Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/18/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. Der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges Mitglied Ottmar Schreiner, der am 6. April gestorben ist. Er wurde 67 Jahre alt. Ottmar Schreiner, Saarländer von Geburt und aus Überzeugung, errang erstmals 1980 ein Mandat. Seither gehörte er dem Deutschen Bundestag an, 32 Jahre ohne Unterbrechung als Mitglied der SPD-Fraktion. Die meisten von uns haben also nie einen anderen Bundestag kennengelernt als einen, in dem Ottmar Schreiner seine Stimme erhob, insbesondere und immer wieder für diejenigen, die es im Leben nicht leicht haben. Keine Frage: Sein Herz schlug links. Er selbst hat das einmal so formuliert: „Ich habe diesen Gerechtigkeitsimpuls mit der Muttermilch mitbekommen.“ Als Kind habe er mit seiner Familie „ein Leben an der Armutsgrenze“ geführt, hat er selbst einmal in einem Interview erklärt. Diesem Impuls ist Ottmar Schreiner sein gesamtes politisches und parlamentarisches Leben gefolgt, mit ebenso viel Hartnäckigkeit wie Enthusiasmus. Peter Altmaier hat das in einem sehr persönlichen Nachruf auf seinen Wahlkreiskollegen folgendermaßen auf den Punkt gebracht - ich zitiere -: Vor allem aber war er Sozialpolitiker und Sozialdemokrat, und zwar in dieser Reihenfolge. Das war für seine Partei nicht immer bequem und für ihn ganz gewiss auch nicht. Ottmar Schreiner hatte nicht nur eine klare Position, er konnte sie auch leidenschaftlich vermitteln. Er setzte sich früh dafür ein, dass aus der Marktwirtschaft keine Marktgesellschaft wird. Immer wieder warnte er vor den negativen Folgen, wenn Märkte sich in Bereiche ausdehnen, wo sie nach seiner Überzeugung nicht hingehören. Früher als andere wies er auch auf die Gefahr hin, die von einer Verselbstständigung der Kapitalmärkte ausgeht. Ottmar Schreiner war ein Kollege, der über die Fraktionsgrenzen hinaus geschätzt war, aufgrund seiner Gradlinigkeit, seiner Verlässlichkeit. Er wird uns fehlen. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für das, was er in diesem Haus über Jahrzehnte hinweg geleistet hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Angehörigen spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung eine Wahl zum Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchführen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat mitgeteilt: Das vom Zentralrat der Juden benannte Mitglied Lala Süsskind ist ausgeschieden. Dafür wird der bisherige Stellvertreter, Heinz-Joachim Aris, als Nachfolger vorgeschlagen. Als nachfolgendes stellvertretendes Mitglied wird Frau Barbara Traub benannt. Nach § 19 des entsprechenden Gesetzes müssen auch die von anderen Stellen vorgeschlagenen Mitglieder des Stiftungsrates vom Deutschen Bundestag bestätigt werden. Deshalb darf ich Sie fragen, ob Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Herr Aris ist als Mitglied und Frau Traub als stellvertretendes Mitglied des Stiftungsrates gewählt. Darüber hinaus müssen wir auch noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, für den Kollegen Harald Weinberg den Kollegen Paul Schäfer als Schriftführer zu wählen. Sind Sie auch mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Paul Schäfer als neuer Schriftführer gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Präsident Dr. Norbert Lammert Mehr Geld für Hochschulen - Aufstockung des Hochschulpakts für über 600 000 zusätzliche Studienplätze ({0}) ZP 2 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Sicherung der Stabilität der Euro-Zone - Fi- nanzhilfe für Zypern b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsge- setzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungs- mechanismusgesetzes im Rahmen der Haf- tungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Ab- satz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabili- sierungsmechanismusgesetzes - Drucksache 17/13060 - ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Ergänzung zu TOP 42 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhandlung auf Augenhöhe - Das Urhebervertragsrecht reformieren - Drucksache 17/12625 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine BätzingLichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Joachim Günther ({3}), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren - Drucksache 17/13091 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({5}) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren - Drucksache 17/13092 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({6}) Innenausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken - Drucksache 17/13098 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({7}) Innenausschuss e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Hightech-Strategie 2020 für Deutschland - Bilanz und Perspektiven Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013 - Drucksache 17/13075 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Ergänzung zu TOP 43 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck ({10}), Marieluise Beck ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landbeschaffungsgesetz überprüfen - Drucksachen 17/12195, 17/12741 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer ({12}) Wolfgang Hellmich Harald Koch Katja Keul b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Präsident Dr. Norbert Lammert Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen - Drucksachen 17/10645, 17/13138 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Maag ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ZP 6 Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 - Drucksache 17/10365 hier: Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 17/12940 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus ZP 7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck ({15}), Ute Koczy, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Zukunft der Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und von der Frente Popular de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten - Drucksache 17/11453 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen - Drucksache 17/13089 ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen - Drucksachen 17/12695, 17/13068 Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Gustav Herzog Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck ({18}), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex - Drucksachen 17/9984, 17/12740 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Matthias Heider ZP 11 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung der Aufbewahrungsfristen sowie zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften - Drucksache 17/13082 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({19}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Visafreiheit für Inhaber russischer Dienstpässe - Keine Visumspflicht für Menschen aus dem Westbalkan Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 7, 11, 16 und 24 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 14. März 2012 ({20}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({21}) zur Mitberatung überwiesen werden: Präsident Dr. Norbert Lammert Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung - Drucksache 17/12637 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({22}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Sicherung der Stabilität der Euro-Zone - Fi- nanzhilfe für Zypern b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes - Drucksache 17/13060 Der Antrag des Bundesfinanzministeriums betrifft die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM, die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und dem ESM und die Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding, Haftungsanpassungen für die Republik Zypern, die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre sowie eine entsprechende Verlängerung der Laufzeit des Darlehens an Portugal, ebenfalls um sieben Jahre. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir später über diese fünf Teile des Antrages getrennt abstimmen werden. Über vier dieser gerade genannten Teile werden wir eine namentliche Abstimmung durchführen. Zu dem Antrag liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. ({23})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind bei der Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone gerade im letzten Jahr gut vorangekommen. Wir haben die Währungsunion Schritt für Schritt stabilisiert. Wir haben immer gesagt: Es gibt zur Überwindung dieser Krise nicht eine einfache schnelle Lösung, sondern wir müssen Schritt für Schritt konsequent vorangehen. Zur Stabilisierung und zur Überwindung der Krise sind im Wesentlichen vier Aspekte von Bedeutung. Zum einen müssen in den gefährdeten oder betroffenen Staaten die notwendigen finanz- und wirtschaftspolitischen Reformen durchgesetzt werden. Deswegen ist eine strenge Konditionalität aller Hilfen notwendig. Zum anderen muss unsere Währungsunion zu einer europäischen Stabilitätsunion umgebaut werden, in der der vergemeinschafteten Geldpolitik eine effektive finanzpolitische Säule zur Seite gestellt wird: mit besserer Kontrolle, wirksameren Reformvorgaben und früher greifenden Sanktionen. Dann brauchen wir einen funktionsfähigen Europäischen Stabilitätsmechanismus, um den Krisenstaaten, wenn notwendig, Zeit für Reformen zu verschaffen und um Ansteckungseffekte in Europa verhindern zu können. Schließlich muss der europäische Bankensektor durch ausreichende Eigenkapitalausstattung und durch eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht stabilisiert werden. Auf diesem mühsamen Weg sind wir gut vorangekommen. Man muss sich das angesichts fortlaufender Krisennachrichten gelegentlich ins Gedächtnis zurückrufen. Es stellen sich Erfolge in den Krisenländern ein. Stück um Stück wird auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen. Wenn man sich die Marktentwicklung anschaut, dann stellt man fest: Es gibt zwar immer noch Nervositäten und Unsicherheiten, aber deutlich weniger als noch vor drei Jahren, vor zwei Jahren oder vor einem Jahr. Wir sind auf dem richtigen Weg. ({0}) Aus diesem eingeschlagenen Weg ergibt sich die Notwendigkeit - dabei geht es auch um die Stabilität und die Handlungsfähigkeit der Euro-Zone -, dass wir Zypern helfen. Das ist Gegenstand der heutigen Beratung. Die Hilfe für Zypern zielt eben darauf ab, die bisher erreichten Erfolge in der Euro-Zone zu sichern. Wir wollen und wir müssen verhindern, dass aus den Problemen in Zypern neue Probleme in anderen Ländern der Euro-Zone werden. Es ist wahr: Zypern ist ein Land mit weniger als 1 Million Einwohnern und einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone von 0,2 Prozent, also ein relativ kleines Land. Aber Zypern befindet sich in einer dramatischen Situation. Zypern hat seit anderthalb Jahren praktisch keinen Zugang mehr zu den Finanzmärkten. Wenn wir Zypern nicht helfen, steht Zypern unausweichlich vor dem Staatsbankrott. Zyperns Problem ist eine zu einseitige Wirtschaftspolitik, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat. Es hat sich herausgestellt: Der zyprische Bankensektor war fehlstrukturiert und völlig überdimensioniert. Ein großer Bankensektor an sich - auch das muss man sagen - muss nicht problematisch sein, aber im Falle Zyperns war eine Anlage auf dem zyprischen Finanzplatz eine Spekulation auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zyprischen Staates, der als alleiniger Garantiegeber hinter diesem Finanzplatz stand. Im Unterschied zu anderen Finanzplätzen in Europa - das ist wichtig, damit man keine falschen Schlussfolgerungen zieht - haben wir es in Zypern auch nicht in erster Linie mit Tochterunternehmen anderer großer ausländischer Banken zu tun. Daraus ergibt sich eine spezifische Situation Zyperns. Deswegen kann es für Zypern - das ist das Wesentliche - keine Lösung geben, die nicht eine deutliche Verkleinerung des Bankensektors umfasst. Das ist also notwendig und mit dem heute vorgelegten Hilfsprogramm gewährleistet. ({1}) Im Übrigen zeigt der Fall Zypern auch, wie wichtig es ist, dass wir in Europa eine funktionierende Bankenaufsicht schaffen, gerade auch, wenn nationale Bankenaufsicht offensichtlich an ihre Grenzen stößt oder gestoßen ist. In Zukunft wird eine europäische Bankenaufsicht mindestens die drei bedeutendsten Kreditinstitute in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat beaufsichtigen. So werden wir in Europa früher eingreifen können, etwa um drohende Schäden zu verhindern. Im Vergleich zur funktionierenden Bankenaufsicht, die wir jetzt aufbauen, wäre eine Verlagerung der Risiken auf einen europäischen Rettungsfonds, also eine Vergemeinschaftung der Risiken, keine Lösung gewesen. Das hätte in der Sache überhaupt kein Problem gelöst, sondern wäre nur wieder eine Verlagerung der Risiken gewesen. Entscheidend ist eine durchsetzungsstarke Aufsicht, die sich auch ohne Rücksicht auf nationale Interessen gegen Fehlentwicklungen durchsetzen kann. Auch bei Zypern gilt, was immer gegolten hat: Hilfe ist immer Hilfe zur Selbsthilfe. Im Übrigen ist Solidität die Gegenleistung für Solidarität. Auch daran muss man gelegentlich und immer wieder erinnern. ({2}) Zypern geht seine Probleme an. Wir, die Partner in der Euro-Zone, helfen, dass das in geordneten Bahnen geschehen kann. Aber Zypern selbst muss erhebliche Anstrengungen aufbringen, und die bringt es auf. Der ESM-Vertrag und das deutsche ESM-Finanzierungsgesetz enthalten ja klare Vorgaben, die erfüllt sein müssen, damit ein Land Finanzhilfe aus dem ESM erhalten kann: Die eine Bedingung ist, dass die Hilfe der Wahrung der Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes dient, dass sie dafür notwendig ist. Das ist die sogenannte Systemrelevanz. Die andere Bedingung ist, dass die Hilfe Sinn machen muss. Dabei geht es um die Umsetzung des Grundsatzes der Schuldentragfähigkeit. Die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds haben bestätigt, dass von Zypern Ansteckungseffekte für die gesamte Euro-Zone ausgehen können. Deshalb halten wir eine Finanzhilfe für Zypern für notwendig und sehen die Voraussetzung der Systemrelevanz als gegeben an. Man muss sich klarmachen: Bei einer Staatsinsolvenz Zyperns bestünde ein großes Ansteckungsrisiko etwa für Griechenland; aber auch Länder, die unter dem Programm stehen, und andere Länder, die auf den Finanzmärkten nervös beurteilt werden, würden bei einer negativen Signalwirkung oder erneut aufkommenden Zweifeln an der Integrität der Euro-Zone in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch könnte der Marktzugang anderer Staaten gefährdet sein. Man muss daran erinnern: Portugal und Irland nähern sich dem erfolgreichen Abschluss ihrer Anpassungsprogramme, Spanien ist auf einem guten Weg, auch Italien hat erfolgreich seine Bedingungen am Markt verbessert. All dies könnte durch eine Staatsinsolvenz Zyperns gefährdet werden. Daraus folgern die genannten Institutionen und auch wir die Systemrelevanz Zyperns. Die Erfüllung der Voraussetzung der Schuldentragfähigkeit wird durch die von der Euro-Gruppe mit Zypern vereinbarten Eckpunkte und durch das, was wir dem Deutschen Bundestag heute als Programmentwurf vorlegen, gewährleistet. Nach den Berechnungen der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds darf das Programmvolumen 10 Milliarden Euro nicht überschreiten, damit die finanzielle Tragfähigkeit gewährleistet ist. Unter Zugrundelegung dieser Größenordnung rechnet die Troika damit, dass die Schuldenquote im Jahr 2020 bei rund 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Zyperns liegen wird. Dies wird als tragfähig angesehen. Die Annahmen, die der Tragfähigkeitsberechnung zugrunde liegen, sind angesichts der aktuellen Entwicklungen in den letzten Wochen übrigens noch einmal vorsichtiger angesetzt worden, sodass ich davon ausgehe, dass dies eine verantwortliche Schätzung ist. Die Programmmittel in Höhe von 10 Milliarden Euro werden nicht zur Rekapitalisierung der Laiki Bank oder der Bank of Cyprus verwendet. Das sind die beiden Banken, die praktisch insolvent sind und in den vergangenen Monaten nur durch die Notfallliquiditätshilfe des europäischen Währungssystems solvent gehalten worden sind. Das Programm dient der Überbrückungsfinanzierung des zyprischen Haushalts in einer Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro und in einem geringeren Umfang, nämlich in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, der Rekapitalisierung und Umstrukturierung des übrigen Bankensektors - nicht der beiden betroffenen großen Banken in Zypern. Wir haben uns übrigens von Anfang an und immer wieder dafür ausgesprochen - insbesondere zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds -, dass bei der Lösung der Probleme der beiden großen insolventen Banken zuerst und zuvorderst die Eigentümer und bestimmte Fremdkapitalgeber herangezogen werden. Man muss daran erinnern: Wer in Zypern besondere Chancen durch günstige steuerliche Regelungen, geringere Transparenzvorschriften und andere günstige Rahmenbedingungen und im Übrigen auch höhere Zinsen gesucht hat, der ist damit besondere Risiken eingegangen. So ist es bei Finanzanlagen: Höhere Zinsen entsprechen höheren Risiken. Wenn sich diese Risiken realisieren, dann muss man sie auch tragen. ({3}) Wir alle haben uns weltweit verpflichtet - ich sage das auch im Vorfeld der Tagung des Internationalen Währungsfonds, die heute Abend in Washington beginnt -, als Lehre aus der Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008, die sich nicht wiederholen darf, dafür zu sorgen, dass die Risiken des Bankensektors, die durch eine Maximierung von spekulativen und kurzfristigen hohen Gewinnen angehäuft werden, nicht am Ende zuerst und zuvorderst von der Gemeinschaft der Steuerzahler getragen werden. Deswegen gab es keinen anderen Weg als den, an der Restrukturierung der beiden großen Banken zuvorderst die Eigentümer und die Anlagegläubiger zu beteiligen. Risiko und Haftung gehören zusammen. Es ist wahr, wir haben in dem langen Ringen um diese Lösung zur Kenntnis nehmen müssen, dass andere befürchtet haben, dass von einem sogenannten Bail-in zunächst große Verunsicherungsgefahren für die Finanzmärkte ausgehen. Deswegen gab es außer vom Internationalen Währungsfonds und der deutschen Bundesregierung am Anfang nicht allzu viel Unterstützung für die Position, auf die man sich jetzt geeinigt hat. Auch daran muss man erinnern dürfen. Aber inzwischen ist klar geworden, dass es ohne Beteiligung der Einleger nicht gelingen konnte, ein tragfähiges Programm für Zypern auf die Beine zu stellen. So ist nun vereinbart, dass von den beiden großen Banken die eine abgewickelt und die andere unter Heranziehung von Eigentümern, Anleihegläubigern und Anlegern mit Großeinlagen rekapitalisiert wird. Die Einlagen unter 100 000 Euro bleiben geschützt. Das entspricht europäischem Recht. Bei der abzuwickelnden Laiki Bank werden die Einlagen über 100 000 Euro komplett in eine Bad Bank überführt, ebenso die Ansprüche von Aktionären und Gläubigern, und die Einlagen bis zu 100 000 Euro werden in eine sogenannte Good Bank überführt, die der Bank of Cyprus angegliedert wird. Auch für die Rekapitalisierung der Bank of Cyprus werden die Ansprüche der Aktionäre und nachrangiger Gläubiger in vollem Umfang herangezogen, Einlagen über 100 000 Euro in einer Größenordnung, dass eine Eigenkapitalquote von 9 Prozent erreicht wird. Dadurch hat sich im Übrigen in den letzten Wochen diese Verunsicherung in der Öffentlichkeit hinsichtlich unterschiedlicher Zahlen ergeben. Es gab unterschiedliche Berechnungen, wie viel es sein wird. Das ändert an dem Hilfsprogramm aber überhaupt nichts, weil von vornherein klar war: Mittel für die Rekapitalisierung der beiden Banken wird das Hilfsprogramm nicht umfassen. Deswegen sind die 10 Milliarden Euro als Obergrenze zu keinem Zeitpunkt bestritten worden. Ich will noch einmal unterstreichen und wiederholen - das gilt nämlich auch für den weiteren Weg in Richtung Bankenunion in der Europäischen Union -: Es muss im Falle von Schieflagen von Banken eine klare Haftungsreihenfolge geben, zuerst die Eigentümer, dann die nachrangigen Fremdkapitalgeber, dann die Anleger unter Wahrung der gesicherten Einlagen und erst dann der Staat, in dem die Bank beheimatet ist, und am Ende notfalls auch die Staatengemeinschaft. Das ist die Haftungsreihenfolge, und an der darf auch beim Aufbau einer Bankenunion nichts geändert werden. ({4}) Für Deutschland ist dies übrigens nicht neu. Das ist im deutschen Restrukturierungsgesetz enthalten. Auch für Europa ist das nicht neu; denn es ist Inhalt der Restrukturierungsrichtlinie, die die Kommission vor einem Jahr vorgelegt hat und die sich jetzt im europäischen Rechtsetzungsprozess befindet. Das Zypern-Hilfsprogramm war von Anfang an nicht unumstritten. Wie könnte es anders sein? Aber alle Bedingungen, die auch im Deutschen Bundestag für ein Hilfsprogramm gestellt worden sind, sind mit diesem Programm erfüllt. Der Bankensektor in Zypern wird vehement gesundgeschrumpft. Er wird unmittelbar zurückgeführt auf das Durchschnittsniveau der Euro-Zone, also auf das Dreieinhalbfache des Bruttoinlandsprodukts. Zypern wird seine Kapitalertragsteuer und seine Unternehmensteuern erhöhen. Es gibt klare Vereinbarungen zur Geldwäscheprävention im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens, und es wird Reformen geben im zyprischen Renten- und Pensionssystem und im bisherigen System automatischer Lohnerhöhungen in Zypern; auch das ist wichtig, damit Zypern dauerhaft wettbewerbsfähig wird. Russland hat übrigens angekündigt, die Anstrengungen Zyperns durch entsprechende Erleichterungen bei seinem laufenden Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu unterstützen. Im Übrigen ist sichergestellt, dass keine Mittel des Hilfsprogramms für die Rückzahlung des russischen Kredites verwendet werden können. Der Internationale Währungsfonds wird sich an dem Programm beteiligen, vorbehaltlich der Zustimmung der entsprechenden Gremien des Internationalen Währungsfonds. Sie werden vermutlich Anfang Mai dieses Jahres ihre formelle Entscheidung treffen. Wir gehen von einer Mitfinanzierung in Höhe von 1 Milliarde Euro aus, wodurch sich dann der Anteil des ESM-Hilfsprogramms auf 9 Milliarden Euro begrenzt. Bei Zustimmung des Deutschen Bundestages könnten im ESM die notwendigen Entscheidungen, um die Finanzhilfe für Zypern zu vereinbaren, in der kommenden Woche getroffen werden, sodass eine erste Tranche im Mai dieses Jahres ausgezahlt werden könnte. Aber Voraussetzung dafür ist die Umsetzung der in dem Memorandum of Understanding als vordringlich vereinbarten Maßnahmen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages wird entsprechend unserer Regelung fortlaufend über den Stand der Umsetzung der vordringlichen Maßnahmen unterrichtet werden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. In unserem Antrag bitten wir auch um Zustimmung des Bundestages zu der Programmänderung, die notwendig wird, weil Zypern den Antrag gestellt hat, bei künftigen Gewährleistungen nach der EFSF von seinem Haftungsanteil freigestellt zu werden. Im EFSF-Vertrag ist vorgesehen, dass Länder, die das Programm selber in Anspruch nehmen, bei künftigen Programmen nicht mithaften. Der deutsche Gewährleistungsanteil würde sich damit von 29,07 Prozent auf 29,13 Prozent erhöhen. Ich bitte auch insoweit den Bundestag um Zustimmung. Schließlich bitten wir um Zustimmung zur Verlängerung der Laufzeit der laufenden Darlehen für Portugal und Irland. Beide Länder, Irland und Portugal, haben in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um ihre Haushalte zu konsolidieren, ihre Bankensektoren zu stabilisieren und ihre Wirtschaften wieder wettbewerbsfähig zu machen. Sie erfüllen die Programmauflagen der Troika. Sie sind auf einem guten Weg. Irland steht unmittelbar vor der Rückkehr an die Kapitalmärkte. Portugal hat zwar durch eine Entscheidung seines Verfassungsgerichts Maßnahmen von 1,3 Milliarden Euro für verfassungswidrig erklärt bekommen, hat aber inzwischen gleichwertige Maßnahmen beschlossen. Das verdient unsere Anerkennung. Beide Länder sind auf dem richtigen Weg. Sie zeigen, dass die Programme funktionieren. ({5}) Nun ist es wichtig, dass wir in dieser entscheidenden Phase die Erfolge beider Länder nicht aufs Spiel setzen. Deswegen hat die Troika empfohlen, für beide Länder die Laufzeit der Programme zu verlängern. Das bedeutet keine Erhöhung der Programmvolumina, aber es sichert eben die Rückkehr an die Märkte für beide Länder. Ich bitte den Bundestag um Zustimmung. Ich weise im Übrigen darauf hin, dass nicht nur die EFSF-Kredite verlängert werden sollen, sondern auch die europäischen Kredite. Alle Finanzminister der EU 27 haben einstimmig auch eine Verlängerung des EFSM-Kredits für beide Länder empfohlen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will eine allgemeine Bemerkung hinzufügen: Gerade wir - in unserem Land spüren wir die Euro-Krise im Alltag ja nicht so sehr - sollten uns bei der Beratung dieses Hilfsprogramms für Zypern wieder einmal ins Gedächtnis rufen: Die Menschen in Griechenland, in Spanien, in Italien, in Portugal und jetzt in Zypern erleben eine schwere Zeit. Damit ihre Länder eine bessere Zukunft haben können, müssen sie durchgreifende Reformen ertragen, erleiden, durchstehen. Es gibt keinen Weg, der daran vorbeiführt. Aber es ist ein schwerer Weg für die Menschen in den betroffenen Ländern. Dies muss man gerade in den Ländern, in denen es den Menschen besser geht, gelegentlich der Öffentlichkeit ins Gedächtnis rufen. ({6}) Die Anpassungsprozesse führen zum Erfolg. Das zeigen die bisher eingetretenen Entwicklungen. Auch die EZB hat in diesen Tagen wieder angemahnt, dass in den Bemühungen nicht nachgelassen werden dürfe; eingetretene Erfolge dürften nicht zu einem Nachlassen der Bemühungen führen. Es gibt keine tragfähige Abkürzung auf diesem Weg. Die Probleme in diesen Ländern haben eine längere Geschichte. Diese lassen sich über Nacht nicht heilen. Aber natürlich müssen wir insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einer Reihe von Ländern in Europa bekämpfen. Denn es ist eine Katastrophe, wenn 30, 40 Prozent der jungen Menschen dauerhaft ohne Chancen auf einen Arbeitsplatz sind. ({7}) Deswegen ist es gut, dass der Europäische Rat 6 Milliarden Euro für Programme in den nächsten sieben Jahren bereitgestellt hat. Dieses Geld muss jetzt von den nationalen Regierungen für die junge Generation klug eingesetzt werden. Auch die Europäische Investitionsbank - wir haben das in der vergangenen Woche in Dublin ausführlich erörtert - tut vieles für nachhaltiges Wachstum in Europa. Sie setzt bis 2015 zusätzlich 60 Milliarden Euro zur Förderung von Investitionen ein. Zusammen mit Partnern und der Mobilisierung privater Gelder werden damit insgesamt 180 bis 200 Milliarden Euro mobilisiert werden. So werden alleine in diesem Jahr für kleine und mittlere Unternehmen über 15 Milliarden Euro an Krediten auf den Weg gebracht werden. Deswegen sage ich: So hart die Anpassungsprozesse in den Ländern auch sind: Die positiven Auswirkungen zeigen sich. Die Haushaltsdefizite sinken. Sie sind in den letzten drei Jahren in der Euro-Zone im Durchschnitt halbiert worden. Die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer der Europäischen Union haben sich in den letzten Jahren reduziert. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte gehen zurück. Die Ausfuhren in Südeuropa steigen. Auch Griechenland hat in den letzten Monaten seine Ausfuhren in Drittländer deutlich gesteigert. ({8}) Eine aktuelle DIHK-Studie zeigt übrigens: Deutsche Firmen investieren wieder stärker in den Krisenstaaten Europas. Sie sehen die Reformanstrengungen und die Erfolge. Die Europäische Kommission rechnet mit einer Wende zum Besseren bei den Konjunktur- und Wachstumsindikatoren, in einigen Ländern schon in diesem Jahr, auch bei der Beschäftigung. Übrigens: Auch in Griechenland geht der Arbeitsmarkt nicht weiter zurück, sondern verbessert sich auf niedrigem Niveau langsam. Für nächstes Jahr wird der Turnaround in allen Ländern erwartet. Was noch wichtiger ist: Die Bürgerinnen und Bürger Europas stehen gerade auch in den Krisenländern - sie haben es in Wahlen wieder und wieder bewiesen - zu unserer Gemeinschaftswährung. Auch in Deutschland hat es einen Stimmungsumschwung gegeben. Vor ein paar Jahren hat noch jeder zweite Deutsche am Euro gezweifelt. Nach einer aktuellen Umfrage sind nun 70 Pro29158 zent für die gemeinsame europäische Währung. Das ist eine beachtliche Verbesserung. Die Menschen sehen: Der Weg ist anstrengend, er ist nicht ohne Risiken, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen in Deutschland wissen: Ohne die großen Erfolge wirtschaftlicher Integration, ohne die große stabilisierende Wirkung einer gemeinsamen Währung, von der wir am meisten profitieren, hätten wir unseren Wohlstand, unsere Leistungsfähigkeit, unsere hohe Beschäftigung, unsere soziale Sicherheit nicht erreicht und wären diese für die Zukunft nicht zu sichern. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie auf diesem schwierigen Weg weiter um Ihre Unterstützung. Ich bitte um Zustimmung. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion wird dem europäischen Rettungspaket heute zustimmen, ({0}) nicht nur weil wir zu Europa und zum Euro stehen, sondern auch weil der Entwurf - jedenfalls in seiner jetzigen Form - trotz all dem, was noch offen ist, an drei entscheidenden Stellen durchaus auch unsere Handschrift trägt: Erstens. Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt: „Der einfache Steuerzahler darf am Ende nicht der Dumme sein“, und: „Bei der Rettung angeschlagener Banken müssen die Lasten fairer verteilt werden.“ Das geht in der Tat nicht ohne eine angemessene Beteiligung der Banken, ihrer Eigner und ihrer Gläubiger. Wenn die Menschen in Spanien, in Griechenland, in Frankreich, in Deutschland das Gefühl haben, dass in diesem Europa pausenlos gegen elementare Grundsätze von Fairness und Gerechtigkeit verstoßen wird, dann - da können Sie, Frau Merkel und Herr Schäuble, noch so schöne Gipfelbilder machen lassen - gerät Europa in ernsthafte Gefahr. Anders gesagt: Eine Europäische Union, die gegen elementare Grundsätze von Fairness und Gerechtigkeit verstößt, wird uns um die Ohren fliegen oder rechten Populisten und Nationalisten in die Hände fallen. Das zukünftige Europa wird ein gerechtes Europa sein - oder es wird nicht sein, meine Damen und Herren. ({1}) Die rechte Seite dieses Hauses hat sich lange gegen Argumente von uns gewehrt: Sie waren gegen eine Finanzmarktbesteuerung - wir mussten Sie dazu zwingen. Sie waren gegen eine Heranziehung großer Vermögen wir mussten Sie dazu zwingen. Und Sie sind immer noch gegen die Beteiligung der Banken an einem Bankensicherungsfonds, wie Peer Steinbrück ihn entworfen hat. In Zypern haben wir nun zumindest eine Gläubigerbeteiligung. Wir haben bei der Gläubigerbeteiligung einen ersten Einstieg geschafft. Deshalb ist das auch ein Erfolg für uns, meine Damen und Herren. ({2}) Zweitens. Wir Sozialdemokraten sind solidarisch mit Zypern; aber wir sind nicht solidarisch mit einem Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass man sich selbst zu einem Paradies für Steuerhinterzieher und Geldwäscher erklärt. ({3}) Mit der Schließung der Laiki Bank und mit der Umstrukturierung der Bank of Cyprus wird der künstlich aufgeblähte zyprische Bankensektor zusammengeschrumpft. Zypern hat sich außerdem bereit erklärt, seine Gesetze gegen Geldwäsche - vor allen Dingen die Umsetzung dieser Gesetze - jetzt durch eine internationale Gutachterkommission bewerten zu lassen. Mindestens das war erforderlich. Das ist ein zweiter wichtiger Erfolg. Nur, wir müssen natürlich jetzt europäisch und auch von Deutschland aus darauf achten, dass es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt. Auf die Haltung von Union und FDP bei Geldwäsche und Steuerhinterziehung komme ich am Ende noch zurück. Drittens. Wir Sozialdemokraten sagen: Solidarität braucht Fortschritte bei der gemeinsamen Steuerpolitik, gerade bei der Unternehmensbesteuerung. Warum? Weil Steuerdumping, Unternehmensteuersätze von 10 Prozent oder gar noch darunter aus unserer Sicht in Europa nicht hinnehmbar sind, und wir werden das auf Dauer auch nicht hinnehmen. ({4}) Das Ziel müsste natürlich ein einheitliches europäisches Steuerrecht sein. Davon sind wir weit entfernt; aber immerhin ist es im Fall Zypern zum ersten Mal gelungen, die absolute Höhe von Steuersätzen überhaupt zum Gegenstand einer europäischen Vereinbarung zu machen. 12,5 Prozent statt 10 Prozent, das ist nicht die Welt, das ist nicht viel, das ist nicht genug; aber der Anfang ist gemacht. Ich sage: Nationale Dumpingsteuersätze anzusprechen, darf kein europäisches Tabu sein. ({5}) Sich ein paar Jahre ein leichtes Leben machen und dann die Solidarität von Steuerzahlern aus der Nachbarschaft einfordern - das geht eben nicht, das kann nicht funktionieren. Deshalb sage ich: Auch die Anhebung der Steuern in Zypern ist eine Strukturreform. Es ist eben eine Strukturreform, wenn jeder Staat seine eigenen Bürger mit den notwendigen Steuern belastet. Das - und nicht nur Einschnitte ins Sozialleistungssystem - gehört zu einer Strukturreform. ({6}) Ja, wir werden diesem Paket zustimmen. Missverstehen Sie uns aber nicht: Das ist keine Zustimmung zu Ihrer Art von Krisenmanagement, die wir in den letzten Wochen noch einmal erlebt haben. ({7}) - Sie sind ja gleich dran. ({8}) Das, was wir hier gesehen haben, die Einbeziehung der Kleinanleger, die Sie, Herr Schäuble, entweder gefordert oder am Ende jedenfalls mitgetragen haben, war Dilettantismus. Das war ein Riesenfehler ({9}) und hat europaweit Angst und Verunsicherung mit sich gebracht. Erst nach langem und quälendem Hin und Her ist es gelungen, zu der Einigung zu kommen, die jetzt mit diesem Rettungspaket vorliegt. Bei allem Verständnis, Herr Schäuble, für die Schwierigkeiten in Europa, in solchen Fragen einen Konsens zu finden: Das war eine erbärmliche Vorstellung des Europäischen Finanzministerrates, und Sie haben dabei keine gute Rolle gespielt. ({10}) Ich hoffe, dass die meisten ahnen - auch die Beteiligten in der Regierung -, dass der Weg zu der wirklichen Lösung der europäischen Krise noch verdammt lang und beschwerlich sein wird. Ich habe das aber Ihren Äußerungen eben nicht entnehmen können, Herr Schäuble. Sie haben nämlich gesagt, es sei alles auf einem guten und richtigen Weg. Ich finde, die deutsche Regierung sitzt hier zu häufig auf dem hohen Ross. Ihr Angebot ist: Wenn alle den deutschen Weg gehen, dann wird das schon irgendwie richtig sein. Ich sage ja auch: Natürlich geht es in Deutschland besser als in vielen europäischen Staaten, und ich sage Ihnen vor allen Dingen: Darüber freuen wir uns mehr als andere in diesem Hohen Haus. Aber die ganze Wahrheit ist: Die Beteiligten auf der Regierungsbank haben den geringsten Anteil daran, dass es in Deutschland besser geht. ({11}) Jedenfalls darf die Tatsache - das ist mir sehr ernst -, dass es uns im Augenblick besser geht als anderen, nicht dazu führen, dass wir sagen: Lasst mal die anderen machen. Bei uns in Deutschland ist die Arbeit ja im Wesentlichen getan. Herr Schäuble, Sie haben in Ihren Ausführungen eben nicht ein Mal den neuesten IWF-Bericht zitiert. ({12}) Der IWF hat gerade Aussichten veröffentlicht, die für uns höchst relevant sind. Dieser IWF-Bericht ist eine Art Weckruf für ganz Europa, aber ich hoffe, auch für uns. Was steht in diesem IWF-Bericht über die Aussichten? Der Abstand Europas zu den USA wächst. Die USA gehen Schritt für Schritt den Weg aus der Krise, Europa stagniert. In solch einer Situation einfach nur auf das deutsche Vorbild zu verweisen, kann nicht genügen. Deutschland kann es doch auf Dauer nicht gutgehen, wenn unsere europäischen Partner ohne Wachstum und immer mehr ohne Hoffnung sind. Deshalb sage ich: Es ist mehr als ein Fanal und kein Beweis dafür, Herr Schäuble, dass wir allesamt auf einem guten Weg sind, dass wir heute auch über die Verlängerung der Rückzahlungsfristen für Portugal und Irland entscheiden müssen. Das heißt doch nicht, dass der Weg im Prinzip schon gegangen ist, sondern das heißt, dass wir mit unseren Annahmen zu optimistisch waren und wir sind es weiterhin. Der IWF-Bericht, den ich zitiert habe, zeigt ganz klar: Der Euro-Raum bleibt in seiner Wirtschaftsentwicklung hinter den anderen Polen der Weltwirtschaft zurück: hinter den dynamischen BRIC-Staaten, was keinen überrascht, und hinter den USA, was wir inzwischen auch gelernt haben. Was aber keiner zur Kenntnis nimmt: Der Euro-Raum liegt mittlerweile sogar hinter Japan, einem Land, das wir immer als Stagnationsland in Erinnerung haben. Wenn man jetzt einen Blick auf die aktuelle Situation in Europa wirft, dann sieht man: Die Wirtschaft in Europa wird weiter schrumpfen, während die Weltwirtschaft im Durchschnitt um 3,5 Prozent wächst; am stärksten natürlich die BRIC-Staaten, aber auch die USA mit 1,9 Prozent. Die Euro-Zone verliert zunehmend den Anschluss. Deutschland ist mit einer Wachstumsprognose - Herr Schäuble, auch das hätten Sie sagen können - von gerade einmal 0,4 Prozent, also keine riesige Prozentzahl, doch wirklich nicht mehr der Motor, der in Europa alles ziehen kann. Deshalb sage ich Ihnen - das ist die Wahrheit -: Wachstum braucht Investitionen in den Krisenstaaten und auch bei uns. In den Krisenstaaten schrumpft die Investitionsrate im Augenblick dramatisch: in Griechenland um 5 Prozent, in Portugal seit Jahren im zweistelligen Bereich. Wenn Sie einmal genau hinschauen, dann werden Sie feststellen, dass die Situation in Deutschland nur auf den ersten Blick rosig aussieht. Auch bei uns wurde bei der Investitionstätigkeit inzwischen der Rückwärtsgang eingelegt: fast 5 Prozent minus bei den Ausrüstungsinvestitionen in 2012. Dieser Trend setzt sich 2013 fort. Herr Schäuble, diese Regierung hat die guten Jahre, die sie vielleicht auch dank unserer Vorarbeit hatte, nicht genutzt. Diese Regierung verschläft die Zukunft in diesem Land. So einfach ist das. ({13}) Sie ignorieren eben, dass in diesem Lande ganz viel getan werden muss: bei Bildung und Ausbildung, bei der Sicherung der Fachkräftebasis, bei der Modernisierung der Infrastruktur, auch bei der Integration von Frauen ins Erwerbsleben; darüber werden wir nachher noch reden. Seit dreieinhalb Jahren wird dieses Land, wie ich finde, weit unter seinen Möglichkeiten regiert. Sie belehren andere über die Notwendigkeiten von Reformen, die Sie selbst zu Ihren Regierungszeiten nie geschafft haben. Sie kümmern sich im eigenen Land nicht darum, etwas gegen die Wachstumsbremsen von morgen zu tun. Sie legen die Hände in den Schoß. Deutschland sollte Vorbild sein, aber - das sage ich Ihnen - nicht immer nur mit dem Zeigefinger des Oberlehrers, sondern gelegentlich auch einmal mit zupackender Hand im eigenen Land. Diese Hände haben Sie in Ihren beiden Hosentaschen! ({14}) Abschließend einige wenige Worte zum Thema Steuerhinterziehung. Ja, Zypern hat sich zum Steuerparadies erklärt. Das geht nicht gut. Peer Steinbrück hat recht, wenn er sagt: Steuerparadiese sind Gerechtigkeitswüsten. - Damit muss Schluss sein: in Zypern und im Rest Europas. Herr Schäuble, Sie haben in diesem Kampf mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen von Anfang an aufs falsche Pferd gesetzt; das sage ich mit aller Deutlichkeit. ({15}) Sie haben die von uns regierten Länder dafür kritisiert, dass sie Steuer-CDs angekauft haben. Am Ende zeigt sich doch: Das war wahrscheinlich der einzig mögliche Weg. Wären Sie mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen durchgekommen, hätten sich am Ende die Steuerbetrüger ins Fäustchen gelacht. Heute kann von denen keiner mehr ruhig schlafen, weil er die Befürchtung haben muss, entdeckt zu werden. ({16}) Eigentlich muss an einem solchen Tag, Herr Schäuble, auch einmal der Satz fallen: In dieser Beziehung haben wir uns in der Regierung einfach geirrt. ({17}) Wenn heute in Europa gegen Steuerbetrug vorgegangen wird, wenn jetzt Länder wie Luxemburg und Österreich, was ich ausdrücklich begrüße, darüber nachdenken, die Abschaffung des Bankgeheimnisses ernsthaft anzugehen, dann hat das vor allen Dingen auch mit der Beharrlichkeit von Sozialdemokraten in Deutschland zu tun. ({18}) - Ja. Sie hätten das Steuerabkommen geschlossen, und dann wäre die Sache für Sie erledigt gewesen. Weil es das nicht gegeben hat, weil es weiterhin Druck auf Steuerbetrüger gibt, können wir jetzt immerhin kleine Fortschritte erkennen. Ich sage Ihnen: Sie haben in den dreieinhalb Jahren, die Sie in der Regierung waren, die Chance nicht genutzt. Ich kann Ihnen voraussagen: In 157 Tagen wird sie nicht wiederkommen. Herzlichen Dank. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Sichtweise ist schon sehr interessant, Herr Steinmeier: Wir sind für alles Gute in der Welt zuständig. - Erinnern Sie sich noch an die letzte Bundestagswahl und daran, was die Bevölkerung Ihnen gesagt hat: Ihr könnt es nicht; ihr macht es falsch; ihr seid in Europa auf dem falschen Weg; ihr habt die falschen Länder in die Euro-Zone aufgenommen. - Das haben Sie mittlerweile selbst festgestellt. An Ihrer Stelle würde ich mir eher Gedanken darüber machen, welche Reformen denn notwendig sind, und nicht darüber reden, um wie viel Geld man die Bürger noch schröpfen kann. ({0}) Sonst würden Sie im Ergebnis dieselben Fehler machen wie die Länder, denen wir nun in europäischer Verantwortung helfen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, sich darüber Gedanken zu machen. ({1}) Die Bürger werden in den von Ihnen angesprochenen verbleibenden 157 Tagen bis zur Bundestagswahl erkennen, wer welche Leistung erbracht hat, und zu dem Schluss kommen: Das waren vier gute Jahre für Deutschland. ({2}) Die Bürger werden des Weiteren sagen: Wir wollen, dass die Politik dieser vier guten Jahre fortgesetzt wird, und zwar - da gehen wir sicherlich überein - mit notwendigen Reformen. Der Wähler als Souverän wird entscheiden. Dann werden wir sehen. Für den Wähler ist es sicherlich weniger interessant, von Ihnen zu erfahren: Ich war es auch, Herr Lehrer; ich habe es gut gemacht. Vielmehr wird der Wähler fragen: Wer hat es tatsächlich gemacht? Es fällt keinem leicht, bei Hilfsprogrammen zu sagen: Wir geben Garantien auf Milliardensummen. - Aber als verantwortungsvolle Europäer müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass es unsere Aufgabe ist, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, damit Veränderungen im Denken und Handeln eintreten. Zypern hätte es wesentlich leichter haben können, wenn es früher erkannt hätte, dass es selber und damit die Bürger Zyperns Teil der Lösung sind. Wir müssen unseren Bürgern immer wieder sagen, dass in einem Europa, wie wir es wollen, auch Deutschland profitiert und Teil der Lösung ist. Dies zu vermitteln, ist Aufgabe der Politiker nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen Ländern. Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen, dass mir der Blick auf unser Nachbarland Frankreich besondere Sorgen bereitet. Dort glaubt man offenbar, dass die Verantwortung der Politik nur darin besteht, alles so zu lassen, wie es ist. Ich bitte darum und hoffe, dass das weitergegeben wird: Seht doch einmal, liebe Bürger in Europa, dass Länder, die sich unter schweren Anstrengungen reformieren müssen, am Ende besser dastehen als diejenigen Länder, deren Bevölkerungen ihren Politikern glauben, dass man nichts tun müsse. - Das ist die Aufgabe, und diese wird mit dem nun zu beschließenden Rettungspaket auch wahrgenommen. Ich will das für die Bürger noch einmal deutlich darlegen. Wir tun etwas gegen Geldwäsche; ich glaube, darin sind wir uns einig. Wir sind in der Lage, bei Haushaltskonsolidierung und Privatisierung wieder voranzugehen. Herr Steinmeier, Sie haben gesagt, die Körperschaftsteuer in Zypern werde nur um 2,5 Prozentpunkte erhöht. Aber eben einmal eine Ertragsteuer um 25 Prozent zu erhöhen, verlangt einem Land viel ab, weil sich dann die Strukturen verändern. Die Zyprioten machen das. Wir begrüßen das und halten das auch für richtig. Aber man hätte auch die Mehrwertsteuer erhöhen und die Pensionen kürzen können. All diese Belastungen gehören nun einmal dazu. All das verlangen wir, die Bundesrepublik Deutschland, für unsere Bereitschaft, Hilfe zu geben. Das ist die Aufgabe. Es geht um Geben und Nehmen, um möglichst viel Freiheit, aber auch um möglichst viel Eigenverantwortung der betroffenen Länder. Dass zusätzlich der Bankensektor in Zypern verkleinert wird, ist genau richtig. Die Bürger müssen endlich wieder erkennen, dass das Geld, das man in einem Land anlegt, weil es beispielsweise um 0,5 Prozentpunkte höhere Zinsen bietet, nicht automatisch sicher ist. Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen - dafür bin ich ihm ausdrücklich dankbar -: Höhere Zinsen bedeuten ein höheres Risiko. Hier möchte ich einen Punkt ansprechen, Herr Steinmeier, bei dem ich große Bedenken habe. Alle Versuche der Sozialdemokraten, der Grünen und der Linken in Deutschland, aber auch in anderen Ländern laufen am Ende immer auf eine Vergemeinschaftung der Schulden hinaus. Entweder sollen Euro-Bonds eingeführt oder Altschuldentilgungsfonds aufgelegt werden. Ein erneuter Vorstoß in Richtung Vergemeinschaftung kommt nun im Zusammenhang mit dem Bankenrettungsfonds. Sie wollen nicht, dass jedes Land Rettungsfonds für seine Banken aufbaut, und zwar zusammen mit den betreffenden Banken - es ist klar, dass auch die Banken etwas dazu tun müssen -, sondern Sie sagen - das ist typisch für links -: Wir machen das europäisch. ({3}) Was wird die Folge sein? Herr Steinmeier, die SPD will einen europäischen Bankenrettungsfonds. Dann wird Gesamteuropa für die Banken haften. ({4}) - Wenn wir uns da einig sind, ist es gut. Das kann einer Ihrer nachfolgenden Redner, zum Beispiel der Kollege Schneider, noch klarstellen. Dann treten Sie auch von dieser Meinung zurück. So haben Sie es schon bei den Euro-Bonds gemacht: Zuerst sind Sie dafür. Als Sie dann bemerkt haben, dass das ein Irrweg ist, waren Sie dagegen. ({5}) Den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland muss klar gesagt werden, warum die Aussage der Bundeskanzlerin, dass die Einlagen der Bürger sicher sind, nicht nur zutreffend, sondern auch untermauert ist. Das Land Zypern konnte seinen Bürgern keine Garantie für ihre Einlagen bei den Banken mehr geben, weil es sich finanziell übernommen hat. Das Land Bundesrepublik Deutschland - weil es von dieser Bundesregierung gut geführt wird, weil wir gesamtstaatlich Überschüsse haben - ist der größte Garant für stabile Finanzen und sichere Ersparnisse. Diese garantieren wir nicht nur durch unsere Haushaltspolitik, sondern eben auch durch unsere heutige Zustimmung zu den Maßnahmen für Zypern. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Griechenland, Portugal, Spanien und Irland geht es nun um ein Rettungspaket für einen Großteil der Banken auf Zypern - nicht für die Bevölkerung, nicht für die Wirtschaft, sondern wieder für die Banken. Laut Deutscher Bundesbank haben wir bisher rund 65 Milliarden Euro für die Rettungspakete für die Banken in Europa aufgewendet. Seit 2008 haben wir für die Rettung der deutschen Banken in Deutschland 285 Milliarden Euro aufgebracht. Wenn ich das addiere, komme ich auf einen Betrag von 350 Milliarden Euro. Die Frage ist: Wird dieses Geld je zurückfließen? Sie sorgen im Süden Europas dafür, dass diese Länder niemals in der Lage sein werden, das Geld zurückzuzahlen, und Sie trauen sich nicht, das ernsthaft von den Banken zu fordern. ({0}) Auch beim Rettungspaket für die zyprischen Banken haften wir wie bei Irland, Griechenland, Spanien und Portugal mit 27 Prozent, und zwar haften die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den Fall, dass diese Länder nicht in der Lage sind, die Darlehen fristgerecht zurückzuzahlen. Alle Auflagen, die Sie erteilen - das gilt auch für Zypern -, führen zu einem Rückgang der Kaufkraft, zu einem Rückgang der Wirtschaft und damit auch zu einem Rückgang der Steuereinnahmen. Zypern und die anderen Ländern werden deshalb nicht in der Lage sein, die Darlehen zurückzuzahlen. Wovon sollen denn dann die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das Geld aufbringen? Es fehlt uns Geld für Kindertagesstätten, überhaupt für Bildung, für Gesundheit, für Investitionen, für Renten und Sozialleistungen. Zypern braucht zur Rettung und zur Abwicklung von Banken 23 Milliarden Euro. 13 Milliarden Euro sollen die Zyprioten selbst aufbringen, 10 Milliarden Euro sollen als Darlehen dazukommen. Die Wirtschaftsleistung Zyperns liegt bei 17 Milliarden Euro. Woher sollen die denn 13 Milliarden Euro nehmen? Übrigens waren es zunächst nur 7,5 Milliarden Euro, und dann wurden es 13 Milliarden Euro. Weshalb? Weil die Reichen vor der Konteneinfrierung Tipps bekamen und ihr Geld noch aus Zypern abziehen konnten. Wer klärt das eigentlich einmal auf, auch die Tatsache, dass Angehörige des konservativen zypriotischen Präsidenten dabei waren? ({1}) Das ist wirklich ein starkes Stück. Jetzt hat eine Beraterfirma festgestellt, dass die Beweismittel schon vernichtet worden sind. Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit, um das einmal ganz klar zu sagen. ({2}) Was verlangen die Troika und allen voran die Bundesregierung für die 10 Milliarden Euro, die als Darlehen vorgesehen sind? Sie verlangen wieder Privatisierungen, wieder Renten- und Lohnkürzungen und Entlassungen. Sie, Herr Fricke, haben gerade gesagt, dass das alles erforderlich sei. Nun wurde aber festgestellt, dass das zyprische Parlament zustimmen muss. Im Unterschied zu unserem leistet dieses gelegentlich Widerstand. Also warten wir einmal ab, was dort passieren wird. Aber zunächst - und das war eine wirklich dramatische Fehlentscheidung; da hat Herr Steinmeier recht sollten, Herr Bundesfinanzminister, alle Sparerinnen und Sparer haften. Die kleinsten Konten sollten herangezogen werden. Ich muss Ihnen eines sagen: Faktisch sollte die Einlagensicherung von 100 000 Euro abgeschafft werden. Aber was das Schlimmste ist: Ich habe hier darüber gesprochen, und dann haben Sie mir vorgeworfen, dass ich die Sparerinnen und Sparer verunsichere. Nein, nicht ich verunsichere sie, sondern die Verunsicherung ist mit der Zustimmung der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers, jedes Konto in Zypern heranzuziehen, eingetreten. ({3}) Beim neuen Rettungspaket ist es so, dass die Anleger bei der Laiki Bank betroffen sind, die vollständig abgewickelt werden soll. Hier sollen alle Sparguthaben über 100 000 Euro eingezogen werden. Das ist wohl rechtlich nicht ganz unproblematisch. Auf andere Aspekte komme ich noch zu sprechen. Bei den anderen Banken soll ein Schuldenschnitt erfolgen, und zwar durch Einbehaltung von 60 Prozent der Sparguthaben über 100 000 Euro. ({4}) - Die anderen. ({5}) - Ich meine nicht die Banken, sondern die Sparerinnen und Sparer. Aber trifft es wirklich die Vermögenden und die Reichen? Das wäre doch eine Chance. Nein! Die haben sich ja längst aus dem Staub gemacht. Wer zahlt also nun für die Banken auf Zypern in Zypern selbst? Es sind vor allem die Pensionskassen, also die Rentnerinnen und Rentner mit ihren Ersparnissen; sie werden enteignet. ({6}) Die Gelder der Rentenkassen bei der abzuwickelnden Laiki Bank sind komplett weg. Bei den Verhandlungen mit der Troika versuchte die zyprische Seite, die Pensionskassen vor ihrer Enteignung zu schützen. ({7}) - Ich komme auf die Grünen noch zurück. Sie sollten nicht so viel dazwischenrufen; Sie werden noch etwas zu hören bekommen. ({8}) Aber die Troika lehnte dies kategorisch ab. Bezahlen müssen die Krise auch die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, liebe FDP, für die Sie angeblich immer so kämpfen und die mehr als 100 000 Euro auf dem Konto hatten, um zum Beispiel Löhne und Vorleistungen zu bezahlen. Viele von ihnen müssen jetzt Konkurs anmelden. Sie gehen in Insolvenz. Sie müssen ihre Beschäftigten entlassen. Die Anleger versuchen natürlich, so schnell wie möglich Zypern zu verlassen. Das stürzt Zypern in eine noch tiefere Krise. Was, bitte, soll das alles, Herr Bundesfinanzminister? Was haben Sie, was haben wir davon? Als wir in Deutschland in einer solchen Situation waren, haben wir ein Konjunkturprogramm beschlossen. Von den anderen verlangen wir regelmäßig, alles abzubauen, bis die Krise sich noch deutlich verschärft. ({9}) Dann soll privatisiert werden. Ich nenne Ihnen die drei Beispiele: Die staatliche Telefongesellschaft, die staatlichen Häfen und die staatlichen Stromerzeuger sollen privatisiert werden. Diese Unternehmen aber haben Zypern Geld gebracht. Wenn die jetzt aus der Not heraus verbilligt verkauft werden müssen, fließt nie wieder Geld aus diesen Unternehmen an den Staat. Auch das macht es noch unwahrscheinlicher, dass Zypern die Darlehen zurückzahlen kann, und es macht es mithin wahrscheinlicher, dass gerade und vornehmlich auch die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür haften. Die Mehrwertsteuer wird von 17 auf 19 Prozent erhöht. Die Staatsangestellten müssen auf 14,5 Prozent ihrer Gehälter verzichten. Ab 2014 werden ihre Renten deutlich sinken. Das gilt für die Kindergärtnerin, das gilt für den Müllfahrer. All diese Menschen müssen die Krise bezahlen, obwohl sie nichts damit zu tun haben. ({10}) Die EU prognostiziert infolgedessen in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Zypern um 9 Prozent, im nächsten Jahr um weitere 4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit wird weit über die jetzige Rate von 15 Prozent hinaus explodieren. Diese Prognosen waren regelmäßig zu optimistisch. Sie werden es auch in diesem Falle sein. Heute ist in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass der gesamte Export der Autoindustrie in Nord- und Mitteleuropa rückläufig ist, und zwar um 10 Prozent und in Deutschland sogar um 13 Prozent. Merken Sie denn nicht, dass Sie einen völlig falschen Kreislauf einleiten? Wir nehmen auch uns die wirtschaftlichen Chancen, wenn wir den Süden Europas derart verarmen, wie Sie das regelmäßig beschließen. ({11}) Ich habe einmal eine Frage: Wann haften eigentlich endlich die Banken für Banken? Was passiert denn, wenn ein Bäckermeister in Insolvenz gehen muss? Kommt da einer von dieser Regierung oder von SPD und Grünen und sagt: „Natürlich retten wir den armen Bäckermeister“? Keiner kommt! Auch bei Industrieunternehmen passiert das nicht. Nur bei den Banken können sich die Anteilseigner und die Eigentümer darauf verlassen. Sie können weltweit treiben, was sie wollen. Sie können zocken, wie sie wollen. Das spielt keine Rolle. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler übernehmen immer deren Entschädigung. Das ist nicht länger hinnehmbar. ({12}) Um nicht missverstanden zu werden: Die Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen kann man retten, aber nicht die Großaktionäre, nicht die weiteren Aktionäre und auch nicht sonstige Anteilseigner. Überall heißt es: Wenn sich ein Unternehmen verzockt hat, für das ich als Anteilseigner hafte, habe ich eben Pech gehabt. Nur bei den Banken gilt das nicht. Das hat übrigens, meine liebe FDP, mit Marktwirtschaft gar nichts zu tun. Der Markt hört bei Banken auf, und das rügt die Linke. So weit ist es schon gekommen in Deutschland. Was könnten wir also machen, damit die Banken haften? Ja, wir brauchen einen Bankenabwicklungsfonds, in den auch und in erster Linie die Banken einzahlen. Aber das wurde von der Bundesregierung verhindert. Ja, wir müssen etwas gegen die Kapitalflucht oder die Steueroasen tun. Es ist sehr schön, was Sie hier gesagt haben, Herr Steinmeier. Nur, in Ihrer Regierungszeit haben Sie nichts, aber auch gar nichts dagegen getan. ({13}) Es waren ja nicht die Finanzbehörden, sondern es war ein Netzwerk von Journalistinnen und Journalisten, das Datensätze von über 130 000 Millionärinnen und Millionären aus über 170 Ländern öffentlich machte und dabei feststellte, dass ein Vermögen von rund 24 Billionen Euro - das ist mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung der ganzen Welt - vor den Steuerbehörden versteckt wird. Mein Gott! Und wenn eine Hartz-IV-Empfängerin einmal eine falsche Angabe macht und 10 Euro zu viel bekommt oder es zu einer leichten Lohnüberzahlung kommt, dann kümmern sich darum bei uns sofort irgendwelche Leute, und es gibt Sanktionen. Aber wenn Millionen und Milliarden versteckt werden, achtet überhaupt keiner darauf. ({14}) Wir forderten den Aufbau einer Bundesfinanzpolizei, eines Steuer-FBI. Ich muss nun sagen, Herr Bundesfinanzminister: Ihr Staatssekretär hat sich ja, wahrscheinlich in Ihrem Auftrag, unserer Idee angeschlossen. Ich muss Ihnen noch etwas sagen, Herr Bundesfinanzminister: Wenn Sie sich viel häufiger und viel früher unseren Ideen anschlössen, wären wir schon heraus aus der Krise. ({15}) Wir schlagen vor, das Steuerrecht endlich dahin gehend zu reformieren, dass deutsche Staatsangehörige, ganz egal, wo sie wohnen, mit ihrem Einkommen in Deutschland steuerpflichtig werden. Dabei sind die im Ausland bereits gezahlten Steuern selbstverständlich von der Steuerschuld abzuziehen. Dasselbe muss für das gesamte Vermögen gelten, wenn wir endlich wieder eine Vermögensteuer erheben. Wir hatten das hier schon einmal beantragt. Da waren Sie alle dagegen, auch die Grünen und die SPD. Wissen Sie, was Sie gesagt haben? Es sei zu bürokratisch. Das ist völliger Unsinn. Wir brauchen ein bisschen Bürokratie, um Steueroasen wirksam bekämpfen zu können. ({16}) Außerdem müssen wir Banken, die Kunden bei der Steuerflucht behilflich sind, die Lizenz entziehen; das ist ganz einfach. Wenn wir also sicherstellen, dass die Eigentümer der Banken, die Inhaber von Bankenanleihen vollständig zur Deckung der Verluste der Banken heran29164 gezogen werden, dann gibt es auch einen Weg aus der Krise. Nun brauchen wir in Deutschland und Europa eine regelmäßige Vermögensteuer für ein privates Vermögen von über 1 Million Euro und auch eine einmalige Vermögensabgabe. Warum trauen Sie sich nicht, das einzuführen? Mein Gott, eine Gesellschaft lebt nicht davon, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Wir brauchen hier eine Korrektur; selbst die Konservativen müssten einmal den Mut dazu aufbringen. ({17}) Jetzt sage ich als Letztes, an SPD und Grüne gerichtet: Sie werden ja wieder zustimmen. Klar, wie bei allen Rettungspaketen werden Sie auch diesmal wieder zustimmen. Damit sagen Sie aber - das müssen Sie dann auch rechtfertigen - Ja zur Enteignung der Rentnerinnen und Rentner in Zypern, Ja zum Sozialabbau in Zypern, Ja zur Lohnkürzung und zu einer völlig falschen Privatisierung in Zypern. Sie sagen auch Ja zur Entlassung von Leuten und zur Haftung auch und gerade der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Sie sagen Ja zur Bezahlung der Krise durch Unbeteiligte und Unschuldige. Nur auf uns ist Verlass. Wir werden und können einem solchen Programm nicht zustimmen. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Gysi, warum sind wir denn heute Morgen hier? Wir reden über Zypern. Zypern hatte über einige Jahre einen kommunistischen Staatspräsidenten, der an den internationalen Finanzmärkten gezockt hat, ({0}) den großen Kapitalisten gegeben hat ({1}) und dadurch sein Land in diese Situation gebracht hat, ({2}) der dann neun Monate lang einen Antrag gestellt hat und sich jeglicher Problemlösung verweigert hat. Sie, Herr Gysi, führen mit Ihrer Truppe diesen Weg der Problemlösungsverweigerung heute hier fort. Das ist kommunistische Politik. Sie führt die Menschen in den Abgrund und ins Elend. ({3}) Ich habe mich heute Morgen an dieser Debatte sehr erfreut; denn wir haben von allen Rednern, außer von Herrn Gysi, gehört, dass es Deutschland gut geht, dass wir die richtige Politik in Europa machen. Der Streit drehte sich deshalb nicht um die Fragen: Welche Politik muss für Deutschland gemacht werden? Welche Politik muss für Europa gemacht werden? Vielmehr hat Herr Steinmeier lediglich die Frage gestellt, ob für diese gute Politik die Opposition, die Koalitionsfraktionen oder die Bundesregierung verantwortlich sei. Ich glaube, wenn wir uns so breit einig sind, dass wir das Richtige tun, dann wäre es richtig, wenn wir das in der Zukunft genau so weiterführten. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie sind offenkundig auf dem richtigen Weg. Wir sollten auf diesem Weg weitergehen. ({4}) Wir haben heute früh auch gehört, wo die Sozialdemokraten noch Optimierungspotenzial sehen. Sie haben uns als Vorbild die USA genannt, Herr Steinmeier; Sie haben uns als Vorbild Japan genannt. In beiden Ländern wird der Weg gewählt, die Probleme durch Intervention der jeweiligen Zentralbank zu lösen. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen! Wir sind der Meinung, dass die Zentralbank Geldpolitik machen sollte und wir als Politiker Finanzpolitik machen sollten. Staatsanleihenkäufe durch die Zentralbank sind nicht die Lösung, die wir wollen. Das ist ein massiver Unterschied zu dem, was Sie hier heute früh verlangt haben, Herr Steinmeier. ({5}) Japan und die USA als Vorbild? In beiden Ländern wird die Staatsverschuldung momentan in astronomische Höhen getrieben. Japan liegt im nächsten Jahr bei etwa 250 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, die Vereinigten Staaten liegen im nächsten Jahr bei etwa 110 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Ist das denn ein Vorbild, wo wir in Griechenland und in anderen Fällen gelernt haben, dass übertriebene Staatsverschuldung ins Elend führt? Lieber Herr Steinmeier, ist das wirklich der Weg, den wir gehen sollten? Ich sage: Nein. Wir brauchen für die künftigen Generationen, für ein stabiles Europa seriöse, stabile, nachhaltige Staatsfinanzen. Da geht Ihr Vorschlag eindeutig in die falsche Richtung. ({6}) Eine letzte Bemerkung zum Thema „USA als Vorbild“. Es gibt da eine ganz enge Beziehung; ich finde das ganz toll. Die wesentliche Perspektive der USA kommt aus der Energiepolitik. Die USA werden Fracking massiv vorantreiben, ({7}) um sich energiepolitisch wesentlich günstigere Konditionen zu verschaffen. Wenn Sie der Meinung sind, das sei der richtige Weg, nehme ich das zur Kenntnis. Wir sind der Meinung, dass wir beim Thema Fracking einen verantwortungsvollen Weg gehen sollten und nicht einen Weg, der möglichst schnell möglichst viel Geld in unsere Kasse bringt. ({8}) Ich darf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklären, dass wir die fünf Entscheidungen, zu denen das Bundesfinanzministerium den Deutschen Bundestag in dem heute vorliegenden Antrag um Zustimmung bittet, unterstützen werden, und zwar deshalb, weil wir glauben, dass wir an dieser Stelle auf dem richtigen Weg sind. Man kann natürlich über die Größe Zyperns diskutieren, darüber, ob eine Volkswirtschaft wie Zypern die Finanzstabilität in Europa gefährden kann. Wenn man die Vernetzung des Finanzsystems von Zypern in andere Länder, speziell nach Griechenland, sieht, wenn man betrachtet, in welcher Lage andere europäische Länder mit einem Rettungsprogramm, nämlich etwa Irland, Portugal und Spanien, momentan sind - sie sind eigentlich auf einem guten Weg, ihre Probleme zu lösen -, ist doch die Frage: Sollen wir diese Länder in neue Gefahren stürzen, indem wir jetzt plötzlich Nein sagen? Sollen wir in ganz Europa eine Debatte darüber beginnen, welche Länder möglicherweise auch nicht gestützt werden? Wir haben es in den vergangenen Monaten doch geschafft, massives Vertrauen in die europäische Politik zu erzeugen. Alle in der Welt glauben: Die Europäer werden den Euro stabilisieren und die Probleme lösen. - An dieser Stelle ist es richtig, dass wir eindeutig sagen: Ja, Zypern muss jetzt gestützt werden, um die Finanzstabilität in der Euro-Zone insgesamt zu erhalten. Deshalb sagen wir an dieser Stelle ein klares Ja. Es gibt in unserem Land eine Diskussion darüber, ob die fünf Entscheidungen, die wir heute treffen wollen, an einem Tag hier im Parlament diskutiert werden können oder ob sie nicht nacheinander diskutiert werden müssten. Wir haben uns beim Europäischen Stabilitätsmechanismus als Deutscher Bundestag wesentlich größere Mitbeteiligungsrechte gesichert, als dies vorher bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität der Fall war. Zypern hat seinen Antrag noch nach den Regeln der EFSF gestellt, weil der ESM zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschlossen war; es gab lediglich eine Diskussion dazu. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir über das, was das Bundesministerium der Finanzen hier vorschlägt, nämlich über das Ob eines Hilfsprogramms und über den Inhalt eines Hilfsprogramms, also das Wie, am heutigen Tag gemeinsam entscheiden können und dass dies durchaus den Regeln der Mitbestimmung des Deutschen Bundestages entspricht, meine Damen und Herren. Herr Steinmeier hat die Frage der Gerechtigkeit aufgeworfen. Beim Thema „Gerechtigkeit in Europa“ muss man, glaube ich, sehr deutlich die Frage stellen: Was ist denn gerecht? Wir haben drei Alternativen. Die eine Alternative wird uns momentan außerhalb des Parlaments vorgetragen, nämlich die Zerschlagung des Euro-Raums, die Auflösung der Währungsgemeinschaft. Da kann man einmal die Kosten betrachten. Es sind uns in den vergangenen Monaten immer die TARGET-Salden der Europäischen Zentralbank vorgehalten worden: ({9}) knapp 800 Milliarden Euro. Sie sind übrigens momentan im Rückgang begriffen, weil sich die Lage entspannt. Momentan ist es aber nur eine Buchungsposition. Wenn man den Wahnsinn der Auflösung wirklich begehen würde, würde aus der Buchungsposition schlagartig ein Verlust werden. Ist das denn ein Gewinn für Deutschland? Glauben wir, unseren Export, der zu zwei Dritteln in die EuroZone geht, tatsächlich mit einer deutlich stärkeren Währung massiv schwächen zu müssen und dadurch ein bisschen weniger Wachstum und etwas höhere Arbeitslosenzahlen in Deutschland zu organisieren? Trägt dies zum Wohlstand, zur sozialen Sicherheit in unserem Land wirklich bei? Ich sage: Nein. Wir tun mehr für Wohlstand, mehr für Arbeitsplätze, mehr für unsere nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung innerhalb des EuroRaums. Deshalb scheidet für uns diese Alternative aus, meine Damen und Herren. ({10}) Die andere Alternative wird von den Sozialdemokraten und vom Bündnis 90/Die Grünen aufgemacht. Das umschreibt Herr Steinmeier mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. Ist es denn gerecht, dass die zyprische Regierung auf nationaler Ebene ein Geschäftsmodell wählt und wir in Deutschland dafür über eine gemeinsame Haftung am Ende die Rechnung bezahlen? ({11}) Dazu sage ich: Nein. Der, der entscheidet, muss auch die Verantwortung tragen. ({12}) Deshalb müssen wir, wenn national entschieden wird, auch national die Verantwortung wahrnehmen. Das richtet sich nicht dagegen, dass wir Solidarität üben; aber das Verantwortungsprinzip „Entscheidung und Haftung in einer Hand“ muss gelten. ({13}) An dieser Stelle sehen wir einen zentralen Unterschied zu Rot-Grün. Sie sagen: Jeder trifft seine Entscheidungen, aber am Ende wird die Rechnung gemeinsam bezahlt. - Das ist nicht gerecht, das ist unverantwortlich, weil es zulasten der Menschen in Deutschland geht, die diese Rechnung bezahlen müssen. ({14}) Die Euro-Zone ist handlungsfähig - das haben wir in den vergangenen Monaten gezeigt -, und das glauben auch die Beobachter aus dem In- und Ausland. Jetzt will ich etwas zum Thema Gläubigerbeteiligung sagen. Herr Steinmeier hat hier vorgetragen, die Opposition hätte uns dazu treiben müssen. Ich will ihm seinen Glauben lassen; ({15}) aber ich will auch darauf hinweisen, dass wir seit dem 1. Januar 2011 in der Bundesrepublik Deutschland ein Restrukturierungsgesetz haben, in das wir genau dies hineingeschrieben haben, nämlich dass es zu einer Beteiligung der Gläubiger der Banken und der Eigentümer der Banken kommt. Das heißt, wir haben das für uns in Deutschland vor über zwei Jahren gesetzlich geregelt. Deshalb ist es auch nicht unangemessen, wenn wir jetzt in Zypern von anderen eine Gläubigerbeteiligung nach genau diesen Prinzipien einfordern, meine Damen und Herren. ({16}) Zum Thema Geldwäsche möchte ich sagen: Ja, aus meiner Sicht ist es eine Schweinerei, wenn Steuern hinterzogen werden, und, lieber Herr Gysi, es ist auch eine Schweinerei, wenn Sozialbetrug begangen wird. Beides ist gegenüber dem ehrlichen Steuerzahler in diesem Land nicht zu verantworten. ({17}) Da sage ich nicht: Der eine ist besser als der andere, sondern beides ist für jemanden, der in diesem Land rechtstreu ist, nicht akzeptabel und kann von uns nicht akzeptiert werden. ({18}) Deshalb freue ich mich, wenn jetzt Luxemburg und Österreich Signale senden, indem sie sagen, dass wir im Bereich der Kapitalertragsbesteuerung in Europa nicht nur bei den Zinsen, sondern bei allen Kapitalerträgen und beim Informationsaustausch näher zusammenkommen sollten. Diese Bewegung wird auch über die EU-Zone hinaus, über Europa hinaus, dazu führen, dass wir bei Kapitalerträgen gemeinsam zu einer besseren Bekämpfung der Hinterziehung kommen. Es ist richtig, dass Herr Schäuble die Frage der Gestaltungen im Bereich der Unternehmen thematisiert hat und dass wir auch dort versuchen, auf den Ebenen von G 7 und G 20 zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, um diese Modelle in die Vergangenheit zu befördern und an dieser Stelle in Zukunft zu einer fairen Besteuerung zu kommen. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir müssen ihn konsequent gehen. Jetzt komme ich zum Steuerabkommen. Lieber Herr Steinmeier, beim Zustandekommen des Steuerabkommens mit der Schweiz hätten wir zur Stunde über 2 Milliarden Euro in den deutschen Steuerkassen, nämlich durch die Abgeltungen derjenigen, die in der Vergangenheit dort unterwegs waren. ({19}) Diese 2 Milliarden Euro haben die SPD und die Grünen dem deutschen Steuerzahler genommen, indem sie nicht zugestimmt haben. ({20}) Sie haben sich als Sozialdemokraten zum Anwalt der Steuerhinterzieher gemacht. ({21}) Sie haben mit Ihrem Abstimmungsverhalten Steuerhinterzieher in Deutschland geschützt. Sie sollten sich nicht hierhinstellen, große Reden gegen Steuerhinterziehung halten und dagegen stimmen, wenn entsprechende Gesetze auf dem Tisch liegen. ({22}) In Zypern muss das Geschäftsmodell geändert werden. Es kann nicht sein, dass das große Zocken an den Kapitalmärkten von Zypern weitergeführt wird. Deshalb sagen wir Zypern nicht, dass sie abbauen müssen. Zypern muss sein Geschäftsmodell umbauen. Es braucht ein nachhaltig tragfähiges Geschäftsmodell für seine Volkswirtschaft. Das steht jetzt auch im Memorandum of Understanding, über das wir heute befinden. Es kann nicht das Verhalten weitergeführt werden, das zu diesem Unglück geführt hat. Deshalb werden wir diesen Umbau begleiten, wenn Zypern bereit ist, diesen Weg zu gehen. Ich hoffe, dass die Kollegen im zyprischen Parlament dies auch so sehen und unterstützen. Ich hoffe, dass das, was ich eben gesagt habe, auch verstanden wird. Bei dem Thema Staatsbürgerschaften mache ich mir etwas Sorgen, ob das, was ich gerade formuliert habe, schon von allen verstanden worden ist. Deshalb muss hier möglicherweise noch etwas Überzeugungsarbeit geleistet werden. ({23}) Zum Abschluss einen herzlichen Dank an Herrn Schäuble. Denn das Verhandlungsergebnis, das uns vorliegt und das wir als Erfolg bewerten, war nicht trivial, wenn man hört, dass lediglich der Internationale Währungsfonds an der deutschen Seite stand und wir unsere Position gegen viele Widerstände erreichen mussten. Herzlichen Dank! Ich glaube, wir können diesem Ergebnis heute mit Überzeugung zustimmen. Danke schön. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gregor Gysi das Wort. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich muss auf einen Umstand hinweisen, den Sie falsch dargestellt haben; das kann auch aus außenpolitischen Gründen so nicht stehen bleiben. Sie haben gesagt, dass die linke AKEL-Regierung in Zypern höhere Steuern für Unternehmen verhindert hat etc. ({0}) Das ist falsch. Ich will Sie auf Folgendes hinweisen: Die AKELRegierung hatte in der Abgeordnetenkammer Zyperns nie eine Mehrheit. Sie hat im Jahr 2011 zwei Vorschläge unterbreitet - sehr moderat -, um eine Zustimmung im Parlament zu erreichen. Sie wollte nämlich die Unternehmensteuern für eine Übergangszeit von zwei Jahren von 10 auf 11 Prozent erhöhen. Außerdem wollte sie eine permanente Steuererhöhung für großen Land- und Immobilienbesitz mit einem Wert von über 1,5 Millionen Euro einführen. Jetzt sage ich Ihnen, was in der Abgeordnetenkammer passierte: Beide Gesetzesinitiativen wurden von der konservativen Partei, der liberalen Partei und der Europapartei abgelehnt. Die Sozialdemokraten stimmten für ein temporäres Anheben der Unternehmensteuer, aber gegen eine Steuer auf großen Immobilienbesitz. Daran ist es gescheitert. Wäre es nach der AKEL gegangen, hätte sie noch drastischere Steuererhöhungen vorgenommen. Aber die Konservativen, die Sozialdemokraten und die Liberalen haben es verhindert. Das ist die Wahrheit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den gehaltenen Reden weiß ich nicht, ob ich mehr von den Voodoo-Reden von Herrn Fricke und Herrn Meister beeindruckt sein soll. Diese Voodoo-Reden hatten ein bisschen den Inhalt: Diese Bundesregierung hat alles gut gemacht und ist schon eine tolle Truppe. - Das haben wir so aber nicht wahrgenommen. ({0}) - Dass Sie sich in diesen Tagen selber Mut zuklatschen, verstehen alle bei dem Desaster, das Sie selber immer wieder organisieren. Das waren wirklich Voodoo-Reden. Oder soll ich beeindruckter sein von den Pirouetten, die Gregor Gysi vollzogen hat? Es gab kein wirkliches Wort zur Frage des zyprischen Geschäftsmodells, das beendet werden muss. Es gab in Ihrer Rede kein Wort - jetzt gerade ein bisschen - zum vorherigen kommunistischen Präsidenten, stattdessen nur lauter wilde Dinge. Ich muss sagen, Gregor Gysi: Du bist ein wenig herumgehüpft wie Robin Hood in Sherwood Forest, der Rächer der Witwen, Waisen und Rentner. Leider war das ungetrübt von jeglicher Sachkenntnis. ({1}) Dann kommt die Rolle irgendwann einmal an ihr Ende: In das Hilfspaket, dem die Linke gleich nicht zustimmen wird, sind nämlich 400 Millionen Euro eingestellt, um die Renten abzusichern. Wer solch eine Robin-Hood- und Sherwood-Forest-Rede hält, müsste eigentlich zustimmen, zumindest einem Teil des Pakets. ({2}) Meine Damen und Herren, das Rettungspaket für Zypern ist nach einigen Irrungen und Wirrungen, wie wir glauben, gut geworden. Ich sage ganz selbstbewusst: Es ist auch deshalb gut geworden, weil wir Grüne Druck gemacht haben und von Anfang an gesagt haben: Zu den alten Bedingungen werden wir nicht zustimmen. - Es ist richtig, dass wir jetzt die Beteiligung der Gläubiger, der Einlegerinnen und Einleger von über 100 000 Euro in das Rettungspaket integriert haben, weil es heißen muss: Wer vorher den Profit aus einem Geschäftsmodell gezogen hat, muss dann auch die Last tragen. Es ist richtig, dass der überbordende zyprische Bankensektor jetzt geschrumpft wird, auch wenn wir wissen: Dies hat Folgen im sozialen Sektor. Darauf müssen und werden wir achten. Es ist richtig, dass wir zur Erhöhung der Unternehmensteuern kommen und versuchen, dem Steuerdumping eines Mitgliedstaats ein Ende zu setzen. Da ist Zypern im Übrigen nicht alleine. Wir setzen in Europa auf der einen Seite auf Solidarität; auf der anderen Seite wird Steuerdumping immer noch praktiziert. Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Paket nicht nur aus den genannten Gründen oder aus solidarischen Gründen zu, sondern auch, weil wir wissen, dass Zypern für die Stabilität und Sicherheit der Region wichtig ist. Ich muss aber feststellen - deshalb habe ich gerade gesagt: „nach einigen Irrungen und Wirrungen“ -: Diese Bundesregierung hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Eigentlich haben Sie den Start beim Schnüren des ZypernPakets ein Stück weit verhunzt. Ich frage mich schon: Wo waren eigentlich Frau Merkel und Herr Schäuble, als in der ersten Verhandlungsrunde die Beteiligung von Vermögen auch unter 100 000 Euro mit in der Debatte war? In jener Nacht hätte es eigentlich heißen müssen: Wir bleiben bei der Grenze von 100 000 Euro, und für alles darunter garantieren wir. ({3}) Meine Damen und Herren, auch dort haben Sie durch ein zu spätes Agieren Irrungen, Aufruhr und Probleme mit verursacht. Das Problem besteht darin, dass es mittlerweile in ganz Europa ein Misstrauen hinsichtlich der Sicherheit selbst kleinster Ersparnisse gibt. Ich glaube, eines wissen wir: Dies ist der negative Teil der ganzen Verhandlungen über das Zypern-Paket, der sich auf viele andere Bereiche auswirkt. ({4}) Man kann sagen: Es gibt eine europaweite Vertrauenskrise. Herr Schäuble, da reicht es nicht, hier jetzt zu sagen - Sie haben das gerade gemacht -: Die Menschen in Deutschland wissen um die Bedeutung der Europäischen Union für Deutschland. - Sie haben gesagt: 70 Prozent wollen weiterhin den Euro. Herr Schäuble, es gibt aber auch andere Zahlen: Laut Eurobarometer hatten schon Ende letzten Jahres nur noch 33 Prozent der befragten Europäerinnen und Europäer Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union. Das war der zweitniedrigste Wert seit 2004. Dazu gehört auch, dass es in Europa, mit der AfD mittlerweile auch in Deutschland - Herr Meister hat es angesprochen -, ein Wachstum europakritischer Parteien gibt, die sagen: „Raus aus der Euro-Zone!“, die sich in einer Situation, die gar keine Alternative dazu kennt, in der Euro-Zone zu bleiben, als populistische Alternative aufbauen. Da reicht es nicht, Herr Schäuble, ein bisschen mantramäßig festzustellen: Die Menschen wissen schon um die Bedeutung der EU. Ich sage Ihnen: Die Menschen sind auch nach dem Schnüren des Zypern-Pakets verunsichert und fragen sich trotz alledem: Wie soll es eigentlich mit der Europäischen Union weitergehen? Ich muss sagen: Sie sind heute, aber auch in den letzten Monaten die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben. ({5}) Wir erwarten mehr als ein Beschwören einzelner Formeln. Wir erwarten, dass Sie in bestimmten Bereichen tatsächlich aktiv werden und nicht nur formulieren, dass die Finanzmärkte ernsthaft reguliert werden, wir zu einer Schuldenbremse für die Banken kommen und wir wirklich transparente, klare Regeln für die Abwicklung maroder Banken über einen Bankenrestrukturierungsfonds schaffen. Wo sind Ihre Aktivitäten an dieser Stelle? Es muss einen Schub bei der Bekämpfung von Geldwäsche und beim Austrocknen von Steueroasen geben. Wir müssen endlich bei den Investitionsprogrammen weiterkommen, über die wir immer geredet haben. Herr Schäuble, Sie haben vorhin gesagt: Es gibt ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Aber die Jugendarbeitslosigkeit kann man nicht einfach mit 6 Milliarden ins Nichts hinein bekämpfen, sondern man muss für Investitionsprogramme und die Gründung neuer Unternehmen sorgen. ({6}) Wo sind diese Programme? Wo ist zum Beispiel die Initiative für eine Energiewende in Europa, für die Einhaltung der hehren Klimaziele, damit in deren Sog neue Unternehmen entstehen? Ich frage Sie, Herr Schäuble: Wo ist die Verve, mit der die Kanzlerin für ein Europa der Zukunft eintritt, für ein Europa, das in Zukunft die Bürger mit einbezieht, ein Europa, in dem sich alle einig sind, dass wir gemeinsam über unsere Weiterentwicklungen reden und auch in einem europäischen Volksentscheid darüber entscheiden?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schäuble, Frau Merkel, am Ende ist es noch gut gegangen, und wir werden dem Zypern-Paket zustimmen. Aber dazu, wie Sie mit Innovation und Verve die Zukunft Europas organisieren wollen, haben Sie heute wenig geliefert. Diese Debatte steht noch aus. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Frank Schäffler erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was heute stattfindet, ist ein Rechtsbruch, ein kollektiver Rechtsbruch. ({0}) Alle haben sich darauf verständigt, den ESM, den wir gerade geschaffen haben, die Regeln, die wir dort beschlossen haben, einfach beiseite zu wischen; denn kein Mensch kann ernsthaft behaupten, dass eine halbe Insel wie Zypern, deren größte Bank kleiner ist als die Hamburger Sparkasse, irgendwie systemrelevant für den Währungsraum als Ganzes ist. Das ist absurd. ({1}) Auch das was die Europäische Zentralbank fortgesetzt macht, ist ein kollektiver Rechtsbruch; denn das, was hier passiert, ist nichts anderes, als die Rettung der zypriotischen Notenbank. ({2}) Sie hat seit September 2011 der Laiki Bank 9,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Sie hat sie am Leben gehalten. Sie hat dafür gesorgt, dass Einleger ihr Geld abziehen konnten, dass sie im Zweifel nicht haften. Letztendlich wird jetzt die zypriotische Notenbank herausgeboxt; denn deren ELA-Kredite werden jetzt auf die Bank of Cyprus übertragen. Das ist ein Taschenspielertrick: Nach außen wird gesagt, dass die Gläubiger beteiligt werden, aber der größte Gläubiger, die zypriotische Notenbank, wird herausgeboxt. Das ist das, was hier tatsächlich passiert. Die eigentliche Ursache dieser Krise ist aber eine ganz andere, nämlich eine Krise unseres Geldsystems, weil wir es nicht schaffen, das Geldmonopol des Staates abzuschaffen. Letztendlich hat die Geldpolitik des Staates dazu geführt, dass sich diese Länder überschuldet haben, dass sich die Wirtschaften überschuldet haben, dass wir ein Schneeballsystem aus ungedeckten Forderungen entwickelt haben; und diese ungedeckten Forderungen platzen jetzt. ({3}) Die Antwort auf diese Krise kann eigentlich nur sein, dass wir zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung kommen, zu einer Geldordnung, die Sparen und Investieren und die Kreditvergabe wieder in Einklang bringt. Wer Geld aus dem Nichts produziert, indem er als Bank auf den Knopf drückt, der verursacht Blasen, die immer wieder platzen. ({4}) Jetzt platzt die Blase in Zypern, morgen platzt die Blase in Portugal, übermorgen in Frankreich. Das heißt: Wir stehen am Anfang dieser Finanzkrise. Wenn wir immer mehr Geld in das System pumpen, dann führt das am Ende dazu - und das ist das Gegenteil dessen, was viele hier in diesem Haus wollen -, dass diese Währung vor die Wand fährt. Ihre Existenz wird nicht von Dauer sein, wenn wir sie immer wieder mit neuem Geld befeuern. Die Brandstifter in diesem System sind die europäischen Notenbanken und die Europäische Zentralbank. Herr Draghi tut das Gegenteil dessen, was er nach den Verträgen eigentlich tun muss: die Preisstabilität des Euro sichern. ({5}) Er boxt die Länder heraus. Das, was in Irland heute passiert, ist das Gegenteil dessen, was uns jahrelang gesagt wurde. Wir haben immer gehört: Irland ist doch das beste Beispiel, da läuft es super. - Aber wenn es super laufen würde, dann müssten wir die Laufzeiten der Kredite nicht verlängern. Das Gegenteil ist der Fall. Die EZB hat die Iren herausgeboxt. Am Ende hat der irische Staat 20 Milliarden Euro weniger an Zinszahlungen zu leisten, weil die EZB das Geld schlicht gedruckt hat. Wer diesen Weg weitergeht, der wird die Währung ruinieren. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fall Zypern zeigt, dass wir es bei der als Euro-Krise beschriebenen Situation im Euro-Raum nicht mit einer Krise der Währung zu tun haben, Herr Schäffler, sondern mit einem überbordenden und unkontrollierten Bankensystem, das die Gefahr birgt, Staaten und Staatsfinanzen und damit im schlimmsten Fall unser Währungssystem zu Fall zu bringen. ({0}) Das Programm, das wir heute für Zypern verabschieden, ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels, den wir Sozialdemokraten gefordert haben und deswegen jetzt auch unterstützen. Der Paradigmenwechsel bedeutet, dass die Privatgläubiger, die Risiken eingegangen sind, indem sie einem Offshorefinanzplatz, wo man wenig Steuern zahlt und sein Geldvermögen geheimhalten kann, Geld anvertraut haben, und diejenigen, die Aktionäre dieser beiden Banken waren, aber auch Einleger - ich will Ihnen sagen: Aus meinem Wahlkreis war das keiner, so reich sind die Leute bei mir in Erfurt nicht; aber es muss wohl welche geben, die dort Einlagen hatten - jetzt die Hauptzeche für die Lasten zahlen, die durch diese Krise entstanden sind, das ist richtig. ({1}) Herr Schäuble, diesen Paradigmenwechsel hätten Sie, auf Deutsch gesagt, fast noch versaut. Das war der Fehler, den Sie mit Ihren Kollegen gemacht haben. Sie und die Bundeskanzlerin haben uns hier empfohlen, einer Beteiligung der Kleinsparer an der Sanierung der Banken zuzustimmen. Das war ein großer ökonomischer und politischer Fehler, der zu einer tiefen Verunsicherung geführt hat. ({2}) Ich glaube, es wird gerade in den südeuropäischen Ländern schwer sein, wieder Vertrauen aufzubauen. Nichtsdestotrotz ist das jetzt vorliegende Paket, insbesondere was die Gläubigerbeteiligung betrifft, richtig. Herr Meister, Sie haben wieder die Mär vorgetragen, die Sozialdemokraten wären für eine Vergemeinschaftung der Schulden. Sorry, das ist nicht der Fall. Dass Sie das so gesagt haben, kann nur daran liegen, dass Sie jetzt einen Punchingball brauchen wegen der Abspaltung eines Teils Ihres rechten Flügels, der Alternative für Deutschland. Wenn Sie dem Kollegen Schäffler zuge29170 Carsten Schneider ({3}) hört haben, haben Sie mitbekommen, dass er auch über die EZB gesprochen hat. Ich teile nicht jede seiner Einschätzungen dazu, vor allen Dingen nicht seine Schlussfolgerung, aber dass wir über die Europäische Zentralbank schon längst in einer Haftungsgemeinschaft sind, ist doch Fakt. Das ist Fakt, Herr Meister. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Schneider, darf der Kollege Fricke eine Zwischenfrage stellen? - Bitte schön.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schneider, ich glaube, es wurde weder vom Kollegen Meister noch von mir bestritten, dass es eine anteilige Haftung in Europa gibt. ({0}) Das ist Teil der europäischen Verantwortung. Weil Sie auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Experte sind, wissen Sie genauso gut wie ich, dass das nie ein Streitpunkt war. Weil Sie gesagt haben, die SPD sei nicht für eine Vergemeinschaftung von Schulden und der Kollege Steinmeier eben heftig widersprochen hat und ich eine solche Sache gerne geklärt habe, damit sie vom Tisch ist, will ich die Gelegenheit nutzen, Sie Folgendes zu fragen: Sagen Sie hiermit, dass die SPD gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden im Sinne einer gesamthänderischen Haftung ist? Sind Sie in der Lage - darauf bezog sich der Widerspruch -, ({1}) hier zu sagen: „Die SPD wird einer Vergemeinschaftung von Bankenrettungsfonds nicht zustimmen“?

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist gut, dass Sie das ansprechen, Herr Kollege Fricke. Das gibt mir Gelegenheit, meine Redezeit zu verlängern. ({0}) Erstens. Die deutsche Verfassung, das Grundgesetz ist eindeutig. Wir können keine gesamtschuldnerische Haftung für die Schulden anderer Staaten der Euro-Zone übernehmen - Punkt. Das ist im Grundgesetz normiert, und das teilen wir als Sozialdemokraten. Wir sind der Auffassung, dass wir die Währungsunion auch um eine echte Fiskalpolitik erweitern müssen. Das bedeutet vor allen Dingen eine stärkere Vereinheitlichung im Bereich der Steuerpolitik, zum Beispiel, dass es nicht länger Dumpingsteuersätze quer durch Europa gibt. Vor allen Dingen bedeutet das aber, dass wir Kontrolle über die Haushalte anderer Mitgliedstaaten bekommen, nicht wir als Bundestag, sondern etwa eine europäische Behörde. Aber das ist Zukunftsmusik. Das ist im Übrigen das, was auch der Bundesfinanzminister zu einer Verstärkung und Erweiterung der Währungsunion zu einer Fiskalunion sagte. Es ist ein Fehler gewesen, den Euro als Währung ohne eine gemeinsame Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik in die Welt zu setzen. Darunter leiden wir heute. Diesen Fehler müssen wir langfristig korrigieren. Jetzt komme ich zum zweiten Teil der Frage, zur Frage der Vergemeinschaftung der Banken. Das ist ein ganz wichtiger und zentraler Punkt. Sie sind dafür, dass es auf europäischer Ebene eine gemeinsame Bankenaufsicht gibt. Das ist richtig. Dazu gehört aber auch - dem hat die Bundeskanzlerin auf zwei Gipfeln zugestimmt; ich denke, dafür hat sie Ihre Unterstützung -, ({1}) dass der Teufelskreis bzw. die Verbindung zwischen Staatsfinanzen und Bankenbilanzen durchbrochen wird. Was bedeutet das? Wenn wie in Zypern das Bankensystem in einem Staat kollabiert, zieht es die Staatsfinanzen mit sich, weil die Staatsschuldenlast anwächst, weil wie in Irland oder Spanien geschehen, die Schulden vom Staat übernommen werden müssen. Letztendlich ist dann auch das Land in Finanzierungsschwierigkeiten und hat keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Das ist zwingend notwendig. Das ist im Übrigen einer der Schlüssel, um die Euro-Krise zu überwinden und die Wachstumsaussichten der südlichen Peripherie wieder zu stärken. ({2}) Denn deren Banken sind unterkapitalisiert; sie haben zu viele Verluste in den Bilanzen und können deswegen keine Kredite mehr vergeben. Was ist die Antwort darauf? Die Antwort ist nicht ein nationaler Abwicklungsfonds. ({3}) Diese Antwort wäre falsch; das ist ganz klar. Wir Sozialdemokraten und übrigens die komplette Wissenschaft und auch die Europäische Kommission sehen das so. Wir sind dafür, dass die Aktionäre der europäischen Banken - nicht die Einleger - gemeinsam etwas von ihren Gewinnen in einen europäischen Fonds einzahlen, so wie es in Deutschland gemacht wird, nur mit höheren Summen. Der Bankenhaftungsfonds hier in Deutschland hat ein Volumen von 2 Milliarden Euro. Das ist lächerlich. ({4}) - Nicht der Staat. - Die Banken selbst sollen Abgaben auf ihre Gewinne zahlen - diese Abgaben sollen höher sein als das, was in Deutschland gezahlt wird -, um aus diesem Fonds die Verluste im europäischen Bankensektor im Ernstfall decken zu können. Nur so kann es gelingen, diese Abwärtsspirale, von der Banken und Staaten betroffen sind, zu durchbrechen. ({5}) Carsten Schneider ({6}) Das ist die entscheidende und auch rechtlich machbare Maßnahme, die es schnellstmöglich, Herr Minister Schäuble, umzusetzen gilt. Sie haben auf das hingewiesen, was in Dublin erörtert wurde. Dass Sie sagen, die Einführung einer europäischen Bankenaufsicht sei im Rahmen der europäischen Verträge noch möglich, das gehe gerade noch so, aber eine Bankenabwicklung sei nicht möglich, sei ein Fehler. Wenn Sie sagen, dass Sie eine europäische Bankenaufsicht einführen wollen und dass die Europäische Zentralbank die Aufsichtsfunktion wahrnehmen soll, die aber, so wie Kollege Schäffler eben gesagt hat - in dem Punkt hat er recht -, Hauptgläubiger und Kreditgeber vieler Banken ist, frage ich mich: Wie soll sie unabhängig Geldpolitik machen können? Wie soll sie agieren und eine Bank schließen können, wenn sie weiß, dass sie Hauptlasttragende ist? Deswegen ist es eine Mär, Kollege Meister, wenn gesagt wird, wir hätten bisher keine - zumindest teilweise - Vergemeinschaftung der Schulden. Wir haben sie über das System der Europäischen Zentralbank: Es sind Liquiditätshilfen in einem Umfang von 1,4 Billionen Euro an die Banken vergeben worden - unter Zugrundelegung sehr niedriger Sicherheitsstandards und im Übrigen ohne Information des Deutschen Bundestages. Das findet quasi in einem vordemokratischen Raum statt. Um das wieder in die Hand des Parlaments zurückzuholen, aber auch um es möglich zu machen, große Banken, die die Staaten erpressen, abzuwickeln, brauchen wir einen unabhängigen Aufseher und vor allen Dingen ein Abwicklungsregime. Wir haben weder das eine noch das andere. Ich kenne keine Vorschläge, keine Ideen aus dem Bundesfinanzministerium, die aufzeigen, wie das gehen soll. Sie sind an dem Punkt weit zurückgeblieben. Das führt nicht dazu, dass die Macht wieder in der Hand des Staates liegt, sondern dazu, dass der Markt und die großen Banken uns erpressen können. Das ist leider die Situation. Wir Sozialdemokraten wollen das ändern. ({7}) Herr Kollege Meister, Sie haben das Steuerabkommen mit der Schweiz und das Thema Steueroasen angesprochen. Wissen Sie, wir Sozialdemokraten sind dafür, dass diejenigen, die viel Geld in einem Land verdient haben, es auch in diesem Land versteuern. Wir wollen - dafür kämpfen wir schon seit Jahren, Peer Steinbrück vorneweg ({8}) der Anonymität der Kontenbesitzer den Garaus machen, zumindest in der Europäischen Union. ({9}) Sie und Ihr Finanzminister haben uns ein Steuerabkommen mit der Schweiz vorgelegt. Dadurch wäre erstens die Anonymität auf Dauer gesichert worden. Zweitens hätten die Steuervollzugsbeamten so gut wie gar nicht mehr kontrollieren dürfen. Sie hätten das Instrument, das jetzt auch Sie nutzen, nämlich CDs, nicht mehr nutzen können. Dieses Instrument, das ja wirkt, hätten Sie ihnen aus der Hand geschlagen. Drittens wären gerade die Banken, die bisher den Steuerbetrug in der Schweiz begangen oder befördert haben, diejenigen gewesen, die unsere Steuern eingezogen hätten. Dazu haben wir ganz klar Nein gesagt. Die Zeit gibt uns recht. Es war richtig, dass wir an dieser Stelle hart geblieben sind. ({10}) Dass sich Luxemburg und, wie ich hoffe, auch Österreich jetzt bewegen, ist, glaube ich - ohne zu viel zu sagen und ohne sich selbst mit zu vielen Lorbeeren zu schmücken -, ein bedeutender Punkt. Wichtig war, dass gute Journalisten - nicht der Bundesfinanzminister diese Offshoreregionen öffentlich gemacht haben. Wichtig war auch unser energischer Widerstand gegen die Wahrung der Anonymität von Kontenbesitzern in anderen europäischen Ländern. Es muss Schluss sein mit Dumping. Wer die Solidarität erhalten will, muss selbst Solidarität leisten. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Carsten Schneider, du hast ja gerade - das will ich dir durchaus zugestehen - in sehr eloquenter und wortreicher Art und Weise auf die Frage des Kollegen Otto Fricke mehr oder weniger nicht geantwortet, ({0}) bzw. deine Antwort zeigte klar und deutlich, wohin der Weg von Rot-Grün geht. Ihre Politik im Hinblick auf die Bankenunion würde dazu führen, dass deutsche Sparerinnen und Sparer mit ihrem Geld für die Einlagen griechischer, portugiesischer oder zyprischer Banken haften müssten. ({1}) Das unterscheidet uns von der anderen Seite des Hauses, und bei dieser Linie bleiben wir konsequent. ({2}) Lassen Sie mich einen Hinweis zum letztgenannten Punkt, zu dem Steuerabkommen, geben. Lieber Kollege Carsten Schneider, liebe SPD-Fraktion, Sie alle wissen, dass Steuerhinterziehung nach zehn Jahren verjährt. Mit Ihrer Blockadehaltung haben Sie dazu beigetragen, dass Steuerhinterzieher ihr Geld nach zehn Jahren zurück29172 bringen und sich daran erfreuen können, während wir dafür gesorgt hätten, dass mindestens 2 Milliarden Euro in die Haushaltskasse fließen; auf Dauer betrachtet wäre es sicherlich ein wesentlich höherer Betrag gewesen. ({3}) Das hat die SPD verhindert. Da müssen Sie sich Ihrer Verantwortung stellen. ({4}) Der Satz: „Sie haben sich damit zum Anwalt der Steuerhinterzieher gemacht“, den Michael Meister vorhin gesagt hat, ist richtig, und ich wiederhole ihn. ({5}) Jetzt zu Zypern. Ich unterstütze - das will ich vorweg sagen - nachdrücklich das Hilfsprogramm für Zypern. Ich bin froh, dass sich im Deutschen Bundestag eine breite parlamentarische Unterstützung abzeichnet. Ich will an dieser Stelle festhalten: Die Bundesregierung, allen voran unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, hat sehr gut verhandelt. Das Ergebnis, das jetzt auf dem Tisch liegt, entspricht dem, was wir von Anfang an gefordert haben. Deshalb ist das ein hervorragendes Verhandlungsergebnis. Dafür mein großer Dank! Obwohl sich unsere Bundeskanzlerin von Teilen der Bevölkerung der Empfängerländer sogar beschimpfen lassen muss - wir empfinden das als inakzeptabel -, muss man sagen: Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir das Programm für richtig und notwendig halten. Deshalb stehen wir dazu, es hier und heute zu verabschieden. ({6}) Für uns gilt weiterhin der Grundsatz: Europäische Hilfsprogramme gibt es nur gegen Konditionalität. Das ist bei jeder Hilfe das Grundprinzip. Deshalb wollen wir auch für Zypern eine faire Lastenverteilung. Wenn man das Programm insgesamt betrachtet, muss man feststellen: Es ist sogar so, dass der größere Anteil durch eine Eigenleistung Zyperns erbracht werden muss, und zwar insbesondere durch die Beteiligung der Eigentümer, der Gläubiger und der Einleger zyprischer Banken, die sich an den Kosten der Bankenrestrukturierung beteiligen müssen. Das ist der richtige Weg. Im Übrigen führt das Programm dazu, dass sich der Bankensektor in Zypern auf ein erträgliches Niveau verkleinert. Die Einnahmebasis des Staates wird verbessert. Die Haushaltskonsolidierung wird vorangetrieben. Strukturreformen sind im Memorandum of Understanding enthalten. Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sollen gefördert werden. Das große Problem der Geldwäsche wird massiv angegangen, auch mit unabhängiger externer Kontrolle. Auch das haben wir von Anfang an gefordert, und das ist jetzt so eingetreten. Unser Finanzminister hat darauf hingewiesen, dass eine Staatsinsolvenz Zyperns außer Frage steht. Die Kommission und die EZB haben zu Recht gemeinsam festgestellt, dass daraus eine Gefährdung der Finanzstabilität für ganz Europa resultieren könnte. Deshalb ist es gut und richtig, dieses Risiko nicht einzugehen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion insbesondere, stehen für einen stabilen Euro. Wir wollen unseren Menschen draußen im Lande versichern können: Ihr könnt euch auf die Stabilität des Euro verlassen! Dafür beschließen wir diese Programme. Dafür treten wir ein. Das ist unser Ziel. ({7}) Meine Damen und Herren, dass dieser Weg richtig ist, zeigt sich auch an Portugal und Irland. Denn auch die Verlängerung der Kreditlaufzeiten, also der Rückzahlungsverpflichtung für die Kredite, ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg und zeigt, dass sowohl die Empfängerländer als auch die Garantiegeber dafür einstehen, dass diese Länder möglichst bald von den Rettungsschirmen unabhängig gemacht werden. Das ist das Ziel unserer Politik. Der letzte Quartalsbericht für 2012 zeigt, dass das Defizitziel in Irland deutlich unterschritten wird. Bereits 2015 wird Irland wieder die 3-Prozent-Grenze des Stabilitätspakts unterschreiten. Die Schuldenstandsquote in Irland geht weiterhin zurück. Die Bilanzschrumpfung und die Verbesserung der Refinanzierungssituation sowie der Rentabilität des Bankensektors schreiten voran. Irland bekommt immer breiteren Zugang zu den Kapitalmärkten. Und auch die Strukturreformen zeigen Wirkung. Deshalb, meine Damen und Herren: Wenn das eintritt, was uns die Experten vorhersagen, dass nämlich am Ende dieses Jahres das Irland-Programm ausläuft, man zu Deutsch also den Ende 2010 aufgespannten Rettungsschirm wieder zusammenklappen kann, dann werden wir erstmals die Situation haben, dass diejenigen, die gegenüber unseren Rettungsschirmen immer skeptisch waren, die sogar dagegen gestimmt haben - die wenigen in unseren Reihen, aber insbesondere die Linke -, von der Geschichte überholt werden. Bei den Linken ist das nichts Außergewöhnliches. Das haben wir schon mehrfach erlebt. Aber auch die anderen, die gegen Hilfen für Irland gestimmt haben, werden am Ende des Jahres erleben, dass die Geschichte sie revidiert. Ich bin überzeugt, dass es auch so eintreten wird. Auch der Blick nach Portugal zeigt: Portugal ist auf einem guten Weg, auch wenn dieser etwas holpriger ist als in Irland, aber sie sind auf dem richtigen Weg. Und auch aus Griechenland hören wir ermutigende Botschaften. Selbst in Griechenland schreitet die Haushaltskonsolidierung voran. Zwischen 2009 und 2012 sind die Primärausgaben um 22 Prozent gesunken. Übertragen auf Deutschland entspräche das einem Einsparvolumen von 240 Milliarden Euro. Zu Anfang dieser Legislaturperiode haben wir ein Sparpaket in einem Umfang von 80 Milliarden Euro aufgelegt. Dies hat nicht allen gefallen. Nun muss man die Sparbemühungen in Griechenland dazu in Relation setzen und entsprechend würdigen. Das hat dazu geführt, dass das Haushaltsdefizit in Griechenland von 16 auf 7 Prozent des BIP gesunken ist. Wenn man die Zinsausgaben und die Konjunktureffekte herausrechnet, dann hat der griechische Staatshaushalt inzwischen sogar einen Überschuss. Auch Griechenland befindet sich also auf einem zwar mühsamen, aber guten und richtigen Weg. An der Stelle hätte ich mir gewünscht, Herr Steinmeier, dass Sie, wenn Sie auf europäische Verhältnisse abheben, sich den IWF-Bericht, aus dem Sie zitiert haben, etwas genauer angesehen hätten. Hätten Sie dies getan, dann hätten Sie festgestellt, dass in diesem IWFBericht - erstens - die Wachstumszahlen für Deutschland positiver dargestellt werden, als Sie es getan haben, nämlich mit 0,6 Prozent für dieses Jahr und mit 1,5 Prozent für das kommende Jahr. Zweitens hätten Sie festgestellt, dass das eigentliche Sorgenkind laut dieses Berichts Frankreich ist; denn für Frankreich werden dort für 2013 ein Rückgang auf 0,4 Prozent und für 2014 ein Wachstum von 0,9 Prozent festgehalten. Wir alle wären froh, wenn Frankreich in der Lage wäre, schon bald wieder das 3-Prozent-Ziel einhalten zu können. Das bereitet uns mehr Sorge, und das ist in diesem Bericht auch so enthalten. Abschließend, meine Damen und Herren, können wir feststellen: Europa bewegt sich. Diese Krise hat viel dazu beigetragen, dass positive Kräfte entfaltet wurden. Schritt für Schritt werden sozusagen die Erziehungsfehler im Hinblick auf den Euro korrigiert, werden entsprechende Reformpakete beschlossen; der Fiskalvertrag und der Stabilitätspakt sind nur Beispiele dafür. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten. Das nächste große Thema sind die Finanzmärkte, ist die Bankenunion. Ich habe eingangs schon erwähnt, dass wir auch bei der Bankenunion auf unsere Grundprinzipien setzen. Diese Grundprinzipien stehen dabei durchaus im Gegensatz zu dem, was zum Beispiel die Grünen fordern. Wenn ich die Rede von Frau Künast rekapituliere, muss ich feststellen: Es war wieder die Rede davon, dass wir - die deutsche Bundeskanzlerin, der deutsche Finanzminister - eine Garantie für die Spareinlagen auf Zypern hätten abgeben sollen. Genau das unterscheidet uns von den Grünen. Wir sind der Meinung: Jeder hat für seine Spareinlagen selbst zu garantieren, hat eigenständige Sicherungsfonds aufzulegen. Dieser Linie bleiben wir treu. ({8}) Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, dass wir auf Europa nicht immer nur durch die Krisenbrille sehen müssen, sondern bald dazu zurückkehren können, die positiven Aspekte zu sehen. Damit wir auf diesem Weg weiter vorankommen, bitte ich Sie alle, dem heutigen Abstimmungspaket zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Priska Hinz das Wort.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barthle, Herr Kollege Meister, es muss Ihnen richtig wehtun, dass wieder eine rot-grüne Landesregierung eine Steuer-CD gekauft hat und damit Steuerhinterziehern auf der Spur ist; ({0}) sonst würden Sie dieses Thema hier nicht so auswalzen und uns vorhalten, wir würden Steuerhinterziehung begünstigen. Nein, das Gegenteil ist der Fall. ({1}) Da Sie auf das Abkommen mit der Schweiz abheben, das wir zu Recht, finde ich, torpediert haben, möchte ich Ihnen sagen: Wenn dieses Steuerabkommen in Kraft getreten wäre, hätte das zu einer dauerhaften Anonymität von Steuerhinterziehern geführt. Deshalb haben wir dieses Abkommen zu Recht abgelehnt. ({2}) Wir wollen ein europäisches Steuerabkommen, das alle Länder umfasst und Steuerhinterziehung aus der Anonymität herausholt. Herr Gysi, Ihre Rede war mehr als hilflos. Da verhandelt ein kommunistischer Präsident bis Dezember ein MoU, in dem all das steht, was Sie hier vorgelesen haben - Stellenstreichungen, Eingriffe in die Bildungsverwaltung, Eingriffe in Renten, Eingriffe in den Gesundheitssektor -, wollte aber gleichzeitig die Steueroase Zypern erhalten, den riesigen Bankensektor nicht regulieren und Standards zur Verhinderung von Geldwäsche nicht durchsetzen. Wir haben dafür gesorgt, dass dieses alles stattfindet: dass der Bankensektor reguliert wird, dass Banken abgewickelt werden mit Gläubigerbeteiligung, dass Geldwäschestandards überprüft werden. Das haben wir mit unserer Politik erreicht, und deswegen werden wir diesem Paket zustimmen können. ({3}) Wenn Sie noch nicht einmal bereit sind, in dem Fall, dass eine Bankenabwicklung stattfinden muss, eine Gläubigerbeteiligung zuzulassen, dann muss ich mich schon fragen, was Sie überhaupt für alternative Konzepte anzubieten haben, um Bankenkrisen und daraus folgende Schuldenkrisen zu bewältigen. Dazu haben wir von Ihnen kein Wort gehört. ({4}) Wir Grünen haben in der Frage von Hilfsprogrammen für Zypern einen klaren Kompass: Die Geldwäsche muss Priska Hinz ({5}) bekämpft werden, der Bankensektor muss verkleinert werden, Inhaber von Einlagen in Höhe von über 100 000 Euro müssen beteiligt und herangezogen werden. Dabei geht es gar nicht darum, Kollege Barthle, dass wir aus Deutschland heraus Einlagen auf Zypern sichern, es geht darum, dass die Euro-Gruppe - mit dem erfahrenen Bundesfinanzminister Schäuble an der Spitze - zur Verunsicherung aller Einleger beigetragen hat, indem sie auch Einlagen unter 100 000 Euro heranziehen wollte - gegen eine europäische Übereinkunft. Das ist das Versagen, das wir der Bundesregierung vorwerfen müssen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hinz, darf die Kollegin Hänsel Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegin Hinz, Sie haben ja gerade vollmundig erklärt, wie stark die Grünen Geldwäsche bekämpfen und die Banken regulieren wollen. Dazu habe ich eine konkrete Nachfrage. Heute wird im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates über die Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru entschieden. In diesen Freihandelsabkommen wird eine umfassende Liberalisierung der Finanzdienstleistungen und des Bankensektors festgelegt. Wir haben die Auswirkungen durch eine Studie prüfen lassen. Selbst der Wissenschaftliche Dienst bestätigt, dass durch Liberalisierung Geldwäsche und Steuerflucht Vorschub geleistet werden kann. Während wir hier also über Bankenregulierung und die Regulierung des Finanzsektors diskutieren, wird die Liberalisierung auf europäischer Ebene über diese bilateralen Freihandelsabkommen weiter vorangetrieben. Wir haben eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat. Die Linke aus Brandenburg ist gegen die Liberalisierung. Rot-Grün wird aber eben nicht dagegen stimmen, sondern wird die Freihandelsabkommen und dadurch auch diese Liberalisierungen der Finanzdienstleistungen passieren lassen. Hierauf hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen. ({0})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube zwar, Sie sind gerade bei einem anderen Tagesordnungspunkt, aber ich kann Sie beruhigen: Wir werden das Gesetz auch ablehnen. ({0}) Meine Damen und Herren, wir waren bei Zypern, und ich möchte deutlich machen, dass Zypern bei den Verhandlungen über das MoU und das Hilfsprogramm sehr große Schritte gegangen ist. Das verdient unser aller Respekt; das will ich an dieser Stelle deutlich machen. Es entstehen ja durchaus Schwierigkeiten, wenn ein Bankensektor plötzlich, über Nacht sozusagen, drastisch schrumpft, auf 350 Prozent des BIP. Natürlich entstehen deshalb für die Bevölkerung jetzt ziemliche Härten, durch eine erhöhte Arbeitslosigkeit und schrumpfende Einkommen. Weil wir von Zypern diese Härten erwarten mussten und erwartet haben, gilt umso mehr, dass wir jetzt auch - das ist unsere erste Forderung an die Bundesregierung durch Hilfsprogramme des Europäischen Rats und durch eine strukturelle Unterstützung im Bereich erneuerbarer Energien und sektoraler Wachstumsbranchen, die man jetzt identifizieren muss, Hilfe leisten, damit Zypern ein anderes Geschäftsmodell aufbauen kann. Aufgrund der europäischen Solidarität gilt es jetzt, tatsächlich Hilfe zu leisten. Wir können nicht nur einfordern, sondern wir müssen jetzt unseren Teil der Solidarität auch zurückgeben. ({1}) Unsere zweite Forderung ist, dass bei der Etablierung der Bankenunion ein europäischer Bankenrestrukturierungsfonds auf den Weg gebracht wird. Es kann nicht dabei bleiben, dass nur die nationalen Bankenfonds für die Bankenrettung herangezogen werden. Das wird auf Dauer nicht ausreichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann werden wir die Staatsschuldenkrise nie lösen können. Ansonsten werden wir dem Programm zustimmen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Joachim Spatz für die FDP-Fraktion. ({0})

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die SPD hat Herr Steinmeier vorhin gesagt, die Zustimmung zu dem Zypern-Paket sei keine Zustimmung zur Rettungspolitik der Bundesregierung. Ich finde, es ist schade, dass Sie sich für eine GemeinsamJoachim Spatz keit der Demokraten - wir werden hier bei der Abstimmung ja eine große Gemeinsamkeit haben - nach innen entschuldigen. Sie haben bisher noch jedem Rettungspaket entweder durch aktive Zustimmung oder durch Enthaltung den Weg mit bereitet. Das finde ich eine gute Nachricht für das Land und für Europa. Ich finde es aber schade, dass Sie offensichtlich glauben, sich gegenüber Ihren eigenen Mitgliedern dafür entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen; ({0}) denn Sie stimmen zu Recht zu. An dem Kurs, Solidarität innerhalb Europas zu gewähren, aber gleichzeitig Solidität einzufordern, führt überhaupt kein Weg vorbei. Wir müssen allen Empfängerländern die Reformen abverlangen, und wir tun das auch, die langfristig dazu führen, dass man Hilfen dieser Art nicht mehr gewähren muss. Jeder sollte seinen Teil dazu beitragen, an dieser nachhaltigen Politik mitzuarbeiten, und darauf stolz sein. Im Übrigen gehören dazu natürlich nicht nur Solidität und Solidarität. Nein, dazu gehört auch Wachstum. Aber wir haben andere Antworten auf die Frage: Was generiert wirklich Wachstum? Wir sind der Meinung, Wachstum wird durch das generiert, was in Deutschland erfolgreich war, nämlich eine Reformpolitik, die wettbewerbsfähig macht, während Sie auf öffentliche Investitionen setzen, finanziert durch Schulden. Oder Sie sagen: Macht das Erfolgsmodell der Amerikaner nach, also die Politik des billigen Geldes. Ich sage Ihnen: Am Ende der Reise wird das nicht zu mehr Wachstum führen und - das zeigen die Beispiele Japan und USA - auch nicht zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, sondern das wird am Ende der Reise dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger durch Inflation das bezahlen müssen, was Sie durch Ihre falsche Politik an Kosten verursacht haben; ({1}) es sei denn, Sie wählen den Weg, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht am Ende der Reise bezahlen müssen, sondern dies gleich im Vorab durch höhere Steuern finanzieren, wie Sie das in den anstehenden Wahlkämpfen vorschlagen. Aber auch diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Ein Wort zu Gregor Gysi von der Linken, weil er vorhin versucht hat, das Handeln des ehemaligen kommunistischen Staatspräsidenten und seiner Regierung in Zypern im Nachhinein reinzuwaschen. Es ist schon mutig, hier vom Rednerpult aus die Schuld an der heutigen schwierigen Lage in Zypern allen anderen aufzulasten, nur nicht der dortigen Regierung. Eine Regierung, die sich über ein Jahr schlicht geweigert hat, mit der EUKommission und dem IWF überhaupt zu verhandeln und durch diese Weigerung die Krise noch massiv verschärft hat, jetzt gewissermaßen zu exkulpieren, geht nicht. Auch hier gilt, dass sich die Politik, gegenüber Zypern Solidarität zu zeigen und gleichzeitig Solidität abzuverlangen, Bahn brechen muss. Die Regelung des Finanzsektors ist schon angesprochen worden. Wir sind natürlich bereit, das Notwendige zu tun; das ist überhaupt keine Frage. Wenn Sie uns da begleiten, sind wir gerne bereit, diese Mithilfe, auch wenn Sie sich dann vielleicht wieder gegenüber Ihren Leuten entschuldigen müssen, anzunehmen. Es bleibt bei diesem europapolitischen Kurs, den wir in diesem Jahr den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zur Beurteilung vorlegen. Unser Kurs heißt: Wir üben Solidarität, fordern von anderen aber Solidität ein. Wir fordern ein, dass sie sich an der Benchmark des Weltmarktes beim Thema Wettbewerbsfähigkeit orientieren. Diese Politik legen wir genauso zur Beurteilung vor wie unsere Politik hier zu Hause: solide Staatsfinanzen mit einer Nettoneuverschuldung von null und das, ohne Steuererhöhungen in Höhe von 40 Milliarden Euro vorzunehmen, wie Sie das machen wollen. Ich bin überhaupt nicht bange, was in der Bundesrepublik Deutschland am Ende der Reise mehrheitsfähig sein wird: Die Solidität wird es sein und nicht eine inflationsriskierende Politik. Besten Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute wieder eine der wichtigen und ernsthaften Entscheidungen zu treffen, wie wir sie seit Beginn der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise schon mehrmals zu treffen hatten. Wir haben auch dieses Mal wieder einen langwierigen, ernsthaften Prozess der Beratungen und der Abwägungen hinter uns gebracht. Wir treffen heute wieder eine Entscheidung, die nicht populär ist. Aber das ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung. Bei vielen Entscheidungen dieser Art konnten wir uns zum jeweiligen Zeitpunkt nicht sicher sein, dass sich diese als richtig erweisen werden. Heute können wir feststellen, dass sich unsere Entscheidungen und auch die der EZB vom Herbst letzten Jahres alles in allem als richtig erwiesen haben. ({0}) Die Finanzmärkte haben sich beruhigt. Die Risikoaufschläge sind deutlich zurückgegangen. Selbst Programmländer wie Irland, Spanien und Portugal können sich teilweise wieder zu vernünftigen Konditionen finanzieren bzw. können Staatsanleihen begeben. Zypern ist mit 862 000 Einwohnern, einem Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 18 Milliarden Euro und einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone in Höhe von gerade einmal 0,2 Prozent nicht groß. Da könnte man die Frage stellen: Ist das alles so relevant? Der Bankensektor in Zypern ist allerdings relativ gesehen doppelt so groß wie der unsrige. Deshalb ist die Restrukturierung des Bankensektors in Zypern eine der wichtigsten Maßnahmen, die nun vorgesehen sind. Unsere Hilfsprogramme haben größte Bedeutung, sie verlangen große Anstrengungen von Zypern selbst - Kollege Fricke hat das bereits sehr deutlich dargelegt - bei Einnahmeverbesserungen und Steuererhöhungen, aber auch Ausgabenkürzungen und Umstrukturierungen. Angesichts der eben beschriebenen Größe Zyperns kann man zu Recht die Frage nach der Systemrelevanz stellen. Wir waren uns aber schon früh einig: Es darf in der Euro-Zone keine unkontrollierten und keine unkontrollierbaren Entwicklungen geben. Die Finanzmärkte haben sich, wie gesagt, beruhigt. Aber sie sind noch immer hoch sensibel. Zypern ist mit Griechenland und der griechischen Bankenlandschaft eng verbunden, letzte wiederum mit vielen Banken in der übrigen Euro-Zone. Wir tun deshalb gut daran, die Konsequenzen zu bedenken, die gezogen werden müssten, wenn wir nicht handeln würden. Wir sollten es auf einen Versuch erst gar nicht ankommen lassen. Schon nach dem ersten gescheiterten Versuch der Zyprer, Banken und Sparguthaben einzubeziehen, war zu bemerken, wie sensibel und interessiert unsere Bürger auf einmal reagiert haben. Liebe Frau Kollegin Hinz, um einer Legendenbildung vorzubeugen, sage ich: Hätten die Zyper den Rat unseres Finanzministers angenommen, dann wäre diese Diskussion in Deutschland erst gar nicht aufgekommen. ({1}) Herr Schäuble hat nachweislich dringend davor gewarnt, an Einlagen unter 100 000 Euro heranzugehen. Aber die zyprische Regierung hat damals eine andere Strategie verfolgt. Meine Mutter hat uns Kinder immer gelehrt: Mit Geld spielt man nicht! - Auf uns übertragen bedeutet das: Mit der Währung bzw. der Stabilität der Währung spielt man nicht! Man sollte das alles sehr ernst nehmen. Eine stabile Währung ist für uns in Europa ein sehr hohes Gut. Es liegt im Übrigen schon deswegen in unserem ureigenen Interesse, im Fall Zypern Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, weil wir in der Vergangenheit über EFSF und ESM, den Stabilitätsmechanismus, bereits anderen Programmländern geholfen, Gewährleistungen gegeben und Risiken übernommen haben. Es liegt in unserem Interesse, nun alles dafür zu tun, dass keine neuen Nervositäten entstehen und dass die Finanzmärkte nicht beunruhigt werden; denn sonst könnten unter Umständen Gewährleistungen in Anspruch genommen und Risiken schlagend werden. Daher ist es absolut richtig und geboten, hier keine neuen Risiken einzugehen. ({2}) Es ist deshalb wichtig, dass wir Risiken begrenzen und Schaden abwenden. Von den ökonomischen Risiken, die sich für ganz Europa ergeben würden, insbesondere für die Euro-Zone, rede ich erst gar nicht. Sie sind von vielen meiner Vorredner schon angesprochen worden. Schon im Vorfeld der heutigen Entscheidung haben die Menschen bei uns realisiert, dass man diese Entwicklung in Europa, in der Euro-Zone und im Umfeld des Euro, sehr ernst nehmen muss. Aber interessant ist, dass die Zustimmung zum Euro noch nie so hoch war wie gerade jetzt. Interessant ist auch, dass die Zustimmung zum Kurs der Bundeskanzlerin und zum Kurs des Bundesfinanzministers noch nie so hoch war wie jetzt. ({3}) Vielen Dank für diesen Einsatz, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesfinanzminister. Selbst der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder schreibt über die Frau Bundeskanzlerin, was die Führung in Europa betrifft: Sie verweigert deutsche Führung nicht, sondern übt sie zurückhaltend aus. Das finde ich in Ordnung. Das ist, glaube ich, ein nachdenkenswerter Satz aus dem Munde des früheren Bundeskanzlers. ({4}) Die Menschen erwarten - ich habe es an dieser Stelle schon einige Male gesagt -, dass wir mit dem Geld, mit den Finanzen, mit den Haushalten und mit unserer Währung ganz sorgsam umgehen. ({5}) Sie erwarten, dass wir für die Stabilität unserer Währung sorgen. Das tun wir. Wir haben keine andere Währung, und wir bekommen auch keine andere Währung. Deshalb ist es zuvörderst unsere Aufgabe, alles in unserer Macht Stehende zu tun, für die Stabilität der Währung, des Euro, einzutreten, zum Wohle der Menschen in Deutschland und in Europa. ({6}) Die heutige Entscheidung ist wiederum eine Entscheidung für die Stabilität dieser Währung, für die Sicherung - Kollege Meister hat es vorhin deutlich zum Ausdruck gebracht - der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, für die Sicherung des Wohlstandes und der sozialen Sicherungssysteme. Das ist die Kernbotschaft, die auch von dieser heutigen Entscheidung ausgeht. Ich danke noch einmal der Frau Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister ganz ausdrücklich und herzlich für diese erfolgreiche Arbeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Letzter Redner in dieser Debatte ist Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion.

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner einer Debatte zu reden, nach der mehrere namentliche Abstimmungen stattfinden, ist eine besondere Herausforderung. Ich nehme sie an. ({0}) Ich möchte am Schluss der Debatte auf etwas hinweisen: In wenigen Tagen jährt sich das, was wir Euro-Krise bzw. Euro-Finanzierungskrise nennen, zum dritten Mal. Es war im Mai 2010, als wir das erste GriechenlandRettungspaket verabschiedeten. Sicherlich kann sich jeder noch daran erinnern: wenige Tage später - zunächst so nicht geplant - die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus. Daran muss man gelegentlich erinnern. Das war ein Programm, gefüllt mit bis zu 60 Milliarden Euro, wofür die EU der 27 gebürgt hat. Weil dieses Programm anfänglich sehr intensiv genutzt worden ist, haben wir jetzt auch bei Portugal und Irland - das muss man sehen - jeweils zweistellige Milliardenbeträge aus dem EFSM, für die alle europäischen Länder bürgen. Man muss also auch hier einmal auf die Solidarität hinweisen. Wenn das eingetreten wäre, was die Kritiker unserer Euro-Rettungspolitik immer beschworen haben, hätten wir schon längst keinen Euro mehr. Sie wissen: Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten dieser Kritiker hält das allerdings nicht davon ab, nach wie vor so zu tun, als wären sie die einzigen, die alles richtig sehen, und wir die einzigen, die alles falsch sehen und falsch machen. Ich glaube, heute ist es wichtig, einmal darauf zu schauen, wie die Euro-Zone drei Jahre später dasteht. Ich will einmal die positiven makroökonomischen Daten darstellen. Wir stellen fest: In fast allen Euro-Ländern sinken die Lohnstückkosten. Sie waren im Gegensatz zur Produktivität in den zehn Jahren zuvor teilweise so massiv gestiegen, dass viele Euro-Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit vollkommen verloren hätten. In diesem Jahr steigen sie nur in Deutschland und Griechenland an. Wir haben die Situation, dass die Leistungsbilanzunterschiede und die Handelsbilanzunterschiede in der EuroZone dramatisch abnehmen. Es ist eine Mär, zu behaupten, Deutschland mit seinem großen Handelsbilanzüberschuss sei an der Krise in der Euro-Zone schuld; denn der Überschuss ist massiv zusammengeschrumpft. Dieser Rückgang konnte allerdings durch Binnenkonjunktur und internationalen Wettbewerb zum Teil ausgeglichen werden. Wir haben die Situation, dass die Haushaltsdefizite in allen Euro-Ländern massiv zurückgehen. Sie liegen mittlerweile alle im einstelligen Bereich. Mit Blick auf Japan und die USA ist das schon etwas Besonderes. Das durchschnittliche Haushaltsdefizit ist im Verhältnis zu denen in den westlichen Industrieländern mit Abstand das niedrigste. Wir haben die Situation, dass alle Euro-Länder in den letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen haben. Wir können feststellen, dass die Unterschiede hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EuroZone abgenommen haben. In allen Euro-Krisenländern, sogar in Griechenland, ist ein, wenn auch teilweise niedriges, Exportwachstum zu beobachten. Wenn man sich diese makroökonomischen Ergebnisse der letzten drei Jahre anschaut, dann kann man nicht behaupten, dass wir alles falsch gemacht haben. Nein, wir haben sehr viel richtig gemacht. Die EuroZone hat trotz vieler Änderungen der strategischen Instrumente an ihrem grundsätzlichen Konzept, nämlich einerseits Hilfestellung zu leisten und andererseits Reformen in den Krisenländern durchzusetzen, festgehalten. Der Bundesfinanzminister hat dies vorhin „Solidarität und Solidität“ genannt. Wir verfügen heute über einen dauerhaften europäischen Stabilisierungsmechanismus. Vor drei Jahren hatten wir ihn noch nicht, weil wir dachten, nach drei Jahren bräuchten wir keinen mehr. Wir wissen jetzt, dass wir ihn brauchen. Dieser dauerhafte Stabilisierungsmechanismus ist erstens flexibler, weil wir aus den Ereignissen der letzten drei Jahre gelernt haben, und zweitens beinhaltet er auch wesentlich mehr Instrumente als ursprünglich die EFSF und der EFSM. Auch hier haben wir aus den Entwicklungen der letzten drei Jahre gelernt. Zypern ist das erste Land, das über den ESM - heute werden wir das im Bundestag beschließen - unter ein Gesamtprogramm genommen wird. Ich will die kurze Zeit, die ich noch reden darf, nutzen, um auf zwei Beschlüsse hinzuweisen, die wir heute auch treffen werden, nämlich die Programmverlängerung für die beiden Länder Irland und Portugal. Herr Steinbrück hat das vorhin in seiner Rede als Fanal bezeichnet. Herr Steinbrück, ich muss Ihnen sagen: Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Tatsache, dass wir dies heute beschließen, belegt, dass wir in unseren Rettungsstrukturen in der Euro-Zone genügend Flexibilität haben, um zu reagieren. Wir tun dies auf Bitten der Länder. Warum denn eigentlich? Wir tun dies, weil diese Länder uns zu Recht nachweisen konnten, dass eine Verlängerung der Programme auch dazu führt, dass die sozial schwierigen Ergebnisse der straffen Reformpolitik, die sie noch lange betreiben müssen, abgemildert werden können. Deshalb unterstützen wir diese Entscheidung und stimmen hier auch gerne zu. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zum Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen auf Drucksache 17/13060. Die Frak- tionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Abstimmung in der Sache, die Frak- tion Die Linke wünscht Überweisung, und zwar zur fe- derführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Technologie sowie an den Ausschuss für die Angelegen- heiten der Europäischen Union. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die von der Fraktion Die Linke bean- tragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Damit ist die Überweisung gegen die Stim- men der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Wir kommen damit zu den Abstimmungen über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Druck- sache 17/13060. Bitte beachten Sie folgende Hinweise: Wir werden über fünf Teile des Antrags getrennt abstimmen. Vier dieser Abstimmungen sollen namentlich erfolgen. Nach der ersten namentlichen Abstimmung wird die Sitzung bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbrochen. Die weiteren Abstimmungen werden wir ohne Sitzungsun- terbrechung durchführen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe, wie üblich, sorgfältig da- rauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen. Mir liegen insgesamt 47 schrift- liche Erklärungen zur Abstimmung vor.1) Fünf Abgeord- nete der Fraktion Die Linke wünschen, mündliche Erklä- rungen abzugeben. Wir werden diese dann in den Abstimmungsgang einsortieren. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist offensichtlich erfolgt. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abge- geben? - Es sieht so aus. Dann schließe ich die Abstim- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2) Wir nutzen die Zeit bis zum Vorliegen des Ergebnisses der ersten namentlichen Abstimmung zur Abgabe von mündlichen Erklärungen zur Abstimmung. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, doch Platz zu nehmen, weil es jetzt einige Erklärungen zur Abstimmung geben wird. Ich erteile dem Kollegen Diether Dehm das Wort. ({1})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich stimme heute aus mehreren Gründen gegen die undemokratischen und unsozialen Bankenrettungspakete für Zypern. Ich will mich aber nur auf einen Aspekt beschränken. Indem das bereits im Juni vergangenen Jahres gestellte Hilfeersuchen der Vorgängerregierung Zyperns monatelang verschleppt wurde, eröffnete dies gewöhnlich gut informierten Großspekulanten bereits die Möglichkeit, massenhaft Kapital aus dem zyprischen Finanzsektor abzuziehen. Aber nachdem auf ominöse Weise im Vorfeld der Entscheidung der Euro-Gruppe aus dem letzten Monat und trotz verhängter Kontosperren erneut beträchtliche Kapitalabflüsse zu verzeichnen waren, handelt es sich nicht mehr um Fahrlässigkeit, sondern um ein kriminelles Vergehen. ({0}) Die Bundesregierung hat bisher nichts unternommen, um den Deutschen Bundestag über den Kapitalabfluss im Vorfeld der heutigen Abstimmung aufzuklären, zumal Presseberichten zufolge auch die Familie des jetzigen zyprischen Präsidenten Anastasiades aus der Parteienfamilie der Christdemokraten in Manipulationen verwickelt ist. Darüber hinaus existiert ein Gutachten der Beraterfirma Alvarez & Marsal - das zurzeit der Generalstaatsanwaltschaft Zyperns vorliegt -, welches Presseberichten zufolge dokumentiert, wie zentrale Beweise für den Bankenskandal in Zypern vernichtet wurden. ({1}) Offenbar wurde aus dem Umfeld der konservativen Partei Zyperns diese Beweisvernichtung systematisch und mit krimineller Energie betrieben. Beweise über Kontobewegungen im Vorfeld der Bankenschließung sind vernichtet worden. Bevor ich als Abgeordneter nichts Näheres über diese Vorgänge weiß, wäre es zumindest Beihilfe zur Veruntreuung, würde ich Belastungen und Risiken für den deutschen Steuerzahler zustimmen, während einflussreiche Kreise in Zypern sich und ihre Sippschaft aus der Verantwortung ziehen. Es bleibt dabei: Mit den Linken keine Steuermilliarden für Zockerbanken und Großspekulanten! ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer weiteren mündlichen Erklärung zur Abstimmung gebe ich Kollegin Dağdelen. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil es sich schlicht um den nächsten Angriff der Bundesregierung - gemeinsam mit SPD und Grünen - auf Demokratie und Sozialstaat in Europa handelt. ({0}) 1) Anlagen 2 bis 5 2) Ergebnis Seite 29179 D Mit Sozialkürzungen in Zypern sollen wieder einmal Banken und Konzerne gerettet werden - nicht etwa die Bevölkerung in Zypern oder sonst wo. ({1}) Selbst bei der Gesundheitsversorgung in Zypern für die Ärmsten der Armen soll um 30 Prozent gekürzt werden. Diese zynische Logik, die bereits in Griechenland, in Portugal und in Spanien nur zu massivem sozialem Elend wie auch zu einer Explosion der Staatsverschuldung geführt hat, soll jetzt in puncto Zypern fortgeführt werden. Für diese Rettung von Banken werden erneut milliardenschwere Rettungspakete auch mit deutschen Steuergeldern geschnürt. Während die CDU, die CSU, die SPD und die Grünen sowie die FDP die Superreichen mästen, stürzen sie halb Europa ins Elend, meine Damen und Herren. ({2}) Dazu passt, dass die Bundesregierung ihre Informationen über die Kapitalflucht im Vorfeld der Bankenschließungen in Zypern nicht veröffentlicht. Ich frage die Bundesregierung: Wen schützen Sie eigentlich mit dieser Nichtveröffentlichung Ihrer Informationen? ({3}) Selbst aus der engeren Familie Ihres konservativen Parteifreundes, des Präsidenten Zyperns, sollen Millionen Euro ins Ausland gerettet worden sein. Während Sie hier vermutlich die kriminellen Parteifreunde in Zypern durch Ihre Informationspolitik decken, haben Sie zugleich mit Ihrer Zustimmung dazu, auch an die Einlagen von Kleinsparern herangehen zu wollen, ein Signal gesetzt, wie Sie Ihre großzügigen Geschenke für die Superreichen in Europa in Zukunft zu bezahlen gedenken. ({4}) Ja, Zypern ist eine Blaupause dafür, dass auch die Spareinlagen unter 100 000 Euro nicht mehr sicher sind. Gemeinsam mit SPD und Grünen zertrümmern Sie die sozialen Sicherheitssysteme und die Reste sozialer Sicherheit in Europa.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie eine persönliche Erklärung Sevim Dağdelen ({0}): Ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

- zu Ihrem Abstimmungsverhalten vortragen wollten und nicht eine allgemeinpolitische Rede, die die Debatte verlängert? ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. Herr Präsident, wenn Sie erlauben, kann ich auch zu diesem Punkt kommen. ({0}) Das ist die ganz persönliche Erklärung - die Wahrheit ist nämlich das Ganze, meine Damen und Herren -: Ich habe heute auch gegen diesen Antrag für Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil diese heutige Abstimmung im Bundestag einen gravierenden Angriff auf die Demokratie darstellt. Wieder einmal werden innerhalb von Tagen milliardenschwere Zusagen getätigt. Das finde ich als Abgeordnete unzumutbar und inakzeptabel. Die massiven Risiken für den Bundeshaushalt werden gar nicht ausgewiesen, sodass die Abgeordneten hier auch kein ordnungsgemäßes Verfahren absolvieren können. Mit der Troika- und Memorandumpolitik, mit solch einem Verfahren, etablieren Sie eine regelrechte Diktatur in Europa, ja, eine regelrechte Diktatur in Europa: Nicht mehr die von der Bevölkerung gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter entscheiden über die Wirtschafts-, Sozial- und auch Beschäftigungspolitik, sondern ernannte Kommissionen und Kürzungsbürokratien. Bis ins Detail wird ihnen und auch uns sozusagen vorgeschrieben, wie die Politik auszusehen hat. Das darf so nicht weitergehen, meine Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Zu diesen Angriffen auf Demokratie und Sozialstaat gibt es Alternativen. Deshalb habe ich hier heute mit Nein gestimmt. Heute stehen wir solidarisch an der Seite der zyprischen Bevölkerung und sagen: Nein! Ochi! Und: Hayir! Heute sind wir alle Zyprioten! Simera imaste oli Kiprii! Bugün hepimiz Kibrisliyiz! ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die weiteren Erklärungen zur Abstimmung erfolgen dann am Schluss der Abstimmungen. Ich teile jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen betreffend die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des ESMFinanzierungsgesetzes mit: abgegebene Stimmen 602. Mit Ja haben gestimmt 487, mit Nein haben gestimmt 102, Enthaltungen 13. Dieser Teil des Antrags ist angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 487 nein: 101 enthalten: 13 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Manfred Behrens ({0}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Norbert Geis Alois Gerig Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({5}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({7}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({8}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({9}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({10}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({11}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({12}) Anita Schäfer ({13}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({14}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({15}) ({16}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({17}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({18}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({19}) Stefanie Vogelsang Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({20}) Peter Weiß ({21}) Sabine Weiss ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({23}) Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({24}) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({25}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Hubertus Heil ({27}) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz ({28}) Frank Hofmann ({29}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({30}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Petra Merkel ({32}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Johannes Pflug Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix Karin Roth ({33}) Michael Roth ({34}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({35}) Bernd Scheelen ({36}) Ulla Schmidt ({37}) Carsten Schneider ({38}) Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Manfred Zöllmer FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({39}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Patrick Kurth ({40}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Martin Lindner ({41}) Michael Link ({42}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({43}) Dr. Martin Neumann ({44}) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({45}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({46}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({47}) Volker Beck ({48}) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({49}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({50}) Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({51}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({52}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Daniela Wagner Arfst Wagner ({53}) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Axel E. Fischer ({54}) Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Dr. Carsten Linnemann Christian Freiherr von Stetten Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Gerold Reichenbach Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Swen Schulz ({55}) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({56}) FDP Jens Ackermann Sylvia Canel Dr. Lutz Knopek Holger Krestel Lars Lindemann Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer ({57}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Willi Brase Ulla Burchardt Gabriele Hiller-Ohm Christel Humme Hilde Mattheis Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe René Röspel Werner Schieder ({58}) FDP Joachim Günther ({59}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Wir stimmen nun ab über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und dem ESM und die Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 des ESM- Finanzierungsgesetzes. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, die Plätze einzunehmen, damit ich die zweite na- mentliche Abstimmung eröffnen kann. Es fehlen noch Schriftführerinnen und Schriftführer der Opposition. Links fehlen noch Schriftführerinnen und Schriftführer; in diesem Fall der Regierungsfraktio- nen. - Hier vorne links fehlt noch ein Schriftführer, eine Schriftführerin der Regierungsfraktionen. - Ich sage es zum dritten Mal: Links fehlt noch ein Schriftführer, eine Schriftführerin der Regierungsfraktionen. Es könnte sich allmählich jemand erbarmen. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung. Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich darf Sie bitten, sich zu Ihren Plätzen zu begeben, da wir jetzt eine einfache Abstimmung durchzuführen haben. Abstimmung über den Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend Haftungsanpassungen für die Republik Zypern. Wer stimmt für diesen Teil des Antrags? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Einige Fraktionen haben nicht abgestimmt. Ich wiederhole: Wir haben jetzt eine einfache Abstim- mung. Es geht um den Antrag betreffend Haftungsan- passungen für die Republik Zypern. Wer stimmt für die- sen Teil des Antrags? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Teil des Antrags ist mit den Stimmen von vier Fraktionen gegen die Stimmen der Linken bei einer Enthaltung angenommen. Wir kommen zu zwei weiteren namentlichen Abstim- mungen. Wir stimmen zunächst über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 be- treffend die Verlängerung der maximalen durchschnitt- lichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- rer, wieder die Plätze an den Abstimmungsurnen zu be- setzen. Ist das der Fall? - Dann eröffne ich die Abstim- mung. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich 1) Ergebnis Seite 29185 A Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse die Abstimmung. Auch hier wird das Ergebnis später be- kannt gegeben.1) Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit der EFSF-Darle- hen an Portugal um sieben Jahre. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die vierte namentliche Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis der nament- lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege- ben.2) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Wir kommen zur Abstimmung über zwei Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13107. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Linken abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13108. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Grünen und Linken bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Es folgen jetzt mündliche Erklärungen von drei Mitgliedern der Fraktion Die Linke, zunächst Kollege Alexander Ulrich. ({60})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil es sich bei ihrem Zypern-Paket um nichts anderes als ein gigantisches Verarmungs- und Rezessionsprogramm handelt. ({0}) Einmal mehr sollen die Kosten der Krise nach unten durchgereicht werden. Wer die Krise überwinden will, muss aber jene zur Kasse bitten, die jahrelang von den deregulierten Finanzmärkten profitiert und dabei die Krise erst verursacht haben. Wir brauchen eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe, eine Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung sowie eine strenge Regulierung und Schrumpfung der Finanzmärkte. ({1}) Stattdessen hat sich der Bundestag wieder einmal dafür entschieden, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitslose zu belasten. Es ist der Wille der großen Mehrheit von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, Renten und Löhne in Zypern um bis zu 12,5 Prozent zu kürzen, Sonderregeln zugunsten sozial Schwacher im Gesundheitswesen abzuschaffen, Entlassungen im öffentlichen Dienst durchzuführen und ein riesiges Privatisierungsprogramm zu erzwingen. Was daraus folgt, können wir am Beispiel Griechenland gut beobachten. Auch in Zypern werden nun viele Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt. Auch in Zypern wird eine ganze Volkswirtschaft zerstört. Selbst die Troika erwartet einen wirtschaftlichen Einbruch um 12 Prozent innerhalb von zwei Jahren und einen Anstieg der Verschuldung auf 126 Prozent des BIP. Wer sich die Mühe gemacht hat, die letzten Troika-Prognosen für Programmländer mit der Realität zu vergleichen, der weiß, dass alles noch viel schlimmer kommen wird. Die Troika-Politik löst keine Krisen. Sie verschärft Krisen und verteilt die Kosten nach unten um. Ich habe auch gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil ich das Verfahren für vollkommen inakzeptabel halte. ({2}) Am Sonntag hat die Bundesregierung den Abgeordneten ihren Antrag zugeleitet. Es handelt sich dabei um mehr als hundert Seiten teilweise hochkomplexer Analysen. ({3}) Auf dieser Grundlage hat der Bundestag heute, vier Tage später, beide Zypern-Beschlüsse sowie eine Umgestaltung der Programme für Portugal und Irland innerhalb einer Sitzung beschlossen. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit jener, die heute dem Verarmungsprogramm zugestimmt haben, sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst war. Die Verkürzung des Verfahrens lässt die parlamentarischen Mitspracherechte im Rahmen der EU-Krisenpolitik zur Farce verkommen. Es gibt keine Rechtfertigung für diese Schwächung des Bundestages, und es sagt nichts Gutes über den Zustand unserer Demokratie aus, wenn die Abgeordneten von vier der fünf Fraktionen mit dieser Aushebelung ihrer Rechte offensichtlich kein Problem haben. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung hat jetzt Annette Groth. ({0})

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung ge- stimmt, weil dadurch ein radikales Sozial-, Renten- und Lohnkürzungsprogramm festgeschrieben wird und es ei- 1) Ergebnis Seite 29187 D 2) Ergebnis Seite 29190 C nen direkten Angriff auf die Demokratie Zyperns darstellt. ({0}) Entscheidungen von demokratisch gewählten Parlamenten werden durch die Troika-Institutionen eingeschränkt. Das souveräne Handeln auch zukünftiger gewählter Regierungen auf Zypern wird beschnitten. Das kann ich nicht mittragen. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zu meinem Demokratieverständnis. ({1}) Ich kann Ihnen sagen, was mir neulich beim Europarat passiert ist. Eine wütende zypriotische Abgeordnete kam auf mich zu - keine Linke - und fragte: Was macht ihr Deutschen eigentlich? Habt ihr vor, ganz Europa zu zerstören? Aber wartet ab, es wird euch auch bald treffen, insbesondere wenn die Deutsche Bank ins Trudeln gerät; denn die steckt tief im Zockersumpf. Dann geht es euch an den Kragen. - So weit das Zitat. ({2}) - Was soll ich darauf antworten? Sie sehen doch genauso wie ich und alle anderen, die ab und zu nach Griechenland fahren, die katastrophalen Auswirkungen des Kürzungsprogramms in den Bereichen Bildung und Gesundheit, eigentlich in allen Bereichen. Das ist furchtbar. Das kann man doch nicht zulassen. Sie wissen doch genau, dass Austeritätspakete nicht zu Wirtschaftswachstum führen. Das sagen auch konservative Ökonomen. Auch Privatisierung ist absolut schädlich. Alle Studien zeigen, dass Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen immer höhere Preise und schlechteren Service zur Folge haben. Besonders für sehr arme Leute, die sparen müssen, ist das eine Katastrophe. Das kann ich aufgrund meines Menschenrechtsverständnisses nicht mittragen. ({3}) Darum habe ich heute gegen den Antrag gestimmt. Ich finde es schade, dass Sie zugestimmt haben. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zur letzten mündlichen Erklärung zur Abstimmung Heike Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für Finanzhilfe für Zypern gestimmt, weil diese sogenannte Hilfe die Bevölkerung Zyperns in Armut und Perspektivlosigkeit stürzen wird. Selbst der Internationale Währungsfonds prognostiziert einen Wirtschaftseinbruch durch die verordneten Kürzungsmaßnahmen allein in diesem Jahr von bis zu 10 Prozent. Mit Lohn-, Sozialleistungs- und Rentenkürzungen soll die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Das will die Bundesregierung, und das wollen leider auch SPD und Grüne. Wir sehen doch, dass diese Politik bisher in Europa nur in die Katastrophe geführt hat. Deswegen habe ich heute dagegen gestimmt. ({0}) Die Privatisierung soll vorangetrieben werden. Auch ein ganz sensibler Bereich, nämlich der Bereich der Wasserversorgung, soll privatisiert werden. Während Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa Unterschriften gegen die Privatisierung der Wasserversorgung sammeln - über 1 Million Unterschriften werden gesammelt; Hundertausende hier in Deutschland -, wird hier zugelassen, dass auch die Wasserversorgung privatisiert wird. ({1}) Das kann ich nicht verantworten. Deswegen habe ich dagegen gestimmt. ({2}) - Das betrifft auch Zypern. Sie stimmen hier all diesen Kürzungsmaßnahmen regelmäßig zu, auch Sie von SPD und Grünen, und beklagen gleichzeitig in den Talkshows die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Armut in Europa. Stimmen Sie doch hier dagegen, statt es in den Talkshows zu beklagen! ({3}) Ich muss Ihnen noch einen Grund nennen, aus dem ich heute dagegen gestimmt habe. Es geht um die Stabilisierung und die Beruhigung der Finanzmärkte. Zypern soll unter anderem - das ist in dem Memorandum verankert - seine Goldreserven verkaufen. Als dies bekannt wurde, fiel der Goldpreis um über 10 Prozent. Allein diese Reaktion beweist doch, dass diese Politik verheerend ist und destabilisierend wirkt. Genau deswegen, weil es auch ökonomisch ein Irrwitz ist, was hier passiert, habe ich gegen diesen Antrag gestimmt. ({4}) Wir sagen schon seit langem, dass wir die Verursacher und die Profiteure der Krise heranziehen müssen. ({5}) Das ist nicht verankert. Genau deswegen kann ich diesen Antrag nicht verantworten. Er enthält keine Elemente, um die Profiteure dieser Krise zur Verantwortung zu ziehen. Sie stimmen für eine Agenda 2010 für ganz Europa. Wir haben erlebt, was Agenda 2010 in Deutschland bedeutet. Deswegen stimme ich heute gegen diesen Antrag. ({6}) Ich möchte Sie auch darüber informieren, dass wir nicht allein sind, dass in Europa Hunderttausende von Menschen zu Demonstrationen gehen und Unterschriften sammeln. Sie rufen auch zu großen Demonstrationen in Deutschland auf. Ende Mai bzw. Anfang Juni wird in Frankfurt im Bankenviertel unter dem Motto „Blockupy“ demonstriert. Wir wollen diese Politik beenden. Wir wollen eine menschliche Politik in Europa. Das unterstütze ich, indem ich heute gegen diesen Antrag gestimmt habe. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen mit. Wir kommen zunächst zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen betreffend die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und dem ESM und der Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 486, mit Nein haben gestimmt 104, Enthaltungen 3. Dieser Teil des Antrags ist also angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 600; davon ja: 486 nein: 103 enthalten: 11 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Manfred Behrens ({0}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Norbert Geis Alois Gerig Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({9}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({10}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({11}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({12}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({13}) Anita Schäfer ({14}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({15}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({16}) ({17}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({24}) Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({26}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil ({28}) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz ({29}) Frank Hofmann ({30}) Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({31}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({32}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Petra Merkel ({33}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Johannes Pflug Florian Pronold Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann Sönke Rix Karin Roth ({34}) Michael Roth ({35}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({36}) Bernd Scheelen ({37}) Ulla Schmidt ({38}) Carsten Schneider ({39}) Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Manfred Zöllmer FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({40}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({41}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Patrick Kurth ({42}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Martin Lindner ({43}) Michael Link ({44}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({45}) Dr. Martin Neumann ({46}) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({47}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({48}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Marieluise Beck ({49}) Volker Beck ({50}) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({51}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({52}) Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({53}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({54}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Daniela Wagner Arfst Wagner ({55}) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Dr. Carsten Linnemann Christian Freiherr von Stetten Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Josip Juratovic Hilde Mattheis Werner Schieder ({56}) Swen Schulz ({57}) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({58}) FDP Jens Ackermann Sylvia Canel Dr. Lutz Knopek Holger Krestel Lars Lindemann Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer ({59}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Willi Brase Ulla Burchardt Gabriele Hiller-Ohm Christel Humme Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann René Röspel Dr. Marlies Volkmer Nächste namentliche Abstimmung, betreffend den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen bezogen auf die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 498, mit Nein haben gestimmt 89, Enthaltungen 4. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 594; davon ja: 500 nein: 90 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Manfred Behrens ({60}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({61}) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({62}) Dirk Fischer ({63}) Axel E. Fischer ({64}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({65}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Norbert Geis Alois Gerig Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({66}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({67}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({68}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({69}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({70}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({71}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({72}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({73}) Anita Schäfer ({74}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({75}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({76}) ({77}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({78}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({79}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({80}) Stefanie Vogelsang Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({81}) Peter Weiß ({82}) Sabine Weiss ({83}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({84}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({85}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({86}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({87}) Hubertus Heil ({88}) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({89}) Frank Hofmann ({90}) Josip Juratovic Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({91}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({92}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({93}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Johannes Pflug Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({94}) Michael Roth ({95}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({96}) Bernd Scheelen ({97}) Werner Schieder ({98}) Ulla Schmidt ({99}) Carsten Schneider ({100}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Manfred Zöllmer FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({101}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({102}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({103}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Martin Lindner ({104}) Michael Link ({105}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({106}) ({107}) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({108}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({109}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({110}) Volker Beck ({111}) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({112}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({113}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({114}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Daniela Wagner Arfst Wagner ({115}) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Dr. Carsten Linnemann Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Swen Schulz ({116}) Waltraud Wolff ({117}) FDP Jens Ackermann Sylvia Canel Lars Lindemann Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer ({118}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Christel Humme Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Vierte namentliche Abstimmung, betreffend den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen bezogen auf die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Portugal um sieben Jahre. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 604. Mit Ja haben gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 93, Enthaltungen 5. Auch dieser Teil des Antrags ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 591; davon ja: 494 nein: 92 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Manfred Behrens ({119}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({120}) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({121}) Dirk Fischer ({122}) Axel E. Fischer ({123}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Norbert Geis Alois Gerig Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({124}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({125}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Patricia Lips Daniela Ludwig Nadine Schön ({126}) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({127}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({128}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({129}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({130}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({131}) Anita Schäfer ({132}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({133}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff ({134}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({135}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({136}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({137}) Stefanie Vogelsang Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({138}) Peter Weiß ({139}) Sabine Weiss ({140}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({141}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({142}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({143}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({144}) Hubertus Heil ({145}) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({146}) Frank Hofmann ({147}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({148}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({149}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({150}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Johannes Pflug Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Michael Roth ({151}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({152}) Bernd Scheelen ({153}) Werner Schieder ({154}) Ulla Schmidt ({155}) Carsten Schneider ({156}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Manfred Zöllmer FDP Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({157}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({158}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Patrick Kurth ({159}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Martin Lindner ({160}) Michael Link ({161}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({162}) Dr. Martin Neumann ({163}) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({164}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({165}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({166}) Volker Beck ({167}) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({168}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({169}) Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({170}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({171}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Daniela Wagner Arfst Wagner ({172}) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Dr. Carsten Linnemann Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Waltraud Wolff ({173}) FDP Jens Ackermann Sylvia Canel Holger Krestel Lars Lindemann Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer ({174}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Swen Schulz ({175}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Verbindliche Quote für Aufsichtsräte einfüh- ren - Drucksache 17/13094 - b) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien ({176}) - Drucksache 17/11270 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke Ferner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen ({177}) - Drucksache 17/8878 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien ({178}) - Drucksache 17/11139 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({179}) - Drucksache 17/12784 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth Dr. Eva Högl Halina Wawzyniak c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({180}) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Quote für Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen einführen - Drucksachen 17/797, 17/1274 Berichterstattung: Abgeordnete ElisabethWinkelmeier-Becker Marco Buschmann Raju Sharma Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Norwegen hat sie. Auch Belgien, Island, Frankreich, Spanien, Italien und die Niederlande haben sie. Alle haben sie: die Frauenquote. Was haben wir? Wir führen seit dreieinhalb Jahren eine Diskussion darüber, und wir haben in dieser Woche eine große Enttäuschung für die Frauen in dieser Republik erlebt. ({0}) Sie von der Union haben am Montag einen Kompromiss beschlossen, der mehr ist als eine Enttäuschung. Frau Hasselfeldt sagt ganz offen, sie sei unzufrieden, dass die Opposition der Union die Debatte über die feste Frauenquote aufgezwungen hat. Solche Verfahren sollten nicht Schule machen, sagt sie. Außerdem sagt sie: Wir sind davon gar nicht begeistert. Daran sieht man, was passiert ist. Es war nicht etwa so, dass Sie sich für einen anderen politischen Inhalt entschieden haben. Sie sind auch nicht überzeugt worden. Vielmehr ist Ihnen etwas aufgezwungen worden, weil Sie wieder einmal gemerkt haben, dass Ihnen die Argumente ausgegangen sind, dass es peinlich wird und dass Sie damit nicht durchkommen. Gleichzeitig tun Sie nichts anderes, als zu versprechen, zu diesem Thema etwas in Ihr Wahlprogramm zu schreiben. Aber das Versprechen, dem Kompromiss, der aus dem Bundesrat kommt, zuzustimmen - dieses Versprechen haben Sie den Frauen gegeben -, halten Sie nicht ein. Sie sind nicht verlässlich, Sie sind nicht vertrauenswürdig leider auch die Frauen, die seit dreieinhalb Jahren mit verhandelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Sie blockieren hier einen Kompromiss, und Sie blockieren zugleich das, was Viviane Reding, bekanntlich eine konservative Kommissarin, in der EU voranbringen will: eine Frauenquote, die dafür sorgt, dass wenigstens ein Anfang gemacht wird, dass sich die Frauen wenigstens auf diesen Anfang verlassen können. Uns ist dieser Kompromiss nicht leichtgefallen. Aber wir haben gesagt: Wir wollen ihn eingehen. Dazu haben wir lange Gespräche mit Ihnen geführt. Wir wurden dabei unterstützt von vielen Frauen aus Verbänden, aus der Wirtschaft und aus Unternehmen, die deutlich gemacht haben: Es geht so nicht weiter. Wir sind diesen Kompromiss eingegangen. Wir haben Ihnen faire Angebote gemacht. Aber dann mussten wir in dieser Woche erleben: Eine nach der anderen ist umgefallen. Eine ist dreimal in drei Tagen umgefallen, nämlich Ursula von der Leyen. ({2}) Am Montag ist sie umgefallen, weil sie einer Regelung zugestimmt hat, die sie eigentlich nicht will. Allerdings hat sie gesagt: Ich halte mir mein Abstimmungsverhalten offen. Am Dienstag ist sie das zweite Mal umgefallen und hat gesagt: Ich stimme im Bundestag gegen das, was ich eigentlich unbedingt als ersten Schritt wollte. Am Mittwoch ist sie ein drittes Mal umgefallen. Dann hat sie sogar gesagt, dass sie hier gar nicht mehr zu diesem Thema reden will. Das nenne ich Umfallen, und zwar zulasten der Frauen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich sage Ihnen: Das ist nicht verlässlich, das ist keine Politik für die Frauen, und das ist schon gar keine moderne Politik, mit der man die Zukunft dieses Landes gestalten kann. ({3}) Nein, Politik ist keine Ich-AG, sondern Vertrauenssache. Dass Sie da so bitter enttäuscht haben, werfe ich Ihnen vor. Dass Kämpferinnen aus unserer Fraktion wie Renate Künast und Ekin Deligöz, die in den letzten dreieinhalb Jahren unzählige Gespräche mit Ihnen geführt haben, bereit waren, einen solchen Kompromiss einzugehen, geschah doch nicht aus Wahlkampfgründen. Die Berliner Erklärung ist von vielen Frauen und Männern unterschrieben worden, weil sie gehofft und sich darauf verlassen haben, dass sich jetzt etwas ändert, dass Sie für die Sache der Frauen stehen und dass Sie vor allem stehen bleiben, dass Sie die Gespräche ernst meinen und die Frauen nicht an der Nase herumführen. Wir sehen heute: Leider war das Gegenteil der Fall. ({4}) Nun soll die 30-Prozent-Quote ab 2020 festgeschrieben werden. Ich weiß nicht, wie Sie draußen erklären wollen, dass 2020 etwas richtig sein soll, was 2018 falsch ist; aber es wird ja nicht so kommen. Warum brauchen wir die Quote? Wir haben viel darüber diskutiert, und natürlich ist der Einsatz für die Gleichberechtigung damit nicht erledigt. Wenn es in Aufsichtsräten einen Frauenanteil von 3,7 Prozent gibt und immer noch fast 90 Prozent der Führungen großer Unternehmen von Männern gestellt werden, dann ist ganz klar: Das liegt nicht an der Qualifikation. Das liegt nicht daran, dass die Frauen nicht bereit wären. Das liegt nicht daran, dass keine geeigneten Frauen da wären. Das liegt daran, dass in alter Gewohnheit Anzugträger Anzugträger suchen, weil wir in Deutschland immer noch keine Quote haben, die dafür sorgt, dass die guten und qualifizierten Frauen eine Chance bekommen. ({5}) Selbstverständlich ist die Quote in den Aufsichtsräten nur ein Anfang. Es ist klar: Wir brauchen bessere Bedingungen für Familie und Beruf, wir brauchen gleiche Bezahlung. Weil wir Sie ernst nehmen wollen, haben wir jetzt ein weiteres Angebot für Sie. Wenn Sie wirklich für die Quote sind und sie ins Wahlprogramm schreiben wollen - wir bleiben bei dem Kompromiss; darüber haben wir lange verhandelt, und dazu stehen wir auch -, dann können Sie mit Ihrem Abstimmungsverhalten zu dem von uns eingebrachten Antrag, der genau dem entspricht, was Sie am Montag verabredet haben, zeigen, ob Sie es ernst meinen oder ob das nur für das Papier gewesen ist. ({6}) Die Wirklichkeit ändert sich nicht dadurch, dass die Union etwas in ihr Parteiprogramm schreibt. Wir könnten hier aufzählen, wie oft Sie das geändert haben. ({7}) Die Wirklichkeit ändert sich durch Gesetze. Deswegen fordern wir Sie auf: Stehen Sie wenigstens zu diesem Minischritt! Stehen Sie wenigstens zu dem, was Sie am Montag verabredet haben! Die Frauen draußen wollen das wissen. ({8}) Ganz klar und eindeutig bleibt allerdings: Wer wirklich eine gesetzliche, eine verbindliche Frauenquote will und wer auch dafür sorgen will, dass Frau Merkel zwei Jahre früher als geplant in den Ruhestand gehen kann, der wählt am 22. September Grün - für die Frauen und für eine bessere Republik. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, es geht auch in der heutigen Debatte darum, deutlich zu machen, dass wir etwas tun wollen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu haben, ({0}) und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern überall, und dass wir wollen, ({1}) dass Frauen Möglichkeiten nutzen können, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser hinzubekommen. ({2}) In all diesen Bereichen hat diese Regierungskoalition viel auf den Weg gebracht, was Sie in Ihrer rot-grünen Regierungszeit nicht gemacht haben. ({3}) Heute lese ich in einem Kompaktinfo der SPD: „Ohne Quote bewegt sich nichts“. ({4}) Da muss ich sagen: Das entspricht nicht der Wahrheit. ({5}) Es hat in der Wirtschaft eine freiwillige Vereinbarung gegeben, dass man mehr Führungspositionen an Frauen vergeben will. ({6}) - Frau Künast, ich höre Ihnen als Mann zu und bitte Sie, dass Sie als Frau mir auch zuhören; so ist das. ({7}) - Dann kann ich ja einmal die Fakten darstellen. Dass wir in dieser Sache unterschiedliche Positionen vertreten, ist doch klar. ({8}) Auch wir wollen - das war immer unsere Position -, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, nicht nur in die Aufsichtsräte - worum es in Ihrem Antrag geht -, sondern auch in anderen Bereichen. Wir haben jetzt gesagt - das unterscheidet uns, und das bleibt trotz dieses Beschlusses so -: Zunächst einmal - das gilt bei uns durchgehend in unserer Politik - setzen wir auf Freiwilligkeit und eigene Festlegungen je nach Bereich. Wir geben den Unternehmen die Chance, solche Festlegungen selber zu treffen. ({9}) Falls die Ziele nicht erreicht werden, werden wir - das haben wir nun konkret zugesagt, und dazu stehen wir auch - in den Koalitionsverhandlungen und in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen, dass ab 2020 eine Quote kommt. ({10}) Bis 2020 lassen wir der Wirtschaft Zeit; aber dann wird es Ernst, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({11}): Oh!) In diesem Zusammenhang muss ich übrigens sagen: Jeder, der die Position vertritt, dass wir Quoten brauchen, muss in dem Bereich, wo er selber Verantwortung trägt, mit gutem Beispiel vorangehen. ({12}) Jetzt weiß ich ja, Frau Göring-Eckardt, dass der badenwürttembergische Ministerpräsident, ein Grüner, inzwischen nicht mehr gut angesehen ist, weil er Sie in Sachen Steuer kritisiert hat. Dabei hat er nur die Wahrheit gesagt, nämlich dass man nicht in die Substanz eingreifen darf. ({13}) Dieser Ministerpräsident hat aber Folgendes gemacht - so weit zu den Grünen -: Seine Regierung hat zu Beginn ihrer Regierungszeit 27 neue Stellen mit B-Besoldung geschaffen; davon wurden vier an Frauen vergeben. Das ist die Frauenförderung einer grün-roten Landesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({14}) Dort, wo wir in Regierungsverantwortung sind, haben wir den Blick nicht nur auf die Wirtschaft gerichtet, sondern auch auf einen Bereich, der mindestens ebenso wichtig ist. Das sind die Universitäten. Wir haben 2007 mit einem Professorinnenprogramm, das wir 2012 fortgesetzt haben, dafür gesorgt, dass sich die Lage der Frauen bei der Berufung auf Lehrstühle erheblich verändert hat. Schon jetzt gehen bei Neubesetzungen von Lehrstühlen mehr als 25 Prozent an Frauen. ({15}) Das ist noch nicht ganz ausreichend; aber in Ihrer Regierungszeit ist bei diesem Thema gar nichts geschehen, um das einmal klar und deutlich zu sagen. ({16}) Wenn wir uns anschauen, was in der letzten Zeit vorangegangen ist, können wir sagen: Mit der Kombination von eigener Verantwortung, also freiwilligem Vollzug dessen, was wir in der Wirtschaft für notwendig halten, und, falls das nicht funktionieren sollte, einer entsprechenden gesetzlichen Quote, sind wir auf einem guten Weg. Es könnte gut sein, dass wir auf diesem Weg 2020 schon wesentlich weiter sind als wir es mit der Quote wären, die Sie festlegen wollen. ({17}) Das wäre ein schöner Erfolg, und dem dient diese Diskussion auch. Also: Wir werden diesen Weg gehen, ({18}) und er wird den Frauen helfen; davon bin ich überzeugt. Ich habe zugesagt - und sage dies hier auch öffentlich -, dass das, was wir jetzt beschlossen haben, ins Regierungsprogramm kommt. ({19}) Das werden wir alle unterstützen, und dann werden wir auf dem Weg vorankommen, mehr für Frauen zu tun, und zwar nicht nur in Aufsichtsräten. Auch die Quote der Frauen in Vorständen hat sich bereits verändert. Ihre Aussage, Frau Göring-Eckardt, dass nichts passiert sei, stimmt nicht. Bei den neu zu besetzenden Stellen in den Aufsichtsräten wurden in der letzten Zeit schon bis zu 40 Prozent Frauen gewählt. Das Gerede, ohne Ihre grüne Quote tue sich nichts, ist also grottenfalsch. ({20}) Ich weiß ja, dass die Grünen zunächst einmal dem Staat und nicht den Menschen vertrauen. Deswegen müssen mit gesetzlichem Druck Erziehungsprogramme für Erwachsene umgesetzt werden. Das ist der Weg der Grünen. ({21}) Wir setzen zunächst einmal auf die Freiwilligkeit. Gleichzeitig kündigen wir an: Wenn ihr das nicht selber schafft, dann greifen wir ein. - Bei Ihnen geht es zunächst einmal über Druck und Zwang, und dann sehen Sie weiter. Wir haben am Dienstag in unserer Fraktion und am Montag in unseren Parteigremien einen entsprechenden Beschluss gefasst. Es geht im Übrigen nicht um unser Parteiprogramm, sondern um unser Regierungsprogramm. Darin nehmen wir das auf. Dann setzen wir das um und tragen das gemeinsam mit. Das ist ein guter Tag für die Frauen in unserem Land. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Beck möchte eine Kurzintervention machen. - Bitte schön, Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kauder, ich würde Sie gerne fragen, was das, was Sie gesagt haben, denn nun heißt. Mir haben die Frauen aus Ihrer Fraktion auf einem Fest der Parlamentarischen Gesellschaft gesagt, es solle jetzt ins Regierungsprogramm aufgenommen werden, dass unmittelbar nach der Wahl, falls Sie von den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit dafür bekommen sollten, die Quote von 30 Prozent für 2020 ins Gesetz geschrieben werden soll. Gerade haben Sie gesagt, dass Sie bis 2020 warten wollen, um zu schauen, ob wir bis dahin nicht schon viel weiter sind. ({0}) Die Öffentlichkeit würde gerne wissen: Wollen Sie den Frauen jetzt einen Scheck über zwei Wahlperioden ausstellen, oder wollen Sie tatsächlich handeln? Was gilt denn nun? Sie haben Frau von der Leyen und Frau Pawelski hier hinter die Fichte geführt, wenn das, was Sie gerade gesagt haben, die tatsächliche Linie, der tatsächliche Plan der Unionsführung ist. Das wäre ein Betrug an den Frauen in Ihrer Partei und an den Frauen, die auf der Tribüne sitzen und seit Jahren für die Gleichberechtigung in der Wirtschaft kämpfen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kauder.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, ich finde die Art und Weise, in der Sie Fragen stellen und zeigen, dass Sie gar nicht an einer Antwort interessiert sind, schäbig, um das einmal klar zu sagen. ({0}) Sie stellen mir eine Frage, und bevor ich diese Frage beantwortet habe, nennen Sie schon das Ergebnis. Eigentlich müsste ich sagen: Die Antwort hat sich durch Sie selbst erledigt. Um das aber klar zu sagen: Wir haben formuliert, dass wir bis zum Jahr 2020 den Unternehmen die Möglichkeit geben wollen, die Quote von 30 Prozent zu erreichen, und wenn sie bis dahin nicht erreicht wurde, wird sie gesetzlich vorgeschrieben. Ein solches Gesetz machen wir gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Das ist unsere klare Aussage. ({1}) Wenn Sie zugehört hätten und nicht immer nur bei Ihrem ideologischen Irrsinn blieben, dann hätten Sie das auch so vernommen. ({2}) - Herr Beck, zu Beginn der Legislaturperiode wird es ein Gesetz geben, in dem alle diese Punkte so geregelt werden, wie ich es gesagt habe. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kauder, Fraktionsvorsitzende haben ja gelegentlich die Aufgabe, eine gewisse Spannbreite von Positionen innerhalb der eigenen Fraktion zu überbrücken. Das ist mir nicht gänzlich unbekannt. ({0}) Das, was Sie hier eben abgeliefert haben, Herr Kollege Kauder, war aber schon ein Meisterstück der besonderen Art. ({1}) Davon, wie Sie in einer Rede gleichzeitig das Ja und das Nein zur Quote begründet haben, kann einem schon schwindlig werden. ({2}) Herr Kauder, die Menschen, die uns heute zuhören, wollen nicht länger erleben, wie Sie von den Regierungsfraktionen hier Pirouetten drehen. Sie wollen klare Ansagen. Sie wollen vor allen Dingen, dass für die Frauen in unserem Land etwas passiert. Recht haben die Frauen, die das erwarten. ({3}) So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das sehen auch viele in Ihren eigenen Reihen so. Frauen werden in der Wirtschaft immer noch benachteiligt. Viel zu wenige steigen in Führungspositionen auf. In den 200 größten Unternehmen sind nur 13 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen, in Vorstandsetagen weniger als 4 Prozent 4 Prozent! Dabei gibt es sie, die qualifizierten und inzwischen auch erfahrenen Frauen. Sie stehen in den Startlöchern; aber in den Startlöchern werden sie eben auch stecken bleiben. ({4}) Wenn wir in dem bisherigen Tempo weitermachen, dann dauert es nämlich bis zur Mitte des Jahrhunderts, bis 40 Prozent der Sitze in Aufsichtsräten mit Frauen besetzt sind, und das ist entschieden zu spät. ({5}) Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie wissen oder können wissen: Das reicht nicht. Das reicht, wie wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, auch vielen Frauen aus den Reihen der Koalition nicht; das sollte auch vielen Männern nicht reichen. ({6}) Wenn Frau Schröder und andere jetzt mit dem Thema „Selbstverpflichtung der Wirtschaft“ kommen, dann kann ich nur sagen: Das ist nun wirklich keine neue Erfindung. ({7}) Darauf haben früher schon andere gesetzt. Aber seitdem sind zwölf Jahre vergangen, und bewegt hat sich fast nichts. ({8}) Deswegen muss endlich Schluss sein mit Reden, Lamentieren und Programmrhetorik. Jetzt müssen Taten her und wenn ich von Taten spreche, dann meine ich nicht diesen Flexi-Quoten-Quatsch, den die sogenannte Frauenministerin angeboten hat. ({9}) Ich weiß nicht, was mich in dieser Situation fassungsloser macht: die Ignoranz, die dahintersteckt, wenn man das Problem überhaupt nicht erkennen will, oder aber zu wissen, was eigentlich zu tun ist, und dann am Ende, wie ich befürchte, hier im Hause gegen die eigenen Überzeugungen zu stimmen. Jetzt wäre Gelegenheit, ich korrigiere mich: jetzt wäre es eigentlich Pflicht, in diesem Hohen Hause Farbe zu bekennen. Das verlangt in einer solchen Situation Standhaftigkeit. Es ist doch keine Überraschung - es war zu erwarten -, dass das hier nicht ganz einfach über die Bühne geht. Aber kaum steigt der Druck im Kessel etwas an, fallen die Reihen um. Vor allen Dingen fallen sie auf einen billigen Kompromiss rein, mit dem Frau Merkel oder wer auch immer sie in den letzten Tagen aufs Glatteis geführt hat. ({10}) Statt heute und hier eine gesetzliche Regelung zu schaffen, vertrösten Sie die Frauen in Deutschland mit einer vagen Ankündigung im Wahlprogramm, die - wir haben es eben von Ihnen noch einmal gehört, Herr Kauder - die Einführung der Frauenquote in 2020 ({11}) in Aussicht stellt. Warum nicht gleich auch die Einführung eines Mindestlohns für das Jahr 2090? ({12}) Das ist doch Heuchelei! Das ist Volksverdummung, was hier stattfindet! ({13}) Die zeitliche Perspektive - erlauben Sie mir, das zu sagen - ist aber nur das eine. Noch verrückter ist, dass Sie den Menschen in diesem Lande verkaufen wollen, dass Sie die Einführung der Quote 2020 mit Ihrem Wunschpartner, mit der FDP, durchsetzen wollen. ({14}) Sie müssen doch begreifen, dass die Bekenntnisse zu Schwarz-Gelb auf der einen Seite und zur Quote auf der anderen Seite überhaupt nicht zusammenpassen. Das ist Heuchelei. Sie wollen die Leute hinter die Fichte führen, und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({15}) Nein, ich bleibe dabei: Mit dem, was Sie hier vorschlagen, lassen Sie die Frauen im Regen stehen. Sie stehen da wie der Kaiser ohne Kleider. Außer wohlfeilen Versprechen haben Sie nichts anzubieten. Ich ahne, dass die Vorentscheidungen bei Ihnen längst gefallen sind. Dennoch gebe ich nicht auf und appelliere noch einmal an Ihre Vernunft, an Ihren Mut und auch an Ihre Ehre: ({16}) Nehmen Sie sich selbst ernst! Nehmen Sie die Frauen ernst, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu! Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDPFraktion. ({0})

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich richte mich zuerst an die Kollegen von der SPD. Sie fordern die Wirtschaft auf, hier aktiver zu sein. Was ist denn in Niedersachsen? Dort sind von den zwölf Staatssekretären nur vier weiblich. Ich denke, da hätten Sie die Möglichkeit gehabt, eine Vorbildfunktion einzunehmen. ({0}) Ich weiß gar nicht mehr genau, wie oft wir in den vergangenen Monaten über die Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsräte gesprochen haben. Heute geht es zum ersten Mal nicht nur um den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen, sondern auch um einen Beschluss des Bundesrates. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir uns bei den Argumenten im Kreis drehen. ({1}) In den letzten Tagen habe ich kein neues Argument gehört. Das gilt auch für den internen Streit bei unserem Koalitionspartner. Die Standpunkte sind klar. Bemerkenswert ist allerdings, wie die Union ihre Reihen geschlossen hat. Ich staune über die politische Kultur bei unserem Koalitionspartner. ({2}) Es ist schon bemerkenswert, wenn eine Minderheit plötzlich Parteitagsbeschlüsse kippt. Ich bin gespannt, was der nächste Parteitag letztlich beschließt. ({3}) Wir Liberale sind jetzt also die einzige Fraktion im Bundestag, die Unternehmen nicht per Gesetz zwingen wird, einen festen Anteil Aufsichtsratsposten an Frauen zu vergeben. Es gibt aber auch in unserer Fraktion einige wenige Kolleginnen, die eine Quotierung befürworten. Die große Mehrheit meiner Fraktion lehnt diese Form der Zwangsregulierung aber ab. ({4}) Wir werden die Unternehmen jedenfalls nicht unter Androhung von Strafen zur Quote verdonnern. Wir wollen nicht Teil einer Regierung sein, die Unternehmen immer wieder neue Vorschriften macht. ({5}) Deshalb will ich hier der Wirtschaft ganz klar sagen: Sie stehen nicht auf verlorenem Posten. Wir werden nicht stillschweigend zulassen, dass Ihnen im rauen Wettbewerb ein wichtiges Stück Freiheit genommen wird. ({6}) Wir sehen doch, welche Klimmzüge vor allem börsennotierte Unternehmen machen, seit das Schreckgespenst Quote die Runde macht. Insofern kann ich der Quotendebatte und dem damit verbundenen Druck auf die Personaler durchaus etwas Positives abgewinnen. Nie zuvor suchten Headhunter so gezielt nach weiblichen Führungskräften, und das ist auch gut. Denn natürlich gibt es genügend Frauen, die qualifiziert für Aufsichtsräte und Vorstandsposten sind. Es steht außer Frage, dass nicht nur in Aufsichtsräten, sondern auch in Vorständen und Führungspositionen zu wenige Frauen vertreten sind. Es steht auch außer Frage, dass die Wirtschaft leider erst sehr spät reagiert hat. Es ist nicht erst seit gestern so, dass Frauen gewaltig auf dem Vormarsch sind, dass viel mehr Frauen als noch vor 20 Jahren Karriere machen wollen ({7}) und zudem - statistisch gesehen - die besseren Abschlüsse präsentieren, wenn sie sich bewerben. Auch der Fachkräftemangel ist kein Phänomen, das plötzlich vom Himmel gefallen ist. Die Wirtschaft hat auch in den mittleren Ebenen, also nicht nur bei den Spitzenfunktionen in Unternehmen und Verbänden, die Frauenfrage viel zu spät aufgegriffen. Diesen Vorwurf muss sich die Wirtschaft gefallen lassen. Die Familienunternehmen zeigen schon lange, wie es geht. Hier sind Frauen in Führungspositionen selbstverständlich. ({8}) Dennoch bleibt festzuhalten: Für Aufsichtsräte braucht Deutschland keine Regelung; denn hier ist Bewegung. Deshalb ist es völlig unverständlich, warum ausgerechnet jetzt, wo es eindeutig den Trend hin zu mehr Frauen in Schlüsselpositionen gibt, das Geschacher um eine gesetzliche Quote weitergeht. Ganz ohne Gesetz und noch bevor das Superwahljahr überhaupt begonnen hat, sind heute - hören Sie bitte einmal zu! - mehr als 20 Prozent der DAX-30-Aufsichtsräte Frauen, sagte gerade KlausPeter Müller, Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank und Chef der Regierungskommission für gute Unternehmensführung in einem Interview. Selbst die Initiative „Mehr Frauen in die Aufsichtsräte“, FidAR, stellt in der neuesten Bilanz fest, der Druck auf börsennotierte Unternehmen, mehr Frauen in Aufsichtsräte und Vorstände zu bringen, zeige Wirkung. Demnach haben seit Januar 2011 33 der 160 börsennotierten Unternehmen erstmals in ihrer Geschichte eine Frau in die Kontrollgremien berufen. ({9}) Von neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten wurden 2012 rund 40 Prozent an Frauen vergeben. Das ist noch kein Meilenstein, aber dennoch ein klarer Trend. Da muss die Frage erlaubt sein, aus welchem Grund und mit welchem Politikverständnis nun doch noch eine Quote für Aufsichtsräte her muss. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen und bei den Aufsichtsräten und Vorständen dem Ganzen ein bisschen mehr Zeit lassen. Im Deutschen Corporate Governance Kodex für Standards zur Unternehmensführung ist die Förderung von Frauen bekanntlich festgeschrieben; wir müssen den Kodex allerdings noch etwas wirken lassen. Die Unternehmen sind weiter in der Pflicht. Hier werden wir den Finger in die Wunde legen. ({10}) - Selbstverständlich. - Vor allem beim Führungskräftenachwuchs gibt es Handlungsbedarf. Nicht die oberste Hürde ist die schwerste, sondern die darunter. In der zweiten Ebene müssen mehr Frauen im operativen Geschäft gefördert werden. Die FDP-Fraktion wird heute also wieder gegen gesetzlich verordnete Quoten stimmen. Quoten sind auf Ergebnisgleichheit ausgerichtete Vorgaben und nichts anderes als Planwirtschaft. ({11}) Dieser Kollektivismus steht im krassen Widerspruch zu unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. ({12}) Ich ganz persönlich, als Liberale von Grund auf, glaube einfach nicht an von oben erzwungene Vorgaben. Leistungsbereitschaft wird sich auszahlen. ({13}) Es ist doch das ureigenste Interesse der Unternehmen, nach den Besten Ausschau zu halten und nicht nach Frauen, weil sie zahlenmäßig als Nächstes dran sind. ({14}) Noch eines zum Schluss: Die ganze Debatte um die Einführung von Frauenquoten geht total am Willen der Bevölkerung vorbei. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat gerade Frauen und Männer gefragt, was der Staat tun sollte, um Chancengerechtigkeit - über die sollten wir reden - zu fördern. Das Ergebnis ist eindeutig. An erster Stelle, mit 71 Prozent, wird eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert. Mit lediglich 18 Prozent liegt die Einführung einer Quote für Spitzenpositionen abgeschlagen auf dem letzten Platz der Wünsche der Befragten. Das sollte doch nachdenklich machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion ist für die Förderung aller Frauen und nicht nur für die kleine Gruppe der Frauen in Aufsichtsräten. Wir werden deshalb den Bundesratsbeschluss wie auch den Antrag der Grünen ablehnen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Fraktion Die Linke im Bundestag gibt es 42 Frauen und 33 Männer, ({0}) in der Fraktion der FDP im Bundestag gibt es 24 Frauen und 69 Männer. Ich sage Ihnen, Frau Bracht-Bendt: Wenn das, was Sie hier gerade vorgetragen haben, Ihre Auffassung bleibt, wird sich daran niemals etwas ändern. ({1}) Der Druck zur Einführung einer gesetzlichen Quote für Frauen in Aufsichtsräten ist kein Erfolg einer Partei, sondern sehr vieler Frauen und eher weniger Männer, die seit Jahren in Verbänden, Universitäten, Zeitungsredaktionen und Unternehmen kämpfen. Eine Initiative möchte ich besonders hervorheben: die „Berliner Erklärung“. Frauen aus vielen Verbänden und aus allen fünf Bundestagsfraktionen, unterstützt von Zehntausenden, haben sich dort zusammengefunden. Heute hätten wir die Chance für eine gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten gehabt. Sie wird wohl verspielt werden. Aber der Druck des Bündnisses „Berliner Erklärung“ für - jetzt zitiere ich wörtlich - „eine gerechte Gesellschaft, die Frauen und Männern die gleichen Verwirklichungs- und Teilhabechancen auch praktisch einräumt“, wird noch deutlich zunehmen. ({2}) Sie, Herr Kauder, haben gesagt - Herr Brüderle vertritt die gleiche Auffassung -, dass man keine zwangsweise Erziehung der Erwachsenen staatlich durchführen sollte. Herr Kauder, Herr Brüderle, wenn es ohne gehen würde, müssten wir in Wirtschaft, Politik und Kultur eine ganz andere Zusammensetzung haben. Die haben wir aber nicht, und deshalb brauchen wir endlich die Quote. ({3}) Der Antrag aus dem Bundesrat, initiiert vom Hamburger Senat, ist nicht so überwältigend. Mein Gott! Eine Quote von 20 Prozent, und das erst im Jahre 2018, ist der Kompromiss. Das bedeutete für die 30 großen DAX-Unternehmen gerade einmal 44 Frauen mehr. Darum machen Sie ein Gesums, als ob das Ganze das Ende der Bundesregierung und des Abendlandes bedeuten würde. ({4}) Aber ich sage Ihnen: Sie haben sogar in beiden Punkten recht. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb wird die Bundesregierung tatsächlich abgewählt werden. Das Abendland geht insoweit unter, als es in ihm typisch war, Frauen die Entscheidungen innerhalb der Wohnungen und Männern die Entscheidungen außerhalb der Wohnungen zuzuweisen. Auch das muss ein Ende nehmen. Meine lieben konservativen Herren, ich sage Ihnen das ganz offen: Diese Zeit ist vorbei. ({5}) Ich sagte schon, die Initiative aus dem Bundesrat ist eher unzureichend. Aber sie wäre dennoch ein erster Schritt hin zu einer gesetzlichen Frauenquote, der berühmte Fuß in der Tür, der sie öffnet. Ich sage das heute auch selbstkritisch. Das Lebenspartnerschaftsgesetz war auch der berühmte Fuß in der Tür. Seitdem haben sich die Dinge bis hin zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt. Deshalb ärgere ich mich noch heute über mich selbst, dass ich mich damals der Stimme enthalten habe. Ich hätte zustimmen sollen, weil man das Öffnen einer Tür immer unterstützen muss. Sie geht dann von allein immer weiter auf. ({6}) Es geht doch nicht um die eher marginalen Interessen gutverdienender Managerinnen, die in die obersten Chefetagen wollen, obwohl auch das schon eine unterstützenswerte Forderung ist. Es geht um die gesellschaftliche Bewertung sogenannter Frauen- und Männerarbeit, das Aufbrechen von Rollenstereotypen und die gleichberechtigte Teilhabe in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Mich stört nicht nur, dass die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in unserer Gesellschaft nicht durchgesetzt ist, sondern mich stört auch, dass die Forderung „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ noch gar nicht genügend erhoben wird. ({7}) Sogenannte Frauenarbeit ist immer weniger wert. Ich weiß, dass der Stahlarbeiter eine harte Arbeit leistet, und er soll gut verdienen. Aber die OP-Schwester leistet eine genauso harte Arbeit, und sie soll genauso gut verdienen. Das müssen wir endlich durchsetzen. ({8}) Es geht um eine gerechte Teilhabe im Berufsleben. Die erfordert dann allerdings auch eine gerechte Teilhabe in der Familie, in der Partnerschaft, gegenüber Kindern und anderen Angehörigen und im Haushalt. Das wollen Sie verhindern, Herr Kauder und Herr Brüderle? ({9}) Es gibt Frauen in der Union, die sich für das Gesetz einsetzen wollten. Die haben Sie so unter Druck gesetzt, dass die sich heute nicht trauen, dafür zu stimmen. Was bekommen Sie dafür? Statt eines Gesetzes ein Stück Papier. Ich sage Ihnen: Was Sie in Ihr Wahlprogramm hineinschreiben, steht noch nicht im Koalitionsvertrag; da hat Herr Steinmeier völlig recht. Sie rufen überall, Sie wollen die Koalition mit der FDP fortsetzen, und die sagt: So etwas kommt gar nicht in den Vertrag der Regierungskoalition. Also ist das doch für nichts, Frau von der Leyen. Dafür geben Sie das auf? Sie hätten heute wirklich einmal Courage beweisen müssen, statt so ein Stückchen Papier. ({10}) Selbst wenn es im Koalitionsvertrag steht - wir kennen das ja von der Angleichung der Rentenwerte Ost und West -, streichen Sie es dann hinterher, und es findet nicht einmal statt. ({11}) Ich glaube, die Frauen aus der Union und auch aus der FDP, die jetzt umgekippt sind, werden sich später schwere Vorwürfe machen. Immerhin haben die CDUMinisterpräsidentin aus dem Saarland und der CDU-Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt im Bundesrat zugestimmt. Die hatten mehr Mumm; das muss ich einmal ganz klar sagen. ({12}) Der Kompromiss des Bundesratsentwurfs ist doch nicht nur für die Konservativen ein weiter Weg, sondern aus umgekehrter Richtung auch für uns; denn wir wollen schneller und mehr Gleichstellung. Wir haben heute aber die Chance, ein Zeichen gegen die anhaltende Diskriminierung der weiblichen Bevölkerungsmehrheit zu setzen. Ich sage Ihnen am Schluss: Frau Merkel, Herr Kauder, Herr Brüderle, es ist schlimm, dass Sie heute Frauen zwingen, gegen Frauenrechte zu stimmen. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bundesministerin Kristina Schröder.

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon dreist, ({0}) wie sich SPD und Grüne hier präsentieren. ({1}) Sie waren es doch, die 2001 das Thema „Frauen in Führungspositionen“ in einen zehn Jahre langen Dornröschenschlaf versetzt haben. ({2}) Sie waren es, die rot-grüne Bundesregierung, die 2001 mit den Arbeitgeberverbänden einen Handel abgeschlossen hat, ({3}) der nur ein einziges Ziel hatte, nämlich die Frauen ruhigzustellen. ({4}) Das, was Sie, Herr Steinmeier, uns eben wieder tränenreich als gescheiterte Selbstverpflichtung der Wirtschaft verkauft haben, war in Wahrheit ein Deal auf dem Rücken der Frauen. ({5}) Ich lese Ihnen gerne einmal vor, was Gerhard Schröder damals mit viel jovialem Schulterklopfen als rot-grüne Selbstverpflichtung präsentiert hat: ({6}) Die Spitzenverbände der Wirtschaft sagen zu, ihren Mitgliedern betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern … zu empfehlen. Na, Donnerwetter! ({7}) Das kann man sich ja richtig vorstellen, wie da der Herr Hundt dem Herrn Ackermann begegnet und sagt: „Du, ich empfehle dir da mal ’ne Maßnahme.“ ({8}) Meine Damen und Herren, das ist einfach nur naiv. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, die Kollegin Bender hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen? Nein. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Schmutzig wurde dieser Deal aber dann durch die Gegenleistung der rot-grünen Bundesregierung. Ich zitiere noch einmal: … wird die Bundesregierung keine Initiative ergreifen, um die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft auf gesetzlichem Wege zu erreichen. Meine Damen und Herren, was Sie damals gemacht haben, war nichts anderes als ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. ({0}) Außerdem behaupten Sie permanent, das seien damals Selbstverpflichtungen von Unternehmen gewesen. Ich sage Ihnen, wie viele Unternehmen da unterschrieben haben: null, kein einziges Unternehmen. Sie haben sich mit unverbindlichen Absichtserklärungen auf Funktionärsebene zufriedengegeben, und Sie haben kein einziges Unternehmen direkt in die Pflicht genommen. ({1}) Die Behauptung, es gebe seit 2001 Selbstverpflichtungen von Unternehmen, ist schlichtweg falsch. ({2}) Erst seit 2011 gibt es konkrete Zielvorgaben von Unternehmen, nämlich seitdem ich das eingefordert habe, ({3}) und diese Methode wirkt, meine Damen und Herren ({4}) - Ja, da können Sie ruhig schreien. Schreien können Sie gut. ({5}) Sie können auch gut Anträge schreiben. Aber was tun Sie denn, wenn Sie konkret etwas zu sagen haben? ({6}) Beispiel VW. Das Land Niedersachsen kann zwei Plätze im Aufsichtsrat dieses Unternehmens besetzen. Und wen hat die neue rot-grüne Landesregierung auf diese Plätze gesetzt? Zwei Männer! ({7}) Wenn Sie nur eine einzige Frau dafür genommen hätten, dann läge die Frauenquote im VW-Aufsichtsrat heute schon dort, wo sie nach dem von Hamburg in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesantrag 2018 sein soll. ({8}) Was Sie hier inszenieren, das ist einfach scheinheilig und verlogen, meine Damen und Herren! ({9}) Nächstes Beispiel: öffentlicher Dienst. Die rot-grüne Landesregierung hat drei Polizeipräsidien neu besetzt. Die Präsidenten dieser Polizeipräsidien waren zwei Männer und eine Frau. ({10}) Als erste Amtshandlung hat Rot-Grün sie abgesetzt und ersetzt durch - Sie ahnen es - drei Männer. ({11}) Da hat sich eine Frau in dieser Männerdomäne nach oben gekämpft, und was machen Sie? Sie haben nichts Besseres zu tun, als sie durch einen Mann zu ersetzen, damit die in den Spitzenpositionen wieder unter sich sind! ({12}) Ein letztes Beispiel? Gerne! Der Hamburger Gesetzesantrag betrifft zum Beispiel auch den Aufsichtsrat von Borussia Dortmund, ({13}) einem börsennotierten Unternehmen im CDAX. In diesem Aufsichtsrat sitzt der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zusammen mit - Sie ahnen es - fünf anderen Männern. ({14}) Dann fragen Sie Herrn Steinbrück doch mal hier und jetzt, ob er denn bereit ist, seinen Posten im Aufsichtsrat für eine Frau zu räumen! Das wäre doch mal ein Zeichen, dass er es ernst meint, meine Damen und Herren! ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Im Moment kann man Ihre Frauenpolitik leider nicht ernst nehmen. Sie scheitern an Ihren eigenen Ansprüchen. Sie glauben, damit ein Wahlkampfthema gefunden zu haben und die Koalition zu spalten. Damit werden Sie auch heute scheitern. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schröder, das war unter Niveau. ({0}) Frau Schröder, wir sind hier nicht in einer Märchenstunde. Sie sind die Bundesministerin für Frauen, auch wenn wir es manchmal überhaupt nicht glauben mögen, dass „Frauen“ im Titel Ihres Ministeriums vorkommt. Wir sind auch nicht im Jahr 2001, sondern wir sind zwölf Jahre weiter. ({1}) Genau das, Frau Schröder, zu was die Bundeskanzlerin und Ihr Fraktionsvorsitzender Sie jetzt zwingen, ist das, was Sie so bezeichnet und uns von Rot-Grün vorgeworfen haben: ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. ({2}) Frau Schröder, Sie haben als Ministerin wirklich alles getan, um die Quote zu verhindern. ({3}) Sie haben die Flexi-Quote erfunden, um eine ordentliche Quote, die Frauen in Führungspositionen bringt, zu verhindern. ({4}) Sie haben nicht einmal die Flexi-Quote vorgelegt. ({5}) Sie haben nämlich gar nichts vorgelegt. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition und diese Bundesregierung haben nicht einen einzigen Vorschlag gemacht, sei er auch noch so klitzeklein, wie wir es schaffen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Nicht einen! ({7}) Kein einziger Antrag, kein Versuch, mit uns gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen! Nichts! ({8}) Einfach gar nichts haben Sie vorgelegt! Wissen Sie was, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, von der CSU und von der FDP? Wir machen Ihnen heute ein ernsthaftes und, wie ich finde, unschlagbares Angebot, für mehr Frauen in großen deutschen Unternehmen zu stimmen. Ich finde, es ist ein ziemlich gutes Angebot, das wir Ihnen machen. Sie könnten heute die Gelegenheit nutzen, zu zeigen, dass auch Sie wollen, dass Frauen eine faire Chance bekommen, gleichberechtigt mit Männern große deutsche Unternehmen zu leiten, und dass Sie Frauen das zutrauen. Ich bedauere wirklich, dass Sie das Angebot ausschlagen, obwohl ich persönlich nicht eine Minute damit gerechnet habe, dass Sie zustimmen. Trotzdem ist das schade, nämlich schade für die Frauen, meine Damen und Herren. ({9}) Sie veranstalten hier ein unwürdiges Gezerre, ({10}) einen Klamauk mit Ihrem Wahlprogramm. Ich darf einmal die Frage stellen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Fraktionsvorsitzender Kauder: Wer beschließt eigentlich in Ihrer Partei über ein Wahlprogramm? ({11}) Haben die Delegierten eigentlich noch ein Wörtchen mitzureden, oder machen das nur drei Personen unter sich aus? ({12}) Nun muss ich mich nicht um Ihre innerparteiliche Demokratie sorgen, ({13}) aber das, was mich wundert, ist, dass die Couragierten, die ich in Ihren Reihen auch kennengelernt habe, sich damit vertrösten lassen. Das ist in der Tat ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. Es waren vier verlorene Jahre - es sind fast vier Jahre - für die Frauen. Das bedauere ich wirklich sehr. Frau Bundeskanzlerin, ich zitiere Sie einmal. Am 8. Februar 2011 bezeichneten Sie die niedrige Anzahl weiblicher Führungskräfte in Chefetagen als Skandal. Vor Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften kritisierten Sie, dass trotz der Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem Jahr 2001 keine nennenswerten Verbesserungen eingetreten seien. Und, Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen: „Seien Sie kreativ, sonst werden wir kreativ sein.“ ({14}) Also, Kreativität kann ich auf dieser Seite des Hauses nun einmal überhaupt nicht erkennen. ({15}) Dann - in der Woche rund um den Internationalen Frauentag; wir erinnern uns gut - ergeht eine Weisung der Bundeskanzlerin höchstpersönlich, gegen den Vorschlag von Viviane Reding zu sein, auf der europäischen Ebene Frauenquoten auf den Weg zu bringen. Das Interessante ist, die Argumentation der Bundesregierung ist, jeder Mitgliedstaat soll das bitte selbst machen, und Europa soll sich heraushalten. Ja, bitte, was erleben wir denn hier? Jeder Mitgliedstaat soll das selbst machen. In Deutschland: Fehlanzeige! ({16}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier einen Handlungsauftrag. Ich weiß, das ist schon oft bemüht worden, aber ich möchte es noch einmal sagen: Wir haben aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes eine Verpflichtung. Wir können hier nicht das machen, was wir wollen, und wir können das auch nicht unter beliebiges Parteikalkül stellen, sondern wir haben einen Handlungsauftrag. Wir haben gesehen: Die freiwillige Vereinbarung hat nichts gebracht. Also müssen wir hier zu einer Regelung kommen. Wir brauchen endlich eine verpflichtende gesetzliche Quote für die großen deutschen Unternehmen, die dafür sorgt, dass die tollen Frauen, die wir im Land haben, endlich an die Plätze kommen, die ihnen zustehen. ({17}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das dümmste Argument, das wir in der Debatte immer wieder hören, dass ungeeignete Frauen auf Spitzenposten kommen. ({18}) Glaubt eigentlich irgendjemand, dass die Tatsache, dass 96 Prozent der Vorstandsposten mit Männern besetzt sind, irgendetwas mit der Qualifikation zu tun hat? Glaubt das eigentlich irgendjemand ernsthaft hier in diesem Haus? ({19}) Glaubt irgendjemand, dass 4 Prozent Frauen ein Ergebnis von „Bestenauslese“ sind? Glaubt das jemand hier in Ihren Reihen? Das ist doch wohl großer Quatsch. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Signal an die vielen tollen Frauen in unserem Land, wenn wir ihnen sagen, Bestenauslese führt dazu, dass 96 Prozent Männer in Vorständen sitzen? Das ist indiskutabel. ({20}) Ich möchte gern Thomas Sattelberger zitieren. Ihn hatten wir bei unserer Anhörung im Rechtsausschuss, die wir gemeinsam mit dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt haben. Thomas Sattelberger hat ein Zitat gebracht, und ich schließe mich dem uneingeschränkt an, auch wenn ich nicht dabei bin. Er hat gesagt: „Karrieren werden beim Pinkeln entschieden.“ ({21}) Thomas Sattelberger muss es wissen, und ich glaube, dass das stimmt, auch wenn, wie gesagt, ich nicht dabei bin. ({22}) Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Wir haben hier einen Handlungsauftrag. Sie hätten heute die Chance, ({23}) hier eine gute Entscheidung zu treffen. Ich will noch ein weiteres dummes Argument aufgreifen - Sie, Herr Kauder, haben es wiederholt -: Es wird immer gesagt, es erledigt sich alles von selbst, wenn wir erst einmal etwas für Familie und Beruf getan haben. Da stelle ich einmal fest: Erstens tut die Bundesregierung überhaupt nichts für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und auch diese Koalition ist nur auf die Idee des Betreuungsgeldes gekommen. Das hilft den Frauen nun wahrlich nicht weiter. Zweitens, meine Damen und Herren, ist es auch so: Wenn es richtig wäre, dass es einzig und allein an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinge, dann säßen - das ist nicht schön - aber wenigstens viele Kinderlose in den Vorstandsetagen, in den Vorständen und Aufsichtsräten. Das ist auch nicht der Fall. Das heißt, es kann überhaupt nicht an dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegen, sondern es liegt daran, dass es eine systematische Diskriminierung von Frauen ist. Meine Damen und Herren, ich bin auch der Auffassung, dass sich beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel ändert, wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen haben, weil, wie wir wissen, sich dann in den Betrieben selbst viel ändert. Diese Frauen sind dann Vorbilder für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die auch an den Rahmenbedingungen viel ändern können. Wenn ich das nächste Mal zur Quote rede, werden wir sie beschließen; das werden die vielen klugen Frauen in unserem Land am 22. September gut entscheiden; ({24}) sie beobachten ja genau, wer hier etwas für die Gleichberechtigung von Frauen tut und wer nicht. Aber trotzdem ein allerletzter Appell: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie heute mit! Wir machen ein wirklich gutes Angebot. Das können Sie annehmen. Ich bedaure es sehr, wenn Sie es nicht tun. Wir sehen uns aber wieder, und dann beschließen wir die Quote. Vielen Dank. ({25})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Marco Buschmann für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir vorweg eine Anmerkung zu der Art und Weise, wie hier diskutiert wird: Wenn ausgerechnet Herr Steinmeier und Herr Gysi den Kolleginnen insbesondere in der CDU/CSU-Fraktion Ehre absprechen, Ehrlosigkeit attestieren, ist das, wie ich finde, ein Unding. Den Kolleginnen, die bei einer politischen Gesamtabwägung zu einem anderen Ergebnis kommen als Sie, die Ehre absprechen zu wollen, das ist das Gegenteil von Anstand, Kollegialität und Parlamentarismus. Das finde ich unsäglich. ({0}) Zweite Anmerkung: Wir hatten hier schon viele Debatten. Ich werde aber nicht müde, das Argument - Sie kennen es - zu erwähnen: Die empirische Überprüfung Ihrer Theorie, dass sich etwas in der Gesellschaft ändere, wenn wir bei den wenigen Positionen, um die es geht, etwas aus symbolischen Gründen ändern, ist widerlegt. ({1}) Catherine Hakim von der London School of Economics hat untersucht, was sich in dem von Ihnen so gepriesenen Quotenmusterland Norwegen in der zweiten, dritten, vierten Führungsebene unterhalb der quotierten Gremien tut. Das Ergebnis ist: Nichts! In diesen Ebenen ist der Anteil weiblicher Führungskräfte sogar niedriger als in Deutschland. Ihre Theorie ist damit empirisch widerlegt. Deshalb ist das ein reines Elitenprojekt, aber kein Beitrag zur Gesellschaftspolitik. ({2}) Dass sich hier in Deutschland nichts tun würde, ist nun wirklich wahrheitswidrig. Frau Schröder hat vorhin sehr eindrucksvoll darauf hingewiesen, ({3}) dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Stillhalteabkommen, das Sie abgeschlossen haben, und der Maßnahme, die diese Regierung eingeleitet hat, nämlich die Änderung des Corporate Governance Kodex. Seit 2010 tut sich in der Tat einiges. PricewaterhouseCoopers hat das untersucht. Von anfangs knapp über 10 Prozent weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern in DAX-Unternehmen sind wir mittlerweile bei 18 Prozent angekommen. Wir werden in Kürze auch die 20 Prozent überschreiten. Das heißt, die Richtung stimmt. Über das Tempo kann man immer streiten. Zu behaupten, dass sich hier nichts getan hat, ist schlicht wahrheitswidrig. Sie sollten bei den Fakten bleiben. ({4}) Wenn Sie jetzt fragen: „Wenn doch die Richtung stimmt und sich etwas tut, was haben Sie dann gegen die Quote?“, entgegne ich Ihnen: Das ist ganz einfach. Ich habe etwas dagegen, dass Sie es jedem Einzelunternehmen vorschreiben wollen. Ich finde, es ist ein Erfolg, wenn wir insgesamt zu immer höheren Anteilen kommen. Es muss aber doch möglich sein, dass es bei einem Maschinenbauer anders aussieht als bei einem Finanzunternehmen. ({5}) Wo Sie immer auf die Abschlüsse hinweisen: Sie sehen doch auch, dass heute beispielsweise in den MINTFächern, die für die Maschinenbauer und Automobilbauer von entscheidender Bedeutung sind, Frauen- und Männeranteile unterschiedlich sind. Auf diese Fakten wird man doch wohl hinweisen dürfen, meine Damen und Herren. ({6}) Meine Damen und Herren, eine weitere Frage lautet: Warum ist der Anteil weiblicher Mitglieder in Aufsichtsräten insgesamt noch nicht höher? Auch hier hilft ein Blick auf die Fakten. Wenn Sie sich die Gremien von Kapitalgesellschaften hinsichtlich deren Zusammensetzung anschauen, dann ist das zwangsläufig immer ein Blick in die Vergangenheit. In deutschen Aufsichtsräten sind die Mitglieder zwischen 50 und 70 Jahre. Warum? Die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat schließt sich meist einer erfolgreichen Laufbahn in einem Vorstand an. Wenn Sie einen Berufseintritt von 25 Jahren unterstellen, dann reden wir also über die Abschlussjahrgänge der Universitäten Ende der 60er-Jahre bis in die 80er-Jahre hinein. Frau Künast sagt nun: In den heutigen Abschlussjahrgängen machen Frauen und Männer in gleichem Umfang Abschlüsse. Das ist ja auch richtig. Deshalb wird es in Zukunft einen immer höheren Frauenanteil geben. Aber das war eben in den Jahrgängen, die heute in den Aufsichtsräten sitzen, nicht so. Deshalb dauert es eine gewisse Zeit, bis wir da den Anteil erreichen, den wir erreichen wollen. Auch darauf wird man hinweisen dürfen, meine Damen und Herren. ({7}) Letztlich bin ich es, offen gestanden, leid, dass Sie allein die Privatwirtschaft an den Pranger stellen. Sie tun immer so, als gäbe es in den privaten Unternehmen eine finstere Verschwörung, die sich hier dem Fortschritt verweigert. ({8}) Sie stellen gezielt die Privatwirtschaft an den Pranger. Warum reden wir nicht über die Wohlfahrtsverbände? Das sind die größten Arbeitgeber in Deutschland. Schauen wir uns den Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes an: sechs Männer und zwei Frauen. Warum sprechen Sie denn nicht darüber? ({9}) Schauen wir uns den Vorstand der SPD-nahen FriedrichEbert-Stiftung an: acht Männer und zwei Frauen. ({10}) Warum reden wir nicht darüber? Warum gilt für diese Organisationen etwas anderes? Das ist nicht konsequent. All das zeigt nur: Sie wollen hier schlichtweg Wahlkampf machen, nach dem alten sozialdemokratisch-linken Motto: In den Unternehmen sitzen die bösen Kapitalisten; die müssen wir an den Pranger stellen. Aber über die Fakten in der Breite der Gesellschaft, darüber, dass wir abseits der Privatwirtschaft große Arbeitgeber haben, für die das genauso gelten sollte - gerade im Bereich der Wohlfahrtsverbände sind besonders viele Frauen als Arbeitnehmerinnen beschäftigt -, verlieren Sie kein Wort. Denn am Ende wollen Sie keine Politik gegen die gläserne Decke machen, sondern nur Politik für das Schaufenster des Wahlkampfs. Dabei machen wir nicht mit. Herzlichen Dank. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Marco Buschmann. - Als nächste Rednerin auf unserer Liste spricht nun für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau von der Leyen, das war es dann wohl mit dem Image als Kämpferin und Gewinnerin; es hat sich erledigt. ({0}) So wenig Frauen auf Sie als Person setzen können, so wenig können Frauen in der Bundesrepublik Deutschland auf die schwarz-gelbe Koalition setzen. ({1}) Bascha Mika erinnerte in einer Kolumne an einen Ausspruch der früheren US-amerikanischen Außenministerin Albright. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen nicht helfen. Ich bin Atheistin, und ich kämpfe für Frauen, aber diejenigen, die glauben und nicht kämpfen, sollten sich das vielleicht zu Herzen nehmen. ({2}) Warum haben Sie nun eine solche Angst? Die Angst ist so groß, dass die CDU/CSU-Fraktion beschlossen hat, dass ein Drittel der Rednerinnen und Redner in dieser Debatte Männer sein sollen und diese zwei Männer gleich 59 Prozent der Redezeit bekommen sollen, also mehr als die vier Frauen zusammen. Das verstehen Sie unter einer gleichberechtigten Aufteilung. Männer aus CDU/CSU und FDP, Bankenwelt und Industrie scheren sich nicht, aber auch gar nicht um die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft. Frau Schröder, ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Ja, es gibt Fälle - Sie haben hier Beispiele aufgezählt -, in denen die Situation trotz rot-grüner oder rot-roter Regierung nicht so gut ist. ({3}) Aber genau deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, damit wirklich alle gezwungen werden. ({4}) Nicht die Aufzählung von Beispielen bringt uns weiter; wir müssen vielmehr aktiv werden und unsere Verantwortung tatsächlich wahrnehmen. Aber was passiert stattdessen? Appelle an die Klugheit der Frauen, an die Treue der Frauen gegenüber der Fraktion und der Partei und was nicht noch alles! ({5}) Dafür bekommen die Frauen nichts, aber auch gar nichts als ein Versprechen. Herr Buschmann hat eben in aller Deutlichkeit klargemacht, dass selbst dieses Versprechen nicht einmal das Papier wert ist, auf dem es geschrieben ist. ({6}) Liebe Herren, ich sage Ihnen: Sie allesamt werden uns für die Quote noch einmal dankbar sein. Wir als Linkspartei hatten von Beginn an, schon als PDS, eine 50-prozentige Quotierung bei allen Listenaufstellungen. Ich verrate Ihnen jetzt wirklich ein Geheimnis. Am Anfang gab es bei dem einen oder anderen tatsächlich noch ein Zucken in den Mundwinkeln, aber es gab die Quote von 50 Prozent. Inzwischen standen wir schon öfter vor der Situation, dass wir so viele gute Frauen hatten, dass uns die Auswahl schwerfiel; aber wir haben gesagt: Okay, wir haben nun einmal die 50-prozentige Quotierung; daran werden wir nicht rütteln, wir lassen es in etwa bei 50 Prozent. - Im Ergebnis sind in unserer Fraktion trotzdem mehr Frauen als Männer. Aber die Quote erschöpft sich nicht allein in einem solchen Schutz. Nein, die Quote eröffnet Ihnen als Männern doch völlig neue Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie bekommen aufgrund der Quote auch Einblicke in andere Bereiche; denn wir wollen die Quote in allen Bereichen des Lebens: sowohl in der Erwerbsarbeit, und zwar auf allen Ebenen, in allen Industriezweigen, als auch im Familienleben und im Pflegebereich. Ich sage Ihnen eines: Wenn wesentlich mehr Männer in den rein reproduktiven Bereichen beschäftigt wären, also mit der Erziehung der Kinder, mit der Pflege von Angehörigen, dann gäbe es für Tätigkeiten in diesen Bereichen nicht wie heute einfach nur ein Dankeschön oder Minilöhne, sondern sie würden ordentlich bezahlt werden. Außerdem eröffnet die Einführung einer Quote ihnen auch den Blick für völlig neue Möglichkeiten oder auch Unmöglichkeiten in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. ({7}) Es geht nicht nur um die Quote. Sicher, die Quote ist ein erster Schritt, aber es geht auch um die gleichberechtigte Teilhabe aller Männer und Frauen in allen Bereichen des Lebens. Deshalb ist der Wert der Berliner Erklärung sehr hoch anzusiedeln. Frauen aller Fraktionen hatten diese Erkenntnis, und sie hatten auch den Mut, diese öffentlich zu vertreten. Man muss schon sagen: Das war ein wesentlicher Schritt. Aber das, was Sie als Koalition hier bieten, und die Art und Weise, wie Sie mit dem Mut dieser Frauen umgehen, ist unter aller Würde. ({8}) Quotengegner fürchten sicherlich vor allem eines: dass sich nicht nur einzelne Frauen ungerecht behandelt fühlen, sondern dass Frauen verstehen, dass sie als Frauen insgesamt ungerecht behandelt werden. Um das zu zeigen, war die Berliner Erklärung wichtig. Frauen aus allen Fraktionen haben sich dafür eingesetzt, dass sie zustande kam. Das ist ein wichtiges Ergebnis. ({9}) Ich möchte Sie noch einmal bitten: Überlegen Sie, ob der vorliegende Antrag für eine Quote für Sie nicht doch eine Möglichkeit ist, endlich zu zeigen, dass Sie es mit dem, was an der einen oder anderen Stelle festgehalten wurde, ernst meinen. Stellen Sie sich den Frauen nicht weiter in den Weg. An die Frauen, die sich dem in den Weg stellen, noch einmal der Satz von Madame Albright: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen nicht helfen. Ich danke. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Ekin Deligöz. Bitte schön, Frau Kollegin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht die erste Debatte über die Quote, die wir hier führen, und es wird hoffentlich auch nicht die letzte sein. Immer, wenn wir diese Debatte hier geführt haben, haben Vertreterinnen aller Fraktionen in diesem Haus verbale Aufgeschlossenheit signalisiert. Bei allen Podiumsgesprächen, auf allen Veranstaltungen hatten wir eine verbale Aufgeschlossenheit. Und am Ende wurde die Quote abgelehnt. Heute unterbreiten wir einen Vorschlag, der wirklich sanft gewaschen ist, der mit CDU-Stimmen den Bundesrat passiert hat. Dazu gibt es von den Grünen noch einen weiteren Vorschlag, in den wir genau das aufgenommen haben, was Sie angeblich irgendwann einmal umsetzen wollen. Und am Ende werden die Frauen wieder leer ausgehen. Gleichstellungspolitik findet in dieser Regierung nicht statt. Das ist die Bilanz dieses Tages. ({0}) Frau Ministerin, Sie stellen sich hier hin und liefern eine Analyse - schön, gut, ich gebe Ihnen in vielen Punkten recht -, aber der Auftrag einer Ministerin ist nicht, zu analysieren, sondern politisch zu gestalten, politische Antworten zu geben. Aber davon haben wir gar nichts gehört. ({1}) Was genau wollen Sie denn verändern? Was wollen Sie anders machen? ({2}) Schön, dass Sie genau da angekommen sind, wo wir bereits vor zehn Jahren gewesen sind, bei der Freiwilligkeit. Wir haben aber dazugelernt. Und Sie? Warum können Sie nicht dazulernen, wenn es darum geht, endlich einmal etwas voranzubringen? Warum bleiben Sie einfach nur stehen und sagen: „Was irgendwann einmal richtig war, kann jetzt nicht falsch sein“? Nein, Frau Ministerin, Sie verraten hier die Sache der Frauen. Das müssen Sie sich anhören. ({3}) Allen, die sagen, dass es Entwicklungen gibt, dass sich doch etwas getan hat, sage ich: Der aktuelle WoBIndex, der vor ein paar Tagen von FidAR vorgelegt wurde, besagt, dass all das, was Sie jetzt groß beschwören - Diversity-Empfehlungen, Corporate Governance Kodex, Freiwilligkeit - zwar gut klingt, in diesem Land aber nichts bewegt hat. Es ist, wie es ist: Die Strukturen sind geschlossen - geschlossen für Frauen. Ich erinnere daran, dass das Auswärtige Amt davor gewarnt hat, dass Deutschland mit Wettbewerbsnachteilen rechnen muss, wenn sich in den Spitzen nichts ändert, wenn wir nicht mehr Frauen in Spitzenpositionen bekommen. Zumindest dieses Argument muss doch irgendwann einmal bei der FDP ankommen. Hier geht es um harte Wirtschaftspolitik. Hier geht es nicht darum, ein paar Frauen zu fördern, sondern darum, Deutschland nach vorne zu bringen. ({4}) Letztendlich geht es auch um die Wertschätzung der weiblichen Arbeit. Frauen sind nicht nur gut qualifiziert, sie wollen auch Verantwortung übernehmen, in der Politik, in der Wirtschaft, überall, wo es darum geht, gemeinsam zu gestalten. Ja - das passt Ihnen nicht -, wir wollen auch Strukturen aufbrechen. Wir wollen festgefahrene Wege verlassen. Genau darum geht es. Das sind die wichtigsten Argumente. Frauen haben in der Politik immer dann etwas bewegt - Frau Hasselfeldt, Sie wissen das besser; Sie werden gleich reden -, wenn sie sich verbündet haben, wenn sie Netzwerke gegründet haben. ({5}) Das waren historische Debatten, das waren die berühmten Sternstunden: Vergewaltigung in der Ehe, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, § 218 StGB. Die Erinnerung daran macht Mut und gibt Hoffnung. Aber diesen Mut und diese Hoffnung lassen weder CDU noch CSU zu. Mit diesem Vorwurf müssen Sie umgehen: Sie verhindern hier nicht nur eine Sternstunde, sondern Sie verhindern auch, dass ein Bündnis von Frauen gemeinsam agieren kann, weil Ihnen Parteiräson wichtiger ist als das Voranbringen der deutschen Politik. ({6}) Ich will mit einem Zitat enden. Der Schriftsteller Paulo Coelho sagte einmal: Die zwei größten strategischen Fehler sind: vor der Zeit handeln oder eine Gelegenheit vorübergehen lassen. Wir lassen hier eine Gelegenheit vorübergehen. ({7}) Wir Frauen und Sie müssen dafür die Verantwortung übernehmen. Bis Montagmorgen habe ich noch daran geglaubt, dass die Frauenbündnisse halten. Sie lassen uns im Stich, und das nehme ich den CDU-Frauen persönlich sehr, sehr übel, ({8}) weil wir für die gemeinsame Sache eingestanden sind, weil wir gemeinsam gekämpft haben und nun alle gemeinsam leer ausgehen. Die Verlierer werden am Ende die Frauen sein. Verlierer wird die Gesellschaft sein. Verlierer werden auch die Unternehmen sein. Vor allem aber brechen Sie ein Versprechen, das wir gemeinsam mit der Berliner Erklärung gegeben haben. Sie führen uns alle, alle Frauen, die dafür gekämpft haben, vor. ({9}) Das nehme ich Ihnen persönlich übel. Das ist enttäuschend. Das hätte heute ein guter Tag für die Frauen sein können. Und Sie haben es verdorben. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Frau Gerda Hasselfeldt. Bitte schön, Frau Kollegin Gerda Hasselfeldt. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer es bis jetzt noch nicht geglaubt hat, dem ist spätestens während dieser Debatte klargeworden, dass die beiden von Ihnen vorgelegten Anträge nichts anderes sind als ein billiges, allzu durchsichtiges Wahlkampfmanöver. ({0}) Ihr Ziel ist nicht, die Situation von Frauen in Führungsfunktionen grundsätzlich zu verbessern, sondern Ihr Ziel ist es einzig und allein - das haben die ganzen Beiträge von der ersten Rede an deutlich gezeigt -, einen Keil in die Koalition zu treiben, uns auseinanderzudividieren und zu spalten. ({1}) Und das wird nicht gelingen. ({2}) Des Weiteren ist mir schon während der ganzen Debatte aufgefallen: Bei vielen Rednern ({3}) und Rednerinnen von unserer Seite ist der Tumult bei Ihnen immer groß, so wie jetzt gerade auch. Wir haben Ihnen allen zugehört, und, ich glaube, die Frauen im Land verdienen es, dass wir uns gegenseitig zuhören. ({4}) Wenn Sie es wirklich ernst mit der Verbesserung der Situation und Erhöhung der Anzahl von Frauen in Führungsfunktionen meinen, dann müssen Sie auch dort, wo Sie wirklich Einfluss haben und dies verbessern können, mit gutem Beispiel vorangehen. ({5}) - Liebe Frau Schieder, ich sage gleich noch etwas zur CSU, nicht nur zum Anteil der Frauen, sondern auch zur Besetzung der Führungsfunktionen in der CSU. Darüber können wir uns gerne austauschen. Die Frau Familienministerin hat schon deutlich darauf hingewiesen, wie wenig Niedersachsen mit der eigenen Mehrheit in den Gremien, in denen Führungspositionen zu besetzen waren, getan hat, beispielsweise beim VW-Aufsichtsrat oder auch bei Polizeipräsidentenstellen. ({6}) An diesem letztgenannten Beispiel wird doch deutlich: Wenn es um die Partei geht, dann hört es bei Ihnen mit der Quote auf. Das ist doch die Quintessenz des Ganzen. ({7}) Ähnlich ist übrigens auch die Situation in NordrheinWestfalen. Auch dort hätte die Landesregierung gute Möglichkeiten gehabt, ({8}) bei der Besetzung einer ganzen Reihe von Verwaltungsrats- und Aufsichtsratspositionen Frauen zu berücksichtigen, ({9}) zumindest so, wie Sie es selbst von anderen Unternehmen einfordern. ({10}) Das ist doch das Erste, was man tut: Dort, wo man selbst Einfluss nehmen kann, verwirklicht man das, was man von anderen einfordert. ({11}) Sie haben das nicht getan. Beispielsweise nicht bei der NRW.BANK, in der acht Positionen im Verwaltungsrat von der Politik besetzt werden. Wissen Sie, wie viele davon mit Frauen besetzt wurden? Eine einzige. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, was für ein Pharisäertum da bei Ihnen am Werk ist. ({12}) Sie arbeiten mit Überschriften und mit hohlen Phrasen sowie mit Forderungen an andere, aber nicht mit Taten. Jetzt, liebe Frau Schieder, will ich Ihnen ein bissl was zur CSU sagen. Bei uns, in meiner Partei, reden wir nicht nur über Frauen in Führungsfunktionen, sondern bei uns haben die Frauen Führungsfunktionen. ({13}) Von sieben Landtagslisten der Bezirksverbände in Bayern werden fünf von einer Frau angeführt. Fünf von sieben von einer Frau! ({14}) Auch die Bundestagsliste wird, wie Sie wissen, von einer Frau angeführt. ({15}) Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Einfluss auf Politik. Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Partnerschaft in der Politik. Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Führungsfunktionen in der Politik. ({16}) Es ist richtig, dass wir noch mehr Frauen brauchen, und wir werden sie auch im nächsten Bundestag und im nächsten Landtag haben. Darauf können Sie sich verlassen. ({17}) Meine Damen und Herren, es ist legitim, finde ich, dass wir uns über die Forderung „Mehr Frauen in Führungsfunktionen!“ nicht nur unterhalten, sondern auch darüber streiten, welcher Weg der bessere ist, um bei diesem Anliegen voranzukommen. Das ist ganz legitim. Ich finde, dass auch Leidenschaft dazugehört. Aber auch Ehrlichkeit gehört dazu. ({18}) Dort, wo man Einfluss nehmen kann, wo man selbst die Entscheidungen treffen kann, wo von der Politik die Entscheidungen getroffen werden, sollte man auch im Interesse der Frauen handeln, statt es nur von anderen einzufordern. ({19}) Zur Ehrlichkeit gehört auch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns darüber im Klaren sind: Unser Augenmerk muss in erster Linie - bei aller Bedeutung der Forderung „Mehr Frauen in Aufsichtsräte!“ auf die Millionen von Frauen in unserem Land gerichtet sein, deren Hauptsorge nicht ein Mandat in Aufsichtsräten ist, ({20}) sondern deren Hauptsorgen sind: Werde ich genauso bezahlt wie ein Mann? Wie kann ich Familie und Beruf miteinander vereinbaren? ({21}) Gibt es genügend Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht nur die staatlich geförderten mit festen Öffnungszeiten, sondern auch Betreuungsmöglichkeiten, die für die Kinder einer Krankenschwester, einer Schichtarbeiterin, einer freien Journalistin, die andere Arbeitszeiten haben, geeignet sind? Gibt es auch da Förderungsmöglichkeiten? Das sind die echten Probleme. ({22}) Die echten Probleme der Frauen im Land sind auch die Fragen: Kann ich eine Führungsfunktion in einer Behörde erreichen? Kann ich eine Führungsfunktion in meinem Unternehmen erreichen: in der Bank, der Versicherung, der Redaktionsstube? Ja, auch dort geht es um einflussreiche Positionen und Führungsaufgaben, nicht nur in den Aufsichtsräten großer Unternehmen. ({23}) Deshalb: Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema arbeiten! Das sind die wichtigsten Anliegen von Millionen von Frauen. Das andere Thema will ich damit gar nicht zur Seite schieben; dazu ist alles gesagt worden. Ich werde mich in meiner Partei dafür einsetzen, dass dieses Anliegen in das Regierungsprogramm aufgenommen wird; darauf können Sie sich verlassen. ({24}) Ich möchte zum Schluss noch einmal zum Ausdruck bringen: Ehrlichkeit ist das Entscheidende. ({25}) Wort und Tat müssen eine Einheit sein. ({26}) Das ist etwas anderes als das, was Sie heute unter Beweis stellen. ({27}) Da bilden nämlich Wort und Tat keine Einheit, Sie legen nur Schaufensteranträge vor. ({28})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Caren Marks. - Bitte schön, Frau Kollegin Marks. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Hasselfeldt, Sie haben ja eben angesprochen, wie es denn mit Frauen in verschiedenen Funktionen aussieht. Da lohnt vielleicht ein Blick auf den Anteil von Frauen in der Unionsfraktion und in der SPD-Fraktion. ({0}) Sie haben lediglich 19 Prozent Frauen, wir 39 Prozent. Ich glaube, dem ist nicht viel hinzuzufügen, Frau Hasselfeldt. ({1}) Sie erwähnten auch das wunderbare Beispiel der NRW.BANK. Dazu kann ich Ihnen jedenfalls sagen: Da gibt es vier Männer im Vorstand, und die sind alle von Union und FDP während der schwarz-gelben Regierungszeit berufen worden. Also, herzlichen Glückwunsch zu den Realitäten! ({2}) Heute hätten die Frauen und Männer aus den Reihen der Union und der FDP - ich nenne ausdrücklich auch die Männer -, die für eine gesetzliche Quote sind, Farbe bekennen können. Damit hätten sie zeigen können, dass sie den Auftrag von Art. 3 des Grundgesetzes ernst nehmen, für die Gleichstellung von Frauen und Männern zu sorgen. Doch es waren leider alles nur Lippenbekenntnisse. Frau von der Leyen, Sie haben sich als Quotenbefürworterin medial wirksam in Szene gesetzt. Dieses Ziel haben Sie klar erreicht. ({3}) Das Ziel aber, Frau von der Leyen, die Gleichstellungspolitik heute mit einem klaren Ja zur Quote bei der namentlichen Abstimmung voranzubringen, haben Sie leider nicht nur aufgegeben. ({4}) Sie haben es verraten. Das ist wirklich schade. ({5}) Das in den letzten Tagen von der Union dargebotene Theaterstück - das sieht ja sogar Ihr Koalitionspartner genauso -: ein einziges Trauerspiel. Regieführung: Frau Merkel. Kritik: verheerend. Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich jedem und jeder klar: Die Zeit ist reif für eine Quote in unserem Land. Wer sie wirklich will, der muss jetzt - heute - Entscheidungen treffen. Denn ohne Quote wird sich hier nichts bewegen, höchstens in 1-MillimeterSchritten, und das sind die Frauen in unserem Land leid. ({6}) Das aktuelle Managerinnen-Barometer aus diesem Jahr macht es noch einmal deutlich: Nur 4 Prozent aller Vorstands- und knapp 13 Prozent aller Aufsichtsratssitze in den Top-200-Unternehmen in Deutschland sind von Frauen besetzt. Das entspricht einem wirklich lächerlichen Anstieg von 1 Prozentpunkt gegenüber dem Vorjahr. Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch warten, bis sich hier wirklich etwas bewegt? Bei den DAX30-Unternehmen lag der Frauenanteil bei nur 8 Prozent in den Vorständen und bei nur 19 Prozent in den Aufsichtsräten. In den kleineren Unternehmen mit Bundesbeteiligung sieht es auch nicht wirklich besser aus. Auch da sind die Zahlen, finde ich, beschämend. Ohne die Arbeitnehmervertreterinnen in den mitbestimmten Unternehmen sähe der Frauenanteil in den Aufsichtsräten noch viel schlechter aus. Auch das wissen alle. ({7}) Das Fazit des Managerinnen-Barometers möchte ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten. Es lautet: In keiner der untersuchten Unternehmensgruppen konnte das Überwiegen der Männer aufgebrochen werden. Herr Buschmann, es lohnt sich, einmal das Managerinnen-Barometer zu lesen. Auch für Sie gilt: Lesen bildet! ({8}) Das Jahr 2013 wäre also ein wirklich gutes Jahr, den Auftakt für eine Trendwende einzuleiten. Denn im Laufe dieses Jahres steht in einer Reihe von Fällen die Neubzw. Wiederbesetzung vieler Aufsichtsräte an. Nach einer Pressemitteilung des Deutschen Juristinnenbundes sind regulär allein bei 17 der 30 DAX-Unternehmen Aufsichtsratswahlen. Die nächste Neubesetzungsrunde folgt 2018. Also: Wenn nicht jetzt, wann dann? Meine Kolleginnen und Kollegen, auf beeindruckende Weise schilderte der Sachverständige Thomas Sattelberger in der Anhörung im Rechtsausschuss zu den Quotengesetzentwürfen, warum so wenige Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten sind. Er sprach - er war viele Jahre selbst Mitglied in entsprechenden Funktionen - sozusagen aus dem Nähkästchen. Dabei betonte er, Herr Buschmann, dass es eine Legende ist, dass bei der Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratsposten immer die Besten zum Zuge kommen. Diese Legende wird immer wieder von den Gegnern der Quote bemüht. Ich glaube, wenn es nach den Besten ginge, dann wären Sie heute mit Sicherheit nicht hier. ({9}) Vielmehr machte Sattelberger deutlich, welche Bedeutung dabei den männlichen Seilschaften und Tauschgeschäften zukommt. Wer wirklich die besten Frauen und die besten Männer will, der muss Schluss machen mit Kungelgeschäften und Ja sagen zur Quote, wie Herr Sattelberger. Doch mit einer Kanzlerin Merkel und dieser schwarzgelben Koalition bewegt sich leider nichts. Die Befürworterinnen einer Quote in Ihren Reihen wurden abgewatscht und mit einem faulen Kompromiss ruhiggestellt. Zuvor haben sich zwei Ministerinnen - Frau Schröder und Frau von der Leyen - monatelang über die Quote gestritten. Von Kanzlerin Merkel hörte man überwiegend wenig, meistens gar nichts. Auf EU-Ebene hatte diese schwarz-gelbe Bundesregierung die Einführung einer Frauenquote blockiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie stehen nun die Abgeordneten von CDU/CSU da, die die sogenannte Berliner Erklärung unterschrieben und damit dokumentiert haben, dass sie für eine gesetzliche Frauenquote von mindestens 30 Prozent sind? Mit einem heutigen Nein ist ihre Glaubwürdigkeit dahin. Es gibt keine Gewinnerinnen in der Regierung und der schwarz-gelben Koalition, es gibt nur Verliererinnen. Mir persönlich ist es völlig egal, wer in den Reihen von Schwarz-Gelb gewonnen oder verloren hat. Nicht egal ist meiner Fraktion und mir, dass die Frauen, die Gleichstellung und damit der Fortschritt in unserem Land verloren haben; denn ohne Gleichstellung gibt es keinen Fortschritt. ({10}) Frau Merkels sogenannter Kompromiss ist ein durchsichtiges Täuschungsmanöver: Die Einführung einer gesetzlichen Quote soll heute verhindert werden. Dabei haben wir es den Befürworterinnen der Quote doch wirklich leicht gemacht, auch mit dem Gesetzentwurf aus dem Bundesrat: Damit sich überhaupt etwas in unserem Land bewegt, ist er wirklich moderat formuliert. Liebe Kolleginnen von Union und FDP - ich spreche diesmal gezielt die Frauen an -, ich möchte noch einmal das Zitat der ehemaligen amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright anbringen: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen nicht helfen. - Das sind keine schönen Aussichten, Frau Merkel, Frau Schröder und Frau von der Leyen. ({11}) Die Geschichte zeigt, meine Kolleginnen und Kollegen: Nur wenn Frauen gemeinsam kämpfen, geht es mit der Gleichstellung voran - ob beim Frauenwahlrecht oder beim § 218. Darum, liebe Kolleginnen von der Union, bitte ich Sie: Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie sich nicht abwatschen! Stimmen Sie heute mit uns für die Quote! Ich bin mir sicher, eine überwiegende Mehrzahl der Frauen und auch viele Männer in unserem Land werden es Ihnen danken. Vielen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU/CSU unsere Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Bitte schön, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier schon oft über das Thema Frauen in Führungspositionen gesprochen. Ich habe mich hier mehrfach positioniert und bleibe auch heute bei dieser Positionierung: Ich halte eine verbindliche gesetzliche Quote für einen Mindestanteil von Frauen in Führungspositionen, konkret in Aufsichtsräten, für unverzichtbar. ({0}) Nicht zuletzt die rot-grünen Personalentscheidungen der letzten Zeit, von denen wir heute gehört haben, bestätigen: Auch ihr braucht manchmal das Argument, dass es eine gesetzliche Quote gibt, um entsprechende Erfolge Realität werden zu lassen. ({1}) Die positive Entwicklung, die wir haben, wäre ohne die Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten geführt haben, nicht denkbar. In der Tat lässt sich nach zehn Jahren Selbstverpflichtung der Befund - 3 Prozent Frauen gegenüber 97 Prozent Männern in den Vorständen der DAX-Unternehmen - nicht anders erklären als damit, dass es sich hier um verfestigte Strukturen handelt, die Frauen nicht zum Zuge kommen lassen. Offenbar entscheiden die, die drin sind, darüber, wer mit rein darf, und es geht dabei bei weitem nicht nur nach Qualifikation und Potenzial, sondern auch nach Beziehungen, nach der richtigen Hochschule, dem richtigen Netzwerk und dem richtigen Chromosom: dem Y-Chromosom. Im manager magazin können wir lesen: Da geht es um die Netzwerke des alten Schlages, um die neuen Netzwerke, die jungen CEOs, die Baden-Badener Unternehmergespräche, die Kaderschmiede der künftigen Führungskräfte. Es ist ein ganz großer Fehler, wenn man sich da bewirbt - dahin wird man nur berufen. Das alles spricht für die Quote, und ich verspreche, dass ich weiter dafür arbeite, die Notwendigkeit einer Quote in den Hinterköpfen zu verankern. Aber ich will auf zwei Punkte eingehen, die heute anders sind als sonst: Ich kann heute zum ersten Mal sagen, dass das Anliegen, zu einer verbindlichen Quote zu kommen, von der Kanzlerin, unserer Parteivorsitzenden, unterstützt wird und dass sich die Union selbst fest vorgenommen hat, diese Regelung ins Bundesgesetzblatt zu schreiben. ({2}) Ich habe keinen Zweifel daran, dass es so kommt. Damit steht fest: Jeder Vorstand bzw. jeder Aufsichtsrat, der sich über die nächsten Personalien Gedanken macht, muss wissen: Die Quote kommt; bis 2020 wird eine Quote von 30 Prozent vorgeschrieben werden. ({3}) Ich bin überzeugt: Ohne die Berliner Erklärung, ohne die Positionierung der Frauenverbände, ohne FidAR, ohne das Netzwerken von Rita Pawelski, ohne die ganze Diskussion - in ihrer Gesamtheit, in allen Elementen wären wir heute nicht an diesem Punkt und könnte ich nicht davon ausgehen, dass im Bundesgesetzblatt demnächst diese Quote stehen wird. Wir werden in einigen Jahren im Rückblick sowieso kaum noch verstehen, wo das Problem eigentlich gelegen hat. Ich sehe hier Parallelen zum Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahre. Auch das ist zuerst mit Befremden aufgenommen worden. Mittlerweile haben wir mehrfach den höheren Bedarf in unsere Planungen einkalkuliert und mussten immer mehr zulegen. ({4}) Wenn ich mich hier umschaue, dann sehe ich, dass heute noch etwas anders ist: Die früheren Debatten haben wir immer vor weitgehend leeren Reihen geführt. Heute haben wir hier ein volles Haus, und im Anschluss findet eine namentliche Abstimmung statt. ({5}) Dabei hat sich doch die Bedeutung der Sache objektiv nicht verändert. Das zeigt eben: Interessant in dem Zusammenhang ist nicht die Sache selbst; das Thema ist völlig austauschbar. Bei der öffentlichen Diskussion geht es vielmehr nur noch um die Machtfrage. Wer hat gewonnen? Wer ist geschwächt? Wer muss gehen? Darüber wird in den Medien groß und breit diskutiert. Mir fällt übrigens auf, dass fast immer, wenn ein Bericht über dieses Thema erscheint, als optischer Eyecatcher Frauenbeine in hochhackigen Schuhen gezeigt werden. Das ist offenbar die Assoziation, die die Journalisten dabei haben. Es geht hier also um eine Machtfrage, und es liegt etwas auf der Waagschale, was überhaupt nichts mehr mit dem Thema „Frauen in Führungspositionen“ zu tun hat. Das ist der Punkt, der es für uns verantwortliche Politiker an der Stelle nicht möglich macht, heute zuzustimmen. Ich sehe die konkrete Chance, das, was wir heute machen könnten, mit meiner Fraktion in wenigen Monaten zu machen. Wenn wir das tun, dann gehen wir auch nicht das Risiko ein, dass die Regelung bald wieder aufgehoben wird, bevor sie greift.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre Redezeit, Frau Kollegin.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden nicht erfahren, ob die Stimmen heute für eine Mehrheit gereicht hätten, aber ich bin mir sicher, dass der Weg, den wir jetzt gemeinsam gehen, in kurzer Zeit, in wenigen Monaten, zu dem Ziel führt, an dem mir wirklich gelegen ist. ({0}) Deshalb ist mein Stufenplan: die Quote im April im Präsidium und im Sommer im Regierungsprogramm, dann die Wahl gewinnen, ({1}) dann einen guten Koalitionsvertrag und dann ein gutes, verbindliches Gesetz für die Frauen. Vielen Dank. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin für die Fraktion von CDU/CSU ist unsere Kollegin Frau Rita Pawelski. Bitte schön, Frau Kollegin Rita Pawelski. ({0})

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kürzlich verstorbene Maggie Thatcher sagte einmal: Manchmal muss man einen Kampf mehrmals kämpfen, um ihn zu gewinnen. ({0}) An dieses Zitat denke ich jedes Mal, wenn es um Politik für Frauen geht. Auch das ist ein immerwährender Kampf. Das und auch die Erfahrung, dass man manchmal das Gegenteil von dem tun muss, was man eigentlich möchte, um das zu erreichen, was man will, habe ich verinnerlicht. ({1}) Das gilt auch für das Thema „Frauen in Führungspositionen“. Meine Damen und Herren, wie viele Frauenthemen hat auch dieses Thema eine lange Geschichte. Sie begann 2001. Die Frauen der damaligen rot-grünen Regierungskoalition wollten eine Quote einführen, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Der Wille war da - bei den Frauen. Die Umsetzung scheiterte jedoch am Macho-Kanzler Gerhard Schröder. Er löste das Thema mit den Spitzenmännern der deutschen Wirtschaft in einer launigen Herrenabendrunde. Man einigte sich auf eine Willenserklärung, die mit einem Vertrag untermauert wurde. Zeitzeuge war der damalige Chef des Kanzleramtes Frank-Walter Steinmeier. ({2}) Es wäre vielleicht einmal interessant, zu erfahren, wie es wirklich damals zugegangen ist. Das geplante Gesetz zur Chancengleichheit in der Privatwirtschaft scheiterte jämmerlich an der Macht der Männer. Der Wunsch der rot-grünen Frauen nach einer wirklichen Frauenförderung wurde damit ad acta gelegt. Die freiwillige Vereinbarung entpuppte sich als Papiertiger, und Papier ist geduldig. ({3}) Wurden nach dem Beschluss Frauen gefördert? Nein! Gab es mehr Frauen in Führungspositionen? Fehlanzeige! In den DAX-30-Vorständen gab es 2001 eine einzige Frau. Neun Jahre später, im Juli 2010 - die Gruppe der Frauen der Unionsfraktion hatte das Thema auf ihre Agenda gesetzt -, gab es weiterhin nur eine einzige Frau in den Vorständen der DAX-30-Unternehmen. Heute, drei Jahre später, sind es 15 Frauen. Wenn Sie jetzt glauben, bei den rot-grünen Frauen hätte es damals einen Aufstand, eine Revolution, eine Rebellion gegen das Verhalten ihres Bundeskanzlers gegeben, dann muss ich Sie enttäuschen. Brav haben Sie die Anweisungen des Bosses der Bosse geschluckt. Die damalige Frauenministerin Bergmann bezeichnete die Vereinbarung als klaren Erfolg. ({4}) Frau Künast, Sie waren damals Regierungsmitglied. Ich habe die Pressemitteilungen und Verlautbarungen von damals sehr aufmerksam studiert. Sie haben damals zu dieser ganzen Sache geschwiegen. ({5}) Christel Humme war damals Vorsitzende der AG Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Fraktion. Frau Griese, Frau Rupprecht: Wo war Ihr Aufschrei damals? ({6}) Ich weiß, dass man dann, wenn man in der Opposition ist, immer viel mutiger ist. Ich war lange genug in der Opposition. ({7}) Aber in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung haben Sie zu dem geschwiegen, was passiert ist. ({8}) Wenn Sie uns jetzt, zwölf Jahre später, vorwerfen, wir würden einknicken, erinnern Sie sich bitte daran, dass Sie damals keinen Mut gezeigt haben; denn im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen von Rot-Grün, haben wir gekämpft. Wir haben erreicht, dass es künftig eine Quote geben wird. Ab 2020, nur zwei Jahre nachdem der Hamburger Gesetzentwurf greifen würde, müssen 30 Prozent - nicht 20 Prozent - der Aufsichtsratsmandate von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen mit Frauen besetzt sein. Die gesetzliche Umsetzung unseres Parteibeschlusses erfolgt - das wurde heute zugesichert - sofort nach der Bundestagswahl. Schauen Sie sich einmal den Beschluss an. Wir fangen 2014 sofort mit der Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung an. Die Unternehmen wissen, dass sie sich nicht zurücklehnen können, sondern dass sie Frauen sofort fördern müssen. Da die Aufsichtsräte in einem Turnus von fünf Jahren besetzt werden, die nächste Runde 2018 ist und unser Gesetz ab 2020 greift, müssen praktisch schon 2018 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate mit Frauen besetzt sein, damit 2020 die 30-ProzentQuote erfüllt wird. ({9}) Es ist ein Signal an alle Unternehmen: Tut etwas! Lehnt euch nicht zurück, sondern fördert schon jetzt die Frauen! Lassen Sie mich bitte zum Abschluss noch ein Wort zur Berliner Erklärung sagen. Ich danke allen Frauen für die Unterstützung. Aber Monika Schulz-Strelow möchte ich ganz besonders herzlich danken, ({10}) die mit FidAR unglaublich viel erreicht hat. ({11}) Diese Frauen, nicht nur wir, sondern auch die Frauen der Verbände, haben dafür gesorgt, dass das Thema in den letzten Jahren auf der Agenda geblieben ist und nie aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Ich bitte euch auch jetzt um Unterstützung: Diese Zusage muss 2014 umgesetzt werden. Wir stehen im Wort. Ich kann die Unternehmen nur mahnen: Glaubt nicht, dass wir dieses Versprechen bis dahin vergessen haben. Wir wollen eine feste Quote. Wir werden sie bekommen - in der nächsten Legislaturperiode. Herzlichen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster und letzter Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege JanMarco Luczak. Bitte schön, Kollege Jan-Marco Luczak. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst gerne auf Frau Marks zu sprechen kommen. Die Kollegin von der SPD hat hier gerade ein Zitat von Madeleine Albright gebracht und wollte damit Frau Merkel, unserer Bundeskanzlerin, einen Platz in der Hölle angedeihen lassen. Frau Marks, ich bin mir sehr sicher, dass unsere Kanzlerin nicht in der Hölle enden wird. Sie hat nämlich nicht nur für Frauen in unserem Land sehr viel Gutes getan, sondern für alle Menschen in unserem Land. Das reicht allemal für einen Platz im Himmel. ({0}) Ich komme zum eigentlichen Thema. Ich glaube, es besteht zwischen den Fraktionen Einigkeit darüber: Wir wollen, dass mehr Frauen ihren Platz in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft finden. ({1}) Wenn man sich anschaut, wie die Situation ist, kommt man in der Tat zu einem betrüblichen Ergebnis. Bei einem Viertel der großen deutschen Unternehmen sind die Führungsetagen noch immer komplett frauenfrei. In den meisten DAX-Vorständen fristen Frauen noch immer ein Exotendasein. Auch in den Aufsichtsräten der großen deutschen Unternehmen spiegelt der Anteil der Frauen in keiner Weise wider, dass es sehr viele hervorragend ausgebildete, fachlich hochqualifizierte Frauen gibt, die diesen Job ohne Weiteres machen können. Dieser Zustand ist nicht akzeptabel; darin sind wir uns alle einig. Das müssen wir ganz dringend ändern. ({2}) Die entscheidende Frage lautet nun: Wie können wir dieses Ziel erreichen? Wenn man sich die Entwicklung in den letzten Jahren anschaut, kann man nur feststellen: Freiwilligkeit hat in der Tat nichts gebracht. Ich bin daher einigermaßen erstaunt, dass sich gerade die Kollegen von SPD und Grünen hier hinstellen und einen solch großen Klamauk veranstalten. Das rot-grüne Stillhalteabkommen aus dem Jahr 2001 ist doch damals unter Ihrer Regie entstanden. Es war doch Ihr Machokanzler Gerhard Schröder, der von „Frauenpolitik und solchem Gedöns“ gesprochen hat. Da muss man sich doch nicht wundern, dass dabei ein solches Abkommen herausgekommen ist und daraus nichts folgte. ({3}) Die Wahrheit ist, dass erst jetzt, wo wir in den letzten Jahren über verbindliche gesetzliche Vorgaben diskutieren und im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass hier etwas verändert werden muss, Bewegung in die Sache gekommen ist und Bewusstsein und Sensibilität für dieses Thema gewachsen sind. Mir ist wichtig, noch Folgendes zu betonen: Es geht in keiner Weise darum, einigen Dutzend oder vielleicht Hundert Frauen mit dem Einzug in den Aufsichtsrat Privilegien zu verschaffen. Das ist kein Elitenthema, sondern es geht in seiner Wirkung weit darüber hinaus; denn Frauen in Führungspositionen können Vorbild und Maßstab für das gesamte Unternehmen, für die gesamte Arbeitswelt und damit auch für die gesamte Gesellschaft sein. Ich nenne das prominenteste Beispiel: Nachdem Angela Merkel als Bundeskanzlerin unser Land entschlossen, souverän und vor allen Dingen erfolgreich durch die europäische Staatsschuldenkrise gesteuert hat, wird wohl niemand mehr wagen, zu bezweifeln, dass eine Frau selbstverständlich auch ein großes Unternehmen führen kann. ({4}) Solche Vorbilder braucht unsere Gesellschaft und brauchen wir auch in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft. Wichtig ist mir, zu betonen, wieso wir solche Vorbilder brauchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann ein Umdenken stattfindet. Eine Erwerbsbiografie, die unterbrochen worden ist, weil man etwa Kinder bekommen oder sich um Familienangehörige gekümmert hat, wird dann anders bewertet werden. Es wird dann auch nicht mehr das Karriereende bedeuten, wenn man für eine gewisse Zeit aussetzt. Ich will einen solchen Mentalitätswechsel. Ich will einen Wandel in der Unternehmenskultur. Ich will, dass bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen werden. Das ist das entscheidende Ziel, dem wir uns alle miteinander verpflichtet fühlen. All das, was ich gerade beschrieben habe, will selbstverständlich auch die Union. Natürlich war das für uns zum Teil eine schmerzhafte Debatte, die mit Zumutungen verbunden war. Das liegt aber auch daran, dass wir eine Volkspartei sind, in der es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt. Wir sind eben keine Klientelpartei und liegen in der Wählergunst nicht bei rund 20 Prozent, sondern wir sind die einzig verbliebene Volkspartei. ({5}) Wir machen es uns mit dieser Entscheidung nicht leicht. ({6}) Mir ist noch wichtig, zu betonen - das ist heute auch deutlich geworden -, dass es sich hier um kein leeres Versprechen, um kein Feigenblatt handelt. Es ist klar: Wir wollen und werden nach der Bundestagswahl das in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen. Meine Damen und Herren von der Opposition, denn das können Sie sich hinter die Ohren schreiben: Wir werden die Wahl gewinnen, weil wir eine erfolgreiche Politik für unser Land machen. ({7}) Das merken die Menschen; sie vertrauen uns. Das gilt auch für eine gesetzlich vorgegebene Frauenquote. Verlassen Sie sich darauf: Das wird in der nächsten Legislaturperiode kommen. Herzlichen Dank. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Dr. Luczak war der letzte Redner in unserer Aussprache, die ich nun schließe. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 4 a: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13094 mit dem Titel „Verbindliche Quote für Aufsichtsräte einführen“. Wer stimmt für diesen An29216 Vizepräsident Eduard Oswald trag? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Ich sehe keine. Der Antrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 4 b. Abweichend von der in der Tagesordnung vorgesehenen Reihenfolge kommen wir zuerst zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8878 abzulehnen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Regierungsfraktionen, also die Mehrheit. Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass damit nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/11270 abzulehnen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13141 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? ({0}) - Niemand stimmt dafür. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle Fraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Ände- rungsantrag ist also abgelehnt. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich darf darauf hinweisen, dass dazu eine Reihe von schriftlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung vorliegt.1) Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- men. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzent- wurf. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen.2) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzung unterbreche, hat unsere Kollegin Frau Dagmar Ziegler zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung das Wort, und es ist eine Frage der Fairness, dass wir ihr auch zuhören, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Bitte schön, Frau Kollegin Dagmar Ziegler.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe diese persönliche Erklärung auch im Namen meiner Kolleginnen Cornelia Möhring von den Linken und Ekin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen ab. Heute hätte für uns Frauen ein historischer Tag sein können. In dieser freudigen Erwartung haben sich Kolleginnen aus vielen Frauenverbänden hier eingefunden: Rena Bargsten, Präsidentin des European Women’s Management Development; Stephanie Bschorr, Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, Ramona Pisal, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Brigitte Scherb, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbands, Monika Schulz-Strelow, Präsidentin des Vereins „Frauen in die Aufsichtsräte“, und Henrike von Platen, Präsidentin von Business and Professional Women - Germany. Sie haben mit uns gemeinsam vor fast zwei Jahren die Berliner Erklärung aus der Taufe gehoben, ein Frauenbündnis über alle Fraktionsgrenzen hinweg. ({0}) Denn neben Ekin Deligöz, Cornelia Möhring und mir waren beteiligt Rita Pawelski von der CDU, Dorothee Bär von der CSU und Sibylle Laurischk von der FDP. Wir haben nicht danach gefragt: „Welche Farbe hat dein Parteibuch?“, sondern wir haben gefragt: Was können wir gemeinsam für Frauen erreichen? Wir waren uns auch einig, dass wir eine Entscheidung im Parlament wollen. Eine Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte, das war unser erklärtes Ziel. Eine Umfallerinnenquote von 100 Prozent in CDU/CSU, das werden wir wohl heute bekommen. Als wir unser Frauenbündnis geschmiedet haben, wussten wir: Frauenrechte sind immer wieder dann erkämpft worden, wenn Frauen sich solidarisiert haben, wenn sie aus der üblichen Logik ausgebrochen sind, wenn sie die Machtprobe nicht nur gewagt, sondern auch gemeinsam durchgestanden haben. ({1}) Das war 1992 so, als der Bundestag sich auf einen Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch geeinigt hat. Das war 1997 so, als nach 25-jähriger Debatte die Vergewaltigung in der Ehe zu dem erklärt wurde, was sie ist, nämlich ein übles Verbrechen, das nach dem Strafge- setzbuch geahndet werden muss. Für diese großartigen Momente deutscher Politik, als Frauen zusammen Erfolge erstritten haben, stehen Namen wie Rita Süssmuth, Ulla Schmidt, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Irmingard Schewe-Gerigk und Christa Luft. Mit unserer Berliner Erklärung wollten 1) Anlagen 6 bis 9 2) Ergebnis Seite 29217 D wir in deren Fußstapfen treten, Fußstapfen, die für Frau von der Leyen und ihre Kolleginnen aus der CDU/CSUFraktion mehrere Nummern zu groß sind. Millionen von Frauen stehen hinter der Berliner Erklärung - das haben Frau Pawelski und andere noch am Montag geäußert -, ja, richtig, Millionen von Frauen, denen Sie jetzt mit Ihrem Nein zum Entwurf des Bundesrates in den Rücken fallen. Denn Ihr sogenannter Kompromiss ist eben nichts als falscher Zauber. Ein „Scherzpaket“ nennt es die Journalistin Bascha Mika. ({2}) Wer sagt: „Wir brauchen eine Quote von 30 Prozent ab dem Jahr 2020“, kann nicht glaubhaft eine Quote von 20 Prozent ab dem Jahr 2018 ablehnen. ({3}) Wer sagt: „Wir brauchen eine gesetzliche Quote für die Besetzung von Aufsichtsräten“, kann nicht glaubhaft machen, warum er dafür auf ein Wahlprogramm mit völlig unsicheren Verwirklichungschancen warten muss, wenn heute ein guter Entwurf im Bundestag zur Abstimmung vorliegt - ein Entwurf, der zwar vom SPD-regierten Hamburg entwickelt und in den Bundesrat eingebracht worden ist, der aber trotzdem ein ernsthaftes Kompromissangebot an die Union war. Dass er ein ernsthaftes Kompromissangebot ist, hat er ja bereits bewiesen - das wurde heute mehrfach gesagt -; Frau Kramp-Karrenbauer und Ministerpräsident Haseloff hätten sonst gar nicht zustimmen können. ({4}) - Ich will Ihnen erklären, warum wir über unser heutiges voraussichtliches Abstimmungsergebnis so sehr enttäuscht sind. Meine Kolleginnen und ich, die wir die Berliner Erklärung unterzeichnet haben, sind über Ihr Verhalten absolut frustriert. Das ist nun einmal so, und das muss auch noch einmal deutlich gesagt werden. Diese Sache geht eben nicht nur uns hier im Parlament etwas an, sondern betrifft unsere Gesellschaft und auch die Wertigkeit von Frauenarbeit insgesamt. Das ist etwas, was Sie heute mit Füßen getreten haben, und das muss man einfach noch einmal hervorheben. ({5}) Ich sage Ihnen aber auch: Eine Mehrheit ist heute, im Jahr 2013, im Bundestag vorhanden. Weil es aber nicht genug Abweichlerinnen in der Union im Bundestag gibt, weil es an Mut und Standfestigkeit fehlt, wird diese Mehrheit bei der Abstimmung wohl nicht zustande gekommen sein. Sie haben aus einer historischen Chance eine Riesenblamage gemacht, und darüber sind wir drei immens enttäuscht. Vielen Dank. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war eine persönliche Erklärung. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich komme jetzt zur Verlesung des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien“: abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 277, mit Nein haben gestimmt 320, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 598; davon ja: 277 nein: 320 enthalten: 1 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({0}) Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({1}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({2}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({3}) Hubertus Heil ({4}) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Vizepräsident Eduard Oswald Petra Hinz ({5}) Frank Hofmann ({6}) Christel Humme Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({7}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({8}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({9}) Michael Roth ({10}) Marlene Rupprecht ({11}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({12}) Bernd Scheelen ({13}) Werner Schieder ({14}) Ulla Schmidt ({15}) Carsten Schneider ({16}) Swen Schulz ({17}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({18}) Manfred Zöllmer FDP Sibylle Laurischk DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer ({19}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({20}) Volker Beck ({21}) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({22}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({23}) Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({24}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({25}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Daniela Wagner Arfst Wagner ({26}) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Manfred Behrens ({27}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({28}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Vizepräsident Eduard Oswald Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({29}) Dirk Fischer ({30}) Axel E. Fischer ({31}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({32}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Alois Gerig Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({33}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({34}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({35}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({36}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({37}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({38}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({39}) Anita Schäfer ({40}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({41}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({42}) ({43}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({44}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({45}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({46}) Stefanie Vogelsang Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({47}) Peter Weiß ({48}) Sabine Weiss ({49}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({50}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({51}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({52}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({53}) Michael Link ({54}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({55}) Dr. Martin Neumann ({56}) Dirk Niebel Vizepräsident Eduard Oswald Hans-Joachim Otto ({57}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane RatjenDamerau Hagen Reinhold Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Serkan Tören Johannes Vogel ({58}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({59}) Enthalten CDU/CSU Siegfried Kauder ({60}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13143. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Koalitionsfraktio- nen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/ Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/12784, den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11139 abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Regierungsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wissen, entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Jetzt zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschus- ses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Quote für Aufsichtsratsgremien börsen- notierter Unternehmen einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/1274, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/797 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koali- tionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 z sowie 42 aa und die Zusatzpunkte 3 a bis 3 e auf: 42 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 17/12856 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({61}) Innenausschuss Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte - Drucksache 17/12951 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({62}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 8. November 2001 zum Schutz des audiovisuellen Erbes und zu dem Protokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes betreffend den Schutz von Fernsehproduktionen - Drucksache 17/12952 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({63}) Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 11. April 1955 über die Internationale Finanz-Corporation - Drucksache 17/12953 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({64}) Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Repu- blik Österreich über die Nachnutzung der ehe- maligen deutsch-österreichischen gemein- schaftlichen Grenzzollämter - Drucksache 17/12954 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({65}) Nr. 528/2012 - Drucksache 17/12955

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund - Drucksache 17/12956 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Innenausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes - Drucksache 17/12957 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch - Drucksache 17/12958 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Rechtsausschuss j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über den Informationsaustausch in Steuersachen - Drucksache 17/12959 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({4}) Rechtsausschuss k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe ({5}) - Drucksache 17/13023 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({6}) Innenausschuss l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({7}) Nr. 259/2012 - Drucksache 17/13024 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes - Drucksache 17/13025 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 17/13026 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10}) Innenausschuss Rechtsausschuss o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmaut- gesetzes - Drucksache 17/13027 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes - Drucksache 17/13028 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11}) Innenausschuss q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die Verordnung ({12}) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung ({13}) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 - Drucksache 17/13029 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({14}) Innenausschuss Rechtsausschuss r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Vizepräsident Eduard Oswald Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt - Drucksache 17/13030 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({16}) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung ({17}) Nr. 2006/2004 - Drucksache 17/13031 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({18}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union t) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes ({19}) - Drucksache 17/13032 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({20}) Innenausschuss Rechtsausschuss u) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar - Drucksache 17/13059 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({21}) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung v) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze - Drucksache 17/13061 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({22}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss w) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt - Drucksache 17/13062 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({23}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO x) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften - Drucksache 17/13083 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({24}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz y) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen - Drucksache 17/12847 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({25}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz z) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Weiß ({26}), Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, Heinz Golombeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine humane Arbeitswelt - Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken - Drucksache 17/13088 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({27}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung aa) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes nachhaltig gestalten - Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen - Drucksache 17/13090 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({28}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Vizepräsident Eduard Oswald ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhandlung auf Augenhöhe - Das Urhebervertragsrecht reformieren - Drucksache 17/12625 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({29}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({30}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine BätzingLichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Joachim Günther ({31}), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth ({32}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren - Drucksache 17/13091 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({33}) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren - Drucksache 17/13092 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({34}) Innenausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken - Drucksache 17/13098 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({35}) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Hightech-Strategie 2020 für Deutschland Bilanz und Perspektiven Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013 - Drucksache 17/13075 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({36}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 d sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 43 a: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anti-D-Hilfegesetzes - Drucksache 17/5521 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({37}) - Drucksache 17/13066 ({38}) Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Martina Bunge Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13066 ({39}), den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5521 abzulehnen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthal- tungen? - Die Fraktionen von Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen.1) Der Gesetzentwurf ist in zwei- ter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13110. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Die Koalitionsfrak- tionen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bünd- 1) Erklärung nach § 31 GO siehe Anlage 10 Vizepräsident Eduard Oswald nis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 43 b: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren - Drucksache 17/12035 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({40}) - Drucksache 17/13137 Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff Christoph Strässer Jens Petermann Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13137, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/12035 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind, soweit ich sehe, alle Kolleginnen und Kollegen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das waren alle, wenn ich das richtig gesehen habe. Wer stimmt dagegen? - Es erhebt sich niemand. Enthaltungen? - Es erhebt sich auch niemand. Somit ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 43 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes - Drucksache 17/12640 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({41}) - Drucksache 17/13114 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Johannes Kahrs Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz ({42}) Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13114, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12640 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, die sozialdemokratische Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Es erhebt sich niemand. Infolgedessen stimmt niemand dagegen. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 43 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({43}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD EU-Bildungsprogramme modernisieren und ausbauen - Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern - Drucksachen 17/9575, 17/13078 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann Patrick Meinhardt Kai Gehring Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13078, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9575 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({44}) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck ({45}), Marieluise Beck ({46}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landbeschaffungsgesetz überprüfen - Drucksachen 17/12195, 17/12741 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer ({47}) Wolfgang Hellmich Harald Koch Katja Keul Vizepräsident Eduard Oswald Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12741, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12195 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({48}) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen - Drucksachen 17/10645, 17/13138 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Maag Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13138, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10645 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am Ende der Abstimmungen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Joachim Poß. - Bitte schön, Kollege Joachim Poß. ({49})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen, als Herr Schäuble seine Regierungserklärung gehalten hat, habe ich mich gefragt, ob er gestern Nacht wohl wieder dem lieben Gott dafür gedankt hat, dass die SPD das Schweizer Steuerabkommen abgelehnt hat. ({0}) Stellen Sie sich vor, das Abkommen wäre jetzt in Kraft. ({1}) Dann müssten sich Herr Schäuble, die Regierung und die Koalition dafür rechtfertigen, dass es unseren Steuerbehörden verboten wäre, CDs mit Schweizer Daten zu kaufen. Sie müssten sich rechtfertigen, warum Sie der Schweiz eine Bestandsgarantie für das Bankgeheimnis ausgesprochen haben, und Sie müssten sich rechtfertigen, Herr Koschyk, warum Steuerhinterzieher in der Schweiz quasi straffrei ausgehen, während sich die ganze Welt derzeit über solchen Schutz von Steuerhinterziehung zu Recht empört. Diese Fragen würden sich stellen. ({2}) Nur weil Ihr unseliges Steuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt wurde, können Sie sich jetzt als Vorkämpfer gegen Steuerhinterziehung aufplustern. Wenn Ihre Finanzoasengarantie für die Schweiz Realität wäre, dann würden Österreich und Luxemburg genauso wie viele andere kleine sogenannte Steueroasen weltweit wie bisher mit dem Finger auf die Schweiz zeigen und sagen: Was die haben, wollen wir auch. - Genau dieses Spiel ist jahrelang gelaufen. Das muss jetzt ein Ende finden. ({3}) Sie müssen womöglich sehr schnell - das ist ja vielleicht auch schon geschehen - Ihre Meinung ändern. Wer könnte das eindrucksvoller bestätigen als die Neue Zürcher Zeitung. Sie schreibt: Der Rückenwind für den AIA - für den automatischen Informationsaustausch war in der EU noch nie so stark. Und die Schweizer Strategie, über Abgeltungssteuer-Abkommen mit einzelnen Staaten die EU auseinanderzudividieren und sich von den Vertragspartnern das Quellensteuer-Modell garantieren zu lassen, ist nicht aufgegangen. Wer ist auf die Schweizer Strategie bewusst oder unbewusst hereingefallen? Das waren Sie von SchwarzGelb. Sie haben sich an allen Geboten der Steuergerechtigkeit versündigt. ({4}) Oder war es Naivität? Oder war es die Verfolgung spezieller Interessen? Wenn man liest, dass sich Herr Brüderle über den Ankauf einer Steuer-CD wieder stark empört, dann kommt einem doch in den Kopf, dass es sich bei ihm um den klassischen Schutzpatron der Steuerhinterzieher bzw. von Leuten handelt, die dem Gemeinwesen das Geld systematisch vorenthalten. ({5}) Herr Schäuble spielt sich jetzt als Antreiber im Kampf gegen die Steuerflucht auf, obwohl er immer eher Getriebener des Prozesses war. Er erweckt den Anschein, als würde auch er jetzt die Ziele teilen, die von der Opposition vertreten werden, nämlich gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den USA dem Bankgeheimnis ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Anders können wir das Problem nicht lösen. ({6}) Aber bleiben Sie nicht wieder auf halber Strecke stehen. Wir brauchen einen klaren Standard. Dieser heißt: automatischer Informationsaustausch für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen und natürlichen Personen. Darunter darf es in Zukunft nicht mehr gehen, weder in der EU noch weltweit. ({7}) Wer nicht nach diesen Regeln spielt, muss die Konsequenzen spüren. Folgen Sie dazu der Empfehlung der EU-Kommission, die seit Monaten auf dem Tisch liegt, und sprechen Sie mit Ihren Amtskollegen über EU-weite „Schwarze Listen“ für Steueroasen. Es ist doch das eigentliche Versäumnis dieser schwarz-gelben Regierung, dass sie 2009 den Druck im Kampf gegen Steueroasen herausgenommen hat. Sie haben nach den Erfolgen von Peer Steinbrück ({8}) die Leine wieder länger gelassen und Zugeständnisse gemacht. Das hat sich gezeigt. ({9}) Wenn dem nicht so wäre, warum machen Sie dann offenkundig eine erneute Kehrtwende? Wir werden Ihren Debattenbeiträgen mit Sorgfalt zuhören. Auch Ihre Attacken gegen die wirksamen Instrumente gegen Steuerhinterziehung verschaffen den Übeltätern Luft; denn Sie wollten festschreiben, dass keine Ankäufe von Steuer-CDs mehr getätigt werden. Damit sind Sie den deutschen Steuerfahndern in den Rücken gefallen, den gleichen Steuerfahndern, die nach Ihren jetzigen vollmundigen Aussagen in Zukunft in einem Steuer-FBI ermitteln sollen. Das sind große Worte. Mit Überschriften will man Politik ersetzen; das findet bei Ihnen statt. Können Sie uns einmal verraten, Herr Koschyk, liebe Kollegen von der Koalition, wie dieses FBI seine Arbeit tun soll, wenn Sie ihm gleichzeitig alle Waffen aus der Hand schlagen wollen? ({10}) Aber wahrscheinlich schicken Sie doch ein Stoßgebet dahin gehend zum Himmel, dass Sie den Ankauf von Steuer-CDs jetzt wieder für vertretbar halten dürfen. Im Hall der öffentlichen Empörung nach dem Offshore Leak ist das nämlich wieder opportun. Mich interessiert noch, ob Sie sich nicht doch an der Finanzierung der Kosten für den Ankauf der aktuellen CD beteiligen wollen. ({11}) Wenn Sie das nicht machen würden, hätten wir einen erneuten Beleg für Ihre zwiespältige Haltung. Also, wir erwarten heute Nachmittag viel Aufklärung von Ihnen. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Joachim Poß. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte schön, Kollege Klaus-Peter Flosbach. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer im Finanzausschuss ernsthaft mitarbeitet, der sieht, was in den letzten dreieinhalb Jahren passiert ist: Diese Bundesregierung mit Bundesfinanzminister Schäuble ist nicht nur in Europa, sondern auch auf globaler Ebene immer der Antreiber im Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. ({0}) Ob es um das Global Forum geht, ob es um die G-5-Initiativen zum automatischen Informationsaustausch, auch mit den USA, geht, ob es um die führende Rolle der Deutschen im Kampf gegen die Gewinnverlagerung geht: Immer sind die Deutschen vorne an der Spitze. Herr Poß, das, was Sie hier vorgetragen haben, ({1}) entbehrt jeder Grundlage. Sie sind schon lange hier im Rennen mit dabei, Herr Poß. Da ist es natürlich immer interessant, wenn Sie mit dem Finger auf uns zeigen. Das bekannte Bild trifft aber genau zu: Sie zeigten mit einem Finger auf uns, und drei Finger zeigten auf Sie. Wolfgang Schäuble ist seit dreieinhalb Jahren Finanzminister. Vorher hatten wir hier elf Jahre lang SPDFinanzminister: Eichel und Steinbrück; ich lasse Lafontaine einmal außen vor. Offensichtlich ist in dieser Zeit gar nichts passiert; sonst könnten Sie die Vorwürfe hier in diesem Haus nicht vortragen. ({2}) Nehmen wir einmal die einfachste Form der europäischen Kooperation: die europäische Zinsrichtlinie. Da haben Sie bzw. Herr Eichel in Europa vereinbart, dass es eine gemeinsame Zinsbesteuerung geben soll. Sie haben damals vereinbart, dass sich die Österreicher und die Luxemburger nicht daran halten müssen. Sie von der SPD, Herr Poß, haben damals zugestimmt, dass hier Steueroasen in Europa entstanden sind. ({3}): Da hört er nicht zu!) Jetzt gehen wir natürlich anders vor - es gibt einen Revisionsvorschlag der Europäischen Kommission -: Wir werden jetzt auch die Lebensversicherungen, die Trusts und die Stiftungen mit aufnehmen. Wir haben immer gefordert, dass bei der Erhebung der Abgeltungsteuer alle Veräußerungsgewinne und Dividenden berücksichtigt werden. ({4}) Jetzt erreichen wir zum ersten Mal, dass sich Luxemburg und anschließend Österreich an diese Regeln halten werden. Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Denn wir haben nicht nur diskutiert, sondern haben in diesen drei Jahren gehandelt. Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung. ({5}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es war eine der ersten Maßnahmen dieser Koalition, die Regelungen zur Selbstanzeige zu verschärfen. Man kann, wenn man Steuern hinterzogen hat, sich selbst anzeigen. Das kann dann strafbefreiend wirken. Als die SPD noch den Finanzminister stellte, war die Situation folgendermaßen: Wenn der Steuerfahnder auf der Türschwelle stand, konnte man sich noch selbst anzeigen und ein Konto nennen, das vielleicht entdeckt worden ist. Bei uns ist das anders: Sobald ein Verdacht besteht, ist die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige ausgeschlossen. Es müssen alle Konten lückenlos aufgedeckt werden, und es muss ein Strafzins gezahlt werden. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer damaligen Regierungspolitik und unserer Finanzpolitik in den letzten drei Jahren. ({6}) Nun könnte man Ihnen vorhalten, Sie seien, was die Steuerhinterziehung angeht, besonders clever gewesen. Denn es gab in den Jahren 2004 und 2005 eine Steueramnestie, die übrigens weltweit galt. Schröder ging damals zunächst von Einkünften in Höhe von 20 Milliarden Euro aus. Hinterher ging man von 5 Milliarden Euro aus. In der Realität waren es schließlich 1,37 Milliarden Euro. Sie haben damals allen eine Steueramnestie angeboten, nach dem Motto: Zahlt 15 Prozent Steuern, dann ist das Thema für uns erledigt. Herr Poß, Sie haben gerade das Steuerabkommen mit der Schweiz angesprochen. In der Tat kann man darüber diskutieren: Kann es steuergerecht sein, wenn man seine Steuern auf Grundlage einer pauschalen Besteuerung zahlt? ({7}) Das Interessante an der ganzen Sache ist: Wir erleben heute - darauf weisen Steuerberaterverbände vielfach hin -, dass jede Form der Selbstanzeige für die Kontobesitzer deutlich besser ist, als diesem Steuerabkommen zu unterliegen. Wir hätten nämlich in alle Konten eingegriffen, nicht nur auf Zinserträge von 2 Prozent. Noch bis 2008 gab es in Deutschland steuerfreie Kursgewinne. Es entstehen relativ wenig Steuern auf Zinsen, weil es viele Steuerbefreiungsmöglichkeiten gab. Unser Abkommen sah aber vor, in die Konten einzugreifen und von jedem Konto 21 bis 41 Prozent des gesamten Guthabens abzuräumen. Sonst hätte es nämlich nicht die Möglichkeit gegeben, 10 Milliarden Euro einzunehmen. Das war der Unterschied. Das Problem ist: Ihre Ablehnung führt dazu, dass es bei all diesen Konten zu einer Verjährung kommt. ({8}) Wir hätten rechtzeitig in diese Konten eingreifen können. 60 Prozent aller Konten in der Schweiz bestehen schon länger als zehn Jahre, unterliegen also der Verjährung. Aber die sind jetzt weg. Wenn Sie zugestimmt hätten, dann hätten wir auf diese Konten zugreifen können. ({9}) Das größte Problem, das noch auf uns zukommen könnte, ist die Diskussion über die weiteren steuerpolitischen Maßnahmen, die von Rot-Grün angestoßen wurde. Viele haben Deutschland bereits verlassen. Wenn der Spitzensteuersatz demnächst auf 53,7 Prozent steigt und dann noch die Vermögensteuer und die Vermögensabgabe eingeführt sowie eine Erhöhung der Abgeltungsteuer vereinbart werden, dann wird es manch einen geben, der nicht mehr in Deutschland investiert. Manch einer wird das Land sogar verlassen. Wir stehen für eine stabile Entwicklung hier in Deutschland, für eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit und die höchsten Steuereinnahmen zu verzeichnen, die wir je hatten. Dafür und für ein gerechtes Steuersystem in diesem Land kämpfen wir auch weiterhin, und wir kämpfen nach wie vor gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Klaus-Peter Flosbach. Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Barbara Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Flosbach, wir kennen uns ja. Sie sprechen öfter hier im Plenum. Zu Ihrer heutigen Rede kann ich nur sagen: Getroffene Hunde bellen. Sie haben herumgeschrien, aber nichts Konkretes gesagt. Wir können gespannt sein, was die nächsten Rednerinnen und Redner hier sagen. ({0}) Herr Thomas Eigenthaler, der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, schätzt für Deutschland das weltweite Hinterziehungsvolumen auf mindestens 400 Milliarden Euro. ({1}) Sie unterliegen einer Illusion, wenn Sie hier verkünden, dass Deutschland eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Steuerhinterziehung einnimmt; denn das ist einfach nicht wahr. Luxemburg hat sich doch nur auf Druck der USA bewegt und nicht auf Druck von Deutschland. Man muss schon bei der Wahrheit bleiben. ({2}) Herr Koschyk hat nachher neun Minuten Redezeit. Er wird uns wieder erzählen, was man plant, will und macht, aber es kommt auf konkrete Maßnahmen an, auf nichts anderes. Zur Steuerhinterziehung gehören immer mindestens zwei: diejenigen, die Energie darauf verwenden, legal Steuern zu vermeiden, und diejenigen, die illegal Steuern hinterziehen. Das sind zwei Probleme, denen man sich ganz gezielt widmen muss. Das haben Sie bisher allerdings nicht getan. Jedes Steuergesetz, das wir hier beraten, enthält immer noch Gestaltungsmöglichkeiten, und trotzdem wird es verabschiedet. Das kann nicht sein. Kürzlich deckte ein Journalistennetzwerk weltweite Machenschaften in Steueroasen auf. Das System der Steuerhinterziehung ist weltweit organisiert. Insbesondere London wird erwähnt, da die größten Offshoreoasen von London aus gesteuert werden: Steuervermeidung durch Gründung von Briefkastenfirmen und Trusts. Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bank. Sie gründete allein über ihre Niederlassung in Singapur über 300 Firmen und Trusts in Steueroasen, größtenteils auf den Britischen Jungferninseln. Ich habe noch keine Verlautbarung gehört, dass der Finanzminister mit der Deutschen Bank über dieses Thema geredet hätte oder dass wenigstens eine verbale Aufforderung erfolgt wäre, dieses Gebaren zu unterlassen. Nein, da herrscht Stille, und zwar an der ganzen Front. Laut OECD sind derzeit auf der schwarzen Liste der Staaten, die nicht kooperativ sind, keine Staaten zu finden. Im Jahre 2000 waren es noch 35, jetzt gibt es keine mehr. Die Krux dabei ist: Alle Staaten, die sich verpflichtet haben, die Transparenzregeln einzuhalten, sind von der Liste genommen worden. Aber es liegt noch keine Bewertung vor, ob die Transparenzregeln überhaupt umgesetzt werden. Das ist doch der Knackpunkt. Lassen wir doch endlich die Verlautbarungen. Schauen wir uns lieber an, wie es konkret aussieht. Dazu gibt es sehr viel Material. Ich habe mir für heute die Tabelle von Indikatoren des SFI 2011 und Deutschlands Abschneiden herausgesucht. Wie stehen wir mit unseren Regelungen im Kampf gegen Steuerhinterziehung da? Das ernüchternde Ergebnis: Es ist fast nichts umgesetzt, fast nichts erfüllt worden. Indikatoren sind zum Beispiel, ob es Transparenz in Bezug auf „Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen“ gibt. Oder: Gibt es ein öffentlich zugängliches Register für Trusts und Stiftungen? Nein. - Es gab aber in den letzten Jahren sehr wohl Regelungen, die Stiftungen bevorzugt haben. Das waren weitere Einladungen zur Steuerhinterziehung. Ein weiterer Indikator lautet: Sammeln und aktualisieren die zuständigen Behörden Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen? Nicht erfüllt. Ich könnte weiter aus dieser Liste vorlesen, so unter der Rubrik „Effizienz der Steuer- und Finanzregulierung“: Sind im Land niedergelassene Finanzinstitute dazu verpflichtet, Informationen über ({3})Zahlungen an nicht Ansässige an die Finanzbehörden zu übermitteln? Nein. Sie machen sich also nicht einmal die Mühe, eine Datengrundlage zu erstellen, um effektiv gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vorgehen zu können. Deshalb landet Deutschland in dieser Untersuchung auf Platz neun. Das sollte uns zu denken geben. Erste Stelle Schweiz, dritte Stelle Kaimaninseln, und Deutschland folgt bereits auf dem neunten Platz. Trotzdem riskieren Sie hier eine dicke Lippe. Das ist doch einfach lächerlich! ({4}) Das Bundesfinanzministerium sagt nun: Das Wichtigste im Kampf gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung ist Transparenz. Richtig. Ich habe Ihnen eben schon einige Beispiele genannt, die belegen, dass Sie nicht für mehr Transparenz sorgen. Man muss aber auch sagen: Rot-Schwarz hat mit der Einführung der Abgeltungsteuer einen wesentlichen Schritt dazu gemacht, da die Abführung von Kapitaleinkünften anonymisiert erfolgt. Das ist natürlich eine Steilvorlage für Vertuschung. Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: keine Abgeltungsteuer. Seit 2009 fordern wir die Abschaffung der Abgeltungsteuer. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie endlich tätig werden und die Finanzbehörden ausrüsten. Machen Sie nicht irgendwelche großen Sprüche, sondern sorgen Sie dafür, dass die Länder richtig arbeiten können. Sorgen Sie für eine Koordinierung der Arbeit, und setzen Sie sich international endlich tatsächlich dafür ein, dass wir effektiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen können und Steuervermeidung auch durch unsere Gesetzgebung verhindern. Danke. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Barbara Höll. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Volker Wissing. Bitte schön, Kollege Dr. Volker Wissing. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden in dieser Aktuellen Stunde auf Antrag der Opposition über Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Wir sind sehr dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, hier noch einmal die Leistungen der Bundesregierung in den letzten Jahren vorzutragen. Steuerhinterziehung ist ein Fall für die Strafverfolgung. Da hat sich einiges getan - Kollege Flosbach hat das schon vorgetragen -: Die Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige sind schärfer geworden, als sie es unter SPD-Verantwortung waren. ({0}) Steuervermeidung hingegen ist kein Fall für eine Strafverfolgung, sondern die Frage der Steuervermeidung muss man im Steuerrecht beantworten. Man muss sich die Frage stellen: Kann man das national regeln, oder ist das international zu lösen? Wir haben im Finanzausschuss in den letzten Jahren unter Vorsitz meiner Kollegin Birgit Reinemund unzählige Anträge und anderes beraten, auch Anhörungen durchgeführt. Zuletzt haben wir ein Fachgespräch mit Experten geführt, die uns gesagt haben: Die Lösung des Problems der Steuervermeidung liegt nicht im nationalen Steuerrecht. ({1}) Grund für die Steuervermeidung ist, dass andere Staaten Anreize zur Steuervermeidung setzen, um damit ihrem Standort Vorteile zu verschaffen. Sie können das Problem - das sagen uns die Experten - nicht national lösen, sondern Sie müssen es in internationalen Verhandlungen lösen. Genau das tut die Bundesregierung. ({2}) Zuletzt tat die Bundesregierung dies auf der Ebene von G 20. Am 15./16. Februar hat die Bundesregierung klare Erwartungen formuliert, und das mit Erfolg. Im Juni dieses Jahres werden wir einen Aktionsplan der OECD vorliegen haben. Im Februar wurde er gefordert, im Juni kommt er. Daran sehen Sie, wie durchsetzungsstark die Bundesregierung international ist. Es werden Verhandlungen zur Schaffung einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage geführt, um die Steuervermeidung zu begrenzen, zu stoppen. Die Regierung steht international an der Spitze der Bewegung, und darauf sind wir stolz. ({3}) National gibt es eine Diskussion über die Frage des Steuervollzugs: Wird die Steuer im Bundesgebiet überall gleichermaßen vollzogen? Dafür sind die Länder zuständig. Dort regieren viele Rote und Grüne. Daher können Sie sich außerhalb dieser Aktuellen Stunde in Ihren Parteien einmal die Frage stellen, ob Sie diesbezüglich genug tun. ({4}) Wir sind der Meinung, dass man eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung braucht. Das war auch die Forderung der FDP in der Föderalismuskommission II. Die Länder haben uns dabei nicht unterstützt. Über diesen Vorschlag sollte man noch einmal nachdenken. Wer das Problem auf internationaler Ebene lösen möchte, der muss, so wie die Bundesregierung, mit viel diplomatischem Geschick und mit Überzeugungskraft auftreten. Sie haben den anderen die Kavallerie angedroht und sind damit gescheitert. ({5}) Lückenhaft waren die Erfolge von Peer Steinbrück bei seinen Verhandlungen mit den internationalen Partnern. Lückenlos arbeitet die Bundesregierung das Thema auf und schließt ein Steuerabkommen nach dem anderen ab. Diese Steuerabkommen sind so gut - auch das muss die Öffentlichkeit erfahren -, dass sogar die SPD ihnen immer zustimmt. ({6}) Lückenhaft ist die Verfolgung von Steuerhinterziehung durch die Zusammenarbeit mit kriminellen Datendieben im Ausland. Lückenlos wäre die Besteuerung gewesen, hätte man das Abkommen mit der Schweiz unterzeichnet. ({7}) Es wäre in Zukunft genau die gleiche Steuer fällig geworden wie in Deutschland. Mehr Gerechtigkeit gibt es gar nicht. Lückenhaft sind die Fachkenntnisse der SPD, die die Möglichkeit fordert, dass die Aufsicht einer Bank die Lizenz entzieht, wenn sie mit Steuerhinterziehern zusammenarbeitet. Lückenlos ist das deutsche Aufsichtsrecht, weil es eine solche Regelung längst gibt. ({8}) Man kann in der Tat international sehr viel tun, um Steuervermeidung zu bekämpfen. Das tut die Bundesregierung. Ich glaube, es gibt keine Bundesregierung, die auf diesem Gebiet so erfolgreich war wie diese. Das hängt damit zusammen, dass in der Welt ein Umdenken stattfindet. Auch die USA agieren heute anders. Wichtig ist, dass man diese transatlantischen treibenden Kräfte hier in Europa aufgreift. Das tut die Bundesregierung, und wir sind stolz darauf. Man kann aber auch national etwas dafür tun, dass Steuervermeidung begrenzt wird - Kollege Flosbach hat es gesagt -, nämlich indem man auf das verzichtet, was Sie vorschlagen: überzogene Substanzbesteuerung, höhere Einkommensteuern. All das führt zu Steuervermeidung und macht die Kassen am Ende nicht voller, sondern leerer. Das haben nicht nur wir in der Koalition erkannt, sondern beispielsweise auch die Kirchen. Die Kirchen verhandeln mit besonders Vermögenden über eine Absenkung der Kirchensteuer, weil sie sich sagen: Es ist besser, wenn sie etwas moderatere Beträge zahlen, als dass sie die Kirche verlassen und überhaupt keine Kirchensteuer mehr zahlen. Mit Millionären wird ein Rabatt von mehreren Prozent auf die Kirchensteuer ausgehandelt. Dabei geht es um viele Millionen Euro, auf die die Kirchen jedes Jahr verzichten. Dieses kluge Vorgehen müssen wir uns auch in der Politik zum Vorbild nehmen. Eine überzogene Steuerbelastung führt zu Vermeidungen und macht die Kassen des Staates leerer. Auch hier macht diese Koalition die richtige Politik. ({9}) Deswegen sind wir rundum richtig positioniert und werden auch weiterhin erfolgreich Steuerhinterziehung und Steuervermeidung bekämpfen. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. - Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Kerstin Andreae. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin Andreae.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fraktionsvorsitzende der FDP hat den Datenankauf in Rheinland-Pfalz als Hehlerei bezeichnet. Das sind markige Worte. Wenn es Hehlerei wäre, müsste ja irgendwann die Staatsanwaltschaft aktiv werden. ({0}) Ich bin gespannt, ob die Staatsanwaltschaft irgendwann beim Finanzminister in Rheinland-Pfalz auftaucht. Offensichtlich hat Rainer Brüderle eines nicht verstanden: Es hilft gegen Steuerhinterziehung, wenn sich die Steuerhinterzieher nicht mehr sicher fühlen können. Das ist der große Effekt dieses Datenankaufs. Wir brauchen mehr Transparenz im Bereich der Steuern. ({1}) Der Handlungsbedarf ist überdeutlich. In den letzten Jahren - auch zu Ihrer Regierungszeit - hat sich das von der Deutschen Bank im Ausland verwaltete Vermögen mehr als verdoppelt und beträgt inzwischen 600 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank hat 500 Töchter in Steueroasen, allein 150 auf den Cayman Islands. Das sind nicht alles Steuerhinterzieher - das sagt keiner von uns -, aber auch exzessive Steuergestaltung zerstört das Vertrauen der Steuerbürger. ({2}) Die EU-Kommission spricht von 1 Billion Euro Steuerverlusten. Das ist Raubbau an den öffentlichen Kassen. Dieser muss gestoppt werden. ({3}) Steuerflucht und aggressive Steuergestaltung sind ein internationales Problem. Aber Steueroasen funktionieren nur, weil die reichen Industrieländer mitmachen. Das heißt, wir müssen national, aber eben auch in Europa handeln. Die Steueroasen in Europa müssen geschlossen werden. Beispiel Liechtenstein. Dieses Land ist ein beliebter Standort für Briefkastenfirmen. Die Bundesregierung hätte Liechtenstein zu mehr Transparenz bewegen müssen. Stattdessen schließt sie ein windelweiches Steuerabkommen ab und konserviert die Steueroase direkt vor der Haustür. ({4}) Beispiel Schweiz. Das Steuerabkommen mit der Schweiz hätte den Anlegern dauerhaft Anonymität gesichert. Das Problem ist doch, dass durch das Steuerabkommen mit der Schweiz die Anonymität gesichert worden wäre. ({5}) Das ist das komplette Gegenteil von Transparenz. Das ist genau falsch. ({6}) Wichtig wäre ein automatischer Informationsaustausch gewesen. Dieser Weg ist jetzt wieder frei, weil Rot-Grün das Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat gestoppt hat. ({7}) Steuerflucht ist eine Hydra. Eine Hydra hat bekanntlich viele Köpfe. Die Strategie für mehr Steuerehrlichkeit muss an allen Köpfen dieser Hydra ansetzen. Google zahlt 3 Prozent Steuern auf Auslandsgewinne, Apple nur 1 Prozent. Das funktioniert nur, weil die vorhandenen Steuergestaltungsmöglichkeiten, zum Beispiel über die Niederlande - bekanntlich gilt dort eine besonders günstige Besteuerung von Lizenzgebühren -, gern genutzt werden. 2011 wurden 3,2 Milliarden Dollar in den Niederlanden direkt investiert, davon 2,6 Milliarden Dollar in Briefkastenfirmen. Das heißt, es braucht ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Da muss Deutschland vorangehen. ({8}) Deutschland muss Ideengeber sein. Was Deutschland aber macht, ist, auf europäischer Ebene zu blockieren und zu verhindern, allen voran Wirtschaftsminister Rösler. ({9}) Zu der von Ihnen angesprochenen Anhörung im Finanzausschuss, Herr Wissing, wollten die Grünen einen Vertreter von Starbucks einladen. Es verwundert nämlich schon, dass ein so erfolgreiches Unternehmen Verluste ausweist. Starbucks hat 161 Filialen in Deutschland, ({10}) macht 100 Millionen Euro Umsatz, zahlt aber keine Gewinnsteuer. Wir wollten da nachfragen. Von Starbucks ist aber niemand in den Finanzausschuss gekommen. Daher haben wir jetzt schriftlich nachgefragt. Auch hier brauchen wir nämlich Transparenz. Es kann doch nicht sein, dass kleine Cafés und Restaurants sowie die Wirtschaft auf lokaler Ebene Steuern entrichten, aber dieser große Filialist keinen einzigen Euro Steuern zahlt. Das ist unfair und ungerecht. Auch hier braucht es Transparenz. Auch hier braucht es Minister und Ministerien, die vorangehen. ({11}) Letzter Satz. Niedrigstbesteuerung schadet dem Wettbewerb, und Niedrigstbesteuerung schadet auch der öffentlichen Hand. Das darf nicht länger akzeptiert werden. Hier muss es einen wirklichen Richtungswechsel - auch in Ihren Köpfen - geben. Was wir erleben, ist Steuerhinterziehung. Was wir erleben, ist Steuergestaltung. Was wir erleben, ist Steueroptimierung. Was wir bräuchten, wäre mehr Steuergerechtigkeit, sehr geehrte Damen und Herren. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Andreae. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, unser Kollege Hartmut Koschyk. Bitte schön, Kollege Hartmut Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Jahr 2012 mit 600 Milliarden Euro die höchsten gesamtstaatlichen Steuereinnahmen in der Geschichte unseres Landes erzielt. ({0}) Das macht deutlich: Unser steuerpolitisches Credo, berechtigte Steueransprüche durchzusetzen, Steuererhöhungen abzulehnen und das Steuerrecht handhabbar zu gestalten, ist und bleibt die richtige Trias in der Steuerpolitik für unser Land, aber auch für Europa. ({1}) Unser Land hat kein Einnahmeproblem. ({2}) Aber unser Land muss sich in einem schwieriger gewordenen steuerpolitischen Wettbewerb europäisch und international behaupten. Deshalb wird unser Land immer an der Spitze stehen, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung national, europäisch und international wirksam zu bekämpfen und vor allem international nach Lösungen zu suchen, um Steuervermeidungsstrategien wirksam entgegenzuwirken. Ich verstehe schon Ihre Nervosität. Denn wer elf Jahre den Finanzminister gestellt hat, nur starke Sprüche geklopft, heiße Luft produziert und nichts zuwege gebracht hat, dem muss es bei dieser Debatte in der Tat angst und bange werden. ({3}) In dieser Situation wird nun die Steuererhöhungsorgel angeworfen. Außerdem werden Sie damit konfrontiert, dass ein Ministerpräsident wie Herr Kretschmann und ein Länderfinanzminister wie Herr Nils Schmid in BadenWürttemberg sagen: „Genossen, macht halblang! Hört auf mit dieser Steuererhöhungsstrategie!“. Nach dem, was ich von Ihrer Fraktion, Frau Andreae, heute in der Ta29232 geszeitung gelesen habe, war ja ganz schön Feuer unter dem Dach. Da verstehe ich, dass Sie, die Sie ja aus BadenWürttemberg kommen, zwischen Herrn Kretschmann und Herrn Trittin viel Abrüstungsarbeit zu leisten haben. ({4}) Wir dürfen uns aber nicht auf Spielchen, sondern müssen uns auf substanzielle Politik für unser Land konzentrieren. ({5}) Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass im globalen Forum für Transparenz und Informationsaustausch jetzt geprüft wird, wie verschiedene Staaten und Gebiete die Voraussetzungen für einen effektiven Informationsaustausch schaffen können. Wir haben dafür gesorgt, dass es bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs der EUZinsrichtlinie im Hinblick auf den vom Kollegen Flosbach erläuterten Revisionsvorschlag endlich Fortschritte gibt. Als Sie damals die Verhandlungen geführt haben, haben Sie es hingenommen, dass sich Luxemburg und Österreich quasi ein Stück weit freikaufen konnten. Wir haben jedes Treffen der deutschsprachigen Finanzminister dazu genutzt, um Luxemburg und Österreich zum Überdenken der bisherigen Haltung zu bewegen. Jetzt ernten wir die Früchte unserer Arbeit. ({6}) Das ist konkrete Politik und nicht nur heiße Luft oder unsachgemäßer Umgang mit europäischen Nachbarn. Herr Kollege Poß, ich möchte auf das Steuerabkommen mit der Schweiz zurückkommen. ({7}) Wie gehen Sie eigentlich mit europäischen Nachbarn um? Vor uns hat Österreich - von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler regiert - mit der Schweiz ein solches Abkommen ausgehandelt, dabei allerdings nicht das erreicht, was wir in dem ausgehandelten Abkommen erreicht hätten. ({8}) Herr Poß, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Ich will nicht ausschließen, dass wir jetzt, wo das Verhandlungsmandat bei der EU liegt, durch Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz im Informationsaustausch mehr erreichen, als wir durch das bilaterale Abkommen erreicht hätten. ({9}) Aber eins ist klar: Die gute Regelung der Vergangenheit, die Bund, Ländern und Gemeinden 10 Milliarden Euro zusätzlich in die Steuerkassen gespült hätte, ist ein für alle mal weg. Dafür tragen Sie die Verantwortung. ({10}) Mit der Initiative der G5-Staaten, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, die unser Land gestartet hat, wollen wir wie bei dem FATCAAbkommen mit den USA einen Informationsaustausch untereinander erreichen. Das ist eine Initiative, die Sie nicht zuwege gebracht haben. Schon bei der Vorstellung dieser Initiative ist deutlich geworden, dass sich immer mehr Mitgliedstaaten der Europäischen Union einem dann neuen Standard für EU-weiten Informationsaustausch anschließen werden. So etwas haben Sie in elfjähriger Verantwortung für die Finanzen unseres Landes durch sozialdemokratische Finanzminister nicht zustande gebracht. ({11}) Selbstverständlich werden wir uns auch auf Finanzzentren außerhalb der EU konzentrieren. ({12}) Es ist doch ein gutes Zeichen, dass es uns gelungen ist, dafür zu sorgen, dass jetzt auch Großbritannien sagt, dass man sowohl seine Overseas Territories als auch seine Crown Dependencies in diese Regelung mit einbeziehen wird, weil auch Großbritannien erkannt hat, dass ihm sein Steuersubstrat verloren geht. Deshalb sind wir damit, dass wir Großbritannien in diese G5-Initiative mit einbezogen haben, und der Debatte, die wir mit Großbritannien und Frankreich auf der G20-Ebene wesentlich vorangetrieben haben, auf einem guten Weg. Selbstverständlich werden wir auch die enge Kooperation mit den Vereinigten Staaten nutzen, um auf diesem Sektor weiterzukommen. Es war die klare Ansage beim Besuch des neuen amerikanischen Finanzministers hier in Berlin, dass wir alle internationalen Ebenen dafür nutzen werden, um auch hier gemeinsam mit den USA weiterzukommen. Wir sind dafür, dass das Mittel der sogenannten Schwarzen Liste für unkooperatives Verhalten wieder auflebt. ({13}) Es wird zu überlegen sein, wie mit Staaten und Gebieten umzugehen ist, die nicht bereit sind, die Zusammenarbeit zu verbessern. Ein solches Verhalten könnte durchaus Ansatzpunkt für eine Bewertung als unkooperativ im Sinne des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes sein. Natürlich ist auf internationaler und auf europäischer Ebene weiter entschiedenes Handeln angesagt. Die Kollegen haben bereits angesprochen, was wir national getan haben, zum Beispiel die Verschärfung bei der Selbstanzeige im Bereich von Steuerstraftaten. Wir sind der Auffassung, dass man zum Beispiel die internationalen Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung auch im Bereich der nationalen Steuerfestsetzung nutzen sollte. Wir denken vor allem daran, die Identifizierungspflichten, die zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung bestehen, auch für steuerliche Zwecke nutzbar zu machen; wir haben das im Finanzausschuss in dieser Woche bereits andiskutiert. Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Ankauf von CDs sagen. Diese Bundesregierung hat immer die Auffassung vertreten, dass es besser ist, die Dinge so zu regeln, dass wir nicht mehr auf den Ankauf von SteuerCDs angewiesen sind. ({14}) Das gilt übrigens auch im Verhältnis zur Schweiz: So viele CDs, wie Sie bräuchten, um die Dinge so grundsätzlich und dauerhaft zu lösen, wie wir das mit dem deutsch-schweizerischen Abkommen getan hätten, werden Sie auf dem Markt nie ankaufen können. ({15}) Durch den Ankauf solcher Steuer-CDs können wir immer nur eines Teils derer, die Steuern hinterziehen, habhaft werden, ({16}) während sich die anderen, solange keine CD auf den Markt kommt, die sie möglicherweise belastet, weiter verstecken können. Das ist doch ungerecht. Dies geht nach dem Zufallsprinzip, es ist wie ein großes Sieb, durch das sehr viele fallen. Das kann doch kein Prinzip für eine konsequente Durchsetzung von Steueransprüchen sein. Das Abkommen mit der Schweiz ist gescheitert. Jetzt hat Rheinland-Pfalz eine neue Steuer-CD angekauft. Wir haben dazu das Notwendige gesagt, ({17}) nämlich dass es in dieser Situation keine andere Möglichkeit gibt, als solche Daten auch auszuwerten. Es wäre allerdings besser gewesen, Sie hätten sich dem Steuerabkommen mit der Schweiz nicht so politischkleinkariert versagt. Wir werden weiter unsere Hausaufgaben machen und berechtigte Steueransprüche durchsetzen - Steuererhöhungen wären jedoch Gift für unser Land - sowie das Steuerrecht handhabbarer machen. Herzlichen Dank. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Martin Gerster. Bitte schön, Kollege Martin Gerster. ({0})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Koschyk, es ist gerade einmal eine Stunde her, da hat Ihre Parteikollegin Gerda Hasselfeldt - zugegebenermaßen zu einem anderen Tagesordnungspunkt - einen sehr interessanten Satz gesagt: „Wort und Tat müssen eine Einheit sein.“ Das hätten Sie sich einmal zu Herzen nehmen sollen für Ihre Rede zu diesem Tagesordnungspunkt. Es ist ganz schön dreist, es ist eigentlich unglaublich, in welch atemberaubender Geschwindigkeit Sie sich bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung vom Verhinderer zum Vorkämpfer entwickelt haben wollen; das ist geradezu unglaublich. ({0}) Wenn Sie jetzt so tun, als ob Sie immer für den automatischen Informationsaustausch gewesen wären, muss man der Öffentlichkeit die ganze Geschichte der Verhandlungen über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen in Erinnerung rufen. Dann sehen die Leute, dass Ihre Behauptung jeder Grundlage entbehrt. ({1}) Die Wahrheit ist doch: Sie verhindern seit Jahren, dass Steuerhinterziehung tatsächlich konsequenter verfolgt werden kann. Ich will nur an den Vorstoß zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige erinnern, den wir in dieser Legislaturperiode gemacht haben. Der Kollege Michelbach von der CSU ist im Fernsehen aufgetreten, er hat im Panorama der ARD erklärt: Ich bin für die komplette Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige. - Und was war dann, als wir hier namentlich abgestimmt haben? Die ganze Reihe der schwarz-gelben Abgeordneten hat anders abgestimmt. Deswegen hegen wir erhebliche und berechtigte Zweifel daran, dass es Ihnen mit dem Ziel „Effektive und nachhaltige Bekämpfung von Steuerkriminalität“ wirklich ernst ist. ({2}) Wir reden hier ja nicht über eine Bagatelle oder über Kavaliersdelikte, sondern wir wissen, dass das Problem gewaltig ist. Schon vor einigen Jahren hat das Tax Justice Network errechnet, dass im Offshorefinanzsystem angelegte Gelder etwa ein Drittel des globalen Vermögens ausmachen und dass das circa 11,5 Billionen USDollar sind. Die daraus resultierenden Steuerausfälle auf die Erträge aus diesen Vermögenswerten wurden schon damals mit jährlich rund 250 Milliarden US-Dollar beziffert. Es gab jahrelange Diskussionen und insbesondere auch Initiativen aus der SPD heraus. Wir haben das zum Thema gemacht; Peer Steinbrück hat das zum Thema gemacht ({3}) mit der „Schwarzen Liste“ in Zusammenarbeit mit der OECD. Ich finde, dass insbesondere die Union gut daran täte, dafür auch einmal ein lobendes Wort zu finden; denn wir waren damals in einer Koalition, und ich finde es schon ein bisschen schäbig, dass Sie das überhaupt nicht zu würdigen wissen. ({4}) Aktuell versuchen Sie wieder, zu vertuschen, dass Sie beim Thema „Bekämpfung von Steuerkriminalität“ auf der Bremse stehen. Wir sind froh - Joachim Poß hat es gesagt -, dass wir vonseiten der SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen dafür gesorgt haben, dass das Steuerabkommen mit der Schweiz nicht in Kraft treten konnte, weil uns dadurch nämlich entscheidende Möglichkeiten genommen worden wären, an Informationen von Steuerhinterziehern heranzukommen. Ich bin auch froh, dass sich Rheinland-Pfalz jetzt entschlossen hat, einen Datenträger anzukaufen. Das wäre ja gar nicht mehr möglich gewesen, wenn dieses Steuerabkommen tatsächlich in Kraft gewesen wäre. Deswegen muss man an dieser Stelle einfach auch einmal sagen: Gut, dass in Rheinland-Pfalz, aber auch in BadenWürttemberg nicht Schwarz-Gelb regiert, sondern die Sozialdemokratie zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen. Hier wird tatsächlich gezeigt, wie man effektiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen kann. ({5}) Das unterscheidet sich ganz extrem von dem, was die FDP zum Beispiel in Baden-Württemberg in der Regierung gemacht hat; denn damals, als die alte Landesregierung noch im Amt war, hat sich Baden-Württemberg geweigert, entsprechende Datenträger anzukaufen, ({6}) und verhindert, dass wir hier tatsächlich gegen Steuerhinterziehung vorgehen konnten. Insofern sage ich: Das Bild, das Sie hier auf Bundesebene abgeben, ist schwach. Genauso schwach ist aber auch das Bild, das Sie auf Länderebene abgeben. Es ist doch entlarvend, dass Sie uns hier und den Menschen landauf, landab monatelang erzählt haben, es sei verfassungswidrig, diese Steuer-CDs anzukaufen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber entschieden, dass es rechtens ist, diese Datenträger zu erwerben. Sie haben dann schnell einen Strategiewechsel vollzogen und uns erzählt, dass Sie jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen möchten, ({7}) wonach es verboten ist, diese Datenträger-CDs tatsächlich anzukaufen. Deswegen sage ich: Das zeigt, dass Sie es mit dem Thema „Steuerhinterziehung effektiv bekämpfen“ nicht wirklich ernst meinen. Deshalb ist es gut, dass wir bald regieren. ({8}) Baden-Württemberg macht es vor: Die neue Landesregierung hat das Personal aufgestockt und in der Steuerverwaltung 500 zusätzliche Stellen, unter anderem für die Steuerfahndung, und 500 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Das kann sich sehen lassen. Es wäre gut, wenn Schwarz-Gelb es mit einer effektiven Bekämpfung von Steuerkriminalität endlich auch ernst meinen würde. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Birgit Reinemund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Vorsitzende des Finanzausschusses hatte ich gerade den Eindruck, dass die Kollegen der Opposition in den letzten Jahren nicht wirklich mit dem Kopf bei der Sache waren oder eben schon auf Wahlkampfgetöse umgeschaltet haben. ({0}) Ich bin froh, dass wir das heute diskutieren und alles noch einmal klarstellen können. Auslöser der heutigen Aktuellen Stunde ist Offshore Leaks. Die Medien werten eine Datenfestplatte aus und veröffentlichen Fälle von Steuerflucht über diverse Steueroasen. Außer den Medien hat noch keiner diese Daten gesehen, was eigentlich schade ist. ({1}) Aber die öffentliche Wirkung ist enorm. Sie ist enorm wichtig, deutlich wichtiger als dieses Getöse und Geschrei der Opposition heute. Ich begrüße diese Diskussion ausdrücklich. ({2}) Wir sind Vorreiter bei der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Wir sind seit dreieinhalb Jahren in der Steuergesetzgebung dabei, Steuervermeidung weiter einzuschränken. Wir begrüßen den öffentlichen Druck, gemeinsam die Steuerhinterziehung zu beDr. Birgit Reinemund kämpfen, europäisch und international, und gemeinsam Steuervermeidungsstrategien aufzudecken. Erste konkrete Wirkung: Luxemburg will nun die EU-Zinsrichtlinie umsetzen. Österreich denkt darüber nach. ({3}) Die Allianz der Willigen wird größer, die Vorhaben konkret, und Deutschland geht an der Spitze. ({4}) In der Anhörung des Finanzausschusses haben die Sachverständigen unisono bestätigt, dass nicht die deutsche Rechtslage das Problem ist, sondern die ungenügende internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen. Hartnäckiges Verhandeln hilft hier weiter, sonst nichts. Wenn hier jemand hartnäckig verhandelt, dann dieser Finanzminister, Minister Schäuble: bilateral mit einzelnen Staaten und multilateral auf der Ebene der EU, der G 8, der G 20 und der OECD. ({5}) Respektvoll im Ton und hartnäckig in der Verhandlung, ({6}) so ist diese Bundesregierung erfolgreicher als alle zuvor, vor allen Dingen erfolgreicher als Exminister Steinbrück, der unserem Nachbarn mit Kavallerie und Einmarsch drohte und heute meint, das Zeug zum Kanzler zu haben. ({7}) Schon peinlich, dass er jetzt ein Acht-Punkte-Papier vorlegt, und zwar als gute Zusammenfassung dessen, was Schwarz-Gelb bereits auf den Weg gebracht hat. ({8}) Staatssekretär Koschyk hat uns gerade hier wie auch gestern im Ausschuss die vielen internationalen Initiativen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und von Steuervermeidung noch einmal eindrucksvoll aufgelistet. Ich hatte im Ausschuss den Eindruck, dass auch die Opposition ehrlich beeindruckt war. In den Beratungen stöhnen Sie über zu viel, zu schnell und zu umfangreich. Hier im Plenum jammern Sie über zu wenig, zu langsam und nicht weit genug. Was wollen Sie denn nun eigentlich außer Getöse? In dieser Legislaturperiode haben wir mehr umgesetzt als je zuvor. Das sind vier gute Jahre für Deutschland. ({9}) Im Rahmen von G 20 und OECD sind wir Vorreiter bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und Gewinnverlagerung internationaler Konzerne in Niedrigsteuerländer. Nicht umsonst hat Deutschland den Vorsitz der Arbeitsgruppe, die die wichtigen Fragen Abkommensmissbrauch, steuerschädlicher Wettbewerb und besserer Informationsaustausch bearbeitet. Circa 90 Doppelbesteuerungsabkommen haben wir in dieser Legislaturperiode neu aufgesetzt oder nach dem neuesten OECD-Standard aktualisiert, inklusive großer Auskunftsklausel. Weitere 70 Abkommen sind gerade in Verhandlung. Deutschland bleibt die treibende Kraft bei weiteren EU-Initiativen. Das gilt für den Aktionsplan zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, die Erweiterung der EU-Zinsrichtlinie, die Anpassung der Zinsbesteuerungsabkommen mit der Schweiz, mit Liechtenstein, San Marino, Monaco und Andorra, die G5-Initiative, bei der Deutschland zusammen mit Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien den automatischen Informationsaustausch auf alle Kapitaleinkünfte ausweiten will. Überall sind wir die Vorreiter. Natürlich haben wir auch die Hausaufgaben in der deutschen Gesetzgebung gemacht. Wir haben das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verabschiedet und dabei die Bedingungen für die strafbefreiende Selbstanzeige deutlich verschärft. Wir haben das Geldwäschegesetz verschärft und dabei Geldkarten, Spielautomaten usw. in die Regelungen einbezogen und vieles mehr. Was national geregelt werden kann, haben wir geregelt. Was international verhandelt werden muss, ist auf den Weg gebracht. ({10}) Nicht nur international, sondern durchaus auch national gibt es hier auf der linken Seite des Hauses Bremser bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Damit kommen wir wieder zum Beispiel Schweiz. Seit dem 1. Januar 2013 könnten wir eine Gleichbesteuerung von Kapitalerträgen von Deutschen in der Schweiz in gleicher Höhe wie in Deutschland haben. ({11}) Seit dem 1. Januar könnten Bund, Länder und Kommunen Millionen Euro Jahr für Jahr einnehmen, ({12}) und erstmals würden alle Gelder auf Konten von Deutschen in der Schweiz flächendeckend nachbesteuert, egal ob legal versteuertes Geld oder Schwarzgeld, egal ob bereits verjährt oder eben nicht. SPD und Grüne haben das verhindert und schützen damit die Steuerbetrüger in der Schweiz. ({13}) Rückwirkende Regelungen wird es jetzt nicht mehr geben. Jahr für Jahr verjähren Ansprüche in Milliardenhöhe. Dieses Geld ist für Deutschland verloren. Ihre To29236 talblockade im Bundesrat verhindert die Regelung von Cash-GmbH und RETT-Blockern sowie die Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie. ({14}) Sie torpedieren damit jedes Engagement für mehr Steuergerechtigkeit. Die Bürger werden Ihnen das nicht durchgehen lassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Birgit Reinemund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende. Diese Regierung arbeitet gründlich und verhandelt hartnäckig und erfolgreich. Das sind vier gute Jahre für Deutschland; denn die finanzpolitische Vernunft ist schwarz-gelb. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Manfred Zöllmer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wer heute noch regulär Steuern zahlt, den kann man einen Steuerpatrioten nennen - oder einen Idioten“, so weit der für Steuern zuständige EU-Generaldirektor Heinz Zourek. Wir haben es gehört: 400 Milliarden Euro deutsches Schwarzgeld werden in Steueroasen versteckt. In Europa belaufen sich die Steuerausfälle auf über 1 Billion Euro jährlich. Jahrelang hat Finanzminister Schäuble, jahrelang hat die schwarz-gelbe Koalition nichts, aber auch gar nichts gegen diese auch von Finanzinstituten geförderte Steuerflucht unternommen. Erst jetzt werden Sie wach. Nun versuchen Sie, sich mit fremden Federn zu schmücken. ({0}) Zur Veränderung der Situation haben einige einen Beitrag geleistet. Das waren Journalisten, denen Daten zugespielt wurden. Das waren die USA mit dem Gesetz FACTA. Das waren natürlich auch Steuer-CDs. Zuletzt wurde eine Steuer-CD von Rheinland-Pfalz angekauft. ({1}) Von dieser CD verspricht man sich Mehreinnahmen für den Staat in Höhe von über 500 Millionen Euro. ({2}) - In der Tat verspricht man sich so viel davon. - Ich erinnere daran, dass früher aufmerksame Steuerfahnder schon einmal für paranoid erklärt wurden, weil sie nach Meinung der damaligen schwarz-gelben Landesregierung in Hessen zu genau hingeschaut haben. Diese Fahnder wurden dann in Pension geschickt. So sind Sie mit diesem Thema früher umgegangen. ({3}) Schauen wir uns das Thema Steuer-CD einmal genauer an. Da erleben wir eine ganze Menge. Herr Wissing hat gesagt, dass es von Herrn Gabriel unverantwortlich sei, lieber mit Kriminellen zusammenzuarbeiten, die Steuer-CDs mit gestohlenen Daten anbieten, anstatt ein sauber ausgehandeltes Abkommen mit der Schweiz zu unterstützen. ({4}) Die Justizministerin hat sich sogar für ein Verbot des Ankaufs von Steuer-CDs ausgesprochen. Insgesamt kann man feststellen, dass es widersprüchliche Signale aus den Koalitionsfraktionen gibt; das kennen wir schon. Eine Zeit lang war von der Gurkentruppe und von Wildsäuen die Rede. Man könnte meinen, das sei Vergangenheit. Aber das ist es nicht; denn nun kommt Herr Brüderle und bezeichnet die aktuelle Beschaffung einer Steuer-CD als Hehlerei. ({5}) Ich habe mir als Nichtjurist einmal erlaubt, nachzuschauen, was man darunter zu verstehen hat. Bei Wikipedia heißt es: ({6}) Die Hehlerei ist die bedeutendste Anschlussstraftat an eine zuvor begangene, gegen fremdes Vermögen gerichtete Straftat … Das heißt, Herr Brüderle ist der Meinung, dass die Regierung von Rheinland-Pfalz mit dem Ankauf der CD eine Straftat begangen hat. Das muss man sich einmal vorstellen! Da kann man wirklich von einem Schutzpatron der Steuerflüchtlinge reden. ({7}) Im Finanzausschuss hat Herr Staatssekretär Koschyk gestern erklärt, der Ankauf von Steuer-CDs sei eine legitime Möglichkeit, Steuerhinterzieher zu ermitteln. Ist das jetzt partielle politische Umnachtung bei dem Versuch von Teilen der Koalition, mit diesem Thema umzugehen? Tatsächlich herrscht bei Ihnen ein politisches Gesamtchaos. Man muss die Frage stellen: Wie ehrlich meint es diese Koalition eigentlich mit der Bekämpfung von Steuerkriminalität? Man bekommt den Eindruck, das sei nur Wahlkampfgetöse, das seien nur leere Schachteln. Wenn Sie sich an den Kosten beteiligen würden, dann würde man das vielleicht anders bewerten. Dann würde man vielleicht zu der Erkenntnis kommen, dass Sie es wirklich ernst meinen. ({8}) In der gleichen Sitzung des Finanzausschusses hat dann der Staatssekretär Koschyk einen automatischen Informationsaustausch über alle Kapitaleinkünfte in ganz Europa gefordert. ({9}) Das finde ich sehr gut. Wenn es da nicht dieses Schweizer Steuerabkommen gegeben hätte, das Sie ausgehandelt haben und von dem Sie eben erklärt haben, dass die EU jetzt viel besser verhandele als die Bundesregierung verhandelt habe! ({10}) Dieses Abkommen ist ja das genaue Gegenteil von Transparenz gewesen, das Gegenteil von Betrugsbekämpfung. ({11}) Steuerhinterziehung würde legalisiert. Es ist wirklich gut, dass der Bundesrat das abgelehnt hat. ({12}) Angesichts meiner Vorrednerin muss ich noch einmal auf das eingehen, was die Neue Zürcher Zeitung geschrieben hat. Wörtlich: Der Rückenwind für den AIA - den automatischen Informationsaustausch war in der EU noch nie so stark. Und die Schweizer Strategie, über Abgeltungssteuer-Abkommen mit einzelnen Staaten die EU auseinanderzudividieren und sich von den Vertragspartnern das Quellensteuer-Modell garantieren zu lassen, ist nicht aufgegangen. Es ist nicht aufgegangen, weil wir es verhindert haben. Sie hingegen wären dieser Strategie auf den Leim gegangen. Das ist genau das Gegenteil von Transparenz in Europa. ({13}) Es gibt neben diesen kriminellen Steuerhinterziehungen natürlich auch noch andere Bereiche der aggressiven Steuergestaltung. Dazu wollte ich ursprünglich auch noch etwas sagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das schaffen Sie aber gar nicht mehr.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber das geht jetzt überhaupt nicht. Deswegen lautet mein Appell an die Bundesregierung: Machen Sie durch Taten deutlich, dass Ihnen die Bekämpfung von Steuerkriminalität wirklich ernst ist. Dann werden Sie uns, die Sozialdemokraten, an Ihrer Seite haben. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Hans Michelbach jetzt das Wort. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei der Bekämpfung von Steueroasen, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung lässt sich unsere Koalition von niemandem überbieten. ({0}) Wir unterstützen sachgemäß Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und das Ministerium, das in der Europäischen Union und in der Gruppe der G 20 federführend und nachdrücklich tätig ist, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung und grenzüberschreitende Steuergestaltung zu bekämpfen, der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage und der Gewinnverschiebung internationaler Konzerne Einhalt zu gebieten, die internationale Zusammenarbeit zu verbessern und letzten Endes Steueroasen durch den automatischen Informationsaustausch Schritt für Schritt auszutrocknen. Das sind die Aufgabenfelder, die massiv und aktiv bearbeitet werden, meine Damen und Herren. ({1}) Wir begrüßen besonders das vom Bundesfinanzminister zusammen mit seinem englischen und seinem französischen Kollegen initiierte Projekt PePs, weil das Problem nicht allein national- oder EU-rechtlich gelöst, sondern nur international angegangen werden kann. ({2}) Die OECD erarbeitet in drei Arbeitsgruppen unter deutschem Vorsitz insbesondere einen Aktionsplan über Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen. Deutschland plädiert hier für einheitliche Mindeststeuern, um die optimierende Steuergestaltung einzudämmen. Wir haben ja letzthin darüber diskutiert: Es wird von uns nicht hingenommen, dass Amazon und Google hier nur 2, 3 Prozent versteuern. Das ist wettbewerbsungerecht. Deswegen wollen wir, dass sich hier massiv etwas ändert. Das ist aber nicht die Schuld des deutschen Fiskus. In verschiedenen Ländern, wie Irland, Holland ({3}) und Luxemburg, gibt es Steuerdumping. Wir versuchen natürlich, dieses Steuerdumping massiv zu bekämpfen. ({4}) International tätigen Unternehmen soll eben nicht länger ermöglicht werden, durch fragwürdige Steuergestaltung und das Nutzen von Steueroasen den Nationalstaaten rechtmäßige Steuereinnahmen nicht zu gewähren bzw. Steuereinnahmen zu hinterziehen. Die Steuervermeidungsstrategien internationaler Großkonzerne sind nämlich wettbewerbsfeindlich gegenüber den vielen mittelständischen Unternehmen, die hier im Wettbewerb stehen. Wir wollen legitime Steueransprüche konsequent durchsetzen, und es wäre für uns der richtige Weg, wenn wir jetzt für das, was die Journalisten unter dem Titel „Offshore Leaks“ veröffentlicht haben, nun auch Ross und Reiter genannt bekämen. Wir wollen die Angaben prüfen und die Steuerhinterziehung bekämpfen. ({5}) Das ist Sache des deutschen Fiskus. Das gehört nicht nur in die Printpresse bzw. die Zeitungen. Im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung und Steuervermeidung setzen wir als wichtigste Maßnahme auf Transparenz und auf die Diplomatie, um diese auch durchzusetzen. Wenn ich von Diplomatie spreche: Gerade die SPD muss in diesem Punkt zunächst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Obwohl die SPD elf Jahre den Bundesfinanzminister stellte, hat sie doch letzten Endes nichts bewirkt. Was hat denn Herr Steinbrück in seiner Zeit als Bundesfinanzminister erreicht? Nichts außer Verhärtungen, Drohungen, Ablehnungen, Verzögerungen und mehr Steuerhinterziehung. Das ist das Ergebnis von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Das ist die Wahrheit. ({6}) Sie haben mit Ihrer Blockade im Bundesrat eine Verjährung der Steuerhinterziehung wissentlich in Kauf genommen. ({7}) Die SPD begünstigt Steuerhinterziehung in Höhe von 10 Milliarden Euro. Das ist Untreue gegenüber dem deutschen Steuerzahler schlechthin. Das ist die Wahrheit. ({8}) Der Gipfel der Heuchelei ist der Acht-Punkte-Plan der SPD, die sogenannte Braunschweiger Erklärung. Dabei schaut doch in Nordrhein-Westfalen die rot-grüne Regierung nach wie vor zu, wie die WestLB-Rechtsnachfolgerin Portigon AG Anleiheprojekte in der Steueroase Curaçao realisiert. ({9}) Unter den Käufern dieser Anleihe ist im Übrigen auch der Brandenburger Finanzminister Markov von den Linken. Liebe Genossinnen und Genossen, kehrt vor der eigenen Tür. In Curaçao macht er die Anlagegeschäfte, die Sie hier kritisieren. Kehren Sie vor der eigenen Tür. ({10}) Machen Sie bei unseren gesetzlichen Maßnahmen mit. Dann gehen Sie den richtigen Weg.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie gehen in die falsche Richtung. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD hat der Kollege Dr. Carsten Sieling jetzt das Wort. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die heutige Aktuelle Stunde „Kampf gegen Steuerhinterziehung“ betitelt. Wir wollten gerne, dass hier diskutiert wird und der Öffentlichkeit deutlich gemacht wird, was man gegen das tun kann, was insbesondere in den letzten Tagen und Wochen bekannt geworden ist. Von denjenigen, die nicht nur reden und Vorschläge machen können, sondern auch umsetzen können, haben wir hier Nebelwerfereien über große Taten aus der Vergangenheit erlebt und Ankündigungen dahin gehend gehört, was man international machen kann. ({0}) Ich muss Ihnen deutlich sagen: Ich finde, das reicht vorne und hinten nicht. Wenn man ernsthaft gegen Steuerhinterziehung vorgehen will, muss man gucken, was man zu Hause machen kann, und muss damit auch anfangen. ({1}) Weil Sie die Möglichkeit, in dem Bereich vom Saulus zum Paulus zu werden, nicht genutzt haben, will ich meine Redezeit nutzen, um fünf Punkte zu nennen, die Sie national sofort umsetzen können, sogar noch in dieser Legislaturperiode. ({2}) - Auch dazu werde ich noch etwas sagen, Herr Kollege. Punkt eins. Bauen Sie die Steuerfahndung nachhaltig aus. ({3}) Stärken Sie diesen Bereich durch entsprechendes Personal, und tun Sie das bitte auch in Ihren Ländern. ({4}) Kollege Gerster hat hier ausgeführt, was Baden-Württemberg getan hat, nachdem endlich Ihre Parteigänger abgewählt worden sind. ({5}) - Herr Kollege, wir machen es in Bremen. - Ich nenne nur ein Beispiel: Das ist Herr Bouffier. Heute ist er Ministerpräsident in Hessen mit Endlaufzeit bis September. Er war, glaube ich, Innenminister, als er dafür gesorgt hat, dass Steuerprüfer, die ihre Sache ernst genommen haben, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurden, weil sie aus seiner Sicht übereifrig waren. Das ist Ihre Steuerfahndungsverhinderungsmaschine gewesen. Ändern Sie das! ({6}) Punkt zwei. Sie haben im Jahressteuergesetz Regelungen gestrichen, durch die Steuerflucht und -hinterziehung bekämpft werden. Insbesondere geht es dabei um einen Informationsaustausch über Kapitalerträge nach dem EU-Amtshilfegesetz. ({7}) Über den Bundesrat bringen wir diese Regelungen Gott sei Dank wieder in das Gesetz ein. Das Ganze ist jetzt im Vermittlungsausschuss. Meine Damen und Herren, ändern Sie Ihr Jahressteuergesetz! Stimmen Sie unserem Vorschlag zu! Dann können wir auch da nachhaltig zugreifen. Das war mein zweiter Vorschlag für eine ganz konkrete Vorgehensweise. ({8}) Punkt drei. Peer Steinbrück hat es auf den Weg gebracht, dass die OECD so etwas wie eine schwarze Liste aufstellt. Diese Liste ist mittlerweile ausgetrocknet; da steht nichts mehr drauf. Aber Sie haben als Regierung die Chance, von Deutschland aus wieder Druck zu machen und vor allem für Deutschland eine schwarze Liste zu erstellen. Damit würde ganz klar festgestellt, welche die Sünderländer sind. Das könnte das zwischenstaatliche Klima ändern. ({9}) Punkt vier. Natürlich gibt es die Möglichkeit, bevor man internationale Vereinbarungen trifft, das zu leisten, was FACTA in den USA leistet. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass zum Beispiel Banken und Finanzinstitute, die Steuerflucht unterstützen, zu Strafen herangezogen werden, dass Strafen erhöht werden, bis hin zum Entzug von Geschäftsführertätigkeiten und von Banklizenzen. ({10}) Machen Sie das! Das können Sie hier in Deutschland voranbringen. ({11}) Letzter Punkt; er ist tagesaktuell. Hier ist vielfach angesprochen worden, dass Steuer-CDs angekauft worden sind. ({12}) - Von Bundesländern. ({13}) An genau dieser Stelle redet die FDP immer noch von Hehlerei. Die FDP-Justizministerin LeutheusserSchnarrenberger will solche Ankäufe sogar verbieten. Sie möchten dergleichen also regelrecht verhindern. ({14}) Ich darf einmal am Beispiel von Nordrhein-Westfalen aufzeigen, was der Ankauf einer solchen CD bringt. Der dortige Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat das sehr deutlich gemacht. ({15}) - Das ist der Mann aus Nordrhein-Westfalen, der zugreift, Herr Fricke. Sie kommen aus dem gleichen Bundesland wie er. Den von Nordrhein-Westfalen angekauften SteuerCDs lassen sich 3 000 Straftaten entnehmen. Mittlerweile hat es 8 000 Selbstanzeigen gegeben. Allein Nordrhein-Westfalen hat Steuermehreinnahmen in Höhe von 670 Millionen Euro. Sie wollen das liegen lassen. Damit vergehen Sie sich wirklich am Wohl dieses Volkes. Ändern Sie da Ihr Herangehen. Kaufen Sie auch, und unterstützen Sie das auch. Prüfen Sie nicht immer nur, sondern beschließen Sie, dass die Länder, in denen Sie regieren, ebenfalls für solche CDs bezahlen. Sorgen Sie dafür, dass auch der Bund dafür bezahlt. Das wäre das richtige Vorgehen. ({16}) Das war Punkt fünf. Damit komme ich zum Schluss. Ich will nur noch auf eines hinweisen - schließlich wird immer wieder gesagt, das hätten die Sozialdemokraten doch alles tun können -: ({17}) 2002 haben wir hier im Bundestag einen Gesetzentwurf verabschiedet, durch den das Bankgeheimnis abgeschafft werden sollte. Sie haben ihn mit Ihrer damaligen Mehrheit im Bundesrat blockiert, und Sie haben somit verhindert, dass Bankgeschäfte endlich transparent werden. Sie tragen die Verantwortung, auch für die Vergangenheit. Das Gute, was Sozialdemokraten und Grüne angefangen haben, haben Sie verhindert, und damit tragen auch Sie an dieser Stelle daran Schuld, dass der Kampf gegen Steuerhinterziehung in Deutschland ein stiefmütterliches Dasein fristet. Vielen Dank. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Manfred Kolbe das Wort für die CDU/CSUFraktion.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sieling, Ihre ganze Aufgeregtheit ({0}) und auch Ihr Statement hier, die Bekämpfung der Steuerhinterziehung sei zum Erliegen gekommen, sind doch schlicht und ergreifend fehl am Platz. Diese Bundesregierung, seit 2005 von Angela Merkel geführt, ist die erfolgreichste Bundesregierung hinsichtlich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. ({1}) Sie kommen doch nicht an den Fakten vorbei. Ich liste sie noch einmal auf. Um alle zu nennen, würde meine Redezeit gar nicht reichen. Ich nenne Ihnen nur die wichtigsten: Wir haben den qualifizierten Tatbestand der bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung - § 370 Abs. 2 Abgabenordnung - eingeführt. Wir haben die Telekommunikationsüberwachung bei Steuerdelikten eingeführt; sie gab es vorher nicht. Wir haben die Verjährungsfrist bei schwerer Steuerhinterziehung von fünf auf zehn Jahre verlängert. Wir haben Einschränkungen bei der strafbefreienden Selbstanzeige vorgenommen. Es gibt jetzt keine Teilselbstanzeige mehr, und auch der Zeitpunkt der Tatentdeckung ist vorverlagert worden. Die Selbstanzeige als Mittel einer Hinterziehungsstrategie scheidet also aus. Zu den CDs, die Sie hier immer wieder in die Diskussion bringen: Jeder weiß, dass das problematisch ist. Diese Bundesregierung hat aber von Anfang an einen klaren Standpunkt gehabt. Ich zitiere Angela Merkel vom 1. Februar 2010: Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant sind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass Steuerhinterziehung geahndet werden muss. ({2}) So Angela Merkel. Das ist immerhin die Bundeskanzlerin. Eine ganz klare Position, von Anfang an! ({3}) Vergleichen Sie bitte einmal die Zeit ab 2005 mit der Zeit vor 2005! Von 1998 bis 2005 hat Rot-Grün regiert. ({4}) Frau Andreae, das sollten Sie sich vielleicht noch einmal vergegenwärtigen, auch wenn Sie nicht die ganze Zeit dabei waren. Was ist denn in den sieben Jahren unter Rot-Grün passiert? Da ist doch jedem nur Eichels Steueramnestie aus dem Jahr 2003 in Erinnerung. Das nannte sich dann pikanterweise auch noch „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“. Was haben Sie denn damals gemacht? Sie haben bei hinterzogenen Steuern die Bemessungsgrundlage ermäßigt: bei der Einkommensteuer auf 60 Prozent, bei der Erbschaftsteuer auf 20 Prozent und bei der Gewerbesteuer auf 10 Prozent. ({5}) Die erhofften und in den Haushalt eingestellten 5 Milliarden Euro sind nie gekommen. Am Ende sind klägliche 1,2 Milliarden Euro gekommen. Diese sieben Jahre, die waren doch wirklich blamabel. Da können Sie jetzt nicht das große Wort führen. ({6}) Es ist richtig: Wir haben 2005 bis 2009 in der Großen Koalition gut zusammengearbeitet. Sie haben den Bundesfinanzminister gestellt. Aber auch schon damals war Peer Steinbrück eher für die Abteilung Klamauk zuständig. Die Kavallerie ritt gegen die völlig unschuldigen Indianer aus; Ouagadougou, die Republik Burkina Faso, die mit Steuerhinterziehung nun wirklich nichts zu tun hat, wurde beleidigt usw. Das alles war doch nicht unbedingt zielführend. - Ein kleiner Einschub, Herr Poß: Wovor hat die SPD im Augenblick am meisten Angst? Dass Peer Steinbrück wieder mal ankündigt, Klartext zu reden! - Das war damals genauso wie heute. ({7}) Sie, Herr Poß, haben gleich zu Beginn wieder das Schweiz-Bashing fortgesetzt. Sicherlich war der Finanzplatz Schweiz nicht unproblematisch. ({8}) Aber die Schweiz bemüht sich doch ehrlich, hiervon wegzukommen. Deshalb: Ruinieren Sie doch nicht das Verhältnis zu einem guten Nachbarn! ({9}) Wir führen hier ja auch nicht ständig die in Paris augenblicklich regierenden Champagnersozialisten vor, bloß weil dort der Haushaltsstaatssekretär ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz mit 600 000 Euro hatte. Das ist nicht typisch für Frankreich. Also, achten Sie doch auch einmal ein bisschen auf die Beziehungen zu unseren Nachbarn! Die Bemerkungen über Italien, über Grillo usw., waren doch alle nicht notwendig. ({10}) Wir dagegen arbeiten sachorientiert, auch international - das ist ja schon genannt worden -: BEPS, Aktionsplan EU-Kommission, EU-Zinsrichtlinie, FACTA, G5-Initiative usw. Das wird auch zum Erfolg führen. ({11}) Eines müssen wir in Europa konstatieren - ich glaube, das können wir fraktionsübergreifend konstatieren -: Steueroasen sind nicht irgendwelche fernen Inseln, sondern zu einer Steueroase gehört auch eine gewisse Rechtssicherheit, eine gewisse Rechtskultur; denn sonst ist das Geld dort nicht sicher. Das gibt es im Regelfall nicht ohne eine enge Anbindung an Europa. Alle diese Inseln - Cookinseln, Jungferninseln, Inseln hinter dem Winde, Inseln vor dem Winde usw. - haben sehr enge Beziehungen zu ihren ehemaligen Kolonialmächten und damit zu Europa. Wir hier in Europa haben es deshalb in der Hand, dagegen vorzugehen. Da ist die Bundesregierung führend und leistet gute Arbeit. Ich bedanke mich namens meiner Fraktion dafür und wünsche der Bundesregierung und uns allen dabei weiterhin viel Erfolg. Derjenige, der Steuern zahlt, tut das nicht nur aus patriotischen Gründen - er ist auch kein Idiot -, sondern der tut das, um diese unsere soziale Gemeinschaft zu finanzieren. Dafür müssen wir als Parlamentarier eintreten. Danke. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Ralph Brinkhaus das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines vielleicht vorausgeschickt: Aus welchen Gründen auch immer man das Steuerabkommen mit der Schweiz blockiert hat - ich will das gar nicht inhaltlich bewerten -: ({0}) Das hat die Kommunen, die Länder und die Bundesrepublik Deutschland, wie der Staatssekretär ausgeführt hat, Milliardenbeträge gekostet. Das hat allein die Kommunen bei mir im Kreis Gütersloh - daher komme ich - einen siebenstelligen Betrag gekostet. Erklären Sie bitte den Kommunalpolitikern, warum Feuerwehrhäuser, Kindergärten, Schulen nicht mehr gebaut werden können: ({1}) Weil Sie dieses Steuerabkommen blockiert haben! Das ist nämlich die Wahrheit. ({2}) Beim Kampf gegen Steuerhinterziehung sind wir uns, glaube ich, alle einig. Es gibt niemanden in diesem Haus, der irgendwelche Sympathien für jemanden hat, der Steuern hinterzieht. Aber es lohnt sich, da eine saubere Analyse zu machen. Die saubere Analyse besteht darin, dass wir feststellen können - das ist uns auch in Fachgesprächen und in Anhörungen bestätigt worden; Ihnen übrigens auch -, dass das deutsche Recht ziemlich gut ist. Das deutsche Recht ist ziemlich gut gewachsen über viele Bundesregierungen - Sie waren auch dabei. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir checken das gerade einmal.

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sabotage. - Jetzt ist es wieder an. ({0}) Das deutsche Recht ist gut. Ganz ehrlich, Herr Poß: Sie reden über das Bankgeheimnis. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass in Deutschland das Bankgeheimnis kein Hindernis ist, Steuerfahndungsmaßnahmen einzuleiten. Die einschlägige Paragrafenkette - das findet man schon bei Wikipedia, Herr Zöllmer, nicht? -: 30 a, 88 und 93 Abgabenordnung. Lesen Sie sich das einfach einmal durch! Das heißt, jeder, der in Deutschland Steuern hinterzieht, kann auch durch das Bankgeheimnis nicht geschützt werden. Also erzählen Sie hier doch nicht das Märchen, dass es das Problem ist, dass wir hier in Deutschland ein Bankgeheimnis haben! Das ist schlichtweg nicht wahr. Der zweite Punkt ist folgender: Das Problem - das haben wir doch alle ganz klar identifiziert - liegt im Ausland. Wir haben dort drei Problemblöcke. Der erste Problemblock liegt darin, dass es Länder gibt, die uns partout nicht mitteilen wollen, wer aus Deutschland dort sein Geld angelegt hat. ({1}) Dagegen haben wir gearbeitet. Ich habe es gerade noch einmal herausgeholt. Wir haben in der letzten bzw. in dieser Legislaturperiode mehr als 40 Doppelbesteuerungsabkommen, Abkommen über Informationsaustausch und Ähnliches abgeschlossen. Die Vorsitzende des Finanzausschusses hat darauf hingewiesen. Das ist auch genau der Weg, wie so etwas zu erfolgen hat: auf diplomatischem Weg, nicht mit der Kavallerie, sondern auf dem Verhandlungsweg. Das ist nicht sonderlich populär, das ist nicht der große grüne Knopf, wo man sagt: Darauf drücke ich, und alles wird gut. - Das ist harte Ar29242 beit. Ich kann mich bei der Bundesregierung nur dafür bedanken, dass sie diese harte Arbeit geleistet hat und das so gut durchgezogen hat. ({2}) Der zweite Problemblock liegt darin, dass es Länder gibt, die wesentlich niedrigere Steuersätze als wir haben - im Übrigen auch in Europa. Auch darüber muss man reden. Dazu gehört Zypern; dazu gehört im Übrigen auch Irland, für das wir heute sehr großzügig die Konditionen für die Hilfskredite, für die Bürgschaften verlängert haben. Dementsprechend sollte es unser Anspruch sein - von uns allen -, dass wir immer wieder darauf hinweisen. Der dritte Problemblock besteht darin, dass es Länder gibt, die die Steuergesetze so ausgestaltet haben, dass man Schlupflöcher finden kann, wie man Geld irgendwohin verlagern kann. Das ist genau der Fall, über den wir auch geredet haben. Das ist Apple, das ist Google. Das nennt man „Double Irish with a Dutch Sandwich“. Da sind unsere Freunde aus den Niederlanden ganz vorn dabei, da sind unsere Freunde aus Irland ganz vorn dabei, und ich glaube, wir tun gut daran, das Ganze im europäischen Prozess zu adressieren. Das macht die Bundesregierung. Im Übrigen ist die Bundesregierung - darauf wurde schon mehrfach hingewiesen - bei den Arbeitsgruppen in der OECD führend, macht am meisten Druck. Ich denke einmal, da sind wir auf einem guten Weg. Ich denke auch, die Vorschläge von Herrn Sieling waren nicht so sonderlich überzeugend. Das waren die Forderungen: mehr Fahnder - das ist Aufgabe der Länder -, mehr Informationsaustausch - das wird schon gemacht -, mehr CDs. Ich weiß nicht, ob das ein probates Mittel ist, das man anwenden kann. Ich glaube, diese Bundesregierung hat gut gearbeitet; Ihre Vorschläge laufen ins Leere. ({3}) Zum Schluss vielleicht zwei Punkte, die uns unterscheiden. Das Erste ist das nahezu semierotische Verhältnis der Opposition zu Steuereinnahmen. Wir haben 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Das Einzige, was der Opposition in ihren Wahlprogrammen einfällt, ist: Wie können wir das steigern? Das ist doch völlig absurd, und das zeigt im Grunde genommen: Sie definieren sich nicht über vernünftige Staatshaushalte, ({4}) sondern über die Erhöhung bei der Erzielung von Steuereinnahmen. ({5}) Das ist schon schlimm genug. Aber wissen Sie, was noch viel schlimmer ist - das ist auch der Geist Ihres Vorschlages, dass wir ganz, ganz viele Fahnder brauchen -: Sie trauen den Menschen in diesem Land nichts zu. ({6}) Fakt ist, dass in diesem Land 99,9 Prozent der Steuerpflichtigen - ob Einzelsteuerpflichtige oder Unternehmer - steuerehrlich sind. ({7}) Was Sie machen, ist: Sie stellen alle Steuerpflichtigen unter den Generalverdacht, dass sie nichts anderes vorhaben, als Steuern zu hinterziehen, zu vermeiden und zu verkürzen. Das ist schlichtweg unanständig. Das wird mit uns nicht laufen. Sie trauen den Bürgern und Bürgerinnen in diesem Lande nichts zu. Sie wollen einen Kontrollstaat. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir werden die Durchsetzung des Steuervollzugs in diesem Land mit Augenmaß und vernünftig weiter voranbringen, so wie wir es in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht haben und wie wir es in den nächsten vier Jahren machen werden. Danke schön. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 l auf: a) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Schlussbericht der Enquete-Kommission „In- ternet und digitale Gesellschaft“ - Drucksache 17/12550 - b) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Urheberrecht - Drucksache 17/7899 - c) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Vierter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Netzneutralität - Drucksache 17/8536 - d) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Fünfter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Datenschutz, Persönlichkeitsrechte - Drucksache 17/8999 - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt e) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Sechster Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Bildung und Forschung - Drucksache 17/12029 - f) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Siebter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Demokratie und Staat - Drucksache 17/12290 - g) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Achter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Wirtschaft, Arbeit, Green IT - Drucksache 17/12505 - h) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Neunter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz - Drucksache 17/12541 - i) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Zehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Interoperabilität, Standards, Freie Software - Drucksache 17/12495 - j) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Elfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Internationales und Internet Governance - Drucksache 17/12480 - k) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Zwölfter Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ Verbraucherschutz - Drucksache 17/12540 - l) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Dreizehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Kultur, Medien und Öffentlichkeit - Drucksache 17/12542 Dazu ist vorgesehen, eineinhalb Stunden zu debattieren. ({0}) - Eine und eine viertel Stunde. Sie haben recht. Zu Beginn der Aussprache gebe ich das Wort an den Kollegen Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Sachverständige der Enquete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Internetrebellion im Deutschen Bundestag ist beendet“, hat Die Welt heute Morgen geschrieben. ({0}) Das ist natürlich grober Unfug. Ich sehe keine Rebellen, sondern nur engagierte Abgeordnete und Sachverständige, die sich einem wichtigen Thema gewidmet haben. In der Tat, es ist vollbracht. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ist beendet. Viele sind darüber heilfroh. Der eine oder andere hat auch Phantomschmerzen oder Entzugserscheinungen. Bei mir hält es sich in Grenzen. Aber das eine oder andere Mal fehlt sie mir doch an einem Montag, unsere EnqueteKommission. Wir haben drei Jahre lang intensiv zusammengearbeitet, haben nahezu 2 000 Seiten beschrieben. Es gab über 200 Sitzungen in zwölf Projektgruppen, bei 30 großen Themenbereichen. Das war natürlich sehr kraftraubend, sehr kräftezehrend, teilweise sehr nervtötend und auch sehr spannend. Dieses Thema hat eine große Spannbreite und birgt auch große Spannungen in sich. Ich glaube, wir haben das ganz gut gemeistert. Die Frage ist natürlich: Hat sich diese Enquete gelohnt? Ich muss sagen: Ja, sie hat sich gelohnt. Es war gut, dass wir diese Enquete-Kommission eingesetzt haben. ({1}) Wir haben in dieser Legislaturperiode aus einem Nischenthema ein Schwerpunktthema gemacht. Wir haben das Thema Internet, das ein Querschnittsthema ist, in die Mitte der Gesellschaft, in den Deutschen Bundestag, in die politischen Entscheidungen geholt. Wir haben viel erreicht, nicht nur quantitativ, nicht nur die 2 000 Seiten, sondern wir haben eine sehr intensive Laborarbeit - ohne Feldversuch - gemacht. Wir hatten dabei die Absicht, nicht so sehr ins Tagesgeschäft zu gehen, was uns nicht immer gelungen ist, was wahrscheinlich bei diesem Thema gar nicht möglich ist. Die Generalinventur, die Bestandsaufnahme, die wir gemacht haben, ist deswegen so wichtig, weil es dies vorher so noch nicht gab. Ich bin sehr froh darüber, dass die Handlungsempfehlungen sehr vielseitig sind. Natürlich gefallen diese Handlungsempfehlungen nicht jedem. Für mich persön29244 lich sind auch einige dabei, die mir zuwider sind. Aber das ist bei jedem politischen Thema so: Es ist so bei der Energiepolitik, der Gesundheitspolitik, der Verteidigungspolitik oder anderen Themen. Es kann nicht immer so sein, dass es uns allen gefällt. Die Enquete ist auch besonders streitbar gewesen, besonders am Anfang. Wir haben uns zu Beginn sehr in die ideologischen Schützengräben eingegraben. Zum Schluss - das hat mir sehr gefallen - haben wir - auch angesichts des Zeitdrucks - sehr konsensorientiert und ergebnisorientiert gearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir müssen das Ergebnis positiv begleiten. Die Enquete ist ein Erfolg. Es gibt keine Verlierer, wie die Bild oder einige Twitter-Meldungen heute verkündeten. Es gibt nur Gewinner, weil wir dieses Thema so wunderbar begleitet haben. Dafür vielen herzlichen Dank! ({2}) Als Obmann meiner Fraktion darf ich mich bei meinen Kollegen bedanken, die sich - neben ihren anderen Fachthemen - intensiv und mit Herzblut in diese Themen eingearbeitet haben und wirklich bei der Sache waren. Ich bedanke mich bei unseren Mitarbeitern, den Mitarbeitern unserer Abgeordnetenbüros, der Fraktionen, beim Sekretariat und beim Vorsitzenden. Alle haben intensiv gearbeitet. Insbesondere danke ich unseren Sachverständigen herzlich, die ihren Sachverstand eingebracht haben. Ohne sie wäre das Zelt, das wir aufgebaut haben, ein Zelt ohne Gestänge, und es wäre in sich zusammengefallen. Vielen Dank für Ihren Sachverstand! Das hat uns wirklich sehr viel weitergebracht. ({3}) Es wird nachher von allen Kollegen, die mitgemacht haben, noch sehr viel berichtet werden. Meine Quintessenz sind drei wesentliche Punkte, die ich Ihnen nennen möchte: Erstens. Nach dem Ende ist vor dem Anfang. Das bedeutet: Nach der Enquete ist vor dem Ausschuss. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ an einer herausgehobenen Stelle, wie auch immer es aussehen mag - das muss der nächste Deutsche Bundestag beschließen -, wirklich weiter bearbeitet wird. Es darf nicht so sein, dass man bei diesem wichtigen Thema wieder in einen Dornröschenschlaf verfällt. Wir wollen keinem anderen Ausschuss irgendwelche Besitzstände abjagen, sondern wollen dieses Thema in der Mitte halten. Das ist für uns ganz wichtig; es ist eine wichtige Handlungsempfehlung, die wir getroffen haben. ({4}) Zweitens. Wir haben neue Formen der Bürgerbeteiligung gefunden - viele werden noch genauer darauf eingehen -: Blogs, Foren, neue Arbeitsplattformen, eigene Internetseiten, auf denen wir das Material wirklich zeitnah zur Verfügung gestellt haben. All das war ganz wichtig. Wir müssen diese Formen der Bürgerbeteiligung untersuchen und im Ergebnis festhalten: Wie informieren wir in Zukunft die Menschen? Wie können sie sich beteiligen? Wie können sie ihre Ideen und Vorschläge einbringen? - Wir haben in diesem Zusammenhang viele Dinge ausprobiert; aber all das ist noch nicht rund und fertig. Eines ist dabei auch klar: Beteiligen heißt natürlich nicht Entscheiden. Auf jede Bürgerbeteiligung folgt eine Entscheidung, und die Entscheidung können nur diejenigen treffen, die dafür legitimiert sind: die Mitglieder des Deutschen Bundestages. Das wird natürlich so bleiben. Kein Computer, kein iPad ersetzt den Deutschen Bundestag. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen. Drittens: Leitplanken und Regeln, die wir aufstellen und benennen müssen. Da geht bei manchen natürlich die rote Lampe an. Aber jede funktionierende Gesellschaft braucht Regeln und Leitplanken, damit sich beispielsweise Anbieter sicher und frei bewegen können. Eine Selbstregulierung des Internets wird es nicht geben und kann nicht funktionieren. Es darf weder eine Freibiermentalität - Freibier für alle - noch einen Freibrief für Kriminelle geben. Mein Fazit, meine Damen und Herren: Ohne Internet ist eine moderne, freie Gesellschaft wie unsere nicht vorstellbar. Wir müssen die Chancen bewahren, die Werte, die in diesen Chancen liegen, gestalten und die Risiken, die es natürlich gibt, aufzeigen und minimieren. Das geht nur auf globaler Ebene. Wenn es uns gelingt, bei den drei Punkten, die ich genannt habe, weiter voranzukommen, dann hat sich diese Enquete schon allein deshalb gelohnt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die darin mitgearbeitet haben. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion das Wort.

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat sollten wir in der heutigen Debatte über die erfolgreiche Arbeit in der Enquete-Kommission reden. Wir haben die ersten Pressekommentierungen gelesen, in denen uns auch unterstellt wird, wir hätten nichts geschafft. Aber ich sage: Wir wussten, dass wir uns auf einen schweren Weg machen. Wir, 17 Abgeordnete, 17 Sachverständige und der 18. Sachverständige, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde, haben gemeinsam versucht, das Thema Netzpolitik hier im Deutschen Bundestag zu verankern. Ich finde, wir können voller Stolz sagen: Es ist uns gelungen. Es gab schwierige Diskussionen, es gab auch Holprigkeiten auf dem Weg, es gab Missverständnisse, Streit und Auseinandersetzungen. Das gehört aber zur parlamentarischen Demokratie dazu. Am Ende des Tages ist es uns aber gelungen, einen 2 000 Seiten langen Bericht vorzuLars Klingbeil legen, der wesentliche Wegmarken für die Zukunft, für die Entwicklung der digitalen Gesellschaft, aufzeigt und dokumentiert. Ich sage Ihnen: Wir haben etwas geschafft. Wir haben das Thema hier verankert. Dahinter wird man nicht mehr zurückfallen. ({0}) Auch ich möchte mich vor allem bei den Sachverständigen bedanken. Wir von der SPD haben vier Sachverständige benannt, mit denen wir hervorragend zusammengearbeitet haben: Cornelia Tausch, Alvar Freude, Wolfgang Schulz und Lothar Schröder. Das sind vier, die unsere Arbeit, die Arbeit der SPD, bereichert haben, die sich konstruktiv eingebracht haben, die gestritten haben, die viel Zeit für die Arbeit in der Enquete hier im Deutschen Bundestag geopfert haben. Ich hoffe, dass auch die vier sagen: Dieser Weg hat sich gelohnt. ({1}) Insgesamt möchte ich mich bei allen Sachverständigen bedanken, die hier heute zahlreich vertreten sind. ({2}) Ich will mich im Namen der SPD-Fraktion beim Sekretariat der Enquete und bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die viele Überstunden geleistet haben, damit der umfassende Bericht pünktlich zum heutigen Tag fertig wurde. Das war eine großartige Arbeit, die weit über tariflich geregelte Arbeitszeiten hinaus geleistet wurde. Dafür von uns allen ein herzlicher Dank! Wir sind im Jahr 2009 gestartet. Damals befanden wir uns an einem netzpolitischen Tiefpunkt; ich erinnere an die Diskussion über die Netzsperren. Das war Antrieb für viele Fraktionen, zu sagen: Wir brauchen eine Enquete-Kommission. Zudem gab es eine Onlinepetition, die 134 000 Menschen unterzeichnet haben und damit auf den Weg gebracht haben, dass sich hier im Deutschen Bundestag etwas ändern soll. Die Neugründung der Piraten gehörte mit dazu; allerdings scheint sich das Thema mittlerweile erledigt zu haben. Aber es ist festzuhalten: Ihr großes historisches Verdienst war, das Thema Netzpolitik in die traditionellen Parteien hineingetragen zu haben. Das Thema ist angekommen. Wir haben hier im Deutschen Bundestag Pflöcke eingeschlagen, und - der Kollege Koeppen hat es gerade angesprochen - es muss in der nächsten Legislaturperiode weitergehen. Wir haben uns einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden. Deswegen wollen wir auch, dass in der nächsten Legislatur ein ständiger Ausschuss „Netzpolitik“ eingerichtet wird, der sich darum kümmert, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt und vorangetrieben werden und dass der Bundestag nicht hinter das zurückfällt, was wir niedergelegt haben. Wir sagen aber auch: Wir brauchen eine Spiegelung auf der Regierungsseite. Es gibt unterschiedliche Interpretationen, was das bedeutet. Ich persönlich habe immer gesagt, dass wir einen Staatsminister im Bundeskanzleramt brauchen, weil wir sehen: Es funktioniert nicht, wenn 14 unterschiedliche Ministerien ihre eigene netzpolitische Agenda haben. Momentan, unter der schwarz-gelben Regierung, sehen wir, dass nichts passiert. Wir brauchen jemanden in der Regierung, der das Thema vorantreibt, der Ideen umsetzt und das Ganze koordiniert. ({3}) Ich möchte drei Punkte aus den 2 000 Seiten des Schlussberichts herausgreifen, die uns besonders wichtig sind. Der erste Punkt ist das Thema Bildungspolitik. Es darf nicht vom Geldbeutel oder der Netzaffinität der Eltern abhängen, ob Menschen in der digitalen Gesellschaft Startchancen haben. Deswegen haben wir einstimmig beschlossen: Jede Schülerin, jeder Schüler braucht ein Laptop oder ein Tablet. Wir brauchen eine Digitalisierung der Bildungsmaterialien. Wir brauchen eine veränderte Lehrerausbildung. Dazu gehört für uns Sozialdemokraten auch, dass das Kooperationsverbot fällt und der Bund in der Bildungspolitik mitgestalten kann. ({4}) Wir haben davon gesprochen, dass das Laptop zur Werkbank des 21. Jahrhunderts wird. Das heißt, wir müssen die Menschen ermutigen, sich digital auszuprobieren. Es geht um digitale Selbstständigkeit, um Befähigung und nicht um den erhobenen Zeigefinger. Das ist uns in der Bildungspolitik ganz wichtig. Der zweite Punkt, der uns wichtig ist, ist die digitale Wirtschaft. Auch hier brauchen wir einen Aufbruch. Wir sehen, dass es Potenziale für Wachstum und Arbeitsplätze gibt. Das heißt für uns, dass wir stärker über die Ausbildung von IT-Fachkräften reden müssen. Wir brauchen den entschlossenen Breitbandausbau mit dem Universaldienst, die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität und die Förderung einer digitalen Gründerkultur. Hierfür hat die Enquete-Kommission - manchmal in den Mehrheitsvoten, manchmal in den Sondervoten - viele vernünftige Vorschläge aufgeschrieben, die jetzt umgesetzt werden müssen. ({5}) Der dritte Punkt, der uns wichtig ist: die Entwicklung der digitalen Demokratie. Hierfür war die Enquete selbst ein Paradebeispiel. Aber auch inhaltlich haben wir vieles auf den Weg gebracht, etwa wenn es darum geht, dass die Informationsfreiheit ausgebaut werden muss. Wir wollen endlich einen Aufbruch im Bereich von Open Data. Wir wollen dafür sorgen, dass die Transparenz auch in politischen Prozessen gestärkt wird. Wir als Enquete haben diesen Gedanken der Transparenz gelebt. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger über den 18. Sachverständigen beteiligt. Auch wenn wir uns einig sind, dass wir uns manches Mal mehr Vorschläge gewünscht hätten: Die eingebrachten Vorschläge waren qualitativ sehr hochwertig. Vieles von dem ist in den Abschlussbericht eingegangen. Das hat uns allen gezeigt: Die Politik muss keine Angst davor haben, Türen aufzustoßen und die Menschen zu beteiligen. Vielmehr sorgt es für eine höhere Legitimation unserer Entscheidungen, wenn wir Menschen transparent beteiligen. ({6}) Abschließend kann ich sagen: Das waren aus meiner, aus unserer Sicht drei erfolgreiche Jahre. Viele Worte müssen jetzt in Taten umgesetzt werden. Dafür ist die nächste Bundesregierung, der nächste Bundestag zuständig. Mir ist wichtig, festzuhalten: Das Internet ist da, es geht nicht mehr weg. Die Frage, ob das Ganze politisch gestaltet wird, entscheiden wir hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen für Zugang sorgen, wir müssen für ausreichend Bildung sorgen, dafür, dass sich Kreativität und Wertschöpfung entfalten können, und dafür, dass sich Demokratie weiterentwickelt. Hier können wir nur gemeinsam hoffen, dass alle die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission ernst nehmen und umsetzen. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jimmy Schulz hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Jimmy Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004148, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Keine Angst, ich werde jetzt keine Rede mit ehemals nicht erlaubten technischen Hilfsmitteln halten. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sachverständige, die Sie heute auf der Tribüne diese Debatte verfolgen! Natürlich begrüße ich auch die anonymen Internetuser an den Tastaturen. Dieser Tablet-PC, mit dem ich vor drei Jahren eine meiner ersten Reden in diesem Haus gehalten habe, ist ein Symbol für die Veränderung, die in diesem Hause stattgefunden hat. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat diese Veränderung manifestiert. Digitalisierung und globale Vernetzung haben nicht nur alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst, durchdrungen und nachhaltig verändert, sie haben auch Politik und den Bundestag verändert. Aufgabe der Enquete-Kommission, die auf Initiative der Koalition hin eingerichtet wurde, war es, über drei Jahre diese Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen politisch zu verstehen, zu analysieren, zu bewerten und über mögliche Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, über eventuell notwendig werdendes Handeln des Gesetzgebers zu diskutieren. Im Auftrag der EnqueteKommission stand, dass die Öffentlichkeit in besonderem Maße in die Arbeit der Enquete einbezogen werden sollte. Die Diskussion darüber, wie dieser Auftrag in die Tat umgesetzt werden sollte, war sicherlich nicht einfach, aber erstens für alle lehrreich und zweitens erfolgreich. Wir haben gemeinsam für größtmögliche Transparenz gesorgt: mit einem Internetauftritt, mit der Veröffentlichung aller Dokumente und mit Livestreams der Enquete-Kommissionssitzungen. Diese Transparenz war nötig, um für echte Beteiligung zu sorgen, um einen echten Dialog mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern, dem 18. Sachverständigen, in Gang zu bringen. Den 3 200 Bürgerinnen und Bürgern, die sich auf unserer Beteiligungsplattform registriert haben, die den Mut gefunden haben, mit uns diesen Weg zu gehen, gilt genauso unser Dank wie den 17 Sachverständigen, die uns fast drei Jahre lang ausgehalten haben. Vielen Dank! ({1}) Das Experiment der direkten Bürgerbeteiligung, der Einbeziehung des Souveräns in die politische Arbeit des Parlaments, ist weltweit einmalig und beispielgebend. Alle Beteiligten haben dabei viel gelernt. Das ist sicher ein Zukunftsmodell und zeigt, wie sich Demokratie weiterentwickeln kann, wie sie sich weiterentwickeln muss. Das ist kein Patentrezept gegen Politikverdrossenheit, aber ein Baustein für die Weiterentwicklung des Erfolgsmodells der repräsentativen Demokratie. Aus den zwölf Projektgruppen will ich kurz zwei herausgreifen, mit denen ich mich in den letzten 18 Monaten besonders beschäftigt habe. Zum einen ist das die Projektgruppe „Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz“. Das Thema IT-Sicherheit ist längst kein Randthema mehr, sondern betrifft uns alle. Um uns den Herausforderungen stellen zu können, braucht es kompetente Köpfe, die wir durch mehr Lehrstühle in dieser Fachrichtung fördern wollen. Ebenso empfehlen wir, zu prüfen, ob der umstrittene sogenannte Hackerparagraf sich negativ auf das Entdecken von Sicherheitslücken auswirken könnte. Eine besondere Ehre wurde mir dadurch zuteil, dass ich der Projektgruppe „Interoperabilität, Standards, Freie Software“ vorsitzen durfte, beschäftige ich mich doch beruflich und privat seit über 20 Jahren mit dem Thema der freien Software. Unabhängig davon freue ich mich, dass wir heute Abend zu ganz später Stunde anlässlich eines entsprechenden Antrages endlich das Thema der Eindämmung von Softwarepatenten aufgreifen können. Aber leider werden die Reden dazu zu Protokoll gegeben; deswegen habe ich dies hier erwähnt. Neben dem Hinweis auf die vielen gemeinsamen Erfolge und darauf, dass so manche Auseinandersetzung in der Sache strittig geführt wurde, bedanke ich mich bei allen, die an dieser Enquete mitgewirkt haben, für den kollegialen Stil und die manchmal fast familiäre Atmosphäre. Ich habe diese Enquete am Anfang einmal als „Volkshochschulkurs Internet für den Bundestag“ bezeichnet. Heute formuliere ich es anders: Mission completed! ({2}) Schon vor drei Jahren habe ich an dieser Stelle einen eigenen dauerhaften Platz für dieses Thema in diesem Haus gefordert. Dies ist das wichtigste Ergebnis unserer gemeinsamen Bestrebungen. Wir haben einstimmig beschlossen, dass das Thema Netzpolitik diesen Platz im Parlament bekommt: einen eigenen Ausschuss. Das ist unser gemeinsamer Auftrag. Dieses Gerät wird vermutlich bald im Museum landen. Das Thema Internet, die schönste Form der Globalisierung, bleibt aber in diesem Haus. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt erteile ich Halina Wawzyniak das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beenden heute ganz offiziell die Arbeit der Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich will mich zunächst ganz herzlich bei allen Sachverständigen bedanken, die über Parteigrenzen hinweg - sie wurden ja von den Fraktionen benannt - die Arbeit der Enquete bereichert haben. Sie haben viel Zeit und viel Kraft in diese Arbeit investiert, und das ohne einen Fraktionsapparat und ohne persönliche Mitarbeiter. Deswegen herzlichen Dank! Ein ganz besonders herzliches Dankeschön geht auch an das Sekretariat der Enquete. ({0}) Ich will mich an dieser Stelle insbesondere bei Constanze Kurz und Annette Mühlberg bedanken, die in besonderer Unabhängigkeit die Arbeit der Enquete begleitet haben. Ich will an dieser Stelle auch anmerken, dass ich es bedauerlich finde, dass die Debattenzeit verkürzt worden ist. Weder die Verkürzung der Debattenzeit noch der Zeitpunkt der Debatte sind der Arbeit der Enquete angemessen. ({1}) Der wichtigste Beitrag, den die Enquete geleistet hat, war, das Thema in der Gesellschaft und damit auch in der Mitte des Bundestages zu verankern. Es ist eben nicht mehr nur ein Thema für ein paar Verrückte in den jeweiligen Fraktionen; im Prinzip hat mittlerweile jede und jeder Abgeordnete irgendwie mit dem Thema Netzpolitik zu tun. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an parlamentarischen Prozessen sinnvoll und richtig ist. Alle können profitieren, wenn Bürgerinnen und Bürger an Entstehungsprozessen von Initiativen beteiligt werden. Deswegen ist es zu begrüßen, dass die Enquete empfohlen hat, dass parlamentarische Gremien, wenn sie Beteiligungswerkzeuge nutzen wollen, diese zukünftig zur Verfügung gestellt bekommen. Ich kann Sie alle nur auffordern: Machen Sie das! Nutzen Sie die Beteiligungswerkzeuge! ({2}) Ich persönlich finde, die Enquete hätte an der einen oder anderen Stelle im Hinblick auf die Handlungsempfehlungen durchaus mutiger sein können. Es handelt sich schließlich um Empfehlungen, und am Ende entscheidet der Bundestag. Der Abschluss der Arbeit der Enquete ist ein Zeitpunkt, um nach vorne zu schauen. Deswegen will ich aus linker Sicht deutlich machen, wo Handlungsbedarf besteht, um das Internet als Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs zu gestalten. Erstens. Internet gehört zum Alltag. Ohne Zugang zum Internet sind Menschen von vielen gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen: Jobvermittlung, Nachrichten, Onlinebanking und Austausch mit anderen. Ich könnte noch vieles andere aufzählen. Deshalb sagen wir: Netz für alle! Wir meinen, dass der Zugang zum Internet Bestandteil des soziokulturellen Existenzminimums sein muss und deshalb ein Computer unpfändbar sein sollte. ({3}) Das haben wir in einem Antrag, den wir hier eingebracht haben, und auch in einem Sondervotum in der Projektgruppe „Medienkompetenz“ deutlich gemacht. Zweitens. Der Zugang zum Internet setzt voraus, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, das Internet zu nutzen. Deshalb sind der Breitbandausbau und eine Universaldienstverpflichtung dringend nötig. ({4}) - Ich wundere mich, warum von SPD und Grünen kein Beifall kommt; denn dies haben die drei Oppositionsfraktionen in drei Sondervoten gefordert. Drittens. „Netz für alle“ bedeutet aber auch, dass an der Netzneutralität festgehalten werden muss. Nicht nur Entwicklungen in jüngster Zeit - ich nenne das Stichwort „Telekom“ - lassen uns sagen: Netzneutralität gehört gesetzlich verankert. Auch das haben die Oppositionsfraktionen in zwei Sondervoten festgehalten. ({5}) Viertens. Wenn wir vom Internet als einem Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs sprechen, dann bedeutet dies aber auch, dass wir einen Datenschutz brauchen, der diesen Namen wieder verdient. Wir sagen ein klares Nein zur Vorratsdatenspeicherung. Wir fordern die Voreinstellung von Geräten und Diensten mit der größtmöglichen Privatsphäre und die Sicherung von Anonymität und Pseudonymität im Internet. ({6}) Dass Netzpolitik Gesellschaftspolitik ist, will ich an einem Beispiel aus der Außenpolitik deutlich machen. Wir als Linke betrachten die Ergebnisse des sogenannten Tallinn Manuals ausgesprochen skeptisch. Im Rahmen eines informellen Gesetzbuches sollen völkerrechtliche Fakten geschaffen werden, unter welchen Bedingungen bei einem sogenannten Cyberwar mit konventionellen Mitteln Krieg geführt werden kann. Völkerrechtler bezeichnen dies als Krieg auf Verdacht. Wir als Linke sagen auch hier sehr deutlich: Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ab, Krieg auf Verdacht erst recht. ({7}) Das Internet und die Digitalisierung der Gesellschaft verändern unser Leben rasant. Es liegt an uns, wie wir diese Herausforderungen meistern. Die Linke stellt sich diesen Herausforderungen und wird die Handlungsempfehlungen aufgreifen, auch in der nächsten Legislaturperiode. Unser zentraler Ausgangspunkt ist dabei, das Internet als Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs zu gestalten. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Konstantin von Notz das Wort.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Gesetzgeber müssen uns mit den massiven gesellschaftlichen Umbrüchen, die mit dem Internet und der Digitalisierung einhergehen, intensiv beschäftigen und diesen Wandel vor allem politisch aktiv gestalten. Diese Einsicht stand am Anfang der Enquete-Kommission, deren Arbeit wir heute mit dieser Debatte abschließen. Am Anfang der Legislaturperiode waren wir uns einig, dass es einen ganz erheblichen parlamentarischen Aufholbedarf in diesem Politikfeld gab. In den letzten drei Jahren haben wir intensiv daran gearbeitet, diesen Zustand zu beheben - erfolgreich, wie ich finde. Ich wage die These, dass sich kaum ein anderes Parlament derart intensiv mit netzpolitischen Fragestellungen beschäftigt hat, wie wir es in dieser Legislaturperiode getan haben. ({0}) Die Netzpolitik ist in der Mitte dieses Parlaments angekommen. Das ist vor allen Dingen ein Verdienst der Enquete-Kommission. Das heißt mitnichten, dass es nicht auch an zahlreichen Stellen teilweise ganz erheblich voneinander abweichende Positionierungen der einzelnen Fraktionen gegeben hat - leider. ({1}) Ich denke da vor allem an die Netzneutralität, den Verbraucherschutz, den Datenschutz, aber auch an GreenIT, wo es trotz aller Kompromissbereitschaft unter den Beteiligten unmöglich war, gemeinsame Positionierungen zu finden. Hier sage ich für meine Fraktion ganz deutlich, dass wir uns an zahlreichen Stellen, auch bei der Gutachtenvergabe, Herr Kollege Koeppen, oft mehr Mut gewünscht hätten. ({2}) Die Enquete-Kommission hat insgesamt, nicht nur inhaltlich, ein dickes Brett gebohrt. Sie hat das Gebot der Stunde erkannt und sehr weit gehende Transparenz der eigenen Arbeit hergestellt. ({3}) Darüber hinaus hat sie auch in anderen Bereichen innovative Wege beschritten. Als „Versuchslabor eines Parlaments der Zukunft“ hat sie eine neue zivilgesellschaftliche Beteiligung ermöglicht. Das war nicht immer einfach. Es war richtig und wichtig, neue Beteiligungsformen zu nutzen. Dies sollte der Bundestag auch in Zukunft weiter ausbauen. Aber diese Beteiligungsinstrumente ersetzen - das weiß jeder von uns, der die Arbeit der Enquete-Kommission in den letzten Jahren verfolgt hat - eben nicht das Ringen um Kompromisse, zähe Abstimmungsverfahren, Sitzungen bis spät in die Nacht und auch manchmal anstrengende Diskussionen; all das bleibt uns erhalten. Die Einbeziehung externen Sachverstands macht demokratische Prozesse nicht automatisch einfacher; sie ist oft sogar mit mehr Arbeit verbunden. Aber sie ist - das sieht man auch an unseren Ergebnissen - lohnend. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion dem Dank an alle anschließen, die den Erfolg dieser EnqueteKommission ermöglicht haben. Zu nennen sind unsere Sachverständigen, Jeanette Hofmann und Markus Beckedahl, und die vielen Sachverständigen der anderen Fraktionen, zum Beispiel Wolfgang Schulz, aber auch der Ausschussvorsitzende Axel E. Fischer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschusssekretariats und der Fraktionen, die sich so manche Nacht um die Ohren geschlagen haben, die Köpfe hinter der Beteiligungsplattform Adhocracy, deren ehrenamtliches EngageDr. Konstantin von Notz ment zweifellos nicht immer ausreichend gewürdigt wurde und - last but not least - diejenigen, die dieses Angebot tatsächlich genutzt und sich an unseren Diskussionen intensiv beteiligt haben. Ihnen allen einen ganz herzlichen Dank! ({4}) Leider muss derzeit das unsägliche schwarz-gelbe Leistungsschutzrecht als Argument für den Nachweis herhalten, die Netzpolitik habe keinen Einfluss in diesem Hohen Haus. Das sehe ich komplett anders. ({5}) - Das sehe ich komplett anders, Herr Blumenthal. ({6}) - Passen Sie auf! Jetzt wird es total spannend. - Das Zufallbringen von ACTA, die Rücknahme der Netzsperren, die Blockade der Vorratsdatenspeicherung und selbst das Downsizen beim Leistungsschutzrecht, all das zeigt den zunehmenden Einfluss und die steigende Bedeutung der Netzpolitik in diesem Haus. ({7}) Die Arbeit der Enquete-Kommission, die Tausende Seiten Ergebnisse, die 400 Handlungsempfehlungen sind nicht ein Abschluss in Sachen Netzpolitik, sondern der Anfang. Die Bedeutung dieses Themas wird nämlich nicht abnehmen, sondern wegen der zunehmenden Veränderung unserer Gesellschaft durch Digitalisierung und Internet massiv zunehmen. Es geht bei der Netzpolitik um die Zukunft der Zivilgesellschaft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Es geht um Gerechtigkeit und Teilhabe, es geht um die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes, und es geht darum, wie wir arbeiten, kommunizieren, wie wir lernen, ja, wie wir leben wollen. Das alles müssen wir politisch gestalten. Ein Anfang ist gemacht, mehr aber auch nicht. Jetzt muss es richtig losgehen. Ganz herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Thomas Jarzombek hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme das Kompliment des Kollegen von Notz ausgesprochen gerne an. Ich finde, dass er in dieser Sache absolut recht hat. ({0}) Wir haben in diesen mehr als drei Jahren nicht nur einen Bericht mit über 2 000 Seiten produziert, sondern auch sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet, und, wie ich glaube, erfolgreich. Die eine oder andere Kommentierung, es sei in dieser Zeit nicht viel erreicht worden, teile ich überhaupt nicht. In der vorangegangenen Legislaturperiode war ein freiheitlich-subsidiärer Gedanke nicht Leitmotiv der Internetpolitik. Wir haben viele Kollegen überzeugen können und den Geist der Freiheit beim Thema Internet auch innerhalb unserer eigenen Fraktion wieder zurückgeholt. Die Rücknahme des Zugangserschwerungsgesetzes, ACTA, der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und nicht zuletzt das Leistungsschutzrecht - vielen Dank auch noch einmal für dieses Kompliment -, das am Ende nur noch eine relativ leere Hülle geblieben ist, zeigen doch relativ klar, wie sich die Paradigmen gewandelt haben. ({1}) Man kann das auch an drei Personen festmachen: Selbst unser Kollege Günter Krings hält es nicht mehr für möglich, Internetanschlüsse abzuschalten. ({2}) Selbst Siegfried Kauder, „Kauder-Strike“, ist zum Revoluzzer in Sachen LSR geworden, und der Kollege Dr. Tauber hat es geschafft, Erika Steinbach zum Twittern zu bringen. ({3}) Wenn das keine Erfolge sind, dann weiß ich es auch nicht mehr. Wir haben viel Positives erreicht - das soll nicht verschwiegen werden -, angefangen damit, dass wir beim Thema Breitbandversorgung einen großen Schritt nach vorne gemacht haben, bis hin zur Vergabe des Deutschen Computerspielpreises. Auch in den Arbeitsgruppen, in denen ich entweder federführend tätig war bzw. die ich geleitet habe, haben wir eine ganze Reihe guter Ergebnisse erzielt. Beim Thema „Wirtschaft, Arbeit, GreenIT“ haben wir entdeckt, dass das Internet ein echter Wirtschaftsfaktor, eine Jobmaschine ist und die Chance bietet, neue spannende Unternehmen zu gründen. ({4}) Nicht nur die Studien, die wir in der Enquete-Kommission in Auftrag gegeben haben, sondern auch der Emp29250 fang der Start-ups, zu dem die Bundeskanzlerin vor kurzem zusammen mit dem Vizekanzler Rösler eingeladen hat, haben gezeigt, dass in diesem Bereich über 100 000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Das ist also alles andere als ein kleines Geschäft. Wir haben bisher immer gesagt: Der jüngste deutsche Konzern auf diesem Gebiet wurde vor 40 Jahren gegründet, nämlich SAP. Was kam eigentlich danach? Es sind viele nordamerikanische Unternehmen gekommen. Jetzt schicken sich bereits die ersten Firmen aus Deutschland an, Marktführer zu werden. Trivago, ein Unternehmen, das beim Thema Hotel mittlerweile weltweit führend ist, hat bei mir zu Hause, in Düsseldorf, 300 Arbeitsplätze geschaffen. Das muss man anerkennen und weiter fördern. Dafür haben wir in dieser Enquete-Kommission eine Menge geleistet. Wir hatten auch das Thema „Internationales und Internet-Governance“ auf unserer Tagesordnung. Hier fällt mein Resümee nicht so positiv aus, weil ich glaube, dass das Thema Internationales im Bereich Internet im Deutschen Bundestag bisher zu wenig Platz gegriffen hat. Ich finde es wichtig, dass wir Abgeordnete künftig stärker Präsenz auf internationalen Konferenzen zeigen, dass wir unseren Einfluss auch in Deutschland stärker geltend machen. Nicht zuletzt stehe ich sehr hinter unserer konsensualen Forderung - übrigens ist der gesamte Bericht vollständig konsensual beschlossen -, uns für ein IGF in Deutschland zu bewerben. Warum sollen wir uns immer nur für die Ausrichtung von Fußballweltmeisterschaften und Ähnlichem bewerben? Ich finde, wir müssen auch bei den internationalen Internetveranstaltungen endlich einmal Ausrichter werden und auch hier für mehr Bewusstsein sorgen. ({5}) Die dritte Arbeitsgruppe befasste sich mit Jugendschutz und Medienkompetenz. Über die Ergebnisse haben wir schon bei der Debatte über den Zwischenbericht gesprochen; deshalb muss hier gar nicht mehr viel gesagt werden, außer vielleicht, dass ich bedaure, dass wir an einigen Stellen nicht so weit gekommen sind, wie wir gekommen sein könnten. Wenn man beim Thema „Laptops für Schüler“ - das habe ich selbst erlebt - immer noch darüber diskutiert, ob nun die Länder zuständig sind oder der Bund, und die Länder glauben, hier könne jeder seinen eigenen technischen Standard realisieren, sind wir leider auch im Jahr 2013 noch nicht da angekommen, wo wir eigentlich hin müssen. ({6}) Ich finde im Übrigen, dass wir uns mit dem Thema „Jugendschutz im Internet“ noch einmal stärker befassen müssen. All die Bemühungen und Vorstöße, die wir hier vonseiten des Familienausschusses gemacht haben, wurden von den Ländern auf relativ breiter Front immer wieder gebremst. Denjenigen in den Ländern, die glauben, man könne - vielleicht nach einer Bundestagswahl ohne Piratenfraktion - hingehen und den alten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wieder aus der Schublade holen, ihn ein bisschen anpinseln und wieder einbringen, sage ich: Das wird nicht gehen. ({7}) Ich freue mich, wenn ich Sie dabei auf meiner Seite habe. ({8}) Ich darf mich zum Schluss bei all denen bedanken, die in der Enquete-Kommission mitgearbeitet haben, nicht nur bei denen, die in meinen Arbeitsgruppen mitgearbeitet haben, sondern bei allen. Es war ein sehr engagiertes Arbeiten. Die Arbeit war teilweise wirklich anstrengend. Ein paar von meinen grauen Haaren, die leider immer mehr werden, haben sich, glaube ich, in dem einen oder anderen Bericht niedergeschlagen. ({9}) Aber ich finde, es war eine tolle Diskussionsatmosphäre. Sie war, auch wenn man anderer Meinung war, von sehr sachlichen Auseinandersetzungen geprägt. Das hat mir sehr gut gefallen. Zum Schluss danke ich für meine Fraktion unseren Sachverständigen: Professor Ring, Dr. Rohleder, Nicole Simon, Professor Weinhardt, Harald Lemke und Professor Gorny. Sie sind alle häufig nach Berlin gekommen, haben sehr viel Zeit geopfert und auch an den Texten viel Arbeit geleistet. Herzlichen Dank dafür! ({10}) Ich freue mich, mit Ihnen zusammen in einem Internetausschuss in der nächsten Wahlperiode weiterzumachen; denn eines ist klar: Das Thema Internet ist viel zu wichtig, um der Unterausschuss von irgendwas zu sein. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Brigitte Zypries hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten in der Tat drei Jahre Gespräche, drei Jahre Beratungen, drei Jahre Arbeit. Ganz so positiv, wie Sie es geschildert haben, Herr Jarzombek, fand ich es, ehrlich gesagt, nicht. Ich hätte mich schon manchmal über bessere Diskussionen gefreut. ({0}) Es ist schön, dass Sie in der CDU einen erheblichen Lernprozess durchgemacht haben. Das freut uns natürlich. ({1}) - Die SPD hat es vielleicht nicht so nötig; das kann man an verschiedenen anderen Dingen sehen. ({2}) Ich schließe mich dem Dank an die Sachverständigen an und bestätige Ihnen gerne, dass wir in diesem Diskussionsprozess eine Menge an gemeinsamen Positionen gefunden haben, aber nicht nur solche. Es bleiben eine Menge grundsätzlicher Fragen bestehen, über die wir keinen Konsens erzielen konnten. Insbesondere bei der Frage der gesellschaftlichen Bedeutung von Transparenz und Informationsfreiheit gibt es eine unterschiedliche Bewertung. Deshalb möchte ich allen, die ein vollständiges Bild der Ergebnisse der Enquete-Kommission bekommen wollen - nicht nur bei diesem Punkt, aber eben auch bei diesem Punkt -, empfehlen, sich auch die Handlungsempfehlungen der Oppositionsfraktionen durchzulesen. ({3}) Sie finden sich dort in den Sondervoten. Wir werden an vielen Stellen wesentlich konkreter als die Koalition. Deswegen kann ich nur sagen: Lesen Sie auch diese Handlungsempfehlungen! Unter den ergänzenden Empfehlungen finden sich unter anderem Vorschläge zur Transparenz, zur Weiterentwicklung der anonymen und der pseudonymen Kommunikation im Internet, zur Weiterentwicklung des Petitionsrechts und zur Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsrechts. Transparenz - ein Begriff, der in aller Munde ist - ist gar kein sonderlich unkomplizierter Begriff. Was heißt denn das: „Transparenz“? Live-Öffentlichkeit verändert Kommunikationsprozesse; das wissen wir alle. Sie kann auf der einen Seite die Akzeptanz dieser Kommunikationsprozesse verbessern, wird aber auf der anderen Seite mit Sicherheit das Verhalten der Kommunizierenden verändern. Deswegen meine ich, dass man nicht generell sagen kann: Wir machen das alles transparent und offen. Vielmehr müssen wir uns für jeden Fall, für jedes Gremium und im Zweifel für jede Institution, einzeln überlegen, wie viel Transparenz für die Herstellung von Öffentlichkeit sinnvoll ist und wo als Nebenwirkung droht, dass Diskussionen aus dem dann transparenten Prozess in die Hinterzimmer verlagert werden. Damit wäre niemandem gedient. Mit diesen neuen Möglichkeiten zur Schaffung von Transparenz, die wir durch das Netz haben, stehen wir jedenfalls nicht mehr nur vor der Frage der Machbarkeit, sondern auch vor der Frage von politischem Wollen und politischem Willen. Wie viel Transparenz will der Staat gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern erreichen? Wer ein digitales Vermummungsverbot fordert, wie einige Kollegen, oder wer die im deutschen Recht durch das Telemediengesetz garantierte Anonymität im Internet infrage stellt, der hat für meine Begriffe problematische Vorstellungen davon, wie viel Transparenz andersherum der Staat von seinen Bürgern verlangen kann. ({4}) - Das ist ein anderes Thema. Darauf gehen wir gerne später ein. ({5}) - Nein, Herr Kollege, keineswegs. ({6}) Wir haben uns in der Projektgruppe „Demokratie und Staat“ darauf verständigt, dass die Transparenz weiter ausgebaut werden soll und die Beteiligungsmöglichkeiten stärker genutzt werden sollen. Das haben wir auch im Rahmen dieser Arbeitsgruppe gemacht. Die EnqueteKommission hat die Adhocracy-Plattform genutzt, und auch die SPD-Fraktion setzt sie ein. Das ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie man Anforderungen an Transparenz und Bürgerbeteiligung angemessen begegnen kann, sondern auch ein Beispiel dafür, wie man Sachverstand auf direkte Art und Weise von außen einbeziehen kann. Für die Enquete-Kommission war es ein Schritt in das wirkliche Leben, als wir sahen, wie wenig Menschen sich beteiligt haben. Das ist leider Fakt. Wir hatten diesen Experimentcharakter durchaus geplant; aber dass die Zahl der Beteiligungen über die Onlineplattform noch deutlich niedriger war als erwartet, war schade. ({7}) Wunderbar aber war die Tatsache, dass die Qualität dieser Beiträge sehr hoch war. Das zeigt aber eben nur, dass sich einige speziell Interessierte angesprochen fühlten. Es gab aber nicht den breiten Beteiligungseffekt, auf den wir alle gehofft hatten. Das macht noch einmal deutlich, wie wichtig das Thema „Bildung im Internet“ - Herr Kollege Klingbeil hat das schon angesprochen - ist. Die Tatsache, dass man im Internet alles finden kann, heißt eben nicht, dass man sich auch beteiligt und kommuniziert. Bildung heißt also nicht nur, zu lernen, wie man den Computer an- und ausstellt, sondern auch, zu lernen, wie man damit umgeht. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir uns darauf verständigt haben, Laptops für Schülerinnen und Schüler zu beschaffen. Das reicht aber nicht. Es muss auch völlig klar sein, dass die Lehrpläne der Schulen entsprechend angepasst werden müssen und die Schülerinnen und Schüler lernen müssen, dass man sich über dieses Medium auch beteiligen kann. ({8}) Diesen wichtigen Punkt noch am Ende meiner Rede zu nennen, liegt mir ganz besonders am Herzen. Danke schön. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. ({0}) Heute bringt jeder etwas mit ans Rednerpult.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zunächst möchte ich zu Ihnen kommen, Frau Kollegin Zypries. Schön, dass Sie die Lernfähigkeit einzelner Kolleginnen und Kollegen erwähnen. Ich will Sie jetzt nicht als Mutter des Zensurgesetzes bezeichnen, aber Sie waren zumindest die Patentante. Von daher freut es mich, dass alle gelernt haben. ({0}) Dieses Werk, das Sie hier sehen, ist der ausgedruckte Text des Abschlussberichts der Enquete-Kommission. Der eine oder andere munkelt bereits im Netz, wir hätten das Internet ausgedruckt und könnten es jetzt ausschalten. Jimmy Schulz hat gerade ein digitales Gerät auf das Rednerpult gelegt. Ich glaube, ein wesentlicher Punkt der Enquete-Kommission „Internet“ ist, dass nicht Nerds in einem geschlossenen Raum miteinander gesprochen haben, also Leute, die sich damit auskennen, sondern dass wir hierzu ein Papier herausgebracht haben, das diejenigen, die sich nicht so sehr mit Fragen des Internets und der digitalen Gesellschaft beschäftigen, lesen können. Deswegen habe ich symbolisch das Papier mitgebracht, auch wenn es um Internet und digitale Gesellschaft geht. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte unseren drei Sachverständigen namentlich danken: Professor Gersdorf, Dr. Osthaus und padeluun. Auch sie haben, wie viele in diesem Umfeld - die Sachverständigen, die Abgeordneten und die Mitarbeiter -, viel Arbeit und viel Zeit investiert. Ich kann es nicht oft genug sagen: Ich glaube, es war für einen Sachverständigen - ich sage das in unser aller Namen - ein Stück weit eine Zumutung, den parlamentarischen Ablauf ertragen zu müssen. Herzlichen Dank, dass Sie mitgemacht und durchgehalten haben! Das Ergebnis war es wert. Ich möchte kurz inhaltlich etwas zum Thema Datenschutz sagen. Ich hatte das Vergnügen, die Arbeitsgruppe „Datenschutz und Persönlichkeitsrecht“ leiten zu dürfen. Wir haben jenseits der Tagespolitik Handlungsempfehlungen entwickelt und eine sehr lange Analyse geschrieben, die auch von den Sachverständigen in großem Maße mitgetragen wurde; ich empfehle jedem, diese einmal intensiv zu lesen. Aber besonders stolz bin ich, dass wir gerade bei diesem schwierigen Thema elf Handlungsempfehlungen konsensual beschließen konnten. Ich hätte zu Beginn, ehrlich gesagt, nicht gedacht, dass wir das schaffen. Gerade beim Thema Datenschutz hat man den Eindruck, dass wir zwar ähnliche Vorstellungen betreffend die Ziele haben, nicht aber betreffend die Wege. Dass wir es dennoch geschafft haben, konsensuale Empfehlungen zu beschließen, fand ich ganz besonders toll. Deswegen einen herzlichen Dank an alle, die bereit waren, gemeinsam eine gelungene Formulierung zu finden. Für mich ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung besonders wichtig, aber auch Selbstdatenschutz und Medienkompetenz, über die wir in der Arbeitsgruppe „Datenschutz“ intensiv gesprochen haben. Der Selbstdatenschutz und die Medienkompetenz sind die wichtigsten Mittel, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können. Die Nutzer müssen informiert und aufgeklärt sein, um in der digitalen Welt die richtigen Entscheidungen zu treffen; denn nur dann können sie selbstständig und frei entscheiden, ob sie in etwas einwilligen, und zeigen, ob sie mit ihren Daten selbstbewusst und selbstbestimmt umgehen. Deshalb war das für uns ein ganz wichtiger Punkt. Diese Rechte müssen aber selbst ausgeübt werden können. Das Internet muss klar und transparent sein, damit man weiß, was man tut. Das ist etwas, was wir gefordert haben: Die nötigen Informationen müssen in der digitalen Welt vorhanden sein. Man muss diesen Informationen auch vertrauen können, um dann selbstbestimmt sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können. Oft fehlt es in den Angeboten im Internet an dieser Transparenz. Es bedarf daher weiterer großer Anstrengungen. Die christlich-liberale Koalition hat nicht zuletzt deshalb die Stiftung Datenschutz eingerichtet, die ihre Arbeit gerade aufgenommen hat. Sie wird wesentlich dazu beitragen, in der digitalen Welt zu mehr Transparenz und Selbstbestimmung beim Datenschutz zu kommen. ({2}) Ich möchte noch ganz kurz, Frau Präsidentin, sagen - das meiste hat Thomas Jarzombek gesagt -, dass die Projektgruppe „Internationales und Internet-Governance“ einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Aber wir haben leider auch feststellen müssen, dass das deutsche Parlament auf internationalen Treffen nicht oder nur durch den Kollegen Jimmy Schulz repräsentiert wird. Das muss anders werden. Nicht, dass Jimmy Schulz nicht ausreichen würde - er ist hervorragend -, aber ich wünsche mir, dass der Bundestag dort in größerer Zahl selbstbewusst vertreten ist. Ein letzter Punkt. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Werk nicht nur in Deutsch vorliegt und dass sich der Bundestag doch noch entscheidet, es zumindest ins Englische zu übersetzen, und zwar komplett. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist eine der wichtigsten Forderungen, die wir haben, damit jeder an diesem Werk teilhaben kann. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wissen von morgen“, das ist das Thema, das mich als Forschungs- und Netzpolitikerin der Linken am meisten interessiert und umtreibt. Wie schaffen wir es, möglichst allen Menschen dieses Wissen nach ihren Wünschen und nach ihren Bedürfnissen zu formen, und wie schaffen wir es, dass sie sich dieses Wissen aneignen können, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Lage? Deswegen wollte ich vor drei Jahren - da kann ich mich outen - unbedingt Mitglied dieser Internet-Enquete werden. Die Digitalisierung bietet vielfältige Werkzeuge und Wege, Wissen zu erarbeiten und auch zu teilen. Viele Open-Bewegungen rund ums Internet zeigen dies eindrücklich. Die Digitalisierung kann Wissen, Kultur und Lernen geradezu befreien, wenn, ja wenn wir es auch wirklich zulassen. In diesem Sinne habe ich mich für ein Urheberrecht eingesetzt, das die Verbreitung von Wissen in den Mittelpunkt stellt, ohne allerdings die Masse der Kreativen weiter im Existenzminimum und in Selbstausbeutung zu belassen. ({0}) Hier zeigte sich jedoch deutlich, dass den Regierungsfraktionen das künstliche Aufrechterhalten von nicht mehr zeitgemäßen Marktstrukturen allemal wichtiger war und dass sie sich einem modernen Modell der Wissensverbreitung verschlossen haben. Schon das alte Urheberrecht ist kaum in der Lage, Urheberinnen und Urhebern ein anständiges Auskommen zu ermöglichen. Warum, frage ich Sie, trauen wir uns hier in diesem Hause nicht, eine neue Rechtsordnung gemeinsam zu entwerfen, eine, die im Kern Nutzungsfreiheit und Vergütung von Kreativen zusammendenkt? Was bitte ist so schwierig daran? ({1}) Das hätte ich mir von der Enquete gewünscht. In diesem Sinne haben wir Linke auch gearbeitet. Wir fanden aber für unsere Vorschläge keine Mehrheiten. Nicht einmal bis dato unerhörte Allianzen konnten an diesen misslichen Mehrheiten etwas ändern. Wir Linke haben nämlich gemeinsam mit dem von der Union berufenen Sachverständigen Dieter Gorny von der Musikindustrie einen ausführlichen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie prekär die Lage der Kreativen in Deutschland ist. Dieser Bericht hat zumindest belegt, dass die Digitalisierung daran viel weniger Schuld trägt, als mancher Kulturpessimist heute noch behauptet. Auf Handlungsempfehlungen, wie dieser Missstand nun behoben werden könnte, wollten sich CDU/CSU und FDP dann doch nicht einlassen. Einmal mehr finden sich unsere Vorschläge in Sondervoten der Opposition zum Enquete-Bericht. Nichtsdestotrotz kann der neue Bundestag das alles aufnehmen. Erfrischend anders war die Situation bei den Themen Bildung und Forschung; das ist hier schon angeklungen. Hier haben wir fraktionsübergreifend gute und progressive Vorschläge gemacht, wie das Parlament Open Access, offene Hochschulen, freie Lehr- und Lernmaterialien, virtuelle Forschungsumgebung, E-Learning und vieles andere mehr unterstützen könnte. Hier haben wir gemeinsam gezeigt, dass eine Enquete-Kommission sehr sachorientiert nach vorne schauen kann. Ich hoffe deshalb inständig, dass wir als Parlament den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Urheberrecht für Wissenschaft und Forschung noch ordentlich nachbessern. Dieser Entwurf bleibt nämlich weit hinter den Forderungen der Enquete zurück. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, können in den zukünftigen Debatten hier im Haus den Beleg dafür liefern, dass die Enquete nicht umsonst gearbeitet hat. Es wäre zu schön, wenn die guten Vorschläge der Enquete-Kommission auch Gehör fänden und nicht nur in digitalen oder analogen Papierkörben landen würden. Dann hätte sich der riesige Aufwand, den meine Kollegen hier angesprochen haben, auch wirklich gelohnt. Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Tabea Rößner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das bin ich gar nicht gewohnt. Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines zeigt die Debatte deutlich: Die Internet-Enquete war eine Art Inkubator des Bundestages für Netz- und Medienpolitik. Wir haben mit hoher Geschwindigkeit und Konzentration einen riesi29254 gen Berg an Themen bearbeitet. Daher auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten! Wir alle sehen die Auswirkungen des Internets auf unser tägliches Leben. Die Enquete hat Fragen, die sich dadurch für die Politik stellen, mehr ins Zentrum des Parlaments gerückt. Ganz neu waren die Themen aber nicht. Seit Jahren werden Softwarepatente, Datenschutz oder E-Democracy im Unterausschuss „Neue Medien“ beraten. Dieser wurde schon in der vorletzten Legislaturperiode auf Initiative von SPD und Grünen eingerichtet. Nur nannte sich das noch nicht so schick wie heute „Netzpolitik“. Im Antrag zur Einsetzung einer Enquete hieß es unter anderem, die Enquete solle „die Auswirkungen der neuen Medien auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie auf Gesellschaft und Umwelt, Bildung und Kultur, Politik und Demokratie beurteilen“, unterzeichnet von Rudolf Scharping und Joseph Fischer 1995. Die technischen Grundlagen waren damals völlig andere, die Fragestellungen dagegen sehr ähnlich: Urheberrecht, Medienkompetenz, soziale Lage, Bürgerbeteiligung, Energieeffizienz, Wirtschaftspotenzial, das alles sind damals wie heute brennende Themen, und das werden sie auch noch bleiben. Es war daher überfällig, dass diese Themen erneut in einer Enquete behandelt wurden. Wir haben das digitale Rad nicht neu erfunden; das war aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir haben auf viele, aber nicht auf alle Fragen Antworten gefunden, und oft konnten wir uns eben auch nicht auf eine Antwort einigen. Mir kam es manchmal ein bisschen so vor, als hätten wir mit der Realität Hase und Igel gespielt. Erst vorgestern wurde eine Studie des BITKOM veröffentlicht, wonach die ständige Erreichbarkeit aufgrund der Digitalisierung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft Stress bedeutet. Die Grenzen zwischen Arbeitswelt und Privatleben verschwimmen zusehends. Über dieses Problem haben wir in der Projektgruppe „Wirtschaft, Arbeit, Green IT“ zwar diskutiert. Kreative Lösungsansätze, wie wir den Herausforderungen begegnen können, sind dagegen rar. So wie in diesem konkreten Fall ging es uns mehrfach. Statt echte Handlungsempfehlungen zu entwickeln, haben wir manchmal eben nur den Status quo beschrieben. Das lag nicht immer an unterschiedlichen Auffassungen, sondern auch am Thema, das uns in der Entwicklung ja immer drei Schritte voraus ist. Es wurden anfangs große Erwartungen in die Enquete gesetzt, insbesondere aus der Netzszene. Die Beteiligungsmöglichkeiten, die hier schon angesprochen wurden, waren neu und geradezu revolutionär für die alte Dame Bundestag. Bei einigen trat aber bald Ernüchterung ein, und ich kann so manche Enttäuschung verstehen. Wenn nach so intensiver Befassung mit dem Internet trotzdem so sinnlose Gesetze wie das Leistungsschutzrecht verabschiedet werden, dann ist das ein Rückschritt. ({0}) Dennoch geben wir dem nächsten Bundestag und der nächsten Bundesregierung eine Reihe von Aufgaben mit auf den Weg. In der Projektgruppe „Kultur und Medien“ zum Beispiel haben wir einstimmig beschlossen, die Depublikationspflicht bei Internetangeboten von ARD und ZDF abzuschaffen. Außerdem wollen wir Journalisten und Urheber gegenüber Verwertern besserstellen. Weil von der Regierung, Herr Otto, aber bisher kein Umsetzungsvorschlag kam, haben wir Grünen einen entsprechenden Antrag erarbeitet. Er wird demnächst zur Abstimmung gestellt werden. Da können Sie dann alle beruhigt die Hand heben. ({1}) Ich hoffe, dass wir oder nachfolgende Parlamente auch bei anderen Enquete-Themen noch einen Konsens finden werden. Wir werden es nämlich müssen. Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission im Jahre 2013 markiert nicht das Ende einer Reise. Er ist ein Zwischenschritt. Entscheidend ist nun, was wir daraus machen. Vielleicht werden wir in 10, 15 Jahren noch einmal eine Internet-Enquete-Kommission brauchen, und vielleicht können dann Kolleginnen und Kollegen wie Konstantin von Notz, Lars Klingbeil, Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Thomas Jarzombek, Jimmy Schulz, Manuel Höferlin und wie sie alle heißen oder ich den neuen, jungen MdBs erzählen, wie das damals so war, ({2}) als das Internet für uns alle noch so neu und aufregend war. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen und vor allem verehrte sachverständige Mitglieder der Enquete-Kommission, die heute zum Teil auf der Tribüne zu Gast sind und die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass wir den Bericht heute in dieser Form verabschieden können! Gemeinsam mit Ihnen ist es uns gelungen, die Debatte um die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung in der notwendigen Breite und Tiefe zu führen und damit von einer oberflächlichen, emotionsgeladenen Auseinandersetzung wegzukommen zwischen denen, die besonders kompetent sind, und denen, die sich bei allen neuen Fragen vermeintlich nur an die alten Regeln der Offlinewelt klammern. So einfach ist es nämlich nicht. Dass es nicht so einfach ist, zeigen die mehr als 2 000 Seiten des Berichts, die uns heute vorliegen. Das Interessante dabei ist: In den Texten geht es kaum um Technik, sondern darum, wie in einem sich ändernden Umfeld die unterschiedlichen Belange zum Beispiel von Nutzern und Urhebern, von Sicherheit und Bürgerrechten, von Wirtschaft und Verbrauchern, von großen und kleinen Unternehmen, aber auch ganz konkrete Belange von Inhalteanbietern im Internet und Inhalteanbietern im Rundfunk neu ausbalanciert werden müssen. Die große Leistung der Enquete liegt für mich vor allem in der Beschreibung und den Bestandsaufnahmen der Veränderungen durch die Digitalisierung. Dass auf Basis dieser Bestandsaufnahmen dann unterschiedliche Handlungsempfehlungen zustande kommen, verwundert nicht. Es gibt ja auch unterschiedliche Standpunkte in diesem Haus. Aber insbesondere mit den Bestandsaufnahmen haben wir eine sachliche Basis geschaffen, die es vorher in dieser Form nicht gab. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass sich Professor Ring als ehemaliger Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und Alvar Freude als Mitgründer des AK Zensur auf ein gemeinsames Leitbild einigen können, in welchem Verhältnis Jugendmedienschutz und Medienkompetenz zueinander stehen? In meinem Bereich, der Projektgruppe „Bildung und Forschung“, haben wir zum Beispiel intensiv das Themenfeld „Open Access im Wissenschaftsbereich“ bearbeitet und von allen Seiten beleuchtet. Wir haben im Konsens einen Vorschlag erarbeitet, der eine gute Grundlage für das nun anstehende Gesetzesvorhaben ist. An diesem Thema lässt sich beispielhaft der Wert einer solchen Enquete-Kommission aufzeigen. Der Wert besteht nämlich nicht darin, dass sich die Netzpolitiker aller Fraktionen an einen Tisch setzen und sich verständigen. Die sind sich ja oft sowieso alle einig. Der Wert besteht darin, dass sich die Netzpolitiker mit den zuständigen Berichterstattern der Fachausschüsse aus den Bereichen Bildung und Forschung, Recht, Innen, Wirtschaft, Verbraucher, Kultur und Medien, Familie - überall ist ja das Internet mehr oder weniger ein Thema - zusammensetzen und in einer Kommission Konsense erarbeiten, die dann auch über die Kommission hinaus tragen. ({0}) Das ist der Mehrwert. Solch ein Koordinierungsgremium zwischen den einzelnen Politikfeldern fehlt uns noch im Deutschen Bundestag. Was uns in Deutschland auch noch fehlt, ist eine Begleitung durch wissenschaftliche Einrichtungen, die dieses Thema, so wie wir es gemacht haben, interdisziplinär in allen Lebensbereichen bewerten und untersuchen und unabhängig von den kommerziellen Interessen großer Firmen sind. Ich hoffe, dass wir mit unserem Bericht, mit unserer Arbeit und auch den Empfehlungen in dieser Richtung die Gründung solcher Institutionen mit vorantreiben können. Die offene und transparente Arbeit in der EnqueteKommission - das ist hier schon mehrfach angesprochen worden - hat auch gezeigt, wie wertvoll die Beteiligung von Bürgern über das Internet sein kann. In den Projektgruppen, in denen ich war, haben wir die Vorschläge aus dem Internet eins zu eins in den Bericht übernommen. Natürlich haben sich nicht alle Fraktionen allen Handlungsempfehlungen aus dem Internet angeschlossen. Aber auch das haben wir transparent gemacht. Jeder, der sich über das Internet mit eingebracht hat, findet sich mit seinen Argumenten auch im Bericht wieder. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich über das Internet an unserer Arbeit beteiligt haben, die unsere Arbeit mitverfolgt haben, aber ich möchte mich auch bei denen bedanken, die uns hier im Haus tatkräftig unterstützt haben. Die Sachverständigen sind bereits alle namentlich genannt worden. Ich darf weiter die Mitarbeiter der Verwaltung, des Sekretariats, der Fraktionen und der Abgeordneten nennen. ({1}) Ohne deren große Unterstützung - zum Teil mussten wir bei unserer Arbeit ja auch auf Wochenenden zurückgreifen, weil wir es sonst nicht geschafft hätten, das Thema wirklich abzuschließen - wäre das nicht zu schultern gewesen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin stolz auf das, was wir in den letzten drei Jahren gemeinsam erreicht haben. Die Berichte, die der Kollege Höferlin uns gerade so plastisch gezeigt hat, sind nicht nur etwas zum Ins-Regal-Stellen, um dann später einmal unseren Nachfolgern zu zeigen, wie fleißig wir damals waren, sondern - ich sage es aus meiner Erfahrung - ich nehme die Berichte immer wieder zur Hand, wenn ich mir über ein Thema einen Überblick verschaffen möchte. Das ist eine gute Grundlage, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Ich kann jedem von Ihnen und jedem von euch empfehlen, das Gleiche zu tun. Es lohnt sich zu lesen. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, und herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion. ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, auch in meiner Eigenschaft als stellvertretender Kommissionsvorsitzender, zunächst ebenfalls den Mitarbeitern des Sekretariats, aber auch den Sachverständigen danken. Es hat Spaß gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Was die Sachverständigen betrifft, zumindest die, die von meiner Fraktion benannt worden sind, bin ich sicher, dass die fruchtbare und teil29256 weise auch sehr enge persönliche Zusammenarbeit mit ihnen über die Legislaturperiode hinausgehen wird. An uns soll es nicht scheitern. Ich möchte mich auch bedanken bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, stellvertretend für all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Fraktion, aber auch der anderen Fraktionen. Sie mussten zusätzlich zu dem Alltagsgeschäft, das sie für einen Bundestagsabgeordneten ohnehin bewältigen mussten, sehr viel Zeit in die Vorbereitung der Sitzungen der Arbeitsgruppen und der Sitzungen der Enquete-Kommission investieren. Auch ihnen sage ich noch einmal ausdrücklich meinen herzlichen Dank. Der Chefredakteur von Zeit Online hat einmal formuliert: Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ist die unterschätzte Keimzelle für die Erneuerung des Parlamentarismus. Dieses Zitat findet sich übrigens auch im Schlussbericht der Enquete. Ein anderer Kommentator hat formuliert: „Viel erreicht und doch versagt.“ Ich glaube, auch diese Qualifizierung der Enquete stimmt. Neben all den positiven Aspekten, die bereits benannt sind, sollte man hier auch den einen oder anderen kritischen Punkt nicht unter den Tisch fallen lassen. In vielen Bereichen ist die Enquete hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben, nicht was die Beschreibung des Ist betrifft, sondern was die Frage des Angehens von Zukunftsherausforderungen und Handlungsempfehlungen betrifft. ({0}) Insofern ist der Hinweis der Kollegin Zypries wichtig: Wichtige Ergebnisse der Enquete sind nicht nur das, was sich in den Mehrheitsbeschlüssen, in den Handlungsempfehlungen widerspiegelt. Zu oft mussten wir erleben, dass neben einer sehr allgemeinen Beschreibung dessen, was ist, und sehr vagen Handlungsempfehlungen mit den Koalitionsfraktionen nichts durchzusetzen war. Kritisch anmerken muss ich auch, dass für die, die gearbeitet haben, sehr oft der massive Einfluss der Wirtschaftslobby auf die Koalition zu spüren war. ({1}) Dies ging teilweise so weit, dass bereits konsertierte Texte zurückgezogen wurden, weil Wirtschaftsverbände damit nicht einverstanden waren. ({2}) Dass an vielen Stellen nichts ging, zeigt auch, dass Kompromissbereitschaft nicht vorhanden war. Vielleicht lag es auch daran, dass die Koalition intern sehr oft sehr viel Mühe darauf verwenden musste, untereinander Konsens herzustellen, und nicht mehr in der Lage war, ihr Vorgehen auch noch auf die Opposition, auf die Sachverständigen und die Fraktionen insgesamt auszudehnen. ({3}) Das sieht man allein daran, dass es trotz unterschiedlicher Positionen von SPD, Grünen und Linkspartei gelungen ist, in vielen Sondervoten eine gemeinsame Position zu verhandeln, und dies auch mit sehr viel Bereitschaft zu Kompromissen. Ich rate, sich im Bericht der Enquete nicht nur das anzuschauen, was der jetzigen Mehrheit im Parlament geschuldet ist, sondern auch das, was in den Sondervoten seinen Niederschlag gefunden hat. Ich persönlich bin davon überzeugt - das werden Sie mir nachsehen -, dass dies zukunftsweisender ist. Darüber hinaus ist es ein Fingerzeig darauf, was bei anderen Mehrheiten in diesem Hause möglich ist. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur einmal drei Bereiche: Bereich Datenschutz: Da geht es um die Stärkung der Persönlichkeitsrechte. Da geht es darum, ob per Gesetz garantiert wird, dass die Hoheit über die Daten bei den jeweiligen Personen bleibt, und dass sie nicht nur Gegenstand von Geschäftsmodellen wird. Beim Verbraucherschutz geht es darum, dass bei allem Interesse der Wirtschaft, Geld und Profit zu machen, der Schutz des Verbrauchers nicht auf der Strecke bleibt. Die Tatsache, dass es zum Verbraucherschutz keine einzige gemeinsame Handlungsempfehlung gibt, zeigt doch, dass in vielen Bereichen die Koalition den Verbraucherschutz offensichtlich etwas falsch verstanden hat, nämlich als den Schutz der Wirtschaft vor den Ansprüchen des Verbrauchers interpretiert. ({4}) Ich nenne ein anderes Beispiel, das Beispiel ITSicherheit. Wir alle wissen, dass die digitale Gesellschaft die Zukunft ist; das wird immer mehr Lebensbereiche durchdringen. Es wird in Zukunft darauf ankommen, dieses Instrument, von dem wir immer mehr abhängig werden, auch - ähnlich, wie das beim Automobil der Fall war - sicher zu machen. Da reicht es nicht, in die Handlungsempfehlung zu schreiben, wie das die Koalition getan hat: Wir bitten die Wirtschaft höflichst, etwas mehr über Sicherheit nachzudenken. Selbst der Vorstoß von uns: „Lasst uns über ein ITSicherheitsgesetz nachdenken!“, war mit der Koalition nicht konsensfähig. ({5}) Ihr eigener Innenminister ist anschließend gekommen und hat gesagt: Wir brauchen so etwas. - Auch das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig man an einigen Stellen bereit war, wirklich in die Zukunft gerichtet zu diskutieren. ({6}) Deswegen sage ich: Es ist nicht alles Gold, was glänzt an der EIDG. Aber insgesamt haben wir ein Kompendium vorgelegt, in dem - ich sage ausdrücklich: in vielen Bereichen leider nur in den Minderheitenvoten - zukunftsweisende Diskussionsanstöße für die Gestaltung einer demokratischen, verbraucherfreundlichen, sich am Menschen orientierenden digitalen Gesellschaft stecken. Dies gilt es in der öffentlichen Debatte und auch in der nächsten Legislaturperiode aufzugreifen. Da bin ich optimistisch. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe jetzt Sebastian Blumenthal das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Sebastian Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004013, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reichenbach, ich habe mich eben gefragt, in welcher Enquete-Kommission Sie wohl waren. ({0}) Die Äußerungen, die Sie hier gemacht haben, kann ich nur zurückweisen. Ich finde es schade; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Man kann etwas differenziert darstellen. Man kann aber auch völlig überziehen, und es kann ganz kleines Karo sein, was man auspackt. Sie haben uns von der Koalitionsseite unterstellt, wir seien allein von Lobbyistengruppen getrieben. Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Reichenbach: Ich käme nicht auf die Idee, der SPD-Fraktion Lobbyismus zu unterstellen, nur weil sie Vertreter von Gewerkschaften in die Enquete-Kommission berufen hat, die uns übrigens gute Hinweise gegeben haben. Das unterscheidet uns. Wir haben natürlich auch Wirtschaftsverbände dabeigehabt, weil das zum Sachverstand dazugehört. Auch der Einsetzungsbeschluss hat es hergegeben, dass wir uns Sachverstand von außen dazuholen. ({1}) Daraus jetzt die Legende zu stricken: „Gute Lobbyisten sitzen bei der SPD, böse Lobbyisten sitzen bei SchwarzGelb“, das diskreditiert Sie und Ihren Beitrag. - Diese Replik musste sein. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt auf einen inhaltlichen Punkt eingehen, nämlich auf das Thema Arbeitsmarkt, auf den Wandel in der Arbeitswelt. Das ist Thema in der entsprechenden Projektgruppe der Enquete-Kommission gewesen. Ich möchte für die FDPFraktion herausstellen, dass wir mit den Handlungsempfehlungen sehr gut leben können, weil darin dokumentiert ist, dass wir nicht vorauseilend regulieren, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass das sogenannte normative Beschäftigungsverhältnis nicht immer prägend sein wird. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es einen Teil der Wirtschaft gibt, wo einzelne Arbeitnehmer für sich entscheiden, dass sie selbstständig werden wollen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass im Bereich von Webentwicklung, Webdesign und Softwareentwicklung viele sagen: Eine Festanstellung ist für mich nicht das Ziel. Ich möchte in die Selbstständigkeit gehen. - Das, meine Damen und Herren, führt nicht immer gleich zu prekären Beschäftigungsverhältnissen. Es wurde ja versucht, Herr Kollege Reichenbach, im Rahmen der Enquete-Kommission dieses Zerrbild hier und da zu malen. Wir respektieren den Wunsch der Betreffenden, einmal eine andere Arbeitsbiografie zu leben. ({3}) Es wird immer Phasen geben, in denen man abhängig beschäftigt ist, manchmal eben unterbrochen von Phasen der Selbstständigkeit. Dies gehört zu einer Wirtschaftsund Arbeitswelt, die von digitalen Medien, von digitalen Formaten geprägt ist. Da macht es keinen Sinn, vorauseilend zu regulieren, sondern es gilt, Freiraum für die Entscheidung der Einzelnen im Rahmen ihrer Souveränität zu belassen. Ein zweiter Punkt ist - das ist aus der Projektgruppe zum Thema Wirtschaft; da haben wir noch viel zu tun; da haben wir aber auch Handlungsempfehlungen darstellen können -, das Bewusstsein für unternehmerisches Handeln auch hier in Deutschland weiter zu stärken. Es gab eine Delegationsreise des Unterausschusses „Neue Medien“ Anfang letzten Jahres in die San Francisco Bay Area. Wir haben dort mit deutschen Gründern gesprochen. Ich habe einen derjenigen gefragt: „Warum bist du in die USA gegangen, warum bist du nicht in Deutschland geblieben?“ Er hat ganz klar gesagt: „Wenn ich in Deutschland mit Ende 20 sage, ich möchte Unternehmer werden, ich möchte eben nicht die vermeintliche Sicherheit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, dann werde ich belächelt.“ Wenn er das in seinem persönlichen Umfeld gesagt habe, habe es etwas verschreckte Reaktionen gegeben. In den Vereinigten Staaten, in Nordamerika, gibt es eine andere Mentalität. Wenn wir uns immer wieder fragen, warum die ganz große Innovation, der ganz große Dynamikschub oft vom nordamerikanischen Markt kommt, dann hat das auch damit zu tun, dass wir unsere Mentalität und unsere Einstellung gegenüber diesen Gründern, diesen mutigen Unternehmern durchaus ändern sollten. ({4}) Dazu gehört auch, die sogenannte Kultur des Scheiterns zu respektieren, anzuerkennen. In den Vereinigten Staaten gilt das Scheitern im ersten Versuch als Erfahrungsgewinn. Dort gibt es die pragmatische, die zutreffende Formulierung: Wer einmal den Fehler gemacht hat, macht ihn kein zweites Mal, und er weiß, wie es beim nächsten Mal besser geht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege - 29258

Sebastian Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004013, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. Ich habe das Zeichen gesehen. - Auch das sollte uns hier weiter vorantreiben. Abschließend, meine Damen und Herren: Zu dem Fazit einer Zeitung, die Rebellion sei gescheitert - Jens Koeppen hat es vorhin erwähnt -, sage ich: Das Gegenteil ist der Fall, sie hat gerade erst begonnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Peter Tauber das Wort. Er hat auch etwas mitgebracht.

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber nur Papier. Ich habe das Internet weder unter dem Arm noch ausgedruckt mitgebracht. ({0}) - Im Herzen? - Na, jetzt wird es fast schon pathetisch, fast schon flauschig. Mal schauen, ob das am Ende meines Redebeitrags auch noch so ist. ({1}) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, drei Jahre Arbeit liegen hinter uns, drei Jahre Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich kann mich noch gut an den einen oder anderen Kommentar zu Beginn dieser Enquete, kurz nach oder auch vor dem Einsetzungsbeschluss, im Netz erinnern. Teilweise ein bisschen hämisch, teilweise belächelnd, so nach dem Motto: Jetzt reden die Internetausdrucker über das Netz. In der Tat, ich muss zumindest für mich feststellen, ich habe in den drei Jahren auch unheimlich viel gelernt. Ich bin schlauer als vor drei Jahren. Ich finde, dass es gut ist, wenn man in einer Enquete lernt, und ich denke, wir können für uns alle, ohne dass wir uns etwas vergeben, mit ins Resümee hineinschreiben: Wir haben etwas gelernt. Ob wir dabei den hohen Erwartungshaltungen, mit denen wir aus dem Netz konfrontiert worden sind, mit dem, was wir vorgelegt haben, mit der Art, wie wir mit dem Thema umgegangen sind, gerecht werden, weiß ich nicht genau. Ich glaube, dass wir da auch eine große Herausforderung vor uns hatten. Es gab die hohe Erwartungshaltung derjenigen, die sich im Netz wie selbstverständlich bewegen, die wissen, was da passiert, die schon sehr viel länger über die Folgen der Digitalisierung für unsere Gesellschaft nachdenken, und die gesagt haben: Jetzt muss die Politik etwas tun, jetzt müssen die sich bewegen im Parlament, und das muss schnell gehen. - In der Tat muss es bei vielen Fragen, mit denen wir uns beschäftigen, auch schnell gehen. Die Wahrheit ist aber auch, dass sich die Enquete vorgenommen hatte, dieses Thema aus der Nische herauszuholen - nicht deshalb, weil die Piraten zu der Zeit Wind in den Segeln hatten und für sie keine Flaute herrschte -, weil wir eben gemerkt haben, dass das ein Thema ist, das für die Zukunft unseres Landes existenziell ist. Wenn man will, dass alle Menschen diesen Weg mitgehen, sich auf die Risiken einlassen, auf die Veränderungen, die dadurch entstehen, einlassen, dann muss es auch ein Thema sein, das alle interessiert, und dann darf nicht nur eine kleine Gruppe, die sich gut auskennt, voranmarschieren. Wir haben genau das versucht. Wir haben versucht, das Thema wirklich an alle zu adressieren und nicht nur an die, die schon im Thema sind. Dabei haben wir wahrscheinlich auch die eine oder andere Enttäuschung bei dem einen oder anderen Nerd und Blogger produziert. Das mag so sein. Aber ich glaube, das müssen wir in Kauf nehmen. Denn am Ende ist das ja gelungen. Es ist inzwischen ein Thema, das alle beschäftigt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber von jeder Besuchergruppe, die hier ist, in jeder Veranstaltung, die man vor Ort macht, wird man inzwischen auf netzpolitische Fragen angesprochen. Das ist kein Nischenthema mehr, es ist in der Mitte des Parlaments angekommen, wie es auch - dazu haben wir sicherlich einen Teil beigetragen - in der Mitte der Gesellschaft als zentrales politisches Zukunftsthema angekommen ist. ({2}) Wir Abgeordnete haben dabei neue Arbeitsmethoden ausprobiert. Die Sitzungen sind gestreamt worden. Man musste damit leben, dass das, was man tut und sagt, unmittelbar und zeitnah kommentiert wurde. Man konnte die Kommentierung verfolgen. Daran musste sich der eine oder andere gewöhnen. Zugegebenermaßen ist das, gerade wenn Kritik geäußert wird, nicht gerade leicht. Wir haben auch erlebt, dass die Arbeit in der Enquete - ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, gerade bei denen der anderen Feldpostnummer, herzlich bedanken -, die Arbeit in den Sitzungen der Projektgruppen, unheimlich konstruktiv war. Wir haben in der Sache hart gestritten. Aber die Arbeit war konstruktiv. Für die Projektgruppe Netzneutralität, die ich leiten durfte, kann ich sagen: Es war spannend, zu sehen, wer fraktionsübergreifend bereit war, zusammenzuarbeiten, Textbausteine zu liefern, seitens der Sachverständigen, seitens der Abgeordneten. Das hat mir persönlich viel Freude gemacht. Aber die Wahrheit ist auch: Sobald die Kameras an waren, sobald die Sitzung öffentlich war, ist der eine oder andere in die gewohnten Rituale zurückgefallen. ({3}) Dann müssen wir uns fragen: Sind wir schon in der Lage, diese Instrumente bei der politischen Arbeit so zu nutzen, wie es im Idealfall sein sollte? - Ich glaube, dass das Parlament noch einen Lernprozess vor sich hat. Gerade habe ich allen Kolleginnen und Kollegen gedankt. Ich schränke den Dank nach den Wortbeiträgen, die ich gehört habe, noch ein. Ich wende mich noch einmal an die Freunde der Sozialdemokratie. Herr Reichenbach, nach Ihrem Wortbeitrag weiß ich, warum der eine oder andere in der Enquete Sie hinter vorgehaltener Hand den Troll der Enquete nennt. ({4}) Das sage ich Ihnen ganz offen an dieser Stelle. Frau Zypries, auch an Sie ein Wort: Es tut nicht gut, hier vorne so zu tun, als ob man alles verstanden hätte, alles wüsste und glaubt, die Kollegen der Regierungsfraktionen belehren zu müssen, wenn man eine der Mütter des Zugangserschwerungsgesetzes ist. Diesen Titel haben Sie. ({5}) Sie waren vielleicht nicht federführend, aber dabei. Der einzige, den ich ausnehme, ist der Kollege Klingbeil, den ich sehr schätze. Er hat sich bewusst zurückgehalten, weil er weiß, dass er an dieser Stelle stand und sagte: Wir werden im Bundesrat das Leistungsschutzrecht aufhalten. Er ist als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Deswegen war er hier sehr freundlich. So freundlich und so gut, lieber Lars, war auch die Zusammenarbeit im Plenum. Wir haben uns einige Dinge vorgenommen. Einer darf nicht passieren, dass wir Netzpolitik nämlich wieder zu den Akten legen. Wir haben über den Ausschuss geredet. Ich finde es schön, dass alle Fraktionen Konsens haben. Wir brauchen diesen Ausschuss. Ob ein Staatsminister oder ein Beauftragter im Kanzleramt für dieses Thema zukünftig zuständig ist, darüber können wir zu Beginn der nächsten Legislaturperiode sprechen. Ich glaube, es ist gut, neben der Tagespolitik, mit der wir uns beschäftigen müssen, auch ein Weißbuch zu schreiben, ein Cyberwhite-Paper, in dem wir festlegen, wohin wir im Zuge der Digitalisierung dieses Landes in den nächsten fünf oder zehn Jahren wollen. Dann können wir uns auch auf die entscheidenden Fragen konzentrieren. Dies war das Schöne in der Enquete. Wir haben es ab und zu geschafft, die Tagespolitik beiseitezuschieben, und uns gefragt: Was ist die Linie? Wohin soll es gehen? Das brauchen wir auch weiterhin. Neben aktuellen tagespolitischen Fragen geht es um die große Linie, wo wir mit der Digitalisierung unseres Landes hinwollen. Dies ist eine sehr große Chance, die wir gemeinsam nutzen müssen. Das hat die Enquete nach außen deutlich gezeigt. Deswegen ist sie für mich auch ein Erfolg. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 2010 war ich Vorsitzender der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, deren Arbeitsergebnisse wir heute debattieren. Wir blicken zurück auf 20 Kommissionssitzungen und nicht weniger als 179 Arbeitssitzungen der Projektgruppen. Insgesamt haben wir 13 Expertengespräche veranstaltet. Als Ergebnis unserer Arbeit legen wir 14 sach- und fachkundige Berichte vor. Ich sage das nicht ohne Stolz, und ich kann Ihnen versichern, zwischendurch war die Arbeit auch schwierig und mühsam. Auf anfänglichen Enthusiasmus folgte schnell die Phase der Ernüchterung. Aber wir haben uns zusammengerauft und uns so mancher Kontroverse gestellt. Umso mehr freue ich mich über die Ergebnisse. Es ist uns eine umfassende Aufarbeitung des Themenbereichs gelungen. Wir haben dabei Konflikte offen und klar aufgezeigt. Sicherlich gibt es auch Lücken - nichts ist perfekt -, aber ich persönlich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und danke allen, die an diesem Werk mitgewirkt haben: den Kollegen, den Sachverständigen, den Mitarbeitern und auch dem „18. Sachverständigen“. Besonders danke ich heute hier an dieser Stelle dem Leiter des Sekretariats der Enquete-Kommission, Herrn Ministerialrat Norbert Linn, der eine schlagkräftige Sekretariatsmannschaft zusammengestellt und zusammengehalten hat und über die Jahre hinweg ein verlässlicher und stets kompetenter Ansprechpartner war. ({0}) Ihnen persönlich und Ihren Mitarbeitern vielen Dank für Ihren unermüdlichen Einsatz! Ohne Sie alle wäre der Erfolg der Kommission so nicht möglich gewesen. Deshalb freue ich mich besonders, dass so viele von Ihnen heute gekommen sind und auf der Tribüne sitzen. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie die Debatte mitverfolgen. ({1}) Meine Damen und Herren, wie sich in der Debatte schon gezeigt hat, war unser Aufgabenfeld riesig. Wir haben zentrale Themen in Projektgruppen aufgearbeitet und jeweils Zwischenberichte mit Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber vorgelegt. Mit der Onlinebürgerbeteiligung hat die Enquete-Kommission Neuland betreten: Noch nie zuvor hat eine Enquete zum Beispiel grundsätzlich öffentlich getagt. Keine andere Enquete zuvor hat auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite Material veröffentlicht, hat Blogs, Forum und TwitterKanal bereitgestellt, mit EtherPads gearbeitet oder Livestreams der Sitzungen angeboten. Nicht alles hat sich bewährt. Wichtig ist jedoch, dass wir es probiert haben, dass wir neue Elemente ausprobiert haben, zusätzlich zu den etablierten und bewährten Arbeits- und Organisationsformen des Parlaments. Eine Sonderstellung nimmt hier sicher die Onlinebürgerbeteiligung über eine spezielle Bürgerbeteiligungsplattform ein. Auch hier konnten sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Sachverstand und ihrer Meinung in die Arbeit der Enquete einbringen. Die Projektgruppen haben anschließend jeweils für sich entschieden, welche Axel E. Fischer ({2}) dieser Vorschläge sie aufnehmen und in welcher Form sie diese verwerten. Meiner Meinung nach war diese Art der Onlinebürgerbeteiligung ein Gewinn, der das Erfolgsmodell der parlamentarischen Demokratie bereichert. ({3}) Es wird übrigens noch eine wissenschaftliche Evaluation der Bürgerbeteiligung durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag geben, auf deren Ergebnisse wir alle sehr gespannt sein dürfen. Meine Damen und Herren, die Digitalisierung unserer Gesellschaft wird unser Leben zunehmend prägen. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Umwälzung von großem Ausmaß, vergleichbar mit der Industrialisierung. Die Politik tut daher gut daran, dieses Thema im politischen Betrieb zentral zu verankern und nicht verkümmern zu lassen. Wenn wir nach vorne blicken, werden wir feststellen: Fragen der digitalen Gesellschaft stellen ein ebensolches Querschnittsthema dar wie etwa die Umweltpolitik. Einst als Nischenthema abgetan, werden Umweltbelange heute jederzeit mitbedacht und sind wesentlicher Bestandteil politischer Entscheidungen. Die Visionäre von damals waren Vorreiter. Der von uns empfohlene Bundestagsausschuss für Internet und digitale Gesellschaft, der auch in der Bundesregierung entsprechend abgebildet werden sollte, erscheint als passendes Mittel, um die Themen der Digitalisierung dauerhaft im Parlament, in der Politik und in der Gesellschaft zu verankern. Es ist an uns, hier und jetzt die entscheidenden Weichen zu stellen und die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken. Daran wollen wir gemeinsam weiterarbeiten. Die Arbeit der Enquete ist beendet, aber unsere Arbeit geht jetzt erst richtig los. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir haben damit die Zwischenberichte und den Schlussbericht zur Kenntnis genommen. Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Gabriele Lösekrug-Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Zeitsouveränität für Beschäftigte - Teilzeitarbeit gestalten - Drucksache 17/13084 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile, nachdem die Kollegin Andrea Nahles noch nicht anwesend ist - kommt sie denn noch? -, ({1}) als erster Rednerin der Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion das Wort.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Begriff „Teilzeitfalle“ ist unabdingbar mit der Teilzeitarbeit verbunden. Gemäß klassischem Verständnis bedeutet der Begriff „Teilzeitfalle“: Man kommt aus der Teilzeitarbeit nicht mehr heraus, und das ist unzweifelhaft ein Problem. Es gibt aber noch eine ganz andere Schwierigkeit. Es ist bei vielen Arbeitgebern extrem schwierig, nach einer Vollzeitbeschäftigung ein Teilzeitarbeitsverhältnis beginnen zu können. Das ist ein richtiges Problem für viele Frauen, die ihre alten Arbeitszeiten beispielsweise nach der Geburt eines Kindes nicht mehr einhalten können oder die überraschend durch den Pflegefall eines Angehörigen vor dem Problem stehen, Pflege erbringen zu müssen, das heißt, Teilzeit arbeiten zu müssen. Ich habe häufig erlebt, dass das mit einer Kündigung einhergeht. Das ist natürlich sehr unschön. Deshalb hat Rot-Grün erstmals im Jahr 2000 den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eingeführt. Das war und ist eine gute und richtige Sache. Es hat sich aber herausgestellt, dass es an der einen oder anderen Stelle praktische Probleme gibt. Damals haben wir den Rechtsanspruch an die Bedingung geknüpft, dass der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Literatur und Rechtsprechung sind sich allerdings einig, dass kein strenger Maßstab anzulegen ist. Zum Beispiel soll es ausreichend sein, wenn ein Arbeitgeber der Auffassung ist, dass Kunden in einem Geschäft immer den gleichen Ansprechpartner vorfinden müssen. Oder: Der Arbeitgeber kann sich sogar entschließen, überhaupt keine Teilzeit zuzulassen, wenn er dies nur einigermaßen plausibel begründet. Deshalb sind an dieser Stelle Änderungen angebracht. Teilzeit soll nach unserer Vorstellung in einem Betrieb nur noch dann abgelehnt werden können, wenn „dringende betriebliche Gründe“ vorliegen. Dabei handelt es sich um einen Begriff, den wir aus dem Kündigungsschutzgesetz kennen, mit dem man also gut umgehen kann. Auch dann, wenn betriebliche Gründe seitens des Arbeitgebers vorgetragen werden, soll der Arbeitgeber in bestimmten Konstellationen dennoch abwägen müssen, weil es natürlich auch aufseiten der Arbeitnehmer Konstellationen gibt, die Teilzeitarbeit zwingend erforderlich machen, beispielsweise wenn ein Kind unter 14 Jahren versorgt werden muss oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen sind. Wir kennen aus der Juristerei durchaus die Situation, dass die Belange von Arbeitnehmern zu berücksichtigen sind, beispielsweise wenn es um die Ausübung von Ermessen geht. Lassen sie mich zu einem zweiten Thema innerhalb der Teilzeitarbeit kommen: zur unfreiwilligen Teilzeit. Circa ein Fünftel aller Teilzeitbeschäftigten leistet unfreiwillig Teilzeitarbeit, weil kein Vollzeitarbeitsplatz zur Verfügung steht. Lassen Sie mich bei der Gelegenheit auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn man diejenigen einrechnet, die aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten Teilzeit arbeiten, käme man auf noch weitaus höhere Zahlen; aber das ist ein anderes Thema. Der Zeitumfang, den Teilzeitbeschäftigte mehr arbeiten möchten, beträgt, wie wir wissen, bei sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten im Regelfall vier zusätzliche Stunden, bei Minijobbern sogar neun Stunden. Hinter unfreiwilliger Teilzeitarbeit verbirgt sich vor allen Dingen ein Rentenproblem; denn langjährige Teilzeitarbeit oder gar ein Minijob führen zu Altersarmut. Deshalb haben wir bereits unter Rot-Grün den sogenannten Berücksichtigungsanspruch eingeführt. Wird ein Arbeitsplatz frei, ist der Arbeitgeber verpflichtet, Teilzeitbeschäftigte vorrangig zu berücksichtigen. Aber niemand kennt diesen Berücksichtigungsanspruch. An sich wäre eine Kampagne des Arbeitsministeriums oder des Familienministeriums dringend erforderlich. Wie beim ganzen Themenblock „Teilzeitbeschäftigung/ Rechte von Frauen“ gibt es aber auch hier nur Ankündigungspolitik; es gibt kein wirkliches Handeln der Ministerien. Lassen Sie mich zu dem Berücksichtigungsanspruch zurückkommen. Die diesbezügliche Rechtsprechung ist leider nicht unproblematisch. Nach der Rechtsprechung kann der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht verlangen, dass der Arbeitgeber, um einen Verlängerungswunsch zu erfüllen, einen freien Teilzeitarbeitsplatz mit dem bisherigen Teilzeitarbeitsplatz vereinigt oder den neu freigewordenen Arbeitsplatz anders zuschneidet. Das wollen wir ändern. Ich finde, das ist eine wichtige Sache. Es darf nicht heißen: einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Frauen müssen neue Chancen bekommen. ({0}) Lassen Sie mich abschließend ein drittes Problem ansprechen. Urteile zur Teilzeitbeschäftigung sind bislang nicht vorläufig vollstreckbar. Das ist für das Arbeitsrecht an sich etwas Atypisches. Es kann daher dazu kommen, dass Arbeitnehmerinnen Jahre darauf warten müssen, in Teilzeit gehen zu können. Dabei ist nur eine winzige Formulierungsänderung im Teilzeit- und Befristungsgesetz erforderlich. Auch diese Änderung würden wir gerne vornehmen. ({1}) Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Gesetz zur Schaffung von mehr Zeitsouveränität die Realität von Teilzeitbeschäftigten wesentlich verbessern würde. Heute haben Sie, meine Damen und Herren von der Union und der FDP, die Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte abgelehnt. ({2}) Sie sollten keinen weiteren politischen Sündenfall begehen und deshalb unserem Antrag zur Teilzeitbeschäftigung zustimmen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege Ulrich Lange. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das mache ich jetzt. ({0}) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Teilzeitarbeit ist inzwischen ein wichtiger Teil unseres Wirtschafts- und Arbeitslebens geworden. Ich gebe zu, liebe Kollegin Kramme: Als Rot-Grün damals das TzBfG verabschiedet hat, stand auch ich persönlich diesem Gesetz durchaus kritisch gegenüber. Heute können wir aber feststellen: Das TzBfG ist ein fester und anerkannter Bestandteil des Arbeitsrechts und bietet auch schon heute eine Chance, Zeitsouveränität auszuüben. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schon heute möglich, ihre Arbeit zu reduzieren oder zu verlängern. Es ist also nicht nötig, durch ein neues Gesetz in dem von Ihnen geforderten Umfang für angeblich mehr Zeitsouveränität auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Wir glauben, dass wir mit dem jetzigen Gesetz eine sehr gute Grundlage haben. Warum? - Lassen Sie mich dazu ein paar rechtliche Ausführungen machen, da Sie, liebe Kollegin Kramme, gerade gesagt haben, dass das, was Sie damals geschaffen haben, untauglich sei. § 8 TzBfG enthält schon die Bestimmung, dass der Arbeitgeber dem Verringerungswunsch zustimmen muss, außer es stehen betriebliche Gründe dagegen. Jetzt wollen Sie das Wort „dringend“ einfügen. Das Wort „dringend“ war in Ihrem damaligen Referentenentwurf enthalten. Sie selbst haben es im Jahr 2000 herausgenommen, ({1}) weil Sie die betrieblichen Notwendigkeiten genau erkannt haben. An dieser Stelle hat das BAG mit seiner Rechtsprechung angeknüpft, werte Kollegin Kramme. Durch die Rechtsprechung, die Sie als so problematisch erachten, sind die Gewichte längst verschoben worden, indem gesagt wurde: Es müssen wesentliche Beeinträchtigungen für die Arbeitsorganisation bzw. unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastungen entstehen, um dem Anspruch nach § 8 TzBfG nicht stattzugeben. Wir fassen zusammen: In § 8 TzBfG ist schon heute die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus stark. ({2}) Nicht anders sehen wir das bei § 9 TzBfG, dem Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit. Es ist richtig: Es gibt keinen bedingungslosen Anspruch. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass § 9 TzBfG anders als § 8 zum Beispiel keine Kleinbetriebsklausel kennt. Das heißt, in jedem Kleinbetrieb kann ich ohne Wartezeit sofort den Verlängerungswunsch stellen. Die Fallsituation, die Sie gerade beschrieben haben, dass die Arbeitsplätze nicht entsprechend zugeschnitten werden müssen, ist auf der einen Seite richtig, aber gerade Sie wissen doch, dass eine Umgehung des § 9 TzBfG nicht zulässig ist, sondern dass der Arbeitgeber im Zweifel arbeitsplatzbezogene Sachgründe nachweisen muss. Wir stellen also auch hier fest: § 9 TzBfG ist eine starke Norm, die eher den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Vorrang gibt. Auch den strengeren Maßstab habe ich: Indem Sie im Jahr 2000 das Wort „dringend“ nur in § 9 verwendet haben - ich hoffe, dies interessiert auch die Kollegin Kramme und die Kollegin Nahles -, haben Sie damals als Gesetzgeber diese Unterscheidung selber so getroffen. Nachdem Sie Mitbestimmung und Sanktionen angesprochen haben, möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Missachtung des § 9 TzBfG, also des Wunsches nach Verlängerung der Arbeitszeit, dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht gibt. Also besteht auch hier keine schwache Stellung. Was die Durchsetzbarkeit von Urteilen angeht, liebe Kollegin Kramme, kann ich Ihre Auffassung ebenfalls nicht teilen. Sie wissen, dass es im Falle der Besetzung der Stelle durch einen Mitbewerber einen Unterlassungsanspruch bzw. die Möglichkeit einer Konkurrentenabwehrklage gibt, und zwar im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Der volle Rechtsweg steht also offen. Für den von Ihnen beschriebenen Fall, dass das Arbeitsgericht feststellt, dass die Stelle rechtswidrig besetzt wurde, besteht ein Schadensersatzanspruch in voller Gehaltsdifferenz zur Vollzeitstelle. Jeder Arbeitgeber wird sich im gerichtlichen Verfahren also überlegen, ob er den Arbeitsplatz, wenn es zum Verfahren kommt, besetzt. Die prozessualen Möglichkeiten, die das TzBfG hier einräumt, sind also kein stumpfes Schwert. Sie selber wissen doch am besten, dass weit über 90 Prozent dieser Fälle beim Gütetermin erledigt werden. Wir haben - auch Sie sollten es haben - Vertrauen zu unseren Arbeitsgerichten. Natürlich gibt es Wünsche nach mehr Teilzeit und Wünsche auf eine Verlängerung der Arbeitszeit. Das ist zum einen eine Frage des Personalmanagements, und zum anderen hängt es damit zusammen, dass sich Beschäftigungszeiten entsprechend der Lebensumstände und der Qualifikation im Laufe eines Berufslebens verändern können und sollen. Genau dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, haben wir ja eine von Ihnen damals geschaffene Rechtsgrundlage. ({3}) Am Ende geht es immer um die Abwägung zwischen den Wünschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und den Eingriffen in Betriebsorganisation und unternehmerische Freiheit. Auch das bitte ich an dieser Stelle zu bedenken. Wo keine Vollzeitstelle da ist, kann auch ein Rückkehranspruch oder ein Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit per Gesetz sie nicht schaffen. Ich bitte auch, zu bedenken, was ein Rückkehranspruch für befristete Vertretungen bedeutet. Es darf am Ende nicht zu einem Verschiebebahnhof von der Teilzeitbeschäftigung in die Befristung mit Teilzeit kommen. Genau das ist der Schwachpunkt Ihres Antrags. ({4}) Wir kümmern uns um die Abwägungsparameter. Wir werden diese Diskussion offen führen. Aber im Hinblick auf den Fachkräfteengpass geht es auch um die Verantwortung der Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern solche Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen, durch die die gut qualifizierten Mitarbeiter in unserem Land gehalten werden können. Lassen Sie uns also auf diesem Weg weitergehen! Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Jutta Krellmann. ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Teilzeit- und Befristungsgesetz von 2000 sollte die Teilzeitarbeit fördern. In der Praxis damals war es nur schwer durchsetzbar. Jeder Praktiker, der nur gelesen hat, wie das gehen soll, hat festgestellt: So geht das nicht. Da bekommen wir Schwierigkeiten. Das lässt sich so überhaupt nicht umsetzen. Und heute? Es gibt wachsende Unordnung auf dem Arbeitsmarkt durch Flexibilisierung. Einerseits sind Menschen überlastet. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitstellen hat zugenommen, die Zahl der Überstunden auch. Menschen leiden unter zu langen Arbeitszeiten und wollen weniger arbeiten; aber sie können nicht. Andererseits gibt es immer mehr Menschen, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. Sie wollen mehr arbeiten, aber dürfen oder können nicht. Unterbeschäftigung bedeutet niedrigeres Einkommen. Viele Menschen sind arm trotz Arbeit: erstens, weil die Wochenarbeitszeit geringer ist, und zweitens, weil die Stundenlöhne von Teilzeitbeschäftigten in der Regel niedriger sind als die anderer Beschäftigter. Teilzeitarbeit muss nicht prekär sein, ist es aber oft. ({0}) Viele Teilzeitbeschäftigte beziehen ergänzende staatliche Leistungen, um über die Runden zu kommen, insbesondere alleinerziehende Frauen. Niedrigere Einkommen bedeuten niedrigere Renten. Unfreiwillige Teilzeitarbeit betrifft vor allen Dingen Frauen mit Kindern. Für sie heißt das: Die Abhängigkeit vom Mann, wenn sie einen haben, wird größer. Das alles sind Ergebnisse der unsäglichen Agenda-Politik der letzten Jahre. Was sind die Gründe für unfreiwillige Teilzeit? Hauptgrund ist das mangelnde Angebot an Vollzeitstellen. Viele Vollzeitstellen wurden ersetzt durch Teilzeitstellen. Ein Beispiel dafür ({1}) - würden Sie mir bitte einmal zuhören, liebe Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen? -: Im Einzelhandel hat die Zahl der Vollzeitstellen seit 1995 um ein Viertel abgenommen. Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Teilzeitstellen ist um ein Drittel gestiegen. Die Zahl der Minijobs hat sich verdoppelt. Unternehmen nutzen Teilzeit und Minijobs, um flexibler auf Schwankungen zu reagieren. Die Arbeit auf Abruf ist im Grunde eine Flexibilisierungskatastrophe für die Beschäftigten. ({2}) Der Arbeitsmarkt polarisiert sich zunehmend. Die Gesamtzahl der Arbeitsstellen hat zugenommen. Die Zahl der Vollzeitarbeitsstellen hat abgenommen, auch wenn Sie das gerne anders sehen möchten. Auch die Zahl der Teilzeitstellen, Minijobs und Befristungen hat parallel zugenommen. Die Menge der Arbeitsstunden in Deutschland ist gleich geblieben. Das sind die Ergebnisse der Agenda-Politik der letzten zehn Jahre, nachzulesen in der Antwort des Bundesministeriums auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion. Wir benutzen nur die Zahlen, die das Bundesministerium genannt hat, keine anderen. Was heute beklagt und korrigiert wird, ist das Ergebnis der Politik von SPD, Grünen, FDP und Union. Es hat eine regelrechte Umverteilung der Arbeit von Vollzeit zu Teilzeit gegeben. Deshalb sind viele Menschen zu wenig beschäftigt, obwohl sie es gerne anders wollen. Das ist Arbeitszeitverkürzung by Chaos und Verschwendung von Arbeitskraft in Zeiten des Fachkräftemangels. Zweiter Grund für unfreiwillige Teilzeit, vor allem von Frauen, ist die Betreuung und Pflege von Familienangehörigen und Kindern neben der Arbeit. Das zwingt zu Teilzeitarbeit, weil es viel zu wenige Kitaplätze gibt und weil in der Pflege kontinuierlich gespart wird. Wenn Kinder alt genug sind oder kranke Eltern nicht mehr gepflegt werden müssen, gelingt vielen Frauen die Rückkehr in Vollzeitarbeit nicht, weil es zu wenige Vollzeitstellen gibt. Frauen landen dauerhaft in der Teilzeitfalle. Das sind die beiden Hauptgründe für die unfreiwillige Teilzeitarbeit; das ist der größere Zusammenhang, in dem wir den heutigen Antrag der SPD diskutieren müssen. Die Vorschläge der SPD sind im Grunde gut, zum Beispiel der, dass es einen verbesserten Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit geben soll. Genau das hat im eigenen Gesetz aus dem Jahr 2000 gefehlt. Richtig ist auch, dass Menschen leichter in Teilzeit wechseln können sollen, wenn sie es wollen. ({3}) Deshalb unterstützt die Linke diese Forderungen. Aber wir vermissen ein Gesamtkonzept. Wir wollen das Problem der ungleichen Verteilung der Arbeit in seiner Gesamtheit anpacken. ({4}) Das Problem ist nicht nur durch einen individuellen Rechtsanspruch zu lösen. Allgemeine Initiativen zur Gestaltung der Arbeitszeit müssen her. ({5}) Eine neue Verteilung von Arbeitszeit durch allgemeine Arbeitszeitverkürzung würde helfen. In Gewerkschaften wird das Problem mit dem Stichwort „kurze Vollzeit“ diskutiert. Das fände ich richtig toll! ({6}) Auf tariflicher Ebene ist das auch schon erfolgreich ausprobiert worden, zum Beispiel mit der 28,8-Stundenwoche bei VW, in deren Rahmen an vier Arbeitstagen in der Woche gearbeitet wurde. Leider ist der Versuch beendet worden. Eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit wäre möglich, selbst ohne Lohneinbußen. Die Produktivität der deutschen Wirtschaft steigt Jahr für Jahr kontinuierlich. Die Umverteilung von Arbeit würde das Problem der Unterbeschäftigung vieler Teilzeitbeschäftigter entschärfen. Rückkehrrecht auf Vollzeit ist die eine Sache, aber auf welchen Arbeitsplatz, ist die andere. Arbeitszeitverkürzung macht es auch für viele Vollzeitbeschäftigte leichter, Familie und Beruf zu organisieren. Wir verhandeln hier im Bundestag nicht über konkrete Arbeitszeitregelungen - das ist Sache der Betriebsund Tarifvertragsparteien -, aber wir setzen die Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Arbeitszeitgesetz. Die Verringerung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit wäre ein Anfang. ({7}) Das Thema Arbeitszeitverkürzung muss wieder auf die Tagesordnung dieser Gesellschaft. Umverteilung von Arbeitszeit und Arbeitszeitverkürzung jetzt - dann hätten wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb das Wort. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Kramme, als ich den Antrag der SPD gelesen habe, habe ich mich wirklich gefreut. ({0}) Das kommt ja nicht allzu oft vor. Da steht in der Tat - und das sogar relativ prominent am Anfang -: „Teilzeitarbeit ist nicht per se gut oder schlecht.“ Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis, zu der die SPD-Fraktion da gekommen ist. ({1}) Das deckt sich im Übrigen mit dem, was ich hier schon öfters gesagt habe. Man sollte sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass es noch nicht allzu lange her ist, dass Teilzeitarbeit als große Errungenschaft gefeiert wurde, und zwar, wie ich sagen will, mit Recht. Frau Kollegin Kramme, vielleicht würde es sich lohnen, auch einmal über andere Beschäftigungsformen in Deutschland genauso konstruktiv nachzudenken. Sie könnten dann vielleicht zu dem Ergebnis kommen, dass auch Zeitarbeit durchaus eine Beschäftigungsform ist, die von bestimmten Personen angestrebt wird. Darüber hinaus könnten Sie feststellen, dass Minijobs, also geringfügige Beschäftigung, für viele Menschen in Deutschland die ideale Form darstellen, am Erwerbsleben auf dem Arbeitsmarkt teilzunehmen. Es ist jedenfalls nicht von vornherein abwegig, diese Überlegungen anzustellen und sich einmal dem Gedanken zu nähern, dass Menschen nicht durchgängig Opfer böser Arbeitgeber sind, welche sie nur in ausbeuterischer Absicht beschäftigen. Denn es gibt durchaus auch einen positiven Match zwischen dem, was Unternehmen an Arbeit anbieten, und dem, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Arbeit nachfragen. Das ist auch des Nachdenkens der Sozialdemokraten wert. Der Antrag, über den wir heute sprechen, ist mindestens ein erster Erfolg in dieser Richtung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Frau Kollegin Krellmann kann trotzdem nicht widerstehen und sagt: Teilzeitarbeit ist schlecht. - Dem Antrag der Kollegen von der SPD zufolge - ich unterstelle mal: Was da an Zahlen steht, ist alles richtig - würden, Frau Kollegin Krellmann, 20 Prozent der Teilzeitkräfte gerne kürzer oder länger arbeiten. Im Umkehrschluss - ich beherrsche die Prozentrechnung - heißt das aber, dass 80 Prozent der Teilzeit Arbeitenden mit dem Umfang ihrer Arbeitszeit zufrieden sind. ({3}) Ein Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeitet Teilzeit, 80 Prozent davon, wie wir gehört haben, genau in dem Umfang, wie sie es gerne hätten. Da muss ich sagen: Chapeau! ({4}) Das zeigt: Die Teilzeitarbeit funktioniert in den deutschen Unternehmen offensichtlich sehr viel besser, als Sie es sich vorstellen können, Frau Krellmann und liebe Kollegen von den Linken. ({5}) Übrigens: Auch 72 Prozent der Minijobber wollen gar nicht mehr arbeiten als genau in dem Stundenumfang, der mit einer geringfügigen Beschäftigung abgedeckt ist. Die Pfui-Liste, mit der Sie immer hantieren, und Ihr Gerede von prekärer Beschäftigung müssen Sie also wirklich noch einmal überdenken. Es gibt also auch abseits des unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnisses hervorragende Möglichkeiten, erwerbstätig zu sein. Die Menschen - das ist jedenfalls mein Eindruck, meine Beobachtung der Realität - suchen sich genau die Beschäftigungsform aus, die zu ihren individuellen Anforderungen passt. ({6}) - Die Zahlen sprechen doch dagegen: Wenn die Menschen, die gefragt werden, sagen, sie wollen gar nicht länger arbeiten, dann muss man annehmen können, dass es genau das ist, was sie sich selbst wünschen; ansonsten hätten sie sich doch anders geäußert. - Sie müssten eigentlich mich fragen, Frau Kollegin, ob das alternativlos wäre; das käme mir mit Blick auf meine Redezeit sehr zupass. ({7}) Ich will in der Kürze der Zeit aber noch einen zweiten Punkt ansprechen: Zwischen den Zeilen Ihres Antrags, Frau Kollegin Kramme, schimmert durch, wir müssten den Menschen helfen; am Ende sei das Ideal doch die Vollzeitbeschäftigung, und sei es eine verkürzte Vollzeit. In diese Richtung werden die Menschen bei Ihnen ein bisschen geschoben. ({8}) - Wenn man Ihren Antrag aufmerksam liest - ich lese es jedenfalls so zwischen den Zeilen -, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass Sie genau das beabsichtigen. Ich finde aber, dass der Staat hier nicht den Menschen vorschreiben sollte, was sie wollen müssen. ({9}) Ich finde, wir sollten den Menschen die Freiheit belassen, ihr Arbeitsverhältnis genau so zu gestalten, wie es ihnen vorschwebt. Das gelingt heute sehr gut. Wir haben, gerade aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, vier gute Jahre für Deutschland hinter uns: Wir feiern bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und bei der Erwerbstätigkeit Rekordstände, und das auch deswegen, weil wir das ganze Programm der Beschäftigungsformen in Deutschland akzeptieren. Wir fahren erfolgreich damit, und daran sollten wir nichts ändern. ({10}) Deswegen, Frau Kollegin Kramme, lehnen wir Ihren Antrag - so leid es mir tut, weil erstmals auch positive Ansätze zu erkennen sind - am Ende ab. Ich bitte um Verständnis. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Brigitte Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lange und Herr Kolb, ich bin angesichts Ihrer Beiträge irritiert. ({0}) Vor knapp einem Monat haben wir in diesem Parlament einen grünen Antrag zum Recht auf Rückkehr in Vollzeit behandelt, wobei die Reden zu Protokoll gegeben wurden. Ich habe das Protokoll noch einmal gelesen. Wissen Sie, was ich da fand? Ich fand eine fraktionsübergreifende Zustimmung dafür, dass es notwendig ist, flexible und familiengerechte Arbeitszeiten einzuführen, das heißt, dass es beim Teilzeit- und Befristungsgesetz Nachholbedarf gibt. ({1}) - Ich weiß nicht, welche Protokolle Sie lesen; ({2}) aber das ist ein Phänomen, Frau Connemann: dass Sie aus den Texten immer etwas anderes lesen als der Rest der Republik. ({3}) Dieses Grundsatzproblem können wir jetzt nicht lösen. ({4}) Was waren die Begründungen, im Übrigen auch von Ihren Fraktionen? Wir müssen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Wir müssen den Frauen bessere Chancen geben, eine eigene, vollständige Erwerbsbiografie aufzubauen. Interessant und richtig ist Ihre Anmerkung: Die Chancen der Betriebe auf ausreichend viele qualifizierte Fachkräfte müssen verbessert werden. Hier haben wir mit den Frauen ein erhebliches Potenzial. ({5}) Wir haben ja nicht nur in dieser Debatte, sondern auch in der Debatte heute Morgen über die Quote zur Kenntnis nehmen müssen, dass die inhaltliche Zustimmung noch lange keinen Abstimmungserfolg bedeutet. In Bezug auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz bin ich hier auch skeptisch; denn Frau Schröder und Frau von der Leyen haben zwar, wie ich gehört habe, einen Gesetzentwurf zum Rückkehrrecht auf Vollzeit in der Schublade, aber sie bringen ihn nicht ein. ({6}) Er verstaubt in der Schublade. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich für die Frauen hier wenig tut. Dabei ist der Handlungsdruck extrem groß. In keinem anderen Land in Europa ist die Arbeitszeit der in Teilzeit arbeitenden Beschäftigten so gering wie in Deutschland; sie liegt nämlich bei 18,5 Stunden. Das liegt natürlich an der unzureichenden Kinderbetreuung. Viele Paare, die ein egalitäres Lebensmodell gelebt haben, finden sich plötzlich in der klassischen Rollenverteilung wieder, wenn sie Kinder haben. Wenn die Frauen dann nach der Kinderphase auf eine Vollzeitstelle zurückkehren wollen, dann gelingt ihnen das in vielen Fällen nicht. Parallel dazu wächst der Fachkräftemangel. Das ist doch einfach absurd. Wir haben es hier nicht nur mit einem frauenpolitischen Problem, sondern auch mit einem großen volkswirtschaftlichen Problem zu tun. Der Fachkräftemangel kostet den Mittelstand jährlich 33 Milliarden Euro, Herr Kolb. ({7}) Ich frage Sie, wie lange wir uns das noch leisten wollen: Fachkräftemangel auf der einen Seite und auf der anderen Seite Frauen, die ihr Erwerbsvolumen ausweiten wollen und denen das nicht gelingt. ({8}) Daneben greifen wir auch in die Lebensentwürfe der Paare ein. Väter wollen heute weniger arbeiten, und Mütter wollen heute mehr arbeiten. Die betriebliche Wirklichkeit lässt das aber bei zwei Dritteln aller Unternehmen, die flexible Arbeitszeiten anbieten und sich da29266 bei ausschließlich an den betrieblichen Belangen orientieren, nach wie vor nicht zu. ({9}) Wir haben in Deutschland eine Arbeitskultur, die auf dauernder Verfügbarkeit und permanenter Anwesenheit beruht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehrieder?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin Pothmer, Sie haben gerade aus dem Protokoll des Bundestages repliziert, und zwar aus meiner Rede im Rahmen der Beratung Ihres Antrages am 21. März 2013. Ich darf Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, dass in meiner Rede, die zu Protokoll gegeben wurde, unter anderem folgender Passus zu finden ist: Dieser Tatsache wurde mit dem Bundeselterngeldund Elternzeitgesetz, BEEG, Rechnung getragen. Demnach haben Eltern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes einen Anspruch auf Elternzeit. Diese kann auch in einer Vereinbarung zur Verringerung der Arbeitszeit bestehen. Somit haben Eltern im Rahmen der Elternzeit einen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Zudem haben Arbeitnehmer in Teilzeit bereits heute ein Recht auf Verlängerung ihrer Arbeitszeit. § 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG, - dies wurde vom Kollegen Lange zutreffend zitiert begründet ein solches Recht, wenn sie diese ihrem Arbeitgeber anzeigen und keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Damit wurde die EU-Richtlinie 97/81/EG umgesetzt, die einen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung von Arbeitnehmern vorsieht, die einen Teilzeitwunsch geltend gemacht haben und ihre Arbeitszeit wieder erhöhen wollen. Stimmen Sie mir zu, dass genau das von Ihnen vermisste Recht auf Rückkehr zur Vollzeit tatsächlich bei der Beratung Ihres Antrags von uns hier zugestanden wurde?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe aus Ihrer Rede darüber hinaus aber nicht entnehmen können, dass Sie die Notwendigkeit sehen, den Frauen das Rückkehrrecht auf Vollzeit zu ermöglichen. ({0}) - Gut. Wir machen dann noch einmal eine gemeinsame Textexegese. ({1}) - Können wir uns darauf verständigen? ({2}) Ich würde jetzt aber gerne in meiner Rede fortfahren, es sei denn, Herr Lehrieder, Sie wollen jetzt sozusagen alle Protokolle vorlesen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob der Präsident das möchte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das würde ich nicht zulassen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Fahren Sie bitte mit Ihrer Rede fort.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir in Deutschland eine Arbeitskultur haben, die im Wesentlichen darin besteht, dass es eine allgemeine Verfügbarkeit ohne Grenzen und eine Präsenzpflicht gibt, die den Frauen die Beteiligung an der Erwerbsarbeit sehr schwer macht und die auch dazu führt, dass die Männer ihre Wünsche hinsichtlich kürzerer Arbeitszeiten nicht durchsetzen können. Jetzt will ich Ihnen das Ergebnis einer Umfrage mitteilen - Herr Lehrieder, hören Sie einmal genau zu -: ({0}) Jede vierte Frau ist inzwischen der Auffassung, dass es ein Fehler war, Elternzeit in Anspruch genommen zu haben. Herr Lehrieder, das kann doch wohl nicht wahr sein. Daran müssen wir etwas ändern. Das können auch Sie nicht bestreiten. ({1}) Ich glaube, wir brauchen ein völlig neues Normalarbeitsverhältnis, ({2}) ein Normalarbeitsverhältnis, das darauf aufgerichtet ist, flexibel auf die unterschiedlichen Lebensphasen zu reagieren. ({3}) Es ist mir klar, dass da zunächst einmal die Tarifparteien und die Unternehmen gefragt sind. Ich will an dieser Stelle aber noch einmal deutlich sagen: Das liegt auch im betriebswirtschaftlichen Interesse der Unternehmen, weil Untersuchungen sehr deutlich gezeigt haben, dass Unternehmen, die familienfreundliche Personalpolitik betreiben, davon betriebswirtschaftliche Vorteile haben. Deswegen liegt eine Neuregelung durchaus im wirtschaftlichen Interesse. Wir brauchen zusätzlich neue Rahmenbedingungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Die derzeitigen Regelungen - da hat die SPD vollkommen recht - haben sich in Teilen als Papiertiger erwiesen. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf. Ob diese Regelungen im Detail so aussehen müssen, wie die SPD das vorschlägt, werden wir im Ausschuss beraten. Die Richtung jedenfalls stimmt. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Ich stelle fest, dass aus dem zuständigen Arbeitskreis der Union für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik alle Mitglieder anwesend sind, bei den Sozialdemokraten sind es entsprechend nur drei reguläre Mitglieder. Dann stelle ich mir schon die Frage: Kann es sein, dass wir Ihre Anträge ernster nehmen als Sie selbst? ({0}) Mir ist es bei der Lektüre des Antrages ganz ähnlich ergangen wie dem Kollegen Kolb. Ich konnte mich daran erinnern, dazu einmal eine Presseerklärung gesehen zu haben. In der Presseerklärung vom 7. März 2012, die Sie, Frau Kramme, zusammen mit Frau Hiller-Ohm herausgebracht haben, heißt es: Teilzeit bedeutet meist … unsichere Arbeitsplätze … und unzureichende Alterssicherung. ({1}) Teilzeit macht arm und schadet besonders Frauen. Nun lese ich in Ihrem Antrag - Kollege Kolb hat es zitiert -: Teilzeit ist nicht per se gut oder schlecht. … Teilzeit kann außerdem dazu beitragen, Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({2}) Ich finde das wunderbar, Frau Kramme, dass Ihnen in der Opposition immer wieder neue Erkenntnischancen zufallen. Ich wünsche mir, dass das auch nach dem 22. September so bleibt. ({3}) Es ist in der Tat wahr: So richtig wissen wir gar nicht, wohin bei Ihnen die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Reise geht. Das haben wir sehr deutlich in der letzten Ausschusssitzung gesehen, als es um die Frage Hartz IV ging. Da haben Sie ziemlich herumgeeiert. Anstatt zu sagen: „Hartz IV war eine Erfolgsstory, wir stehen dahinter“, war das ein Wenn und Aber, hier und da eine Einschränkung, dort eine kleine Berichtigung. Man weiß also gar nicht so richtig, wohin bei Ihnen die Reise geht, was die Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland angeht. ({4}) Jetzt schaue ich in Ihr Wahlprogramm. Dort lese ich vor allen Dingen etwas über Steuermehrbelastungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. ({5}) Ihre Steuerpläne würden in kleinen und mittleren Betrieben - das Rückgrat der deutschen Wirtschaft; sie sind es, die Arbeitsplätze schaffen und das Einkommen von Millionen von Familien sichern - massiv Jobs kosten. ({6}) Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hat errechnet: Die roten Steuerpläne würden 1,4 Millionen Jobs kosten. Wir führen heute also die falsche Diskussion. Wir sollten nicht darüber diskutieren, ob in Deutschland mehr Teilzeit gearbeitet werden soll, sondern wir sollten darüber diskutieren, wie wir verhindern, dass Sie Millionen Jobs vernichten. ({7}) Eigentlich hätte der SPD-Kanzlerkandidat schon bei seinem Frankreich-Besuch sehen können, welche negativen Auswirkungen mit Steuererhöhungen verbunden sind. Das hat er nicht. Er hat sich lieber im Glanz sozialistischer Blütenträume gesonnt. Dabei ist gerade Frankreich mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit und seiner steigenden Arbeitslosigkeit insgesamt doch nur für eines ein Beispiel: für das Versagen des postrealen Sozialismus in Europa. Sozialismus muss man sich leisten können. Wir können es nicht. ({8}) Schon jetzt kommt die Blockade der SPD-geführten Länder im Bundesrat Steuerzahler und Staat teuer zu stehen. Die Blockade des Steuerabkommens mit der Schweiz kostet den Staat 9 Milliarden Euro im Jahr 2013. Mein Kollege Michael Meister hat heute Morgen zu Recht gesagt: Die SPD macht sich damit zum Anwalt der Steuerhinterzieher. - Die Anhebung des Grundfreibetrags kann zwar in Kraft treten. Aber die Blockade der Änderung des Steuertarifs, um Steuersprünge, also die kalte Progression, zu vermeiden, kostet die Arbeitnehmer 6,1 Milliarden Euro. ({9}) Meinem Empfinden nach liegt der SPD-Blockadepolitik im Bundesrat ein entscheidender Denkfehler zugrunde. Sie wollen die unionsgeführte Bundesregierung blockieren. Letztendlich blockieren Sie aber nicht diese, sondern die Arbeitnehmer, das Handwerk und die Unternehmen in diesem Land. Sie blockieren das Land, weil Sie sich schwertun mit der Erkenntnis, dass es den Menschen in Deutschland gut geht. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der Landzeitarbeitslosen ist gesunken. Deutschland weist die niedrigste Jugendarbeitslosenquote in der EU auf. Wir haben zudem einen Tiefstand im Hartz-IV-Bezug und einen Höchststand bei der Beschäftigung zu verzeichnen. Die Löhne steigen spürbar, insbesondere dort, wo die Tarifbindung hoch ist. Kurzum: Wir haben eine insgesamt gute arbeits- und sozialpolitische Gesamtsituation. ({10}) Das wollen wir als Union bewahren. Daher tun wir gut daran, die erfolgreiche Politik unter Bundeskanzlerin Merkel fortzusetzen. Unter dieser Regierung schließt sich die Einkommensschere wieder. Unter Rot-Grün hat die gesellschaftliche Ungleichheit zugenommen. Unter dieser Regierung haben die Menschen eine Perspektive. Unter Rot-Grün waren sie arbeitslos. Ich sage Ihnen, was dem Land guttun würde: Ihnen einige weitere Jahre der Zeitsouveränität in der Opposition zu gönnen. ({11}) Wir haben in den vergangenen Jahren behutsam die Fehler korrigiert, die Sie mit Ihren Reformen hinterlassen haben. Wir haben nachgebessert. Wir haben die Instrumentenreform gemacht. Wir haben die Organisationsreform angepackt. Wir haben dem Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung einen Riegel vorgeschoben. Wir werden auch anderen missbräuchlichen Praktiken einen Riegel vorschieben. Nun komme ich zu einem Thema, das auch mit Teilzeitbeschäftigung zu tun hat, ({12}) das mich aber mehr ärgert als Ihre Wahlkampfmanöver. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche werden von kirchlichen Arbeitgebern wie der Diakonie immer häufiger Minijobs mit der Übungsleiterpauschale kombiniert. Dabei wird eine Tätigkeit im Minijob zugleich als ehrenamtliche Leistung ausgewiesen. Die Diakonie drückt sich damit vor der Zahlung von Sozialabgaben für ihre Beschäftigten. ({13}) Es gibt inzwischen sogar spezielle Handreichungen, in denen kirchliche Arbeitgeber ihre örtlichen Dienste über diese Möglichkeit unterrichten. Neben Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten Trägern unterläuft die Diakonie mit dieser Praxis Anreizregelungen, die zum Ziel haben, eine vollwertige Arbeitsstelle zu schaffen. Mich ärgert besonders, dass der Missbrauch des Ehrenamtes klar zulasten der Beschäftigten geht. Nicht nur, dass die Beschäftigten um ein Normalarbeitsverhältnis gebracht werden: Auch die Gefahr, dass sie am Ende in Altersarmut landen, weil ihr Arbeitgeber Sozialabgaben sparen wollte, ist hoch. ({14}) Mich ärgert auch, dass diese Praxis auch von anderen kirchlichen Arbeitgebern betrieben wird. Hier brauchen wir aus meiner Sicht analog zur Schlecker-Klausel eine Diakonie-Klausel. Meines Erachtens sollte die Schande des Missbrauchs beim Namen genannt und verewigt werden. Sollte mich wieder einmal einer der häufigen Briefe von der Diakonie, anderen kirchlichen Trägern oder von den dahinter stehenden kirchlichen Würdenträgern erreichen, die mehr Gerechtigkeit einfordern, so empfehle ich ihnen Matthäus 7, Vers 3. Ich habe den Verdacht, darin liegt gerade für die kirchlichen Träger noch einiges an Erkenntnischancen. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Andrea Nahles. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das Teilzeitgesetz so ändern, dass es ein verlässliches Rückkehrrecht in Vollzeit gibt. ({0}) Mich erstaunt, dass Sie aufseiten der Union bei diesem Satz nicht klatschen, weil er wörtlich von Frau von der Leyen stammt, und zwar nicht etwa von vor zehn Jahren, sondern vom 28. Februar 2013. ({1}) Nun, das ist ja wunderbar. Ich sage Ihnen: Der Antrag der SPD gibt Ihnen heute die Möglichkeit, diesem Wunsch von Frau von der Leyen Rechnung zu tragen. Stimmen Sie unserem Antrag einfach zu, meine Damen und Herren von der Union! ({2}) Es ist übrigens auch deswegen wunderbar, weil wir an dieser Stelle sehr gut erkennen können, was hier eigentlich gerade passiert. Frau von der Leyen äußert irgendeinen schönen Satz, freundlich in die Kameras lächelnd, und die eigene Fraktion bekämpft dann genau das, was zur Umsetzung eines solchen Satzes notwendig ist. ({3}) Das passiert heute schon zum zweiten Mal. Wir haben es vorhin bei der Frauenquote ebenfalls erlebt. ({4}) Ich kann Ihnen nur sagen: 2001 war es die rot-grüne Bundesregierung, die den Rechtsanspruch auf Teilzeit gesetzlich eingeführt hat. Das war ein Meilenstein, das hat zu mehr Möglichkeiten geführt, die Arbeitszeit den Bedürfnissen insbesondere der Frauen anzupassen. Es hat mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten gebracht. Wir wissen aber auch, nachdem wir das jetzt über viele Jahre in der Praxis beobachtet haben - bitte argumentieren Sie hier nicht mit Gesetzestexten, meine Herren, sondern schauen Sie sich die Praxis an -, dass der Rechtsanspruch auf Teilzeit nur die eine Seite der Medaille war. Die andere Seite ist, dass wir, um Ihre Ministerin noch einmal zu zitieren, einen verlässlichen Rückkehranspruch auf Vollzeit hinzufügen müssen. Denn wenn eines klar ist, dann dies: Teilzeit ist zwar nicht von vornherein schlecht oder gut; aber dauerhafte Teilzeitarbeit ist eine Falle für Frauen. ({5}) Das ist eindeutig festzustellen. Sie führt dazu, dass man wirtschaftlich abhängig ist, weil man von dem Teilzeitentgelt auf Dauer eben nicht leben kann. Wer dauerhaft Teilzeit arbeitet, riskiert Armut, falls es eine Scheidung gibt, falls man in Arbeitslosigkeit gerät oder gar der Tod des Partners zu beklagen ist. Vor allem erreicht man damit nur Niedrigstrenten. Das ist doch klar: Wir produzieren bei dauerhafter Teilzeitarbeit auch Altersarmut. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, warum hierbei immer nur die Frauen die Hauptlast und das Risiko tragen müssen. Sie sind es, die überwiegend in Teilzeit arbeiten, weil sie sich immer noch mehrheitlich für die Familie einsetzen und weil sie immer noch mehrheitlich Kinder, Haushalt und Pflege übernehmen. Aber dann müssen wir ihnen die Möglichkeit eröffnen, aus dieser Teilzeit wieder herauszukommen, was viele ja auch unbedingt wollen. ({6}) Ich kann Ihnen wirklich aus meinem eigenen familiären Umfeld sagen: Auch bei meinen Cousinen erlebe ich, welche Steine ihnen massenhaft in den Weg gelegt werden und welche Ausreden sie sich anhören müssen. Da kann man immer sagen: Ja, im Gesetz haben wir doch alles schon geregelt. - In der Wirklichkeit funktioniert es aber nicht. Damit muss man sich doch einmal auseinandersetzen. Eines ist klar: Wir haben hier eindeutig die Situation, dass wir bei dem Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit in der Praxis Probleme haben. Es werden betriebliche Gründe angeführt, die die Umsetzung eines Teilzeitwunsches verhindern. Das wird natürlich auch massenhaft so gemacht, sodass viele ihr Recht nicht wahrnehmen. Hier eine Klarstellung vorzunehmen, ist bei der Durchsetzung dessen, was wir uns ursprünglich erhofft hatten, hilfreich. Ein weiterer Punkt. Wir wollen die Möglichkeiten zur Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung verbessern. Das betrifft vor allem diejenigen, die vorher schon in Teilzeit beschäftigt waren oder jetzt in Teilzeit beschäftigt sind. Die Betriebsräte müssen hier mehr Mitspracherechte erhalten. Wir wollen - das haben Sie offensichtlich überlesen, Herr Lange - ein Recht auf befristete Teilzeit. Damit kann dann auch der Arbeitgeber von vornherein sicher planen. ({7}) Wenn man von vornherein sagt: „Ich arbeite jetzt für zwei Jahre befristet in Teilzeit, dann komme ich wieder zurück“, dann ist das für alle Beteiligten eine klare Sache und ein klarer Rechtsanspruch. Genau das wollen wir hier durchsetzen. ({8}) Herr Kolb, Sie haben die Gestaltung von Zeitarbeit angesprochen. Das ist doch kein Problem.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lange, wollten Sie eine Frage stellen?

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte das jetzt gerade nicht. Weil Herr Kolb mich eben herausgefordert hat, darauf zu antworten, würde ich jetzt gerne dieses Argument aufgreifen. ({0}) Tragen Sie hier doch keine Eulen nach Athen. Verwechseln Sie uns doch nicht mit anderen Parteien hier im Hohen Haus. Wir sind nicht für ein Verbot der Zeitarbeit. Wir sind immer dafür gewesen, dass der Missbrauch von Zeitarbeit bekämpft wird. Das ist etwas ganz anderes, und das haben wir auch schon seit vielen Jahren vertreten. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ein Problem ansprechen, das mich zunehmend wütend macht: Frauenpolitik à la CDU/CSU und FDP, das ist eine Art Fata Morgana. ({2}) Es gibt nämlich immer nur eine große Ankündigung, einen großen Medientrubel und dann am Ende nichts als heiße Luft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Nahles, erlauben Sie trotzdem eine Frage des Kollegen Lange?

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Lange.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Nahles, nachdem Sie jetzt so ehrlich waren und den von mir angesprochenen Verschiebebahnhof eingeräumt haben, indem Sie sagten, es gebe dann Planungssicherheit für Arbeitgeber, kommen Sie genau zu dem, was ich Ihnen vorgehalten habe: Für die Zeit, in der die Arbeitszeit reduziert ist, wird der Arbeitgeber eine Vertretung befristet in Teilzeit einstellen.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich. Aber damit haben Sie im Endeffekt einen Verschiebebahnhof innerhalb des TzBfG. Sie haben nichts gewonnen. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das hat nichts damit zu tun, dass ich das nicht verstehe, Herr Kollege Zimmer. ({0}) Herr Kollege Lange, das würde ich an Ihrer Stelle nach Ihrer Rede jetzt wirklich nicht als Argument anführen. Tatsache ist: Aus meiner Sicht ist es die ganz normale Praxis, dass jemand durch eine andere Teilzeitkraft ersetzt wird, wenn er seine Arbeitszeit reduziert und der Bedarf an Arbeitszeit im Unternehmen noch da ist. Die Frage, über die wir heute reden, ist auch überhaupt kein Gegenargument gegen das, was wir hier vorschlagen, sondern das ist ein ganz anderes Thema. Was wir hier vorschlagen, ist doch eine simple Geschichte. Wir wollen nämlich versuchen, Frauen die Möglichkeit zu geben, nach einer Phase, die sie in die Familie oder in die Pflege von Angehörigen - welche Gründe sie auch immer haben - investiert haben, wieder eine Vollzeitbeschäftigung zu finden. ({1}) - Übrigens, es ist üblich, dass man stehen bleibt, solange auf eine vorher gestellte Frage geantwortet wird. ({2}) Jüngste Untersuchungen besagen - das wissen Sie doch auch -, dass nur Vollzeitbeschäftigte Karrierechancen haben und dass nur bei Vollzeitbeschäftigten die Qualifizierung hundertprozentig funktioniert. Darum geht es. ({3}) Dass hier eine Ersetzung vorgenommen wird oder ein Kreislauf bzw. Austausch stattfindet, ist nicht das Thema. ({4}) Ich kann Ihnen nur sagen: Unser geplantes Gesetz schafft mehr Planungssicherheit, auch für die Arbeitgeber, wenn wir von vornherein eine befristete Teilzeit vorsehen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass hier mehrere Dinge zusammenkommen. Ich bin mir dessen bewusst, dass ein Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit nicht alle frauenpolitischen Probleme auf dem Arbeitsmarkt löst. Hinzukommen muss endlich auch ein Gesetz zur Entgeltgleichheit. Dazu haben wir Vorschläge gemacht. Hinzu kommt aus meiner Sicht auch das Steuerrecht. Hier privilegieren wir immer noch einseitig vollzeiterwerbstätige Männer, deren Ehefrauen in Teilzeit arbeiten. Leider gibt es auch 3,1 Millionen Frauen, die nur in Minijobs arbeiten. ({5}) 34 Prozent davon üben diese Minijobs schon über zehn Jahre lang aus, und von denen sagen viele, dass sie gerne aus dieser Teilzeitfalle herausgekommen wären. Aus meiner Sicht ist es daher dringend erforderlich, dass wir uns das Gesamtfeld anschauen, um die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen in der Summe zu garantieren. Es gibt ja viele Frauen, die erwerbstätig sind; aber sie sind vor allem in Teilzeit und Minijobs tätig. Das ist der Befund, und das ist unbefriedigend. ({6}) Wenn wir schon, wie wir heute gesehen haben, hinsichtlich der Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Aufsichtsräte von Ihnen hier nichts zu erwarten haben - man braucht ein Fernrohr, um irgendwo am Himmel die Frauenquote zu sehen -, dann helfen Sie uns mit Blick auf Millionen von Frauen, wenigstens die Rechte im Bereich Teilzeit zu stärken. Dann könnten wir auch in Ihrer Regierungszeit so etwas wie einen kleinen Fortschritt für Frauen erkennen. Da Sie Ihrer Ministerin nicht helfen wollen, ihre Wünsche zu erfüllen, ({7}) kann ich angesichts Ihres Nichtstuns momentan nur die Möglichkeit erkennen, dass Sie sich die nächsten fünf Monate noch irgendwie durchwurschteln. Wir werden für eine sozialdemokratisch geführte Regierung sorgen. Das wird den Frauen in Deutschland jedenfalls viel mehr Rechte bringen als das, was Sie hier anzubieten haben, nämlich nichts. Sie haben keine Vorschläge vorgelegt. Wir sind die einzige Partei, die konkrete Vorschläge zur Verbesserung dieser Situation macht. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, liebe Frau Nahles, wenn Sie fordern - das tun Sie ja explizit in Ihrem Antrag -, dass der Arbeitnehmer das Recht hat, anzukündigen, dass er für einen begrenzten Zeitraum - zwischen sechs Monaten und fünf Jahren - seine Arbeitszeit reduziert, dann bedeutet das automatisch - Frau Nahles, lassen Sie es sich von mir erklären; Frau Kramme hat es mit dem Schreiben dieses Antrags offensichtlich nicht geschafft -, ({0}) dass der Arbeitgeber diese Zeit durch ein weiteres Arbeitsverhältnis ausgleichen muss. Dieses Arbeitsverhältnis ist notwendigerweise eine Teilzeitstelle, und zwar eine befristete. Jetzt möchte ich Sie an eines erinnern, Frau Nahles, Frau Kramme und liebe SPD: Sie haben im Mai 2010, also in dieser Legislaturperiode, einen Antrag eingebracht, in dem Sie sich darüber beklagt haben, dass es zu viel befristete Beschäftigung in Deutschland gebe. Ich darf einmal zitieren: Wir brauchen mehr Sicherheit im Erwerbsleben. Prekäre Beschäftigung auf Zeit nimmt in Deutschland zu. Deshalb - jetzt hören Sie zu müssen befristete Arbeitsverträge auf das Notwendige zurückgedrängt werden. Wenn, wie Sie wollen, möglichst viele Menschen der Forderung in Ihrem heutigen Antrag nachkommen, würde das automatisch bedeuten, dass andere Menschen befristet eingestellt werden. Insofern widerspricht Ihr Antrag dem von vor drei Jahren. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wir sind von Ihrem Kanzlerkandidaten gewohnt, dass bei ihm heute nicht mehr gilt, was er gestern gesagt hat. Aber dass Ihre ganze Fraktion diesem Beispiel folgt, das kann ich Ihnen nicht empfehlen. Bleiben Sie konsequent in Ihren Aussagen. Stehen Sie zu dem, was Sie gestern gesagt haben, jedenfalls dann, wenn es richtig ist; allzu häufig ist es leider falsch. Ich empfehle Ihnen, auch die nächste Wahlperiode von den Plätzen der Opposition aus zu verfolgen und zu begutachten, wie hier ordentliche Politik gemacht wird. Die vergangenen dreieinhalb Jahre, die wir regiert haben, waren nämlich gute Jahre für Deutschland. ({2}) Sie müssen noch weiter hinzulernen, bevor Sie hier die Verantwortung übernehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig - dazu bekennt sich auch diese Bundesregierung -, dass wir die Möglichkeiten verbessern müssen, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln oder Teilzeit zu arbeiten. Wenn Sie das Fachkräftesicherungskonzept der Bundesregierung gelesen haben, dann haben Sie gesehen, dass wir diese Herausforderung dort klar benannt haben und uns auch dieser Verantwortung stellen. Wenn aber richtig ist, dass nur 20 Prozent derjenigen, die Teilzeit arbeiten, deshalb nicht Vollzeit arbeiten können, weil sie keinen Vollzeitarbeitsplatz finden, und dass 80 Prozent derjenigen, die Teilzeit arbeiten, offensichtlich andere Gründe dafür haben - Sie selber schreiben das in Ihrem Antrag -, dann muss man dazu zweierlei sagen: Erstens. Wir brauchen eine wirtschaftliche Dynamik, in der mehr Vollzeitarbeitsplätze entstehen. Deshalb sind Ihre Steuervorschläge, wie der Kollege Dr. Zimmer zu Recht angemerkt hat, völlig falsch und gehen an dem Problem völlig vorbei. Durch ihre Umsetzung würde das Problem verschärft. Zweitens. Man muss fragen, was die Gründe dieser 80 Prozent dafür sind, dass sie freiwillig, jedenfalls nicht wegen des Arbeitgebers oder wegen des Fehlens einer Vollzeitstelle, Teilzeit arbeiten. Es gibt in der Tat einige, die sagen: Es fehlt an einer geeigneten Betreuungsinfrastruktur entweder für zu betreuende Kinder oder für zu pflegende Angehörige. Diese Bundesregierung hat wie keine zweite zuvor diese Verantwortung angenommen, hat wie keine zweite zuvor in den Ausbau der Kinder29272 betreuung investiert und hat auch im Bereich der Pflege einiges auf den richtigen Weg gebracht. In den nächsten vier Jahren werden wir das fortsetzen. Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland. Die nächsten vier Jahre werden es auch sein, wenn wir, CDU, CSU, FDP, gemeinsam weiterhin die Regierung stellen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Gitta Connemann. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Des einen Freud’, des anderen Leid. - Dieser Satz fiel mir beim Lesen Ihres Antrags ein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Es geht zunächst um Änderungen des Teilzeitrechts. Eltern sollen mehr Ansprüche erhalten: zwingende Ansprüche auf Verringerung der Arbeitszeit und ein Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit. Ohne Frage, das hört sich gut an. ({0}) Wir alle kennen sicherlich Fälle, in denen der Kinderwunsch zur Karrierefalle geworden ist. Ohne Frage: Wer Familien stärken will, muss ihren Bedürfnissen gerecht werden, auch und gerade in der Arbeitswelt. Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Flexibilität, die einen, um Beruf und Familie in Einklang zu bringen, die anderen übrigens für ihre individuelle Lebensplanung. Dafür haben wir als Gesetzgeber in dieser Koalition einiges getan. Ich nenne nur beispielhaft die Vätermonate und die Familienpflegezeit für die Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger. Aber auch die Betriebe haben reagiert. Seit der Unterzeichnung der Charta für familienbewusste Arbeitszeiten gibt es deutliche Fortschritte in Deutschland. Heute bieten über 70 Prozent der Unternehmen familienfreundliche Maßnahmen an. Sie ermöglichen Zeitsouveränität zum Beispiel durch Staffelung der Arbeitszeiten, individuelle Festlegung von Wochenarbeitstagen, flexible Pausen und das Angebot der Teilzeitarbeit - dauerhaft oder befristet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben es ja in unseren eigenen Betrieben, unseren Abgeordnetenbüros: Gerade die Teilzeitarbeit ist in manchen Lebensphasen begehrt und hilft übrigens auch, persönliche Wünsche und Ziele zu erreichen. Ich bin sehr froh, dass die SPD das inzwischen auch erkannt hat. In vielen Anträgen der letzten Jahre wurde die Teilzeitarbeit immer wieder als atypisch, als prekär gegeißelt. ({1}) Dass die SPD inzwischen festgestellt hat - ich zitiere -: „Auf die Lebenslage kommt es an: Teilzeitarbeit ist nicht per se gut oder schlecht“, ({2}) das ist ein Fortschritt, und ich gratuliere zu dieser Einsicht. ({3}) In rund 80 Prozent der Betriebe gibt es Beschäftigte, die in Teilzeit arbeiten. Das ist übrigens in den meisten Fällen das Wunschmodell. Dies gilt übrigens auch für mein Büro. Von meinem Team arbeiten eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter in Vollzeit, zwei arbeiten 30 Stunden, und ein Mitarbeiter arbeitet 20 Stunden, übrigens nicht deshalb, weil ich das diktatorisch vorgegeben habe, sondern deshalb, weil wir es so vereinbart haben, und zwar zu Beginn des Arbeitsverhältnisses, aber auch danach. Eine Mitarbeiterin bekam ein Kind. Ein Mitarbeiter überlegte sich, zu promovieren. Dann haben wir im Team besprochen, wie die Lösung aussehen kann; denn der Wunsch des einen muss von den anderen geschultert werden: ({4}) durch die Einarbeitung neuer Kollegen, durch die Übernahme weiterer Aufgaben. Deswegen: Des einen Freud’, des anderen Leid. Meine Damen und Herren, wenn auch nur ein Mitarbeiter in einem kleineren Betrieb oder in einer Abteilung in Teilzeit wechselt, ist das für die anderen spürbar ohne Frage. Als verantwortungsbewusster Arbeitgeber wird ein Betrieb solche Teilzeitwünsche ermöglichen, aber er wird auch dafür sorgen, dass ein Ersatz eingestellt wird, damit die anderen Mitarbeiter nicht im Regen stehen. Es geht bei diesen Wünschen also immer um einen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber auch zwischen den Mitarbeitern. Dem wird das Gesetz, das wir derzeit haben, gerecht. Das konzediere ich auch der damaligen rot-grünen Fraktion, die es auf den Weg gebracht hat. ({5}) Denn alle Belange können berücksichtigt werden, und es gibt schon heute das Recht auf Teilzeit und auch das Recht auf Verlängerung - das hat der Kollege Uli Lange hervorragend dargestellt -, ({6}) allerdings eben nicht um jeden Preis, nicht unbedingt. Genau das wollen jetzt die SPD-Kolleginnen und -Kollegen: einen bedingungslosen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit und ein zwingendes Recht auf Rückkehr in die Vollzeit. Damit wären wir dann wieder beim Anfang: Des einen Freud’, des anderen Leid. Solche Regeln mögen den unmittelbar Betroffenen helfen. Alle anderen leiden jedoch unter der unkalkulierbaren Flexibilität. Den Preis zahlen nämlich nicht nur die Betriebe, sondern auch die anderen Arbeitnehmer und insbesondere die Ersatzkräfte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Connemann, Frau Pothmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das?

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit macht mir die Kollegin Pothmer eine große Freude. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Connemann, da Sie es ja sonst im Leben nicht so leicht haben, mache ich das gerne. ({0}) Frau Connemann, wir - und auch Herr Lehrieder haben von Ihnen gehört, es gäbe bei der Frage des Teilzeit- und Befristungsgesetzes keinen Regelungsbedarf; das sei ja schon in der letzten Debatte angeklungen. Darf ich Sie fragen, ob ein Zitat aus der Rede von Herrn Lehrieder nicht möglicherweise auch aus Ihrer Sicht einen Hinweis darauf geben könnte, dass auch Herr Lehrieder der Ansicht ist, dass es vielleicht doch Handlungsbedarf beim Teilzeit- und Befristungsgesetz gibt? ({1}) Ich zitiere: Unser Ziel ist es, dass auf lange Sicht die Entscheidung zwischen Karriere und Familie überflüssig wird und beides Hand in Hand geht. ({2}) Als weiterer Schritt in diese Richtung muss natürlich auch die gesetzliche Regelung der Rückkehr zur Vollzeit angedacht und diskutiert und überprüft werden, ob das geltende Teilzeitrecht - das Teilzeit- und Befristungsgesetz noch den Anforderungen unserer modernen Arbeitsgesellschaft in ausreichendem Maße Rechnung trägt. ({3}) Ich frage Sie, Frau Connemann: Könnten Sie sich dieser, wie ich finde, klugen Auffassung von Herrn Lehrieder anschließen? ({4})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zitate des Kollegen Lehrieder sind für mich immer außerordentlich erleuchtend. Sie sind in diesem Fall für mich nicht besonders überraschend, weil ich ja - anders als Sie - das Protokoll gelesen hatte und es auch mitgebracht habe. Ich bin froh, dass Sie das jetzt nachgeholt haben und das Protokoll mittels der modernen Technik über Ihr iPhone aufgerufen haben. Das ist gut. ({0}) Ich finde, an den Aussagen des Kollegen Lehrieder ist nicht nur nichts auszusetzen, sondern ich würde sie auch unterzeichnen. Als Gesetzgeber steht es uns immer nicht nur gut zu Gesicht, sondern es ist auch unsere Pflicht, zu überprüfen, ob gesetzliche Rahmenbedingungen noch der aktuellen Wirklichkeit entsprechen. Dazu gehört auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das wir an jeder Stelle überprüfen. Das gilt übrigens auch bezüglich des § 8, wenn es um Themen wie die Sachbefristung, die Befristung bei Älteren oder auch um Fragen der sachgrundlosen Befristung geht. In diesem Fall haben wir uns außerordentlich gut mit der Vorlage der SPD, aber auch mit Ihrem Vorschlag auseinandergesetzt. Wir haben es geprüft, wir haben es diskutiert und kommen zu dem Ergebnis: Wir befinden es für zu leicht. ({1}) Denn solche Regelungen schaden nicht nur den Betrieben. Ich will nicht auch noch davon sprechen, wie brachial in die Vertragsfreiheit eingegriffen wird. Solche Güter scheinen hier im Hause kaum noch zu interessieren. Aber der Blick auf die betriebliche Praxis sei mir gestattet, und das hätte ich den Kolleginnen und Kollegen auch sehr empfohlen. Eine Arbeitszeitverkürzung kann nur durch eine befristete Ersatzkraft oder eine Reorganisation bewältigt werden. ({2}) Aber was ist mit der Personalplanung, wenn unsicher ist, wann und wie viele Teilzeitarbeitnehmer mit dem Wunsch auf Vollzeit anklopfen? ({3}) - Frau Nahles, ich gestatte Ihnen gerne, eine Zwischenfrage zu stellen. ({4}) - Aber hören Sie auf, zu quaken. Damit tun Sie uns allen einen Gefallen. ({5}) Was ist mit der Personalplanung, wenn unsicher ist, wann und wie viele Teilzeitarbeitnehmer mit dem Wunsch auf Vollzeit anklopfen, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen ohne eigene Personalabteilung? Wenn der Betrieb damit rechnen muss, dass alle Teilzeitkräfte jederzeit wieder eine Vollzeitstelle einfordern können, kann er nur eines machen: Er muss befristet einstellen, er kann Minijobs basteln, und er kann auf Zeitarbeit zurückgreifen. Leidtragende sind in diesem Fall immer die jungen Arbeitskräfte, die ohnehin oftmals von einem befristeten Vertrag in den nächsten rutschen und sich auch deshalb manchmal gegen Kinder entscheiden. - Des einen Freud’, des anderen Leid. Mehr Flexibilität für Eltern hat eine Kehrseite, nämlich weniger Sicherheit für andere, liebe Frau Kollegin Nahles. Sie führt zu den Arbeitsverhältnissen, die Sie sonst in diesem Haus immer geißeln. Das ist nicht nur ein kreativer Umgang mit der Wahrheit, sondern es ist im großen Maße unseriös und ein Verschiebebahnhof, dem Sie die Grundlage geben wollen. Das ist mit uns nicht zu machen. ({6}) Ein solches Gesetz hätte einen furchtbar hohen Preis. Die Frage ist: Wäre es überhaupt erforderlich? Denn Vereinbarungen über die spätere Ausweitung der Arbeitszeit sind auch heute schon möglich, wenn sich beide Seiten einig sind. Dies liegt übrigens im existenziellen Interesse der Arbeitgeber. Betriebe, die keine flexiblen befristeten Teilzeitmöglichkeiten anbieten, geben Wettbewerbsvorteile preis. Sie verlieren Fachkräfte - und das in einer Zeit des Fachkräftemangels. Das kann sich kein Betrieb leisten. Natürlich gibt es auch Teilzeitbeschäftigte, die lieber in Vollzeit arbeiten würden. Unfreiwillige Teilzeit ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Laut Statistischem Bundesamt liegt diese bei 16 Prozent. Der häufigste Grund, warum längeres Arbeiten nicht möglich ist, sind unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Der beste Weg, um unfreiwillige Teilzeit abzubauen, ist der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen. ({7}) Es gibt Länder wie Sachsen, die eine Betreuungsquote von fast 50 Prozent haben. Es gibt aber auch Länder wie Nordrhein-Westfalen, rot-grün geführt, mit einer Betreuungsquote von nur noch 20 Prozent. Ich empfehle Ihnen dringend: Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben! Ich habe meine gemacht. Ich habe mir das vom Kollegen Zimmer empfohlene Zitat angesehen. Dort heißt es: Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken aber in deinem Auge bemerkst du nicht? - Das heißt auch: Kehr zunächst vor deiner eigenen Tür. Wohl wahr. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13084 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken - Drucksache 17/13057 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung - Drucksache 17/6482 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Renate Künast, Jürgen Trittin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung des Missbrauchs des Abmahnwesens - Drucksache 17/12620 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte diejenigen, die dieser Aussprache nicht folgen wollen, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen den Rednern zuwenden können. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. ({3})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten ein wichtiges, umfassendes Gesetzespaket für mehr Rechtssicherheit und für die StärBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kung der Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der technische Fortschritt erschließt ständig neue Geschäftsmodelle. Noch vor wenigen Jahren konnte man sich kaum vorstellen, mit welcher Selbstverständlichkeit heute auf dem Tablet oder dem Smartphone Werbung geschaltet, Verträge geschlossen oder Dienstleistungen erbracht werden. Diese Geschäftsfelder werden nicht nur von seriösen Unternehmen genutzt, sondern leider auch von einigen unredlichen Geschäftemachern. Der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzentwurf soll diesen Methoden einen Riegel vorschieben. Lassen Sie mich zunächst einen ersten Komplex ansprechen: unlautere, unerlaubte Telefonwerbung. Werbeanrufe sind bereits heute nur dann erlaubt, wenn der Verbraucher ausdrücklich vorher eingewilligt hat. Dennoch gibt es im Bereich der Telefonwerbung Probleme, auf die wir mit einem Maßnahmenbündel passgenau reagieren. In Zukunft sollen auch solche Werbeanrufe mit Bußgeldern geahndet werden können, die mithilfe automatischer Anrufmaschinen erfolgen. ({0}) Der Gesetzentwurf sieht hier eine deutliche Anhebung der maximalen Bußgelder vor, nämlich von derzeit 50 000 Euro auf 300 000 Euro, die bei Vorliegen der Voraussetzungen von der Bundesnetzagentur verhängt werden können. ({1}) Darüber hinaus werden Verträge über Gewinnspieldienste nur noch dann wirksam, wenn sie schriftlich geschlossen werden. Darauf bezieht sich ein Großteil der Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern: Nach den uns mitgeteilten Zahlen beziehen sich 70 bis 80 Prozent der Beschwerden bei Verbraucherschutzverbänden und -organisationen auf versuchte Abschlüsse von Verträgen über Gewinnspieldienste. Deshalb wird für diesen Bereich jetzt die Regelung getroffen, dass eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung erforderlich ist. ({2}) Das schließt eine wichtige Lücke und sorgt für mehr Verbraucherschutz. Ein weiterer großer Anwendungsbereich sind Abmahnungen im Urheberrecht und im Wettbewerbsrecht. Ich glaube, es ist wichtig, hier zunächst klarzustellen: Abmahnungen sind ein legitimes und sinnvolles Instrument, um die Ahndung von Rechtsverstößen und die Durchsetzung von Ansprüchen für die Beteiligten einfach zu gestalten, ohne dass es zu einem unter Umständen langen und teuren Gerichtsprozess kommt. Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen. Dieses Institut soll natürlich erhalten bleiben, und es wird erhalten bleiben. Es gibt im Bereich des Wettbewerbsrechts und des Urheberrechts allerdings auch Methoden, um dieses Instrument so anzuwenden, wie es eigentlich nicht gedacht ist, also massenhaft Abmahnungen vorzunehmen. Der eine oder andere entwickelt daraus vielleicht auch eine Art Geschäftsmodell. Das führt natürlich zu einer schwierigen, belastenden Situation für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb sehen wir für zwei Bereiche Änderungen vor, zum einen im Wettbewerbsrecht. Dort ist ganz klar zu erkennen, dass es im Zusammenhang mit der Zunahme von Onlinegeschäften zu überzogenen Abmahnungen kommt. Da stellen wir fest: Es ist ein Riesenanliegen von Handwerkern, von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Abmahnkosten zu reduzieren, wenn es zum Beispiel aufgrund irgendeiner technischen Angabe im Impressum, die nicht ganz richtig ist, zu einer Abmahnung kommt. Hier setzen wir an, zum einen durch Änderungen im Gebührenrecht, zum anderen durch Änderungen bei der Zuständigkeit der Gerichte, die man anrufen kann. Das Forum Shopping bei der Gerichtswahl wird beendet. Demjenigen, der auf missbräuchliche Weise abgemahnt wird, wird erstmals ein eigener Anspruch auf Kostenersatz zugestanden, begründet durch diesen Gesetzentwurf. Wir schaffen damit mehr Transparenz für die Marktteilnehmer. Das stärkt den fairen Wettbewerb. Genau das wollen wir erreichen. Deshalb ist es richtig, hier entsprechend zu justieren, unter Abwägung der gemeinsamen Interessen aller Beteiligten. ({3}) Zum Urheberrecht. Auch in diesem Bereich gibt es Ärger mit massenhaft versandten Abmahnungen. Hier wollen wir im Urheberrecht einen Paradigmenwechsel vornehmen. Eine Regelung hierzu ist in der letzten Legislaturperiode verabschiedet worden. Sie sieht vor, die Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen klar auf einen Betrag von 100 Euro zu deckeln, wenn es sich um einfach gelagerte Sachverhalte handelt. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, vorsichtig ausgedrückt, extrem überschaubar. Sie hat in keiner Weise Wirkung entfaltet. Aber an dieser Regelung sieht man, dass es schon damals die Auffassung des Bundestages war, überzogenen Abmahnungen insofern vorzubeugen bzw. ihre Auswirkungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher annehmbar zu machen, indem man versucht, die Kosten zu deckeln. Das ist nicht gelungen. Wir schlagen daher eine andere Regelung vor, nämlich eine Regelstreitwertregelung für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegenüber Privatpersonen, sodass bei einem Regelstreitwert von 1 000 Euro die fällige Anwaltsgebühr nach dem Kostenrecht bei 110 Euro plus Pauschalen, also bei ungefähr 155 Euro, liegt. Das ist der Regelstreitwert, der die Masse der Fälle betreffen wird. Es gibt eine Ausnahmeregelung, die dann greift, wenn nach Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles die Begrenzung des Streitwertes mit den Folgen unbillig wäre. Wir verlangen aber - das ist anders, als bisher im Urheberrecht geregelt -, dass das von dem dargelegt werden muss, der abmahnt, ({4}) und nicht - wie nach dem bisher geltenden Recht - von dem, der abgemahnt worden ist. Das sind die Regelungen - meine Redezeit reicht leider nicht, um auf die weiteren Komplexe einzugehen -, die wir vorgesehen haben, um auf die Entwicklungen in der Abmahnpraxis zu reagieren: mit Blick auf die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch mit Blick darauf, dass es für Unternehmen, für Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr, gut ist, wenn sie rechtssichere Regeln haben. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Marianne Schieder. ({0})

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin hat es schon gesagt: Wir diskutieren heute in erster Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem für die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr wichtigen Themenbereich: den unseriösen Geschäftspraktiken im Inkassowesen, der Telefonwerbung und dem Abmahnwesen. Endlich, muss man sagen; denn schon seit einem Jahr liegt der Gesetzentwurf in der Schublade. Man fragt sich: Warum eigentlich? Man weiß doch seit langem, um was es geht. Man hätte schon viel eher handeln und damit Tausende Verbraucherinnen und Verbraucher vor großem Schaden bewahren können. ({0}) Stattdessen hat man zugelassen, dass im Bereich des Abmahnwesens ein regelrechter Geschäftszweig entstehen konnte, der sehr einträglich sein Unwesen treibt. Bereits seit mehr als drei Jahren weist die SPD im Deutschen Bundestag auf den Zusammenhang von Abofallen im Internet und unseriösen Inkassounternehmen hin. Im Sommer 2010 haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, und - wie sollte es anders sein? - die Koalition hat ihn abgelehnt. Aber selber hat man nichts gemacht. Immer und immer wieder haben wir deutlich gemacht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur vor den Abofallen geschützt werden müssen, sondern auch vor unseriösen Inkassofirmen und unseriösen Anwälten, die die Menschen mit unberechtigten Forderungen und unverhältnismäßigen Gebühren abzocken. Ich zitiere heute gerne einmal den Kollegen Wanderwitz, ({1}) der in seiner Rede anlässlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu den Abofallen am 15. Dezember 2011 gesagt hat: Die Folge ist Inkasso-Stalking. Das heißt, man wird mit Forderungen überzogen, die sich schnell zu größeren Summen anhäufen. Viele zahlen unter Druck, weil sie die Sorge haben, dass es noch teurer werden kann oder weil sie vielleicht überhaupt keine Erinnerung mehr daran haben; denn eine solche Forderung kommt meist nicht eine Woche danach, sondern mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. … Zu der ganzen Thematik gehört nicht nur seriöses Inkasso, sondern auch unseriöses Inkasso. Auch bei diesem Thema sind wir innerhalb der Koalitionsfraktionen schon erheblich vorangekommen. Wir haben das Thema identifiziert und werden uns ihm auf Sicht widmen. So weit der Kollege Wanderwitz. Hört! Hört! Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben ein seit Jahren bekanntes Thema im Dezember 2011 endlich identifiziert, ({2}) eineinhalb Jahre nachdem die SPD hier einen entsprechenden Antrag eingebracht hat. Die Union widmet sich dem Thema zusammen mit der FDP „auf Sicht“. Ich will gar nicht wissen, wie viel Nebel in der Koalition vorhanden sein muss, dass man nahezu eineinhalb Jahre braucht, ehe man einen Gesetzentwurf vorlegen kann. ({3}) Wir kennen diese Vorgehensweise aus vielen Bereichen, und wir sind zunächst einmal dankbar, dass überhaupt etwas zustande gekommen ist, womit wir uns jetzt auseinandersetzen können. Im Grunde sind die vorgesehenen Regelungen zu begrüßen. Damit werden nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher geschützt, sondern auch diejenigen in der Branche, die ein seriöses Inkassounternehmen betreiben. Diese seriösen Inkassounternehmen sind gerade für die mittelständischen Handwerksbetriebe eine ganz große Stütze. Schwarze Schafe richten in diesem Bereich wirklich viel Schaden an und bringen die ganze Branche in Verruf. Verbraucherinnen und Verbraucher werden durch absolut unredliche Geschäftspraktiken von unseriösen Geschäftemachern verunsichert, in die Enge getrieben und um ihr Geld gebracht. Den zum Teil vollkommen überhöhten Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen soll nun ein Riegel vorgeschoben werden, indem die Kosten für die erste Abmahnung gedeckelt und der Streitwert auf 1 000 Euro begrenzt werden. Warum hier aber wieder eine Ausnahme möglich sein soll - sogenannte Billigkeitsgründe -, ist nicht nachzuvollziehen. ({4}) Damit öffnet man doch schon wieder Tür und Tor für die Umgehung der Vorschrift und ebnet den Weg für höhere Gebühren. Marianne Schieder ({5}) Ganz wichtig wäre aus meiner Sicht aber auch die Verbesserung der Aufsicht über die Inkassounternehmen. Wir brauchen eine Aufsicht, die nicht nur auf dem Papier steht, sondern eine, die wirklich prüft, die den Markt kennt und in der Lage ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dazu gehören wirksame Sanktionsmöglichkeiten ebenso wie eine entsprechende personelle Ausstattung. Darüber, liebe Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir wirklich noch reden. Auch im Bereich der unerlaubten Telefonwerbung gibt es Verbesserungen. Verträge über Glücks- und Gewinnspiele sollen nur dann Gültigkeit erlangen, wenn sie schriftlich geschlossen werden. Warum aber, so frage ich mich, nur diese Verträge? Die Überrumpelung durch unerlaubte Anrufe gibt es doch auch bei Zeitschriftenabos oder beim Kauf sonstiger Gegenstände von zum Teil erheblichem Wert. Gerade ältere Menschen sind hier großen Gefahren ausgesetzt. Warum können Sie sich nicht durchringen, generell immer dann, wenn Geschäfte durch unerlaubte - ich betone: unerlaubte - Telefonanrufe zustande gekommen sind, die Textform zu verlangen? Die europäischen Vorgaben geben eine solche Lösung her. Ich bitte Sie, sich das noch einmal anzuschauen und zu prüfen, ob eine Ausweitung nicht doch sinnvoll ist. ({6}) Wir begrüßen auch die Ausweitung des Bußgeldrahmens. Schließlich wird mit diesen Geschäften viel Geld verdient. Abschreckung kann daher nur funktionieren, wenn die Strafe hoch genug ist. Wie gesagt: Das sind Details, über die wir noch reden möchten, über die wir aber auch reden sollten. Ich möchte abschließend noch einmal sagen: Ich freue mich mit der Koalition darüber, dass sich der Nebel gelichtet hat und Sie jetzt klarer sehen. Wir wollen gerne dazu beitragen, dass Ihr Durchblick vollkommen wird. Lassen Sie mit sich reden! Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Thomas Silberhorn. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Freundinnen und Freunde der Rechtspolitik! Frau Kollegin Schieder, wir lassen sehr gerne mit uns reden, ({0}) aber wir legen Wert darauf, dass, wenn es darum geht, dass wir unseriöse Geschäftspraktiken bekämpfen wollen, hier auch seriöse Reden gehalten werden. Hinweise, wer wann was gesagt hat, führen uns nicht weiter. ({1}) Ich denke, der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, bietet eine Lösung, von der nahezu alle Beteiligten profitieren werden, was selten ist - freilich mit einer Einschränkung: Profitieren werden nur diejenigen, die sich im Geschäftsverkehr redlich verhalten. Wir haben schon im Herbst 2011 über dieses Thema debattiert. Ich habe damals herausgestellt, dass es mit Flickschusterei nicht getan sein wird, sondern ein schlüssiges Gesamtkonzept gebraucht wird; darüber sind wir uns in der Koalition einig. Dafür braucht man Zeit. Diese Zeit haben wir uns genommen. Ich denke, das macht sich nun bezahlt. Dieser Gesetzentwurf stärkt den Verbraucherschutz. Er stärkt aber auch im Rahmen des Wettbewerbsrechts kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups mit ihren Innovationen. Ich will, bevor ich näher auf Details eingehe und mich vor allem auf die Regelungen zu Abmahnungen konzentriere, zunächst betonen, was dieser Gesetzentwurf nicht bezweckt. Das Gesetz soll und wird die Rechtsdurchsetzung für Urheber, für Wettbewerber, für Rechtsanwälte und Inkassounternehmen nicht erschweren oder gar konterkarieren. Abmahnungen bleiben ein probates Mittel, um effektiv, frühzeitig und kostengünstig Rechtsverletzungen zu unterbinden. Das Gesetz ist daher auch keine Einladung zu Rechtsverstößen. Urheberrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht werden weiterhin und uneingeschränkt verfolgbar bleiben. Uns ist die Feststellung wichtig, dass Eigentum Eigentum bleibt, egal ob in körperlicher oder geistiger Form. Wir stehen zu unserem Bekenntnis, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf. ({2}) Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht nur für die Verbraucher. Wir haben in den vergangenen Jahren Geschäftspraktiken erlebt, die nicht mehr vorrangig dem Schutz des Wettbewerbs oder der Urheber dienen. Massenabmahnungen haben sich zu einem eigenen Geschäftsmodell entwickelt, das unabhängig von der in Rede stehenden Rechtsverletzung auf Gewinnerzielung gerichtet ist. Das hat dazu geführt, dass vielfach auch vor missbräuchlichen Abmahnungen nicht haltgemacht worden ist. Besonders auffällig ist, dass selbst bei geringsten Rechtsverletzungen oft unverhältnismäßig hohe Kosten geltend gemacht werden und regelmäßig hohe vierstellige Streitwerte angesetzt werden. Dabei hat der Gesetzgeber für einfach gelagerte Fälle sowohl im Urheberrecht als auch im Wettbewerbsrecht bereits explizite Wertvorschriften formuliert, um dem entgegenzuwirken. Aber wir haben feststellen müssen, dass sich diese Normen in der Praxis als weitgehend wirkungslos erwiesen haben. ({3}) In § 12 Abs. 4 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb ist vorgesehen, einfach gelagerte Fälle bei der Bemessung des Streitwerts wertmindernd zu berücksichtigen. Im Urheberrechtsgesetz wird der Aufwendungsersatz für anwaltliche Dienstleistungen bei erstmaliger Abmahnung auf 100 Euro begrenzt. Aber dies ist in der Praxis ohne spürbare Auswirkungen geblieben. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Kläger den für ihn günstigsten Gerichtsstand wählen kann. Das führt dazu, dass der Beklagte oft weit entfernt seine Interessen vertreten muss und deshalb oft seine Rechte nicht wahrnimmt, weil er das hohe Prozesskostenrisiko scheut. Hier setzt unser Gesetzentwurf an. Wir schaffen neue Wertvorschriften, die die entstandenen Missstände bei Abmahnungen ausräumen sollen. Wir stellen im Urheberrecht sicher, dass dem Verletzer die Grundlage der Abmahnung transparent offengelegt wird. Privatpersonen sollen auch ohne Rechtsbeistand auf den ersten Blick erkennen können, welche Rechtsverletzung ihnen überhaupt vorgeworfen wird. ({4}) In einem zweiten Schritt etablieren wir einen Gegenanspruch des Abgemahnten bei unberechtigten oder unwirksamen Abmahnungen. Wir wollen Waffengleichheit zwischen dem, der abmahnt, und dem, der abgemahnt wird, herstellen. Schließlich wird ein Regelstreitwert von 1 000 Euro für urheberrechtliche Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche festgelegt, wenn es sich um eine erstmalige Abmahnung eines Privatnutzers handelt. Von dieser Streitwertfestsetzung - Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen - kann künftig nur abgewichen werden, wenn der Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Wir stellen in der Gesetzesbegründung klar, dass der Streitwert von 1 000 Euro - ich zitiere - in „den allermeisten Fällen der von Privatpersonen im digitalen oder analogen Umfeld begangenen Urheberrechtsverletzungen … angemessen“ ist. Die Kosten erstmaliger Abmahnungen für Privatnutzer werden damit regelmäßig spürbar gedeckelt. Diese Regelung soll dazu beitragen, wieder mehr Bewusstsein und Akzeptanz für den Wert urheberrechtlich geschützter Werke zu schaffen. Die Bürger lassen sich von einer Abmahnung durchaus beeindrucken, und zwar unabhängig von der Höhe der Kostenfolgen. Das soll auch so sein, damit weitere Urheberrechtsverletzungen unterlassen werden. Aber mit der Deckelung des Regelstreitwerts für erstmalige Verletzungen wird sichergestellt, dass die Bürger künftig Abmahnung nicht mehr mit Abzocke gleichsetzen. Das gilt umso mehr, wenn Kinder oder Jugendliche im Haushalt eine Urheberrechtsverletzung begangen haben und ihre Eltern als Anschlussinhaber dann dafür geradestehen müssen. Wir werden uns in den Ausschussberatungen allerdings noch ausführlich mit der Frage beschäftigen müssen, was genau unter einer Urheberrechtsstreitsache zu verstehen ist, für die dann der Streitwert von 1 000 Euro gilt. Hier darf keine Rechtsunsicherheit entstehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, der Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen. Zusammen mit den Regelungen zu Inkassowesen und Telefonwerbung haben wir ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung unseriöser Geschäftspraktiken geschnürt. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Caren Lay. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das soll also jetzt das sogenannte Anti-Abzocke-Gesetz sein, auf das wir seit Jahren gewartet haben. Was die Bundesregierung aber hier und heute vorgelegt hat, hat mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf in vielen Punkten leider nur noch wenig zu tun. Im jahrelangen Dauerstreit innerhalb der Koalition sind viele Forderungen verwässert oder verschlimmbessert worden. Das zeigt vor allen Dingen eines: dass die Bundesregierung nicht wirklich aus dem Knick kommt, wenn es darum geht, Verbraucherinnen und Verbraucher wirkungsvoll zu schützen. Meine Damen und Herren, es sind die Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Leidtragenden dieser Politik sind. Ich komme zum Thema der unseriösen Inkassounternehmen, die Millionen von Drohbriefen mit Geldforderungen verschicken. Interessant ist hier eine Untersuchung der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2011. Sie hat ergeben, dass 84 Prozent der Inkassoforderungen unberechtigt waren, in 15 Prozent der Briefe waren die Forderungen unklar, und in gerade einmal 1 Prozent der Fälle waren die Geldforderungen berechtigt. Das ist doch ein Skandal! Hier hätte die Koalition schon viel schneller reagieren müssen. ({0}) Auch wir als Linke freuen uns, dass künftig Inkassodienstleister, die falsche oder unvollständige Briefe verschicken, mit höheren Bußgeldern bestraft werden sollen. Unsere Befürchtung ist allerdings, dass das in der Praxis nichts bringen wird. Die Frage ist doch: Wer soll das eigentlich überwachen, und wer soll das durchsetzen? Wenn die Aufsicht von Inkassounternehmen auf sage und schreibe 79 Behörden zersplittert werden soll, dann ist das doch eine einzige Farce. ({1}) Wir sagen: Dieses Chaos muss im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher endlich beseitigt werden. ({2}) Wir von der Linken haben als erste Fraktion einen Antrag zur Regulierung von unseriösem Inkasso eingebracht. Wir fordern beispielsweise eine Verbraucherschutzbehörde, die von zentraler Stelle aus die Aufsicht übernimmt und auch Durchsetzungsbefugnisse hat. Auch die Gebührenregelungen sind aus unserer Sicht nichts Halbes und nichts Ganzes. Denn Fantasiegebühren im Inkassobereich bleiben weiterhin möglich, weil gerade im sogenannten Bagatellbereich, also bis 50 Euro, Ausnahmen vorgesehen sind. Sie alle kennen möglicherweise den Fall der Münchner Rentnerin, der durch die Medien ging. Sie hatte beim Begleichen ihrer Telefonrechnung 5 Cent zu wenig bezahlt, sollte am Ende aber 35 Euro Inkassogebühr bezahlen. Das, meine Damen und Herren, ist doch völlig unverhältnismäßig. Aber die Bundesregierung unternimmt nichts, um das zu unterbinden. Das können wir als Linke nicht akzeptieren. ({3}) Ich komme zum zweiten zentralen Bereich des Gesetzentwurfes: zur unerlaubten Telefonwerbung. Es ist richtig: Am Telefon werden besonders gerne und besonders leicht betrügerische Verträge untergeschoben. Wir Linke und die Verbraucherorganisationen fordern deswegen schon lange als Lösung eine schriftliche Bestätigung. Gerade ältere Menschen trauen sich nicht, am Telefon zu widersprechen, wenn ihnen etwas aufgeschwatzt wird. Aber auch hier bleiben Sie bei der Umsetzung leider halbherzig. Ich kann überhaupt nicht erkennen - mir bleibt das schleierhaft -, warum die schriftliche Bestätigung für telefonische Gewinnspiele gelten soll, aber andere wichtige Bereiche außen vor bleiben, beispielsweise Telefonverträge, Versicherungen oder Zeitschriftenabos. Keiner kann mir erklären, warum diese Bereiche in diesem Gesetzentwurf nicht reguliert werden. ({4}) Und auch beim dritten Punkt, der Abmahnindustrie im Internet, müssen wir das, was von der Koalition jetzt vorgelegt wurde, leider kritisieren. Viele Anwälte haben offenbar Abmahnungen als einen lukrativen Geschäftszweig entdeckt. Sie verschicken Hunderttausende von Abmahnbriefen für das Herunterladen von Musik, Filmen, Software aus dem Internet. ({5}) 6 Prozent der Bevölkerung - das sind mehr als 4 Millionen Menschen - sind schon einmal wegen dieser illegalen Downloads abgemahnt worden. Das Problem ist: viele davon zu Unrecht. Ein anderes Problem sind auch die Kosten, die im Durchschnitt bei etwa 800 Euro liegen. Das ist für einen Jugendlichen, der sich an einer Tauschbörse Musik besorgt, jede Menge Geld. Deswegen sagen wir als Linke: Hier muss etwas passieren. Und ich freue mich, dass die Koalition diesen Punkt aufgegriffen und einige Gedanken aus dem Gesetzentwurf der Linken, den wir hier vor zwei Jahren eingebracht haben, übernommen hat. ({6}) Allerdings ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung aus unserer Sicht an der entscheidenden Stelle nicht scharf genug, um die Abmahnwelle einzudämmen. Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen würde das Gesetz sogar die Rechtslage der Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Höhe der Anwaltskosten verschlechtern, weil es hier Ausnahmeregelungen gibt. Auch das können wir als Linke so nicht akzeptieren. ({7}) Meine Damen und Herren, wir als Linke fordern, dass die horrenden Abmahnkosten auf den tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Schaden begrenzt werden. ({8}) Das ist doch ein guter Gedankengang. Hier können Sie sich vielleicht noch einmal am Gesetzentwurf der Linken bedienen. ({9}) Ich hoffe jedenfalls sehr, dass wir im Rahmen der Behandlung dieses Gesetzentwurfs die dringend notwendigen Nachbesserungen im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher durchsetzen können. Die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten es verdient. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Jerzy Montag das Wort.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Lesung auch einen Gesetzentwurf meiner Fraktion. Der Gesetzentwurf richtet sich gegen den Missbrauch des Abmahnwesens im Urheberrecht. Die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit erlaubt es mir nicht, auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung einzugehen. Ich hoffe insofern auf Ihre Zwischenfragen. ({0}) Im Rahmen der Beantwortung dieser Fragen kann ich dazu gerne Stellung nehmen. Meine Damen und Herren, es ist richtig: Das Jahr 2008 war der Beginn eines Phänomens in Form eines neuen anwaltlichen Geschäftsmodells mit hunderttausendfachen Abmahnungen von Internetnutzern wegen Urheberrechtsverstößen. Dieses Geschäftsmodell wurde und wird zur Gewinnoptimierung betrieben, weil mit diesen Abmahnungen - das gilt für die Anwälte sowie für ihre Mandanten - mehr Geld verdient werden kann als mit einer legalen Lizensierung bestimmter urheberrechtsgeschützter Werke. So weit ist in der Begründung des Regierungsentwurfs der Sachverhalt richtig dargestellt. Ich will aber diesen Vorgang noch mit konkreten Zahlen unterfüttern. Im Jahre 2008 hatten wir in Deutschland 250 000 Abmahnungen, im Jahre 2009 453 000, im Jahre 2010 575 000. In den Jahren 2011 und 2012 ist die Zahl der Abmahnungen ein wenig zurückgegangen, aber sie ist immer noch auf einem sehr hohen Level. Das Gesamtforderungsvolumen betrug im Jahre 2012 fast 100 Millionen Euro. Laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband sind inzwischen 4,3 Millionen Menschen in Deutschland im Bereich des Urheberrechts von Abmahnungen betroffen. Es ist also völlig klar, dass es sich um einen Missbrauch handelt. Und ich sage Ihnen: Die Geburtsstunde dieses Missbrauchs war die Verabschiedung des Gesetzes der Großen Koalition aus dem Jahre 2008, mit dem der Drittauskunftsanspruch ins Urheberrecht hineingeschrieben worden ist. Dem deutschen Zivilrecht fremd und völlig unsystematisch erstmals in diesem Bereich eingeführt, hat er dazu geführt, dass es diese Abmahnungen überhaupt in einem solchen millionenfachen Ausmaß gab. Das war der Türöffner. Schon im April 2008 haben wir im Rechtsausschuss darüber gestritten, ob, wie die Große Koalition damals behauptete, dies von der europäischen Ebene erzwungen worden ist oder nicht. Ich meine damit die Enforcement-Richtlinie. Ich habe schon damals darauf aufmerksam gemacht, dass der Europäische Gerichtshof im Januar 2008 - man hätte es also schon damals wissen können - in der Sache Música de España gegen Telefónica de España entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus datenschutzrechtlichen Gründen einen Drittauskunftsanspruch einführen dürfen, können, aber durchaus nicht müssen. Das war den Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition auch bewusst; denn sie haben damals die Öffentlichkeit und das Parlament damit vertröstet, dass dieser Drittauskunftsanspruch mit der sogenannten doppelten Gewerblichkeit verbunden sei: Der zur Auskunft Verpflichtete müsse gewerblich tätig sein, und der angebliche Rechtsverletzer müsse im geschäftlichen Verkehr unterwegs sein. Der Bundesrat war anderer Auffassung, er meinte, das stünde im Gesetz nicht drin. Sie von der Großen Koalition haben, obwohl man Sie auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat, darauf beharrt, dass diese sinnvolle Beschränkung im Gesetz stünde. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen lapidar festgestellt, dass es ihm egal ist, was die Damen und Herren Abgeordneten von der damaligen Großen Koalition gewollt haben; ins Gesetz hätten sie diesen Punkt jedenfalls nicht hineingeschrieben. Dies ist der wichtige Punkt, den ich hier darstellen will: Mit dem Gesetzentwurf der Grünen wird der Drittauskunftsanspruch auf den geschäftlichen Bereich beschränkt. Bereits das wird dazu führen, dass die Zahl der willkürlichen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen erheblich zurückgeht. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Montag, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krings?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie kommt gerade recht; danke schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Krings.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie kommt wahrscheinlich immer recht. - Herr Montag, Sie kennen die Debatte der damaligen Zeit so gut wie ich. Deshalb müssten Sie wissen - ich frage, ob Sie sich noch daran erinnern -, dass wir den Drittauskunftsanspruch nicht nur deshalb eingeführt haben, weil es europarechtlich angezeigt war, sondern auch, weil wir dadurch eine Entkriminalisierung dieser Fälle vornehmen wollten. Bis dato war es nämlich nur möglich - und das geschah auch in großer Zahl -, diese Auskünfte über die Staatsanwaltschaften zu bekommen, musste also erst ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen eines Rechtsbruchs, wegen eines strafrechtlichen Deliktes eingeleitet werden. Durch die Einführung des Drittauskunftsanspruchs haben wir erreicht, dass die Staatsanwaltschaften deutlich weniger tätig sein müssen, weil es um einen rein zivilrechtlichen Anspruch geht. Deshalb frage ich Sie: Wären Sie dafür, diese Fälle wieder mehr auf die Staatsanwaltschaften zu verlagern? Würden Sie also die Rechteinhaber, deren Rechte verletzt wurden, auffordern, wieder vermehrt Strafanzeige zu erstatten und das Ganze von den Strafgerichten ausurteilen zu lassen?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Dr. Krings, ich danke Ihnen sehr für diese Auskunft, gibt sie mir doch die Gelegenheit, an dieser Stelle recht ausführlich auf dieses Problem einzugehen. Erstens. Von einer Entkriminalisierung - dieses Wort haben Sie in den Mund genommen - hätten wir 2008 sprechen können, aber nur, wenn Sie tatsächlich einen bestimmten Bereich von Urheberrechtsverletzungen aus der Strafvorschrift des § 106 Urheberrechtsgesetz herausgenommen hätten. Genau das haben die Grünen damals der Großen Koalition vorgeschlagen: in die Strafnorm des Urheberrechts eine Vorschrift aufzunehmen, dass bei Vorfällen im Bagatellbereich eine Strafverfolgung ausgeschlossen ist. Sie haben das abgelehnt. Deswegen haben Sie in keinem Punkt eine Entkriminalisierung durchgeführt. Zweitens. Es stimmt: Sowohl das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren als auch das Recht zur Akteneinsicht sind missbraucht worden - im Übrigen von den gleichen Anwaltskanzleien, über die wir jetzt reden -, um auf diesem Umweg an die Adressen angeblicher Urheberrechtsverletzer zu gelangen. Aber - das wissen Sie wiederum genauso gut wie ich - schon lange vor der Einführung des Gesetzes 2008 haben die Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland begriffen, dass sie missbraucht werden, sodass diese Verfahren in großem Umfang ohne Ermittlungen eingestellt worden sind oder, wie zum Beispiel in Karlsruhe, Akteneinsichtsgesuche nicht mehr genehmigt wurden. Sie können uns und der Öffentlichkeit also nicht verkaufen, Sie hätten den Drittauskunftsanspruch damals ins Gesetz geschrieben, um eine Entkriminalisierung zu bewirken. Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben aufgerüstet. Das vorhandene Strafrecht haben Sie überhaupt nicht angerührt, und zusätzlich haben Sie auch noch dafür gesorgt, dass wir den Zustand haben, den wir heute beklagen. Die Tür ist geöffnet worden. Mit der Beschränkung des Drittauskunftsanspruchs muss sie wieder geschlossen werden. In Bezug auf die bekannten angeblichen Urheberrechtsverletzer folgen wir darüber hinaus Ihrem Vorschlag der Streitwertbegrenzung im Grundsatz durchaus, allerdings ohne Rückausnahme, die Sie hineingebracht haben; denn - das sage ich Ihnen auch, Herr Dr. Krings -: Sie waren derjenige, der im Rechtsausschuss dafür gesorgt hat, dass in den damaligen § 97 a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz bezüglich der Begrenzung der Anwaltskosten auf 100 Euro eine Rückausnahme bei sogenannten einfachen Fällen ins Gesetz aufgenommen wurde. Jetzt sorgt die schwarz-gelbe Koalition dafür, dass in Bezug auf § 49 Gerichtskostengesetz wiederum eine Rückausnahme ins Gesetz geschrieben wird. Sie werden erleben, dass Sie über diese Hintertür, die Sie aufmachen, wiederum nichts zur Absenkung der großen Zahl der Abmahnungen im Urheberrecht beitragen werden. Deswegen ist das, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern mit Ihrem Gesetzentwurf anbieten, weiße Salbe. Das werden wir in den Anhörungen noch ausführlich diskutieren. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Machen Sie sich mit unserem Gesetzentwurf vertraut; denn er geht den richtigen Weg, ist konsequent, ist rechtlich und dogmatisch völlig sauber und wird das Unwesen im Urheberrecht mit den massenhaften Abmahnungen endlich begrenzen. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ansgar Heveling für die Unionsfraktion. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der ausführlichen Antwort und dem Wortspiel der Kollegen Krings und Montag kann man ablesen, dass das, was wir heute beraten, schon eine längere Vorgeschichte hat. Es werden Zusammenhänge sichtbar, die auch schon eine längere Geschichte haben, wobei interessant ist: So oft wie der Herr Kollege Montag hier an diesem Pult bei rechtspolitischen Debatten von weißer Salbe spricht, könnte man fast den Eindruck bekommen, er sei Apotheker und nicht Rechtspolitiker. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Gesetzentwurf, den wir heute beraten, firmiert in der Presse meistens als sogenanntes Anti-Abzocke-Gesetz. Das ist eine sehr plakative Formulierung, aber es lohnt sich doch, dort ein bisschen genauer hinzuschauen und auch genauer zu differenzieren; denn es geht bei unserem Gesetzentwurf darum, missbräuchlichen und unlauteren Geschäftspraktiken den Boden zu entziehen und eine juristische Grundlage dafür zu schaffen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor unlauterer Telefonwerbung, unseriösem Inkasso und überzogenen Abmahnungen geschützt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen unseriöse Geschäftspraktiken beraten wir hier also gewissermaßen ein ganzes Paket von Maßnahmen. Ziel ist es, vor allem gegen die drei genannten Phänomene vorzugehen, mit denen die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land leider immer wieder zu tun haben. Insbesondere einen Teil des Gesetzentwurfs, die urheberrechtlichen Abmahnungen, möchte ich an dieser Stelle aufgrund meiner Zuständigkeit hervorheben: Leider gibt es - das ist nicht von der Hand zu weisen - eine ganze Reihe von schwarzen Schafen, die in unserem Land mit Abmahnungen Missbrauch betreiben. Vor solchen unlauteren Abmahnungen wollen wir die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig schützen. Durch mehr Informationspflichten wird der Verbraucher schneller erkennen können, ob eine Abmahnung, die er erhalten hat, auch tatsächlich wirksam ist. Gleichzeitig muss aber auch klar sein - das gehört dazu, wenn man eine Ausbalancierung von Rechten vornimmt -, dass diese schwarzen Schafe den seriös arbeitenden Anwälten das rechtmäßige Vorgehen streitig machen. Das legitime Instrument der Abmahnung muss und soll natürlich auch in Zukunft weiter nutzbar bleiben; denn in unserem Rechtssystem müssen wir auch in Zukunft wirksam gegen die Urheberrechtsverletzer vorgehen, die geschützte Inhalte illegal up- oder downloaden und dies durchaus in größerem Umfang tun. Es gibt Fälle, in denen das vereinzelt geschieht. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen massenhaft Urheberrechtsverletzungen begangen werden. Unsere Fraktion hat darauf hingewirkt, dass in diesem Gesetzentwurf deshalb die Schwere der Urheberrechtsverletzungen mitberücksichtigt wird; denn es macht aus unserer Sicht einen Unterschied, ob jemand einmal einen Song illegal heruntergeladen hat oder ob jemand täglich ganze Alben oder gar Filme auf seinen Computer herunterlädt. ({0}) In dem vorliegenden Gesetzentwurf musste also ein Ausgleich zwischen dem Schutz der Verbraucher auf der einen und dem Schutz der Urheber und ihrer Rechte auf der anderen Seite gefunden werden. Die Abmahnung ist und bleibt ein legitimes Instrument, um gegen schwere Urheberrechtsverletzungen effektiv vorgehen zu können. Der Wortwechsel eben zwischen Herrn Kollegen Montag und Herrn Kollegen Krings hat darauf aufmerksam gemacht, dass wir darüber schon vor längerer Zeit sehr intensiv diskutiert haben. Der Anlass ist seinerzeit gewesen, das Instrument des Strafrechts einzusetzen, um voranzukommen. Das Ziel seinerzeit ist in der Tat gewesen, über das Instrument der Abmahnung, verbunden mit dem Auskunftsanspruch, ein zivilrechtliches Instrument zu schaffen, um schnell Rechtsdurchsetzungen auch ohne Zuhilfenahme der Gerichte zu erreichen und eben nicht mehr auf den Staatsanwalt setzen zu müssen. Insofern hat eine Entkriminalisierung stattgefunden, ({1}) weil zwar die Straftatbestände nach wie vor richtigerweise im Strafgesetzbuch stehen - der Staat muss die Möglichkeit haben, hier strafrechtlich vorzugehen -, aber entscheidend ist, wie das in der Praxis gehandhabt wird. Da haben sich eben die Abmahnungen als das Mittel erwiesen, das jetzt genutzt wird, bei dem wir aber Entwicklungen beobachten, die zu Kritik Anlass geben. Insgesamt hat diese Entkriminalisierung, die Verlagerung ins Zivilrecht, tatsächlich stattgefunden. Gegen legitime und juristisch saubere Abmahnungen bleibt von daher weiterhin nichts einzuwenden. Jeder Urheber hat einen Anspruch auf Vergütung für seine kreative Leistung. Wer sich das geistige Eigentum der Urheber ohne Erlaubnis zu eigen macht, muss Sanktionen erfahren können. Interessant ist in diesem Zusammenhang das, was wir eben von der Fraktion Die Linke gehört haben. Sie will den tatsächlichen Schaden zum maßgeblichen Kriterium und Anknüpfungspunkt machen. Ich weiß nicht, ob die Fraktion Die Linke bedacht hat, was das in diesem Kontext für Folgen hat, und ob dann nicht die Abmahnung vielleicht doch die bessere Variante wäre. Wir wollen aber denjenigen ein Stoppschild vorhalten, die Familien schwer belasten, indem sie mit überzogenen Abmahnungen systematisch und in großem Stil vorgehen. Das Stoppschild erreichen wir unter anderem mit der Deckelung des Streitwerts auf 1 000 Euro. Damit wird die bereits bestehende Abmahndeckelung fortentwickelt. Insgesamt zeigt sich, dass die Zahl der Abmahnungen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückging. Allein im Jahr 2012 hat sich die Zahl der Abmahnungen im Vergleich zu 2011 um mehr als 50 Prozent, also um etwa die Hälfte, verringert. Es geht daher auch bei den unseriösen Abmahnungen um ein quantitativ rückgängiges Phänomen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heveling, unser Stoppschild leuchtet schon vor Ihnen. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Stoppschild leuchtet, und ich komme zum Schluss. - Ich mache darauf aufmerksam: Die Zahl der Abmahnungen geht zurück. Den unseriösen Abmahnungen wollen wir mit diesem Gesetz einen Riegel vorschieben. Die weiteren Beratungen im Gesetzgebungsverfahren werden Gelegenheit geben, eventuell offene Fragen zu klären. Die Expertenanhörung im Rechtsausschuss steht uns bevor. Ich glaube, wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weitere Beratung. Ganz herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPDFraktion. ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige erste Beratung steht unter dem Motto „Was lange währt …“. Ob es gut wird, werden die Ergebnisse der weiteren Beratungen noch zeigen; denn wir haben Gesprächs- und Beratungsbedarf zu diesem Gesetzentwurf. Insbesondere die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten natürlich, dass die künftigen Regelungen gegen die Abzocke so gestaltet sind, dass sie umfassend und gut sind und dass sie nicht in absehbarer Zeit einer weiteren Überprüfung bedürfen. Wir erhoffen uns von den anstehenden Beratungen und insbesondere von der Anhörung, dass es Themen geben wird, über die wir uns noch verständigen können. Wir bitten die Bundesregierung, unserer Erwartungshaltung - diese werde ich gleich noch präzisieren - bei der einen oder anderen Thematik offen gegenüberzustehen. Die Beratungen dürfen kein Closed Shop sein; denn diese massenhafte Abzocke ist für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ein Riesenproblem und stellt einen Wahnsinnsangriff auf den Geldbeutel dar. An dieser Stelle wollen wir daher richtig gut und ausreichend regeln. ({0}) Im Inkassobereich gibt es keine real existierende Aufsicht. Das ist ein wirklich ernst zu nehmendes Problem. Die 79 Landgerichte, die im Moment dafür zuständig sind, führen de facto keine ernst zu nehmende Aufsicht durch. Deshalb brauchen wir ein Gespräch darüber, wie eine gelingende, eine funktionierende und tatsächlich agierende Aufsicht für diesen Bereich aussieht. Hierzu liegen unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch. Der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen zum Beispiel fordert eine einheitliche Behörde auf Bundesebene und bietet sogar eine Umlagefinanzierung an. Das kann eine Möglichkeit sein. Eine andere Möglichkeit, die der Bundesrat empfiehlt, ist, dass in jedem BundesKerstin Tack land ein Landgericht für diesen Aufsichtsbereich als zentral zuständig erklärt wird. Die betreffenden Landgerichte müssen dann natürlich mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden. Ich finde, das ist ein interessanter Vorschlag. Wir sollten darüber nachdenken, wie sich am besten eine funktionierende Aufsicht herstellen lässt. Der Bundesrat regt außerdem an, darüber nachzudenken, ob es nicht Sinn macht, dass auf jedem Inkassoschreiben oben oder unten die derzeit zuständige Aufsicht benannt wird, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, wohin sie sich wenden können. Wir halten die Sanktionsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden für nicht ausreichend bzw. für ergänzungsbedürftig. Neben dem Verhängen von Bußgeldern oder der Entziehung der Erlaubnis muss es die Möglichkeit geben, zum Beispiel die Verwendung bestimmter Textbausteine zu untersagen. Das wäre hilfreich. Wir verstehen nicht, warum nur auf Anfrage die Anschrift des ursprünglichen Auftraggebers mitgeteilt werden muss. Viele Forderungen werden weiterverkauft. Deshalb macht es Sinn, dass Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen können, woher die Ursprungsforderung stammt, die ihnen angelastet wird. Das kann nicht nur auf Anfrage und Bitte der Verbraucherinnen und Verbraucher passieren. Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Gebühren ausschließlich in einer Verordnungsermächtigung geregelt werden. Wir wollen eine Regelung im Gesetz. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir einen sehr ernst zu nehmenden Dissens, über den wir debattieren müssen. Wir wollen zudem schärfere Verhaltensstandards und Berufspflichten für Inkassounternehmen. Entscheidend ist dabei die Frage, wie wir es schaffen können, dass seriöse Unternehmen nicht dadurch in Misskredit gebracht werden, dass andere mit geringer oder gar keiner Qualifizierung sich dieser Aufgabe stellen und unseriöse Praktiken anwenden. Auch hier besteht Diskussionsbedarf. Wir werden auch darüber reden müssen, warum sich die Regelungen betreffend die Telefonwerbung ausschließlich auf die Gewinnspielbranche beziehen. Wir alle wissen, dass der Markt weit größer ist und einer umfassenderen Regelung bedarf. Bei den Datenschutzfragen sind wir enttäuscht. Der erste Entwurf, den Sie vor einem Jahr vorgelegt haben, Frau Ministerin, sah noch vor, dass Datennutzung und Datenweitergabe einer aktiven Einwilligung der Verbraucherinnen und Verbraucher bedürfen. Nun haben Sie das aus dem Gesetzentwurf herausgenommen, sodass die Einwilligung wieder automatisch mit Zustimmung zum Kleingedruckten erteilt wird. Ich halte das für einen echten Rückschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir wollen, dass der Zustand Ihres Entwurfes vom März letzten Jahres wiederhergestellt wird und die ursprüngliche Regelung wieder in das Gesetz kommt. Wir werden darauf bestehen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vernünftig einwilligen können. ({1}) Wir haben noch mehrere Punkte, die ich aber jetzt aus Zeitgründen nicht ausführen kann. Ich hoffe auf konstruktive Beratungen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind es allemal wert, dass wir uns verdammt viel Mühe geben. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die Unionsfraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir die Verbraucher vor unseriösen Geschäftspraktiken schützen, und das ist gut so, und wir stärken mit diesem Gesetzentwurf auch die große Mehrheit der seriös arbeitenden Unternehmen. Wir haben das gemacht, weil einige wenige schwarze Schafe großen Schaden anrichten. Sie ziehen ahnungslosen Verbrauchern trickreich Geld aus der Tasche und ruinieren damit den Ruf einer ganzen Branche. Ja, ich muss es leider auch heute hier so deutlich formulieren: Diese unseriös arbeitenden Unternehmer zocken die Verbraucher ab. Damit ist jetzt Schluss. Wir legen diesen Leuten das Handwerk. Im vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir drei Bereiche: Inkasso, Telefonwerbung und das Abmahnwesen. Meine Kollegen haben für die Bereiche der Abmahnungen und der Urheberrechtsverstöße eindrücklich aufgezeigt: Wir haben hier gute Lösungen gefunden, damit Verbraucher bei einem einmaligen - vielleicht sogar unwissentlichen - Verstoß nicht mit überzogenen Forderungen konfrontiert werden; andererseits muss aber natürlich der gewerbsmäßige Betrug weiterhin geahndet werden. Aber auch in den Bereichen Inkassowesen und Telefonwerbung sorgen wir für noch besseren Verbraucherschutz vor ungerechtfertigten Zahlungsaufforderungen. Eine bestellte Leistung oder Ware muss bezahlt werden. Das ist nicht nur eine Frage der Moral, sondern das ist auch für das Funktionieren unserer Wirtschaft wichtig. Um berechtigte Forderungen auch wirksam durchzusetzen, nehmen viele Firmen seriöse Inkassounternehmen in Anspruch. Das ist ein großer Markt. Da kann man viel Geld verdienen, und das zieht natürlich auch schwarze Schafe an. Uns geht es nun darum, diesen Betrügern das Handwerk zu legen. Wir wollen sie erkennen, wir wollen sie bestrafen, und wir wollen sie gegebenenfalls von dieser Tätigkeit in Zukunft fernhalten. Deshalb haben wir zum Beispiel die Sanktionsmöglichkeiten ausgebaut und den Höchstsatz für ein Bußgeld von 5 000 Euro auf 50 000 Euro angehoben. Betrug darf sich hier in Deutschland nicht lohnen. ({0}) Außerdem haben wir die Darlegungs- und Informationspflichten erweitert. Das heißt konkret: Aus dem Inkassoschreiben, also dem Mahnschreiben, dem Brief, der einem ins Haus flattert, muss hervorgehen, welche Firma überhaupt die Forderung gestellt hat. Wenn es um Verträge geht, müssen der Vertragsgrund und das Datum genannt werden, und auch die Zins- und Inkassoforderungen müssen aufgeschlüsselt werden. Sie auf der Zuschauertribüne denken vielleicht, das sei selbstverständlich. Ja, so sollte es sein, und seriöse Unternehmen arbeiten auch so. Wir haben jetzt den Vorteil, dass künftig alle Verbraucher die Fantasieforderungen von unseriösen Unternehmern leichter erkennen können. Ein weiteres Thema packen wir an. Viele Menschen ärgern sich über die häufig unerwünschten Werbeanrufe. Im Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung haben wir bereits 2009 festgeschrieben, dass eine Firma nur dann zu Werbezwecken telefonisch Kontakt aufnehmen darf, wenn sich der Verbraucher damit vorher ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Wir haben nun die Daumenschrauben noch etwas mehr angezogen. Damit Verstöße auch richtig wehtun, haben wir die Bußgeldobergrenze für unerlaubte Telefonanrufe von 50 000 Euro auf 300 000 Euro angehoben. Das gilt auch dann, wenn der Anruf durch eine automatische Anrufmaschine erfolgt. Das tut weh, und das schreckt ab. Ein besonderes Problem waren telefonisch abgeschlossene Glücksspielverträge. Dazu ein Beispiel aus meinem eigenen Umfeld: Einer Rentnerin flattert plötzlich eine Rechnung von einem Gewinnspielanbieter ins Haus. Angeblich hat sie telefonisch einen Vertrag abgeschlossen. Sie erinnert sich nicht. Sie möchte den Vertrag kündigen - dieses Recht hat sie -, aber alle Schreiben an die angegebene Adresse und die Faxnummer in Spanien kommen zurück. Auch telefonisch ist niemand zu erreichen. Dann schaltet sich ein Inkassounternehmen ein, um die Forderungen einzutreiben. Sie fühlt sich irgendwann so unter Druck gesetzt, dass sie lieber zahlen will, als weiterhin telefonisch oder mit Mahnschreiben belästigt zu werden. Solche und ähnliche Fälle kommen leider viel zu häufig vor. Damit ist jetzt Schluss. Wir schieben dieser Methode einen Riegel vor. Solche Glücksspielverträge müssen künftig schriftlich abgeschlossen werden. Die Opposition meckert auch heute Abend wieder herum, dies gehe nicht weit genug und jenes sei noch nicht perfekt. ({1}) Liebe Kollegen, wir haben diesen Gesetzentwurf gemacht. Sie haben in Ihrer Regierungszeit keinen hinbekommen. ({2}) Verbraucherpolitik ist nie abgeschlossen, weil sich die Verbraucherwelt ständig ändert. Verbraucherpolitik ist ein Prozess. Sie meckern herum; wir gestalten diesen Prozess. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Heil, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem Gesetzentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken beweisen wir wieder einmal mehr: Die christlich-liberale Koalition ist ein Glücksfall für die Verbraucherpolitik in Deutschland. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/13057, 17/6482 und 17/12620 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohn- und Mietensituation von Studierenden verbessern - Drucksache 17/11696 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. ({2})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Immobilienfirmen und Finanzhäuser haben längst herausgefunden, wie man jetzt auch noch den Studierenden das Geld aus der Tasche ziehen kann. Studentischer Wohnraum wurde als Anlageobjekt entdeckt. Der Immobiliendienstleister Savills beispielweise wirbt folgendermaßen um Kunden - ich zitiere -: In den nächsten Jahren wird die Zahl der Studierenden … deutlich ansteigen. Da die öffentlichen Wohnheimplätze … bereits heute knapp sind, dürfte sich die Situation … weiter verschärfen. … Insofern ergibt sich hier Potenzial für private Investoren. Die privaten Investoren aber verlangen Mieten von 400 Euro und mehr für ein kleines Zimmer. Für die meisten Studierenden ist das völlig unbezahlbar, und es ist schlicht eine Unverschämtheit. ({0}) In München standen im Herbst des letzten Jahres über 750 Studierende auf der Suche nach finanzierbaren Alternativen Schlange, als das Studentenwerk gerade einmal 150 Wohnheimplätze verloste. Studierende werden in Turnhallen oder in Containern untergebracht, Tausende nehmen in Kauf, jeden Tag mehrere Stunden zu ihren Unis zu pendeln. Diejenigen, die einen Studienplatz in ihrer Heimatstadt bekommen haben, bleiben gleich bei den Eltern wohnen und dürfen sich dann darüber freuen, dass ihr neuer Lebensabschnitt im alten Kinderzimmer beginnt. Für die Wohnungsnot und die explodierenden Wohnkosten gibt es allerdings politische Gründe. Erstens. Die Mieten steigen vor allem in städtischen Wohngebieten und an Hochschulstandorten, weil diese besonders von dem Umstrukturierungsprozess betroffen sind, der als Gentrifizierung bekannt ist. Für Renditeaussichten von privaten Investoren werden Preise in die Höhe getrieben. Menschen, die sich das nicht leisten können, werden aus den Wohnvierteln vertrieben. Die Innenstädte werden zu Konsummeilen für die obere Preisklasse. Zweitens. Studierende haben im Monat durchschnittlich 830 Euro zur Verfügung, 20 Prozent von ihnen weniger als 600 Euro. Die Miete ist mittlerweile der mit Abstand größte Kostenpunkt. Fast die Hälfte ihres Geldes geben die Studierenden für die Miete aus. Für die meisten von ihnen geht das schlicht an die Existenz. Ein weiterer Grund ist die sinkende öffentliche Förderung von studentischem Wohnraum. 1991 gab es bundesweit noch 246 000 Plätze in Studentenwohnheimen. 2011, also 20 Jahre später, gab es 20 000 Plätze weniger, obwohl die Studierendenzahl im selben Zeitraum um 34 Prozent gewachsen ist. In Bremen bekommen auf diese Art und Weise jetzt nicht einmal mehr 7 Prozent der Studierenden einen Wohnheimplatz. Und was macht die Bundesregierung? Nichts! Es gab nicht eine einzige Maßnahme aus dem Bildungsministerium. Der Runde Tisch „Wohnraum für Studierende“ von Minister Ramsauer blieb ergebnislos. ({1}) Bei den aktuellen Nachverhandlungen zum Hochschulpakt spielte die soziale Infrastruktur keine Rolle.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Feist?

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gerne.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. - Natürlich ist es in München oder in Bremen schlimm. Könnten Sie sich vorstellen, unter der Überschrift „Studentisches Wohnen“ am Schluss Ihrer Rede noch ein flammendes Plädoyer für die hervorragenden Universitäten in Ostdeutschland, speziell am Standort Leipzig, zu halten? ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe das Gefühl, dass Sie das Thema dieser Debatte nicht ganz verstanden haben. Wir reden gerade nämlich nicht über die Hochschulen, sondern wir reden über studentischen Wohnraum. Natürlich ist es bekannt, dass es an verschiedenen Hochschulstandorten unterschiedlich ausschaut. Aber wir reden doch hier über die Verantwortung des Bundes. In der Verantwortung des Bundes liegt es ja auch, gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen. Ich verstehe eigentlich nicht, warum manche Studierende 400 Euro Miete und mehr zahlen sollen und andere nicht. Was hat das zum Beispiel mit Fairness beim BAföG zu tun? ({0}) Die Bundesregierung schiebt alles auf die Länder. Man könnte in diesem Fall auch sagen: Sie schiebt alles auf die Hochschulen. Aber der Bund ist in der Verantwortung, eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die es allen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen. Wenn die Koalition jetzt einwendet, dass das nicht geht, dann muss man eben die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen: Kippen Sie endlich das Kooperationsverbot! ({1}) Ohne die sozialen Voraussetzungen entscheidet am Ende der Geldbeutel, und es entscheiden nicht die Neigung oder die Interessen darüber, ob man sich ein Studium an der LMU in München, an der HU in Berlin oder an der TU in Darmstadt überhaupt leisten kann. Das zu verändern, das wäre Aufgabe der Bundesregierung. ({2}) Die Linke fordert eine Offensive im sozialen Wohnungsbau und eine soziale Mietrechtsreform. Wir wollen die Mieten deckeln. Die Kommunen müssen das Recht bekommen, Höchstmieten festzulegen, um den Preisanstieg zu stoppen. Der Verkauf öffentlicher Wohnungen muss gestoppt und die Rekommunalisierung bereits verkaufter Bestände unterstützt werden. ({3}) Die Linke will eine Wohnungsoffensive für Studierende. Mit einem Bund-Länder-Programm müssen neue Wohnheimplätze finanziert werden. In den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften muss bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen werden. Wir brauchen natürlich eine BAföG-Reform: Der Fördersatz für Wohnkosten muss erhöht werden und dynamisch an die durchschnittliche Mietsteigerungsrate angepasst werden. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Gohlke, ich unterbreche Sie ungern; aber Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Genau. Ich komme zum Schluss. - Die Bundesregierung muss endlich begreifen: Es gibt ein Menschenrecht auf Wohnen und keines auf Spekulation und Mietwucher. ({0}) Wenn man keinen bezahlbaren Wohnraum schafft, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich ihn einfach irgendwann nehmen. Dazu muss man dann auch wohl den Studierenden raten. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die Unionsfraktion. ({0})

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den vorliegenden Antrag der Linken lese, bin ich versucht, mir die Frage zu stellen, ob wir eigentlich die Richtigen sind, die dieses Thema beraten. Wie Sie sicherlich wissen, liegt der soziale Wohnungsbau nach unserem Grundgesetz in der Verantwortung der Länder. Der Bund ist für die soziale Wohnraumförderung - hierzu gehört auch die Förderung von studentischem Wohnraum - nicht zuständig. Das ist Ländersache. Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass jeder künftig nur noch das zahlt, wofür er auch zuständig ist. Ihre Forderung an den Bund nach einer bedarfsgerechten Bereitstellung von günstigem Wohnraum ist also grundgesetzwidrig. ({0}) - Das ist kein Unsinn; das ist richtig. Erlauben Sie mir einen weiteren Hinweis. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde auch vereinbart, dass der Bund den Ländern für einen Übergangszeitraum, nämlich bis 2019, Kompensationszahlungen leistet. Wie es ausschaut - das ist auf dem Weg -, wird das auch im Jahr 2014 der Fall sein. Das sind im Bereich des sozialen Wohnungsbaus 518 Millionen Euro jährlich. Die Frage, meine Damen und Herren, ist natürlich: Wie verantwortungsvoll gehen die Länder mit diesen Kompensationszahlungen des Bundes um? Ich erinnere mich, dass das Land Berlin - man kann das auch nachschauen - unter Regierungsbeteiligung der Linken dieses Geld, das eigentlich für Investitionen im sozialen Wohnungsbau gedacht war, zweckentfremdet hat. ({1}) Ich wiederhole mit anderen Worten: Man hat es ganz anders verwendet, als es eigentlich gedacht war. Damals hätte die Linke zeigen können, wie sehr ihr die Studentenwohnungen wirklich am Herzen liegen. Doch was haben Sie von der Linken mit dem Geld getan? Sie haben den Studenten das Geld vorenthalten, um damit alte Schuldenlöcher zu stopfen - eigentlich ein waschechter Skandal. ({2}) Doch statt sich in Demut zu üben, kommen Sie jetzt daher und wollen vom Bund noch mehr Geld. Dabei gibt es durchaus Länder, die ihre Pflicht erfüllt haben und erfüllen. Schauen Sie einmal nach Bayern! In Bayern halten wir uns an die Vorgaben der Föderalismusreform. Der Freistaat gewährt aufgrund des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes Investoren, die studentischen Wohnraum schaffen, erweitern oder auch sanieren, Darlehen von bis zu 26 500 Euro je Wohnung. Ein solches Darlehen wird in einen Zuschuss umgewandelt, wenn die bestimmungsgemäße Verwendung als studentischer Wohnraum nicht verändert wird. In den Förderrichtlinien ist gleichzeitig eine zulässige Höchstmiete von durchschnittlich 170 Euro monatlich je Wohnung - ich wiederhole: 170 Euro! - festgesetzt. Das zeigt: Es geht, wenn die Länder ihre Hausaufgaben anständig machen. Hier ist ein Unterschied zwischen Bayern und Berlin. Eine grundgesetzwidrige Intervention des Bundes, wie im vorliegenden Antrag von den Linken vorgesehen, ist dann nicht notwendig. ({3}) Unser Bundesbauminister treibt das Thema „studentisches Wohnen“ auch im Bund voran, soweit dies im Rahmen seiner Zuständigkeit überhaupt möglich ist. ({4}) Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer hat erst im November letzten Jahres einen Runden Tisch zum Thema „Wohnraum für Studierende“ organisiert. Der Minister hat hier noch einmal klargestellt, dass er zu den zugesagten Kompensationsmitteln in Höhe von 518 Millionen Euro jährlich steht. Er hat klargemacht, dass die Förderung von studentischem Wohnraum eine Daueraufgabe ist, die jedoch in erster Linie von den Ländern zu erfüllen ist. Der Minister hat eine Investorenkonferenz initiiert, die demnächst stattfinden wird. Hieran werden Investoren teilnehmen, die auf studentischen Wohnraum spezialisiert sind. Außerdem hat er die BImA gebeten, sich verstärkt in diesem Bereich zu engagieren. Die Gespräche hierfür laufen derzeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch eine Anmerkung zur grundsätzlichen Diskussion über die Mietpreisexplosion in Deutschland machen, die Sie, Frau Gohlke, angesprochen haben. Als Vertreter eines Flächenwahlkreises verweise ich regelmäßig darauf, dass wir den ländlichen Raum stärken müssen. ({5}) Warum? Weil der Markt die Preise, eben auch die Mieten, bestimmt! ({6}) Der beste Weg, die Mietpreise auf einem angemessenen Niveau zu halten, führt über eine ausgewogene Nachfrage in Stadt und Land. Die christlich-liberale Koalition hat dies bereits seit langem erkannt. Andere hinken hier weit hinterher. Wir haben im vergangenen Jahr einen beeindruckenden Antrag zur Zukunft der ländlichen Räume verabschiedet. Dieser Antrag enthält viele ganz konkrete Maßnahmen zur Stärkung des ländlichen Raums und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmarktsituation. Was haben wir in der christlich-liberalen Koalition noch getan? Wir haben ebenfalls bereits im vergangenen Jahr eine Mietrechtsänderung beschlossen, ({7}) in der auch Maßnahmen gegen eine Mietpreisexplosion in den Ballungsräumen enthalten sind. Künftig darf die Miete innerhalb von drei Jahren nur noch um 15 Prozent statt bisher um 20 Prozent erhöht werden, wenn ein Land für bestimmte Gemeinden dies so festlegt. Hier hat die Koalition gehandelt, während andere nur reden. Wir haben in diesem Gesetz einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen der Eigentümer, die man natürlich nicht vergessen darf, und der Mieter gefunden. Bei allem Einsatz für die Mieterinnen und Mieter denken wir nämlich auch daran, dass irgendjemand die Wohnungen, in denen die Mieter wohnen sollen, auch bauen und bezahlen muss. Das haben einige mit ihrer sozialistischen Denkweise immer noch nicht kapiert, wie man am vorliegenden Antrag wieder einmal sieht. ({8}) Ohne wirtschaftlichen Anreiz wird kein Investor auch nur eine Wohnung bauen. ({9}) Dies alles zeigt: Mit der christlich-liberalen Koalition und natürlich einer starken CSU fährt unser Land, fahren die Menschen in unserem Land und insbesondere die Studenten, über die wir heute reden, am besten. ({10}) Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Groß für die SPDFraktion. ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Holmeier, ich wundere mich, warum Sie Ihren Minister noch Bauminister nennen. Sie haben ihm ja gerade alle Aufgaben, die er eigentlich hat, entzogen; denn Sie sagen ja: Das ist nicht seine Aufgabe, in Deutschland Wohnungsbaupolitik zu unterstützen, ({0}) dafür zu sorgen, dass Menschen in unserem Land vernünftig leben und wohnen können in Quartieren, die sie unterstützen, dass Studenten eine Wohnung finden, die das Studium fördert, und Rahmenbedingungen zu schaffen, die dafür sorgen, dass sie ihre Lebensziele erreichen. ({1}) Was die Zahl der Studienanfänger angeht: Es war ja schon zu Beginn der Amtszeit der jetzigen Regierung erkennbar, dass es mehr Studierende geben würde. Umso mehr wundern wir uns, dass - das wurde ja gerade noch einmal bestätigt - außer Gesprächen nicht viel stattgefunden hat. ({2}) Wir begrüßen natürlich sehr, dass es immer mehr Studienanfänger gibt, aber leider setzt sich in Deutschland Bildungsgleichheit immer noch nicht durch, weil vielen die materielle und wirtschaftliche Grundlage fehlt. Drei Viertel der jungen Menschen, die ein Studium nicht be29288 ginnen, machen das, weil sie nicht auf eine sichere finanzielle Grundlage zurückgreifen können, ({3}) und ein Fünftel der Studentinnen und Studenten, die ein Studium abbrechen, tun das, weil sie in einer schwierigen finanziellen Situation sind. Wir haben es gerade gehört: Im Oktober 2012 konnte man in der Zeit lesen, wie die Situation der Studentinnen und Studenten aussieht. Tausende müssen auf eine Wohnung warten, es gibt Notplätze in Fitnessstudios und Turnhallen, ({4}) und Studierende müssen Kredite aufnehmen, damit sie ihre Studentenbude finanzieren können. Und was tut der Minister? Er sagt, seine Spielräume seien begrenzt, und er verkündet auf der Bauministerkonferenz, er habe mit der letzten Mietrechtsnovelle alles getan, damit die Mietpreise nicht steigen. Das ist falsch, Herr Minister. Sie haben mit der Mietrechtsnovelle die soziale Funktion des Mietrechts ausgehöhlt; damit werden Sie in den Städten bewirken, dass es weiter zu Mietpreissteigerungen kommt und die Studentinnen und Studenten aus den Wohnungen vertrieben werden. ({5}) Sie haben mit dem Finger auf Nordrhein-Westfalen oder auf andere Bundesländer gezeigt. Ich kann Ihnen nur sagen: NRW ist genauso gut wie Bayern und viele andere Bundesländer auch. NRW hat ein eigenes Förderprogramm aufgelegt, das im letzten Jahr in Kraft getreten ist, und will Bauträgern, die den Studenten Wohnungen anbieten, verbilligte Kredite ermöglichen. Es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen und nicht die Hände in den Schoß legen. Wir fordern ein nationales Aktionsprogramm für Wohnen und Stadtentwicklung. ({6}) Wir fordern ein Ausbauprogramm des Bundes für 25 000 neue Studentenwohnplätze. Die Städtebauförderung muss wieder aufgestockt werden; Sie haben sie heruntergefahren auf 455 Millionen Euro, haben sie massiv gekürzt. ({7}) Das Programm „Soziale Stadt“ haben Sie zum Teil um 60 Prozent gekürzt. Wir fordern ein Sonderprogramm für Wohnungsbaugenossenschaften, damit der Wohnungsneubau angereizt wird, und wir fordern vor allen Dingen - das haben Sie eben nicht zugesagt, Herr Minister - mittelfristig 518 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung. Sie haben vom nächsten Jahr gesprochen. Schließlich fordern wir eine Rückkehr zu einem sozialen Mietrecht. Das werden wir angehen, wenn wir in der Verantwortung sind. ({8}) Das sind die Aufgaben des Bundes. Da können Sie sich nicht zurückziehen und sagen: Ich habe da eigentlich keinen Spielraum und keinen Einfluss. ({9}) Also: Wir müssen in Forschung, Bildung und Infrastruktur investieren. ({10}) Wir wollen, dass junge Menschen unabhängig von ihrer Herkunft den sozialen Aufstieg schaffen, und wir wollen, dass das in lebenswerten Städten mit bezahlbarem Wohnraum passiert. Herzlichen Dank. Glück auf! ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Sebastian Körber hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Studienanfänger, gerade auch ausländische Studierende, haben es an vielen Hochschulstandorten schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. In der Analyse sind wir uns einig. Wir benötigen etwa 70 000 bis 80 000 zusätzliche Wohnungen und Heimplätze. Wenn wir uns, Frau Kollegin Gohlke, den heute vorliegenden Antrag Ihrer Fraktion anschauen, erkennen wir: Das ist vielleicht das schlechte Gewissen, das Sie gerade haben. Was Sie nicht wahrhaben wollen: Sie haben bis zum Jahr 2011 im Land Berlin, in dem wir uns ja befinden, mitregiert. Was haben Sie da gemacht? Nichts! Der Kollege Holmeier hat es bereits angesprochen: In der Föderalismusreform ist festgelegt worden, dass die soziale Wohnraumförderung - dazu gehört explizit auch bezahlbarer Wohnraum für Studierende - Länderkompetenz ist und in die Länderhoheit gehört. Das nur mal so zum Verständnis. Sie haben im Land Berlin diese Mittel sogar zweckentfremdet. ({0}) Sie haben die Frechheit besessen, dass Sie diese Mittel für die Tilgung von Schulden verwendet haben, und haben also ganz andere Sachen mit dem Geld veranstaltet. Sie haben die Mittel nicht zielgerichtet für den eigentSebastian Körber lichen Zweck eingesetzt. Vielleicht plagt Sie gerade das schlechte Gewissen. ({1}) Bei der Linken muss ohnehin alles der Staat regeln. Das ist aus meiner Sicht übrigens grundfalsch. ({2}) Wir müssen Anreize schaffen, damit bezahlbarer Wohnraum gebaut wird. Das ist der beste Schutz für die Mieterinnen und Mieter. Sie ziehen sich doch aus der Verantwortung! Eine wesentliche Ursache für die Wohnungsproblematik ist natürlich auch, dass in den Ballungsräumen in den letzten Jahren schlicht und ergreifend zu wenig getan worden ist. Herr Kollege Groß, in den zehn größten Städten unseres Landes sind die Oberbürgermeister mittlerweile alles sozialdemokratische Kollegen von Ihnen. ({3}) Die müssen erst einmal Bauland zur Verfügung stellen, und zwar zu bezahlbaren Preisen, damit wir die Chance haben, dort etwas zu bauen. Aber das machen Ihre Kolleginnen und Kollegen Oberbürgermeister vor Ort nicht. Damit fängt es schon an. Wir müssen feststellen, dass die Zahl der Studierenden gestiegen ist: um 50 Prozent in fünf Jahren. Aber wir müssen uns auch mit den Handlungsmöglichkeiten, die wir jetzt haben, auseinandersetzen. Zur sozialen Wohnraumförderung gehören nun einmal die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und das studentische Wohnen. Leider ist die Abgrenzung kompliziert. Das Land Bayern zum Beispiel macht eine hervorragende Arbeit; dies ist angesprochen worden. ({4}) Es ist ein schwarz-gelb regiertes Bundesland. Hier werden 26 500 Euro zur Verfügung gestellt. Das hätten Sie alles im Land Berlin machen können. Sie haben nichts gemacht. Der Bund und die KfW saßen zusammen mit am Runden Tisch, an dem die ersten Vorschläge erarbeitet worden sind. Hier hat der Bund auch Zuständigkeit; wir sind ja der Deutsche Bundestag. Wir machen auch noch deutlich mehr. Der Bund und die KfW unterstützen den Neubau und die Sanierung von studentischem Wohnraum mit zinsverbilligten Krediten über die KfWFörderbank. Seit Oktober 2012 sind die Maßnahmen zur energetischen Sanierung bei Umwidmung förderfähig und damit auch für Wohnraum für Studierende zu verwenden. Ein guter Ansatz ist auch, die schnellere Schaffung studentischen Wohnraums dadurch zu ermöglichen, dass wir die militärischen Liegenschaften und die Bundeswehrliegenschaften schneller für die Umnutzung zur Verfügung stellen. Sie sehen, wir unternehmen viele Anstrengungen. Hier haben wir eine gewisse Bundeszuständigkeit. Das Baurecht, die Planungshoheit hat die Kommune. In den größten Ballungsgebieten, in denen die Mieten am allerhöchsten sind - nehmen wir einmal München -, regieren Kollegen der SPD, zum Beispiel der Kollege Ude. Da ist es ja mit den Immobilienpreisen am allerschlimmsten. Da muss man anfangen. Sie hätten über die Planungshoheit der Kommunen die Möglichkeit, ({5}) diese Situation zu verbessern, Herr Burkert. So ist es nun einmal. ({6}) Unsere Studierenden brauchen natürlich auch vernünftige Studienbedingungen - das ist klar -, aber eben auch bezahlbaren Wohnraum. Natürlich leiden viele unter diesen hohen Mieten. Sicher kann man die BAföGSätze erhöhen. Mehr ist Ihnen in Ihrem Antrag nicht eingefallen. Davon wird aber keine einzige bezahlbare Wohnung gebaut und geschaffen. Mit Ihrem Antrag gehen Sie völlig an dem Problem vorbei. Der beste Mieterschutz ist und bleibt ausreichend bezahlbarer Wohnraum. ({7}) Wir müssen Anreize setzen, die Rahmenbedingungen anpassen. Das können wir als Bund machen. Bis zum Jahr 2011 haben Sie im Land Berlin nichts gemacht. Ich wiederhole es gerne zum dritten Mal. Der Bund hat im Rahmen seiner Kompetenzen schon seine Hausaufgaben gemacht. Es gab nicht nur Runde Tische; da sind Sie anscheinend falsch informiert. Ich bin auch optimistisch, dass wir gemeinsam einiges bewegen können. Aber Sie greifen da einfach viel zu kurz. Der Bund muss die Rahmenbedingungen setzen. Das Geld, das vom Bund bereitgestellt wird - es sind immerhin 518 Millionen Euro per annum für den sozialen Wohnungsbau und 455 Millionen Euro an Städtebaufördermitteln, zum Beispiel für die energetische Stadtsanierung -, muss von den Ländern richtig eingesetzt werden. In vielen Ländern regiert die SPD, Herr Kollege Groß. Der Bund hat die Rahmenbedingungen gesetzt. Am Schluss ist es doch so: Die Umsetzung der Forderungen aus dem Angstwahlkampf der SPD zum Thema „Bezahlbarkeit von Wohnraum“ - Sie von der SPD schüren hier die Ängste der Menschen - würde nicht dazu führen, dass neue Wohnungen gebaut werden. Wenn Sie eine Deckelung des Mietpreises bei 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete einführen würden - das haben Sie schon angesprochen -, würde überhaupt keiner mehr etwas bauen und sanieren, und das wäre das Allerschlimmste. Ausreichend bezahlbarer Wohnraum ist der beste Mieterschutz; er ist auch das Beste für Studentinnen und Studenten. Nicht „das Wir entscheidet“ hier am Schluss. Entscheidend ist vielmehr, dass wir zielgerichtete Investitionen ermöglichen und Verordnungen und Gesetze entsprechend flexibilisieren, damit Wohnungsbau stattfinden kann. Die schwarz-gelbe Koalition hat ihre Hausaufgaben gemacht. Vielleicht macht gerade die SPD in den Ländern, in denen sie Verantwortung trägt, ebenfalls ihre Hausaufgaben. Das würde uns sicherlich weiterhelfen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie zuvor gab es so viele Studierende wie heute. Die große Chance, mehr Bildungsaufstiege und Studienabschlüsse zu ermöglichen, darf nicht ungenutzt bleiben. Was die Bereitstellung von Studienplätzen angeht, haben Bund und Länder mit der Aufstockung der Mittel des Hochschulpaktes in der letzten GWK-Sitzung ein ebenso gutes wie überfälliges Signal gesendet. Aber damit ist die Herausforderung des Studierendenbooms längst nicht bewältigt: Es fehlt eine Ausweitung des BAföG, es fehlt die soziale Öffnung unserer Universitäten und Fachhochschulen, und es fehlt der Ausbau der sozialen Infrastruktur an den Hochschulen. Zur sozialen Infrastruktur gehört insbesondere studentisches Wohnen. Hier muss die Bundesregierung endlich eigene Vorschläge vorlegen, anstatt weiter die Hände in den Schoß zu legen. ({0}) Ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht geht, hat Bundesbauminister Ramsauer geliefert. Mit großem medialem Getöse hat er zum Runden Tisch „Wohnraum für Studierende“ eingeladen. Dabei ist doch nichts Substanzielles herausgekommen - es wurde gerade deutlich -: ({1}) Neben Vorwürfen an die Länder gab es nur einen Prüfauftrag hinsichtlich der Unterbringung von Studierenden in alten Kasernen. Die Umsetzung dieses einzigen konkreten Vorschlags ist in gerade einmal drei Städten Realität. Das ist ein schlechter Scherz. Da muss nachgearbeitet werden. ({2}) Nahezu alle Hochschulstädte berichten von Wohnungsknappheit und langen Wartelisten bei Studierendenwohnheimen. Das Studentenwerk Erlangen-Nürnberg registrierte im letzten Wintersemester 4 000 Bewerbungen auf 2 000 Wohnheimplätze. Hier in Berlin stehen rund 900 Studierende auf der Warteliste für ein Studentenzimmer. Auch in ostdeutschen Unistädten wird es für Studierende schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Das Deutsche Studentenwerk beziffert den Mangel bundesweit auf 25 000 Wohnheimplätze. Herr Ramsauer, Frau Wanka, all diese Zahlen mahnen doch zum Handeln. Studierende brauchen ein Dach über dem Kopf und keine Inszenierung von Aktionismus. ({3}) Wir schlagen ergänzend zum Hochschulpakt einen bundesweiten Aktionsplan für studentisches Wohnen vor, damit Studierende nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Wohnraum vorfinden. Dazu gehört auch, Zwischennutzungen von Bundesliegenschaften endlich zu erleichtern. Anstatt ungenutzte oder leerstehende Gebäude des Bundes zu verkaufen, damit Investoren dort zum Beispiel teure Eigentumswohnungen hochziehen können, sollten diese Gebäude für günstiges studentisches Wohnen geöffnet werden. ({4}) Wir sagen: Wohnen muss bezahlbar bleiben. Hier ist die Koalition ihrer Verantwortung überhaupt nicht gerecht geworden. Bei der Städtebauförderung wurde massiv gekürzt. Das ging auch zulasten von Studierenden. Unsere Initiativen für eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik, vorangetrieben insbesondere von unserer Bauexpertin Daniela Wagner, haben Sie allesamt abgelehnt. Kommunen brauchen aber dringend wieder baurechtliche Instrumente zur Dämpfung der Mietentwicklung. Sie müssen in einzelnen Stadtquartieren Mietobergrenzen bei Neuvertragsmieten setzen können. Dass Schwarz-Gelb dies ablehnt, das ist unverantwortlich. ({5}) Auch Bundesbildungsministerin Wanka muss handeln, damit Studierende ihre Miete zahlen können: durch Verbesserungen beim BAföG. Sie wäre aber schlecht beraten, dem Vorschlag der Linksfraktion zu folgen. Jedem BAföG-Empfänger mit einem Schlag monatlich pauschal 70 Euro zusätzlich für die Miete zu überweisen, wäre undifferenziert, ja bisweilen ungerecht. Studentenbuden sind in Leipzig, Görlitz, Hamburg und München unterschiedlich teuer. Deswegen schlagen wir vor, die regional unterschiedlichen Mietstufen des Wohngeldgesetzes im BAföG zu verankern. Das wäre viel zielgenauer und gerechter als eine bundeseinheitliche Pauschalierung. ({6}) Patentrezepte für den Umgang mit dem Mangel an studentischem Wohnraum verbieten sich, dafür unterscheiden sich die Bedingungen an den Hochschulstädten zu sehr voneinander. Wichtig ist, das Problem wirklich anzupacken, alle Beteiligten - von Studentenwerk bis Immobilienwirtschaft - einzubeziehen und gemeinsam maßgeschneiderte Lösungen vor Ort zu finden. Länder und Kommunen gehen vielerorts mit gutem Beispiel voran. Gerade das grün-rot regierte BadenWürttemberg und NRW forcieren den Wohnheimausbau, sie stärken die Studentenwerke und unterstützen kreative Lösungen auf kommunaler Ebene. Der Bund muss von seiner Zuschauertribüne runterkommen und das Nötige tun. Studentische Wohnungsnot in einer Wissensgesellschaft - das ist hochnotpeinlich und muss überwunden werden. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Gohlke, Ihre Analyse ist richtig: Aufgrund des großen Studierendenandrangs fehlen in unserem Land viele Wohnheimplätze und bezahlbare Wohnungen. Zum Studieren - das haben wir gehört, da sind wir uns einig - gehört nun einmal auch ein Dach über dem Kopf. Ihre Schlussfolgerungen aber, Frau Gohlke, kann ich dagegen überhaupt nicht teilen. Sie fordern nichts weniger als eine Mietrechtsreform für alle Wohnungen in Deutschland und eine Verstaatlichung des Wohnungsbaus in Deutschland. ({0}) Ob wir so tatsächlich den Wohnungsmangel beseitigen, Frau Gohlke, das wage ich zu bezweifeln; um es einmal vorsichtig auszudrücken. ({1}) Ihre zweite Forderung zur Deckelung der Mieten für einen Wohnheimplatz ist überflüssig. Sie wird bereits vom Deutschen Studentenwerk, DSW, erfüllt. Es braucht also das von Ihnen vorgeschlagene Mietmoratorium nicht. Drittens fordern Sie - genau wie Peer Steinbrück; wir haben es auch von Herrn Groß gehört - ein BundLänder-Programm zur Schaffung von 25 000 Wohnheimplätzen für Studierende. Rot-rote Einigkeit also: herzlichen Glückwunsch! Ich muss aber - das wurde heute schon x-mal gesagt darauf hinweisen, dass die Zuständigkeit für den Wohnheimbau eindeutig bei den Ländern liegt. Es ist an den Ländern, eine bessere Ausstattung zum Beispiel der Studentenwerke sicherzustellen. Das gilt im Übrigen auch für die BAföG-Ämter, wo immer noch viel zu viele Anträge zu lange liegen bleiben. Einige Länder zeigen, dass es anders geht. Bayern zum Beispiel - wir haben es gehört - baut derzeit 2 500 neue Wohnheimplätze und bezuschusst diese mit dem bundesweit höchsten Anteil von 26 000 Euro pro Platz. Das Deutsche Studentenwerk preist die Bayern hierbei als vorbildlich für alle Bundesländer. In meiner Heimat Baden-Württemberg hat noch die CDU-geführte Vorgängerregierung den Bau von über 3 000 neuen Wohnheimplätzen beschlossen. Diese befinden sich schon im Bau. Das ist also kein Verdienst der neuen Landesregierung. In Stuttgart beispielsweise steht schon jetzt für fast 15 Prozent aller Studierenden ein Wohnheimplatz zur Verfügung. Zum Vergleich: In Berlin sind es gerade mal 6,5 Prozent. Auch das zeigt: Die Kommunen sind gefordert. Darauf hat Kollege Körber schon hingewiesen. Im CDU-geführten Hessen, das ohnehin schon sehr aktiv im Wohnheimbau war, hat in diesem Monat der Bau von 2 000 zusätzlichen Wohnheimplätzen begonnen. Sie sehen also: Im Wohnheimbau geht es besonders dort voran, wo die CDU bzw. die CSU regiert. Zur Linkspartei sage ich: Sie fordern immer besonders viel, aber dort, wo Sie regieren, passiert leider nichts. ({2}) Das Beispiel Berlin wurde angesprochen. Dort wurde erst unter Regierungsbeteiligung der CDU eine Vereinbarung über die Schaffung von 5 000 neuen Studentenwohnungen getroffen. Als Sie von der Linkspartei noch an der Regierung waren - zehn Jahre lang -, haben Sie nichts getan; auch das wurde gesagt. Wie soll da ein Student oder eine Studentin Ihren Antrag ernst nehmen, Frau Gohlke? ({3}) Auch im rot-roten Brandenburg sind jedenfalls mir übermäßige Aktivitäten im Studentenwohnheimbau nicht bekannt. Die Linken tun also nichts, aber auch SPD, Herr Groß, und Grüne sind wenig vorbildlich. Ich muss leider sagen: Sie machen sich einen schlanken Fuß. ({4}) Was passiert zum Beispiel in Niedersachsen? Gerade einmal zwei Monate ist die rot-grüne Regierung im Amt, und schon werden erste Kürzungen für den Hochschulbereich beschlossen. 9 Millionen Euro muss das Wissenschaftsministerium im nächsten Jahr einsparen. ({5}) Wie man so die ohnehin schon magere Grundfinanzierung der Hochschulen und Universitäten verbessern will, bleibt Ihr Geheimnis. Für neue Studentenwohnheime wird dann natürlich erst recht kein Geld vorhanden sein. Aber in der Opposition - das zeigen Sie hier immer wieder aufs Neue - kann man gerade im Bereich der Bildungspolitik immer lustig mitfordern. In meinem Heimatland Baden-Württemberg wird unter Führung der Grünen trotz 3 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen im Bildungsbereich massiv gekürzt: Tausende Lehrerstellen fallen weg, ({6}) die Senkung des Klassenteilers wird gestoppt, neu eingestellte Lehrer verdienen weniger und, und, und. Ich könnte die grün-rote Streichliste hier beliebig fortsetzen. ({7}) Im Bund wären ein wenig mehr Konstruktivität und weniger Wahlkampfgetöse seitens der Opposition angebracht. Frau Gohlke, keine der Forderungen der Linkspartei ist geeignet, den Studenten wirklich zu helfen. Im Gegenteil: Einige Ihrer Forderungen sind sogar völlig kontraproduktiv. Wo bleibt denn die Kreativität bei Ihren Vorschlägen? Warum rufen Sie immer nur nach dem Bund als Geldgeber? Der Bund sattelt beim Hochschulpakt Milliarden für über 600 000 neue Studienplätze drauf. Bei den Wohnheimplätzen sind jetzt aber die Länder am Zug. Setzen wir uns gemeinsam mit guten Ideen für mehr Wohnheimplätze ein, und orientieren wir uns dabei an den unionsgeführten Ländern! Diskutabel ist sicherlich die Öffnung von Bundesliegenschaften. Auch über die Länderklausel beim BAföG kann man sicherlich diskutieren. Wir haben aber gesehen: Die Union macht es besser als die Linken, als SPD und Grüne. Deshalb sollten wir da gemeinsam ansetzen. Frau Gohlke, Ihr Antrag hilft den Studierenden nicht. Deshalb lehnen wir ihn heute ab. Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass heute intensiv über Wohnraum für Studierende debattiert wird. Als wir Sozialdemokraten vor einem Jahr, im Februar 2012, einen solchen Antrag hier eingebracht haben, fand er keine große Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit kann aber wachsen. ({0}) Die Aufmerksamkeit sollte aber in einer Art und Weise wachsen, dass es nicht zu falschen Zuordnungen kommt. Der Antreiber bei diesem Thema ist das Deutsche Studentenwerk und nicht irgendwelche rot-roten Sozialisten oder sonst jemand. In allen Bundesländern geht bei diesem Thema das Deutsche Studentenwerk mit einem vergleichsweise hohen Maß an Objektivität in der Analyse vor. Damit es hier nicht bei einseitigen Länderbetrachtungen bleibt, möchte ich Ihnen aus dem jüngsten Report des Deutschen Studentenwerks, den Sie alle erhalten haben, vorlesen, wie es aktuell mit der Versorgung mit Wohnraumplätzen aussieht: tolle Versorgung in Sachsen und Thüringen - Herr Feist, damit kann man werben -, Bayern und Nordrhein-Westfalen bewegen sich auf vergleichbarem Niveau - 10,65 Prozent in NRW, 10,96 Prozent in Bayern -, und ziemlich schlecht ist die Situation in Hessen mit 7,34 Prozent und in Hamburg mit 8,74 Prozent. Was soll denn immer dieses Länderbashing? Warum sucht sich jeder immer das Passende heraus, obwohl es doch eigentlich darum gehen muss, die Situation beim studentischen Wohnraum insgesamt und nicht nach Farben sortiert voranzubringen? ({1}) Wenn Ihnen die Analyse des Deutschen Studentenwerks, die sich mit der Situation in den Ländern befasst und sich dabei nicht an Parteien oder Farben orientiert, nicht reicht, empfehle ich Ihnen eine weitere Verlautbarung des Studentenwerks, in der die Bundesländer, die jetzt Gutes tun, genannt werden - quer durch alle Farben -: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hamburg. Wir müssten doch gemeinsam ein Interesse daran haben, dass alle etwas tun. Wenn wir aber wollen, dass alle etwas tun, dann müssen wir auch die Frage stellen, ob die Länder das alleine machen sollen oder ob das nicht aufgrund des nationalen Bildungsinteresses ein Engagement ist, das von Bundesebene aus mit befördert werden kann. Ein richtiger Punkt in diesem Zusammenhang wurde vom Kollegen Gehring angesprochen, er steht auch im Antrag der Fraktion Die Linke und kam auch in den letzten Beiträgen der Sprecher der Konservativen und der Liberalen zum Ausdruck: Wir müssen beim BAföG aufpassen, dass niemand abgehängt wird. Es muss differenziert werden, aber es muss eine Anpassung beim BAföG geben, damit die soziale Dimension gewahrt bleibt. Studentenwohnheime sind aber nicht nur eine Frage des sozialen Wohnungsbaus. Es geht darum, dass man in Studentenwohnheimen unabhängig vom Einkommen der Eltern wohnen kann. Dafür gibt es Gründe, zum Beispiel die soziale Durchmischung und die Attraktivität der Universitätsstädte für ausländische Studierende. Deswegen ist dies nicht ausschließlich ein Thema der sozialen Wohnraumförderung, die durch die Föderalismusreform auf die Länder übergegangen ist. Der Bund kann; er könnte, wenn er wollte. Das ist der zweite Akzent, den wir neben dem BAföG setzen wollen: Es sollte ein Sonderprogramm für 25 000 Wohnheimplätze für Studenten geben; das hat auch das Deutsche Studentenwerk gefordert. Dies wäre ein sichtbares Zeichen dafür, dass das besondere Problem des studentischen Wohnens bei uns angekommen ist. Es geht um die Querschnittsaufgabe Bildungsförderung, aber auch um die Förderung einer zukünftigen - mit diesem Begriff wende ich mich insbesondere an die rechte Seite des Hauses - Elite. Wenn wir diese hohen Studierendenzahlen halten wollen, bedeutet das, dass zusätzlich ausländische Studierende aus vielfältigen Gründen zu uns kommen sollen. Sie wissen genau, dass die ausländischen Studierenden, gerade auch die sehr guten, meist in studentischen Wohnheimen ihre Unterbringung finden. Diese sind auch eine Art Basis, um soziale Kontakte zu knüpfen. Deshalb ist das eine langfristige Investition. In diesem Bereich muss es mehr geben als das, was wir aktuell vom Wohnungsbauminister geboten bekommen. Der Wohnungsbauminister hat einen Runden Tisch gemacht. Zeitgleich hat er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Grundsatzartikel „Impulse für mehr Wohnungsbau“ veröffentlicht. Diesen Artikel habe ich interessiert gelesen und dabei gedacht: Wann kommt denn etwas zum studentischen Wohnungsbau? Schließlich hat der Wohnungsbauminister einen Runden Tisch dazu gemacht. Kein Wort in der FAZ, aber Runde Tische! Wissen Sie, was wir zu einem solchen Wohnungsbauminister in Schleswig-Holstein sagen? Er ist ein Schnacker, nicht mehr. ({2}) Wir brauchen aber einen Bundesminister, der im Kooperationsverhalten mit Bund und Ländern aktiv Politik macht. So einen Bundesminister brauchen wir, keinen Schnacker. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11696 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Ver- kehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Wer stimmt für diesen Überweisungs- vorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Mortler, Ingbert Liebing, Dr. Michael Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Meierhofer, Jens Ackermann, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tourismus in ländlichen Räumen - Poten- ziale erkennen, Chancen nutzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tourismus in ländlichen Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken - Drucksachen 17/9570, 17/9571, 17/12573 - Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Horst Meierhofer Kornelia Möller b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozial und regional - Tourismus in ländlichen Räumen stärken - Drucksachen 17/11373, 17/12926 Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Horst Meierhofer Markus Tressel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion das Wort. ({2})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tourismus im ländlichen Raum ist ziemlich genau das Gegenstück zu dem, über das wir gerade debattiert haben, nämlich die Tatsache, dass in den Groß- und Ballungsräumen das Problem besteht, dass man kaum noch Mietraum bekommt oder er kaum noch bezahlbar ist. Im ländlichen Raum hingegen hat man höchste Schwierigkeiten, die jungen Leute noch dort zu halten. Deswegen ist es, glaube ich, dringend notwendig - da sind wir uns alle einig; es ist schön, dass es so viele Anträge zu diesem Thema gibt -, endlich Zukunftsperspektiven für den ländlichen Raum zu schaffen. Unserer Überzeugung nach ist der Bereich Tourismus eine der besten Möglichkeiten dafür; denn Tourismus schafft hochwertige Arbeitsplätze und hält die Leute vor Ort. Diese Arbeits29294 plätze sind auch nicht so leicht verlagerbar. Deswegen ist es unser gemeinsames Interesse, den Tourismus im ländlichen Raum voranzubringen. Dieses Thema ist nicht nur bei uns von Interesse; es wurde nicht nur innerhalb unserer Fraktionen besprochen, sondern auch im Bundeswirtschaftsministerium und im BMELV, im Landwirtschaftsministerium. Im Rahmen des Projekts „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ - dazu wird der Staatssekretär und Tourismusbeauftragte Burgbacher noch etwas sagen - hat man Handlungsempfehlungen, Praxisleitfäden, BestPractice-Beispiele und Ähnliches gegeben, damit die Leute vor Ort wissen, was man tun kann, und sich auch ein Beispiel an anderen Touristikern nehmen können, die vielleicht schon mehr Erfahrungen damit gemacht haben. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Bestandteil, und das haben wir mit unserem Antrag gerne unterstützt. Wir haben auch einen Kongress veranstaltet, und zwar gemeinsam als CDU/CSU und FDP. In diesem Rahmen haben wir über die ländlichen Räume und ihre Perspektiven gesprochen. Es waren mehrere Hundert Teilnehmer, die uns zugehört haben. Das Spannende war: Von allen Bereichen - Wirtschaft, Verkehr, Tourismus - hatte der Tourismus die meisten Zuhörer. Aus meiner Sicht war das damals überraschend. Aber es zeigt, dass der ländliche Raum selbst erkennt, dass es hier wirklich große Chancen gibt. Es gibt einiges, was wir noch erreichen müssen. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ haben wir schon einige Erfolge erzielt; das ist von großer Bedeutung. Auch die Breitbandstrategie ist wichtig. Wenn man Schwierigkeiten hat, mit den Ballungsräumen zu konkurrieren, ist es umso wichtiger, die Infrastruktur im ländlichen Raum - das Internet gehört mittlerweile natürlich zuvorderst dazu - zu fördern. Das ist uns, glaube ich, ganz gut gelungen. ({0}) Bis 2014 streben wir eine Verfügbarkeit von Bandbreiten mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde für 75 Prozent der Haushalte an. Das zu schaffen, wäre ein großer Erfolg. Ein Thema, das die Tourismuspolitiker aller Parteien verbindet, ist der Ferienkorridor. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Zeiten, in denen der Tourismus stattfindet, weiter ausgedehnt werden müssen. Auf Länderebene ist noch einiges zu tun, um die Hauptsaison zu verlängern. ({1}) - Das gilt auch für unser Bundesland, für Bayern; da haben Sie vollkommen recht. ({2}) Es liegen heute auch ein Antrag von der SPD und ein Antrag von den Linken vor, für die ich aber leider nicht mehr allzu viel Zeit habe. ({3}) Sie, lieber Kollege Paula, hinken insoweit hinterher, als in Ihrem Antrag steht, dass Sie ein Gesamtkonzept auf Bundesebene bzw. eine bundesweit geltende Regelung wollen. ({4}) Das wollten früher auch wir. Wir haben das sogar in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. ({5}) Wir haben aber gleich zu Beginn der Legislaturperiode festgestellt, dass die Länder das nicht wollen. ({6}) Die Länder haben gesagt: Wir wollen das nicht mehr. Ein Beispiel ist die Deutsche Zentrale für Tourismus. Sie hat gesagt, dass sie ihre Konzepte auf Länderebene umsetzen möchte. Genau das tut sie jetzt, unterschiedlich erfolgreich. In Bayern ist man sogar sehr erfolgreich. Es macht wenig Sinn, jetzt etwas zu fordern, was von der Wirklichkeit schon überholt ist. Noch ein Wort zum Antrag der Linken. Sie fordern, eine Analyse der Stärken und Schwächen vorzunehmen und eine Grundlagenuntersuchung durchzuführen. Wir sind sehr froh, dass wir das schon längst hinter uns haben. Denn wenn wir erst so weit wären, dann würden auch wir der Zeit hinterherhinken. Gott sei Dank tun wir das nicht, Sie schon ein bisschen. Trotzdem freuen wir uns, dass auch Sie der Meinung sind: Der ländliche Raum ist wichtiger, als er in der Vergangenheit wahrgenommen wurde. Es würde uns freuen, wenn Sie auch in Zukunft mit uns gemeinsam dafür sorgen würden, dass es vorwärts geht. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Heinz Paula für die SPD-Fraktion. ({0})

Heinz Paula (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003606, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Die Ausführungen meines Kollegen Meierhofer haben etwas, das auch ich deutlich zum Ausdruck bringen möchte, unterstrichen: Im Bereich des ländlichen Tourismus gibt es enorme Potenziale. Wir wissen, dass in Deutschland zwei Drittel aller Übernachtungen und über 40 Prozent der Tagesreisen in ländlichen Räumen stattfinden. Die Menschen wollen Natur erleben. Sie wollen nachhaltig verreisen. Sie wollen Produkte aus der Region. Da gibt es ein enormes Potenzial, welches wir heben, pflegen und ausbauen müssen. Wir sind uns einig, dass der Tourismus in ländlichen Räumen kein Selbstläufer ist, sondern wir die entspreHeinz Paula chenden Rahmenbedingungen schaffen müssen, um ihn zu stärken. Wir wissen, dass der ländliche Raum insgesamt vor gewaltigen Herausforderungen steht. Dazu gehören - ich nenne nur ein paar Beispiele - der demografische Wandel mit seinen Auswirkungen, sich entleerende Dörfer, Kaufkraftverlust, Fachkräftemangel, unzureichende Angebote bei der Mobilität und, lieber Kollege Horst Meierhofer, leider auch bei der Breitbandversorgung; teilweise geht man besser noch zu Fuß, als auf die Übertragungswege, die momentan vorhanden sind, zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist uns allen klar: Der Tourismus im ländlichen Raum ist ein Querschnittsthema. Es bedarf daher eines nachhaltigen und umfassenden Konzepts, um ihn bestmöglich zu stärken. Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern wir in unserem Antrag. Selbst Sie, liebe Kollegin Mortler, haben bei der ersten Lesung im letzten Mai - Sie erinnern sich - klar und deutlich bestätigt - ich darf Sie zitieren -, es wäre ideal, so Ihre Worte, ein Gesamtkonzept auf den Weg zu bringen. ({0}) Leider haben Sie bisher nicht im Ansatz versucht, etwas voranzutreiben. Auf Ihren Koalitionsvertrag, der, so wie bei Ihnen üblich, auch an dieser Stelle nur Papier ist, möchte ich gar nicht mehr groß eingehen. Mit unseren Forderungen - das sage ich insbesondere in Richtung der Regierungskoalition - stehen wir Gott sei Dank nicht alleine da. Wir haben sehr starke Bündnispartner. Auch der Deutsche Bauernverband zusammen mit dem Deutschen Landkreistag und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus stellen in ihrem Positionspapier sehr konkrete Forderungen zu sehr konkreten Maßnahmen. Wir brauchen ein entsprechendes Gesamtkonzept, um diesen Katalog an Forderungen erfüllen zu können. Das von der Bundesregierung initiierte Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ - Horst Meierhofer hat gerade darauf hingewiesen - geht zunächst einmal in die richtige Richtung. ({1}) Es zeigt nämlich überdeutlich - Vorsicht mit dem frühen Applaus, Kollege Horst Meierhofer -, dass enormer Handlungsbedarf besteht. Es ist spannend, welche Antworten Sie darauf geben. Ganz interessant finde ich die Kurzreports und Checklisten, mit denen wir wirklich etwas vorantreiben können. Herr Kollege Burgbacher, Kompliment an Ihre Mitarbeiter! Sie haben wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet. Allerdings bleibt die spannende Frage: Was tut die Bundesregierung? Was setzt sie davon um? Wer nimmt die Fäden in die Hand und versucht, die Dinge voranzutreiben? Lassen Sie mich auf einige unserer Forderungen eingehen. Der Deutsche Bauernverband und wir Sozialdemokraten fordern, dass endlich eine Grundlagenuntersuchung gefördert wird, die belastbare Daten zum Tourismus in ländlichen Räumen als Wirtschaftsfaktor liefert. Bisher: Fehlanzeige! Dann zu den finanziellen Rahmenbedingungen. Wir wissen doch alle, dass in Zeiten knapper werdender Kassen die Tourismusförderung nicht hinten herunterkippen darf. Wie sieht es mit der Förderung nach 2014 aus? Welche Schwerpunkte setzen Sie? Vonseiten der Regierung kommt dazu nichts. Der Bauernverband und die SPD fordern ferner, dass die Förderprogramme auf Bundes- und Länderebene neu ausgerichtet und aufeinander abgestimmt werden, damit das gesamte Förderspektrum bestmöglich ausgenutzt und Doppelförderungen vermieden werden. ({2}) Vonseiten der Regierung - Sie vermuten es schon, Kolleginnen und Kollegen -, kommt dazu wie immer nichts. Der Deutsche Bauernverband und wir Sozialdemokraten fordern, dass die Organisationsstrukturen endlich überdacht und zum Beispiel Parallelstrukturen vermieden werden. Welche Antwort kommt wiederum vonseiten der Bundesregierung? - Sie können die Antwort schon erahnen: nichts. Lassen Sie mich zu einem mir und meiner Fraktion sehr wichtigen Punkt kommen. Wir fordern in unserem Antrag eine soziale Ausrichtung des Gesamtkonzepts. Dazu gehören die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und vor allen Dingen auch die Entlohnung. Sie schreiben in Ihrem Papier „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“, Kurzreport Fachkräfte, sehr Aufschlussreiches. Ich darf zitieren: Familienunfreundliche Arbeitszeiten, vergleichsweise geringe Löhne … stellen eine hohe Belastung für Beschäftigte … dar und führen häufig zu einer hohen Unzufriedenheit. Richtig; das kann man nur unterstreichen, Herr Kollege Burgbacher. ({3}) Es geht weiter: leistungsgerechte Entlohnung. Auch da kann ich sagen: Jedes Wort ist richtig. „Mitarbeiter müssen spüren, dass sich gute Leistung lohnt.“ Jawohl, das ist absolut zu unterstreichen. Aber jetzt wird es ganz spannend, Kolleginnen und Kollegen. Ein paar Zeilen weiter steht nämlich: Wertschätzung und Anerkennung: - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen Ist der finanzielle Spielraum der Betriebe im Tourismussystem ländlicher Räume für Gehaltserhöhungen … begrenzt, kann auch eine wertschätzende Führung die Motivation der Mitarbeiter erhöhen. Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Verhöhnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ({4}) Wir fordern klipp und klar, ohne Wenn und Aber, guten Lohn für gute Arbeit, und das ist Mindestlohn. ({5}) Wir wissen doch alle, dass eine entsprechende Entlohnung ganz wesentlich mit dazu beitragen kann, dass Arbeitskräfte in den Regionen gehalten werden und damit ländliche Regionen stabilisiert werden können. Lassen Sie mich zu einem weiteren hochinteressanten Punkt kommen, der deutlich dokumentiert, wie weit Sie mit Ihren Bemühungen, den ländlichen Tourismus zu unterstützen, gekommen sind. Wie sieht es denn mit der Sommerferienzeitregelung aus? - Nichts, aber auch gar nichts haben Sie bewirkt. Im nächsten Jahr wird es einen Sommerferienkorridor von sage und schreibe 71 Tagen geben. Die Verbände rechnen uns doch immer wieder vor, welch horrender Einnahmeausfall mit den fehlenden Tagen - von 90 Tagen sind wir sehr weit entfernt - verbunden ist. Handeln Sie doch endlich! Übrigens, Frau Kollegin Mortler - es tut mir leid, dass ich schon wieder nach Bayern schauen muss -: Der allergrößte Blockierer in diesem Bereich ist die Bayerische Staatsregierung. ({6}) Ermuntern Sie Herrn Seehofer doch einmal, endlich vernünftig zu werden! Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Anträge der Regierungskoalition, der SPD und der Linken nebeneinanderstellen, stellen wir fest, dass der Antrag der SPD der umfassendste ist. Deshalb würde ich Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen. ({7}) Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr Antrag ist gar keine schlechte Kopie; aber er ist eine Kopie. Das Original, unser Antrag, ist einfach besser. Deshalb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten. Zu der Kopie, die die Kollegen von der Regierungskoalition vorgelegt haben, kann ich nur die Empfehlung aussprechen, sie abzulehnen. Dieser Antrag führt mit Sicherheit nicht weiter. ({8}) Ganz im Vertrauen: Ich traue Ihnen nicht zu, dass Sie bis September noch Butter bei die Fische bringen können ({9}) es sei denn, Kolleginnen und Kollegen, Sie gehen ohnehin davon aus, dass ab September Rot-Grün all das aufarbeitet, was Sie bisher versäumt haben. Ich bedanke mich. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ingbert Liebing ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft der ländlichen Räume war für die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag in dieser Wahlperiode ein ganz wichtiges Thema; das haben wir mit einer ganzen Reihe von Initiativen unter Beweis gestellt. Wir haben dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung der Bundespolitik gesetzt. Deshalb ist es gut, dass wir heute über den Tourismus in den ländlichen Räumen sprechen. ({0}) Das Thema Tourismus ist bei uns eingebettet in unsere Gesamtstrategie ({1}) für die Zukunft der ländlichen Räume. Die ländlichen Räume stehen angesichts des demografischen Wandels vor zunehmenden Herausforderungen. Mit der Koalitionsarbeitsgruppe, mit einem großen Fachkongress hier im Haus, mit dem Abschlussbericht im Juni und mit der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages im November vergangenen Jahres zu unserem Paket von 105 sehr konkreten Einzelmaßnahmen haben wir eine umfassende Strategie für die Zukunft der ländlichen Räume vorgelegt. Unser Ziel ist es, die ländlichen Regionen auch bei zurückgehender Bevölkerungszahl zukunftsfest und lebensfähig zu halten. Wir möchten den Menschen dort Heimat geben, wo sie zu Hause sind. Wir möchten, dass auch die nächsten Generationen noch auf dem Lande leben und arbeiten können. ({2}) Das ist unser Gegenentwurf zu der Politik von der linken Seite des Hauses, wo es oft genug nur heißt, man müsse die Starken stärken, und bei der die großen Metropolen im Mittelpunkt stehen. Das, liebe Freunde, meine Damen und Herren, reicht uns nicht aus. Wir brauchen im Prozess des demografischen Wandels Antworten für die Städte genauso wie für die ländlichen Regionen. Dafür bietet der Tourismus zusätzliche Chancen. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen dieses Thema zu Beginn der Wahlperiode im Koalitionsvertrag verankert. Jetzt, zum Ende der Wahlperiode, können wir Bilanz ziehen. ({3}) Wir können feststellen: Es ist viel geschehen; die Bundesregierung und die Koalition haben konkret gehandelt. Dies gibt mir heute die Gelegenheit, dem Beauftragten der Bundesregierung für Tourismus, Herrn Staatssekretär Ernst Burgbacher, für seinen engagierten Einsatz für den Tourismus insgesamt in unserem Land Dank zu sagen. ({4}) Auf Koalitionsinitiative hin hat die Bundesregierung das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ auf den Weg gebracht und abgeschlossen. Es liegen Handlungsempfehlungen und zahlreiche BestPractice-Beispiele vor. Mit unserem Antrag, den wir heute zur Beschlussfassung vorlegen, untermauern wir die Bedeutung dieses Themas und der dort angesprochenen Aspekte. In den vergangenen Jahren boomte insbesondere der Städtetourismus. Wir möchten auch die Potenziale der ländlichen Räume für den Tourismus stärker ausschöpfen. Dabei leistet die Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus in Deutschland eine großartige Arbeit. ({5}) Die von ihr entwickelte deutschlandweite Informationsund Buchungsplattform www.landsichten.de hat gerade diese neuen Onlinebuchungswege für den ländlichen Tourismus geöffnet. Dass ihre Vorsitzende Ute Mushardt auf der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse die Kristallkugel als Auszeichnung des Tourismusausschusses des Bundestages verliehen bekommen hat, ist eine besondere Würdigung dieses Einsatzes. ({6}) Das Projekt der Bundesregierung „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“, das gemeinsam mit dem Deutschen Reiseverband und vielen weiteren Partnern organisiert wurde, hat zehn Handlungsfelder identifiziert. Es geht um die Bewusstseinsbildung für regionale Identität, um Organisationsstrukturen, um mehr Zusammenarbeit in Netzwerken, um Markenbildung, um Sicherung von Fachkräften und Nachwuchs, um zeitgerechte Vertriebswege, um Infrastruktur, um Projektgestaltung und um Barrierefreiheit und Mobilität. Aus diesem Strauß von Themen möchte ich nur einige wenige Stichworte hervorheben. Gerade in den ländlichen Regionen haben wir noch zu kleinteilige touristische Organisationsstrukturen. Wir brauchen größere, schlagkräftigere und handlungsfähigere Einheiten. Aber das können wir nicht im Bundestag beschließen; das ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller Akteure im Tourismus. ({7}) Dabei kommt es auch darauf an, die regionale Bevölkerung in die Tourismusentwicklung einzubeziehen und für das Thema zu sensibilisieren und zu gewinnen. Die ländlichen Regionen, die sich im Tourismus engagieren wollen, brauchen für ihre Region klar erkennbare Markenbilder, klare Zielgruppen und Themen. Nicht jeder kann und soll alles machen wollen. Beim Vertrieb kommt es auf zeitgerechte Kommunikationsplattformen, gerade im Onlinegeschäft, an. Auch kleinste Angebote müssen online buchbar sein. Dafür kommt es aber auch auf die Infrastruktur an. Was nützt die beste Buchungsplattform, wenn die ländlichen Regionen von der Breitbandentwicklung abgehängt sind? Deswegen setzen wir uns für einen forcierten Breitbandausbau ein. Unser Ziel ist es, bis 2017 flächendeckend Übertragungsraten von 50 MBit sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund habe ich umso weniger Verständnis dafür, dass die neue SPD-geführte Landesregierung in meinem Heimatland, in Schleswig-Holstein, die Breitbandziele der CDU-geführten Vorgängerregierung abschwächt und das Ziel für den Glasfaserausbau von 2020 auf 2030 um glatte zehn Jahre nach hinten verschiebt. ({8}) Genau das ist es, was ich eingangs meinte, als ich davon sprach, dass die Linken eher die Metropolen im Blick haben. ({9}) Dort haben wir kein Problem mit schnellem Internet. Um die ländlichen Regionen müssen wir uns hier kümmern, und wir tun dies. ({10}) Gerade die Infrastruktur zur Sicherung von Mobilität

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen, Herr Kollege Liebing. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ist auch ein wichtiges Thema für die ländlichen Regionen und für den Tourismus. Wenn die ländlichen Regionen nur schwer erreichbar sind und die Anreise unverhältnismäßig lange dauert, dann fliegen die Menschen lieber in kürzerer Zeit nach Mallorca, als dass sie im eigenen Land Urlaub machen. Gerade deswegen ist auch die Verkehrsanbindung so wichtig. In dieser Wahlperiode haben wir also viel getan.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es geht jetzt zu weit, die ganze Wahlperiode Revue passieren zu lassen.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben viel auf den Weg gebracht und viel erreicht. Das werden wir in Zukunft fortsetzen, auch in der kommenden Wahlperiode, Herr Präsident, auch in Regierungsverantwortung. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unstrittig: Tourismus im ländlichen Raum ist ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor. Oftmals ist er sogar der einzige Wirtschaftszweig einer Region, der gleichzeitig viele Arbeitsplätze bindet. Trotzdem sind die aktuellen Zahlen alles andere als positiv. Während in den Ballungszentren die Besucher- und Übernachtungszahlen ansteigen, haben wir in ländlich geprägten Regionen und teilweise sogar in ausgewiesenen Urlaubsgebieten einen Rückgang zu verzeichnen. Selbst die stetige Verteuerung der klassischen Pauschalreisen ins Ausland hat nicht nennenswert dazu geführt, dass Urlaubsangebote im ländlichen Raum spürbar stärker nachgefragt werden. Häufig fehlt es an einer zeitgemäßen Bewerbung; vor allem fehlt es an bezahlbaren Angeboten für Familien gerade in den Schulferien. Obwohl die Tourismusförderung in der Zuständigkeit der Länder liegt, könnte der Bund mehr leisten. Der Bund könnte die Koordination und die überregionale Vernetzung von touristischen Angeboten deutlich verbessern. In diesem Zusammenhang warten wir noch immer auf die Stärkung eines Parlamentarischen Staatssekretärs zum Koordinator für die ländlichen Räume. ({0}) Die sozialpolitische Komponente fehlt bei der Koalition wieder einmal komplett. Sollte es nicht eigentlich so sein, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, in den Urlaub zu fahren? ({1}) Urlaub ist nicht nur Erholung und Regeneration, Urlaub ist auch Bildung. ({2}) Urlaub kann zum Beispiel dazu beitragen, dass Vorurteile durch Kennenlernen abgebaut werden, übrigens auch im Inland. ({3}) Wir können die sozialpolitische Komponente nicht außer Acht lassen, wenn wir über die touristische Entwicklung des ländlichen Raumes reden. Der Anteil derer, die im Hotel- und Gaststättengewerbe regulär beschäftigt sind, nimmt immer weiter ab. In der Regel muss fast überall aufgrund des Kostendrucks und der zweifelhaften gesetzlichen Rahmenbedingungen mit Minijobs gearbeitet werden. Ich glaube, das muss ganz dringend korrigiert werden. ({4}) In vielen Betrieben findet im Übrigen eine Selbstausbeutung innerhalb der Familien statt. Was bleibt denn dort für die Rente und die Altersvorsorge? Was ist, wenn zum Beispiel am Ende der Erwerbsarbeit der Familienbetrieb nicht verkauft werden kann, worauf viele ihre Altersvorsorge begründen? Ein zweiter Einwand: Im Antrag der Koalition findet sich so gut wie nichts zur Frage der Barrierefreiheit. Das hatten wir eigentlich im Tourismusausschuss schon des Öfteren ziemlich einvernehmlich debattiert. Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer stoßen immer noch auf Hindernisse, die trotz zahlreicher Baumaßnahmen nicht beseitigt sind. Es betrifft aber auch ältere Menschen, die im Alter zwar aktiv sein wollen, aber in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Umfassende Barrierefreiheit muss deshalb endlich zum Standard werden. Für uns sind Barrierefreiheit und eine gute öffentliche Verkehrsanbindung keine Nebensächlichkeit, sondern eine Verpflichtung der Gesellschaft. ({5}) Ich finde es übrigens bedenklich, um ein Beispiel zu nennen, wenn stillgelegte Bahntrassen zu Radwegen umgebaut werden. Oft bleibt die Frage: Wie kommen die Urlauber, die vielleicht nicht mit einem eigenen Auto anreisen wollen oder können, in diese ländlichen Urlaubsregionen? ({6}) - Na klar, mit dem Fahrrad. Diejenigen, die sich nicht so bewegen können, fahren dann 50 Kilometer mit dem Fahrrad; das geht schon klar. Noch immer fehlt - das ist gerade angesprochen worden - eine flächendeckende Breitbandversorgung im ländlichen Raum, ({7}) sowohl für die Urlauber als auch für die Unternehmen, die dort tätig sind. Im sogenannten Internetzeitalter sind das echte Standortnachteile, die sich heutzutage keiner mehr leisten kann. Für uns - damit komme ich zum Schluss - sind soziale Gerechtigkeit, gute Löhne für die Beschäftigten, vernünftige Arbeitsbedingungen und die allgemeine Erreichbarkeit der Urlaubsziele wichtige Faktoren, die die Gesellschaft gewährleisten muss. Herr Paula, eine Bemerkung noch zu Ihnen: Sie haben gerade angekündigt, unseren Antrag kämpferisch abzulehnen ({8}) - Entschuldigung -, sich zu enthalten. Wir halten Ihren Antrag für in der Sache richtig, wenn auch ausbaufähig. Deswegen wird die Linke dem Antrag der SPD zustimmen. Vielleicht können Sie beim nächsten Mal auch über Ihren Schatten springen. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Markus Tressel ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere ländlichen Räume sind in unterschiedlichem Ausmaß von großen Herausforderungen betroffen - die Kollegen haben es angesprochen -: Wir haben den demografischen Wandel, die Frage der verkehrlichen Erreichbarkeit, die Misere der kommunalen Haushalte, aber auch den Klimawandel, den die Destinationen in den Mittel- und Hochgebirgen schon heute erheblich zu spüren bekommen. Der Tourismus kann eine wichtige Rolle dabei spielen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Gestern hat ein Sachverständiger im Tourismusausschuss gesagt: Wir brauchen eine ganzheitliche Destinationsentwicklung im ländlichen Raum. - Das ist richtig. Wir brauchen Konzepte, die den demografischen Wandel, die Verkehrspolitik, die Klimapolitik, die Energiepolitik und viele weitere Bereiche klug miteinander verknüpfen. ({0}) Wenn A nicht funktioniert, brauchen wir B nicht zu forcieren. Das muss uns vor dem Hintergrund knapper Ressourcen klar sein. ({1}) Für uns stehen zunächst einmal drei Fragen im Mittelpunkt: Wie kann es gelingen, über den Tourismus auch die regionalen Wirtschaftskreisläufe nachhaltig zu verbessern? Die Regionen profitieren noch deutlich zu wenig, wenn es denn Tourismus gibt. Lediglich 12 Prozent der touristischen Wertschöpfung werden auf dem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Übernachtungskapazitäten hier zu finden sind. Dabei bleiben von 100 umgesetzten Euro nur rund 36 Euro in der Region. Das ist deutlich zu wenig. ({2}) Die zweite Frage ist: Wie wird die Mobilität nachhaltig im ländlichen Raum? Nur dort, wohin die Menschen auch gut kommen und wo sie während des Urlaubs auch ohne Auto mobil sein können, kann nachhaltiger Tourismus wachsen. Wir brauchen einen hochwertigen Schienenfernverkehr in der Fläche, und wir brauchen Projekte, die verschiedene Mobilitätsformen sinnvoll verknüpfen. Da hätte die Bundesregierung schon deutlich mehr handeln können. ({3}) Das hat auch etwas mit dem Thema Klimaschutz zu tun. Dazu habe ich in Ihrem Koalitionsantrag nichts Substanzielles gefunden. Ich glaube, ich habe noch nicht einmal das Wort „Klima“ oder „Klimaschutz“ in Ihrem Antrag gelesen. Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang lautet: Wie gelingt es, den massiven Investitionsstau in den Betrieben zu beheben? Die Unterbringungsqualität ist vielerorts immer noch ein großer Hemmschuh für die touristische Entwicklung. In fast 80 Prozent der Landkreise wurde ein Investitionsstau im Beherbergungsgewerbe festgestellt. Hier liegt die Eigenkapitalquote bei 2,8 Prozent. Sie liegt damit deutlich unter dem vergleichbaren Dienstleistungssektor mit knapp 20 Prozent. Da braucht es konkrete Lösungen. ({4}) - Nein, ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Dazu gehört - darauf haben auch Sie Einfluss -, dass Hausbanken, Landesbanken und Förderbanken in den Regionen Tourismusexpertise aufbauen und bedarfsspezifische Angebote für die Tourismuswirtschaft schnüren. Schulungsprogramme der KfW, die bereits vor Ort stattfinden, müssen tourismusspezifische Belange und Informationen zu Förderprogrammen für die Tourismuswirtschaft aufnehmen. ({5}) Damit werden nicht nur Investitionen angeschoben. Es ergeben sich langfristig bessere finanzielle Rahmenbedingungen, und das hilft auch bei der Lösung der Nachfolgeproblematik. ({6}) Was man zunächst brauchte, wäre eine ehrliche Bestandsanalyse, eine Grundlagenuntersuchung, wie sie auch die Kollegen von der SPD und der Linken fordern. ({7}) Eine Bundesstudie zu den Tourismuspotenzialen im ländlichen Raum in Zusammenarbeit mit den Ländern wäre hilfreich. Ich weiß, dass die Zusammenarbeit mit den Ländern nicht immer einfach ist. Aber wir müssen eine solche Bundesstudie erarbeiten. Der Abschlussbericht des Projekts „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ ist eine Grundlage, die zumindest auch einmal auf Fragen des Klimawandels eingegangen ist - das haben Sie nicht gemacht - und Bewertungen vorgenommen hat. Das ist eine Grundlage, aber nicht mehr. Da muss deutlich Fleisch an den Knochen. Dafür stehen wir zur Verfügung. Wir wollen die touristische Entwicklung in den ländlichen Räumen voranbringen, aber nachhaltig und zukunftsgerichtet. Das muss die Prämisse sein. Gute Worte und Prüfaufträge helfen nicht weiter. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher das Wort. ({0})

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2,9 Millionen Beschäftigte im Tourismus, 4,4 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung, über 400 Millionen Übernachtungen, hohe Zuwachsraten - 3 Prozent bei den inländischen Gästen, 8 Prozent bei den auslän29300 dischen Gästen -, das alles kann sich wahrhaft sehen lassen. Der Tourismus ist einer der Wachstumsmotoren der deutschen Wirtschaft. Das muss man offensiver darstellen. ({0}) Das ist allerdings kein Selbstläufer. Dafür sind zum einen das Engagement bzw. die Leistungsfähigkeit der vielen mittelständischen Betriebe und zum anderen die erfolgreiche Wirtschafts- und Tourismuspolitik dieser Bundesregierung verantwortlich. Da brauchen wir uns überhaupt nicht zu verstecken. ({1}) Lieber Herr Tressel, da Sie gerade über Investitionen im ländlichen Raum geredet haben, sage ich Ihnen: Es ist unehrlich, dass Sie draußen gegen die Mehrwertsteuersenkung zu Felde ziehen. Die Mehrwertsteuersenkung hat das größte Modernisierungsinvestitionsprogramm zur Folge gehabt, das der Tourismus in Deutschland jemals gesehen hat. ({2}) Im ländlichen Raum haben wir Nachholbedarf. Herr Lutze, es stimmt übrigens nicht, dass generell ein Rückgang zu beklagen ist. In den meisten ländlichen Räumen haben wir Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings nicht so hohe. Wir haben gemeinsam mit dem BTW eine breite Grundlagenuntersuchung durchgeführt. Wir kennen seither die Zahlen. Wir versuchen, gemeinsam mit den Ländern die entsprechenden Empfehlungen umzusetzen. Das im September 2011 gestartete Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ hat bewusst einen offenen Ansatz. Wir haben viele Beteiligte zusammengeholt. Kein einziger hat gesagt, er warte auf ein Gesamtkonzept aus Berlin. Das haben alle abgelehnt. Deshalb haben wir einen anderen Ansatz gewählt. Ich will Ihnen, lieber Herr Tressel und Herr Lutze, eines sagen: Hüten wir uns davor, dass der Staat den Menschen sagt, wo sie Urlaub machen sollen. ({3}) Das ist die freie Entscheidung der Menschen. Damit hat die Regierung nichts zu tun. ({4}) Wir haben eine breite Untersuchung über innovative Ansätze, wie sich der ländliche Raum entwickeln kann, in Auftrag gegeben und die Ergebnisse veröffentlicht. Wir haben insgesamt 350 Fachleute zusammengeholt und aus 450 Vorschlägen 30 hervorragende Beispiele ermittelt. Wir haben die Ergebnisse auf Kongressen diskutiert. Außerdem haben wir einen Leitfaden veröffentlicht - das wurde schon erwähnt -, weiterhin wurden Kurzreports vorgestellt. Wir werden in dieser Richtung weiterarbeiten. Wir werden in Kürze die Sonderstudie „Freizeitparks, Märkte und Volksfeste“ vorlegen. Außerdem haben wir vor, Ergebnisse auf sogenannten Roadshows der breiten Öffentlichkeit vor Ort vorzustellen. Das soll über einen langen Zeitraum erfolgen. All die Aktivitäten erfolgten zusammen mit dem Deutschen Reiseverband in enger Kooperation mit dem BMELV. Ich möchte mich besonders bei dem Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages für die parteiübergreifende Unterstützung und Begleitung bedanken. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn wir alles zusammennehmen, dann können wir auch hier selbstbewusst sagen: Das waren vier gute Jahre für Deutschland. Wir werden diese Politik fortsetzen und zum Aufschwung des Tourismus und damit der deutschen Wirtschaft weiter beitragen. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Christian Hirte das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Dass wir heute über drei Anträge zum ländlichen Tourismus abstimmen, die uns vorliegen, ist doch eigentlich eher ein Grund zur Freude, weil das deutlich macht, dass das Thema in allen Fraktionen präsent ist. ({0}) Deshalb halte ich es bei allen Unterschieden der Positionen zunächst einmal für ein gutes Signal, dass wir uns einig sind, dass der Tourismusboom in Deutschland nicht an den ländlichen Regionen vorbeigehen darf. Umso erstaunter ist allerdings der geneigte Zuhörer, wenn er den Rednern der Opposition zuhört, die den Anschein erwecken, als wenn beim Tourismus alles im Argen läge. Fakt ist doch - gerade ist es von Herrn Burgbacher ausgeführt worden -, dass seit Jahren die Besucherzahlen nach oben schnellen. Deutschland ist längst nicht mehr nur eine erfolgreiche Exportnation, sondern mittlerweile auch eine ausgesprochen erfolgreiche Urlaubsdestination, der geneigte Bürger würde sagen: Urlaubsziel. ({1}) Das Motto der Fußballweltmeisterschaft von 2006 ist heute längst gelebte Realität: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. ({2}) Gleichzeitig sehen wir, dass die ländlichen Destinationen sich sehr unterschiedlich entwickeln. Die Landlust ist zwar medial allgegenwärtig, aber - positiv formuliert es ist durchaus noch Luft nach oben. Dabei ist Tourismus nicht losgelöst von generellen Entwicklungen im ländlichen Raum zu betrachten; denn dort spüren wir bereits heute die volle Wucht der demografischen Entwicklung. Das ist schon angesprochen worden. Das heißt, die ländlichen Räume sind schon heute mitten in einem riesigen strukturellen Wandel. Die Pflege des Tourismus ist daher eine ganz besonders wichtige Aufgabe, aber zugleich auch eine Chance. Das war auch der Grund, warum wir uns in dieser Koalition mit dem gesamten Spektrum des ländlichen Raums befasst haben. Das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ mit der Dokumentation von Best-Practice-Beispielen hat viele Leuchttürme und Ideen ans Licht gebracht. Ingbert Liebing hat das gerade schon ausgeführt. Wie schon beim Gesundheitstourismus war der Ansatz, Akteure zusammenzubringen, Beispiele herauszustellen und Empfehlungen auszusprechen. Wir möchten mit unserem Antrag genau das noch einmal erreichen. Es sollen Handlungsempfehlungen und Praxisleitfäden erstellt werden, damit die Anbieter damit nachher praktisch umgehen können. Insbesondere die Themen Fachkräftesicherung und Qualifizierung sind aus meiner Sicht ganz wichtige Themen. In kaum einer anderen Branche sind die Herausforderungen auf diesem Gebiet so groß, und gerade die ländlichen Regionen haben hier besonders zu kämpfen. Positiv zu erwähnen ist die Deutsche Zentrale für Tourismus, die einer der ganz zentralen Mosaiksteine für den Erfolg des Deutschlandtourismus ist. Wenn ich an das kommende Jahr denke, in dem die Weltkulturerbe- und vor allem auch die Weltnaturerbethemen im Mittelpunkt der DZT-Aktivitäten stehen, dann sehe ich doch, dass hier auch für den ländlichen Raum noch einiges möglich ist, gerade weil die Weltnaturerbestätten überwiegend in ländlichen Regionen liegen und dabei stärker in den Blick genommen werden können. ({3}) Einen wichtigen Punkt in unserem Antrag nimmt die Förderpolitik ein. Wir unterstreichen mit unserem Ansatz, dass beim Tourismus und besonders auch im ländlichen Raum vieles mit vielem zusammenhängt. GAK, GRW, GAP, ELER, EFRE wurden angesprochen. Mit all diesen Programmen werden Weichen gestellt, die am Ende auch für die Tourismusentwicklung unverzichtbar sind. In der Vergangenheit war es, denke ich, für alle erkennbar immer die Union, die sich gerade für diese Programme starkgemacht hat, die den ländlichen Raum immer hochgehalten hat. ({4}) Wenn ich mir anschaue, wie die Grünen mit ihren Vorstellungen für die Agrarpolitik in Europa vorangehen, dann muss ich ganz klar sagen: Damit schaden Sie nicht nur unserer Landwirtschaft, sondern am Ende auch dem ländlichen Raum insgesamt und damit auch dem Tourismus in den ländlichen Gebieten. ({5}) Liebe Freunde, auch eine gute Agrarpolitik ist wichtig für den ländlichen Tourismus. In Ihren Vorstellungen ist der ländliche Raum aber eher nur der Rückzugsort für die Boheme vom Prenzlauer Berg als für diejenigen Menschen, die dort ihr Lebensauskommen finden müssen. Insofern muss er in all unseren Förderprogrammen Berücksichtigung finden. Dabei muss dann natürlich auch noch Raum für die touristische Entwicklung bleiben. Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zu den Anträgen der SPD und der Linken verlieren. Sie kritisieren beide in Ihren Entwürfen, es bedürfe dringend einer bundesweiten wissenschaftlichen Untersuchung zum Tourismus in den ländlichen Räumen. ({6}) Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat bereits 2011 - Sie haben es selber angesprochen - seine Studie „Urlaub auf dem Bauernhof - Urlaub auf dem Lande“ auf den Weg gebracht. Diese stellt schon eine umfassende Angebotsund Nachfrageanalyse für den ländlichen Tourismus dar. ({7}) Auf die dabei gewonnenen Erkenntnisse über die aktuelle Marktsituation können die heimischen Tourismusanbieter zurückgreifen, gerne auch Sie. Wir wünschen uns daher ausdrücklich, dass die Studie so wie geplant alle zwei Jahre fortgeführt wird. Gerade die Kollegen aus den neuen Bundesländern können einschätzen, wie wichtig eine solche regelmäßige Untersuchung ist. Mithilfe des Barometers der Sparkassen erkennen wir, dass es erfolgreiche Ergebnisse gibt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss: Was wir brauchen, ist also nicht ein KleinKlein, sondern ein umfassender Ansatz für den gesamten ländlichen Raum. ({8}) In diesem Sinne legen wir unseren Antrag vor. Wir wollen weiteren Vorschub leisten, damit der Tourismus prosperieren kann. Dafür bitte ich um die Unterstützung natürlich des gesamten Hauses. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Präsident Dr. Norbert Lammert Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf der Drucksache 17/12573. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/9570 mit dem Titel „Tourismus in ländlichen Räumen - Potenziale erkennen, Chancen nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/9571 mit dem Titel „Tourismus in ländlichen Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheiten angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 9 b. Hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/12926, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/11373 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft ({0}) - Drucksache 17/12531 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Möchte jemand länger debattieren? - Das ist jedenfalls nicht erkennbar. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz für die SPD-Fraktion. ({2})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation derjenigen, die in der Wissenschaft arbeiten, hat uns alle im Ausschuss für Bildung und Forschung in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt. Vor allem am wissenschaftlichen Nachwuchs muss uns gelegen sein. Wir brauchen ihn für die Lehre an den Hochschulen. Immer mehr Leute wollen studieren - das ist wunderbar -; aber sie müssen natürlich auch gut und kompetent ausgebildet werden. Außerdem benötigen wir Forscherinnen und Forscher, die uns voranbringen, die uns in den verschiedenen Bereichen Problemlösungen anbieten. ({0}) Tatsächlich hat gerade auch der Bund seit etwa 15 Jahren erheblich dazu beigetragen, dass in der Wissenschaft aufgebaut wurde. Trotzdem müssen wir uns Sorgen um den wissenschaftlichen Nachwuchs machen. Denn Wissenschaft als Beruf droht unattraktiv zu werden. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen durch schlechte Arbeitsbedingungen, durch einen Mangel an Perspektiven abgeschreckt werden. ({1}) Ich möchte etwas aus einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie zitieren - es handelt sich um die Aussage einer jungen Naturwissenschaftlerin, die an einer Universität beschäftigt war -: Die Gefahr, nach jahrelangem „Durchschlagen“ auf befristeten Stellen und einem gewissen „Berufsnomadentum“ am Ende keine permanente Stelle zu bekommen, ist hoch. Das Risiko, diesen Weg zu gehen, ist mir persönlich zu hoch, auch wenn ich die Arbeit in der Wissenschaft mag. An diesem Beispiel ist zu sehen, dass wir Menschen verlieren, dass wir ihre Kompetenzen verlieren. Das können wir nicht einfach hinnehmen. ({2}) Gerade heute ist der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht worden. Die Befunde sind eindeutig. Es gibt einige positive Entwicklungen. Doch die Sorge um die Zukunft zieht sich wie ein roter Faden durch den Bericht. Der Befristungsanteil bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist auf 90 Prozent - 90 Prozent! ({3}) im Jahr 2010 angestiegen. Teilzeitbeschäftigung nimmt zu, ebenso die Drittmittelfinanzierung. Das ist eine Fehlentwicklung. Wir müssen den Menschen in der Wissenschaft Perspektiven geben. ({4}) Darum bringt die SPD-Bundestagsfraktion heute den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft ein, mehr oder weniger kurz: Wissenschaftszeitvertragsänderungsgesetz. Ziel ist, Missbrauch bei Befristungen von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft zu verhindern, die Situation der Beschäftigten zu verbessern und somit letztlich Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. ({5}) Swen Schulz ({6}) Mit diesem ausformulierten Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass nach langen, mehrfachen Debatten im Plenum des Bundestages und im Ausschuss endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden, ({7}) und zwar noch vor den Bundestagswahlen. ({8}) Weil wir wissen, dass wir hier im Bundestag nicht die Mehrheit haben, jedenfalls noch nicht, ({9}) ist dieser Gesetzentwurf ausdrücklich ein Angebot an die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP. Wir hoffen, dass sie in diesem Fall ausnahmsweise unsere Initiative nicht abtun, nicht in Bausch und Bogen ablehnen. Vielmehr setzen wir darauf, dass sie dieses Problem ebenfalls sehen und dass sie mit uns über unseren Vorschlag reden. Eine schnelle gemeinsame Verbesserung der Situation der Betroffenen würde uns freuen. ({10}) Worum geht es im Einzelnen? 2007 hat die damalige Große Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verabschiedet. Weil das ein schwieriges Feld ist, wie wir auch in der Zeit davor erfahren durften, haben wir gleichzeitig gesagt, dass die Auswirkungen des Gesetzes evaluiert werden sollen. 2008 wurde diese Evaluation von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. 2011 lag sie dann vor. Aber leider wurden bis heute keine Konsequenzen daraus gezogen. ({11}) Der Bericht stellte fest, dass sich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zwar insgesamt bewährt hat. Aber schon zu diesem Zeitpunkt war der Trend zu Befristungen unübersehbar: ({12}) 83 Prozent war der Befristungsanteil damals; in gut der Hälfte der Befristungen lag die Vertragslaufzeit unter einem Jahr; Probleme bei der Familienkomponente, also bei der Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten; uneinheitlicher Umgang mit studentischen Arbeitszeiten. In der Studie kommt neben den nackten Zahlen auch sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Leute Perspektiven haben wollen, dass sie schon im Interesse der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Planbarkeit des Berufsweges wünschen. Diese Ergebnisse der Evaluierung, aber auch viele Diskussionsrunden, Beratungen, Gespräche mit Betroffenen haben uns dazu geführt, konkrete Vorschläge zur Gesetzesänderung zu machen. Dass der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ uns heute so eindrücklich bestätigt, ist zwar in der zeitlichen Parallelität Zufall, doch in der Sache war das leider absehbar. ({13}) Unsere Gesetzesnovelle hat zum Ziel, die arbeitsrechtliche Position der Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb zu stärken, Mindestlaufzeiten bei Befristungen zu definieren und den Tarifpartnern Handlungsmöglichkeiten zu geben. Damit sollen insbesondere unbegründete kleinteilige Befristungen an Hochschulen sowie außeruniversitären Einrichtungen verhindert werden. Auch der Schutz der Promovierenden vor einer Ausnutzung muss verbessert werden. ({14}) Die wichtigsten Regelungsinhalte will ich kurz benennen: In der Promotionsphase wollen wir Befristungen nur dann erlauben, wenn entsprechende Betreuungsvereinbarungen abgeschlossen werden. ({15}) Darin sind die Rechte und Pflichten der Promovierenden festzulegen, und es ist insbesondere das Qualifizierungsziel zu gewährleisten. In der Phase nach der Promotion sollen die Vertragslaufzeiten regelmäßig mindestens zwei Jahre betragen. Bei Drittmittelbefristungen schlagen wir vor, die Laufzeiten an die Dauer der Mittelbewilligung anzugleichen. Bei Bewilligungen von über zwei Jahren müssen die Verträge mindestens 24 Monate laufen. Das ist im Übrigen ein Punkt, über den wir gern noch diskutieren können. Einige Bundesländer wollen da sogar noch weiter gehen. Das überlassen wir dann den Ausschussberatungen. Wir wollen darüber hinaus auch das nichtwissenschaftliche Personal, also etwa technische Mitarbeiter, schützen. Das ist eine Gruppe, die wir nicht vergessen dürfen, Kolleginnen und Kollegen. Die bisher unterschiedliche Auslegungspraxis bei den studentischen Arbeitszeiten wollen wir studierendenfreundlich vereinheitlichen. Bei der Anrechnung von Eltern-, Betreuungs- oder Pflegezeiten wollen wir ebenfalls Verbesserungen erreichen. Schließlich wollen wir die Tarifsperre abschaffen, Kolleginnen und Kollegen. ({16}) Die gesetzliche Festlegung, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber hier nichts zu sagen haben, ist falsch und gehört abgeschafft. Unser Entwurf schafft einen neuen, tragfähigen Ausgleich zwischen den Befristungsbedarfen im Wissenschaftsbetrieb auf der einen und den Interessen der Beschäftigten auf der anderen Seite. Er leitet die Arbeitgeber an, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen beschäftigtenfreundlicher einzusetzen. Es muss eben auch hier der sozialdemokratische Grundsatz der guten Arbeit gelten. Nur mit Perspektiven und nur mit guten Swen Schulz ({17}) Arbeitsbedingungen können wir die Leute gewinnen, und nur so können diese auch die exzellenten Leistungen abliefern, die wir von ihnen sehen wollen. Das wollen wir erreichen: gute Arbeit, auch in der Wissenschaft. ({18}) Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss möchte ich noch einmal ausdrücklich die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP ({19}) ansprechen. In der gestrigen Ausschusssitzung hatten wir Professor Strohschneider zu Gast; Sie erinnern sich natürlich: früher Wissenschaftsrat, jetzt DFG. ({20}) Er hat unter anderem das Thema „Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ angesprochen. Kollege Rupprecht, ich fand, dass Sie in der Ausschussdiskussion sehr vernünftig auf dieses Thema eingegangen sind. ({21}) Das nehme ich einmal durchaus als Ermutigung. Unsere Initiative kann ein Beitrag zur Verbesserung der Situation sein. Darum meine Bitte: Treten Sie in ein konstruktives Gespräch über unseren Gesetzentwurf ein! Vielen Dank. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Tankred Schipanski das Wort. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Entwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. ({0}) Darin fordert die SPD lediglich drei Punkte, lieber Herr Schulz, nämlich eine verbindliche Einführung von Betreuungsvereinbarungen, eine Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren für Arbeitsverträge nach der Promotionsphase für wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Personal sowie die Streichung der Tarifsperre. Es wird Sie nicht überraschen, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen werden ({1}) trotz Ihres großen Prosavortrags, den wir jetzt acht Minuten hören konnten. ({2}) Ich darf Ihnen das ganz sachlich begründen, lieber Herr Schulz. Sie reagieren mit diesem Gesetzentwurf auf die HIS-Studie „Wissenschaftliche Karrieren“ aus dem Jahr 2011. Diese Studie sagt uns, dass die Nachwuchswissenschaftler die Bedingungen und Inhalte ihrer Arbeit durchaus positiv einschätzen. Das haben sie genannt: Arbeitsausstattung, Möglichkeiten der fachlichen Weiterentwicklung, das Arbeitsklima. Zwei ganz konkrete Problemfelder zeigt uns die Studie, nämlich erstens die Betreuung von Doktoranden und zweitens die Planbarkeit der Karriere insbesondere für Postdocs in einem ganz bestimmten Lebensalter. Für diese Felder galt es politische Lösungsvorschläge zu entwickeln. Die Antwort darauf haben wir, die Koalitionsfraktionen, mit unserem Antrag auf Drucksache 17/9396 ({3}) mit dem Titel „Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“ gegeben. ({4}) - Den Antrag haben Sie nicht verstanden? Dann sollten Sie ihn noch einmal lesen; ({5}) denn wir haben den im Ausschuss und hier im Plenum sehr gut diskutiert. Ihre Antwort, eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sowie die Einführung sogenannter Betreuungsvereinbarungen, greift zu kurz bzw. ist schon ganz gängige Praxis. In Selbstverpflichtungserklärungen der Hochschulen sowie im sogenannten Code of Conduct der außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind die von Ihnen geforderten Betreuungsvereinbarungen schon längst Praxis. ({6}) Die Doktorandenausbildung wird oftmals in Promotionskollegs oder Graduiertenschulen durchgeführt. Diese werden Stück für Stück ausgebaut. Der Bund fördert dies auf einem sehr hohen Niveau. In allen außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben wir bereits eine strukturierte Ausbildung. Die Hochschulen und Fakultäten können dies jederzeit organisieren und einrichten. Der Bund steht hier überhaupt nicht im Wege, vielmehr fördert er das ganz aktiv durch sehr, sehr viele Programme. ({7}) Meine Damen und Herren, der zweite Problembereich sind die Karriereplanung und die teils überbordende Befristungspraxis, die mancherorts praktiziert wird. Hier greift eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes einfach zu kurz. Bezüglich der Befristungspraxis haben sich die Hochschulen bereits im April 2012 im Rahmen eines HRK-Beschlusses mit dem Titel „LeitliTankred Schipanski nien für die Ausgestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliches Personal“ verpflichtet, die unrühmliche Befristungspraxis zu ändern. Dabei lässt sich dieser Leitlinie entnehmen, dass grundsätzlich die Vertragslaufzeiten an die Laufzeit der Projekte bzw. an die entsprechende Qualifikationsphase zu koppeln sind. Konkretisierungen sind dabei bei der Problematik des Stellensplittings in Einheiten von weniger als einer halben Stelle noch notwendig. Ein derartiges Stellensplitting ist stellenweise nicht zielführend. Übrigens sind dies alles Forderungen aus unserem Koalitionsantrag, den ich eingangs erwähnt hatte, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben dies wiederum konsequent in ihren Code of Conduct aufgenommen. Ich darf zudem festhalten, dass es für Übergangsfinanzierungen und Ähnliches durchaus sinnvoll sein kann, dass ausnahmsweise für einen Übergang in ein anderes Arbeitsverhältnis auch einmal ein Arbeitsvertrag für nur ein halbes Jahr abgeschlossen wird, eine Flexibilität, die der SPD-Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt. ({8}) Sie nehmen zudem plötzlich nichtwissenschaftliches Personal in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes auf. Dabei zeigt uns die Praxis ganz eindeutig: Wenn die Unis sparen, sparen sie als Erstes immer beim wissenschaftlichen Personal, weil wir da befristete Verhältnisse haben, und eben nicht bei den unbefristeten Arbeitsverhältnissen des nichtwissenschaftlichen Personals. Meine Damen und Herren, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist kein Gesetz, mit dem auf die Gestaltung der Personalstruktur und der Karrierepfade Einfluss genommen werden kann. Auch Ausprägung und Wahrnehmung der Personalverantwortung der Hochschulen werden nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt. ({9}) Wir verfolgen einen anderen Ansatz, der deutlich tiefer greift und auch einen Wandel der Personalstrukturen und Qualifizierungsstrukturen an den Hochschulen umfasst. Zu diesen Punkten trägt Ihr Gesetzentwurf nichts Erhellendes bei. Ich empfehle noch einmal unseren Koalitionsantrag, und ich empfehle Ihnen einen Blick auf die TU München, die die Grundidee unseres Antrags bereits in die Praxis umgesetzt hat. Lieber Herr Schulz, Sie haben unsere Diskussion zum Hochschulpakt von gestern erwähnt. Ich kann die Länder und die Hochschulen nur erneut ermahnen, die Planungssicherheit, die der Bund den Ländern und den Hochschulen bis 2018 gibt, nunmehr an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschulen weiterzugeben. Der heute veröffentlichte Bundesbericht - Herr Schulz, Sie haben ihn erwähnt - bestätigt genau die Erkenntnisse, die ich Ihnen hier heute dargeboten habe. In ihm wird nochmals ausdrücklich festgestellt, dass die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine Querschnittsaufgabe von Bund und Ländern ist. ({10}) Der Bund engagiert sich in drei zentralen Bund-LänderProgrammen: Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation. Darüber hinaus engagiert er sich beim DAAD, bei der AvH und den Begabtenförderungswerken. Im Bericht wird auch festgestellt, dass die wichtige Personalkategorie der „Nachwuchsgruppenleiter“, wie wir sie von Emmy-Noether- oder Heisenberg-Programmen kennen, weiter ausgebaut werden muss. Der Bericht, meine Damen und Herren, macht eines ganz deutlich - damit will ich schließen -: Die Personalstruktur ist in den Landeshochschulgesetzen geregelt und eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Petra Sitte das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Ihrem Gesetzentwurf, geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, kann ich Sie nur beglückwünschen. Immerhin wollen Sie die problematischsten Regelungen aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz korrigieren. Das ist dringend notwendig. Das Besondere daran ist, dass Sie an diesem Problem einen eigenen Anteil haben. Bereits 2002 wurde unter Ministerin Bulmahn die sachgrundlose Befristung für den wissenschaftlichen Nachwuchs eingeführt. Fünf Jahre später haben Sie diese dann mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz rechtlich betoniert. Bis zu Ihrer heutigen Einsicht, dass diese Regelungen in die falsche Richtung gehen, hat sich beinahe eine ganze Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit herumschlagen müssen, hat sich von Vertrag zu Vertrag bis an die berüchtigte Zwölfjahresgrenze heranhangeln müssen. Nun gut, wir wollen nicht nachtragend sein und nur zurückschauen, ({0}) sondern tapfer nach vorne schauen. Da fällt unser Blick auf die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Sie haben diese Studie schon erwähnt. Diese hat die Realität des wissenschaftlichen Prekariats in diesem Land schonungslos offengelegt. Sie haben selber erwähnt, dass über 90 Prozent der Verträge befristet sind und weit über die Hälfte dieser Verträge kürzer als ein Jahr dauern. ({1}) Das muss man sich einmal vorstellen: im Wissenschaftsbereich! Solche Laufzeiten haben mit den einstigen Begründungen des Gesetzgebers für die Befristung überhaupt nichts mehr zu tun. ({2}) Weder Promotionen noch Habilitationen noch Drittmittelprojekte haben derart kurze Laufzeiten. ({3}) Das Befristungsunwesen an unseren Hochschulen und Instituten hat sich mittlerweile völlig verselbständigt. Dieser Missbrauch gesetzlicher Möglichkeiten hat überhaupt keine wissenschaftsgeleiteten, sondern ausschließlich finanzielle Gründe. Ministerin Wanka hat dieses Phänomen unlängst im Ausschuss ironisch, aber völlig zutreffend als haushalterisches Sicherheitsbedürfnis der Hochschulen und Forschungseinrichtungen bezeichnet. ({4}) Mit befristetem Personal lässt sich natürlich viel flexibler umgehen als mit dauerhaft Beschäftigten. ({5}) - Ich weiß es sehr genau. Das sagt jetzt der Richtige. Lieber Gott, da wird über Jahre ignoriert, was passiert, ({6}) und jetzt sagen Sie mir, ich wüsste es besser. Ja, ich weiß es besser als Sie. Das sage ich einfach. ({7}) Je kürzer also die Verträge, desto beweglicher ist die personelle Verschiebemasse. Das ist der Punkt. Dieser zynischen, aber eben auch rationalen Logik folgt das Wissenschaftsmanagement - erst recht in Zeiten explodierender Drittmittel oder von Exzellenzwettbewerben. Diese provozieren geradezu kurzfristige Reaktionen auf Ausschreibungen. Damit ist der Arbeitsplatz Wissenschaft ziemlich unattraktiv geworden. Wen heute der Wunsch, zu forschen und zu lehren, treibt, der oder die ist gezwungen, sich auf diese Arbeitsbedingungen einzulassen, sich quasi auszuliefern. - Gott sei Dank aber nicht mehr widerstandslos, denn der Widerstand hat sich geregt und organisiert. ({8}) Nur 27 Prozent der befristet Beschäftigten an den Hochschulen zeigten sich zufrieden mit der Arbeitsplatzsicherheit - so viel zu besagter Studie, Herr Tankred Schipanski. ({9}) Noch negativer wurden die Planbarkeit der Berufswege, die Aufstiegsmöglichkeiten und erst recht die Familienfreundlichkeit bewertet. Ich habe schon die abenteuerlichsten Geschichten über Kettenverträge, gestückelte Verträge oder auch über Menschen gehört, die ganz ohne Bezahlung an den Universitäten und Hochschulen unterrichten, nur um ihre Lehrberechtigung zu behalten. Viele von ihnen kippen dann durchaus in Hartz IV. Aber diese Koalition ficht das, wie wir gerade gehört haben, überhaupt nicht an. Sie will trotz dieser alarmierenden Signale am Wissenschaftszeitvertragsgesetz gar nichts ändern. Ihr fast vergessener Antrag zur Nachwuchsentwicklung, der immerhin einige wenige untergesetzliche Regelungen vorsah, schmort seit gut einem Jahr im parlamentarischen Verfahren. ({10}) Meine Damen und Herren, ich möchte abschließen. Es liegt auf der Hand: Diese vier Jahre Schwarz-Gelb waren für den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Land vier verlorene Jahre. ({11}) Nutzen Sie den Gesetzentwurf der SPD, um daran etwas zu ändern. Danke schön. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Herr Professor Martin Neumann für die FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Schulz, Sie haben recht: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat sich bewährt. Das haben Sie hier ja ganz deutlich gesagt. Das belegen nicht nur uns vorliegende Studien, sondern auch der Evaluationsbericht der HIS, der Hochschul-InformationsSystem GmbH, den der Gesetzgeber gefordert und vor allen Dingen auch ermöglicht hat. Das belegt auch die öffentliche Anhörung von Experten im Bildungsausschuss zum Evaluationsbericht am 30. November 2011. Die Bewährung des Gesetzes hat sich auch in der Praxis und in der täglichen Erfahrung im Wissenschaftsbereich gezeigt. Das kann ich aus eigener Erfahrung hier bestätiDr. Martin Neumann ({0}) gen, ebenso aufgrund vieler Gespräche mit Forschungseinrichtungen. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Punkte eingehen: Erstens. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat eine wissenschaftsadäquate Grundlage geschaffen. Mit dem Gesetz wurde vor allen Dingen Rechtssicherheit geschaffen, insbesondere im Bereich der Drittmittelforschung, Rechtssicherheit nicht nur für die Institutionen, sondern gerade auch für die Beschäftigten und die Nachwuchswissenschaftler. In der Anhörung im Ausschuss wurde deutlich - Sie alle waren dabei -, dass das vorliegende Gesetz das wichtigste Instrument im Hinblick auf die Fähigkeit einer Wissenschaftseinrichtung zur personellen Erneuerung ist. ({1}) Aus der Praxis weiß ich, dass die wissenschaftliche Qualifizierung wie auch das wissenschaftliche Arbeiten nicht nur Planbarkeit benötigen. ({2}) Es braucht auch einen gewissen Druck durch ein verantwortungsvolles Personalmanagement. Die Rede von Leistungsstreben durch Befristungsregeln ist daher nicht von vornherein eine hohle Phrase, sondern in der wissenschaftlichen Praxis durchaus üblich. Einige der von Ihnen vorgelegten Änderungsvorschläge, meine lieben Kollegen von der SPD, würden jedoch auf keinen Fall Verbesserungen bewirken. Wenn Sie zum Beispiel Mindestvertragslaufzeiten von 24 Monaten einfordern, blockieren Sie aus meiner Sicht einen dynamischen Prozess, der Flexibilisierungsmöglichkeiten benötigt. ({3}) In der wissenschaftlichen Qualifizierung, meine Damen und Herren - das wissen wir auch aus Erfahrung -, ist es notwendig, den Vertrag auch mal, Frau Sitte, um sechs Monate oder um zwölf Monate zu verlängern, um beispielsweise die Promotion bei einer Überziehung des geplanten Zeitraums von drei Jahren abschließen zu können. ({4}) Würde man aber jetzt einen Zweijahresvertrag schließen - das wollen Sie ja; das haben Sie so geschrieben -, dann würde man Zeit verschenken, nämlich dadurch, dass ein weiterer Promovend, der in den Startlöchern steht, keinen Vertrag erhält, oder dadurch, dass der Promovend aufgrund des fehlenden Drucks an der Stelle ({5}) selbst nach weiteren 24 Monaten wieder vor dem gleichen Dilemma steht, die Promotion um ein halbes Jahr verlängern zu müssen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliches Arbeiten, meine Damen und Herren, können eben in keine Schablone gepresst werden. Das steht übrigens auch im HIS-Evaluationsbericht; Sie sollten ihn genau lesen. Wo die linke Seite des Hauses einen Beleg für die Ausbeutung des Wissenschaftlers sieht, nämlich eine prekäre Beschäftigungssituation - Sie haben es gerade gesagt, Frau Sitte -, zeigt sich dagegen in den Stellungnahmen der Wissenschaftseinrichtungen, dass man hier völlig flexibel auf persönliche, individuelle Lebensläufe reagiert hat. Ich sage an der Stelle: Es wäre viel besser, wenn Sie zukünftig die Daten, die dazu vorliegen, nicht frei interpretieren würden, sondern sich zumindest informieren würden. Denn der Grund für die Befristungsquoten liegt eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Die Gründe liegen aus meiner, aus unserer Sicht ({6}) in der zunehmenden Drittmittelfinanzierung, in den Hochschulpakten I und II, vor allen Dingen auch in der Exzellenzinitiative. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, verwechseln in Ihrem Antrag Ursache und Wirkung, so scheint es zumindest, wenn ich die Problembeschreibung auf der ersten Seite Ihres Antrags lese. Ich denke da zum Beispiel an Formulierungen zu Qualität, Betreuung und Beratung. Das haben Ihnen auch die Experten in der Anhörung ins Stammbuch geschrieben. ({7}) Mit einer Änderung der gesetzlichen Regelungen kurieren Sie die Probleme nicht, sondern Sie verschärfen sie, oder - viel schlimmer - Sie verschieben sie auf ein anderes Feld. ({8}) Das Problem liegt vor allem in der nicht mit den Aufgaben und Anforderungen in gleichem Maße gewachsenen institutionellen Finanzierung der Hochschulen. Ich weiß, Sie wollen es nicht hören, Sie wollen es auch nicht verstehen. ({9}) Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir es leid sind, Sie immer auf die Möglichkeiten einer Änderung von Art. 91 b Grundgesetz hinzuweisen. Ermöglichen Sie uns die Mitfinanzierung der Hochschulen! Dann entschärfen Sie das Problem, über das wir hier diskutieren. ({10}) Dr. Martin Neumann ({11}) Zweiter Punkt. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verhindert keine unbefristete Anstellung. Vielmehr - das will ich an dieser Stelle deutlich sagen - ermöglicht es viele zweckkonforme Beschäftigungsformen und Perspektiven für junge Wissenschaftler. Ich erinnere da gerne an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die zum Teil schon jetzt ein verantwortungsvolles Personalmanagement pflegen oder dies in Kürze einführen. Ich kann daher nur an alle Wissenschaftseinrichtungen appellieren und empfehlen, mit befristeten Arbeitsverträgen sorgsam umzugehen und sie vor allen Dingen an die Laufzeit von Forschungsprojekten anzulehnen. ({12}) Dann wird sich auch der letzte Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, für den Sie irgendwelche Änderungsvorschläge herbeizitiert haben, erledigen. ({13}) Ich sage aber auch ganz deutlich, Herr Schulz: Über einige andere Vorschläge - beispielsweise haben Sie auf die unterschiedliche Anrechnungspraxis hingewiesen wird man reden können. Damit werden wir uns auch auseinandersetzen. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Krista Sager das Wort für die Fraktion Bündnis 90/die Grünen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität in der Wissenschaft normal ist, muss man feststellen, dass die Beschäftigungsbedingungen für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler inzwischen völlig aus dem Ruder gelaufen sind. ({0}) Der Bericht, der uns gerade heute vorgelegt wurde, zeigt, dass die Balance zwischen unbefristeten und befristeten Beschäftigungsverhältnissen längst nicht mehr gegeben ist. Wir reden hier nicht nur von jungen Menschen, die promovieren, wir reden zum Teil von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Promotion längst absolviert haben. ({1}) Wir müssen dieses Problem endlich in den Blick nehmen. Die Laufzeiten der Arbeitsverträge werden immer kürzer; die Personalstrukturen sind völlig unausgewogen; es gibt keinerlei Planbarkeit, geschweige denn Familienfreundlichkeit. ({2}) Stattdessen gibt es Unsicherheit und Abhängigkeit, zum Teil bis ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein. ({3}) Herr Schulz hat vollkommen recht: Diese unsicheren Perspektiven gefährden inzwischen die gute Qualität und die Zukunft unseres Wissenschaftssystems, ({4}) weil sich inzwischen immer mehr junge Menschen Alternativen in der Wirtschaft oder im Ausland suchen werden. Sie, Herr Schipanski, sollten sich nicht weiter darauf verlassen, dass sich die jungen Menschen aufgrund ihrer hohen Motivation, die Sie hier zu Recht beschrieben haben, beliebig weiter ausbeuten lassen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. ({5}) Sicherlich gibt es nicht nur eine Ursache, und es gibt deswegen zum Glück auch nicht nur eine Handlungsmöglichkeit. Man kann bei einer Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen ansetzen. Der Bund könnte dafür eine höhere Verantwortung bei der gemeinsamen Forschungsfinanzierung übernehmen. Man könnte bei einer besseren Balance zwischen Drittmittelquote und Grundfinanzierung ansetzen. ({6}) Natürlich brauchen wir auch ein verantwortungsvolles Personalmanagement an den Hochschulen. ({7}) Wir brauchen eine verbesserte Personalstruktur, aber auch Anreize, damit jenseits der Vollprofessur mehr Beschäftigungsverhältnisse für selbstständig Arbeitende geschaffen werden. ({8}) Wir brauchen auch einen Code of Conduct und Selbstverpflichtungen in Bezug auf Mindeststandards bei den Beschäftigungsverhältnissen und den Laufzeiten. ({9}) Der Bund, Herr Schipanski, hat in den letzten Jahren sehr viel Geld für das Wissenschaftssystem in die Hand genommen, aber die Probleme der jungen Menschen in der Postdoc-Phase, nach der Promotion, hat der Bund überhaupt nicht in den Blick genommen. ({10}) Sie haben dieses Problem erst jahrelang geleugnet. Dann kamen Sie ganz schnell mit einem Antrag, demzufolge alle Probleme nur an die Hochschulen und die Länder delegiert werden sollen. ({11}) Sie können auf Bundesebene genauso dazu beitragen, dass man dieses Problem in den Griff bekommt. ({12}) Dazu gehört auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. 2007 konnte man sich vielleicht noch einreden, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für eine Balance zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen sorgen würde. Aber jetzt wissen wir definitiv: Das Gegenteil ist der Fall. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Deswegen muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert werden. Dazu gibt es seit Jahren Vorschläge. Im Bundesrat liegt jetzt ein Gesetzesantrag vor, der von den rot-grün geführten Bundesländern eingebracht wurde, ({13}) und hier liegt ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vor. Das gibt Ihnen jetzt noch einmal Bedenkzeit. Sie können diese Gnadenfrist nutzen, ({14}) um mit uns im Ausschuss darüber zu diskutieren, an welchen Stellschrauben bei diesem Gesetz wir drehen müssen, damit zum Beispiel familiäre Belastungen besser berücksichtigt werden. ({15}) Wir müssen an einigen Stellschrauben drehen, damit auch dieses Gesetz dafür sorgen kann, dass unsere jungen Leute in der Wissenschaft eine bessere Perspektive bekommen. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einen Gesetzentwurf der SPD zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft. Wie passend, dass heute der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht wurde. Er bescheinigt dem Bund eine erfolgreiche Politik für den wissenschaftlichen Nachwuchs und zeigt wichtige Handlungsfelder auf. Das ist richtig und wichtig; denn die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ist zu einem großen Teil abhängig von der Absicherung unserer Innovationskraft. Sie ist Grundlage und Motor unseres globalen Erfolgs. Der wissenschaftliche Nachwuchs spielt dabei eine essenzielle Rolle. ({0}) Er fungiert als Schnittstelle zwischen Ausbildungs- und Forschungsfunktion des Hochschulsystems. An den Hochschulen und Forschungseinrichtungen unseres Landes wird heute der Grundstein für den wirtschaftlichen und damit auch für den sozialen Erfolg von morgen gelegt. Die Sorgen und Nöte der wissenschaftlichen Elite sollten uns daher beschäftigen. Wir, die christlich-liberale Koalition, nehmen uns dieser an und wollen die nötigen Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen. Dabei müssen wir uns auch an den Bedürfnissen der jungen Menschen orientieren. ({1}) Anstellungskonditionen, Aufstiegsmöglichkeiten, berufliche und familiäre Planbarkeit sind dabei wichtige Aspekte. Die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt und der Pakt für Forschung und Innovation konnten die Beschäftigungssituation und die -bedingungen nachhaltig verbessern. Die Zahl der an den Hochschulen hauptberuflich wissenschaftlich Tätigen hat sich seit 2005 um 29 Prozent auf knapp 200 000 erhöht. So unattraktiv kann das Angebot also nicht sein. ({2}) Promotionskollegs und Graduiertenschulen sorgen für eine bessere Struktur bei der Doktorandenausbildung. Das aktuelle System setzt auf Mobilität und Flexibilität und nicht auf verkrustete Strukturen. ({3}) Der unabhängige „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ bescheinigt uns, dass die Durchlässigkeit des Qualifizierungssystems der Zukunftsfähigkeit dient. All das sind Ergebnisse und Verdienste CDU29310 und CSU-geführter Wissenschafts- und Forschungspolitik. Es gibt die Möglichkeit zum Wechsel und zum Wiedereinstieg. Das System toleriert Unterbrechungen, setzt auf Eigeninitiative und lässt Raum für langfristige Erfolge. ({4}) Die Urteile zur Arbeitszufriedenheit und Motivation fallen dank dieser Eigenschaften überwiegend positiv aus. Natürlich ist dieses System noch nicht perfekt. ({5}) Die derzeitig übermäßige Anzahl von Kurzzeitbefristungen muss verringert werden. Diese Koalition hat dieses Thema bereits angesprochen und die Wissenschaft zum Handeln aufgefordert. ({6}) Wir werden die Entwicklung genau beobachten. Wenn sich nichts ändert, werden wir dafür sorgen, dass sich etwas ändert. Bei allen Bemühungen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, dürfen wir wichtige Aspekte nicht außer Acht lassen. Ein zu starker Eingriff wäre für die Innovationskraft und die Flexibilität des derzeitigen Systems schädlich. Die Forderung der SPD nach Aufhebung der Tarifsperre ist dafür ein gutes Beispiel. Sie würde mit Rasenmähermethode viele Möglichkeiten und Chancen, besonders bei drittmittelbefristeten Stellen kaputtmachen. ({7}) Die Folgen wären weniger Anstellungen und eine langfristige Schwächung des gesamten Systems. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wenn Sie wirklich etwas für die Hochschulen tun wollen, sollten Sie handeln. Ändern Sie mit uns Art. 91 b Grundgesetz. ({8}) Dies wäre ein effektives Mittel, um den finanziellen Engpässen an Hochschulen ein Stück weit entgegenzuwirken. Lassen Sie uns hier Nägel mit Köpfen machen, Herr Schulz! Das wäre richtig und angebracht. ({9}) Liebe Kollegen, die Hochschulen selbst sind deutlich kreativer als die Opposition. Mehrere Universitäten haben begonnen, die derzeitigen Rahmenbedingungen zu nutzen. Sie konzipieren wirklich attraktive Konzepte für ihren Nachwuchs. Die TU München - sie wurde heute in diesem Zusammenhang schon einmal genannt - hat ein Karrieremodell entwickelt, das Postdocs mithilfe attraktiver Aufstiegsaussichten an der Universität hält. Das zeigt die Möglichkeiten im aktuellen System. Eine zu starke Regulierung würde der Flexibilität die Grundlage entziehen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 17/12531 an die Ausschüsse vor- geschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunzehntes Hauptgutachten der Monopol- kommission 2010/2011 - Drucksache 17/10365 - hier: Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 17/12940 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung geht der Zusatzpunkt 6 zu Protokoll.1) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf ({1}), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck ({2}), Ute Koczy, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen - Drucksachen 17/12822, 17/13144 Berichterstattung: Abgeordnete Frank Heinrich Angelika Graf ({3}) Marina Schuster Katrin Werner Volker Beck ({4}) ZP 7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck ({5}), Ute Koczy, Hans-Josef Fell, 1) Anlage 19 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Kö- nigreich Marokko und von der Frente Popular de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten - Drucksache 17/11453 - ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Be- satzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen - Drucksache 17/13089 - Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13144, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12822 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Dagegen waren Grüne und SPD. Dafür haben gestimmt CDU/CSU und FDP. Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13089 mit dem Titel „Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besat- zungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt. Die Frak- tion Die Linke hat zugestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Die übrigen Fraktionen waren da- gegen. Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union ({6}) - Drucksache 17/12816 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({7}) - Drucksache 17/13142 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Stübgen Michael Roth ({8}) Alexander Ulrich b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({9}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon konsequent anwenden - Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union weiter stärken - Drucksachen 17/8137, 17/13142 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Stübgen Michael Roth ({10}) Alexander Ulrich Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi- schen Union hat in seiner Beschlussempfehlung den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8137 mit dem Titel „Begleitgesetzge- bung zum Vertrag von Lissabon konsequent anwenden - Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenhei- ten der Europäischen Union weiter stärken“ mit einbezo- gen. Über diese Vorlage soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. Damit sind Sie einverstanden? - Dann verfahren wir so. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13142, den Gesetzentwurf auf Druck- sache 17/12816 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen bitte jetzt aufstehen. - Die Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13142 empfiehlt der Ausschuss, den An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/8137 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - 1) Anlage 11 2) Anlage 12 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Enthaltungen? - Dann ist auch das mehr oder weniger einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({11}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt ({12}), Anette Kramme, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Ar- beitsmarkt ermöglichen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung - Drucksachen 17/12180, 17/9931, 17/9758, 17/12770 - Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Molitor Hier sind die Reden zu Protokoll genommen.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/12770. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/12180 mit dem Titel „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben SPD und Linke gestimmt. Die Koalitionsfraktionen waren dafür. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9931 mit dem Titel „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9758 mit dem Titel „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der SPD-Fraktion, bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Altersgelds für freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten - Drucksache 17/12479 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({13}) - Drucksache 17/13132 Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster ({14}) Dr. Stefan Ruppert Dr. Konstantin von Notz - Bericht des Haushaltsausschusses ({15}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13135 - Berichterstattung: Abgeordnete Stefanie Vogelsang Dr. Peter Danckert Dr. Florian Toncar Roland Claus Katja Dörner Die Reden wurden zu Protokoll genommen.2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/13132, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/12479 anzu- nehmen. Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Zugestimmt haben die Fraktion Die Linke und die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat die SPD gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- ter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dafür ist, möge bitte auf- stehen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - In der 1) Anlage 13 2) Anlage 14 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt dritten Beratung ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Memet Kilic, Volker Beck ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaftliche Vielfalt in der Bundeswehr anerkennen - Drucksache 17/13095 Die Reden sind zu Protokoll genommen.

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen: „Nirgends werde ich so wenig diskriminiert wie in der Bundeswehr.“ Das Zitat stammt von einem jungen Mann, dessen Eltern aus Afrika stammen und der einen Wunsch hat: Er will in Deutschland dazugehören. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit fand er nach eigener Aussage bei der Bundeswehr. Denn in der Bundeswehr gibt es einen Wert, der in der heutigen Gesellschaft leider oft an Bedeutung verloren hat. Ich meine damit Kameradschaft. In der Bundeswehr zählt Kameradschaft. Es zählt dein Dienstgrad und deine Leistung, bevor andere Dinge in Erwägung gezogen werden. Die Menschen, die in unseren Streitkräften dienen, kommen aus unterschiedlichen Milieus, haben verschiedene Religionszugehörigkeiten, Geschlechter oder Hautfarben. Sie alle haben aber ein Ziel: Sie wollen diesem Land dienen und dafür im Ernstfall ihr Leben einsetzen. Sie alle leisten den gleichen Eid. Der junge Mann, den ich eingangs zitierte, hat mittlerweile einen Verein gegründet, der sich Deutscher.Soldat.e.V. nennt. In einem Interview sagte er, er habe den Verein nicht dazu gegründet, um in der Armee etwas zu ändern. Er wolle vielmehr einen positiven Impuls in die Integrationsdebatte innerhalb der Gesellschaft liefern. Und statt Multikulti gehe es dem Verein darum, das Deutschsein in seiner Vielfalt zu zeigen. Dies zeigt, welche Entwicklung in der Bundeswehr mittlerweile stattgefunden hat und dass gelebte Vielfalt nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, wie im Antrag der Grünen formuliert. Ich möchte definitiv nicht alles in der Bundeswehr glorifizieren. Auch dort kommt es leider zu Fällen - wie in allen Teilen der Gesellschaft -, in denen jemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Religionszugehörigkeit oder der Herkunft seiner Eltern diskriminiert wird. Das ist schlimm, und wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass sich daran etwas ändert. Dennoch zeigt sich insgesamt, dass die Bundeswehr bei der Frage nach gelebter Vielfalt auf einem guten Weg ist. Beispielhaft sind dafür etwa die rückläufigen Zahlen rechtsextremistischer Vorfälle. So wurden im Jahr 2009 122 Vorkommnisse mit rechtsextremistischem Hintergrund gemeldet. Im darauffolgenden Jahr waren es 82 Fälle, 2011 waren es 63 und 2012 67 Fälle. Nach einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Jahr 2009 haben 12 Prozent aller Soldatinnen und Soldaten einen Migrationshintergrund. Die Vielfalt innerhalb der Bundeswehr drückt sich außerdem dadurch aus, dass sich die Anzahl von Frauen in den Streitkräften deutlich erhöht hat. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Laufbahnen der Streitkräfte erst seit dem 1. Januar 2001 für Frauen geöffnet sind, ist ein Frauenanteil in den Streitkräften von mehr als 9 Prozent ein gutes Ergebnis, das selbstverständlich weiter ausgebaut werden muss. Soldatinnen sind heutzutage ein akzeptierter Teil der Truppe und nicht mehr wegzudenken. Frauen dienen in nahezu allen Bereichen. 2011 führte erstmals ein weiblicher Oberleutnant in Afghanistan einen Infanteriezug im Gefecht. Es gibt mittlerweile eine TornadoPilotin, und rund 5 Prozent aller Soldaten in den Auslandseinsätzen sind weiblich. Ihre Integrationsfähigkeit hat die Bundeswehr nach meiner Einschätzung bereits im Zuge der deutschen Einheit gezeigt, als Armee der Einheit. Das Ende des Ost-West-Konflikts stellte die Bundeswehr vor eine große Herausforderung. Obwohl es damals Zweifel gab, ist die deutsche Einheit innerhalb unserer Streitkräfte schneller erfolgt, als in anderen Bereichen. Lassen Sie mich nun zur Charta der Diversität kommen. Die Idee, die Charta zu unterzeichnen, stammte ursprünglich aus der Truppe. Das, was in der Bundeswehr gelebt wird, sollte mit der Unterzeichnung der Charta auch nach außen transportiert werden. Und entgegen der Verlautbarungen von Teilen der Opposition werden die Verpflichtungen, die sich mit der Unterzeichnung der Charta ergeben, ernst genommen. Toleranz, Fairness und Wertschätzung von Menschen diese Werte finden sie in der Bundeswehr und das auch schon von Anfang an. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem das Konzept der Inneren Führung in Erinnerung rufen. Mit der Aufstellung unserer Streitkräfte verband sich die Idee, das Menschenbild des Grundgesetzes auch in der Truppe zur verbindlichen Richtschnur zu machen. Mit der Konzeption der Inneren Führung und dem Leitbild des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ setzen wir diesen Anspruch um. Das Werte- und Normensystem des Grundgesetzes findet mit der Konzeption der Inneren Führung in der Führung, Bildung, Ausbildung und Erziehung in der Bundeswehr seinen Ausdruck. Die Unantastbarkeit und der Schutz der Menschenwürde sind Verpflichtung des Staates und daher auch der Bundeswehr. Um die Vielfalt in unseren Streitkräften weiterhin zu fördern, wird auch daran gearbeitet, die Anzahl der Soldatinnen weiter zu erhöhen. Von enormer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Erfahrungsgemäß ist dabei eine zuverlässige und den Arbeitszeiten der Eltern möglichst angepasste Kinderbetreuung wichtig. In den letzen Jahren wurden daher zusätzliche arbeitsplatznahe Betreuungsplätze eingerichtet bzw. Belegrechte bereitgestellt. Um mal ein paar Beispiele zu nennen: An den Standorten Seedorf, Westerstede, Hamburg und Berlin wurden Belegrechte erworben. Für weitere Standorte werden gegenwärtig Verhandlungen geführt. Das Bundesministerium der Verteidigung teilte mir außerdem mit, dass aktuell insgesamt circa 200 Betreuungsplätze - überwiegend in Form von Belegrechten - zur Verfügung stehen. In der Planung befinden sich weitere 400 Plätze, einschließlich der Betriebskindergärten. An Standorten mit hohem und langfristig gesichertem Bedarf werden durch die Bundeswehr Betriebskindergärten eingerichtet. Mittlerweile gibt es außerdem 139 Eltern-Kind-Arbeitszimmer. Damit wird Beschäftigen bei unvorhergesehenem kurzfristigem Ausfall der Kinderbetreuung eine unmittelbare Betreuungsmöglichkeit am Arbeitsplatz geboten. Die Eltern-Kind-Arbeitszimmer enthalten neben einem komplett ausgestatteten Arbeitsplatz eine kindgerechte Ausstattung, die eine kurzfristige Betreuung der Kinder durch die Eltern im Dienst ermöglicht. Die Einrichtung weiterer circa 160 ElternKind-Arbeitszimmer ist in Planung Seit letztem Herbst wird schließlich das an neun Pilotstandorten erprobte Kinderbetreuungsportal in die Fläche ausgeweitet. Diese Maßnahme ermöglicht Bundeswehrangehörigen, standortbezogene Informationen über Betreuungsmöglichkeiten einzuholen. Lassen Sie mich nun noch zu den Themen „lebenskundlicher Unterricht“ und „Militärseelsorge“ kommen. Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass der lebenskundliche Unterricht kein Religionsunterricht ist. Es handelt sich um eine berufsethische Qualifizierungsmaßnahme für alle Soldatinnen und Soldaten. Richtig ist, dass aufgrund unserer Geschichte die christliche Militärseelsorge in diesem Bereich eine wichtige Rolle spielt. Dennoch sind die Verantwortlichen in diesem Bereich dazu angehalten, den religiösen Dialog zu fördern und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Abschließend lässt sich sagen, dass sich die Bundeswehr im 21. Jahrhundert gewandelt hat. Anders als in den Medien zum Teil dargestellt, spiegeln auch unsere Streitkräfte die Gesellschaft in ihrer Vielfalt wider und ermöglichen ein Miteinander und Kameradschaft zwischen Menschen, die innerhalb der Gesellschaft ansonsten nicht zusammengefunden hätten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen uns, dass die Verpflichtungen, die sich mit der Charta der Diversität verbinden, ernst genommen werden und dass die Bundeswehr ein Ort gelebter Vielfalt ist. Ich sehe daher keinen Grund, dem Antrag der Grünen zuzustimmen. Stattdessen empfehle ich den Grünen, einmal genauer in die Truppe hineinzuhören, um sich ein Bild von der tatsächlichen Lage zu machen.

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unsere Streitkräfte waren und sind Spiegelbild unserer Gesellschaft. Der soziale Wandel hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Bundeswehr. Als eine der größten staatlichen Institutionen muss sie sich diesen Veränderungen stellen und sie annehmen. Mehr als 50 Jahre Immigration haben unsere Gesellschaft facettenreicher gemacht. Einwanderer aus allen Regionen der Welt haben unser Land verändert. Mit der deutschen Staatsangehörigkeit wird die Bundeswehr automatisch ein interessanter Arbeitgeber. Soldatinnen und Soldaten mit Migrationshintergrund sind eine Selbstverständlichkeit in unseren Streitkräften. Das ist Chance und Auftrag zugleich. Die Bundeswehr kann von den diversen kulturellen Einflüssen profitieren. Sie muss aber auch den Bedürfnissen der Soldatinnen und Soldaten gerecht werden. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Ihre Einsätze finden im multinationalen Rahmen statt. Wir entsenden unsere Soldatinnen und Soldaten in die verschiedensten Regionen der Welt: Afghanistan, Kosovo, Türkei und kürzlich erst nach Westafrika. Wo der nächste Einsatz stattfindet, ist nicht abzusehen. Die teilnehmenden Nationen unterscheiden sich von Einsatz zu Einsatz. Eine Armee, deren Auftrag international ist, kann von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen nur profitieren. Der tägliche Austausch mit Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen ist Teil jeder Mission. Wer sich in mehreren Sprachen ausdrücken kann und interkulturelle Kompetenz mitbringt, ist klar im Vorteil. Das wirkt sich positiv auf die Zusammenarbeit aus und ist hilfreich für den Erfolg des Einsatzes. Darüber hinaus bewegen sich unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz oft in für sie fremden Kulturkreisen. Auch wenn die Truppe natürlich für solche Einsätze entsprechend vorbereitet wird, ist gelebte gesellschaftliche Vielfalt jedoch in solchen Szenarien sicherlich eine Bereicherung. Wer sich in mehreren Sprachen ausdrücken kann, wer sich in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen bewegen kann, der ist ein Gewinn für die Bundeswehr. Das sollten wir fördern. Aber damit die Bundeswehr in vollem Umfang von den Kompetenzen und Fähigkeiten ihrer Soldatinnen und Soldaten profitieren kann, müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. Unterschiedliche Kulturen und Religionen beinhalten unterschiedliche Rituale. Die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass der Dienst im Vordergrund steht. Aber genauso pflichtbewusst, wie die Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst ableisten, sollte der Dienstherr ihnen die Möglichkeit geben, ihre Religion auszuüben. Es ist etwas Bemerkenswertes, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen sich zur Bundeswehr bekennen. Bei gesellschaftlicher Vielfalt geht es aber nicht nur um andere Religionen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger in unserem Land entscheiden sich, keiner Religion anzugehören. Diese Entwicklung vollzieht sich auch in der Bundeswehr. Viele Soldatinnen und SoldaZu Protokoll gegebene Reden ten sind dankbar für die Angebote der militärischen Seelsorge und nehmen diese gerne an. Jedoch müssen wir uns Gedanken machen, ob es nicht sinnvoll ist, weitergehende Möglichkeiten für vertrauensvolle Gespräche vorzuhalten. Diese Angebote sollten dabei so niedrigschwellig wie möglich sein, damit sie jede Soldatin, jeder Soldat annehmen kann. Vor allem im Bereich der Gesprächs- und Beratungsangebote sollte die Bundeswehr nicht auf die Nachfrage warten, sondern mit verschiedenen Angeboten in Vorleistung treten. Gesellschaftliche Vielfalt ist auch entscheidender Punkt in Bezug auf die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft. Damit die Bundeswehr weiterhin gut integriert und verankert ist, muss sie die Entwicklungen in der Gesellschaft widerspiegeln. Wir erwarten von unseren Soldatinnen und Soldaten, dass sie Bürger in Uniform sind. Sie sollen sich mit ihrer Tätigkeit auseinandersetzen und sich in die Gesellschaft einbringen. Je besser die Bundeswehr, in der sie dienen, den multikulturellen Wandel der Gesellschaft widerspiegelt, desto stärker ist die Verankerung und desto besser gelingt die Integration. Darüber hinaus ist die Öffnung der Bundeswehr eine Chance für die Nachwuchsgewinnung. Die Bundeswehr kann zeigen, dass sie ein offener, multikultureller und toleranter Arbeitgeber ist. Damit macht sie sich auch interessanter für neue Bewerbergruppen. Die interkulturelle Kompetenz einer multikulturellen Truppe macht die Bundeswehr relevanter als Arbeitgeber für Rekrutinnen und Rekruten aus allen sozialen und kulturellen Gruppen der Gesellschaft. Der Minister hat in der Vergangenheit den Anspruch formuliert, die Truppe weiter zu öffnen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Bundeswehr zu bringen. Das begrüße ich ausdrücklich. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundeswehr von einer Öffnung nur profitieren kann und freue mich auf die kommenden Diskussionen.

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Anliegen, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft auch in unseren Streitkräften zum Ausdruck kommt und dort gelebt wird, verbindet uns alle über die Fraktionsgrenzen hinweg. Es ist nicht das Ob, sondern viel mehr das Wie, über das wir heute hier miteinander diskutieren. Anerkennung und Achtung gesellschaftlicher Vielfalt werden in der Bundeswehr nicht nur ganz praktisch von der überwältigenden Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten gelebt, sondern sie sind auch Teil des gesetzlichen Auftrags. In § 12 des Soldatengesetzes heißt es: „Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein.“ Wenn Soldatinnen oder Soldaten sich nicht an das Soldatengesetz halten, droht ihnen neben den disziplinarrechtlichen Konsequenzen vor allem eine Ächtung ihres diskriminierenden Verhaltens durch die Kameradinnen und Kameraden. Wir werden Toleranz niemals erfolgreich verordnen können. In erster Linie muss sie als Herzensanliegen von den Soldatinnen und Soldaten selbst ausgehen. Unsere Aufgabe als Politik ist es, die richtigen Impulse zu setzen und den rechtlichen Rahmen laufend weiterzuentwickeln, damit jedwede Form von Diskriminierung keinen Raum in der Bundeswehr erhält. Bei meinem Besuch im Afghanistan im Februar dieses Jahres durfte ich Gespräche mit vielen Soldatinnen und Soldaten führen. Gerade im Auslandseinsatz zeigt sich, dass kulturelle Unterschiede im Alltag der Soldaten keine Rolle spielen. Manche der Soldatinnen und Soldaten, mit denen ich sprach, hatten einen Migrationshintergrund, andere wiederum hatten ungewöhnliche Biografien, die sie auf Umwegen zur Bundeswehr geführt haben. All dies spielt vor Ort keine Rolle und ist erst recht kein Hemmnis im täglichen Umgang miteinander. Die Soldatinnen und Soldaten bringen aus ihrem privaten Umfeld und ihren Biografien Kompetenzen mit, mit denen sie unsere Bundeswehr bereichern. Wer sich beispielsweise näher mit der Arbeit des ehrenamtlichen Vereins Deutscher Soldat e. V. befasst, erkennt schnell, wie sehr sich die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten selbst mit Fragen der gesellschaftlichen Vielfalt und Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzen. Wie an jeder zivilen Hochschule, gibt es an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg eine Interessensgemeinschaft Queer, die sich mit Erfolg und Anerkennung durch alle Studierenden für die Rechte homosexueller Soldatinnen und Soldaten einsetzt. Die Arbeit dieser Institutionen sollten wir Parlamentarier unterstützen, weil sie aus der Mitte der Bundeswehr heraus Veränderungen anstoßen. All diese positiven Aspekte und Entwicklungen finden in Ihrem Antrag bedauerlicherweise keine Erwähnung. Es liegt an uns, das häufig einseitige und stereotype Bild des wenig weltoffenen und mitunter intoleranten Soldaten zu überprüfen und uns in der Politik nicht gängiger Vorurteile zu bedienen. Allerdings sollten wir den Staatsbürger in Uniform oder auch die Bundeswehr als Abbild unserer Gesellschaft nicht überfordern. Wenn wir bei der Bundeswehr zu Recht hohe Anforderungen stellen, sollten wir den Anspruch an die Gesamtgesellschaft in diesen Fragen nicht aus den Augen verlieren. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir Teilen der Soldaten und der militärischen Führung unterstellen, Zu Protokoll gegebene Reden dass sie Ansätze einer frauen-, schwulen- oder fremdenfeindlichen Gesinnung in sich tragen. Die Bundeswehr ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. In den Streitkräften erleben wir die gleichen Prozesse der Pluralisierung, wie wir sie in der Gesamtgesellschaft finden. Ich würde mich freuen, wenn wir Abgeordneten noch mehr in der Gesellschaft aktiv für das veränderte und sich weiter verändernde Bild unserer Streitkräfte werben. Was wir brauchen, ist ein differenzierter Blick, und ich bin dem Wehrbeauftragten dankbar dafür, dass er in seinen jährlichen Berichten immer wieder aufzeigt, wo Nachholbedarf besteht und wo wir als Politik und die Bundeswehr selbst zum Handeln aufgefordert sind. Ich setze mich für die Öffnung der Militärseelsorge für weitere Konfessionen ein. Mit dieser Forderung stehe ich - oder wir - nicht allein. Sowohl die katholische als auch die evangelische Militärseelsorge regen selbst eine solche Erweiterung an, und auch das Verteidigungsministerium prüft aktuell die Möglichkeiten einer solchen Öffnung. Diesen Prozess sollten wir Abgeordneten im Verteidigungsausschuss aktiv unterstützen. In Afghanistan wurde mir aber eine ganz andere Bedeutung der Militärseelsorge nochmals deutlich. Die Militärseelsorge ist in der Praxis keinesfalls in erster Linie ein religiöses oder konfessionelles Angebot. Die Militärseelsorger selbst verstehen sich ganz bewusst nicht als Ansprechpartner nur für die Soldaten, die ihrer Konfession angehören oder mindestens einen persönlichen Bezug zum Religiösen haben. Ganz im Gegenteil: Sie sind für alle Soldatinnen und Soldaten da und werden auch von allen in Anspruch genommen. Neben der Militärseelsorge gibt es mit dem psychosozialen Netzwerk aber auch ein Beratungsangebot, welches unabhängig von den Kirchen angeboten wird. So kann jeder Soldat selbst wählen, welche Art der Begleitung er in Anspruch nehmen möchte. Gerade wenn es um die Ehrung der gefallenen Kameraden geht, ist das gemeinsame Gedenken, angeleitet durch die Militärseelsorger, von besonderer Bedeutung. Hier spielt die Konfession der Seelsorger keine Rolle. Im Zentrum steht ihre Aufgabe, das nicht Erklärbare in Worte zu fassen und den Soldaten Halt und Zuspruch zu geben. Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren eine Institution im Wandel. Die Umsetzung wichtiger Ziele unserer Gesellschaft, sei es die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder die Integration von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund, wird in der Bundeswehr nicht nur diskutiert, sondern es werden auch konkrete Lösungen erarbeitet und umgesetzt. Ich würde mich freuen, wenn wir Parlamentarier die Bundeswehr bei diesem Prozess auch weiterhin gemeinsam begleiten.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die kulturelle und religiöse Vielfalt zu leben, gehört heute zum Glück zum Alltag in Deutschland und das sollte auch in der Bundeswehr so sein. In diesem Sinne ist der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen auch zu begrüßen. Denn man hat schon den Eindruck, dass die Bundeswehr das Thema am liebsten aussitzen würde. Vergleichen Sie mal die Antworten des Verteidigungsministeriums auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion 2006 mit den Antworten auf die Kleine Anfrage der Grünen 2012 - viel geändert hat sich nicht. Sicherlich, man unterzeichnet solche Appelle, wie die Charta der Vielfalt. Man hat eine Zentrale Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz und auch einen beim Verteidigungsministerium angegliederten Beirat für Fragen der Inneren Führung, der auch einige externe Organisationen einbindet. Aber wenn die Bundeswehrführung von „interkultureller Kompetenz“ redet, ist nahezu ausschließlich ein Fähigkeitsmerkmal der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten bei den Auslandseinsätzen gemeint. Mit anderen Worten: Mehr Weltoffenheit soll die Arbeit der Truppe in den globalen Einsätzen zu effektivieren helfen. Anders herum wäre besser: Die vielbeschworene interkulturelle Kompetenz sollte bei der Erkenntnis helfen, zu erkennen, dass externe militärische Akteure in der Regel bei dem Versuch scheitern, andere Kulturkreise Mores zu lehren. Im Antrag der Grünen spielt der Zusammenhang, genauer: das Spannungsverhältnis zwischen religiöser Bindung bzw. Prägung und der Tendenz zu gesellschaftlicher Diversifizierung eine große Rolle. Nur wird die Tatsache, dass die Weltanschauungs-, Glaubens- und Kulturorientierungen immer vielfältiger werden, dahin gehend gedeutet, dass all diese Richtungen in den diversen Gremien - wie dem Beirat für Innere Führung - auch angemessen vertreten sein sollten. Das ist richtig, aber auch nur ein erster Schritt. Bislang hatte die katholische und evangelische Militärseelsorge quasi eine Monopolstellung und war aufgrund der Strukturen der fast „natürliche“ Bezugspunkt vieler Soldatinnen und Soldaten auf die Kirchen, wenn es um existenzielle Bedrängnis oder auch tiefgehende menschliche Sorgen und Nöte geht. Das war früher so und - die Erfahrungen in den „Einsatzgebieten“ zeigen es - ist auch noch heute so. Aber dass selbst konfessionell ungebundene Armeeangehörige sich vor allem an die Militärgeistlichen wenden, wenn sie Trost oder Rat suchen, ist zunächst nur der Tatsache geschuldet, dass es keine Alternativen gibt. Ein Beweis für die Unverzichtbarkeit dieser Art der Seelsorge ist es nicht. Dennoch kann es gegenwärtig nicht darum gehen, den Vertretern der Kirchen einfach die Tür zu weisen, aber die derzeit bestehende Monopolstellung der Kirchenmänner und -frauen im Lebenskundlichen UnterZu Protokoll gegebene Reden Paul Schäfer ({0}) richt der Soldaten ist nicht angemessen und nicht akzeptabel. Um der veränderten gesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen, müssen zudem Betreuungsangebote auch für Muslime und andere Glaubensrichtungen eingerichtet werden. Mehr noch: Auf den Prüfstand sollte auch gestellt werden, wie säkulare Betreuungsmöglichkeiten ausgebaut werden können. Tabus helfen hier nicht weiter. Die Linke hat von Anfang an und auch im damaligen Unterausschuss für Innere Führung diese Exklusivposition kritisiert. Dieses Monopol wollen wir aber nicht durch ein Oligopol ersetzen. Der lebenskundliche Unterricht, der ja für alle Angehörigen der Truppe obligatorisch ist, muss grundlegend säkularisiert werden. In der Neukonzeption des Lebenskundlichen Unterrichts im Juni 2011 wurde zwar erstmals die Möglichkeit eröffnet, dass „nicht-religiöse berufsethisch besonders qualifizierte Lehrkräfte Lebenskundlichen Unterricht erteilen“ dürfen. Das hatte aber anscheinend keine Auswirkungen auf die Praxis. Ein Jahr später hieß es, dass es keinen Bedarf dafür gibt, da die kirchlichen Militärseelsorger das immer noch machen. In Ewigkeit Amen. Damit wollen und werden wir uns nicht abfinden. Insofern geht uns der Antrag der Grünen an dieser Stelle nicht weit genug. Es bleibt, solange die seelsorgerische Betreuung kirchlich organisiert ist, das strukturelle Grundproblem, dass die Seelsorger vom Staat bezahlt werden, gegenüber den anderen Geistlichen in der Kirche Privilegien genießen und die Behörden der Militärseelsorge nicht bei den Kirchen, sondern direkt beim Verteidigungsministerium angesiedelt sind. Unabhängigkeit buchstabiert sich anders. Das muss geändert werden. Es ist richtig, eine breitere Debatte in Gang zu setzen, wie gerade die Bundeswehr dem Gebot der Vielfalt - der Kulturen, der Lebensstile, der sexuellen Orientierung - in ihren Reihen Rechnung tragen kann - und dabei kann der Antrag der Grünen helfen. Die Mindestanforderung lautet, dass es in Bezug auf religiöse Überzeugung, ethnische/nationale Herkunft, sexuelle Orientierung und kulturell geprägte Lebensweise keinerlei Diskriminierung geben darf. Die andere Mindestbedingung lautet, dass innerhalb der Bundeswehr rassistische, fremdenfeindliche, nationalchauvinistische Auffassungen keinen Platz haben dürfen. Die Angehörigen der Bundeswehr dafür zu sensibilisieren und davon zu überzeugen, ist eine ständige Aufgabe in der Politischen Bildung, im Lebenskundlichen Unterricht, im praktischen, alltäglichen Umgang. Diese Bedingungen werden nicht dadurch einzulösen sein, dass man einfach eklektisch hier eine Migrantenorganisation und dort ein paar Glaubensgemeinschaften hinzu bittet. Hier geht es um eine grundlegende Aufklärungsaufgabe. Und hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Das Parlament sollte diese Anstrengungen kontinuierlich und kritisch begleiten.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wer aus diesem Hohen Haus auf die Straßen dieser Stadt hinaustritt, kann die Realität gesellschaftlicher Vielfalt in diesem Land nicht leugnen. Deutschland ist ein Einwanderungsland und hat von dieser Einwande- rung einen großen gesellschaftlichen, kulturellen und nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Nutzen gezogen. Das Bild unseres Landes in der Welt hat - bei allen Problemen und bei aller sehr berechtigten Kritik - vom offenen und positiven Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt entscheidend profitiert. Das heißt nicht, dass wir die Probleme, die eine multikulturelle Realität mit sich bringt, unter den Teppich kehren dürfen. Sondern das heißt, dass unser Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt auf den Grundregeln und im Geist unserer Verfassung geschehen muss: Würde, Freiheit und Gleichberechtigung jeder Bürgerin und jedes Bürgers, Rücksicht, Respekt und Toleranz untereinander. Die Bundeswehr ist ein Teil dieser Republik, was sich im Verständnis des „Staatsbürgers in Uniform“ widerspiegelt - und sogar ein bisschen mehr: Sie ist im besonderen Maß dazu verpflichtet, die Werte, für die sie einsteht, auch in ihrem Inneren zu verwirklichen. Das Prinzip der Inneren Führung steht für die Ein- haltung dieser Werte. Und in der Tat: Die Bundeswehr unternimmt zahlreiche Anstrengungen, um ihre inter- kulturelle Kompetenz zu stärken, und sie hat, was den Umgang mit Intoleranz und Rassismus in ihren Reihen angeht, eine passable Bilanz vorzuweisen. Dennoch müssen wir daran weiter arbeiten: Intoleranz und Rassismus haben keinen Platz in dieser Bundeswehr und dürfen auch aus Respekt vor vermeintlichen Tradi- tionen oder Riten nicht geduldet werden. Der Skandal um die Ermittlungen der NSU-Mordserie habe gezeigt, dass wir uns trotz vieler Fortschritte keinesfalls zu- rücklehnen dürfen. Noch immer aber verharrt die Bundeswehr an vie- len Stellen in überkommenen Strukturen. Wir wissen, wie schwer es ist, eine große und oft auch etwas schwerfällige Organisation zu verändern. Aber man hat oftmals das Gefühl, dass es an entscheidenden Stellen auch am rechten Willen fehlt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Militärseelsorge. Obwohl mittlerweile mindestens 1 000 Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens bei der Bundes- wehr dienen, weigert sich die Bundesregierung hartnäckig, einen muslimischen Militärseelsorger ein- zustellen oder dessen Einstellung auch nur anzuvisie- ren. Dabei gibt es bei den evangelischen oder protes- tantischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine Betreuungsquote von rund 650 zu 1. Ein solcher Seel- sorger würde nicht nur den Bedürfnissen Hunderter Soldatinnen und Soldaten Rechnung tragen, sondern auch nach außen ein wichtiges Zeichen für die Aner- kennung gesellschaftlicher Vielfalt setzen. Zu Protokoll gegebene Reden Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Le- benskundlichen Unterricht. Er ist einer der wichtigs- ten Orte, um Soldatinnen und Soldaten auf die beson- ders hohen ethischen Ansprüche vorzubereiten, die ihr Beruf mit sich bringt. Er sollte auf die Lebensrealität aller Soldatinnen und Soldaten eingehen. Stattdessen aber wird er bislang ausschließlich von evangelischen oder katholischen Geistlichen bestritten. Das geht an der Realität einer Truppe mit immer heterogeneren kulturellen und damit auch moralischen Leitlinien völ- lig vorbei. All das sind Teile dessen, was man heute gemeinhin als Diversity Management bezeichnet, als die Bemü- hungen von Unternehmen und Institutionen, ange- sichts immer heterogener werdender Gruppen dem In- dividuum mit seinen Ansprüchen und Fähigkeiten gerecht zu werden. Die Bundeswehr bekennt sich auf dem Papier dazu, und in der Bundeswehr streiten täg- lich viele Männer und Frauen dafür, diese Prinzipien einzuhalten. Oft gegen widrige bürokratische Umstände und mit zu geringen Mitteln. Aber bei der Koordinierung dieser Aktivitäten, bei der gesteuerten Umsetzung dieser Lippenbekenntnisse, tut sich wenig. Das fügt noch etwas zur ohnehin schon hohen Frustra- tion in der Bundeswehr hinzu und lässt auch viele der Schätze, die eine wachsende interkulturelle Kompetenz in der Truppe für viele Einsätze mit sich bringt, unge- hoben. Deswegen brauchen wir endlich eine zentrale Koordination der einzelnen Ansätze zum Diversity Management im Verteidigungsministerium. Und wir brauchen den Willen, angesichts der Veränderungen mit ihren zahlreichen Chancen alte Zöpfe abzuschnei- den. Dabei geht es nicht zuletzt darum, mit den Soldatin- nen und Soldaten mit und ohne Migrationshintergrund zu sprechen, die sich in der Bundeswehr für gesell- schaftliche Vielfalt einsetzen. Die vielen ermutigenden Geschichten von Soldatin- nen und Soldaten mit Migrationshintergrund, die in der Bundeswehr für dieses Land und seine Werte ein- stehen, zeigen, welches Potenzial eine - ich sage es noch einmal bewusst - multikulturelle Realität mit sich bringt. Dieses Potenzial müssen wir auch in der Bun- deswehr nutzen. Dies hilft ihr nicht nur dabei, ihre Rolle als Verteidigerin unserer Werte zu erfüllen; sie kann damit auch einen eigenen Beitrag zur Integration in unserer Gesellschaft leisten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13095 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wettbewerb und Innovationsdynamik im Soft- warebereich sichern - Patentierung von Com- puterprogrammen effektiv begrenzen - Drucksache 17/13086 - Die Reden sind zu Protokoll genommen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13086 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt- Governance verbessern - Drucksache 17/12734 - Die Reden wurden zu Protokoll genommen.2) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 17/12734. Wer stimmt für den Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Silvia Schmidt ({0}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Teilhabe ermöglichen - Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für alle intensivieren - Drucksache 17/13085 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Reden wurden zu Protokoll genommen.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute einen Antrag der SPD zum Thema „Teilhabe ermöglichen - Forschung und Ent- wicklung von Technologie und Design für alle intensi- vieren“. Wir sind uns heute glücklicherweise über alle Parteigrenzen hinweg einig, dass wir eine inklusive Gesellschaft in Deutschland sein wollen. Alle Men- schen, egal ob mit oder ohne Behinderung, sind für un- sere Gesellschaft wichtig. Jeder Mensch hat Stärken. Es gilt gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutsch- 1) Anlage 15 2) Anlage 16 land, die Stärken der Menschen zu stärken und allen Bürgerinnen und Bürgern die Chance zu geben, ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu führen. Aus diesem Grund hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen alle Rechte und Freiheiten uneingeschränkt zu gewährleisten. Aus diesem Grund hat sich diese christlich-liberale Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig positioniert: „Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickeln.“ Wir haben Wort gehalten: Nach einem intensiven Beratungsprozess mit allen Beteiligten konnte im Jahr 2011 der angestrebte Nationale Aktionsplan verabschiedet werden, mit dem die UN-Behindertenrechtskonvention Schritt für Schritt umgesetzt werden wird. Insbesondere das Universelle Design ist ein zentraler Aspekt des Nationalen Aktionsplans. Auch in verschiedenen Antworten auf Anfragen der Opposition hat sich die Bundesregierung eindeutig zur Bedeutung behinderungskompensierender Technologien und dem Universellen Design bekannt. Ich verweise dazu auf die Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen erstens der Fraktion Die Linke „Nutzen-füralle-Konzept umsetzen“, Drucksache 17/631, zweitens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Forschung an behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz“, Drucksache 17/4169, und drittens der Fraktion der SPD „Forschung und Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien und Universellem Design“, Drucksache 17/11793. In dem nun vorliegenden Antrag schlägt die SPD vor, Forschung und Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien, die sie „Technologien für alle“ genannt hat, und des Konzeptes des Universellen Designs - Design für alle - zu intensivieren. So sehr ich grundsätzlich von behinderungskompensierenden Technologien und dem Konzept des Universellen Designs überzeugt bin, so wenig glaube ich, dass die von der SPD geforderten Punkte einen hilfreichen Beitrag leisten können. Ich möchte meine Skepsis an einigen Punkten deutlich machen. Zunächst hadere ich mit der Definition des Universellen Designs. Der Nationale Aktionsplan beschreibt das Design für alle auf Seite 78 wie folgt: „‘Design für Alle‘ ist ein Konzept für die Planung und Gestaltung von Produkten und Umgebungen ({0}), das es allen Menschen erlaubt, diese Produkte und Umgebungen so weit wie möglich ohne individuelle Anpassung oder eine besondere Assistenz zu benutzen.“ Eine ähnliche Definition enthält auch die UNBehindertenrechtskommission in Art. 2. Der Präsident des EIDD - Design for All Europe -, Finn Petren, hat sich zu „Design für Alle“ allerdings wie folgt geäußert. „Oft werde ich gefragt, worum es beim Design für Alle eigentlich geht. Es gibt immer noch eine ganze Menge Leute, die Design für Alle als einen Versuch betrachten, mit von Designern gestalteten Produkten die größtmögliche Zielgruppe zu erreichen. Und dann gibt es jene, die denken, es ginge um Design für Menschen mit Behinderungen, um elegante Hilfsmittel und clevere Speziallösungen. Und für andere wiederum ist es lediglich ein anderer Ausdruck für Zugänglichkeit und Nutzerfreundlichkeit.“ So steht es im Gutachten „Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für Alle“ welches 2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erarbeitet wurde. Und weiter heißt es dort in Übersetzung des Präsidenten: „Design für Alle definieren zu wollen, ist der Versuch, etwas zu erklären, was nicht definiert, nicht gemessen und ganz bestimmt nicht standardisiert werden kann. Design für Alle ist eine kreative Herausforderung und somit das Gegenteil von ‚one size fits all‘. Es ist ein Prozess mit spezifischen Ausgangsvoraussetzungen, kein fertiges Endprodukt“. Ich wiederhole die Kernthese gern noch einmal laut und deutlich: „ … und ganz bestimmt nicht standardisiert werden kann“. Hier liegt für mich das Problem. Prozesse, die in vielen europäischen Ländern und besonders in Deutschland schon mehr oder weniger erfolgreich verlaufen, in Formeln und Regularien pressen zu wollen sowie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben eindeutig abzugrenzen, halte ich für äußerst schwierig bis unmöglich. Dies müsste aber einer, von der SPD in ihrem Antrag geforderten, nationalen Strategie zur Forschung und Entwicklung zugrunde liegen. Aufgrund der Definition und der Prinzipien des Universellen Designs handelt es sich dabei eben um einen facettenreichen Prozess, der sich innerhalb der Forschung und Entwicklung nur schwer abgrenzen lässt. Nun kann man diese Tatsache wie der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag ({1}) „Chancen und Perspektiven Zu Protokoll gegebene Reden behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“ ({2}) als singuläre Forschungsanstrengungen interpretieren oder aber als vielfältige Anstrengungen, die dezentral an den Orten in der Industrie, Forschungseinrichtungen und Hochschulen durchgeführt werden, wo die Kompetenzen dafür vorhanden sind. Ich bin fest von der letzten Interpretation überzeugt. Aufgrund des Facettenreichtums und der Bedeutung als Querschnittthema gibt es eine Vielzahl von Förderanstrengungen, die einen Bezug auf das Universelle Design und die behinderungskompensierenden Technologien nehmen. In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und „Gesundheitsforschung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gab und gibt es beispielsweise eine Vielzahl von Fördermaßnahmen, die Menschen mit Behinderungen zugutekommen können. So fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung im als Förderschwerpunkt bestimmten Zukunftsfeld „Mensch-Technik-Interaktion“ auf der Basis etablierter Schlüsseltechnologien die Entwicklung neuer bedarfsgerechter Lösungen, in denen menschliches Kommunizieren und Verhalten berücksichtigt wird. Mit 11,8 Millionen Euro werden neun Verbundvorhaben finanziell unterstützt. Ganz konkret werden etwa die Forschungsergebnisse des Verbundprojektes CoSiP ({3}) auf die Entwicklung neuer Hörgeräte angewendet. Die Ergebnisse des Verbundprojekts 9D-Sense ({4}) sollen nach dem Abschluss 2014 für neue Kniegelenkprothesen angewendet werden. Allerdings, und das betont der TAB-Bericht ganz deutlich, sind die behinderungskompensierenden Techniken keine Garantie für eine erfolgreiche Inklusion: „Der Einsatz von bkT bewirkt nicht automatisch bessere Inklusionschancen für Menschen mit Behinderung. Oft lässt sich nur im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren auf der Ebene des Individuums und der umgebenden Umwelt ein nachhaltiger Effekt auf die Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsleben erreichen.“ Nehmen wir das Beispiel der behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz, die eine wichtige Rolle für die Verbesserung der Teilhabe behinderter Menschen spielen. Die Bedeutung ist gesellschaftlich anerkannt, und je nach Schwere und Art der Behinderung können verschiedene Hilfsangebote eingefordert und von den zuständigen Rehabilitationsträgern und Integrationsämtern erbracht werden. Es gibt auch bereits eine Vielzahl von Technologien an Hardund Software am Markt. Es sind jedoch die Leistungsträger, die hier gefordert sind, auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, um angepasste und einzelfallbezogene Lösungen zu finden. Das finde ich auch richtig und wichtig. Diese dezentralen Entscheidungsstrukturen gewährleisten, dass diejenigen die Verantwortung tragen, die nah am Menschen sind, sich in deren Situation hineinversetzen können, um passgenaue Lösungen zu finden. Unterstützend tätig wird die Bundesregierung, um den hohen Informationsbedarf zu decken, den die Komplexität der Bedarfe, Produkte und Prozesse hervorruft. Beispielhaft genannt werden kann an dieser Stelle die Datenbank REHADAT, die mit rund 8 Millionen Euro vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurde. Ich zitiere dazu aus der Antwort der Bundesregierung, Drucksache 17/11793, Seite 7: „REHADAT“ - das Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation „sammelt und veröffentlicht Informationen zu den Themen Behinderung, Integration und Beruf. Alle Informationen gibt es kostenlos im Internet unter www.rehadat.de. Mehr als 86 000 Texte und 20 000 Bilder stehen in REHADAT zur Verfügung. REHADAT wird gefördert durch das BMAS aus Mitteln des Ausgleichsfonds und ist ein Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln ({5}). Aktuell neu ist die Datenbank „REHADAT Hilfsmittel“ ({6}). In diesem WebPortal sind mehr als 21 000 Produkte nach Bereichen wie Arbeitsplatz, Mobilität, Haushalt oder Kommunikation gruppiert und detailliert beschrieben. Bilder, Produktmerkmale, Hersteller- und Vertriebsadressen werden genannt. Ergänzt werden die Inhalte durch zahlreiche Gerichtsurteile ({7}), Literatur ({8}), Praxisbeispiele ({9}) und Adressen ({10}). Besonders hilfreich ist die Rubrik „Infothek“. Sie enthält praxisorientierte Hintergrundinformationen dazu, wie man an das gewünschte Hilfsmittel kommt und wie die Finanzierung geregelt ist. Die Datenbank informiert auch über Forschungs- und Modellprojekte auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation. Es werden laufende und abgeschlossene Projekte dokumentiert. Für jedes Projekt werden die Inhalte, die Namen und Anschriften der Forscher und die Veröffentlichungen beschrieben. Wenn forschende Institutionen über eine eigene Homepage verfügen, lässt sich diese direkt über einen Link aufrufen. Die Forschungsdatenbank wird in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation erstellt. Das BMAS veröffentlicht seit Jahren Forschungsberichte auf der Seite von REHADAT und verweist in einer Vielzahl von öffentlichen Unterlagen ({11}) auf die entsprechenden REHADAT-Seiten.“ Dieses Beispiel steht stellvertretend für das gesamte Konzept des Universellen Designs. Es muss viel mehr darüber informiert und aufgeklärt werden. Der Nutzen und die Möglichkeiten müssen deutlicher werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft ja primär für die Umsetzung der Forschungsergebnisse in Produkte und Dienstleistungen nach dem Universellen Design verantwortlich ist. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Umsetzung des KonZu Protokoll gegebene Reden zepts Universelles Design bereits 2008/2009 durch das Forschungsprojekt „Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für Alle“ gefördert. Unmittelbar im Anschluss daran hat das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V. durch zehn Unternehmerkonferenzen in den Jahren 2010 bis 2012 insbesondere kleine und mittlere Unternehmen auf die längerfristigen Vorteile dieses Konzepts hingewiesen. Die Studie des Jahres 2009 hat gezeigt, dass erheblicher Konkretisierungsbedarf besteht, das Konzept des Universellen Designs in der unternehmerischen Praxis umzusetzen. Am 6. November 2012 wurde der Auftrag für ein weiteres Projekt zur Entwicklung handlungsleitender Kriterien für kleine und mittlere Unternehmen erteilt. Es wurde und wird also eine Vielzahl von Forschungsanstrengungen und Umsetzungsmaßnahmen unternommen. Ich kann derzeit keinen zusätzlichen Nutzen der von der SPD geforderten Maßnahmen erkennen. Ich unterstelle ja gerne meinen Kollegen „Bemühen“ und eine „gute Absicht“, aber erneut wird deutlich, dass die SPD mit ihrem grundsätzlichen Politikansatz der Überregulierung jeden Details des menschlichen Lebens weit über das Ziel hinausschießt. Insbesondere vor dem Hintergrund der sehr detaillierten und aussagekräftigen Antworten der Bundesregierung auf die Vielzahl der Kleinen Anfragen der Opposition erkenne ich in dem Antrag keine neuen Aspekte. Das ist sicher ein hervorragender Beitrag im Wahlkampfjahr, aber eben wegen der Herauslösung weniger Aspekte aus dem Gesamtzusammenhang letztendlich für das eigentliche Anliegen nicht besonders hilfreich. Ich erinnere einmal an die Erfolge in den vergangenen Jahren zum Thema der Barrierefreiheit, ein Aspekt, der sich inzwischen weltweit in einschlägigen Standards, Normen und Regeln niedergeschlagen hat. Doch wie sieht es in unserem Alltag aus? Da wird die gegebene Barrierefreiheit oft genug einfach missachtet und eingeschränkt. Abgesenkte Bordsteine sind überall zugeparkt, rollstuhlgerechte Türen unzumutbar verräumt, Fahrstühle und Rolltreppen sind monatelang nicht in Betrieb. Die davon Betroffenen bleiben allein, oft bleibt nur ein mühsamer und mitunter erfolgloser Spießrutenlauf. Aus meiner Abgeordnetensprechstunde sind mir zahlreiche, mitunter haarsträubende Fälle bekannt; oft konnte ich kurzfristig und unbürokratisch helfen. Hier liegen auch unsere Defizite, Standards wirksam umzusetzen und gemeinsam mit den Betroffenen nach wirksamen Lösungen zu suchen, um die gesetzlichen Grundlagen erfolgreich in unserem Zusammenleben umzusetzen.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In der heutigen Debatte beschäftigen wir uns mit dem Antrag der Kollegen der SPD zum Konzept des „Designs für Alle“ als Grundlage für die Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft. Ich freue mich über eine Debatte zu diesem wichtigen, uns alle angehenden Thema. Wenn man also über dieses „Design für Alle“ diskutiert, ist man schnell bei der entscheidenden Frage: Wie können wir die Lebensumwelt für alle Menschen und in allen Bereichen barrierefrei gestalten? Wie weit reicht das „Design für Alle“, wie weit muss, kann und soll es reichen? „Eine barrierefrei zugängliche Umwelt ist für etwa zehn Prozent der Bevölkerung entbehrlich, für circa 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel.“ Dieses Zitat beschreibt anschaulich, was der Begriff „Design für Alle“ meint. Das „Design für Alle“ vereinfacht das Leben aller Menschen, weil es sich nicht nur auf die Vermeidung von Barrieren für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung beschränkt, sondern auch die Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen und Kulturkreise berücksichtigt. Dahinter steckt der Gedanke an eine Barrierefreiheit auf allen Ebenen, die wir in der Politik mit geeigneten Maßnahmen unterstützen. Um „Design für Alle“ im Alltag gangbar zu machen, müssen Produkte und Dienstleistungen also für alle Menschen zugänglich und nutzbar sein. Dazu sollen keine speziellen Anpassungen notwendig werden. Bereits in der Phase der Konzeption und Entwicklung müssen Alltagsprodukte und Dienstleistungen aus sich heraus so geschaffen sein, dass sie später nicht mehr für spezielle Bedürfnisse nutzbar gemacht werden müssen. Die gesetzliche Umsetzung des „Designs für Alle“ findet sich in Art. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention. Deutschland hat diese Konvention ratifiziert und sich damit dazu verpflichtet, ein universelles Design sowie die Entwicklung und Verfügbarkeit neuer Technologien zu fördern. Mit der Anerkennung der Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtskonvention besteht unser erklärtes Ziel darin, Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen oder Diskriminierungen zu gewährleisten und eine umfassende Teilhabe zu fördern. Im Koalitionsvertrag haben wir das Thema gestärkt und vereinbart, Vorhaben in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Beruf, Verkehr und Tourismus, Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau zu befördern. „Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen Zu Protokoll gegebene Reden Marcus Weinberg ({0}) sich an den Inhalten der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickeln.“ Um dies zu erreichen, setzen wir zunächst bei der Erforschung und Entwicklung sogenannter einschränkungskompensierender Technologien an. Diese bilden die Grundlage, um das universelle Design in alle Lebensbereiche zu integrieren. So können Güter, Geräte und Einrichtungen in universellem Design entwickelt werden. Der von den Kollegen der SPD vorgelegte Antrag fordert den Bund auf, eine nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung von Technologien und „Designs für Alle“ zu beschließen und in einen Nationalen Aktionsplan münden zu lassen. So sehr ich das Anliegen der Opposition grundsätzlich begrüße und wir uns in der Zielsetzung einer inklusiven Gesellschaft auch sicherlich einig sind, so sehr bin ich davon überzeugt, dass die Forderungen der SPD in diesem Zusammenhang nicht erfolgversprechend und daher auch nicht sehr sinnvoll sind. Der Bund ist bei den Forschungsvorhaben und Projekten in allen Ressorts bereits engagiert und aktiv tätig. So fördert er beispielsweise Modellvorhaben und Projekte wie das INCOBS - Informationsportal Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte oder die Datenbank REHADAT, die zum Ziel haben, den Hilfsmittelmarkt transparent darzustellen und als nützliche Hilfswerkzeuge von allen Beteiligten an der beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben genutzt werden können. In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und „Gesundheitsforschung“ sind beim Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung mehrere Förderschwerpunkte angelegt, in denen derzeit Projekte gefördert werden, die Technologien bzw. Forschungsvorhaben aufgreifen, die zur Kompensation von Behinderungen geeignet bzw. die die Grundlagen schaffen, auf denen behinderungskompensierende Technologien entwickelt werden können. Zu diesen Rahmenprogrammen gehören circa 130 Projekte bzw. Teilprojekte mit einem Bezug zu behinderungskompensierenden Technologien. Das Bundeswirtschaftsministerium hat darüber hinaus im Jahr 2011 eine Studie mit dem Thema Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept für „Design für Alle“ veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen aufzeigt, die sich am Konzept des „Designs für Alle“ orientieren. Regelmäßig finden Konferenzen statt, die die Ergebnisse der Studie verbreiten und Entscheidungsträger in der Wirtschaft für dieses Thema sensibilisieren sollen. Ein letztes Beispiel von vielen möchte ich aus dem Bereich der Gehörlosigkeit benennen, für den die Erforschung der Avatartechnologie von großer Bedeutung ist. Im Zuge der Evaluation des Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird in diesem die Machbarkeitsstudie des Bundesarbeitsministeriums Aufschluss darüber geben, inwieweit Gebärdenavatare eingesetzt werden können. Wie Sie sehen, liebe Kollegen der SPD - ich hoffe, ich konnte das verdeutlichen -, ist der Bund nicht untätig. Das Thema des „Designs für Alle“ geht uns alle an und lässt niemanden unberührt. Unsere Umwelt barrierefrei zu gestalten, ist für jeden von uns zunehmend wichtig. Gemeinsam stehen wir für eine inklusive Gesellschaft ein, aber der hier zu beratende Antrag ist nicht ausschließlich geeignet, eine solche auch Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist sicherlich noch ein weiter, nicht einfacher Weg hin zu einer universell designten Lebenswelt, dennoch werden wir diesen konsequent weiter beschreiten.

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Konzept der Inklusion, der Teilhabe behinderter Menschen, wird mehr und mehr öffentlich debattiert. Das ist sehr erfreulich. Jedoch bleibt noch viel zu tun, bis Inklusion tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft verankert und tägliche Lebensrealität und somit Normalität sein wird. Inklusion bedeutet nicht nur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in bestimmten, sondern eben in allen Lebensbereichen. Dafür braucht es Barrierefreiheit. Dieser Begriff lässt zunächst an Rampen für Rollstuhlnutzer in Behörden oder Museen denken. Auch barrierefreies Internet rückt immer mehr in den Blickpunkt. Den wenigsten Menschen, die nicht täglich durch spezifische Einschränkungen damit konfrontiert werden, ist jedoch bewusst, welch kleine alltägliche Details Menschen in ihrem Leben einschränken können. Barrierefreiheit muss tatsächlich bedeuten, dass sie jeden Lebensbereich umfasst, und darf nicht an vermeintlichen Kleinigkeiten scheitern. Für eine solche umfassende Barrierefreiheit brauchen wir Produkte, die so konzipiert sind, dass sie von jedem genutzt werden können. Einige wenige Produkte gibt es bereits. Sie sind nach dem Konzept des „Designs für Alle“ entstanden. „Design für Alle“ bedeutet die Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen, Umfeldern und Programmen mit dem Ziel, dass diese von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung genutzt werden können. Die Gestaltung erfolgt anhand der sieben Prinzipien breite Nutzbarkeit, Flexibilität in der Benutzung, einfache und intuitive Benutzung, sensorisch wahrnehmbare Informationen, Fehlertoleranz, niedriger körperlicher Aufwand sowie Größe und Platz für Zugang und Nutzung. Zu Protokoll gegebene Reden Lassen Sie mich an dieser Stelle zur Veranschaulichung einige Beispiele nennen: Das Unternehmen WMF hat eine kleine Kaffeepadmaschine konzipiert, die gut zu transportieren und sehr benutzerfreundlich ist. Die Maschine hat nur eine einzige große Taste, sie ist für eine Tasse ausgelegt, und der Tank fasst genau soviel Wasser, wie für diese eine Tasse benötigt wird. Das Unternehmen Edeka hat mit seinem Supermarkt der Generationen ein kundenfreundliches Konzept für alle Verbraucher entworfen, das sich unter anderem auszeichnet durch Verbreiterung der Gänge und Kassenzonen, Absenkung der Regalhöhen, bessere Be- und Ausleuchtung, Einrichtung von Ruhezonen, Leselupen an den Regalen, sprechende Waagen, spezifische Schulungen des Personals, Serviceknöpfe, Leitleisten für Blindenstöcke, Beschriftung der Regale in Blindenschrift und vieles mehr. Das Unternehmen Joseph Vögele hat einen Asphaltfertiger entwickelt, eine Maschine, mit der sich ungebundene und gebundene Schichten wie zum Beispiel Sand, Schotter, Asphalt und Beton herstellen lassen. Dieser zeichnet sich insbesondere durch einen ergonomisch gestalteten, bequem auf den jeweiligen Fahrer einzurichtenden Bedienstand und moderne, intuitive Bedienkonsolen aus. Die Tasten können blind erfühlt werden. „Design für Alle“ gewinnt in dieser Hinsicht vor dem Hintergrund des demografischen Wandels der Gesellschaft besondere Bedeutung. Die Menschen werden immer älter, und mit dem Alter kommen zumeist körperliche Einschränkungen. „Design für Alle“ verhindert, dass diese Einschränkungen zu einer Barriere im Alltag werden, die Teilhabe verhindert. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert unter der Bezeichnung „Universelles Design“ die Umsetzung genau solcher Lösungen, die eigentlich zum Nutzen aller selbstverständlich sein sollten. Die Bundesregierung hat diese Forderung auch brav in ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention übernommen, wenn auch nur für wenige Teilbereiche. Aber es reicht nun einmal nicht aus, etwas schriftlich zu fixieren. Seitdem ist nichts passiert. Wann soll denn „Design für Alle“ in Deutschland umfassend umgesetzt werden? Und vor allem: Wie soll es umgesetzt werden? Die schlichte Wahrheit ist: Schwarz-Gelb hat entgegen ihren Ankündigungen im Nationalen Aktionsplan nicht vor, in diesem Bereich tätig zu werden. Machen wir uns dennoch nichts vor: Selbst bei der bestmöglichen und umfassendsten Umsetzung des „Designs für Alle“ wird es immer ganz spezifische Einschränkungen und Behinderungen geben, die sich dadurch nicht ausgleichen lassen. Wir benötigen also Technologien, die helfen, diese Einschränkungen zu kompensieren. Technologien, die ungeachtet von Behinderungen den Betroffenen bei ihrer Arbeitsausübung, aber auch im täglichen Leben Eigenständigkeit ermöglichen. Solche Technologien sind beispielsweise baulich integrierte Induktionsanlagen für Hörgeräte oder aktivierende und kraftunterstützende Bewegungshilfen. Obwohl es schon lange gefordert und sogar von unserer Bundesregierung großspurig angekündigt wird, stehen wir bei Technologien und „Design für Alle“ noch ganz am Anfang. Forschung und Entwicklung in diesem Bereich findet in Deutschland zum Großteil in der Wirtschaft statt, und das auch nur in einigen wenigen Unternehmen. Das darf nicht länger so bleiben. Gutachten zeigen, dass Unternehmen, die das Konzept „Design für Alle“ konsequent umsetzen, damit wirtschaftlich überaus erfolgreich sind. Diese BestPractice-Beispiele müssen Ansporn und Ermutigung sein für alle Unternehmen in Deutschland. Wir fordern deshalb einen strukturierten und nachhaltigen Forschungsansatz. Deutschland braucht eine nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung von Technologien und „Design für Alle“. Diese muss Teil eines neuen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK werden. Gezielte Förderung und Intensivierung dieser Forschung können wir durch die Einrichtung einer öffentlich geförderten Agentur, die alle Forschungsansätze zusammenführt, und durch die Etablierung einer eigenen Förderlinie erreichen. Für umfassende Barrierefreiheit im Internet muss die Verpflichtung der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nicht nur auf weitere behördliche Internetseiten ausgeweitet werden. Das Konzept des „Designs für Alle“ muss zudem als Querschnittsaufgabe in allen Bundesministerien verankert werden. Besonders wichtig ist auch die Verankerung des Konzeptes „Technologien für Alle“ und „Design für Alle“ in der Ausbildung sämtlicher relevanter Berufsfelder. Inklusion in Deutschland ist machbar! Unsere Gesellschaft braucht Inklusion - zum Nutzen aller. Lassen Sie uns gemeinsam vorangehen!

Dr. Peter Röhlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004137, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Politik für Menschen mit Behinderung ist für mich schon lange kein Minderheitenthema mehr. Menschen mit Behinderungen sind Teil unserer Gesellschaft. Insofern ist es unsere vordringliche Aufgabe, eine vollständige Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten. Ich teile durchaus die Aussage des Berichts des Büros für Technikfolgenabschätzung zu „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“, der genau das als eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe beschreibt. Doch wir beschreiten auf diesem Weg längst kein Neuland mehr. Vieles, was völlig zu Recht noch vor zwanzig und mehr Jahren von Betroffenen und Behindertenverbänden kritisiert und gefordert wurde, hat in unser alltägliches Leben Einzug gehalten und wird von Vielen gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. VersteZu Protokoll gegebene Reden http://de.wikipedia.org/wiki/Sand http://de.wikipedia.org/wiki/Sand http://de.wikipedia.org/wiki/Sand http://de.wikipedia.org/wiki/Schotter http://de.wikipedia.org/wiki/Asphalt http://de.wikipedia.org/wiki/Beton http://de.wikipedia.org/wiki/Beton hen Sie mich jetzt nicht falsch, es gibt noch viel zu tun. Dem aufmerksamen Beobachter fallen aber durchaus die vielen Veränderungen im öffentlichen Raum und in öffentlichen Gebäuden mit ihrer Barrierefreiheit und zunehmend auch durch ihr „Design für Alle“ auf. Ich erinnere mich sehr genau an ein vor kurzem aufgetretenes Problem. Wir hatten in unserem Hohen Haus eine große Zahl von Rollstuhlfahren zu Gast. Es kam die Frage auf, wie wir im Falle eines Brandes unsere Gäste schnell evakuieren können. Vor einigen Jahren hätte aber die Frage noch gelautet: Wie kommen sie überhaupt in die Tagungsräume? Der barrierefreie Zugang ist über schiefe Ebenen, den Wegfall von Schwellen, sich selbst öffnende Türen, Aufzüge mit erreichbaren Bedienfeldern gewährleistet. Und, schaut man genau hin, befinden sich auf fast allen Bedienelementen der Aufzüge auch für Blinde lesbare Schriftzüge und akustische Anzeigen. Allein diese kleinen Beispiele zeigen, dass es durchaus machbar ist, „Multiple-use-Lösungen“ in der Breite zu finden und auf sehr vielen Gebieten umzusetzen. Der Entwurf von Produkten und Lebenswelten, die weitestgehend von jedermann benutzt werden können, ohne dass die Notwendigkeit der Anpassung oder eines speziellen Designs besteht, ist ein geeigneter Ansatz. Das Konzept des „Designs für Alle“ als eine Weiterentwicklung des Prinzips der Barrierefreiheit setzt ganz bewusst auf die Analyse des Bedarfs und der Wünsche der Menschen. Ich hatte vor einiger Zeit gelesen, dass „Design für Alle“ ein Gestaltungsprozess ist, der darauf abzielt, eine barrierefreie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für möglichst alle Menschen zu erreichen. Das bedeutet, dass die gebaute Umwelt, Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sein sollen, dass sie sicher, gesund, funktional, leicht verständlich und ästhetisch sowohl anspruchsvoll als auch nachhaltig sind und daher die menschliche Vielfalt berücksichtigen und sich nicht diskriminierend auswirken. Für mich ist das ein Zeichen eines sich schrittweise vollziehenden Paradigmenwechsels, weg vom Fürsorgeprinzip zu immer mehr Selbstbestimmung und Teilhabe der Menschen mit Behinderungen. Jedoch ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Selbstbestimmung eine möglichst dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben, die für Menschen mit Behinderung oft weit mehr bedeutet als nur eine eigene finanzielle Lebensgrundlage. Und hier gibt es zwischen Menschen mit und ohne Behinderung noch erhebliche Unterschiede. Genau darum müssen wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortführen. Es gilt das Bewusstsein aller Mitglieder unserer Gesellschaft auf die Frage zu lenken: Wie würde ich mich in meiner Lebensumwelt zurecht finden, wenn ich eine oder mehrere Behinderungen hätte? Mit dieser Frage sollten wir schon die Kinder, die Jugendlichen, die Schüler, die Auszubildenden, die Studenten und die Entwicklungsingenieure konfrontieren. Eine inklusive Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, muss sich daher auch der Entwicklung und dem verstärkten Einsatz von behinderungskompensierenden Technologien, bkT, annehmen. Es geht also um die Frage: Wie geht ein Mensch mit einer oder mehreren Behinderungen mit dem von mir entwickelten Produkt um, und ist es für „multiple use“ geeignet? Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ebenso deutlich: Hierfür brauchen wir keinen bürokratisch aufgeblähten Überbau. Völlig richtig fordern Sie, die Implementierung des Konzepts „Design für Alle“ als Führungsaufgabe in allen Bundesministerien zu verankern. Es ist auch richtig, darauf hinzuwirken, dass in den bestehenden Forschungs- und Entwicklungsstrukturen das Konzept „Design für Alle“ Einzug halten muss. Einer eigenen Förderlinie über die bestehenden Instrumente hinaus stehe ich jedoch kritisch gegenüber.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das in Deutschland noch immer zu wenig beachtete Konzept „Design für Alle“, auch „Universelles Design“ oder „Nutzen-für-alle-Konzept“ genannt, hat eine inklusive Gesellschaft im Blick. Wesentlicher Aspekt dabei ist Barrierefreiheit auf allen Ebenen. Bauten, Gebrauchsgegenstände, Informations- und Kommunikationssysteme sowie Dienstleistungs- und Verkehrsangebote sollen für möglichst alle Menschen leicht erreichbar, zugänglich und nutzbar sein. „Design für Alle“ versteht sich als Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung, welche die Verschiedenartigkeit und Lebensqualität aller Menschen berücksichtigt. Barrieren, die Menschen an der gesellschaftlichen Teilhabe behindern, werden als Diskriminierung identifiziert. „Design für Alle“ fordert darüber hinaus eine Analyse der individuellen Bedarfe, die Einbindung der Endverbraucherinnen und Endverbraucher in Entstehungsprozesse und insgesamt eine nachhaltige Gestaltung aller Lebensbereiche inklusive einer teilhabeorientierten Stadtentwicklung. So sollen zum Beispiel Gebäude nicht nur barrierefrei, sondern auch dergestalt entworfen sein, dass sie soziale Interaktion fördern. Auf Initiative des Europäischen Rates für behinderte Menschen erarbeitete das Netzwerk des „Design für Alle“, in dem unter anderem Architekten, Designer, Ingenieure, Stadtplaner, Behindertenverbände zusammengeschlossen sind, das „Europäisches Konzept für Zugänglichkeit“, das in einigen Ländern der Überarbeitung nationaler Richtlinien dient. Ich meine: Die systematische Schaffung von Barrierefreiheit soll nicht länger als „lästiges Übel“ missverstanden, sondern als Herausforderung an die Kreativität von Designern, Architekten, Ingenieuren usw. angenommen werden. Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen als Experten in eigener Sache müssen dabei als gleichberechtigte und gleich kreative Mitgestalterinnen und Mitgestalter aktiv einbezogen, ja hochwillkommen sein. Dann entstehen im Ergebnis Zu Protokoll gegebene Reden innovative Produkte, die für jeden Mann und jede Frau leicht handhabbar sind. Der Nutzen liegt also bei allen. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention Art. 4 Abs. 1 Buchstabe f ist die Bundesregierung verpflichtet, Forschung und Entwicklung für Güter, Dienstleistungen, Geräte und Einrichtungen in universellem Design zu fördern sowie sich bei der Entwicklung von Normen und Richtlinien für universelles Design einzusetzen. Dies wissen manche in der Bundesregierung leider immer noch nicht. Ein Beispiel: Auf meine Frage: „In welcher Weise begleitet und unterstützt die Bundesregierung die Schaffung von Barrierefreiheit im nationalen sowie im grenzüberschreitenden Fernbuslinienverkehr?“ im Bundestag am 20. Februar dieses Jahres antwortete die Bundesregierung: „Nach § 42 b in Verbindung mit § 62 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz müssen neue Omnibusse ab dem 1. Januar 2016 mit mindestens zwei Stellplätzen für Rollstuhlnutzer ausgerüstet sein. Ab dem 1. Januar 2020 gilt dies für alle Omnibusse, die im Fernbuslinienverkehr eingesetzt werden. Diese Vorschrift gilt nicht für den grenzüberschreitenden Linienverkehr innerhalb der Europäischen Union. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage eines vom Deutschen Bundestag in seiner 195. Sitzung am 27. September 2012 verabschiedeten Entschließungsantrags und nach dessen Maßgaben prüfen, ob auf EU-Ebene Regelungen geschaffen oder verbessert werden sollen, die einen europaweit einheitlichen barrierefreien Fernbuslinienverkehr gewährleisten. Je nach Ergebnis der Prüfung wird die Bundesregierung gegebenenfalls die Initiative für eine Änderung der betreffenden Regelungen ergreifen ...“ Einmal abgesehen von den vielen - für mich unakzeptablen - Einschränkungen und Ausnahmeregelungen im Personenbeförderungsgesetz: Begleitende Maßnahmen zur Forschung und Entwicklung barrierefreier Busse und für eine Anschubfinanzierung gibt es nicht. Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauer ({0}) lässt die Busunternehmen und Bushersteller in dieser Frage allein. Wie es mit der diesbezüglichen Umsetzung in Deutschland steht, hat die Fraktion Die Linke die Bundesregierung in einer Kleine Anfrage „Nutzen-füralle-Konzept umsetzen“ bereits am 15. Dezember 2009 auf Drucksache 17/293 gefragt. Nimmt man die Antworten auf Drucksache 17/631 vom 3. Februar 2010, ist die Bundesregierung engagiert und auf der Höhe der Zeit. Vergleicht man die Antworten mit dem wirklichen Leben, mit den Alltagserfahrungen von mir und vielen weiteren Menschen mit Behinderungen, tun sich Widersprüche und Fragen auf. Deswegen unterstützt die Linke den nun vorliegenden Antrag der SPD, der ebenso wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD zum universellen Design auf Drucksache 17/11793 vom 10. Dezember 2012 die Diskussion in Politik, Verwaltungen, Wirtschaft, Wissenschaft und andere Bereiche der Gesellschaft befördern wird. Zum Nutzen aller!

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der vorliegende Antrag der SPD verfolgt ein auch für uns zentrales Thema: Die forschungs- und wissenschaftspolitische Ausgestaltung der technologischen Dimension von Inklusion. Durch Inklusion wird unsere Gesellschaft gerechter, offener und menschlicher. Sie erfordert es, neben den gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen auch die in der Gesellschaft zentralen Technologien und Gestaltungsprinzipien so zu verändern, dass sie der Vielfalt der menschlichen Fähigkeiten von Anfang an Rechnung tragen, indem sie allen Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Die umfassende Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben bedarf der technologischen Beseitigung behindernder Faktoren. Inklusion ist damit zweifelsohne ein Anwendungsbereich innovativer Forschung und Entwicklung, der vorbildhaft den individuellen wie gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Innovationen illustriert. Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Alterung und der damit einhergehenden Zunahme von Menschen mit Behinderungen wächst die Notwendigkeit, dass Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer im Bereich der behinderungskompensierenden Technologien für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft verstärkt und sie stärker in sämtlichen Bereichen umgesetzt werden. Das reicht von multimodaler Interaktion bei Informations- und Kommunikationstechnologien und der Berücksichtigung im öffentlichen Personennahverkehr bis zur Berücksichtigung bei der Planung von Arbeitsprozessen und -umgebungen. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den Antrag der SPD zur Ermöglichung von Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch Technologien und „Design für Alle“. Er bezieht sich auf den von unserer Fraktion in der letzten Wahlperiode initiierten TA-Bericht „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“ ({0}) und greift die darin enthaltenen Aspekte auf. Vor dem Hintergrund des TA-Berichtes verwundert es aber, dass die SPD das Thema nicht in seiner ganzen Bandbreite in Angriff nimmt. Denn umfassende Teilhabe setzt einen integrativen technologischen Ansatz voraus: Neben den in dem Antrag zentralen Konzepten von Technologie und „Design für Alle“, die sich auf die Beseitigung von Beschränkungen in der Umwelt und Umgebung beziehen, bedarf es auch assistiver Technologien auf der individuellen Ebene. Der notwendigen Integration beider Ansätze wird der SPD-Antrag nicht gerecht und erkennt nicht den diesbezüglichen Forschungsbedarf. Hier greift der Antrag in seiner Einengung auf Technologien und „Design für Alle“ noch zu kurz. Auch zu kurz greift der Antrag bei der Stoßrichtung seiner Forderungen. Der Antrag fordert unter anderem die Bundesregierung auf, eine nationale Strategie zu entwickeln, Forschung an Technologien und „Design Zu Protokoll gegebene Reden für Alle“ zu intensivieren - unter anderem durch eine eigene Förderlinie und gezielte Anreize im Rahmen des Beschaffungswesens - und das Thema als Querschnittsaufgabe voranzutreiben sowie es in der Ausbildung zu verankern. Der Antrag benennt jedoch nicht, welche Fragestellungen konkret angegangen werden sollen; dabei ist gerade diese Frage für den Inklusionsansatz von zentraler Bedeutung. So fehlt aus unserer Sicht zum Beispiel die im ersten Schritt notwendige empirische Bedarfserhebung, damit die Forschung in dem Bereich nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht. Bereits Anfang 2011 hat die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Forschung an behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz“ auf Drucksache 17/4169 gezeigt, dass die Bundesregierung ihrer Verantwortung für eine solche koordinierte Bedarfserhebung nicht nachkommen will. Es bedarf der Stärkung der Bedarfsforschung und der Anwendungsanalysen sowie der Identifikation von Implementierungslücken. Letztere wurde bereits 2011 von der Bundesregierung angekündigt - ebenso wie die Erarbeitung von Maßnahmepaketen, um den Transfer von der Modellphase in die Regelversorgung zu beschleunigen. Die Bundesregierung kommt stets mit Ankündigungen - diesen jedoch offenbar nicht mehr hinterher. Auch die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen ist nicht hinreichend empirisch erfasst und von daher keine Markt- und Potenzialanalyse möglich. Dies sowie die bereits genannte Integration verschiedener Ansätze behinderungskompensierender Technologien fehlt in dem Antrag. Auch die Rolle der Rehabilitationsträger wird nicht gebührend beschrieben - ebenso wenig wie der notwendige Wissenstransfer aus anderen Bereichen in die Forschung an behinderungskompensierenden Technologien. Wir würden dem Antrag gerne aufgrund der Bedeutung behinderungskompensierender Technologien für eine inklusive Gesellschaft zustimmen, doch fehlen uns im Antrag die genannten Elemente sowie eine stärkere Auseinandersetzung mit dem konkreten Handlungsbedarf. Anders als die SPD halten wir es für sinnvoll, einen mehrdimensionalen Ansatz im Bereich behinderungskompensierender Technologien zu verfolgen und das Thema nicht auf Technologien und „Design für Alle“ einzuengen. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise muss neben der Einbeziehung der bereits skizzierten Themen auch weitere Fragestellungen einschließen, wie zum Beispiel Fragen des Urheberrechts in Bezug auf Studienmaterialien, die für sehbehinderte Menschen digital zur Verfügung gestellt werden sollen. In den Ausschussberatungen werden wir auch die Möglichkeit haben, noch einmal zu diskutieren, ob eine eigene Förderlinie tatsächlich der richtige Weg ist. Denkbar wäre es auch, das Thema behinderungskompensierender Technologien stärker in andere Förderlinien mit anwendungsorientierten Forschungsvorhaben zu integrieren. Eine zu starke Einengung der Forschungsförderung verkennt die Breite der Thematik, die von der Zugänglichkeit im Bereich E-Learning bis hin zu Berücksichtigung des „Designs für Alle“ bei der Stadtplanung und im Bauordnungsrecht reicht. Für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft wird es darauf ankommen, die möglichst umfassende Teilhabe aller Menschen und ihrer jeweiligen Fähigkeiten in den verschiedensten lebens- und arbeitsweltlichen Umgebungen technologisch zu ermöglichen. Diesbezüglich stehen wir vor einer großen Herausforderung. Es gilt, die Ansätze behinderungskompensierender Technologien zu integrieren und ihre jeweiligen Kontexte bei Forschung, Entwicklung und Umsetzung mitzudenken und hierbei unterschiedliche Anwenderinnen- und Anwendergruppierungen einzubeziehen. Es ist zu begrüßen, dass die SPD nun die in der letzten Wahlperiode von uns im Bundestag begonnene Debatte mit einem Antrag aufgreift. Wir werden nun gemeinsam das Thema fortführen und die Bundesregierung an ihre Verantwortung erinnern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13085 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften - Drucksache 17/11473 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 17/13139 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Manuel Höferlin Dr. Konstantin von Notz - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/13140 Berichterstattung: Abgeordnete Stefanie Vogelsang Dr. Peter Danckert Dr. Florian Toncar Roland Claus Katja Dörner Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder. ({2})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gerade erschienene Zukunftsstudie Münchner Kreis fragte nach den Bedürfnissen der Menschen im digitalen Zeitalter. In Bezug auf E-Government, also in Bezug auf die Kommunikation mit den Behörden, waren den Bürgerinnen und Bürgern vor allem zwei Dinge wichtig, nämlich ein einfaches Verfahren und ein zuverlässiges Verfahren. Aber wie sieht die Realität in unseren Behörden aus? Der Wille der Bürger, elektronische Bürgerdienste zu nutzen, ist groß. 51 Prozent der Bürger nutzten 2012 für den Kontakt mit den Behörden das Internet. Die Behörden sind in der Tat zwar gut, wenn es darum geht, Informationen zur Verfügung zu stellen. Aber nur 15 Prozent der Bürger konnten ausgefüllte Formulare elektronisch an die Behörden zurücksenden. Im Verkehr mit den Behörden gilt eben noch immer: Anträge sind vom Bürger zu unterschreiben. Bescheide kommen per Post. Formulare müssen ausgedruckt, unterschrieben und anschließend per Post oder per Fax versendet werden, und das, obwohl es mit der qualifizierten elektronischen Signatur seit fast zehn Jahren eine elektronische Alternative zur Unterschrift gibt. Aber die qualifizierte elektronische Signatur ist sehr schwierig einzusetzen. Sie ist nicht intuitiv anzuwenden. Deshalb hat sie sich bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durchgesetzt. ({0}) Das Herzstück des E-Government-Gesetzentwurfs, den wir heute beraten, besteht deshalb darin, neben der qualifizierten elektronischen Signatur zwei weitere sichere technische Verfahren einzuführen, um die Schriftform zu ersetzen. Beim ersten Verfahren können elektronische Formulare, die von den Behörden zuhauf online auf den jeweiligen Seiten zur Verfügung gestellt werden, in Verbindung mit der elektronischen ID-Funktion des neuen Personalausweises versendet werden. Damit kann der Bürger zum Beispiel Formulare zur Gewerbeanmeldung, zur Schulanmeldung, zur Kindergartenanmeldung online ausfüllen und versenden. Das gilt auch für die dazugehörigen Anlagen. Es nützt nämlich nichts, wenn man zwar das Formular online ausfüllen kann, aber die Anlagen per Post versenden muss. Dann kann man das Formular auch gleich per Post versenden. Das zweite Verfahren ist die De-Mail mit der Versandoption „Absender bestätigt“, das ebenfalls ein sicheres Verfahren ist, weil man sich natürlich anmelden muss. ({1}) Im parlamentarischen Verfahren haben wir auf Wunsch der Länder über eine Verordnungsermächtigung die Möglichkeit geschaffen, sehr schnell neue Verfahren, die sich unter Umständen auf europäischer Ebene etablieren werden, einzuführen, um auch hier reagieren zu können. Lassen Sie mich noch etwas zur Kritik an dem DeMail-Verfahren sagen. Bei ganz sensiblen Daten ist eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung selbstverständlich vorzugswürdig; darauf weisen wir in der Begründung dieses Gesetzentwurfs auch hin. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu nutzen; daran wird durch dieses Gesetz niemand gehindert. Es wäre aber ein schwerer Fehler, diesen hohen Standard für alle Verwaltungsverfahren verpflichtend zu machen. Es gibt viele Vorgänge, bei denen diese Verschlüsselung überhaupt keinen Sinn machte, beispielsweise wenn ein Bürger einen Anwohnerparkausweis beantragt; diese Daten sind wohl kaum so interessant, dass sich ein Hacker dafür interessieren würde. ({2}) Wenn der Bürger meint, dass es sich um zu sensible Daten handelt, kann er ja die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen; aber wir wollen ihn eben nicht dazu zwingen. Denn wenn wir keine einfachen und sicheren Verfahren ermöglichen, dann verschickt der Bürger am Ende ein Fax - wie sicher das ist, weiß jeder: Ein Fax ist die unsicherste Methode. Meine Damen und Herren, um E-Government in Deutschland voranzubringen, brauchen wir noch mehr: Wir schaffen für die Bürger eine Infrastruktur, die eine durchgehend elektronische Abwicklung ermöglicht. Um eine anwenderfreundliche Struktur zu schaffen, brauchen wir durchgehend digitalisierte Prozesse. Wenn beispielsweise ein Antrag auf Ausstellung einer Fahrerlaubnis gestellt wird, muss es zukünftig möglich sein, den Auszug aus dem Personenstandsregister von der Behörde online zu erhalten. Auch die entsprechenden weiteren Unterlagen wie das Lichtbild oder die Bescheinigung über das Bestehen der Fahrprüfung müssen elektronisch versendet werden können. Oder denken Sie an andere Lebenssachverhalte: Auch die Meldung der Geburt eines Kindes muss zukünftig online möglich sein, und es ist vorzugswürdig, wenn der Kindergeldantrag gleich mit abgewickelt werden kann. Die Verwaltung wird Dienste zu den Lebenslagen der Bürger auch besser bündeln können. So wird es möglich sein, Behördengänge obsolet zu machen. Selbstverständlich müssen auch die Gebühren online bezahlt werden können. E-Government entlastet die Verwaltung bei der Bewältigung des demografischen Wandels; denn wir werden es zukünftig nicht schaffen, überall im ländlichen Raum Bürgerbüros aufrechtzuerhalten. Das wird schlichtweg nicht möglich sein. Umso wichtiger ist es dann, dass die Behörden online sicher erreichbar sind. Deshalb ist dieses Gesetz so wichtig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schröder, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Alpers zulassen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Frau Alpers.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich habe eine Nachfrage. Sie sagten, dass die Bundesregierung eine durchgehend digitale Struktur aufbauen will und diese auch für alle zugänglich sein soll. Meine Frage bezieht sich auf Menschen mit Sehbehinderung: Inwiefern wird dieses Angebot wirklich barrierefrei sein? Meines Erachtens besteht genau an diesem Punkt noch ein riesiger Nachholbedarf. Wie will die Regierung dafür sorgen, dass diesem Nachholbedarf zügig Rechnung getragen wird?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Um dem, was Sie angesprochen haben, Rechnung zu tragen, haben wir im parlamentarischen Verfahren noch einmal ausdrücklich deklaratorisch festgestellt, dass diese Onlineangebote - auch wenn das schon bisher galt auch barrierefrei zur Verfügung gestellt werden müssen. Das war uns sehr wichtig. ({0}) Meine Damen und Herren, auch für die Behörden werden wir dadurch Vorteile schaffen, dass das gesamte Verfahren effizienter wird, wenn wir digitalisierte Prozesse möglich machen. Da gibt es Effizienzreserven, und da gibt es auch Einsparmöglichkeiten. Wichtig ist, dass wir das jetzt gerade für die Bundesbehörden auf den Weg bringen. Wir müssen auch die Digitalisierung der Akten auf den Weg bringen. Das wird einige Zeit brauchen. Wir bringen jetzt zusammen mit den anderen Ressorts einen Masterplan auf den Weg, um dann dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, dass wir jederzeit erreichbar sind und dass das sicher und auch bequem ist. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion. ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh, dass auch noch einige Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen sind. Wir haben darauf bestanden, ({0}) dass der Gesetzentwurf zum E-Government, wie es so schön heißt, heute Abend noch debattiert wird. Ich sage Ihnen auch, warum. ({1}) Wir wollen damit verhindern, dass anschließend wieder eine Debatte entsteht, in der gesagt wird, dass das Parlament und die Opposition sich nicht gerührt und wieder eine Verschlechterung von Datenschutz und Sicherheitsstandards durch das Parlament gewunken haben, ohne sich zu wehren. ({2}) Herr Staatssekretär, Sie haben eben genau das getan, was zum Problem bei der heutigen Beratung führt: Sie haben sehr viele Nebelkerzen geworfen. Sie haben zwar sehr vieles zum E-Government erzählt, was richtig, wichtig und unterstützenswert ist, ({3}) aber Sie sind mit keinem Wort auf die Kritik an diesem Gesetzentwurf eingegangen. ({4}) Es geht bei der Kritik nicht um die Einführung des E-Government, sondern um die Tatsache, dass Sie die Einführung des E-Government dafür nutzen, das Sozialgesetzbuch und die Abgabenordnung durch ein Artikelgesetz so zu ändern, dass die bisher geltenden Sicherheitsstandards bei der Übermittlung von hochsensiblen Gesundheitsdaten, bei der Übermittlung von hochsensiblen Sozialdaten und auch bei der Übermittlung von Steuerdaten abgesenkt werden, und zwar - das ist das Entscheidende - nicht nur im Verkehr zwischen den Behörden und dem jeweiligen Nutzer, sondern natürlich auch im Verkehr zwischen all denen, die Gesundheitsund Sozialdaten austauschen, etwa die Versicherungen und ihre Versicherten oder - bei der Abrechnung - die Versicherungen und die Ärzte. Das genau ist der Hintergrund, warum Sie dies klammheimlich tun. Beim De-Mail-Gesetz haben Sie gesagt - auch damals schon gegen den Rat der Fachwelt -: Um den Diensteanbietern Kosten zu ersparen, verzichten wir auf eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. - Nun haben die De-Mail-Anbieter festgestellt, dass das große Geschäft, das sie sich damit erhofft haben, nämlich der Masseneinstieg über die Versicherungen und über die, die in Austausch zu ihren Kunden treten, nicht stattfindet, und zwar deswegen nicht, weil bei der De-Mail der bisherige Standard, den der Deutsche Bundestag, der Gesetzgeber, für die Übermittlung solch hochsensibler Daten zu Recht gesetzt hat - es geht um die modernste Form der Sicherheit und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung -, bei der Übermittlung zu nutzen ist. Deswegen ist die De-Mail kein Erfolg. Sie definieren diese Sicherheitslücke jetzt juristisch weg, indem Sie sagen: Die Entschlüsselung der verschlüsselten Daten - Gesundheitsdaten, Sozialdaten auf dem Server der Betreiber und die anschließende Wiederverschlüsselung ({5}) ist keine Übermittlung im Sinne des Gesetzes. Das ist ungefähr so, als würden Sie sagen, die Wand dürfe kein Loch haben, und anschließend feststellen, dass keiner Ihre löchrige Wand abnimmt, weil sie den Anforderungen nicht genügt, weshalb Sie dann die Bauordnung ändern und sagen: Das Loch gehört nicht zur Wand, und damit sind auch Wände mit Löchern löcherlose Wände. Genau das ist der Trick. Das tun Sie bei Gesundheits-, bei Sozial- und bei Steuerdaten. Sie kommen dann natürlich wieder mit dem Argument, dass das Fax und die E-Mail noch viel unsicherer sind. ({6}) Hinter diesem Modell steckt aber doch die Überlegung - den Umfang wollen Sie jetzt gerade herunterspielen -, dass Versicherer und andere demnächst massenweise sensible Gesundheitsdaten versenden. Da geht es nicht nur um den Schriftverkehr zwischen der Gemeinde und dem Bürger, sondern es geht um den Bereich, den ich gerade genannt habe. ({7}) Das hat dann eine andere Qualität. Denn durch einen gezielten Angriff auf zwei, drei oder vier Server in dieser Republik ist es nicht möglich, sämtliche Faxe dieser Republik mitzulesen. Wenn Sie diese Regelung bei den E-Mails einführen, haben Sie das Problem, dass die Massenkommunikation betroffen ist. In Zukunft werden die De-Mail-Server hochinteressante Angriffspunkte werden, weil nämlich ein möglicher Angreifer genau weiß: Über diesen Server werden hochsensible Daten der Bürger kommuniziert, zwischen Bürgern und Versicherungen, zwischen Bürgern und Gesundheitsinstitutionen, zwischen Bürgern und Finanzämtern. Der Chaos Computer Club hat dies in der Anhörung noch einmal eindrücklich deutlich gemacht. ({8}) Dann nutzt Ihnen auch das, was Sie über die Sicherheit mit Blick auf das BSI gesagt haben, wahrscheinlich nichts mehr. Sie tun auch der betroffenen Industrie einen Tort an. Denn: Wenn wir den ersten Datenskandal haben - ich prophezeie Ihnen: so attraktiv wie diese Server für Angreifer sind, wird es ihn geben -, werden E-Government und De-Mail tot sein. Die Sicherheit ist hier das Problem, deren Bedeutung die Regierung in der Vergangenheit nicht bedacht hat. Deswegen floppte das Ganze. Im Interesse der Industrie hat man die Sicherheitsstandards abgesenkt. Anschließend hat der Bürger diese Art der Kommunikation nicht akzeptiert. Die letzte Maßnahme, die Sie hier verstecken, ist: Sie lassen jetzt die Gesundheitskarte am Personalausweisgesetz vorbei als Identitätsnachweis zu. Ich prophezeie Ihnen: Das wird dazu führen, dass die Bürger mit der Einführung der Gesundheitskarte demnächst noch mehr Probleme haben werden, als sie sie jetzt schon haben, weil sie natürlich befürchten müssen, dass dann, wenn die Daten auf der Karte gehackt werden, nicht nur ihre Identität, sondern unter Umständen auch noch ihre gesamten Gesundheitsdaten offengelegt werden. Wir haben Ihnen im Ausschuss angeboten - wir haben dazu einen Antrag gestellt -: Streichen Sie diese Veränderung im Sozialgesetzbuch und in der Abgabenordnung wieder raus. Dann sind wir trotz weiterer Punkte, über die man auch noch hätte diskutieren können, bereit, das E-Government-Gesetz mitzutragen, ({9}) weil wir es vom Grundsatz her für einen sinnvollen Schritt halten. Sie aber haben den Antrag abgelehnt. ({10}) Deswegen werden wir dieses Gesetz nicht mittragen. Es soll verschleiern, dass diese schwarz-gelbe Koalition mit der freudigen Unterstützung der angeblich bürgerdatenschützenden FDP die Standards für die Übermittlung von sensiblen Daten im Gesundheits-, im Sozial- und im Steuerbereich, die bisher in dieser Republik gegolten haben, absenkt. Diese Absenkung ist mit der SPD-Fraktion nicht zu machen. Wir werden diesen Gesetzentwurf daher ablehnen. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Reichenbach, kurz etwas zur Klarstellung. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass die Reden zu diesem Punkt gehalten und nicht zu Protokoll gegeben werden. Es gab nämlich niemanden, der seine Rede zu Protokoll geben wollte. Das, was Sie behaupten, ist einfach unwahr. Sie erzeugen den Eindruck, als ob Sie es durchgesetzt hätten, dass zu diesem Punkt geredet wird. Ich habe gerade beim Kollegen Binninger nachgefragt: Niemand wollte seine Rede zu Protokoll geben, alle wollten reden. Ich habe Ihnen schon im Ausschuss gesagt, dass ich heute Abend selbstverständlich hier re29330 den werde. Die Nebelkerzenzünder sind also Sie. Das zieht sich auch durch Ihren Vortrag. Was für ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Wir verabschieden endlich das E-Government-Gesetz. Wir können auf sehr konstruktive Verhandlungen, auch mit den Bundesländern, zurückblicken und haben nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Vorschlag vorgelegt, der mit den Ländern umsetzbar ist. Mit dem E-Government-Gesetz legen wir nach der Modernisierung des Verwaltungsgebührenrechts und dem Planungsvereinheitlichungsgesetz einen weiteren zentralen Baustein der Modernisierung der Verwaltung in Deutschland. Die christlich-liberale Strategie zur Verwaltungsmodernisierung kann man am Ende dieser Legislaturperiode als Erfolg betrachten. ({0}) Unser E-Government-Gesetz ist die Motornorm, mit der wir die Modernisierung der Verwaltung in Deutschland vorantreiben wollen. Das ist ein überfälliger Schritt, der zuvor unter der SPD-geführten Bundesregierung nicht gemacht wurde. Der demografische Wandel in Deutschland macht E-Government zu einem wichtigen Bestandteil für einen bürgernahen und erreichbaren Staat; das gilt auch für die Verwaltung. Zukunftstechnologien müssen noch stärker als heute eine zentrale Rolle in Staat und Gesellschaft spielen, damit Bürgerinnen und Bürger effektiv am politischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das E-Government-Gesetz soll jetzt die sichere, rechtsverbindliche digitale Kommunikation zwischen Bundesbehörden sowie Bürgerinnen und Bürgern regeln. Erlauben Sie mir, kurz zu erläutern, welche konkreten Verbesserungen wir für die Bürgerinnen und Bürger einführen. Bisher war das sogenannte Schriftformerfordernis im Verhältnis des Bürgers zum Staat ein praktisches Problem. Unterschriften auf Formularen und Dokumenten haben es stets zwingend notwendig gemacht, dass diese per Post oder Fax zugestellt und von Bürgerinnen und Bürgern von Hand unterschrieben werden mussten. Mit dem E-Government-Gesetz schaffen wir nun einen adäquaten Ersatz für dieses Schriftformerfordernis. Dieser Ersatz sind - wie bisher - die qualifizierte elektronische Signatur gemäß Signaturgesetz und entsprechend signierte digitale Formulare. Da wir aber um die hohen Hürden wissen, die die elektronische Signatur gerade für private Nutzer darstellt - weniger als 15 Prozent in Deutschland nutzen die digitale Signatur; es handelt sich vor allen Dingen um professionelle Anwender -, haben wir ein weiteres zentrales Verfahren als Angebot bereitgestellt: die De-Mail. Mit der De-Mail können nun Bürger und Wirtschaft rechtsverbindlich, sicher und vor allen Dingen unkompliziert mit Behörden und auch untereinander kommunizieren. Dabei ist es aus meiner Sicht absolut richtig, den Zugang De-Mail für die Behörden vorzugeben, um den Bürgerinnen und Bürgern ein verlässliches und auch tatsächlich von allen Behörden angebotenes System bereitzustellen. Bei einem Umzug oder einem Kontakt mit einer anderen Behörde sollte sich schließlich niemand auf ein komplett neues System einstellen müssen. Durch unseren Änderungsantrag, den wir in das parlamentarische Verfahren eingebracht haben, haben wir den drei Möglichkeiten - qualifizierte elektronische Signatur, verschlüsselte Formulare und De-Mail - noch eine maßgebliche Erweiterung hinzugefügt. Das Thema Technikoffenheit spielt hier eine entscheidende Rolle. Wir möchten, dass E-Government nicht auf der Stelle tritt und dass auch in Zukunft innovative Technologien mit dem E-Government-Gesetz angewandt werden können. Deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag einen Passus eingefügt, der den Einsatz zusätzlicher Technologien grundsätzlich ermöglicht, sofern die Mindestanforderungen an Sicherheit und Barrierefreiheit erfüllt sind. Damit wären wir bei einem weiteren zentralen Baustein des E-Government-Gesetzes, den wir durch unseren Änderungsantrag eingefügt haben. Wir stellen im neuen § 16 des E-Government-Gesetzes klar, dass Barrierefreiheit auch für E-Government gilt. Alle Menschen haben das Recht auf Teilhabe. ({1}) Mit der elektronischen Akte schaffen wir außerdem einen wichtigen Baustein für die Modernisierung unserer Verwaltung. Elektronisch geführte Akten ermöglichen nicht nur effizienteres Dokumentenmanagement. Sie erleichtern es auch, Auszüge und Informationen mit Bürgerinnen und Bürgern elektronisch zu teilen. Das ist ein wichtiger Grundstein des E-Government-Gesetzes. Die elektronische Akte spart nicht nur tonnenweise Papier - das dürfte Ihnen besonders gefallen, liebe Freunde von den Grünen -, sondern macht auch die Bereitstellung von Peripheriegeräten und Aufbewahrungsraum überflüssig. Sie ermöglicht eine bruchfreie Kommunikation über Gerätegrenzen hinweg. Lassen Sie mich jetzt noch auf ein paar Nebelkerzenargumente des Kollegen Reichenbach zu sprechen kommen. Er hat gesagt, dass wir gegen den Rat vieler Sachverständigen Änderungen durchgesetzt hätten. Wir haben das aber nicht gegen den Rat Ihres Sachverständigen getan. Ihr Sachverständiger war nämlich - genauso wie die Sachverständigen der Koalition - der Meinung, dass wir eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht unbedingt brauchen. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat explizit gesagt: Bitte führen Sie keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein; das kann die Verwaltung vor Ort nicht leisten, weder organisatorisch noch im Hinblick auf die Kosten. Sie haben auch Nebelkerzen geworfen, als Sie gesagt haben, es gehe um Steuerdaten. ({2}) - Herr Reichenbach, Sie haben bereits gesprochen. Zu dieser Uhrzeit möchte ich keine Zwischenfragen mehr zulassen. - Sie wollen mit dem Hinweis auf Steuerdaten den Anschein erwecken, als ob es hier um Steuerformulare gehe. Dabei wissen Sie ganz genau, dass die Steuerbehörden weiterhin ELSTER als Datenformular nutzen werden. Die De-Mail wird dann zum Einsatz kommen, wenn man beispielsweise seine Adresse ändern oder etwas zum Finanzamt schicken möchte. Das wird bisher per Post, per Anruf oder per normaler E-Mail gemacht. Des Weiteren tun Sie so, als ob wir die Hürden herabsetzen würden und etwas wegdefinieren wollten. Dieser Vorwurf ist schlichtweg falsch. Es ist nämlich so, dass das Gebot der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, das im Gesetz jetzt steht, sich auf die Technik, die davor vorhanden war, bezieht, nämlich auf die E-Mail. Bei der EMail ist es auch gut und richtig, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorzuschreiben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jetzt - ich komme damit zum Ende - ist es nicht mehr nötig; denn die De-Mail ist ein anderes System. Deswegen kann man dies explizit ausklammern. Das E-Government-Gesetz ist der nächste Schritt ins Zeitalter der digitalen Verwaltung. Lassen Sie ihn uns gemeinsam gehen. Ich freue mich darauf und wäre froh, wenn Sie dem Gesetz zustimmen würden. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jan Korte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Reichenbach, lieber Kollege Höferlin, wir können uns vielleicht darauf verständigen, dass wir alle sehr froh sind, dass wir heute hier noch reden und den Abend zusammen verbringen. Was sollten wir auch sonst in einer Sitzungswoche machen? Deswegen ist es erst einmal gut, dass wir alle zusammen sind. In der Tat - das sieht auch die Linke so - bietet die elektronische Verwaltung große Chancen, gemeinwohlorientierte öffentliche Dienste zu stärken und voranzubringen. Das ist völlig unbestritten. E-Government bietet logischerweise - auch das ist anzuerkennen - enorme Chancen für mehr Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Es könnte, wenn es gut läuft, einen weiteren Vorteil haben: Die Nervereien bei Problemen, die der eine oder andere mit Behörden hat - das soll ja vorkommen -, könnten auf beiden Seiten verringert werden. Auch das ist erst einmal richtig. Deswegen ist die Grundidee Ihres Gesetzentwurfs gar nicht schlecht. Das Problem ist nur, dass die Idee zwar nicht schlecht ist, aber die Umsetzung wieder einmal nicht hinhaut und leider inakzeptabel ist. Ich möchte an drei Punkten aufzeigen, warum die Linke das so sieht. Zum Ersten soll in Zukunft das DeMail-Verfahren als wesentliche Grundlage für die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung dienen. Der Chaos Computer Club und seine exzellenten Sachverständigen haben nun deutlich gemacht - denen sollte man glauben angesichts dessen, was der CCC uns in der Vergangenheit vor Augen geführt hat -, dass das DeMail-Verfahren genauso unsicher ist wie eine herkömmliche E-Mail. ({0}) Das ist natürlich bei solch hochsensiblen Daten, die zwischen Bürgern und Verwaltung ausgetauscht werden, nicht zu akzeptieren. Dieses Verfahren ist abzulehnen; denn es ist nicht sicher. Zum Zweiten: Wer den Server, so der CCC, eines der wenigen De-Mail-Anbieter kontrolliert, hat logischerweise auch den totalen Zugriff auf die komplette Kommunikation. Das ist ein Problem, weil wir dort eine Zentralisierung bei diesen Diensten haben. Darin liegt eine enorme Gefahr. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Lust auf diese Daten bei Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden geschürt wird. ({1}) Deswegen sollte man diese Lust gar nicht erst wecken. Auch das ist ein Grund, warum der heutige Gesetzentwurf nicht zu akzeptieren ist. ({2}) Zum Dritten: Heute ist es so - das hat eine Umfrage, die ich eben in der Welt gelesen habe, ergeben -, dass 30 Prozent der Deutschen ihre Behördenangelegenheiten online erledigen. In Indien - nur zum Vergleich - sind es übrigens weit über 60 Prozent. Das heißt, hier wird ein Gesetz verabschiedet, um ein Verfahren zu unterstützen, das de facto bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung gar keine Akzeptanz hat. Es ist eine Luftnummer, wenn die Bürgerinnen und Bürger das nicht im großen Umfang nutzen wollen. ({3}) Die Linke ist in der Tat für E-Government-Projekte, die nicht - das ist ganz entscheidend, und das ist der Unterschied zu Ihnen - vor allem das Profitinteresse einiger weniger in der IT-Branche zum Ziel haben. Das ist nämlich Ihr eigentliches Ziel: ganz wenigen Anbietern in der IT-Branche ordentliche Profite zu organisieren. ({4}) Das sehen wir nicht ein. Sinnvoll wäre vielmehr ein Gesetzentwurf, der die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger stärken würde. Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, erinnert an ELENA, an den elektronischen Personalaus29332 weis und an andere Projekte, die Sie grandios versenkt haben. Sie alle haben nicht funktioniert und sind auf ganzer Linie gescheitert. Jetzt kommt mit Ihrem Gesetzentwurf das nächste Projekt hinzu. Deswegen: Lassen Sie das Ganze besser! ({5}) Die Linke wird Ihrem Gesetzentwurf heute selbstverständlich nicht zustimmen und bedauert es, dass wir in diesem Bereich keinen Schritt vorwärtsgekommen sind. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Clemens Binninger hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Moderne Verwaltung ist ein Standortfaktor. Moderne Verwaltung beginnt nicht erst im Rathaus, sie beginnt bereits im Netz. Mit diesem Gesetz schaffen wir wichtige Voraussetzungen dafür, dass Verwaltung modern, bürgernah, unbürokratisch und ohne Medienbrüche bereits im Netz funktionieren kann. Es ist ein wichtiger Schritt. Dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen, halte ich für unverzichtbar. Ich verstehe deshalb wirklich nicht, wie man dagegen sein kann. ({0}) Denn wir machen hier etwas, was ja von allen, von den Kommunen - auch da, wo Sie regieren -, von den Ländern - auch dort, wo Sie in der Regierung sind -, mit unterstützt und gefördert wird. Nur Sie glauben, Sie müssten dagegen sein. Dieses Gesetz beinhaltet eine ganze Reihe von Verbesserungen und eine ganze Fülle von Dingen, die es bisher nicht gibt: elektronisches Einreichen von Nachweisen, elektronische Akteneinsicht, elektronische Gebührbezahlsysteme. All das ist entscheidend. Was hat uns bisher davon abgehalten, Verwaltung wirklich zu vereinfachen? Der Bürger konnte vieles am PC machen. Er konnte sich auf der Homepage einer Stadt die Angebote anschauen, er konnte auch eine normale E-Mail hinschicken. Aber sobald ein Vorgang ein bisschen Verwaltungscharakter hatte - und das wird jeder zugeben, der es schon einmal versucht hat -, hieß die Antwort häufig: Tut uns leid. Das geht nicht. Das muss unterschrieben per Brief kommen. ({1}) Dieses Schriftformerfordernis war mit die größte Hürde dafür, Verwaltung zu vereinfachen. Genau deshalb gehen wir jetzt mit diesem Gesetz einen Schritt weiter und sagen: Wir bauen die Schriftformerfordernisse ab, wir ersetzen sie. Dort, wo es auch ohne sie gegangen ist, streichen wir sie ganz. Wir haben aber weit über 1 000 Fälle, in denen die Schriftform aus irgendeinem Grund erforderlich ist. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen ein oder sogar mehrere Verfahren, mit denen wir die Schriftform ersetzen können. Dieses Gesetz nennt übrigens nicht nur ein Verfahren, Kollege Reichenbach. Es nennt drei Verfahren, mit denen der Bürger - er kann es sich aussuchen - die Schriftform ersetzen kann. Er muss dann keinen Brief mehr abschicken und braucht kein Papier mehr auszudrucken, sondern kann alles zu Hause am PC machen. Erster Weg: mit dem elektronischen Personalausweis und der Zusatzfunktion. Hier wird man fragen können: Wenn ich den nicht habe, was mache ich dann? Zweiter Weg: mit der elektronischen Signatur, Ende zu Ende verschlüsselt für die Daten, für die der Bürger es will. Dritter Weg: das De-Mail-Gesetz, mit dem wir schon vor über einem Jahr einen Standard geschaffen haben, der deutlich über der E-Mail und dem Fax liegt. In diesem Fall - geschätzter Kollege Reichenbach, vielleicht noch keine Erfolgsmeldungen simsen, die es nicht gibt - sollten wir redlich miteinander umgehen. Unsere Hauptkommunikationsform als Parlamentarier, als Bürger, wo auch immer, ist heute die unsichere E-Mail. Die E-Mail hat einen Sicherheitsstandard, der mit einer Postkarte vergleichbar ist, die man mit dem Text nach außen ans Schwarze Brett hängt. Das akzeptieren wir, das ist überhaupt kein Problem. Alternativ gibt es das Fax, das auf der gesamten Strecke überhaupt nicht verschlüsselt ist. Mit der De-Mail haben wir ein Verfahren entwickelt, das deutlich über dem Sicherheitsstandard der E-Mail liegt. Es ist nicht Ende zu Ende verschlüsselt; aber anders, als die Rede vorher suggeriert hat, entscheidet der Bürger, welches Verfahren er anwenden will. Der Bürger entscheidet auch, ob er die De-Mail nutzt oder nicht. Aber für uns ist doch entscheidend, dass die Sache keinen Schritt vorangehen wird, wenn wir die staatlichen Behörden nicht in die Lage versetzen, solche Angebote überhaupt zu machen, weil immer noch die Schriftform erforderlich ist. Ich habe mir noch einmal die Rede des Kollegen Reichenbach zur ersten Lesung durchgesehen - zumindest den ersten Teil, dann war ich genügend informiert. Damals war das Szenario noch ein anderes als heute. Heute bezog sich die Kritik auf das Verschlüsseln und die Standards, die wir angeblich wegdefinieren, was nicht stimmt. Damals ging es noch darum, dass wir mit diesem Gesetz für die Kommunen eine Kostenlawine auslösen, durch die sie erdrückt werden. Das war Inhalt dieser Rede. ({2}) - Ich nehme an, dass diese Rede stimmt. Sie war übrigens zu Protokoll gegeben, wenn ich mich richtig erinnere, aber egal, das ist ein anderes Thema. ({3}) Interessanterweise wurde in der Sachverständigenanhörung der Vertreter des Städtetages von mehreren Kollegen gefragt: Ist dieses E-Government-Gesetz - es löst für die Kommunen keine Pflicht aus; nur dort, wo sie Bundesrecht im Auftrag ausführen - mit der Verpflichtung, eine normale E-Mail-Adresse bereitzustellen, eine Homepage anzubieten und eben dort, wo sie wollen, auch De-Mail oder andere Zugänge zu ermöglichen, für die Kommunen ein Kostenrisiko? Einhellige Antwort: Nein, überhaupt nicht. Die Kosten sind kein Faktor. Also ist auch dieses Argument weg. ({4}) - Er hat es in dieser Eindeutigkeit gesagt, Frau Kollegin; denn wir haben darauf Wert gelegt, dass wir darauf eine präzise Antwort bekommen. Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass Sie in Ihrem Wahlkreis eine Kommune finden, die sagt: Wir haben mit diesem E-Government-Gesetz das Problem, dass uns aufgrund von Folgekosten eine Kostenlawine erdrücken könnte. Eine Kostenlawine ist eigentlich nur möglich, wenn es sich um eine Kommune handelt - die gibt es, glaube ich, nicht einmal in Niedersachsen -, die noch keinen PC hat, keine EDV-Infrastruktur, eine Kommune, in deren Büros noch Adler-Schreibmaschinen stehen und wo sonst nichts vorhanden ist. Solche Kommunen wird es in Deutschland nirgendwo mehr geben. Insofern ist dieses Kostenargument schon lange als ein von Ihnen aufgebauter Popanz entlarvt. ({5}) Zwei weitere wichtige Änderungen haben wir vorgenommen: Wir haben Barrierefreiheit geschaffen, damit alle an dem, was in diesem Gesetz geregelt wird, teilhaben können. Außerdem haben wir dieses Gesetz ganz bewusst technikoffen gestaltet; auch da wird man sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Das heißt, wenn es irgendwann neben den bisherigen drei beschriebenen Verfahren - Signatur mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, De-Mail oder E-Perso mit der Zusatzfunktion - ein weiteres sicheres Verfahren gibt, ist dessen Anwendung möglich. Damit ist auch die Technikoffenheit gewährleistet. In der Summe ist es ein sehr gutes Gesetz, das für etwas sorgt, worauf alle - Bürger, Kommunen, Verwaltung, Unternehmen, aber auch Bundesbehörden - schon lange gewartet haben: Das Schriftformerfordernis ist in vielen Bereichen nicht mehr notwendig. Wir sind moderner, schneller, näher, unbürokratischer. Deshalb lohnt es sich, diesem Gesetz zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal auch mein Bekenntnis: Auch ich diskutiere gerne noch zu dieser Stunde das E-Government-Gesetz. Ich finde das erfrischend und schön. ({0}) - Genau. Einmal ein Applaus für alle. ({1}) - Sehr gut, gerne. ({2}) Mit der Zielrichtung des E-Government-Gesetzes hat niemand - die Einleitung Ihres Vortrages, Herr Kollege Binninger, war insofern ein bisschen scheinheilig - Probleme. Das ist eine feine Sache und toll. ({3}) Es geht um die Umsetzung, und bei der Umsetzung hapert es. Wir begrüßen dieses Vorhaben grundsätzlich. E-Government findet in Bund, Ländern und Kommunen, also auf allen Ebenen, schon statt. Leider hapert es ein bisschen an der Kommunikation und dem Kontakt; Sie haben das durchaus zutreffend beschrieben, Herr Kollege Binninger. Insofern begrüßen wir, dass hier versucht wird, medienbruchfreie Prozesse herbeizuführen. Wir begrüßen die Verpflichtung von Behörden zur elektronischen Erreichbarkeit. Es ist grundsätzlich richtig, die Behörden zu elektronischen Bezahlmöglichkeiten zu verpflichten. Eine Verpflichtung zu Webauftritten ist sicherlich genauso gut wie die Bereitstellung von wesentlichen Informationen. ({4}) Der Einstieg der Bundesverwaltung in die elektronische Aktenführung ist ebenfalls gut. Das sind die Ziele. Die Generalfrage ist: Wie haben Sie die Vorgaben zur Erreichung dieser Ziele umgesetzt? Ich verweise Sie einmal auf den Änderungsantrag, den Sie nachgeschoben haben; ({5}) die entsprechenden Punkte sind ja benannt worden. Barrierefreiheit und andere Punkte sind mit zusätzlichen Identifikationsverfahren versehen worden. Diese Punkte sind gut. ({6}) Aber das Kernproblem, der Geburtsfehler, der diesem Gesetz innewohnt, ist, dass Sie auf das De-Mail-Verfahren bauen. ({7}) Das haben Ihnen sämtliche Sachverständige schon in der ersten Anhörung zum De-Mail-Verfahren gesagt, und jetzt haben Sie es wieder erzählt bekommen. Herr Kollege Binninger, ich will Ihnen und gerne auch dem Kollegen Höferlin, der eigentlich in der Netzpolitik zu Hause ist ({8}) - ja, gut -, die Unterschiede erklären. Ich möchte klarstellen, welche Dinge wir als problematisch ansehen müssen. Der Vergleich mit Briefkästen, die auch ausgeraubt werden können - auch Briefe können verschwinden -, hakt eben. Es geht hier um Server mit Millionen von sensiblen Daten, auf die zugegriffen werden kann. Das ist ein riesiges Problem und birgt ein riesiges Gefährdungspotenzial. Durch das De-Mail-Verfahren wird kein adäquater Schutz gewährleistet. Ich zitiere jetzt einmal Sascha Lobo - ich wollte das schon immer einmal machen -, der diese Woche sehr zutreffend geschrieben hat: Das Projekt De-Mail taugt in allen Details als Vorzeigemisserfolg. Und es steht mustergültig für das fortgesetzte Versagen von Politik und Administration, die dringend benötigte digitale Infrastruktur zu schaffen: Die De-Mail ist der digitale Hauptstadtflughafen. Genau so wird es kommen, weil Sie auf diese Vorwürfe, auf diese Bedenken nicht eingegangen sind. Sie ignorieren die Probleme. Sie gehen auf die fehlende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht ein. ({9}) Sie erkennen die Problematik nicht. Sie reden das schön. Damit werden Sie der Problematik nicht gerecht werden. Der Innenminister - hier hat ja eben der Staatssekretär geredet - spricht immer von der Problematik der Cybersicherheit. Ich sage Ihnen: Wir werden hier ein neues Problem bekommen. Das wird ein Einfallstor für Missbrauch im Netz. Dieser wichtige Baustein für eine moderne Kommunikation zwischen Staat und Bürgern wird hier final beschädigt werden. Deswegen ist das kein guter Tag ({10}) für die neue Beziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Staat über das Netz, sondern es ist bedauerlicherweise ein schlechter Tag. Ganz herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13139, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11473 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf zustimmen? - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen ({0}) bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und der FDPFraktion; die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer stimmt dafür und steht deswegen bitte auf? ({1}) Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung ebenfalls angenommen, mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Zurückkommen müssen wir zum Zusatzpunkt 6, weil ein Zettel verschwunden war. Dabei ging es um ein Hauptgutachten der Monopolkommission. Es fehlte noch die Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12940 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13109 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zugänge schaffen und Teilhabe erleichtern Die Einfache Sprache in Deutschland fördern - Drucksache 17/12724 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Petitionsausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Die Reden sind zu Protokoll genommen.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bereits der amerikanische Präsident John F. Kennedy sagte richtigerweise „Es gibt nur eines, was auf die Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“ Deshalb sorgen wir als Regierungsfraktionen dafür, dass die Bildung ganzheitlich in unserem Land Vorrang genießt. Und unsere Erfolge können sich dabei sehen lassen; denn das Bildungsniveau ist insgesamt so gestiegen, dass es nie weniger Schulabbrecher gab, nie mehr Abiturienten gab als jetzt und auch nie mehr Hochschulabsolventen gab als jetzt. Bildung hat im Haushalt den größten Zuwachs. Gegenüber 2005 haben wir als christlich-liberale Koalition eine Steigerung von 54 Prozent erreicht. Allein im Jahr 2013 beträgt das Budget für Bildung und Forschung 13,75 Milliarden Euro. Doch neben diesen positiven Zahlen dürfen wir als Deutscher Bundestag - und da stimme ich Ihnen von der SPD zu - nicht diejenigen vergessen, die nicht davon profitieren oder die bereits die Schule längst verlassen haben. Und auch stimme ich Ihnen darin zu, dass die Zahlen der „leo. - Level-One Studie“ alarmierend sind. Daraus nun so wie Sie als SPD-Fraktion abzuleiten, dass nur der Bund dafür zuständig sei, die Missstände zu beheben, ist nicht redlich. Das Thema Analphabetismus fällt nämlich primär in die Zuständigkeit der Länder. Der Bund unterstützt dabei und leistet wichtige Beiträge zur Bekämpfung des Problems. Wie ich bereits vor knapp zwei Jahren anlässlich eines ähnlichen Antrags von Ihnen hier im Deutschen Bundestag gesagt habe, hat die Bundesregierung das Thema Alphabetisierung und Grundbildung bereits seit längerem auf ihrer Agenda. Erste Ansätze in die richtige Richtung haben wir bereits übrigens in der Großen Koalition gesetzt, also sogar mit Ihnen gemeinsam. Wir fördern Alphabetisierung und Grundbildung mit einem ganzheitlichen Ansatz. Daran hat sich auch nichts geändert - im Gegenteil. Denn wir können es uns in unserem Land schlicht nicht leisten, Menschen bei der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe - vor allem auch dauerhaft in ihrem beruflichen Alltag oder Fortkommen - zu benachteiligen. Um Ihnen zu verdeutlichen, wie der Bund handelt, möchte ich exemplarisch drei Projekte aus der - übrigens gemeinsam mit den Ländern verabschiedeten Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung herausgreifen: Erstens: die Öffentlichkeitskampagne im Rahmen der gemeinsamen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Wir wollen damit die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema erreichen, Motivation bei den Betroffenen schaffen und vor allem zur Enttabuisierung der Problematik beitragen. Der Bund investierte hier alleine 2012 5 Millionen Euro. Zweitens: die Einrichtung der Lernplattform „ichwill-lernen.de“ durch den Deutschen VolkshochschulVerband. Fast 340 000 Nutzer haben sich hier bisher registriert. Der Bund hat hier bereits 7 Millionen Euro an Fördermitteln bereitgestellt. Drittens: die arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, bei der der Bund insgesamt 20 Millionen Euro in den Jahren 2012 bis 2015 investiert, um beispielsweise kleine und mittlere Unternehmen, Hochschulen oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bei ihren Projekten, Konzepten, Beratungs- und Schulungsangebote zu unterstützen. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels handelt der Bund entschlossen, um Menschen mit Schwächen in der Lese- und Schreibkompetenz zu unterstützen. Momentan entwickelt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Leitfaden zur Anwendung von leichter Sprache. Dies verdient unser aller Unterstützung genauso wie die Arbeit der verschiedenen Institutionen, Vereine und Netzwerke, die sich für die leichte und einfache Sprache einsetzen. Abschließend möchte ich zusammenfassen: Wir als Regierungsfraktionen unterstützen die Bundesregierung in ihren bisherigen Projekten, insbesondere in der Forschung zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Seit 2007 wurden über 100 Projekte bzw. Teilprojekte gefördert. Wir machen als Bund - in Ergänzung zu den Ländern und Kommunen - bereits sehr viel, damit mangelnde oder schwächere Lese- und Schreibkompetenz erfolgreich und nachhaltig bekämpft wird, um allen Menschen in unserem Land insbesondere im Erwerbsleben und in allen demokratischen Prozessen eine Teilhabe zu ermöglichen. Diesen Weg werden wir fortführen. Da Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD, durch Ihren Antrag zeigen, dass auch Ihnen an möglichst großer gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche liegt, freue ich mich auf eine konstruktive und zielführende Beratung aller Parteien in unserem zuständigen Ausschuss.

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die UN-Weltdekade der Alphabetisierung ist gerade zu Ende gegangen - doch das Thema Analphabetismus ist auch in Deutschland noch lange nicht vom Tisch. Wir haben im Bundestag wiederholt über die 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht richtig lesen oder schreiben können, debattiert. Doch damit nicht genug: Neben diesen 7,5 Millionen sogenannten funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten können zusätzlich 13,3 Millionen Menschen in Deutschland Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenstücke nur langsam und fehlerhaft lesen und verstehen. Diese Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ist in unserer Gesellschaft stark benachteiligt. Fahrpläne, Handyverträge, Banküberweisungen, schriftliche Arbeitsanweisungen, Beipackzettel für Medikamente, Zeitungen, Bücher oder gar Behördenbriefe und Antragsformulare sind unüberwindbare Hindernisse für die Betroffenen. Dabei machen die Zahlen auch deutlich, dass Lese- und Schreibschwäche in Deutschland die gesamte Gesellschaft durchdringt viele arbeiten als Bauhilfsarbeiter, Reinigungskräfte, Transport- und Frachtarbeiter, Köche, Maler oder Verkäufer, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie dürfen bildungspolitisch nicht außer Acht gelassen werden. Gerade angesichts der Reduzierung einfacher Tätigkeiten im Berufsleben europaweit von 31 Prozent in 1996 auf 18 Prozent in 2020 stellt der Ausschluss von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche aus dem Erwerbsleben ein großes Problem dar. Richtig schreiben und sinnentnehmend lesen zu können, sind aber auch Voraussetzungen, um umfassend an Demokratie teilhaben zu können und somit auch insgesamt von gesellschaftlichem Interesse. Eine Möglichkeit, Menschen mit Lese- und Schreibschwäche zu erreichen, ist, ihnen Informationen und Materialien in einfacher Sprache anzubieten. Einerseits verlieren sie durch niedrigschwellige Leseangebote die Scheu vor dem Lesen. Andererseits wächst durch Lesematerialien mit passendem Sprachniveau ihr Selbstvertrauen, ihre Lesefähigkeit steigt, und es entsteht eine positive Lernspirale. Es geht also nicht darum, das Lese- und Schreibniveau generell abzusenken. Vielmehr steht dahinter die Absicht, diese Zielgruppe durch entsprechende Angebote überhaupt zu erreichen und dann an ein höheres Niveau heranzuführen. Nur so kann eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe für diese immerhin 20,8 Millionen Erwachsenen in Deutschland sichergestellt werden. Der Bund hat zwar in Reaktion auf die Ergebnisse der leo.-Studie zusammen mit der Kultusministerkonferenz Ende 2011 eine „Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland“ ins Leben gerufen. Mehr als eine gute Absicht kann man der Bundesregierung hier aber nicht zugutehalten. Es gibt positive Bestrebungen und Ansätze. So bietet beispielsweise der Deutsche Bundestag neben der regulären Homepage Information über die Tätigkeit des Parlaments in leichter Sprache für Menschen mit Behinderung an. Auch unsere Fraktion hat diverse parlamentarische Initiativen und Informationen in leichte Sprache und einfache Sprache übersetzt. Doch diese Ansätze gilt es dringend auszubauen. Dazu müssen die bisherigen Maßnahmen zur Vermittlung von Inhalten in einfacher und leichter Sprache im Internetangebot des Bundestages erweitert werden. Auch fordern wir die Bundesregierung auf, unzureichende Lese- und Schreibkompetenz und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Implikationen in ihren Forschungsprogrammen zu verankern und das Instrument der einfachen Sprache etwa in Form von Zeitungen, Büchern oder digitalen Angeboten weiter zu entwickeln und zu fördern. Darüber hinaus muss die zusätzliche Anwendung der einfachen Sprache in staatlichen Stellen verbindlich werden, und es sind Maßnahmen notwendig, um die politische Partizipation von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche und Behinderung zu erhöhen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung. In anderen Ländern, wie etwa in den Niederlanden oder Schweden, wird die einfache Sprache neben der leichten Sprache bereits seit längerem - als Teil einer Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Leseund Schreibkompetenz - gezielt gefördert. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst ganz am Anfang. Wir brauchen eine umfassend angelegte Strategie, die konkrete Maßnahmen aufgreift und die Kooperation der Akteure stärkt. Angebote in einfacher Sprache können Zugänge schaffen und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ermöglichen. Nutzen wir diese Chance!

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das große Verdienst der „leo. - Level-One-Studie“, die im Jahr 2010 die Größenordnung und die Bedingungen und Differenzierungen des funktionalen Analphabetismus der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland erfasst hat, ist, dass mit dieser Studie nicht nur der Blick gerichtet wurde auf die über 7,5 Millionen Menschen, die zwar einzelne einfache Sätze lesen oder schreiben können, nicht jedoch zusammenhängende Texte, sondern dass es darüber hinaus auch weitere 13 Millionen Menschen gibt, die Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenschriftstücke nur langsam und fehlerhaft lesen und verstehen können. Diese fast 13 Millionen Menschen, die das Lesen nach Möglichkeit vermeiden, dürfen genauso wenig wie die funktionalen Analphabeten aus dem Blickfeld der Politik ausgesperrt bleiben; sie bedürfen der bildungspolitischen Aufmerksamkeit, da Lese- und Schreibfertigkeiten grundsätzliche Voraussetzungen für umfassende gesellschaftliche Teilhabe sind. Ausreichende Lese- und Schreibfertigkeiten sind dabei in allen Bereichen der Teilhabe wichtige Voraussetzungen im persönlichen Sozial- und Familienleben, in der Teilhabe an öffentlichen Angeboten von Freizeit, Sport und Kultur, in der Teilhabe am Erwerbsleben, was natürlich eine besondere Bedeutung bekommt, wenn wir wissen, dass sich die Reduzierung einfacher Tätigkeiten im Berufsleben europaweit noch massiv verstärken wird. Und Lese- und Schreibfertigkeiten sind auch Voraussetzung für die Teilhabe an Demokratie. Die wachsende Wahlenthaltung wie die nicht vollständig und nicht korrekt ausgefüllten Wahlunterlagen, die zunehmend festzustellen sind, haben auch Zu Protokoll gegebene Reden etwas damit zu tun, dass mittlerweile sprachliche Anforderungen damit verbunden sind, die im Lesen und Schreiben leider von vielen Menschen auch in Deutschland nicht geleistet werden können. Was eine wissenschaftliche Studie uns hier ins Bewusstsein gebracht hat, hat dann in der politischen Debatte nicht nur zur Entwicklung einer sogenannten Alphastrategie geführt, sondern speziell bei unserer Fraktion, der sozialdemokratischen Fraktion, auch dazu geführt, dass wir in den Ausschussanhörungen wie in zusätzlichen Fachgesprächen, die wir als Fraktion veranstaltet haben, unser Augenmerk auf diese größere Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche gerichtet haben. Es waren Vertreter aus Unternehmen - von gewerkschaftlicher Seite wie vonseiten der Personalführung -, es waren Sachverständige aus der Wissenschaft, es waren Vertreter von Betroffenenverbänden und auch der Weiterbildungsträger und nicht zuletzt auch Anbieter von Publikationen in einfacher Sprache, die uns sehr nachdrücklich darauf hingewiesen haben, dass Teil jeder Alphabetisierungsstrategie auch die Verbesserung der Bedingungen für Menschen auf dem sogenannten Alpha-Level 4 bzw. solche Menschen sein müsste, die nur mit einfacher Sprache in ihrer Literacy, um hier einmal ausnahmsweise ein Fremdwort ganz gegen die Absicht der einfachen Sprache in die Debatte einzubringen, umgehen können. Wir bekennen ganz freimütig: Hier haben wir dazugelernt, und dies haben wir für die SPD-Bundestagsfraktion zum Anlass genommen, zu unseren bisher schon eingebrachten Initiativen zur Alphabetisierung eine weitere Initiative zu starten, mit der wir auch die übrigen Fraktionen des Hauses ermutigen möchten, sich stärker mit der einfachen Sprache und der dahinter stehenden Lebenswirklichkeit und den Schicksalen von sehr vielen Menschen in unserem Land auseinanderzusetzen. Es kann nicht schaden, auch in der eigenen politischen Arbeit solche neuen Erkenntnisgewinne bei sich zuzulassen und daraus zu entsprechenden politischen Ableitungen zu kommen. Der gute Wille sollte jedenfalls da sein, und diesem möchten wir mit dieser Initiative einen weiteren Anstoß geben. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass es eine Zeit lang auch grundsätzliche Fragen gab, ob es eigentlich sinnvoll ist, niederschwellige Leseangebot in einfacher Sprache zu fördern. Wir sind allerdings - sehr nachdrücklich und oft bestätigt durch die Wissenschaft und die Praktiker in diesem Bereich - der Auffassung, dass mit niederschwelligen Leseangeboten keine Verfestigung einer unzureichenden Lese- und Schreibkompetenz verbunden ist, sondern im Gegenteil niederschwellige Leseangebote in einfacher Sprache ein ganz wichtiger Trittstein sind, um zusätzliche Teilhabe und auch Lese- und Schreibfertigkeiten als Kompetenzen mit aufzubauen und zu verbessern. Die Menschen haben die Chance, die Scheu vor dem Lesen zu verlieren. Dadurch wächst ihr Selbstvertrauen. Ihre Lesefähigkeit steigt. Es kann eine positive Lesespirale entstehen. Dies kann dazu führen, dass sie aus der einfachen Sprache herauswachsen und ein höheres Niveau in ihrer Kompetenz erreichen. Deshalb noch einmal ausdrücklich: Wer für einfache Sprache ist und diese weiter in die Gesellschaft und den Umgang von Institutionen in ihrem Schriftgut mit Menschen ausbauen möchte, will damit mitnichten diese Menschen in ihrem Sprachniveau festschreiben und es ihnen „nur zu leicht machen“. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Hier haben wir eine echte Chance, Teilhabe durch Fördern zu erreichen. Einmal mehr müssen wir im Bereich der Grundbildung hierbei leider konstatieren, dass andere Länder wie zum Beispiel die Niederlande oder Schweden mit der gezielten Förderung der einfachen Sprache schon viel weiter fortgeschritten sind, um damit allen Menschen dazu zu verhelfen, ihre Lese- und Schreibschwächen zu überwinden oder jedenfalls damit besser umgehen zu können. In diesen Ländern wird gezielt an einer allgemeinen Erhöhung des Literalitätsniveaus auf allen Stufen gearbeitet. Angebote in einfacher Sprache wie auch in der Variante der leichten Sprache sind in diesen Ländern seit längerem Teil einer Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Lese- und Schreibkompetenz. Erste Erfolge sind dort bereits zu verzeichnen. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst am Anfang einer solchen ausbaufähigen Gesamtstrategie zur Förderung der Lese- und Schreibkompetenz. Es wird tatsächlich aber höchste Zeit, dass wir auch in Deutschland hier energisch vorangehen, wenn wir nicht auf Dauer von einem PISA-Schock in einen nächsten Schock zum Beispiel im Rahmen der Veröffentlichung der Ergebnisse zur sogenannten PIAAC-Studie über die Alltagsfertigkeiten Erwachsener im Oktober diesen Jahres fallen wollen und dieses uns auch in den nächsten Jahren immer wieder passiert, ohne das sich tatsächlich wirklich etwas ändert. Was sich ändern kann im Sinne der einfachen Sprache, haben wir von der SPD-Fraktion in einem umfangreichen Forderungs- und Anregungskatalog herausgearbeitet, den wir gerne auch parteiübergreifend mit anderen Fraktionen beraten möchten. Wir setzen hier auch deshalb auf die parteiübergreifende Arbeit in diesen Fragen, weil ja kleine Ansätze auch in der Vergangenheit nicht zuletzt im Parlament wie auch im Regierungshandeln schon parteiübergreifend gemacht worden sind. Dies soll hier keineswegs verschwiegen werden. Zum Beispiel gibt es und gab es den Einsatz von Sprachwissenschaftlern mit Blick auf die sprachliche Beratung bei der Bearbeitung von Gesetzes- und Rechtsvorschriften. Es gab ja auch Pilotprojekte über bürgernahe Verwaltungssprache. Auch der Bundestag hat im letzten Jahr erste Schritte zur leichten Sprache mit unternommen, indem auf der regulären Homepage des Bundestages über die Tätigkeit des Parlamentes in leichter Sprache informiert wird. Nicht zuletzt haben auch Anträge der SPD-Fraktion, für die ich hier sprechen darf, eine ergänzende Fassung in der Form der einfachen Sprache bekommen. Zum Beispiel in dem Antrag „Kultur für alle - Für einen gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderung zu Kultur, InZu Protokoll gegebene Reden formation und Kommunikation“ oder auch in Broschüren zur Bildungspolitik, zur Inklusion wie im Antrag zur Alphabetisierung und Grundbildung, die für uns als antragstellende Fraktion in eigener Verantwortung in einfache Sprache übersetzt worden sind. In dieser Linie müssen wir insgesamt im Bundestag weiterarbeiten, mit entsprechenden alternativ formulierten Anträgen, mit Angeboten im Parlament, mit Publikationen und mit einer grundsätzlich größeren Bereitschaft, diese sprachliche Zugänglichkeit ernst zu nehmen. Ernst genommen werden muss die Situation von 13 Millionen Menschen, die nur fehlerhaft schreiben und lesen können in Deutschland, auch in der Wissenschaft. Hier hat es ja, ohne hieran irgendwie Kritik üben zu wollen, eine erhebliche Verstärkung der Forschungsinitiativen nicht zuletzt auch durch die Bildungsforschungsmittel seitens der Bundesregierung gegeben. Wir regen dringend an, hier auch die Themen von einfacher und leichter Sprache zum Gegenstand entsprechender Forschungsprogramme zu machen. Ein drittes Handlungsfeld liegt darin, die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung um die Dimension der einfachen Sprache zu erweitern und mit allen an dieser Strategie Beteiligten, von den Kirchen über die Kommunen bis hin zur Bundesagentur für Arbeit, bei den Gewerkschaften wie der Wirtschaft, darauf zu drängen, dass einfache Sprache zu einer Selbstverständlichkeit wird, wenn es darum geht, Menschen den Zugang in schriftlicher Form zu den Informationen und Kommunikationswegen dieser Institutionen zu ermöglichen. Es bleibt dabei: Wenn wir Partizipation und Teilhabe für alle wirklich ernst nehmen, müssten wir uns auf die Voraussetzungen einlassen und einstellen, die die Menschen mitbringen. Anfangen, wo die Gruppe steht, ist ein elementarer Grundsatz jeder Gruppenpädagogik. Schreiben und formulieren so, dass der Adressat es verstehen kann, muss die Maxime sein, nach der wir in Zukunft auf jeder Ebene Schrift- und damit letztlich Kommunikationsangebote machen. Wir bitten dringlich darum, dass dieses auch in anderen Fraktionen konstruktiv aufgenommen wird und unser Antrag einen weiteren Anstoß geben kann, in dieser Grundbildungsstrategie für Deutschland endlich ernsthaft voranzukommen.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die grundsätzliche Absicht dieses Antrags der SPDFraktion ist zu 100 Prozent nachvollziehbar. Sie fordern, dass der Bundestag mehr Angebote in Leichter und Einfacher Sprache verfügbar machen soll. Dies sollte für jeden von uns in diesem Parlament innere Verpflichtung sein. Schade ist nur, dass Sie selbst nicht einmal Ihren Antrag in Leichter und Einfacher Sprache formulieren können. Würden wir andere Anträge zurate ziehen, kämen ziemliche Bandwurmsätze zutage. Sie verwenden auch hier Worte wie „BürgerVerwaltungs-Kommunikation“, „Rechtsetzungsverfahren“ und „zielgruppenspezifische Angebote oder Forschungsprogramme“. Fragen Sie einmal Otto Normalleser, ob er damit irgendetwas anfangen kann. Ich denke, Sie erkennen selbst, wie viel Ironie in Ihrem Antrag verborgen ist. Wir haben in dieser Legislaturperiode wirklich Maßnahmen ergriffen: das Programm „Lesestart“ mit einer Finanzierung von 20 Millionen Euro, bei dem in den kommenden acht Jahren 4,5 Millionen LesestartSets verteilt werden, die „Offensive Frühe Chancen“ für 4 000 Schwerpunkt-Kindertagesstätten, das Programm zur arbeitsplatzorientierten Forschung und Entwicklung für Grundbildung, das mit 20 Millionen Euro ausgestattet wurde, die weitere Aktivierung von Mitteln für Alphabetisierung und Grundbildung aus dem Europäischen Sozialfonds in Höhe von 35 Millionen Euro, die Förderung von 24 Verbundvorhaben mit über 100 Einzelmaßnahmen mit einer Gesamtfördersumme von über 30 Millionen Euro, die Öffnung der Bildungsprämie für Maßnahmen der Alphabetisierung und Grundbildung, bei der seit deren Verdreifachung von 150 auf 500 Euro statt 7 000 Prämien im Jahr 2009 inzwischen 180 000 Prämien ausgegeben wurden, die Einrichtung der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“, die Initiative „Lesen und Schreiben - Mein Schlüssel zur Welt“, die mit den 5 Millionen Euro ausgestattet ist, die die FDP in den Haushaltsberatungen durchgesetzt hat, die Fortführung der Initiative „iChANCE“. Dies ist ein großer Maßnahmenplan der bürgerlichen Regierung für Alphabetisierung und Grundbildung. Dringende, nächste Schritte aus Sicht der Liberalen sind: ein „Alpha-Plan“ im Sinne eines Masterplans Alphabetisierung für die Bundesrepublik Deutschland; Bund, Länder, Kommunen, Verbände, Organisationen und die Wirtschaft stehen hier in einer gemeinsamen gesellschaftpolitischen Verantwortung, um die hohe Zahl von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten zu reduzieren, die bestehende Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“ zwischen Bund und Ländern um eine „Alpha-Initiative“ für die Bundesrepublik Deutschland zu erweitern und so konkrete Schritte in den gemeinsamen Verabredungen zu verankern, wie funktionaler Analphabetismus frühzeitig erkannt und von der Kindertagesstätte an begegnet werden kann, die Einrichtung eines „Alpha-Büros“ als Koordinierungsstelle für alle Maßnahmen, die in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, vorzugsweise angesiedelt bei der KMK, das Thema Analphabetismus in Deutschland endlich ins Zentrum der bildungspolitischen Debatte zu stellen; die KMK muss sich dieser Aufgabe annehmen und alle Maßnahmen der Bundesländer darstellen, kritisch überprüfen und neu ausrichten, im Rahmen der „Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der Lehrerausbildung“ ein besonderes Augenmerk auf die Qualifizierung von Lehrerinnen Zu Protokoll gegebene Reden und Lehrern zum frühzeitigen Erkennen von Symptomen des Analphabetismus zu legen, im Rahmen der lokalen Bildungsbündnisse der Frage der Alphabetisierung einen wichtigen Stellenwert zukommen zu lassen; nur in der Vernetzung vor Ort zwischen allen schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen können Maßnahmen frühzeitig greifen, eine Kampagne zur Gewinnung von „Alpha-Paten“, die sich ehrenamtlich für Alphabetisierung engagieren möchten und die in enger Kooperation mit den regionalen Wirtschaftsorganisationen stattfinden muss, die Einrichtung einer „Alpha-Stiftung“ für die Bundesrepublik Deutschland, um hier alle Beteiligten zu einem gemeinsamen Engagement zu motivieren und verstärkt innovative Maßnahmen zur Enttabuisierung und zur Förderung auf den Weg zu bringen, eine LänderFolgestudie zur leo.-Level-One Studie, die genau aufschlüsselt, wie die jeweilige Situation in den Bundesländern ist, um so auch deutlich zu machen, welcher unterschiedliche Handlungsbedarf in welchen Ländern notwendig ist, in diesem Zusammenhang eine umfassende Aufklärungskampagne gerade auch für die sogenannten „Mitwisser“ zu starten; jeder muss sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, hilfreich zur Seite zu stehen, statt einfach wegzuschauen, dem funktionalen Analphabetismus im Rahmen des Nationalen Bildungsberichts einen eigenen Schwerpunkt zu geben, die Weitung der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ durch Verbände der Wirtschaft und Gewerkschaften, um so umfassende Grundlagen für arbeitsplatzorientierte Maßnahmen legen zu können, in der Frage der Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland auch im politischen Bereich die Konsequenz zu tragen; deshalb fordern wir einen „Alpha-Beauftragten“ der Bundesregierung und in gleicher Weise Landesbeauftragte der Landesregierungen, die Öffentlichkeit durch die Medien kontinuierlich über das Themenfeld Alphabetisierung zu informieren, um so zur Entstigmatisierung beizutragen und zugleich die Betroffenen und ihre Vertrauenspersonen auf bestehende Hilfsangebote aufmerksam zu machen; Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener erfordern ein möglichst flächendeckendes und nachfragegerechtes Angebot an Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen in Weiterbildungseinrichtungen, im Bereich der Prävention von funktionalem Analphabetismus sicherzustellen, dass es frühzeitige Sprachstandsdiagnosen und Förderangebote schon in den Kindertagesstätten gibt, eine enge Verzahnung der Arbeit der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ und der „Allianz für Bildung“, damit keine Maßnahmen parallel stattfinden. Hier können gerne alle gemeinsam wirken. Die internationale Parlamentskonferenz am Montag bietet einen wichtigen weiteren Schritt. Eines der größten Hemmnisse beim Kampf gegen den Analphabetismus ist die Angst der Betroffenen, mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit zu gehen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Daher muss die Gesellschaft noch mehr für dieses Thema sensibilisiert werden. Nur wenn alle hier an einem Strang ziehen, kann diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe bewältigt werden. Die bürgerliche Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass wir ein gesellschaftspolitisches Klima schaffen, in dem Analphabetismus enttabuisiert und alle gesellschaftlichen Institutionen dafür sensibilisiert werden.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es betrifft 7,5 Millionen Menschen in Deutschland oder jeden Siebenten im Alter zwischen 15 und 65 Jahren: So viele Menschen, die in Deutschland leben, können nicht oder nicht gut lesen und schreiben. Es gibt für sie zu wenig Hilfen. Es wäre sicher eine große Erleichterung, wenn Texte in Zeitungen, im Bundestag, in den Landtagen, in Ämtern und Behörden oder auch vor Gericht in einfacher Sprache veröffentlicht würden. Das erleichtert ganz sicher vielen Menschen, sich zurechtzufinden. Das ist wichtig für Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können. Das ist auch wichtig für Menschen, die eine andere Muttersprache gelernt haben. Und selbst für Touristen aus dem Ausland ist es nicht schlecht. Einfach zu sprechen und zu schreiben, ist durchaus anspruchsvoll; denn manche und mancher von uns wird beim Lesen von Vorlagen und Gesetzen auch schon gefragt haben: Kann man das nicht auch einfacher sagen? - Texte in einfacher Sprache werden also durchaus von jedem Menschen besser verstanden. Insofern sollte man nicht den Eindruck erwecken, die einfache Sprache sei nur etwas für jene, die nicht so klug sind. Sich in einfacher Sprache auszudrücken, strengt ungeheuer an. Also: Einfache Sprache in die Ämter und Behörden! Projekte entwickeln, in denen Lesen und Schreiben gelernt wird. Barrierefreiheit auch in der Sprache! So lauten im Wesentlichen die Forderungen der SPD. Ist damit also alles gut? Keinesfalls. Ich bin auch nach mehrmaligem Lesen etwas ratlos, warum der Antrag jetzt, gerade zu diesem Zeitpunkt, gestellt wurde. Hier wird der Eindruck erweckt, wenn man alles in einfacher oder leichter Sprache schreiben würde, dann wäre den vielen, die nicht gut lesen und schreiben können, genug geholfen. Im Forderungsteil des Antrags findet man auch Forderungen nach einer besseren wissenschaftlichen Erforschung zu den Ursachen der schlechten Beherrschung der Schriftsprache. Doch die verschiedenen betroffenen Gruppen werden kaum berücksichtigt. Es werden auch keine unterschiedlichen Wege angestrebt, mit denen das Lesevermögen und die Fähigkeit, zu schreiben, verbessert werden können. Vielmehr entsteht der Eindruck, der Zustand der schlechten Leseund Schreibfähigkeit eines großen Teils der Bevölkerung werde einfach hingenommen. Warum das so ist, wird nicht gefragt. Die „einfache Sprache“ scheint das einzige Mittel dagegen zu sein. Zu Protokoll gegebene Reden Das aber wäre fatal. Manche Menschen, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können, haben eine geistige Beeinträchtigung. Für sie ist die Möglichkeit, Texte in leichter oder einfacher Sprache lesen zu können, eine große Leistung. Sie brauchen ihr Leben lang solche Hilfen, um mitreden zu können. Es gibt auch Menschen, die mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind und die nur die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Auch ihnen kann über einfache Sprache gut geholfen werden. Aber sie könnten die deutsche Sprache irgendwann gut beherrschen. Doch es gibt auch Menschen, die schlecht lesen und schreiben können, weil sie in der Schule nicht genügend gefördert werden konnten. Und schließlich gibt es Menschen, die nach einem erfolgreichen Schulabschluss das Lesen und Schreiben wieder verlernt haben. In den wenigsten Fällen bedeutet die fehlende oder schlechte Beherrschung der Schriftsprache, dass man sie nicht lernen kann. Darum muss man sorgfältiger nach den Ursachen für die verschiedenen Formen von Analphabetismus suchen. Dann können auch Wege gefunden werden, mit denen die sichere Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift erreicht werden kann. Wir haben dazu schon einen Antrag vorgelegt, Bundestagsdrucksache 17/8766 „Niemanden abschreiben - Analphabetismus wirksam entgegentreten, Grundbildung für alle sichern“. Diese Wege müssen mindestens in der Schule beginnen. Dazu braucht man eine größere Aufmerksamkeit bei Lehrerinnen und Lehrern. Dazu braucht man aber auch mehr Zeit, sich besonders mit den Kindern zu befassen, die es schwerer haben, lesen und schreiben zu lernen. Es ist zu spät, wenn sich die Politik erst dann bemüht, wenn festgestellt wurde, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der nicht gut lesen und schreiben kann. Im SPD-Antrag erscheint es aber so, als ob man sich mit dem schlechten Befund der LEO-Studie über die Lese- und Schreibfähigkeit der Bevölkerung abfinden muss. Und nun sucht man nur nach Möglichkeiten der Reparatur. Das ist uns zu wenig. Wir wollen erreichen, dass alle Menschen von Anfang an einen guten Zugang zur Sprache erhalten. Sie sollen gut lesen und schreiben lernen. Denn die Fähigkeit, gut zu lesen und zu schreiben, ist wichtig für die volle gesellschaftliche Teilhabe oder für beruflichen Erfolg. Darum wollen wir nicht erst dann beginnen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern schon dort, wo Lesen und Schreiben zuerst gelernt wird: in der Schule. Und wir wollen verhindern, dass einmal Gelerntes wieder verlernt wird. Darum müssen wir mehr darüber wissen, wann, wo, wie und warum Lesen und Schreiben nicht richtig gelernt wird oder aber auch die Fähigkeit wieder verloren geht. Darauf müssen auch die Hilfen aufbauen. Und das werden unterschiedliche Hilfen sein. Das müssen Schulen wissen, aber auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Ämter und Behörden. Dann erst können unterschiedliche und für jede besondere Gruppe sinnvolle Wege gefunden werden, die geeignet sind, die Lese- und Schreibfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die „einfache Sprache“ ist nur ein Bestandteil dieser möglichen Hilfen. Uns reicht das nicht. Inzwischen ist mir auch eingefallen, warum der Antrag gerade heute und so kurzfristig gestellt wurde: Am Montag findet im Bundestag die internationale Parlamentarierkonferenz zum Abschluss der UN-Weltdekade für Alphabetisierung statt. Und da möchte die SPD halt ein wenig glänzen. Ein Schaufensterantrag ist es also. Er ist sehr durchsichtig und leider auch sehr oberflächlich. Doch das Problem bleibt uns auch nach diesem Antrag erhalten.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sprechen hier heute über einen wichtigen As- pekt gesellschaftlicher Teilhabe: Lesen und Schreiben. Die „leo. - Level-One-Studie“ hat uns allen im Jahr 2010 die Augen geöffnet: In Deutschland leben viele Erwachsene, die keinen zusammenhängenden Text le- sen können. Das bedeutet: Sie können nur ganz wenig geschriebene Information aufnehmen. Und sie können selbst auch nur ganz wenig schriftlich mitteilen. In unserem Parlamentsalltag ist das schwierig vor- zustellen. Wahrscheinlich schreiben und lesen wir alle an einem Tag so viel wie diese 7,5 Millionen Menschen in einem Monat. Die SPD erinnert uns in unserem Arbeitsalltag, der so oft voll von hochkomplexen Texten ist, dankenswer- terweise daran, dass wir alle Menschen erreichen wol- len. Dafür müssen wir etwas tun. Einfache Sprache in Wort und Schrift hilft dabei. Wir müssen uns klarma- chen: Manche Wege, die für uns alltäglich sind, sind für eine große Zahl von Menschen eine große Anstren- gung und Überwindung. Im vorliegenden Antrag sind drei Vorschläge ent- halten, wie der Deutsche Bundestag in leichter und einfacher Sprache kommunizieren sollte. Die Vor- schläge, das Internet dafür stärker zu nutzen und ei- genständige Publikationsangebote zu entwickeln, finde ich sehr gut. Für die Zeitung „Das Parlament“ gilt nach meiner Einschätzung, dass sie gerne auch eine leichter les- bare Seite enthalten sollte. Diese Seite könnte und sollte sich aber eher an junge Leserinnen und Leser richten. Denn für die Mehrheit der Gruppe, über die wir uns hier Gedanken machen, ist eine Zeitung gerade kein attraktives Medium, sondern abschreckend. Die Hürde, eine Zeitung in die Hand zu nehmen und in ihr nach Informationen zu suchen, ist nach jahrelanger Erfahrung der eigenen Schwäche für die meisten zu hoch. Zu Protokoll gegebene Reden Zu anderen Forderungen nur kurz: Die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener ist eine gute Initiative. Sie sollte auf diejenigen ausgedehnt werden, die das Al- pha-Level 4 erreichen - also Menschen, die sehr feh- lerhaft und langsam schreiben trotz gebräuchlichem Wortschatz. Mich wundert, dass die Wirtschaft im Antrag nur einmal erwähnt wird. Sie soll sich an einer Öffentlich- keitskampagne beteiligen. Das ist gut und richtig. Aber die Unternehmen sind als Arbeitgeber viel direkter ge- fragt! Es geht gerade darum, Menschen, die „aktive Lesevermeider“ sind, im wahrsten Wortsinne „anzu- sprechen“. Wer kann das besser als Kollegen, Be- triebsratsmitglieder, aufmerksame Vorgesetzte? Damit diese das tun, brauchen sie die Aufmunterung und Un- terstützung der Leitung. Also: Wirtschaft muss stärker mit ins Boot. Sie muss informieren und aktivieren, un- terstützen und motivieren. Der Fachkräftemangel muss auf allen Ebenen angegangen werden! Dies kann nicht alleine Aufgabe der Jobcenter und Agenturen sein. Denn glücklicherweise sind nicht alle Menschen, die einfache Sprache benötigen oder be- vorzugen, arbeitslos. Auch wenn die Menschen, die nur wenig lesen und schreiben können, das Lernen nachholen wollen, brau- chen sie die Unterstützung der Arbeitgeber: Vielleicht über eine flexiblere Schichteinteilung, einen Bildungs- urlaub oder die Gelegenheit zum Erfahrungsaus- tausch. Die Volkshochschulen können noch so gute Ange- bote machen. Sie erreichen ihre Zielgruppe, indem sie zum Beispiel Plakate aufhängen und Werbung im Ra- dio machen. Aber es fällt ihnen nicht leicht, Menschen für ein Alphabetisierungsangebot auf klassischen We- gen wirklich anzusprechen. Deswegen sind alle zum Ansprechen aufgefordert: staatliche Stellen von der Kommune bis zum Bundes- tag, gesellschaftliche Gruppen vom Turnverein bis zur Nachbarschaftsinitiative, die Wirtschaft vom Ausbil- dungsbetrieb bis zur Kammer. Der Hinweis der Antragsteller, dass wir im Oktober 2013 einen neuen Bildungsschock erleiden, ist hoffent- lich überflüssig. Wie auch immer die PIAAC-Ergeb- nisse über die Alltagsfertigkeiten Erwachsener ganz genau ausfallen werden: Wir müssen handeln und uns um einfache Sprache stärker kümmern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12724 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung aufgeführt finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das beschlossen. Tagesordnungspunkte 22 a und b: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung - Drucksache 17/13079 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({0}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden - Drucksache 17/12069 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Die Reden sind zu Protokoll genommen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13079 und 17/12069 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das beschlossen. Tagesordnungspunkt 23: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen - UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen - Drucksachen 17/9190, 17/12915 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel Die Reden sind zu Protokoll genommen.

Eberhard Gienger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Jahr 2006 hat die UNO-Generalversammlung das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung verabschiedet. Zwei Jahre später ist es in Kraft getreten. Es ist ein von 128 Staaten abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag, der Menschenrechte für die Lebenssituation behinderter 1) Anlage 17 Menschen konkretisiert, um ihnen die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Natürlich haben Deutschland und die Europäische Union diesem wichtigen Übereinkommen zugestimmt. Darin finden sich neben grundlegenden Teilen der allgemeinen Menschenrechte, wie zum Beispiel dem Recht auf Leben oder dem Recht auf Freizügigkeit, viele spezielle Bestimmungen, die auf die Lebenssituation behinderter Menschen eingehen. Dazu gehören im Art. 30 auch einige Bestimmungen, die den Bereich des Sports betreffen. Alle 27 EU-Mitgliedstaaten haben die Konvention unterzeichnet, und für die EU ist das Übereinkommen am 22. Januar 2011 in Kraft getreten. In Deutschland ist dies bereits knapp zwei Jahre früher, am 26. März 2009, geschehen. Das verdeutlicht, wie wichtig der Politik in Deutschland die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist. Die Konvention stellt die Pflichten der Staaten heraus, die für Menschen mit Behinderung bestehenden Menschenrechte zu gewährleisten. Aufgabe aller Menschenrechtskonventionen ist die Stärkung der Menschen, indem Ansprüche auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe geltend gemacht werden und ihre Durchsetzung ermöglicht wird. Die Grundsätze der Konvention enthält Art. 3. Darin ist unter anderem festgelegt, dass die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit gewährleistet sein muss. Die Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderung wird ebenso gewährt, wie die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft, die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderung und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt. Die Behindertenrechtskonvention verfolgt das Leitbild der sogenannten Inklusion. Dabei darf es nicht mehr darum gehen, Ausgegrenzte zu integrieren, sondern allen Menschen von vornherein die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf allen Ebenen und in vollem Umfang zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass alle gesellschaftlichen Bereiche für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zugeschnitten sein müssen oder geöffnet werden müssen. Schlussendlich ist es nicht die Aufgabe des Menschen mit Behinderung, sich anzupassen, um seine Rechte wahrzunehmen. Wir müssen uns ihnen anpassen. Dazu gehört auch die Sicherstellung behindertengerechter Infrastruktur, denn das ist ein Grundgedanke der Behindertenrechtskonvention. Neben diesen allgemein gehaltenen Richtlinien enthält der Art. 30 der Konvention Aspekte, die insbesondere im Bereich des Sports zur Geltung kommen. Da diese für uns folglich von besonderer Bedeutung sind, möchte ich einige von Ihnen hier aufgreifen. So heißt es zum Beispiel, dass gleichberechtigte Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit Menschen mit Behinderung ohne Nachteile ihrem Sport nachkommen können. Explizit wird darin darauf hingewiesen, dass auf allen Ebenen die Möglichkeit der Beteiligung von Menschen mit Behinderung an Breitensportangeboten hergestellt werden sollte. Es soll sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderung sich im Sport organisieren können und ihnen angemessene Trainings- und Trainerangebote zur Verfügung gestellt werden. Zudem heißt es in dem Artikel auch, dass insbesondere behinderte Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten sollen, gleichberechtigt an allen sportlichen Aktivitäten im Schulsystem teilzunehmen. Die Erfüllung all dieser Voraussetzungen ist für die Inklusion von Menschen mit Behinderung unerlässlich. Daraus ergibt sich der Auftrag an uns alle, diese auch umzusetzen. Daran arbeitet diese Bundesregierung, und ich möchte einige Maßnahmen aufzeigen, die das verdeutlichen. Das Leistungssportprogramm der Bundesregierung sieht bereits seit dem Jahr 2005 eine Gleichbehandlung des Spitzensports von Sportlern mit und ohne Behinderung vor. Der Leistungssport von Menschen mit Behinderung wird durch das Bundesministerium des Inneren grundsätzlich nach den gleichen Kriterien gefördert wie der Spitzensport der Nichtbehinderten. Das gilt zum Beispiel für die Finanzierung von Trainingslehrgängen, der Teilnahme an nationalen und internationalen Wettbewerben und der Übernahme von Personalkosten der Geschäftsstellen der Behindertensportverbände. Diese Gleichbehandlung spiegelt sich auch in der Höhe der Haushaltsmittel wider: Der Deutsche Behindertensportverband, der Deutsche Gehörlosen-Sportverband und Special Olympics Deutschland werden mit insgesamt circa 5 Millionen Euro jährlich unterstützt. Dazu gehört auch, dass die „Duale Karriere“ von Leistungssport und beruflicher Entwicklung behinderter Sportler durch den neu geschaffenen, ressortübergreifenden Stellenpool bei Bundesbehörden maßgeblich vorangebracht wurde. Dort wurde die Möglichkeit geschaffen, neben einer beruflichen Tätigkeit auch Leistungssport ausüben zu können. Diese Angebote für Sportler mit Behinderung wurden in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut, und das wird auch in Zukunft so weitergehen. Obwohl es im Grunde genommen eine reine Aufgabe der Bundesländer ist, stellt der Bund darüber hinaus auch finanzielle Mittel zur Förderung der Teilnahme von Menschen mit Behinderung im Breitensport zur Verfügung, darunter solche zur Förderung des Deutschen Behindertensportverbands, der Maßnahmen im Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport organisiert. Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass viele Sportangebote für Menschen mit Behinderung ohne Zu Protokoll gegebene Reden die Arbeit von Ehrenamtlichen nicht denkbar wären. Dieses freiwillige Engagement gibt es jedoch nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern selbstverständlich auch von Menschen mit Behinderung. Dieser Gedanke wird durch die Nationale Engagementstrategie aufgegriffen. Menschen mit Behinderung sind darüber hinaus explizite Zielgruppe des ebenfalls in der Strategie genannten Programms „Freiwilligendienste aller Generationen“. Das eigene Freiwilligenengagement von Menschen mit Behinderung stärkt die Menschen in ihren Fähigkeiten, fördert oder aktiviert ihre Kompetenzen. Das Engagement führt zur gesellschaftlichen Teilhabe in Richtung einer inklusiven Gesellschaft und wird daher selbstverständlich von der Bundesregierung besonders begrüßt und gefördert. Darüber hinaus haben junge Menschen mit Behinderung auch die Möglichkeit, einen Jugendfreiwilligendienst zu absolvieren. Der Bundesfreiwilligendienst steht Menschen jeder Altersgruppe mit und ohne Behinderung ebenfalls offen. Für die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke habe ich die umfassenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Umsetzung der in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen vorgesehenen Regelungen zur vollständigen Inklusion aufgeführt, da ihnen diese offensichtlich nicht bekannt sind. Anders ist deren Antrag nicht zu erklären. Die umfassenden Maßnahmen der Bundesregierung bezüglich der Förderung des Behindertensports werden in dem vorliegenden Antrag außer Acht gelassen. Zudem werden die unterschiedlichen Kompetenzbereiche von Bund und Ländern im Bereich des Behindertensports und damit die zuwendungsrechtlichen Bestimmungen nicht berücksichtigt. Es gibt in Deutschland eine klare Trennung zwischen Aufgaben des Bundes und der Länder, welche hier übersehen wird. Da es aus dem Antrag nicht ersichtlich wird, möchte ich es gerne nochmal sagen: Insgesamt ist mit Blick auf die vollständige Umsetzung der Konvention zu beachten, dass der Bund für den Spitzensport und die Bundesländer für den Breitensport von Menschen mit Behinderung zuständig sind. Dennoch hat diese Bundesregierung, zusammen mit den Bundesländern sowie dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, sukzessiv die durch den Bund geförderten Sportanlagen hinsichtlich der Herstellung der Barrierefreiheit modernisiert. Auch die personelle Ausstattung für den Behindertenleistungssport wurde seit 2008 stetig aufgebaut Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für Gesundheit haben sich in der Vergangenheit für Sportangebote der Krankenkassen, Rentenversicherungsträgern und Unfallkassen stark gemacht. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass der Bund - obwohl nicht für den Breitensport von Menschen mit Behinderung und den Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport zuständig - den neu etablierten Jugendsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ unterstützt und so ein wichtiges Zeichen für den Sport von Jugendlichen mit Behinderung setzt. Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich die Antragsteller nur noch auf zwei Dinge hinweisen. Zum einen wird in den Punkten drei und vier des Antrags gefordert, dass die Bundesregierung Berichte über den Fortgang der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegen soll, was wiederrum verdeutlicht, dass sie die Konvention selbst nicht ausreichend gelesen haben. Darin heißt es nämlich, dass jeder Vertragsstaat innerhalb von zwei Jahren und danach mindestens alle vier Jahre einen Bericht über die Erfüllung der Konvention vorzulegen hat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist dem bereits nachgegangen und hat den ersten Staatenbericht vorgelegt. Zum anderen hat die Bundesregierung am 15. Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen. Aus diesem geht hervor, wie sich die Bundesregierung die Umsetzung der in der Konvention vorgesehenen Maßnahmen vorstellt. Folglich wird es nicht überraschen, dass wir dem Antrag nicht folgen werden und ihn ablehnen. Neben den von mir angeführten Maßnahmen der Bundesregierung, die bereits eine zügige Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention vorsehen, und den ebenfalls aufgeführten, aber völlig außer Acht gelassenen Kompetenzverteilungen zwischen Bund und Ländern ist es am Ende mit dem Antrag so, wie mit fast allen Anträgen der Linken: ein konkreter Vorschlag bezüglich einer Gegenfinanzierung wurde nicht unterbreitet. Da stellt sich mir die Frage, wie ernst die Fraktion Die Linke es mit der vollständigen Inklusion von Menschen mit Behinderung wirklich meint.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie fordern in Ihrem Entwurf, Spitzen- wie auch Breitensport besser zu unterstützen und damit die UNBehindertenrechtskonvention, die in Deutschland seit dem 26. März 2009 gilt, umzusetzen. Sie stellen in Ihrem Antrag fest: „Bund, Länder und Kommunen sind verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an Sportaktivitäten zu ermöglichen“. Herzlichen Glückwunsch, dass Ihnen diese Idee jetzt kommt. Wir von der Regierungskoalition verfolgen diesen Ansatz schon seit einigen Jahren. Mit dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der am 15. Juni 2011 von der Bundesregierung beschlossen wurde, legen wir mit einem Zeitfenster von zehn Jahren die schrittweise Inklusion fest. Somit ist Ihr Antrag überholt und missachtet jegliche Forderungen des Behindertensports im Allgemeinen wie auch im Speziellen. Zu Protokoll gegebene Reden Ich möchte hier ein paar Beispiele nennen. Das umfassende Förderprogramm zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Rede sprengen. Schon seit dem Jahr 2005 fördern wir ambitionierte Sportler mit Behinderung mit dem Leistungssportprogramm des Bundesministeriums des Innern. Der Leistungssport für Menschen mit Behinderungen wird dadurch genauso gefördert wie der Spitzensport der Menschen ohne Behinderungen. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, MdB, betonte in der öffentlichen Anhörung zum Stand der Maßnahmen zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention an Sportstätten, dass die bereits durchgeführten wie auch geplanten Aktionen zur Barrierefreiheit sich sehen lassen können. Die Sportverbände für Sportler mit und ohne Behinderungen haben bereits gute Ansätze gefunden. Darunter sind unter anderem der Deutsche Behindertensportverband, DBS, der Deutsche Gehörlosen-Sportverband ({0}), Special Olympics Deutschland, SOD, und der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB. Ich erinnere nochmals daran, dass der Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention auf einen zeitlichen Rahmen von zehn Jahren angesetzt ist. Bis 2021 sollen also Menschen mit Behinderung inklusiv in unsere Gesellschaft eingebunden sein. Dies bedeutet, dass die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf allen Ebenen - auch der sportlichen Ausbildung - in vollem Umfang ermöglicht werden muss und auf die gleichen sportiven Angebote wie Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung zurückgegriffen werden kann. Ich möchte Sie gerne fragen, meine Damen und Herren von den Linken: Haben Sie die letzten olympischen und paralympischen Sommerspiele gesehen? Letztes Jahr, im August 2012, fanden in London die 14. paralympischen Sommerspiele statt. Mehr als 4 200 Sportlerinnen und Sportler nahmen daran teil, darunter auch 166 Sportler für die Bundesrepublik Deutschland. Auf den Rängen wurden sie zu Spitzenzeiten von bis zu 80 000 Zuschauern bejubelt. Die öffentlich-rechtlichen Sender wechselten sich mit der Übertragung ab. Die Athleten konnten sich in fast allen 20 Sportarten qualifizieren und das Ergebnis von Peking in der Gesamtwertung übertreffen. Mit 18 Goldmedaillen hat sich die deutsche Mannschaft einen Platz unter den ersten zehn Ländern gesichert. Das mediale Interesse sowie die Begeisterung, die den paralympischen Athleten entgegengebracht wird und wurde, zeigt, wie sehr sich das Bild im Sport gewandelt hat. Behindertensport ist genauso spannend und genauso professionell. Wir ruhen uns aber nicht auf diesen Erfolgen aus: Dass Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben können, haben wir von der christlich-liberalen Koalition bereits im Koalitionsvertrag verankert und auch umgesetzt. So fördern wir wie keine andere Partei das Ehrenamt. Noch nie wurde bürgerschaftliches Engagement finanziell so stark unterstützt wie heute. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes haben wir die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert und Engagierte und Vereine von bürokratischem Aufwand entlastet. Wir motivieren zur Beteiligung an einer inklusiven Gesellschaft und bauen Barrieren ab. Kommen wir nun zu einer weiteren Krux in Ihrem Antrag: Sie verwechseln die Hoheiten von Bund und Ländern. Was der Bund bereits zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Leistungssport tut, habe ich eben schon angerissen. Wir können uns einig sein, dass der Spitzensport „spitze“ aufgestellt ist. Für die Förderung des Breitensports sind die Länder zuständig. Trotzdem unterstützt die Bundesregierung Talentfindung und Sichtung möglicher künftiger Sporttalente mit Behinderung. Das Bundesministerium des Innern zum Beispiel bezuschusst jährlich den neu etablierten Jugendsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“. Bei der Wahl der Ausübung einer bestimmten Sportart muss zwar das „selbstbestimmte Wahlrecht“, wie Sie es formulieren, berücksichtigt werden; allerdings müssen auch örtliche Bedingungen sowie soziale Faktoren berücksichtigt werden. Dennoch: Für den Schul- und Hochschulsport sind die Länder zuständig, konkret die Bildungs- bzw. Wissenschaftsministerien. Für die Koordinierung länderübergreifender Angelegenheiten bzw. von Angelegenheiten, die eine Mehrzahl von Ländern im Bereich des Schul- und Hochschulsports betreffen, ist die Kommission „Sport“ der Kultusministerkonferenz zuständig. Da können wir uns nicht einmischen; das müssen die Länder selber regeln. Es gibt bereits Schulen, die sich mit dem Thema Inklusion intensiv beschäftigt haben und „Rollstuhlbasketball“ anbieten, an dem sowohl Gehbehinderte als auch die anderen Schüler teilnehmen können. Auch gibt es viele Förderschulen, die sich in privater Trägerschaft befinden, wie zum Beispiel christliche Kirchen, Sozialverbände oder Stiftungen. Die haben die nötigen Mittel und fachlich ausgebildetes Personal, das solchen Anforderungen gewachsen ist. Denn inklusive Sportangebote bedeuten exklusive Förderung. Hier sind spezielle Ausbildungen und zusätzliche benötigte Sachmittel erforderlich, welche nicht jede Regelschule stemmen kann. Schon gar nicht, wenn die Regelschulen keine angemessene Förderung durch die Länder erfahren. Auch muss man sich fragen, ob Nachfragen in dem Maße vorhanden sind, solche Angebote in allen Schulen zu etablieren. Ich habe es bereits in meiner letzten Rede zu Ihrem Antrag gesagt: Durch die Begegnung der Menschen mit Behinderung untereinander und mit NichtbehinZu Protokoll gegebene Reden derten leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zu der von uns angestrebten Inklusion. Zudem geben Leistungssportler anderen Menschen mit Behinderungen Mut, ihren Lebensweg auch aktiv zu gestalten und an der Öffentlichkeit teilzuhaben. Wir haben bereits viele Initiativen gestartet, um Hindernisse auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft abzubauen. Auf Länderebene machen wir dabei kleinere Fortschritte als auf Bundesebene, aber wir müssen den gesäten Pflänzchen auch Zeit geben, zu wachsen und zu gedeihen. Dazu haben wir noch ganze acht Jahre Zeit. Denn, wie ich am Anfang meiner Rede schon sagte: Wir haben bis 2021 Zeit, um den Aktionsplan zur Inklusion umzusetzen. Wir werden uns jetzt nicht zurücklehnen und ausruhen; im Gegenteil. Die Erfolge der Paralympics und die Begeisterung und Teilhabe der Bürger bestätigen uns, dass der Weg in eine inklusive Gesellschaft zu schaffen ist und dass wir mit unserer Politik darauf auch eine gute Aussicht haben.

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hürden zu überwinden, das ist Teil des Lebens. Nur dadurch, dass man sich Herausforderungen stellt, reift man als Person und als Mensch. Schon Winston Churchill wusste, dass die Kunst des Lebens darin besteht, einmal öfter aufzustehen, als man umgeworfen wird. Schöne Worte, oder? Wohliges Gefühl in der Magengegend, klasse Zitat für die Facebook-Seite. Ich kann mir leisten, eine derart idealisierte Weltsicht hier kundzutun. Denn ich lebe in einer Welt, die für meine körperlichen Voraussetzungen geschaffen wurde. Ich lebe in einer Gesellschaft, in der ich, gemessen an physischen Fähigkeiten, dem Normalmaß entspreche. Jetzt gibt es aber Menschen, die dieses Glück nicht haben. Menschen, die eine körperliche Behinderung haben. Diese Menschen sind nicht zwangsläufig unglücklich. Sie sind keine Mitleidsfälle. Aber sie merken Tag für Tag, dass sie nicht dem entsprechen, was Architekten, Stadtplaner und Ingenieure im Hinterkopf hatten, als sie ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Bahnhof entworfen haben. Wie viel stärker muss diese Wahrnehmung im Bereich des Sports sein? Dort, wo es per Definition darum geht, sich körperlich mit anderen zu messen. Wie viel Mut gehört dazu, offensiv mit der eigenen Behinderung umzugehen und sich und die eigene Leistungsfähigkeit im Angesicht von vorgefassten Meinungen zu präsentieren? Wie viel Unterstützung sollten wir als Gesellschaft Sportlerinnen und Sportlern zukommen lassen, die diesen Mut aufbringen? 2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die 2008 in Kraft trat und von Deutschland 2009 ratifiziert wurde. Die Bundesregierung beschloss im Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Im Sportausschuss haben wir eine Reihe von Anträgen zum Thema Behindertensport beraten, unter anderem nun über einen Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Dieser Antrag enthält viele Forderungen, die wir als SPD-Bundestagsfraktion in der Vergangenheit ebenso in Anträgen, insbesondere im Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen - Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ ({0}), in ähnlicher Weise gestellt haben. Sie fordern unter anderem etwa die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans im Bereich Sport. Das ist richtig und wichtig, denn im Sportbereich waren beide Dokumente leider recht dünn. Die Rolle des Sportes im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung entspricht in keiner Weise dessen Stellenwert in der Gesellschaft. Eine angemessene Berücksichtigung und Ansätze zur Förderung der positiven Wahrnehmung von Behindertensport in der Gesellschaft sind daher wünschenswert. Das haben wir, ebenso wie Sie, auch erkannt und in unseren Anträgen thematisiert. Zusätzlich haben wir im vergangenen Herbst eine Veranstaltung mit Vertreterinnen und Vertretern der Behindertensportverbände durchgeführt und viel Bestätigung für die Forderungen erhalten, die unseren Anträgen gemein sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie haben einen Antrag vorgelegt, der in vielem mit dem übereinstimmt, was wir von der SPD-Fraktion selbst in unseren Anträgen fordern. In vielen Ihrer Forderungen sind Sie in die richtige Richtung aufgebrochen. Leider haben Sie nicht beschrieben, wie Sie ans Ziel kommen wollen. So bleibt Ihr Antrag bedauerlicherweise im Forderungsteil unkonkret. Bei einem Teil der im Antrag gestellten Forderungen stellt sich unserer Auffassung nach außerdem die Frage nach der Zuständigkeit des Bundes, etwa bei Breitensportförderung und Sportstättenfinanzierung oder den Angeboten der Krankenkassen. Diesen Forderungen können wir uns als SPD-Fraktion daher nicht anschließen. Zudem enthält Ihr Antrag eine Reihe von Fristsetzungen, die zum Zeitpunkt der Beratung leider schon verstrichen waren und damit für uns nicht tragbar waren. Wir haben seinerzeit im Ausschuss bereits klargemacht, dass wir die Intention Ihres Antrags teilen. Daran hat sich auch nichts geändert. Allerdings hat Ihr Antrag unserer Ansicht nach Mängel, die verhindern, dass wir ihm zustimmen. Aufgrund unseres gemeinsamen Anliegens haben wir aber im Ausschuss nicht gegen Ihren Antrag gestimmt. Und wir werden es auch hier und heute nicht tun. Vielleicht ergibt sich ja in der Zukunft die Möglichkeit, einen gemeinsamen, überfraktionellen Antrag zu diesem Thema zu stellen. Ich denke - ich hoffe! -, dass sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt hat, dass Inklusion nicht bloß ein Zu Protokoll gegebene Reden neues Füllwort im Wörterbuch der Politik ist. Inklusion ist vielmehr die Idee einer Gesellschaft, die für jeden Mann und jede Frau, für jede Sportlerin und jeden Sportler bereit ist. Eine Gesellschaft, in der niemand draußen vor der Tür bleiben muss, weil es eben doch die eine Stufe zu viel gibt. Unabhängig vom vorliegenden Antrag lassen Sie uns weiter daran arbeiten, eine solche Gesellschaft zu verwirklichen. Lassen Sie uns zurück zu Winston Churchill kommen. Folgen wir seinem Rat: Probleme löst man nicht, indem man sie auf Eis legt.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Antrag der Fraktion Die Linke „Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen“, den wir heute debattieren, enthält viele Forderungen, die wir teilen und unterstützen, bleibt aber insgesamt zu allgemein. Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit zu dem Thema schon deutlich weiter reichende und detailliertere Anträge eingebracht. Deswegen wird sich die SPD-Fraktion enthalten. Die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich des Sports ist notwendig. Für uns greift der Antrag aber zu kurz, da es in der Sache um mehr geht. Ein bundesweites Sportstättensanierungsprogramm aufzulegen, bei dem neben sozialen, ökologischen sowie geschlechtsbezogenen Kriterien insbesondere Erfordernisse der Barrierefreiheit berücksichtigt werden, ist richtig. Wir haben aber immer wieder deutlich gemacht, dass es nicht ausreicht, die Situation von Menschen mit Behinderungen nur punktuell zu verbessern, sondern dass es eine umfassende, gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, eine wirklich inklusive Gesellschaft zu erreichen. Legt man aber das soziale Modell von Behinderung zugrunde, nämlich dass die Behinderung erst durch die Wechselwirkung von körperlichen Einschränkungen mit gesellschaftlichen Barrieren entsteht, zeigt sich, dass es nicht ausreicht, Sportstätten nur mit Rampen für Rollstuhlfahrer auszustatten - wir brauchen eine viel umfassendere Lösung. Nehmen wir als Beispiel die bald stattfindende Basketballeuropameisterschaft in Deutschland. Eine barrierefreie EM bedeutet nicht nur, dass das Spielfeld für Rollstuhlfahrer geeignet ist und ein unkomplizierter Zugang zu den Spielstätten gegeben ist. Barrierefreiheit beginnt viel früher. Schon die Anfahrt zur Spielstätte muss auch mit dem öffentlichen Personennahverkehr problemlos für alle möglich sein. Dies betrifft die Fahrzeuge an sich, aber auch den Zugang dazu. Barrierefreie Fahrpläne ermöglichen erst eine wirkliche selbstständige Mobilität. Der Zugang zu Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für eine inklusive Gesellschaft. Sind diese Hindernisse überwunden, wünscht man sich, dass auch das Programm des Sportereignisses barrierefrei zugänglich ist. Ein solches Programm in leichter Sprache gehört ebenfalls zur Aufgabe der Barrierefreiheit. Sie sehen also, dass es viel mehr bedarf, um eine inklusive Gesellschaft im Sport zu erreichen. Barrieren entstehen zuallererst im Kopf und müssen dort auch zuerst beseitigt werden. Wenn wir es schaffen, das defizitorientierte Denken in unserer Gesellschaft zu überwinden und eine wirkliche Barrierefreiheit zu erreichen, profitieren wir alle davon. Schon ein Blick auf den demografischen Wandel zeigt uns, dass Barrierefreiheit uns alle angeht und nicht nur die rund 9 Millionen direkt Betroffenen. Ihr Antrag bleibt hier viel zu sehr im Vagen. Wir wollen im Sport eine grundsätzlich bessere Vernetzung von Behinderten- und Nichtbehindertensportverbänden erreichen. Hierzu gehört auch eine angemessene Repräsentanz behinderter Menschen in den jeweiligen Führungsgremien. Lassen Sie uns den großen Wurf wagen und uns nicht mit Stückwerk begnügen. Vielleicht sind wir dann irgendwann so weit, dass wir in einer wahren inklusiven Gesellschaft auch gar keine Behindertensportverbände mehr brauchen.

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Kernforderung des Antrags der Linken, nämlich die umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung zu ermöglichen, tragen wir Liberale selbstverständlich mit. Das gilt für den Breitensport genauso wie für den Spitzensport. Gerade bei den letzten Paralympics vergangenes Jahr in London haben wir wieder gesehen, wozu Menschen mit Handicaps in der Lage sind und dass es unverzichtbar ist, für ein angemessenes Training dieser Sportler Geld bereitzustellen. Als Kommunalpolitikerin liegt mir der Breitensport besonders am Herzen. Gerade in Zeiten wie diesen, wo Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Freizeit vor dem Computer sitzen und sich kaum bewegen, ist die Bedeutung von Breitensport so wichtig wie nie zuvor. Dies gilt für behinderte Kinder und Jugendliche gleichermaßen wie für Nichtbehinderte. Den Hinweis im Antrag der Fraktion Die Linke, dass Menschen mit Behinderung aber prozentual deutlich weniger Sport treiben als Menschen ohne Handicaps, finde ich wichtig. Es stimmt, als Bundespolitiker müssen wir dies im Blick haben und eingestehen, dass es in vielen Bereichen noch Handlungsbedarf gibt. Der Antrag lässt aber weitestgehend außer Acht, dass der Bund für den Spitzensport zuständig und der Breitensport Ländersache ist. Der Antrag der Linken erweckt den Eindruck, als sei vonseiten der Bundesregierung bislang noch nichts geschehen, als sei die Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung noch absolutes Neuland. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundesregierung hat gerade im Zu Protokoll gegebene Reden Behindertensport längst vieles umgesetzt. Das wird auch deutlich, sieht man sich die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention an. Deshalb sind etliche Ihrer Forderungen schon längst überfällig. Hinzu kommen zwei weitere Punkte, die maßgeblich sind, dass wir Liberale den Antrag der Linken nicht mittragen: In dem Antrag werden alle Formen des Behindertensports quasi über einen Kamm geschoren. Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern werden, wie gesagt, so gut wie ignoriert, ebenso werden Bestimmungen für Zuwendungen förmlich übergangen. Sie kritisieren, dass viele Fitnessstudios nicht behindertenfrei sind. Das ist in der Tat bedauerlich, aber soll sich der Bund hier auch noch einmischen? Das geht zu weit. Ein zweiter Punkt, den Sie außen vor lassen: Die Frist zur vollständigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist noch lange nicht abgelaufen. Bund, Städte und Gemeinden sollten diese große Herausforderung nicht auf die lange Bank schieben. Lieber heute als morgen sollte die Konvention umgesetzt werden. Aber es besteht überhaupt kein Anlass, jetzt überstürzt zu agieren. Die Bundesregierung hat bekanntlich 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention beschlossen, umgesetzt werden muss er bis 2021. Ich möchte noch mal klar sagen, dass der Leistungssport der Menschen mit Behinderung bereits seit 2005 nach den gleichen Kriterien gefördert wird wie der Spitzensport der Nichtbehinderten. Eine Gleichbehandlung spiegelt sich auch im Haushalt wider. Wie aus dem Vorbericht des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hervorgeht, sind die bereits umgesetzten Maßnahmen einzelner Sportverbände wie auch die des Deutschen Olympischen Sportbundes ausdrücklich zu loben. Nach und nach wurden bereits zusammen mit den Bundesländern und dem Bundesverkehrsministerium etliche Sportanlagen barrierefrei umgebaut. Die Baumaßnahmen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir liegen gut im Zeitplan. Das gilt auch für die personelle Ausstattung für den Behindertenleistungssport, hier wird seit 2008 kontinuierlich aufgestockt. Zu erwähnen sind hier auch die Anstrengungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesgesundheitsamtes im Zusammenhang mit Sportangeboten der Krankenkassen, der Rentenversicherungsträger und Unfallkassen. Hier ist eine Menge passiert, und hier hat die Bundesregierung wirklich Beachtliches auf den Weg gebracht. Dies gilt auch für das Stichwort „Duale Karriere“, die Vereinbarkeit von Leistungssport und beruflicher Entwicklung behinderter Sportler und Sportlerinnen. Das wurde durch den neuen Stellenpool bei Bundesbehörden maßgeblich vorangebracht. Die Reihe guter Beispiele und Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht hat, ist lang. Die christlich-liberale Koalition hat längst bewiesen, dass Inklusion und die Teilhabe am Sport auch für Menschen mit Behinderung kein leeres Versprechen sind. Sie hat längst gehandelt. Deshalb halten wir Liberale den Antrag für nicht notwendig und werden ihm nicht zustimmen.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Behindertensport erlebte in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung. Dies wird insbesondere durch den Anstieg der Mitgliederzahlen in den Sportvereinen deutlich. Special Olympics Deutschland e. V. zählt heute etwa 40 000 Mitglieder und bietet Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung die Möglichkeit, Sport zu treiben und an Wettkämpfen teilzunehmen. Der Deutsche Gehörlosen-Sportverband e. V. zählt etwa 11 000 Mitglieder in 149 Vereinen. Mit rund 600 000 Mitgliedern in über 5 600 Vereinen gehört der Deutsche Behindertensportverband e. V., DBS, zu den größten Sportvereinigungen für Menschen mit Behinderung. Hinzu kommen Menschen mit Behinderung, die in allgemeinen Sportvereinen oder nicht organisiert regelmäßig Sport treiben. Die genannten Zahlen belegen eindrucksvoll die herausragende Bedeutung der Verbände für den Breitensport. Auch im Spitzensport können wir - davon konnte ich mich bei den Paralympischen Winterspielen 2010 in Vancouver und den Paralympics 2012 in London sowie vielen weiteren nationalen und internationalen Sportveranstaltungen in Deutschland persönlich überzeugen - großartige Erfolge von Menschen mit Behinderung verzeichnen. Diese positive Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Bereich des Behindertensports enormer Handlungsbedarf besteht. Im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung betreiben Menschen mit Behinderung prozentual weniger Sport. Dies hat Ursachen. Viele Sportstätten und auch kommerzielle Sportangebote sind nicht barrierefrei, oder die Erreichbarkeit ist für Menschen mit Behinderung nicht gegeben. Es gibt viel zu wenige - hauptamtliche - Trainerinnen und Trainer sowie Betreuerinnen und Betreuer, insbesondere für erwachsene Behindertensportlerinnen und -sportler. Bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wird in vielen Fällen pauschal eine Sportbefreiung erteilt, anstatt in Schule, Berufsschule und Hochschule geeignete Sportangebote zu entwickeln und anzubieten. Gering ist auch die Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen, Freistellungsregelungen für das - tägliche - Training, für Trainingslager und Wettkämpfe anzubieten. Zugangshindernisse beim Behindertensport gibt es auch aus finanziellen Gründen. Häufig ist Sport für Menschen mit Behinderung mit erheblichen Kosten verbunden, die zum Beispiel durch teure Ausstattung wie Prothesen, Sportrollstühle und andere spezielle Sportgeräte und Aufwendungen für Fahrdienste oder für Betreuer oder Betreuerinnen entstehen. Eine Vielzahl von Problemen ließe sich auch zum Rehabilitationssport nennen. Zu Protokoll gegebene Reden Deutlich schwieriger ist für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler auch die Vereinbarkeit mit der Ausbildung und der beruflichen Entwicklung. Bisher enthalten die Aufnahmekriterien der Fachhochschule des Bundes keine maßgeschneiderten Regelungen für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler mit Behinderung. Nicht alle Olympiastützpunkte sind barrierefrei. Auch wenn es hier Veränderungen gab: Ich finde es herabwürdigend und diskriminierend, wenn die Medaillenprämien bei Paralympischen Spielen niedriger sind als bei Olympischen Spielen. Wenn das Leistungssportprogramm der Bundesregierung die grundsätzliche Gleichbehandlung von nichtbehinderten und behinderten Sportlerinnen und Sportlern vorsieht, führt dies zu einer Verfestigung der Ungleichheit, da die Voraussetzungen im Behindertensport andere sind. Reale Gleichheit wird nur erreicht, wenn die Förderung an die tatsächlichen Bedingungen angepasst wird. Seit dem 26. März 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention, BRK, in Deutschland. Das Leitbild der BRK ist eine inklusive Gesellschaft. Durch die BRK ist der Bund - gemeinsam mit Ländern und Kommunen - verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an Sportaktivitäten zu ermöglichen ({0}). Dies betrifft den Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport, den Breiten- und Leistungssport, den Rehabilitationssport, die Teilhabe in Verbänden des Behindertensports ebenso wie die aktive - als Sportlerin und Sportler - und passive - als Zuschauerin und Zuschauer - Teilhabe an Sportangeboten außerhalb des Behindertensports sowie in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bei der Umsetzung der BRK sind die verschiedenen Verbände von Menschen mit Behinderung aktiv in alle Entscheidungsprozesse einzubinden. Am 15. Juni 2011 beschloss die Bundesregierung ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der BRK. Dieser Plan ist - hier sind wir uns mit vielen Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen einig auch hinsichtlich des Sportes unzureichend. Am 28. März 2012 brachte die Linke einen Antrag mit dem Titel „Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen - UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen“ in den Bundestag ein. Der Einbringung des Antrages ging eine umfassende Beratung mit Sportlerinnen und Sportlern und weiteren Vertretern von Behindertensportorganisationen sowie weiteren Sachverständigen voraus. Am 24. Oktober 2012 gab es im Sportausschuss zu dem Antrag der Linken eine öffentliche Anhörung. Hier wurde sehr deutlich, wie wichtig die Diskussion zur Entwicklung des Sports für Menschen mit Behinderungen und zu bestehenden Problemen ist. Zum Abschluss der Anhörung fragte ich alle Sachverständigen, ob sie - wenn sie es dürften - dem Antrag im Bundestag zustimmen würden. Bis auf den Sachverständigen Karl Weinmann vom Kultusministerium in Baden-Württemberg - er behauptete, den Antrag nicht gelesen zu haben - sagten alle Sachverständigen, dass sie dem Antrag zustimmen würden. Es blieb der einzige Antrag einer Bundestagsfraktion in dieser Wahlperiode zu diesem wichtigen Thema. Insofern ist für mich das Abstimmungsverhalten der anderen Fraktionen enttäuschend. Die CDU/ CSU-FDP-Koalition lehnt den Antrag ab, SPD und Grüne enthalten sich der Stimme. Im Interesse der Menschen mit Behinderungen, der Sportvereine, im Interesse des Schul-, Breiten- und Leistungssports hätte ich es besser gefunden, wenn die anderen Fraktionen ihre Vorschläge neben die 21 Punkte aus dem Antrag der Linken gepackt und wir im Ergebnis eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung des Ausschusses vorgelegt hätten. Um eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen, müssen im Sport noch viele Barrieren abgebaut werden. Diese gibt es sowohl im infrastrukturellen und baulichen Bereich als auch in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger - Politikerinnen und Politiker eingeschlossen.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat die Politik für Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert. Wir setzen uns für die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein; denn aus unserer Sicht steht fest, dass es sich bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um eine freiwillige politische Aufgabe handelt, sondern dass eine staatliche Verpflichtung besteht. Unsere politischen Forderungen hatten wir Grüne in Bundestagsanträgen formuliert, 17/7951 und 17/9406. Darin haben wir ein Teilhabegesetz gefordert, um Rechte abzusichern sowie eine generelle Barrierefreiheit auch für Einrichtungen des Sports. In der Sportpolitik regen wir darüber hinaus einen „Zukunftsplan Sportpolitik 2025“ an, der einen klaren Ziel- und Maßnahmenkorridor für die Sportentwicklung absteckt und zwischen Sportorganisationen und -vereinen sowie staatlichen Institutionen beschlossen werden sollte. In diesem Rahmen sollte es auch zu konkreten Vereinbarungen für einen Umbau von bestehenden Sportstätten und zu einer Gewährleistung der Barrierefreiheit beim Sportstättenneubau kommen. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer sport- und bewegungsfreundlichen Gesellschaft in Deutschland. Der Antrag der Fraktion Die Linke wäre bei vielen Forderungsteilen zustimmungswürdig. Aber: Spiegelstrich 6 fordert ein bundesweites Sportstättensanierungsprogramm. Das ist nicht zustimmungsfähig, da der Bund nicht für den kommunalen Sportstättenbau zuständig ist. Zu Protokoll gegebene Reden Bei weiteren Forderungen greift die antragstellende Fraktion ebenfalls in die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern ein, Bund = Spitzensport, Länder = Breitensport. Schulsport und Lehramtsausbildung sind Sache der Bundesländer. Dennoch hat der vorliegende Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke die wesentlichen Handlungsfelder und Defizite erfasst und größtenteils sehr gute und richtige Handlungsschritte benannt. Es ist unser aller Aufgabe den Art. 30 ({0}) der UNBehindertenrechtskonvention umzusetzen, der die Teilhabe am kulturellen Leben sowie Erholung, Freizeit und Sport betrachtet und auf den wichtigen Beitrag des Sports für eine erfolgreiche Inklusion hinweist. Sport ist niederschwellig und begeistert Jung und Alt in allen sozialen Lagen. Diese Chance sollten wir insbesondere nach den besonderen Erfolgen unserer deutschen Mannschaft bei den Paralympics und der großen Begeisterung in der Bevölkerung dafür nutzen, das Thema Inklusion in die Gesellschaft zu transportieren und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auch im Sport voranzutreiben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12915, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9190 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. SPD und Grüne haben sich enthalten. Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz - Drucksache 17/13021 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Die Reden wurden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13021 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das beschlossen. Tagesordnungspunkt 29: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rücknahmepflicht der Händler für AltEnergiesparlampen durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner, Oliver Krischer, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern - Drucksachen 17/9058, 17/8899, 17/10866 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Horst Meierhofer Dorothea Steiner Die Reden wurden zu Protokoll genommen.

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Debatte um die Frage der Entsorgung von Elek- tro- oder Elektronikschrott kennzeichnet sich in vielen Fällen durch eine mangelnde Nachhaltigkeit. Stattdes- sen gibt es dann hektische Aktivität, die durchaus ihre eigene Risiken beinhaltet. Nicht jeder Vorschlag einer weiteren gesetzlichen Regelung ist der ökologisch oder ökonomisch richtige. Gerade beim Elektroschrott sind diese politischen Kurzschlüsse häufiger zu beobach- ten; fast möchte man ironisch vermuten, es liegt am Gegenstand der Debatte. Jedenfalls ist der Reflex, die angestrebte Minimie- rung der Gesundheitsrisiken aus Energiesparlampen und deren fachgerechte Entsorgung über eine gesetzli- che Regelung über den Einzelhandel zu steuern, viel- mehr eine Verlagerung des Gesundheitsrisikos und mitnichten eine risikofreie Lösung. Schon in der ersten Lesung haben wir als CDU/CSU-Fraktion nicht nur auf die Probleme für den Einzelhandel hingewiesen. Wir warnen nochmals deutlich vor den Folgen für den Mittelstand, die durch den SPD-Vorschlag hier in der konkreten Umsetzung drohen: Die SPD will jeden Händler zwingen, die in der Entsorgung riskanten Energiesparlampen zu lagern, egal ob der Händler da- für Räume hat oder nicht. Die großen Konzerne kön- nen dies viel leichter. Jenseits der ökologischen und gesundheitlichen Risiken würde der von Rot und Grün gemachte Vorschlag auch noch ökonomische Risiken auslösen. Dabei sind die Energiesparlampen als be- sonders fragiles und mit Quecksilber versetztes Pro- dukt zwingend in einer fachlich einwandfreien Kette der Entsorgung zu halten. Wir können als Deutscher Bundestag das freiwillige Rücknahmesystem der Her- steller kritisieren. Lightcycle ist noch immer nicht op- timal ausgerichtet. Hier sind die Hersteller weiter in der Pflicht.1) Anlage 18 Wir appellieren als CDU/CSU-Fraktion an die Bundesregierung, hier von der Industrie deren ökologische Gesamtverantwortung einzufordern. Wir bekennen uns klar zum Verursacherprinzip. Wenn wir dieses Verursacherprinzip stärken, dann darf die SPD nicht in erster Linie den Mittelstand im Elektrohandel dafür abstrafen, dass die Industrie ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Die Beschäftigten im Einzelhandel wären mit den großen Mengen an Energiesparlampen und dem nie völlig zu vermeidenden Glasbruch dann Giften wie Quecksilber ausgesetzt. Eine wundersame Entwicklung, dass die SPD diese Beschäftigten einem solchen Risiko aussetzen will! Der richtige Weg bleibt die fachlich korrekte Entsorgung dieser speziell risikobehafteten Leuchtmittel über spezielle, fachlich qualifizierte Entsorgungswege. Es wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung, wenn die Industrie und die privaten wie kommunalen Entsorger eine zeitnahe Optimierung der Entsorgungswege anstreben. So lassen sich der falsche Weg in den Hausmüll und die riskante Lagerung im Einzelhandel vermeiden. Gleiches gilt für die Frage der Wiedergewinnung des Quecksilbers und anderer Rohstoffe aus den verbrauchten Energiesparlampen. Es gilt nicht zuletzt, die Energiesparlampen als Leuchtmittel nicht zu glorifizieren. Wer die letzten Tests zu Langlebigkeit und Gesundheitsrisiken und die Diskrepanz zwischen Versprechen der Hersteller und tatsächlichen Werten der Energiesparlampen kennt, der darf seine gesunde Skepsis gegenüber dieser mit Quecksilber versetzten Lichtquelle durchaus behalten. Insgesamt werden wir uns ohnehin auch mit der Frage der Entsorgung von Energiesparlampen und anderem Elektro- und Elektronikschrott bei der laufenden Umsetzung der novellierten WEEE-Richtlinie in nationales Recht bis zum Jahre 2014 zu befassen haben. Auch von daher ist es sicher geboten, die Frage der fachgerechten Entsorgung von Energiesparlampen im richtigen Kontext zu beraten, um nachhaltige Lösungen zu finden. Der SPD-Vorschlag ist fachlich falsch, weil er einen falschen Weg über den Einzelhandel einschlägt, im Übrigen einen Umweg. Er ist ordnungspolitisch falsch, weil er wieder einmal nichts anderes als eine weitere Zwangsverpflichtung vorsieht. Und er ist ökologisch falsch, weil er nicht die ökologisch nachhaltigsten Wege sucht. Diese liegen in einer optimierten Abstimmung der Entsorgungslogistik von den privaten Haushalten hin zu den fachlich qualifizierten und zertifizierten Entsorgungsbetrieben. Insgesamt sind die Energiesparlampen ein Beispiel dafür, wie man es in Europa in Zukunft nicht mehr machen sollte: nämlich eine einzige Technologie verbieten, um eine andere mit neuen Risiken zu fördern. Es sind wenige Akteure, die der EU diesen Weg vorgeschlagen haben. Nun sind es Millionen Haushalte, die diese Entscheidung mit riskanter Beleuchtung bezahlen. Es wäre vielleicht deutlich sinnvoller gewesen, den jetzt langsam beginnenden Siegeszug der LEDLichttechnik zu beschleunigen, statt den Umweg über die Energiesparlampen zu gehen. Auch dies zeigt: Mancher in der Energiespardebatte gezogene Schluss ist ein Kurzschluss. Die CDU/CSU lehnt den SPD-Vorschlag aus ökologischen und ökonomischen Gründen ab. Für bessere Vorschläge und eine nachhaltig klima- und umweltschonende Lösung bleiben wir bei den Beratungen zur Umsetzung der WEEERichtlinie in nationales Recht sehr offen und freuen uns auch bis zum Jahre 2014 auf die Mitarbeit der Opposition. Den SPD-Antrag müssen wir heute ablehnen.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute rede ich zu unserem Antrag „Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen“ und zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern“. Zu beiden Anträgen habe ich bereits in diesem Haus gesprochen. Inhaltlich gibt es eigentlich nichts Neues zu berichten. Daher werde ich nachher nur noch einmal kurz auf beide Anträge eingehen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal allgemein auf die Entwicklungen in der Abfallpolitik und die derzeitige Regierungspolitik in diesem Bereich, welche auch exemplarisch für andere Themen steht, einzugehen. Der SPD-Antrag stammt vom 21. März letzten Jahres, wurde also vor über einem Jahr gestellt. Auch der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wurde bereits im März letzten Jahres eingebracht. Zwei Anträge, welche vorhandene Probleme aufgreifen und Lösungsmöglichkeiten - meiner Meinung nach weitestgehend gute Lösungen - vorschlagen. In der Debatte im Umweltausschuss ebenso wie in Verlautbarungen, Stellungnahmen und Äußerungen des Bundesumweltministeriums war es nicht so, dass alles, was vorgeschlagen wird, grundsätzlich abgelehnt wurde. Nein, es gab eigentlich nur zwei Gründe, weshalb die Regierungsparteien die Anträge abgelehnt haben. Der erste Grund ist politisch-ideologischer Art: Verbindliche Vorgaben, Verpflichtungen werden abgelehnt; stattdessen sollen freiwillige Vereinbarungen, freiwillige Systeme die vorhandenen Probleme lösen. Selbst dann, wenn, wie bei der Rücknahme von Energiesparlampen oder bei Rückgabe von Mobiltelefonen, die freiwilligen Systeme nicht bzw. erkennbar nur unzureichend funktionieren. Meine Partei hat nicht grundsätzlich etwas gegen freiwillige Vereinbarungen. Wenn damit die erwünschten Ziele erreicht werden - gut. Wenn aber die Ziele nicht erreicht werden, wenn freiwillige Vereinbarungen nur Scheinlösungen sind, hinter denen sich Beteiligte vor ihrer Verantwortung drücken, dann müssen verbindliche Vorgaben an deren Stelle treten. Ich habe des Öfteren den Eindruck, dass sogenannte freiwillige Zu Protokoll gegebene Reden Gestaltungsweisen vereinbart werden, wenn einzelne Gruppierungen eigentlich mit den Zielen nicht einverstanden sind. Es besteht dann immer die Möglichkeit, andere verbindliche Maßnahmen mit dem Hinweis auf die bereits bestehende und angeblich funktionierende freiwillige Vereinbarung abzulehnen. Und schlussendlich heißt es dann: Tut uns leid; leider waren die Ziele nicht erreichbar. Andererseits gibt es - siehe Frauenquote - inzwischen auch bei Union und FDP immer mehr Politiker, die erkennen, dass eine ideologisch begründete Ablehnung verbindlicher Maßnahmen nicht zweckführend ist. Der zweite Grund für die Ablehnung unserer Forderungen ist der Hinweis auf ein zukünftiges Wertstoffgesetz, eine zukünftige Novellierung des Elektroaltgerätegesetzes oder andere zukünftige gesetzgeberische Maßnahmen, wie zum Beispiel Verordnungen zum Kreislaufwirtschaftsgesetz. Unsere Forderungen und unsere Vorschläge werden nicht alle abgelehnt. Im Gegenteil, viele unserer Ziele - Erhöhung der Verwertungsquoten, mehr Ressourcenschutz, höhere Ressourceneffizienz, Abfallvermeidung, Sicherung von Rohstoffen - werden nicht nur befürwortet, sondern sogar als eigene Ziele, als eigene Forderungen immer wieder erhoben. Sei es in sogenannten Eckpunkten, sei es im Ressourcenschutzprogramm oder in öffentlichen Verlautbarungen, immer heißt es, eine Stärkung des Ressourcenschutzes, ein Mehr an stofflicher Verwertung und eine Hinwendung zur einer wirklichen Kreislaufwirtschaft seien das Ziel der Bundesregierung in der Abfallpolitik. Bereits in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP haben die jetzigen Regierungsparteien konkret die Einführung einer Wertstofftonne durch ein Wertstoffgesetz vereinbart. Mehr Ressourcenschutz, mehr Abfallvermeidung, mehr Kreislaufwirtschaft, alles Mögliche soll durch ein Wertstoffgesetz geregelt werden. Ich weiß nicht, wie oft ich nach dem Sachstand zu dem sogenannten Wertstoffgesetz gefragt habe. Immer hieß es, es wird noch in dieser Legislaturperiode kommen. Selbst Anfang dieses Jahres, als klar war, dass eine Verabschiedung in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich ist, wurde vonseiten der Bundesregierung behauptet, man wolle das Wertstoffgesetz noch vor dem Sommer beschließen. Das Wertstoffgesetz ist die Fata Morgana der schwarz-gelben Koalition in der Abfallpolitik. Immer wenn Forderungen erhoben werden, sei es von der Opposition, sei es von Umweltverbänden, sei es aus der Wirtschaft, wird auf das Wertstoffgesetz verwiesen. Wie eine Fata Morgana steht es am Horizont, schön anzusehen, aber jeder weiß, vor allem jeder aus den Regierungsparteien: Erreichen werden wir dieses Wertstoffgesetz nie. Ähnlich sieht es bei allen anderen Vorhaben des BMU in der Abfallpolitik aus, sei es die Mantelverordnung, das Ressourcenschutzprogramm, die Phosphatrückgewinnungsverordnung oder die angekündigten Verordnungen für einzelne Stoffströme. Alles Ankündigungen, schöne Worte, hehre Ziele, aber konkret passiert gar nichts. Ein schönes Beispiel dafür sind die Äußerungen des Bundesumweltministers Altmaier auf der Internationalen Konferenz zur Verhinderung von Meeresmüll in europäischen Meeren in Berlin. Öffentlich und medienwirksam versprach Herr Altmaier, sich verstärkt gegen Meeresverschmutzung einzusetzen. Nachgefragt, wurde wieder einmal deutlich, dass es nur schöne Worte ohne Taten sind. Eines wird in den letzten Monaten auch im Bereich der Abfallpolitik immer deutlicher: Stillstand. Die Bundesregierung regiert nicht, sondern kündigt nur an. Warum? Weil CDU, CSU und FDP, wie in vielen anderen Politikbereichen, sich völlig uneins sind. In der Abfallpolitik sind die Koalitionsparteien nicht in der Lage, ihren Grundkonflikt über die Zuständigkeiten zu lösen. Daraus folgt, dass sie gar nichts mehr tun. Deutschland steht in der Abfallwirtschaft in fast allen Bereichen weltweit an der Spitze. Aber diese Position muss verteidigt und ausgebaut werden, zugunsten der Umwelt, der Verbraucher und auch unserer Wirtschaft. Mit Ihrem Nichthandeln gefährden Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, alles Erreichte. Die heute hier diskutierten Anträge sind dafür ein Beispiel. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift ein Problem auf, das auch wir Sozialdemokraten seit längerer Zeit thematisiert haben. Die Sammel- und Recyclingquote für Elektroaltgeräte in Deutschland ist im europäischen Vergleich zwar Spitze. Die Umsetzung der europäischen WEEE-Richtlinie war zum damaligen Zeitpunkt angemessen und im europäischen Vergleich beispielgebend. Trotzdem ist gerade im Bereich des Elektroschrotts eine Verbesserung der Sammlung und des Recyclings vonnöten. Angesichts dieser Realitäten ist eine Verbesserung durchaus machbar. Die Sammlung muss für den Bürger einfacher werden, dann wird auch die Sammlungsquote verbessert. In dem Antrag der grünen Fraktion wird ausführlich auf die Bedeutung der zurückgewonnenen Wertstoffe hingewiesen. Ich brauche dies daher nicht zu wiederholen. Ich verweise aber darauf, dass von einer unsachgemäßen Entsorgung von Elektroaltgeräten immer noch ökologische oder gesundheitliche Gefahren ausgehen. Die höhere Anzahl von gebrauchten und defekten Energiesparlampen im Abfall, insbesondere in Altglascontainern, gefährdet nach Untersuchungen aus Skandinavien die Mitarbeiter von Recyclingunternehmen. Sie sehen: Es gibt nicht nur wirtschaftliche und rohstoffpolitische Gründe für eine Verbesserung des Elektroschrottrecyclings, auch wenn diese sehr wichtig sind und momentan in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund stehen. Zu Protokoll gegebene Reden Ich werde heute nicht mehr im Einzelnen auf die Inhalte beider Anträge eingehen. Dies habe ich ausführlich in den ersten Reden getan. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass beide Anträge viele gute und sinnvolle Vorschläge enthalten. Und ich fordere Sie, meine Damen und Herren von Union und FDP, und die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. Belassen Sie es nicht bei Ankündigungen, sondern regieren Sie! Für die Umwelt, den Ressourcenschutz und die Verbraucher.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im August 2012 ist die Neufassung der Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronikgeräte in Kraft getreten. Die Umsetzung der sogenannten WEEE-Richtlinie in nationales Recht muss bis Februar nächsten Jahres erfolgen. Die Richtlinie sieht vor, dass Einzelhändler ab einer Verkaufsfläche von 400 Quadratmetern kleinere Elektrogeräte zurücknehmen müssen. Ziel ist es, die Sammelmengen von Elektroschrott zu erhöhen und damit das Recycling zu verbessern. Mit der Novellierung wurden auch die Exportvorschriften für gebrauchte Elektrogeräte verschärft, um eine illegale Verbringung wirksamer zu unterbinden. Dafür hat sich Deutschland auch auf europäischer Ebene eingesetzt. Zwar sehe ich kein Problem darin, wenn funktionstüchtige Geräte ihren Weg auf andere Kontinente finden, es kann aber nicht sein, dass wir unsere alten schadstoffbelasteten und kaputten Geräte, unseren Müll, in anderen Ländern abladen. Eine zügige Umsetzung der WEEE-Richtlinie in nationales Recht ist daher in unserem Interesse, und ich stimme dem Antrag der Grünen in diesem Punkt voll zu. Bei einigen anderen Punkten bin ich allerdings nicht einverstanden. Um eine Entsorgung von Altgeräten über den Hausmüll zu unterbinden und den Verlust von Wertstoffen zu verringern, fordern Sie beispielsweise ein verbessertes System der haushaltsnahen sortenreinen Sammlung von Elektro- und Elektronikgeräten. Das klingt ja alles gut und schön, aber was bedeutet das konkret? Konkret bedeutet „haushaltsnahe sortenreine Sammlung“ die Einführung einer Elektroschrotttonne. Eine solche Tonne, alleine für Elektroschrott, wird sich aber nicht lohnen. Eine Gefahr ist, dass anderer Hausmüll seinen Weg in die Elektroschrotttonne findet, wenn alle anderen Tonnen im Hof voll sind. Dann ist die sortenreine Sammlung auch wieder passé. Abgesehen davon kann ich mir den Aufschrei vieler Hausbewohner vorstellen, wenn neben Biotonne, Restmülltonne, Papiertonne und gelber Tonne jetzt auch noch eine fünfte Mülltonne vor ihrem Haus steht. Auch eine stärkere Einbeziehung des Effizienzgedankens in die Gestaltung und Normierung neuer Produkte, wie von Ihnen gefordert, halte ich für wenig praktikabel: Sie behaupten, es sei notwendig, verbindliche Vorgaben für das abfallarme Design von Neugeräten festzulegen. Wenn ein Hersteller heute für ein Handy 25 Milligramm Gold und 500 Gramm Gummi verbraucht, soll er zukünftig beispielsweise nur noch 15 Milligramm Gold und 350 Gramm Gummi verbrauchen. Das ist doch heute schon im Interesse jedes Herstellers, nicht mehr teure Rohstoffe zu verbauen als unbedingt nötig. Woher wollen Sie wissen, welche Rohstoffe in welchen Geräten nötig sind? Wir finden es viel wichtiger, dass bei der Konstruktion von Handys darauf geachtet wird, dass die einzelnen Teile leicht auseinandergebaut und ersetzt werden können, zum Beispiel Akkus in Smartphones. Sie setzen den Schwerpunkt darauf, „weniger zu verbrauchen“, wir setzen den Schwerpunkt darauf, „mehr zu gebrauchen“! Mit dem Ressourceneffizienzprogramm haben wir den Energieverbrauch sowie andere geeignete Ressourcenaspekte in den Vordergrund gerückt. Unternehmen sollen so mehr Anreiz haben, ressourceneffiziente Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Auch in einem dritten Punkt muss ich Ihrem Antrag widersprechen: Sie verlangen die Prüfung eines verpflichtenden Mindestanteils an recycelten Rohstoffen. Dieser Vorschlag ist ein bürokratisches Monstrum. Für jeden Rohstoff müssten Sie am Sekundärmarkt die Rohstoffsituation überprüfen und feststellen, ob genug Sekundärrohstoffe vorhanden sind. Für einige der Stoffe, die verarbeitet werden, gibt es derzeit noch keine geeigneten Recyclingverfahren. Nicht zuletzt unterscheiden sich die Geräte darin, wie sie für den Einbau von Recyclingmaterialien geeignet sind. Das heißt, sie brauchten für jeden Gerätetyp eine eigene Quote. Ein bürokratisches Unding. Unser Ziel ist es, das System der Wiederverwendung und des Recyclings von Elektrogeräten zu optimieren. In Ihrem Antrag finden sich Ansätze, die wir als FDP mittragen können, aber in Ihren Forderungen schießen Sie über eine realitätsnahe Umsetzung hinaus. Ähnlich sehe ich den Antrag der SPD zu einer Rücknahmepflicht der Händler für Altenergiesparlampen. Die Einführung von Energiesparlampen hat gezeigt, dass nicht notwendigerweise alles, was gut gemeint ist, auch ein gutes Ergebnis bringt. Mit der steigenden Anzahl an quecksilberhaltigen Energiesparlampen hat sich auch das Problem einer umweltgerechten Entsorgung verstärkt. Die Altenergiesparlampen müssen getrennt gesammelt und entsorgt werden. In Ihrem Antrag fordern Sie, jede Verkaufsstelle zur Rücknahme von quecksilberhaltigen Altenergiesparlampen zu verpflichten. Das bedeutet, dass jeder noch so kleine Laden eine Sammelstation für Energiesparlampen einrichten muss. Da die Sammelmengen hier allerdings verhältnismäßig gering wären, ist ein regelmäßiger Abholrhythmus logistischer Quatsch. Damit würden die quecksilberhaltigen EnergiesparZu Protokoll gegebene Reden lampen über längere Zeit in den Geschäften gelagert werden müssen - eine unverantwortliche Belastung für die Gesundheit der Mitarbeiter und der Kunden, spätestens wenn mal eine Lampe zerbrechen sollte. Ich empfehle Ihnen daher, freiwillige Rücknahmesysteme etwas differenzierter zu betrachten. Das tun Sie aber nicht. Vielmehr führen Sie einen Rundumschlag gegen freiwillige Rücknahmesysteme aus und erklären beispielsweise das freiwillige Rücknahmesystem Lightcycle einfach für gescheitert. Als Begründung führen Sie an, dass sich die Mehrzahl der Baumärkte, Elektrogeschäfte und Discounter nicht am System beteiligten und die Wertstoffhöfe teilweise in einer Entfernung von zehn Kilometern liegen würden. Natürlich ist das System noch verbesserungswürdig. Fast jedes System kann optimiert werden. Sieht man sich allerdings die aktuellen Zahlen an, stellt man fest: Die sind durchaus positiv. Verbraucher können ihre Altenergiesparlampen mittlerweile bundesweit an über 9 000 aktiv beworbenen Sammelstellen kostenfrei abgeben. Mehr als 6 000 dieser Sammelstellen sind in Baumärkten, im Elektrofachhandel, in Supermärkten und Drogeriemärkten zu finden. Im kommunalen Bereich gibt es über 2 700 Sammelstellen. Weiterhin gibt es 400 Großmengensammelstellen, bei denen gewerbliche Mengen abgeliefert werden können. Was ist die Schlussfolgerung? In meinen Augen ist es sinnvoll, dieses Netz weiter auszubauen, gegebenenfalls auch mit einer verschärften Rücknahmepflicht, aber nicht für jeden Tante-Emma-Laden. Das kann erst wünschenswert sein, wenn Energiesparlampen kein Quecksilber mehr enthalten, ein Ziel, auf das wir auf europäischer und nationaler Ebene hinarbeiten müssen. In seiner jetzigen Form schießt Ihr Antrag aber über sein Ziel hinaus und ist zum Teil eher kontraproduktiv.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schutz der Umwelt und alte Geräte - wie geht das zusammen? Die Entwicklungen der Technik sind rasant. Man kauft sich einen neuen Computer, und schon nach dem Bezahlen weiß man: In Monaten oder wenigen Jahren bringt der es nicht mehr. Er ist entweder kaputt oder so veraltet, dass er für neue Anwendungen nicht mehr nutzbar ist. Beim Fernsehen redet man uns ständig neue Techniken ein. Für Musikliebhaber ging die Entwicklung von Schallplatten über Tonbänder und Kasetten zu CDs, und weiter zu Sticks oder winzigen Speicherkarten für MP3. Wer arbeitet noch mit Schmalfilmen oder Videokasetten? Selbst DVD und Blue-Ray sind schon Relikte vergangener Tage. Was bleibt, sind die jeweiligen Abspielgeräte, die man nicht mehr braucht, auch alte Handys will fast keiner mehr nutzen. Kaffeemaschinen, ersetzt vom schicken, hippen SENSEO-Automaten, trifft das gleiche Schicksal wie den alten Kühlschrank, den Staubsauger und was sonst noch an elektrischen und elektronischen Geräten unser Leben vereinfacht. Alle diese Alt-Geräte schlummern in unseren Haushalten oder werden entsorgt. Oft nicht fachgerecht, und das, obwohl sie noch nutzbar oder mit wenig Aufwand aufrüstbar wären. So gehen viele der in ihnen enthaltenen wertvollen Rohstoffe dem Wirtschaftskreislauf verloren. Der Ansatz, das Recycling der Rohstoffe aus den Elektronikgeräten zu verbessern, ist löblich, und die Vorschläge der Grünen könnten die Erfassung der Rohstoffe etwas verbessern. Deshalb stimmt die Linke diesem Antrag zu, auch wenn wir schon bei der Behandlung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes im letzten Jahr ein deutlich besseres System vorschlugen. Die Vermeidung neuer Geräte schont die Umwelt am meisten. Das widerspricht aber der wachstumsgetriebenen Marktwirtschaft. Vermeidung bedeutet weniger Verkauf. Wie sollen da Umsätze wachsen? Verhindert der Produzent Reparaturen, wie Apple mit den eingelöteten Batterien, oder verhindert Upgrades auf aktuelle Standards, so zwingt er die Kunden zum Neukauf seiner elektronischen Erzeugnisse. Der Umsatz wächst, die Marktwirtschaft blüht auf. Die verbrauchten Umweltressourcen jedoch kosten den Produzenten nichts. Also werden sie nicht eingepreist. Produzenten oder Unternehmer sind der Rendite, nicht der Natur verpflichtet. Deshalb muss man die Hersteller und Händler zu einem umweltfreundlichen Handeln verdonnern, und zwar per Gesetz. Darum schlägt die Linke folgendes System zur Elektro- und Elektronikschrotterfassung vor: Der Produzent/Hersteller zahlt eine Entsorgungsabgabe, welche von der Höhe der Kosten für Erfassung und Entsorgung abhängt. Je einfacher sich ein Produkt entsorgen lässt, sei es durch die Verwendung gut recycelbarer Materialien oder einfaches Auseinandernehmen, desto niedriger wird die Entsorgungsabgabe. Produkte müssen gut reparierbar und „aufrüstbar“ gestaltet werden. Hat ein Produkt „zwei Leben“, wird die Entsorgungsabgabe nur einmal fällig. Jedes Produkt wird mit einer Pfandabgabe verkauft. Die Rücknahme aller Elektro-/Elektronikgeräte erfolgt über kommunale Wertstoffhöfe, wo man das Pfand zurück erhält. Ein Teil der Entsorgungsabgabe finanziert das kommunale Rücknahmesystem. Die Wertstoffhöfe sind für die Weiterleitung an den besten Entsorger/Verwerter zuständig. Decken die Einnahmen der wiedergewonnenen Sekundärrohstoffe aus der Verwertung die Kosten der Entsorgung nicht, wird die Differenz aus der Entsorgungsabgabe gezahlt. Zu Protokoll gegebene Reden Damit werden langlebige Produkte relativ preiswerter, weil die Entsorgungsabgabe nur ein Mal fällig wird, und Produkte, welche einfach recycelbar sind, erreichen einen Preisvorteil durch die niedrigere Entsorgungsabgabe. Mit diesem System ließen sich gute kommunale Arbeitsplätze schaffen. Und ganz nebenbei könnte man das System Pfand-Wertstoffhof auch nutzen, um gefährliche Produkte sicher zur Entsorgung zu erfassen, wie beispielsweise Energiesparlampen, um deren Rücknahme es im Antrag der SPD geht. Der Einsatz von Energiesparlampen ist zweifelhafter Umweltschutz. Sie verwenden hochgiftiges Quecksilber. Ihre Haltbarkeit ist kürzer als versprochen. Der Farbton ihres Lichtes ist meist so unangenehm, dass oft nur indirekte Beleuchtung erträglich ist. Damit braucht man je nach Farbe der Wand/der reflektierenden Fläche mehr Lichtmenge, also mehr Leuchten als geplant. In privaten Haushalten auf Fluren, auf Treppen und in Bädern, wo das Licht meist nur wenige Minuten am Tag genutzt wird, lohnen sich Energiesparlampen gar nicht. Der Energieverbrauch bei Produktion und Entsorgung der Energiesparlampen wurde in der Bilanz nicht ordentlich berücksichtigt. Problematisch sind die zusätzlichen Risiken für die Gesundheit. Zerbricht der Glaskörper, gelangt das Quecksilber in die Umwelt - Quecksilber reichert sich im Körper an, und jede zusätzliche Dosis vergrößert die Gefahr von Vergiftungen. „Bild“ stellte gestern fest: „Energiesparlampen sondern im Betrieb starke elektromagnetische Strahlung ab“, aber die Grenzwerte wurden eingehalten. Über diese Grenzwerte jedoch ist massiver Streit entbrannt. Zum Beispiel liegt ein aktueller Grenzwert bei 100 µTesla, obwohl bereits bei 10 µTesla hormonelle Veränderungen bei Menschen festgestellt wurden, bei 1 µTesla das Risiko, an Krebs oder Alzheimer zu erkranken, stark wächst und bei 0,3 µTesla die Gefahr von Leukämie bei Kindern stark zunimmt. Da beruhigt es mich und die Bürgerinnen und Bürger ungemein, dass Energiesparlampen die Grenzwerte einhalten. Schon 2010 forderte die Linke verpflichtende Rücknahmesysteme für Energiesparlampen. Leider hat die Koalition dies damals abgelehnt. Wir unterstützen darum den Antrag der SPD, die Rücknahmepflicht für Alt-Energiesparlampen durchzusetzen. Gleichzeitig fordern wir die Regierung auf, in Brüssel für ein Verbot dieser Lampen zu kämpfen. Es gibt Alternativen, sei es die in blindem Aktionismus verbotene gute, alte Glühbirne, seien es LED- oder OLED-Leuchtmittel. Unser Vorschlag: Entscheiden Sie sich zusammen mit der Opposition in einem Schritt für eine Rücknahmepflicht für Energiesparlampen und in einem zweiten für deren Verbot.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Warum gehen so viele Produkte kurz nach der Garantiezeit kaputt? Verkürzen Hersteller die Lebenszeit künstlich, um die Nachfrage nach neuen Waren sicherzustellen? Wir Grüne haben uns in den letzten Monaten ganz intensiv mit diesen Fragen beschäftigt. Die Ergebnisse einer Studie, die wir hierzu in Auftrag gegeben haben, waren erschreckend. Produkte, die kurz nach dem Ablauf der Garantie- oder Gewährleistungszeiten den Dienst einstellen, sind einfach zu finden - jeder kennt diese Beispiele. Der Gedanke liegt nahe, dass schon während des Herstellungsprozesses vorzeitiger Verschleiß eingebaut wird. Reparaturen werden bei manchen Produkten inzwischen fast unmöglich gemacht. Beispielsweise werden Laptops so angeboten, dass sie beim Öffnen irreparabel zerstört werden, oder Akkus so verbaut, dass ein Austausch gar nicht mehr möglich ist. Dieses kann als „geplanter Verschleiß“ betrachtet werden. Es ist ärgerlich für Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn sie Geräte nach kurzer Zeit neu kaufen müssen. Es ist eine Geldverschwendung, wenn Handys oder auch elektrische Zahnbürsten viel zu kurze Lebensdauern haben. Und es ist eine skandalöse Verschwendung von Ressourcen. Unsere Abfallberge wachsen, weil die Recyclingquoten zum Beispiel bei Elektroschrott nach wie vor zu niedrig sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Branchenverbandes BITKOM besagt, dass die Zahl der Althandys und Smartphones in deutschen Haushalten im vergangenen Jahr auf fast 86 Millionen angewachsen ist. Dies ist eine Zunahme um gut 3 Prozent in einem Jahr. Wir wissen: Rund 80 Prozent aller in einem Mobiltelefon verwendeten Materialien könnten durch Recycling zurückgewonnen werden. Allerdings müssen Geräte hierfür auf hohem Niveau recycelt werden. Um ein effizientes Recycling zu ermöglichen, müssen möglichst viele Geräte zurückkommen. Daher setzen wir uns für ein Handypfand als Pilotmodell ein; denn die Erfahrung zeigt: Finanzielle Anreize erhöhen die Rücklaufquoten deutlich. Ist dieses bei Mobiltelefonen erfolgreich, wollen wir es auf weitere Produktgruppen wie Laptops, Tabletcomputer und Spielekonsolen anwenden. Das bisherige System hat einen zu geringen Rücklauf. Ein umfassendes Rücknahmesystem kann nur gemeinsam mit Handel und Herstellern entwickelt werden, wenn es Erfolg haben soll. Kooperation einzelner Anbieter mit Umweltverbänden, zum Beispiel bei der Rücknahme von Mobiltelefonen, ist ein guter Ansatz, führt aber noch nicht zu insgesamt großen Mengen. Um wichtige Rohstoffe in größerer Masse zurückgewinnen zu können, bedarf es größerer Mengen im Rücklauf. Nur so besteht der Anreiz für Investitionen in hochwertiges Recycling. Zum Thema Energiesparlampen: Hier ist der Antrag der SPD-Fraktion sinnvoll, wir unterstützen ihn. Wir hatten hierzu vor geraumer Zeit ja bereits einen Zu Protokoll gegebene Reden Grünen-Antrag vorgelegt. Seither hat sich aber für Verbraucherinnen und Verbraucher rein gar nichts verbessert. Die Regierung muss endlich handeln und darf die Rücknahme nicht privaten Initiativen überlassen. Dort, wo finanzielle Anreize nicht ausreichen, setzen wir auf das Ordnungsrecht. Das jetzige Elektround Elektronikgerätegesetz ist nicht mehr zeitgemäß, die Anforderungen an Ressourceneffizienz und Recycling sind seit 2005 stark gestiegen. Schon lange ist eine umfassende Novellierung erforderlich, allein um die illegalen Exporte unseres Elektroschrotts einzudämmen, zum Beispiel nach Ghana oder Indien. Auch diese haben in letzter Zeit eher zugenommen, statt weniger zu werden. Da müssen wir auch die Bedingungen für Zollkontrollen verbessern. Ich fordere die Bundesregierung auf: Lassen Sie Nutzerinnen und Nutzer nicht länger im Regen stehen. Eine Überarbeitung der Regelungen zum Elektroschrott ist dringend notwendig. Der Handel muss in die Pflicht genommen werden, ebenso die Produzenten, die es auf raschen Verschleiß ihrer Waren anlegen und gezielt minderwertige Bauteile verwenden. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen ihre Elektrogeräte reparieren können, wenn sie nicht mehr funktionieren. Eine längere Lebensdauer, auch von Elektronikgeräten, muss vorgegeben werden. Und wenn etwas endgültig nicht mehr zu gebrauchen ist, muss es den Menschen einfach gemacht werden, dieses einem wirklich sinnvollen Recycling zuzuführen. Darum muss es gehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/10866. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9058. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? ({0}) - Ist total dafür, nicht? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen haben SPD und Linke gestimmt. ({1}) - Ach so, und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8899. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen waren die Oppositionsfraktionen. Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes - Drucksache 17/12356 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 17/13133 Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster ({3}) Dr. Stefan Ruppert Dr. Konstantin von Notz Die Reden wurden zu Protokoll genommen.

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Koalition redet nicht nur über Demografie, sich wandelnde Altersstrukturen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Nein, wir tun auch etwas, um auf diese Entwicklungen adäquat zu reagieren. Die Demografiestrategie der Bundesregierung beschäftigt sich beispielsweise ausgiebig damit, dass Familie und Beruf besser zu vereinbaren sind und dass die Arbeitswelt familienfreundlicher werden soll, auch - und ich meine aus Vorbildgründen sogar insbesondere - für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also die Bundesbeamtinnen und -beamten. Eines der vielen Ziele dabei ist es, die Doppelbelastung von Beruf und Pflege zu reduzieren. Deshalb hat Ministerin Schröder folgerichtig das Instrument der Familienpflegezeit eingeführt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können damit in Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber ihre Arbeitszeit für einen begrenzten Zeitraum reduzieren. Die finanziellen Einbußen werden abgemildert, indem sie auf einen längeren Zeitraum verteilt werden. Nun sollen auch Beamtinnen und Beamte der Bundesverwaltung die Möglichkeit bekommen, für die Pflege von nahen Angehörigen Familienpflegezeit zu beantragen. Ihnen wird ein späterer Eintritt in den Ruhestand ermöglicht, um Versorgungseinbußen zu mindern. Das Verfahren zur Beantragung der Pflegezeit wird unbürokratisch sein: Die Beamtin oder der Beamte weist die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen nach, indem er eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegt. Stehen dem Antrag keine dienstlichen Gründe entgegen, kann die Arbeitszeit wie gewünscht reduziert werden. Im Gesetzentwurf wird zudem die Möglichkeit eingeräumt, den Eintritt in den Ruhestand um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Damit kann die Beamtin oder der Beamte Ausfälle in den Versorgungsbezügen ausgleichen, die sich aus der Reduzierung der Arbeitszeit für die Pflege ergeben. Armin Schuster ({0}) Der Gesetzentwurf regelt deshalb auch den flexiblen Einstieg in den Ruhestand. Im Änderungsantrag der Koalition haben wir nun vorgesehen, dass all jene Beamte, die nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze weiterhin arbeiten, 10 Prozent Besoldungszuschlag erhalten. Zudem streichen wir die im Bundesbeamtengesetz enthaltene Möglichkeit des Dienstherrn, den Ruhestandseintritt ohne die Zustimmung der Beamtin oder des Beamten zu verschieben. Wir haben also einen zusätzlichen finanziellen Anreiz geschaffen, freiwillig länger zu arbeiten. In der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses wurden wir Abgeordneten daran erinnert, dass längeres Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus derzeit noch kein großes Thema ist. Vielmehr müssten zunächst weitere Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Beschäftigten überhaupt bis zur Regelaltersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand arbeiten können. Zwar sind die Frühpensionierungen in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Dennoch haben wir nicht nur die Aufgabe, den öffentlichen Dienst für Fachkräfte attraktiv zu gestalten, um sie als Beamtinnen und Beamte neu zu gewinnen, sondern wir haben auch eine Fürsorgepflicht für all jene, die unter den gestiegenen Anforderungen schon heute im öffentlichen Dienst arbeiten. Prävention und gute Mitarbeiterführung sind nur zwei der Bausteine, um eine gute und gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen. Hier passiert gerade in den Bundesbehörden schon sehr viel. Dennoch: Weitere Maßnahmen sind möglich und nötig. Ich nehme diese Anmerkungen sehr ernst. Heute jedenfalls legen wir Ihnen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir es Bundesbeamtinnen und -beamten ermöglichen, eine möglicherweise bestehende Doppelbelastung aus Beruf und Pflege zu reduzieren. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.

Wolfgang Gunkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der verschiedene Änderungen im Öffentlichen Dienst nach sich zieht. Regelungen für die Familienpflegezeit für Beamtinnen und Beamte sollen gestaltet und der Ruhestandseintritt bei Beamtinnen und Beamten flexibler geregelt werden. Mit den Regelungen zur Familienpflegezeit soll dies nun auch den Beamtinnen und Beamten ermöglicht werden. Grundsätzlich ist es durchaus zu begrüßen, dass die Bundesregierung erkennt, dass im Bereich der privaten Pflege von Angehörigen dringende Probleme warten, die unbedingt angegangen werden müssen. Ein Großteil pflegebedürftiger Menschen wird von ihren Angehörigen betreut. Diese Pflege stellt ein extremes Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf dar. Bei der Umsetzung dieser Familienpflegezeit hakt es an einigen Stellen jedoch noch, insbesondere ist es bedauerlich, dass Fehler des Familienpflegzeitgesetzes für Tarifbeschäftigte übernommen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu diesen Themen verschiedene Kritikpunkte aufgegriffen und mit den Sachverständigen diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht es als sehr kritisch an, dass die Genehmigung der Pflegezeit in das Ermessen des Dienstherrn gestellt wird. Dem dienstlichen Interesse ist durch die normierte Voraussetzung der nicht entgegenstehenden dienstlichen Gründe hinreichend Genüge getan. Auch hinsichtlich der zeitlichen Beschränkung der Pflegezeit auf 24 Monate haben wir Zweifel, ob dies den tatsächlichen Anforderungen an die Pflege von Angehörigen entspricht. Zu dieser Frage gab es in der Anhörung unterschiedliche Einschätzungen. Insgesamt wäre eine längere Pflegezeit jedoch zu begrüßen. Weitere Kritikpunkte, die von der SPD-Bundestagsfraktion benannt wurden, betreffen das Rückzahlsystem des Vorschusses, der uns nicht praktikabel und interessensgerecht erscheint, und die wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden. Diese Festlegung ist nicht flexibel genug. Da die Familienpflegezeit, die bisher außerhalb des Geltungsbereichs des Bundesbeamtengesetzes Anwendung findet, kaum in Anspruch genommen wird, steht zu erwarten, dass dies analog auch für die Beamtinnen und Beamten gelten wird. So geht auch der vorliegende Gesetzentwurf von gerade einmal 250 Anträgen auf Familienpflegezeit durch Beamtinnen und Beamte aus. Da kann man schon von einem reinen Nischenangebot sprechen. Ich möchte nun noch auf den zweiten Teil des vorgelegten Gesetzentwurfes eingehen, das Hinausschieben der Altersgrenze. Freiwillige Dienstzeitverlängerungen kann ich nur begrüßen. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich die Freiwilligkeit einer solchen Verlängerung. Alles andere finde ich nicht zielführend. Insofern begrüße ich es, dass die Koalition einen der Kritikpunkte der Sachverständigengutachten im Rahmen der Anhörung aufgegriffen hat und einen Änderungsantrag für den Innenausschuss formuliert hat. Darin wird die bisher mögliche zwangsweise Dienstzeitverlängerung auf Initiative des Dienstherren ohne Zustimmung des Beschäftigten aufgehoben. Die Zustimmung der Beamtin oder des Beamten ist nun erforderlich. Diese Anpassung begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich.

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Februar 2013 haben die Fraktionen des Deutschen Bundestages den vorliegenden Gesetzentwurf erstmalig im Plenum debattiert. Es ist erfreulich, dass die Koalition sich auf Initiative der FDP-Fraktion auf wichtige Änderungen verständigt hat und wir den Gesetzentwurf in geänderter Form heute beschließen können. Zu Protokoll gegebene Reden Ziel der Regelung ist in erster Linie, das Familienpflegezeitgesetz auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes zu übertragen. Für Arbeitnehmer und für Tarifangestellte im öffentlichen Dienst gilt es seit Anfang 2012. Anfang dieses Jahres wurden Stimmen aus den Reihen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen laut, nach denen die Regelung ein „Flop“ sei. Solche Äußerungen können nur als Wahlkampfgetöse wahrgenommen werden. Sie sind weder fundiert noch sachlich. Mit dem Familienpflegezeitgesetz hat die Koalition die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessert. Man muss den Menschen Zeit geben, diese Möglichkeiten zu entdecken und zu prüfen. Eine umfassende wissenschaftliche Evaluation auf Initiative des Bundesfamilienministeriums wird Aufschluss über die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes geben. Beamte konnten bisher zugunsten der Pflege von Angehörigen in Teilzeit arbeiten und wurden dafür anteilig besoldet. Mit Einführung der Familienpflegezeit können sie nun für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren ihre Arbeitszeit auf mindestens 15 Stunden pro Woche reduzieren. In dieser Zeit erhalten sie einen Vorschuss auf ihre Besoldung, der nach der Pflegephase zurückgezahlt wird. Mit dieser Regelung wird ein Ausgleich geschaffen für die finanzielle Belastung, die unter Umständen mit einer Pflegezeitphase einhergeht. Darüber hinaus setzen wir weitere Maßnahmen zur Flexibilisierung des Ruhestandseintritts um. Beamte, die wegen familiärer Aus- oder Teilzeiten während ihrer aktiven Dienstzeit Versorgungseinbußen haben, können künftig diese Lücken auffüllen, indem sie über ihr gesetzliches Pensionsalter hinaus bis zu drei Jahre weiterarbeiten. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit, den Höchstruhegehaltsatz von 71,75 Prozent doch noch zu erreichen. Außerdem erhöhen wir die Attraktivität des Modells FALTER, das Beamten ermöglicht, mit reduzierter Arbeitszeit in Ruhestand zu gehen. Bisher war bei Inanspruchnahme des FALTER-Modells wegen eines Versorgungsabschlags ein finanzieller Nachteil gegenüber dem herkömmlichen Ruhestandseintritt verbunden. Dieser Abschlag fällt nun weg. Auf Initiative und Druck der FDP-Fraktion werden mit einem Änderungsantrag der Koalition im Gesetzentwurf zwei weitere wichtige Punkte umgesetzt: Zum einen fällt die unglückliche Regelung weg, dass der Dienstherr Beamte ohne ihre Zustimmung zur Verlängerung der Arbeitszeit über den gesetzlichen Ruhestand hinaus zwingen kann. Aus Sicht der Liberalen kann motiviertes längeres Arbeiten nur aus freien Stücken erfolgen. Zum anderen motiviert ein Zuschlag von 10 Prozent des Grundgehalts künftig auch diejenigen Beamten zur freiwilligen Verlängerung der Arbeitszeit, die bei Erreichen des Ruhestandsalters den Höchstruhegehaltssatz von 71,75 Prozent bereits erreicht haben. Bisher hätte ihnen einen Verlängerung der Arbeitszeit keine Vorteile gebracht. In einer öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestages im März dieses Jahres wurden diese Änderungen von Sachverständigen konkret gefordert, die auf Initiative der FDP nun umgesetzt worden sind. Darüber hinaus hat die Mehrzahl der Sachverständigen den vorliegenden Gesetzentwurf neben einigen weiter gehenden Vorschlägen positiv bewertet. Die Maßnahmen wurden von Experten als angemessene Reaktion auf die Herausforderungen des demografischen Wandels bewertet. Im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung bisher erarbeitete Handlungsempfehlungen für den öffentlichen Dienst werden damit umgesetzt. Die FDP-Fraktion hätte sich die Familienpflegezeitregelung auch für Soldaten gewünscht, dies war jedoch mit dem Koalitionspartner nicht umzusetzen. Neben dem Familienpflegezeitgesetz kommen heute noch zwei weitere Gesetzentwürfe im Beamtenrecht zur Abstimmung, bei denen die FDP-Fraktion ebenfalls sehr gute Kompromisse durchgesetzt hat: Wir führen die Portabilität der Versorgung ein und sorgen für eine ausgewogen gestaltete Neuregelung der Professorenbesoldung. Die Koalition hat in dieser Wahlperiode weit mehr im Beamtenrecht erreicht als die Große Koalition und Rot-Grün zuvor. Ein Blick auf die Entwicklung des Dienstrechts in den rot-grün geführten Ländern genügt, um zu zeigen, dass wir dank der christlich-liberalen Koalition im Bund auf vier gute Jahre für Deutschland im Beamtenrecht zurückblicken. Ich bitte um Zustimmung für diesen Gesetzentwurf.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Pflegefall ist der Ernstfall der Solidarität. Nicht nur im Familienverhältnis. Ein guter Freund erleidet einen Schlaganfall, die Schwiegermutter wird dement. Solche Ereignisse werden häufig als existenzielle Brüche im gewohnten Alltag erfahren, ändern vieles, verlangen große Umstellungen und führen die Beteiligten schnell an psychische und physische Grenzen. Sowohl Angehörige als auch Freunde und Bekannte erfahren diese Situationen oft als innere Verpflichtung, zu helfen, und erwarten dabei die Unterstützung ihres Umfeldes, gerade auch die des Arbeitgebers. Ihnen hierfür den erforderlichen Raum zu geben, sollte deshalb Ziel sein, weil damit die Würde der Pflegebedürftigen als auch der diesen Menschen nahestehenden Personen respektiert und gewährleistet wird. Soweit derartige solidarische Leistungen zur Verfügung stehen, werden damit auch öffentliche Hilfsstrukturen entlastet. Nun lassen sich für das Arbeitsverhältnis durchaus unterschiedliche Modelle vorstellen, mit denen dem Wunsch von Beschäftigten entgegengekommen werden kann, eine Auszeit für die Pflege zu nehmen. Eingehend hat dazu der Familienausschuss eine Anhörung durchgeführt. Die Bundesregierung hat sich für den Bereich der Beamtinnen und Beamten entschieden, das Zu Protokoll gegebene Reden Familienpflegezeitmodell für die Tarifbeschäftigten wirkungsgleich zu übernehmen. Von allen denkbaren Möglichkeiten hat sie sich letztendlich, wie bei den Tarifbeschäftigten auch, damit für die maximal eigenverantwortliche - früher hätte man gesagt: neoliberale - Lösung entschieden. Eine solidarische Leistung, etwa in Gestalt der von Verdi vorgeschlagenen erweiterten Anerkennung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten für die Versorgung, ist nicht vorgesehen. Deutlich wird: Die Pflege soll an dieser Stelle nur keine weiteren Kosten produzieren, die Solidarität der Menschen miteinander und untereinander wird als selbstverständliche, also erwartete und damit nicht weiter finanziell unterstützenswerte Pflicht abgebucht. Diese hochabstrakte Erwartungsschablone passt aber nicht mehr auf die vielfältigen Lebensverhältnisse unserer Gesellschaft. Unausgesprochene Wirklichkeit an dieser Stelle zudem: Tatsächlich gemacht wird die Arbeit nach wie vor überwiegend durch Frauen. Gleichzeitig wird im Beamtenverhältnis die Selbstbestimmung der Betroffenen unter Verweis auf ihre Treuepflicht klar eingeschränkt. Denn nach dem Entwurf der Bundesregierung steht die Wahrnehmung der Pflegezeit unter Vorbehalt der Zustimmung des Dienstherrn. Zunächst wollte die Koalition sogar die Verlängerung der Dienstzeit anordnen können, hat davon aber im Änderungsantrag dann doch Abstand genommen. Formal mag es zumindest mit Blick auf einzelne Ausnahmebereiche des öffentlichen Dienstes und unter Verweis auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung nachvollziehbar und auch zulässig sein ({0}), dass die Lücke einer Pflegezeit vermieden werden muss. Für die große Mehrheit der Beamten gilt dies jedoch nicht. Und an sich sind Arbeitsplätze so zu organisieren, dass für solche Ausfälle Kompensationsmöglichkeiten bestehen, weil diese mehr als erwartbar sind. Zudem kann der Forderung der Gewerkschaften nach einem Rechtsanspruch auf Wahrnehmung der Pflegezeit im öffentlich-rechtlichen Verhältnis nicht das allein für den privatwirtschaftlichen Bereich passende, aber auch dort schwierige Argument entgegengehalten werden, die Arbeitgeber würden bei einer gesetzlichen Verpflichtung jegliche Akzeptanz des Gesetzes verweigern. Der Begriff der Angehörigen ist im Gesetzentwurf zu eng definiert; wir teilen da die Kritik der Gewerkschaft. So müssten auch bloße leibliche Kinder in häuslicher Gemeinschaft, welche nicht adoptiert sind, beispielsweise mit erfasst sein. Auch müsste die häusliche Umgebung auf teilstationäre Pflege erweitert werden. Die zeitliche Begrenzung auf 24 Monate überzeugt angesichts längerwährender Erkrankungen nicht, auch wenn es dort eine einmalige Verlängerungsmöglichkeit gibt. Die ebenfalls vorgesehene Beibehaltung einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit, die von der Koalition auch noch als Schutzmaßnahme verbrämt wird, passt in dieser Starrheit nicht für schwerwiegendere Pflegefälle. Wir teilen die Auffassung von Verdi, dass es gerade hier besonderer Flexibilität bedarf, damit das Angebot wahrgenommen werden kann. Auch der Kritik der Gewerkschaften an den vorgesehenen Modalitäten des Vorschusses schließen wir uns an. Die durch den Gesetzesvorschlag beabsichtigte Flexibilisierung des Ruhestandseintritts ist im Grundsatz zu begrüßen. Zugleich lässt sich der Vorwurf der Gewerkschaften nicht von der Hand weisen, dass hier über den Umweg der Familienpflegezeit an der Lebensarbeitszeitverlängerung gedreht werden soll. Wer die Pflegezeit in Anspruch nimmt, mag vereinzelt froh um die ermöglichte Verlängerung der Dienstzeit und die ermöglichte Abgeltung des Vorschusses sein. Aufs Ganze besehen aber müssen die individuellen Folgen solcher Verlängerungen im Blick behalten und organisatorische Folgen in Gestalt etwa des Erlahmens der Nachwuchsförderung und Neueinstellung vermieden werden. Das Nutzen der Erfahrung älterer Bediensteter kann nur Hand in Hand mit einer wirksamen Konzeption der Sicherung der Weitergabe dieses Wissens erfolgen. Eine generelle Kultur des längeren Arbeitens ist voraussetzungsvoll; es genügt nicht, höhere Lebenserwartungen zu konstatieren. In der Summe ergeben sich wegen der genannten Hürden bei der Antragstellung Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verfolgung des Gesetzesziels. Im privaten Bereich gilt die Regelung ja bereits wegen der fehlenden Verbindlichkeit und der Ablehnung durch die Arbeitgeber als de facto gescheitert. Für den Beamtenbereich drängt sich ebenfalls auf, in wie vielen Fällen wohl unter Verweis auf den Fachkräftemangel die Zustimmung verweigert werden wird. Nicht akzeptabel ist aber auch, dass gleichstellungspolitisch nicht gegengesteuert wird. Die Tatsache, dass ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen, zementiert spätere Benachteiligungen beim Wiedereinstieg. Die Bundesregierung spricht dieses Problem im Gesetzentwurf an. In einer kühnen Prognose attestiert sie sich selbst einen wertvollen gleichstellungspolitischen Beitrag, weil die Pflegezeit die größte Wirkung bei Vollzeitbeschäftigten entfalte, und diese seien ja nun überwiegend Männer, also würden zukünftig Männer mehr Pflege übernehmen. Diese Art der Rechnung, die unter Ausschluss der Realität, sprich: der zentralen Frage nach dem Hauptverdiener in den Familien, vorgeht, belegt gleichstellungspolitisch ein hohes Maß an Ignoranz. Wie in den anderen Anträgen dieser Koalition zum Dienstrecht auch wird recht salopp ein Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und der eigenen Strategie gegen die möglichen negativen Folgen hergestellt. Schon angesichts der prognostizierten 250 Anträge pro Jahr darf bezweifelt werden, dass wir es hier insoweit mit einem Instrument hinreichend signifikanter Reichweite zu tun haben, um grundlegende, die gesamte Bevölkerung betreffende Veränderungen mit steuern zu können. Meine Kollegen sprechen im Hinblick auf Frau Schröders Familienpflegezeitregelung von Symbolpolitik; dem kann ich Zu Protokoll gegebene Reden mich hier für den Bereich des Dienstrechts anschließen. Eine verlässliche Pflegestruktur mit professionellen Pflegestrukturen und auch der oftmals angesprochene Pflegemix stellen strukturelle Ziele dar mit potenziell weitgehenden Entlastungswirkungen für alle Beteiligten, die insoweit deutlich über das von der Koalition propagierte bürgerliche Modell des Rückzugs in die Familie hinausweisen. Leider verweigert sich diese Koalition einer solchen Modernisierung. Die Folgen könnten schwerwiegend ausfallen, wenn der längst ausgerufene Pflegenotstand sich weiter manifestiert. Die Untätigkeit der letzten vier Jahre ist dann als verlorene Zeit bei der Gestaltung einer effektiven und die Menschen tatsächlich erreichenden Pflegeregelung zu verbuchen. Wir werden den Anträgen der schwarz-gelben Koalition nach alledem deshalb nicht zustimmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13133, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12356 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen? - Dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die SPD. Linke und Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmt, möge sich erheben. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 27: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Roland Claus, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2012 - Drucksachen 17/3046, 17/5964 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Klaus Brandner Roland Claus Priska Hinz ({1}) Die Reden sind zu Protokoll genommen.

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Antrag der Fraktion Die Linke war bereits bei der Einbringung im Jahr 2010 völlig überflüssig. Selbstverständlich haben sich die Landesregierungen der Länder Brandenburg, Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen sowie der Bund rechtzeitig auf ein neues Abkommen für den Zeitraum 2013 bis 2017 geeinigt. Niemand wollte die notwendige Sanierung frühzeitig abbrechen und selbstverständlich ist sich jede der verhandelnden Regierungen der Aufgabe der Gewässernachsorge bewusst. Die rot-rote Landesregierung von Brandenburg hat in einer Presseerklärung am 7. November 2012 das Abkommen als verlässliche Grundlage für die kommenden fünf Sanierungsjahre gelobt. Da ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Es besteht somit ein weitreichender parteiübergreifender lobender Konsens zum Verwaltungsabkommen über die weitere Braunkohlensanierung. Was gemeinsam für die betroffenen Regionen verhandelt wurde, lässt sich auch sehen: Bis 2017 werden weitere 1,2 Milliarden Euro von Bund und Ländern bereitgestellt; mit den Abkommen 1 bis 4 sind bereits 9,3 Milliarden Euro zur Abarbeitung der schmutzigen DDR-Hinterlassenschaften eingesetzt worden. Die bedarfsgerechte Fortführung der Sanierung ist mit dem Mittelvolumen gesichert. Von dem Mittelvolumen sind 460 Millionen Euro für die Gefahrenabwehr aus dem Gewässeranstieg in den DDR-Bergbauregionen vorgesehen. Die bergtechnische Sanierung ist weitgehend abgeschlossen; bis 2015 werden die Tagebauseen bis auf wenige Ausnahmen weitgehend geflutet sein, und zum neuen Schwerpunkt wird daher die Gewässernachsorge. Dazu gehörten die langfristige Beobachtung der Gewässerqualität der Tagebauseen und gegebenenfalls Reaktionen auf die Qualitätsentwicklung. Hinzu kommen auch die Überwachung der Gewässerböschungen und des Grundwasseranstiegs. In den betroffenen Regionen ist nicht nur der Bergbau immer noch eine tragende wirtschaftliche Säule, sondern mittlerweile auch die Bergbausanierung. Nach Angaben der brandenburgischen Landesregierung haben zirka 1 300 Menschen - überwiegend aus bergbaulichen Berufen - einen neuen Job in Sanierungsprojekten in der brandenburgischen Lausitz gefunden. Die gemeinsamen finanziellen Anstrengungen und der persönliche Einsatz der Menschen vor Ort haben es ermöglicht, aus der Umweltkatastrophe, die uns durch die Energiepolitik der SED hinterlassen wurde, neue Entwicklungsperspektiven aufzubauen. Der Tourismus, eine moderne, sehr diversifizierte Energiewirtschaft, aber auch hervorragende Kompetenzen in Wissenschaft und Forschung gehören heute zu den Zukunftschancen der Regionen. Ich bitte die Antragssteller: Reden Sie das Geleistete nicht weiterhin schlecht. Malen Sie nicht weiterhin schwarze Zukunftsszenarien. Sie zerreden damit nicht nur die Bemühungen der Koalition, sondern insbesondere die Lebensleistung der Menschen vor Ort. Gerade vor dem Hintergrund Ihrer parteipolitischen Herkunft empfinde ich Ihre vorgetragene Empörung noch mehr als plumpe Heuchelei.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am 9. Oktober letzten Jahres wurde das 5. BundLänder-Verwaltungsabkommen über die Finanzierung der Braunkohlensanierung von den Braunkohleländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unterzeichnet. Für den Bund haben Finanzminister Schäuble und Umweltminister Altmaier ihre Unterschrift geleistet. Das Abkommen ist zum 1. Januar in Kraft getreten. Auch das entsprechende 4., ergänzende Verwaltungsabkommen wurde vor wenigen Wochen, Ende Februar, unterzeichnet. Damit haben wir zur Sanierung der Hinterlassenschaften des DDR-Braunkohlenbergbaus einen weiteren wichtigen Meilenstein erreicht. Für die Jahre 2013 bis 2017 stehen hier insgesamt über 1,2 Milliarden Euro bereit. Im Vergleich zum vorherigen Abkommen haben wir die Sanierungsmittel wieder um über 200 Millionen Euro erhöht. Diese Mittel ermöglichen es uns, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen bedarfsgerecht fortführen zu können. Sie tragen auch dazu bei, wichtige ökologische und ökonomische Impulse für die betroffenen Regionen zu geben. Die Unterzeichnung ebendieses Verwaltungsabkommens hatte der hier zur Debatte stehende Antrag der Fraktion Die Linke gefordert. Dieses ist, wie gesagt, im vergangenen Jahr geschehen. Damit ist zu diesem Antrag im Grunde alles gesagt. Der Antrag der Opposition ist alles in allem überflüssig und unnötig. Was er fordert, ist längst passiert. Die Opposition verlangt in ihrem Antrag, dass diese Sanierung bis zu ihrer endgültigen Beendigung als öffentliche Aufgabe zu betrachten sei. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie: Was tun wir denn seit über 20 Jahren anderes als das? Dies ist seit Jahr und Tag wichtige öffentliche Aufgabe. Und das wird so bleiben. Hätte es sonst schon fünf Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern gegeben? In der Sache sind wir bis 2017 bestens aufgestellt. Das sehen auch die Länder so. Lassen Sie mich dennoch auch heute noch einmal ausdrücklich betonen: Die ostdeutsche Erfolgsgeschichte der Braunkohlensanierung geht weiter. Wir haben sie vor gut 20 Jahren unter einer schwarzgelben Regierungskoalition in Angriff genommen. Und wir haben sie mit dem 5. Verwaltungsabkommen erneut in einer schwarz-gelben Koalition zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Dafür braucht es nun wahrlich keine Anträge der Linken. Sie sollten lieber anerkennen, dass die Sanierung der Braunkohlentagebaue und anderer Altstandorte in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ein Vorzeigeprojekt des Aufbaus Ost darstellt. Daran kann es ernsthaft keinen Zweifel geben. Wir sprechen hier von einem Mammutprojekt, das neben der Wismutsanierung seinesgleichen sucht. So wurden in den ersten zehn Jahren seit der Wiedervereinigung mehr als 30 Tagebaue und über 40 weitere Produktionsstandorte in der Lausitz und in Mitteldeutschland stillgelegt. Wir reden hier von einer Gesamtfläche, die über 1 000 Quadratkilometer betragen hat. Die Sanierung hat den Steuerzahler erhebliche finanzielle Mittel gekostet. Bis 2017 werden es weit mehr als 9 Milliarden Euro sein. Die Sanierung und Rekultivierung dieser Landstriche in den vier ostdeutschen Braunkohlenländern hat jedoch nicht allein den Umweltschutz und damit eine Verbesserung der Lebensqualität der dort ansässigen Bevölkerung zum Ziel. Es geht auch um die Schaffung neuer Arbeitsplätze und um die Generierung von Wirtschaftswachstum, nicht allein im Bereich des Umweltschutzes, sondern gerade auch im Tourismus. Mit vereinten Kräften hat der Bund zusammen mit den betroffenen Ländern die notwendige Braunkohlensanierung genutzt, um in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier auf der einen Seite moderne Standorte für Industrie und Gewerbe zu schaffen, zugleich aber auf der anderen Seite auch neue Seenlandschaften mit hohem Freizeit- und Naturwert entstehen zu lassen. Als Beispiele möchte ich nur den BergbauTechnik-Park Espenhain und den Verbindungskanal zwischen dem Spreetaler See und dem Sabrodter See nennen. Insgesamt sind in den letzten Jahren in den Braunkohlenrevieren Lausitz und Mitteldeutschland rund 120 kleinere, mittlere und große Seen entstanden. Ihre Gesamtfläche beträgt über 700 Quadratkilometer. Die Gesamtfläche der deutschen Binnengewässer, ohne den Bodensee, vergrößert sich damit um 20 Prozent. Wir haben hier Landschaften geschaffen für die Naherholung, zum Wandern und Spazierengehen, zum Angeln, Rudern, Segeln und für viele andere Freizeitaktivitäten mehr. In den vergangenen zwei Jahren galt es nun, das 5. Verwaltungsabkommen auszuhandeln. Bund und Braunkohlenländer haben sich dabei - ich nannte die Summe bereits - auf ein Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro geeinigt. Die bergtechnischen Sicherungsarbeiten sind mittlerweile zu fast 100 Prozent abgeschlossen. Die Tagebauseen werden bis 2015 bis auf wenige Ausnahmen geflutet sein. Jetzt gilt es, die gesicherten und sanierten Flächen nutzbar zu machen und einer Verwertung zuzuführen. Von ganz besonderer Bedeutung sind vor allem aber die Maßnahmen, mit denen der Gefährdung von Häuser und Gebäuden durch den Wiederanstieg des Grundwassers begegnet werden muss. Deshalb liegt der künftige Aufgabenschwerpunkt im Bereich der sogenannten Gewässernachsorge. Die Wiederherstellung eines ausgeglichenen Wasserhaushaltes ist deshalb hier eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre. Es geht um die Sicherung der Gewässerqualität der Tagebauseen. Wie das tragische Unglück von Nachterstedt 2009, bei dem drei Zu Protokoll gegebene Reden Menschen tragisch ums Leben gekommen sind, gezeigt hat, ist gerade auch die Überwachung der Stabilität der Gewässerböschungen von überragender Bedeutung. Der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, stehen für Maßnahmen der Grundsanierung ({0}) 770 Millionen Euro zur Verfügung. Diese teilen sich Bund und Länder im Verhältnis 75 zu 25 Prozent. Ein Aufgabenschwerpunkt von enormer Bedeutung ist auch in Zukunft der Wiederanstieg des Grundwasserspiegels. Für Maßnahmen, die den Gefahren aus dem Grundwasserwiederanstieg begegnen sollen, wie beispielsweise der Vernässung von Gebäuden, stehen 460 Millionen Euro bereit. Diese §-3-Maßnahmen tragen Bund und Länder je zur Hälfte. Insbesondere für den sächsischen Tourismus begrüße ich, dass der Freistaat für sogenannte §-4-Maßnahmen zur Folgenutzung ehemaliger Tiefbaulandschaften 40 Millionen Euro bereitstellt, Brandenburg 50 Millionen. Mit diesem Geld kann dort die touristische Infrastruktur verbessert werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle beispielsweise den Bau von Radwegen, Bootsanlegern oder Schleusen nennen. Hier und heute möchte ich nochmals mit Nachdruck daran erinnern, dass der Braunkohlenabbau in der DDR und die daraus resultierenden dramatischen Zerstörungen unserer Umwelt für mich als Sachsen real erlebter Kommunismus waren. Ich war die ersten 34 Jahre meines Lebens Bürger der DDR. Das war eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte. Im Gegensatz zur Linkspartei weiß ich mich hier mit der geradezu dramatischen Mehrheit der Menschen in diesem Lande einer Meinung. Dass sich ausgerechnet die Linke an dieser Stelle zum Fürsprecher der Braunkohlensanierung machen will, ist in meinen Augen mehr als unglaubwürdig. Ich fasse zusammen: Die Braunkohlensanierung war und ist eine Erfolgsgeschichte. Ihren Erfolg haben wir mit dem 5. Verwaltungsabkommen bis 2017 sichergestellt. Dafür aber braucht die Regierungskoalition zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anträge der Linken.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch wenn wir den Antrag zur Fortsetzung der Braunkohlensanierung erst heute im Plenum beraten, seine Zielsetzung bleibt richtig, und die Ablehnung durch die Koalition war unverantwortlich; zuletzt wurden die Koalitionsfraktionen durch ihre eigene Bundesregierung eines Besseren belehrt. Wir alle wissen, wie zu DDR-Zeiten Braunkohle abgebaut wurde. Die Regierung der DDR nahm wenig Rücksicht auf die Menschen und gar keine Rücksicht auf ökologische Belange. Folgeschäden wurden billigend in Kauf genommen. Die Auswirkungen spüren wir bis heute. Um die ökologischen Folgen des Braunkohlenabbaus wie auch des drastischen Förderrückgangs nach 1990 zu bewältigen, wendeten Bund und Länder bis heute rund 9,3 Milliarden Euro auf. Mit der Sanierung wurden Tausende Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen und eine regionale Wirtschaftsentwicklung nach dem Braunkohlenabbau organisiert. Dies gehört zu den positiven Kapiteln der deutschen Einheit und hat vielen Menschen in der Region eine Perspektive gegeben. Zwar war abzusehen, dass bis Ende 2012 ein erheblicher Teil der Grundsanierungen und bergmännischen Sicherungsarbeiten zu schaffen waren. Das war die Leistung vieler, denen unser Dank gebührt: zuallererst den Menschen in der Region, die mitgeholfen haben, auch der Bundesregierung und den Landesregierungen. Gerade deshalb war entscheidend, nicht kurz vor Schluss aufzuhören, sondern das Erreichte zu sichern und den erfolgreichen Weg bis zum Jahr 2017 weiter zu gehen. Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch realisierbar, darüber sind sich alle wohl bewusst. Aber es war für die Region ein entscheidender Meilenstein, die im Juni 2010 begonnenen Verhandlungen zwischen dem Bund und Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen über ein fünftes Verwaltungsabkommen für den Zeitraum 2013 bis 2017 zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es war im Interesse der betroffenen Regionen, Unternehmen, Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürgern, nur anscheinend nicht im Interesse der schwarz-gelben Koalition in diesem Hause. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, bei manchen Entscheidungen ist nicht wichtig, wer die Vorlage geschrieben hat, sondern die Sache. Aber das mit der Verantwortung bereitet Ihnen ja schon seit Beginn Ihrer Koalition erhebliche Schwierigkeiten. Nun haben Ihr Bundesfinanzminister und Ihr Bundesumweltminister im Oktober das 5. Bund-LänderVerwaltungsabkommen über die Finanzierung der Braunkohlensanierung in der Lausitz und in Mitteldeutschland von 2013 bis 2017 unterzeichnet, ebenso wie die Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Durch das Abkommen wird die Finanzierung der Braunkohlensanierung bis 2017 abgesichert. Dazu werden über 1,2 Milliarden Euro von Bund und Ländern bereitgestellt, mit nahezu allen Details, die der Antrag gefordert hat. Es war Bundesumweltminister Altmaier, der das Abkommen als Meilenstein bezeichnet und die wichtigen ökologischen und ökonomischen Impulse für die betroffenen Regionen gerühmt hat. Nun, das haben wir über ein Jahr vorher gewusst. Um die Rechtsverpflichtung der Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbau- Verwaltungsgesellschaft mbH zu erfüllen, steht nun ein Finanzrahmen von 770 Millionen Euro zur Verfügung, den sich Bund und Braunkohlenländer im Verhältnis 75 zu 25 Prozent teilen. Für Zu Protokoll gegebene Reden Carsten Schneider ({0}) ergänzende Maßnahmen, die dazu dienen, Gefahren aus dem Grundwasserwiederanstieg abzuwehren, stellen Bund und Braunkohlenländer je zur Hälfte einen Betrag von 460 Millionen Euro bereit. Im Zuge der Braunkohlensanierung sind in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier neue Seenlandschaften mit hohem Freizeit- und Naturwert und moderne Standorte für Industrie und Gewerbe entstanden. Die wollen wir erhalten, pflegen und ausbauen. Die Tagebauseen werden bis 2015 bis auf wenige Ausnahmen geflutet sein. Deshalb geht es jetzt verstärkt um die Gewässernachsorge. Das war übrigens der wichtigste Punkt unseres Antrags. Ebenso ist die Stabilität der Gewässerböschungen zu gewährleisten. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt wird sich zukünftig aus dem Grundwasserwiederanstieg ergeben. Hier gilt es, sowohl die Vernässung von Gebäuden zu verhindern als auch gefährdete Kippenflächen zu sichern. Denn einen weiteren Unfall mit den schrecklichen Folgen möchte niemand in der Region und erst recht ich nicht noch einmal erleben müssen. Das ist unsere Verantwortung. Und es stünde Ihnen gut an, wenigstens heute für den Antrag zu stimmen. Dann ersparen Sie uns und der Öffentlichkeit auch, uns über Ihre Kurzsichtigkeit vor zwei Jahren zu ärgern.

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als dieser Antrag am 20. Januar 2011 in dieses Hohe Haus eingebracht wurde, liefen die Verhandlungen für das 5. Verwaltungsabkommen bereits und sind rechtzeitig erfolgreich abgeschlossen worden. Der Klientelantrag von der Linken war bereits zu seiner Einbringung überflüssig wie ein Kropf. Wesentliche Forderungen des Antrags waren bereits bei Antragseinbringung Gegenstand der Verhandlungen und fanden, unabhängig von diesem Antrag, Berücksichtigung. Aber der Antrag zeigt auch deutlich die fundamentale Unterscheidung zwischen linken Ideologen und rechtsstaatlichen Marktwirtschaftlern auf: Jene wollen das Primat der Politik zur Gestaltung und Steuerung, wir vertrauen rechtsverbindlichen Verträgen. Bereits bei der Einbringung dieses Antrags habe ich in meiner Rede darauf hingewiesen - und wiederhole es an dieser Stelle -, dass die Braunkohlensanierung ein Erbe des gigantischen planwirtschaftlichen Raubbaus der kommunistischen Ideologen der DDR ist. Sie sind Verursacher und verantwortlich dafür, dass zur Planerfüllung bis zu 300 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaut wurden, ohne auf Mensch oder Natur zu achten. Es wurde auf einer Fläche von 1 400 Quadratkilometern der Tagebau betrieben, ohne Rücksicht auf Menschen, Natur und Tiere. So war es bis 1990: geräumte Dörfer, öde Landschaften und eine unvorstellbare Umweltverschmutzung. Mit der Wende verloren nicht nur die Kommunisten ihre Macht, sondern es begann zugleich der lange und mühsame Weg der Braunkohlensanierung. Seit 1990 haben der Bund und die betroffenen Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits über 9,3 Milliarden Euro in die Braunkohlensanierung investiert und Beachtliches erreicht: 97 Prozent der Fläche sind bereist bergmännisch saniert, 87 Prozent rekultiviert und rund zwei Drittel der Flächen sind nach erfolgreich durchgeführter Sanierung an neue Eigentümer übertragen worden. Es entstanden nicht nur neue Erholungsgebiete, wie beispielsweise das Lausitzer Seenland oder das Leipziger Neuseenland, sondern auch neue Standorte für Wirtschaft und Gewerbe. Die Sanierung und die anschließende neue Nutzung tragen unmittelbar zur Beschäftigungsentwicklung und andauernden Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den betroffenen Regionen bei. Es ist uns ein Anliegen, dass die Menschen in diesen Regionen eine neue Zukunftsperspektive bekommen. Über solche Erfolge sprechen zu können ist schön. Damit diese Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung finden kann, wurde das 5. Verwaltungsabkommen, unabhängig vom überflüssigen Antrag der Linken, zügig erfolgreich zu Ende verhandelt und ist pünktlich zum 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Die Menschen in den betroffenen Regionen, die Unternehmen und die Kommunen haben jetzt eine Planungs- und Zukunftssicherheit bis 2017. Dazu werden über 1,2 Milliarden Euro von Bund und den Ländern bereitgestellt. Viel Geld, das Perspektiven eröffnet. Und für die Zeit nach 2017 wurde vereinbart und im § 5 ({0}) festgeschrieben: „Der Bund und die Länder vereinbaren, für den Zeitraum nach 2017 die Vorgehensweise für eine darüber hinausreichende Fortführung der Braunkohlesanierung und für eine abschließende Übertragung der Verpflichtungen und Vermögenswerte der LMBV auf vom Bund unabhängige Trägerstrukturen einschließlich notwendiger Regelungen für den Risikofall abzustimmen.“ Das heißt, wir wollen und werden vom Bund unabhängige Trägerstrukturen finden, um Risikofälle abzusichern. Anders als die Kommunisten, die alle Verantwortung beim Staat zentralisieren, vertrauen wir rechtsstaatlichen Verträgen zur Risikoabsicherung. Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, gehört zu 100 Prozent dem Bund, was zeigt, dass die Braunkohlensanierung als öffentliche Aufgabe wahrgenommen und durchgeführt wird. Die LMBV ist Eigentümerin der Bergbauflächen und Altstandorte und ist als Projektträgerin für die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen verantwortlich, die vorher im Steuerungs- und Budgetausschuss Braunkohlesanierung, StuBA, vom Bund und den Braunkohlenländer gemeinsam festgelegt werden. Ein weiteres Beispiel für erfolgreiche Kooperationen zwischen Bundes- und Landesbehörden. Damit die LMBV auch zukünftig ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen kann, wurde im 5. Verwaltungsabkommen ein Finanzrahmen von 770 Millionen Euro Zu Protokoll gegebene Reden zwischen dem Bund und den Ländern vereinbart, den sie sich im Verhältnis 75 Prozent zu 25 Prozent teilen. Der Bund weiß um seine Verantwortung und steht zu ihr. Ein bewährtes und faires Verfahren, um eine kontinuierliche Sanierungsarbeit zu gewährleisten. Nicht nur, weil ich aus dem Erzgebirge mit seiner über 800 Jahre alten Bergbaugeschichte komme, weiß ich, der Erzfeind des Bergmanns ist das Wasser - egal ob in den Erzgruben oder in den Tagebauen. In meiner Heimat gibt es auch heute noch immer wieder Einstürze an Straßen und auf den Feldern; noch heute entstehen Bingen. Deshalb haben Bund und Länder zur Gefahrenabwehr, wie sie sich beispielsweise aus dem Grundwasserwiederanstieg ergibt, insgesamt einen Betrag von 460 Millionen Euro vereinbart, den sie jeweils zur Hälfte tragen. Das ist ein Beitrag zu einer in die Zukunft gerichteten Gefahrenabwehr. Darüber hinaus haben sich die Länder bereit erklärt, über ihre Verpflichtungen gegenüber der LMBV hinaus, zusätzliche Mittel für weitere Maßnahmen unter anderem zur Erhöhung des Folgenutzungsstandards und zur Gefahrenabwehr im Bereich des Braunkohlenaltbergbaus bereitzustellen. Das ist in der Tat zuerst eine Aufgabe der Länder, der sie mit dieser Selbstverpflichtung auch nachkommen werden, und nicht eine zentralistisch zu handhabende Herausforderung, wie Staatsetatisten und Kommunisten sie handhaben würden. Die schwarz-gelbe Bundesregierung stellt sich ihrer Verantwortung über die Legislatur- und Vertragslaufzeit hinaus. Im Gesamtergebnis ist das 5. Verwaltungsabkommens eine konsequente Fortschreibung der erfolgreichen Braunkohlensanierungspolitik. Der Bund und die Länder nehmen gemeinsam ihre Verantwortung war und schaffen durch ökonomische und ökologische Impulse Entwicklungsmöglichkeiten für die betroffenen Regionen. Das trägt zur Planungssicherheit für die Menschen und Kommunen bei. Der Antrag der Linken war bereits bei seiner Einbringung ein Schaufensterantrag und gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen: Der Kommunismus fördert den Raubbau an der Natur und die Missachtung der Schöpfung. Überall dort, wo Kommunisten regierten oder gar noch regieren, das gleiche Bild: Umweltzerstörung, Verödung der Natur. Gott sei Dank hat das in Deutschland ein Ende und wir arbeiten daran, dass es nie wieder eine Zukunft für diese menschenmissachtende Ideologie gibt. Aus meinen Ausführungen ist deutlich geworden: Wir lehnen den Antrag der Linken in allen Punkten konsequent ab. - Ein herzliches „Glück Auf“ aus dem Erzgebirge.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der hier abschließend zu beratende Antrag stammt aus dem September 2010 und hat einen seiner Zwecke erfüllt: Ende 2012 wurde noch rechtzeitig das fünfte Verwaltungsabkommen zur Braunkohlensanierung für die Zeit von 2013 bis 2017 unterzeichnet. Das Abkommen hat ein Gesamtvolumen von etwa 1,3 Milliarden Euro. Verglichen mit den im Zeitraum von 1991 bis 2011 aufgewendeten 9,2 Milliarden Euro stellt das einen deutlichen Rückgang dar. Dieser wird unter anderem damit begründet, dass die sogenannte Hauptarbeit bei der Sanierung getan sei und es sich in den kommenden Jahren eher um Rest- und Abschlussarbeiten handele. Dieses Herangehen halte ich für nicht sachgerecht, ja sogar für fahrlässig. Dabei geht es nicht nur um überraschende und schwer kontrollierbare Rutschungen wie die in Nachterstedt oder andernorts - zum Glück ohne tödliche Folgen wie in Nachterstedt; Schlagzeilen hatte zu Recht zuletzt die sogenannte Verockerung der Spree durch eisenhydroxidbelastetes Wasser gemacht. Dieses gravierende Problem spielte, als das fünfte Verwaltungsabkommen ausgehandelt wurde, in der Öffentlichkeit noch keine Rolle. Dazu trug bei, dass Behörden und Sanierungsunternehmen wenig bereit waren, Anfragen zu beantworten und substanzielle Informationen über Ursachen und Folgen der Verockerung an die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu geben. Auch die Landesregierung Brandenburg machte die Verockerung erst viel zu spät zur sogenannten Chefsache. Nun will man dem Problem mit Sanierungsplänen beikommen, für die - so für Schlammausbaggerungen - mehrere Millionen Euro in den Haushalt der zuständigen Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, LMBV, eingestellt worden sind. Welche Kosten aber langfristig entstehen, ist noch gar nicht abzusehen. Nicht wenige Experten rechnen damit, dass noch auf Jahrzehnte hinaus Eisenhydroxid aus dem Untergrund gewaschen wird. Der Imageschaden, der zum Beispiel dem Tourismus im Spreewald droht, ist dabei finanziell nur schlecht zu veranschlagen. Im Antrag hatte die Linke verlangt, dass der Bund künftig einen größeren Anteil - 75 Prozent - der Sanierungskosten übernimmt, die sich aus der Störung des Wasserhaushaltes ergeben. Diese Forderung ist unter dem Blickwinkel der akuten Gefährdung der Oberflächengewässer weiterhin mehr als berechtigt. Auch der von uns geforderte Rechtsanspruch für Betroffene, deren Häuser wegen des Wiederanstiegs des Grundwassers gefährdet sind, ist noch nicht umgesetzt. Der Bund muss mehr Verantwortung für die Sanierung übernehmen und darf diese nicht auf die Länder abschieben. Feststellen lässt sich jetzt schon, dass die Braunkohlensanierung 2017 keineswegs beendet sein wird. Warum die Verhandlungen zu einem sechsten Abkommen erst 2016 beginnen sollen, ist nicht einzusehen. Es wäre, im Gegenteil, notwendig, schon das fünfte Abkommen zeitnah zu evaluieren. Sie können sicher sein, dass die Linke dies in der nächsten Legislaturperiode einfordern wird. Unzureichend erscheint mir auch die internationale Nutzung der bei der Sanierung gewonnenen ErfahrunZu Protokoll gegebene Reden gen. So gibt es zum Beispiel in der Mongolei ein starkes Interesse an den Sanierungserfahrungen der LMBV. Der „Export“ des entsprechenden Know-how findet aber zu wenig Unterstützung. Die Bundesregierung konzentriert sich ganz im traditionellen Sinne auf „Rohstoffpartnerschaften“ mit Ländern, die über reichhaltige Bodenschätze verfügen. Was nach der Gewinnung geschieht, ist dabei kaum von Interesse. Auch hier könnte die Bundesrepublik zu einem Vorreiter werden. Zu einer wirklichen Energiewende im Sinne einer nachhaltigen Politik gehören bekanntlich nicht nur der Atomausstieg, sondern mittelfristig auch der Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle. Dieser ist, wie sich zeigt, nicht nur eine Frage der Sozial-, Klima- und Energiepolitik, sondern hängt auch eng mit dem Erhalt und Schutz unserer Kultur- und Naturlandschaften zusammen. Der auch zu DDR-Zeiten geförderte Glaube, nach dem Auskohlen der Tagebaue könne man die Landschaft einfach rekultivieren, wurde gerade in den letzten Jahren gründlich widerlegt. Die Braunkohlenförderung schlägt eine Wunde in die Landschaft, die nur schwer heilt.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In dem vorliegenden Antrag fordern die Linken, dass die im Jahre 1993 begonnenen Sanierungsmaßnahmen für ehemalige Braunkohletagebaue in Ostdeutschland mit einer ausreichenden finanziellen Ausstattung auch über das Jahr 2012 hinaus fortgesetzt und als öffentliche Aufgabe wahrgenommen werden sollen. Zu diesem Punkt muss festgehalten werden, dass die Zeit seit der Einbringung des Antrags fortgeschritten ist und durch die Verabschiedung des 5. Verwaltungsabkommens im Oktober 2012 die weitere Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen bis 2017 sichergestellt ist. Das ist gut so und wurde von uns auch immer unterstützt. Eine Fortführung dieser Sanierungsmaßnahmen ist nämlich alternativlos: Das Unglück von Nachterstedt am 18. Juli 2009 hat uns auf tragische Weise vor Augen geführt, wie gefährlich die Altlasten ehemaliger Abbaugebiete sind. Man sollte an dieser Stelle festhalten, dass seit Beginn der Sanierungsarbeiten an vielen Stellen sehr gute Arbeit geleistet worden ist. Es sind identitätsstiftende Naherholungsgebiete entstanden, die gerade den strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland zusätzliche Wertschöpfungsketten generieren. Das ist positiv zu bewerten, wenn auch bei der Sanierung und Renaturierung allzu oft nach Schema F vorgegangen wurde. Aspekte der Biodiversität, des Natur- und Artenschutzes haben dabei leider nur in sehr wenigen ehemaligen Tagebaubereichen eine Berücksichtigung gefunden. Dennoch stimmen wir heute gegen den Antrag der Linken, und dies vor allem aus zwei Gründen. Erstens fehlt uns in dem Antrag die Forderung nach einer umfassenden Evaluierung der bisherigen Maßnahmen. Es wurden bereits über 9 Milliarden Euro ausgegeben. Angesichts dieser hohen Summe erscheint es uns dringend geboten, dass eine externe Gutachterkommission die bisherigen Maßnahmen kritisch überprüft. Zweitens fehlt uns in dem Antrag der Linken eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Lehren aus den auftretenden Folgeschäden des Braunkohlebergbaus zu ziehen sind. Sowohl in Ostdeutschland als auch im Rheinland wird nämlich an vielen Stellen immer deutlicher, dass der Braunkohlebergbau nicht nur während des Abbaus durch Umsiedlungen, Grundwasserabsenkungen, großflächige Naturzerstörungen, Bergschäden, Feinstaubbelastungen und vieles mehr erhebliche Schäden mit sich bringt, die oft nicht oder nur unzureichend kompensiert werden. Es wird auch immer deutlicher, dass der Braunkohlebergbau auch Alt- und Ewigkeitslasten produziert, also Schäden mit erheblichen Reparaturkosten, nachdem der Abbau längst beendet ist. Und es ist keineswegs sicher, dass die Bergbaukonzerne dann noch in der Lage oder willens sein werden, für die Schäden aufzukommen, wo dies ja heute zum Teil schon nicht geschieht. So zeigt zum Beispiel ein von der grünen Regionalratsfraktion in Köln als Folge der Katastrophe in Nachterstedt in Auftrag gegebenes Gutachten, dass die Stabilität der Böschungen an den riesigen im Rheinland geplanten Braunkohlerestseen keineswegs erwiesen ist. Wir müssen uns darüber hinaus sowohl in Ostdeutschland als auch im Rheinland mit dem Problem der Eisenoxidation und Versauerung von Gewässern auseinandersetzen. Dies zeigt sich zurzeit sehr deutlich am Beispiel der Spree: Dort hat der Fluss aufgrund der hohen Eisenbelastung mittlerweile eine rot-braune Färbung angenommen, die auch als „Verockerung“ bezeichnet wird. Für den gerade entstehenden naturnahen Tourismus in der Region ist das ein schwerer Schlag. Weiter wird nach Einstellung der Sümpfungen rund um die Tagebaue das wiederansteigende Grundwasser nicht nur für nasse Keller, sondern auch für das Risiko von Überflutungen und weitere Bergschäden sorgen, sodass am Ende nicht auszuschließen ist, dass wir wie schon beim Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet dauerhaft mit großem Kostenaufwand das Grundwasser abpumpen müssen. Nun ist die Vermeidung von Alt- und Ewigkeitslasten im Falle der ehemaligen DDR-Tagebaue, um die es hier heute primär geht, nicht mehr möglich, aber genau das zeigt ja, dass die Bewältigung der Folgeschäden des Bergbaus häufig an den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern hängen bleiben. Und das müssen wir für die Zukunft vermeiden! Aber dazu finde ich im Antrag der Linken nichts. Aus diesen Erkenntnissen muss man nach unserer Auffassung den Schluss ziehen: Braunkohletagebaue sind ein am Ende nicht technisch beherrschbarer Eingriff in Natur und Landschaft und gehören daher so schnell wie möglich in Deutschland gestoppt! Tausende Menschen verlieren durch den Tagebau ihre Heimat, weil ganze Dörfer weggebaggert werden. Wälder werden abgeholzt, die der natürliche Lebensraum für viele Tierarten sind. Die Belastungen durch ({0})Staub, Lärm sowie Bodenhebungen und -absenkungen sind nicht nur für Anwohner enorm, sie fühZu Protokoll gegebene Reden ren generell zu einem Verlust der Lebensqualität für Mensch, Fauna und Flora. Und wozu wird dies alles letztendlich gemacht? Um den klimaschädlichsten Energieträger - das ist nämlich die Braunkohle - in uralten Kraftwerken zu verbrennen und das Klima damit dauerhaft und massiv zu schädigen. Das ist nichts anderes als blanker Irrsinn, der da an vielen Stellen immer noch betrieben wird. Ich als Rheinländer weiß, wovon ich rede, denn im rheinischen Braunkohlenrevier gibt es mit dem Tagebau in Hambach nicht nur das tiefste menschengemachte offene Loch der Welt, nein, es wird auch nirgendwo auf der Welt auf so engem Raum so viel CO2 emittiert wie im rheinischen Braunkohlenrevier. Wir finden es zu wenig, einfach nur, wie die Linken es tun, Geld für die Reparatur der Hinterlassenschaften der DDR-Energiewirtschaft zu fordern, ohne sich kritisch mit den Folgen der laufenden und in Brandenburg unter linker Regierungsbeteiligung sogar noch geplanten neuen Tagebaue auseinanderzusetzen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5964, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3046 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Dagegen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Linke und SPD-Fraktion waren dagegen. Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Professorenbesoldung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksachen 17/12455, 17/12662 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 17/13134 Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster ({2}) Dr. Stefan Ruppert Dr. Konstantin von Notz Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sind zu Protokoll genommen.

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung regeln wir die Besoldung der Professoren des Bundes neu. Dies ist notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2012 wesentliche Teile der bisher geltenden Besoldung für unwirksam erklärt hatte. Die Neuregelung beinhaltet nun, dass die Grundgehälter der Besoldungsgruppen W 2 und W 3 steigen. Zugleich werden für diese Gruppen Erfahrungsstufen eingeführt. Leistungsbezogene Besoldungsbestandteile - und damit die Grundlagen des Leistungsprinzips - bleiben dennoch erhalten. Dafür haben wir uns in der parlamentarischen Diskussion eingesetzt. Funktionsleistungsbezüge werden nicht angerechnet, ebenso wenig besondere Leistungsbezüge. Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge sollten entsprechend dem Ursprungsentwurf voll auf das neue, erhöhte Grundgehalt angerechnet werden. Mit unserem Änderungsantrag sorgen wir als bürgerlichliberale Koalition dafür, dass bei diesen Zuschlägen 30 Prozent anrechnungsfrei bleiben. Besondere Leistungen sollen auch weiterhin angemessen honoriert werden. Im Vergleich zu den Länderregelungen erhält sich der Bund damit eine wettbewerbsfähige Position um die besten Köpfe. In diesem Gesetz sind noch einige weitere dienstrechtliche Fragen neu geregelt worden, die sich aufgrund von praktischen Erfordernissen oder aus der Rechtsprechung ergeben haben. So mussten wir die Arbeitszeiten für die Feuerwehrleute der Bundeswehr anheben. Eine Änderung der Arbeitszeitverordnung ist aus rechtlichen Gründen zwingend geboten. Regelmäßige Mehrarbeit ist im mittleren feuerwehrtechnischen Dienst bei der Bundeswehr die Regel und ein Freizeitausgleich normalerweise dienstrechtlich nicht möglich. Die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden wurden bislang durch Mehrarbeitsvergütung abgeglichen. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach diese bisherige Arbeitszeitregelung und die Vergütungspraxis als rechtswidrig beanstandet. Er hat angemahnt, dass Mehrarbeitsvergütung nur in Ausnahmefällen gewährt werden darf. Eine dauerhafte Zahlung von Mehrarbeitsvergütung ist rechtlich nicht zulässig. Der Bundesrechnungshof hat auch die Festlegung der Arbeitszeit im Einsatzdienst der Bundeswehrfeuerwehren als rechtswidrig beanstandet. Die Bundesarbeitszeitverordnung sieht vor, dass bei einem nicht unerheblichen Anteil an Bereitschaftsdienst und Vorliegen von dienstlichen Bedürfnissen die Arbeitszeit auf bis zu 48 Stunden pro Woche angehoben werden kann. Da es sich um eine sogenannte gebundene Ermessensentscheidung handelt, muss der Dienstherr im vorliegenden Fall die Arbeitszeit anheben. Die bisherige Arbeitszeitregelung und die damit verbundene Mehrarbeitsvergütungspraxis ist nicht länger aufrechtzuerhalten. Angesichts des hohen Anteils des Bereitschaftsdienstes ist die Anhebung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden nachvollziehbar. Die neue Regelung unterscheidet sich im Übrigen nicht von den Festlegungen der Länder und Kommunen. Dort sind im Feuerwehr29366 Armin Schuster ({0}) dienst ebenfalls 48 Stunden Wochenarbeitszeit die Regel. Um die im Rahmen der sogenannten Opt-out-Regelung freiwillig geleistete, über 48 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit attraktiv zu halten, hatte der Gesetzentwurf ursprünglich einen neuen Besoldungsbestandteil vorgesehen. Der dadurch erreichte Ausgleich war höher als der auf der Grundlage der zutreffenden Mehrarbeitsberechnung zustehende Anspruch. Er war allerdings etwas niedriger als bei einer Mehrarbeitsberechnung, die sich - wie vom Bundesrechnungshof zu Recht beanstandet - an einer Arbeitszeit von 41 Wochenstunden orientiert. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben wir auch aufgrund zahlreicher Schreiben von Betroffenen darüber debattiert, wie man die rechtmäßige Neuregelung sozialverträglich umsetzen kann und so dem Anliegen der Betroffenen möglichst weitgehend Rechnung tragen kann. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP nun eine Lösung gefunden, die den Interessen der Betroffenen erheblich entgegenkommt und zugleich dem Umstand Rechnung trägt, dass die bisherige Praxis rechtlich nicht aufrechtzuerhalten war. Die gefundene Lösung ist im Wesentlichen eine zeitlich bis ins Jahr 2017 gestaffelte, mit Anreizen versehene Übergangsregelung, mit der die finanziellen Nachteile sozialverträglich aufgefangen werden. Ich bin froh, dass wir diese Übergangsregelung in dem nun vorgelegten Änderungsantrag verankern konnten. Damit tragen wir auch unserer sozialen Verantwortung gegenüber den Feuerwehrbeamten der Bundeswehr Rechnung. Betroffen von Änderungen sind auch die Systemoperatoren Wärmebild bei der Bundespolizei. Die Zulagen für diese Berufsgruppe werden neu geordnet. Sie werden künftig nicht mehr die Fliegerstellenzulage erhalten, sondern eine besondere Erschwerniszulage, die im Regierungsentwurf von 60 auf ursprünglich 140 Euro erhöht werden sollte. Wir haben in unserem Änderungsantrag nun vorgesehen, diese Zulage auf 180 Euro zu erhöhen, um die finanziellen Einbußen für die Systemoperatoren zu mildern. Der Grund für diese Änderung ist eine genauere Differenzierung zwischen nichtständigen und ständigen Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen sowie fliegendem Personal. Ich bitte Sie, diesem Gesetz mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen zuzustimmen. Damit tragen Sie dazu bei, dass der Bund auch weiterhin ein fairer und leistungsorientierter Arbeitgeber bleibt.

Wolfgang Gunkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So komplex wie der Name des heute zu diskutierenden Gesetzentwurfs ist, so komplex ist auch dessen Reglungsmaterie. Denn hinter der Professorenbesoldung versteckt sich eine Vielzahl weiterer beamtenrechtlicher Gesetzesvorhaben. In einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages haben wir ausführlich die einzelnen Details der Regelung mit den Sachverständigen diskutiert. Ich möchte hier einige dieser Vorhaben aufgreifen und näher beleuchten. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält Änderungen zur Praxis der Dienstpostenbündelung. Diese soll nun nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2011 geändert werden. Dass eine rechtssichere Regelung gefunden werden soll, ist durchaus zu begrüßen. Grundsätzlich steht die SPD einer flexibleren Regelung der Dienstpostenbündelung auch positiv gegenüber. Kritisch finden wir die Regelung bei den Postnachfolgeunternehmen; denn dort soll eine laufbahnübergreifende Bündelung von bis zu fünf Dienstposten möglich sein. Da der Einsatz in den Postnachfolgeunternehmen jedoch nicht status-, sondern aufgabenbezogen erfolgt, besteht somit die Möglichkeit, dass ein Beamter des gehobenen Dienstes im einfachen Dienst eingesetzt wird. Hier hätte sich die SPD-Bundestagsfraktion noch Nachbesserungen gewünscht. Weitere Regelungen betreffen spezielle Berufsgruppen, hier zum einen die Bundeswehrfeuerwehren. Diese müssen nach der heute zu diskutierenden Gesetzvorlage zukünftig 48 statt 41 Stunden arbeiten. Der finanzielle Ausgleich soll durch eine zeitlich begrenzte Zulage erfolgen, die allerdings bis zum Jahr 2017 abschmelzen soll. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, dass die Mehrarbeit heute genauso wie in fünf Jahren bezahlt werden muss, und hat einen entsprechenden Änderungsantrag im Innenausschuss des Deutschen Bundestages eingereicht. Dieser Antrag wurde jedoch mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt. Ein anderer Teil des Gesetzesvorhabens betrifft die Stellenzulage für ständige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige. Die Neuregelung schließt an dieser Stelle sogenannte Wärmebildsystemoperatoren bei Hubschrauberbesatzungen der Bundespolizei explizit aus, in dem sie sich nur noch auf die Bundeswehr bezieht. Bisher erkannte die Bundespolizei die Zulage nach der bisher geltenden Fassung nicht an, aber einige Angehörige der Bundespolizei klagten dagegen erfolgreich und erhielten die Zulage. Durch die Stellenzulage sollen die hohen Anforderungen, die besonderen physischen und psychischen Belastungen sowie die erhöhten Gefahren abgegolten werden, denen Soldatinnen und Soldaten und Beamtinnen und Beamte bei der Verrichtung ihres Dienstes ausgesetzt sind. Warum hier eine Unterscheidung zwischen Bundeswehr und Bundespolizei stattfindet, ist nicht nachvollziehbar. Gleiche Arbeit sollte auch gleich entlohnt werden. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion auch zu dieser Problematik im Innenausschuss einen Änderungsantrag gestellt, in dem gefordert wird, dass diese Differenzierung aufgehoben werden soll und die ursprüngliche Fassung wieder zur Zu Protokoll gegebene Reden Geltung gelangt. Leider konnte sich die SPD-Bundestagsfraktion mit diesem Antrag nicht durchsetzen, da die Koalition aus CDU/CSU und FDP dagegen stimmte. Dennoch begrüße ich es, dass die Regierung an dieser Stelle immerhin so einsichtig war, aus der Anhörung die Anregung mitzunehmen, die Erschwerniszulage, welche den Wärmebildsystemoperatoren gemäß § 22 a Erschwerniszulagenverordnung zusteht, auf 180 Euro zu erhöhen. Hier schien die Höhe der Zulage, die ursprünglich auf 140 Euro festgelegt war, willkürlich.

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 die Besoldung der Professoren in Hessen als verfassungswidrig beurteilt. Reformbedarf ergab sich daraus wegen vergleichbarer Regelungen auch auf Bundesebene. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sorgt die Koalition für eine bessere Vergütung der etwa 850 Professoren an Hochschulen des Bundes und an Forschungseinrichtungen mit Beteiligung des Bundes. Die Reform umfasst eine Anhebung des Grundgehalts für die Besoldungsgruppen W 2 und W 3 und die Einführung von Erfahrungsstufen. Zunächst war im Gesetzentwurf des Weiteren vorgesehen, die sogenannten Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge voll mit der Anhebung des Grundgehalts zu verrechnen. Diese Bezüge dienen als Instrumente, um Professoren für eine Hochschule zu gewinnen oder wechselwillige Professoren zum Bleiben zu bewegen. Sie sind ein Zeichen dafür, dass Professoren aufgrund ihres Könnens für eine Hochschule sehr attraktiv sind oder nicht entbehrt werden können. Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest, dass die Verrechnung dieser Bezüge mit dem Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst nicht vereinbar ist. Damit würden aus unserer Sicht Professoren ohne solche Bezüge gegenüber denjenigen bevorzugt, die sie wegen besonders guter Leistungen erhalten haben. Wir haben uns deshalb in den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs dafür eingesetzt, dass das Leistungsprinzip nicht geschwächt wird. Im Kompromiss mit unserem Koalitionspartner CDU/CSU haben wir durchgesetzt, dass 30 Prozent der Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge bei der Anhebung des Grundgehalts erhalten bleiben. Ein höherer Prozentsatz war leider nicht kompromissfähig. Neben der Professorenbesoldung regelt der vorliegende Gesetzentwurf noch weitere dienstrechtliche Änderungen. Besonders kontrovers diskutiert wurde im Vorfeld die geplante Neuregelung der Vergütung der Beamten im Einsatzdienst der Bundeswehrfeuerwehren. Notwendig wurde diese Neuregelung, weil der Bundesrechnungshof die bisherige Regelung als unzulässig kritisiert hat. Die Bundeswehr ist noch bis Ende 2017 darauf angewiesen, dass die Feuerwehrbeamten bezüglich ihrer Wochenarbeitszeit eine Opt-uut-Regelung eingehen und freiwillig bis zu 54 Wochenstunden Dienst leisten. Die geplante Neuregelung der künftigen Vergütung der Mehrarbeit hätte nach sich gezogen, dass die Beamten mit einer Wochenarbeitszeit zwischen 41 und 48 Wochenstunden keine zusätzliche Vergütung mehr erhalten hätten. Die Koalition hat sich nun darauf geeinigt, den Übergang von 41 auf 48 Wochenstunden schrittweise zu gestalten. Die neue Vergütung wird in zwei Teilen gewährt werden. Der erste Teil besteht aus einem Sockelbetrag, der allen Feuerwehrbeamten mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden gezahlt wird. Der Sockel ist degressiv ausgestaltet und vermindert sich jährlich etwas, bis er Ende 2017 komplett ausläuft. Opt-out-Beamte erhalten weiterhin eine variable Vergütung der 24-Stunden-Schichten, die von 30 Euro im Jahr 2013 in 4-Euro-Schritten auf 46 Euro im Jahr 2017 progressiv ansteigt. Aus unserer Sicht ist damit eine tragbare und gute Lösung gefunden worden. Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass für Wärmebild-Systemoperatoren der Bundespolizei ein Anspruch auf Stellenzulage, wie sie Piloten und Flugtechnikern gewährt wird, nicht mehr vorgesehen ist. Diese Unterscheidung wird zum einen aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an Ausbildung und Qualifikation von Piloten und Flugtechnikern im Vergleich zu Systemoperatoren gemacht. Zum anderen trägt sie dem Umstand Rechnung, dass Piloten und Flugtechniker im Gegensatz zu Systemoperatoren für sämtliche Entscheidungen im Betrieb des Luftfahrzeugs verantwortlich sind und somit fliegerische Verantwortung tragen, die Systemoperatoren nicht tragen müssen. Auch unterscheidet sich der Flugbetrieb bei der Bundespolizei von dem bei der Bundeswehr. Selbstverständlich sind auch die Systemoperatoren der Bundespolizei erhöhten beruflichen Belastungen durch den Flugbetrieb ausgesetzt. Sie nehmen ihre Aufgaben unter den gleichen äußeren Bedingungen wie Lärm und Vibration wahr wie Piloten und Flugtechniker der Bundespolizei, auch wenn die Anforderungsprofile unterschiedlich sind. Im Gesetzentwurf war vorgesehen, die Erschwerniszulage von derzeit 60 Euro auf 140 Euro zu erhöhen. Der Koalition war es ein Anliegen, ein stärkeres Zeichen der Anerkennung für die Belastungssituation des mitfliegenden Personals und insbesondere der Systemoperatoren zu setzen. Deshalb erhöhen wir die Erschwerniszulage nun auf 180 Euro. Neben dem Gesetzentwurf zur Professorenbesoldung setzen wir heute zwei weitere Reformen im Dienstrecht um. Mit der Einführung der Portabilität setzen wir eine langjährige FDP-Forderung für mehr Flexibilität und Wissensaustausch zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst um. Die Familienpflegezeitregelung stärkt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie die Flexibilität des Ruhestandseintritts. Die FDP blickt auf vier gute Jahre für das BerufsbeamtenZu Protokoll gegebene Reden tum in Deutschland. Mit dem heutigen Tag führen wir diese positive Bilanz fort.

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Regierungskoalition hat nach der Anhörung im Innenausschuss zu den drei Gesetzentwürfen zum Beamtenrecht, mit einem Änderungsantrag auf die teils heftige Kritik aus den Gewerkschaften und von Betroffenen reagiert. Im Änderungsantrag der Regierungskoalition zur Neuregelung der Professorenbesoldung wird die Kritik zumindest teilweise aufgegriffen. Bei der Anrechenbarkeit verschiedener Bezüge der Professoren, unzureichenden Überstundenvergütungen der Bundesfeuerwehrleute und den Zulagen der Systemoperatoren des mitfliegenden Personals wurden leichte Verbesserungen vorgenommen: Der Änderungsantrag zielt bei den Professoren darauf ab, dass nun auch Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge teilweise angerechnet werden. Bei Leistungsbezügen geringer oder mittlerer Höhe wird damit einer Nivellierung entgegengewirkt. Fälle mit Stufenaufstieg und Fälle mit einer sofortigen Zuordnung zu einer höheren Stufe sollen gleichbehandelt werden. Diese Änderungen sind zu begrüßen. Für die Bundeswehrfeuerwehrbeamten, die freiwillig mehr als 48 Stunden in der Woche Dienst leisten, soll nach dem Gesetzentwurf die erhaltene Mehrarbeitsvergütung kein dauerhafter Bezügebestandteil mehr sein kann. Damit würde auch der Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung für Beamtinnen und Beamte entfallen, die bisher höchstens 48 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Der Änderungsantrag sieht nun die Einführung eines degressiv ausgestalteten Festbetrages vor, der den Übergang zu einer 48-Stunden-Woche abfedert. Ebenso wie der dbb beamtenbund und tarifunion bewerten wir den Gesetzentwurf kritisch, weil bei einer freiwilligen Vereinbarung zur Leistung einer Wochenarbeitszeit von 54 Stunden die unterschiedlichen Schichten und die weit auseinanderliegenden Schwellenwerte von mehr als 10 bzw. 24 Stunden Dienst zu erheblichen finanziellen Nachteilen sowohl im Verhältnis zur aktuellen Regelung - Vergütung nach Bundesmehrarbeitsvergütungsverordnung - als auch innerhalb der Neuregelung führen. Die Mehrbelastung durch die erhöhte Arbeitszeit wird nicht ausreichend gewürdigt. Die regelmäßige Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten beträgt grundsätzlich 41 Stunden. Bundeswehrfeuerwehrbeamtinnen und -beamte würden durch die Neuregelung regelmäßig 48 Stunden arbeiten. Die Freiwilligkeit ist hier infrage gestellt, da eine zusätzliche Vergütung nur erlangt werden kann, wenn eine Arbeitszeitvereinbarung geschlossen wird. Andernfalls wird ohne Vergütung die Arbeitszeit erhöht. Dies kann eine Drucksituation erzeugen. Der Gesetzentwurf begründet den Regelungsvorschlag damit, dass im mittleren feuerwehr-technischen Dienst der Bundeswehr seit Jahren ein erheblicher Personalmangel herrsche und nur durch die freiwillige Erhöhung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, die Aufrechterhaltung eines arbeitszeitkonformen Dienstbetriebes in den Bundeswehrfeuerwehren und damit die Sicherstellung des militärischen Auftrages mit dem vorhandenen Personal zu gewährleisten sei. Es ist nicht akzeptabel, wenn Regelungen zulasten von Beamtinnen und Beamten eingeführt werden, weil die Verantwortlichen der Bundeswehr und letztlich die Bundesregierung nicht in der Lage sind, das Problem an sich - die Behebung des Personalmangels - zu lösen, um einen geordneten Dienstbetrieb zu gewährleisten. Schon aus diesem Grund lehne ich eine solche Regelung ab. Solange aber diese Ausnahmesituation herrscht, darf man die Bereitschaft und das Engagement der Beamtinnen und Beamten der Bundeswehrfeuerwehren nicht durch eine Verschlechterung ihrer Situation bestrafen. Der Änderungsantrag mildert das Problem ab, löst es aber nicht. Auch die Zulagen für Systemoperatoren der Bundespolizei werden neu geregelt. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes können Systemoperatoren für Wärmebildgeräte in Luftfahrzeugen der Bundespolizei unter dem Begriff der sonstigen ständigen Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen geführt werden. Soweit die Voraussetzungen dafür vorliegen, können sie nach dem Urteil eine Stellenzulage in der Höhe erhalten, wie sie Flugtechnikern der Bundespolizei gewährt wird. Dies sei jedoch - so der Regierungsentwurf - angesichts des unterschiedlichen Qualifikations- und Anforderungsprofils beider Gruppen nicht sachgerecht. Deshalb ordnet der Regierungsentwurf die Zulagen neu und stellt klar, dass für diese Systemoperatoren kein Anspruch auf eine Stellenzulage besteht. Die mit der Teilnahme am Flugbetrieb bestehenden Belastungen sollten durch eine erhöhte Erschwerniszulage ausgeglichen werden. Der Änderungsantrag hält an der Abschaffung des Anspruchs auf die Stellenzulage fest, erhöht aber den monatlichen Zulagenbetrag von 140 auf 180 Euro. Wenn Angehörigen der Bundeswehr, die als Wärmebildsystemoperatoren tätig sind, auch weiterhin die Zulage gewährt wird, während man diese den Bundespolizisten verweigern will, dann ist das eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Die Fliegerzulage stellt für mich eine Risikozulage im Gegensatz zur Erschwerniszulage dar, die allein den besonderen Belastungen bei der Berufsausübung Rechnung trägt. Alle Angehörigen einer Luftfahrzeugbesatzung sitzen gewissermaßen in einem Boot und sind gleichermaßen dem Flugrisiko ausgesetzt. Und wie der tragische Unfall von Hubschraubern der Bundespolizei bei einem Übungseinsatz in Berlin zeigt, sind bei einem Absturz auch alle betroffen. Ich lehne deshalb eine Streichung der Fliegerzulage für Wärmebildsystemoperatoren ab. Zum Abschluss möchte ich aus meiner heutigen Rede zum Altersgeld zitieren. Alle drei am heutigen Tag zur Abstimmung stehenden Gesetze zu Fragen des öffentlichen Dienstrechtes, zum Altersgeld, zur Familienpflegezeit und zur Professorenbesoldung kranken Zu Protokoll gegebene Reden an dem gleichen Problem: Die Gesetzentwürfe ändern das Recht des öffentlichen Dienstes in vielen Details, aber sie folgen keinem durchdachten Konzept, das für eine Reform zur Modernisierung des Dienstrechts - nicht zuletzt angesichts des demografischen Wandels - notwendig wäre. Ihnen fehlt eine Vision, und Ihnen fehlt der Mut, über Ihre selbstgesetzte Grenze der Kosten- und Planstellenneutralität hinwegzuschreiten. Mit Stückwerk kann man sich über die Zeit retten, aber die Probleme holen Sie über kurz oder lang unweigerlich ein.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zeit der schwarz-gelben Koalition neigt sich ihrem Ende zu. Ihre Bilanz im Bereich des öffentlichen Dienstrechts ist - das kann man ohne Übertreibung sagen - mangelhaft. Das konservativ-liberale Wunschprojekt war entweder nicht willens oder hat es in vier Jahren eben nicht zuwege gebracht, Impulse zu setzen, mit denen die zentralen Strukturfragen des öffentlichen Dienstes aufgegriffen und auf den Weg einer Lösung gebracht werden. Zunächst meinte die Merkel-Koalition, sie könne mit einer klammheimlichen absprachewidrigen Aktion das Weihnachtsgeld kürzen. In der Folge war sie über Monate im Trommelfeuer des Deutschen Beamtenbundes als auch aller anderen Verbände gebunden. Im Übrigen verlegte man sich beim Thema Fachkräftegewinnung auf monetäre Anreize, kümmerte sich bei dieser Gelegenheit um die Versorgung der eigenen politischen Spitzenbeamten und nahm dabei auch gezielt politischen Einfluss auf Gremien wie den Sachverständigenrat für Umweltfragen. In Ermangelung eines erkennbaren konzeptionellen Ansatzes haben wir es also bei den drei jetzt vorgestellten Gesetzesvorhaben mit dem dienstrechtlichen Finale Grande der schwarz-gelben Chaoskoalition zu tun. Und hier wird recht gut sichtbar, wie diese Koalition arbeitet, wie diese Koalition gearbeitet hat. Potemkin lässt grüßen! Fassaden und wenig Substanzielles dahinter. Einige zentrale Schlagwörter der Debatte werden okkupiert. Man gibt jetzt vor, ja man beansprucht, das Altersgeld und die Familienpflegezeit eingeführt zu haben. Zur Aufhübschung der mageren Bilanz beim Zukunftsthema demografischer Wandel versucht man zugleich, diese Themen als demografiepolitische Maßnahmen zu verkaufen. Doch wer nur ansatzweise hinter das Marketing dieser Politik schaut, wird enttäuscht. Wer es mit diesen Instrumenten ernst meint, hätte viel mehr und anderes liefern müssen. Die Familienpflegezeit wird ausschließlich in die Verantwortung der Betroffenen gelegt. Zwar werden Beamtinnen und Beamte zukünftig einen Antrag auf Pflege stellen können, aber dann kommen die Hürden: nur für engste Angehörige, kein Rechtsanspruch, zunächst nur zwei Jahre. Beim Altersgeld ist es ähnlich: Zwar wird eine Mitnahmemöglichkeit erworbener Versorgungsansprüche geschaffen. Peinlich genau aber wird der Vergleich mit echten Versorgungsansprüchen gemieden, alles sui generis. Und entgegen bisheriger Konsense muss man sieben Jahre im öffentlichen Dienst gewesen sein und muss Abschläge von bis zu 30 Prozent hinnehmen. Das ist keine Flexibilisierung des Wechsels in den öffentlichen Dienst oder aus ihm hinaus, das ist ein WechselAbschreckungsprogramm. Die vielen fachlichen Detailfragen, von der GdP verdienstvollerweise höchst akribisch aufgelistet, die sich angesichts des Regierungsentwurfs anschließen, habe ich da noch gar nicht erwähnt. Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund den Gesetzesvorschlag zur Professorenbesoldung untersuchen. Deutlich wird, dass der Anlass für dieses umfangreichere Artikelgesetz zu besoldungsrechtlichen Fragen reaktiver Natur ist: Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherige Regelung zur Professorenbesoldung für verfassungswidrig erklärt. Und wieder geht es - lassen Sie es mich einmal etwas salopper ausdrücken - allein um die Kohle: Der vom Karlsruher Gericht monierte Verstoß der W-2- und W-3-Besoldung gegen das Alimentationsprinzip machte Handeln in diesem Bereich unumgänglich. Wieder legt die Bundesregierung eine Minimalantwort vor: Das Grundeinkommen wird wieder angehoben; boshaft wird gesagt, wir sind wieder da, wo wir bei der C-Besoldung waren. Gleichzeitig sollen die Leistungselemente erhalten bleiben, auch wenn diese zur finanziellen Kompensation herangezogen werden. Schließlich sollen mit der Einführung der an die Altersstufen erinnernden Erfahrungsstufen allgemein berufliche Entwicklungen honoriert werden. Ob diese Reform verfassungskonform ist, wird bereits wieder bestritten, gerade unter Verweis auf die Kürzungen bei den Leistungselementen und die Wiedereinführung der Regelstufen. Ob die kurzfristig vorgelegten Änderungen der Koalition an dieser Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz und auch einiger Rechtswissenschaftler etwas ändern, vermag ich in der Kürze nicht zu sagen. Klar erkennbar aber bleibt: Der Wille dieser Koalition reicht maximal bis zum Minimalkompromiss. Dort ist diese Koalition zu Hause; das ist ihr Revier. Die Folgen für die Hochschulen sind Stillstand und ungelöste Fragen. Weiterhin steht der akademische Nachwuchs vor der Alternative Ochsentour jahrelanger Stellvertretung mit der ungewissen Aussicht auf eine eigene Professur oder Hartz IV. Dazwischen gibt es wenig bis nichts. Der Mittelbau leidet, die Grundfinanzierung der Hochschulen bleibt chronisch zu niedrig, auch wenn der aktuell aufgestockte Hochschulpakt anderes suggerieren mag. Bei der Leistungsbesoldung bleibt eine ungelöste Frage, was genau als besondere Leistung oder Funktionsleistung anerkannt werden soll, eine Frage, die wir uns bei der sogenannten Bleibeleistung etablierter Zu Protokoll gegebene Reden ordentlicher Professoren gar nicht erst stellen. Sieht die Realität nicht viel zu oft so aus, dass Hochschulprofessoren unter dem Label der besonderen Leistung allein nach ihrer Bereitschaft und ihrer Fähigkeit zur Einwerbung von Drittmitteln beurteilt werden? Und ist damit dem Erkenntnisbetrieb Hochschule wirklich gedient, oder findet hier eine Vereindimensionalisierung der Hochschullandschaft statt? Wie können also Kriterien gerechterer und auch gemeinwohlorientierter Leistungsbesoldung ermittelt werden? Es ist zutreffend, dass die vom Bundesverfassungsgericht angegriffene Gesetzesregelung zur W-Besoldung unter Rot-Grün geschaffen wurde. Und es stellt sich im Nachhinein als ein Fehler heraus, dass man meinte, man könne durch eine Absenkung der Grundgehälter zusätzliche Haushaltseinsparungen durchführen in der Hoffnung, die dynamischen leistungsbezogenen Elemente könnten dies kompensieren. Die Vorarbeiten für das Instrument der teilweisen Leistungsbesoldung aber reichen weit in die Kohl-Zeit zurück und entsprachen einem weitgehenden Konsens der damals im Bundestag vertretenen Fraktionen. Lassen Sie mich zu den weiteren Vorschlägen des heute vorgelegten Entwurfs, auch im Licht der Anhörung des Innenausschusses, noch einige Punkte nennen: Gleichstellungspolitisch bleibt diese Regierung auf Kollisionskurs mit dem auch für diese Regierung geltenden Grundgesetz; das dokumentiert auch dieser Gesetzentwurf. Leider mangelt es hier auch an der im Geschäftsverkehr zu erwartenden Lernfähigkeit. Denn dies ist bereits der dritte Versuch der Koalition, eine tragfähige Regelung vorzulegen, und sie wird erneut scheitern. Die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften im Beamtenrecht wurde 2009 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Die daraufhin von der Koalition verabschiedete Umsetzung wurde vom Gericht schon 2011 erneut beanstandet, weil Schwarz-Gelb nicht auch rückwirkend die Ungerechtigkeit beseitigen wollte. Beim nunmehr dritten Versuch „vergisst“ die Koalition unter anderem mal eben, die Hinterbliebenenversorgung mitzuregeln. Zudem will sie alle bereits abgeschlossenen Verfahren als erledigt erklären und nur noch offene Klageverfahren regeln. Das ist europarechtswidrig. Es kann nicht sein, dass das Recht nur für diejenigen gelten soll, die juristisch bewandert genug sind, auf Verdacht gegen Entscheide zu klagen. Die auf August 2001 beschränkte rückwirkende Gleichstellung von Lebenspartnerschaften müsste zutreffenderweise rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Begründung der Lebenspartnerschaft erbracht werden. Und zwar nicht nur beim Familienzuschlag, sondern, wie das BVerfG festgestellt hat, auch für die Hinterbliebenenversorgung, Beihilfe sowie sonstige Leistungen. Wir fordern die Koalition deshalb ausdrücklich auf, unserem heute zur Abstimmung vorgelegten Änderungsantrag zuzustimmen und sich die Mühen weiterer Zurückweisungen wegen verfassungswidriger Vorlagen zu ersparen. Auch die Beschränkungen allein auf zeitnah geltend gemachte Leistungen und abschließend entschiedene Ansprüche ist unzulässig. Wir haben deshalb hierzu einen Änderungsantrag vorgelegt und hoffen, dass die Koalition sich noch eines Besseren besinnt. Die Topfwirtschaft wirft immer wieder schwierige Rechtsfragen auf und hat deshalb einige Rechtsprechung ausgelöst. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dazu erkannt, dass Funktionen nicht ohne sachlichen Grund gebündelt und damit mehreren Statusämtern einer Laufbahngruppe zugeordnet werden dürfen. Es gibt also beispielsweise eine berechtigte Erwartung der Beamten, nicht völlig unterhalb oder oberhalb ihrer Qualifikation und Ausbildung eingesetzt zu werden. Die vom Gesetzentwurf vorgesehene Festlegung der Bündelung auf bis zu drei verschiedene Ämter können wir mittragen; denn die Realität zum Beispiel kurzfristig notwendiger Neubesetzungen verlangt eine gewisse Flexibilisierung. Die für den Bereich der Postnachfolgeunternehmen zugelassene Bündelung auf bis zu fünf Ämter halten wir jedoch für zu weitgehend. Wir teilen insoweit die Einschätzung von Verdi, dass auch die betriebswirtschaftliche Neuausrichtung von Nachfolgeunternehmen es nicht rechtfertigt, sogar laufbahnübergreifende Bündelungen vorzunehmen. Die Bundeswehrreform hat ein insgesamt verheerendes Echo und große Enttäuschung sowohl bei den Soldaten als auch bei den Zivilangestellten nach sich gezogen. Wie ein Nachtreten dürfte es für die circa 500 Bediensteten der Bundeswehr-Feuerwehr aussehen, dass diese auch nach dem nun vorliegenden Änderungsantrag eine kompensationslose Heraufsetzung der Regelarbeitszeit auf 48 Stunden hinnehmen müssen. Ob diese Regelung überhaupt rechtlich durchträgt, dürfte fraglich sein und wird wohl vor dem Verwaltungsgericht landen. Ähnlich hereingelegt wurden die Wärmebildoperatoren - mitfliegendes Personal auf den Hubschraubern der Bundespolizei -, die erst gerichtlich aufwendig eine Erschwerniszulage in Höhe von circa 300 Euro erstreiten mussten, nur um dann zu erfahren, dass die Koalition sie mit diesem Gesetzentwurf gänzlich aus dem Anwendungsbereich des BBesO herausgekickt hat und sie mit einer Kompensation von maximal 180 Euro abspeisen will. Das ist weder sachgerecht, weil diese mitfliegenden Polizisten denselben Gefahren ausgesetzt sind wie das eigentlich fliegende Personal, noch ist es in dieser Vorgehensweise von hinreichendem Respekt getragen. Zusammenfassend wird auch an diesen Details deutlich, in welchem von wenig sozialem Gerechtigkeitsempfinden getragenen Klein-Klein sich der Bundesinnenminister beim öffentlichen Dienstrecht bewegt. Dieses Klein-Klein entspricht spiegelbildlich der offenkundig fehlenden Bereitschaft zur übergreifenden, strukturelle Fragen aufgreifenden VorgehensZu Protokoll gegebene Reden weise beim Dienstrecht. Den Preis dieser Untätigkeit zahlen am Ende die Beamtinnen und Beamten und damit wir alle, weil wir auf die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ganz wesentlich angewiesen sind. Die Anträge der Bundesregierung müssen wir angesichts dieser Mängel im Ergebnis ablehnen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13134, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/12455 und 17/12662 in der Ausschussfassung anzunehmen. Der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen liegt auf Drucksache 17/13145 vor. Darüber stimmen wir zuerst ab. Wer ist für den Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Oppositionsfraktionen. Die Regierungsfraktionen waren dagegen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich Linke und SPD. Die Koalitionsfraktionen haben dafür gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Sie mögen sich sehr gern erheben, wenn Sie dafür sind. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoi- den schützen - Drucksachen 17/12695, 17/13068 - Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Gustav Herzog Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner Die Reden sind zu Protokoll genommen.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13068, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 17/12695 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken und Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens - Drucksache 17/12727 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) - Drucksache 17/13115 Berichterstattung: Abgeordnete Doris Barnett Die Reden sind zu Protokoll genommen.

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ob Tanksäule, Geschwindigkeits-, Wärme-, Gas-, Wasser- oder Elektrizitätsmessungen: Eichpflichtige Messgeräte sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzu- denken und beeinflussen unser tägliches Leben allge- genwärtig. Auch für den Endverbraucher abgepackte Waren beispielsweise basieren auf dem Mess- und Eichgesetz als gesetzlicher Grundlage. Sage und schreibe 4 bis 6 Prozent des Bruttonationaleinkom- mens werden in den Industrienationen durch entspre- chende Messungen abgerechnet, in Deutschland im- merhin ein Betrag zwischen 104 und 157 Milliarden Euro jährlich. Somit kommt einem verlässlichen, transparenten und nachvollziehbaren Messwesen ins- besondere unter wirtschaftlichen Aspekten große Be- deutung zu. Das deutsche Eich- und Messgesetz gestaltet sich infolge nachträglicher Anpassungen an europäische Entwicklungen teils unübersichtlich und kompliziert. Aus diesem Grund ist eine partielle Neugestaltung der rechtlichen Grundlage erforderlich. Einerseits wollen wir mit unserem Gesetzentwurf eine neue durchgän- gige Systematik für das gesetzliche Messwesen schaf- fen und gleichzeitig europäische Richtlinien und Rechtsverordnungen in nationales Recht umsetzen. Wir tragen damit einer Rechtsvereinheitlichung im Sinne eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes Rechnung. Darüber hinaus beabsichtigen wir mit un- serem Gesetzentwurf, sowohl neuen Marktentwicklun- gen als auch technologischem Fortschritt durch die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Oberstes Ziel ist die Schaffung eines ausgewogenen Systems, das sinnvolle Vereinfachungen und Liberali- sierungen mit effektiven Regelungen der Überwa- chung kombiniert, angepasst an europäische Entwick- lungen und Vorgaben. Wir wollen uns in unserem Gesetzentwurf auf die regelungsbedürftigen Aspekte 1) Anlage 20 Nadine Schön ({0}) konzentrieren und auf das erforderliche Maß beschränken. Das Mess- und Eichgesetz erfasst lediglich Messgeräte zur Verwendung im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr sowie für Messungen im öffentlichen Interesse. Andere Geräte, die meist privaten Zwecken dienen, unterliegen dem Regelungsgegenstand dieses Gesetzes nicht. Auch berücksichtigen wir, dass es nicht für alle Arten von Messgeräten bzw. alle Verwendungen dieser des gesetzlichen Schutzes bedarf. Daher sollen die schutzbedürftigen Messgerätearten durch eine Rechtsverordnung näher bestimmt werden. Ein zentraler Aspekt unseres Gesetzentwurfs ist die Beseitigung bestehender verwirrender Parallelregelungen auf europäischer und nationaler Ebene. Statt unterschiedlicher Vorschriften für das Inverkehrbringen von Messgeräten soll zukünftig ausschließlich das europäische Modell der Konformitätsbewertung einheitlich für alle Gerätearten Anwendung finden. Eine derartige Vereinheitlichung erfüllt nicht nur den Anspruch der Transparenz und Vereinfachung, sondern entlastet unsere Wirtschaft Schätzungen zufolge finanziell in Höhe von 5,4 Millionen Euro jährlich. Dieses Modell sieht vor, dass Produkte vor einer Zulassung oder Ersteichung nicht mehr seitens einer staatlichen Behörde, sondern durch eine unabhängige Konformitätsbewertungsstelle im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen geprüft werden. Dies betrifft circa 240 000 Geräte jährlich. Verbindliche Voraussetzung für eine zuverlässige und praktikable Anwendung dieses Modells ist, die Kompetenz besagter Stellen mittels eines europaweiten Akkreditierungsverfahrens sicherzustellen. Die gesetzliche Grundlage dazu stellt ein deutsches Akkreditierungsstellengesetz dar, das auch Sanktionierungen wie den Entzug einer Lizenz, Konformitätsbewertungen vorzunehmen, vorsieht. Somit tragen wir Sorge dafür, dass die Kompetenz und Integrität der Konformitätsbewertungsstellen durch ein umfassendes Sicherungssystem fortlaufend gewährleistet wird. Der Wegfall der Ersteichung führt nicht nur zu Kostenentlastungen bei den zuständigen Behörden, sondern gleichzeitig auch zu einer stärkeren und effizienteren Überwachung. Unser Gesetzentwurf sieht darüber hinaus eine Verbesserung der bestehenden Vorschriften über die Nacheichung vor, um auch hier einerseits zusätzliche Rechtssicherheit und andererseits Kosteneffizienz zu erreichen. Grundsätzlich bleibt die Zuständigkeit der Eichbehörden der Länder und der staatlich anerkannten Prüfstellen in bisherigem Umfang unberührt. Die bestehenden Regelungen der behördlichen Überprüfung von Geräten werden jedoch um wichtige Vorschriften ergänzt, insbesondere im Hinblick auf mehr Rechtssicherheit im Interesse der Betroffenen. Darüber hinaus wird eine verbesserte Zusammenarbeit der Landeseichbehörden zur Kostenoptimierung beitragen. Wie bereits erwähnt, besteht ein zentrales Ziel unseres Gesetzentwurfs darin, die bestehenden Regelungen zügig an technische Veränderungen anzupassen und betroffene Gruppen einzubinden. In Anlehnung an das seit Jahren bewährte System der „harmonisierten Normen“ und „normativen Dokumente“ für europäisch geregelte Messgeräte wollen wir dieses Prinzip auch für national geregelte Messgeräte einführen. Voraussetzung ist demzufolge, dass diese von dem im Gesetz vorgesehenen Regelermittlungsausschuss als geeignet ermittelt und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt veröffentlicht werden. Diese Einführung des Regelermittlungsausschusses ermöglicht somit nicht nur eine rasche Anpassung an technische Entwicklungen, sondern hat gleichzeitig eine Entbürokratisierung zur Folge, indem nicht sämtliche technische Detailfragen gesetzlich geregelt werden. Letztlich wird dieser sowohl dynamische als auch demokratische Prozess der Detailausgestaltung durch einen Regelermittlungsausschuss, der gesetzlich ausdrücklich den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen geöffnet wird, dazu führen, dass schneller, gezielter und flexibler auf Veränderungen reagiert werden kann. Schließlich werden wir die behördliche Überwachung durch weitergehende Befugnisse stärken. Im Gegenzug sind die zuständigen Behörden gehalten, Konzepte zur angemessenen Überwachung zu erstellen und zu veröffentlichen, wobei nicht nur die Überwachung auf neue Geräte, sondern auch auf die europäischem Recht unterliegende Überwachung ausgeweitet wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit diesem fachlich ambitionierten Rechtsrahmen Anreize zur Entwicklung und Bereitstellung hochwertiger Messgeräte in Deutschland setzen, was die starke Position deutscher Hersteller von Messgeräten auf den internationalen Märkten stützt. Darüber hinaus setzen wir europäische Richtlinien in nationales Recht um und tragen damit dem europäischen Binnenmarktpaket der europaweiten Regelung für Produkte Rechnung, wobei die Eichung ein nationaler hoheitlicher Akt in Händen der Länder bleibt. Neben der Entlastung der Wirtschaft um circa 5,4 Millionen Euro ist insbesondere die Berücksichtigung der technologischen Entwicklung im Marktgeschehen zu beachten, ohne dass es zu unangemessen hohen Mehrbelastungen für die Bundeländer kommt. Nach Berechnungen werden die geschätzten einmaligen Investitionskosten der Länder in Höhe von circa 400 000 Euro durch Mehreinnahmen infolge einer erstmals kostenpflichtigen Marktüberwachung weitgehend gedeckt. Somit verabschieden wir heute ein wichtiges Gesetz für unsere deutsche Wirtschaft.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das bisher gültige Eichgesetz stammt aus dem Jahr 1992. Seither haben sich doch etliche Änderungen und Anpassungen an europäische Entwicklungen bzw. ReZu Protokoll gegebene Reden gelungen, New Approach, ergeben, die die Anwendung des Gesetzes erheblich erschwert haben. Aber auch durch weiter gehende Erfahrungen aus der täglichen Eichpraxis sowie durch technischen Fortschritt ist die Novellierung des Eichrechts seit längerem überfällig. Im Zuge der Gesetzesnovellierung werden nachfolgend auch die auf dem Eichrecht basierenden Verordnungen, hier insbesondere die Eichordnung sowie die Eichkostenverordnung, angepasst. Damit soll eine neue durchgängige Systematik für das gesetzliche Messwesen geschaffen werden, nachdem Eichordnung und Eichgesetz durch nachträgliche Anpassungen an europäische Entwicklungen unübersichtlich geworden waren. Als wesentliche Änderungen sind die nunmehr vollständig liberalisierte sogenannte Ersteichung, das Inverkehrbringen und umfangreichere Marktüberwachungstätigkeiten zu nennen. In nachvollziehbarem Umfang wurden auch Informationspflichten erweitert. Bußgelder können künftig in deutlich gesteigerten Größenordnungen erhoben werden. Erstmalig wurde infolge der liberalisierten Ersteichung die Anzeige der erstmaligen Verwendung eines Messgerätes festgeschrieben. Betroffen von dem Gesetzentwurf sind Hersteller, Verwender, Zulassungsstellen und die für die Eichung zuständigen staatlichen Stellen, also sämtliche Akteure, die mit Messgeräten umgehen. Signifikante Beund Entlastungen werden von dem Gesetzentwurf für die Beteiligten nicht erwartet. Am 16. Januar dieses Jahres hat das Bundeskabinett den Entwurf eines neuen Mess- und Eichgesetzes verabschiedet. Am 1. März hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ausführlich Stellung genommen. Am 12. April haben die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem sie weitgehend den Stellungnahmen des Bundesrates entsprochen haben. Dazu gehören unter anderem auch die sogenannten Ausschankmaße einschließlich der Festlegung einzuhaltender Maßvolumina. Insgesamt ist es ein Ergebnis, mit dem alle dem Grunde nach zufrieden sein können. Dennoch möchte ich auf einige wesentliche Änderungen eingehen. Die nunmehr vollständige Liberalisierung der sogenannten Ersteichung hat offensichtlich auch bei diesem Entwurf zu Irritationen geführt. Dabei sind die wesentlichen Teile der Ersteichung seit langem privatisiert. Basis hierfür ist im Wesentlichen die zum 1. Januar 2007 in nationales Recht umgesetzte europäische Messgeräterichtlinie, MID. Doch wie von den Ländern schon damals vorhergesagt, haben seitdem die noch bestehenden Eichbehörden die Untätigkeit der Privatwirtschaft kompensieren müssen. Die Privatwirtschaft hat nur in geringem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Ersteichung vorzunehmen. Es scheint also nur bedingt lukrativ zu sein. Für mich ist damit auch die Mär widerlegt, die Privaten könnten es besser und preiswerter. Doch selbst für den Fall, dass die vollständige Liberalisierung der Ersteichung dazu führen würde, dass die damit verbundenen Aufgabenstellungen tatsächlich von privaten Dritten durchgeführt würden, steht dem ein deutliches Plus an hoheitlichen Überwachungstätigkeiten gegenüber. Die notwendige Anzeige des erstmaligen Inverkehrbringens ist somit ausdrücklich zu begrüßen, weil nur so die Eichbehörden Kenntnis über den Einsatzort neuer Geräte erhalten und ihren Marktüberwachungsaufgaben nachkommen können. Die Eichung von Messgeräten, zum Beispiel für die Ermittlung des Verbrauchs von Elektrizität, Gas, Wasser oder Wärme, bleibt als hoheitlicher Akt in dem als „Nacheichung“ bezeichneten Bereich erhalten. Mit der Beibehaltung der staatlichen Eichung bleibt ein wichtiger Beitrag zur Aufrechterhaltung des bislang hohen Schutzniveaus im gesetzlichen Messwesen erhalten. Die Erhöhung des Bußgeldrahmens ist ebenfalls sinnvoll, da die Hemmschwelle für nicht rechtskonforme Handlungen, hier insbesondere bei den Verwendern, im geltenden Recht sehr niedrig lag. Wenngleich der im Entwurf angestrebte Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes - vorgesehen war der 31. Dezember 2013 - auf Ende 2014 geändert wurde, ist man den Forderungen der Industrie, aufgrund umfangreicher Umstellungen gegenüber den bisherigen Eich- und Zulassungsverfahren eine Frist bis Ende 2016 zu gewähren, nicht nachgekommen. Es wäre vernünftig gewesen, eine längere Umstellungsfrist zu gewähren, weil die Industrie zu Recht auf entstehende Engpässe und damit verbunden auf Produktionsprobleme hingewiesen hat. Vorbehalte gibt es auch vonseiten der IT-Branche als Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnik und als Partner der Energiewirtschaft in den Bereichen von Smart Meter Gateway und Messeinrichtungen der neuen intelligenten Messsysteme. Bezogen auf diese Bereiche ist die Abgrenzung zwischen Hersteller und Einführer bzw. deren Pflichten nicht zweifelsfrei möglich. Die IT-Branche hält eine Klarstellung für unbedingt geboten. Gerade in diesem für die Energiewende so wichtigen Bereich ist man ohne Not im Mess- und Eichgesetz eine Klarstellung schuldig geblieben. Es wäre aus unserer Sicht geboten gewesen, das Gesetz hier zu ergänzen. Deshalb können wir dem Gesetz auch nicht zustimmen, sondern werden uns enthalten.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die heute zur Abstimmung stehende Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ist richtig und notwendig. Denn durch zahlreiche Anpassungen an die europäische Entwicklung sind vor allem das Eichgesetz und die Eichordnung nur noch schwer überschaubar Zu Protokoll gegebene Reden geworden. Dem soll der vorliegende Gesetzentwurf Abhilfe schaffen. Das in Art. 1 enthaltene Mess- und Eichgesetz dient genau diesem Ziel und soll das derzeit geltende Eichgesetz ersetzen. Es stellt zudem sicher, dass das hohe Schutzniveau des Messwesens in Deutschland erhalten bleibt. Gleichzeitig dient der Entwurf der Rechtsvereinheitlichung. Das begrüßt die FDP-Fraktion. Positiv ist ebenfalls, dass Unterschiede bei den Regelungsansätzen im deutschen und europäischen Recht mit der Umsetzung des Gesetzentwurfs vereinheitlicht und mit dem europäischen Recht in Einklang gebracht werden. Eine Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ist außerdem deshalb geboten, weil das geltende Recht den aktuellen Marktentwicklungen und dem technischen Fortschritt nur unvollständig Rechnung trägt. Vor allem neue Messmethoden und die ständig zunehmende Vernetzung von Messgeräten machen dies notwendig. Der Gesetzentwurf hat darauf geachtet, dass die deutsche Wirtschaft nicht zusätzlich belastet wird. Im Gegenteil: Durch die Neuregelung wird sie jährlich um rund 5,4 Millionen Euro entlastet. Daran ändern auch die neuen Informationspflichten, die auf europäisches Recht zurückgehen, nichts. Die Erfüllungskosten für die Verwaltung des Bundes sind verglichen mit den zu erwartenden Effizienzvorteilen gering. Auch der Mehraufwand für die Länder ist niedrig. Es ist damit zu rechnen, dass die erstmals kostenpflichtige Marktüberwachung bei nichtkonformen Messgeräten hier zudem für eine Kompensation der Kosten sorgt. Bedenken der Länder gegenüber ursprünglich vorgesehenen Einzelregelungen im Gesetzentwurf wird in der nun vorliegenden Fassung in erheblichem Umfang Rechnung getragen; Absprachen zwischen Bund und Ländern zu untergesetzlich regelbaren Tatbeständen, insbesondere bei Ausschankmaßen und bei Gebühren, sind in Bearbeitung. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Fraktion lehnt den vorliegenden Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ab. Bereits seit etwa 1990 wendet die Europäische Union für das Inverkehrbringen von Produkten ein New Approach an. Richtlinien nach dem Neuen Konzept haben einen Systemwechsel im gesetzlichen Messwesen zur Folge. Dieser Systemwechsel ist dadurch charakterisiert, dass das erstmalige Inverkehrbringen von Messgeräten durch den Hersteller selbst über eine privatwirtschaftlich organisierte Konformitätsbewertung, also die Feststellung der Übereinstimmung mit den Richtlinien unter Mitwirkung „Benannter Stellen“ erfolgt. Die bisherige staatliche Zulassung eines Messgerätes und seine erstmalige Prüfung entfallen. Der Staat beschränkt sich auf die Überwachung der Benannten Stellen und auf die Marktüberwachung, die in der Überwachung der Konformität der in Verkehr gebrachten Produkte mit den Richtlinien besteht. Dieser Ansatz wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fast vollständig umgesetzt. Der neue Ansatz bringt erhebliche Gefahren für den Verbraucherschutz mit sich, insbesondere weil hier die Prüfung der Geräte Stellen überlassen wird, welche sich für diese Dienstleistung seitens der Auftraggeber bezahlen lassen. Interessenkonflikte können hier nicht ausgeschlossen werden. Durch die Ausweitung des Neuen Konzepts auf nationale Regelungsbereiche wird auch hier das hohe deutsche Verbraucherschutzniveau nicht aufrechterhalten werden können. Das klassische deutsche Eichwesen mit seinem präventiven Ansatz, also staatliche Bauartzulassung, Ersteichung, Nacheichung und Nachschau, wird fast vollständig ersetzt. Bei Messdaten handelt es sich um Vertrauensgüter, die die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nachprüfen können. Insbesondere die Vermutung der Richtigkeit bei Einhaltung der Vorschriften führt dazu, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Täuschungen schwer nachweisen können. Das betrifft jeden Haushalt in Deutschland bei Strom, Gas und Wasserzählern. Beim Mess- und Eichwesen handelt es sich für uns ganz klar um ein grundlegendes Element der Daseinsvorsorge. Die teilweise Privatisierung des Mess- und Eichwesens lehnen wir deshalb ab. Wir zweifeln an einer effektiven Marktkontrolle, insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus dem Pferdefleischskandal und sonstigen Lebensmittelskandalen. Bereits im Mess- und Eichwesen gesammelte Erfahrungen zeigen, dass sich die Sparzwänge vieler Länder und der damit verbundene Personalabbau bei den Landeseichbehörden zu negativ auf die ordnungsgemäße Überwachung der Verwendung von Messgeräten ausgewirkt haben. Den Ländern gehen durch die Zulassungsgebühren Einnahmen verloren. Gleichzeitig müssen sie die kostenlose Marktüberwachung gewährleisten und Fachpersonal „vorrätig“ halten und schulen. Problematisch ist die Marktüberwachung insbesondere vor dem Hintergrund des Imports zahlreicher Messgeräte aus Drittstaaten. Die CE-Kennzeichnung, welche trotzdem ausgegeben wird, gaukelt Sicherheit und Vertrauen vor, welches nicht durch eine unabhängige Stelle geprüft wurde. Durch das Neue Konzept werden die Zuständigkeit und Handlungsmacht des Staates auf ein Mindestmaß beschränkt. Dem Hersteller hingegen wird ein großer Handlungsspielraum eröffnet. Gerade die nur stichprobenhafte Kontrolle eröffnet der Täuschung und dem Betrug Tor und Türen. Schwierig zu kontrollieren sind die Geräte auch, da sie keiner Meldepflicht unterliegen. Auf einen speziellen Punkt möchte ich noch eingehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch die Füllmenge von Verpackungen, zum Beispiel eines Zu Protokoll gegebene Reden Joghurtbechers, geregelt. Wir sprechen uns gegen das Mittelwertprinzip aus und präferieren das Mindestmengenprinzip. Danach müssten in jedem 200-Gramm-Becher Joghurt mindestens 200 Gramm sein, in keinem einzigen weniger. Das Abfüllen von Lebensmitteln ist heute in der Regel ein vollautomatischer Prozess. Verbraucherinnen und Verbraucher können durch das Mittelwertprinzip überhaupt nicht kontrollieren, ob sie getäuscht wurden. Wir erkennen an, dass es sich bei dem vorliegenden Gesetz um die Umsetzung bzw. Anpassung an entsprechende EU-Verordnungen handelt und die von uns kritisierten Sachverhalte in den zugrunde liegenden EU-Verordnungen zu verorten sind. Trotzdem können wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selten gab es im Bundestag, aber auch im Bundesrat, so viel Einigkeit wie zum Gesetzentwurf zum Messwesen. So begrüßt auch meine Fraktion die Novellierung des Mess- und Eichgesetzes ausdrücklich. Ziel des Gesetzes ist es, die Zuverlässigkeit von Messungen auch in Zukunft auf einem hohen Niveau zu gewährleisten. Insbesondere neue Technologien sind auf verlässliche und neue Messverfahren angewiesen. Die Weiterentwicklung und Verbesserung neuer Messverfahren sichert nicht nur die Grundlage für neue Technologien, sondern dient auch dem fairen Handel und der Sicherheit und Umweltverträglichkeit. Mit dem Gesetz wird aber auch versucht, die Regelungen flexibler auszugestalten, um Kosten für die Wirtschaft zu reduzieren und die Verfahren wirtschaftlicher zu gestalten. Wir gehen davon aus, dass durch den Wegfall der staatlichen Ersteichung insgesamt mit einer Kostenentlastung für die Wirtschaft zu rechnen ist. Durch die Privatisierung der Ersteichung und die damit verbundene Intensivierung der Marktüberwachung wird allerdings von einem personellen Mehraufwand in den Ländern gerechnet; das heißt, die Bürokratiekosten werden durch die neuen Informationspflichten erhöht. Insbesondere neue Messverfahren bezüglich der Nanotechnologie erfordern beispielsweise völlig neue Mess- und Bewertungsverfahren, etwa um die Umweltund Gesundheitsverträglichkeit neuer Nanoprodukte zu gewährleisten. Ich komme zum Schluss: Der Entwurf des neuen Mess- und Eichgesetzes des Bundeswirtschaftsministeriums wird von unserer Fraktion begrüßt. Das bestehende Eichgesetz und die Eichordnung sind durch notwendige nachträgliche Anpassungen an europäische Entwicklungen sehr unübersichtlich geworden. Durch den Erhalt der staatlichen Nacheichung wurde der größte Kritikpunkt der Länder und Verbraucherschützer aus dem Weg geräumt. Es besteht nun ein weitestgehender Konsens zwischen Bund und Ländern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13115, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12727 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Die Enthaltungen? - Dafür haben gestimmt die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen die Fraktion Die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stehen auf, wenn wir dafür sind. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Einführung von Volksabstimmungen bei Neufassung oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union - Drucksache 17/11371 Die Reden sind ebenfalls zu Protokoll genommen.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem die Fraktion Die Linke mit ihrem Gesetzentwurf die Idee von Volksabstimmungen bei Neufassung oder Änderungen des europäischen Primärrechts aufgewärmt hat, befassen wir uns heute mit der Frage, ob mehr plebiszitär-partizipatorische Elemente tatsächlich das Allheilmittel für mehr Demokratie auf europäischer Ebene sind. Eng damit verbunden ist die Frage nach den Folgen der geplanten Grundgesetzänderung für das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Die Fraktion Die Linke möchte das Grundgesetz ändern, um künftig über, ich zitiere aus dem Gesetzentwurf, „alle Neufassungen und Änderungen der vertraglichen Grundlagen und gleichgearteten völkerrechtlichen Regelungen“ der EU abstimmen zu lassen. Dabei verkennen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, dass nicht zuletzt aufgrund der seit 2008 grassierenden Finanz- und Wirtschaftskrise globalisierte Probleme häufig zu komplex geworden sind, um sie auf ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ zu reduzieren. Sie erklären weiter, dass nur über Volksabstimmungen die EU hinreichend demokratisch legitimiert werden könne. Doch wer so argumentiert, der muss sich fragen lassen, ob Volksabstimmungen, bei denen gemäß Gesetzentwurf lediglich ein Viertel der zum Europäischen Parlament Wahlberechtigten teilnehmen muss, bei denen demnach drei Viertel der Wahlberechtigten der Urne fernbleiben können, die EU hinreichend demokratisch legitimieren. Ein Blick in unser Nachbarland Schweiz lehrt, dass ausschließlich die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Themen hohe Beteiligungsraten erreichen. Ich bin der Meinung, dass eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene, eine an den Problemen der Menschen ausgerichtete europäische Politik und nicht zuletzt starke nationalstaatliche Parlamente die Legitimation der EU fördern. Gerade Letzterem aber widerspricht der vorliegende Gesetzentwurf, da der Volksentscheid eine rechtlich verbindliche Wirkung für den Deutschen Bundestag und den Bundesrat haben soll. Mit Ihrem Gesetzentwurf schüren Sie das Misstrauen gegenüber dem parlamentarischen Repräsentativsystem. Auch sehe ich die mit der Einführung plebiszitärer Elemente einhergehende Zuspitzung europäischer Politik kritisch. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen der Weimarer Republik, die starke plebiszitäre Elemente kannte, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes plebiszitäre Elemente weggelassen und das Instrument der Volksabstimmung nur eng begrenzt bei Entscheidungen zur Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG sowie bei Inkrafttreten einer neuen Verfassung nach Art. 146 GG vorgesehen. Der eingebrachte Gesetzentwurf ähnelt doch sehr dem Ende 2007 von der Fraktion Die Linke vorgelegten Gesetzentwurf auf Drucksache 16/7375, mit dem Sie damals eine Möglichkeit gesucht haben, die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zu verhindern. Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ihren Gesetzentwurf ab. Nicht zuletzt die starke Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland garantiert eine fortlaufende Prüfung, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schon bei früheren Debatten anlässlich der Ratifizierung des Verfassungsvertrags und des Vertrags von Lissabon haben wir hier im Bundestag darüber gestritten, wie wir in Deutschland und Europa mehr Demokratie wagen können. Die Forderung, die plebiszitären Elemente in unserem Grundgesetz auszuweiten und die Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen europapolitischen Weichenstellungen direkt entscheiden zu lassen, ist somit keineswegs neu. Die SPD befürwortet eine stärkere Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen politischen Entscheidungen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werben bereits seit vielen Jahren dafür, die repräsentative Demokratie in Deutschland durch neue Formen der direkten Demokratie zu ergänzen. Damit haben wir in vielen Bundesländern und auf kommunaler Ebene gute Erfahrungen gemacht. Am vergangenen Wochenende haben wir die Forderung nach der Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene in unserem Regierungsprogramm für die Bundestagswahl am 22. September 2013 bekräftigt. Die Fraktion Die Linke spricht sich in ihrem Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung aus, die künftig bei jeder Neufassung bzw. Änderung der europäischen Gemeinschaftsverträge eine Volksabstimmung vorschreiben würde. Bislang sieht das Grundgesetz für die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge ein parlamentarisches Verfahren vor. Dieses Ratifizierungsverfahren in Bundestag und Bundesrat - wie zuletzt praktiziert beim Vertrag von Lissabon, dem ESM-Vertrag oder dem Fiskalpakt - gehört seit Jahrzehnten zu unserer Staatspraxis und Verfassungswirklichkeit. Über das Für und Wider von direktdemokratischen Elementen im Grundgesetz lässt sich trefflich streiten. Schließlich sollten auch wir als Abgeordnete uns nicht den Schneid abkaufen lassen. Das Votum der Bürgerinnern und Bürger in einer Volksabstimmung garantiert nicht zwangsläufig ein besseres Ergebnis oder eine höhere demokratische Legitimation als die Entscheidung von gewählten Volksvertretern. Vielmehr müssen wir zweigleisig fahren, wenn wir mehr Demokratie wagen wollen: Neben der Stärkung der repräsentativen Demokratie - und damit unseres Bundestages - gilt es auch, den Mut zu mehr direkter Demokratie aufzubringen. Fakt ist: Bislang sieht unser Grundgesetz bundesweite Referenden mit Ausnahme von Länderneugliederungen ({0}) und dem Inkrafttreten einer neuen Verfassung ({1}) nicht vor. Der Weg zu mehr direkter Demokratie in Deutschland kann daher nur über eine Änderung des Grundgesetzes führen. Doch die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit ist auf absehbare Zeit weder im Bundestag noch im Bundesrat in Sicht. Ich bedauere sehr, dass die schwarz-gelbe Koalition, maßgeblich die CDU, hier weiterhin ihrem Blockadekurs treu bleibt. Trotz unserer Unterstützung für die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene lehnt meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ab. Aus unserer Sicht gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Öffnung des Grundgesetzes für Referenden ausschließlich auf europapolitische Fragen beschränkt bleiben soll. Vielmehr sollten Volksabstimmungen auch bei wichtigen innenpolitischen Sachfragen möglich sein. Da liegt vielmehr ein ganz anderer Verdacht nahe: Wenn die Verfasser dieses Gesetzentwurfes ehrlich wären, müssten sie zugeben, dass es ihnen nicht in erster Linie um mehr Bürgerbeteiligung geht. Hinter Ihrer fadenscheinigen Initiative steht letztlich der Versuch, künftigen Integrationsschritten - sei es die Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU oder die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten - von vorneherein Zu Protokoll gegebene Reden Michael Roth ({2}) einen Riegel vorzuschieben. In Wahrheit wollen Sie doch gar nicht mehr Demokratie! Sie wollen weniger Europa! Hierfür kämpfen Sie seit Jahren mit zum Teil bedenklichen Mitteln und inakzeptablen Argumenten. Es ist aus meiner Sicht unverantwortlich, die Öffentlichkeit zunächst mit Falschaussagen und Verschwörungstheorien zu verunsichern, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, es fortwährend tun, und die Bürgerinnen und Bürger dann in diesem Klima über europapolitische Fragen abstimmen lassen zu wollen. Wer so vorgeht, der erweist dem Ziel eines demokratischen, bürgernahen Europas einen Bärendienst. Dennoch bin ich zuversichtlich: Überzeugte Europäer müssen die Stimme des Volkes nicht fürchten. Im Gegenteil! Volksabstimmungen bedeuten zwar keinen Automatismus für mehr Europa. Doch sie würden die Politik dazu zwingen, den Menschen das europäische Projekt endlich noch besser zu erklären. Ein Referendum wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit, umfassend für das europäische Projekt zu werben und eine breite gesellschaftliche Debatte über Europa anzustoßen. Am Ende werden wir die Bevölkerung in Deutschland davon überzeugen können, dass wir ein gemeinsames Europa brauchen.

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke sieht vor, das Grundgesetz zu ändern, um Volksabstimmungen bei Neufassungen oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union einzuführen. Damit soll das Volk auf anderem Wege beteiligt und die EU hinreichender demokratisch legitimiert werden. Das mag in der Theorie gut klingen, aber in der Praxis gibt es da noch einige Details zu berücksichtigen, die im Antrag außer Acht gelassen werden. Volksabstimmungen sind gut und tragen zu mehr Demokratie bei. Aber über jede geringfügige Änderung in den vertraglichen Grundlagen der EU das Volk abstimmen zu lassen, ist weder ökonomisch sinnvoll noch der Sache an sich dienlich. Das Volk sollte befragt werden, wenn Entscheidungen die Natur der EU grundlegend verändern. Das sind Fragen, bei denen das Volk unmittelbar beteiligt werden muss. Aber für Detailfragen und geringfügige Anpassungen haben wir ein starkes demokratisch gewähltes Parlament, und dem sollten wir auch zutrauen, diese Entscheidungen treffen zu können. Grundsätzlich sollen und müssen die Bürger in den politischen Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Wir müssen sie gerade, was Europa angeht, auch mitnehmen. Denn die aktuelle Krise ist nicht nur finanzpolitischer Natur, sie ist auch eine Vertrauenskrise. Mehr direkte Beteiligung der Bürger ist daher wichtig. Volksentscheide können hierbei sinnvolle Instrumente sein, die zudem die gesellschaftliche und mediale Diskussion anregen. Bei bestimmten Vorhaben kann ein Volksentscheid zudem eine wichtige Legitimation und Grundlage für eine spätere Umsetzung sein. In der Schweiz sehen wir immer wieder, wie Plebiszite funktionieren können. Dies ist für die FDP vorbildlich. Da gerade die Legitimation der Europäischen Union immer wieder in die Kritik gerät, muss man hier besonders genau hinschauen. Bei genauer Betrachtung sieht man dann auch, dass die demokratische Legitimation und die Partizipation von Bürgern durch den Vertrag von Lissabon 2009 entscheidend verbessert wurden. Durch die Stärkung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments wurden hier wichtige Schritte gemacht. Insbesondere Deutschland verfügt über hohe Parlamentsbeteiligungsrechte, die der Bundestag immer wieder verteidigt und die auch durch das Bundesverfassungsgericht wiederholt gestärkt wurden. Zudem bedeutet die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments, das direkt vom Volk gewählt wird und somit auch über eine entsprechende Legitimation verfügt, eine weitere deutliche demokratische Stärkung. Ein wichtiges neues Instrument ist die Europäische Bürgerinitiative. Schon ein Zusammenschluss von einer Million Bürgern kann hier die Kommission auffordern, neue politische Vorschläge einzubringen. Mit Fraternité 2020 konnte 2012 so auch bereits die erste Europäische Bürgerinitiative verkündet werden, die sich für Verbesserungen zum Beispiel beim ErasmusProgramm einsetzt. Ich halte all diese Verbesserungen, die durch den Lissabon-Vertrag eingeführt wurden, für deutliche Fortschritte auf dem Weg hin zu mehr Bürgerbeteiligung und mehr Demokratie in Europa. Langfristig sollte sich die EU hin zu einem europäischen Bundesstaat entwickeln. Dann sollten Volksabstimmungen zu grundlegenden Vertragsänderungen auch gar nicht auf Deutschland begrenzt sein, sondern vielmehr auf europäischer Ebene stattfinden. Denn schließlich betreffen diese Fragen nicht ein Volk alleine, sondern alle europäischen Bürger in ihrer Gesamtheit. Solange wir dort noch nicht angekommen sind, halte ich die Idee von Volksentscheiden für Fragen, die die Natur der EU grundlegend verändern, für durchaus diskussionswürdig. Aber das Grundgesetz zu ändern, um jegliche Änderungen oder Neufassung der vertraglichen Grundlagen der EU zur Volksabstimmung zu stellen, wäre meiner Meinung nach der falsche Weg. Hier muss im Detail ausgearbeitet werden, wann eine Volksbefragung sinnvoll ist. Ansonsten läuft man Gefahr, dass Abstimmungen benutzt werden, um über völlig andere, teils auch innenpolitische, Themen zu entscheiden und eben nicht über die gestellte Frage. Das wäre dann eher schädlich als sinnvoll. Wir haben es ja gesehen in Frankreich oder in den Niederlanden. In Frankreich beispielsweise wurde Zu Protokoll gegebene Reden nicht nur über den Verfassungsvertrag abgestimmt, dort ging es um die Ängste über die Vorschläge für die EU-weite Liberalisierung der Dienstleistungen und über innenpolitische Fragen, auch wenn diese Vorschläge mit dem Verfassungsvertrag gar nichts zu tun hatten. Hier ist es oft schwer, Grenzen zu ziehen. Themen werden vermischt, und oft geht es auch darum, dass die Bevölkerung einfach ihrem Unmut gegenüber der aktuellen Regierung Ausdruck verleihen will. Das kann und sollte nicht Sinn von Volksabstimmungen sein. Ein weiterer Punkt ist, dass es gerade im Bereich der Vertragsänderungen häufig Themen gibt, die sich nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Hier geht es oft um differenzierte Abwägungen und komplexe Sachverhalte. Es kann daher nicht so einfach, wie von der Linken beschrieben, zwingend eine Volksabstimmung im Grundgesetz verankert werden, sondern es müssten Möglichkeiten geschaffen werden, bei grundsätzlichen, die Natur der Europäischen Union verändernden Entscheidungen die Bürger abstimmen zu lassen. Dazu müsste im Detail geklärt werden, wann ein solcher Fall eintritt. Plebiszite sind in vielen Bereichen sinnvoll, und ich bin jederzeit gerne bereit, über die Möglichkeiten diesbezüglich zu diskutieren. Aber es kann nicht bei jeder Änderung zu Volksabstimmungen kommen. Der Gesetzentwurf der Linken ist hier eindeutig zu kurz gedacht für so ein komplexes Thema. Daher können wir ihm auch nicht zustimmen.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bekenntnisse zu mehr direkter Demokratie durch die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene sind durchaus zahlreich, und entsprechend befürwortende Kommentare waren von Vertretern aller Fraktionen zu vernehmen. Allein - geschehen ist bisher nichts. Dabei hat meine Fraktion sowohl in der vergangenen, als auch in dieser Legislaturperiode mehrfach den Vorstoß gewagt und entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht, die jedoch ausnahmslos von den anderen Fraktionen abgelehnt wurden. Das lässt den unschönen Eindruck aufkommen, dass die Bekenntnisse der Kolleginnen und Kollegen entweder Äußerungen privater Natur oder schlicht Lippenbekenntnisse sind. Dabei legt das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 nahe, dass das Volk seine Staatsgewalt nicht nur durch Wahlen und besondere Organe der Gesetzgebung ausübt, sondern auch durch Abstimmungen. Volksabstimmungen über Europaangelegenheiten erscheinen besonders naheliegend, weil hier hoheitliche Befugnisse vom Nationalstaat auf einen regionalen Staatenverbund übertragen werden. Ich möchte aber gar nicht weiter auf formaljuristische Aspekte in dieser Frage eingehen. Heute nun haben wir erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksabstimmungen eingebracht, der fordert, dass bei Neufassung oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union die Bürgerinnen und Bürger über solch tiefgreifende Entscheidungen abstimmen können müssen. Dann wären Entscheidungen, die im Zuge der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise als gefühlte Nachtund-Nebel-Aktionen der Staats- und Regierungschefs aus Brüssel über die Bürgerinnen und Bürger gekommen sind, direktdemokratisch legitimiert. Neben der Legalität dieser Verfassungsänderung bewirkte die Aufnahme von Volksentscheiden in das Grundgesetz etwas viel Weitreichenderes, wie mir scheint. Wir erleben seit Jahren einen schleichenden Prozess des Vertrauensverlusts der Bevölkerung in die politische Klasse. Das bedeutet - ich erinnere an die sinkende Wahlbeteiligung - Verlust von Legitimation, ja weckt sogar Zweifel an der Praxistauglichkeit repräsentativ-demokratisch verfasster Gemeinwesen. Indem die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit eingeräumt bekämen, über solche Fragen, die zutiefst in ihre Lebenswelt eingreifen, abstimmen zu können, würde die EU zuallererst von einem Eliten- zu einem Bürgerinnen- und Bürgerprojekt, was sie heute bestenfalls vermittelt ist. Darüber hinaus erhöhte dies Kenntnis und Akzeptanz über die EU, denn wir - die Politik wären verpflichtet, mehr und besser zu erklären, welche Maßnahmen wir aus welchen Gründen für geboten halten. Des Weiteren würde das strukturelle Demokratiedefizit der EU ein Stück weit abgemildert. Aber vor allem wirkte dies Entfremdungs- und Entkernungstendenzen unseres demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir Bündnisgrüne sind eine Partei, die sich seit ihrer Gründung konsequent für die Stärkung und die Erweiterung der direkten Demokratie in Deutschland einsetzt. Zuletzt haben wir zu Zeiten der rot-grünen Regierungsmehrheit im Bundestag einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes eingebracht, der Volksentscheide in Deutschland ermöglichen wollte. Dieser scheiterte an der Verweigerung der CDU/CSU und FDP, die Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen. Gleichzeitig sind wir Grüne auch die entschiedenste proeuropäische Partei im Bundestag. Wir sind stolz darauf, dass unser Grundgesetz die Verankerung Deutschlands in die immer tiefere Integration Europas substanziell festschreibt und wollen die Europäische Union auf beiden Achsen der Dualität der demokratischen Legitimation ihrer Entscheidungen stärken. Eine der größten und wichtigsten Errungenschaften, die kein Proeuropäer infrage stellen wird, ist der grundsätzliche - nur durch die Entscheidungsgeschichte des Bundesverfassungsgerichts eingeschränkte - Vorrang des Europarechts und dessen weitgehende unmittelbare Anwendbarkeit. Ebenso wichtig sind die in den Vertragsreformen der letzten Zu Protokoll gegebene Reden 20 Jahre vorgenommenen Kompetenzübertragungen an die Europäischen Institutionen und die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und der Rechte des Europäischen Parlaments im Entscheidungsverfahren bei EU-Rechtsetzung. Diese Errungenschaften dürfen auf keinen Fall infrage gestellt oder geschwächt werden, sondern sie müssen gestärkt und ausgebaut werden, wenn wir die Europäische Union - was notwendig ist weiter demokratisieren wollen. Hierbei ergibt sich ein möglicher Interessenkonflikt grundlegender Werte und Ziele einer proeuropäischen Politik mit einer falschen Umsetzung des richtigen Ziels der Verbreiterung der Legitimation europäischer Rechtsetzung durch die Integration von Elementen direkter Demokratie. Im Wesentlichen lässt sich dieser Konflikt nur im Sinne beider Ziele auflösen, wenn wir konsequent die europäischen Verfahren demokratisieren, nicht nur durch national beschränkte Regelungen, die keinen Zugriff auf das eigentliche Entscheidungsverfahren in den EU-Institutionen haben. Eine Volksabstimmung über Europa, die letztlich einen Volksgesetzgeber in die Situation reinen Nachvollzugs versetzen, würde dieses laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Bundestag verhindern. Ebenso kann es nicht im Interesse des Grundgesetzes sein, den Volksgesetzgeber in die Situation zu bringen, mit jeder Sachentscheidung letztlich die Europafreundlichkeit des Grundgesetzes faktisch konterkarieren zu müssen. Das Mitwirkungs- und Stellungnahmerecht von Bundestag und Bundesrat ist mit der Einführung des Vertrags von Maastricht in Art. 23 GG aufgenommen worden, um beide an der künftigen Ausgestaltung der Rechtsetzung der Europäischen Union zu beteiligen. Mit der Steigerung der Unmittelbarkeit der Kompetenzen und Befugnisse der EU-Institutionen und der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat sollte im Gegenzug die Rolle der nationalen Parlamente über das alte Prinzip der reinen Letztentscheidung hinaus gestärkt und auf die Mitwirkung an der Positionierung Deutschlands im Rat ausgeweitet werden. Diese Grundgesetzänderung hat eine beachtliche Rechtsgeschichte hervorgebracht, die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die Klage der Fraktion der Grünen und der Novelle des EUZBBG, die heute im Plenum verabschiedet wurde, eine ganz neue Stufe an demokratischer Legitimation des Handelns im Rat schaffen kann. Die Ausformulierung des Art. 23 GG ist dabei - das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Auslegung immer wieder bekräftigt - ein Parlamentsrecht. Gerade das Urteil vom Juni 2012 führt detailliert aus, wie wichtig die tagtägliche Beschäftigung, die Herausbildung von Expertise und die Nutzung des Grundsatzes der parlamentarischen Öffentlichkeit für die praktische Umsetzung der Demokratieidee des Art. 23 GG ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den Art. 23 GG dabei eng mit den Art. 20 und 38 GG und damit auch der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG verknüpft. Daraus ergibt sich logisch: Der Art. 23 GG, die Mitwirkung, ist sozusagen analog zum Haushaltsrecht ein neues Königsrecht des Parlaments. Ein Zugriff durch Volksinitiativen oder Volksabstimmungen auf die Stellungnahmekompetenz des Art. 23 GG ergibt sich nicht aus der Logik des Art. 23 GG. Ein Volksgesetzgeber kann nicht der Anforderung der informierten Mitwirkung, wie sie beispielsweise an den deutschen Bundestag gestellt, wird genügen oder gar angemessen und frühzeitig auf die Verhandlungsführung der Bundesregierung im Rat einwirken und diese weiter fortlaufend kontrollieren. Zudem ist die Kompetenz des Art. 23 GG im Spannungsverhältnis zum Loyalitätsprinzip aus Art. 4 Abs. 3 AEUV für den Bundestag und Bundesrat in den Europäischen Verträgen mit ihren Art. 2, 11 und 12 EUV verankert, ein Zugriff auf die Rechtsetzung der Europäischen Institutionen in der Logik der EU-Verträge, aber nur über ein europäisiertes Instrument sinnvoll. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Maastricht- und Lissabon-Entscheidung durch die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle die Kompetenz der letztendlichen Überprüfung europäischer Rechtsetzung vor dem Maßstab des Identitätskerns des Grundgesetzes festgeschrieben. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle hatte schon in der Solange-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu geführt, dass die Beklagbarkeit der Umsetzungsgesetze der Weg ist, um eine Entscheidungsgelegenheit des Bundesverfassungsgerichts sicherzustellen. Dennoch gilt und sollte für jeden an der Stärkung des demokratischen Europas Interessierten gelten: Der Maßstab der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, der laut LissabonUrteil des Bundesverfassungsgerichts für alle Verfassungsorgane der BRD gilt, macht es unmöglich, einen Zugriff von Volksabstimmungen auf die Umsetzungsgesetze bereits beschlossener und demokratisch legitimierter Entscheidungen der Europäischen Union einzuführen; denn dieser würde keineswegs einen Zugriff direktdemokratischer Entscheidungen auf die Geltung europäischer Rechtsetzung bedeuten, sondern im schlechtesten Fall letztlich nur zu Verurteilungen der BRD vor dem EUGH führen oder ein Ende der einheitlichen Geltung des EU-Rechtsstands in der Union bzw. in Deutschland bedeuten. In den Fällen, wo aufgrund von Kompetenzübertragungen an die EU ein Letztentscheidungsrecht des Deutschen Bundestags vorgesehen ist, wollen wir gleichsam den Fortschritt der europäischen Integration nur dann einer nationalen Volksabstimmung in Deutschland unterziehen, wenn diese nach dem Maßstab des Art. 146 GG unumgänglich und inhaltlich so ausgestaltet ist, dass diese den vom Bundesverfassungsgericht für die dann zu bestätigende europäische demokratische Ordnung der EU gesetzten Maßstäben genügt. Für andere wesentliche Kompetenzübertragungen über die Befugnisse der jetzigen Vertragslage hinaus wollen wir das betroffene Volk abstimmen lassen: Uns Grüne leitet die Idee eines europäischen Demos, der die verschiedenen „Staatsvölker“ der Europäischen Union vereinigt hinter der gemeinsamen Idee einer demokratischen Europäischen Union. Zu Protokoll gegebene Reden Das Letztentscheidungsrecht in den anderen Fällen dem Bundestag aus der Hand zu nehmen, hätte aber auch weitere schwerwiegende Folgen für den Grundrechtsschutz und Schutz der Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem - von der Linkspartei immer wieder politisch gelobten - Urteil zum Vertrag von Lissabon den Verfassungsorganen die Aufgabe der Integrationsverantwortung auferlegt, die nicht allein durch die Entscheidung einer einfachen Mehrheit oder einer einfachen Volksabstimmung, sondern wenn, dann nur durch die Anwendung des Art. 146 GG umgehbar ist. Wird das Letztentscheidungsrecht den Verfassungsorganen im Form einer einfachen Volksabstimmung, die nicht den Anforderungen des Art. 146 GG genügt, enthoben, wird damit gleichsam die Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat konterkariert, deren Verantwortung es ist, durch ihr Handeln Angriffe auf den Identitätskern des Grundgesetzes zu verhindern. Dass sich die EU-Bürgerinnen und -Bürger mit der Europäischen Bürgerinitiative, EBI, seit April 2012 direkt in die Politik der EU einmischen können - und dies auch tun, was nicht zuletzt die erfolgreiche EBI zur sogenannten EU-Wasserrichtlinie eindrucksvoll gezeigt hat -, war uns von Anfang an wichtig. So haben wir gemeinsam mit der Zivilgesellschaft erreicht, dass die EBI in Deutschland für die Initiatoren gebührenfrei ist. Wir wollen die EBI stärken und in Richtung eines echten Instruments direkter Demokratie weiterentwickeln. Deswegen ist der Weg der Linkspartei der falsche Weg. Richtig ist ein europäischer Weg, der das Prinzip der EU-Bürgerschaft ins Zentrum stellt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/11371 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34: - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 17/1468 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare - Drucksache 17/1469 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 17/13136 Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff Christoph Strässer Jens Petermann Die Reden sind im Protokoll zu finden.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir schließen heute ein Gesetzgebungsvorhaben des Bundesrates ab, das bekanntermaßen eine lange Vorgeschichte hat. Ich werde darauf nicht mehr im Einzelnen eingehen. Wir hatten ja bereits in der ersten Lesung die jahrelangen Diskussionen in Fachkreisen und in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Frage der Aufgabenverlagerung auf Notare miteinander erörtert. Nach ausführlichen und intensiven Beratungen sowie einer auch umfassenden Anhörung des Rechtsausschusses zu den Gesetzentwürfen legen wir heute ein Ergebnis vor, dass sich an der - in der Fachdiskussion unter dem Stichwort bekannten - „kleinen Lösung“ orientiert. Dabei haben wir uns in der christlich-liberalen Koalition in den Beratungen von dem Grundgedanken leiten lassen: Was kann einerseits zur Entlastung der Justiz beitragen, aber gleichermaßen zu mehr Bürgernähe der Justiz führen sowie auch und - das ist mir wichtig - den Servicegedanken der Justiz befördern? Mit mehr als 7 500 Notaren in Deutschland sind die Amtsstellen der Notare flächendeckend im gesamten Bundesgebiet vorhanden. Die Anzahl von Amtsgerichten in Deutschland beläuft sich - wie wir in der Anhörung gehört haben - auf 700 bis 800. Oftmals ist daher für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung der Weg zum nächsten Notar deutlich kürzer als der zum jeweiligen Amtsgericht. Eine Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf die Notare leistet daher auch einen tatsächlichen Beitrag zu mehr Bürgernähe. Notare sind justiznahe Amtsträger, sie sind, wie es mal so treffend formuliert wurde, der „verlängerte Arm der Justiz“, fachlich insbesondere auch im Bereich des Nachlasswesens und des Erbrechts bestens qualifiziert und durch die Beurkundungstätigkeit auch mit dem Grundbuchwesen bestens vertraut. Mit dem heutigen Änderungsantrag der christlichliberalen Koalition zu den Gesetzentwürfen des Bundesrates greifen wir daher das Grundanliegen des Bundesrates auf, eine Entlastung der Justiz durch Übertragung verschiedener, bislang den Gerichten zugewiesener Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zu ermöglichen. Dabei reduzieren wir den Katalog des vom Bundesrat vorgeschlagenen Umfangs der zu übertragenden Aufgaben auf Teilbereiche, die nach unserer Einschätzung nicht den Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes tangieren und daher ohne Grundgesetzänderung umsetzbar sind. Wir übertragen Teilbereiche unter anderem aus dem Nachlasswesen in die alleinige Zuständigkeit der Notare. Es wird aber keine vollständige Übertragung des Nachlassverfahrens 1. Instanz auf die Notare geben. Eine dazu erforderliche Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes ist politisch nicht erkennbar, und meines Erachtens gibt es auch sachlich gute Gründe, eine so weit gehende Übertragung nicht vorzunehmen. Wir werden auch die im Katalog des Bundesrates enthaltene Übertragung der Wechsel- und Scheckproteste auf die Notare nicht vornehmen. Die rechtliche Doppelzuständigkeit von Gerichtsvollziehern und Notaren sollte, im Gegensatz zum Erbscheinsantragsverfahren, beibehalten werden. Hier geht es ja im Wesentlichen darum, dass der Protest fristgerecht erhoben wird. Sollte der Gerichtsvollzieher nicht erreichbar sein, kann der Notar fristgerecht tätig werden und umgekehrt. Beratungsleistungen oder der Grundsatz des Vier-Augen-Prinzips stehen hier - anders bei dem Erbscheinsantrag - nicht zur Diskussion. Was verbleibt? Das ist zum einen die von uns vorgeschlagene bundeseinheitliche Übertragung der Vermittlung von Nachlass- und Gesamtgutsauseinandersetzung sowie die amtliche Aufnahme des Nachlassinventars auf die Notare. Es handelt sich teilweise um Tätigkeiten, die die Notare durch landesspezifische Regelungen in einigen Bundesländern bereits jetzt vornehmen. Ja, es ist zutreffend, diese Aufgabenübertragungen auf Notare betreffen nur Teilbereiche der justiziellen Tätigkeit im Nachlasswesen und Grundbuchrecht. Dennoch sollten die positiven Effekte nicht unterschätzt werden. Auch wenn diese Tätigkeiten nicht so häufig vorkommen, die Nachlassgerichte müssen Kapazitäten dafür vorhalten. Notare sind neben dem Beurkundungswesen besonders auch im Bereich des Erbrechts tätig und daher für die Aufgabe qualifiziert. Mit der Einführung der notariellen Vollmachtsbescheinigung im Grundbuch- und Registerwesen werden die Grundbuchämter durchaus von aufwändigen Prüfnotwendigkeiten, wie zum Beispiel bei Prüfung von Vollmachtsketten, entlastet. Auch mit der Übertragung der Zuständigkeit zur Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen werden Gerichte von aufwändigen Recherchen entlastet. Von deutlich größerer Bedeutung ist jedoch das Erbscheinsantragsverfahren. Wir führen hier eine Öffnungsklausel ein, mit der es den Ländern ermöglicht wird, das Erbscheinsantragsverfahren künftig in die alleinige Zuständigkeit der Notare zu übertragen. Bisher können die Bürger wählen, ob sie den Erbscheinsantrag beim zuständigen Gericht oder bei einem Notar stellen. Nun kann man darüber diskutieren, ob diese Wahlmöglichkeit nicht bürgerfreundlicher ist und der Entlastungseffekt, der für die Justiz eintritt, wenn der Antrag künftig nur beim Notar zu stellen ist, nicht zulasten der Bürger geht. Auch wird der finanzielle Mehraufwand für den Bürger durch die Mehrwertsteuer als ablehnender Grund ins Feld geführt. Ich teile diese Bedenken nicht, sondern sehe gerade im Interesse der Bürger mehr als gute Gründe für eine alleinige Zuständigkeit der Notare beim Erbscheinsantrag. Zum einen wird mit der ausschließlichen Übertragung des Antragsverfahrens auf die Notare das „VierAugen-Prinzip“ und damit die erhöhte Richtigkeitsgewähr für das Antragsverfahren gestärkt. Mit der ausschließlichen Übertragung des Antragsverfahrens auf die Notare wird daher auch die systematische Trennung zwischen Antrag und Entscheidung konsequent umgesetzt und die Aufgaben des Nachlassgerichts funktionsgerecht allein auf die Entscheidungsfindung beschränkt. Zum anderen besteht gerade im Bereich des Erbrechts erheblicher Beratungsbedarf und je nach Komplexität des Erbfalls werden ja oftmals in der Praxis die Erbscheinsantragsberechtigten vom Gericht an den Notar und umgekehrt verwiesen. Mit der Öffnungsklausel für die Länder, hier eine eindeutige Zuweisung an die Notare zu ermöglichen, schaffen wir daher Klarheit in der Zuständigkeit und durch das „Vier-Augen-Prinzip“ mehr Richtigkeitsgewähr für den Bürger. Wie wir auch aus der Anhörung erfahren haben, können die Notare zudem bei komplizierten Erbrechtskonstellationen - für den Bürger gebührenfrei - auf das Deutsche Notarinstitut zugreifen, die schnell und unbürokratisch qualifizierte Gutachten erstellen. Kosten, die den Nachlassgerichten entstehen, falls diese ebenfalls eine gutachterliche Klärung einholen müssen, gehen jedoch zulasten der Antragsteller. Ich sehe daher für den Bürger eine Vielzahl von Vorteilen, die eine solche Aufgabenübertragung rechtfertigen, ja sogar empfehlen. Mit der Öffnungsklausel reagieren wir auf die unterschiedliche Notariatsstrukturen in den Ländern. Sie sollen aufgrund der jeweiligen landesspezifischen Besonderheiten entscheiden können, ob und wann eine Übertragung sinnvoll und geboten ist. Schließlich führen wir eine bundeseinheitliche Regelung zur sogenannten isolierten Grundbucheinsicht bei den Notaren ein. Damit schaffen wir eine serviceorientierte Möglichkeit für die Bürger, neben dem Grundbuchamt auch beim Notar Auskunft aus dem Grundbuch zu bekommen, ohne das ein Beurkundungsauftrag vorliegen muss. Dies ist sehr zu begrüßen, da auch hier der Justizservicegedanke voll zum Ausdruck kommt. Für Länder, die hier wieder aus landesspezifischen Gründen Umsetzungsprobleme haben, schaffen wir die Zu Protokoll gegebene Reden Möglichkeit, ein solches Zusatzangebot für den Bürger dann nicht anbieten zu müssen. Mit den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen zu den Entwürfen des Bundesrates setzen wir das Anliegen der Länder teilweise um. Insgesamt wird mit der Übertragung dieser Aufgaben für die Justiz durchaus auch zeitintensiver Publikumsverkehr verringert. Längere und flexible Öffnungszeiten in Notariaten ermöglichen zudem einen noch bürgerfreundlicheren Service. Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und vor allem in die Rechtspflege ist hoch und auch international mehr als anerkannt. Unsere Justiz mit ihren Richtern und Rechtspflegern leistet dazu einen entscheidenden und nicht hoch genug anzuerkennenden Beitrag. Wir wollen, dass dies so bleibt. Mit unseren Vorschlägen zur Aufgabenverlagerung wollen wir einen wirkungsvollen Beitrag zur Entlastung der Justiz und einen weiteren Beitrag für eine serviceorientierte Justiz leisten. Ich werbe um Ihre Zustimmung.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Bundesrat wollte mit seinen inzwischen über drei Jahre alten Gesetzentwürfen erreichen, dass die Länder Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit - insbesondere die Aufgaben der Nachlassgerichte in erster Instanz - vollständig auf die Notare verlagern dürfen. Auch die Koalition hatte sich dies in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Zu diesem Zweck sollten zunächst das Grundgesetz, darauf aufbauend dann das Gerichtsverfassungsgesetz, das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und weitere Gesetze geändert werden. Es hat sich aber sowohl in der ersten Lesung als auch in der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses und im Berichterstattergespräch gezeigt: Für eine solche Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Zu Recht gibt es dafür keine Mehrheit. Denn das Nachlassgericht muss zum Beispiel für die Erteilung von Erbscheinen, aber auch in Verfahren, die die Testamentsvollstreckung oder die Nachlassverwaltung betreffen, teilweise streitige Verfahren durchführen. Die Übertragung solcher streitiger Verfahren auf freiberufliche Notare ist systematisch verfehlt und entspricht nicht den berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs. Notare haben kein entsprechendes Verfahrensrecht; sie verhandeln nichtöffentlich und entscheiden nicht transparent. Eine Grundgesetzänderung lehnen wir deshalb ab. Wir hatten aber für die SPD-Fraktion schon in der ersten Lesung signalisiert, dass wir uns durchaus vorstellen können, den Notaren verstärkt präventive, streitvermeidende Verfahrensabschnitte zu übertragen oder aber dies den Ländern freizustellen. Wir freuen uns, dass wir uns mit der Koalition auf eine solche vernünftige Linie verständigen konnten. Auf die wichtigsten Änderungen will ich kurz eingehen: Mit dem neuen Art. 239 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch schaffen wir eine Länderöffnungsklausel. Die Länder können danach den Notaren die alleinige Zuständigkeit für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen übertragen. Falls die Länder diesen Weg wählen, müssen diejenigen, die einen Erbschein beantragen wollen, zunächst zum Notar gehen, der einen notariell beurkundeten Erbscheinsantrag für das Nachlassgericht vorbereitet. Das ist ein gangbarer Weg. Damit kann das Erbscheinserteilungsverfahren sachkundig und möglicherweise streitvermeidend vorbereitet werden. Falls es aber vor Gericht zu einem streitigen Verfahren kommt, ist der Sachverhalt hierfür schon vorgeklärt. Sinnvoll ist auch, dass für bestimmte Teilungssachen künftig die Notare anstelle der Amtsgerichte zuständig sind. Die Neuregelung betrifft den Fall, dass Eheleute statt der gesetzlichen Zugewinngemeinschaft den Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbaren. Stirbt ein Ehepartner, muss das Gesamtgut für die Erben aufgeteilt werden. Bei mehreren Erben hatte bisher das Gericht auf Antrag die Auseinandersetzung des Nachlasses zwischen den Beteiligten zu vermitteln; künftig ist hierfür der Notar zuständig. Er soll einen Auseinandersetzungsplan fertigen, auf den sich möglichst alle Beteiligten verständigen können und der deshalb bestätigt werden kann. Falls dies nicht gelingt, müssen diejenigen, die mehr wollen, die andere Seite auf Zustimmung zu einem anderen Auseinandersetzungsplan verklagen. Wir halten dies für eine günstige Aufteilung der Zuständigkeiten. Der Notar übernimmt den Versuch, zu einer Verständigung zu gelangen. Gelingt dies nicht, entscheidet das Gericht. Das Gericht kann dann auf der Grundlage eines aufbereiteten Sachverhalts ohne Vorbefassung unvoreingenommen entscheiden. Insgesamt geben wir den Ländern mit dem vorliegenden Gesetz die Möglichkeit, ihre Justiz im Erbscheinantragsverfahren zu entlasten, und nutzen auch im Übrigen die Fachkunde, das Ansehen und das Vermittlungspotenzial der Notare. Die streitige Entscheidung bleibt aber bei den Gerichten.

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit dem Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare, das wir heute verabschieden, setzen wir ein zentrales Anliegen der Justizpolitik aus dem Koalitionsvertrag um. Die Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare ist für die christlich-liberale Koalition ein wichtiges Instrument, um die Justiz effizienter und bürgernäher zu gestalten. Das deutsche Justizsystem arbeitet effizient und kostengünstig. Dies liegt nicht zuletzt an der guten Aufgabenverteilung innerhalb der Justiz. Die Arbeitsteilung von Gerichten und Notaren in Deutschland trägt einiges dazu bei. Zu Protokoll gegebene Reden Bereits in der ersten Lesung zu den Gesetzentwürfen habe ich deutlich gemacht, dass die Vorstellungen des Bundesrates zur Übertragung sämtlicher Tätigkeiten des Nachlassgerichts erster Instanz auf die Notare, die mit einer Änderung des Grundgesetzes verbunden waren, für meine Fraktion kein gangbarer Weg sind. Wir haben aber die Ideen aus dem Gesetzentwurf aufgenommen und sind nach der Anhörung und den ausführlichen Beratungen zu einem - wie ich meine - sehr guten Ergebnis gekommen. Lassen Sie mich zwei der zu beschließenden Änderungen exemplarisch herausgreifen. Die Bundesländer haben künftig die Möglichkeit, das Erbscheinsantragsverfahren vollständig auf die Notare zu übertragen. Diese Möglichkeit kann in der Praxis viele Erleichterungen bringen. So stellt der örtlich ansässige Notar einen bürgernahen und unbürokratischen Ansprechpartner für die Bevölkerung dar. Das macht insbesondere in ländlichen Regionen weite Anfahrtswege zum nächsten zuständigen Amtsgericht in Erbscheinsantragssachen überflüssig. Auch kann der Notar aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit bei Fragen des Erbscheinsantrags auf mögliche Probleme und Besonderheiten im Einzelfall hinweisen. Er ist ein kompetenter und vertrauenswürdiger Ansprechpartner. Die Amtsgerichte, die von den Sparzwängen der Länder nicht verschont bleiben, werden durch die Entlastung effizienter und schneller die verbleibenden Aufgaben wahrnehmen können. Natürlich haben wir auch diskutiert, ob für dieses Verfahren eine einheitliche bundesrechtliche Lösung wünschenswert wäre. Die jetzt im Gesetz vorgesehene Länderöffnungsklausel soll den länderspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen; die Bundesländer erhalten die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, ob und wann sie diese Aufgabenübertragung einführen wollen. Ich wünsche mir, dass viele Bundesländer diese Möglichkeit nutzen. Mit der neuen Regelung des § 133 a Grundbuchordnung wird eine heute schon geübte Praxis auf eine rechtlich sichere Grundlage gestellt. §133 a Grundbuchordnung regelt nunmehr einheitlich die Erteilung von Grundbuchabdrucken durch Notare. Sie dürfen demjenigen, der ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 12 GBO nachweist, Mitteilung aus dem Grundbuch machen und auch einen Grundbuchabdruck erteilen. Damit ist klargestellt, dass auch eine isolierte Grundbuchmitteilung und ein isolierter Grundbuchabdruck erteilt werden können. Dies wurde zwar in der Vergangenheit bereits vielfach so gehandhabt, was zeigt, dass es ein Bedürfnis für diese bürgerfreundliche Alternative gibt, war jedoch nicht ausdrücklich geregelt. Da Notare Träger eines öffentlichen Amtes und Teil der vorsorgenden Rechtspflege sind, ist es folgerichtig, ihnen weitere staatliche Aufgaben zu übertragen. Sie wirken als unabhängige und unparteiische Betreuer der von ihnen beauftragten Parteien bei deren Willensbildung mit. Hierzu sind sie aufgrund ihrer juristischen Ausbildung, der erlangten Befähigung zum Richteramt und ihrer Erfahrung qualifiziert. Die strengen Auswahlkriterien, denen Notare unterworfen sind, stellen eine fachgerechte Arbeitsweise sicher. Die Erweiterung der notariellen Aufgaben in Deutschland bedeutet auch eine Stärkung der institutionellen Bedeutung der Notare. Damit stellen wir klar, dass wir nicht den europarechtlichen Tendenzen folgen, die den Notar - wie teilweise in anderen europäischen Mitgliedstaaten üblich - auf die Rolle eines reinen Beurkunders beschränken wollen. Diese Tendenz sorgt bei den deutschen Notaren verständlicherweise für Verunsicherung. Mit der Übertragung weiterer staatlichen Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit stärken wir die hoheitliche Tätigkeit der Notare in Deutschland. Die Aufgabenübertragung auf Notare bringt durch kürzere Wege und mehr ortsnahe Ansprechpartner Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger, entlastet die Gerichte und stärkt die Stellung der Notare. Diese Chance sollten wir nutzen, um den hohen Qualitätsstandard der deutschen Justiz zu erhalten.

Jens Petermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004128, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben uns nach der ersten Befassung mit diesem Gesetzentwurf lange und intensiv mit den Forderungen auseinandergesetzt. Es fand eine öffentliche Anhörung statt. Die zuständigen Berichterstatter und Berichterstatterinnen haben mehrfach zusammengesessen. Da der ursprüngliche Gesetzentwurf des Bundesrates durch die mittlerweile stattgefundene Einführung des zentralen Testamentsregisters in Teilen überholt war, unterbreitete das Bundesjustizministerium einen Änderungsvorschlag. Der Rechtsausschuss lehnt die vom Bundesrat vorgesehene Grundgesetzänderung ab, stimmt aber den einfachgesetzlichen Änderungen nach Modifikation durch die Regierungskoalition zu. Die Koalition hat nun offensichtlich erkannt, dass es so nicht geht. Sie versucht, mit ihrem Änderungsvorschlag zu retten, was nicht zu retten ist. Damit stellt sich Schwarz-Gelb ein Armutszeugnis aus. Nach meiner Ansicht ist die gesamte Initiative entbehrlich. Die Beweggründe sind nicht unterstützenswert. Es geht nicht darum, die Justiz bürgerfreundlicher und effektiver zu machen. Im Gegenteil: Einige Bundesländer wollen mit diesem Gesetzentwurf auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger ihre Justizverwaltung verschlanken. Eine Reihe von Aufgaben, die bisher von den Gerichten erfüllt werden, soll zukünftig ohne Not auf die Notare verlagert werden. Die Länder wollen auf diese Weise Sach- und Personalkosten einsparen. Das lehnen wir ab. Leider ist das nicht die einzige Initiative in diese Richtung. Im Laufe der Legislatur sind regierungsseitig mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt worden, die nur ein Ziel hatten: Kosteneinsparung in der Justiz und Absenkung von Standards; ganz aktuell sind Kürzungen bei Beratungs- und Prozesskostenhilfe geplant. Dabei muss doch langsam die Einsicht wachsen, dass Zu Protokoll gegebene Reden die Justiz nicht die Sparbüchse des Finanzministers ist und die Kosten nicht weiter dem rechtsuchenden Bürger aufgedrückt werden können. Wir haben derzeit eine an sich funktionierende Rechtspflege, die aber sachlich und personell bereits am Limit arbeitet und auszubluten droht. Weitere Einsparungen sind da nicht drin. Vielmehr benötigt die Justiz eine bessere Ausstattung, um den Standard weiter halten zu können. Das ganze Vorhaben hat nebenbei auch Züge eines Schildbürgerstreichs: Die Kostendeckung der Nachlassgerichte, deren Aufgaben nach dem Willen des Bundesrates auf die Notare übergehen sollen, liegt bei weit über 100 Prozent. Damit wäre der Einnahmeverlust für die Justiz bei der Aufgabenübertragung höher als eine denkbare Einsparung im Personal- und Sachkostenbereich. Welche Ideologie steckt hinter diesem Plan? Wollen die Bundesländer ernsthaft eine der wenigen Einnahmequellen der Justiz privatisieren? Offensichtlich ja; denn sie versprechen sich höhere Steuereinnahmen durch höhere Gewinne bei den Notaren. Das wäre ein Geschäft zulasten Dritter, nämlich der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger, die am Ende die Zeche zahlen sollen. Das ist mit der Linksfraktion nicht zu machen. Durch Aufgabenreduzierung könnten sich zudem neue Argumente für die Diskussion um die Schließung von Gerichtsstandorten ergeben. Da müssten eigentlich die Justizminister - also die in der Exekutive verankerten Sachwalter der dritten Gewalt - dagegenhalten. Glücklicherweise ist wenigstens die Gesamtforderung des Bundesrates vom Tisch. Die Regierungskoalition hat sich für eine „Kleine Lösung“ entschieden: Dass die einzelnen Landesregierungen ermächtigt werden sollen, durch Rechtsverordnungen zu bestimmen, ob entweder die Notare oder die Gerichte Abdrucke von Grundbuchblättern herausgeben dürfen, wird zwangsläufig zu einem strukturellen Flickenteppich und Unsicherheiten bei den Bürgerinnen und Bürgern führen. Da zeigt sich der Föderalismus von seiner negativen Seite. Zudem fallen beim Notar für den Bürger neben den anderen Kosten zusätzlich 19 Prozent Mehrwertsteuer an. Es wird also wieder einmal teurer für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion nicht so sehr relevant, da ja die Vorteile für den Bürger wie Qualitätserhöhung durch „Vieraugenprinzip“, Entlastung der Justiz oder aber auch die bessere Erreichbarkeit der Notare gegenüber den Gerichten gerade in ländlichen Regionen überwiegen. Nehmen wir doch einfach den kleinen Amtsgerichten sukzessive die Aufgaben weg, dann haben wir später bessere Argumente für Schließungen und Zusammenlegungen. Das ist meines Erachtens nicht der richtige Weg zu einer modernen und bürgerfreundlichen Justiz. Darüber hinaus soll das nicht kostendeckende Beschwerdeverfahren sowie das kostenfreie Erinnerungsverfahren bei den Amtsgerichten belassen werden, während die lukrativen Teile des Nachlassverfahrens auf die Notare übertragen werden sollen. Ein Schildbürgerstreich! Die Bürgerinnen und Bürger haben einen in der Verfassung verankerten Justizgewährungsanspruch. Eine weitere Aushöhlung, ob durch Privatisierungen oder Zugangserschwerungen, werden wir nicht akzeptieren. Die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Justiz darf durch derartige Maßnahmen nicht gefährdet werden. Leider müssen wir feststellen, dass sich die zahlreichen Gespräche, die öffentliche Anhörung und auch die Änderungsvorschläge aus dem Bundesjustizministerium als untaugliche Versuche erwiesen haben, den Gesetzesvorschlag wenigstens halbwegs in die richtige Bahn zu lenken. Deshalb wird die Linke den Entwurf ablehnen. Ich fordere Sie auf, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies auch zu tun!

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Heute haben wir hier im Bundestag wieder einmal ein Thema auf der Tagesordnung, mit dem die Koalition ihre Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag durchbricht. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: „Als Beitrag zur Effizienzsteigerung und Entlastung der Justiz werden wir eine Übertragung der Aufgaben der Nachlassgerichte erster Instanz auf die Notare durch die Länder ermöglichen.“ Die Koalition scheint im Verlaufe des Verfahrens eingesehen zu haben, dass dies keine gute Idee war und der Justiz mehr schaden als nützen würde. So ist ein Riesenprojekt auf ein Zwergenprojekt zusammengeschrumpft. Und das ist gut so. Wir Grünen begrüßen, dass die Koalition die Vorschläge des Bundrates mit ihrem Änderungsantrag eingeschränkt hat. Dennoch können wir auch diese Version der Aufgabenübertragung auf Notare nicht unterstützen. Vor fast einem Jahr haben wir hier im Bundestag die Gesetzentwürfe des Bundesrates zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zum ersten Mal debattiert. Es geht bei den Vorschlägen des Bundesrats um weitreichende Änderungen, die sogar eine Grundgesetzänderung erfordert hätten. Der Bundesrat wollte sämtliche Nachlasssachen, die sich in der ersten Instanz befinden, auf Notare übertragen. Das heißt, für alle rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit Testament, Vermächtnis oder Erbe sollten nur noch Notare zuständig sein, nicht mehr die Gerichte. Notarinnen und Notare erfüllen bereits jetzt einzelne öffentliche Aufgaben und sind eine unverzichtbare Unterstützung für die Justiz. Justiz ist aber eine hoheitliche Aufgabe. Im Grundgesetz ist der sogenannte Funktionsvorbehalt statuiert: Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist in der Regel nur Angehörigen des öffentlichen Dienstes, also Beamten, erlaubt. Hier sollten wir nicht weiter eingreifen. Je mehr hoheitliche Aufgaben wir auf die privat tätige Notarschaft übertragen, desto mehr befeuern wir BestrebunZu Protokoll gegebene Reden gen, Justiz immer weiter zu privatisieren. Justiz aber ist Staatsaufgabe. Im Laufe des Verfahrens im Bundestag haben wir stichhaltige Argumente gegen eine Übertragung aller Nachlasssachen auf Notare diskutiert. Diese haben glücklicherweise auch bei der Regierungskoalition Gehör gefunden. Wir haben heute umfangreiche Änderungsanträge zum Gesetzentwurf auf dem Tisch. Aber was will die Koalition mit ihren Änderungsvorschlägen erreichen? Einige wenige Aufgaben sollen nun auf Notarinnen und Notare übertragen werden. Es handelt sich zum Beispiel um die Erstellung von notariellen Vollmachtsbescheinigungen als Eintragungsgrundlage im Grundbuch oder die Entscheidung über die Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen notarieller Urkunden. In Kurzform: Es werden große Worte geschwungen. Diese sind aber weder von besonderer praktischer Relevanz noch bringen sie Einsparungen für die Justiz. Bezüglich der Erteilung von Abdrucken aus dem Grundbuch hat die Bundesregierung sogar selbst noch in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates angeführt, dass sie kein Erfordernis sieht, diese Aufgabe auf die Notare zu übertragen. Dieses Gesetz, über das wir heute abstimmen, bietet keinerlei Mehrwert - weder für die Bürgerinnen und Bürger noch für die Justiz. Ein richtiges Problem sehen wir Grüne aber vor allem in der Neuregelung, dass von nun an ausschließlich die Notarinnen und Notare für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen zuständig sein sollen. Bisher kann ein Erbe oder eine Erbin den Erbschein entweder beim Nachlassgericht oder beim Notar beantragen. An den Notar wenden sich zurzeit aber nur etwa 10 bis 20 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Wer sich an das Nachlassgericht wendet, hat den Vorteil, dass er oder sie keine Mehrwertsteuer zahlen muss. Der Antrag ist also um 19 Prozent günstiger als beim Notar. Außerdem kann das Verfahren beim Amtsgericht deutlich schneller sein: Ich muss beim Nachlassgericht keinen Termin vereinbaren wie beim Notariat, und ich muss keine Postübermittlung abwarten. Die Bundesregierung erklärt, der Vorteil dieser Regelung für die Justiz bestehe darin, dass die Nachlassgerichte von der Aufgabe der Zurverfügungstellung von Formblättern entlastet werden. Ich überlasse es Ihnen, die Überzeugungskraft dieses Argumentes zu beurteilen. Darüber hinaus ist die Neuregelung als Länderöffnungsklausel formuliert. Das heißt, jedes einzelne Bundesland kann selbst darüber entscheiden, ob die Notare allein für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen zuständig sein sollen oder ob es bei der gegenwärtigen Rechtslage bleiben will. Das sorgt für Rechtszersplitterung und unter Umständen für Verwirrungen bei Erbinnen und Erben. Das macht folgendes Beispiel deutlich: Ich wohne in Berlin. Mein Onkel in Brandenburg stirbt. Hat das Land Berlin von der Öffnungsklausel keinen Gebrauch gemacht, könnte ich mich in Berlin weiterhin an das Nachlassgericht wenden, um meinen Erbschein zu beantragen. Da mein Onkel aber in Brandenburg seinen letzten Wohnsitz hatte, muss ich jetzt wissen, ob auch Brandenburg keinen Gebrauch von der Öffnungsklausel gemacht hat oder ob ich dort jetzt vielleicht ausschließlich notariell beurkundete Erbscheinsanträge einreichen kann. Das ist eine Verkomplizierung des Rechtssystems. Bürgerfreundliche Rechtspolitik, so wie wir Grünen sie verstehen, sieht anders aus. Sie erschwert nicht den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht, sondern erleichtert ihn.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13136, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1468 abzulehnen. Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen und das mit einem Handzeichen dokumentieren? - Wer stimmt dagegen? - Wer will sich enthalten? - Der Gesetzentwurf wurde in zweiter Beratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung eine weitere Beratung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13136, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1469 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf wurde angenommen bei Zustimmung durch SPD und Koalitionsfraktionen. Linke und Grüne waren dagegen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich freue mich, wenn Sie aufstehen, wenn Sie dafür sind. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Wir kommen zu Zusatzpunkt 10: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck ({1}), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex - Drucksachen 17/9984, 17/12740 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Matthias Heider Die Reden wurden zu Protokoll genommen.1) 1) Anlage 21 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12740, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9984 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren alle dagegen. Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern - Drucksache 17/13022 Die Reden wurden zu Protokoll genommen.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der beiden EU-Richtlinien bezüglich der Rechtsstellung von international Schutzbedürftigen und der sogenannten Rahmenrichtlinie zur Einführung eines kombinierten Aufenthaltstitels für Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit und zur verfahrensrechtlichen Bündelung von Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen. Die Umsetzung bedeutet, dass den Rechten subsidiär Schutzberechtigter im Sinne der EU-Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen werden muss und Änderungen im Aufenthaltsgesetz vorgenommen werden müssen. Mit jener Umsetzung können die betroffenen Flüchtlinge künftig nach fünfjährigem und rechtmäßigem Aufenthalt ebenso wie andere Drittstaatenangehörige eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt in der EU erhalten. Dabei handelt es sich um einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Dieser ist vergleichbar mit der deutschen Niederlassungserlaubnis, geht jedoch darüber hinaus. Er berechtigt nämlich seine Inhaber des Weiteren, in einen anderen Mitgliedstaat weiterzuwandern und sich dort auch niederzulassen. Dies stellt eine deutliche Verbesserung der Rechte und Möglichkeiten von subsidiär Schutzberechtigen dar, die bislang von diesem Daueraufenthaltsrecht ausgeschlossen waren. Die ebenfalls umzusetzende europäische Rahmenrichtlinie für Arbeitnehmerrechte sieht erstens die Einführung eines kombinierten Arbeitstitels für Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit vor, der sogenannten kombinierten Erlaubnis. Zweitens fordert sie die verfahrensrechtliche Zusammenlegung der Bestimmungen der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, also im Sinne des „one stop governments“. Sie regelt auf diesem Wege im Übrigen bestimmte Gleichbehandlungsrechte, insbesondere im Rentenund Sozialrecht. Zudem beinhaltet die Richtlinienumsetzung den Punkt, dass die Inanspruchnahme von Leistungen für Bildung und Teilhabe im Sinne des Bildungspakets keine für die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung schädliche Inanspruchnahme öffentlicher Mittel darstellt. Es wird ferner klargestellt, dass die Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an einem Schüleraustausch nicht nur in Ausnahmefällen gewährt werden kann. Umsetzungsbedarf auf deutscher Seite besteht vor allem im Rentenrecht, da die Anforderungen des kombinierten Arbeitstitels und der verfahrensrechtlichen Bündelung in Deutschland bereits 2005 eingeführt wurden. Das Gesetzgebungsverfahren soll ferner dazu genutzt werden, einige weitere Anpassungen im Aufenthaltsrecht vorzunehmen, die nicht im Zusammenhang mit der Richtlinienumsetzung stehen. So sollen im Vorgriff auf die geplante Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Beschäftigungsverfahrensverordnung die Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs für ausländische Familienangehörige aufgehoben werden. Nach geltendem Recht ist der Arbeitsmarktzugang beim Familiennachzug zu Ausländern innerhalb der ersten beiden Jahre grundsätzlich akzessorisch zum Arbeitsmarktzugang des Stammberechtigten. Das bedeutet, dass auch der Familienangehörige einer Vorrangprüfung unterliegt, wenn dies bereits für den Stammberechtigten gilt. Aufgrund zahlreicher Ausnahmeregelungen gilt diese Maßnahme jedoch praktisch nur noch für Familienangehörige von Fachkräften ohne Hochschulabschluss. Gerade bei dieser Personengruppe hängt der Entschluss, nach Deutschland zu kommen, häufig jedoch davon ab, dass auch der Ehepartner in Deutschland leben und arbeiten darf. Die Aufhebung dieser Beschränkungen kann somit also einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser Land für ausländische qualifizierte Fachkräfte attraktiver zu machen. Die vorgeschlagenen Änderungen vom Bundesrat betreffen nicht die Richtlinienumsetzung, sondern viel eher einige technische und klarstellende Anpassungen im Aufenthaltsrecht. Diesen Änderungen ist überwiegend zuzustimmen. Dies gilt beispielsweise für die vorgeschlagene Erweiterung der Regelung zur Erteilung eines Visums zur Arbeitsplatzsuche. Künftig sollen auch qualifizierte Fachkräfte, die sich bereits in Deutschland aufhalten, einen gültigen Arbeitstitel zur Arbeitsplatzsuche einen bis sechs Monate lang aufrechterhalten können, wenn ihr ursprüngliches Beschäftigungsverhältnis endet und sie nicht sofort eine Anschlussbeschäftigung finden. Die steigenden Haushaltsausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung belaufen sich auf jährlich 7 Millionen Euro und sind damit absolut im Rahmen des Möglichen. Hinzu kommen hinsichtlich des Erfüllungsaufwands einmalig weitere 400 000 Euro für die Neuaufstellung der Bestandsrenten. Die Mehrkosten des Erfüllungsaufwands bei den entsprechenden Ausländerbehörden und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge halten sich mit etwa 22 Euro pro Fall ebenfalls in Grenzen. Letztendlich bleiben noch einmalig 140 000 Euro Mehrkosten für die hinzuzufügenden Speichersachverhalte im Ausländerzentralregister. Um die Richtlinienvorgaben fristgerecht umzusetzen, muss der Gesetzentwurf noch vor der diesjährigen Sommerpause verabschiedet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Verbesserungen enthält. Die Situation der in diesem Land lebenden Schutzberechtigten wird nachhaltig und deutlich verbessert, und wir steigern die Attraktivität für qualifizierte Arbeitskräfte, die so dringend für die wirtschaftliche Entwicklung gebraucht werden. Daher ist dem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute beraten wir in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Mit diesem Gesetzentwurf sollen zwei EU-Richtlinien umgesetzt werden: Einmal beschäftigen wir uns mit der Umsetzung von sinnvollen Ergänzungen der Daueraufenthaltsrichtlinie. Bislang regelt die Daueraufenthaltsrichtlinie den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die sich mehr als fünf Jahre rechtmäßig in einem europäischen Mitgliedstaat aufhalten. Nunmehr soll ihr Anwendungsbereich auf Personen ausgeweitet werden, die internationalen Schutz genießen, also auf Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. Auch sie sollen nun nach fünf Jahren legalem Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat ein europäisches Daueraufenthaltsrecht erhalten. Das ist gut und begrüßenswert. Der zweite Aspekt betrifft eine Rahmenrichtlinie für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das Wie in vielen wichtigen Verfahrensdetails behandelt. Mit der Richtlinie wird ein kombinierter Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit, „single permit“, und eine verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, „one stop government“, vorgelegt. Betroffene sollen zukünftig also nur einen Ansprechpartner für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Hier gilt unser besonderes Augenmerk der Frage der Gleichbehandlung, insbesondere im Renten- und Sozialrecht. Mir ist besonders daran gelegen, dass wir Klarheit schaffen bei den Leistungen, die wir nicht zu den Sozialleistungen im Sinne des neuen § 2 Aufenthaltsgesetz zählen. Denn in § 2 definieren wir, der Bezug welcher öffentlichen Leistungen der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht. Hier sollten nach unserer Ansicht keine öffentlichen Bezüge enthalten sein, die nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes im engeren Sinne dienen. Ansonsten stünden sie der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen. Daher begrüße ich die Klarstellung im Gesetzentwurf, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgenommen sind. Es ist vernünftig, dass bestimmte Leistungen kein Hindernis beim Aufenthaltserwerb darstellen. Dazu zählen beispielsweise das Kindergeld, der Kinderzuschlag, das Erziehungs- und Elterngeld sowie Leistungen nach der Ausbildungsförderung. Auch der Bezug von Wohngeld darf dem Erwerb eines Aufenthaltstitels nicht im Wege stehen. Zu Recht weisen schon jetzt die Diakonie, die Caritas und der Paritätische Wohlfahrtsverband in ihren Stellungnahmen für die anstehende Anhörung darauf hin, Wohngeld mit in den neuen § 2 Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Denn das Wohngeldgesetz dient nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes. Vielmehr definiert § 1 des Wohngeldgesetzes den Zweck wie folgt: „Das Wohngeld dient der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens.“ Es wendet sich damit an einkommensschwache Familien, ohne dass ein Bezug von Sozialleistungen vorliegen muss. Aus der Praxis wissen wir, dass gerade der Kinderzuschlag bei geringem Familieneinkommen häufig mit Wohngeldleistungen kombiniert wird. Daher werden wir, neben anderen Aspekten, der Liste des neuen § 2 Aufenthaltsgesetz besondere Aufmerksamkeit bei der Anhörung der Sachverständigen schenken.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die laufende Wahlperiode mit der christlich-liberalen Koalition sind vier gute Jahre für die Ausländerund Integrationspolitik. Wir verfolgen bei der Ausländerpolitik das Prinzip Fördern und Fordern. Daran haben wir bereits die Änderungen der letzten Jahre gemessen: Wir haben dafür gesorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen Platz im Ausländerrecht erhält. Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir erschließen die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser und stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern gehört zusammen. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft weiterzuentwickeln. Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. Multikultiromantik oder Desintegration durch Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen bestehende Defizite der Integrationspolitik an. Es gilt, die Möglichkeiten der Zuwanderung für unser Land besser zu nutzen. Zu Protokoll gegebene Reden Hartfrid Wolff ({0}) Mit unseren bisherigen Gesetzesinitiativen wurden in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur humanitären Besserstellung von Ausländern, die in Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir haben erstmals für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hatte das nicht zustande gebracht. Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungssteuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als die SPD in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbeteiligung: Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch den Opfern von Zwangsverheiratungen eine Perspektive mit einem eigenständigen Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich zu befreien. Dem dient auch die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe. Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen, ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Integrationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chancen für Menschen, die nach Deutschland kommen, in Deutschland auch wirklich anzukommen und sich eine Existenz aufzubauen. Der Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, reiht sich nahtlos in die verantwortungsvolle Politik der schwarz-gelben Koalition ein. Durch den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern werden wichtige Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Aber auch Änderungen außerhalb der Richtlinienumsetzung werden getroffen. Angesichts unseres Konzepts der Fachkräftezuwanderung und entsprechend unserem liberalen Selbstverständnis begrüßen wir insbesondere die Änderung, wonach die nachziehenden Familienangehörigen einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Es ist wichtig für jeden Einzelnen, dass er oder sie die Möglichkeit hat, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen und nicht künstlich vom Arbeitsmarkt ferngehalten zu werden. Daher stehen wir Liberale nach wie vor zu unserer Forderung, dass Asylbewerber so schnell als möglich arbeiten können sollen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in § 28 Aufenthaltsgesetz die Sprachanforderungen für die Erlangung der Niederlassungserlaubnis angehoben werden. Bisher reicht es für einen ausländischen Ehegatten von Deutschen, wenn er sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. In Zukunft muss er über ausreichend Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Besonders diese Regelung wird sehr heftig von Kirchen und NGOs kritisiert: Sie sei diskriminierend. Das Sprachniveau müsse eher abgesenkt als angehoben werden. Durch ein Daueraufenthaltsrecht würde die Integration gefördert. Die Opposition wird sicherlich diese Bedenken aufgreifen und Alarm schlagen. Ich meine, dass Abrüstung bei der Aufregung um diese Neuregelung geboten ist. Für die FDP ist die Kenntnis der deutschen Sprache zentrales Element der Integration. Die Opposition tut immer so, als wäre es vollkommen irrelevant, ob jemand Deutsch kann und damit, wenn er oder sie hier lebt, ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Wir sehen das anders: Es ist gerade Schutzpflicht des Staates, dass jedes Individuum in die Lage versetzt wird, ein eigenständiges Leben zu führen. Sprachkenntnisse sind dafür unerlässlich. Die Abhängigkeit vom Ehegatten kann und darf nicht das Ziel von Integrationspolitik sein. Problematisch könnte der Aspekt sein, dass im Endeffekt Deutsche im Verhältnis zu Deutschen diskriminiert werden: Wenn ein Deutscher von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, fällt sein Ehegatte nicht mehr unter die Regelung. Wenn ein Deutscher immer in Deutschland war, schon. Das ist schwer erklärbar. Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Inländerdiskriminierung ist in einem von Europarecht geprägten Alltag normal. Es ist eine politische Abwägung, wie man damit umgeht. Das Thema wird auch sicherlich noch einmal in der Anhörung thematisiert werden. Durch den Gesetzentwurf wird der Kindernachzug erleichtert. Bisher war der Kindernachzug zu nur einem Elternteil ausschließlich bei alleinigem Sorgerecht möglich. Durch die Änderung wird der Nachzug auch ermöglicht, wenn die Eltern ein gemeinsames Sorgerecht haben in den Fällen, in denen der andere Elternteil zustimmt. Das ist eine wesentliche Verbesserung. Ausländerrecht ist eine Materie, die immer in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern geregelt werden muss. Deshalb möchte ich noch kurz auf die Vorschläge der Länder eingehen: Zunächst ein Hinweis an die rot-rot-grüne Empörungs-Community: Die Bundesländer haben nicht den Vorschlag gemacht, § 28 Aufenthaltsgesetz so zu belassen, wie er war. Auch bei den rot-grünen Ländern wird also die Notwendigkeit der Sprachkenntnisse für die Integration gesehen. Den Änderungsvorschlag in § 18 c Aufenthaltsgesetz halten wir für sinnvoll und erforderlich. Die schwarz-gelbe Koalition hat die Fachkräftezuwanderung erleichtert: Mittlerweile kann jemand für sechs Monate nach Deutschland kommen ohne konkretes Arbeitsplatzangebot, um eine Stelle zu suchen. Es wäre widersinnig, wenn beispielsweise ein ausländischer Forscher, der in Deutschland gearbeitet hat, erst ausreisen müsste, um dann wieder ein sechsmonatiges Visum zur Arbeitsplatzsuche zu erlangen. So verprellt Zu Protokoll gegebene Reden Hartfrid Wolff ({1}) man die klugen Köpfe - wir aber wollen sie in Deutschland halten. Der zweite Punkt, der aus meiner Sicht näher betrachtet werden muss, ist die Änderung in § 4 der Integrationskursverordnung: Der Bundesrat will, dass durch die Anhebung auf B 1 den Ausländerbehörden ermöglicht wird, Ausländer auch dann wegen besonderer Integrationsbedürftigkeit zur Teilnahme an einem Integrationskurz zu verpflichten, wenn zwar A 1, aber nicht B 1 erreicht ist. Aus Sicht des Bundesrates könnten die Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien so verbessert werden. Diesen Vorschlag sollten wir näher prüfen. Auch können wir nicht umhin, zu sehen, dass sich der Bundesrat auf einen Vorschlag zum Bleiberecht geeinigt hat. Wir Liberale begrüßen dies grundsätzlich. So können endlich Gespräche auf einer Basis geführt werden. Bisher wurde der Schwarze Peter in dieser Frage oft hin und her geschoben. In den Einzelheiten müsste man noch verhandeln; daher bin ich nicht sicher, ob es in dieser Wahlperiode noch gelingen kann. Aber die Notwendigkeit für ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht sehen wir. Der Gesetzentwurf bringt Verbesserungen für die Betroffenen. Eventuell kann er noch weiter verbessert werden; wir werden daher auch die Sachverständigenanhörung sorgfältig auswerten. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven. Wir fördern und fordern! So kommt Deutschland - und alle, die hier leben wollen - voran. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Wir stellen die Weichen dafür!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Änderungen an der sogenannten Daueraufenthaltsrichtlinie der EU umsetzen - Zeit wird es; denn die Frist läuft in einem Monat ab. Wie in den einschlägigen EU-Richtlinien werden künftig Asylberechtigte, Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär Schutzberechtigte unter dem Begriff „international Schutzberechtigte“ zusammengefasst. Diese international Schutzberechtigten sollen entsprechend der geänderten Daueraufenthaltsrichtlinie künftig nicht mehr von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, nach fünf Jahren Aufenthalt den Status einer „Erlaubnis Daueraufenthalt-EU“ erwerben zu können. Sperrig ist nicht nur der Titel, sperrig sind auch die weiteren Voraussetzungen, die hierfür erfüllt sein müssen, unter anderem in Bezug auf die Lebensunterhaltssicherung. Immerhin, Flüchtlinge werden hierbei nicht weiter diskriminiert, und das ist grundsätzlich zu begrüßen. Dieser Aufenthaltstitel ermöglicht es prinzipiell, in ein anderes EU-Land umzuziehen, wiederum nur unter weiteren Bedingungen. Diese Möglichkeit ist zu begrüßen. Doch besser wäre es natürlich, die Betroffenen könnten direkt nach einer Anerkennung unter einfachen Bedingungen in ein EULand ihrer Wahl ziehen; aber die grundlegenden Mängel des EU-Asylsystems, auch nach Beendigung der sogenannten zweiten Phase, sollen hier nicht weiter ausgeführt werden. Völlig unverständlich ist, weshalb die Bundesregierung die ebenfalls bis Ende des Jahres umzusetzenden Änderungen der EU-Qualifikationsrichtlinie nicht ebenfalls in diesem Gesetzentwurf vornimmt, sondern dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es wäre für die Behandlung hier im Plenum und im Ausschuss weitaus einfacher gewesen, die Umsetzung beider Richtlinien in einem Gesetz vorzunehmen. Der Gesetzentwurf nimmt daneben noch Änderungen vor, die nichts mit der Richtlinienumsetzung zu tun haben. Einzelne Änderungen sind zu begrüßen, etwa beim unbeschränkten Arbeitsmarktzugang für nachgezogene Familienangehörige und Erleichterungen beim Nachzug von Kindern, für die eine gemeinsame Sorge mit dem im Herkunftsland verbleibenden Elternteil besteht. Gleichzeitig wird die Gelegenheit einer EU-Richtlinienumsetzung aber wieder einmal genutzt, um überflüssige und integrationsfeindliche Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz vorzunehmen. Ich will hier drei Punkte besonders herausgreifen. Erstens. Derzeit ist Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, in manchen Fällen auch einer Aufenthaltserlaubnis, dass keine öffentlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen werden. Das Aufenthaltsgesetz sieht wiederum Ausnahmen vor - unter anderem Kindergeld, Elterngeld, BAföG -, die nun auf die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgeweitet werden sollen. Notwendig ist dagegen unserer Ansicht nach, auf dieses soziale Selektionskriterium endlich ganz zu verzichten. Zahlreiche Menschen, die mit einer Kettenduldung viele Jahre in Deutschland leben, konnten wegen dieser Ausschlussklausel keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das Erfordernis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung verhindert in vielen Fällen den Nachzug von Ehegatten und anderen Familienmitgliedern. Der zweite Punkt betrifft eine geplante Verschlechterung beim Ehegattennachzug zu Deutschen. So sollen die nachziehenden Ehegatten erst dann eine Niederlassungserlaubnis erhalten, wenn sie über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. Bislang waren einfache Sprachkenntnisse ausreichend. Schon mit der letzten Änderung des Aufenthaltsgesetzes an dieser Stelle wurde die Verpflichtung geschaffen, einen Integrationskurs erfolgreich abzuschließen; andernfalls wird die Aufenthaltserlaubnis nur noch für jeweils ein Jahr erteilt. Die nun geplante Änderung ist in dieser Hinsicht also nicht nur entbehrlich, sie setzt die Verletzung des grundgesetzlich geschützten Rechts auf Familienleben in verschärfter Form fort. Wir fordern, die unsäglichen Hürden beim Familiennachzug endlich komplett wieder abzuschaffen. Zu Protokoll gegebene Reden Der dritte Punkt betrifft die neuen Befugnisse für die Grenzbehörden, eine Einreise zu verweigern, wenn ein Aufenthaltstitel durch Drohung oder Bestechung erwirkt wurde oder durch unrichtige Angaben im Visumverfahren erschlichen wurde. Es ist nicht ersichtlich, wie die Grenzbehörden die entsprechend komplexen Sachverhalte, außer in ganz offensichtlichen Fallkonstellationen, angemessen prüfen können sollen. Außerdem ist nach der vorgesehenen Fassung theoretisch auch noch nach jahrelangem Aufenthalt eine Abschiebung möglich, ohne dass Rechtsschutz erlangt werden kann. Die Konsequenzen für die Praxis sind gar nicht abschätzbar. Eine Notwendigkeit für diese neue Befugnis für die Grenzbehörden ist auch aus der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich. An diesen Punkten sehen wir also noch erheblichen Änderungsbedarf im weiteren Gesetzgebungsverfahren. Auch die Anhörung des Innenausschusses am kommenden Montag wird sicherlich weiteren Änderungsbedarf aufzeigen.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Bundesregierung hat uns einen Gesetzentwurf zur Umsetzung zweier EU-Richtlinien vorgelegt. Mit der einen Richtlinie sollen subsidiär geschützte Personen das Recht auf ein EU-Daueraufenthaltsrecht erhalten, von dem sie bislang ausgeschlossen waren. Die andere Richtlinie, die weitestgehend schon in das deutsche Recht umgesetzt wurde, betrifft im Wesentlichen die verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Verbesserungen für subsidiär geschützte Personen und andere Drittstaatsangehörige. Diese wurden lange durch die Bundesregierung bekämpft. Die meisten dieser Verbesserungen sind nunmehr europarechtlich zwingend. Die Bundesregierung hat aber auch zahlreiche Verschlechterungen vorgenommen, die nichts mit den Richtlinien zu tun haben, bzw. unterlässt es, sinnvolle Änderungsvorschläge des Bundesrates in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Diese neuen Restriktionen zeigen wieder einmal, wie schwer sich die Bundesregierung damit tut, die Rechte von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern. Auf einige dieser Punkte möchte ich mich heute konzentrieren. Den Vorschlag der Regierung, den Erwerb der Niederlassungserlaubnis für Ehegatten von Deutschen zu erschweren, lehnen wir ab. Bisher müssen diese Ehegatten sich „auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen“ können. Dieses Erfordernis soll nun auf „ausreichende Deutschkenntnisse“ angehoben werden. Natürlich ist es sinnvoll, wenn jemand gut deutsch spricht. Aber die Begründung der Regierung trägt nicht. Sie meint, mit der Änderung würde lediglich eine Angleichung an andere Vorschriften im Aufenthaltsgesetz erfolgen. Aber ich frage Sie: eine Angleichung woran? Eine allgemeine Praxis existiert nicht. So wird beispielsweise auch die Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte, Forscher und Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz ohne ausreichende Deutschkenntnisse erteilt. Darüber hinaus würde durch diese Regelung die sogenannte Inländerdiskriminierung gegenüber Unionsbürgern noch vertieft; denn von deren Ehegatten werden keinerlei Deutschkenntnisse verlangt. Ohnehin wäre die Neuregelung wegen des assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbots nicht auf türkische Ehegatten anwendbar. Die Neuregelung zum Kindernachzug hat Licht und Schatten. Zwar wird der Nachzug für Kinder von Elternteilen, die das Sorgerecht gemeinsam ausüben, grundsätzlich erleichtert, auch wenn die Bundesregierung es hier bei einer „Sollvorschrift“ belässt. Im Gegenzug verschärft der Gesetzentwurf aber die Rechtslage ausgerechnet für anerkannte Flüchtlinge. Diese müssen nunmehr entweder das alleinige Sorgerecht für ihre nachziehenden Kinder oder die Zustimmung des anderen Elternteils zum Nachzug nachweisen. Bisher werden nur der Besitz der Aufenthaltserlaubnis sowie ein Abstammungsnachweis verlangt. Es ist für viele Flüchtlinge bereits heute schwierig, die geforderten Abstammungsdokumente vorzulegen. Eine Erweiterung auf Unterlagen zur Personensorge bzw. das Einverständnis des anderen Elternteils würde in der Praxis zu unüberwindbaren Hürden führen. Diese Verschlechterung erscheint auch im Hinblick auf Art. 74 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen problematisch. Danach haben alle Signatarstaaten die Familienzusammenführung von kriegsbedingt getrennten Familien zu erleichtern. Wir schlagen den entgegengesetzten Weg vor. In unserem Antrag „Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten“, Bundestagsdrucksache 17/12395, schlagen wir Verbesserungen für Kinder und ihre Familien vor. Der Bundesrat hat eine Reihe von guten Empfehlungen beschlossen, die wir unterstützen, die aber von der Bunderegierung abgelehnt werden. So will der Bundesrat die Praxis eindämmen, dass die Familienzusammenführung von den Behörden mithilfe übersteigerter Anforderungen bei der Lebensunterhaltssicherung verwehrt wird. Daher sollte auch das Wohngeld in den Katalog der unschädlichen Leistungen für den Erwerb oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels aufgenommen werden. Denn das Wohngeld dient nicht der Lebensunterhaltssicherung, sondern dem angemessenen und familiengerechten Wohnen. Insoweit hat auch der Bundesrat eine Ergänzung empfohlen. Aufgegriffen hat der Bundesrat auch eine notwendige Verbesserung für türkische Staatsangehörige. Nach der vorgeschlagenen Regelung soll die deklaratorische Aufenthaltserlaubnis für assoziationsrechtsberechtigte Familienangehörige mindestens fünf Jahre gültig sein und den Hinweis auf das Daueraufenthaltsrecht enthalten. Damit setzt der Bundesrat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um und folgt unserem Gesetzentwurf zur Klarstellung des assoziationsrechtlichen Rechtsstatus „StaatsangehöriZu Protokoll gegebene Reden ger der Türkei“ im Aufenthalts-, Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht; Bundestagsdrucksache 17/12193. Diese Punkte werden wir in den Ausschüssen noch eingehend diskutieren müssen. Am Schluss möchte ich doch noch eine gelungene Verbesserung erwähnen. In Zukunft sollen alle ausländischen Familienangehörigen einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Das erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt und führt zur besseren Übersichtlichkeit des ansonsten undurchsichtigen Rechts. Das begrüßen wir.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zwischen den Fraktionen ist die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/13022 an die Ausschüsse vorgesehen, die in der Tagesordnung stehen. Damit sind Sie einverstanden? - Das ist also so beschlossen. Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph Lenkert, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für technische Produkte - Drucksache 17/13096 Die Reden wurden zu Protokoll genommen.

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir diskutieren heute einen Antrag der Fraktion Die Linke mit der Überschrift „Ressourcenschutz durch langlebige Produkte mit geregelter Mindestnutzungsdauer“. Dass unsere Ressourcen geschützt und so effizient wie möglich genutzt werden sollen, stellt in diesem Haus niemand infrage. Dass die Linke etwas staatlich „regeln“ will, ist auch nicht neu. Doch worum geht es? Wir alle wissen: Die zunehmende Rohstoffgewinnung bei unzureichenden Umweltstandards kann weitreichende negative Umweltauswirkungen nach sich ziehen und Ökosysteme schädigen. Daraus können soziale und wirtschaftliche Spannungen resultieren. Fragen des Ressourcenschutzes sind deshalb eine Frage der ökologischen und sozialen Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Die gesteigerte Nachfrage nach Rohstoffen wird durch die wachsende Weltbevölkerung verstärkt. Eine sichere und ausreichende Versorgung mit Rohstoffen ist unabdingbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg unserer Unternehmen. In zahlreichen Branchen wurden die Produktions- und Verbundprozesse bereits erheblich optimiert, wenngleich es in einigen Branchen weiter Effizienzpotenziale gibt. Wir sind bei den Effizienztechnologien in vielen Bereichen Weltmarktführer. Fragen des Ressourcenschutzes und der Ressourceneffizienz sind daher vor allem eine Frage der Zukunftsfähigkeit des Industriestandorts Deutschlands. Diesen wollen wir erhalten! Die Bundesregierung hat im Jahr 2011 im Rahmen der Rohstoffstrategie das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ({0}) verabschiedet. Die Maßnahmen des Programms sollen eine nachhaltige und effiziente Nutzung von nichtenergetischen Rohstoffen in Deutschland forcieren. Ziel ist es, die Effizienz der Wirtschafts- und Produktionsweisen in Deutschland weiter zu erhöhen und den Verbrauch von Ressourcen weiter zu optimieren. Wir setzen als Regierungskoalition auf marktwirtschaftliche Mechanismen. Diese liegen im Anreiz von technologischen Innovationen, in Ausbildung und Beratung, einer verbesserten Normung oder verstärktem Recycling. Hier setzen wir an! All dies sind Maßnahmen von ProgRess. Fragen des Ressourcenschutzes und der Ressourceneffizienz sind gleichzeitig Fragen, bei denen der gesamte Produktlebenszyklus betrachtet werden muss. Wir wollen, dass Ressourcenpolitik als Bewertungsmaßstab den gesamten Produktlebenszyklus, von der Rohstoffgewinnung über die weitere Verwendung und Nutzung bis hin zu der Verwertung, in den Blick nimmt. Nur dann kann eine Gesamtbewertung des ökologischen und ökonomischen Nutzens eines Produkts vorgenommen werden und können Ökologie und Ökonomie miteinander in Einklang gebracht werden. Ein Beispiel: Die PET-Mehrwegflasche kann im Vergleich zu anderen Flaschen sowohl unter ökonomischen wie auch unter ökologischen Gesichtspunkten eine sinnvolle Lösung sein. Obwohl sie in der Herstellung teurer ist, erweist sie sich über ihre gesamte Lebensdauer, einschließlich der Wiederverwendung und Entsorgung - auch in ökologischer Hinsicht -, als günstigste Alternative. Die Berücksichtigung der Produktlebenszyklen für mehr Ressourceneffizienz und die Betrachtung der gesamten Lebensdauer sind deshalb ein Gebot der Stunde. Was nun in letzter Zeit in den Fokus einiger kritischer Beiträge gerückt ist, ist die sogenannte geplante Obsoleszenz. Danach würden die Lebenszyklen von Produkten oder Teilen von Produkten absichtlich verkürzt, und Geräte und Produkte gingen direkt nach Ablauf der Garantie kaputt. Als Beispiele werden Drucker angeführt, die nach zwei Jahren vermeintlich den Geist aufgeben, obwohl sie noch voll funktionsfähig sind. Auch bei Glühbirnen wurde berichtet, dass deren Lebenszeit durch einen schwächeren Draht auf 1 000 Stunden verkürzt worden sei, um die Nachfrage zu steigern. Reißverschlüsse, Jalousien, Autoteile, es gibt an dieser Stelle mehrere Beispiele. Dass ein solches Vorgehen nicht nur unter Ressourcenschutzgesichtspunkten, sondern auch unter verbraucherschutzpolitischen Gründen zu beanstanden ist, leuchtet ein. Eine kürzere Lebensdauer bedeutet mitunter mehr Ressourceneinsatz. Jedoch liegen - auch der Stiftung Warentest - keine belastbaren Daten über ein solches Vorgehen von Herstellerseite aus vor. Es geht hier also zunächst um mehr Transparenz. Es gibt in Deutschland außerdem gesetzliche Garantiefristen, die von den Unternehmen eingehalten werden müssen. Doch was will die Linke? Sie fordert, den Herstellern gesetzlich vorzugeben, wie lange ein Produkt mindestens funktionieren muss. Die Linke will der Wirtschaft gesetzliche Regelungen über die „Feststellung und Ausweisung einer Mindestnutzungsdauer ihrer Produkte“ auferlegen. Sie will eine umfängliche Liste mit Gebrauchsgütern und deren zugewiesener Mindestnutzungsdauer. Sie möchte technisch nicht begründbare Sollbruchstellen „verbieten“. Abgesehen davon, dass mir schleierhaft ist, wie dies in der Praxis funktionieren soll, ist der Vorschlag der Linken staatlicher Dirigismus! Diese Vorschläge hemmen die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das wollen wir nicht. Erstens. Wir setzen auf Wettbewerb. Auf der Angebotsseite haben wir bereits die richtigen Instrumente, wenngleich wir diese weiter optimieren müssen. Auf europäischer Ebene ist das die Ökodesign-Richtlinie im Energiebereich. Deren Anwendung sollte auch auf nichtenergetische Rohstoffe ausgeweitet werden. In der Kommission laufen hier bereits Arbeiten, wie man Ressourceneffizienzgesichtspunkte, worunter auch die Langlebigkeit von Produkten fällt, im Ökodesignbereich stärker berücksichtigen könnte. Das ist der richtige Ansatz. Die beste Lösung soll sich durchsetzen. Wie die Unternehmen dahin kommen, bleibt jedoch ihnen überlassen. Zweitens. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können auf der Nachfrageseite dazu beitragen, dass solche Fälle minimiert werden. Voraussetzung dafür sind selbstverständlich verlässliche Informationen. Drittens. Im Rahmen der Vorarbeiten zu ProgRess wurde untersucht, wie man etwa das Profil des Blauen Engels im Bereich der Ressourceneffizienz stärken kann. Um dieses Label zu bekommen, müssen sich die Produkte der Hersteller durch besondere Anforderungen - beispielsweise auch im Bereich der Langlebigkeit - auszeichnen. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, bekommt das Label nicht. All dies sind Maßnahmen, die wir auch künftig weiter mit Leben füllen werden. Aus den aufgeführten Gründen lehnen wir den Antrag der Linken daher ab.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ressourcenschutz, Ressourceneffizienz ist, insbesondere für das rohstoffarme Deutschland, angesichts steigender Rohstoffpreise für unsere Zukunftschancen und die unserer Wirtschaft ein äußerst wichtiges Thema. Selbst die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben die Bedeutung von Ressourcenschutz und -effizienz für die deutsche Wirtschaft erkannt. Letztes Jahr wurde vonseiten der Bundesregierung ein Programm - ProgRess - verabschiedet. Leider werden, wie in fast allen Bereichen, nur Ziele verkündet, aber keine Maßnahmen ergriffen, wie diese Ziele erreicht werden können. Schlimmer noch: Viele konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Ressourcenschutzes werden von CDU/CSU, FDP und Bundesumwelt- bzw. Bundeswirtschaftsministerium abgelehnt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 26. Februar dieses Jahres ein umfangreiches Positionspapier mit vielen konkreten Forderungen für eine nachhaltige Rohstoffsicherung vorgelegt. Gerade im Bereich der Abfallwirtschaft sind viele Maßnahmen möglich, um den Ressourcenschutz und die Ressourceneffizienz zu verbessern. Nicht umsonst steht seit über 20 Jahren die Abfallvermeidung sowohl im europäischen wie im deutschen Abfallrecht an erster Stelle der Hierarchie. Wie die Linken in ihrem heute vorliegenden Antrag zu Recht bemerken, ist im Bereich Recycling viel erreicht worden, bei der Abfallvermeidung jedoch wenig. Dies wird von vielen kritisiert, zum Beispiel von Umweltverbänden, Parteien und beteiligten Wirtschaftskreisen. Vorschläge, wie die Abfallvermeidung im Einzelnen verbessert werden kann, gibt es eine ganze Reihe. Sobald es jedoch konkret wird, lehnt die schwarz-gelbe Koalition alles ab. Die Fraktion Die Linke hat den Antrag „Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für technische Produkte“ vorgelegt, mit dem sie ein Problem aufgreift, das seit längerem die Gemüter bewegt und öffentlich diskutiert wird: geplante Obsolenz. Gemeint ist damit, dass vonseiten der Hersteller Geräte bewusst so produziert werden, dass sie nach bestimmter Zeit defekt sind. Häufig ist es dann auch so, dass sich die Reparatur aus Kostengründen nicht lohnt oder nicht mehr möglich ist. Ein weiteres Ärgernis in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Batterien, Akkumulatoren oder Ersatzteile so fest verbaut werden, dass ein einfacher Austausch für die Verbraucher nicht möglich ist. Mir ist bewusst, dass ein solches Vorgehen von Produzenten nur schwer nachweisbar ist. Ebenso ist mir bewusst, dass bei Billigprodukten keine hohe Qualität oder Langlebigkeit zu erwarten ist. Trotzdem, es gibt dieses Problem; viele Bürger kennen es aus eigener Erfahrung. Computerdrucker, bei denen der Neukauf billiger ist als der Austausch von Druckerpatronen, Waschmaschinen, bei denen minderwertige Heizstäbe eingebaut werden, elektrische Zahnbürsten, bei denen die Batterien nicht austauschbar sind. Dies sind nur einige Beispiele. Zu Protokoll gegebene Reden Wie bereits erwähnt, ist dem einzelnen Hersteller schwer nachzuweisen, dass bewusst bei der Produktion Sollbruchstellen eingebaut werden. Diesen äußerst schwierigen wissenschaftlichen Nachweis nimmt die Bundesregierung zum Anlass, das Phänomen geplanter Obsolenz zu leugnen und für die Verbesserung der Langlebigkeit und Wiederverwendung von Produkten nichts zu tun. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Langlebigkeit von Produkten und damit auch den Ressourcenschutz, die Abfallvermeidung und den Verbraucherschutz zu verbessern. In dem heute vorgelegten Antrag der Linken werden einige Punkte aufgezählt, denen wir Sozialdemokraten zustimmen können. Den leichten Austausch von Verschleiß- oder Verbrauchsteilen sowie die leichte Reparatur und Wartung möglichst durch die Nutzerin bzw. den Nutzer sicherzustellen, gehört auch zu unseren Forderungen. Darüber hinaus fordern wir seit längerem, das Gewährleistungsrecht zu verbessern. Das geltende Gewährleistungsrecht bietet derzeit keinen Anreiz, langlebige Produkte herzustellen, weil bereits nach Ablauf der halbjährigen Beweislastumkehr durch den Verbraucher in der Regel kein Mangel mehr nachgewiesen werden kann. Daher sollte - gegebenenfalls auf EU-Ebene - eine Reform der Beweislastumkehr und eine Verlängerung auf die gesamte Gewährleistungsfrist von zwei Jahren geprüft werden. Darüber hinaus sollte die Gewährleistung zumindest für bestimmte Produktgruppen wie Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher verlängert werden. Maßnahmen zur Verbesserung der Verfügbarkeit von Ersatzteilen sollten geprüft werden. Für den Fall, dass Hersteller selbst keine Ersatzteile mehr anbieten, sollte im Hinblick auf die Marktreife von sogenannten 3-D-Druckern auch über eine Pflicht zur Veröffentlichung von Bauplänen und Konstruktionszeichnungen - gegebenenfalls gegen ein Entgelt - nachgedacht werden, um die Nutzungsdauer von Geräten zu erhöhen. Ebenso sollten Hersteller und Handel verpflichtet werden, durch Produktangaben und Kennzeichnungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen ressourceneffizienten Umgang zu ermöglichen. Alle diese von uns geforderten Maßnahmen sind umzusetzen. Die Koalitionsfraktionen, obwohl sie sich angeblich so für den Ressourcenschutz einsetzen, lehnen jegliche Maßnahmen ab. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, auf: Nehmen Sie die von verschiedensten Seiten vorgestellten Lösungsmöglichkeiten zum Anlass, konkret etwas für die Langlebigkeit von Produkten zu unternehmen! Wir sind gerne zu Gesprächen darüber bereit. Allerdings bin ich bei dem Antrag der Fraktion der Linken in einem Punkt sehr skeptisch. Ich glaube, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestnutzugsdauer von Geräten weder sinnvoll noch umsetzbar ist. Die Erstellung einer Liste mit einer einzelnen Produkten konkret zugeordneten Mindestnutzungsdauer ist nicht möglich. Ich bin der Überzeugung, dass eine Verbesserung des Gewährleistungsrechtes der bessere Weg ist.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dass Elektronikgeräte nicht uneingeschränkt haltbar sein können, liegt in der Natur der Sache. Dass sie aber schneller kaputtgehen, als es die Technik erfordert, freut niemanden. Jeder kennt das Problem: Man kauft sich ein neues Handy, ein Tablet, eine elektrische Zahnbürste, und just nachdem die Garantie der Hersteller abgelaufen ist, verringert sich die Laufzeit des Akkus drastisch und macht einen Austausch erforderlich. Dieser ist meist nicht nur sehr kostenintensiv, sondern aufgrund der Art des Einbaus oft schlicht nicht möglich. Oder Bauteile der technischen Geräte zeigen verfrühte Ermüdungserscheinungen, die sich nicht einfach beheben lassen und einen Neukauf zur wirtschaftlicheren Alternative machen. Einige Unternehmen verweisen darauf, dass sie Produkte mit kürzeren Lebenszyklen kostensparender herstellen können und damit weniger Rohstoffe verbrauchen. Dass es aber auch Hersteller gibt, die einen problemlosen Austausch der verschleißträchtigsten Bestandteile ermöglichen, zeigt, dass geringere Nutzungszeiten durch festeingebaute Akkumulatoren und Sollbruchstellen eine bewusste wirtschaftliche Entscheidung sind. In ihrem Antrag versucht die Linke eine Antwort auf dieses Problem zu geben - leider, wie ich meine, nicht durchdacht und wenig zielführend. Sie fordern gesetzliche Vorgaben über die Mindestnutzungsdauer von Produkten. Produkte sollen möglichst langlebig gestaltet werden, um eine nachhaltige Nutzung zu gewährleisten und damit dem Ressourcenverbrauch entgegenzuwirken. Dabei übersehen Sie aber einige wesentliche Punkte: Sehr langlebige Produkte sind in der Produktion meist teurer und benötigen einen größeren Rohstoffeinsatz. Das heißt, je langlebiger die Produkte, desto höher wird auch ihr Preis sein. Vor allem Elektrogeräte für den Haushalt, Unterhaltungselektronik oder auch Autos sind schon heute nicht für jedermann bezahlbar. Verteuert sich ihr Preis, verkleinert sich der Kreis der Käufer. Ihr Vorschlag ist in dieser Hinsicht durch und durch unsozial. Nimmt man beispielsweise Mobiltelefone, zeigt sich, dass nicht jede Generation das gleiche Bedürfnis hat: Für die ältere Generation können eine einfache Bedienung sowie eine lange Haltbarkeit ausschlaggebend sein. Die Jüngeren folgen lieber dem aktuellen Trend: Ihr Handy soll den neuesten technischen Anforderungen entsprechen und ein modernes Design haben. Für sie wäre ein Handy wie vor zehn Jahren, von der Zu Protokoll gegebene Reden Größe eines Haustelefons und mit einer Antenne, nicht interessant. Ein sehr langer Lebenszyklus von Produkten führt außerdem zu einer gewissen Marktsättigung. Die Konsumenten fragen das Produkt weniger nach, da sie zu Hause noch ein altes stehen haben, das läuft und läuft. Neue und effizientere Herstellungs- und Funktionsweisen bleiben auf der Strecke. Vor allem im Bereich Energieeffizienz wäre das eine Fehlentwicklung. Ein 15 Jahre alter Kühlschrank mit Eisfach verbraucht etwa 600 kWh jährlich, ein moderner Kühlschrank der Energieeffizienzklasse A+++ dagegen circa 157 kWh. Das ist ein beträchtlicher Unterschied, der die Anschaffung eines neuen Kombigerätes zu einer kostensparenden Alternative werden lässt und ökologisch sogar wünschenswert sein könnte. In einem Punkt teile ich die Meinung der Linken: Wenn es um die leichtere Entnehmbarkeit von Akkumulatoren und Batterien geht, sehe auch ich Handlungsbedarf. Aus ökologischer Sicht sprechen wir uns dezidiert für eine Entnehmbarkeit von Akkumulatoren und Batterien nicht nur bei der Demontage von Elektrogeräten, sondern auch während ihrer Nutzungsphase aus. Eine solche Regelung ist allerdings nur international, mindestens aber auf europäischer Ebene sinnvoll, da sie Anforderungen an das Produktdesign, also das Ökodesign, stellt. Hierfür steht seit 2005 die EG-Ökodesign-Richtlinie zur Verfügung. Die ÖkodesignRichtlinie schafft die Grundlagen für EU-weit verbindliche Durchführungsmaßnahmen zur Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte. Da es bei Elektrogeräten regelmäßig um Geräte geht, die auf dem gesamten europäischen Binnenmarkt gekauft und verkauft werden, ist eine europaweit einheitliche Regelung wichtig. Damit können wir auch den Druck auf die Gerätehersteller erhöhen, bei denen es sich oftmals um international agierende Großkonzerne handelt. Außerdem wäre hier ein nationaler Alleingang nur die Ultima Ratio. Dass der Status quo allerdings nicht zufriedenstellend ist, muss aber auch gesagt werden. Schon im letzten Sommer haben wir zu dieser Frage Kontakt mit dem Umweltbundesamt aufgenommen. Im Rahmen der Konsultationen zum neuen Arbeitsprogramm der Ökodesign-Richtlinie hat sich das UBA dafür ausgesprochen, dass die Entnehmbarkeit von Akkus als horizontale Durchführungsmaßnahme in der Ökodesign-Richtlinie verankert wird. Wir werden uns in den entsprechenden Verhandlungen dafür einsetzen, dass ein solcher Passus in die Richtlinie aufgenommen wird. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, sollten wir eine nationale Einzelfallregelung im Rahmen des Elektrogerätegesetzes prüfen.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wer kennt das Folgende nicht: Zwei Jahre, drei Monate, zwölf Tage funktionierte das neue Laptop einwandfrei, dann lud er sich nicht mehr auf. Beim Händler wird einem dann mitgeteilt: Erstens ist die Gewährleistung abgelaufen, zweitens haben Sie bestimmt mal richtig stark am Kabel gezogen, sind darüber gestolpert, dadurch ist die Stromanschlussbuchse kaputt - das wäre sowieso keine Gewährleistung -, und drittens ist die Buchse fest auf dem Mainboard aufmontiert, das müssten wir für Sie komplett wechseln lassen, aber ob es das noch gibt? Außerdem wäre das sehr teuer; das lohnt sich nicht. Kaufen Sie sich lieber einen neuen Rechner. Auf Nachfrage erfährt man dann: Wir können das Gerät nicht reparieren; das senden wir an den Hersteller. Das kostet mindestens 200 Euro und dauert zwischen vier und sechs Wochen, aber manchmal auch länger. Da steht man dann als Kunde da und ist bedient. Mir fiel dann mein damaliger Kollege ein, Elektromechaniker und Hobbybastler. Nachdem er einen passenden Spezialschraubenzieher aufgetrieben hatte, öffnete er das Laptop, inspizierte das Bord und murmelte: Kaltlötstelle, eindeutiger Herstellerfehler, aber das habe ich gleich. - Fünf Minuten später war die Lötstelle repariert, und der Rechner funktionierte weitere vier Jahre. Solche und ähnliche Erfahrungen hat wohl jeder schon gemacht. Obsoleszenz nennt man inzwischen die Verkürzung der Nutzbarkeit von Produkten, von eigentlich langlebigen Gebrauchsgütern. Die Studie zur geplanten Obsoleszenz, die die Grünen in Auftrag gaben, belegt eindrucksvoll, wie stark Firmen solche Strategien bereits nutzen. Von 2002 bis 2009 arbeitete ich als Technologe in der Entwicklung von optischen Baugruppen für Fernseher, Beamer, Handys und andere elektronische Geräte. Die Produktzyklen verkürzten sich in diesem Zeitraum von vier Jahren auf zwei Jahre und weniger. Gleichzeitig forderten unsere Kunden, namhafte Elektronikkonzerne, je Quartal Preissenkungen von 10 und mehr Prozent. Erhielten wir im Jahr 2002 für ein Beamerobjektiv 250 Euro, so waren es bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit des Objektivs im Jahr 2007 noch 50 Dollar. Wer diese Reduzierung nicht schafft, verliert die Aufträge. Entschuldigung, aber jeder Lieferant, der diesem Druck ausgesetzt ist, ergreift jede Gelegenheit, Kosten zu senken. Sparen bei Personal reichte da längst nicht mehr. Weniger und billigeres Material wird eingesetzt, Erhitzen bei Prozessen wie Löten erfolgt so knapp wie möglich; jedes Grad zu viel kostet unnötig Strom und damit Geld. Reparierbarkeit kostet Geld; montiert man alles auf eine Platine, spart dies ein paar Cent. Verklebt man das Gehäuse, spart man Schrauben und Dichtungen - und wieder ein paar Cent; will man das Gehäuse öffnen Pech gehabt. Aber es gibt Barrieren für den Sparwahn - Vorschriften und Gesetze, die auch kontrolliert und durchgesetzt werden. Und natürlich Kunden, die sich Qualität leisten können und gezielt haltbare Produkte kaufen, zum Beispiel von Miele oder Vorwerk. Zu Protokoll gegebene Reden Angetrieben wird der Prozess zur Verkürzung von Lebenszyklen durch die kurzfristige Rendite und Umsatzjagd internationaler Konzerne. Wie viele Handys braucht ein Mensch? Eins sollte reichen. Funktionierten die Handys vier Jahre, wäre der deutsche Markt mit etwa 20 Millionen Stück pro Jahr gesättigt. Wie will man dann noch Umsätze und Gewinne steigern? Hält ein Handy nur noch zwei Jahre, steigt deren Anzahl auf dem deutschen Markt auf 40 Millionen pro Jahr - 100 Prozent Steigerungspotenzial. Dass dadurch mehr Umwelt zerstört wird und Verbraucherinnen und Verbraucher unnötig draufzahlen, interessiert die Konzernstrategen nicht. In vielen Branchen verkürzen Konzerne bewusst Stück für Stück die Haltbarkeit der Produkte oder nehmen das, wie von mir beschrieben, mit Blick auf Kostensenkungen billigend in Kauf. Da alle Wettbewerber mitmachen, haben Verbraucherinnen und Verbraucher keine Chance auf Alternativen. Die Linke will diese Profitsteigerung zulasten der Umwelt und der Kundinnen und Kunden verhindern oder wenigstens erschweren. Heute endet mit zwei Jahren die Gewährleistung. Waren die zwei Jahre nicht ganz abgelaufen und der Händler ist stur, dann muss nach geltendem Gesetz der Kunde nachweisen, dass ein Herstellfehler vorliegt. Mein Kollege hätte das beim Computer gekonnt - ich nicht. Und Sie? Verschleiß wegen falscher oder nicht ausreichend haltbarer Konstruktion bekommt man nach geltendem Recht über Gewährleistung nicht ersetzt. Deshalb fordert die Linke gesetzliche Mindestnutzungszeiten für Produkte. Wie ist das beim Handy? Nach unserem Antrag muss es drei Jahre funktionieren. Wenn Tasten nach zwei Jahren nicht mehr reagieren, bekommt die Käuferin oder der Käufer Ersatz, egal ob ein Herstellfehler oder vorzeitiger Verschleiß die Ursache war. Der Hersteller muss beweisen, dass er alles richtig machte, und nur falls er nachweist, dass eine unsachgemäße Behandlung zum Ausfall führte, braucht er sein Gerät nicht zu ersetzen. Das Ermöglichen von Reparaturen, die einfache Ersetzbarkeit von Verschleißteilen wie Batterien will die Linke vorschreiben, damit eine Sauerei wie bei iPods mit eingelöteten Batterien zukünftig bestraft wird und Kunden nicht von der Gnade des Herstellers abhängen. Das Einbringen von Bauteilen, Zählern und technisch nicht begründbaren Sollbruchstellen in Geräte, nur damit diese eher unbrauchbar werden, ist ein Verbrechen an der Umwelt und ein Raubzug im Geldbeutel der Kundinnen und Kunden. Dieses Vorgehen will die Linke verbieten - zum Schutze der Umwelt, der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch zur Unterstützung der Firmen, die solide und ohne hinterhältige Nutzungszeitverkürzung arbeiten. Machen Sie sich nicht zum Steigbügelhalter der Renditejäger! Die Abfallhierarchie der EU ist aus meiner Sicht die Grundlage für das Recht von EU-Staaten, Mindestnutzungszeiten festzulegen. Unterstützen Sie unseren Antrag oder bringen Sie einen eigenen ein die Linke wird Sie nicht aufs Urheberrecht verklagen. Die Linke kämpft für die Sache, Sie hoffentlich auch.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Gekauft, gebraucht, kaputt - vom viel zu kurzen Leben vieler Produkte“ - so lautete der Titel einer Veranstaltung, die wir Grüne Ende März zum Thema „Geplanter Verschleiß“ durchgeführt haben. Klar ist: Geplanter Verschleiß von Produkten verursacht nicht nur Ärger, sondern produziert auch riesige Müllberge. Wir verbrauchen immer mehr Rohstoffe, auch weil Geräte immer schneller kaputtgehen und ersetzt werden müssen. Das ist eine Verschwendung und belastet unsere Umwelt. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass man defekte Geräte wieder reparieren kann. Wir wollen nicht zur Wegwerfgesellschaft gezwungen werden. Niemand will zum Neukauf gezwungen sein, weil ein Produkt zu schnell kaputtgeht und nicht mehr zu reparieren ist. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zum Thema „Geplanter Verschleiß“ im März eine Studie vorgestellt. Diese zeigt an vielen plastischen Beispielen, wie schon während des Herstellungsprozesses Schwachstellen in Produkte eingebaut werden, indem zum Beispiel für Einzelteile Material minderer Qualität verwendet wird, die Konstruktion Reparaturen nicht zulässt oder nur zu einem unverhältnismäßig hohen Preis. Die Folge sind schnell verschleißende Produkte und eine völlig unnötige Ressourcenverschwendung. Unsere Studie illustriert, wie überlegt einige Hersteller heute auf frühen Verschleiß ihrer Produkte setzen. Das geht bis hin zu konkreten Managemententscheidungen. Die Autoren nennen auch Handlungsmöglichkeiten, wie Politik und Produzenten Strategien für einen geplanten Verschleiß ausbremsen können. Dies ist auch aus unserer Sicht zwingend erforderlich. Geplanter Verschleiß ist ein Thema an der Schnittstelle zwischen Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Verbraucherpolitik; bisher ist es bei allen drei Bereichen oft unter den Tisch gefallen. Ziel sind die Langlebigkeit von Produkten, bessere Voraussetzungen für Reparaturen und qualitativ hochwertiges Recycling, wenn etwas endgültig nicht mehr reparierbar ist. Garantiezeiten verpflichtend machen und gesetzliche Gewährleistungsfristen verlängern - diese Maßnahmen zählen selbstverständlich dazu. Wir haben die Verlängerung der Gewährleistungsfristen auch bereits in unserem Antrag „Sammlung und Recycling von Elektronikschrott“ gefordert, der heute unverständlicherweise von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt wurde. Möchte diese Koalition VerbraucherinZu Protokoll gegebene Reden nen und Verbraucher also gar nicht wirksam schützen vor schnell verschleißenden Produkten, die häufig teuer bezahlt wurden? Selbstverständlich muss die Reparaturfähigkeit von Produkten verbessert werden, zum Beispiel, indem Produzenten dazu veranlasst werden, Ersatzteile über längere Zeiträume bereitzuhalten. Einige Hersteller geben Ersatzteile gar nicht heraus, sondern empfehlen den Neukauf. Das können wir nicht hinnehmen. Problematisch ist auch, dass heute immer weniger Geräte überhaupt repariert werden können. Viele Laptops werden alleine durch das Öffnen des Geräts bereits zerstört. Das ist das exakte Gegenteil von Nachhaltigkeit und eine Verhöhnung von Kundinnen und Kunden. Wir müssen auch Anforderungen formulieren, was auf EU-Ebene geschehen muss. Zum Beispiel sollte die EU-Ökodesign-Richtlinie um die Aspekte Qualität und Langlebigkeit von Produkten erweitert werden. Derzeit spielt hier nur die Energieeffizienz eine Rolle, aber nicht die Ressourceneffizienz. Das halten wir angesichts der Ressourcenknappheit für zu kurz gedacht. Ebenso ist es notwendig, für die Politik Normungsprozesse unter die Lupe zu nehmen, die Qualitätskriterien für viele Produkte setzen. Hier liegt ein wirklicher Hebel, die Haltbarkeit wirksam zu verlängern. Wir begrüßen den Antrag der Linken, weisen aber darauf hin, dass die konkreten Lösungen erst noch weiter erarbeitet werden müssen. So reicht der Antrag noch nicht aus, das Problem tatsächlich in den Griff zu bekommen. Wir arbeiten weiter daran, konkrete Lösungen und Maßnahmen zu entwickeln, um die Nutzerinnen und Nutzer vor geplanten Schwachstellen zu schützen. Wir bemühen uns auch, die umweltbewussten Hersteller an diesem Prozess zu beteiligen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vorgeschlagen wird die Überweisung der Drucksache 17/13096 an die Ausschüsse, die in der Tagesordnung stehen. - Damit sind Sie wiederum einverstanden. Dann ist auch das so beschlossen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. April 2013, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.