde Ihnen, Herr Abgeordneter, bereits in einer Antwort auf Ihre schriftliche Frage vom Februar 2013 mitgeteilt. Einzelheiten zu darüber hinausgehenden Quellen entnehmen Sie bitte einem Schreiben, das in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegt ist. Der letzte VN-Bericht wurde am 15. April 2013, also deutlich nach Ihrer Februaranfrage, veröffentlicht. Er enthält bereits Schätzungen zum Umfang des Schlafmohnanbaus in Afghanistan für das Jahr 2013, weist aber auch darauf hin, dass endgültige Zahlen zur Produktion von Opium erst nach Auswertung der Ernteergebnisse vorliegen können. Auch in diesem Jahr ist ein Anstieg der Anbauflächen zu erwarten. Insoweit wird Afghanistan voraussichtlich der weltweit größte Opiumproduzent bleiben. Die Bundeswehr hatte nie ein Mandat, im Bereich der Drogenbekämpfung tätig zu sein. Die im Aufbau befindlichen afghanischen Sicherheitskräfte, speziell die Polizei, müssen sich in den nächsten Jahren noch weiterentwickeln und ihre Fähigkeiten zur Drogenbekämpfung verbessern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte sehr, Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, Sie können davon ausgehen, dass mir meine früheren Fragen und die Antworten der Bundesregierung bekannt sind. Weil ich Zweifel an den Zahlen habe, die Sie mir vor etwa einem Monat geschickt haben, habe ich Sie ganz konkret gefragt und gebeten, mir nicht nur die Zahlen der Bundesregierung zu nennen, sondern auch Zahlen bei nachgeordneten Behörden abzufragen, um mir zu bestätigen - nach meinen Informationen ist das nämlich so -, dass der Opiumanbau in Afghanistan inzwischen ein nie gekanntes Maß erreicht hat. Das lässt nach elf Jahren Drogenanbaubekämpfung doch nur den Schluss zu, dass ebenjene geHans-Christian Ströbele scheitert ist. Warum beantworten Sie diese Frage nicht, sondern reden darum herum? Dass die Bundesregierung nicht entsprechend beauftragt war usw., das ist mir alles bekannt.

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Herr Abgeordneter, ich sagte bereits, dass Afghanistan bedauerlicherweise weiterhin der weltweit größte Produzent von Opium, Heroin und Cannabis ist. Ich kann Ihnen gerne noch einmal die konkreten Zahlen aus dem vom UNODC veröffentlichten Afghanistan Opium Survey 2012 nennen: Auf einer Fläche von 154 000 Hektar wurde Schlafmohn angebaut, aus dem etwa 3 700 Tonnen Opium produziert wurden. Damit stieg die Drogenanbaufläche im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent. Das bestätigt Ihre These, auch wenn Sie andere Angaben haben, wie Sie eben noch einmal erläutert haben. In dem Bericht stand allerdings auch, dass der Ertrag aufgrund schlechter Witterungsverhältnisse und Pilzbefalls um 36 Prozent gesunken ist und dass er damit zwar geringer als 2011, aber immer noch sehr hoch war.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben meine Frage wieder nicht beantwortet. Die Zahl von 154 000 Hektar Mohnanbaufläche haben Sie mir schon einmal genannt; die kenne ich. Ich halte diese Zahl nicht für richtig. Sie ist erheblich höher. Es sind nahezu 200 000 Hektar Opiumanbaufläche. Können Sie mir bestätigen, dass dies die mit Abstand höchste Zahl seit elf Jahren ist, also seit die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz ist, sei es im Rahmen von ISAF, sei es im Rahmen des Enduring-Freedom-Mandats?

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Ich gehe davon aus, dass ich Ihnen die Frage beantwortet habe. Es ist Ihr gutes Recht, andere Ansichten zu diesen Zahlen zu haben. Sie haben selbst gesagt, dass Sie andere Quellen haben. Ich bin auch gerne bereit, Ihnen Einsicht in die Anlage, die sich als Verschlusssache in der Geheimschutzstelle befindet, zu gewähren. Sie können als Abgeordneter jederzeit Einsicht nehmen. Wir stellen mit großer Sorge fest, dass sich die Größe der Anbaufläche nicht verringern lässt, obwohl man in Afghanistan versucht, dem Problem durch die Beseitigung von Drogenanbauflächen zu begegnen. Das ist aber in erster Linie eine Aufgabe der afghanischen Regierung. Wir können mithelfen, die afghanische Regierung zu befähigen, Drogenanbau und Drogenhandel zu bekämpfen. Sie wissen, dass das Auswärtige Amt vier Drogenbekämpfungsprojekte für Afghanistan mit einem Umfang von über 1 Million Euro bewilligt hat. Deutschland hat auch den Bau eines Drogenlabors für das Hauptquartier der Counter-Narcotics Police Afghanistan, CNPA, in Kabul finanziert. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist, um dem Problem zu begegnen, auch wenn ich weiß, dass es bei weitem nicht ausreicht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachfragen dazu liegen jedenfalls jetzt nicht vor. Die Fragen 39 und 40 der Kollegin Hänsel sollen nun auch schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Beck auf: Wie viele afghanische Ortskräfte, die für die Bundeswehr oder deutsche Organisationen in Afghanistan arbeiten, haben seit 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt, und wie wurden diese jeweils beschieden ({0})? Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär Ole Schröder, sie zu beantworten.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Seit dem Jahr 2002 haben mehr als 32 000 afghanische Staatsangehörige beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, einen Asylantrag gestellt. Die erfragten Hintergründe zu Asylantragstellern bzw. die jeweiligen Gründe für eine Asylantragstellung werden beim BAMF nicht statistisch erhoben. Daher können konkrete Aussagen darüber, wie viele afghanische Ortskräfte, die seit 2002 für deutsche Stellen in Afghanistan gearbeitet haben, in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, nicht getroffen werden. Nach Schätzungen des BAMF liegt die Zahl der ehemaligen Ortskräfte, die im Jahr 2012 in Deutschland Asyl beantragt haben, im niedrigen zweistelligen Bereich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es gibt ja im Zusammenhang mit dieser Frage auch eine innenpolitische Diskussion darüber, ob man den Ortskräften in Afghanistan, die für die Bundeswehr oder für die deutschen Entwicklungsdienste tätig waren, nicht grundsätzlich die Aufnahme anbieten muss, falls sie wegen ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Stellen unter Druck kommen. Es ist eigentlich Usus bei Auslandseinsätzen, dass man, wenn man abzieht, den Menschen, die mit einem zusammenarbeiten und die dadurch gegebenenfalls gefährdet sind, anbietet, mitzugehen. Deshalb würde mich schon interessieren, wie viele einen solchen Antrag gestellt haben. Insbesondere interessiert mich - ich hatte danach gefragt; darauf möchte ich eine Antwort haben -, in wie vielen Fällen Anträge auf Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland von Ortskräften gestellt wurden und wie viele dieser Anträge bis29602 Volker Beck ({0}) lang entweder nicht beschieden oder abgelehnt wurden und aus welchen Gründen dies gegebenenfalls so ist. Ich beziehe mich noch einmal auf meine Ausgangsfrage und bitte um vollständige Beantwortung.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir machen genau das, was Sie eben von der Bundesregierung verlangt haben: Wir stellen den Ortskräften, die in Afghanistan Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, in Aussicht, dass sie nach Deutschland kommen dürfen. Aber das muss natürlich nach einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Bisher haben 24 Ortskräfte des Verteidigungsministeriums und 3 Ortskräfte des Bundesministeriums des Innern um eine Prüfung und Bewertung ihrer persönlichen Situation vor dem Hintergrund einer möglichen Bedrohung gebeten. Dies wird jetzt im Einzelfall geprüft werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Zusatzfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich möchte Sie bitten, uns über die jeweiligen Verfahrensstände zu informieren. Gibt es schon Aufnahmezusagen? Gibt es Ablehnungen? Wie viele von diesen 27 Verfahren, die Sie jetzt genannt haben, sind noch in der Schwebe? Ich darf in diesem Zusammenhang darum bitten, dass Sie versuchen, die nächste Frage zur NPD, die schriftlich beantwortet wird, diesmal - ich stelle sie zum zweiten Mal - vollständig zu beantworten. Denn sonst muss ich Sie als Verfassungsorgan gegebenenfalls im Rahmen einer Organklage zur Auskunft verpflichten. ({0})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Bisher sind 15 Fälle geprüft worden. Dabei handelt es sich noch nicht um eine formelle Antragstellung. In einem aktuellen Fall wurde die Gefährdungssituation bereits so bewertet, dass eine Aufnahme nach Deutschland möglich sein wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Ströbele möchte dazu noch eine Zusatzfrage stellen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau. Danke, Herr Vorsitzender. - Herr Staatssekretär, ich frage mich - und gebe die Frage an Sie weiter -, mit welcher Begründung eigentlich jetzige oder bald ehemalige Mitarbeiter der Bundeswehr oder anderer deutscher oder alliierter Stellen in Afghanistan einen Asylantrag stellen, zum Beispiel die 27, die Sie genannt haben. Denn die Sicherheitslage in Afghanistan wird nach Angaben der Bundesregierung ständig besser und soll bis zum Ende des Jahres 2014 so gut sein, dass die afghanischen Sicherheitsbehörden die Sicherheit der Bevölkerung garantieren können.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Inwieweit eine Gefährdungslage für einzelne Ortskräfte besteht, muss im Einzelfall geprüft werden. Das hängt auch davon ab, in welcher Region sie sich befinden. Das kann man nicht pauschal beurteilen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Frage 42 des Kollegen Volker Beck soll schriftlich beantwortet werden. Das gilt auch für die Fragen 43 und 44 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter, für die Fragen 45 und 46 des Kollegen Lars Klingbeil, für die Fragen 47 und 48 der Kollegin Brigitte Zypries, die Fragen 49 und 50 des Kollegen Gerold Reichenbach, die Fragen 51 und 52 des Kollegen Michael Hartmann sowie die Fragen 53 und 54 der Kollegin Kirsten Lühmann. Diese waren alle dem Innenministerium zugedacht. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 55 des Kollegen Dr. Tobias Lindner und die Frage 56 der Kollegin Sevim Dağdelen sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Bereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 57 und 58 des Kollegen Manuel Sarrazin, die Fragen 59 und 60 der Kollegin Dr. Barbara Höll sowie die Fragen 61 und 62 des Kollegen Dr. Axel Troost sind allesamt zur schriftlichen Beantwortung angemeldet. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Ich darf den Parlamentarischen Staatssekretär Ralf Brauksiepe bitten ({0}) - tja -, ({1}) die mitgebrachten Antworten sorgfältig zu verwahren, weil nicht auszuschließen ist, dass eine ähnliche Frage neu gestellt wird und dann tatsächlich beantwortet werden muss. Die Fragestellerin der Fragen 63 und 64 ist die Kollegin Anette Kramme. Da die Kollegin nicht im Saal ist, wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 65 des Kollegen Arfst Wagner wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 66 und 67 der Kollegin Ulla Jelpke. Da sie nicht anwesend ist, wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Damit ist dieser Geschäftsbereich in der gerade beschriebenen Weise heute abgehandelt. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Ich begrüße die Kollegin Behm, die immer noch da ist, und freue mich, dass der Parlamentarische Staatssekretär - ({2}) - Wo ist er? - Er ist nicht da. Kann der Herr Staatsminister oder sonst jemand aushelfen? - Auch nicht. Dann schauen wir einmal - Frau Behm, haben Sie noch einen Augenblick Zeit? -, ({3}) ob wir dieses Problem möglicherweise durch Umstellung der Reihenfolge lösen können. Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Da Frau Evers-Meyer nicht anwesend ist, wird bei den Fragen 69 und 70 so verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Aber der Kollege Ströbele ist da. Daher rufe ich die Frage 71 des Kollegen Ströbele auf: Welche Planung haben Bundesregierung und Bundeswehr für den Einsatz deutscher Streitkräfte in Afghanistan für die Zeit nach Ende 2014, wenn bis dahin die Sicherheitslage in Afghanistan nicht gut ist oder wieder schlechter wird und die afghanischen Sicherheitskräfte nicht oder nicht mehr in der Lage sind, die Sicherheit der Bevölkerung ausreichend zu garantieren, und wie soll nach Auffassung der Bundesregierung die Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan zum Jahreswechsel 2014/2015 und danach verbindlich vorgenommen werden? Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär Schmidt, die Frage zu beantworten.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident, im Sinne einer kameradschaftlichen Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung ({0}) und in freudiger Wahrnehmung der Präsenz des Kollegen Ströbele erlaube ich mir, diese Frage, die er, wenn ich es richtig sehe, in gewisser Weise in Anknüpfung an die Nachfragen, die er bereits der Kollegin Staatsministerin Pieper, also den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amts betreffend, gestellt hat, wie folgt zu beantworten: Die aktuellen Planungen der NATO bezüglich einer NATO-geführten Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission berücksichtigen die Entwicklungen in Afghanistan und die Planungen der Bundeswehr, die einer endgültigen Festlegung der Planungen der NATO vorgreifen. Der Bundesminister der Verteidigung und der Bundesaußenminister haben letzte Woche die in den Bedingungen einer entsprechenden Konzeption genannten Zahlen und den Rahmen der Ausbildungsmission dargestellt. Es geht um 600 bis 800 Soldaten, die im Wesentlichen ausbilden sollen. Wir gehen davon aus - das ist eine der Bedingungen -, dass die Ziele des fortschreitenden Aufbaus der afghanischen Sicherheitskräfte und der Übernahme der Sicherheitsverantwortung im Rahmen der Umsetzung der sogenannten Transitionsziele erreicht werden. Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte - ein ganz wichtiger Aspekt, um dafür zu sorgen, dass die afghanische Seite die Sicherheitsverantwortung wahrnehmen kann - nähert sich, was den Personalumfang betrifft, der Zielgröße von 352 000 Soldaten. Es ist beabsichtigt, diese Personalstärke bis zum Jahre 2018 beizubehalten. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass die Bundesregierung in ihrem planerischen Vorschlag erst einmal von einem Zeitraum von zwei Jahren ausgeht; das heißt, es geht um die Jahre 2015 und 2016. Eine weitergehende Vorausschau im Hinblick auf die Sicherheitslage zu geben, würden Sie weder von mir verlangen, noch wäre ich in der Lage, sie zu geben, ohne ins Spekulative zu geraten. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben gegenwärtig schon 85 Prozent des Landes in eigene Sicherheitsverantwortung übernommen. Im Norden, dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr, ist die Übernahme bereits in allen Distrikten erfolgt. Die derzeit deutlich -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Staatssekretär, Sie achten bitte auch gelegentlich auf die Zeit, ja?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Selbstverständlich, Herr Präsident. - Die Planungsannahmen stimmen deswegen grundsätzlich überein: Wir gehen davon aus, dass sich die Sicherheitslage in Richtung einer gewissen Stabilität so entwickelt, dass es verantwortbar ist, dass wir mit der Ausbildungsmission in Afghanistan nach 2014 beginnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, die Zahl 315 000 ist mir auch bekannt; davon können Sie ausgehen. Meine Frage: Können Sie bestätigen, dass bei den Sicherheitskräften, die derzeit in Afghanistan ausgebildet sind, jedes Jahr ein Schwund von etwa einem Drittel der Mannschaftsstärke festzustellen ist? Geben Sie mir recht, dass, wenn das der Fall ist, zu befürchten ist, dass nach dem Abzug der alliierten Truppen entweder wieder ein schrecklicher Bürgerkrieg entsteht oder die NATO und die internationalen Kräfte dort bleiben?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Ströbele, die Zahlen kann ich nicht bestätigen. Wir haben allgemeine Informationen über einen gewissen Schwund. Ich würde Ihnen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, die aktuellen Zahlen - soweit sie uns zugänglich sind - noch zuleiten wollen. Man muss differenzieren zwischen der Entwicklung bei den afghanischen Streitkräften und bei der afghanischen Polizei; dort gab es, wie wir wissen, eine Zeit lang in der Tat eine sehr hohe Schwundquote. Man muss auch insgesamt differenzieren - Sie gestatten, dass ich den Blick auf den Norden Afghanistans richte -: Wir haben im Norden eine relative Stabilität der afghanischen Streitkräfte: Das 209. afghanische Korps, das im Wesentlichen der Partner bei der Sicherheitsgewährleistung im Norden ist, ist ein stabiles und in der partnerschaftlichen Arbeit durchaus gutes Korps. Sie wissen, dass wir die Frage der Innentäter - ich suche nach einem Wort - im Griff behalten, wir zumindest bisher erfreulicherweise feststellen können, dass solche Vorfälle eine absolute Ausnahme darstellen. Es wird notwendig sein, dass wir uns über die Fragen der Erkenntnisgewinnung, Nachrichtengewinnung, Information auch immer ein aktuelles Bild von der Sicherheitslage verschaffen, auch 2015 und 2016.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Ströbele, Sie haben eine zweite Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben wieder meine Frage nicht beantwortet.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Das war nicht meine Absicht!

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will sie jetzt noch einmal in anderer Form stellen: Ist die Bundesregierung bereit, angesichts dessen, dass die Vorhersagen bezogen auf den Erfolg des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan seit 2011 und der NATO insgesamt - Enduring Freedom und ISAF - nicht eingetroffen sind, einzuräumen, dass auch hier zumindest die Möglichkeit oder hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Voraussage wieder nicht zutrifft? Hat die Bundesregierung für den Fall, dass ihre Sicherheitsvoraussage nicht eintritt, irgendwelche Pläne? Oder ignorieren Sie das und sagen: „Wir schauen uns das am 1. Januar 2015 an, und dann überlegen wir neu“?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, ich will mich entschuldigen, wenn ich Ihre Frage nicht beantwortet haben sollte. Ihre „Stimmen Sie mir zu“-Anfragen beantworte ich allerdings so nicht. Ich versuche, zu differenzieren: Ich stimme Ihnen insoweit zu, als es - so habe ich Sie auch verstanden - notwendig ist, dass die Sicherheitslage genau analysiert wird. Ich habe mir in meiner langjährigen politischen Arbeit und aufgrund meiner Lebenserfahrung angewöhnt, Prognosen über Entwicklungen - in Afghanistan und anderswo - große Skepsis entgegenzubringen. Denken Sie an die Tatarenmeldungen in Afghanistan. Ich erinnere an den bildhaften Satz einer verantwortlichen Kirchenführerin: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Der war falsch und daneben. Das gilt genauso für die Vorstellung, in Afghanistan würde sozusagen ein irdisches Paradies entstehen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte und ist in den Regionen unterschiedlich. Wir werden uns die Mühe machen, die Sicherheitslage Punkt für Punkt zu beurteilen, und dann - ich würde mich freuen, wenn Sie das so akzeptieren würden - ein Stück auch auf Voraussehbarkeit und Sicht zu fahren. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen heute eine Prognose dafür zu geben, wie sich Afghanistan bis 2020 sicherheitsmäßig entwickeln wird. Ich bin allerdings mit einem gewissen Optimismus ausgestattet, sodass ich sagen kann, dass sich das, was sich in den letzten elf Jahren in Afghanistan entwickelt hat, heute räsonabel und erträglich darstellt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Volker Beck hat eine Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor dem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, dass es schwer ist, eine Sicherheitsprognose für die Zukunft abzugeben, will ich wissen, wie die Bundeswehr mit ihren Ortskräften umgeht und ob sie sie darüber informiert, dass es Aufnahmemöglichkeiten in Deutschland gibt. Wie stellen Sie den Ortskräften der Bundeswehr die Aussicht auf Erfolg bezüglich dieser Aufnahmemöglichkeiten in Deutschland jeweils dar?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Lieber Herr Kollege Beck, Sie haben dem Kollegen Schröder, BMI, ja eine Frage gestellt, die in diese Richtung ging, und mit der Androhung juristischen Ungemachs auch Zahlen herausverlangt; ich darf das so feststellen. ({0}) - Ich habe mich auf die Zahlen hinsichtlich der Asylbewerber bzw. der behandelten Fälle von Ortskräften in Afghanistan sowohl des BMI als auch des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums der Verteidigung bezogen. Ich kann Ihnen hier nicht mit einer Antwort dienen, weil es bei Ihrer Zusatzfrage eigentlich nicht um das SiParl. Staatssekretär Christian Schmidt cherheitsszenario ging, was ja, Herr Präsident, bei strenger Bewertung des zulässigen Inhalts von Zusatzfragen der Fall sein müsste. Ich biete allerdings an, die Zahlen nachzuliefern, damit Sie mir nicht auch juristisches Ungemach androhen oder eventuell auch noch das Bundesverfassungsgericht bemühen müssen, das sich ja häufiger mit Klagen aus dieser Stadt befassen muss. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das kann nur eine Klarstellung und keine Nachfrage sein. Einen Satz, bitte, Kollege Volker Beck. Sie kennen die Geschäftsordnung und wenden sie ja ununterbrochen an. Insofern wissen Sie, was Sie zu tun haben. ({0}) Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und ich weiß natürlich, dass der Präsident die Sitzung leitet. Ich wollte nur zwei Sachen klarstellen: Meine Einlassung bezüglich der Organklage bezog sich darauf, dass die Bundesregierung die Frage zum NPD-Verbotsverfahren endlich wahrheitsgemäß und umfassend beantworten soll, weil sie entsprechend gestellt wurde.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Beck, dann nehme ich das mit dem Ausdruck der Erleichterung zurück.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

So geht es natürlich nicht.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Von Ihnen hatte ich nicht Zahlen erfragt, sondern ich hatte darum gebeten, zu sagen, was Sie den Ortskräften sagen, was sie machen können, um eine Aufnahme hier bewilligt zu bekommen, und wie Sie die Aussichten darstellen. Die Zahlen hat der Herr Kollege Schröder genannt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt Herr Staatssekretär, und dann ist dieser Punkt beendet.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Bevor wir jetzt allgemein erleichtert sind, darf ich sagen: Diese schwierige Frage, die Sie stellen, ist existenziell für unsere Ortskräfte. Ich darf mich insofern aber doch der Antwort des Kollegen Schröder anschließen, dass wir eine Einzelfallprüfung vornehmen werden. Zum Zeitraum, nach dem Sie fragen: Das geschieht natürlich, bevor Afghanistan eine andere Sicherheitsstruktur erhält. Der Rahmen ist bis 2014 gesteckt. Wir wollen uns nach pflichtgemäßem Ermessen und im Bewusstsein einer gewissen Vorsorgeverantwortung für die für uns tätigen afghanischen Kräfte dann auch so zügig wie möglich entscheiden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Jetzt springen wir, wie wir vorhin vereinbart haben, zurück in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 68 unserer Kollegin Cornelia Behm auf: Welche Schlussfolgerungen für die Agrarstrukturpolitik zieht die Bundesregierung aus der von ihr in Auftrag gegebenen Studie des Thünen-Instituts, der zufolge der Einfluss von Kapitalanlegern in der ostdeutschen Landwirtschaft gewachsen ist und voraussichtlich weiter wachsen wird, und mit welchen Mitteln will sie den negativen Aspekten dieser Entwicklung, wie zum Beispiel dem verstärkten Arbeitsplatzabbau und den Spezialisierungstendenzen, die dem Ziel zuwiderlaufen, Stoff- und Produktionskreisläufe zu schließen, begegnen? Herr Müller, ich bitte Sie, zu antworten.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Vielen Dank, Herr Präsident. - Entschuldigung, dass ich eben einige Sekunden zu spät gekommen bin. Frau Behm, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Das Thünen-Institut hat im Auftrag des BMELV und auf Bitte der Agrarministerinnen und Agrarminister der Länder den Entwurf eines internen Zwischenberichts der Studie zu Ausmaß und Entwicklung des Erwerbs von Kapitalanteilen durch nichtlandwirtschaftliche Investoren und landwirtschaftliche Unternehmen vorgelegt. Der verschärfte Wettbewerb um Eigentum und Flächenbewirtschaftung ist ein allgemeiner Trend, an dem auch viele erfolgreiche landwirtschaftliche Unternehmen teilnehmen. In vielen Betrieben haben die Anteilskäufe positive Effekte, bedeuten meist eine verstärkte Investitionstätigkeit, eine gestärkte Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung von Arbeitsplätzen. In anderen Betrieben kommt es zu Spezialisierungstendenzen, beispielsweise im Biogasmarkt und bei der Fruchtveredelung, zu Rationalisierungen und auch zu einem Abbau von Arbeitskräften. Im Hinblick auf mögliche Konsequenzen sind in diesem Fall insbesondere die Länder gefragt, denen in der Föderalismusreform I im Jahr 2006 die Zuständigkeit für das landwirtschaftliche Grundstücksverkehrsrecht übertragen wurde. Die Länder sind auch deshalb gefragt, weil Ergebnisse der Studie belegen, wie unterschiedlich die Situation auf dem Bodenmarkt in den einzelnen Regionen ist. Das Ganze ist kompliziert, aber Sie, Frau Behm, haben es verstanden; denn Sie sind die Fachfrau dafür.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Behm hat die erste Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Zusammenhang mit dem Vorliegen dieser Studie wurde darauf hingewiesen, dass das Agrarressort, also Ihr Ressort, eine Bewertung dieser Entwicklung vermeidet und auf positive und negative Effekte, wie Sie sie gerade angeschnitten haben, verweist. Ich meine schon, dass der Verweis auf die Zuständigkeit der Bundesländer insofern nicht ausreicht, als Sie als zuständiges Ressort durchaus eine Meinung dazu haben könnten. Ich finde, Sie sollten zum Ausdruck bringen, was aus Ihrer Sicht auf Landesebene sinnvollerweise umzusetzen wäre. Es gibt ja das Grundstücksverkehrsgesetz, das Verpachtung und Verkauf landwirtschaftlicher Grundstücke regelt. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung nicht sinnvoll und notwendig, die grundstücksverkehrsrechtliche Genehmigungspflicht auf die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen landwirtschaftlicher Unternehmen auszuweiten? Bisher geht es ja immer nur um Grundstücke. Hier wäre jetzt die Frage: Kann man das Ganze auf Gesellschaftsanteile ausweiten?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Kollegin, diese Frage ist natürlich interessant. Ich muss Sie noch einmal darauf verweisen, dass wir es hier eben mit der Gesetzgebungskompetenz der Länder für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr zu tun haben. Im Föderalismus wäre vieles zwar wünschenswert - etwa die Stärkung der Bundeskompetenz -, aber so ist das nun einmal. Wir haben uns - das möchte ich Ihnen gerne zur Kenntnis geben; vielleicht haben Sie es noch nicht erfahren - auf der Amtschef- und Agrarministerkonferenz vom 10. bis 12. April 2013 in Berchtesgaden zusammen mit den Bundesländern mit diesem Thema sehr ausführlich beschäftigt. Es gibt dazu einen umfassenden Bericht. Darin wird unter anderem auf die Positionierung der Länder eingegangen. Das ist ein Thema, das wir mit den Ländern besprechen müssten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Behm, Sie haben die Möglichkeit, eine zweite Nachfrage zu stellen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gebe zu, es ist so, dass das Grundstücksverkehrsrecht in die Hoheit der Länder übergegangen ist. Es wird leider viel zu wenig angewendet. Aber die Bundesregierung hat ja immerhin über die Privatisierungsgrundsätze mit der Hoheit über die BVVG-Privatisierungstätigkeit ein gewisses Aktionsfeld, mit dem sie immer noch Einfluss auf die Entwicklung der Agrarstrukturen, zumindest in Ostdeutschland, nehmen kann. Sie hat damit die Möglichkeit, diskriminierungsfreie Regelungen zum Direkterwerb und zu den Ausschreibungen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass vor allem kleine Betriebe, die für Kapitalanleger weniger interessant sind, bei den Ausschreibungen zum Zuge kommen, zum Beispiel durch kleinere Losgrößen, aber auch dadurch, dass man die Höchstgrenze für den Erwerb von BVVG-Flächen reduziert. Meine Fraktion hat ja entsprechende Vorschläge gemacht; einiges davon ist auch mit den Ländern diskutiert worden. Da würde ich gerne wissen, wie der Stand der Abstimmung mit den Ländern in Bezug auf den Vorschlag ist, die Losgrößen herabzusetzen, und was die Bundesregierung von dem Vorschlag hält, für den Erwerb von BVVG-Flächen eine Obergrenze - zum Beispiel 100 Hektar - über alle Verkaufsarten hinweg einzuführen.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Das war jetzt natürlich eine sehr differenzierte Frage zum Verfahren der über die BVVG geregelten Vergabe. Dies nehme ich gerne mit, Frau Behm, um Ihnen schriftlich differenziert zu antworten; denn dazu ist es notwendig, dass entsprechende Rückfragen gestellt werden. Ich sehe Ihr Anliegen, das auch unser Anliegen ist, dass wir vor Ort, insbesondere in den ostdeutschen Ländern, bei Grund und Boden - Grund und Boden ist nach wie vor attraktiv - nicht zu einer kompletten Loslösung der Investoren aus den Regionen dadurch kommen, dass sich hier private Kapitalgesellschaften in großem Stile in den Bodenerwerb einschalten. Dies ist ebenso Ihr Ziel wie unser Ziel. Ich nehme dies also gern mit und gebe Ihnen, so Sie einverstanden sind, einen differenzierten schriftlichen Bericht auf die doch sehr detaillierte Frage, zu der ich aus dem Stand heraus nicht sagen kann, wie die BVVG dies nun im Einzelnen handhabt. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Behm und Herr Staatssekretär Dr. Müller. Die Fragen 72 und 73 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden schriftlich beantwortet, sodass wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit kommen. Die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Fragen 74 und 75 der Kollegin Dr. Martina Bunge werden schriftlich beantwortet. Wir kommen daher nun zur Frage 76 der Kollegin Elisabeth Scharfenberg: Wie beurteilt die Bundesregierung die Reaktion des Bundesministeriums für Gesundheit auf die Kritik der Stiftung Warentest, dass für eine vollständige Absicherung im Pflegefall der Pflege-Bahr ({0}) mit einer unVizepräsident Eduard Oswald geförderten Pflegetagegeldversicherung ergänzt werden sollte, nachdem der Pflege-Bahr doch eigentlich gerade Menschen mit geringem Einkommen oder mit Vorerkrankungen, die keine zusätzliche ungeförderte Pflegetagegeldversicherung abschließen können, den Abschluss einer Pflegezusatzversicherung ermöglichen sollte, und warum sollten Menschen, die sich ungeförderte Pflegezusatzversicherungen leisten können, den in allen Belangen ungünstigeren PflegeBahr abschließen? Ich bitte Sie, Frau Staatssekretärin, diese Fragen zu beantworten.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Herr Präsident! Frau Kollegin Scharfenberg, die Bundesregierung widerspricht der in Ihrer Frage angeführten Einschätzung zur geförderten Pflegevorsorge im Verhältnis zu ungeförderten Pflegezusatzversicherungen ausdrücklich. Das Ziel der Bundesregierung bei der staatlich geförderten Pflegevorsorge ist es, den Einstieg in die private Vorsorge zu fördern. Die staatlich geförderte Pflegevorsorge leistet damit einen wichtigen Beitrag insbesondere dazu, die Finanzierungslücke zwischen zukünftigen Pflegekosten und den Pflegeleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung zu reduzieren. Dies kann insbesondere auch Menschen mit Vorerkrankungen oder Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen helfen, im Pflegefall eine größere Freiheit zu haben, um zu entscheiden, wie sie gepflegt werden wollen. Darüber hinaus sehen die gesetzlichen Regelungen, denen geförderte Produkte dann auch genügen müssen, zahlreiche Vorteile gegenüber ungeförderten Produkten vor, zum Beispiel niedrigere Verwaltungs- und Abschlusskosten oder Regelungen zur Ruhendstellung im Falle von finanzieller Hilfebedürftigkeit. Wer darüber hinaus eine vollständige Deckung der Finanzierungslücke wünscht, der sollte sich sicherlich verschiedene Angebote einholen und auch prüfen, welche Absicherung im jeweiligen Einzelfall das beste PreisLeistungs-Niveau bietet. In vielen Fällen wird es sicher eine Kombination aus geförderter und ungeförderter Pflegezusatzversicherung sein.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Sieht denn die Bundesregierung die Gefahr, dass sich im Pflege-Bahr - Sie haben es ja eben kurz erwähnt - nur die schlechten Risiken - ich meine mit schlechten Risiken die Menschen, die chronisch krank sind - sammeln und dass die Beiträge daraufhin entsprechend stark ansteigen müssten?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Scharfenberg, nein, diese Befürchtung sehen wir nicht. Wir sehen, dass im Moment in der privaten Pflegeversicherungswirtschaft in der Regel ungeförderte Pflegeprodukte nur noch in Kombination mit der geförderten Vorsorge angeboten werden und damit eine Risikodurchmischung gegeben sein wird. Deshalb teilen wir diese Befürchtungen nicht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie will denn die Bundesregierung der Gefahr stark steigender Beiträge im Pflege-Bahr konkret begegnen?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Scharfenberg, bereits die gesetzlichen Regelungen sehen Maßnahmen vor, die den Anstieg der Beiträge dämpfen. Insbesondere die Begrenzung der Abschluss- und Vermittlungskosten sind hier zu nennen, die zu einer günstigeren Kostenentwicklung von geförderten Produkten gegenüber nichtgeförderten Produkten führen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt hat unsere Kollegin Cornelia Behm eine Nachfrage. Bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, glaubt die Bundesregierung, dass die Förderung von 5 Euro im Monat beim PflegeBahr, der zumeist ohnehin schon wesentlich höhere Tarife als ungeförderte Pflegezusatzversicherungen hat und dessen Tarife voraussichtlich weiter steigen werden, wirklich einen Anreiz bietet, eine solche Versicherung abzuschließen? Soll die Förderung von 5 Euro im Monat die Risiken des Kontrahierungszwangs ausgleichen?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Behm, 5 Euro bei einem Mindesteigenbeitrag von 10 Euro für eine gesetzlich geförderte private Pflegevorsorge machen insbesondere in den Bereichen, in denen das vereinbarte Leistungsvolumen dem gesetzlichen Minimum entspricht, bis zu 30 Prozent des eigentlichen Beitrages aus. Das ist eine erhebliche Erleichterung, insbesondere für Geringverdiener, um in eine private Pflegevorsorge einzusteigen. Deshalb halten wir dies angesichts der Tatsache, dass viele Menschen aufgrund von Vorerkrankungen oder erhöhtem Risiko keinen Vertrag über ein nichtgefördertes Vorsorgeprodukt abschließen können, weil die Versicherungen sie ablehnen, für ein wirklich gutes Angebot, den Einstieg zur Deckung von Lücken im Alter frühzeitig zu beginnen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Vizepräsident Eduard Oswald Wir kommen jetzt zur Frage 77, ebenfalls unserer Kollegin Elisabeth Scharfenberg: Wie beurteilt die Bundesregierung den Hinweis der Stiftung Warentest, dass die Beiträge zum Pflege-Bahr, die ja auch bei Pflegebedürftigkeit weitergezahlt werden müssen, bei ungünstiger Beitragsentwicklung und fehlender Leistungsdynamisierung im Extremfall die im Pflegefall ausgezahlten Leistungen, etwa in der Pflegestufe 0 oder I, sogar übersteigen können, und gedenkt die Bundesregierung, als Konsequenz daraus die Beitragszahlung im Pflegefall als Kriterium für die Gewährung der staatlichen Förderung abzuschaffen? Ich darf Sie um die Beantwortung bitten.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Scharfenberg, die Aussagen der Stiftung Warentest zu den Risiken der Beitragsentwicklung werden von uns nicht geteilt. Da die Versicherungsunternehmen ungeförderte Pflegetagegeldversicherungen vornehmlich in Kombination mit geförderten Pflegezusatzversicherungen anbieten, ist vielmehr damit zu rechnen, dass sich die für die Beitragskalkulation maßgebliche Risikostruktur der Versicherten von geförderten Zusatzversicherungen mit zunehmender Fallzahl immer weiter an jene von ungeförderten Zusatzversicherungen angleichen wird. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass eine Beitragsfreiheit im Leistungsfall durch entsprechend höhere Prämien vorfinanziert werden müsste. Der Beitrag ist zudem, gemessen am Leistungsanspruch im Leistungsfall, in aller Regel geringfügig. Schließlich steht es den Versicherten frei, Verträge mit einer Dynamisierung des Leistungsanspruchs zu vereinbaren.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine erste Nachfrage bezieht sich auf die Beitragsweiterzahlung nach dem Eintritt der Pflegebedürftigkeit. Warum hat die Bundesregierung denn genau das zum Kriterium gemacht? Es gibt auch ungeförderte Verträge, bei denen die Beitragszahlung nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit endet.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Sehr geehrte Frau Kollegin Scharfenberg, zunächst einmal möchte ich bemerken, dass sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten sozialen Pflegeversicherung die Beiträge bei Leistungsbezug weiter entrichtet werden. Ich denke, auch das gehört in diesen Kontext mit hinein. Im Vergleich zu nicht geförderten Produkten ergibt sich hier keine generelle Schlechterstellung, sondern wir haben auch hier eine Analogie. Es ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Frage der Prämiengestaltung natürlich immer an den Leistungen oder den geringen Beitragseinnahmen bemessen muss. Somit führt diese Regelung zu einem ausgewogenen Verhältnis zu den vorhandenen gesetzlichen wie privaten Vorsorgeprodukten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Elisabeth Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die steigenden Beiträge, mit denen zu rechnen ist. Plant denn die Bundesregierung, die Förderung zu dynamisieren, um steigende Beiträge aufzufangen?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Scharfenberg, wie ich Ihnen auf eine der vorangegangenen Fragen bereits geantwortet habe, teilen wir die Befürchtung der Beitragssatzentwicklung so nicht. Im Übrigen steht es den Vertragspartnern frei, auch eine Dynamisierung abzusichern und dies vertraglich zu vereinbaren.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Die Frau Kollegin Cornelia Behm hat noch eine Nachfrage. - Bitte schön, Frau Kollegin.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne wissen, Frau Staatssekretärin, ob die Bundesregierung plant, die Grundsicherung im Alter dahin gehend weiterzuentwickeln, dass sie auch die Weiterzahlung der Beiträge zum Pflege-Bahr ermöglicht.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Behm, auch dazu gilt: Wir haben in anderen sozialen Sicherungssystemen der Pflegeabsicherung bisher keine Weiterzahlung der Prämien bzw. Beiträge bei Leistungsbezug vorgesehen. Diskussionen darüber, in der geförderten Pflegevorsorge eine Weiterzahlung der Prämien bzw. Beiträge vorzusehen, finden in der Bundesregierung derzeit nicht statt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 78 und 79 der Kollegin Maria KleinSchmeink und die Frage 80 des Kollegen Dr. Ilja Seifert werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Frage 81 des Kollegen Dr. Ilja Seifert, die Fragen 82 und 83 der Kollegin Bettina Herlitzius, die Fragen 84 und 85 des Kollegen Gustav Herzog und die Fragen 86 und 87 des Kollegen Herbert Behrens werden schriftlich beantwortet. Somit sind wir am Ende unserer Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis 15.35 Uhr. Dann fahren wir mit der Aktuellen Stunde fort. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen unsere unterbrochene Sitzung fort. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Große Vermögen durch Neuverhandlung des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens sowie durch eine Vermögensabgabe heranziehen Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Thomas Gambke. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas Gambke.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir Grünen haben zum Thema „Steuerabkommen, Steuerhinterziehung“ heute eine Aktuelle Stunde beantragt, weil durch die aktuell bekannten Fälle oder besser durch den aktuell bekannten Fall eines deutlich wird: Um wirksam Steuerhinterziehung zu bekämpfen, brauchen wir Transparenz und nicht eine anonyme Abgeltungsteuer. ({0}) Jetzt ist der Weg frei für automatischen Informationsaustausch. Der Koalition wird in diesen Tagen noch einmal klar vor Augen geführt, in welches Desaster wir hineingerutscht wären, wenn wir uns für die Anonymität entschieden hätten. Sie versuchen, mit Halbwahrheiten, mit Verdrehungen, teilweise mit Falschaussagen Ihre Position zu untermauern. Ich finde das unerträglich. ({1}) Sie haben zum Beispiel gesagt, es gäbe keinen Anstieg bei den Selbstanzeigen. Ich lese im Handelsblatt, dass die Zahl der Selbstanzeigen sehr deutlich gestiegen ist. Es gibt 3 356 Selbstanzeigen in den großen Bundesländern. Das zeigt doch auch, wie wichtig im Moment das Instrument des Ankaufs der CDs ist: weil es den notwendigen Druck ausübt, zur Selbstanzeige zu greifen. ({2}) Uli Hoeneß war nicht der einzige Vermögende, der offenbar berechnend darauf gebaut hat, bei dem kuscheligen Steuerabkommen in die Anonymität abgleiten zu können. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Zocken darf sich nicht lohnen! ({3}) Wir wollen Brücken bauen für die Menschen, die in die Steuerehrlichkeit zurück wollen. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist ein richtiges Instrument. Voraussetzung muss aber Transparenz sein. Erinnern wir uns doch noch einmal an die Beratungen im Finanzausschuss. Wir hatten 23 Sachverständige geladen. Zugegeben, 4 haben sich für das Steuerabkommen ausgesprochen: Das war ein deutscher Steuerberater, das war der Staatssekretär des Schweizer Finanzministeriums, das war ein Vertreter der UBS, und das war ein Vertreter der Schweizerischen Bankiervereinigung. ({4}) Liebe Koalition, wenn man sich bei den Schweizern unterhakt, ist es kein Wunder, dass man dort die Zustimmung zu diesem Steuerabkommen bekommt. ({5}) Wir standen damals vor einer Weggabelung: entweder Verbleiben in der Anonymität oder Schaffung von Transparenz mit einem Abkommen, wie es übrigens die Amerikaner schon im Mai davor unterzeichnet hatten. Das ist das sogenannte FATCA - Foreign Account Tax Compliance Act. Sie haben das ignoriert. Was haben wir erlebt, als wir vor etwas mehr als einem dreiviertel Jahr zusammen mit dem Finanzausschuss in Luxemburg waren? Damals sagte uns der luxemburgische Finanzminister Frieden: „Unter dem Eindruck des Steuerabkommens mit der Schweiz sind wir nicht bereit, dem automatischen Informationsaustausch zuzustimmen.“ Das ist doch die Wahrheit gewesen. ({6}) Österreich hat sich damals in gleicher Art und Weise geäußert. Was sagt Herr Frieden jetzt, nach dem Scheitern, nachdem der Bundesrat widersprochen hatte? - Er sagt, er werde der EU-Zinsrichtlinie zustimmen. Ich will es an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen - ich habe das in allen meinen Reden so gesagt -: Ich erinnere mich an die Herren der Koalition - ich erinnere mich an Sie, Herr Schäuble -, die immer die Verbindung zwischen dem Steuerabkommen mit der Schweiz und den Maßnahmen, die innerhalb der EU und auch der USA unternommen wurden, also EU-Zinsrichtlinie und dem FATCAAbkommen, bestritten haben. Es ist doch jetzt deutlich geworden, dass diese Verbindung bestand; denn jetzt hat geradezu ein Dammbruch in Richtung eines automatischen Informationsaustauschs stattgefunden, und das haben wir denjenigen zu verdanken, die in den Bundesländern die richtige Entscheidung getroffen haben. ({7}) Ich fordere Sie auf: Kommen Sie zur Vernunft zurück! Es ist doch eine alte Regel - und ich bin nicht ganz unerfahren in der Sache -: Transparenz ist eine unabdingbare Voraussetzung für Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Das ist doch der Grundsatz, an dem wir uns orientieren müssen. ({8}) Sie haben für einen Judaslohn von 1,6 Milliarden Euro - nicht 2 Milliarden Euro, es werden immer Franken und Euro verwechselt; es waren auch nicht 10 Milliarden Euro, das ist eine nie bestätigte Summe versucht, die Steuerehrlichen zu verraten. Das ist unerträglich; ({9}) denn was wir brauchen, ist Transparenz. Wir brauchen den Informationsaustausch, wir brauchen auch die länderbezogenen Offenlegungspflichten, Country by Country Reporting. ({10}) Auch das wurde von Ihnen abgelehnt. Ich bin froh, dass uns jetzt noch einmal so deutlich vor Augen geführt wurde, wie wichtig die Ablehnung im Dezember letzten Jahres war. Vielen Dank. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Dr. Hans Michelbach. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat in den vergangenen Tagen einen bedauerlichen steuerrechtlichen Fall benutzt, um ihre gefährliche Polemik gegen die sogenannten Reichen zu verschärfen, ihre maßlosen Steuer- und Abgabenpläne zu rechtfertigen ({0}) und ihre verantwortungslose Blockade zum Steuerabkommen mit der Schweiz zu verschleiern. Keinen anderen Zweck hat diese Aktuelle Stunde. ({1}) Mit Ihrer schäbigen Schmutzkampagne ({2}) überziehen Sie wieder einmal aus wahltaktischen Gründen. Das muss ich Ihnen sagen. Herr Steinmeier und Herr Pronold haben von CSU-Steuerhinterziehern gesprochen. Das ist schäbig, dreist und unverschämt. ({3}) Herr Hoeneß ist weder CSU-Mitglied, noch hat er der CSU etwas gespendet. ({4}) Das hätten Sie der Bundestagsdrucksache jederzeit entnehmen können. Aber Sie setzen das Gegenteil in Umlauf und verhalten sich nach dem Motto: Es wird schon etwas hängen bleiben. - Deswegen, meine Damen und Herren von der Opposition: Das lassen wir Ihnen nicht mehr durchgehen. Das können wir nicht akzeptieren. ({5}) Es gab und gibt derzeit zum Steuerabkommen mit der Schweiz keine Alternative, ({6}) um die jährlichen Verjährungen von Steuerhinterziehung zu unterbinden. Wir legalisieren keine Steuerhinterziehung. Minister Schäuble hat seine Verhandlungsspielräume bis an den Rand ausgeschöpft und ist sogar darüber hinausgegangen. Er hat letzten Endes das Ergebnis erreicht, das machbar war. Es gibt weitere Initiativen von Minister Schäuble auf EU-Ebene und auf G-20-Ebene; mit der OECD werden weitere Maßnahmen verschärft. Das sollten Sie einmal anerkennen. ({7}) Zur Wahrheit gehört auch: Rot-Grün hat unter Bundesfinanzminister Eichel mit einer Steueramnestie durchaus zweifelhafte Angebote an Steuerhinterzieher zu verantworten. Darüber sprechen Sie heute gar nicht mehr. Dagegen wollten wir mit dem Abkommen mit der Schweiz Vermögen bis zu 41 Prozent besteuern. Das trägt zur Steuerehrlichkeit und Steuergerechtigkeit für alle bei, und zwar lückenlos. Ihre CDs bieten keinen lückenlosen Zugriff auf Steuerpflichtige. Das ist der Unterschied, den Sie anerkennen sollten. Bei einer strafbefreienden Selbstanzeige gilt in Deutschland im Übrigen auch das Steuergeheimnis, und da gilt selbstverständlich auch die Anonymität. ({8}) Sie sagen, wir wollten Anonymität gewähren. Dazu sage ich Ihnen: Diese ist bei dem Steuergeheimnis selbstverständlich gegeben. Deswegen sollten Sie den Menschen wirklich sagen, was Sache ist. Unabhängig davon hat diese Koalition mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz die Anforderungen für die strafbefreiende Selbstanzeige wesentlich verschärft und über 40 Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen. Das war bisher noch nie der Fall. Diese Koalition ist im Bereich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung so erfolgreich wie noch keine Koalition vorher, meine Damen und Herren. ({9}) Unser generelles Ziel ist der automatische Informationsaustausch mit allen Ländern. Bis dahin gilt: Die Blockade des ersten Steuerabkommens mit der Schweiz bleibt falsch, weil das letzten Endes der erste Schritt in die richtige Richtung gewesen wäre. ({10}) Das wissen Sie von den Grünen und der SPD genau. Ihre Aufgeregtheit - das sage ich Ihnen ganz deutlich hat einen ganz anderen Grund, meine Damen und Herren von der Opposition: ({11}) Sie müssen ablenken, ablenken vom eigenen Versagen; denn außer hohlen Sprüchen und Klassenkampf haben Sie im Bereich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung nichts zu bieten, aber auch gar nichts. ({12}) Die Regelung der Besteuerungsfragen zwischen Deutschland und der Schweiz unter Rot-Grün: Fehlanzeige, nichts, aber auch gar nichts! Der Bundesfinanzminister Steinbrück hatte beim Thema „Steuerabkommen mit der Schweiz“ ein totales Handlungsdefizit. Sein Credo „Kavallerie statt Diplomatie“ war die Blendgranate, die er letzten Endes zu verantworten hat. Nichts außer Verhärtungen, Drohungen, Verzögerungen und damit mehr Steuerhinterziehung bei täglich neuen Verjährungen ist übrig geblieben. ({13}) Das heißt, Sie haben 10 Milliarden Euro Einnahmen für den Fiskus unterschlagen. ({14}) Das ist Untreue gegenüber dem deutschen Steuerzahler, meine Damen und Herren! ({15}) Deswegen: Spucken Sie keine großen Töne und machen Sie nicht den dicken Max so wie Ihr Herr Steinbrück! Wenn es um Erfolgsarbeit geht, ist der Mann schneller verschwunden, als wir gucken können. Das, was der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble verhandelt hat, ist der richtige Weg: ({16}) Schritt für Schritt in die richtige Richtung. Schließen Sie sich dieser Richtung an, meine Damen und Herren! ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist unser Kollege Thomas Oppermann für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Thomas Oppermann. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Michelbach, Ihre Rede zeigt mir, dass Sie von dem, was wir im Augenblick in Deutschland erleben, ganz schwer getroffen sind. ({0}) Sie haben in Ihrer Rede immer noch dem Steuerabkommen mit der Schweiz nachgetrauert. ({1}) Das zeigt mir, dass Sie den Ernst der Lage noch gar nicht begriffen haben. ({2}) Natürlich haben wir einen immensen finanziellen Schaden für unseren Staat durch Steuerhinterziehung; ({3}) aber noch größer als der finanzielle Schaden ist doch im Augenblick der Vertrauensschaden für unseren demokratischen Rechtsstaat, meine Damen und Herren. ({4}) Normale Leute zahlen Steuern, bevor sie ihren Lohnzettel gesehen haben. Was sollen die denn denken, wenn sie jetzt sehen, wie leicht es in Deutschland Millionären gemacht wird, einen Teil ihres Vermögens in Steueroasen vor den Finanzämtern zu verstecken? ({5}) Dazu haben sie gar keine Chance. ({6}) Die millionenschwere grenzüberschreitende Steuerhinterziehung ist eine spezifische Form der Oberschichtenkriminalität, und die muss in Deutschland genauso hart und genauso unnachgiebig verfolgt werden wie jede andere Kriminalität auch. ({7}) Aber das ist ganz offenkundig nicht der Fall. In Bayern fehlen Hunderte Beamte für die Betriebsprüfungen und für die Steuerfahndung. ({8}) Das ist doch kein entschlossen handelnder Rechtsstaat; ({9}) das grenzt eher oder fast schon an augenzwinkernde Kumpanei mit Steuerkriminellen, meine Damen und Herren. ({10}) Und wo ist eigentlich die „Law and Order“-Abteilung von der CSU, die immer dann auf den Plan tritt, wenn es darum geht, den Staat mit schweren Geschützen auszustatten und Kriminalität zu bekämpfen? Ich höre gar nichts von ihr. Ganz offenkundig messen Sie mit zweierlei Maß. ({11}) In welchem Licht erscheint heute das deutsch-schweizerische Steuerabkommen? Das, was Sie, Herr Schäuble, ausgehandelt haben, war ganz offenkundig auch dafür gedacht, dass Leute wie Uli Hoeneß nicht öffentlich zur Verantwortung gezogen werden sollen. Sie wollten eine die persönliche Reputation von Steuerhinterziehern schonende Legalisierung von schweren Straftaten. ({12}) Sie wollten, dass diese Menschen weiter als Ehrenmänner in der Mitte unserer Gesellschaft leben können. Sie wollten diese Menschen nicht stören bei dem, was sie gemacht haben. Damit offenbaren Sie ein gestörtes Verhältnis zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. ({13}) Der wichtigste Grundwert in einem demokratischen Rechtsstaat ist die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Da darf kein Unterschied gemacht werden. ({14}) Herr Schäuble, bei allem Respekt, den ich persönlich für Ihre Verdienste habe, die Sie für unser Land erworben haben: ({15}) In dieser Frage haben Sie nicht die richtige Staatsauffassung. ({16}) Jedes demokratische Gemeinwesen ist existenziell darauf angewiesen, dass die Bürger die geschuldeten Steuern bezahlen. Das ist eine Frage der Staatsräson. Ich nenne Ihnen einmal die Staatsräson, die die amerikanischen Kollegen von Dr. Schäuble haben. Die US-Staatsräson besagt: Kein Staat auf der Welt, auch keine Bank im Hoheitsgebiet eines fremden Staates irgendwo auf der Welt hat das Recht, US-Steuerbürgern dabei zu helfen, die Steuern zu hinterziehen. - Das ist die Staatsräson eines demokratischen Staates, meine Damen und Herren. Wenn Sie, Herr Schäuble, diese Staatsräson zugrunde gelegt hätten, dann hätten Sie ebenso wie die Amerikaner Auskunftsansprüche gegenüber Schweizer Banken durchsetzen können und nicht so ein jämmerliches Steuerabkommen, das nur dazu führt, dass Steuerhinterzieher geschont werden. Das ist die Wahrheit. ({17}) Die Schonzeiten sind vorbei. Wir brauchen eine härtere Gangart bei Steuerhinterziehung in Deutschland. ({18}) Wir wollen eine bundesweit mit den Ländern abgestimmte Steuerfahndung. Wir wollen die Steuerfahndung internationalisieren, sodass wir auch international ermitteln können, was bisher völlig unzureichend ist. Wir wollen den automatischen Informationsaustausch mit Banken in aller Welt und werden ihn politisch durchsetzen. Wir wollen scharfe Sanktionen gegen Banken, die Steuerhinterziehern behilflich sind. Wir wollen - Herr Michelbach, hier können wir schnell zusammenkommen, wenn Sie meinen, dass wegen des gescheiterten Steuerabkommens mit der Schweiz viel Geld verloren geht - im nächsten Monat die Verlängerung der Verjährung für Steuerhinterzieher, die dem Bundesrat vorgelegt wird, auch hier beschließen. Dann besteht überhaupt keine Gefahr, dass irgendwelches Geld verloren geht. ({19}) Wenn wir eine effektive Bekämpfung der Steuerhinterziehung in Deutschland durchgesetzt haben, wenn der Staat den Steueranspruch und den Strafanspruch bei Steuerhinterziehern durchsetzen kann, dann werden Vorschriften wie die strafbefreiende Selbstanzeige keine Rolle mehr spielen. Dafür werden wir sorgen. Dann brauchen wir keine strafbefreiende Selbstanzeige mehr. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({20})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Volker Wissing. Bitte schön, Kollege Dr. Volker Wissing. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Herr Kollege Oppermann, es ist richtig: Es ist erschütternd zu sehen, wie Menschen, die Vorbilder unserer Gesellschaft sein wollen, ganz offensichtlich das Recht brechen, für sich Sonderrechte reklamieren und ihrer Pflicht als Bürgerin und Bürger nicht nachkommen, ihre Steuern an den Staat zu zahlen. Wenn das von Persönlichkeiten in besonders umfangreichem Maße geschieht, die man für integer gehalten hat, die auch Ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als Berater hinzugezogen hat, dann ist das ein erheblicher Vertrauensbruch. Da haben Sie recht. Aber, Herr Kollege Oppermann, dieses Vertrauen in unseren Staat wiederherzustellen, ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir alle haben. ({0}) Das, was Sie gerade abgeliefert haben, war das Verbreiten bewusster Unwahrheiten wider besseres Wissen, Herr Kollege Oppermann. Das befördert das Misstrauen in den Staat und führt nicht dazu, dass Vertrauen wiederhergestellt wird. ({1}) Sie haben eben hier an diesem Mikrofon der Öffentlichkeit erklärt, wir könnten im Bundestag Verjährungsfristen für begangene Straftaten rückwirkend verlängern. Das, Herr Kollege Oppermann - Sie wissen es ganz genau -, ist mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar, und deswegen ist das auch nicht möglich. ({2}) Man sollte den Bürgerinnen und Bürger in dieser schwierigen Situation nicht auch noch solche kindischen Ammenmärchen aufbinden. ({3}) Sie sind nicht der Einzige in der SPD, der hier Unsinn verbreitet. Der Kollege Poß - er ist bei den Sozialdemokraten der neue Mann fürs Grobe - erklärt der Öffentlichkeit, man könne die strafbefreiende Selbstanzeige mal eben einfach abschaffen. ({4}) Herr Steinbrück sagte kurze Zeit danach - er hat als Finanzminister eine gewisse Erfahrung -, es wäre vielleicht doch klüger, das Ganze beizubehalten. ({5}) Dann kommt der Kollege Oppermann und versucht, eine Brücke zwischen Ja und Nein zu bauen, indem er sagt: Mittelfristig kann man ja mal überlegen, ob man es infrage stellt. Die Wahrheit ist doch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nach dem Steuerrecht gibt es eine Mitwirkungspflicht der Bürgerinnen und Bürger. Demnach muss der Bürger dem Staat gegenüber die Wahrheit sagen und sich offenbaren. Ansonsten kann man die Besteuerungsgrundlage nicht ermitteln. Gleichzeitig haben wir in unserem Rechtssystem seit 1848, ({6}) als die Inquisition abgeschafft worden ist, den Grundsatz „Nemo tenetur“: Niemand muss sich selbst belasten, wenn er eine Straftat begangen hat. Diese Lücke wird durch die strafbefreiende Selbstanzeige geschlossen. Deswegen ist es doch Unsinn, gegenüber der Öffentlichkeit so zu tun, als wäre das überflüssig, als bräuchte man so etwas nicht. Ein Bürger, der eine Steuerhinterziehung begangen hat, muss jederzeit die Brücke zur Ehrlichkeit nutzen können, um seiner Verpflichtung zur Mitwirkung nach dem Steuerrecht, der Wahrheitspflicht, nachkommen zu können. Deswegen ist das ein sinnvolles Instrument. Bleiben Sie doch sachlich! ({7}) Wir haben ein ernsthaftes Problem zu lösen. Sie entsachlichen die gesamte Debatte. ({8}) Darüber hinaus erzählen Sie, man könnte bei diesem Steuerabkommen mit der Schweiz nachverhandeln. Gegenüber der Öffentlichkeit tun die Grünen genau wie Sie von der SPD so, als sei die Anonymität der Altfälle der Fehler dieses Abkommens. ({9}) Die Schweiz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat an dieser Stelle den gleichen Verfassungsgrundsatz wie die Bundesrepublik Deutschland: Man kann Gesetze nicht rückwirkend ändern. Die Schweiz hat in der Vergangenheit Anonymität zugesichert. Die Schweiz kann die Anonymität nicht rückwirkend aufheben. ({10}) Deswegen kann man das auch nicht nachverhandeln. Sie können doch der Öffentlichkeit nicht ernsthaft erklären, man solle mit der Schweiz so lange verhandeln, bis dieser Staat seine Verfassung bricht. Ja, was ist denn das für eine Rechtsauffassung? ({11}) Wie wollen Sie denn mit solch einer Politik das Vertrauen in den Staat zurückgewinnen? Das ausgehandelte Abkommen war lückenlos: Jeder Steuerhinterzieher, auch die Altfälle, wäre erfasst und - es geht niemals anders - mit einer pauschalen Abgeltung belegt worden. Deswegen war das Abkommen richtig. Das Abkommen wäre ein Magnet gewesen, der alle Nadeln auf einmal aus dem Heuhaufen herausgezogen hätte. Sie suchen jetzt mit Steuer-CDs einzelne Nadeln im Heuhaufen und freuen sich, wenn Sie eine gefunden haben. Ich frage vor der Öffentlichkeit: Ist es nicht besser und auch gerechter, alle zu erfassen, damit keiner entkommt und der Staat die Steuern insgesamt erhält? ({12}) Wir sind der Meinung: Es ist gerechter, alle zu besteuern und nicht nur diejenigen, die man erwischt. Damit hätten wir die Altfälle abgearbeitet. Jetzt geht es um die Frage: Was ist denn mit der Zukunft? Dazu hat der Kollege Michelbach schon gesagt: Ja, wir sind für den automatischen Informationsaustausch. Aber die Schweiz war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht so weit. Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen, dass die Kapitalertragsteuer in gleicher Höhe wie in der Bundesrepublik Deutschland bei jedem abgezogen wird. Damit hätten wir in Zukunft in der Schweiz genau die gleiche Besteuerung der Konten gehabt wie in Deutschland. ({13}) Gerechter geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es war Ihr Fehler, dazu Nein zu sagen. ({14}) Schauen Sie, die Realität ist doch so: Auch bei der strafbefreienden Selbstanzeige haben wir unter CDU/ CSU und FDP strengere Regeln, als Sie sie hatten. ({15}) Wir haben die Möglichkeiten, Straffreiheit zu erlangen, auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß reduziert. Auf die Idee hätten auch Sie von der SPD kommen können, als Sie mit den Grünen regiert haben, aber das haben Sie nicht getan. ({16}) Wir haben unsere Aufgaben gemacht und die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass bei der Besteuerung 100 Prozent Gerechtigkeit geschaffen wird. ({17}) Wir haben die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige auf das notwendige Minimum reduziert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen haben in diesem Zusammenhang eine Vermögensabgabe ins Spiel gebracht - da besteht eigentlich überhaupt kein Zusammenhang -: Wenn Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ihre Steuern bezahlt und etwas erspart haben, wenn sie für das Alter vorgesorgt haben, dann sollen sie mit einer Vermögensabgabe dafür büßen, dass andere Steuern hinterziehen. Das ist Ihre Logik, mit der Sie in dieser Aktuellen Stunde argumentieren.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, beachten Sie die Zeit.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Ich will Ihnen kurz etwas vorlesen, was die Frage beantwortet, wie sinnhaft Ihr Vorschlag ist: Eine solche Besteuerung - Vermögensabgabe - hätte eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft zur Folge. Eine Besteuerung von Betriebsvermögen kann je nach konkreter Ausgestaltung das Eigenkapital aufzehren und die Investitionsmöglichkeiten des Unternehmens schmälern. Darüber hinaus besteht die Gefahr der Substanzbesteuerung, wenn auch in ertragsschwachen Wirtschaftsjahren von ertragsschwachen Unternehmen in Abhängigkeit vom Unternehmenswert eine solche Steuer bzw. Abgabe entrichtet werden muss. - Das schreibt der Ministerpräsident von BadenWürttemberg, Herr Kretschmann, an den Parteivorsitzenden der Grünen. Dort, wo die Grünen noch richtig ticken, machen sie sich aufgrund der Politik, die Sie hier vertreten, Sorgen um unser Land. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Dr. Barbara Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing, Ihre pseudojuristischen Darlegungen können Sie sich sparen. ({0}) Wir müssen klar feststellen: Die strafbefreiende Selbstanzeige gab es schon 1919 in der Reichsabgabenordnung. Es ist ganz klar, dass das eine Besonderheit im Strafrecht ist. Niemand, der in der Straßenbahn schwarz fährt, seine 40 Euro Strafe bezahlt hat und nach dem dritten Mal Erwischtwerden eine Strafanzeige am Hals hat, kann hingehen und sagen: Ich bin bereit, 100, 200, 300 Euro zu zahlen; die Anzeige aber bitte lasst unter den Tisch fallen. ({1}) Durch solche Bagatellfälle werden die Gerichte en gros belastet. Auch dagegen müssten wir endlich einmal etwas tun. ({2}) Für den Bereich der Selbstanzeige gilt - das sagen Juristen; Herr Präsident, ich erlaube mir, Rechtsanwalt Carsten Wegner zu zitieren -: Die Selbstanzeige ist rein fiskalisch motiviert und nebenher Folge eines nicht zu leugnenden behördlichen Ermittlungsnotstands. ({3}) Mit ihr will sich der Staat bislang unbekannte Steuerquellen erschließen und verzichtet im Gegenzug auf seinen Strafanspruch … ({4}) Der vom Staat erstrebte finanzielle Zweck heiligt die strafrechtlichen Mittel. ({5}) Das ist die Realität. Das ist der Kern der strafbefreienden Selbstanzeige, und deshalb gehört sie abgeschafft, ohne Wenn und Aber. ({6}) Schauen wir uns einmal das deutsch-schweizerische Steuerabkommen an. Es wird immer gesagt, demjenigen, der Steuern umgeht, müsse unbedingt eine Brücke in die Ehrlichkeit gebaut werden. An diesem Brückenbauen ist schon Herr Eichel gescheitert. Vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2005 konnte man sich selbst anzeigen: Steueramnestie, Strafzahlung, und alles war schön. Herr Eichel dachte, dass er 5 Milliarden Euro einnehmen wird; herausgekommen sind 1,39 Milliarden Euro. Es ist gescheitert. Die Steuersünderinnen und -sünder - dieser Begriff klingt schon ein wenig beschwichtigend -, also diejenigen, die wirklich kriminell gehandelt haben, haben einen Teufel darauf gegeben, diese Möglichkeit zu nutzen. Jetzt haben wir eine etwas andere Situation. Das hat sicher auch mit dem angebotenen Ankauf der Steuer-CDs zu tun. Nun können sich die Steuersünder eben nicht mehr sicher sein, was passiert. Es gab also Verhandlungen mit der Schweiz. Vor kurzem gab es auch ein Treffen der G-20-Staaten, und siehe da: Selbst die Schweizer Finanzministerin, Frau Eveline Widmer-Schlumpf, will sich jetzt dem automatischen Datenaustausch anschließen. Meinen Sie denn, das hätte die Schweizer Finanzministerin getan, wenn das Steuerabkommen abgeschlossen worden wäre? Mitnichten! ({7}) Sie hatten vorgeschlagen und wollten durchziehen, dass die sogenannten Altfälle anonym bleiben. Nach Ihren Unterlagen hätten diese 21 bis 41 Prozent des nicht versteuerten Geldes nachzahlen müssen. Ich verweise auf den Berliner Steuerprofessor Frank Hechtner, der gesagt hat, dass wahrscheinlich 78 Prozent mit einer Nachzahlung von 21 Prozent davongekommen wären. Die 41 Prozent waren also eine totale Luftnummer. ({8}) Außerdem hätte die Nachzahlung durch die Schweizer Banken erhoben werden sollen. So hätte keine deutsche Finanzbehörde die Möglichkeit der Prüfung gehabt. Wo sind wir hier denn? Wir haben die Hoheit. ({9}) Zudem sollte die Sache anonym bleiben. Es ging also um ein Verschonen auf der ganzen Linie. Das wäre nichts anderes als eine verkappte Großamnestie gewesen. Dem konnte Rot-Rot-Grün im Bundesrat nicht zustimmen, und das war richtig so. ({10}) Bei den Neufällen wollten Sie die Abgeltungsteuer erheben. Dazu sage ich: Was gibt uns denn die Sicherheit, dass sie von den Schweizer Behörden richtig erhoben und abgeführt wird? Wir haben keine Sicherheit. Sie wissen selbst, dass die Abgeltungsteuer eine schwierige Angelegenheit ist. Die Abgeltungsteuer, die Sie unter der Überschrift „Steuervereinfachung“ eingeführt haben, hat mitnichten zur Steuervereinfachung beigetragen. Das ist eine Verkomplizierung. Die Auslegung dieser Vorschrift füllt regelrecht Bände. Man kann Fehler machen; aber das ist einfach nur Unsinn. Sie wollten das wieder der Schweiz überlassen. Wir können diese Unkultur der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung nur beseitigen, wenn klar ist: Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, und die wird als Straftat verfolgt, und man kann sich nicht einfach freikaufen. Wir brauchen auf internationaler Ebene einen automatischen Informationsaustausch. Wir brauchen Maßnahmen und Druck, um sicherzustellen, dass die Staaten, die sich auf dem Papier bereit erklärt haben, zu helfen, auch tatsächlich mitwirken. Wir müssen uns auch die Aktivitäten der deutschen Banken anschauen. Wir müssen zum Beispiel schauen, wie es mit den Niederlassungen der Deutschen Bank in Steueroasen aussieht. Hier gibt es also viel zu tun. Ich freue mich auf die Debatte am Freitag und auf Ihr Abstimmungsverhalten zu unserem Antrag zur Bekämpfung von Steueroasen. Danke. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre überraschend gewesen, wenn die Opposition nicht einen beklagenswerten Einzelfall, der viele Menschen in diesem Land enttäuscht, zum Anlass nehmen würde, eine polemische Debatte zu führen. ({0}) - Ich komme gleich darauf zu sprechen. Herr Kollege, lassen Sie mich doch in aller Ruhe ein paar Sätze dazu sagen. Es wurde gesagt, die Öffentlichkeit sei sehr besorgt über die Entwicklung. Deswegen ist es doch gut, wenn wir sachlich darüber reden, wie die Situation ist, was wir machen können und was wir gemacht haben. ({1}) - Herr Kollege Poß, hier hat jeder, auch Sie, die Chance, vorzutragen, was er vortragen möchte; jetzt habe ich die Möglichkeit dazu. Vielen Dank. Ich möchte in aller Klarheit sagen: Wir können diese schwierigen Fälle nur auf der Grundlage geltenden Rechts aufarbeiten. Das geltende Recht kann man ändern. Wenn Sie die rechtliche Grundlage der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht ändern wollen, ändern Sie das. Rot-Grün hat das aus Versehen Anfang des vergangenen Jahrzehnts gemacht, es aber schnell wieder korrigiert, als das Versehen bemerkt wurde. Vorläufig aber ist die strafbefreiende Selbstanzeige geltendes Recht. Daher sollte man das nicht inkriminieren. Eine zweite Bemerkung: Herr Kollege Oppermann, Sie haben von rechtsstaatlichen Prinzipien gesprochen. Sie sollten wirklich aufhören, den Menschen einzureden, man könne die Verjährungsfristen rückwirkend ändern. Das wäre nun wirklich rechtswidrig. Das kann die Schweiz nicht beim Bankgeheimnis machen und wir nicht bei den Verjährungsfristen. ({2}) Eine dritte Bemerkung: Zur Besteuerung von Kapitalerträgen erheben wir in Deutschland die Abgeltungsteuer. Das Gesetz trägt übrigens die Unterschrift meines geschätzten Amtsvorgängers. ({3}) Das kann man für falsch oder für richtig halten. Von meinem Amtsvorgänger stammt der bemerkenswerte Satz: 25 Prozent von X ist besser als 100 Prozent von nix. - Das ist geltendes Recht, und deswegen konnten wir mit der Schweiz für Gegenwart und Zukunft nichts anderes vereinbaren als die exakte Anwendung des in Deutschland geltenden Rechts in der Schweiz. Wäre das Abkommen mit der Schweiz in Kraft getreten, würden Kapitaleinkünfte von in Deutschland Steuerpflichtigen bei Schweizer Banken genauso behandelt werden, wie wenn sie bei deutschen Banken anfielen. Sie können das deutsche Recht kritisieren, aber Sie können das nicht der Schweiz vorwerfen. Dieses Abkommen war richtig. Ansonsten müssen wir über die Abgeltungsteuer diskutieren. ({4}) Wir haben im Übrigen mit der Schweiz seit geraumer Zeit einen Informationsaustausch auf der Grundlage des OECD-Musterabkommens. Wenn wir also im Einzelfall Grund zu einer Anfrage bei der Schweiz haben, bekommen wir - nur damit keine Zerrbilder entstehen - auch Auskünfte. Aber sie hängen keinen, sie hätten ihn denn zuvor. Deswegen muss man erst einmal wissen, bei wem man anfragen kann. Die Auskunftsmöglichkeiten wären übrigens gegenüber dem OECD-Standard durch das Abkommen stark verbessert worden. Mit Inkrafttreten des Abkommens am 1. Januar 2013 hätten wir eine befriedigende Regelung gehabt, die völlig unserer Rechtslage entspricht. Jetzt kommt das Problem für die Vergangenheit. Herr Kollege Gambke, nur damit das klar ist: Das FATCAAbkommen der USA tritt in Kraft für Vermögen, Einkommen und Vermögenseinkünfte ab dem 1. Januar 2014. Heute haben wir den 24. April 2013. FATCA gilt nicht für die Vergangenheit. ({5}) Es gibt kein Abkommen und keine Regelung, das oder die irgendetwas für die Vergangenheit bewirkt. Das ist die Wahrheit, und das Gegenteil ist die Unwahrheit. ({6}) Die Amerikaner haben keinerlei Abkommen für die Vergangenheit. Die Amerikaner haben nach ihrem Doppelbesteuerungsabkommen dieselben Möglichkeiten, von der Schweiz Auskünfte zu verlangen, wie wir sie haben und wie sie unsere Steuerverwaltung auch in Anspruch nimmt. Für die Vergangenheit gab es diese Regelung. Von der rot-grünen Koalition wurde der Versuch einer Amnestie unternommen. Der ist nicht sehr erfolgreich gewesen. Wir haben einen Versuch mit einer Regelung gemacht, die in 90 Prozent aller Fälle eine höhere Besteuerung als die Regelbesteuerung bei der strafbefreienden Selbstanzeige vorgesehen hätte. Menschen, die in Deutschland steuerpflichtig sind und bei Schweizer Banken Einlagen haben, hätten ab dem 1. Januar drei Möglichkeiten gehabt: Entweder hätten sie einen Nachweis ihres zuständigen Finanzamtes über die ordnungsgemäße Besteuerung vorlegen müssen, oder sie wären einer pauschalierten Besteuerung, die höher als die Regelbesteuerung ist, unterworfen worden, oder die Schweizer Bank hätte ihre Geschäftsbeziehung beendet und die Schweiz hätte uns gemeldet, wohin die Bestände abgezogen sind. Sie haben immer vom Abschleichen geredet. Der jetzige Fall hat Sie gar nicht dazu gebracht, zu sagen, dass das mit dem Abschleichen offenbar gar keine so große Gefahr gewesen ist. Im Übrigen, Herr Kollege Gambke, gebietet die Wahrheit doch, zu sagen, dass der schon erwähnte Ministerpräsident Kretschmann ein Befürworter dieses Abkommens war - wie ich übrigens von keinem Landesfinanzminister der Bundesrepublik Deutschland in den Monaten der Verhandlungen grundsätzliche Einwände gegen dieses Abkommen gehört habe. ({7}) Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! ({8}) Natürlich sind wir in einer durch viele Urteile überprüften, nicht einfachen rechtlichen Beurteilung zu der Einschätzung gelangt, dass, solange wir die Informationen nicht bekommen, der Ankauf von Datensammlungen auch von Menschen, die sich zumindest nach Schweizer Recht strafbar machen, zulässig und in einer rechtlichen Güterabwägung vertretbar ist. Ihr habt das mitgetragen; wir haben uns daran beteiligt. Dieser Ankauf von Datensammlungen wäre mit dem Inkrafttreten des Abkommens überflüssig geworden, weil wir alle Informationen gehabt hätten. Ohne das Abkommen ist er es nicht. Ihn aber zur regelmäßigen Grundlage des Vollzugs von Steuergesetzen zu machen, kann doch nicht im Ernst die Anforderung an rechtsstaatliche Verhaltensweisen sein. ({9}) Für die Zukunft gilt: Die Lage ist, wie sie ist. Die meisten Steueransprüche für die Vergangenheit werden verjährt sein. Die Schweiz wird auch nicht bereit sein, ein neues bilaterales Abkommen abzuschließen. Wir haben schon die Initiative ergriffen, die Zinsbesteuerungsrichtlinie in der EU entsprechend den FATCA-Abkommen, die alle mit der amerikanischen Regierung abgeschlossen haben - wir werden es in den nächsten Tagen fertigstellen -, auf alle Kapitaleinkünfte auszudehnen und den automatischen Informationsaustausch für die Zukunft - aber eben nicht rückwirkend - einzuführen. Wir werden darauf drängen, dass die EU ein Verhandlungsmandat auch im Hinblick auf Drittstaaten bekommt. Luxemburg hat angekündigt, ab 2015 am automatischen Informationsaustausch teilnehmen zu wollen. Der luxemburgische Finanzminister hat übrigens öffentlich erklärt: Wenn nicht der Nachfolger von Herrn Steinbrück die Beziehungen zu Luxemburg wieder in Ordnung gebracht hätte, dann wäre es in Luxemburg niemals möglich gewesen, diesen Schritt zu gehen. ({10}) Wissen Sie, die Methoden von Wilhelm II. haben in Deutschland schon vor 100 Jahren nicht viel Segen gebracht. ({11}) Ich hoffe, dass der automatische Informationsaustausch sehr bald in Europa und darüber hinaus Standard sein wird. Dann werden wir auch noch einmal in aller Ruhe über die Abgeltungsteuer diskutieren können. Gleichzeitig bemühen wir uns, das OECD-Musterabkommen zu erweitern - das ist ein weiterer Schritt -, um auch darüber den automatischen Informationsaustausch einführen zu können. Das ist noch schwieriger, und es wird Zeit brauchen. Es wäre natürlich die bessere Lösung; denn dadurch hätten wir nicht nur in Europa noch bessere Informationsmöglichkeiten. Wir nutzen das OECD-Musterabkommen häufig. Wir haben - dies ist bereits erwähnt worden - in den letzten Jahren über 40 Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen. Das ist der Weg, den wir mit großem Nachdruck gehen. Ich will eine letzte Bemerkung machen. In der öffentlichen Debatte wird zwischen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung gelegentlich nicht genau unterschieden. Beides ist ärgerlich. Deswegen haben wir die Initiative ergriffen, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten in der globalisierten Welt einzuschränken. Das ist ein mühsamer Weg. Wir gehen ihn konsequent Schritt für Schritt, um dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Steueransprüche, die wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zumuten müssen, um unseren öffentlichen Haushalt zu finanzieren, vollständig und den Regeln der Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit entsprechend vollzogen werden. Das ist der Weg. Alles andere ist unverantwortliche Polemik. Herzlichen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Florian Pronold. Bitte schön, Kollege Florian Pronold. ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich war ab 2002 einige Jahre Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie wir damals die Debatte über die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und die Trockenlegung von Steueroasen geführt haben. Das, was Sie, Herr Wissing und Herr Michelbach, heute gesagt haben, ist dieselbe Platte wie damals. Sie haben Verständnis für Steuerhinterziehung und Steueroasen geäußert. Sie haben sich immer wieder der geistigen Beihilfe schuldig gemacht. ({0}) Wir haben 2003 eine Brücke in die Steuerehrlichkeit geschaffen, aber nicht mit der Möglichkeit der Anonymität. ({1}) - Nein, Entschuldigung. - Bei dieser Brücke in die Steuerehrlichkeit war vorgesehen, dass die Steuerbehörden in Deutschland erfahren, wer etwas hinterzogen hat. ({2}) Trotzdem wäre dies straffrei geblieben. Wir haben diese Brücke im Jahr 2003 geschaffen. Alle hätten die Möglichkeit gehabt, diese Brücke in die Steuerehrlichkeit zu beschreiten. Was ist passiert? So gut wie nichts. Jetzt wird es spannend. Wann fängt denn die Bereitschaft zur Steuerehrlichkeit an? ({3}) Sie fängt in dem Moment an, in dem es gelingt, SteuerCDs anzukaufen, und die Gefahr der Entdeckung wächst. Erst dann wurden die Kohlen so glühend heiß, dass viele nicht mehr ruhig schlafen konnten. Erst dann stieg die Anzahl der Selbstanzeigen an, und erst dann kam das Geld gerechterweise zurück nach Deutschland. ({4}) Mit diesem Steuerabkommen mit der Schweiz hätte man zum Beispiel den Ankauf solcher Steuer-CDs untersagt. ({5}) Wir hätten alle, die sich an kriminellen Machenschaften in der Schweiz beteiligen, straffrei ausgehen lassen. Auch das wäre Bestandteil dieses Steuerabkommens gewesen. ({6}) Vor allem hätte es nicht dazu geführt, dass die Anonymität aufgehoben wird. Das war die größte Sauerei bei Ihrem Versuch. ({7}) In all den Debatten, die wir im Deutschen Bundestag über dieses Thema geführt haben, haben wir erlebt, wie sehr das Vorhaben, Steuer-CDs anzukaufen, von Herrn Wissing und vielen anderen bekämpft worden ist. ({8}) Sie machen sich mehr Sorgen um Steuerhinterzieher und Staaten, deren Geschäftsmodell auf Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität beruht, als über den ehrlichen und anständigen Steuerzahler in Deutschland. ({9}) Jeder Arbeitnehmer muss seine Steuererklärung abgeben. Aber Millionäre, die meinen, sie könnten für sich ein Sonderrecht in Anspruch nehmen, bekommen von FDP und CDU/CSU fürsorglich und inbrünstig Zuwendung, und zwar in jeder Debatte. ({10}) Herr Michelbach, halten Sie sich nur einmal Folgendes vor Augen: Erwin Huber, der frühere Vorsitzende der CSU, hat wieder einmal bekannt - zu lesen im heutigen Münchner Merkur -, dass dieses Thema im Freistaat Bayern eine Frage der Standortpolitik war und man sogar Werbung damit gemacht hat, weniger Steuerfahnder und Steuerprüfer als andere Bundesländer zu haben. Ich würde mir wünschen, Sie verhielten sich auch den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber so fürsorglich. ({11}) Aber nein, ein Unternehmen mittlerer Größe wird in Bayern nur alle 40 Jahre geprüft. Der Bayerische Oberste Rechnungshof hat festgestellt - das ist fast wie in Dinner for One an Silvester; er stellt das nämlich jedes Jahr fest -, dass die bayerische Steuerverwaltung unterbesetzt ist. 40 Prozent der Posten, die mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht und mit der Durchführung von Betriebsprüfungen zu tun haben, sind nicht besetzt. Das war Standortpolitik, und das war gewollt. ({12}) Markus Söder hat angesichts der steuerpolitischen Debatte, in der im Hinblick auf die rot-grünen Steuerpläne Unsinn und Angst verbreitet werden, noch vor wenigen Monaten sogar Verständnis für Steuerflucht geäußert, und das als jemand, der Finanzminister eines Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland ist. Da muss man sich aufseiten von Schwarz-Gelb doch in Grund und Boden schämen. ({13}) Sie haben ihn aber nicht korrigiert und ihn nicht zur Rechenschaft gezogen. Das ist das Ärgerliche. Auch was den Ankauf von Steuer-CDs angeht, ist es im Freistaat Bayern sehr mau geworden. 22 Angebote lagen vor, kein einziges ist angenommen worden. Markus Söder hat angekündigt, dass er sich an dem Ankauf der CDs durch andere Länder nicht einmal beteiligen will. ({14}) Übrigens haben diese CDs dem Freistaat Bayern in den letzten zwei Jahren Einnahmen von über einer halben Milliarde Euro eingebracht. Allerdings hat Bayern keinen Beitrag zur Förderung der Steuerehrlichkeit leisten wollen. Auch das finde ich schäbig, wenn ich das an dieser Stelle sagen darf. ({15}) Sorgen um die „armen“ Steuerflüchtlinge hat sich insbesondere der bayerische Ministerpräsident gemacht, und zwar auf einer Reise in die Schweiz. Auf einer Delegationsreise in die Schweiz, die im letzten Jahr stattfand, hat er die mitreisende SPD-Abgeordnete Aures mehrmals öffentlich aufgefordert, endlich dafür Sorge zu tragen, dass sich die Bundes-SPD bewegt, um dem Steuerabkommen mit der Schweiz Tür und Tor zu öffnen. Liebe Inge Aures, liebe SPD, liebes Rot-Grün im Bundesrat, herzlichen Dank, dass dieser Unsinn blockiert worden ist! Das war ein guter Tag für die Steuerehrlichkeit. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Daniel Volk. Bitte schön, Kollege Dr. Volk. ({0})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Opposition, diese Debatte wird von Ihnen in einem Stil geführt, den ich zum Teil als für dieses Hohe Haus wirklich unwürdig empfinde. ({0}) Wenn Sie, Herr Kollege Pronold, behaupten, Kollegen von der Union würden sich gewissermaßen zur Kumpanei mit Steuerhinterziehern hinreißen lassen, ({1}) dann, finde ich, ist das diesem Hohen Haus nicht angemessen. ({2}) Herr Kollege Oppermann, dass Sie einem amtierenden Bundesfinanzminister vorwerfen, er würde sich nicht ordnungsgemäß um die Kassen des Staates kümmern, ist ebenfalls unwürdig. Hinzu kommt: Es ist auch falsch. Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen. ({3}) Da können Sie dem amtierenden Bundesfinanzminister, der einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen wird, doch nicht allen Ernstes vorwerfen, er würde sich nicht angemessen um die Staatsfinanzen kümmern. Das ist wirklich unwürdig und falsch. ({4}) Unwürdig ist auch, wenn Sie, liebe Kollegen von der Opposition, einen Einzelfall, der momentan durch die Medien geht, ({5}) dazu nutzen, Pauschalurteile zu treffen wie zum Beispiel, alle Millionäre würden bei ihrer Steuerhinterziehung von der Politik geradezu noch unterstützt. ({6}) Eine solche Form der Pauschalisierung ist, glaube ich, der Ernsthaftigkeit dieses Themas nicht angemessen. Dementsprechend dankbar bin ich dem Bundesfinanzminister, dass er hier in aller Sachlichkeit noch einmal dargelegt hat, unter welchen Koordinaten das Abkommen mit der Schweiz ausgehandelt wurde und warum es für die Vergangenheit die einzig mögliche Lösung gewesen wäre. Sie von der Opposition bieten ja keine Lösungen für die Vergangenheit. ({7}) Es ist abwegig, wenn Sie darauf verweisen, mit dem Ankauf von Steuer-CDs würden alle Steuerpflichtigen gleichmäßig zur Besteuerung herangezogen. Das ist einfach falsch. So wird man das niemals schaffen. Der Ankauf von Steuer-CDs kann immer nur punktuell wirken, aber niemals gleichmäßig über alle Steuerpflichtigen. ({8}) Das Vertrauen in den Rechtsstaat gebietet aber, dass wir alle Steuerpflichtigen gleichmäßig zur Besteuerung heranziehen. ({9}) Eine Antwort auf die Frage, wie das erreicht werden soll, bleiben Sie weiterhin schuldig. ({10}) Natürlich haben Sie bei Ihrer Argumentation ein großes Problem; denn Sie waren es, die mit der Ablehnung des deutsch-schweizerischen Abkommens für die Vergangenheit bewirkt haben, dass Milliarden, die dem Bundeshaushalt, aber auch den Länderhaushalten und den Kommunalhaushalten zugeflossen wären, nicht fließen werden. Das ist Ihre Verantwortung aufgrund der Ablehnung dieses Steuerabkommens. ({11}) Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen. Andererseits behaupten Sie doch immer, dass der Staat bzw. die Bundesländer unterfinanziert seien. Die Widersprüchlichkeit Ihrer Aussagen ist also offensichtlich. Ich darf jetzt zum zweiten Punkt dieser Aktuellen Stunde kommen, zur Vermögensabgabe bzw. Vermögensteuer; die SPD spricht von einer Vermögensteuer, die Grünen sprechen von einer Vermögensabgabe. Diese Vermögensabgabe soll für zehn Jahre eingeführt werden, um dann durch eine Vermögensteuer ersetzt zu werden; das habe ich so, glaube ich, richtig verstanden. ({12}) Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, behauptet überall, Betriebsvermögen würden bei Einführung einer Vermögensteuer oder Vermögensabgabe ausgenommen. ({13}) Peer Steinbrück sagt dies entweder wider besseres Wissen, oder er weiß es schlichtweg nicht. Eine Unterscheidung zwischen Privatvermögen einerseits und Betriebsvermögen andererseits ist doch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich. Dementsprechend wird eine Vermögensteuer oder Vermögensabgabe dazu führen, dass mittelständische Unternehmen in Deutschland mit einer Substanzbesteuerung belastet werden, die die Eigenkapitalbasis dieser Unternehmen reduzieren wird, was negative Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in Deutschland hat. Wir haben in den letzten vier Jahren eine Steuerpolitik gemacht, die dazu geführt hat, dass sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt konkurrenzlos gut entwickelt haben. ({14}) Das waren vier gute Jahre für Deutschland. Wir werden dafür sorgen, dass eine Politik, wie Sie sie vorschlagen, in Deutschland niemals Raum finden wird. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Jürgen Trittin. Bitte schön, Kollege Jürgen Trittin. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So ganz habe ich das nicht verstanden, Herr Michelbach. Sie haben ja fast so getan, als würden Sie Herrn Hoeneß gar nicht kennen. ({0}) Er ist immerhin so unbekannt, dass er - das können Sie nachlesen - mit der Bundeskanzlerin zusammen eine Initiative entwickelt hat unter der Überschrift „Geh Deinen Weg“. Da war Ihnen Herr Hoeneß als Kronzeuge gegen eine angemessene und leistungsgerechte Besteuerung in dieser Gesellschaft lieb. Da kannten Sie ihn noch. Heute ist das wohl anders. ({1}) Heute erklärt Herr Schäuble: Das ist ein Einzelfall. Lieber Herr Schäuble, das ist ein Einzelfall von 3 356 Einzelfällen; denn so viele Steuerhinterzieher haben sich allein in diesem Jahr aufgrund des Scheiterns dieses Abkommens selbst angezeigt. ({2}) Eines können Sie dem Herrn Hoeneß nicht vorwerfen, nämlich dass er sich nicht treu geblieben ist. Er ist weiterhin Kronzeuge. Er ist nämlich der Kronzeuge gegen Ihr Abkommen, weil er öffentlich erklärt hat: Ich habe mich darauf verlassen, dass ich für diesen schweren Fehler - so nennt er das heute - künftig in der Anonymität bleibe. Eine schärfere Kritik an Ihrem Abkommen als die kann ich mir gar nicht vorstellen. ({3}) Sie wissen, dass es, wenn dieses Abkommen durchgekommen wäre, all die Schritte, von denen Sie jetzt angeblich so begeistert wird, nämlich die Aufhebung der Haltung von Luxemburg und Österreich und der Schritt hin zum automatisierten Datenabgleich, nicht gegeben hätte, ({4}) weil sich Luxemburg und Österreich hinter Ihnen und Ihrem Geldwaschabkommen versteckt hätten. ({5}) Ja, es gibt einen Schritt hin zu mehr Ehrlichkeit, weil es einen Verfolgungsdruck gibt, und ich glaube, dass wir an dieser Stelle ein ganzes Stück weitergekommen sind, weil wir dieses Abkommen verhindert haben. ({6}) Ich glaube aber auch, dass das nicht hinreichend ist. Sie können hier nicht einfach sagen: Ich wünsch mir was. Nein, Sie regieren noch - bis zum 22. September 2013. Was ist denn mit dem, wie es die USA praktizieren, und den entsprechenden Vorschlägen? Die Erteilung einer Banklizenz wird dort daran geknüpft, dass der Zugang der USA zu den Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger in dem jeweiligen Land gewährleistet ist. Warum gehen Sie diesen Schritt nicht? ({7}) Herr Schäuble, Sie haben darüber geredet, dass es auch um Steuervermeidung und darum geht, Steuerschlupflöcher und Steueroasen für legale Steuervermeidung zu schließen. Warum fassen Sie sich denn nicht an die eigene Nase? Es ist doch auch so, dass sich Deutschland seine Steueroase gönnt, nämlich im Bereich der Vermögen- und Erbschaftsteuer. 2 Prozent unseres Steueraufkommens resultieren aus diesen Steuern. Das ist nicht einmal die Hälfte des Durchschnitts der entwickelten Industrieländer. Frankreich - übrigens das Frankreich Sarkozys, nicht das Hollandes - erhält 8,5 Prozent daraus, und das Land des freien Marktes, des ungezügelten Kapitalismus, die USA, generiert 13 Prozent seines Aufkommens aus Steuern auf Vermögen und Erbschaften. Und Sie wollen krampfhaft daran festhalten, dass Deutschland bei diesen Steuern eine Steueroase bleibt! Auch das geht nicht. Auch dieses ist zu beenden. ({8}) Sie können ja lange darüber philosophieren, ob es im Rahmen der Strafverfolgung Sinn macht, Selbstanzeigen und Ähnliches zuzulassen. In Bezug auf Straftaten, die im Ergebnis nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können, weil jemand um Millionen betrogen hat - stellen Sie sich einmal vor, jemand würde 1 000 Omas jeweils um 1 000 Euro erleichtern und könnte sich mit der einfachen Erklärung: „War nicht so gemeint“, von einem öffentlichen Verfahren verabschieden -, sage ich Ihnen: In der Tat glaube ich, dass über eine solche Entscheidung nicht auf dem kurzen Wege zwischen dem Anwalt und der Staatsanwaltschaft entschieden werden kann. Das soll möglich bleiben, aber dieses muss durch ein Gericht entschieden werden. Auf dem Weg in die Legalität darf man nicht durch die Hintertür gehen und anonym bleiben. Da ist schon der Anspruch auf Transparenz vorhanden. ({9}) Letzte Bemerkung. Uli Hoeneß hat noch einen Satz gesagt: Ich weiß, dass das doof ist. Aber ich zahle volle Steuern. Meine Damen und Herren, dieser Satz war nicht nur gelogen, sondern auch dumm. ({10}) Es ist klug, Steuern zu zahlen: damit Polizistinnen und Polizisten für Sicherheit sorgen, damit unsere Kinder zur Schule, in die Kita und in die Universität gehen können, damit sozial Schwachen geholfen werden kann. Es ist klug, Steuern zu zahlen, damit unsere Unternehmen mit einer leistungsfähigen Infrastruktur wettbewerbsfähig bleiben. ({11}) Deswegen ist diese verlogene Doppelmoral, die im Fall Hoeneß offensichtlich zutage tritt, nicht akzeptabel. Sie sollten aufhören, sich zum Schutzpatron für diese verlogene Doppelmoral zu machen. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Manfred Kolbe. Bitte schön, Kollege Manfred Kolbe. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister a. D. Jürgen Trittin, das war wieder eine Ansammlung von Sprechblasen und Halbwahrheiten, ohne dass irgendetwas Programmatisches für die Zukunft in Ihrer Rede enthalten war. ({0}) Ich erwähne einmal drei Punkte: Erstens: Eichels Steueramnestie - Sie saßen bekanntermaßen zwischen 1998 und 2005 im Kabinett, wenn auch in einem anderen Ressort, waren also an der Regierungspolitik beteiligt - sah eine Reduzierung der Bemessungsgrundlage um 60 Prozent bei der hinterzogenen Einkommensteuer, 80 Prozent bei der Erbschaftsteuer und 90 Prozent bei der Gewerbesteuer vor. Das Ganze haben Sie als „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ verkauft. ({1}) Natürlich sollte auch dabei Anonymität gelten. Sie tun immer so, als seien Sie damals für Offenheit gewesen. ({2}) Natürlich sollte auch dabei Anonymität gelten, Herr Pronold, weil das Steuergeheimnis ebenfalls gegolten hätte. ({3}) Noch einmal: Es sollte genauso Anonymität gelten. ({4}) Herr Oppermann, wenn Sie einen Verlust des Vertrauens in den Rechtsstaat sehen, dann müssen Sie eingestehen: Das müsste auch im Hinblick auf Eichels Politik gelten. Wir haben damals in der Tat einen Verlust des Vertrauens in den Rechtsstaat gesehen. Zweitens. Sie haben wieder Uli Hoeneß erwähnt, in der Hoffnung, uns damit zu treffen. Niemand will sein Verhalten entschuldigen. Wir wissen auch noch gar nicht alles. Ich glaube deswegen, wir können uns dazu noch nicht abschließend äußern. Aber es gibt auch Fälle aus Ihrem Bereich. Nehmen Sie den französischen Haushaltsminister Cahuzac, einen Champagnersozialisten aus Paris, also mit Ihnen verwandt. ({5}) Wir erwähnen ihn doch auch nicht jeden Tag und reden hier nicht von einer verächtlichen Doppelmoral der Sozialisten. Also, wenn Sie solche Beispiele suchen, dann suchen Sie sie doch auch aus anderen Bereichen heraus. Drittens. Wenn Sie schon als Finanzminister in spe - ich glaube nicht, dass Sie Finanzminister werden Vergleiche zwischen dem Steuersystem der USA und Deutschlands anstellen, dann sollten Sie zumindest Grundkenntnisse haben. Die Grundsteuer hat in den USA eine ganz andere Funktion als in Deutschland. Dafür gibt es dort wesentlich andere, niedrigere Steuern. ({6}) Das war also ein Vergleich, der einfach hinkt. Es geht nicht an, bloß die Grundsteuern zu vergleichen. Lassen Sie mich zusammenfassen und zu den Fakten zurückkehren. ({7}) Ich möchte auf das verweisen, was diese Koalition zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung geleistet hat. Es gibt in der Tat, Herr Pronold, eine Wendemarke: Das ist das Jahr 2005; das ist die Regierungsübernahme der Union. Seitdem ist das Leben für Steuerhinterzieher härter geworden. ({8}) - Ich weiß nicht, warum die Sozialdemokraten so lachen. An den ersten Jahren einer unionsgeführten Regierung haben sie ja durchaus mitgewirkt; das haben wir ja die ersten Jahre gemeinsam bewerkstelligt. Deshalb verstehe ich Ihre Reaktion überhaupt nicht. ({9}) Wir haben damals die Bekämpfung der bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung eingeführt. Wir haben die Telekommunikationsüberwachung bei schweren Steuerdelikten eingeführt. Wir haben damals die Verjährungsfrist verlängert, Herr Oppermann. Wir sind schon da, wo Sie noch hinwollen. Bezüglich des Ankaufs von Steuer-CDs hatte Bundeskanzlerin Merkel von Anfang an eine glasklare Position gehabt. Außerdem haben wir die strafbefreiende Selbstanzeige eingeschränkt. ({10}) Zur strafbefreienden Selbstanzeige habe ich heute einmal den Tickerdienst durchgeschaut und bei der SPD fünf Meinungen dazu gefunden. Da gibt es Herrn Steinbrück, der sie beibehalten möchte und dann noch sagt, sie dürfe aber nur dann greifen, wenn die Steuerfahndung noch nicht auf der Spur sei. Das ist eine Selbstverständlichkeit; ({11}) auch da offenbart Ihr Kanzlerkandidat, indem er das betont, wieder profunde Kenntnis. Dann gibt es Herrn Stegner, der sie ganz abschaffen will, Herrn Gabriel, der sie auf geringfügige Delikte beschränken will, und Herrn Oppermann, der sie nur noch vorübergehend haben will; Sie, Herr Poß, haben eine fünfte Meinung; an sie erinnere ich mich jetzt nicht mehr. ({12}) Sie müssen schon wissen, was Sie wollen. Wir haben hier die notwendigen Reformen durchgeführt. Wir haben schon vor drei Jahren - Herr Pronold, dazu hat uns niemand gezwungen, weil wir das als christlich-liberale Koalition gemacht haben, ohne Ihre Hilfe - den Zeitpunkt der Entdeckung vorverlegt; er war in der Tat zu spät. ({13}) Wir haben die Teilselbstanzeige abgeschafft - jeder muss sich jetzt vollkommen offenbaren -, und wir haben einen Zuschlag für Hinterziehungszinsen eingeführt. ({14}) Also, die Koalition hat hier durchaus gehandelt, ({15}) auf dem Weg zu einem Ziel, zu dem Sie noch hinwollen, wobei Sie nicht genau wissen, wohin Sie wollen. ({16}) Wir sind auch für die Beibehaltung der strafbefreienden Selbstanzeige - lassen Sie mich das zum Abschluss noch sagen -, weil das kein Fremdkörper im Strafrecht ist, wie es immer dargestellt wird. Auch da zeigt, wer das sagt, komplette Unkenntnis. Das ist ein Fall des Rücktritts vom beendeten Versuch, und ihn haben Sie an vielen Stellen im Strafrecht. Den haben Sie bei der Fälschung von Geld- und Wertzeichen, den haben Sie bei der Geldwäsche, den haben Sie beim Subventionsbetrug, den haben Sie bei der Brandstiftung. Wer den Brand wieder löscht, geht straffrei aus. ({17}) Diesen Rücktritt haben Sie auch bei vielen anderen Tatbeständen. Das ist ein Tatbestand, der durchaus systemimmanent ist. ({18}) Wir haben ihn auf das Notwendige reduziert, und wir wollen ihn beibehalten. Diese Bundesregierung wird weiter gegen Steuerhinterziehung kämpfen. Es ist in Deutschland - das ist unser Erfolg - für Steuersünder härter geworden, und das ist gut so. ({19})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Carsten Sieling. - Bitte schön, Kollege Dr. Sieling. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In solchen Aktuellen Stunden gibt es immer den Zeitpunkt, zu dem sich die Menge der Falschaussagen wirklich angehäuft hat, sodass man kaum noch die Möglichkeit hat, sie alle abzuarbeiten. ({0}) Aber ich will gern die Gelegenheit nutzen, einige der Punkte aufzunehmen. ({1}) Die erste Falschaussage, die ich hier aufnehmen möchte, weil sie wirklich offenkundig war, Herr Kollege Kolbe, ist die, dass bei der von Hans Eichel als Finanzminister vorgesehenen Amnestie Anonymität gewahrt worden wäre. Ganz genau das Gegenteil ist die Wahrheit: ({2}) Die Steuerhinterzieher wären gemeldet worden; sie wären nicht anonym geblieben. ({3}) Das Zweite, was in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist die Tatsache, meine Damen und Herren, dass es dann darum geht, dass das Steuergeheimnis und das Bankgeheimnis angegangen werden müssen, und auch das hat Rot-Grün damals gemacht und versucht. Wir haben hier in diesem Deutschen Bundestag nach 2002 eine Mehrheit dafür gehabt. Aber dann musste dies wie alle Steuerfragen in den Bundesrat, und im Bundesrat ist es von den CDU/FDP-geführten Ländern blockiert worden. ({4}) Herr Kollege Kolbe, Sie waren vielleicht damals noch Staatsminister in Sachsen und somit aktiv beteiligt, weil nämlich auch Sachsen das blockiert hat, und darum reden Sie hier falsch Zeugnis. Meine Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen. ({5}) Für schlimmer erachte ich die Eindrücke, die erweckt werden. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben einen dieser Eindrücke hier erweckt, die ich noch einmal sehr deutlich aufnehmen möchte, mit der Unterstellung nämlich, dass wir Sozialdemokraten uns und auch die anderen Oppositionsfraktionen sich jetzt an dem Einzelfall Hoeneß aufhängten und wir diesen Einzelfall für uns nutzten. ({6}) Herr Bundesfinanzminister, Sie müssten wissen, was mittlerweile die Wochenzeitung Die Zeit auch schreibt: dass seit 2010 47 400 Menschen - ich sage diese Zahl ganz ausdrücklich - in Deutschland Selbstanzeige vorgenommen haben, weil sie genau diese Gefahr sehen. 47 400-mal Uli Hoeneß! Das ist kein Einzelfall, das ist eine große Zahl von Menschen, die Gott sei Dank dies ermöglicht haben. Der politische Punkt ist doch in der Tat, dass Herr Hoeneß deutlich gesagt hat, warum er gewartet hat: nämlich auf das Deutsch-Schweizer Steuerabkommen, das Sie natürlich hätten besser machen können. Ich will auch sagen, was Sie während der Verhandlungen teilweise besser gemacht haben. In der Debatte hatten Sie schon eine Vorlage vorgelegt. Dann haben wir gedrängt und gesagt: So geht das nicht. - Daraufhin sind Sie losmarschiert und haben nachverhandelt. Also, dass man nicht nachverhandeln kann, gilt hier nicht als Ausrede. Allerdings waren diese Nachverhandlungen völlig unzureichend. Ich will an dieser Stelle einmal, damit das klar ist, drei zentrale Defizite nennen. Der erste Punkt ist: In dem Abkommen war vorgesehen, dass deutsche Anleger mit Geld in der Schweiz noch bis Ende 2012 die Gelegenheit gehabt hätten, ihr Geld woandershin zu transferieren. Vielleicht haben Leute wie Herr Hoeneß und andere darauf gewartet, um ihr Geld in anderen Steueroasen anzulegen. Ich weiß es nicht und will ihm das gar nicht unterstellen, aber wenn so eine Frist in dem Abkommen gestanden hätte, muss man heutzutage von allem ausgehen. Sie haben diese Möglichkeit geschaffen. Das ist der erste Grund, warum dieses Steuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt werden musste. ({7}) Der zweite Mangel war, dass der hier schon angesprochene automatische Informationsaustausch in dem Abkommen nicht vorgesehen war. Diesen Austausch brauchen wir. Er entspricht internationalen Standards. Mittlerweile höre ich Gott sei Dank auch aus Ihrem Hause und auch von Ihnen, dass Sie die Zinsrichtlinie an dieser Stelle wirksam umsetzen wollen. ({8}) Der dritte Mangel - das will ich ausdrücklich sagen, Herr Kollege Volk -: Es kann kein Abkommen geschlossen werden, auch wenn Ihnen das gut gefällt, worin festgeschrieben wird, dass die deutschen Behörden nicht weiter ermitteln dürfen. ({9}) Es muss weiter möglich sein, Menschen, die kriminell geworden sind, zu fassen. Das hätte ein notwendiger Teil - Thomas Oppermann hat es „Staatsräson“ genannt dieses Abkommens sein müssen. Ich will hier zuletzt sehr deutlich sagen, dass die von SPD und Grünen regierten Bundesländer nicht mit Vergnügen und nicht mit Freude tagtäglich Steuer-CDs kaufen wollen. ({10}) Das ist eine Notmaßnahme; ({11}) das wissen auch Sie, Herr Michelbach. Unglaublich ist, dass sich an dieser Notmaßnahme nicht alle beteiligen. Das Bundesfinanzministerium hat in der letzten Woche erklärt, dass es den Ankauf von Steuer-CDs erstmalig akzeptiert. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Kauder, hat vorhin „Hehlerei“ dazwischengerufen. Das habe ich in den letzten Wochen bisher nur von der FDP gehört. Das finde ich unglaublich. Das ist keine Hehlerei. ({12}) Ich will hier sagen: Ich erwarte, dass alle Bundesländer und auch das Bundesfinanzministerium sich dazu stellen und sich an den Ankaufkosten beteiligen, damit man zeigt, dass wir es ernst meinen; ({13}) denn wir müssen jetzt Signale setzen. ({14}) Ich sage Ihnen gern an dieser Stelle auch: Für uns ist das kein Wahlkampfthema. Wir wollen etwas verändern, hin zu mehr Gerechtigkeit. Wenn Sie in den nächsten Wochen bereit sind, mit uns durchgreifende Maßnahmen zu machen, beschließen wir das ({15}) und nehmen damit das Thema aus dem Wahlkampf heraus. Dann machen wir mit Ihnen eine vernünftige Gesetzgebung dazu in Deutschland. Aber ich glaube, Sie bewegen sich hier nicht. Deshalb brauchen wir den Regierungswechsel. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Dr. Mathias Middelberg. Bitte schön, Kollege Dr. Mathias Middelberg. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat, wenn man sorgfältig auf die sachlichen Argumente gehört hat, gezeigt, dass man mit der Schweiz kein besseres Abkommen hätte aushandeln können. Ich glaube, das muss man ganz objektiv sehen. Das, was Wolfgang Schäuble mit der Schweiz ausgehandelt hat, ist das maximal Erreichbare gewesen. ({0}) Ich glaube auch - das hat der Kollege Wissing betont -, dass dies auch unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit die bessere Lösung ist. Mit dem Ankauf von Steuer-CDs können wir allenfalls punktuelle Erfolge landen. Auch wenn in diesem Zusammenhang gerade von 47 000 Menschen die Rede war: In den vergangenen drei Jahren sind bisher lediglich 2 Milliarden Euro geflossen. Wir hätten mit dem Steuerabkommen weitaus höhere Beträge erzielt, wenn wir das Ende letzten Jahres hätten abschließen können. ({1}) Sie beklagen, dass die Anonymität der Anleger gewahrt worden wäre, wenn wir das Abkommen abgeschlossen hätten. ({2}) Die Situation, die wir jetzt haben, ist doch: Die Anleger bleiben weiterhin anonym. ({3}) Wir sind darauf angewiesen, dass wir durch den Ankauf einzelner CDs weiter einzelne Beteiligte strafrechtlich belangen und diese zu Nachzahlungen veranlassen können. Das Steuerabkommen mit der Schweiz hätte die Nachversteuerung sämtlicher Konten und Depots in der Schweiz gewährleistet. Der Kollege Sieling hat das eben nicht richtig wiedergegeben. Sie haben das nicht richtig wiedergegeben, Herr Sieling. Sie haben es auch nicht sorgfältig gelesen. Denn es wäre auf den Kapitalbestand am 31. Dezember 2010 abgestellt worden. Danach wäre also mit Abschleichen nichts mehr gewesen; auch diese Vermögensbestände wären erfasst worden. Für mich ist der entscheidende Gesichtspunkt - damit sind wir auch bei der Frage, was das letzten Endes für den Fiskus bedeutet hätte -: Wir hätten nicht nur auf Zinsen der dort geparkten Gelder Steuern nacherhoben, sondern wir hätten auf das gesamte Kapital pauschal Steuern erhoben. Das heißt, es wären dort die gesamten Konten und Depots in ihrem Bestand besteuert worden, und zwar mit einem Steuersatz zwischen 21 und 41 Prozent. Das sind doch die Fakten, und das unterschlagen Sie in dieser Diskussion. ({4}) Der Kollege Kolbe hat eben zu Recht darauf hingewiesen, wie Ihre Diskussionslage jetzt beim Thema Selbstanzeige ist. Da wissen Sie selber nicht, wie Sie sich dazu aufstellen wollen. Er hat die verschiedenen Beteiligten genannt. Selbst bei Herrn Steinbrück schwankt das ja. Gestern hat Herr Steinbrück noch gesagt, Selbstanzeigen wären eine sinnvolle Sache; dabei müssten wir bleiben. Heute Morgen war davon nur noch ein bisschen die Rede. Wahrscheinlich hat Herr Gabriel ihn angeschoben. Jetzt gibt es nur noch die Selbstanzeige in Bagatellfällen. Damit stellt sich für mich - ich nehme das exemplarisch heraus - auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit bei dem, was Sie steuerpolitisch insgesamt verbreiten. Wir haben uns letzte Woche über das Thema Aufbewahrungsfristen unterhalten. Dabei hat Herr Steinbrück eine große Welle geschoben und gesagt: Ich entlaste den Mittelstand, indem ich die Aufbewahrungsfristen für Rechnungen und Belege verkürze. Jetzt hat die SPD genau das Gegenteil gemacht und dagegen gestimmt. Sie hat ihren eigenen Kanzlerkandidaten bei dem Thema zurückgepfiffen, mit dem er die Mittelständler locken wollte. ({5}) Dann kommt der nächste Punkt. Die Abgeltungsteuer hat der Bundesfinanzminister schon erwähnt. Wir alle erinnern uns an den Satz: Es ist besser, 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. Das ist Originalton Steinbrück zum Thema Abgeltungsteuer. Er hat dann auch noch ausdrücklich gesagt: So simpel ist die Rechnung. Dieses Argument springt einem, wenn man es pragmatisch sieht, ins Auge. Das war damals O-Ton Steinbrück. Wir können uns unter anderen Bedingungen auch über die Abgeltungsteuer unterhalten. Das finde ich völlig richtig. Aber es steht außer Frage, dass Sie vor ein paar Jahren immer dies gesagt haben, und jetzt sagt Herr Steinbrück genau das Gegenteil dessen, was er uns vor ein paar Jahren, nämlich 2007, erzählt hat. Genauso ist es beim Thema Unternehmensteuern. Das wurde wortreich begründet: Wenn wir keine Unternehmensteuerreform machen, - also die Unternehmensteuern absenken wird Deutschland weiter an Steuerbasis … verlieren, und die Staatseinnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben werden auf Dauer nicht mehr, sondern weniger. Eine richtige Erkenntnis Ihres Kanzlerkandidaten. Jetzt verkauft er uns das genaue Gegenteil. ({6}) Es muss eine große Orgie von Steuererhöhungen geben, zusätzlich noch die Vermögensteuer und vieles mehr im Land, damit wir dann da landen, wo Frankreich und andere europäische Staaten, die große ökonomische Probleme haben, heute sind. ({7}) Zum Thema Vermögensteuer sagte Herr Steinbrück 2011: Wenn damit nur das Privatvermögen gemeint wäre, hätte ich damit kein Problem. Dann hätte ich persönlich auch kein Problem damit. Er sagte aber richtigerweise: Die Frage ist aber: Wie halten wir es mit dem Firmenvermögen? Wenn wir es voll besteuern, schwächen wir den Mittelstand. Klammern wir es aus, schaffen wir viele Umgehungsmöglichkeiten nach dem Motto: Der Picasso hängt bei mir nicht mehr im Wohnzimmer, sondern im Besucherzimmer meines Betriebs. Da hat Herr Steinbrück ganz richtig erkannt, was der Kollege Volk ausgeführt hat: dass man nämlich nicht vernünftig trennen kann - auch rechtlich nicht - zwischen Betriebsvermögen und Privatvermögen. Ob Sie ihn zwingen oder ob er das selber macht jetzt erzählt er uns genau das Gegenteil, und zwar bei jeder Gelegenheit. ({8}) Wir können noch ein halbes Dutzend Zitate bringen, in denen er genau das Gegenteil von dem erzählt, was er heute als Kanzlerkandidat verkündet oder mit Fußfesseln verkünden muss. Mit Beinfreiheit ist ja nicht mehr viel bei Ihrem Kandidaten. Das ist doch die entscheidende Frage, nämlich nach der Glaubwürdigkeit, die Sie auch heute groß strapaziert haben. Der Wähler will, wenn er am 22. September wählt, wissen: Kann er sich auf das, was da gesagt wird, verlassen? Eines ist sicher: Was Sie im Bereich der Steuerpolitik bisher verkündet haben und wahrscheinlich auch demnächst verkünden werden, ist mit Sicherheit eines, nämlich nicht verlässlich. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Dr. Frank Steffel. - Bitte schön, Kollege Dr. Frank Steffel. ({0})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, dass die Selbstanzeige von Uli Hoeneß heute so große Aufmerksamkeit hier im Bundestag erfährt, aber auch in der öffentlichen Diskussion, ist aus meiner Sicht geradezu ein Beweis für die Stärke unserer Demokratie und für die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaats; ({0}) denn obwohl es kritikwürdige Einzelfälle gibt, zeigt der Fall Hoeneß geradezu vorbildlich, dass es in Deutschland keine Privilegien für wirtschaftliche, politische, sportliche oder gesellschaftliche Eliten gibt. Wie man dann auf die Idee kommt, so etwas vorzutragen wie insbesondere Herr Oppermann - er ist mittlerweile gegangen - und Sie, Herr Pronold, ist mir völlig schleierhaft. Sie unterstellen den Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen, den Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, den Mitgliedern der Bundesregierung, Kumpanei mit Kriminellen. Was erlauben Sie sich eigentlich? ({1}) Was erlauben Sie sich menschlich, und was erlauben Sie sich politisch? ({2}) Die Kollegin Kotting-Uhl von den Grünen hat eben, als der Kollege Volk gesprochen hat, zugerufen: So wie Sie argumentiert die Mafia! - Was erlauben sich hier eigentlich Kolleginnen und Kollegen, die einen anderen Kollegen mit der Mafia in einen Zusammenhang bringen und ihm vorwerfen, er mache mit den gleichen Methoden Politik, mit denen die Mafia ihre kriminellen Machenschaften betreibt? ({3}) Das zeigt übrigens, wie blank die Nerven bei Ihnen liegen. Herr Trittin, Ihre Überheblichkeit, mit der Sie argumentiert haben, war genauso abstoßend. ({4}) Das zeigt, dass das das letzte Thema, der letzte Strohhalm ist, mit dem Sie versuchen, die Menschen in der Republik gegen eine erfolgreiche Bundesregierung aufzubringen. Die Kollegin Höll hat völlig recht: Wenn es eines Beweises bedurfte, was Sie nach dem 22. September wirklich wollen, dann war es die heutige Debatte. Sie wollen Rot-Rot-Grün. Sie wollen eine andere Bundesrepublik Deutschland. Wir von Schwarz-Gelb wollen das nicht. Darüber werden die Menschen am 22. September abstimmen. Ich bin sicher: Sie werden vernünftig abstimmen, gerade nach dieser Debatte. ({5}) Es freut mich übrigens - um das deutlich zu sagen -, dass alle heutigen Redebeiträge vom gleichen Duktus und von der gleichen Werteordnung geprägt waren, als es um Steuerflucht, Steuerhinterziehung und Steuerehrlichkeit ging. Es ist ein gutes Zeichen für die Menschen in Deutschland, zu erfahren: Alle Parteien - von ganz links bis hin zu den marktwirtschaftlich-liberalen Kräften - sind sehr wohl der Auffassung, dass ein funktionierender, starker Staat vernünftige Steuerzahler, Steuereinnahmen und Steuerehrlichkeit braucht. Das gehört zu unserer Demokratie und gerade zu unserer sozialen Marktwirtschaft. ({6}) Ich wünsche mir, dass wir, wenn wir das nächste Mal an dieser Stelle über andere Werte unseres Staates sprechen, beispielsweise über Angriffe auf unsere Polizeibeamten am 1. Mai in Berlin, ebenso einheitlich die Werte dieses Staates verteidigen, dass wir bei den Themen Drogen, Drogenhandel, Beschaffungskriminalität und Drogenverkauf an Kinder und Jugendliche genauso einheitlich unsere Meinung vertreten. ({7}) Ich wünsche mir, dass Beschädigung von privatem Eigentum - von Graffiti bis Diebstahl - in diesem Hause genauso einheitlich diskutiert und thematisiert wird. ({8}) Lieber Herr Trittin, man merkt Ihnen persönlich Ihre klammheimliche Freude über den Fall Uli Hoeneß an. Ich sage Ihnen: Das stößt die Menschen ab! ({9}) Ich kritisiere nicht, dass Uli Hoeneß Steinbrück beraten hat. Ich kritisiere übrigens auch nicht, dass Uli Hoeneß im aktuellen Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters in München Partei für den SPD-Kandidaten ergriffen hat. Ich finde es gut, wenn sich Prominente einmischen. Ich finde es gut, wenn Politik Persönlichkeiten und Prominente um Rat fragt und um Unterstützung bittet. Sie versuchen aber, aus dem Fehler eines Menschen, aus dem Absturz eines ehemaligen Vorbildes parteipolitischen Nutzen zu ziehen. Das finden die Menschen abstoßend und widerlich. ({10}) Wer wie Uli Hoeneß aus der Abteilung „Attacke“ kommt, darf sich nicht beschweren - ich sage das sehr bewusst zum Abschluss der Debatte -, wenn er selbst nach solchen Vorgängen attackiert wird. Wer austeilt, muss auch einstecken können, und wer Steuern hinterzieht, muss danach auch die Strafe akzeptieren. Ich glaube, dass Uli Hoeneß selbst zuallererst weiß, dass er den größten Fehler seines Lebens gemacht hat und dass er die verdammte Verpflichtung hat, den Menschen zu zeigen, dass man aus Fehlern lernen kann. Übrigens, jeder Mensch, selbst Uli Hoeneß, Herr Trittin, sollte das Recht zur zweiten Chance haben. ({11}) Die Tatsache, dass es einen Haftbefehl gibt, und die Tatsache, dass es Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gibt, zeigen deutlich, dass auch an dieser Stelle der Rechtsstaat funktioniert. Deshalb bin ich sehr sicher, dass am Ende der Debatte übrig bleibt, dass alle Menschen in Deutschland wissen: Regeln gelten im Sport für alle gleich, und Regeln gelten auch in der Steuerpolitik für alle gleich. ({12}) Da gibt es keine Ausnahmen, keinen Bonus für Prominente, ({13}) keinen Bonus für andere Bevölkerungsgruppen, vielmehr geht es schlicht und ergreifend um die Frage: Haben die Menschen in Deutschland das Gefühl, dass wir uns darum bemühen, Steuergerechtigkeit und Steuerehrlichkeit herzustellen? Und das ist das Positive am Fall Hoeneß. Auch er ist ein Beispiel dafür, ({14}) dass alle Deutschen gut beraten sind, lieber ehrlich Steuern zu bezahlen, ruhig zu schlafen, etwas dafür zu tun, damit Gemeinwesen funktioniert. Denn Uli Hoeneß selbst wird am meisten das bereuen, was in den letzten 72 Stunden über ihn hereingebrochen ist. Er ist selber schuld. Und die Menschen, die heute keine Steuern bezahlen, sollten ihn als negatives Vorbild sehen, sich bemühen, es besser zu machen, Steuern zu bezahlen, und ihr Geld ganz schnell aus der Schweiz zurückholen und in Deutschland Steuern bezahlen. Herzlichen Dank. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. April 2013, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.