Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die
Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von
Ihren Plätzen zu erheben.
Der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges
Mitglied Ottmar Schreiner, der am 6. April gestorben
ist. Er wurde 67 Jahre alt. Ottmar Schreiner, Saarländer
von Geburt und aus Überzeugung, errang erstmals 1980
ein Mandat. Seither gehörte er dem Deutschen Bundestag an, 32 Jahre ohne Unterbrechung als Mitglied der
SPD-Fraktion. Die meisten von uns haben also nie einen
anderen Bundestag kennengelernt als einen, in dem
Ottmar Schreiner seine Stimme erhob, insbesondere und
immer wieder für diejenigen, die es im Leben nicht
leicht haben.
Keine Frage: Sein Herz schlug links. Er selbst hat das
einmal so formuliert: „Ich habe diesen Gerechtigkeitsimpuls mit der Muttermilch mitbekommen.“ Als Kind habe
er mit seiner Familie „ein Leben an der Armutsgrenze“
geführt, hat er selbst einmal in einem Interview erklärt.
Diesem Impuls ist Ottmar Schreiner sein gesamtes politisches und parlamentarisches Leben gefolgt, mit ebenso
viel Hartnäckigkeit wie Enthusiasmus. Peter Altmaier
hat das in einem sehr persönlichen Nachruf auf seinen
Wahlkreiskollegen folgendermaßen auf den Punkt gebracht - ich zitiere -:
Vor allem aber war er Sozialpolitiker und Sozialdemokrat, und zwar in dieser Reihenfolge.
Das war für seine Partei nicht immer bequem und für ihn
ganz gewiss auch nicht.
Ottmar Schreiner hatte nicht nur eine klare Position,
er konnte sie auch leidenschaftlich vermitteln. Er setzte
sich früh dafür ein, dass aus der Marktwirtschaft keine
Marktgesellschaft wird. Immer wieder warnte er vor den
negativen Folgen, wenn Märkte sich in Bereiche ausdehnen, wo sie nach seiner Überzeugung nicht hingehören.
Früher als andere wies er auch auf die Gefahr hin, die
von einer Verselbstständigung der Kapitalmärkte ausgeht.
Ottmar Schreiner war ein Kollege, der über die Fraktionsgrenzen hinaus geschätzt war, aufgrund seiner
Gradlinigkeit, seiner Verlässlichkeit. Er wird uns fehlen.
Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für
das, was er in diesem Haus über Jahrzehnte hinweg geleistet hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Angehörigen spreche ich im Namen des
ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus.
Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vor
Eintritt in die Tagesordnung eine Wahl zum Stiftungsrat
der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchführen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien hat mitgeteilt: Das vom Zentralrat der Juden
benannte Mitglied Lala Süsskind ist ausgeschieden. Dafür wird der bisherige Stellvertreter, Heinz-Joachim
Aris, als Nachfolger vorgeschlagen. Als nachfolgendes
stellvertretendes Mitglied wird Frau Barbara Traub benannt. Nach § 19 des entsprechenden Gesetzes müssen
auch die von anderen Stellen vorgeschlagenen Mitglieder des Stiftungsrates vom Deutschen Bundestag bestätigt werden. Deshalb darf ich Sie fragen, ob Sie mit
diesem Vorschlag einverstanden sind. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Herr
Aris ist als Mitglied und Frau Traub als stellvertretendes
Mitglied des Stiftungsrates gewählt.
Darüber hinaus müssen wir auch noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Die Linke
schlägt vor, für den Kollegen Harald Weinberg den Kollegen Paul Schäfer als Schriftführer zu wählen. Sind Sie
auch mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Paul Schäfer
als neuer Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP:
Präsident Dr. Norbert Lammert
Mehr Geld für Hochschulen - Aufstockung
des Hochschulpakts für über 600 000 zusätzliche Studienplätze
({0})
ZP 2 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen
Sicherung der Stabilität der Euro-Zone - Fi-
nanzhilfe für Zypern
b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1
Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsge-
setzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungs-
mechanismusgesetzes im Rahmen der Haf-
tungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des
EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Ab-
satz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabili-
sierungsmechanismusgesetzes
- Drucksache 17/13060 -
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 42
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verhandlung auf Augenhöhe - Das Urhebervertragsrecht reformieren
- Drucksache 17/12625 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin
Gerster, Dagmar Freitag, Sabine BätzingLichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Joachim Günther ({3}), Dr. Lutz Knopek,
Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela
Wagner, Claudia Roth ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren
- Drucksache 17/13091 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({5})
Innenausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren
- Drucksache 17/13092 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({6})
Innenausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid
Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken
- Drucksache 17/13098 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({7})
Innenausschuss
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Hightech-Strategie 2020 für Deutschland - Bilanz und Perspektiven
Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013
- Drucksache 17/13075 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 43
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck ({10}), Marieluise Beck
({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landbeschaffungsgesetz überprüfen
- Drucksachen 17/12195, 17/12741 Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer ({12})
Wolfgang Hellmich
Harald Koch
Katja Keul
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer,
Präsident Dr. Norbert Lammert
Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen
- Drucksachen 17/10645, 17/13138 Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Maag
ZP 5 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf
gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung
ZP 6 Unterrichtung durch die Bundesregierung
Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011
- Drucksache 17/10365 hier: Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 17/12940 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
ZP 7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck ({15}), Ute Koczy, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Zukunft der
Westsahara und zur Menschenrechtslage in
den vom Königreich Marokko und von der
Frente Popular de Liberacion de Saguía el
Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten
- Drucksache 17/11453 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara
und Lösung des Konflikts durch Referendum
unterstützen
- Drucksache 17/13089 ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({16}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner,
Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen
- Drucksachen 17/12695, 17/13068 Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Rief
Gustav Herzog
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Harald Ebner
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck
({18}), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequente Umsetzung des Public Corporate
Governance Kodex
- Drucksachen 17/9984, 17/12740 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Matthias Heider
ZP 11 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung der Aufbewahrungsfristen sowie zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften
- Drucksache 17/13082 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({19})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 12 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Keine Visafreiheit für Inhaber russischer
Dienstpässe - Keine Visumspflicht für Menschen aus dem Westbalkan
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 7, 11, 16
und 24 abgesetzt.
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der am 14. März 2012 ({20}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({21})
zur Mitberatung überwiesen werden:
Präsident Dr. Norbert Lammert
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur
Änderung des Gesetzes zur Regelung der
Wohnungsvermittlung
- Drucksache 17/12637 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({22})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen
Sicherung der Stabilität der Euro-Zone - Fi-
nanzhilfe für Zypern
b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1
Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des
EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes
- Drucksache 17/13060 Der Antrag des Bundesfinanzministeriums betrifft die
Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern
in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM, die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität
zwischen der Republik Zypern und dem ESM und die
Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding,
Haftungsanpassungen für die Republik Zypern, die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit
des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre sowie
eine entsprechende Verlängerung der Laufzeit des Darlehens an Portugal, ebenfalls um sieben Jahre. Ich möchte
darauf hinweisen, dass wir später über diese fünf Teile
des Antrages getrennt abstimmen werden. Über vier dieser gerade genannten Teile werden wir eine namentliche
Abstimmung durchführen.
Zu dem Antrag liegt je ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu höre ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung
hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang
Schäuble.
({23})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind bei der Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone gerade im letzten Jahr gut vorangekommen. Wir haben die Währungsunion Schritt für
Schritt stabilisiert. Wir haben immer gesagt: Es gibt zur
Überwindung dieser Krise nicht eine einfache schnelle
Lösung, sondern wir müssen Schritt für Schritt konsequent vorangehen.
Zur Stabilisierung und zur Überwindung der Krise
sind im Wesentlichen vier Aspekte von Bedeutung. Zum
einen müssen in den gefährdeten oder betroffenen Staaten
die notwendigen finanz- und wirtschaftspolitischen Reformen durchgesetzt werden. Deswegen ist eine strenge
Konditionalität aller Hilfen notwendig. Zum anderen
muss unsere Währungsunion zu einer europäischen Stabilitätsunion umgebaut werden, in der der vergemeinschafteten Geldpolitik eine effektive finanzpolitische
Säule zur Seite gestellt wird: mit besserer Kontrolle,
wirksameren Reformvorgaben und früher greifenden
Sanktionen. Dann brauchen wir einen funktionsfähigen
Europäischen Stabilitätsmechanismus, um den Krisenstaaten, wenn notwendig, Zeit für Reformen zu verschaffen und um Ansteckungseffekte in Europa verhindern zu
können. Schließlich muss der europäische Bankensektor
durch ausreichende Eigenkapitalausstattung und durch
eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht stabilisiert werden.
Auf diesem mühsamen Weg sind wir gut vorangekommen. Man muss sich das angesichts fortlaufender
Krisennachrichten gelegentlich ins Gedächtnis zurückrufen. Es stellen sich Erfolge in den Krisenländern ein.
Stück um Stück wird auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen. Wenn man sich die Marktentwicklung anschaut, dann stellt man fest: Es gibt zwar
immer noch Nervositäten und Unsicherheiten, aber deutlich weniger als noch vor drei Jahren, vor zwei Jahren
oder vor einem Jahr. Wir sind auf dem richtigen Weg.
({0})
Aus diesem eingeschlagenen Weg ergibt sich die Notwendigkeit - dabei geht es auch um die Stabilität und die
Handlungsfähigkeit der Euro-Zone -, dass wir Zypern
helfen. Das ist Gegenstand der heutigen Beratung. Die
Hilfe für Zypern zielt eben darauf ab, die bisher erreichten Erfolge in der Euro-Zone zu sichern. Wir wollen und
wir müssen verhindern, dass aus den Problemen in Zypern neue Probleme in anderen Ländern der Euro-Zone
werden.
Es ist wahr: Zypern ist ein Land mit weniger als
1 Million Einwohnern und einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone von 0,2 Prozent, also ein relativ kleines Land. Aber Zypern befindet sich in einer
dramatischen Situation. Zypern hat seit anderthalb Jahren praktisch keinen Zugang mehr zu den Finanzmärkten. Wenn wir Zypern nicht helfen, steht Zypern unausweichlich vor dem Staatsbankrott.
Zyperns Problem ist eine zu einseitige Wirtschaftspolitik, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat. Es hat
sich herausgestellt: Der zyprische Bankensektor war
fehlstrukturiert und völlig überdimensioniert. Ein großer
Bankensektor an sich - auch das muss man sagen - muss
nicht problematisch sein, aber im Falle Zyperns war eine
Anlage auf dem zyprischen Finanzplatz eine Spekulation
auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zyprischen
Staates, der als alleiniger Garantiegeber hinter diesem
Finanzplatz stand. Im Unterschied zu anderen Finanzplätzen in Europa - das ist wichtig, damit man keine falschen Schlussfolgerungen zieht - haben wir es in Zypern
auch nicht in erster Linie mit Tochterunternehmen anderer großer ausländischer Banken zu tun. Daraus ergibt
sich eine spezifische Situation Zyperns. Deswegen kann
es für Zypern - das ist das Wesentliche - keine Lösung
geben, die nicht eine deutliche Verkleinerung des Bankensektors umfasst. Das ist also notwendig und mit dem
heute vorgelegten Hilfsprogramm gewährleistet.
({1})
Im Übrigen zeigt der Fall Zypern auch, wie wichtig es
ist, dass wir in Europa eine funktionierende Bankenaufsicht schaffen, gerade auch, wenn nationale Bankenaufsicht offensichtlich an ihre Grenzen stößt oder gestoßen
ist. In Zukunft wird eine europäische Bankenaufsicht
mindestens die drei bedeutendsten Kreditinstitute in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat beaufsichtigen. So
werden wir in Europa früher eingreifen können, etwa um
drohende Schäden zu verhindern. Im Vergleich zur funktionierenden Bankenaufsicht, die wir jetzt aufbauen,
wäre eine Verlagerung der Risiken auf einen europäischen Rettungsfonds, also eine Vergemeinschaftung der
Risiken, keine Lösung gewesen. Das hätte in der Sache
überhaupt kein Problem gelöst, sondern wäre nur wieder
eine Verlagerung der Risiken gewesen. Entscheidend ist
eine durchsetzungsstarke Aufsicht, die sich auch ohne
Rücksicht auf nationale Interessen gegen Fehlentwicklungen durchsetzen kann.
Auch bei Zypern gilt, was immer gegolten hat: Hilfe
ist immer Hilfe zur Selbsthilfe. Im Übrigen ist Solidität
die Gegenleistung für Solidarität. Auch daran muss man
gelegentlich und immer wieder erinnern.
({2})
Zypern geht seine Probleme an. Wir, die Partner in
der Euro-Zone, helfen, dass das in geordneten Bahnen
geschehen kann. Aber Zypern selbst muss erhebliche
Anstrengungen aufbringen, und die bringt es auf. Der
ESM-Vertrag und das deutsche ESM-Finanzierungsgesetz enthalten ja klare Vorgaben, die erfüllt sein müssen,
damit ein Land Finanzhilfe aus dem ESM erhalten kann:
Die eine Bedingung ist, dass die Hilfe der Wahrung der
Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes dient, dass sie
dafür notwendig ist. Das ist die sogenannte Systemrelevanz. Die andere Bedingung ist, dass die Hilfe Sinn machen muss. Dabei geht es um die Umsetzung des Grundsatzes der Schuldentragfähigkeit.
Die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds haben
bestätigt, dass von Zypern Ansteckungseffekte für die
gesamte Euro-Zone ausgehen können. Deshalb halten
wir eine Finanzhilfe für Zypern für notwendig und sehen
die Voraussetzung der Systemrelevanz als gegeben an.
Man muss sich klarmachen: Bei einer Staatsinsolvenz
Zyperns bestünde ein großes Ansteckungsrisiko etwa für
Griechenland; aber auch Länder, die unter dem Programm stehen, und andere Länder, die auf den Finanzmärkten nervös beurteilt werden, würden bei einer negativen Signalwirkung oder erneut aufkommenden
Zweifeln an der Integrität der Euro-Zone in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch könnte der Marktzugang anderer Staaten gefährdet sein. Man muss daran erinnern:
Portugal und Irland nähern sich dem erfolgreichen Abschluss ihrer Anpassungsprogramme, Spanien ist auf einem guten Weg, auch Italien hat erfolgreich seine Bedingungen am Markt verbessert. All dies könnte durch eine
Staatsinsolvenz Zyperns gefährdet werden. Daraus folgern die genannten Institutionen und auch wir die Systemrelevanz Zyperns.
Die Erfüllung der Voraussetzung der Schuldentragfähigkeit wird durch die von der Euro-Gruppe mit Zypern
vereinbarten Eckpunkte und durch das, was wir dem
Deutschen Bundestag heute als Programmentwurf vorlegen, gewährleistet. Nach den Berechnungen der Troika
aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds darf das Programmvolumen 10 Milliarden Euro nicht überschreiten,
damit die finanzielle Tragfähigkeit gewährleistet ist. Unter Zugrundelegung dieser Größenordnung rechnet die
Troika damit, dass die Schuldenquote im Jahr 2020 bei
rund 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Zyperns liegen wird. Dies wird als tragfähig angesehen. Die Annahmen, die der Tragfähigkeitsberechnung zugrunde liegen,
sind angesichts der aktuellen Entwicklungen in den letzten Wochen übrigens noch einmal vorsichtiger angesetzt
worden, sodass ich davon ausgehe, dass dies eine verantwortliche Schätzung ist.
Die Programmmittel in Höhe von 10 Milliarden Euro
werden nicht zur Rekapitalisierung der Laiki Bank oder
der Bank of Cyprus verwendet. Das sind die beiden Banken, die praktisch insolvent sind und in den vergangenen
Monaten nur durch die Notfallliquiditätshilfe des europäischen Währungssystems solvent gehalten worden
sind. Das Programm dient der Überbrückungsfinanzierung des zyprischen Haushalts in einer Größenordnung
von 7,5 Milliarden Euro und in einem geringeren Umfang, nämlich in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, der Rekapitalisierung und Umstrukturierung des übrigen Bankensektors - nicht der beiden betroffenen großen
Banken in Zypern.
Wir haben uns übrigens von Anfang an und immer
wieder dafür ausgesprochen - insbesondere zusammen
mit dem Internationalen Währungsfonds -, dass bei der
Lösung der Probleme der beiden großen insolventen
Banken zuerst und zuvorderst die Eigentümer und bestimmte Fremdkapitalgeber herangezogen werden. Man
muss daran erinnern: Wer in Zypern besondere Chancen
durch günstige steuerliche Regelungen, geringere Transparenzvorschriften und andere günstige Rahmenbedingungen und im Übrigen auch höhere Zinsen gesucht hat,
der ist damit besondere Risiken eingegangen. So ist es
bei Finanzanlagen: Höhere Zinsen entsprechen höheren
Risiken. Wenn sich diese Risiken realisieren, dann muss
man sie auch tragen.
({3})
Wir alle haben uns weltweit verpflichtet - ich sage
das auch im Vorfeld der Tagung des Internationalen
Währungsfonds, die heute Abend in Washington beginnt -,
als Lehre aus der Finanz- und Bankenkrise des Jahres
2008, die sich nicht wiederholen darf, dafür zu sorgen,
dass die Risiken des Bankensektors, die durch eine
Maximierung von spekulativen und kurzfristigen hohen
Gewinnen angehäuft werden, nicht am Ende zuerst und
zuvorderst von der Gemeinschaft der Steuerzahler getragen werden. Deswegen gab es keinen anderen Weg als
den, an der Restrukturierung der beiden großen Banken
zuvorderst die Eigentümer und die Anlagegläubiger zu
beteiligen. Risiko und Haftung gehören zusammen.
Es ist wahr, wir haben in dem langen Ringen um diese
Lösung zur Kenntnis nehmen müssen, dass andere befürchtet haben, dass von einem sogenannten Bail-in zunächst große Verunsicherungsgefahren für die Finanzmärkte ausgehen. Deswegen gab es außer vom
Internationalen Währungsfonds und der deutschen Bundesregierung am Anfang nicht allzu viel Unterstützung
für die Position, auf die man sich jetzt geeinigt hat. Auch
daran muss man erinnern dürfen. Aber inzwischen ist
klar geworden, dass es ohne Beteiligung der Einleger
nicht gelingen konnte, ein tragfähiges Programm für
Zypern auf die Beine zu stellen. So ist nun vereinbart,
dass von den beiden großen Banken die eine abgewickelt
und die andere unter Heranziehung von Eigentümern,
Anleihegläubigern und Anlegern mit Großeinlagen rekapitalisiert wird. Die Einlagen unter 100 000 Euro bleiben
geschützt. Das entspricht europäischem Recht.
Bei der abzuwickelnden Laiki Bank werden die Einlagen über 100 000 Euro komplett in eine Bad Bank
überführt, ebenso die Ansprüche von Aktionären und
Gläubigern, und die Einlagen bis zu 100 000 Euro werden in eine sogenannte Good Bank überführt, die der
Bank of Cyprus angegliedert wird. Auch für die Rekapitalisierung der Bank of Cyprus werden die Ansprüche
der Aktionäre und nachrangiger Gläubiger in vollem
Umfang herangezogen, Einlagen über 100 000 Euro in
einer Größenordnung, dass eine Eigenkapitalquote von
9 Prozent erreicht wird. Dadurch hat sich im Übrigen in
den letzten Wochen diese Verunsicherung in der Öffentlichkeit hinsichtlich unterschiedlicher Zahlen ergeben.
Es gab unterschiedliche Berechnungen, wie viel es sein
wird. Das ändert an dem Hilfsprogramm aber überhaupt
nichts, weil von vornherein klar war: Mittel für die Rekapitalisierung der beiden Banken wird das Hilfsprogramm nicht umfassen. Deswegen sind die 10 Milliarden Euro als Obergrenze zu keinem Zeitpunkt bestritten
worden.
Ich will noch einmal unterstreichen und wiederholen
- das gilt nämlich auch für den weiteren Weg in Richtung Bankenunion in der Europäischen Union -: Es
muss im Falle von Schieflagen von Banken eine klare
Haftungsreihenfolge geben, zuerst die Eigentümer, dann
die nachrangigen Fremdkapitalgeber, dann die Anleger
unter Wahrung der gesicherten Einlagen und erst dann
der Staat, in dem die Bank beheimatet ist, und am Ende
notfalls auch die Staatengemeinschaft. Das ist die Haftungsreihenfolge, und an der darf auch beim Aufbau einer Bankenunion nichts geändert werden.
({4})
Für Deutschland ist dies übrigens nicht neu. Das ist im
deutschen Restrukturierungsgesetz enthalten. Auch für
Europa ist das nicht neu; denn es ist Inhalt der Restrukturierungsrichtlinie, die die Kommission vor einem Jahr
vorgelegt hat und die sich jetzt im europäischen Rechtsetzungsprozess befindet.
Das Zypern-Hilfsprogramm war von Anfang an nicht
unumstritten. Wie könnte es anders sein? Aber alle Bedingungen, die auch im Deutschen Bundestag für ein
Hilfsprogramm gestellt worden sind, sind mit diesem
Programm erfüllt. Der Bankensektor in Zypern wird vehement gesundgeschrumpft. Er wird unmittelbar zurückgeführt auf das Durchschnittsniveau der Euro-Zone, also
auf das Dreieinhalbfache des Bruttoinlandsprodukts.
Zypern wird seine Kapitalertragsteuer und seine Unternehmensteuern erhöhen. Es gibt klare Vereinbarungen
zur Geldwäscheprävention im Rahmen eines laufenden
Überprüfungsverfahrens, und es wird Reformen geben
im zyprischen Renten- und Pensionssystem und im bisherigen System automatischer Lohnerhöhungen in
Zypern; auch das ist wichtig, damit Zypern dauerhaft
wettbewerbsfähig wird.
Russland hat übrigens angekündigt, die Anstrengungen Zyperns durch entsprechende Erleichterungen bei
seinem laufenden Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu unterstützen. Im Übrigen ist sichergestellt,
dass keine Mittel des Hilfsprogramms für die Rückzahlung des russischen Kredites verwendet werden können.
Der Internationale Währungsfonds wird sich an dem
Programm beteiligen, vorbehaltlich der Zustimmung der
entsprechenden Gremien des Internationalen Währungsfonds. Sie werden vermutlich Anfang Mai dieses Jahres
ihre formelle Entscheidung treffen. Wir gehen von einer
Mitfinanzierung in Höhe von 1 Milliarde Euro aus, wodurch sich dann der Anteil des ESM-Hilfsprogramms
auf 9 Milliarden Euro begrenzt.
Bei Zustimmung des Deutschen Bundestages könnten
im ESM die notwendigen Entscheidungen, um die Finanzhilfe für Zypern zu vereinbaren, in der kommenden
Woche getroffen werden, sodass eine erste Tranche im
Mai dieses Jahres ausgezahlt werden könnte. Aber Voraussetzung dafür ist die Umsetzung der in dem Memorandum of Understanding als vordringlich vereinbarten
Maßnahmen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages
wird entsprechend unserer Regelung fortlaufend über
den Stand der Umsetzung der vordringlichen Maßnahmen unterrichtet werden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
In unserem Antrag bitten wir auch um Zustimmung
des Bundestages zu der Programmänderung, die notwendig wird, weil Zypern den Antrag gestellt hat, bei künftigen Gewährleistungen nach der EFSF von seinem Haftungsanteil freigestellt zu werden. Im EFSF-Vertrag ist
vorgesehen, dass Länder, die das Programm selber in
Anspruch nehmen, bei künftigen Programmen nicht mithaften. Der deutsche Gewährleistungsanteil würde sich
damit von 29,07 Prozent auf 29,13 Prozent erhöhen. Ich
bitte auch insoweit den Bundestag um Zustimmung.
Schließlich bitten wir um Zustimmung zur Verlängerung der Laufzeit der laufenden Darlehen für Portugal
und Irland. Beide Länder, Irland und Portugal, haben in
den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um ihre Haushalte zu konsolidieren, ihre Bankensektoren zu stabilisieren und ihre Wirtschaften wieder
wettbewerbsfähig zu machen. Sie erfüllen die Programmauflagen der Troika. Sie sind auf einem guten
Weg. Irland steht unmittelbar vor der Rückkehr an die
Kapitalmärkte. Portugal hat zwar durch eine Entscheidung seines Verfassungsgerichts Maßnahmen von
1,3 Milliarden Euro für verfassungswidrig erklärt bekommen, hat aber inzwischen gleichwertige Maßnahmen beschlossen. Das verdient unsere Anerkennung.
Beide Länder sind auf dem richtigen Weg. Sie zeigen,
dass die Programme funktionieren.
({5})
Nun ist es wichtig, dass wir in dieser entscheidenden
Phase die Erfolge beider Länder nicht aufs Spiel setzen.
Deswegen hat die Troika empfohlen, für beide Länder
die Laufzeit der Programme zu verlängern. Das bedeutet
keine Erhöhung der Programmvolumina, aber es sichert
eben die Rückkehr an die Märkte für beide Länder. Ich
bitte den Bundestag um Zustimmung. Ich weise im Übrigen darauf hin, dass nicht nur die EFSF-Kredite verlängert werden sollen, sondern auch die europäischen Kredite. Alle Finanzminister der EU 27 haben einstimmig
auch eine Verlängerung des EFSM-Kredits für beide
Länder empfohlen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will
eine allgemeine Bemerkung hinzufügen: Gerade wir - in
unserem Land spüren wir die Euro-Krise im Alltag ja
nicht so sehr - sollten uns bei der Beratung dieses Hilfsprogramms für Zypern wieder einmal ins Gedächtnis rufen: Die Menschen in Griechenland, in Spanien, in Italien, in Portugal und jetzt in Zypern erleben eine
schwere Zeit. Damit ihre Länder eine bessere Zukunft
haben können, müssen sie durchgreifende Reformen ertragen, erleiden, durchstehen. Es gibt keinen Weg, der
daran vorbeiführt. Aber es ist ein schwerer Weg für die
Menschen in den betroffenen Ländern. Dies muss man
gerade in den Ländern, in denen es den Menschen besser
geht, gelegentlich der Öffentlichkeit ins Gedächtnis rufen.
({6})
Die Anpassungsprozesse führen zum Erfolg. Das zeigen die bisher eingetretenen Entwicklungen. Auch die
EZB hat in diesen Tagen wieder angemahnt, dass in den
Bemühungen nicht nachgelassen werden dürfe; eingetretene Erfolge dürften nicht zu einem Nachlassen der Bemühungen führen. Es gibt keine tragfähige Abkürzung
auf diesem Weg. Die Probleme in diesen Ländern haben
eine längere Geschichte. Diese lassen sich über Nacht
nicht heilen.
Aber natürlich müssen wir insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einer Reihe von Ländern in Europa bekämpfen. Denn es ist eine Katastrophe, wenn 30,
40 Prozent der jungen Menschen dauerhaft ohne Chancen auf einen Arbeitsplatz sind.
({7})
Deswegen ist es gut, dass der Europäische Rat 6 Milliarden Euro für Programme in den nächsten sieben Jahren
bereitgestellt hat. Dieses Geld muss jetzt von den nationalen Regierungen für die junge Generation klug eingesetzt werden.
Auch die Europäische Investitionsbank - wir haben
das in der vergangenen Woche in Dublin ausführlich erörtert - tut vieles für nachhaltiges Wachstum in Europa.
Sie setzt bis 2015 zusätzlich 60 Milliarden Euro zur Förderung von Investitionen ein. Zusammen mit Partnern
und der Mobilisierung privater Gelder werden damit insgesamt 180 bis 200 Milliarden Euro mobilisiert werden.
So werden alleine in diesem Jahr für kleine und mittlere
Unternehmen über 15 Milliarden Euro an Krediten auf
den Weg gebracht werden.
Deswegen sage ich: So hart die Anpassungsprozesse
in den Ländern auch sind: Die positiven Auswirkungen
zeigen sich. Die Haushaltsdefizite sinken. Sie sind in den
letzten drei Jahren in der Euro-Zone im Durchschnitt
halbiert worden. Die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Die
Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer der Europäischen Union haben sich in den letzten
Jahren reduziert. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte gehen zurück. Die Ausfuhren in Südeuropa steigen. Auch Griechenland hat in den letzten Monaten
seine Ausfuhren in Drittländer deutlich gesteigert.
({8})
Eine aktuelle DIHK-Studie zeigt übrigens: Deutsche Firmen investieren wieder stärker in den Krisenstaaten Europas. Sie sehen die Reformanstrengungen und die Erfolge.
Die Europäische Kommission rechnet mit einer
Wende zum Besseren bei den Konjunktur- und Wachstumsindikatoren, in einigen Ländern schon in diesem
Jahr, auch bei der Beschäftigung. Übrigens: Auch in
Griechenland geht der Arbeitsmarkt nicht weiter zurück,
sondern verbessert sich auf niedrigem Niveau langsam.
Für nächstes Jahr wird der Turnaround in allen Ländern
erwartet.
Was noch wichtiger ist: Die Bürgerinnen und Bürger
Europas stehen gerade auch in den Krisenländern - sie
haben es in Wahlen wieder und wieder bewiesen - zu
unserer Gemeinschaftswährung. Auch in Deutschland
hat es einen Stimmungsumschwung gegeben. Vor ein
paar Jahren hat noch jeder zweite Deutsche am Euro gezweifelt. Nach einer aktuellen Umfrage sind nun 70 Pro29158
zent für die gemeinsame europäische Währung. Das ist
eine beachtliche Verbesserung.
Die Menschen sehen: Der Weg ist anstrengend, er ist
nicht ohne Risiken, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Die Menschen in Deutschland wissen: Ohne die großen
Erfolge wirtschaftlicher Integration, ohne die große stabilisierende Wirkung einer gemeinsamen Währung, von
der wir am meisten profitieren, hätten wir unseren Wohlstand, unsere Leistungsfähigkeit, unsere hohe Beschäftigung, unsere soziale Sicherheit nicht erreicht und wären
diese für die Zukunft nicht zu sichern. Deswegen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie auf diesem
schwierigen Weg weiter um Ihre Unterstützung. Ich bitte
um Zustimmung.
({9})
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Fraktion wird dem europäischen Rettungspaket
heute zustimmen,
({0})
nicht nur weil wir zu Europa und zum Euro stehen, sondern auch weil der Entwurf - jedenfalls in seiner jetzigen
Form - trotz all dem, was noch offen ist, an drei entscheidenden Stellen durchaus auch unsere Handschrift
trägt:
Erstens. Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt:
„Der einfache Steuerzahler darf am Ende nicht der
Dumme sein“, und: „Bei der Rettung angeschlagener
Banken müssen die Lasten fairer verteilt werden.“ Das
geht in der Tat nicht ohne eine angemessene Beteiligung
der Banken, ihrer Eigner und ihrer Gläubiger.
Wenn die Menschen in Spanien, in Griechenland, in
Frankreich, in Deutschland das Gefühl haben, dass in
diesem Europa pausenlos gegen elementare Grundsätze
von Fairness und Gerechtigkeit verstoßen wird, dann
- da können Sie, Frau Merkel und Herr Schäuble, noch
so schöne Gipfelbilder machen lassen - gerät Europa in
ernsthafte Gefahr. Anders gesagt: Eine Europäische
Union, die gegen elementare Grundsätze von Fairness
und Gerechtigkeit verstößt, wird uns um die Ohren fliegen oder rechten Populisten und Nationalisten in die
Hände fallen. Das zukünftige Europa wird ein gerechtes
Europa sein - oder es wird nicht sein, meine Damen und
Herren.
({1})
Die rechte Seite dieses Hauses hat sich lange gegen
Argumente von uns gewehrt: Sie waren gegen eine Finanzmarktbesteuerung - wir mussten Sie dazu zwingen.
Sie waren gegen eine Heranziehung großer Vermögen wir mussten Sie dazu zwingen. Und Sie sind immer noch
gegen die Beteiligung der Banken an einem Bankensicherungsfonds, wie Peer Steinbrück ihn entworfen hat.
In Zypern haben wir nun zumindest eine Gläubigerbeteiligung. Wir haben bei der Gläubigerbeteiligung einen
ersten Einstieg geschafft. Deshalb ist das auch ein Erfolg
für uns, meine Damen und Herren.
({2})
Zweitens. Wir Sozialdemokraten sind solidarisch mit
Zypern; aber wir sind nicht solidarisch mit einem Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass man sich selbst zu
einem Paradies für Steuerhinterzieher und Geldwäscher
erklärt.
({3})
Mit der Schließung der Laiki Bank und mit der Umstrukturierung der Bank of Cyprus wird der künstlich
aufgeblähte zyprische Bankensektor zusammengeschrumpft. Zypern hat sich außerdem bereit erklärt,
seine Gesetze gegen Geldwäsche - vor allen Dingen die
Umsetzung dieser Gesetze - jetzt durch eine internationale Gutachterkommission bewerten zu lassen. Mindestens das war erforderlich. Das ist ein zweiter wichtiger
Erfolg. Nur, wir müssen natürlich jetzt europäisch und
auch von Deutschland aus darauf achten, dass es nicht
bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt.
Auf die Haltung von Union und FDP bei Geldwäsche
und Steuerhinterziehung komme ich am Ende noch zurück.
Drittens. Wir Sozialdemokraten sagen: Solidarität
braucht Fortschritte bei der gemeinsamen Steuerpolitik,
gerade bei der Unternehmensbesteuerung. Warum? Weil
Steuerdumping, Unternehmensteuersätze von 10 Prozent
oder gar noch darunter aus unserer Sicht in Europa nicht
hinnehmbar sind, und wir werden das auf Dauer auch
nicht hinnehmen.
({4})
Das Ziel müsste natürlich ein einheitliches europäisches Steuerrecht sein. Davon sind wir weit entfernt;
aber immerhin ist es im Fall Zypern zum ersten Mal gelungen, die absolute Höhe von Steuersätzen überhaupt
zum Gegenstand einer europäischen Vereinbarung zu
machen. 12,5 Prozent statt 10 Prozent, das ist nicht die
Welt, das ist nicht viel, das ist nicht genug; aber der Anfang ist gemacht. Ich sage: Nationale Dumpingsteuersätze anzusprechen, darf kein europäisches Tabu sein.
({5})
Sich ein paar Jahre ein leichtes Leben machen und
dann die Solidarität von Steuerzahlern aus der Nachbarschaft einfordern - das geht eben nicht, das kann nicht
funktionieren. Deshalb sage ich: Auch die Anhebung der
Steuern in Zypern ist eine Strukturreform. Es ist eben
eine Strukturreform, wenn jeder Staat seine eigenen Bürger mit den notwendigen Steuern belastet. Das - und
nicht nur Einschnitte ins Sozialleistungssystem - gehört
zu einer Strukturreform.
({6})
Ja, wir werden diesem Paket zustimmen. Missverstehen Sie uns aber nicht: Das ist keine Zustimmung zu Ihrer Art von Krisenmanagement, die wir in den letzten
Wochen noch einmal erlebt haben.
({7})
- Sie sind ja gleich dran.
({8})
Das, was wir hier gesehen haben, die Einbeziehung
der Kleinanleger, die Sie, Herr Schäuble, entweder gefordert oder am Ende jedenfalls mitgetragen haben, war
Dilettantismus. Das war ein Riesenfehler
({9})
und hat europaweit Angst und Verunsicherung mit sich
gebracht. Erst nach langem und quälendem Hin und Her
ist es gelungen, zu der Einigung zu kommen, die jetzt
mit diesem Rettungspaket vorliegt. Bei allem Verständnis, Herr Schäuble, für die Schwierigkeiten in Europa, in
solchen Fragen einen Konsens zu finden: Das war eine
erbärmliche Vorstellung des Europäischen Finanzministerrates, und Sie haben dabei keine gute Rolle gespielt.
({10})
Ich hoffe, dass die meisten ahnen - auch die Beteiligten in der Regierung -, dass der Weg zu der wirklichen
Lösung der europäischen Krise noch verdammt lang und
beschwerlich sein wird. Ich habe das aber Ihren Äußerungen eben nicht entnehmen können, Herr Schäuble.
Sie haben nämlich gesagt, es sei alles auf einem guten
und richtigen Weg. Ich finde, die deutsche Regierung
sitzt hier zu häufig auf dem hohen Ross. Ihr Angebot ist:
Wenn alle den deutschen Weg gehen, dann wird das
schon irgendwie richtig sein.
Ich sage ja auch: Natürlich geht es in Deutschland
besser als in vielen europäischen Staaten, und ich sage
Ihnen vor allen Dingen: Darüber freuen wir uns mehr als
andere in diesem Hohen Haus. Aber die ganze Wahrheit
ist: Die Beteiligten auf der Regierungsbank haben den
geringsten Anteil daran, dass es in Deutschland besser
geht.
({11})
Jedenfalls darf die Tatsache - das ist mir sehr ernst -,
dass es uns im Augenblick besser geht als anderen, nicht
dazu führen, dass wir sagen: Lasst mal die anderen machen. Bei uns in Deutschland ist die Arbeit ja im Wesentlichen getan.
Herr Schäuble, Sie haben in Ihren Ausführungen eben
nicht ein Mal den neuesten IWF-Bericht zitiert.
({12})
Der IWF hat gerade Aussichten veröffentlicht, die für
uns höchst relevant sind. Dieser IWF-Bericht ist eine Art
Weckruf für ganz Europa, aber ich hoffe, auch für uns.
Was steht in diesem IWF-Bericht über die Aussichten? Der Abstand Europas zu den USA wächst. Die USA
gehen Schritt für Schritt den Weg aus der Krise, Europa
stagniert. In solch einer Situation einfach nur auf das
deutsche Vorbild zu verweisen, kann nicht genügen.
Deutschland kann es doch auf Dauer nicht gutgehen,
wenn unsere europäischen Partner ohne Wachstum und
immer mehr ohne Hoffnung sind.
Deshalb sage ich: Es ist mehr als ein Fanal und kein
Beweis dafür, Herr Schäuble, dass wir allesamt auf einem guten Weg sind, dass wir heute auch über die Verlängerung der Rückzahlungsfristen für Portugal und Irland entscheiden müssen. Das heißt doch nicht, dass der
Weg im Prinzip schon gegangen ist, sondern das heißt,
dass wir mit unseren Annahmen zu optimistisch waren und wir sind es weiterhin.
Der IWF-Bericht, den ich zitiert habe, zeigt ganz klar:
Der Euro-Raum bleibt in seiner Wirtschaftsentwicklung
hinter den anderen Polen der Weltwirtschaft zurück: hinter den dynamischen BRIC-Staaten, was keinen überrascht, und hinter den USA, was wir inzwischen auch
gelernt haben. Was aber keiner zur Kenntnis nimmt: Der
Euro-Raum liegt mittlerweile sogar hinter Japan, einem
Land, das wir immer als Stagnationsland in Erinnerung
haben.
Wenn man jetzt einen Blick auf die aktuelle Situation
in Europa wirft, dann sieht man: Die Wirtschaft in
Europa wird weiter schrumpfen, während die Weltwirtschaft im Durchschnitt um 3,5 Prozent wächst; am
stärksten natürlich die BRIC-Staaten, aber auch die USA
mit 1,9 Prozent. Die Euro-Zone verliert zunehmend den
Anschluss. Deutschland ist mit einer Wachstumsprognose - Herr Schäuble, auch das hätten Sie sagen können - von gerade einmal 0,4 Prozent, also keine riesige
Prozentzahl, doch wirklich nicht mehr der Motor, der in
Europa alles ziehen kann.
Deshalb sage ich Ihnen - das ist die Wahrheit -:
Wachstum braucht Investitionen in den Krisenstaaten
und auch bei uns. In den Krisenstaaten schrumpft die Investitionsrate im Augenblick dramatisch: in Griechenland um 5 Prozent, in Portugal seit Jahren im zweistelligen Bereich. Wenn Sie einmal genau hinschauen, dann
werden Sie feststellen, dass die Situation in Deutschland
nur auf den ersten Blick rosig aussieht. Auch bei uns
wurde bei der Investitionstätigkeit inzwischen der Rückwärtsgang eingelegt: fast 5 Prozent minus bei den Ausrüstungsinvestitionen in 2012. Dieser Trend setzt sich
2013 fort.
Herr Schäuble, diese Regierung hat die guten Jahre,
die sie vielleicht auch dank unserer Vorarbeit hatte, nicht
genutzt. Diese Regierung verschläft die Zukunft in diesem Land. So einfach ist das.
({13})
Sie ignorieren eben, dass in diesem Lande ganz viel getan werden muss: bei Bildung und Ausbildung, bei der
Sicherung der Fachkräftebasis, bei der Modernisierung
der Infrastruktur, auch bei der Integration von Frauen ins
Erwerbsleben; darüber werden wir nachher noch reden.
Seit dreieinhalb Jahren wird dieses Land, wie ich
finde, weit unter seinen Möglichkeiten regiert. Sie belehren andere über die Notwendigkeiten von Reformen, die
Sie selbst zu Ihren Regierungszeiten nie geschafft haben.
Sie kümmern sich im eigenen Land nicht darum, etwas
gegen die Wachstumsbremsen von morgen zu tun. Sie
legen die Hände in den Schoß. Deutschland sollte Vorbild sein, aber - das sage ich Ihnen - nicht immer nur
mit dem Zeigefinger des Oberlehrers, sondern gelegentlich auch einmal mit zupackender Hand im eigenen
Land. Diese Hände haben Sie in Ihren beiden Hosentaschen!
({14})
Abschließend einige wenige Worte zum Thema Steuerhinterziehung. Ja, Zypern hat sich zum Steuerparadies
erklärt. Das geht nicht gut. Peer Steinbrück hat recht,
wenn er sagt: Steuerparadiese sind Gerechtigkeitswüsten. - Damit muss Schluss sein: in Zypern und im Rest
Europas.
Herr Schäuble, Sie haben in diesem Kampf mit dem
deutsch-schweizerischen Steuerabkommen von Anfang
an aufs falsche Pferd gesetzt; das sage ich mit aller Deutlichkeit.
({15})
Sie haben die von uns regierten Länder dafür kritisiert,
dass sie Steuer-CDs angekauft haben. Am Ende zeigt
sich doch: Das war wahrscheinlich der einzig mögliche
Weg. Wären Sie mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen durchgekommen, hätten sich am Ende die
Steuerbetrüger ins Fäustchen gelacht. Heute kann von
denen keiner mehr ruhig schlafen, weil er die Befürchtung haben muss, entdeckt zu werden.
({16})
Eigentlich muss an einem solchen Tag, Herr
Schäuble, auch einmal der Satz fallen: In dieser Beziehung haben wir uns in der Regierung einfach geirrt.
({17})
Wenn heute in Europa gegen Steuerbetrug vorgegangen
wird, wenn jetzt Länder wie Luxemburg und Österreich,
was ich ausdrücklich begrüße, darüber nachdenken, die
Abschaffung des Bankgeheimnisses ernsthaft anzugehen, dann hat das vor allen Dingen auch mit der Beharrlichkeit von Sozialdemokraten in Deutschland zu tun.
({18})
- Ja. Sie hätten das Steuerabkommen geschlossen, und
dann wäre die Sache für Sie erledigt gewesen. Weil es
das nicht gegeben hat, weil es weiterhin Druck auf Steuerbetrüger gibt, können wir jetzt immerhin kleine Fortschritte erkennen.
Ich sage Ihnen: Sie haben in den dreieinhalb Jahren,
die Sie in der Regierung waren, die Chance nicht genutzt. Ich kann Ihnen voraussagen: In 157 Tagen wird
sie nicht wiederkommen.
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ihre Sichtweise ist schon sehr interessant, Herr
Steinmeier: Wir sind für alles Gute in der Welt zuständig. - Erinnern Sie sich noch an die letzte Bundestagswahl und daran, was die Bevölkerung Ihnen gesagt hat:
Ihr könnt es nicht; ihr macht es falsch; ihr seid in Europa
auf dem falschen Weg; ihr habt die falschen Länder in
die Euro-Zone aufgenommen. - Das haben Sie mittlerweile selbst festgestellt. An Ihrer Stelle würde ich mir
eher Gedanken darüber machen, welche Reformen denn
notwendig sind, und nicht darüber reden, um wie viel
Geld man die Bürger noch schröpfen kann.
({0})
Sonst würden Sie im Ergebnis dieselben Fehler machen
wie die Länder, denen wir nun in europäischer Verantwortung helfen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, sich darüber Gedanken zu machen.
({1})
Die Bürger werden in den von Ihnen angesprochenen
verbleibenden 157 Tagen bis zur Bundestagswahl erkennen, wer welche Leistung erbracht hat, und zu dem
Schluss kommen: Das waren vier gute Jahre für
Deutschland.
({2})
Die Bürger werden des Weiteren sagen: Wir wollen, dass
die Politik dieser vier guten Jahre fortgesetzt wird, und
zwar - da gehen wir sicherlich überein - mit notwendigen Reformen. Der Wähler als Souverän wird entscheiden. Dann werden wir sehen. Für den Wähler ist es sicherlich weniger interessant, von Ihnen zu erfahren: Ich
war es auch, Herr Lehrer; ich habe es gut gemacht. Vielmehr wird der Wähler fragen: Wer hat es tatsächlich
gemacht?
Es fällt keinem leicht, bei Hilfsprogrammen zu sagen:
Wir geben Garantien auf Milliardensummen. - Aber als
verantwortungsvolle Europäer müssen wir immer wieder
darauf hinweisen, dass es unsere Aufgabe ist, Hilfe zur
Selbsthilfe zu geben, damit Veränderungen im Denken
und Handeln eintreten. Zypern hätte es wesentlich leichter haben können, wenn es früher erkannt hätte, dass es
selber und damit die Bürger Zyperns Teil der Lösung
sind. Wir müssen unseren Bürgern immer wieder sagen,
dass in einem Europa, wie wir es wollen, auch Deutschland profitiert und Teil der Lösung ist. Dies zu vermitteln, ist Aufgabe der Politiker nicht nur in Deutschland,
sondern auch in allen anderen Ländern.
Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen, dass
mir der Blick auf unser Nachbarland Frankreich besondere Sorgen bereitet. Dort glaubt man offenbar, dass die
Verantwortung der Politik nur darin besteht, alles so zu
lassen, wie es ist. Ich bitte darum und hoffe, dass das
weitergegeben wird: Seht doch einmal, liebe Bürger in
Europa, dass Länder, die sich unter schweren Anstrengungen reformieren müssen, am Ende besser dastehen
als diejenigen Länder, deren Bevölkerungen ihren Politikern glauben, dass man nichts tun müsse. - Das ist die
Aufgabe, und diese wird mit dem nun zu beschließenden
Rettungspaket auch wahrgenommen.
Ich will das für die Bürger noch einmal deutlich darlegen. Wir tun etwas gegen Geldwäsche; ich glaube,
darin sind wir uns einig. Wir sind in der Lage, bei
Haushaltskonsolidierung und Privatisierung wieder voranzugehen. Herr Steinmeier, Sie haben gesagt, die Körperschaftsteuer in Zypern werde nur um 2,5 Prozentpunkte erhöht. Aber eben einmal eine Ertragsteuer um
25 Prozent zu erhöhen, verlangt einem Land viel ab,
weil sich dann die Strukturen verändern. Die Zyprioten
machen das. Wir begrüßen das und halten das auch für
richtig. Aber man hätte auch die Mehrwertsteuer erhöhen und die Pensionen kürzen können. All diese Belastungen gehören nun einmal dazu. All das verlangen wir,
die Bundesrepublik Deutschland, für unsere Bereitschaft, Hilfe zu geben. Das ist die Aufgabe. Es geht um
Geben und Nehmen, um möglichst viel Freiheit, aber
auch um möglichst viel Eigenverantwortung der betroffenen Länder.
Dass zusätzlich der Bankensektor in Zypern verkleinert wird, ist genau richtig. Die Bürger müssen endlich
wieder erkennen, dass das Geld, das man in einem Land
anlegt, weil es beispielsweise um 0,5 Prozentpunkte höhere Zinsen bietet, nicht automatisch sicher ist. Der
Minister hat zu Recht darauf hingewiesen - dafür bin ich
ihm ausdrücklich dankbar -: Höhere Zinsen bedeuten
ein höheres Risiko.
Hier möchte ich einen Punkt ansprechen, Herr
Steinmeier, bei dem ich große Bedenken habe. Alle Versuche der Sozialdemokraten, der Grünen und der Linken
in Deutschland, aber auch in anderen Ländern laufen am
Ende immer auf eine Vergemeinschaftung der Schulden
hinaus. Entweder sollen Euro-Bonds eingeführt oder
Altschuldentilgungsfonds aufgelegt werden. Ein erneuter Vorstoß in Richtung Vergemeinschaftung kommt nun
im Zusammenhang mit dem Bankenrettungsfonds. Sie
wollen nicht, dass jedes Land Rettungsfonds für seine
Banken aufbaut, und zwar zusammen mit den betreffenden Banken - es ist klar, dass auch die Banken etwas
dazu tun müssen -, sondern Sie sagen - das ist typisch
für links -: Wir machen das europäisch.
({3})
Was wird die Folge sein? Herr Steinmeier, die SPD
will einen europäischen Bankenrettungsfonds. Dann
wird Gesamteuropa für die Banken haften.
({4})
- Wenn wir uns da einig sind, ist es gut. Das kann einer
Ihrer nachfolgenden Redner, zum Beispiel der Kollege
Schneider, noch klarstellen. Dann treten Sie auch von
dieser Meinung zurück. So haben Sie es schon bei den
Euro-Bonds gemacht: Zuerst sind Sie dafür. Als Sie
dann bemerkt haben, dass das ein Irrweg ist, waren Sie
dagegen.
({5})
Den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland muss
klar gesagt werden, warum die Aussage der Bundeskanzlerin, dass die Einlagen der Bürger sicher sind, nicht
nur zutreffend, sondern auch untermauert ist. Das Land
Zypern konnte seinen Bürgern keine Garantie für ihre
Einlagen bei den Banken mehr geben, weil es sich finanziell übernommen hat. Das Land Bundesrepublik
Deutschland - weil es von dieser Bundesregierung gut
geführt wird, weil wir gesamtstaatlich Überschüsse haben - ist der größte Garant für stabile Finanzen und sichere Ersparnisse. Diese garantieren wir nicht nur durch
unsere Haushaltspolitik, sondern eben auch durch unsere
heutige Zustimmung zu den Maßnahmen für Zypern.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach
Griechenland, Portugal, Spanien und Irland geht es nun
um ein Rettungspaket für einen Großteil der Banken auf
Zypern - nicht für die Bevölkerung, nicht für die Wirtschaft, sondern wieder für die Banken. Laut Deutscher
Bundesbank haben wir bisher rund 65 Milliarden Euro
für die Rettungspakete für die Banken in Europa aufgewendet. Seit 2008 haben wir für die Rettung der deutschen Banken in Deutschland 285 Milliarden Euro aufgebracht. Wenn ich das addiere, komme ich auf einen
Betrag von 350 Milliarden Euro. Die Frage ist: Wird dieses Geld je zurückfließen? Sie sorgen im Süden Europas
dafür, dass diese Länder niemals in der Lage sein werden, das Geld zurückzuzahlen, und Sie trauen sich nicht,
das ernsthaft von den Banken zu fordern.
({0})
Auch beim Rettungspaket für die zyprischen Banken
haften wir wie bei Irland, Griechenland, Spanien und
Portugal mit 27 Prozent, und zwar haften die deutschen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den Fall, dass
diese Länder nicht in der Lage sind, die Darlehen fristgerecht zurückzuzahlen. Alle Auflagen, die Sie erteilen
- das gilt auch für Zypern -, führen zu einem Rückgang
der Kaufkraft, zu einem Rückgang der Wirtschaft und
damit auch zu einem Rückgang der Steuereinnahmen.
Zypern und die anderen Ländern werden deshalb nicht in
der Lage sein, die Darlehen zurückzuzahlen. Wovon sollen denn dann die deutschen Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler das Geld aufbringen? Es fehlt uns Geld für
Kindertagesstätten, überhaupt für Bildung, für Gesundheit, für Investitionen, für Renten und Sozialleistungen.
Zypern braucht zur Rettung und zur Abwicklung von
Banken 23 Milliarden Euro. 13 Milliarden Euro sollen
die Zyprioten selbst aufbringen, 10 Milliarden Euro sollen als Darlehen dazukommen. Die Wirtschaftsleistung
Zyperns liegt bei 17 Milliarden Euro. Woher sollen die
denn 13 Milliarden Euro nehmen? Übrigens waren es
zunächst nur 7,5 Milliarden Euro, und dann wurden es
13 Milliarden Euro. Weshalb? Weil die Reichen vor der
Konteneinfrierung Tipps bekamen und ihr Geld noch aus
Zypern abziehen konnten. Wer klärt das eigentlich einmal auf, auch die Tatsache, dass Angehörige des konservativen zypriotischen Präsidenten dabei waren?
({1})
Das ist wirklich ein starkes Stück. Jetzt hat eine Beraterfirma festgestellt, dass die Beweismittel schon vernichtet
worden sind. Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit, um das einmal ganz klar zu sagen.
({2})
Was verlangen die Troika und allen voran die Bundesregierung für die 10 Milliarden Euro, die als Darlehen vorgesehen sind? Sie verlangen wieder Privatisierungen, wieder Renten- und Lohnkürzungen und
Entlassungen. Sie, Herr Fricke, haben gerade gesagt,
dass das alles erforderlich sei. Nun wurde aber festgestellt, dass das zyprische Parlament zustimmen muss. Im
Unterschied zu unserem leistet dieses gelegentlich Widerstand. Also warten wir einmal ab, was dort passieren
wird.
Aber zunächst - und das war eine wirklich dramatische Fehlentscheidung; da hat Herr Steinmeier recht sollten, Herr Bundesfinanzminister, alle Sparerinnen und
Sparer haften. Die kleinsten Konten sollten herangezogen werden. Ich muss Ihnen eines sagen: Faktisch sollte
die Einlagensicherung von 100 000 Euro abgeschafft
werden. Aber was das Schlimmste ist: Ich habe hier darüber gesprochen, und dann haben Sie mir vorgeworfen,
dass ich die Sparerinnen und Sparer verunsichere. Nein,
nicht ich verunsichere sie, sondern die Verunsicherung
ist mit der Zustimmung der Bundeskanzlerin und des
Bundesfinanzministers, jedes Konto in Zypern heranzuziehen, eingetreten.
({3})
Beim neuen Rettungspaket ist es so, dass die Anleger
bei der Laiki Bank betroffen sind, die vollständig abgewickelt werden soll. Hier sollen alle Sparguthaben über
100 000 Euro eingezogen werden. Das ist wohl rechtlich
nicht ganz unproblematisch. Auf andere Aspekte komme
ich noch zu sprechen.
Bei den anderen Banken soll ein Schuldenschnitt erfolgen, und zwar durch Einbehaltung von 60 Prozent der
Sparguthaben über 100 000 Euro.
({4})
- Die anderen.
({5})
- Ich meine nicht die Banken, sondern die Sparerinnen
und Sparer.
Aber trifft es wirklich die Vermögenden und die Reichen? Das wäre doch eine Chance. Nein! Die haben sich
ja längst aus dem Staub gemacht.
Wer zahlt also nun für die Banken auf Zypern in Zypern selbst? Es sind vor allem die Pensionskassen, also
die Rentnerinnen und Rentner mit ihren Ersparnissen;
sie werden enteignet.
({6})
Die Gelder der Rentenkassen bei der abzuwickelnden
Laiki Bank sind komplett weg. Bei den Verhandlungen
mit der Troika versuchte die zyprische Seite, die Pensionskassen vor ihrer Enteignung zu schützen.
({7})
- Ich komme auf die Grünen noch zurück. Sie sollten
nicht so viel dazwischenrufen; Sie werden noch etwas zu
hören bekommen. ({8})
Aber die Troika lehnte dies kategorisch ab.
Bezahlen müssen die Krise auch die vielen kleinen
und mittelständischen Unternehmen, liebe FDP, für die
Sie angeblich immer so kämpfen und die mehr als
100 000 Euro auf dem Konto hatten, um zum Beispiel
Löhne und Vorleistungen zu bezahlen. Viele von ihnen
müssen jetzt Konkurs anmelden. Sie gehen in Insolvenz.
Sie müssen ihre Beschäftigten entlassen.
Die Anleger versuchen natürlich, so schnell wie möglich Zypern zu verlassen. Das stürzt Zypern in eine noch
tiefere Krise.
Was, bitte, soll das alles, Herr Bundesfinanzminister?
Was haben Sie, was haben wir davon? Als wir in
Deutschland in einer solchen Situation waren, haben wir
ein Konjunkturprogramm beschlossen. Von den anderen
verlangen wir regelmäßig, alles abzubauen, bis die Krise
sich noch deutlich verschärft.
({9})
Dann soll privatisiert werden. Ich nenne Ihnen die
drei Beispiele: Die staatliche Telefongesellschaft, die
staatlichen Häfen und die staatlichen Stromerzeuger sollen privatisiert werden. Diese Unternehmen aber haben
Zypern Geld gebracht. Wenn die jetzt aus der Not heraus
verbilligt verkauft werden müssen, fließt nie wieder
Geld aus diesen Unternehmen an den Staat. Auch das
macht es noch unwahrscheinlicher, dass Zypern die Darlehen zurückzahlen kann, und es macht es mithin wahrscheinlicher, dass gerade und vornehmlich auch die
deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür haften.
Die Mehrwertsteuer wird von 17 auf 19 Prozent erhöht. Die Staatsangestellten müssen auf 14,5 Prozent ihrer Gehälter verzichten. Ab 2014 werden ihre Renten
deutlich sinken. Das gilt für die Kindergärtnerin, das gilt
für den Müllfahrer. All diese Menschen müssen die
Krise bezahlen, obwohl sie nichts damit zu tun haben.
({10})
Die EU prognostiziert infolgedessen in diesem Jahr
einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Zypern um
9 Prozent, im nächsten Jahr um weitere 4 Prozent. Die
Arbeitslosigkeit wird weit über die jetzige Rate von
15 Prozent hinaus explodieren. Diese Prognosen waren
regelmäßig zu optimistisch. Sie werden es auch in diesem Falle sein.
Heute ist in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass
der gesamte Export der Autoindustrie in Nord- und Mitteleuropa rückläufig ist, und zwar um 10 Prozent und in
Deutschland sogar um 13 Prozent. Merken Sie denn
nicht, dass Sie einen völlig falschen Kreislauf einleiten?
Wir nehmen auch uns die wirtschaftlichen Chancen,
wenn wir den Süden Europas derart verarmen, wie Sie
das regelmäßig beschließen.
({11})
Ich habe einmal eine Frage: Wann haften eigentlich
endlich die Banken für Banken? Was passiert denn,
wenn ein Bäckermeister in Insolvenz gehen muss?
Kommt da einer von dieser Regierung oder von SPD und
Grünen und sagt: „Natürlich retten wir den armen Bäckermeister“? Keiner kommt! Auch bei Industrieunternehmen passiert das nicht. Nur bei den Banken können
sich die Anteilseigner und die Eigentümer darauf verlassen. Sie können weltweit treiben, was sie wollen. Sie
können zocken, wie sie wollen. Das spielt keine Rolle.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler übernehmen immer deren Entschädigung. Das ist nicht länger hinnehmbar.
({12})
Um nicht missverstanden zu werden: Die Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen kann man retten, aber nicht die Großaktionäre, nicht
die weiteren Aktionäre und auch nicht sonstige Anteilseigner. Überall heißt es: Wenn sich ein Unternehmen
verzockt hat, für das ich als Anteilseigner hafte, habe ich
eben Pech gehabt. Nur bei den Banken gilt das nicht.
Das hat übrigens, meine liebe FDP, mit Marktwirtschaft
gar nichts zu tun. Der Markt hört bei Banken auf, und
das rügt die Linke. So weit ist es schon gekommen in
Deutschland.
Was könnten wir also machen, damit die Banken haften? Ja, wir brauchen einen Bankenabwicklungsfonds, in
den auch und in erster Linie die Banken einzahlen. Aber
das wurde von der Bundesregierung verhindert. Ja, wir
müssen etwas gegen die Kapitalflucht oder die Steueroasen tun. Es ist sehr schön, was Sie hier gesagt haben,
Herr Steinmeier. Nur, in Ihrer Regierungszeit haben Sie
nichts, aber auch gar nichts dagegen getan.
({13})
Es waren ja nicht die Finanzbehörden, sondern es war
ein Netzwerk von Journalistinnen und Journalisten, das
Datensätze von über 130 000 Millionärinnen und Millionären aus über 170 Ländern öffentlich machte und dabei
feststellte, dass ein Vermögen von rund 24 Billionen
Euro - das ist mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung der ganzen Welt - vor den Steuerbehörden versteckt wird. Mein Gott! Und wenn eine Hartz-IV-Empfängerin einmal eine falsche Angabe macht und 10 Euro
zu viel bekommt oder es zu einer leichten Lohnüberzahlung kommt, dann kümmern sich darum bei uns sofort
irgendwelche Leute, und es gibt Sanktionen. Aber wenn
Millionen und Milliarden versteckt werden, achtet überhaupt keiner darauf.
({14})
Wir forderten den Aufbau einer Bundesfinanzpolizei,
eines Steuer-FBI. Ich muss nun sagen, Herr Bundesfinanzminister: Ihr Staatssekretär hat sich ja, wahrscheinlich in Ihrem Auftrag, unserer Idee angeschlossen.
Ich muss Ihnen noch etwas sagen, Herr Bundesfinanzminister: Wenn Sie sich viel häufiger und viel früher unseren Ideen anschlössen, wären wir schon heraus aus der
Krise.
({15})
Wir schlagen vor, das Steuerrecht endlich dahin gehend zu reformieren, dass deutsche Staatsangehörige,
ganz egal, wo sie wohnen, mit ihrem Einkommen in
Deutschland steuerpflichtig werden. Dabei sind die im
Ausland bereits gezahlten Steuern selbstverständlich von
der Steuerschuld abzuziehen. Dasselbe muss für das gesamte Vermögen gelten, wenn wir endlich wieder eine
Vermögensteuer erheben.
Wir hatten das hier schon einmal beantragt. Da waren
Sie alle dagegen, auch die Grünen und die SPD. Wissen
Sie, was Sie gesagt haben? Es sei zu bürokratisch. Das
ist völliger Unsinn. Wir brauchen ein bisschen Bürokratie, um Steueroasen wirksam bekämpfen zu können.
({16})
Außerdem müssen wir Banken, die Kunden bei der
Steuerflucht behilflich sind, die Lizenz entziehen; das ist
ganz einfach. Wenn wir also sicherstellen, dass die Eigentümer der Banken, die Inhaber von Bankenanleihen
vollständig zur Deckung der Verluste der Banken heran29164
gezogen werden, dann gibt es auch einen Weg aus der
Krise.
Nun brauchen wir in Deutschland und Europa eine regelmäßige Vermögensteuer für ein privates Vermögen
von über 1 Million Euro und auch eine einmalige Vermögensabgabe. Warum trauen Sie sich nicht, das einzuführen? Mein Gott, eine Gesellschaft lebt nicht davon,
dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Wir brauchen hier eine Korrektur; selbst
die Konservativen müssten einmal den Mut dazu aufbringen.
({17})
Jetzt sage ich als Letztes, an SPD und Grüne gerichtet: Sie werden ja wieder zustimmen. Klar, wie bei allen
Rettungspaketen werden Sie auch diesmal wieder zustimmen. Damit sagen Sie aber - das müssen Sie dann
auch rechtfertigen - Ja zur Enteignung der Rentnerinnen
und Rentner in Zypern, Ja zum Sozialabbau in Zypern,
Ja zur Lohnkürzung und zu einer völlig falschen Privatisierung in Zypern. Sie sagen auch Ja zur Entlassung von
Leuten und zur Haftung auch und gerade der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Sie sagen Ja
zur Bezahlung der Krise durch Unbeteiligte und Unschuldige.
Nur auf uns ist Verlass. Wir werden und können einem solchen Programm nicht zustimmen.
({18})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael
Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Gysi, warum sind wir denn
heute Morgen hier? Wir reden über Zypern. Zypern hatte
über einige Jahre einen kommunistischen Staatspräsidenten, der an den internationalen Finanzmärkten gezockt hat,
({0})
den großen Kapitalisten gegeben hat
({1})
und dadurch sein Land in diese Situation gebracht hat,
({2})
der dann neun Monate lang einen Antrag gestellt hat und
sich jeglicher Problemlösung verweigert hat. Sie, Herr
Gysi, führen mit Ihrer Truppe diesen Weg der Problemlösungsverweigerung heute hier fort. Das ist kommunistische Politik. Sie führt die Menschen in den Abgrund
und ins Elend.
({3})
Ich habe mich heute Morgen an dieser Debatte sehr
erfreut; denn wir haben von allen Rednern, außer von
Herrn Gysi, gehört, dass es Deutschland gut geht, dass
wir die richtige Politik in Europa machen. Der Streit
drehte sich deshalb nicht um die Fragen: Welche Politik
muss für Deutschland gemacht werden? Welche Politik
muss für Europa gemacht werden? Vielmehr hat Herr
Steinmeier lediglich die Frage gestellt, ob für diese gute
Politik die Opposition, die Koalitionsfraktionen oder die
Bundesregierung verantwortlich sei. Ich glaube, wenn
wir uns so breit einig sind, dass wir das Richtige tun,
dann wäre es richtig, wenn wir das in der Zukunft genau
so weiterführten. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie sind
offenkundig auf dem richtigen Weg. Wir sollten auf diesem Weg weitergehen.
({4})
Wir haben heute früh auch gehört, wo die Sozialdemokraten noch Optimierungspotenzial sehen. Sie haben
uns als Vorbild die USA genannt, Herr Steinmeier; Sie
haben uns als Vorbild Japan genannt. In beiden Ländern
wird der Weg gewählt, die Probleme durch Intervention
der jeweiligen Zentralbank zu lösen. Das muss man sich
erst einmal auf der Zunge zergehen lassen! Wir sind der
Meinung, dass die Zentralbank Geldpolitik machen
sollte und wir als Politiker Finanzpolitik machen sollten.
Staatsanleihenkäufe durch die Zentralbank sind nicht die
Lösung, die wir wollen. Das ist ein massiver Unterschied
zu dem, was Sie hier heute früh verlangt haben, Herr
Steinmeier.
({5})
Japan und die USA als Vorbild? In beiden Ländern
wird die Staatsverschuldung momentan in astronomische
Höhen getrieben. Japan liegt im nächsten Jahr bei etwa
250 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, die Vereinigten Staaten liegen im nächsten Jahr bei etwa 110 Prozent
ihres Bruttoinlandsprodukts. Ist das denn ein Vorbild, wo
wir in Griechenland und in anderen Fällen gelernt haben,
dass übertriebene Staatsverschuldung ins Elend führt?
Lieber Herr Steinmeier, ist das wirklich der Weg, den
wir gehen sollten? Ich sage: Nein. Wir brauchen für die
künftigen Generationen, für ein stabiles Europa seriöse,
stabile, nachhaltige Staatsfinanzen. Da geht Ihr Vorschlag eindeutig in die falsche Richtung.
({6})
Eine letzte Bemerkung zum Thema „USA als Vorbild“. Es gibt da eine ganz enge Beziehung; ich finde das
ganz toll. Die wesentliche Perspektive der USA kommt
aus der Energiepolitik. Die USA werden Fracking massiv vorantreiben,
({7})
um sich energiepolitisch wesentlich günstigere Konditionen zu verschaffen. Wenn Sie der Meinung sind, das
sei der richtige Weg, nehme ich das zur Kenntnis. Wir
sind der Meinung, dass wir beim Thema Fracking einen
verantwortungsvollen Weg gehen sollten und nicht einen
Weg, der möglichst schnell möglichst viel Geld in unsere Kasse bringt.
({8})
Ich darf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklären, dass wir die fünf Entscheidungen, zu denen das
Bundesfinanzministerium den Deutschen Bundestag in
dem heute vorliegenden Antrag um Zustimmung bittet,
unterstützen werden, und zwar deshalb, weil wir glauben, dass wir an dieser Stelle auf dem richtigen Weg
sind.
Man kann natürlich über die Größe Zyperns diskutieren, darüber, ob eine Volkswirtschaft wie Zypern die Finanzstabilität in Europa gefährden kann. Wenn man die
Vernetzung des Finanzsystems von Zypern in andere
Länder, speziell nach Griechenland, sieht, wenn man betrachtet, in welcher Lage andere europäische Länder mit
einem Rettungsprogramm, nämlich etwa Irland, Portugal
und Spanien, momentan sind - sie sind eigentlich auf einem guten Weg, ihre Probleme zu lösen -, ist doch die
Frage: Sollen wir diese Länder in neue Gefahren stürzen,
indem wir jetzt plötzlich Nein sagen? Sollen wir in ganz
Europa eine Debatte darüber beginnen, welche Länder
möglicherweise auch nicht gestützt werden? Wir haben
es in den vergangenen Monaten doch geschafft, massives Vertrauen in die europäische Politik zu erzeugen.
Alle in der Welt glauben: Die Europäer werden den Euro
stabilisieren und die Probleme lösen. - An dieser Stelle
ist es richtig, dass wir eindeutig sagen: Ja, Zypern muss
jetzt gestützt werden, um die Finanzstabilität in der
Euro-Zone insgesamt zu erhalten. Deshalb sagen wir an
dieser Stelle ein klares Ja.
Es gibt in unserem Land eine Diskussion darüber, ob
die fünf Entscheidungen, die wir heute treffen wollen, an
einem Tag hier im Parlament diskutiert werden können
oder ob sie nicht nacheinander diskutiert werden müssten. Wir haben uns beim Europäischen Stabilitätsmechanismus als Deutscher Bundestag wesentlich größere Mitbeteiligungsrechte gesichert, als dies vorher bei der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität der Fall war.
Zypern hat seinen Antrag noch nach den Regeln der
EFSF gestellt, weil der ESM zu diesem Zeitpunkt noch
nicht beschlossen war; es gab lediglich eine Diskussion
dazu. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir über das,
was das Bundesministerium der Finanzen hier vorschlägt, nämlich über das Ob eines Hilfsprogramms und
über den Inhalt eines Hilfsprogramms, also das Wie, am
heutigen Tag gemeinsam entscheiden können und dass
dies durchaus den Regeln der Mitbestimmung des Deutschen Bundestages entspricht, meine Damen und Herren.
Herr Steinmeier hat die Frage der Gerechtigkeit aufgeworfen. Beim Thema „Gerechtigkeit in Europa“ muss
man, glaube ich, sehr deutlich die Frage stellen: Was ist
denn gerecht? Wir haben drei Alternativen. Die eine Alternative wird uns momentan außerhalb des Parlaments
vorgetragen, nämlich die Zerschlagung des Euro-Raums,
die Auflösung der Währungsgemeinschaft. Da kann man
einmal die Kosten betrachten. Es sind uns in den vergangenen Monaten immer die TARGET-Salden der Europäischen Zentralbank vorgehalten worden:
({9})
knapp 800 Milliarden Euro. Sie sind übrigens momentan
im Rückgang begriffen, weil sich die Lage entspannt.
Momentan ist es aber nur eine Buchungsposition. Wenn
man den Wahnsinn der Auflösung wirklich begehen
würde, würde aus der Buchungsposition schlagartig ein
Verlust werden.
Ist das denn ein Gewinn für Deutschland? Glauben
wir, unseren Export, der zu zwei Dritteln in die EuroZone geht, tatsächlich mit einer deutlich stärkeren
Währung massiv schwächen zu müssen und dadurch ein
bisschen weniger Wachstum und etwas höhere Arbeitslosenzahlen in Deutschland zu organisieren? Trägt dies
zum Wohlstand, zur sozialen Sicherheit in unserem Land
wirklich bei? Ich sage: Nein. Wir tun mehr für Wohlstand, mehr für Arbeitsplätze, mehr für unsere nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung innerhalb des EuroRaums. Deshalb scheidet für uns diese Alternative aus,
meine Damen und Herren.
({10})
Die andere Alternative wird von den Sozialdemokraten und vom Bündnis 90/Die Grünen aufgemacht. Das
umschreibt Herr Steinmeier mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. Ist es denn gerecht, dass die zyprische Regierung
auf nationaler Ebene ein Geschäftsmodell wählt und wir
in Deutschland dafür über eine gemeinsame Haftung am
Ende die Rechnung bezahlen?
({11})
Dazu sage ich: Nein. Der, der entscheidet, muss auch die
Verantwortung tragen.
({12})
Deshalb müssen wir, wenn national entschieden wird,
auch national die Verantwortung wahrnehmen. Das richtet sich nicht dagegen, dass wir Solidarität üben; aber
das Verantwortungsprinzip „Entscheidung und Haftung
in einer Hand“ muss gelten.
({13})
An dieser Stelle sehen wir einen zentralen Unterschied zu Rot-Grün. Sie sagen: Jeder trifft seine
Entscheidungen, aber am Ende wird die Rechnung gemeinsam bezahlt. - Das ist nicht gerecht, das ist unverantwortlich, weil es zulasten der Menschen in Deutschland geht, die diese Rechnung bezahlen müssen.
({14})
Die Euro-Zone ist handlungsfähig - das haben wir in
den vergangenen Monaten gezeigt -, und das glauben
auch die Beobachter aus dem In- und Ausland.
Jetzt will ich etwas zum Thema Gläubigerbeteiligung
sagen. Herr Steinmeier hat hier vorgetragen, die Opposition hätte uns dazu treiben müssen. Ich will ihm seinen
Glauben lassen;
({15})
aber ich will auch darauf hinweisen, dass wir seit dem
1. Januar 2011 in der Bundesrepublik Deutschland ein
Restrukturierungsgesetz haben, in das wir genau dies
hineingeschrieben haben, nämlich dass es zu einer Beteiligung der Gläubiger der Banken und der Eigentümer der
Banken kommt. Das heißt, wir haben das für uns in
Deutschland vor über zwei Jahren gesetzlich geregelt.
Deshalb ist es auch nicht unangemessen, wenn wir jetzt
in Zypern von anderen eine Gläubigerbeteiligung nach
genau diesen Prinzipien einfordern, meine Damen und
Herren.
({16})
Zum Thema Geldwäsche möchte ich sagen: Ja, aus
meiner Sicht ist es eine Schweinerei, wenn Steuern hinterzogen werden, und, lieber Herr Gysi, es ist auch eine
Schweinerei, wenn Sozialbetrug begangen wird. Beides
ist gegenüber dem ehrlichen Steuerzahler in diesem
Land nicht zu verantworten.
({17})
Da sage ich nicht: Der eine ist besser als der andere,
sondern beides ist für jemanden, der in diesem Land
rechtstreu ist, nicht akzeptabel und kann von uns nicht
akzeptiert werden.
({18})
Deshalb freue ich mich, wenn jetzt Luxemburg und
Österreich Signale senden, indem sie sagen, dass wir im
Bereich der Kapitalertragsbesteuerung in Europa nicht
nur bei den Zinsen, sondern bei allen Kapitalerträgen
und beim Informationsaustausch näher zusammenkommen sollten. Diese Bewegung wird auch über die
EU-Zone hinaus, über Europa hinaus, dazu führen, dass
wir bei Kapitalerträgen gemeinsam zu einer besseren
Bekämpfung der Hinterziehung kommen.
Es ist richtig, dass Herr Schäuble die Frage der Gestaltungen im Bereich der Unternehmen thematisiert hat
und dass wir auch dort versuchen, auf den Ebenen von
G 7 und G 20 zu gemeinsamen Lösungen zu kommen,
um diese Modelle in die Vergangenheit zu befördern und
an dieser Stelle in Zukunft zu einer fairen Besteuerung
zu kommen. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir
müssen ihn konsequent gehen.
Jetzt komme ich zum Steuerabkommen. Lieber Herr
Steinmeier, beim Zustandekommen des Steuerabkommens mit der Schweiz hätten wir zur Stunde über 2 Milliarden Euro in den deutschen Steuerkassen, nämlich
durch die Abgeltungen derjenigen, die in der Vergangenheit dort unterwegs waren.
({19})
Diese 2 Milliarden Euro haben die SPD und die Grünen
dem deutschen Steuerzahler genommen, indem sie nicht
zugestimmt haben.
({20})
Sie haben sich als Sozialdemokraten zum Anwalt der
Steuerhinterzieher gemacht.
({21})
Sie haben mit Ihrem Abstimmungsverhalten Steuerhinterzieher in Deutschland geschützt. Sie sollten sich
nicht hierhinstellen, große Reden gegen Steuerhinterziehung halten und dagegen stimmen, wenn entsprechende Gesetze auf dem Tisch liegen.
({22})
In Zypern muss das Geschäftsmodell geändert werden. Es kann nicht sein, dass das große Zocken an den
Kapitalmärkten von Zypern weitergeführt wird. Deshalb
sagen wir Zypern nicht, dass sie abbauen müssen. Zypern muss sein Geschäftsmodell umbauen. Es braucht
ein nachhaltig tragfähiges Geschäftsmodell für seine
Volkswirtschaft. Das steht jetzt auch im Memorandum
of Understanding, über das wir heute befinden. Es kann
nicht das Verhalten weitergeführt werden, das zu diesem
Unglück geführt hat. Deshalb werden wir diesen Umbau
begleiten, wenn Zypern bereit ist, diesen Weg zu gehen.
Ich hoffe, dass die Kollegen im zyprischen Parlament
dies auch so sehen und unterstützen. Ich hoffe, dass das,
was ich eben gesagt habe, auch verstanden wird. Bei
dem Thema Staatsbürgerschaften mache ich mir etwas
Sorgen, ob das, was ich gerade formuliert habe, schon
von allen verstanden worden ist. Deshalb muss hier
möglicherweise noch etwas Überzeugungsarbeit geleistet werden.
({23})
Zum Abschluss einen herzlichen Dank an Herrn
Schäuble. Denn das Verhandlungsergebnis, das uns vorliegt und das wir als Erfolg bewerten, war nicht trivial,
wenn man hört, dass lediglich der Internationale Währungsfonds an der deutschen Seite stand und wir unsere
Position gegen viele Widerstände erreichen mussten.
Herzlichen Dank! Ich glaube, wir können diesem Ergebnis heute mit Überzeugung zustimmen.
Danke schön.
({24})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gregor
Gysi das Wort.
({0})
Ich muss auf einen Umstand hinweisen, den Sie
falsch dargestellt haben; das kann auch aus außenpolitischen Gründen so nicht stehen bleiben. Sie haben gesagt,
dass die linke AKEL-Regierung in Zypern höhere Steuern für Unternehmen verhindert hat etc.
({0})
Das ist falsch.
Ich will Sie auf Folgendes hinweisen: Die AKELRegierung hatte in der Abgeordnetenkammer Zyperns
nie eine Mehrheit. Sie hat im Jahr 2011 zwei Vorschläge
unterbreitet - sehr moderat -, um eine Zustimmung im
Parlament zu erreichen. Sie wollte nämlich die Unternehmensteuern für eine Übergangszeit von zwei Jahren
von 10 auf 11 Prozent erhöhen. Außerdem wollte sie
eine permanente Steuererhöhung für großen Land- und
Immobilienbesitz mit einem Wert von über 1,5 Millionen Euro einführen.
Jetzt sage ich Ihnen, was in der Abgeordnetenkammer
passierte: Beide Gesetzesinitiativen wurden von der konservativen Partei, der liberalen Partei und der Europapartei abgelehnt. Die Sozialdemokraten stimmten für ein
temporäres Anheben der Unternehmensteuer, aber gegen
eine Steuer auf großen Immobilienbesitz. Daran ist es
gescheitert. Wäre es nach der AKEL gegangen, hätte sie
noch drastischere Steuererhöhungen vorgenommen.
Aber die Konservativen, die Sozialdemokraten und die
Liberalen haben es verhindert. Das ist die Wahrheit.
({1})
Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den
gehaltenen Reden weiß ich nicht, ob ich mehr von den
Voodoo-Reden von Herrn Fricke und Herrn Meister
beeindruckt sein soll. Diese Voodoo-Reden hatten ein
bisschen den Inhalt: Diese Bundesregierung hat alles gut
gemacht und ist schon eine tolle Truppe. - Das haben
wir so aber nicht wahrgenommen.
({0})
- Dass Sie sich in diesen Tagen selber Mut zuklatschen,
verstehen alle bei dem Desaster, das Sie selber immer
wieder organisieren. Das waren wirklich Voodoo-Reden.
Oder soll ich beeindruckter sein von den Pirouetten,
die Gregor Gysi vollzogen hat? Es gab kein wirkliches
Wort zur Frage des zyprischen Geschäftsmodells, das
beendet werden muss. Es gab in Ihrer Rede kein Wort
- jetzt gerade ein bisschen - zum vorherigen kommunistischen Präsidenten, stattdessen nur lauter wilde Dinge.
Ich muss sagen, Gregor Gysi: Du bist ein wenig herumgehüpft wie Robin Hood in Sherwood Forest, der Rächer
der Witwen, Waisen und Rentner. Leider war das ungetrübt von jeglicher Sachkenntnis.
({1})
Dann kommt die Rolle irgendwann einmal an ihr
Ende: In das Hilfspaket, dem die Linke gleich nicht
zustimmen wird, sind nämlich 400 Millionen Euro eingestellt, um die Renten abzusichern. Wer solch eine
Robin-Hood- und Sherwood-Forest-Rede hält, müsste
eigentlich zustimmen, zumindest einem Teil des Pakets.
({2})
Meine Damen und Herren, das Rettungspaket für
Zypern ist nach einigen Irrungen und Wirrungen, wie
wir glauben, gut geworden. Ich sage ganz selbstbewusst:
Es ist auch deshalb gut geworden, weil wir Grüne Druck
gemacht haben und von Anfang an gesagt haben: Zu den
alten Bedingungen werden wir nicht zustimmen. - Es ist
richtig, dass wir jetzt die Beteiligung der Gläubiger, der
Einlegerinnen und Einleger von über 100 000 Euro in
das Rettungspaket integriert haben, weil es heißen muss:
Wer vorher den Profit aus einem Geschäftsmodell gezogen hat, muss dann auch die Last tragen.
Es ist richtig, dass der überbordende zyprische Bankensektor jetzt geschrumpft wird, auch wenn wir wissen:
Dies hat Folgen im sozialen Sektor. Darauf müssen und
werden wir achten. Es ist richtig, dass wir zur Erhöhung
der Unternehmensteuern kommen und versuchen, dem
Steuerdumping eines Mitgliedstaats ein Ende zu setzen.
Da ist Zypern im Übrigen nicht alleine. Wir setzen in
Europa auf der einen Seite auf Solidarität; auf der anderen Seite wird Steuerdumping immer noch praktiziert.
Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Paket
nicht nur aus den genannten Gründen oder aus solidarischen Gründen zu, sondern auch, weil wir wissen, dass
Zypern für die Stabilität und Sicherheit der Region wichtig ist.
Ich muss aber feststellen - deshalb habe ich gerade
gesagt: „nach einigen Irrungen und Wirrungen“ -: Diese
Bundesregierung hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Eigentlich haben Sie den Start beim Schnüren des ZypernPakets ein Stück weit verhunzt. Ich frage mich schon:
Wo waren eigentlich Frau Merkel und Herr Schäuble, als
in der ersten Verhandlungsrunde die Beteiligung von
Vermögen auch unter 100 000 Euro mit in der Debatte
war? In jener Nacht hätte es eigentlich heißen müssen:
Wir bleiben bei der Grenze von 100 000 Euro, und für
alles darunter garantieren wir.
({3})
Meine Damen und Herren, auch dort haben Sie durch
ein zu spätes Agieren Irrungen, Aufruhr und Probleme
mit verursacht. Das Problem besteht darin, dass es mittlerweile in ganz Europa ein Misstrauen hinsichtlich der
Sicherheit selbst kleinster Ersparnisse gibt. Ich glaube,
eines wissen wir: Dies ist der negative Teil der ganzen
Verhandlungen über das Zypern-Paket, der sich auf viele
andere Bereiche auswirkt.
({4})
Man kann sagen: Es gibt eine europaweite Vertrauenskrise. Herr Schäuble, da reicht es nicht, hier jetzt zu
sagen - Sie haben das gerade gemacht -: Die Menschen
in Deutschland wissen um die Bedeutung der Europäischen Union für Deutschland. - Sie haben gesagt:
70 Prozent wollen weiterhin den Euro. Herr Schäuble, es
gibt aber auch andere Zahlen: Laut Eurobarometer hatten schon Ende letzten Jahres nur noch 33 Prozent der
befragten Europäerinnen und Europäer Vertrauen in die
Institutionen der Europäischen Union. Das war der
zweitniedrigste Wert seit 2004.
Dazu gehört auch, dass es in Europa, mit der AfD
mittlerweile auch in Deutschland - Herr Meister hat es
angesprochen -, ein Wachstum europakritischer Parteien
gibt, die sagen: „Raus aus der Euro-Zone!“, die sich in
einer Situation, die gar keine Alternative dazu kennt, in
der Euro-Zone zu bleiben, als populistische Alternative
aufbauen. Da reicht es nicht, Herr Schäuble, ein bisschen
mantramäßig festzustellen: Die Menschen wissen schon
um die Bedeutung der EU. Ich sage Ihnen: Die Menschen sind auch nach dem Schnüren des Zypern-Pakets
verunsichert und fragen sich trotz alledem: Wie soll es
eigentlich mit der Europäischen Union weitergehen? Ich
muss sagen: Sie sind heute, aber auch in den letzten Monaten die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben.
({5})
Wir erwarten mehr als ein Beschwören einzelner Formeln. Wir erwarten, dass Sie in bestimmten Bereichen
tatsächlich aktiv werden und nicht nur formulieren, dass
die Finanzmärkte ernsthaft reguliert werden, wir zu einer
Schuldenbremse für die Banken kommen und wir wirklich transparente, klare Regeln für die Abwicklung maroder Banken über einen Bankenrestrukturierungsfonds
schaffen. Wo sind Ihre Aktivitäten an dieser Stelle? Es
muss einen Schub bei der Bekämpfung von Geldwäsche
und beim Austrocknen von Steueroasen geben. Wir müssen endlich bei den Investitionsprogrammen weiterkommen, über die wir immer geredet haben.
Herr Schäuble, Sie haben vorhin gesagt: Es gibt ein
Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.
Aber die Jugendarbeitslosigkeit kann man nicht einfach
mit 6 Milliarden ins Nichts hinein bekämpfen, sondern
man muss für Investitionsprogramme und die Gründung
neuer Unternehmen sorgen.
({6})
Wo sind diese Programme? Wo ist zum Beispiel die Initiative für eine Energiewende in Europa, für die Einhaltung der hehren Klimaziele, damit in deren Sog neue
Unternehmen entstehen?
Ich frage Sie, Herr Schäuble: Wo ist die Verve, mit
der die Kanzlerin für ein Europa der Zukunft eintritt, für
ein Europa, das in Zukunft die Bürger mit einbezieht, ein
Europa, in dem sich alle einig sind, dass wir gemeinsam
über unsere Weiterentwicklungen reden und auch in einem europäischen Volksentscheid darüber entscheiden?
Frau Kollegin.
Herr Schäuble, Frau Merkel, am Ende ist es noch gut
gegangen, und wir werden dem Zypern-Paket zustimmen. Aber dazu, wie Sie mit Innovation und Verve die
Zukunft Europas organisieren wollen, haben Sie heute
wenig geliefert. Diese Debatte steht noch aus.
({0})
Der Kollege Frank Schäffler erhält nun das Wort für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was heute stattfindet, ist ein Rechtsbruch, ein
kollektiver Rechtsbruch.
({0})
Alle haben sich darauf verständigt, den ESM, den wir
gerade geschaffen haben, die Regeln, die wir dort beschlossen haben, einfach beiseite zu wischen; denn kein
Mensch kann ernsthaft behaupten, dass eine halbe Insel
wie Zypern, deren größte Bank kleiner ist als die Hamburger Sparkasse, irgendwie systemrelevant für den
Währungsraum als Ganzes ist. Das ist absurd.
({1})
Auch das was die Europäische Zentralbank fortgesetzt macht, ist ein kollektiver Rechtsbruch; denn das,
was hier passiert, ist nichts anderes, als die Rettung der
zypriotischen Notenbank.
({2})
Sie hat seit September 2011 der Laiki Bank 9,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Sie hat sie am Leben
gehalten. Sie hat dafür gesorgt, dass Einleger ihr Geld
abziehen konnten, dass sie im Zweifel nicht haften.
Letztendlich wird jetzt die zypriotische Notenbank herausgeboxt; denn deren ELA-Kredite werden jetzt auf die
Bank of Cyprus übertragen. Das ist ein Taschenspielertrick: Nach außen wird gesagt, dass die Gläubiger beteiligt werden, aber der größte Gläubiger, die zypriotische
Notenbank, wird herausgeboxt. Das ist das, was hier
tatsächlich passiert.
Die eigentliche Ursache dieser Krise ist aber eine
ganz andere, nämlich eine Krise unseres Geldsystems,
weil wir es nicht schaffen, das Geldmonopol des Staates
abzuschaffen. Letztendlich hat die Geldpolitik des Staates dazu geführt, dass sich diese Länder überschuldet haben, dass sich die Wirtschaften überschuldet haben, dass
wir ein Schneeballsystem aus ungedeckten Forderungen
entwickelt haben; und diese ungedeckten Forderungen
platzen jetzt.
({3})
Die Antwort auf diese Krise kann eigentlich nur sein,
dass wir zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung
kommen, zu einer Geldordnung, die Sparen und Investieren und die Kreditvergabe wieder in Einklang bringt.
Wer Geld aus dem Nichts produziert, indem er als Bank
auf den Knopf drückt, der verursacht Blasen, die immer
wieder platzen.
({4})
Jetzt platzt die Blase in Zypern, morgen platzt die Blase
in Portugal, übermorgen in Frankreich. Das heißt: Wir
stehen am Anfang dieser Finanzkrise. Wenn wir immer
mehr Geld in das System pumpen, dann führt das am
Ende dazu - und das ist das Gegenteil dessen, was viele
hier in diesem Haus wollen -, dass diese Währung vor
die Wand fährt. Ihre Existenz wird nicht von Dauer sein,
wenn wir sie immer wieder mit neuem Geld befeuern.
Die Brandstifter in diesem System sind die europäischen Notenbanken und die Europäische Zentralbank.
Herr Draghi tut das Gegenteil dessen, was er nach den
Verträgen eigentlich tun muss: die Preisstabilität des
Euro sichern.
({5})
Er boxt die Länder heraus. Das, was in Irland heute passiert, ist das Gegenteil dessen, was uns jahrelang gesagt
wurde. Wir haben immer gehört: Irland ist doch das
beste Beispiel, da läuft es super. - Aber wenn es super
laufen würde, dann müssten wir die Laufzeiten der Kredite nicht verlängern. Das Gegenteil ist der Fall. Die
EZB hat die Iren herausgeboxt. Am Ende hat der irische
Staat 20 Milliarden Euro weniger an Zinszahlungen zu
leisten, weil die EZB das Geld schlicht gedruckt hat.
Wer diesen Weg weitergeht, der wird die Währung ruinieren.
Vielen Dank.
({6})
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Fall Zypern zeigt, dass wir es bei der als Euro-Krise beschriebenen Situation im Euro-Raum nicht mit einer
Krise der Währung zu tun haben, Herr Schäffler, sondern
mit einem überbordenden und unkontrollierten Bankensystem, das die Gefahr birgt, Staaten und Staatsfinanzen
und damit im schlimmsten Fall unser Währungssystem
zu Fall zu bringen.
({0})
Das Programm, das wir heute für Zypern verabschieden, ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels, den wir
Sozialdemokraten gefordert haben und deswegen jetzt
auch unterstützen. Der Paradigmenwechsel bedeutet,
dass die Privatgläubiger, die Risiken eingegangen sind,
indem sie einem Offshorefinanzplatz, wo man wenig
Steuern zahlt und sein Geldvermögen geheimhalten
kann, Geld anvertraut haben, und diejenigen, die Aktionäre dieser beiden Banken waren, aber auch Einleger
- ich will Ihnen sagen: Aus meinem Wahlkreis war das
keiner, so reich sind die Leute bei mir in Erfurt nicht;
aber es muss wohl welche geben, die dort Einlagen hatten - jetzt die Hauptzeche für die Lasten zahlen, die
durch diese Krise entstanden sind, das ist richtig.
({1})
Herr Schäuble, diesen Paradigmenwechsel hätten Sie,
auf Deutsch gesagt, fast noch versaut. Das war der Fehler, den Sie mit Ihren Kollegen gemacht haben. Sie und
die Bundeskanzlerin haben uns hier empfohlen, einer
Beteiligung der Kleinsparer an der Sanierung der Banken zuzustimmen. Das war ein großer ökonomischer und
politischer Fehler, der zu einer tiefen Verunsicherung geführt hat.
({2})
Ich glaube, es wird gerade in den südeuropäischen Ländern schwer sein, wieder Vertrauen aufzubauen. Nichtsdestotrotz ist das jetzt vorliegende Paket, insbesondere
was die Gläubigerbeteiligung betrifft, richtig.
Herr Meister, Sie haben wieder die Mär vorgetragen,
die Sozialdemokraten wären für eine Vergemeinschaftung der Schulden. Sorry, das ist nicht der Fall. Dass Sie
das so gesagt haben, kann nur daran liegen, dass Sie jetzt
einen Punchingball brauchen wegen der Abspaltung eines Teils Ihres rechten Flügels, der Alternative für
Deutschland. Wenn Sie dem Kollegen Schäffler zuge29170
Carsten Schneider ({3})
hört haben, haben Sie mitbekommen, dass er auch über
die EZB gesprochen hat. Ich teile nicht jede seiner Einschätzungen dazu, vor allen Dingen nicht seine Schlussfolgerung, aber dass wir über die Europäische Zentralbank schon längst in einer Haftungsgemeinschaft sind,
ist doch Fakt. Das ist Fakt, Herr Meister.
({4})
Lieber Kollege Schneider, darf der Kollege Fricke
eine Zwischenfrage stellen? - Bitte schön.
Herr Kollege Schneider, ich glaube, es wurde weder
vom Kollegen Meister noch von mir bestritten, dass es
eine anteilige Haftung in Europa gibt.
({0})
Das ist Teil der europäischen Verantwortung. Weil Sie
auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Experte sind, wissen Sie genauso gut wie ich, dass das nie ein Streitpunkt
war.
Weil Sie gesagt haben, die SPD sei nicht für eine Vergemeinschaftung von Schulden und der Kollege
Steinmeier eben heftig widersprochen hat und ich eine
solche Sache gerne geklärt habe, damit sie vom Tisch ist,
will ich die Gelegenheit nutzen, Sie Folgendes zu fragen: Sagen Sie hiermit, dass die SPD gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden im Sinne einer gesamthänderischen Haftung ist? Sind Sie in der Lage - darauf
bezog sich der Widerspruch -,
({1})
hier zu sagen: „Die SPD wird einer Vergemeinschaftung
von Bankenrettungsfonds nicht zustimmen“?
Es ist gut, dass Sie das ansprechen, Herr Kollege
Fricke. Das gibt mir Gelegenheit, meine Redezeit zu verlängern.
({0})
Erstens. Die deutsche Verfassung, das Grundgesetz ist
eindeutig. Wir können keine gesamtschuldnerische Haftung für die Schulden anderer Staaten der Euro-Zone
übernehmen - Punkt. Das ist im Grundgesetz normiert,
und das teilen wir als Sozialdemokraten. Wir sind der
Auffassung, dass wir die Währungsunion auch um eine
echte Fiskalpolitik erweitern müssen. Das bedeutet vor
allen Dingen eine stärkere Vereinheitlichung im Bereich
der Steuerpolitik, zum Beispiel, dass es nicht länger
Dumpingsteuersätze quer durch Europa gibt. Vor allen
Dingen bedeutet das aber, dass wir Kontrolle über die
Haushalte anderer Mitgliedstaaten bekommen, nicht wir
als Bundestag, sondern etwa eine europäische Behörde.
Aber das ist Zukunftsmusik. Das ist im Übrigen das, was
auch der Bundesfinanzminister zu einer Verstärkung und
Erweiterung der Währungsunion zu einer Fiskalunion
sagte. Es ist ein Fehler gewesen, den Euro als Währung
ohne eine gemeinsame Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik in die Welt zu setzen. Darunter leiden wir heute.
Diesen Fehler müssen wir langfristig korrigieren.
Jetzt komme ich zum zweiten Teil der Frage, zur
Frage der Vergemeinschaftung der Banken. Das ist ein
ganz wichtiger und zentraler Punkt. Sie sind dafür, dass
es auf europäischer Ebene eine gemeinsame Bankenaufsicht gibt. Das ist richtig. Dazu gehört aber auch - dem
hat die Bundeskanzlerin auf zwei Gipfeln zugestimmt;
ich denke, dafür hat sie Ihre Unterstützung -,
({1})
dass der Teufelskreis bzw. die Verbindung zwischen
Staatsfinanzen und Bankenbilanzen durchbrochen wird.
Was bedeutet das? Wenn wie in Zypern das Bankensystem in einem Staat kollabiert, zieht es die Staatsfinanzen
mit sich, weil die Staatsschuldenlast anwächst, weil wie
in Irland oder Spanien geschehen, die Schulden vom
Staat übernommen werden müssen. Letztendlich ist
dann auch das Land in Finanzierungsschwierigkeiten
und hat keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt. Dieser
Teufelskreis muss durchbrochen werden. Das ist zwingend notwendig. Das ist im Übrigen einer der Schlüssel,
um die Euro-Krise zu überwinden und die Wachstumsaussichten der südlichen Peripherie wieder zu stärken.
({2})
Denn deren Banken sind unterkapitalisiert; sie haben zu
viele Verluste in den Bilanzen und können deswegen
keine Kredite mehr vergeben.
Was ist die Antwort darauf? Die Antwort ist nicht ein
nationaler Abwicklungsfonds.
({3})
Diese Antwort wäre falsch; das ist ganz klar. Wir Sozialdemokraten und übrigens die komplette Wissenschaft
und auch die Europäische Kommission sehen das so.
Wir sind dafür, dass die Aktionäre der europäischen
Banken - nicht die Einleger - gemeinsam etwas von
ihren Gewinnen in einen europäischen Fonds einzahlen,
so wie es in Deutschland gemacht wird, nur mit höheren
Summen. Der Bankenhaftungsfonds hier in Deutschland
hat ein Volumen von 2 Milliarden Euro. Das ist lächerlich.
({4})
- Nicht der Staat. - Die Banken selbst sollen Abgaben
auf ihre Gewinne zahlen - diese Abgaben sollen höher
sein als das, was in Deutschland gezahlt wird -, um aus
diesem Fonds die Verluste im europäischen Bankensektor im Ernstfall decken zu können. Nur so kann es gelingen, diese Abwärtsspirale, von der Banken und Staaten
betroffen sind, zu durchbrechen.
({5})
Carsten Schneider ({6})
Das ist die entscheidende und auch rechtlich machbare Maßnahme, die es schnellstmöglich, Herr Minister
Schäuble, umzusetzen gilt. Sie haben auf das hingewiesen, was in Dublin erörtert wurde. Dass Sie sagen, die
Einführung einer europäischen Bankenaufsicht sei im
Rahmen der europäischen Verträge noch möglich, das
gehe gerade noch so, aber eine Bankenabwicklung sei
nicht möglich, sei ein Fehler. Wenn Sie sagen, dass Sie
eine europäische Bankenaufsicht einführen wollen und
dass die Europäische Zentralbank die Aufsichtsfunktion
wahrnehmen soll, die aber, so wie Kollege Schäffler
eben gesagt hat - in dem Punkt hat er recht -, Hauptgläubiger und Kreditgeber vieler Banken ist, frage ich
mich: Wie soll sie unabhängig Geldpolitik machen können? Wie soll sie agieren und eine Bank schließen können, wenn sie weiß, dass sie Hauptlasttragende ist?
Deswegen ist es eine Mär, Kollege Meister, wenn gesagt wird, wir hätten bisher keine - zumindest teilweise
- Vergemeinschaftung der Schulden. Wir haben sie über
das System der Europäischen Zentralbank: Es sind
Liquiditätshilfen in einem Umfang von 1,4 Billionen
Euro an die Banken vergeben worden - unter Zugrundelegung sehr niedriger Sicherheitsstandards und im Übrigen ohne Information des Deutschen Bundestages. Das
findet quasi in einem vordemokratischen Raum statt.
Um das wieder in die Hand des Parlaments zurückzuholen, aber auch um es möglich zu machen, große Banken, die die Staaten erpressen, abzuwickeln, brauchen
wir einen unabhängigen Aufseher und vor allen Dingen
ein Abwicklungsregime. Wir haben weder das eine noch
das andere. Ich kenne keine Vorschläge, keine Ideen aus
dem Bundesfinanzministerium, die aufzeigen, wie das
gehen soll. Sie sind an dem Punkt weit zurückgeblieben.
Das führt nicht dazu, dass die Macht wieder in der Hand
des Staates liegt, sondern dazu, dass der Markt und die
großen Banken uns erpressen können. Das ist leider die
Situation. Wir Sozialdemokraten wollen das ändern.
({7})
Herr Kollege Meister, Sie haben das Steuerabkommen mit der Schweiz und das Thema Steueroasen angesprochen. Wissen Sie, wir Sozialdemokraten sind dafür,
dass diejenigen, die viel Geld in einem Land verdient
haben, es auch in diesem Land versteuern. Wir wollen
- dafür kämpfen wir schon seit Jahren, Peer Steinbrück
vorneweg ({8})
der Anonymität der Kontenbesitzer den Garaus machen,
zumindest in der Europäischen Union.
({9})
Sie und Ihr Finanzminister haben uns ein Steuerabkommen mit der Schweiz vorgelegt. Dadurch wäre erstens die Anonymität auf Dauer gesichert worden. Zweitens hätten die Steuervollzugsbeamten so gut wie gar
nicht mehr kontrollieren dürfen. Sie hätten das Instrument, das jetzt auch Sie nutzen, nämlich CDs, nicht
mehr nutzen können. Dieses Instrument, das ja wirkt,
hätten Sie ihnen aus der Hand geschlagen. Drittens wären gerade die Banken, die bisher den Steuerbetrug in
der Schweiz begangen oder befördert haben, diejenigen
gewesen, die unsere Steuern eingezogen hätten. Dazu
haben wir ganz klar Nein gesagt. Die Zeit gibt uns recht.
Es war richtig, dass wir an dieser Stelle hart geblieben
sind.
({10})
Dass sich Luxemburg und, wie ich hoffe, auch Österreich jetzt bewegen, ist, glaube ich - ohne zu viel zu sagen und ohne sich selbst mit zu vielen Lorbeeren zu
schmücken -, ein bedeutender Punkt. Wichtig war, dass
gute Journalisten - nicht der Bundesfinanzminister diese Offshoreregionen öffentlich gemacht haben. Wichtig war auch unser energischer Widerstand gegen die
Wahrung der Anonymität von Kontenbesitzern in anderen europäischen Ländern. Es muss Schluss sein mit
Dumping. Wer die Solidarität erhalten will, muss selbst
Solidarität leisten.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Carsten Schneider, du hast ja gerade
- das will ich dir durchaus zugestehen - in sehr eloquenter und wortreicher Art und Weise auf die Frage des Kollegen Otto Fricke mehr oder weniger nicht geantwortet,
({0})
bzw. deine Antwort zeigte klar und deutlich, wohin der
Weg von Rot-Grün geht. Ihre Politik im Hinblick auf die
Bankenunion würde dazu führen, dass deutsche Sparerinnen und Sparer mit ihrem Geld für die Einlagen griechischer, portugiesischer oder zyprischer Banken haften
müssten.
({1})
Das unterscheidet uns von der anderen Seite des Hauses,
und bei dieser Linie bleiben wir konsequent.
({2})
Lassen Sie mich einen Hinweis zum letztgenannten
Punkt, zu dem Steuerabkommen, geben. Lieber Kollege
Carsten Schneider, liebe SPD-Fraktion, Sie alle wissen,
dass Steuerhinterziehung nach zehn Jahren verjährt. Mit
Ihrer Blockadehaltung haben Sie dazu beigetragen, dass
Steuerhinterzieher ihr Geld nach zehn Jahren zurück29172
bringen und sich daran erfreuen können, während wir
dafür gesorgt hätten, dass mindestens 2 Milliarden Euro
in die Haushaltskasse fließen; auf Dauer betrachtet wäre
es sicherlich ein wesentlich höherer Betrag gewesen.
({3})
Das hat die SPD verhindert. Da müssen Sie sich Ihrer
Verantwortung stellen.
({4})
Der Satz: „Sie haben sich damit zum Anwalt der Steuerhinterzieher gemacht“, den Michael Meister vorhin gesagt hat, ist richtig, und ich wiederhole ihn.
({5})
Jetzt zu Zypern. Ich unterstütze - das will ich vorweg
sagen - nachdrücklich das Hilfsprogramm für Zypern.
Ich bin froh, dass sich im Deutschen Bundestag eine
breite parlamentarische Unterstützung abzeichnet. Ich
will an dieser Stelle festhalten: Die Bundesregierung, allen voran unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, hat sehr gut
verhandelt. Das Ergebnis, das jetzt auf dem Tisch liegt,
entspricht dem, was wir von Anfang an gefordert haben.
Deshalb ist das ein hervorragendes Verhandlungsergebnis. Dafür mein großer Dank!
Obwohl sich unsere Bundeskanzlerin von Teilen der
Bevölkerung der Empfängerländer sogar beschimpfen
lassen muss - wir empfinden das als inakzeptabel -,
muss man sagen: Das ändert nichts an der Tatsache, dass
wir das Programm für richtig und notwendig halten.
Deshalb stehen wir dazu, es hier und heute zu verabschieden.
({6})
Für uns gilt weiterhin der Grundsatz: Europäische
Hilfsprogramme gibt es nur gegen Konditionalität. Das
ist bei jeder Hilfe das Grundprinzip. Deshalb wollen wir
auch für Zypern eine faire Lastenverteilung. Wenn man
das Programm insgesamt betrachtet, muss man feststellen: Es ist sogar so, dass der größere Anteil durch eine
Eigenleistung Zyperns erbracht werden muss, und zwar
insbesondere durch die Beteiligung der Eigentümer, der
Gläubiger und der Einleger zyprischer Banken, die sich
an den Kosten der Bankenrestrukturierung beteiligen
müssen. Das ist der richtige Weg.
Im Übrigen führt das Programm dazu, dass sich der
Bankensektor in Zypern auf ein erträgliches Niveau
verkleinert. Die Einnahmebasis des Staates wird verbessert. Die Haushaltskonsolidierung wird vorangetrieben.
Strukturreformen sind im Memorandum of Understanding enthalten. Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit
sollen gefördert werden. Das große Problem der Geldwäsche wird massiv angegangen, auch mit unabhängiger
externer Kontrolle. Auch das haben wir von Anfang an
gefordert, und das ist jetzt so eingetreten.
Unser Finanzminister hat darauf hingewiesen, dass
eine Staatsinsolvenz Zyperns außer Frage steht. Die
Kommission und die EZB haben zu Recht gemeinsam
festgestellt, dass daraus eine Gefährdung der Finanzstabilität für ganz Europa resultieren könnte. Deshalb ist
es gut und richtig, dieses Risiko nicht einzugehen. Wir,
die CDU/CSU-Fraktion insbesondere, stehen für einen
stabilen Euro. Wir wollen unseren Menschen draußen im
Lande versichern können: Ihr könnt euch auf die Stabilität des Euro verlassen! Dafür beschließen wir diese Programme. Dafür treten wir ein. Das ist unser Ziel.
({7})
Meine Damen und Herren, dass dieser Weg richtig ist,
zeigt sich auch an Portugal und Irland. Denn auch die
Verlängerung der Kreditlaufzeiten, also der Rückzahlungsverpflichtung für die Kredite, ist ein weiterer Schritt auf
diesem Weg und zeigt, dass sowohl die Empfängerländer
als auch die Garantiegeber dafür einstehen, dass diese
Länder möglichst bald von den Rettungsschirmen unabhängig gemacht werden. Das ist das Ziel unserer Politik.
Der letzte Quartalsbericht für 2012 zeigt, dass das Defizitziel in Irland deutlich unterschritten wird. Bereits
2015 wird Irland wieder die 3-Prozent-Grenze des Stabilitätspakts unterschreiten. Die Schuldenstandsquote in
Irland geht weiterhin zurück. Die Bilanzschrumpfung
und die Verbesserung der Refinanzierungssituation sowie der Rentabilität des Bankensektors schreiten voran.
Irland bekommt immer breiteren Zugang zu den Kapitalmärkten. Und auch die Strukturreformen zeigen Wirkung.
Deshalb, meine Damen und Herren: Wenn das eintritt,
was uns die Experten vorhersagen, dass nämlich am
Ende dieses Jahres das Irland-Programm ausläuft, man
zu Deutsch also den Ende 2010 aufgespannten Rettungsschirm wieder zusammenklappen kann, dann werden wir
erstmals die Situation haben, dass diejenigen, die gegenüber unseren Rettungsschirmen immer skeptisch waren,
die sogar dagegen gestimmt haben - die wenigen in unseren Reihen, aber insbesondere die Linke -, von der
Geschichte überholt werden. Bei den Linken ist das
nichts Außergewöhnliches. Das haben wir schon mehrfach erlebt. Aber auch die anderen, die gegen Hilfen für
Irland gestimmt haben, werden am Ende des Jahres erleben, dass die Geschichte sie revidiert. Ich bin überzeugt,
dass es auch so eintreten wird.
Auch der Blick nach Portugal zeigt: Portugal ist auf
einem guten Weg, auch wenn dieser etwas holpriger ist
als in Irland, aber sie sind auf dem richtigen Weg.
Und auch aus Griechenland hören wir ermutigende
Botschaften. Selbst in Griechenland schreitet die Haushaltskonsolidierung voran. Zwischen 2009 und 2012
sind die Primärausgaben um 22 Prozent gesunken. Übertragen auf Deutschland entspräche das einem Einsparvolumen von 240 Milliarden Euro. Zu Anfang dieser
Legislaturperiode haben wir ein Sparpaket in einem Umfang von 80 Milliarden Euro aufgelegt. Dies hat nicht allen gefallen. Nun muss man die Sparbemühungen in
Griechenland dazu in Relation setzen und entsprechend
würdigen. Das hat dazu geführt, dass das Haushaltsdefizit
in Griechenland von 16 auf 7 Prozent des BIP gesunken
ist. Wenn man die Zinsausgaben und die Konjunktureffekte herausrechnet, dann hat der griechische Staatshaushalt inzwischen sogar einen Überschuss. Auch Griechenland befindet sich also auf einem zwar mühsamen,
aber guten und richtigen Weg.
An der Stelle hätte ich mir gewünscht, Herr
Steinmeier, dass Sie, wenn Sie auf europäische Verhältnisse abheben, sich den IWF-Bericht, aus dem Sie zitiert
haben, etwas genauer angesehen hätten. Hätten Sie dies
getan, dann hätten Sie festgestellt, dass in diesem IWFBericht - erstens - die Wachstumszahlen für Deutschland positiver dargestellt werden, als Sie es getan haben,
nämlich mit 0,6 Prozent für dieses Jahr und mit 1,5 Prozent für das kommende Jahr. Zweitens hätten Sie festgestellt, dass das eigentliche Sorgenkind laut dieses Berichts Frankreich ist; denn für Frankreich werden dort
für 2013 ein Rückgang auf 0,4 Prozent und für 2014 ein
Wachstum von 0,9 Prozent festgehalten. Wir alle wären
froh, wenn Frankreich in der Lage wäre, schon bald wieder das 3-Prozent-Ziel einhalten zu können. Das bereitet
uns mehr Sorge, und das ist in diesem Bericht auch so
enthalten.
Abschließend, meine Damen und Herren, können wir
feststellen: Europa bewegt sich. Diese Krise hat viel
dazu beigetragen, dass positive Kräfte entfaltet wurden.
Schritt für Schritt werden sozusagen die Erziehungsfehler im Hinblick auf den Euro korrigiert, werden entsprechende Reformpakete beschlossen; der Fiskalvertrag
und der Stabilitätspakt sind nur Beispiele dafür. Diesen
Weg werden wir weiter beschreiten.
Das nächste große Thema sind die Finanzmärkte, ist
die Bankenunion. Ich habe eingangs schon erwähnt, dass
wir auch bei der Bankenunion auf unsere Grundprinzipien setzen. Diese Grundprinzipien stehen dabei durchaus im Gegensatz zu dem, was zum Beispiel die Grünen
fordern. Wenn ich die Rede von Frau Künast rekapituliere, muss ich feststellen: Es war wieder die Rede davon, dass wir - die deutsche Bundeskanzlerin, der deutsche Finanzminister - eine Garantie für die Spareinlagen
auf Zypern hätten abgeben sollen. Genau das unterscheidet uns von den Grünen. Wir sind der Meinung: Jeder
hat für seine Spareinlagen selbst zu garantieren, hat eigenständige Sicherungsfonds aufzulegen. Dieser Linie
bleiben wir treu.
({8})
Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, dass wir auf
Europa nicht immer nur durch die Krisenbrille sehen
müssen, sondern bald dazu zurückkehren können, die
positiven Aspekte zu sehen. Damit wir auf diesem Weg
weiter vorankommen, bitte ich Sie alle, dem heutigen
Abstimmungspaket zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die
Kollegin Priska Hinz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barthle, Herr Kollege Meister, es muss Ihnen richtig wehtun, dass wieder eine rot-grüne Landesregierung
eine Steuer-CD gekauft hat und damit Steuerhinterziehern auf der Spur ist;
({0})
sonst würden Sie dieses Thema hier nicht so auswalzen
und uns vorhalten, wir würden Steuerhinterziehung begünstigen. Nein, das Gegenteil ist der Fall.
({1})
Da Sie auf das Abkommen mit der Schweiz abheben,
das wir zu Recht, finde ich, torpediert haben, möchte ich
Ihnen sagen: Wenn dieses Steuerabkommen in Kraft getreten wäre, hätte das zu einer dauerhaften Anonymität
von Steuerhinterziehern geführt. Deshalb haben wir dieses Abkommen zu Recht abgelehnt.
({2})
Wir wollen ein europäisches Steuerabkommen, das alle
Länder umfasst und Steuerhinterziehung aus der Anonymität herausholt.
Herr Gysi, Ihre Rede war mehr als hilflos. Da verhandelt ein kommunistischer Präsident bis Dezember ein
MoU, in dem all das steht, was Sie hier vorgelesen haben
- Stellenstreichungen, Eingriffe in die Bildungsverwaltung, Eingriffe in Renten, Eingriffe in den Gesundheitssektor -, wollte aber gleichzeitig die Steueroase Zypern
erhalten, den riesigen Bankensektor nicht regulieren und
Standards zur Verhinderung von Geldwäsche nicht
durchsetzen.
Wir haben dafür gesorgt, dass dieses alles stattfindet:
dass der Bankensektor reguliert wird, dass Banken abgewickelt werden mit Gläubigerbeteiligung, dass Geldwäschestandards überprüft werden. Das haben wir mit
unserer Politik erreicht, und deswegen werden wir diesem Paket zustimmen können.
({3})
Wenn Sie noch nicht einmal bereit sind, in dem Fall,
dass eine Bankenabwicklung stattfinden muss, eine
Gläubigerbeteiligung zuzulassen, dann muss ich mich
schon fragen, was Sie überhaupt für alternative Konzepte anzubieten haben, um Bankenkrisen und daraus
folgende Schuldenkrisen zu bewältigen. Dazu haben wir
von Ihnen kein Wort gehört.
({4})
Wir Grünen haben in der Frage von Hilfsprogrammen
für Zypern einen klaren Kompass: Die Geldwäsche muss
Priska Hinz ({5})
bekämpft werden, der Bankensektor muss verkleinert werden, Inhaber von Einlagen in Höhe von über
100 000 Euro müssen beteiligt und herangezogen werden. Dabei geht es gar nicht darum, Kollege Barthle,
dass wir aus Deutschland heraus Einlagen auf Zypern sichern, es geht darum, dass die Euro-Gruppe - mit dem
erfahrenen Bundesfinanzminister Schäuble an der
Spitze - zur Verunsicherung aller Einleger beigetragen
hat, indem sie auch Einlagen unter 100 000 Euro heranziehen wollte - gegen eine europäische Übereinkunft.
Das ist das Versagen, das wir der Bundesregierung vorwerfen müssen.
({6})
Frau Kollegin Hinz, darf die Kollegin Hänsel Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Bitte.
Frau Kollegin Hänsel.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegin
Hinz, Sie haben ja gerade vollmundig erklärt, wie stark
die Grünen Geldwäsche bekämpfen und die Banken regulieren wollen. Dazu habe ich eine konkrete Nachfrage.
Heute wird im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates
über die Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru
entschieden. In diesen Freihandelsabkommen wird eine
umfassende Liberalisierung der Finanzdienstleistungen
und des Bankensektors festgelegt.
Wir haben die Auswirkungen durch eine Studie prüfen lassen. Selbst der Wissenschaftliche Dienst bestätigt,
dass durch Liberalisierung Geldwäsche und Steuerflucht
Vorschub geleistet werden kann. Während wir hier also
über Bankenregulierung und die Regulierung des
Finanzsektors diskutieren, wird die Liberalisierung auf
europäischer Ebene über diese bilateralen Freihandelsabkommen weiter vorangetrieben.
Wir haben eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat.
Die Linke aus Brandenburg ist gegen die Liberalisierung. Rot-Grün wird aber eben nicht dagegen stimmen,
sondern wird die Freihandelsabkommen und dadurch
auch diese Liberalisierungen der Finanzdienstleistungen
passieren lassen.
Hierauf hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen.
({0})
Ich glaube zwar, Sie sind gerade bei einem anderen
Tagesordnungspunkt, aber ich kann Sie beruhigen: Wir
werden das Gesetz auch ablehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir waren bei Zypern, und
ich möchte deutlich machen, dass Zypern bei den Verhandlungen über das MoU und das Hilfsprogramm sehr
große Schritte gegangen ist. Das verdient unser aller
Respekt; das will ich an dieser Stelle deutlich machen.
Es entstehen ja durchaus Schwierigkeiten, wenn ein
Bankensektor plötzlich, über Nacht sozusagen, drastisch
schrumpft, auf 350 Prozent des BIP. Natürlich entstehen
deshalb für die Bevölkerung jetzt ziemliche Härten,
durch eine erhöhte Arbeitslosigkeit und schrumpfende
Einkommen.
Weil wir von Zypern diese Härten erwarten mussten
und erwartet haben, gilt umso mehr, dass wir jetzt auch
- das ist unsere erste Forderung an die Bundesregierung durch Hilfsprogramme des Europäischen Rats und durch
eine strukturelle Unterstützung im Bereich erneuerbarer
Energien und sektoraler Wachstumsbranchen, die man
jetzt identifizieren muss, Hilfe leisten, damit Zypern ein
anderes Geschäftsmodell aufbauen kann. Aufgrund der
europäischen Solidarität gilt es jetzt, tatsächlich Hilfe zu
leisten. Wir können nicht nur einfordern, sondern wir
müssen jetzt unseren Teil der Solidarität auch zurückgeben.
({1})
Unsere zweite Forderung ist, dass bei der Etablierung
der Bankenunion ein europäischer Bankenrestrukturierungsfonds auf den Weg gebracht wird. Es kann nicht
dabei bleiben, dass nur die nationalen Bankenfonds für
die Bankenrettung herangezogen werden. Das wird auf
Dauer nicht ausreichen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dann werden wir die Staatsschuldenkrise nie lösen
können.
Ansonsten werden wir dem Programm zustimmen.
({0})
Das Wort hat nun Joachim Spatz für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Für die SPD hat Herr Steinmeier vorhin gesagt,
die Zustimmung zu dem Zypern-Paket sei keine Zustimmung zur Rettungspolitik der Bundesregierung. Ich
finde, es ist schade, dass Sie sich für eine GemeinsamJoachim Spatz
keit der Demokraten - wir werden hier bei der Abstimmung ja eine große Gemeinsamkeit haben - nach innen
entschuldigen.
Sie haben bisher noch jedem Rettungspaket entweder
durch aktive Zustimmung oder durch Enthaltung den
Weg mit bereitet. Das finde ich eine gute Nachricht für
das Land und für Europa. Ich finde es aber schade, dass
Sie offensichtlich glauben, sich gegenüber Ihren eigenen
Mitgliedern dafür entschuldigen oder rechtfertigen zu
müssen;
({0})
denn Sie stimmen zu Recht zu. An dem Kurs, Solidarität
innerhalb Europas zu gewähren, aber gleichzeitig Solidität einzufordern, führt überhaupt kein Weg vorbei. Wir
müssen allen Empfängerländern die Reformen abverlangen, und wir tun das auch, die langfristig dazu führen,
dass man Hilfen dieser Art nicht mehr gewähren muss.
Jeder sollte seinen Teil dazu beitragen, an dieser nachhaltigen Politik mitzuarbeiten, und darauf stolz sein.
Im Übrigen gehören dazu natürlich nicht nur Solidität
und Solidarität. Nein, dazu gehört auch Wachstum. Aber
wir haben andere Antworten auf die Frage: Was generiert wirklich Wachstum? Wir sind der Meinung,
Wachstum wird durch das generiert, was in Deutschland
erfolgreich war, nämlich eine Reformpolitik, die wettbewerbsfähig macht, während Sie auf öffentliche Investitionen setzen, finanziert durch Schulden. Oder Sie sagen: Macht das Erfolgsmodell der Amerikaner nach,
also die Politik des billigen Geldes.
Ich sage Ihnen: Am Ende der Reise wird das nicht zu
mehr Wachstum führen und - das zeigen die Beispiele
Japan und USA - auch nicht zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, sondern das wird am Ende der Reise dazu führen,
dass die Bürgerinnen und Bürger durch Inflation das bezahlen müssen, was Sie durch Ihre falsche Politik an
Kosten verursacht haben;
({1})
es sei denn, Sie wählen den Weg, dass die Bürgerinnen
und Bürger nicht am Ende der Reise bezahlen müssen,
sondern dies gleich im Vorab durch höhere Steuern finanzieren, wie Sie das in den anstehenden Wahlkämpfen
vorschlagen. Aber auch diesen Weg werden wir nicht
mitgehen.
Ein Wort zu Gregor Gysi von der Linken, weil er vorhin versucht hat, das Handeln des ehemaligen kommunistischen Staatspräsidenten und seiner Regierung in Zypern im Nachhinein reinzuwaschen. Es ist schon mutig,
hier vom Rednerpult aus die Schuld an der heutigen
schwierigen Lage in Zypern allen anderen aufzulasten,
nur nicht der dortigen Regierung. Eine Regierung, die
sich über ein Jahr schlicht geweigert hat, mit der EUKommission und dem IWF überhaupt zu verhandeln und
durch diese Weigerung die Krise noch massiv verschärft
hat, jetzt gewissermaßen zu exkulpieren, geht nicht.
Auch hier gilt, dass sich die Politik, gegenüber Zypern
Solidarität zu zeigen und gleichzeitig Solidität abzuverlangen, Bahn brechen muss.
Die Regelung des Finanzsektors ist schon angesprochen worden. Wir sind natürlich bereit, das Notwendige
zu tun; das ist überhaupt keine Frage. Wenn Sie uns da
begleiten, sind wir gerne bereit, diese Mithilfe, auch
wenn Sie sich dann vielleicht wieder gegenüber Ihren
Leuten entschuldigen müssen, anzunehmen. Es bleibt
bei diesem europapolitischen Kurs, den wir in diesem
Jahr den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zur
Beurteilung vorlegen. Unser Kurs heißt: Wir üben Solidarität, fordern von anderen aber Solidität ein. Wir fordern ein, dass sie sich an der Benchmark des Weltmarktes beim Thema Wettbewerbsfähigkeit orientieren.
Diese Politik legen wir genauso zur Beurteilung vor
wie unsere Politik hier zu Hause: solide Staatsfinanzen
mit einer Nettoneuverschuldung von null und das, ohne
Steuererhöhungen in Höhe von 40 Milliarden Euro
vorzunehmen, wie Sie das machen wollen. Ich bin
überhaupt nicht bange, was in der Bundesrepublik
Deutschland am Ende der Reise mehrheitsfähig sein
wird: Die Solidität wird es sein und nicht eine inflationsriskierende Politik.
Besten Dank.
({2})
Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben heute wieder eine der wichtigen und ernsthaften
Entscheidungen zu treffen, wie wir sie seit Beginn der
Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise schon
mehrmals zu treffen hatten. Wir haben auch dieses Mal
wieder einen langwierigen, ernsthaften Prozess der Beratungen und der Abwägungen hinter uns gebracht.
Wir treffen heute wieder eine Entscheidung, die nicht
populär ist. Aber das ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung. Bei vielen Entscheidungen dieser Art konnten wir uns zum jeweiligen Zeitpunkt nicht sicher sein,
dass sich diese als richtig erweisen werden. Heute können wir feststellen, dass sich unsere Entscheidungen und
auch die der EZB vom Herbst letzten Jahres alles in allem als richtig erwiesen haben.
({0})
Die Finanzmärkte haben sich beruhigt. Die Risikoaufschläge sind deutlich zurückgegangen. Selbst Programmländer wie Irland, Spanien und Portugal können
sich teilweise wieder zu vernünftigen Konditionen finanzieren bzw. können Staatsanleihen begeben.
Zypern ist mit 862 000 Einwohnern, einem Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 18 Milliarden Euro und einem
Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone in Höhe
von gerade einmal 0,2 Prozent nicht groß. Da könnte
man die Frage stellen: Ist das alles so relevant? Der
Bankensektor in Zypern ist allerdings relativ gesehen
doppelt so groß wie der unsrige. Deshalb ist die Restrukturierung des Bankensektors in Zypern eine der wichtigsten Maßnahmen, die nun vorgesehen sind. Unsere
Hilfsprogramme haben größte Bedeutung, sie verlangen
große Anstrengungen von Zypern selbst - Kollege
Fricke hat das bereits sehr deutlich dargelegt - bei Einnahmeverbesserungen und Steuererhöhungen, aber auch
Ausgabenkürzungen und Umstrukturierungen.
Angesichts der eben beschriebenen Größe Zyperns
kann man zu Recht die Frage nach der Systemrelevanz
stellen. Wir waren uns aber schon früh einig: Es darf in
der Euro-Zone keine unkontrollierten und keine unkontrollierbaren Entwicklungen geben. Die Finanzmärkte
haben sich, wie gesagt, beruhigt. Aber sie sind noch immer hoch sensibel. Zypern ist mit Griechenland und der
griechischen Bankenlandschaft eng verbunden, letzte
wiederum mit vielen Banken in der übrigen Euro-Zone.
Wir tun deshalb gut daran, die Konsequenzen zu bedenken, die gezogen werden müssten, wenn wir nicht handeln würden. Wir sollten es auf einen Versuch erst gar
nicht ankommen lassen. Schon nach dem ersten gescheiterten Versuch der Zyprer, Banken und Sparguthaben
einzubeziehen, war zu bemerken, wie sensibel und interessiert unsere Bürger auf einmal reagiert haben. Liebe
Frau Kollegin Hinz, um einer Legendenbildung vorzubeugen, sage ich: Hätten die Zyper den Rat unseres Finanzministers angenommen, dann wäre diese Diskussion in Deutschland erst gar nicht aufgekommen.
({1})
Herr Schäuble hat nachweislich dringend davor gewarnt,
an Einlagen unter 100 000 Euro heranzugehen. Aber die
zyprische Regierung hat damals eine andere Strategie
verfolgt.
Meine Mutter hat uns Kinder immer gelehrt: Mit Geld
spielt man nicht! - Auf uns übertragen bedeutet das: Mit
der Währung bzw. der Stabilität der Währung spielt man
nicht! Man sollte das alles sehr ernst nehmen. Eine stabile Währung ist für uns in Europa ein sehr hohes Gut.
Es liegt im Übrigen schon deswegen in unserem ureigenen Interesse, im Fall Zypern Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, weil wir in der Vergangenheit über EFSF und
ESM, den Stabilitätsmechanismus, bereits anderen Programmländern geholfen, Gewährleistungen gegeben und
Risiken übernommen haben. Es liegt in unserem Interesse, nun alles dafür zu tun, dass keine neuen Nervositäten entstehen und dass die Finanzmärkte nicht beunruhigt werden; denn sonst könnten unter Umständen
Gewährleistungen in Anspruch genommen und Risiken
schlagend werden. Daher ist es absolut richtig und geboten, hier keine neuen Risiken einzugehen.
({2})
Es ist deshalb wichtig, dass wir Risiken begrenzen und
Schaden abwenden. Von den ökonomischen Risiken, die
sich für ganz Europa ergeben würden, insbesondere für
die Euro-Zone, rede ich erst gar nicht. Sie sind von vielen meiner Vorredner schon angesprochen worden.
Schon im Vorfeld der heutigen Entscheidung haben
die Menschen bei uns realisiert, dass man diese Entwicklung in Europa, in der Euro-Zone und im Umfeld des
Euro, sehr ernst nehmen muss. Aber interessant ist, dass
die Zustimmung zum Euro noch nie so hoch war wie gerade jetzt. Interessant ist auch, dass die Zustimmung zum
Kurs der Bundeskanzlerin und zum Kurs des Bundesfinanzministers noch nie so hoch war wie jetzt.
({3})
Vielen Dank für diesen Einsatz, Frau Bundeskanzlerin
und Herr Bundesfinanzminister.
Selbst der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder
schreibt über die Frau Bundeskanzlerin, was die Führung in Europa betrifft:
Sie verweigert deutsche Führung nicht, sondern übt
sie zurückhaltend aus. Das finde ich in Ordnung.
Das ist, glaube ich, ein nachdenkenswerter Satz aus dem
Munde des früheren Bundeskanzlers.
({4})
Die Menschen erwarten - ich habe es an dieser Stelle
schon einige Male gesagt -, dass wir mit dem Geld, mit
den Finanzen, mit den Haushalten und mit unserer Währung ganz sorgsam umgehen.
({5})
Sie erwarten, dass wir für die Stabilität unserer Währung
sorgen. Das tun wir. Wir haben keine andere Währung,
und wir bekommen auch keine andere Währung. Deshalb ist es zuvörderst unsere Aufgabe, alles in unserer
Macht Stehende zu tun, für die Stabilität der Währung,
des Euro, einzutreten, zum Wohle der Menschen in
Deutschland und in Europa.
({6})
Die heutige Entscheidung ist wiederum eine Entscheidung für die Stabilität dieser Währung, für die Sicherung - Kollege Meister hat es vorhin deutlich zum
Ausdruck gebracht - der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, für die Sicherung des Wohlstandes
und der sozialen Sicherungssysteme. Das ist die Kernbotschaft, die auch von dieser heutigen Entscheidung
ausgeht. Ich danke noch einmal der Frau Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister ganz ausdrücklich
und herzlich für diese erfolgreiche Arbeit.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Michael Stübgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter
Redner einer Debatte zu reden, nach der mehrere namentliche Abstimmungen stattfinden, ist eine besondere
Herausforderung. Ich nehme sie an.
({0})
Ich möchte am Schluss der Debatte auf etwas hinweisen: In wenigen Tagen jährt sich das, was wir Euro-Krise
bzw. Euro-Finanzierungskrise nennen, zum dritten Mal.
Es war im Mai 2010, als wir das erste GriechenlandRettungspaket verabschiedeten. Sicherlich kann sich jeder noch daran erinnern: wenige Tage später - zunächst
so nicht geplant - die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus. Daran muss man gelegentlich erinnern. Das
war ein Programm, gefüllt mit bis zu 60 Milliarden
Euro, wofür die EU der 27 gebürgt hat.
Weil dieses Programm anfänglich sehr intensiv genutzt worden ist, haben wir jetzt auch bei Portugal und
Irland - das muss man sehen - jeweils zweistellige Milliardenbeträge aus dem EFSM, für die alle europäischen
Länder bürgen. Man muss also auch hier einmal auf die
Solidarität hinweisen.
Wenn das eingetreten wäre, was die Kritiker unserer
Euro-Rettungspolitik immer beschworen haben, hätten
wir schon längst keinen Euro mehr. Sie wissen: Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten dieser Kritiker hält das
allerdings nicht davon ab, nach wie vor so zu tun, als
wären sie die einzigen, die alles richtig sehen, und wir
die einzigen, die alles falsch sehen und falsch machen.
Ich glaube, heute ist es wichtig, einmal darauf zu
schauen, wie die Euro-Zone drei Jahre später dasteht. Ich
will einmal die positiven makroökonomischen Daten
darstellen. Wir stellen fest: In fast allen Euro-Ländern
sinken die Lohnstückkosten. Sie waren im Gegensatz
zur Produktivität in den zehn Jahren zuvor teilweise so
massiv gestiegen, dass viele Euro-Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit vollkommen verloren hätten. In diesem
Jahr steigen sie nur in Deutschland und Griechenland an.
Wir haben die Situation, dass die Leistungsbilanzunterschiede und die Handelsbilanzunterschiede in der EuroZone dramatisch abnehmen. Es ist eine Mär, zu behaupten, Deutschland mit seinem großen Handelsbilanzüberschuss sei an der Krise in der Euro-Zone schuld; denn
der Überschuss ist massiv zusammengeschrumpft. Dieser Rückgang konnte allerdings durch Binnenkonjunktur
und internationalen Wettbewerb zum Teil ausgeglichen
werden.
Wir haben die Situation, dass die Haushaltsdefizite in
allen Euro-Ländern massiv zurückgehen. Sie liegen
mittlerweile alle im einstelligen Bereich. Mit Blick auf
Japan und die USA ist das schon etwas Besonderes. Das
durchschnittliche Haushaltsdefizit ist im Verhältnis zu
denen in den westlichen Industrieländern mit Abstand
das niedrigste.
Wir haben die Situation, dass alle Euro-Länder in den
letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen haben. Wir können feststellen, dass die Unterschiede hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EuroZone abgenommen haben. In allen Euro-Krisenländern,
sogar in Griechenland, ist ein, wenn auch teilweise niedriges, Exportwachstum zu beobachten.
Wenn man sich diese makroökonomischen Ergebnisse der letzten drei Jahre anschaut, dann kann man
nicht behaupten, dass wir alles falsch gemacht haben.
Nein, wir haben sehr viel richtig gemacht. Die EuroZone hat trotz vieler Änderungen der strategischen Instrumente an ihrem grundsätzlichen Konzept, nämlich
einerseits Hilfestellung zu leisten und andererseits Reformen in den Krisenländern durchzusetzen, festgehalten. Der Bundesfinanzminister hat dies vorhin „Solidarität und Solidität“ genannt. Wir verfügen heute über
einen dauerhaften europäischen Stabilisierungsmechanismus. Vor drei Jahren hatten wir ihn noch nicht, weil
wir dachten, nach drei Jahren bräuchten wir keinen
mehr. Wir wissen jetzt, dass wir ihn brauchen. Dieser
dauerhafte Stabilisierungsmechanismus ist erstens flexibler, weil wir aus den Ereignissen der letzten drei Jahre
gelernt haben, und zweitens beinhaltet er auch wesentlich mehr Instrumente als ursprünglich die EFSF und der
EFSM. Auch hier haben wir aus den Entwicklungen der
letzten drei Jahre gelernt. Zypern ist das erste Land, das
über den ESM - heute werden wir das im Bundestag beschließen - unter ein Gesamtprogramm genommen wird.
Ich will die kurze Zeit, die ich noch reden darf, nutzen, um auf zwei Beschlüsse hinzuweisen, die wir heute
auch treffen werden, nämlich die Programmverlängerung für die beiden Länder Irland und Portugal. Herr
Steinbrück hat das vorhin in seiner Rede als Fanal bezeichnet. Herr Steinbrück, ich muss Ihnen sagen: Das
Gegenteil ist doch der Fall. Die Tatsache, dass wir dies
heute beschließen, belegt, dass wir in unseren Rettungsstrukturen in der Euro-Zone genügend Flexibilität haben, um zu reagieren. Wir tun dies auf Bitten der Länder.
Warum denn eigentlich? Wir tun dies, weil diese Länder
uns zu Recht nachweisen konnten, dass eine Verlängerung der Programme auch dazu führt, dass die sozial
schwierigen Ergebnisse der straffen Reformpolitik, die
sie noch lange betreiben müssen, abgemildert werden
können. Deshalb unterstützen wir diese Entscheidung
und stimmen hier auch gerne zu.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zum Antrag des Bundesministe-
riums der Finanzen auf Drucksache 17/13060. Die Frak-
tionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen wünschen Abstimmung in der Sache, die Frak-
tion Die Linke wünscht Überweisung, und zwar zur fe-
derführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und
zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, an den
Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Technologie sowie an den Ausschuss für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union.
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die von der Fraktion Die Linke bean-
tragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Damit ist die Überweisung gegen die Stim-
men der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses
abgelehnt.
Wir kommen damit zu den Abstimmungen über den
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Druck-
sache 17/13060.
Bitte beachten Sie folgende Hinweise: Wir werden
über fünf Teile des Antrags getrennt abstimmen. Vier
dieser Abstimmungen sollen namentlich erfolgen. Nach
der ersten namentlichen Abstimmung wird die Sitzung
bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbrochen. Die
weiteren Abstimmungen werden wir ohne Sitzungsun-
terbrechung durchführen. Ich bitte alle Kolleginnen und
Kollegen, bei der Stimmabgabe, wie üblich, sorgfältig da-
rauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden,
ihren Namen tragen. Mir liegen insgesamt 47 schrift-
liche Erklärungen zur Abstimmung vor.1) Fünf Abgeord-
nete der Fraktion Die Linke wünschen, mündliche Erklä-
rungen abzugeben. Wir werden diese dann in den
Abstimmungsgang einsortieren.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Bun-
desministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060
betreffend die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die
Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des
ESM gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des ESM-Finanzierungsge-
setzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? - Das ist offensichtlich erfolgt.
Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung.
Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abge-
geben? - Es sieht so aus. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.2)
Wir nutzen die Zeit bis zum Vorliegen des Ergebnisses der ersten namentlichen Abstimmung zur Abgabe
von mündlichen Erklärungen zur Abstimmung.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, doch
Platz zu nehmen, weil es jetzt einige Erklärungen zur
Abstimmung geben wird.
Ich erteile dem Kollegen Diether Dehm das Wort.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich stimme heute aus
mehreren Gründen gegen die undemokratischen und unsozialen Bankenrettungspakete für Zypern. Ich will mich
aber nur auf einen Aspekt beschränken.
Indem das bereits im Juni vergangenen Jahres gestellte Hilfeersuchen der Vorgängerregierung Zyperns
monatelang verschleppt wurde, eröffnete dies gewöhnlich gut informierten Großspekulanten bereits die Möglichkeit, massenhaft Kapital aus dem zyprischen Finanzsektor abzuziehen. Aber nachdem auf ominöse Weise im
Vorfeld der Entscheidung der Euro-Gruppe aus dem letzten Monat und trotz verhängter Kontosperren erneut
beträchtliche Kapitalabflüsse zu verzeichnen waren,
handelt es sich nicht mehr um Fahrlässigkeit, sondern
um ein kriminelles Vergehen.
({0})
Die Bundesregierung hat bisher nichts unternommen,
um den Deutschen Bundestag über den Kapitalabfluss
im Vorfeld der heutigen Abstimmung aufzuklären, zumal Presseberichten zufolge auch die Familie des jetzigen zyprischen Präsidenten Anastasiades aus der Parteienfamilie der Christdemokraten in Manipulationen
verwickelt ist.
Darüber hinaus existiert ein Gutachten der Beraterfirma Alvarez & Marsal - das zurzeit der Generalstaatsanwaltschaft Zyperns vorliegt -, welches Presseberichten zufolge dokumentiert, wie zentrale Beweise für den
Bankenskandal in Zypern vernichtet wurden.
({1})
Offenbar wurde aus dem Umfeld der konservativen Partei Zyperns diese Beweisvernichtung systematisch und
mit krimineller Energie betrieben. Beweise über Kontobewegungen im Vorfeld der Bankenschließung sind vernichtet worden.
Bevor ich als Abgeordneter nichts Näheres über diese
Vorgänge weiß, wäre es zumindest Beihilfe zur Veruntreuung, würde ich Belastungen und Risiken für den
deutschen Steuerzahler zustimmen, während einflussreiche Kreise in Zypern sich und ihre Sippschaft aus der
Verantwortung ziehen.
Es bleibt dabei: Mit den Linken keine Steuermilliarden für Zockerbanken und Großspekulanten!
({2})
Das Wort zu einer weiteren mündlichen Erklärung zur
Abstimmung gebe ich Kollegin Dağdelen.
({0})
Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! Ich
habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für
Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil es sich schlicht
um den nächsten Angriff der Bundesregierung - gemeinsam mit SPD und Grünen - auf Demokratie und Sozialstaat in Europa handelt.
({0})
1) Anlagen 2 bis 5
2) Ergebnis Seite 29179 D
Mit Sozialkürzungen in Zypern sollen wieder einmal
Banken und Konzerne gerettet werden - nicht etwa die
Bevölkerung in Zypern oder sonst wo.
({1})
Selbst bei der Gesundheitsversorgung in Zypern für die
Ärmsten der Armen soll um 30 Prozent gekürzt werden.
Diese zynische Logik, die bereits in Griechenland, in
Portugal und in Spanien nur zu massivem sozialem Elend
wie auch zu einer Explosion der Staatsverschuldung geführt hat, soll jetzt in puncto Zypern fortgeführt werden.
Für diese Rettung von Banken werden erneut milliardenschwere Rettungspakete auch mit deutschen Steuergeldern geschnürt. Während die CDU, die CSU, die SPD
und die Grünen sowie die FDP die Superreichen mästen,
stürzen sie halb Europa ins Elend, meine Damen und
Herren.
({2})
Dazu passt, dass die Bundesregierung ihre Informationen über die Kapitalflucht im Vorfeld der Bankenschließungen in Zypern nicht veröffentlicht. Ich frage die Bundesregierung: Wen schützen Sie eigentlich mit dieser
Nichtveröffentlichung Ihrer Informationen?
({3})
Selbst aus der engeren Familie Ihres konservativen
Parteifreundes, des Präsidenten Zyperns, sollen Millionen Euro ins Ausland gerettet worden sein. Während Sie
hier vermutlich die kriminellen Parteifreunde in Zypern
durch Ihre Informationspolitik decken, haben Sie zugleich mit Ihrer Zustimmung dazu, auch an die Einlagen
von Kleinsparern herangehen zu wollen, ein Signal gesetzt, wie Sie Ihre großzügigen Geschenke für die Superreichen in Europa in Zukunft zu bezahlen gedenken.
({4})
Ja, Zypern ist eine Blaupause dafür, dass auch die Spareinlagen unter 100 000 Euro nicht mehr sicher sind.
Gemeinsam mit SPD und Grünen zertrümmern Sie
die sozialen Sicherheitssysteme und die Reste sozialer
Sicherheit in Europa.
Frau Kollegin, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie
eine persönliche Erklärung Sevim Dağdelen ({0}):
Ja.
- zu Ihrem Abstimmungsverhalten vortragen wollten
und nicht eine allgemeinpolitische Rede, die die Debatte
verlängert?
({0})
Ja. Herr Präsident, wenn Sie erlauben, kann ich auch
zu diesem Punkt kommen.
({0})
Das ist die ganz persönliche Erklärung - die Wahrheit ist
nämlich das Ganze, meine Damen und Herren -: Ich
habe heute auch gegen diesen Antrag für Finanzhilfen
für Zypern gestimmt, weil diese heutige Abstimmung im
Bundestag einen gravierenden Angriff auf die Demokratie darstellt. Wieder einmal werden innerhalb von Tagen
milliardenschwere Zusagen getätigt. Das finde ich als
Abgeordnete unzumutbar und inakzeptabel.
Die massiven Risiken für den Bundeshaushalt werden
gar nicht ausgewiesen, sodass die Abgeordneten hier
auch kein ordnungsgemäßes Verfahren absolvieren können. Mit der Troika- und Memorandumpolitik, mit solch
einem Verfahren, etablieren Sie eine regelrechte Diktatur
in Europa, ja, eine regelrechte Diktatur in Europa: Nicht
mehr die von der Bevölkerung gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter entscheiden über die
Wirtschafts-, Sozial- und auch Beschäftigungspolitik,
sondern ernannte Kommissionen und Kürzungsbürokratien. Bis ins Detail wird ihnen und auch uns sozusagen
vorgeschrieben, wie die Politik auszusehen hat. Das darf
so nicht weitergehen, meine Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Zu diesen Angriffen auf Demokratie und Sozialstaat
gibt es Alternativen. Deshalb habe ich hier heute mit
Nein gestimmt. Heute stehen wir solidarisch an der Seite
der zyprischen Bevölkerung und sagen: Nein! Ochi!
Und: Hayir! Heute sind wir alle Zyprioten! Simera
imaste oli Kiprii! Bugün hepimiz Kibrisliyiz!
({2})
Die weiteren Erklärungen zur Abstimmung erfolgen
dann am Schluss der Abstimmungen.
Ich teile jetzt das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen betreffend die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des ESMFinanzierungsgesetzes mit: abgegebene Stimmen 602.
Mit Ja haben gestimmt 487, mit Nein haben gestimmt
102, Enthaltungen 13. Dieser Teil des Antrags ist angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 601;
davon
ja: 487
nein: 101
enthalten: 13
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Norbert Geis
Alois Gerig
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({5})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({7})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({8})
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({9})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({10})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({15})
({16})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({23})
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({25})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil ({27})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({28})
Frank Hofmann ({29})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({30})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Petra Merkel ({32})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Johannes Pflug
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Karin Roth ({33})
Michael Roth ({34})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({35})
Bernd Scheelen
({36})
Ulla Schmidt ({37})
Carsten Schneider ({38})
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Manfred Zöllmer
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({39})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({40})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Martin Lindner ({41})
Michael Link ({42})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({43})
Dr. Martin Neumann
({44})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({45})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({46})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({49})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({50})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({51})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({52})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Daniela Wagner
Arfst Wagner ({53})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Bosbach
Axel E. Fischer ({54})
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Carsten Linnemann
Christian Freiherr von Stetten
Klaus-Peter Willsch
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Gerold Reichenbach
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Swen Schulz ({55})
Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({56})
FDP
Jens Ackermann
Sylvia Canel
Dr. Lutz Knopek
Holger Krestel
Lars Lindemann
Torsten Staffeldt
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({57})
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
SPD
Willi Brase
Ulla Burchardt
Gabriele Hiller-Ohm
Christel Humme
Hilde Mattheis
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
René Röspel
Werner Schieder ({58})
FDP
Joachim Günther ({59})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Wir stimmen nun ab über den Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060
betreffend die Annahme einer Vereinbarung über eine
Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und
dem ESM und die Zustimmung zu einem Memorandum
of Understanding gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 des ESM-
Finanzierungsgesetzes. Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? - Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die Plätze einzunehmen, damit ich die zweite na-
mentliche Abstimmung eröffnen kann.
Es fehlen noch Schriftführerinnen und Schriftführer
der Opposition. Links fehlen noch Schriftführerinnen
und Schriftführer; in diesem Fall der Regierungsfraktio-
nen. - Hier vorne links fehlt noch ein Schriftführer, eine
Schriftführerin der Regierungsfraktionen. - Ich sage es
zum dritten Mal: Links fehlt noch ein Schriftführer, eine
Schriftführerin der Regierungsfraktionen. Es könnte sich
allmählich jemand erbarmen.
Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung.
Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimme
abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich darf Sie bitten, sich zu Ihren Plätzen zu begeben,
da wir jetzt eine einfache Abstimmung durchzuführen
haben.
Abstimmung über den Antrag des Bundesministe-
riums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend
Haftungsanpassungen für die Republik Zypern. Wer
stimmt für diesen Teil des Antrags? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Einige Fraktionen haben nicht
abgestimmt.
Ich wiederhole: Wir haben jetzt eine einfache Abstim-
mung. Es geht um den Antrag betreffend Haftungsan-
passungen für die Republik Zypern. Wer stimmt für die-
sen Teil des Antrags? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Dieser Teil des Antrags ist mit den
Stimmen von vier Fraktionen gegen die Stimmen der
Linken bei einer Enthaltung angenommen.
Wir kommen zu zwei weiteren namentlichen Abstim-
mungen.
Wir stimmen zunächst über den Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 be-
treffend die Verlängerung der maximalen durchschnitt-
lichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben
Jahre ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, wieder die Plätze an den Abstimmungsurnen zu be-
setzen. Ist das der Fall? - Dann eröffne ich die Abstim-
mung.
Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre
Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich 1) Ergebnis Seite 29185 A
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
die Abstimmung. Auch hier wird das Ergebnis später be-
kannt gegeben.1)
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf
Drucksache 17/13060 betreffend die Verlängerung der
maximalen durchschnittlichen Laufzeit der EFSF-Darle-
hen an Portugal um sieben Jahre. Sind alle Plätze an den
Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
vierte namentliche Abstimmung.
Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre
Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Das Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz
zu nehmen. Wir kommen zur Abstimmung über zwei
Entschließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/13107. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen
der Linken abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13108. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Grünen und Linken bei Enthaltung
der SPD abgelehnt.
Es folgen jetzt mündliche Erklärungen von drei Mitgliedern der Fraktion Die Linke, zunächst Kollege
Alexander Ulrich.
({60})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil es sich bei ihrem Zypern-Paket um nichts anderes als ein gigantisches Verarmungs- und Rezessionsprogramm handelt.
({0})
Einmal mehr sollen die Kosten der Krise nach unten
durchgereicht werden. Wer die Krise überwinden will,
muss aber jene zur Kasse bitten, die jahrelang von den
deregulierten Finanzmärkten profitiert und dabei die
Krise erst verursacht haben.
Wir brauchen eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe, eine Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung sowie eine strenge Regulierung und Schrumpfung der Finanzmärkte.
({1})
Stattdessen hat sich der Bundestag wieder einmal dafür
entschieden, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitslose zu belasten. Es
ist der Wille der großen Mehrheit von CDU/CSU, SPD,
FDP und Grünen, Renten und Löhne in Zypern um bis
zu 12,5 Prozent zu kürzen, Sonderregeln zugunsten sozial Schwacher im Gesundheitswesen abzuschaffen, Entlassungen im öffentlichen Dienst durchzuführen und ein
riesiges Privatisierungsprogramm zu erzwingen.
Was daraus folgt, können wir am Beispiel Griechenland gut beobachten. Auch in Zypern werden nun viele
Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt. Auch in Zypern wird eine ganze Volkswirtschaft zerstört. Selbst die
Troika erwartet einen wirtschaftlichen Einbruch um
12 Prozent innerhalb von zwei Jahren und einen Anstieg
der Verschuldung auf 126 Prozent des BIP. Wer sich die
Mühe gemacht hat, die letzten Troika-Prognosen für
Programmländer mit der Realität zu vergleichen, der
weiß, dass alles noch viel schlimmer kommen wird. Die
Troika-Politik löst keine Krisen. Sie verschärft Krisen
und verteilt die Kosten nach unten um.
Ich habe auch gegen den Antrag der Bundesregierung
gestimmt, weil ich das Verfahren für vollkommen inakzeptabel halte.
({2})
Am Sonntag hat die Bundesregierung den Abgeordneten
ihren Antrag zugeleitet. Es handelt sich dabei um mehr
als hundert Seiten teilweise hochkomplexer Analysen.
({3})
Auf dieser Grundlage hat der Bundestag heute, vier Tage
später, beide Zypern-Beschlüsse sowie eine Umgestaltung der Programme für Portugal und Irland innerhalb
einer Sitzung beschlossen. Ich glaube nicht, dass die
Mehrheit jener, die heute dem Verarmungsprogramm zugestimmt haben, sich der Tragweite ihrer Entscheidung
bewusst war. Die Verkürzung des Verfahrens lässt die
parlamentarischen Mitspracherechte im Rahmen der
EU-Krisenpolitik zur Farce verkommen. Es gibt keine
Rechtfertigung für diese Schwächung des Bundestages,
und es sagt nichts Gutes über den Zustand unserer Demokratie aus, wenn die Abgeordneten von vier der fünf
Fraktionen mit dieser Aushebelung ihrer Rechte offensichtlich kein Problem haben.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort zu einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung hat jetzt Annette Groth.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich
habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung ge-
stimmt, weil dadurch ein radikales Sozial-, Renten- und
Lohnkürzungsprogramm festgeschrieben wird und es ei-
1) Ergebnis Seite 29187 D
2) Ergebnis Seite 29190 C
nen direkten Angriff auf die Demokratie Zyperns darstellt.
({0})
Entscheidungen von demokratisch gewählten Parlamenten werden durch die Troika-Institutionen eingeschränkt.
Das souveräne Handeln auch zukünftiger gewählter Regierungen auf Zypern wird beschnitten. Das kann ich
nicht mittragen. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zu meinem Demokratieverständnis.
({1})
Ich kann Ihnen sagen, was mir neulich beim Europarat passiert ist. Eine wütende zypriotische Abgeordnete
kam auf mich zu - keine Linke - und fragte: Was macht
ihr Deutschen eigentlich? Habt ihr vor, ganz Europa zu
zerstören? Aber wartet ab, es wird euch auch bald treffen, insbesondere wenn die Deutsche Bank ins Trudeln
gerät; denn die steckt tief im Zockersumpf. Dann geht es
euch an den Kragen. - So weit das Zitat.
({2})
- Was soll ich darauf antworten? Sie sehen doch genauso
wie ich und alle anderen, die ab und zu nach Griechenland fahren, die katastrophalen Auswirkungen des Kürzungsprogramms in den Bereichen Bildung und Gesundheit, eigentlich in allen Bereichen. Das ist furchtbar. Das
kann man doch nicht zulassen. Sie wissen doch genau,
dass Austeritätspakete nicht zu Wirtschaftswachstum
führen. Das sagen auch konservative Ökonomen.
Auch Privatisierung ist absolut schädlich. Alle Studien zeigen, dass Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen immer höhere Preise und schlechteren Service zur Folge haben. Besonders für sehr arme Leute, die
sparen müssen, ist das eine Katastrophe.
Das kann ich aufgrund meines Menschenrechtsverständnisses nicht mittragen.
({3})
Darum habe ich heute gegen den Antrag gestimmt. Ich
finde es schade, dass Sie zugestimmt haben.
Danke schön.
({4})
Zur letzten mündlichen Erklärung zur Abstimmung
Heike Hänsel.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für Finanzhilfe für Zypern gestimmt, weil diese sogenannte Hilfe die Bevölkerung Zyperns in Armut und
Perspektivlosigkeit stürzen wird. Selbst der Internationale Währungsfonds prognostiziert einen Wirtschaftseinbruch durch die verordneten Kürzungsmaßnahmen
allein in diesem Jahr von bis zu 10 Prozent. Mit Lohn-,
Sozialleistungs- und Rentenkürzungen soll die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Das will die Bundesregierung, und das wollen leider auch SPD und Grüne.
Wir sehen doch, dass diese Politik bisher in Europa nur
in die Katastrophe geführt hat. Deswegen habe ich heute
dagegen gestimmt.
({0})
Die Privatisierung soll vorangetrieben werden. Auch
ein ganz sensibler Bereich, nämlich der Bereich der
Wasserversorgung, soll privatisiert werden. Während
Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa Unterschriften
gegen die Privatisierung der Wasserversorgung sammeln
- über 1 Million Unterschriften werden gesammelt;
Hundertausende hier in Deutschland -, wird hier zugelassen, dass auch die Wasserversorgung privatisiert wird.
({1})
Das kann ich nicht verantworten. Deswegen habe ich dagegen gestimmt.
({2})
- Das betrifft auch Zypern.
Sie stimmen hier all diesen Kürzungsmaßnahmen
regelmäßig zu, auch Sie von SPD und Grünen, und beklagen gleichzeitig in den Talkshows die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Armut in Europa. Stimmen Sie
doch hier dagegen, statt es in den Talkshows zu beklagen!
({3})
Ich muss Ihnen noch einen Grund nennen, aus dem
ich heute dagegen gestimmt habe. Es geht um die Stabilisierung und die Beruhigung der Finanzmärkte. Zypern
soll unter anderem - das ist in dem Memorandum verankert - seine Goldreserven verkaufen. Als dies bekannt
wurde, fiel der Goldpreis um über 10 Prozent. Allein
diese Reaktion beweist doch, dass diese Politik verheerend ist und destabilisierend wirkt. Genau deswegen,
weil es auch ökonomisch ein Irrwitz ist, was hier passiert, habe ich gegen diesen Antrag gestimmt.
({4})
Wir sagen schon seit langem, dass wir die Verursacher und die Profiteure der Krise heranziehen müssen.
({5})
Das ist nicht verankert. Genau deswegen kann ich
diesen Antrag nicht verantworten. Er enthält keine Elemente, um die Profiteure dieser Krise zur Verantwortung
zu ziehen. Sie stimmen für eine Agenda 2010 für ganz
Europa. Wir haben erlebt, was Agenda 2010 in Deutschland bedeutet. Deswegen stimme ich heute gegen diesen
Antrag.
({6})
Ich möchte Sie auch darüber informieren, dass wir
nicht allein sind, dass in Europa Hunderttausende von
Menschen zu Demonstrationen gehen und Unterschriften sammeln. Sie rufen auch zu großen Demonstrationen
in Deutschland auf. Ende Mai bzw. Anfang Juni wird in
Frankfurt im Bankenviertel unter dem Motto „Blockupy“ demonstriert.
Wir wollen diese Politik beenden. Wir wollen eine
menschliche Politik in Europa. Das unterstütze ich, indem ich heute gegen diesen Antrag gestimmt habe.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen die
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen mit.
Wir kommen zunächst zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen betreffend die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen
der Republik Zypern und dem ESM und der Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding gemäß
§ 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 486, mit Nein haben gestimmt 104, Enthaltungen 3. Dieser Teil des Antrags ist also angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 600;
davon
ja: 486
nein: 103
enthalten: 11
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Norbert Geis
Alois Gerig
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({11})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({13})
Anita Schäfer ({14})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({16})
({17})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({24})
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({26})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil ({28})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({29})
Frank Hofmann ({30})
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({31})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Petra Merkel ({33})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Johannes Pflug
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
({37})
Ulla Schmidt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Manfred Zöllmer
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({40})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({41})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({42})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Martin Lindner ({43})
Michael Link ({44})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({45})
Dr. Martin Neumann
({46})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({47})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({48})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Marieluise Beck ({49})
Volker Beck ({50})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({51})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({52})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({53})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({54})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Daniela Wagner
Arfst Wagner ({55})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Bosbach
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Carsten Linnemann
Christian Freiherr von Stetten
Klaus-Peter Willsch
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Josip Juratovic
Hilde Mattheis
Werner Schieder ({56})
Swen Schulz ({57})
Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({58})
FDP
Jens Ackermann
Sylvia Canel
Dr. Lutz Knopek
Holger Krestel
Lars Lindemann
Torsten Staffeldt
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({59})
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
SPD
Willi Brase
Ulla Burchardt
Gabriele Hiller-Ohm
Christel Humme
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
René Röspel
Dr. Marlies Volkmer
Nächste namentliche Abstimmung, betreffend den
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen bezogen
auf die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen
Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 498, mit Nein haben gestimmt 89, Enthaltungen 4.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 594;
davon
ja: 500
nein: 90
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Manfred Behrens ({60})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({61})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({62})
Dirk Fischer ({63})
Axel E. Fischer ({64})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({65})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Norbert Geis
Alois Gerig
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({66})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({67})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({68})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({69})
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({70})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({71})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({72})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({73})
Anita Schäfer ({74})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({75})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({76})
({77})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({78})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({79})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({80})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({81})
Peter Weiß ({82})
Sabine Weiss ({83})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({84})
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({85})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({86})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({87})
Hubertus Heil ({88})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({89})
Frank Hofmann ({90})
Josip Juratovic
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({91})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({92})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({93})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Johannes Pflug
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Karin Roth ({94})
Michael Roth ({95})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({96})
Bernd Scheelen
({97})
Werner Schieder ({98})
Ulla Schmidt ({99})
Carsten Schneider ({100})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Manfred Zöllmer
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({101})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({102})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({103})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Martin Lindner ({104})
Michael Link ({105})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({106})
({107})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({108})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({109})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({110})
Volker Beck ({111})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({112})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({113})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({114})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Daniela Wagner
Arfst Wagner ({115})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Bosbach
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Carsten Linnemann
Klaus-Peter Willsch
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Swen Schulz ({116})
Waltraud Wolff
({117})
FDP
Jens Ackermann
Sylvia Canel
Lars Lindemann
Torsten Staffeldt
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({118})
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
SPD
Christel Humme
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Vierte namentliche Abstimmung, betreffend den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen bezogen auf
die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen
Laufzeit des EFSF-Darlehens an Portugal um sieben
Jahre. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 604. Mit Ja
haben gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 93, Enthaltungen 5. Auch dieser Teil des Antrags ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591;
davon
ja: 494
nein: 92
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Manfred Behrens ({119})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({120})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({121})
Dirk Fischer ({122})
Axel E. Fischer ({123})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Norbert Geis
Alois Gerig
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({124})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({125})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Nadine Schön ({126})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({127})
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({128})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({129})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({130})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({131})
Anita Schäfer ({132})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({133})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
({134})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({135})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({136})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({137})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({138})
Peter Weiß ({139})
Sabine Weiss ({140})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({141})
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({142})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({143})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({144})
Hubertus Heil ({145})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({146})
Frank Hofmann ({147})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({148})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({149})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({150})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Michael Roth ({151})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({152})
Bernd Scheelen
({153})
Werner Schieder ({154})
Ulla Schmidt ({155})
Carsten Schneider ({156})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Manfred Zöllmer
FDP
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({157})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({158})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({159})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Martin Lindner ({160})
Michael Link ({161})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({162})
Dr. Martin Neumann
({163})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({164})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({165})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({166})
Volker Beck ({167})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({168})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({169})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({170})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({171})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Daniela Wagner
Arfst Wagner ({172})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Bosbach
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Carsten Linnemann
Klaus-Peter Willsch
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Waltraud Wolff
({173})
FDP
Jens Ackermann
Sylvia Canel
Holger Krestel
Lars Lindemann
Torsten Staffeldt
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({174})
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
SPD
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Swen Schulz ({175})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Verbindliche Quote für Aufsichtsräte einfüh-
ren
- Drucksache 17/13094 -
b) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Förderung gleichberechtigter Teilhabe von
Frauen und Männern in Führungsgremien
({176})
- Drucksache 17/11270 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke
Ferner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen ({177})
- Drucksache 17/8878 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo
Egloff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Renate
Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter
Teilhabe von Frauen und Männern in
Führungsgremien ({178})
- Drucksache 17/11139 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({179})
- Drucksache 17/12784 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth
Dr. Eva Högl
Halina Wawzyniak
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({180}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar,
Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Quote für Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen einführen
- Drucksachen 17/797, 17/1274 Berichterstattung:
Abgeordnete ElisabethWinkelmeier-Becker
Marco Buschmann
Raju Sharma
Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke
vor. Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Norwegen hat sie. Auch Belgien, Island, Frankreich,
Spanien, Italien und die Niederlande haben sie. Alle haben sie: die Frauenquote. Was haben wir? Wir führen
seit dreieinhalb Jahren eine Diskussion darüber, und wir
haben in dieser Woche eine große Enttäuschung für die
Frauen in dieser Republik erlebt.
({0})
Sie von der Union haben am Montag einen Kompromiss beschlossen, der mehr ist als eine Enttäuschung.
Frau Hasselfeldt sagt ganz offen, sie sei unzufrieden,
dass die Opposition der Union die Debatte über die feste
Frauenquote aufgezwungen hat. Solche Verfahren sollten nicht Schule machen, sagt sie. Außerdem sagt sie:
Wir sind davon gar nicht begeistert.
Daran sieht man, was passiert ist. Es war nicht etwa
so, dass Sie sich für einen anderen politischen Inhalt entschieden haben. Sie sind auch nicht überzeugt worden.
Vielmehr ist Ihnen etwas aufgezwungen worden, weil
Sie wieder einmal gemerkt haben, dass Ihnen die Argumente ausgegangen sind, dass es peinlich wird und dass
Sie damit nicht durchkommen. Gleichzeitig tun Sie
nichts anderes, als zu versprechen, zu diesem Thema
etwas in Ihr Wahlprogramm zu schreiben. Aber das
Versprechen, dem Kompromiss, der aus dem Bundesrat
kommt, zuzustimmen - dieses Versprechen haben Sie
den Frauen gegeben -, halten Sie nicht ein. Sie sind
nicht verlässlich, Sie sind nicht vertrauenswürdig leider auch die Frauen, die seit dreieinhalb Jahren mit
verhandelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Sie blockieren hier einen Kompromiss, und Sie blockieren zugleich das, was Viviane Reding, bekanntlich
eine konservative Kommissarin, in der EU voranbringen
will: eine Frauenquote, die dafür sorgt, dass wenigstens
ein Anfang gemacht wird, dass sich die Frauen wenigstens auf diesen Anfang verlassen können.
Uns ist dieser Kompromiss nicht leichtgefallen. Aber
wir haben gesagt: Wir wollen ihn eingehen. Dazu haben
wir lange Gespräche mit Ihnen geführt. Wir wurden dabei unterstützt von vielen Frauen aus Verbänden, aus der
Wirtschaft und aus Unternehmen, die deutlich gemacht
haben: Es geht so nicht weiter. Wir sind diesen Kompromiss eingegangen. Wir haben Ihnen faire Angebote gemacht. Aber dann mussten wir in dieser Woche erleben:
Eine nach der anderen ist umgefallen. Eine ist dreimal in
drei Tagen umgefallen, nämlich Ursula von der Leyen.
({2})
Am Montag ist sie umgefallen, weil sie einer Regelung
zugestimmt hat, die sie eigentlich nicht will. Allerdings
hat sie gesagt: Ich halte mir mein Abstimmungsverhalten
offen. Am Dienstag ist sie das zweite Mal umgefallen
und hat gesagt: Ich stimme im Bundestag gegen das, was
ich eigentlich unbedingt als ersten Schritt wollte. Am
Mittwoch ist sie ein drittes Mal umgefallen. Dann hat sie
sogar gesagt, dass sie hier gar nicht mehr zu diesem
Thema reden will. Das nenne ich Umfallen, und zwar
zulasten der Frauen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich sage Ihnen: Das ist nicht verlässlich, das ist keine
Politik für die Frauen, und das ist schon gar keine
moderne Politik, mit der man die Zukunft dieses Landes
gestalten kann.
({3})
Nein, Politik ist keine Ich-AG, sondern Vertrauenssache. Dass Sie da so bitter enttäuscht haben, werfe ich Ihnen vor. Dass Kämpferinnen aus unserer Fraktion wie
Renate Künast und Ekin Deligöz, die in den letzten dreieinhalb Jahren unzählige Gespräche mit Ihnen geführt
haben, bereit waren, einen solchen Kompromiss einzugehen, geschah doch nicht aus Wahlkampfgründen. Die
Berliner Erklärung ist von vielen Frauen und Männern
unterschrieben worden, weil sie gehofft und sich darauf
verlassen haben, dass sich jetzt etwas ändert, dass Sie für
die Sache der Frauen stehen und dass Sie vor allem stehen bleiben, dass Sie die Gespräche ernst meinen und
die Frauen nicht an der Nase herumführen. Wir sehen
heute: Leider war das Gegenteil der Fall.
({4})
Nun soll die 30-Prozent-Quote ab 2020 festgeschrieben
werden. Ich weiß nicht, wie Sie draußen erklären wollen,
dass 2020 etwas richtig sein soll, was 2018 falsch ist;
aber es wird ja nicht so kommen.
Warum brauchen wir die Quote? Wir haben viel darüber diskutiert, und natürlich ist der Einsatz für die
Gleichberechtigung damit nicht erledigt. Wenn es in
Aufsichtsräten einen Frauenanteil von 3,7 Prozent gibt
und immer noch fast 90 Prozent der Führungen großer
Unternehmen von Männern gestellt werden, dann ist
ganz klar: Das liegt nicht an der Qualifikation. Das liegt
nicht daran, dass die Frauen nicht bereit wären. Das liegt
nicht daran, dass keine geeigneten Frauen da wären. Das
liegt daran, dass in alter Gewohnheit Anzugträger Anzugträger suchen, weil wir in Deutschland immer noch
keine Quote haben, die dafür sorgt, dass die guten und
qualifizierten Frauen eine Chance bekommen.
({5})
Selbstverständlich ist die Quote in den Aufsichtsräten
nur ein Anfang. Es ist klar: Wir brauchen bessere Bedingungen für Familie und Beruf, wir brauchen gleiche Bezahlung.
Weil wir Sie ernst nehmen wollen, haben wir jetzt ein
weiteres Angebot für Sie. Wenn Sie wirklich für die
Quote sind und sie ins Wahlprogramm schreiben wollen
- wir bleiben bei dem Kompromiss; darüber haben wir
lange verhandelt, und dazu stehen wir auch -, dann können Sie mit Ihrem Abstimmungsverhalten zu dem von
uns eingebrachten Antrag, der genau dem entspricht,
was Sie am Montag verabredet haben, zeigen, ob Sie es
ernst meinen oder ob das nur für das Papier gewesen ist.
({6})
Die Wirklichkeit ändert sich nicht dadurch, dass die
Union etwas in ihr Parteiprogramm schreibt. Wir könnten hier aufzählen, wie oft Sie das geändert haben.
({7})
Die Wirklichkeit ändert sich durch Gesetze. Deswegen
fordern wir Sie auf: Stehen Sie wenigstens zu diesem
Minischritt! Stehen Sie wenigstens zu dem, was Sie am
Montag verabredet haben! Die Frauen draußen wollen
das wissen.
({8})
Ganz klar und eindeutig bleibt allerdings: Wer wirklich eine gesetzliche, eine verbindliche Frauenquote will
und wer auch dafür sorgen will, dass Frau Merkel zwei
Jahre früher als geplant in den Ruhestand gehen kann,
der wählt am 22. September Grün - für die Frauen und
für eine bessere Republik.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich finde, es geht auch in der heutigen Debatte darum,
deutlich zu machen, dass wir etwas tun wollen, um mehr
Frauen in Führungspositionen zu haben,
({0})
und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern überall,
und dass wir wollen,
({1})
dass Frauen Möglichkeiten nutzen können, um die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser hinzubekommen.
({2})
In all diesen Bereichen hat diese Regierungskoalition
viel auf den Weg gebracht, was Sie in Ihrer rot-grünen
Regierungszeit nicht gemacht haben.
({3})
Heute lese ich in einem Kompaktinfo der SPD: „Ohne
Quote bewegt sich nichts“.
({4})
Da muss ich sagen: Das entspricht nicht der Wahrheit.
({5})
Es hat in der Wirtschaft eine freiwillige Vereinbarung
gegeben, dass man mehr Führungspositionen an Frauen
vergeben will.
({6})
- Frau Künast, ich höre Ihnen als Mann zu und bitte Sie,
dass Sie als Frau mir auch zuhören; so ist das.
({7})
- Dann kann ich ja einmal die Fakten darstellen. Dass
wir in dieser Sache unterschiedliche Positionen vertreten, ist doch klar.
({8})
Auch wir wollen - das war immer unsere Position -,
dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, nicht
nur in die Aufsichtsräte - worum es in Ihrem Antrag
geht -, sondern auch in anderen Bereichen. Wir haben
jetzt gesagt - das unterscheidet uns, und das bleibt trotz
dieses Beschlusses so -: Zunächst einmal - das gilt bei
uns durchgehend in unserer Politik - setzen wir auf Freiwilligkeit und eigene Festlegungen je nach Bereich. Wir
geben den Unternehmen die Chance, solche Festlegungen selber zu treffen.
({9})
Falls die Ziele nicht erreicht werden, werden wir - das
haben wir nun konkret zugesagt, und dazu stehen wir
auch - in den Koalitionsverhandlungen und in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen, dass ab 2020 eine
Quote kommt.
({10})
Bis 2020 lassen wir der Wirtschaft Zeit; aber dann wird
es Ernst, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({11}): Oh!)
In diesem Zusammenhang muss ich übrigens sagen:
Jeder, der die Position vertritt, dass wir Quoten brauchen,
muss in dem Bereich, wo er selber Verantwortung trägt,
mit gutem Beispiel vorangehen.
({12})
Jetzt weiß ich ja, Frau Göring-Eckardt, dass der badenwürttembergische Ministerpräsident, ein Grüner, inzwischen nicht mehr gut angesehen ist, weil er Sie in Sachen
Steuer kritisiert hat. Dabei hat er nur die Wahrheit gesagt, nämlich dass man nicht in die Substanz eingreifen
darf.
({13})
Dieser Ministerpräsident hat aber Folgendes gemacht
- so weit zu den Grünen -: Seine Regierung hat zu Beginn ihrer Regierungszeit 27 neue Stellen mit B-Besoldung geschaffen; davon wurden vier an Frauen vergeben.
Das ist die Frauenförderung einer grün-roten Landesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({14})
Dort, wo wir in Regierungsverantwortung sind, haben
wir den Blick nicht nur auf die Wirtschaft gerichtet, sondern auch auf einen Bereich, der mindestens ebenso
wichtig ist. Das sind die Universitäten. Wir haben 2007
mit einem Professorinnenprogramm, das wir 2012 fortgesetzt haben, dafür gesorgt, dass sich die Lage der
Frauen bei der Berufung auf Lehrstühle erheblich verändert hat. Schon jetzt gehen bei Neubesetzungen von
Lehrstühlen mehr als 25 Prozent an Frauen.
({15})
Das ist noch nicht ganz ausreichend; aber in Ihrer Regierungszeit ist bei diesem Thema gar nichts geschehen, um
das einmal klar und deutlich zu sagen.
({16})
Wenn wir uns anschauen, was in der letzten Zeit vorangegangen ist, können wir sagen: Mit der Kombination von eigener Verantwortung, also freiwilligem Vollzug dessen, was wir in der Wirtschaft für notwendig
halten, und, falls das nicht funktionieren sollte, einer entsprechenden gesetzlichen Quote, sind wir auf einem guten Weg. Es könnte gut sein, dass wir auf diesem Weg
2020 schon wesentlich weiter sind als wir es mit der
Quote wären, die Sie festlegen wollen.
({17})
Das wäre ein schöner Erfolg, und dem dient diese Diskussion auch.
Also: Wir werden diesen Weg gehen,
({18})
und er wird den Frauen helfen; davon bin ich überzeugt.
Ich habe zugesagt - und sage dies hier auch öffentlich -,
dass das, was wir jetzt beschlossen haben, ins Regierungsprogramm kommt.
({19})
Das werden wir alle unterstützen, und dann werden wir
auf dem Weg vorankommen, mehr für Frauen zu tun,
und zwar nicht nur in Aufsichtsräten. Auch die Quote
der Frauen in Vorständen hat sich bereits verändert. Ihre
Aussage, Frau Göring-Eckardt, dass nichts passiert sei,
stimmt nicht. Bei den neu zu besetzenden Stellen in den
Aufsichtsräten wurden in der letzten Zeit schon bis zu
40 Prozent Frauen gewählt. Das Gerede, ohne Ihre grüne
Quote tue sich nichts, ist also grottenfalsch.
({20})
Ich weiß ja, dass die Grünen zunächst einmal dem
Staat und nicht den Menschen vertrauen. Deswegen
müssen mit gesetzlichem Druck Erziehungsprogramme
für Erwachsene umgesetzt werden. Das ist der Weg der
Grünen.
({21})
Wir setzen zunächst einmal auf die Freiwilligkeit.
Gleichzeitig kündigen wir an: Wenn ihr das nicht selber
schafft, dann greifen wir ein. - Bei Ihnen geht es zunächst einmal über Druck und Zwang, und dann sehen
Sie weiter.
Wir haben am Dienstag in unserer Fraktion und am
Montag in unseren Parteigremien einen entsprechenden
Beschluss gefasst. Es geht im Übrigen nicht um unser
Parteiprogramm, sondern um unser Regierungsprogramm. Darin nehmen wir das auf. Dann setzen wir das
um und tragen das gemeinsam mit. Das ist ein guter Tag
für die Frauen in unserem Land.
({22})
Der Kollege Beck möchte eine Kurzintervention machen. - Bitte schön, Kollege Beck.
Herr Kauder, ich würde Sie gerne fragen, was das,
was Sie gesagt haben, denn nun heißt. Mir haben die
Frauen aus Ihrer Fraktion auf einem Fest der Parlamentarischen Gesellschaft gesagt, es solle jetzt ins Regierungsprogramm aufgenommen werden, dass unmittelbar
nach der Wahl, falls Sie von den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit dafür bekommen sollten, die Quote
von 30 Prozent für 2020 ins Gesetz geschrieben werden
soll. Gerade haben Sie gesagt, dass Sie bis 2020 warten
wollen, um zu schauen, ob wir bis dahin nicht schon viel
weiter sind.
({0})
Die Öffentlichkeit würde gerne wissen: Wollen Sie den
Frauen jetzt einen Scheck über zwei Wahlperioden ausstellen, oder wollen Sie tatsächlich handeln? Was gilt
denn nun?
Sie haben Frau von der Leyen und Frau Pawelski hier
hinter die Fichte geführt, wenn das, was Sie gerade gesagt haben, die tatsächliche Linie, der tatsächliche Plan
der Unionsführung ist. Das wäre ein Betrug an den
Frauen in Ihrer Partei und an den Frauen, die auf der Tribüne sitzen und seit Jahren für die Gleichberechtigung in
der Wirtschaft kämpfen.
({1})
Kollege Kauder.
Herr Kollege Beck, ich finde die Art und Weise, in
der Sie Fragen stellen und zeigen, dass Sie gar nicht an
einer Antwort interessiert sind, schäbig, um das einmal
klar zu sagen.
({0})
Sie stellen mir eine Frage, und bevor ich diese Frage beantwortet habe, nennen Sie schon das Ergebnis. Eigentlich müsste ich sagen: Die Antwort hat sich durch Sie
selbst erledigt.
Um das aber klar zu sagen: Wir haben formuliert,
dass wir bis zum Jahr 2020 den Unternehmen die Möglichkeit geben wollen, die Quote von 30 Prozent zu erreichen, und wenn sie bis dahin nicht erreicht wurde,
wird sie gesetzlich vorgeschrieben. Ein solches Gesetz
machen wir gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Das ist unsere klare Aussage.
({1})
Wenn Sie zugehört hätten und nicht immer nur bei Ihrem
ideologischen Irrsinn blieben, dann hätten Sie das auch
so vernommen.
({2})
- Herr Beck, zu Beginn der Legislaturperiode wird es
ein Gesetz geben, in dem alle diese Punkte so geregelt
werden, wie ich es gesagt habe.
({3})
Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Kauder, Fraktionsvorsitzende haben ja
gelegentlich die Aufgabe, eine gewisse Spannbreite von
Positionen innerhalb der eigenen Fraktion zu überbrücken. Das ist mir nicht gänzlich unbekannt.
({0})
Das, was Sie hier eben abgeliefert haben, Herr Kollege
Kauder, war aber schon ein Meisterstück der besonderen
Art.
({1})
Davon, wie Sie in einer Rede gleichzeitig das Ja und das
Nein zur Quote begründet haben, kann einem schon
schwindlig werden.
({2})
Herr Kauder, die Menschen, die uns heute zuhören,
wollen nicht länger erleben, wie Sie von den Regierungsfraktionen hier Pirouetten drehen. Sie wollen klare
Ansagen. Sie wollen vor allen Dingen, dass für die
Frauen in unserem Land etwas passiert. Recht haben die
Frauen, die das erwarten.
({3})
So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das sehen auch viele
in Ihren eigenen Reihen so. Frauen werden in der Wirtschaft immer noch benachteiligt. Viel zu wenige steigen
in Führungspositionen auf. In den 200 größten Unternehmen sind nur 13 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder
Frauen, in Vorstandsetagen weniger als 4 Prozent 4 Prozent! Dabei gibt es sie, die qualifizierten und inzwischen auch erfahrenen Frauen. Sie stehen in den Startlöchern; aber in den Startlöchern werden sie eben auch
stecken bleiben.
({4})
Wenn wir in dem bisherigen Tempo weitermachen, dann
dauert es nämlich bis zur Mitte des Jahrhunderts, bis
40 Prozent der Sitze in Aufsichtsräten mit Frauen besetzt
sind, und das ist entschieden zu spät.
({5})
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie wissen oder
können wissen: Das reicht nicht. Das reicht, wie wir in
den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, auch
vielen Frauen aus den Reihen der Koalition nicht; das
sollte auch vielen Männern nicht reichen.
({6})
Wenn Frau Schröder und andere jetzt mit dem Thema
„Selbstverpflichtung der Wirtschaft“ kommen, dann
kann ich nur sagen: Das ist nun wirklich keine neue Erfindung.
({7})
Darauf haben früher schon andere gesetzt. Aber seitdem
sind zwölf Jahre vergangen, und bewegt hat sich fast
nichts.
({8})
Deswegen muss endlich Schluss sein mit Reden, Lamentieren und Programmrhetorik. Jetzt müssen Taten her und wenn ich von Taten spreche, dann meine ich nicht
diesen Flexi-Quoten-Quatsch, den die sogenannte Frauenministerin angeboten hat.
({9})
Ich weiß nicht, was mich in dieser Situation fassungsloser macht: die Ignoranz, die dahintersteckt, wenn man
das Problem überhaupt nicht erkennen will, oder aber zu
wissen, was eigentlich zu tun ist, und dann am Ende, wie
ich befürchte, hier im Hause gegen die eigenen Überzeugungen zu stimmen.
Jetzt wäre Gelegenheit, ich korrigiere mich: jetzt wäre
es eigentlich Pflicht, in diesem Hohen Hause Farbe zu
bekennen. Das verlangt in einer solchen Situation Standhaftigkeit. Es ist doch keine Überraschung - es war zu
erwarten -, dass das hier nicht ganz einfach über die
Bühne geht. Aber kaum steigt der Druck im Kessel etwas an, fallen die Reihen um. Vor allen Dingen fallen sie
auf einen billigen Kompromiss rein, mit dem Frau
Merkel oder wer auch immer sie in den letzten Tagen
aufs Glatteis geführt hat.
({10})
Statt heute und hier eine gesetzliche Regelung zu
schaffen, vertrösten Sie die Frauen in Deutschland mit
einer vagen Ankündigung im Wahlprogramm, die - wir
haben es eben von Ihnen noch einmal gehört, Herr
Kauder - die Einführung der Frauenquote in 2020
({11})
in Aussicht stellt. Warum nicht gleich auch die Einführung eines Mindestlohns für das Jahr 2090?
({12})
Das ist doch Heuchelei! Das ist Volksverdummung, was
hier stattfindet!
({13})
Die zeitliche Perspektive - erlauben Sie mir, das zu
sagen - ist aber nur das eine. Noch verrückter ist, dass
Sie den Menschen in diesem Lande verkaufen wollen,
dass Sie die Einführung der Quote 2020 mit Ihrem
Wunschpartner, mit der FDP, durchsetzen wollen.
({14})
Sie müssen doch begreifen, dass die Bekenntnisse zu
Schwarz-Gelb auf der einen Seite und zur Quote auf der
anderen Seite überhaupt nicht zusammenpassen. Das ist
Heuchelei. Sie wollen die Leute hinter die Fichte führen,
und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({15})
Nein, ich bleibe dabei: Mit dem, was Sie hier vorschlagen, lassen Sie die Frauen im Regen stehen. Sie stehen da wie der Kaiser ohne Kleider. Außer wohlfeilen
Versprechen haben Sie nichts anzubieten. Ich ahne, dass
die Vorentscheidungen bei Ihnen längst gefallen sind.
Dennoch gebe ich nicht auf und appelliere noch einmal
an Ihre Vernunft, an Ihren Mut und auch an Ihre Ehre:
({16})
Nehmen Sie sich selbst ernst! Nehmen Sie die Frauen
ernst, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu!
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
richte mich zuerst an die Kollegen von der SPD. Sie fordern die Wirtschaft auf, hier aktiver zu sein. Was ist denn
in Niedersachsen? Dort sind von den zwölf Staatssekretären nur vier weiblich. Ich denke, da hätten Sie die
Möglichkeit gehabt, eine Vorbildfunktion einzunehmen.
({0})
Ich weiß gar nicht mehr genau, wie oft wir in den vergangenen Monaten über die Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsräte gesprochen haben. Heute geht es
zum ersten Mal nicht nur um den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen, sondern auch
um einen Beschluss des Bundesrates. Das ändert aber
nichts an der Tatsache, dass wir uns bei den Argumenten
im Kreis drehen.
({1})
In den letzten Tagen habe ich kein neues Argument gehört. Das gilt auch für den internen Streit bei unserem
Koalitionspartner. Die Standpunkte sind klar. Bemerkenswert ist allerdings, wie die Union ihre Reihen geschlossen hat. Ich staune über die politische Kultur bei
unserem Koalitionspartner.
({2})
Es ist schon bemerkenswert, wenn eine Minderheit
plötzlich Parteitagsbeschlüsse kippt. Ich bin gespannt,
was der nächste Parteitag letztlich beschließt.
({3})
Wir Liberale sind jetzt also die einzige Fraktion im
Bundestag, die Unternehmen nicht per Gesetz zwingen
wird, einen festen Anteil Aufsichtsratsposten an Frauen
zu vergeben. Es gibt aber auch in unserer Fraktion einige
wenige Kolleginnen, die eine Quotierung befürworten.
Die große Mehrheit meiner Fraktion lehnt diese Form
der Zwangsregulierung aber ab.
({4})
Wir werden die Unternehmen jedenfalls nicht unter Androhung von Strafen zur Quote verdonnern. Wir wollen
nicht Teil einer Regierung sein, die Unternehmen immer
wieder neue Vorschriften macht.
({5})
Deshalb will ich hier der Wirtschaft ganz klar sagen: Sie
stehen nicht auf verlorenem Posten. Wir werden nicht
stillschweigend zulassen, dass Ihnen im rauen Wettbewerb ein wichtiges Stück Freiheit genommen wird.
({6})
Wir sehen doch, welche Klimmzüge vor allem börsennotierte Unternehmen machen, seit das Schreckgespenst
Quote die Runde macht. Insofern kann ich der Quotendebatte und dem damit verbundenen Druck auf die Personaler durchaus etwas Positives abgewinnen.
Nie zuvor suchten Headhunter so gezielt nach weiblichen Führungskräften, und das ist auch gut. Denn natürlich gibt es genügend Frauen, die qualifiziert für Aufsichtsräte und Vorstandsposten sind. Es steht außer
Frage, dass nicht nur in Aufsichtsräten, sondern auch in
Vorständen und Führungspositionen zu wenige Frauen
vertreten sind. Es steht auch außer Frage, dass die Wirtschaft leider erst sehr spät reagiert hat. Es ist nicht erst
seit gestern so, dass Frauen gewaltig auf dem Vormarsch
sind, dass viel mehr Frauen als noch vor 20 Jahren Karriere machen wollen
({7})
und zudem - statistisch gesehen - die besseren Abschlüsse präsentieren, wenn sie sich bewerben.
Auch der Fachkräftemangel ist kein Phänomen, das
plötzlich vom Himmel gefallen ist. Die Wirtschaft hat
auch in den mittleren Ebenen, also nicht nur bei den
Spitzenfunktionen in Unternehmen und Verbänden, die
Frauenfrage viel zu spät aufgegriffen. Diesen Vorwurf
muss sich die Wirtschaft gefallen lassen. Die Familienunternehmen zeigen schon lange, wie es geht. Hier sind
Frauen in Führungspositionen selbstverständlich.
({8})
Dennoch bleibt festzuhalten: Für Aufsichtsräte braucht
Deutschland keine Regelung; denn hier ist Bewegung.
Deshalb ist es völlig unverständlich, warum ausgerechnet jetzt, wo es eindeutig den Trend hin zu mehr Frauen
in Schlüsselpositionen gibt, das Geschacher um eine gesetzliche Quote weitergeht. Ganz ohne Gesetz und noch
bevor das Superwahljahr überhaupt begonnen hat, sind
heute - hören Sie bitte einmal zu! - mehr als 20 Prozent
der DAX-30-Aufsichtsräte Frauen, sagte gerade KlausPeter Müller, Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank und Chef der Regierungskommission für gute Unternehmensführung in einem Interview. Selbst die Initiative „Mehr Frauen in die Aufsichtsräte“, FidAR, stellt in
der neuesten Bilanz fest, der Druck auf börsennotierte
Unternehmen, mehr Frauen in Aufsichtsräte und Vorstände zu bringen, zeige Wirkung. Demnach haben seit
Januar 2011 33 der 160 börsennotierten Unternehmen
erstmals in ihrer Geschichte eine Frau in die Kontrollgremien berufen.
({9})
Von neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten wurden
2012 rund 40 Prozent an Frauen vergeben. Das ist noch
kein Meilenstein, aber dennoch ein klarer Trend.
Da muss die Frage erlaubt sein, aus welchem Grund
und mit welchem Politikverständnis nun doch noch eine
Quote für Aufsichtsräte her muss. Wir sollten die Kirche
im Dorf lassen und bei den Aufsichtsräten und Vorständen dem Ganzen ein bisschen mehr Zeit lassen. Im Deutschen Corporate Governance Kodex für Standards zur
Unternehmensführung ist die Förderung von Frauen bekanntlich festgeschrieben; wir müssen den Kodex allerdings noch etwas wirken lassen. Die Unternehmen sind
weiter in der Pflicht. Hier werden wir den Finger in die
Wunde legen.
({10})
- Selbstverständlich. - Vor allem beim Führungskräftenachwuchs gibt es Handlungsbedarf. Nicht die oberste
Hürde ist die schwerste, sondern die darunter. In der
zweiten Ebene müssen mehr Frauen im operativen Geschäft gefördert werden.
Die FDP-Fraktion wird heute also wieder gegen gesetzlich verordnete Quoten stimmen. Quoten sind auf
Ergebnisgleichheit ausgerichtete Vorgaben und nichts
anderes als Planwirtschaft.
({11})
Dieser Kollektivismus steht im krassen Widerspruch zu
unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
({12})
Ich ganz persönlich, als Liberale von Grund auf,
glaube einfach nicht an von oben erzwungene Vorgaben.
Leistungsbereitschaft wird sich auszahlen.
({13})
Es ist doch das ureigenste Interesse der Unternehmen,
nach den Besten Ausschau zu halten und nicht nach
Frauen, weil sie zahlenmäßig als Nächstes dran sind.
({14})
Noch eines zum Schluss: Die ganze Debatte um die
Einführung von Frauenquoten geht total am Willen der
Bevölkerung vorbei. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat gerade Frauen und Männer gefragt, was der
Staat tun sollte, um Chancengerechtigkeit - über die
sollten wir reden - zu fördern. Das Ergebnis ist eindeutig. An erster Stelle, mit 71 Prozent, wird eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert. Mit lediglich 18 Prozent liegt die Einführung einer Quote für
Spitzenpositionen abgeschlagen auf dem letzten Platz
der Wünsche der Befragten. Das sollte doch nachdenklich machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion
ist für die Förderung aller Frauen und nicht nur für die
kleine Gruppe der Frauen in Aufsichtsräten. Wir werden
deshalb den Bundesratsbeschluss wie auch den Antrag
der Grünen ablehnen.
({15})
Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
Fraktion Die Linke im Bundestag gibt es 42 Frauen und
33 Männer,
({0})
in der Fraktion der FDP im Bundestag gibt es 24 Frauen
und 69 Männer. Ich sage Ihnen, Frau Bracht-Bendt:
Wenn das, was Sie hier gerade vorgetragen haben, Ihre
Auffassung bleibt, wird sich daran niemals etwas ändern.
({1})
Der Druck zur Einführung einer gesetzlichen Quote
für Frauen in Aufsichtsräten ist kein Erfolg einer Partei,
sondern sehr vieler Frauen und eher weniger Männer, die
seit Jahren in Verbänden, Universitäten, Zeitungsredaktionen und Unternehmen kämpfen. Eine Initiative möchte
ich besonders hervorheben: die „Berliner Erklärung“.
Frauen aus vielen Verbänden und aus allen fünf Bundestagsfraktionen, unterstützt von Zehntausenden, haben
sich dort zusammengefunden. Heute hätten wir die
Chance für eine gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten gehabt. Sie wird wohl verspielt werden. Aber der
Druck des Bündnisses „Berliner Erklärung“ für - jetzt
zitiere ich wörtlich - „eine gerechte Gesellschaft, die
Frauen und Männern die gleichen Verwirklichungs- und
Teilhabechancen auch praktisch einräumt“, wird noch
deutlich zunehmen.
({2})
Sie, Herr Kauder, haben gesagt - Herr Brüderle vertritt die gleiche Auffassung -, dass man keine zwangsweise Erziehung der Erwachsenen staatlich durchführen
sollte. Herr Kauder, Herr Brüderle, wenn es ohne gehen
würde, müssten wir in Wirtschaft, Politik und Kultur
eine ganz andere Zusammensetzung haben. Die haben
wir aber nicht, und deshalb brauchen wir endlich die
Quote.
({3})
Der Antrag aus dem Bundesrat, initiiert vom Hamburger
Senat, ist nicht so überwältigend. Mein Gott! Eine Quote
von 20 Prozent, und das erst im Jahre 2018, ist der Kompromiss. Das bedeutete für die 30 großen DAX-Unternehmen gerade einmal 44 Frauen mehr. Darum machen
Sie ein Gesums, als ob das Ganze das Ende der Bundesregierung und des Abendlandes bedeuten würde.
({4})
Aber ich sage Ihnen: Sie haben sogar in beiden Punkten recht. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb wird die
Bundesregierung tatsächlich abgewählt werden. Das
Abendland geht insoweit unter, als es in ihm typisch war,
Frauen die Entscheidungen innerhalb der Wohnungen
und Männern die Entscheidungen außerhalb der Wohnungen zuzuweisen. Auch das muss ein Ende nehmen.
Meine lieben konservativen Herren, ich sage Ihnen das
ganz offen: Diese Zeit ist vorbei.
({5})
Ich sagte schon, die Initiative aus dem Bundesrat ist
eher unzureichend. Aber sie wäre dennoch ein erster
Schritt hin zu einer gesetzlichen Frauenquote, der berühmte Fuß in der Tür, der sie öffnet. Ich sage das heute
auch selbstkritisch. Das Lebenspartnerschaftsgesetz war
auch der berühmte Fuß in der Tür. Seitdem haben sich
die Dinge bis hin zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt. Deshalb ärgere ich mich noch
heute über mich selbst, dass ich mich damals der Stimme
enthalten habe. Ich hätte zustimmen sollen, weil man das
Öffnen einer Tür immer unterstützen muss. Sie geht
dann von allein immer weiter auf.
({6})
Es geht doch nicht um die eher marginalen Interessen
gutverdienender Managerinnen, die in die obersten
Chefetagen wollen, obwohl auch das schon eine unterstützenswerte Forderung ist. Es geht um die gesellschaftliche Bewertung sogenannter Frauen- und Männerarbeit,
das Aufbrechen von Rollenstereotypen und die gleichberechtigte Teilhabe in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft
und Kultur. Mich stört nicht nur, dass die Forderung
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in unserer Gesellschaft nicht durchgesetzt ist, sondern mich stört auch,
dass die Forderung „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ noch gar nicht genügend erhoben wird.
({7})
Sogenannte Frauenarbeit ist immer weniger wert. Ich
weiß, dass der Stahlarbeiter eine harte Arbeit leistet, und
er soll gut verdienen. Aber die OP-Schwester leistet eine
genauso harte Arbeit, und sie soll genauso gut verdienen.
Das müssen wir endlich durchsetzen.
({8})
Es geht um eine gerechte Teilhabe im Berufsleben.
Die erfordert dann allerdings auch eine gerechte Teilhabe in der Familie, in der Partnerschaft, gegenüber Kindern und anderen Angehörigen und im Haushalt. Das
wollen Sie verhindern, Herr Kauder und Herr Brüderle?
({9})
Es gibt Frauen in der Union, die sich für das Gesetz
einsetzen wollten. Die haben Sie so unter Druck gesetzt,
dass die sich heute nicht trauen, dafür zu stimmen. Was
bekommen Sie dafür? Statt eines Gesetzes ein Stück Papier. Ich sage Ihnen: Was Sie in Ihr Wahlprogramm hineinschreiben, steht noch nicht im Koalitionsvertrag; da
hat Herr Steinmeier völlig recht. Sie rufen überall, Sie
wollen die Koalition mit der FDP fortsetzen, und die
sagt: So etwas kommt gar nicht in den Vertrag der Regierungskoalition. Also ist das doch für nichts, Frau von
der Leyen. Dafür geben Sie das auf? Sie hätten heute
wirklich einmal Courage beweisen müssen, statt so ein
Stückchen Papier.
({10})
Selbst wenn es im Koalitionsvertrag steht - wir kennen
das ja von der Angleichung der Rentenwerte Ost und
West -, streichen Sie es dann hinterher, und es findet
nicht einmal statt.
({11})
Ich glaube, die Frauen aus der Union und auch aus der
FDP, die jetzt umgekippt sind, werden sich später
schwere Vorwürfe machen. Immerhin haben die CDUMinisterpräsidentin aus dem Saarland und der CDU-Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt im Bundesrat zugestimmt. Die hatten mehr Mumm; das muss ich einmal
ganz klar sagen.
({12})
Der Kompromiss des Bundesratsentwurfs ist doch
nicht nur für die Konservativen ein weiter Weg, sondern
aus umgekehrter Richtung auch für uns; denn wir wollen
schneller und mehr Gleichstellung. Wir haben heute aber
die Chance, ein Zeichen gegen die anhaltende Diskriminierung der weiblichen Bevölkerungsmehrheit zu setzen.
Ich sage Ihnen am Schluss: Frau Merkel, Herr
Kauder, Herr Brüderle, es ist schlimm, dass Sie heute
Frauen zwingen, gegen Frauenrechte zu stimmen.
({13})
Das Wort hat nun Bundesministerin Kristina
Schröder.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schon dreist,
({0})
wie sich SPD und Grüne hier präsentieren.
({1})
Sie waren es doch, die 2001 das Thema „Frauen in Führungspositionen“ in einen zehn Jahre langen Dornröschenschlaf versetzt haben.
({2})
Sie waren es, die rot-grüne Bundesregierung, die 2001
mit den Arbeitgeberverbänden einen Handel abgeschlossen hat,
({3})
der nur ein einziges Ziel hatte, nämlich die Frauen ruhigzustellen.
({4})
Das, was Sie, Herr Steinmeier, uns eben wieder tränenreich als gescheiterte Selbstverpflichtung der Wirtschaft
verkauft haben, war in Wahrheit ein Deal auf dem Rücken
der Frauen.
({5})
Ich lese Ihnen gerne einmal vor, was Gerhard
Schröder damals mit viel jovialem Schulterklopfen als
rot-grüne Selbstverpflichtung präsentiert hat:
({6})
Die Spitzenverbände der Wirtschaft sagen zu, ihren
Mitgliedern betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern … zu empfehlen.
Na, Donnerwetter!
({7})
Das kann man sich ja richtig vorstellen, wie da der Herr
Hundt dem Herrn Ackermann begegnet und sagt: „Du,
ich empfehle dir da mal ’ne Maßnahme.“
({8})
Meine Damen und Herren, das ist einfach nur naiv.
({9})
Frau Ministerin, die Kollegin Bender hat den Wunsch
nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen? Nein.
({0})
Schmutzig wurde dieser Deal aber dann durch die Gegenleistung der rot-grünen Bundesregierung. Ich zitiere
noch einmal:
… wird die Bundesregierung keine Initiative ergreifen, um die Chancengleichheit von Frauen und
Männern in der Privatwirtschaft auf gesetzlichem
Wege zu erreichen.
Meine Damen und Herren, was Sie damals gemacht
haben, war nichts anderes als ein Stillhalteabkommen
zulasten der Frauen.
({0})
Außerdem behaupten Sie permanent, das seien damals Selbstverpflichtungen von Unternehmen gewesen.
Ich sage Ihnen, wie viele Unternehmen da unterschrieben haben: null, kein einziges Unternehmen. Sie haben
sich mit unverbindlichen Absichtserklärungen auf Funktionärsebene zufriedengegeben, und Sie haben kein einziges Unternehmen direkt in die Pflicht genommen.
({1})
Die Behauptung, es gebe seit 2001 Selbstverpflichtungen von Unternehmen, ist schlichtweg falsch.
({2})
Erst seit 2011 gibt es konkrete Zielvorgaben von Unternehmen, nämlich seitdem ich das eingefordert habe,
({3})
und diese Methode wirkt, meine Damen und Herren
({4})
- Ja, da können Sie ruhig schreien. Schreien können Sie
gut.
({5})
Sie können auch gut Anträge schreiben.
Aber was tun Sie denn, wenn Sie konkret etwas zu sagen haben?
({6})
Beispiel VW. Das Land Niedersachsen kann zwei Plätze
im Aufsichtsrat dieses Unternehmens besetzen. Und wen
hat die neue rot-grüne Landesregierung auf diese Plätze
gesetzt? Zwei Männer!
({7})
Wenn Sie nur eine einzige Frau dafür genommen hätten,
dann läge die Frauenquote im VW-Aufsichtsrat heute
schon dort, wo sie nach dem von Hamburg in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesantrag 2018 sein soll.
({8})
Was Sie hier inszenieren, das ist einfach scheinheilig und
verlogen, meine Damen und Herren!
({9})
Nächstes Beispiel: öffentlicher Dienst. Die rot-grüne
Landesregierung hat drei Polizeipräsidien neu besetzt.
Die Präsidenten dieser Polizeipräsidien waren zwei
Männer und eine Frau.
({10})
Als erste Amtshandlung hat Rot-Grün sie abgesetzt und
ersetzt durch - Sie ahnen es - drei Männer.
({11})
Da hat sich eine Frau in dieser Männerdomäne nach
oben gekämpft, und was machen Sie? Sie haben nichts
Besseres zu tun, als sie durch einen Mann zu ersetzen,
damit die in den Spitzenpositionen wieder unter sich
sind!
({12})
Ein letztes Beispiel? Gerne! Der Hamburger Gesetzesantrag betrifft zum Beispiel auch den Aufsichtsrat
von Borussia Dortmund,
({13})
einem börsennotierten Unternehmen im CDAX. In diesem Aufsichtsrat sitzt der Kanzlerkandidat Peer
Steinbrück zusammen mit - Sie ahnen es - fünf anderen
Männern.
({14})
Dann fragen Sie Herrn Steinbrück doch mal hier und
jetzt, ob er denn bereit ist, seinen Posten im Aufsichtsrat
für eine Frau zu räumen! Das wäre doch mal ein Zeichen, dass er es ernst meint, meine Damen und Herren!
({15})
Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie
haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Im Moment kann man Ihre Frauenpolitik leider nicht
ernst nehmen. Sie scheitern an Ihren eigenen Ansprüchen. Sie glauben, damit ein Wahlkampfthema gefunden
zu haben und die Koalition zu spalten. Damit werden Sie
auch heute scheitern.
({0})
Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schröder,
das war unter Niveau.
({0})
Frau Schröder, wir sind hier nicht in einer Märchenstunde. Sie sind die Bundesministerin für Frauen, auch
wenn wir es manchmal überhaupt nicht glauben mögen,
dass „Frauen“ im Titel Ihres Ministeriums vorkommt.
Wir sind auch nicht im Jahr 2001, sondern wir sind
zwölf Jahre weiter.
({1})
Genau das, Frau Schröder, zu was die Bundeskanzlerin und Ihr Fraktionsvorsitzender Sie jetzt zwingen, ist
das, was Sie so bezeichnet und uns von Rot-Grün vorgeworfen haben: ein Stillhalteabkommen zulasten der
Frauen.
({2})
Frau Schröder, Sie haben als Ministerin wirklich alles
getan, um die Quote zu verhindern.
({3})
Sie haben die Flexi-Quote erfunden, um eine ordentliche
Quote, die Frauen in Führungspositionen bringt, zu verhindern.
({4})
Sie haben nicht einmal die Flexi-Quote vorgelegt.
({5})
Sie haben nämlich gar nichts vorgelegt.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition und
diese Bundesregierung haben nicht einen einzigen Vorschlag gemacht, sei er auch noch so klitzeklein, wie wir
es schaffen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen
zu erhöhen. Nicht einen!
({7})
Kein einziger Antrag, kein Versuch, mit uns gemeinsam
etwas auf den Weg zu bringen! Nichts!
({8})
Einfach gar nichts haben Sie vorgelegt!
Wissen Sie was, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU, von der CSU und von der FDP? Wir machen
Ihnen heute ein ernsthaftes und, wie ich finde, unschlagbares Angebot, für mehr Frauen in großen deutschen
Unternehmen zu stimmen. Ich finde, es ist ein ziemlich
gutes Angebot, das wir Ihnen machen. Sie könnten heute
die Gelegenheit nutzen, zu zeigen, dass auch Sie wollen,
dass Frauen eine faire Chance bekommen, gleichberechtigt mit Männern große deutsche Unternehmen zu leiten,
und dass Sie Frauen das zutrauen. Ich bedauere wirklich,
dass Sie das Angebot ausschlagen, obwohl ich persönlich nicht eine Minute damit gerechnet habe, dass Sie zustimmen. Trotzdem ist das schade, nämlich schade für
die Frauen, meine Damen und Herren.
({9})
Sie veranstalten hier ein unwürdiges Gezerre,
({10})
einen Klamauk mit Ihrem Wahlprogramm.
Ich darf einmal die Frage stellen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Fraktionsvorsitzender Kauder: Wer beschließt eigentlich in Ihrer Partei über ein Wahlprogramm?
({11})
Haben die Delegierten eigentlich noch ein Wörtchen
mitzureden, oder machen das nur drei Personen unter
sich aus?
({12})
Nun muss ich mich nicht um Ihre innerparteiliche Demokratie sorgen,
({13})
aber das, was mich wundert, ist, dass die Couragierten,
die ich in Ihren Reihen auch kennengelernt habe, sich
damit vertrösten lassen. Das ist in der Tat ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. Es waren vier verlorene
Jahre - es sind fast vier Jahre - für die Frauen. Das bedauere ich wirklich sehr.
Frau Bundeskanzlerin, ich zitiere Sie einmal. Am
8. Februar 2011 bezeichneten Sie die niedrige Anzahl
weiblicher Führungskräfte in Chefetagen als Skandal.
Vor Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften kritisierten Sie, dass trotz
der Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem Jahr
2001 keine nennenswerten Verbesserungen eingetreten
seien. Und, Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen: „Seien Sie
kreativ, sonst werden wir kreativ sein.“
({14})
Also, Kreativität kann ich auf dieser Seite des Hauses
nun einmal überhaupt nicht erkennen.
({15})
Dann - in der Woche rund um den Internationalen
Frauentag; wir erinnern uns gut - ergeht eine Weisung
der Bundeskanzlerin höchstpersönlich, gegen den Vorschlag von Viviane Reding zu sein, auf der europäischen
Ebene Frauenquoten auf den Weg zu bringen. Das Interessante ist, die Argumentation der Bundesregierung ist,
jeder Mitgliedstaat soll das bitte selbst machen, und Europa soll sich heraushalten. Ja, bitte, was erleben wir
denn hier? Jeder Mitgliedstaat soll das selbst machen. In
Deutschland: Fehlanzeige!
({16})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier einen Handlungsauftrag. Ich weiß, das ist schon oft bemüht worden, aber
ich möchte es noch einmal sagen: Wir haben aus Art. 3
Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes eine Verpflichtung. Wir
können hier nicht das machen, was wir wollen, und wir
können das auch nicht unter beliebiges Parteikalkül stellen, sondern wir haben einen Handlungsauftrag. Wir haben gesehen: Die freiwillige Vereinbarung hat nichts
gebracht. Also müssen wir hier zu einer Regelung kommen. Wir brauchen endlich eine verpflichtende gesetzliche Quote für die großen deutschen Unternehmen, die
dafür sorgt, dass die tollen Frauen, die wir im Land haben,
endlich an die Plätze kommen, die ihnen zustehen.
({17})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, es ist das dümmste Argument, das wir in der
Debatte immer wieder hören, dass ungeeignete Frauen
auf Spitzenposten kommen.
({18})
Glaubt eigentlich irgendjemand, dass die Tatsache, dass
96 Prozent der Vorstandsposten mit Männern besetzt
sind, irgendetwas mit der Qualifikation zu tun hat?
Glaubt das eigentlich irgendjemand ernsthaft hier in diesem Haus?
({19})
Glaubt irgendjemand, dass 4 Prozent Frauen ein Ergebnis von „Bestenauslese“ sind? Glaubt das jemand hier in
Ihren Reihen? Das ist doch wohl großer Quatsch. Meine
Damen und Herren, was ist das für ein Signal an die vielen tollen Frauen in unserem Land, wenn wir ihnen sagen, Bestenauslese führt dazu, dass 96 Prozent Männer
in Vorständen sitzen? Das ist indiskutabel.
({20})
Ich möchte gern Thomas Sattelberger zitieren. Ihn
hatten wir bei unserer Anhörung im Rechtsausschuss,
die wir gemeinsam mit dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt haben. Thomas
Sattelberger hat ein Zitat gebracht, und ich schließe mich
dem uneingeschränkt an, auch wenn ich nicht dabei bin.
Er hat gesagt: „Karrieren werden beim Pinkeln entschieden.“
({21})
Thomas Sattelberger muss es wissen, und ich glaube,
dass das stimmt, auch wenn, wie gesagt, ich nicht dabei
bin.
({22})
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Wir
haben hier einen Handlungsauftrag. Sie hätten heute die
Chance,
({23})
hier eine gute Entscheidung zu treffen.
Ich will noch ein weiteres dummes Argument aufgreifen - Sie, Herr Kauder, haben es wiederholt -: Es wird
immer gesagt, es erledigt sich alles von selbst, wenn wir
erst einmal etwas für Familie und Beruf getan haben. Da
stelle ich einmal fest: Erstens tut die Bundesregierung
überhaupt nichts für die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, und auch diese Koalition ist nur auf die Idee des
Betreuungsgeldes gekommen. Das hilft den Frauen nun
wahrlich nicht weiter.
Zweitens, meine Damen und Herren, ist es auch so:
Wenn es richtig wäre, dass es einzig und allein an der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinge, dann säßen
- das ist nicht schön - aber wenigstens viele Kinderlose
in den Vorstandsetagen, in den Vorständen und Aufsichtsräten. Das ist auch nicht der Fall. Das heißt, es
kann überhaupt nicht an dem Thema Vereinbarkeit von
Familie und Beruf liegen, sondern es liegt daran, dass es
eine systematische Diskriminierung von Frauen ist.
Meine Damen und Herren, ich bin auch der Auffassung, dass sich beim Thema Vereinbarkeit von Familie
und Beruf viel ändert, wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen haben, weil, wie wir wissen, sich dann
in den Betrieben selbst viel ändert. Diese Frauen sind
dann Vorbilder für die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, die auch an den Rahmenbedingungen viel ändern
können.
Wenn ich das nächste Mal zur Quote rede, werden wir
sie beschließen; das werden die vielen klugen Frauen in
unserem Land am 22. September gut entscheiden;
({24})
sie beobachten ja genau, wer hier etwas für die Gleichberechtigung von Frauen tut und wer nicht. Aber trotzdem ein allerletzter Appell: Geben Sie sich einen Ruck!
Stimmen Sie heute mit! Wir machen ein wirklich gutes
Angebot. Das können Sie annehmen. Ich bedaure es
sehr, wenn Sie es nicht tun. Wir sehen uns aber wieder,
und dann beschließen wir die Quote.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat Marco Buschmann für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir vorweg eine Anmerkung zu der
Art und Weise, wie hier diskutiert wird: Wenn ausgerechnet Herr Steinmeier und Herr Gysi den Kolleginnen
insbesondere in der CDU/CSU-Fraktion Ehre absprechen, Ehrlosigkeit attestieren, ist das, wie ich finde, ein
Unding. Den Kolleginnen, die bei einer politischen Gesamtabwägung zu einem anderen Ergebnis kommen als
Sie, die Ehre absprechen zu wollen, das ist das Gegenteil
von Anstand, Kollegialität und Parlamentarismus. Das
finde ich unsäglich.
({0})
Zweite Anmerkung: Wir hatten hier schon viele Debatten. Ich werde aber nicht müde, das Argument - Sie
kennen es - zu erwähnen: Die empirische Überprüfung
Ihrer Theorie, dass sich etwas in der Gesellschaft ändere,
wenn wir bei den wenigen Positionen, um die es geht, etwas aus symbolischen Gründen ändern, ist widerlegt.
({1})
Catherine Hakim von der London School of Economics
hat untersucht, was sich in dem von Ihnen so gepriesenen Quotenmusterland Norwegen in der zweiten, dritten,
vierten Führungsebene unterhalb der quotierten Gremien
tut. Das Ergebnis ist: Nichts! In diesen Ebenen ist der
Anteil weiblicher Führungskräfte sogar niedriger als in
Deutschland. Ihre Theorie ist damit empirisch widerlegt.
Deshalb ist das ein reines Elitenprojekt, aber kein Beitrag zur Gesellschaftspolitik.
({2})
Dass sich hier in Deutschland nichts tun würde, ist
nun wirklich wahrheitswidrig. Frau Schröder hat vorhin
sehr eindrucksvoll darauf hingewiesen,
({3})
dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Stillhalteabkommen, das Sie abgeschlossen haben, und der Maßnahme, die diese Regierung eingeleitet hat, nämlich die
Änderung des Corporate Governance Kodex. Seit 2010
tut sich in der Tat einiges. PricewaterhouseCoopers hat
das untersucht. Von anfangs knapp über 10 Prozent
weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern in DAX-Unternehmen sind wir mittlerweile bei 18 Prozent angekommen.
Wir werden in Kürze auch die 20 Prozent überschreiten.
Das heißt, die Richtung stimmt. Über das Tempo kann
man immer streiten. Zu behaupten, dass sich hier nichts
getan hat, ist schlicht wahrheitswidrig. Sie sollten bei
den Fakten bleiben.
({4})
Wenn Sie jetzt fragen: „Wenn doch die Richtung
stimmt und sich etwas tut, was haben Sie dann gegen die
Quote?“, entgegne ich Ihnen: Das ist ganz einfach. Ich
habe etwas dagegen, dass Sie es jedem Einzelunternehmen vorschreiben wollen. Ich finde, es ist ein Erfolg,
wenn wir insgesamt zu immer höheren Anteilen kommen. Es muss aber doch möglich sein, dass es bei einem
Maschinenbauer anders aussieht als bei einem Finanzunternehmen.
({5})
Wo Sie immer auf die Abschlüsse hinweisen: Sie sehen doch auch, dass heute beispielsweise in den MINTFächern, die für die Maschinenbauer und Automobilbauer von entscheidender Bedeutung sind, Frauen- und
Männeranteile unterschiedlich sind. Auf diese Fakten
wird man doch wohl hinweisen dürfen, meine Damen
und Herren.
({6})
Meine Damen und Herren, eine weitere Frage lautet:
Warum ist der Anteil weiblicher Mitglieder in Aufsichtsräten insgesamt noch nicht höher? Auch hier hilft ein
Blick auf die Fakten. Wenn Sie sich die Gremien von Kapitalgesellschaften hinsichtlich deren Zusammensetzung
anschauen, dann ist das zwangsläufig immer ein Blick in
die Vergangenheit. In deutschen Aufsichtsräten sind die
Mitglieder zwischen 50 und 70 Jahre. Warum? Die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat schließt sich meist einer erfolgreichen Laufbahn in einem Vorstand an. Wenn Sie einen
Berufseintritt von 25 Jahren unterstellen, dann reden wir
also über die Abschlussjahrgänge der Universitäten Ende
der 60er-Jahre bis in die 80er-Jahre hinein. Frau Künast
sagt nun: In den heutigen Abschlussjahrgängen machen
Frauen und Männer in gleichem Umfang Abschlüsse. Das ist ja auch richtig. Deshalb wird es in Zukunft einen
immer höheren Frauenanteil geben. Aber das war eben in
den Jahrgängen, die heute in den Aufsichtsräten sitzen,
nicht so. Deshalb dauert es eine gewisse Zeit, bis wir da
den Anteil erreichen, den wir erreichen wollen. Auch darauf wird man hinweisen dürfen, meine Damen und Herren.
({7})
Letztlich bin ich es, offen gestanden, leid, dass Sie allein die Privatwirtschaft an den Pranger stellen. Sie tun
immer so, als gäbe es in den privaten Unternehmen eine
finstere Verschwörung, die sich hier dem Fortschritt verweigert.
({8})
Sie stellen gezielt die Privatwirtschaft an den Pranger.
Warum reden wir nicht über die Wohlfahrtsverbände?
Das sind die größten Arbeitgeber in Deutschland.
Schauen wir uns den Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes an: sechs Männer und zwei Frauen. Warum sprechen Sie denn nicht darüber?
({9})
Schauen wir uns den Vorstand der SPD-nahen FriedrichEbert-Stiftung an: acht Männer und zwei Frauen.
({10})
Warum reden wir nicht darüber? Warum gilt für diese
Organisationen etwas anderes? Das ist nicht konsequent.
All das zeigt nur: Sie wollen hier schlichtweg Wahlkampf machen, nach dem alten sozialdemokratisch-linken Motto: In den Unternehmen sitzen die bösen Kapitalisten; die müssen wir an den Pranger stellen. Aber über
die Fakten in der Breite der Gesellschaft, darüber, dass
wir abseits der Privatwirtschaft große Arbeitgeber haben,
für die das genauso gelten sollte - gerade im Bereich der
Wohlfahrtsverbände sind besonders viele Frauen als Arbeitnehmerinnen beschäftigt -, verlieren Sie kein Wort.
Denn am Ende wollen Sie keine Politik gegen die gläserne Decke machen, sondern nur Politik für das Schaufenster des Wahlkampfs. Dabei machen wir nicht mit.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank, Kollege Marco Buschmann. - Als
nächste Rednerin auf unserer Liste spricht nun für die
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara
Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Höll.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau von der Leyen, das war es dann wohl mit
dem Image als Kämpferin und Gewinnerin; es hat sich
erledigt.
({0})
So wenig Frauen auf Sie als Person setzen können, so
wenig können Frauen in der Bundesrepublik Deutschland auf die schwarz-gelbe Koalition setzen.
({1})
Bascha Mika erinnerte in einer Kolumne an einen
Ausspruch der früheren US-amerikanischen Außenministerin Albright. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren:
Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf
Frauen, die anderen Frauen nicht helfen.
Ich bin Atheistin, und ich kämpfe für Frauen, aber diejenigen, die glauben und nicht kämpfen, sollten sich das
vielleicht zu Herzen nehmen.
({2})
Warum haben Sie nun eine solche Angst? Die Angst
ist so groß, dass die CDU/CSU-Fraktion beschlossen
hat, dass ein Drittel der Rednerinnen und Redner in dieser Debatte Männer sein sollen und diese zwei Männer
gleich 59 Prozent der Redezeit bekommen sollen, also
mehr als die vier Frauen zusammen. Das verstehen Sie
unter einer gleichberechtigten Aufteilung.
Männer aus CDU/CSU und FDP, Bankenwelt und Industrie scheren sich nicht, aber auch gar nicht um die
gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in
unserer Gesellschaft.
Frau Schröder, ich gebe Ihnen in einem Punkt recht:
Ja, es gibt Fälle - Sie haben hier Beispiele aufgezählt -,
in denen die Situation trotz rot-grüner oder rot-roter Regierung nicht so gut ist.
({3})
Aber genau deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, damit wirklich alle gezwungen werden.
({4})
Nicht die Aufzählung von Beispielen bringt uns weiter;
wir müssen vielmehr aktiv werden und unsere Verantwortung tatsächlich wahrnehmen. Aber was passiert
stattdessen? Appelle an die Klugheit der Frauen, an die
Treue der Frauen gegenüber der Fraktion und der Partei
und was nicht noch alles!
({5})
Dafür bekommen die Frauen nichts, aber auch gar nichts
als ein Versprechen. Herr Buschmann hat eben in aller
Deutlichkeit klargemacht, dass selbst dieses Versprechen
nicht einmal das Papier wert ist, auf dem es geschrieben
ist.
({6})
Liebe Herren, ich sage Ihnen: Sie allesamt werden
uns für die Quote noch einmal dankbar sein. Wir als
Linkspartei hatten von Beginn an, schon als PDS, eine
50-prozentige Quotierung bei allen Listenaufstellungen.
Ich verrate Ihnen jetzt wirklich ein Geheimnis. Am Anfang gab es bei dem einen oder anderen tatsächlich noch
ein Zucken in den Mundwinkeln, aber es gab die Quote
von 50 Prozent. Inzwischen standen wir schon öfter vor
der Situation, dass wir so viele gute Frauen hatten, dass
uns die Auswahl schwerfiel; aber wir haben gesagt:
Okay, wir haben nun einmal die 50-prozentige Quotierung; daran werden wir nicht rütteln, wir lassen es in
etwa bei 50 Prozent. - Im Ergebnis sind in unserer Fraktion trotzdem mehr Frauen als Männer.
Aber die Quote erschöpft sich nicht allein in einem
solchen Schutz. Nein, die Quote eröffnet Ihnen als Männern doch völlig neue Möglichkeiten der Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben. Sie bekommen aufgrund der
Quote auch Einblicke in andere Bereiche; denn wir wollen die Quote in allen Bereichen des Lebens: sowohl in
der Erwerbsarbeit, und zwar auf allen Ebenen, in allen
Industriezweigen, als auch im Familienleben und im
Pflegebereich. Ich sage Ihnen eines: Wenn wesentlich
mehr Männer in den rein reproduktiven Bereichen beschäftigt wären, also mit der Erziehung der Kinder, mit
der Pflege von Angehörigen, dann gäbe es für Tätigkeiten in diesen Bereichen nicht wie heute einfach nur ein
Dankeschön oder Minilöhne, sondern sie würden ordentlich bezahlt werden. Außerdem eröffnet die Einführung
einer Quote ihnen auch den Blick für völlig neue Möglichkeiten oder auch Unmöglichkeiten in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben.
({7})
Es geht nicht nur um die Quote. Sicher, die Quote ist
ein erster Schritt, aber es geht auch um die gleichberechtigte Teilhabe aller Männer und Frauen in allen Bereichen des Lebens. Deshalb ist der Wert der Berliner Erklärung sehr hoch anzusiedeln. Frauen aller Fraktionen
hatten diese Erkenntnis, und sie hatten auch den Mut,
diese öffentlich zu vertreten. Man muss schon sagen:
Das war ein wesentlicher Schritt. Aber das, was Sie als
Koalition hier bieten, und die Art und Weise, wie Sie mit
dem Mut dieser Frauen umgehen, ist unter aller Würde.
({8})
Quotengegner fürchten sicherlich vor allem eines:
dass sich nicht nur einzelne Frauen ungerecht behandelt
fühlen, sondern dass Frauen verstehen, dass sie als
Frauen insgesamt ungerecht behandelt werden. Um das
zu zeigen, war die Berliner Erklärung wichtig. Frauen
aus allen Fraktionen haben sich dafür eingesetzt, dass sie
zustande kam. Das ist ein wichtiges Ergebnis.
({9})
Ich möchte Sie noch einmal bitten: Überlegen Sie, ob
der vorliegende Antrag für eine Quote für Sie nicht doch
eine Möglichkeit ist, endlich zu zeigen, dass Sie es mit
dem, was an der einen oder anderen Stelle festgehalten
wurde, ernst meinen. Stellen Sie sich den Frauen
nicht weiter in den Weg. An die Frauen, die sich dem
in den Weg stellen, noch einmal der Satz von Madame
Albright:
Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf
Frauen, die anderen Frauen nicht helfen.
Ich danke.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin für
die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Ekin Deligöz. Bitte schön, Frau Kollegin
Deligöz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist nicht die erste Debatte über die Quote, die wir hier
führen, und es wird hoffentlich auch nicht die letzte sein.
Immer, wenn wir diese Debatte hier geführt haben, haben Vertreterinnen aller Fraktionen in diesem Haus verbale Aufgeschlossenheit signalisiert. Bei allen Podiumsgesprächen, auf allen Veranstaltungen hatten wir eine
verbale Aufgeschlossenheit. Und am Ende wurde die
Quote abgelehnt.
Heute unterbreiten wir einen Vorschlag, der wirklich
sanft gewaschen ist, der mit CDU-Stimmen den Bundesrat passiert hat. Dazu gibt es von den Grünen noch einen
weiteren Vorschlag, in den wir genau das aufgenommen
haben, was Sie angeblich irgendwann einmal umsetzen
wollen. Und am Ende werden die Frauen wieder leer
ausgehen. Gleichstellungspolitik findet in dieser Regierung nicht statt. Das ist die Bilanz dieses Tages.
({0})
Frau Ministerin, Sie stellen sich hier hin und liefern
eine Analyse - schön, gut, ich gebe Ihnen in vielen
Punkten recht -, aber der Auftrag einer Ministerin ist
nicht, zu analysieren, sondern politisch zu gestalten,
politische Antworten zu geben. Aber davon haben wir
gar nichts gehört.
({1})
Was genau wollen Sie denn verändern? Was wollen Sie
anders machen?
({2})
Schön, dass Sie genau da angekommen sind, wo wir bereits vor zehn Jahren gewesen sind, bei der Freiwilligkeit. Wir haben aber dazugelernt. Und Sie? Warum können Sie nicht dazulernen, wenn es darum geht, endlich
einmal etwas voranzubringen? Warum bleiben Sie einfach nur stehen und sagen: „Was irgendwann einmal
richtig war, kann jetzt nicht falsch sein“? Nein, Frau
Ministerin, Sie verraten hier die Sache der Frauen. Das
müssen Sie sich anhören.
({3})
Allen, die sagen, dass es Entwicklungen gibt, dass
sich doch etwas getan hat, sage ich: Der aktuelle WoBIndex, der vor ein paar Tagen von FidAR vorgelegt
wurde, besagt, dass all das, was Sie jetzt groß beschwören - Diversity-Empfehlungen, Corporate Governance
Kodex, Freiwilligkeit - zwar gut klingt, in diesem Land
aber nichts bewegt hat. Es ist, wie es ist: Die Strukturen
sind geschlossen - geschlossen für Frauen.
Ich erinnere daran, dass das Auswärtige Amt davor
gewarnt hat, dass Deutschland mit Wettbewerbsnachteilen
rechnen muss, wenn sich in den Spitzen nichts ändert,
wenn wir nicht mehr Frauen in Spitzenpositionen bekommen. Zumindest dieses Argument muss doch irgendwann einmal bei der FDP ankommen. Hier geht es
um harte Wirtschaftspolitik. Hier geht es nicht darum,
ein paar Frauen zu fördern, sondern darum, Deutschland
nach vorne zu bringen.
({4})
Letztendlich geht es auch um die Wertschätzung der
weiblichen Arbeit. Frauen sind nicht nur gut qualifiziert,
sie wollen auch Verantwortung übernehmen, in der Politik, in der Wirtschaft, überall, wo es darum geht, gemeinsam zu gestalten. Ja - das passt Ihnen nicht -, wir
wollen auch Strukturen aufbrechen. Wir wollen festgefahrene Wege verlassen. Genau darum geht es. Das sind
die wichtigsten Argumente.
Frauen haben in der Politik immer dann etwas bewegt
- Frau Hasselfeldt, Sie wissen das besser; Sie werden
gleich reden -, wenn sie sich verbündet haben, wenn sie
Netzwerke gegründet haben.
({5})
Das waren historische Debatten, das waren die berühmten Sternstunden: Vergewaltigung in der Ehe, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, § 218 StGB. Die Erinnerung daran macht Mut und gibt Hoffnung. Aber diesen
Mut und diese Hoffnung lassen weder CDU noch CSU
zu. Mit diesem Vorwurf müssen Sie umgehen: Sie verhindern hier nicht nur eine Sternstunde, sondern Sie verhindern auch, dass ein Bündnis von Frauen gemeinsam
agieren kann, weil Ihnen Parteiräson wichtiger ist als das
Voranbringen der deutschen Politik.
({6})
Ich will mit einem Zitat enden. Der Schriftsteller
Paulo Coelho sagte einmal:
Die zwei größten strategischen Fehler sind: vor der
Zeit handeln oder eine Gelegenheit vorübergehen
lassen.
Wir lassen hier eine Gelegenheit vorübergehen.
({7})
Wir Frauen und Sie müssen dafür die Verantwortung
übernehmen. Bis Montagmorgen habe ich noch daran
geglaubt, dass die Frauenbündnisse halten. Sie lassen
uns im Stich, und das nehme ich den CDU-Frauen persönlich sehr, sehr übel,
({8})
weil wir für die gemeinsame Sache eingestanden sind,
weil wir gemeinsam gekämpft haben und nun alle gemeinsam leer ausgehen.
Die Verlierer werden am Ende die Frauen sein. Verlierer wird die Gesellschaft sein. Verlierer werden auch die
Unternehmen sein. Vor allem aber brechen Sie ein Versprechen, das wir gemeinsam mit der Berliner Erklärung
gegeben haben. Sie führen uns alle, alle Frauen, die dafür gekämpft haben, vor.
({9})
Das nehme ich Ihnen persönlich übel. Das ist enttäuschend. Das hätte heute ein guter Tag für die Frauen sein
können. Und Sie haben es verdorben.
({10})
Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für
die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Frau
Gerda Hasselfeldt. Bitte schön, Frau Kollegin Gerda
Hasselfeldt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer es bis jetzt noch nicht geglaubt hat, dem ist spätestens während dieser Debatte klargeworden, dass die beiden
von Ihnen vorgelegten Anträge nichts anderes sind als
ein billiges, allzu durchsichtiges Wahlkampfmanöver.
({0})
Ihr Ziel ist nicht, die Situation von Frauen in Führungsfunktionen grundsätzlich zu verbessern, sondern
Ihr Ziel ist es einzig und allein - das haben die ganzen
Beiträge von der ersten Rede an deutlich gezeigt -, einen
Keil in die Koalition zu treiben, uns auseinanderzudividieren und zu spalten.
({1})
Und das wird nicht gelingen.
({2})
Des Weiteren ist mir schon während der ganzen Debatte aufgefallen: Bei vielen Rednern
({3})
und Rednerinnen von unserer Seite ist der Tumult bei Ihnen immer groß, so wie jetzt gerade auch. Wir haben Ihnen allen zugehört, und, ich glaube, die Frauen im Land
verdienen es, dass wir uns gegenseitig zuhören.
({4})
Wenn Sie es wirklich ernst mit der Verbesserung der
Situation und Erhöhung der Anzahl von Frauen in Führungsfunktionen meinen, dann müssen Sie auch dort, wo
Sie wirklich Einfluss haben und dies verbessern können,
mit gutem Beispiel vorangehen.
({5})
- Liebe Frau Schieder, ich sage gleich noch etwas zur
CSU, nicht nur zum Anteil der Frauen, sondern auch zur
Besetzung der Führungsfunktionen in der CSU. Darüber
können wir uns gerne austauschen.
Die Frau Familienministerin hat schon deutlich darauf hingewiesen, wie wenig Niedersachsen mit der eigenen Mehrheit in den Gremien, in denen Führungspositionen zu besetzen waren, getan hat, beispielsweise beim
VW-Aufsichtsrat oder auch bei Polizeipräsidentenstellen.
({6})
An diesem letztgenannten Beispiel wird doch deutlich:
Wenn es um die Partei geht, dann hört es bei Ihnen mit
der Quote auf. Das ist doch die Quintessenz des Ganzen.
({7})
Ähnlich ist übrigens auch die Situation in NordrheinWestfalen. Auch dort hätte die Landesregierung gute
Möglichkeiten gehabt,
({8})
bei der Besetzung einer ganzen Reihe von Verwaltungsrats- und Aufsichtsratspositionen Frauen zu berücksichtigen,
({9})
zumindest so, wie Sie es selbst von anderen Unternehmen einfordern.
({10})
Das ist doch das Erste, was man tut: Dort, wo man selbst
Einfluss nehmen kann, verwirklicht man das, was man
von anderen einfordert.
({11})
Sie haben das nicht getan. Beispielsweise nicht bei
der NRW.BANK, in der acht Positionen im Verwaltungsrat von der Politik besetzt werden. Wissen Sie, wie
viele davon mit Frauen besetzt wurden? Eine einzige.
Auch an diesem Beispiel wird deutlich, was für ein Pharisäertum da bei Ihnen am Werk ist.
({12})
Sie arbeiten mit Überschriften und mit hohlen Phrasen
sowie mit Forderungen an andere, aber nicht mit Taten.
Jetzt, liebe Frau Schieder, will ich Ihnen ein bissl was
zur CSU sagen. Bei uns, in meiner Partei, reden wir
nicht nur über Frauen in Führungsfunktionen, sondern
bei uns haben die Frauen Führungsfunktionen.
({13})
Von sieben Landtagslisten der Bezirksverbände in Bayern
werden fünf von einer Frau angeführt. Fünf von sieben
von einer Frau!
({14})
Auch die Bundestagsliste wird, wie Sie wissen, von einer Frau angeführt.
({15})
Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Einfluss
auf Politik. Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Partnerschaft in der Politik. Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Führungsfunktionen in der Politik.
({16})
Es ist richtig, dass wir noch mehr Frauen brauchen, und
wir werden sie auch im nächsten Bundestag und im
nächsten Landtag haben. Darauf können Sie sich verlassen.
({17})
Meine Damen und Herren, es ist legitim, finde ich,
dass wir uns über die Forderung „Mehr Frauen in Führungsfunktionen!“ nicht nur unterhalten, sondern auch
darüber streiten, welcher Weg der bessere ist, um bei
diesem Anliegen voranzukommen. Das ist ganz legitim.
Ich finde, dass auch Leidenschaft dazugehört. Aber auch
Ehrlichkeit gehört dazu.
({18})
Dort, wo man Einfluss nehmen kann, wo man selbst die
Entscheidungen treffen kann, wo von der Politik die Entscheidungen getroffen werden, sollte man auch im Interesse der Frauen handeln, statt es nur von anderen einzufordern.
({19})
Zur Ehrlichkeit gehört auch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns darüber im Klaren sind:
Unser Augenmerk muss in erster Linie - bei aller Bedeutung der Forderung „Mehr Frauen in Aufsichtsräte!“ auf die Millionen von Frauen in unserem Land gerichtet
sein, deren Hauptsorge nicht ein Mandat in Aufsichtsräten ist,
({20})
sondern deren Hauptsorgen sind: Werde ich genauso bezahlt wie ein Mann? Wie kann ich Familie und Beruf
miteinander vereinbaren?
({21})
Gibt es genügend Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht
nur die staatlich geförderten mit festen Öffnungszeiten,
sondern auch Betreuungsmöglichkeiten, die für die
Kinder einer Krankenschwester, einer Schichtarbeiterin,
einer freien Journalistin, die andere Arbeitszeiten haben,
geeignet sind? Gibt es auch da Förderungsmöglichkeiten? Das sind die echten Probleme.
({22})
Die echten Probleme der Frauen im Land sind auch
die Fragen: Kann ich eine Führungsfunktion in einer Behörde erreichen? Kann ich eine Führungsfunktion in
meinem Unternehmen erreichen: in der Bank, der Versicherung, der Redaktionsstube? Ja, auch dort geht es um einflussreiche Positionen und Führungsaufgaben, nicht nur
in den Aufsichtsräten großer Unternehmen.
({23})
Deshalb: Lassen Sie uns gemeinsam an diesem
Thema arbeiten! Das sind die wichtigsten Anliegen von
Millionen von Frauen. Das andere Thema will ich damit
gar nicht zur Seite schieben; dazu ist alles gesagt worden. Ich werde mich in meiner Partei dafür einsetzen,
dass dieses Anliegen in das Regierungsprogramm aufgenommen wird; darauf können Sie sich verlassen.
({24})
Ich möchte zum Schluss noch einmal zum Ausdruck
bringen: Ehrlichkeit ist das Entscheidende.
({25})
Wort und Tat müssen eine Einheit sein.
({26})
Das ist etwas anderes als das, was Sie heute unter Beweis stellen.
({27})
Da bilden nämlich Wort und Tat keine Einheit, Sie legen
nur Schaufensteranträge vor.
({28})
Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Caren Marks. - Bitte schön, Frau Kollegin Marks.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Frau Hasselfeldt, Sie haben ja eben angesprochen, wie es
denn mit Frauen in verschiedenen Funktionen aussieht.
Da lohnt vielleicht ein Blick auf den Anteil von Frauen
in der Unionsfraktion und in der SPD-Fraktion.
({0})
Sie haben lediglich 19 Prozent Frauen, wir 39 Prozent.
Ich glaube, dem ist nicht viel hinzuzufügen, Frau
Hasselfeldt.
({1})
Sie erwähnten auch das wunderbare Beispiel der
NRW.BANK. Dazu kann ich Ihnen jedenfalls sagen: Da
gibt es vier Männer im Vorstand, und die sind alle von
Union und FDP während der schwarz-gelben Regierungszeit berufen worden. Also, herzlichen Glückwunsch zu
den Realitäten!
({2})
Heute hätten die Frauen und Männer aus den Reihen
der Union und der FDP - ich nenne ausdrücklich auch
die Männer -, die für eine gesetzliche Quote sind, Farbe
bekennen können. Damit hätten sie zeigen können, dass
sie den Auftrag von Art. 3 des Grundgesetzes ernst nehmen, für die Gleichstellung von Frauen und Männern zu
sorgen. Doch es waren leider alles nur Lippenbekenntnisse.
Frau von der Leyen, Sie haben sich als Quotenbefürworterin medial wirksam in Szene gesetzt. Dieses Ziel
haben Sie klar erreicht.
({3})
Das Ziel aber, Frau von der Leyen, die Gleichstellungspolitik heute mit einem klaren Ja zur Quote bei der namentlichen Abstimmung voranzubringen, haben Sie leider nicht nur aufgegeben.
({4})
Sie haben es verraten. Das ist wirklich schade.
({5})
Das in den letzten Tagen von der Union dargebotene
Theaterstück - das sieht ja sogar Ihr Koalitionspartner
genauso -: ein einziges Trauerspiel. Regieführung: Frau
Merkel. Kritik: verheerend.
Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich jedem und jeder klar: Die Zeit ist reif für eine Quote in
unserem Land. Wer sie wirklich will, der muss jetzt
- heute - Entscheidungen treffen. Denn ohne Quote wird
sich hier nichts bewegen, höchstens in 1-MillimeterSchritten, und das sind die Frauen in unserem Land leid.
({6})
Das aktuelle Managerinnen-Barometer aus diesem
Jahr macht es noch einmal deutlich: Nur 4 Prozent aller
Vorstands- und knapp 13 Prozent aller Aufsichtsratssitze
in den Top-200-Unternehmen in Deutschland sind von
Frauen besetzt. Das entspricht einem wirklich lächerlichen Anstieg von 1 Prozentpunkt gegenüber dem
Vorjahr. Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch warten, bis sich hier wirklich etwas bewegt? Bei den DAX30-Unternehmen lag der Frauenanteil bei nur 8 Prozent
in den Vorständen und bei nur 19 Prozent in den Aufsichtsräten. In den kleineren Unternehmen mit Bundesbeteiligung sieht es auch nicht wirklich besser aus. Auch
da sind die Zahlen, finde ich, beschämend. Ohne die
Arbeitnehmervertreterinnen in den mitbestimmten Unternehmen sähe der Frauenanteil in den Aufsichtsräten
noch viel schlechter aus. Auch das wissen alle.
({7})
Das Fazit des Managerinnen-Barometers möchte ich
Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten. Es lautet: In
keiner der untersuchten Unternehmensgruppen konnte
das Überwiegen der Männer aufgebrochen werden. Herr Buschmann, es lohnt sich, einmal das Managerinnen-Barometer zu lesen. Auch für Sie gilt: Lesen bildet!
({8})
Das Jahr 2013 wäre also ein wirklich gutes Jahr, den
Auftakt für eine Trendwende einzuleiten. Denn im Laufe
dieses Jahres steht in einer Reihe von Fällen die Neubzw. Wiederbesetzung vieler Aufsichtsräte an. Nach einer Pressemitteilung des Deutschen Juristinnenbundes
sind regulär allein bei 17 der 30 DAX-Unternehmen
Aufsichtsratswahlen. Die nächste Neubesetzungsrunde
folgt 2018. Also: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Meine Kolleginnen und Kollegen, auf beeindruckende Weise schilderte der Sachverständige Thomas
Sattelberger in der Anhörung im Rechtsausschuss zu den
Quotengesetzentwürfen, warum so wenige Frauen in
Vorständen und Aufsichtsräten sind. Er sprach - er
war viele Jahre selbst Mitglied in entsprechenden Funktionen - sozusagen aus dem Nähkästchen. Dabei betonte
er, Herr Buschmann, dass es eine Legende ist, dass bei
der Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratsposten
immer die Besten zum Zuge kommen. Diese Legende
wird immer wieder von den Gegnern der Quote bemüht.
Ich glaube, wenn es nach den Besten ginge, dann wären
Sie heute mit Sicherheit nicht hier.
({9})
Vielmehr machte Sattelberger deutlich, welche Bedeutung dabei den männlichen Seilschaften und Tauschgeschäften zukommt. Wer wirklich die besten Frauen
und die besten Männer will, der muss Schluss machen
mit Kungelgeschäften und Ja sagen zur Quote, wie Herr
Sattelberger.
Doch mit einer Kanzlerin Merkel und dieser schwarzgelben Koalition bewegt sich leider nichts. Die Befürworterinnen einer Quote in Ihren Reihen wurden abgewatscht und mit einem faulen Kompromiss ruhiggestellt.
Zuvor haben sich zwei Ministerinnen - Frau Schröder
und Frau von der Leyen - monatelang über die Quote
gestritten. Von Kanzlerin Merkel hörte man überwiegend
wenig, meistens gar nichts. Auf EU-Ebene hatte diese
schwarz-gelbe Bundesregierung die Einführung einer
Frauenquote blockiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie stehen nun die
Abgeordneten von CDU/CSU da, die die sogenannte
Berliner Erklärung unterschrieben und damit dokumentiert haben, dass sie für eine gesetzliche Frauenquote von
mindestens 30 Prozent sind? Mit einem heutigen Nein
ist ihre Glaubwürdigkeit dahin. Es gibt keine Gewinnerinnen in der Regierung und der schwarz-gelben Koalition, es gibt nur Verliererinnen. Mir persönlich ist es völlig egal, wer in den Reihen von Schwarz-Gelb gewonnen
oder verloren hat. Nicht egal ist meiner Fraktion und
mir, dass die Frauen, die Gleichstellung und damit der
Fortschritt in unserem Land verloren haben; denn ohne
Gleichstellung gibt es keinen Fortschritt.
({10})
Frau Merkels sogenannter Kompromiss ist ein durchsichtiges Täuschungsmanöver: Die Einführung einer
gesetzlichen Quote soll heute verhindert werden. Dabei
haben wir es den Befürworterinnen der Quote doch
wirklich leicht gemacht, auch mit dem Gesetzentwurf
aus dem Bundesrat: Damit sich überhaupt etwas in unserem Land bewegt, ist er wirklich moderat formuliert.
Liebe Kolleginnen von Union und FDP - ich spreche
diesmal gezielt die Frauen an -, ich möchte noch einmal
das Zitat der ehemaligen amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright anbringen: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen
nicht helfen. - Das sind keine schönen Aussichten, Frau
Merkel, Frau Schröder und Frau von der Leyen.
({11})
Die Geschichte zeigt, meine Kolleginnen und Kollegen: Nur wenn Frauen gemeinsam kämpfen, geht es mit
der Gleichstellung voran - ob beim Frauenwahlrecht
oder beim § 218. Darum, liebe Kolleginnen von der
Union, bitte ich Sie: Geben Sie sich einen Ruck! Lassen
Sie sich nicht abwatschen! Stimmen Sie heute mit uns
für die Quote! Ich bin mir sicher, eine überwiegende
Mehrzahl der Frauen und auch viele Männer in unserem
Land werden es Ihnen danken.
Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die
Fraktion von CDU/CSU unsere Kollegin Elisabeth
Winkelmeier-Becker. Bitte schön, Frau Kollegin
Winkelmeier-Becker.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben hier schon oft über das Thema
Frauen in Führungspositionen gesprochen. Ich habe
mich hier mehrfach positioniert und bleibe auch heute
bei dieser Positionierung: Ich halte eine verbindliche
gesetzliche Quote für einen Mindestanteil von Frauen in
Führungspositionen, konkret in Aufsichtsräten, für
unverzichtbar.
({0})
Nicht zuletzt die rot-grünen Personalentscheidungen
der letzten Zeit, von denen wir heute gehört haben, bestätigen: Auch ihr braucht manchmal das Argument,
dass es eine gesetzliche Quote gibt, um entsprechende
Erfolge Realität werden zu lassen.
({1})
Die positive Entwicklung, die wir haben, wäre ohne
die Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten geführt haben, nicht denkbar. In der Tat lässt sich nach
zehn Jahren Selbstverpflichtung der Befund - 3 Prozent
Frauen gegenüber 97 Prozent Männern in den Vorständen der DAX-Unternehmen - nicht anders erklären als
damit, dass es sich hier um verfestigte Strukturen
handelt, die Frauen nicht zum Zuge kommen lassen. Offenbar entscheiden die, die drin sind, darüber, wer mit
rein darf, und es geht dabei bei weitem nicht nur nach
Qualifikation und Potenzial, sondern auch nach Beziehungen, nach der richtigen Hochschule, dem richtigen
Netzwerk und dem richtigen Chromosom: dem Y-Chromosom. Im manager magazin können wir lesen: Da geht
es um die Netzwerke des alten Schlages, um die neuen
Netzwerke, die jungen CEOs, die Baden-Badener Unternehmergespräche, die Kaderschmiede der künftigen
Führungskräfte. Es ist ein ganz großer Fehler, wenn man
sich da bewirbt - dahin wird man nur berufen. Das alles
spricht für die Quote, und ich verspreche, dass ich weiter
dafür arbeite, die Notwendigkeit einer Quote in den Hinterköpfen zu verankern.
Aber ich will auf zwei Punkte eingehen, die heute anders sind als sonst: Ich kann heute zum ersten Mal sagen,
dass das Anliegen, zu einer verbindlichen Quote zu
kommen, von der Kanzlerin, unserer Parteivorsitzenden,
unterstützt wird und dass sich die Union selbst fest vorgenommen hat, diese Regelung ins Bundesgesetzblatt zu
schreiben.
({2})
Ich habe keinen Zweifel daran, dass es so kommt. Damit
steht fest: Jeder Vorstand bzw. jeder Aufsichtsrat, der
sich über die nächsten Personalien Gedanken macht,
muss wissen: Die Quote kommt; bis 2020 wird eine
Quote von 30 Prozent vorgeschrieben werden.
({3})
Ich bin überzeugt: Ohne die Berliner Erklärung, ohne
die Positionierung der Frauenverbände, ohne FidAR,
ohne das Netzwerken von Rita Pawelski, ohne die ganze
Diskussion - in ihrer Gesamtheit, in allen Elementen wären wir heute nicht an diesem Punkt und könnte ich
nicht davon ausgehen, dass im Bundesgesetzblatt demnächst diese Quote stehen wird.
Wir werden in einigen Jahren im Rückblick sowieso
kaum noch verstehen, wo das Problem eigentlich gelegen hat. Ich sehe hier Parallelen zum Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahre. Auch das ist
zuerst mit Befremden aufgenommen worden. Mittlerweile haben wir mehrfach den höheren Bedarf in unsere
Planungen einkalkuliert und mussten immer mehr zulegen.
({4})
Wenn ich mich hier umschaue, dann sehe ich, dass
heute noch etwas anders ist: Die früheren Debatten haben wir immer vor weitgehend leeren Reihen geführt.
Heute haben wir hier ein volles Haus, und im Anschluss
findet eine namentliche Abstimmung statt.
({5})
Dabei hat sich doch die Bedeutung der Sache objektiv
nicht verändert.
Das zeigt eben: Interessant in dem Zusammenhang ist
nicht die Sache selbst; das Thema ist völlig austauschbar. Bei der öffentlichen Diskussion geht es vielmehr nur
noch um die Machtfrage. Wer hat gewonnen? Wer ist
geschwächt? Wer muss gehen? Darüber wird in den
Medien groß und breit diskutiert. Mir fällt übrigens auf,
dass fast immer, wenn ein Bericht über dieses Thema
erscheint, als optischer Eyecatcher Frauenbeine in hochhackigen Schuhen gezeigt werden. Das ist offenbar die
Assoziation, die die Journalisten dabei haben.
Es geht hier also um eine Machtfrage, und es liegt etwas auf der Waagschale, was überhaupt nichts mehr mit
dem Thema „Frauen in Führungspositionen“ zu tun hat.
Das ist der Punkt, der es für uns verantwortliche Politiker an der Stelle nicht möglich macht, heute zuzustimmen.
Ich sehe die konkrete Chance, das, was wir heute machen könnten, mit meiner Fraktion in wenigen Monaten
zu machen. Wenn wir das tun, dann gehen wir auch nicht
das Risiko ein, dass die Regelung bald wieder aufgehoben wird, bevor sie greift.
Ihre Redezeit, Frau Kollegin.
Wir werden nicht erfahren, ob die Stimmen heute für
eine Mehrheit gereicht hätten, aber ich bin mir sicher,
dass der Weg, den wir jetzt gemeinsam gehen, in kurzer
Zeit, in wenigen Monaten, zu dem Ziel führt, an dem mir
wirklich gelegen ist.
({0})
Deshalb ist mein Stufenplan: die Quote im April im
Präsidium und im Sommer im Regierungsprogramm,
dann die Wahl gewinnen,
({1})
dann einen guten Koalitionsvertrag und dann ein gutes,
verbindliches Gesetz für die Frauen.
Vielen Dank.
({2})
Nächste Rednerin für die Fraktion von CDU/CSU ist
unsere Kollegin Frau Rita Pawelski. Bitte schön, Frau
Kollegin Rita Pawelski.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die kürzlich verstorbene
Maggie Thatcher sagte einmal: Manchmal muss man einen Kampf mehrmals kämpfen, um ihn zu gewinnen.
({0})
An dieses Zitat denke ich jedes Mal, wenn es um Politik
für Frauen geht. Auch das ist ein immerwährender
Kampf. Das und auch die Erfahrung, dass man manchmal das Gegenteil von dem tun muss, was man eigentlich möchte, um das zu erreichen, was man will, habe ich
verinnerlicht.
({1})
Das gilt auch für das Thema „Frauen in Führungspositionen“.
Meine Damen und Herren, wie viele Frauenthemen
hat auch dieses Thema eine lange Geschichte. Sie begann 2001. Die Frauen der damaligen rot-grünen Regierungskoalition wollten eine Quote einführen, um den
Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen.
Der Wille war da - bei den Frauen. Die Umsetzung
scheiterte jedoch am Macho-Kanzler Gerhard Schröder.
Er löste das Thema mit den Spitzenmännern der deutschen Wirtschaft in einer launigen Herrenabendrunde.
Man einigte sich auf eine Willenserklärung, die mit
einem Vertrag untermauert wurde. Zeitzeuge war der damalige Chef des Kanzleramtes Frank-Walter Steinmeier.
({2})
Es wäre vielleicht einmal interessant, zu erfahren, wie es
wirklich damals zugegangen ist.
Das geplante Gesetz zur Chancengleichheit in der Privatwirtschaft scheiterte jämmerlich an der Macht der
Männer. Der Wunsch der rot-grünen Frauen nach einer
wirklichen Frauenförderung wurde damit ad acta gelegt.
Die freiwillige Vereinbarung entpuppte sich als Papiertiger, und Papier ist geduldig.
({3})
Wurden nach dem Beschluss Frauen gefördert? Nein!
Gab es mehr Frauen in Führungspositionen? Fehlanzeige! In den DAX-30-Vorständen gab es 2001 eine
einzige Frau. Neun Jahre später, im Juli 2010 - die
Gruppe der Frauen der Unionsfraktion hatte das Thema
auf ihre Agenda gesetzt -, gab es weiterhin nur eine einzige Frau in den Vorständen der DAX-30-Unternehmen.
Heute, drei Jahre später, sind es 15 Frauen.
Wenn Sie jetzt glauben, bei den rot-grünen Frauen
hätte es damals einen Aufstand, eine Revolution, eine
Rebellion gegen das Verhalten ihres Bundeskanzlers gegeben, dann muss ich Sie enttäuschen. Brav haben Sie
die Anweisungen des Bosses der Bosse geschluckt. Die
damalige Frauenministerin Bergmann bezeichnete die
Vereinbarung als klaren Erfolg.
({4})
Frau Künast, Sie waren damals Regierungsmitglied. Ich
habe die Pressemitteilungen und Verlautbarungen von
damals sehr aufmerksam studiert. Sie haben damals zu
dieser ganzen Sache geschwiegen.
({5})
Christel Humme war damals Vorsitzende der AG Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Fraktion. Frau
Griese, Frau Rupprecht: Wo war Ihr Aufschrei damals?
({6})
Ich weiß, dass man dann, wenn man in der Opposition
ist, immer viel mutiger ist. Ich war lange genug in der
Opposition.
({7})
Aber in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung haben
Sie zu dem geschwiegen, was passiert ist.
({8})
Wenn Sie uns jetzt, zwölf Jahre später, vorwerfen, wir
würden einknicken, erinnern Sie sich bitte daran, dass Sie
damals keinen Mut gezeigt haben; denn im Gegensatz zu
Ihnen, liebe Kolleginnen von Rot-Grün, haben wir gekämpft. Wir haben erreicht, dass es künftig eine Quote
geben wird. Ab 2020, nur zwei Jahre nachdem der Hamburger Gesetzentwurf greifen würde, müssen 30 Prozent
- nicht 20 Prozent - der Aufsichtsratsmandate von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen
mit Frauen besetzt sein. Die gesetzliche Umsetzung unseres Parteibeschlusses erfolgt - das wurde heute zugesichert - sofort nach der Bundestagswahl.
Schauen Sie sich einmal den Beschluss an. Wir fangen 2014 sofort mit der Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung an. Die Unternehmen wissen, dass sie sich
nicht zurücklehnen können, sondern dass sie Frauen sofort fördern müssen. Da die Aufsichtsräte in einem Turnus von fünf Jahren besetzt werden, die nächste Runde
2018 ist und unser Gesetz ab 2020 greift, müssen praktisch schon 2018 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate
mit Frauen besetzt sein, damit 2020 die 30-ProzentQuote erfüllt wird.
({9})
Es ist ein Signal an alle Unternehmen: Tut etwas! Lehnt
euch nicht zurück, sondern fördert schon jetzt die
Frauen!
Lassen Sie mich bitte zum Abschluss noch ein Wort
zur Berliner Erklärung sagen. Ich danke allen Frauen für
die Unterstützung. Aber Monika Schulz-Strelow möchte
ich ganz besonders herzlich danken,
({10})
die mit FidAR unglaublich viel erreicht hat.
({11})
Diese Frauen, nicht nur wir, sondern auch die Frauen der
Verbände, haben dafür gesorgt, dass das Thema in den
letzten Jahren auf der Agenda geblieben ist und nie aus
den Schlagzeilen verschwunden ist. Ich bitte euch auch
jetzt um Unterstützung: Diese Zusage muss 2014 umgesetzt werden. Wir stehen im Wort.
Ich kann die Unternehmen nur mahnen: Glaubt nicht,
dass wir dieses Versprechen bis dahin vergessen haben.
Wir wollen eine feste Quote. Wir werden sie bekommen - in der nächsten Legislaturperiode.
Herzlichen Dank.
({12})
Nächster und letzter Redner in unserer Aussprache ist
für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege JanMarco Luczak. Bitte schön, Kollege Jan-Marco Luczak.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst gerne auf Frau Marks zu sprechen
kommen. Die Kollegin von der SPD hat hier gerade ein
Zitat von Madeleine Albright gebracht und wollte damit
Frau Merkel, unserer Bundeskanzlerin, einen Platz in der
Hölle angedeihen lassen. Frau Marks, ich bin mir sehr sicher, dass unsere Kanzlerin nicht in der Hölle enden
wird. Sie hat nämlich nicht nur für Frauen in unserem
Land sehr viel Gutes getan, sondern für alle Menschen in
unserem Land. Das reicht allemal für einen Platz im
Himmel.
({0})
Ich komme zum eigentlichen Thema. Ich glaube, es
besteht zwischen den Fraktionen Einigkeit darüber: Wir
wollen, dass mehr Frauen ihren Platz in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft finden.
({1})
Wenn man sich anschaut, wie die Situation ist, kommt
man in der Tat zu einem betrüblichen Ergebnis. Bei einem Viertel der großen deutschen Unternehmen sind die
Führungsetagen noch immer komplett frauenfrei. In den
meisten DAX-Vorständen fristen Frauen noch immer ein
Exotendasein. Auch in den Aufsichtsräten der großen
deutschen Unternehmen spiegelt der Anteil der Frauen
in keiner Weise wider, dass es sehr viele hervorragend
ausgebildete, fachlich hochqualifizierte Frauen gibt, die
diesen Job ohne Weiteres machen können. Dieser Zustand ist nicht akzeptabel; darin sind wir uns alle einig.
Das müssen wir ganz dringend ändern.
({2})
Die entscheidende Frage lautet nun: Wie können wir
dieses Ziel erreichen? Wenn man sich die Entwicklung
in den letzten Jahren anschaut, kann man nur feststellen:
Freiwilligkeit hat in der Tat nichts gebracht. Ich bin daher einigermaßen erstaunt, dass sich gerade die Kollegen
von SPD und Grünen hier hinstellen und einen solch
großen Klamauk veranstalten. Das rot-grüne Stillhalteabkommen aus dem Jahr 2001 ist doch damals unter Ihrer Regie entstanden. Es war doch Ihr Machokanzler
Gerhard Schröder, der von „Frauenpolitik und solchem
Gedöns“ gesprochen hat. Da muss man sich doch nicht
wundern, dass dabei ein solches Abkommen herausgekommen ist und daraus nichts folgte.
({3})
Die Wahrheit ist, dass erst jetzt, wo wir in den letzten
Jahren über verbindliche gesetzliche Vorgaben diskutieren und im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass hier
etwas verändert werden muss, Bewegung in die Sache
gekommen ist und Bewusstsein und Sensibilität für dieses Thema gewachsen sind.
Mir ist wichtig, noch Folgendes zu betonen: Es geht
in keiner Weise darum, einigen Dutzend oder vielleicht
Hundert Frauen mit dem Einzug in den Aufsichtsrat Privilegien zu verschaffen. Das ist kein Elitenthema, sondern es geht in seiner Wirkung weit darüber hinaus; denn
Frauen in Führungspositionen können Vorbild und Maßstab für das gesamte Unternehmen, für die gesamte Arbeitswelt und damit auch für die gesamte Gesellschaft
sein. Ich nenne das prominenteste Beispiel: Nachdem
Angela Merkel als Bundeskanzlerin unser Land entschlossen, souverän und vor allen Dingen erfolgreich
durch die europäische Staatsschuldenkrise gesteuert hat,
wird wohl niemand mehr wagen, zu bezweifeln, dass
eine Frau selbstverständlich auch ein großes Unternehmen führen kann.
({4})
Solche Vorbilder braucht unsere Gesellschaft und brauchen wir auch in den Führungsetagen der deutschen
Wirtschaft.
Wichtig ist mir, zu betonen, wieso wir solche Vorbilder brauchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann
ein Umdenken stattfindet. Eine Erwerbsbiografie, die
unterbrochen worden ist, weil man etwa Kinder bekommen oder sich um Familienangehörige gekümmert hat,
wird dann anders bewertet werden. Es wird dann auch
nicht mehr das Karriereende bedeuten, wenn man für
eine gewisse Zeit aussetzt. Ich will einen solchen Mentalitätswechsel. Ich will einen Wandel in der Unternehmenskultur. Ich will, dass bessere Rahmenbedingungen
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen
werden. Das ist das entscheidende Ziel, dem wir uns alle
miteinander verpflichtet fühlen.
All das, was ich gerade beschrieben habe, will selbstverständlich auch die Union. Natürlich war das für uns
zum Teil eine schmerzhafte Debatte, die mit Zumutungen verbunden war. Das liegt aber auch daran, dass wir
eine Volkspartei sind, in der es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt. Wir sind eben keine Klientelpartei und liegen in der Wählergunst nicht bei rund
20 Prozent, sondern wir sind die einzig verbliebene
Volkspartei.
({5})
Wir machen es uns mit dieser Entscheidung nicht leicht.
({6})
Mir ist noch wichtig, zu betonen - das ist heute auch
deutlich geworden -, dass es sich hier um kein leeres
Versprechen, um kein Feigenblatt handelt. Es ist klar:
Wir wollen und werden nach der Bundestagswahl das in
den Koalitionsverhandlungen durchsetzen. Meine Damen und Herren von der Opposition, denn das können
Sie sich hinter die Ohren schreiben: Wir werden die
Wahl gewinnen, weil wir eine erfolgreiche Politik für
unser Land machen.
({7})
Das merken die Menschen; sie vertrauen uns. Das gilt
auch für eine gesetzlich vorgegebene Frauenquote. Verlassen Sie sich darauf: Das wird in der nächsten Legislaturperiode kommen.
Herzlichen Dank.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege
Dr. Luczak war der letzte Redner in unserer Aussprache,
die ich nun schließe.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 4 a: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13094 mit dem Titel „Verbindliche Quote für
Aufsichtsräte einführen“. Wer stimmt für diesen An29216
Vizepräsident Eduard Oswald
trag? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt
dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Ich sehe keine. Der Antrag ist abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 4 b. Abweichend von der in der
Tagesordnung vorgesehenen Reihenfolge kommen wir
zuerst zur Abstimmung über den von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in
Wirtschaftsunternehmen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/8878 abzulehnen. Ich bitte
nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Wer
stimmt dagegen? - Das sind die Regierungsfraktionen,
also die Mehrheit. Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie wissen,
dass damit nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung entfällt.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter
Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/11270
abzulehnen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13141 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
({0})
- Niemand stimmt dafür. Wer stimmt dagegen? - Das
sind alle Fraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Ände-
rungsantrag ist also abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich
ab. Ich darf darauf hinweisen, dass dazu eine Reihe von
schriftlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vorliegt.1) Ich bitte nun die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzent-
wurf.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzung unterbreche, hat unsere Kollegin Frau Dagmar
Ziegler zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 der
Geschäftsordnung das Wort, und es ist eine Frage der
Fairness, dass wir ihr auch zuhören, liebe Kolleginnen
und Kollegen. - Bitte schön, Frau Kollegin Dagmar
Ziegler.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe diese persönliche Erklärung auch im Namen meiner Kolleginnen Cornelia
Möhring von den Linken und Ekin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen ab.
Heute hätte für uns Frauen ein historischer Tag sein
können. In dieser freudigen Erwartung haben sich Kolleginnen aus vielen Frauenverbänden hier eingefunden:
Rena Bargsten, Präsidentin des European Women’s
Management Development; Stephanie Bschorr, Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen,
Ramona Pisal, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Brigitte Scherb, Präsidentin des Deutschen
LandFrauenverbands, Monika Schulz-Strelow, Präsidentin des Vereins „Frauen in die Aufsichtsräte“, und
Henrike von Platen, Präsidentin von Business and Professional Women - Germany.
Sie haben mit uns gemeinsam vor fast zwei Jahren die
Berliner Erklärung aus der Taufe gehoben, ein Frauenbündnis über alle Fraktionsgrenzen hinweg.
({0})
Denn neben Ekin Deligöz, Cornelia Möhring und mir
waren beteiligt Rita Pawelski von der CDU, Dorothee
Bär von der CSU und Sibylle Laurischk von der FDP.
Wir haben nicht danach gefragt: „Welche Farbe hat dein
Parteibuch?“, sondern wir haben gefragt: Was können
wir gemeinsam für Frauen erreichen? Wir waren uns
auch einig, dass wir eine Entscheidung im Parlament
wollen. Eine Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte, das war unser erklärtes Ziel. Eine Umfallerinnenquote von 100 Prozent in CDU/CSU, das werden wir
wohl heute bekommen.
Als wir unser Frauenbündnis geschmiedet haben,
wussten wir: Frauenrechte sind immer wieder dann erkämpft worden, wenn Frauen sich solidarisiert haben,
wenn sie aus der üblichen Logik ausgebrochen sind,
wenn sie die Machtprobe nicht nur gewagt, sondern auch
gemeinsam durchgestanden haben.
({1})
Das war 1992 so, als der Bundestag sich auf einen
Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch geeinigt
hat. Das war 1997 so, als nach 25-jähriger Debatte die
Vergewaltigung in der Ehe zu dem erklärt wurde, was sie
ist, nämlich ein übles Verbrechen, das nach dem Strafge-
setzbuch geahndet werden muss.
Für diese großartigen Momente deutscher Politik, als
Frauen zusammen Erfolge erstritten haben, stehen
Namen wie Rita Süssmuth, Ulla Schmidt, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Irmingard Schewe-Gerigk
und Christa Luft. Mit unserer Berliner Erklärung wollten
1) Anlagen 6 bis 9
2) Ergebnis Seite 29217 D
wir in deren Fußstapfen treten, Fußstapfen, die für Frau
von der Leyen und ihre Kolleginnen aus der CDU/CSUFraktion mehrere Nummern zu groß sind.
Millionen von Frauen stehen hinter der Berliner
Erklärung - das haben Frau Pawelski und andere noch
am Montag geäußert -, ja, richtig, Millionen von Frauen,
denen Sie jetzt mit Ihrem Nein zum Entwurf des Bundesrates in den Rücken fallen. Denn Ihr sogenannter
Kompromiss ist eben nichts als falscher Zauber. Ein
„Scherzpaket“ nennt es die Journalistin Bascha Mika.
({2})
Wer sagt: „Wir brauchen eine Quote von 30 Prozent
ab dem Jahr 2020“, kann nicht glaubhaft eine Quote von
20 Prozent ab dem Jahr 2018 ablehnen.
({3})
Wer sagt: „Wir brauchen eine gesetzliche Quote für die
Besetzung von Aufsichtsräten“, kann nicht glaubhaft
machen, warum er dafür auf ein Wahlprogramm mit
völlig unsicheren Verwirklichungschancen warten muss,
wenn heute ein guter Entwurf im Bundestag zur Abstimmung vorliegt - ein Entwurf, der zwar vom SPD-regierten Hamburg entwickelt und in den Bundesrat eingebracht worden ist, der aber trotzdem ein ernsthaftes
Kompromissangebot an die Union war. Dass er ein
ernsthaftes Kompromissangebot ist, hat er ja bereits
bewiesen - das wurde heute mehrfach gesagt -; Frau
Kramp-Karrenbauer und Ministerpräsident Haseloff hätten sonst gar nicht zustimmen können.
({4})
- Ich will Ihnen erklären, warum wir über unser heutiges
voraussichtliches Abstimmungsergebnis so sehr enttäuscht sind. Meine Kolleginnen und ich, die wir die
Berliner Erklärung unterzeichnet haben, sind über Ihr
Verhalten absolut frustriert. Das ist nun einmal so, und
das muss auch noch einmal deutlich gesagt werden.
Diese Sache geht eben nicht nur uns hier im Parlament
etwas an, sondern betrifft unsere Gesellschaft und auch
die Wertigkeit von Frauenarbeit insgesamt. Das ist etwas, was Sie heute mit Füßen getreten haben, und das
muss man einfach noch einmal hervorheben.
({5})
Ich sage Ihnen aber auch: Eine Mehrheit ist heute, im
Jahr 2013, im Bundestag vorhanden. Weil es aber nicht
genug Abweichlerinnen in der Union im Bundestag gibt,
weil es an Mut und Standfestigkeit fehlt, wird diese
Mehrheit bei der Abstimmung wohl nicht zustande gekommen sein. Sie haben aus einer historischen Chance
eine Riesenblamage gemacht, und darüber sind wir drei
immens enttäuscht.
Vielen Dank.
({6})
Das war eine persönliche Erklärung.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich komme jetzt zur Verlesung des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses
der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und
Männern in Führungsgremien“: abgegebene Stimmen
598. Mit Ja haben gestimmt 277, mit Nein haben gestimmt 320, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 598;
davon
ja: 277
nein: 320
enthalten: 1
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({1})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({2})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Vizepräsident Eduard Oswald
Petra Hinz ({5})
Frank Hofmann ({6})
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({7})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({8})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Karin Roth ({9})
Michael Roth ({10})
Marlene Rupprecht
({11})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({12})
Bernd Scheelen
({13})
Werner Schieder ({14})
Ulla Schmidt ({15})
Carsten Schneider ({16})
Swen Schulz ({17})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({18})
Manfred Zöllmer
FDP
Sibylle Laurischk
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({19})
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({20})
Volker Beck ({21})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({22})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({23})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({24})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({25})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Daniela Wagner
Arfst Wagner ({26})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Manfred Behrens ({27})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({28})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Vizepräsident Eduard Oswald
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({29})
Dirk Fischer ({30})
Axel E. Fischer ({31})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({32})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Alois Gerig
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({33})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({34})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({35})
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({36})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({37})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({38})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({39})
Anita Schäfer ({40})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({41})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({42})
({43})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({44})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({45})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({46})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({47})
Peter Weiß ({48})
Sabine Weiss ({49})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({50})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({52})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({53})
Michael Link ({54})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({55})
Dr. Martin Neumann
({56})
Dirk Niebel
Vizepräsident Eduard Oswald
Hans-Joachim Otto
({57})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane RatjenDamerau
Hagen Reinhold
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Serkan Tören
Johannes Vogel
({58})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({59})
Enthalten
CDU/CSU
Siegfried Kauder ({60})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13143. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die
Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Koalitionsfraktio-
nen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bündnis 90/
Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Förderung
gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in
Führungsgremien. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/12784, den Gesetzentwurf der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/11139 abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? - Das sind die Regierungsfraktionen.
Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wissen, entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Jetzt zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschus-
ses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Quote für Aufsichtsratsgremien börsen-
notierter Unternehmen einführen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/1274, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/797 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind Bündnis 90/Die
Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? - Fraktion der
Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 z sowie
42 aa und die Zusatzpunkte 3 a bis 3 e auf:
42 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 17/12856 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({61})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über
menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte
- Drucksache 17/12951 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({62})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Europäischen Übereinkommen vom 8. November 2001 zum Schutz des audiovisuellen Erbes
und zu dem Protokoll vom 8. November 2001
zum Europäischen Übereinkommen zum
Schutz des audiovisuellen Erbes betreffend
den Schutz von Fernsehproduktionen
- Drucksache 17/12952 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({63})
Rechtsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 11. April 1955 über
die Internationale Finanz-Corporation
- Drucksache 17/12953 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({64})
Finanzausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 23. Juli 2012 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Österreich über die Nachnutzung der ehe-
maligen deutsch-österreichischen gemein-
schaftlichen Grenzzollämter
- Drucksache 17/12954 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({65}) Nr. 528/2012
- Drucksache 17/12955
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Übertragung der Zuständigkeiten der Länder
im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des
Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund
- Drucksache 17/12956 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes
- Drucksache 17/12957 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 3. April 2012 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und
Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch
- Drucksache 17/12958 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Rechtsausschuss
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 3. Februar 2011 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Grenada
über den Informationsaustausch in Steuersachen
- Drucksache 17/12959 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Rechtsausschuss
k) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und
Jugendhilfe ({5})
- Drucksache 17/13023 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({6})
Innenausschuss
l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({7}) Nr. 259/2012
- Drucksache 17/13024 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
m) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes
- Drucksache 17/13025 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und
anderer Gesetze
- Drucksache 17/13026 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
o) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Bundesfernstraßenmaut-
gesetzes
- Drucksache 17/13027 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
p) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes
- Drucksache 17/13028 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
Innenausschuss
q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die Verordnung ({12}) Nr. 1178/2011 der Kommission vom
3. November 2011 zur Festlegung technischer
Vorschriften und von Verwaltungsverfahren
in Bezug auf das fliegende Personal in der
Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung ({13})
Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 20. Februar 2008
- Drucksache 17/13029 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({14})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem
Vizepräsident Eduard Oswald
Übereinkommen vom 9. September 1996 über
die Sammlung, Abgabe und Annahme von
Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt
- Drucksache 17/13030 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({16}) Nr. 181/2011
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte
im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung
der Verordnung ({17}) Nr. 2006/2004
- Drucksache 17/13031 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({18})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
t) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes ({19})
- Drucksache 17/13032 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({20})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
u) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar
- Drucksache 17/13059 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({21})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
v) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für
Wiederaufbau und weiterer Gesetze
- Drucksache 17/13061 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({22})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
w) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur
Regelung der vertraulichen Geburt
- Drucksache 17/13062 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({23})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
x) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksache 17/13083 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({24})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
y) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen
- Drucksache 17/12847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({25})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
z) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Weiß ({26}), Karl Schiewerling, Paul
Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal,
Heinz Golombeck, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Für eine humane Arbeitswelt - Psychische
Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken
- Drucksache 17/13088 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({27})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
aa) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Forschungs- und Innovationsförderung des
Bundes nachhaltig gestalten - Transparenz
und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen
- Drucksache 17/13090 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({28})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Eduard Oswald
ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verhandlung auf Augenhöhe - Das Urhebervertragsrecht reformieren
- Drucksache 17/12625 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({29})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({30}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin
Gerster, Dagmar Freitag, Sabine BätzingLichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Joachim Günther ({31}), Dr. Lutz Knopek,
Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela
Wagner, Claudia Roth ({32}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren
- Drucksache 17/13091 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({33})
Innenausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren
- Drucksache 17/13092 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({34})
Innenausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid
Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken
- Drucksache 17/13098 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({35})
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Hightech-Strategie 2020 für Deutschland Bilanz und Perspektiven
Stellungnahme der Bundesregierung zum
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013
- Drucksache 17/13075 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({36})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 d
sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Es handelt sich
um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 43 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin
Senger-Schäfer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Anti-D-Hilfegesetzes
- Drucksache 17/5521 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({37})
- Drucksache 17/13066 ({38}) Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Bunge
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13066 ({39}), den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/5521 abzulehnen. Ich bitte nun diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt
dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthal-
tungen? - Die Fraktionen von Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen.1) Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13110. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Das ist die
Fraktion Die Linke. Gegenprobe! - Die Koalitionsfrak-
tionen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten und Bünd-
1) Erklärung nach § 31 GO siehe Anlage 10
Vizepräsident Eduard Oswald
nis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 43 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen
Beurkundungsverfahren
- Drucksache 17/12035 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({40})
- Drucksache 17/13137 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christoph Strässer
Jens Petermann
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13137, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/12035 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Das sind, soweit ich
sehe, alle Kolleginnen und Kollegen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Auch niemand. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das waren alle, wenn ich das richtig gesehen habe. Wer
stimmt dagegen? - Es erhebt sich niemand. Enthaltungen? - Es erhebt sich auch niemand. Somit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes
- Drucksache 17/12640 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({41})
- Drucksache 17/13114 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Johannes Kahrs
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({42})
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13114, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/12640 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, die sozialdemokratische Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Es
erhebt sich niemand. Infolgedessen stimmt niemand dagegen. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion Die Linke.
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({43})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
EU-Bildungsprogramme modernisieren und
ausbauen - Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern
- Drucksachen 17/9575, 17/13078 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Patrick Meinhardt
Kai Gehring
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13078, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/9575 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten.
Enthaltungen? - Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Verteidigungsausschusses ({44}) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck ({45}), Marieluise Beck
({46}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landbeschaffungsgesetz überprüfen
- Drucksachen 17/12195, 17/12741 Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer ({47})
Wolfgang Hellmich
Harald Koch
Katja Keul
Vizepräsident Eduard Oswald
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12741, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12195 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({48}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer,
Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und
Transparenz verhelfen
- Drucksachen 17/10645, 17/13138 Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Maag
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13138, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/10645 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am
Ende der Abstimmungen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf
gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Joachim
Poß. - Bitte schön, Kollege Joachim Poß.
({49})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute Morgen, als Herr Schäuble seine Regierungserklärung gehalten hat, habe ich mich gefragt, ob er gestern
Nacht wohl wieder dem lieben Gott dafür gedankt hat,
dass die SPD das Schweizer Steuerabkommen abgelehnt
hat.
({0})
Stellen Sie sich vor, das Abkommen wäre jetzt in
Kraft.
({1})
Dann müssten sich Herr Schäuble, die Regierung und
die Koalition dafür rechtfertigen, dass es unseren Steuerbehörden verboten wäre, CDs mit Schweizer Daten zu
kaufen. Sie müssten sich rechtfertigen, warum Sie der
Schweiz eine Bestandsgarantie für das Bankgeheimnis
ausgesprochen haben, und Sie müssten sich rechtfertigen, Herr Koschyk, warum Steuerhinterzieher in der
Schweiz quasi straffrei ausgehen, während sich die
ganze Welt derzeit über solchen Schutz von Steuerhinterziehung zu Recht empört. Diese Fragen würden sich
stellen.
({2})
Nur weil Ihr unseliges Steuerabkommen mit der
Schweiz abgelehnt wurde, können Sie sich jetzt als Vorkämpfer gegen Steuerhinterziehung aufplustern. Wenn
Ihre Finanzoasengarantie für die Schweiz Realität wäre,
dann würden Österreich und Luxemburg genauso wie
viele andere kleine sogenannte Steueroasen weltweit wie
bisher mit dem Finger auf die Schweiz zeigen und sagen:
Was die haben, wollen wir auch. - Genau dieses Spiel ist
jahrelang gelaufen. Das muss jetzt ein Ende finden.
({3})
Sie müssen womöglich sehr schnell - das ist ja vielleicht auch schon geschehen - Ihre Meinung ändern.
Wer könnte das eindrucksvoller bestätigen als die Neue
Zürcher Zeitung. Sie schreibt:
Der Rückenwind für den AIA
- für den automatischen Informationsaustausch war in der EU noch nie so stark. Und die Schweizer
Strategie, über Abgeltungssteuer-Abkommen mit
einzelnen Staaten die EU auseinanderzudividieren
und sich von den Vertragspartnern das Quellensteuer-Modell garantieren zu lassen, ist nicht aufgegangen.
Wer ist auf die Schweizer Strategie bewusst oder unbewusst hereingefallen? Das waren Sie von SchwarzGelb. Sie haben sich an allen Geboten der Steuergerechtigkeit versündigt.
({4})
Oder war es Naivität? Oder war es die Verfolgung spezieller Interessen? Wenn man liest, dass sich Herr
Brüderle über den Ankauf einer Steuer-CD wieder stark
empört, dann kommt einem doch in den Kopf, dass es
sich bei ihm um den klassischen Schutzpatron der Steuerhinterzieher bzw. von Leuten handelt, die dem Gemeinwesen das Geld systematisch vorenthalten.
({5})
Herr Schäuble spielt sich jetzt als Antreiber im
Kampf gegen die Steuerflucht auf, obwohl er immer
eher Getriebener des Prozesses war. Er erweckt den Anschein, als würde auch er jetzt die Ziele teilen, die von
der Opposition vertreten werden, nämlich gemeinsam
mit unseren europäischen Partnern und den USA dem
Bankgeheimnis ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.
Anders können wir das Problem nicht lösen.
({6})
Aber bleiben Sie nicht wieder auf halber Strecke stehen. Wir brauchen einen klaren Standard. Dieser heißt:
automatischer Informationsaustausch für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen und natürlichen Personen. Darunter darf es in Zukunft nicht mehr gehen, weder in der EU noch weltweit.
({7})
Wer nicht nach diesen Regeln spielt, muss die Konsequenzen spüren. Folgen Sie dazu der Empfehlung der
EU-Kommission, die seit Monaten auf dem Tisch liegt,
und sprechen Sie mit Ihren Amtskollegen über EU-weite
„Schwarze Listen“ für Steueroasen. Es ist doch das eigentliche Versäumnis dieser schwarz-gelben Regierung,
dass sie 2009 den Druck im Kampf gegen Steueroasen
herausgenommen hat. Sie haben nach den Erfolgen von
Peer Steinbrück
({8})
die Leine wieder länger gelassen und Zugeständnisse gemacht. Das hat sich gezeigt.
({9})
Wenn dem nicht so wäre, warum machen Sie dann offenkundig eine erneute Kehrtwende? Wir werden Ihren Debattenbeiträgen mit Sorgfalt zuhören.
Auch Ihre Attacken gegen die wirksamen Instrumente
gegen Steuerhinterziehung verschaffen den Übeltätern
Luft; denn Sie wollten festschreiben, dass keine Ankäufe
von Steuer-CDs mehr getätigt werden. Damit sind Sie
den deutschen Steuerfahndern in den Rücken gefallen,
den gleichen Steuerfahndern, die nach Ihren jetzigen
vollmundigen Aussagen in Zukunft in einem Steuer-FBI
ermitteln sollen. Das sind große Worte. Mit Überschriften will man Politik ersetzen; das findet bei Ihnen statt.
Können Sie uns einmal verraten, Herr Koschyk, liebe
Kollegen von der Koalition, wie dieses FBI seine Arbeit
tun soll, wenn Sie ihm gleichzeitig alle Waffen aus der
Hand schlagen wollen?
({10})
Aber wahrscheinlich schicken Sie doch ein Stoßgebet
dahin gehend zum Himmel, dass Sie den Ankauf von
Steuer-CDs jetzt wieder für vertretbar halten dürfen. Im
Hall der öffentlichen Empörung nach dem Offshore
Leak ist das nämlich wieder opportun. Mich interessiert
noch, ob Sie sich nicht doch an der Finanzierung der
Kosten für den Ankauf der aktuellen CD beteiligen wollen.
({11})
Wenn Sie das nicht machen würden, hätten wir einen erneuten Beleg für Ihre zwiespältige Haltung. Also, wir erwarten heute Nachmittag viel Aufklärung von Ihnen.
({12})
Vielen Dank, Kollege Joachim Poß. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von
CDU/CSU unser Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte
schön, Kollege Klaus-Peter Flosbach.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer im Finanzausschuss ernsthaft mitarbeitet, der sieht,
was in den letzten dreieinhalb Jahren passiert ist: Diese
Bundesregierung mit Bundesfinanzminister Schäuble ist
nicht nur in Europa, sondern auch auf globaler Ebene
immer der Antreiber im Kampf gegen Steuervermeidung
und Steuerhinterziehung.
({0})
Ob es um das Global Forum geht, ob es um die G-5-Initiativen zum automatischen Informationsaustausch, auch
mit den USA, geht, ob es um die führende Rolle der
Deutschen im Kampf gegen die Gewinnverlagerung
geht: Immer sind die Deutschen vorne an der Spitze.
Herr Poß, das, was Sie hier vorgetragen haben,
({1})
entbehrt jeder Grundlage. Sie sind schon lange hier im
Rennen mit dabei, Herr Poß. Da ist es natürlich immer
interessant, wenn Sie mit dem Finger auf uns zeigen.
Das bekannte Bild trifft aber genau zu: Sie zeigten mit
einem Finger auf uns, und drei Finger zeigten auf Sie.
Wolfgang Schäuble ist seit dreieinhalb Jahren Finanzminister. Vorher hatten wir hier elf Jahre lang SPDFinanzminister: Eichel und Steinbrück; ich lasse
Lafontaine einmal außen vor. Offensichtlich ist in dieser
Zeit gar nichts passiert; sonst könnten Sie die Vorwürfe
hier in diesem Haus nicht vortragen.
({2})
Nehmen wir einmal die einfachste Form der europäischen Kooperation: die europäische Zinsrichtlinie. Da
haben Sie bzw. Herr Eichel in Europa vereinbart, dass es
eine gemeinsame Zinsbesteuerung geben soll. Sie haben
damals vereinbart, dass sich die Österreicher und die Luxemburger nicht daran halten müssen. Sie von der SPD,
Herr Poß, haben damals zugestimmt, dass hier Steueroasen in Europa entstanden sind.
({3}): Da hört er nicht zu!)
Jetzt gehen wir natürlich anders vor - es gibt einen
Revisionsvorschlag der Europäischen Kommission -:
Wir werden jetzt auch die Lebensversicherungen, die
Trusts und die Stiftungen mit aufnehmen. Wir haben immer gefordert, dass bei der Erhebung der Abgeltungsteuer alle Veräußerungsgewinne und Dividenden berücksichtigt werden.
({4})
Jetzt erreichen wir zum ersten Mal, dass sich Luxemburg
und anschließend Österreich an diese Regeln halten werden. Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Denn
wir haben nicht nur diskutiert, sondern haben in diesen
drei Jahren gehandelt. Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung.
({5})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es war eine
der ersten Maßnahmen dieser Koalition, die Regelungen
zur Selbstanzeige zu verschärfen. Man kann, wenn man
Steuern hinterzogen hat, sich selbst anzeigen. Das kann
dann strafbefreiend wirken. Als die SPD noch den Finanzminister stellte, war die Situation folgendermaßen:
Wenn der Steuerfahnder auf der Türschwelle stand,
konnte man sich noch selbst anzeigen und ein Konto
nennen, das vielleicht entdeckt worden ist. Bei uns ist
das anders: Sobald ein Verdacht besteht, ist die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige ausgeschlossen. Es müssen alle Konten lückenlos aufgedeckt werden, und es muss ein Strafzins gezahlt werden. Das ist
der Unterschied zwischen Ihrer damaligen Regierungspolitik und unserer Finanzpolitik in den letzten drei Jahren.
({6})
Nun könnte man Ihnen vorhalten, Sie seien, was die
Steuerhinterziehung angeht, besonders clever gewesen.
Denn es gab in den Jahren 2004 und 2005 eine Steueramnestie, die übrigens weltweit galt. Schröder ging damals zunächst von Einkünften in Höhe von 20 Milliarden Euro aus. Hinterher ging man von 5 Milliarden Euro
aus. In der Realität waren es schließlich 1,37 Milliarden
Euro. Sie haben damals allen eine Steueramnestie angeboten, nach dem Motto: Zahlt 15 Prozent Steuern, dann
ist das Thema für uns erledigt.
Herr Poß, Sie haben gerade das Steuerabkommen mit
der Schweiz angesprochen. In der Tat kann man darüber
diskutieren: Kann es steuergerecht sein, wenn man seine
Steuern auf Grundlage einer pauschalen Besteuerung
zahlt?
({7})
Das Interessante an der ganzen Sache ist: Wir erleben
heute - darauf weisen Steuerberaterverbände vielfach
hin -, dass jede Form der Selbstanzeige für die Kontobesitzer deutlich besser ist, als diesem Steuerabkommen zu
unterliegen. Wir hätten nämlich in alle Konten eingegriffen, nicht nur auf Zinserträge von 2 Prozent. Noch bis
2008 gab es in Deutschland steuerfreie Kursgewinne. Es
entstehen relativ wenig Steuern auf Zinsen, weil es viele
Steuerbefreiungsmöglichkeiten gab. Unser Abkommen
sah aber vor, in die Konten einzugreifen und von jedem
Konto 21 bis 41 Prozent des gesamten Guthabens abzuräumen. Sonst hätte es nämlich nicht die Möglichkeit gegeben, 10 Milliarden Euro einzunehmen. Das war der
Unterschied.
Das Problem ist: Ihre Ablehnung führt dazu, dass es
bei all diesen Konten zu einer Verjährung kommt.
({8})
Wir hätten rechtzeitig in diese Konten eingreifen können. 60 Prozent aller Konten in der Schweiz bestehen
schon länger als zehn Jahre, unterliegen also der Verjährung. Aber die sind jetzt weg. Wenn Sie zugestimmt hätten, dann hätten wir auf diese Konten zugreifen können.
({9})
Das größte Problem, das noch auf uns zukommen
könnte, ist die Diskussion über die weiteren steuerpolitischen Maßnahmen, die von Rot-Grün angestoßen wurde.
Viele haben Deutschland bereits verlassen. Wenn der
Spitzensteuersatz demnächst auf 53,7 Prozent steigt und
dann noch die Vermögensteuer und die Vermögensabgabe eingeführt sowie eine Erhöhung der Abgeltungsteuer vereinbart werden, dann wird es manch einen geben, der nicht mehr in Deutschland investiert. Manch
einer wird das Land sogar verlassen.
Wir stehen für eine stabile Entwicklung hier in
Deutschland, für eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen. Wir
haben die geringste Arbeitslosigkeit und die höchsten
Steuereinnahmen zu verzeichnen, die wir je hatten. Dafür und für ein gerechtes Steuersystem in diesem Land
kämpfen wir auch weiterhin, und wir kämpfen nach wie
vor gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung.
({10})
Vielen Dank, Kollege Klaus-Peter Flosbach. Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara
Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Barbara Höll.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Flosbach, wir kennen uns ja. Sie sprechen öfter hier im Plenum. Zu Ihrer heutigen Rede kann
ich nur sagen: Getroffene Hunde bellen. Sie haben herumgeschrien, aber nichts Konkretes gesagt. Wir können
gespannt sein, was die nächsten Rednerinnen und Redner hier sagen.
({0})
Herr Thomas Eigenthaler, der Chef der Deutschen
Steuer-Gewerkschaft, schätzt für Deutschland das weltweite Hinterziehungsvolumen auf mindestens 400 Milliarden Euro.
({1})
Sie unterliegen einer Illusion, wenn Sie hier verkünden,
dass Deutschland eine Vorreiterrolle im Kampf gegen
Steuerhinterziehung einnimmt; denn das ist einfach nicht
wahr. Luxemburg hat sich doch nur auf Druck der USA
bewegt und nicht auf Druck von Deutschland. Man muss
schon bei der Wahrheit bleiben.
({2})
Herr Koschyk hat nachher neun Minuten Redezeit. Er
wird uns wieder erzählen, was man plant, will und
macht, aber es kommt auf konkrete Maßnahmen an, auf
nichts anderes.
Zur Steuerhinterziehung gehören immer mindestens
zwei: diejenigen, die Energie darauf verwenden, legal
Steuern zu vermeiden, und diejenigen, die illegal Steuern
hinterziehen. Das sind zwei Probleme, denen man sich
ganz gezielt widmen muss. Das haben Sie bisher allerdings nicht getan. Jedes Steuergesetz, das wir hier beraten, enthält immer noch Gestaltungsmöglichkeiten, und
trotzdem wird es verabschiedet. Das kann nicht sein.
Kürzlich deckte ein Journalistennetzwerk weltweite
Machenschaften in Steueroasen auf. Das System der
Steuerhinterziehung ist weltweit organisiert. Insbesondere London wird erwähnt, da die größten Offshoreoasen
von London aus gesteuert werden: Steuervermeidung
durch Gründung von Briefkastenfirmen und Trusts.
Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bank. Sie
gründete allein über ihre Niederlassung in Singapur über
300 Firmen und Trusts in Steueroasen, größtenteils auf
den Britischen Jungferninseln. Ich habe noch keine Verlautbarung gehört, dass der Finanzminister mit der Deutschen Bank über dieses Thema geredet hätte oder dass
wenigstens eine verbale Aufforderung erfolgt wäre, dieses Gebaren zu unterlassen. Nein, da herrscht Stille, und
zwar an der ganzen Front.
Laut OECD sind derzeit auf der schwarzen Liste der
Staaten, die nicht kooperativ sind, keine Staaten zu finden. Im Jahre 2000 waren es noch 35, jetzt gibt es keine
mehr. Die Krux dabei ist: Alle Staaten, die sich verpflichtet haben, die Transparenzregeln einzuhalten, sind
von der Liste genommen worden. Aber es liegt noch
keine Bewertung vor, ob die Transparenzregeln überhaupt umgesetzt werden. Das ist doch der Knackpunkt.
Lassen wir doch endlich die Verlautbarungen.
Schauen wir uns lieber an, wie es konkret aussieht.
Dazu gibt es sehr viel Material. Ich habe mir für heute
die Tabelle von Indikatoren des SFI 2011 und Deutschlands Abschneiden herausgesucht. Wie stehen wir mit
unseren Regelungen im Kampf gegen Steuerhinterziehung da? Das ernüchternde Ergebnis: Es ist fast nichts
umgesetzt, fast nichts erfüllt worden. Indikatoren sind
zum Beispiel, ob es Transparenz in Bezug auf „Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen“ gibt. Oder:
Gibt es ein öffentlich zugängliches Register für
Trusts und Stiftungen?
Nein. - Es gab aber in den letzten Jahren sehr wohl Regelungen, die Stiftungen bevorzugt haben. Das waren
weitere Einladungen zur Steuerhinterziehung.
Ein weiterer Indikator lautet:
Sammeln und aktualisieren die zuständigen Behörden Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen?
Nicht erfüllt.
Ich könnte weiter aus dieser Liste vorlesen, so unter
der Rubrik „Effizienz der Steuer- und Finanzregulierung“:
Sind im Land niedergelassene Finanzinstitute dazu
verpflichtet, Informationen über ({3})Zahlungen an nicht Ansässige an die Finanzbehörden zu übermitteln?
Nein.
Sie machen sich also nicht einmal die Mühe, eine Datengrundlage zu erstellen, um effektiv gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vorgehen zu können.
Deshalb landet Deutschland in dieser Untersuchung auf
Platz neun. Das sollte uns zu denken geben. Erste Stelle
Schweiz, dritte Stelle Kaimaninseln, und Deutschland
folgt bereits auf dem neunten Platz. Trotzdem riskieren
Sie hier eine dicke Lippe. Das ist doch einfach lächerlich!
({4})
Das Bundesfinanzministerium sagt nun: Das Wichtigste im Kampf gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung ist Transparenz. Richtig. Ich habe Ihnen eben
schon einige Beispiele genannt, die belegen, dass Sie
nicht für mehr Transparenz sorgen. Man muss aber auch
sagen: Rot-Schwarz hat mit der Einführung der Abgeltungsteuer einen wesentlichen Schritt dazu gemacht, da
die Abführung von Kapitaleinkünften anonymisiert erfolgt. Das ist natürlich eine Steilvorlage für Vertuschung.
Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: keine Abgeltungsteuer. Seit 2009 fordern wir die Abschaffung der
Abgeltungsteuer.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie endlich tätig werden
und die Finanzbehörden ausrüsten. Machen Sie nicht irgendwelche großen Sprüche, sondern sorgen Sie dafür,
dass die Länder richtig arbeiten können. Sorgen Sie für
eine Koordinierung der Arbeit, und setzen Sie sich international endlich tatsächlich dafür ein, dass wir effektiv
gegen Steuerhinterziehung vorgehen können und Steuervermeidung auch durch unsere Gesetzgebung verhindern.
Danke.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Barbara Höll. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde für die
Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Volker Wissing.
Bitte schön, Kollege Dr. Volker Wissing.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden in dieser Aktuellen Stunde auf
Antrag der Opposition über Steuerhinterziehung und
Steuervermeidung. Wir sind sehr dankbar, dass wir die
Möglichkeit haben, hier noch einmal die Leistungen der
Bundesregierung in den letzten Jahren vorzutragen.
Steuerhinterziehung ist ein Fall für die Strafverfolgung. Da hat sich einiges getan - Kollege Flosbach hat
das schon vorgetragen -: Die Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige sind schärfer geworden, als sie es
unter SPD-Verantwortung waren.
({0})
Steuervermeidung hingegen ist kein Fall für eine
Strafverfolgung, sondern die Frage der Steuervermeidung muss man im Steuerrecht beantworten. Man muss
sich die Frage stellen: Kann man das national regeln,
oder ist das international zu lösen? Wir haben im Finanzausschuss in den letzten Jahren unter Vorsitz meiner
Kollegin Birgit Reinemund unzählige Anträge und anderes beraten, auch Anhörungen durchgeführt. Zuletzt haben wir ein Fachgespräch mit Experten geführt, die uns
gesagt haben: Die Lösung des Problems der Steuervermeidung liegt nicht im nationalen Steuerrecht.
({1})
Grund für die Steuervermeidung ist, dass andere Staaten
Anreize zur Steuervermeidung setzen, um damit ihrem
Standort Vorteile zu verschaffen. Sie können das Problem - das sagen uns die Experten - nicht national lösen,
sondern Sie müssen es in internationalen Verhandlungen
lösen. Genau das tut die Bundesregierung.
({2})
Zuletzt tat die Bundesregierung dies auf der Ebene
von G 20. Am 15./16. Februar hat die Bundesregierung
klare Erwartungen formuliert, und das mit Erfolg. Im
Juni dieses Jahres werden wir einen Aktionsplan der
OECD vorliegen haben. Im Februar wurde er gefordert,
im Juni kommt er. Daran sehen Sie, wie durchsetzungsstark die Bundesregierung international ist. Es werden
Verhandlungen zur Schaffung einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage geführt, um die
Steuervermeidung zu begrenzen, zu stoppen. Die Regierung steht international an der Spitze der Bewegung, und
darauf sind wir stolz.
({3})
National gibt es eine Diskussion über die Frage des
Steuervollzugs: Wird die Steuer im Bundesgebiet überall
gleichermaßen vollzogen? Dafür sind die Länder zuständig. Dort regieren viele Rote und Grüne. Daher können
Sie sich außerhalb dieser Aktuellen Stunde in Ihren Parteien einmal die Frage stellen, ob Sie diesbezüglich genug tun.
({4})
Wir sind der Meinung, dass man eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung braucht. Das war auch die Forderung der FDP in der Föderalismuskommission II. Die
Länder haben uns dabei nicht unterstützt. Über diesen
Vorschlag sollte man noch einmal nachdenken. Wer das
Problem auf internationaler Ebene lösen möchte, der
muss, so wie die Bundesregierung, mit viel diplomatischem Geschick und mit Überzeugungskraft auftreten.
Sie haben den anderen die Kavallerie angedroht und sind
damit gescheitert.
({5})
Lückenhaft waren die Erfolge von Peer Steinbrück
bei seinen Verhandlungen mit den internationalen Partnern. Lückenlos arbeitet die Bundesregierung das
Thema auf und schließt ein Steuerabkommen nach dem
anderen ab. Diese Steuerabkommen sind so gut - auch
das muss die Öffentlichkeit erfahren -, dass sogar die
SPD ihnen immer zustimmt.
({6})
Lückenhaft ist die Verfolgung von Steuerhinterziehung durch die Zusammenarbeit mit kriminellen Datendieben im Ausland. Lückenlos wäre die Besteuerung gewesen, hätte man das Abkommen mit der Schweiz
unterzeichnet.
({7})
Es wäre in Zukunft genau die gleiche Steuer fällig geworden wie in Deutschland. Mehr Gerechtigkeit gibt es
gar nicht.
Lückenhaft sind die Fachkenntnisse der SPD, die die
Möglichkeit fordert, dass die Aufsicht einer Bank die Lizenz entzieht, wenn sie mit Steuerhinterziehern zusammenarbeitet. Lückenlos ist das deutsche Aufsichtsrecht,
weil es eine solche Regelung längst gibt.
({8})
Man kann in der Tat international sehr viel tun, um
Steuervermeidung zu bekämpfen. Das tut die Bundesregierung. Ich glaube, es gibt keine Bundesregierung, die
auf diesem Gebiet so erfolgreich war wie diese. Das
hängt damit zusammen, dass in der Welt ein Umdenken
stattfindet. Auch die USA agieren heute anders. Wichtig
ist, dass man diese transatlantischen treibenden Kräfte
hier in Europa aufgreift. Das tut die Bundesregierung,
und wir sind stolz darauf.
Man kann aber auch national etwas dafür tun, dass
Steuervermeidung begrenzt wird - Kollege Flosbach hat
es gesagt -, nämlich indem man auf das verzichtet, was
Sie vorschlagen: überzogene Substanzbesteuerung, höhere Einkommensteuern. All das führt zu Steuervermeidung und macht die Kassen am Ende nicht voller, sondern leerer.
Das haben nicht nur wir in der Koalition erkannt, sondern beispielsweise auch die Kirchen. Die Kirchen verhandeln mit besonders Vermögenden über eine Absenkung der Kirchensteuer, weil sie sich sagen: Es ist
besser, wenn sie etwas moderatere Beträge zahlen, als
dass sie die Kirche verlassen und überhaupt keine Kirchensteuer mehr zahlen. Mit Millionären wird ein Rabatt
von mehreren Prozent auf die Kirchensteuer ausgehandelt. Dabei geht es um viele Millionen Euro, auf die die
Kirchen jedes Jahr verzichten.
Dieses kluge Vorgehen müssen wir uns auch in der
Politik zum Vorbild nehmen. Eine überzogene Steuerbelastung führt zu Vermeidungen und macht die Kassen
des Staates leerer. Auch hier macht diese Koalition die
richtige Politik.
({9})
Deswegen sind wir rundum richtig positioniert und werden auch weiterhin erfolgreich Steuerhinterziehung und
Steuervermeidung bekämpfen.
({10})
Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Kerstin Andreae. Bitte schön, Frau
Kollegin Kerstin Andreae.
Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Fraktionsvorsitzende der FDP hat den Datenankauf
in Rheinland-Pfalz als Hehlerei bezeichnet. Das sind
markige Worte. Wenn es Hehlerei wäre, müsste ja irgendwann die Staatsanwaltschaft aktiv werden.
({0})
Ich bin gespannt, ob die Staatsanwaltschaft irgendwann
beim Finanzminister in Rheinland-Pfalz auftaucht. Offensichtlich hat Rainer Brüderle eines nicht verstanden:
Es hilft gegen Steuerhinterziehung, wenn sich die Steuerhinterzieher nicht mehr sicher fühlen können. Das ist
der große Effekt dieses Datenankaufs. Wir brauchen
mehr Transparenz im Bereich der Steuern.
({1})
Der Handlungsbedarf ist überdeutlich. In den letzten
Jahren - auch zu Ihrer Regierungszeit - hat sich das von
der Deutschen Bank im Ausland verwaltete Vermögen
mehr als verdoppelt und beträgt inzwischen 600 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank hat 500 Töchter in Steueroasen, allein 150 auf den Cayman Islands. Das sind nicht
alles Steuerhinterzieher - das sagt keiner von uns -, aber
auch exzessive Steuergestaltung zerstört das Vertrauen
der Steuerbürger.
({2})
Die EU-Kommission spricht von 1 Billion Euro Steuerverlusten. Das ist Raubbau an den öffentlichen Kassen.
Dieser muss gestoppt werden.
({3})
Steuerflucht und aggressive Steuergestaltung sind ein
internationales Problem. Aber Steueroasen funktionieren
nur, weil die reichen Industrieländer mitmachen. Das
heißt, wir müssen national, aber eben auch in Europa
handeln. Die Steueroasen in Europa müssen geschlossen
werden.
Beispiel Liechtenstein. Dieses Land ist ein beliebter
Standort für Briefkastenfirmen. Die Bundesregierung
hätte Liechtenstein zu mehr Transparenz bewegen müssen. Stattdessen schließt sie ein windelweiches Steuerabkommen ab und konserviert die Steueroase direkt vor
der Haustür.
({4})
Beispiel Schweiz. Das Steuerabkommen mit der
Schweiz hätte den Anlegern dauerhaft Anonymität gesichert. Das Problem ist doch, dass durch das Steuerabkommen mit der Schweiz die Anonymität gesichert worden wäre.
({5})
Das ist das komplette Gegenteil von Transparenz. Das ist
genau falsch.
({6})
Wichtig wäre ein automatischer Informationsaustausch
gewesen. Dieser Weg ist jetzt wieder frei, weil Rot-Grün
das Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat gestoppt hat.
({7})
Steuerflucht ist eine Hydra. Eine Hydra hat bekanntlich viele Köpfe. Die Strategie für mehr Steuerehrlichkeit
muss an allen Köpfen dieser Hydra ansetzen. Google
zahlt 3 Prozent Steuern auf Auslandsgewinne, Apple nur
1 Prozent. Das funktioniert nur, weil die vorhandenen
Steuergestaltungsmöglichkeiten, zum Beispiel über die
Niederlande - bekanntlich gilt dort eine besonders günstige Besteuerung von Lizenzgebühren -, gern genutzt
werden. 2011 wurden 3,2 Milliarden Dollar in den Niederlanden direkt investiert, davon 2,6 Milliarden Dollar
in Briefkastenfirmen. Das heißt, es braucht ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Da muss Deutschland vorangehen.
({8})
Deutschland muss Ideengeber sein. Was Deutschland
aber macht, ist, auf europäischer Ebene zu blockieren
und zu verhindern, allen voran Wirtschaftsminister
Rösler.
({9})
Zu der von Ihnen angesprochenen Anhörung im Finanzausschuss, Herr Wissing, wollten die Grünen einen
Vertreter von Starbucks einladen. Es verwundert nämlich
schon, dass ein so erfolgreiches Unternehmen Verluste
ausweist. Starbucks hat 161 Filialen in Deutschland,
({10})
macht 100 Millionen Euro Umsatz, zahlt aber keine Gewinnsteuer. Wir wollten da nachfragen. Von Starbucks
ist aber niemand in den Finanzausschuss gekommen.
Daher haben wir jetzt schriftlich nachgefragt. Auch hier
brauchen wir nämlich Transparenz. Es kann doch nicht
sein, dass kleine Cafés und Restaurants sowie die Wirtschaft auf lokaler Ebene Steuern entrichten, aber dieser
große Filialist keinen einzigen Euro Steuern zahlt. Das
ist unfair und ungerecht. Auch hier braucht es Transparenz. Auch hier braucht es Minister und Ministerien, die
vorangehen.
({11})
Letzter Satz. Niedrigstbesteuerung schadet dem Wettbewerb, und Niedrigstbesteuerung schadet auch der öffentlichen Hand. Das darf nicht länger akzeptiert werden. Hier muss es einen wirklichen Richtungswechsel
- auch in Ihren Köpfen - geben. Was wir erleben, ist
Steuerhinterziehung. Was wir erleben, ist Steuergestaltung. Was wir erleben, ist Steueroptimierung. Was wir
bräuchten, wäre mehr Steuergerechtigkeit, sehr geehrte
Damen und Herren.
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Andreae. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der
Finanzen, unser Kollege Hartmut Koschyk. Bitte schön,
Kollege Hartmut Koschyk.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben im Jahr 2012 mit 600 Milliarden Euro die
höchsten gesamtstaatlichen Steuereinnahmen in der Geschichte unseres Landes erzielt.
({0})
Das macht deutlich: Unser steuerpolitisches Credo, berechtigte Steueransprüche durchzusetzen, Steuererhöhungen abzulehnen und das Steuerrecht handhabbar zu
gestalten, ist und bleibt die richtige Trias in der Steuerpolitik für unser Land, aber auch für Europa.
({1})
Unser Land hat kein Einnahmeproblem.
({2})
Aber unser Land muss sich in einem schwieriger gewordenen steuerpolitischen Wettbewerb europäisch und international behaupten. Deshalb wird unser Land immer
an der Spitze stehen, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung national, europäisch und international wirksam
zu bekämpfen und vor allem international nach Lösungen zu suchen, um Steuervermeidungsstrategien wirksam entgegenzuwirken.
Ich verstehe schon Ihre Nervosität. Denn wer elf
Jahre den Finanzminister gestellt hat, nur starke Sprüche
geklopft, heiße Luft produziert und nichts zuwege gebracht hat, dem muss es bei dieser Debatte in der Tat
angst und bange werden.
({3})
In dieser Situation wird nun die Steuererhöhungsorgel
angeworfen. Außerdem werden Sie damit konfrontiert,
dass ein Ministerpräsident wie Herr Kretschmann und ein
Länderfinanzminister wie Herr Nils Schmid in BadenWürttemberg sagen: „Genossen, macht halblang! Hört
auf mit dieser Steuererhöhungsstrategie!“. Nach dem,
was ich von Ihrer Fraktion, Frau Andreae, heute in der Ta29232
geszeitung gelesen habe, war ja ganz schön Feuer unter
dem Dach. Da verstehe ich, dass Sie, die Sie ja aus BadenWürttemberg kommen, zwischen Herrn Kretschmann
und Herrn Trittin viel Abrüstungsarbeit zu leisten haben.
({4})
Wir dürfen uns aber nicht auf Spielchen, sondern
müssen uns auf substanzielle Politik für unser Land konzentrieren.
({5})
Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass im globalen Forum für Transparenz und Informationsaustausch jetzt geprüft wird, wie verschiedene Staaten und Gebiete die
Voraussetzungen für einen effektiven Informationsaustausch schaffen können. Wir haben dafür gesorgt, dass es
bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs der EUZinsrichtlinie im Hinblick auf den vom Kollegen
Flosbach erläuterten Revisionsvorschlag endlich Fortschritte gibt. Als Sie damals die Verhandlungen geführt
haben, haben Sie es hingenommen, dass sich Luxemburg
und Österreich quasi ein Stück weit freikaufen konnten.
Wir haben jedes Treffen der deutschsprachigen Finanzminister dazu genutzt, um Luxemburg und Österreich
zum Überdenken der bisherigen Haltung zu bewegen.
Jetzt ernten wir die Früchte unserer Arbeit.
({6})
Das ist konkrete Politik und nicht nur heiße Luft oder
unsachgemäßer Umgang mit europäischen Nachbarn.
Herr Kollege Poß, ich möchte auf das Steuerabkommen mit der Schweiz zurückkommen.
({7})
Wie gehen Sie eigentlich mit europäischen Nachbarn
um? Vor uns hat Österreich - von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler regiert - mit der Schweiz ein solches Abkommen ausgehandelt, dabei allerdings nicht
das erreicht, was wir in dem ausgehandelten Abkommen
erreicht hätten.
({8})
Herr Poß, Sie können es drehen und wenden, wie Sie
wollen. Ich will nicht ausschließen, dass wir jetzt, wo
das Verhandlungsmandat bei der EU liegt, durch Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz im Informationsaustausch mehr erreichen, als wir durch das bilaterale Abkommen erreicht hätten.
({9})
Aber eins ist klar: Die gute Regelung der Vergangenheit, die Bund, Ländern und Gemeinden 10 Milliarden
Euro zusätzlich in die Steuerkassen gespült hätte, ist ein
für alle mal weg. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
({10})
Mit der Initiative der G5-Staaten, also Deutschland,
Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, die unser Land gestartet hat, wollen wir wie bei dem FATCAAbkommen mit den USA einen Informationsaustausch
untereinander erreichen. Das ist eine Initiative, die Sie
nicht zuwege gebracht haben. Schon bei der Vorstellung
dieser Initiative ist deutlich geworden, dass sich immer
mehr Mitgliedstaaten der Europäischen Union einem
dann neuen Standard für EU-weiten Informationsaustausch anschließen werden. So etwas haben Sie in elfjähriger Verantwortung für die Finanzen unseres Landes
durch sozialdemokratische Finanzminister nicht zustande gebracht.
({11})
Selbstverständlich werden wir uns auch auf Finanzzentren außerhalb der EU konzentrieren.
({12})
Es ist doch ein gutes Zeichen, dass es uns gelungen ist,
dafür zu sorgen, dass jetzt auch Großbritannien sagt,
dass man sowohl seine Overseas Territories als auch
seine Crown Dependencies in diese Regelung mit einbeziehen wird, weil auch Großbritannien erkannt hat, dass
ihm sein Steuersubstrat verloren geht. Deshalb sind wir
damit, dass wir Großbritannien in diese G5-Initiative mit
einbezogen haben, und der Debatte, die wir mit Großbritannien und Frankreich auf der G20-Ebene wesentlich
vorangetrieben haben, auf einem guten Weg.
Selbstverständlich werden wir auch die enge Kooperation mit den Vereinigten Staaten nutzen, um auf diesem Sektor weiterzukommen. Es war die klare Ansage
beim Besuch des neuen amerikanischen Finanzministers
hier in Berlin, dass wir alle internationalen Ebenen dafür
nutzen werden, um auch hier gemeinsam mit den USA
weiterzukommen.
Wir sind dafür, dass das Mittel der sogenannten
Schwarzen Liste für unkooperatives Verhalten wieder
auflebt.
({13})
Es wird zu überlegen sein, wie mit Staaten und Gebieten
umzugehen ist, die nicht bereit sind, die Zusammenarbeit zu verbessern. Ein solches Verhalten könnte durchaus Ansatzpunkt für eine Bewertung als unkooperativ im
Sinne des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes
sein.
Natürlich ist auf internationaler und auf europäischer
Ebene weiter entschiedenes Handeln angesagt. Die Kollegen haben bereits angesprochen, was wir national getan haben, zum Beispiel die Verschärfung bei der Selbstanzeige im Bereich von Steuerstraftaten. Wir sind der
Auffassung, dass man zum Beispiel die internationalen
Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung auch im Bereich der nationalen Steuerfestsetzung nutzen sollte. Wir
denken vor allem daran, die Identifizierungspflichten,
die zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung bestehen,
auch für steuerliche Zwecke nutzbar zu machen; wir haben das im Finanzausschuss in dieser Woche bereits andiskutiert.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Ankauf von
CDs sagen. Diese Bundesregierung hat immer die Auffassung vertreten, dass es besser ist, die Dinge so zu regeln, dass wir nicht mehr auf den Ankauf von SteuerCDs angewiesen sind.
({14})
Das gilt übrigens auch im Verhältnis zur Schweiz: So
viele CDs, wie Sie bräuchten, um die Dinge so grundsätzlich und dauerhaft zu lösen, wie wir das mit dem
deutsch-schweizerischen Abkommen getan hätten, werden Sie auf dem Markt nie ankaufen können.
({15})
Durch den Ankauf solcher Steuer-CDs können wir immer nur eines Teils derer, die Steuern hinterziehen, habhaft werden,
({16})
während sich die anderen, solange keine CD auf den
Markt kommt, die sie möglicherweise belastet, weiter
verstecken können. Das ist doch ungerecht. Dies geht
nach dem Zufallsprinzip, es ist wie ein großes Sieb,
durch das sehr viele fallen. Das kann doch kein Prinzip
für eine konsequente Durchsetzung von Steueransprüchen sein.
Das Abkommen mit der Schweiz ist gescheitert. Jetzt
hat Rheinland-Pfalz eine neue Steuer-CD angekauft. Wir
haben dazu das Notwendige gesagt,
({17})
nämlich dass es in dieser Situation keine andere Möglichkeit gibt, als solche Daten auch auszuwerten. Es
wäre allerdings besser gewesen, Sie hätten sich dem
Steuerabkommen mit der Schweiz nicht so politischkleinkariert versagt.
Wir werden weiter unsere Hausaufgaben machen und
berechtigte Steueransprüche durchsetzen - Steuererhöhungen wären jedoch Gift für unser Land - sowie das
Steuerrecht handhabbarer machen.
Herzlichen Dank.
({18})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Nächster Redner
in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Martin Gerster. Bitte
schön, Kollege Martin Gerster.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär Koschyk, es ist gerade einmal eine
Stunde her, da hat Ihre Parteikollegin Gerda Hasselfeldt
- zugegebenermaßen zu einem anderen Tagesordnungspunkt - einen sehr interessanten Satz gesagt: „Wort und
Tat müssen eine Einheit sein.“ Das hätten Sie sich einmal zu Herzen nehmen sollen für Ihre Rede zu diesem
Tagesordnungspunkt.
Es ist ganz schön dreist, es ist eigentlich unglaublich,
in welch atemberaubender Geschwindigkeit Sie sich bei
der Bekämpfung der Steuerhinterziehung vom Verhinderer zum Vorkämpfer entwickelt haben wollen; das ist geradezu unglaublich.
({0})
Wenn Sie jetzt so tun, als ob Sie immer für den automatischen Informationsaustausch gewesen wären, muss man
der Öffentlichkeit die ganze Geschichte der Verhandlungen über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen
in Erinnerung rufen. Dann sehen die Leute, dass Ihre Behauptung jeder Grundlage entbehrt.
({1})
Die Wahrheit ist doch: Sie verhindern seit Jahren, dass
Steuerhinterziehung tatsächlich konsequenter verfolgt
werden kann.
Ich will nur an den Vorstoß zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige erinnern, den wir in dieser Legislaturperiode gemacht haben. Der Kollege Michelbach
von der CSU ist im Fernsehen aufgetreten, er hat im Panorama der ARD erklärt: Ich bin für die komplette Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige. - Und was
war dann, als wir hier namentlich abgestimmt haben? Die
ganze Reihe der schwarz-gelben Abgeordneten hat anders abgestimmt. Deswegen hegen wir erhebliche und
berechtigte Zweifel daran, dass es Ihnen mit dem Ziel
„Effektive und nachhaltige Bekämpfung von Steuerkriminalität“ wirklich ernst ist.
({2})
Wir reden hier ja nicht über eine Bagatelle oder über
Kavaliersdelikte, sondern wir wissen, dass das Problem
gewaltig ist. Schon vor einigen Jahren hat das Tax Justice Network errechnet, dass im Offshorefinanzsystem
angelegte Gelder etwa ein Drittel des globalen Vermögens ausmachen und dass das circa 11,5 Billionen USDollar sind. Die daraus resultierenden Steuerausfälle auf
die Erträge aus diesen Vermögenswerten wurden schon
damals mit jährlich rund 250 Milliarden US-Dollar beziffert.
Es gab jahrelange Diskussionen und insbesondere
auch Initiativen aus der SPD heraus. Wir haben das zum
Thema gemacht; Peer Steinbrück hat das zum Thema gemacht ({3})
mit der „Schwarzen Liste“ in Zusammenarbeit mit der
OECD. Ich finde, dass insbesondere die Union gut daran
täte, dafür auch einmal ein lobendes Wort zu finden;
denn wir waren damals in einer Koalition, und ich finde
es schon ein bisschen schäbig, dass Sie das überhaupt
nicht zu würdigen wissen.
({4})
Aktuell versuchen Sie wieder, zu vertuschen, dass Sie
beim Thema „Bekämpfung von Steuerkriminalität“ auf
der Bremse stehen. Wir sind froh - Joachim Poß hat es
gesagt -, dass wir vonseiten der SPD zusammen mit
Bündnis 90/Die Grünen dafür gesorgt haben, dass das
Steuerabkommen mit der Schweiz nicht in Kraft treten
konnte, weil uns dadurch nämlich entscheidende Möglichkeiten genommen worden wären, an Informationen
von Steuerhinterziehern heranzukommen.
Ich bin auch froh, dass sich Rheinland-Pfalz jetzt entschlossen hat, einen Datenträger anzukaufen. Das wäre
ja gar nicht mehr möglich gewesen, wenn dieses Steuerabkommen tatsächlich in Kraft gewesen wäre. Deswegen muss man an dieser Stelle einfach auch einmal sagen: Gut, dass in Rheinland-Pfalz, aber auch in BadenWürttemberg nicht Schwarz-Gelb regiert, sondern die
Sozialdemokratie zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen. Hier wird tatsächlich gezeigt, wie man effektiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen kann.
({5})
Das unterscheidet sich ganz extrem von dem, was die
FDP zum Beispiel in Baden-Württemberg in der Regierung gemacht hat; denn damals, als die alte Landesregierung noch im Amt war, hat sich Baden-Württemberg geweigert, entsprechende Datenträger anzukaufen,
({6})
und verhindert, dass wir hier tatsächlich gegen Steuerhinterziehung vorgehen konnten.
Insofern sage ich: Das Bild, das Sie hier auf Bundesebene abgeben, ist schwach. Genauso schwach ist aber
auch das Bild, das Sie auf Länderebene abgeben.
Es ist doch entlarvend, dass Sie uns hier und den
Menschen landauf, landab monatelang erzählt haben, es
sei verfassungswidrig, diese Steuer-CDs anzukaufen.
Das Bundesverfassungsgericht hat aber entschieden,
dass es rechtens ist, diese Datenträger zu erwerben.
Sie haben dann schnell einen Strategiewechsel vollzogen und uns erzählt, dass Sie jetzt ein Gesetz auf den
Weg bringen möchten,
({7})
wonach es verboten ist, diese Datenträger-CDs tatsächlich anzukaufen. Deswegen sage ich: Das zeigt, dass Sie
es mit dem Thema „Steuerhinterziehung effektiv bekämpfen“ nicht wirklich ernst meinen. Deshalb ist es
gut, dass wir bald regieren.
({8})
Baden-Württemberg macht es vor: Die neue Landesregierung hat das Personal aufgestockt und in der Steuerverwaltung 500 zusätzliche Stellen, unter anderem für
die Steuerfahndung, und 500 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Das kann sich sehen lassen. Es wäre
gut, wenn Schwarz-Gelb es mit einer effektiven Bekämpfung von Steuerkriminalität endlich auch ernst
meinen würde.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Vorsitzende des Finanzausschusses hatte ich gerade den Eindruck, dass die Kollegen der Opposition in den letzten
Jahren nicht wirklich mit dem Kopf bei der Sache waren
oder eben schon auf Wahlkampfgetöse umgeschaltet haben.
({0})
Ich bin froh, dass wir das heute diskutieren und alles
noch einmal klarstellen können.
Auslöser der heutigen Aktuellen Stunde ist Offshore
Leaks. Die Medien werten eine Datenfestplatte aus und
veröffentlichen Fälle von Steuerflucht über diverse
Steueroasen. Außer den Medien hat noch keiner diese
Daten gesehen, was eigentlich schade ist.
({1})
Aber die öffentliche Wirkung ist enorm. Sie ist enorm
wichtig, deutlich wichtiger als dieses Getöse und Geschrei der Opposition heute. Ich begrüße diese Diskussion ausdrücklich.
({2})
Wir sind Vorreiter bei der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Wir sind seit dreieinhalb
Jahren in der Steuergesetzgebung dabei, Steuervermeidung weiter einzuschränken. Wir begrüßen den öffentlichen Druck, gemeinsam die Steuerhinterziehung zu beDr. Birgit Reinemund
kämpfen, europäisch und international, und gemeinsam
Steuervermeidungsstrategien aufzudecken. Erste konkrete Wirkung: Luxemburg will nun die EU-Zinsrichtlinie umsetzen. Österreich denkt darüber nach.
({3})
Die Allianz der Willigen wird größer, die Vorhaben konkret, und Deutschland geht an der Spitze.
({4})
In der Anhörung des Finanzausschusses haben die
Sachverständigen unisono bestätigt, dass nicht die deutsche Rechtslage das Problem ist, sondern die ungenügende internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen.
Hartnäckiges Verhandeln hilft hier weiter, sonst nichts.
Wenn hier jemand hartnäckig verhandelt, dann dieser Finanzminister, Minister Schäuble: bilateral mit einzelnen
Staaten und multilateral auf der Ebene der EU, der G 8,
der G 20 und der OECD.
({5})
Respektvoll im Ton und hartnäckig in der Verhandlung,
({6})
so ist diese Bundesregierung erfolgreicher als alle zuvor, vor allen Dingen erfolgreicher als Exminister
Steinbrück, der unserem Nachbarn mit Kavallerie und
Einmarsch drohte und heute meint, das Zeug zum Kanzler zu haben.
({7})
Schon peinlich, dass er jetzt ein Acht-Punkte-Papier vorlegt, und zwar als gute Zusammenfassung dessen, was
Schwarz-Gelb bereits auf den Weg gebracht hat.
({8})
Staatssekretär Koschyk hat uns gerade hier wie auch
gestern im Ausschuss die vielen internationalen Initiativen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und von
Steuervermeidung noch einmal eindrucksvoll aufgelistet. Ich hatte im Ausschuss den Eindruck, dass auch die
Opposition ehrlich beeindruckt war. In den Beratungen
stöhnen Sie über zu viel, zu schnell und zu umfangreich.
Hier im Plenum jammern Sie über zu wenig, zu langsam
und nicht weit genug. Was wollen Sie denn nun eigentlich außer Getöse?
In dieser Legislaturperiode haben wir mehr umgesetzt
als je zuvor. Das sind vier gute Jahre für Deutschland.
({9})
Im Rahmen von G 20 und OECD sind wir Vorreiter
bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und Gewinnverlagerung internationaler Konzerne in Niedrigsteuerländer. Nicht umsonst hat Deutschland den Vorsitz der Arbeitsgruppe, die die wichtigen Fragen
Abkommensmissbrauch, steuerschädlicher Wettbewerb und besserer Informationsaustausch bearbeitet.
Circa 90 Doppelbesteuerungsabkommen haben wir in
dieser Legislaturperiode neu aufgesetzt oder nach dem
neuesten OECD-Standard aktualisiert, inklusive großer
Auskunftsklausel. Weitere 70 Abkommen sind gerade in
Verhandlung.
Deutschland bleibt die treibende Kraft bei weiteren
EU-Initiativen. Das gilt für den Aktionsplan zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung,
die Erweiterung der EU-Zinsrichtlinie, die Anpassung
der Zinsbesteuerungsabkommen mit der Schweiz, mit
Liechtenstein, San Marino, Monaco und Andorra, die
G5-Initiative, bei der Deutschland zusammen mit Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien den automatischen Informationsaustausch auf alle Kapitaleinkünfte
ausweiten will. Überall sind wir die Vorreiter.
Natürlich haben wir auch die Hausaufgaben in der
deutschen Gesetzgebung gemacht. Wir haben das
Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verabschiedet und dabei die Bedingungen für die strafbefreiende Selbstanzeige deutlich verschärft. Wir haben das Geldwäschegesetz verschärft und dabei Geldkarten, Spielautomaten
usw. in die Regelungen einbezogen und vieles mehr.
Was national geregelt werden kann, haben wir geregelt. Was international verhandelt werden muss, ist auf
den Weg gebracht.
({10})
Nicht nur international, sondern durchaus auch national
gibt es hier auf der linken Seite des Hauses Bremser bei
der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Damit kommen wir wieder zum Beispiel Schweiz. Seit dem 1. Januar 2013 könnten wir eine Gleichbesteuerung von Kapitalerträgen von Deutschen in der Schweiz in gleicher
Höhe wie in Deutschland haben.
({11})
Seit dem 1. Januar könnten Bund, Länder und Kommunen Millionen Euro Jahr für Jahr einnehmen,
({12})
und erstmals würden alle Gelder auf Konten von Deutschen in der Schweiz flächendeckend nachbesteuert,
egal ob legal versteuertes Geld oder Schwarzgeld, egal
ob bereits verjährt oder eben nicht. SPD und Grüne haben das verhindert und schützen damit die Steuerbetrüger in der Schweiz.
({13})
Rückwirkende Regelungen wird es jetzt nicht mehr
geben. Jahr für Jahr verjähren Ansprüche in Milliardenhöhe. Dieses Geld ist für Deutschland verloren. Ihre To29236
talblockade im Bundesrat verhindert die Regelung von
Cash-GmbH und RETT-Blockern sowie die Umsetzung
der EU-Amtshilferichtlinie.
({14})
Sie torpedieren damit jedes Engagement für mehr
Steuergerechtigkeit. Die Bürger werden Ihnen das nicht
durchgehen lassen.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Ende.
Diese Regierung arbeitet gründlich und verhandelt
hartnäckig und erfolgreich. Das sind vier gute Jahre für
Deutschland; denn die finanzpolitische Vernunft ist
schwarz-gelb.
({0})
Manfred Zöllmer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wer heute noch regulär Steuern zahlt, den kann man einen Steuerpatrioten nennen - oder einen Idioten“, so
weit der für Steuern zuständige EU-Generaldirektor
Heinz Zourek. Wir haben es gehört: 400 Milliarden Euro
deutsches Schwarzgeld werden in Steueroasen versteckt.
In Europa belaufen sich die Steuerausfälle auf über
1 Billion Euro jährlich. Jahrelang hat Finanzminister
Schäuble, jahrelang hat die schwarz-gelbe Koalition
nichts, aber auch gar nichts gegen diese auch von
Finanzinstituten geförderte Steuerflucht unternommen.
Erst jetzt werden Sie wach. Nun versuchen Sie, sich mit
fremden Federn zu schmücken.
({0})
Zur Veränderung der Situation haben einige einen
Beitrag geleistet. Das waren Journalisten, denen Daten
zugespielt wurden. Das waren die USA mit dem Gesetz
FACTA. Das waren natürlich auch Steuer-CDs. Zuletzt
wurde eine Steuer-CD von Rheinland-Pfalz angekauft.
({1})
Von dieser CD verspricht man sich Mehreinnahmen für
den Staat in Höhe von über 500 Millionen Euro.
({2})
- In der Tat verspricht man sich so viel davon. - Ich erinnere daran, dass früher aufmerksame Steuerfahnder
schon einmal für paranoid erklärt wurden, weil sie nach
Meinung der damaligen schwarz-gelben Landesregierung in Hessen zu genau hingeschaut haben. Diese Fahnder wurden dann in Pension geschickt. So sind Sie mit
diesem Thema früher umgegangen.
({3})
Schauen wir uns das Thema Steuer-CD einmal genauer an. Da erleben wir eine ganze Menge. Herr Wissing
hat gesagt, dass es von Herrn Gabriel unverantwortlich
sei, lieber mit Kriminellen zusammenzuarbeiten, die
Steuer-CDs mit gestohlenen Daten anbieten, anstatt ein
sauber ausgehandeltes Abkommen mit der Schweiz zu
unterstützen.
({4})
Die Justizministerin hat sich sogar für ein Verbot des
Ankaufs von Steuer-CDs ausgesprochen. Insgesamt
kann man feststellen, dass es widersprüchliche Signale
aus den Koalitionsfraktionen gibt; das kennen wir schon.
Eine Zeit lang war von der Gurkentruppe und von Wildsäuen die Rede. Man könnte meinen, das sei Vergangenheit. Aber das ist es nicht; denn nun kommt Herr
Brüderle und bezeichnet die aktuelle Beschaffung einer
Steuer-CD als Hehlerei.
({5})
Ich habe mir als Nichtjurist einmal erlaubt, nachzuschauen, was man darunter zu verstehen hat. Bei Wikipedia heißt es:
({6})
Die Hehlerei ist die bedeutendste Anschlussstraftat
an eine zuvor begangene, gegen fremdes Vermögen
gerichtete Straftat …
Das heißt, Herr Brüderle ist der Meinung, dass die Regierung von Rheinland-Pfalz mit dem Ankauf der CD
eine Straftat begangen hat. Das muss man sich einmal
vorstellen! Da kann man wirklich von einem Schutzpatron der Steuerflüchtlinge reden.
({7})
Im Finanzausschuss hat Herr Staatssekretär Koschyk
gestern erklärt, der Ankauf von Steuer-CDs sei eine legitime Möglichkeit, Steuerhinterzieher zu ermitteln. Ist
das jetzt partielle politische Umnachtung bei dem Versuch von Teilen der Koalition, mit diesem Thema umzugehen? Tatsächlich herrscht bei Ihnen ein politisches Gesamtchaos. Man muss die Frage stellen: Wie ehrlich
meint es diese Koalition eigentlich mit der Bekämpfung
von Steuerkriminalität? Man bekommt den Eindruck,
das sei nur Wahlkampfgetöse, das seien nur leere
Schachteln. Wenn Sie sich an den Kosten beteiligen würden, dann würde man das vielleicht anders bewerten.
Dann würde man vielleicht zu der Erkenntnis kommen,
dass Sie es wirklich ernst meinen.
({8})
In der gleichen Sitzung des Finanzausschusses hat
dann der Staatssekretär Koschyk einen automatischen
Informationsaustausch über alle Kapitaleinkünfte in
ganz Europa gefordert.
({9})
Das finde ich sehr gut. Wenn es da nicht dieses Schweizer Steuerabkommen gegeben hätte, das Sie ausgehandelt haben und von dem Sie eben erklärt haben, dass die
EU jetzt viel besser verhandele als die Bundesregierung
verhandelt habe!
({10})
Dieses Abkommen ist ja das genaue Gegenteil von
Transparenz gewesen, das Gegenteil von Betrugsbekämpfung.
({11})
Steuerhinterziehung würde legalisiert. Es ist wirklich
gut, dass der Bundesrat das abgelehnt hat.
({12})
Angesichts meiner Vorrednerin muss ich noch einmal
auf das eingehen, was die Neue Zürcher Zeitung geschrieben hat. Wörtlich:
Der Rückenwind für den AIA
- den automatischen Informationsaustausch war in der EU noch nie so stark. Und die Schweizer
Strategie, über Abgeltungssteuer-Abkommen mit
einzelnen Staaten die EU auseinanderzudividieren
und sich von den Vertragspartnern das Quellensteuer-Modell garantieren zu lassen, ist nicht aufgegangen.
Es ist nicht aufgegangen, weil wir es verhindert haben.
Sie hingegen wären dieser Strategie auf den Leim gegangen. Das ist genau das Gegenteil von Transparenz in Europa.
({13})
Es gibt neben diesen kriminellen Steuerhinterziehungen natürlich auch noch andere Bereiche der aggressiven
Steuergestaltung. Dazu wollte ich ursprünglich auch
noch etwas sagen.
Das schaffen Sie aber gar nicht mehr.
Aber das geht jetzt überhaupt nicht. Deswegen lautet
mein Appell an die Bundesregierung: Machen Sie durch
Taten deutlich, dass Ihnen die Bekämpfung von Steuerkriminalität wirklich ernst ist. Dann werden Sie uns, die
Sozialdemokraten, an Ihrer Seite haben.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Hans
Michelbach jetzt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei der
Bekämpfung von Steueroasen, Steuerhinterziehung und
Steuervermeidung lässt sich unsere Koalition von niemandem überbieten.
({0})
Wir unterstützen sachgemäß Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble und das Ministerium, das in der
Europäischen Union und in der Gruppe der G 20 federführend und nachdrücklich tätig ist, wenn es darum geht,
Steuerhinterziehung und grenzüberschreitende Steuergestaltung zu bekämpfen, der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage und der Gewinnverschiebung
internationaler Konzerne Einhalt zu gebieten, die internationale Zusammenarbeit zu verbessern und letzten Endes Steueroasen durch den automatischen Informationsaustausch Schritt für Schritt auszutrocknen. Das sind die
Aufgabenfelder, die massiv und aktiv bearbeitet werden,
meine Damen und Herren.
({1})
Wir begrüßen besonders das vom Bundesfinanzminister zusammen mit seinem englischen und seinem französischen Kollegen initiierte Projekt PePs, weil das Problem nicht allein national- oder EU-rechtlich gelöst,
sondern nur international angegangen werden kann.
({2})
Die OECD erarbeitet in drei Arbeitsgruppen unter
deutschem Vorsitz insbesondere einen Aktionsplan über
Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen. Deutschland plädiert hier für einheitliche
Mindeststeuern, um die optimierende Steuergestaltung
einzudämmen.
Wir haben ja letzthin darüber diskutiert: Es wird von
uns nicht hingenommen, dass Amazon und Google hier
nur 2, 3 Prozent versteuern. Das ist wettbewerbsungerecht. Deswegen wollen wir, dass sich hier massiv etwas
ändert. Das ist aber nicht die Schuld des deutschen Fiskus. In verschiedenen Ländern, wie Irland, Holland
({3})
und Luxemburg, gibt es Steuerdumping. Wir versuchen
natürlich, dieses Steuerdumping massiv zu bekämpfen.
({4})
International tätigen Unternehmen soll eben nicht länger
ermöglicht werden, durch fragwürdige Steuergestaltung
und das Nutzen von Steueroasen den Nationalstaaten
rechtmäßige Steuereinnahmen nicht zu gewähren bzw.
Steuereinnahmen zu hinterziehen. Die Steuervermeidungsstrategien internationaler Großkonzerne sind nämlich wettbewerbsfeindlich gegenüber den vielen mittelständischen Unternehmen, die hier im Wettbewerb
stehen.
Wir wollen legitime Steueransprüche konsequent
durchsetzen, und es wäre für uns der richtige Weg, wenn
wir jetzt für das, was die Journalisten unter dem Titel
„Offshore Leaks“ veröffentlicht haben, nun auch Ross
und Reiter genannt bekämen. Wir wollen die Angaben
prüfen und die Steuerhinterziehung bekämpfen.
({5})
Das ist Sache des deutschen Fiskus. Das gehört nicht nur
in die Printpresse bzw. die Zeitungen.
Im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung und Steuervermeidung setzen wir als wichtigste
Maßnahme auf Transparenz und auf die Diplomatie, um
diese auch durchzusetzen. Wenn ich von Diplomatie
spreche: Gerade die SPD muss in diesem Punkt zunächst
einmal vor der eigenen Haustür kehren. Obwohl die SPD
elf Jahre den Bundesfinanzminister stellte, hat sie doch
letzten Endes nichts bewirkt. Was hat denn Herr
Steinbrück in seiner Zeit als Bundesfinanzminister erreicht? Nichts außer Verhärtungen, Drohungen, Ablehnungen, Verzögerungen und mehr Steuerhinterziehung.
Das ist das Ergebnis von Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück. Das ist die Wahrheit.
({6})
Sie haben mit Ihrer Blockade im Bundesrat eine
Verjährung der Steuerhinterziehung wissentlich in Kauf
genommen.
({7})
Die SPD begünstigt Steuerhinterziehung in Höhe von
10 Milliarden Euro. Das ist Untreue gegenüber dem
deutschen Steuerzahler schlechthin. Das ist die Wahrheit.
({8})
Der Gipfel der Heuchelei ist der Acht-Punkte-Plan
der SPD, die sogenannte Braunschweiger Erklärung. Dabei schaut doch in Nordrhein-Westfalen die rot-grüne
Regierung nach wie vor zu, wie die WestLB-Rechtsnachfolgerin Portigon AG Anleiheprojekte in der Steueroase Curaçao realisiert.
({9})
Unter den Käufern dieser Anleihe ist im Übrigen auch
der Brandenburger Finanzminister Markov von den
Linken. Liebe Genossinnen und Genossen, kehrt vor der
eigenen Tür. In Curaçao macht er die Anlagegeschäfte,
die Sie hier kritisieren. Kehren Sie vor der eigenen Tür.
({10})
Machen Sie bei unseren gesetzlichen Maßnahmen mit.
Dann gehen Sie den richtigen Weg.
Herr Kollege.
Sie gehen in die falsche Richtung.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD hat der Kollege Dr. Carsten Sieling jetzt
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die
heutige Aktuelle Stunde „Kampf gegen Steuerhinterziehung“ betitelt. Wir wollten gerne, dass hier diskutiert
wird und der Öffentlichkeit deutlich gemacht wird, was
man gegen das tun kann, was insbesondere in den letzten
Tagen und Wochen bekannt geworden ist. Von denjenigen, die nicht nur reden und Vorschläge machen können,
sondern auch umsetzen können, haben wir hier Nebelwerfereien über große Taten aus der Vergangenheit erlebt und Ankündigungen dahin gehend gehört, was man
international machen kann.
({0})
Ich muss Ihnen deutlich sagen: Ich finde, das reicht
vorne und hinten nicht. Wenn man ernsthaft gegen Steuerhinterziehung vorgehen will, muss man gucken, was
man zu Hause machen kann, und muss damit auch anfangen.
({1})
Weil Sie die Möglichkeit, in dem Bereich vom Saulus
zum Paulus zu werden, nicht genutzt haben, will ich
meine Redezeit nutzen, um fünf Punkte zu nennen, die
Sie national sofort umsetzen können, sogar noch in dieser Legislaturperiode.
({2})
- Auch dazu werde ich noch etwas sagen, Herr Kollege.
Punkt eins. Bauen Sie die Steuerfahndung nachhaltig
aus.
({3})
Stärken Sie diesen Bereich durch entsprechendes Personal, und tun Sie das bitte auch in Ihren Ländern.
({4})
Kollege Gerster hat hier ausgeführt, was Baden-Württemberg getan hat, nachdem endlich Ihre Parteigänger
abgewählt worden sind.
({5})
- Herr Kollege, wir machen es in Bremen. - Ich nenne
nur ein Beispiel: Das ist Herr Bouffier. Heute ist er Ministerpräsident in Hessen mit Endlaufzeit bis September.
Er war, glaube ich, Innenminister, als er dafür gesorgt
hat, dass Steuerprüfer, die ihre Sache ernst genommen
haben, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurden,
weil sie aus seiner Sicht übereifrig waren. Das ist Ihre
Steuerfahndungsverhinderungsmaschine gewesen. Ändern Sie das!
({6})
Punkt zwei. Sie haben im Jahressteuergesetz Regelungen gestrichen, durch die Steuerflucht und -hinterziehung bekämpft werden. Insbesondere geht es dabei um
einen Informationsaustausch über Kapitalerträge nach
dem EU-Amtshilfegesetz.
({7})
Über den Bundesrat bringen wir diese Regelungen Gott
sei Dank wieder in das Gesetz ein. Das Ganze ist jetzt im
Vermittlungsausschuss. Meine Damen und Herren, ändern Sie Ihr Jahressteuergesetz! Stimmen Sie unserem
Vorschlag zu! Dann können wir auch da nachhaltig zugreifen. Das war mein zweiter Vorschlag für eine ganz
konkrete Vorgehensweise.
({8})
Punkt drei. Peer Steinbrück hat es auf den Weg gebracht, dass die OECD so etwas wie eine schwarze Liste
aufstellt. Diese Liste ist mittlerweile ausgetrocknet; da
steht nichts mehr drauf. Aber Sie haben als Regierung
die Chance, von Deutschland aus wieder Druck zu
machen und vor allem für Deutschland eine schwarze
Liste zu erstellen. Damit würde ganz klar festgestellt,
welche die Sünderländer sind. Das könnte das zwischenstaatliche Klima ändern.
({9})
Punkt vier. Natürlich gibt es die Möglichkeit, bevor
man internationale Vereinbarungen trifft, das zu leisten,
was FACTA in den USA leistet. Natürlich gibt es die
Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass zum Beispiel Banken
und Finanzinstitute, die Steuerflucht unterstützen, zu
Strafen herangezogen werden, dass Strafen erhöht werden, bis hin zum Entzug von Geschäftsführertätigkeiten
und von Banklizenzen.
({10})
Machen Sie das! Das können Sie hier in Deutschland voranbringen.
({11})
Letzter Punkt; er ist tagesaktuell. Hier ist vielfach angesprochen worden, dass Steuer-CDs angekauft worden
sind.
({12})
- Von Bundesländern.
({13})
An genau dieser Stelle redet die FDP immer noch
von Hehlerei. Die FDP-Justizministerin LeutheusserSchnarrenberger will solche Ankäufe sogar verbieten.
Sie möchten dergleichen also regelrecht verhindern.
({14})
Ich darf einmal am Beispiel von Nordrhein-Westfalen
aufzeigen, was der Ankauf einer solchen CD bringt. Der
dortige Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat das
sehr deutlich gemacht.
({15})
- Das ist der Mann aus Nordrhein-Westfalen, der zugreift, Herr Fricke. Sie kommen aus dem gleichen Bundesland wie er.
Den von Nordrhein-Westfalen angekauften SteuerCDs lassen sich 3 000 Straftaten entnehmen. Mittlerweile hat es 8 000 Selbstanzeigen gegeben. Allein Nordrhein-Westfalen hat Steuermehreinnahmen in Höhe von
670 Millionen Euro. Sie wollen das liegen lassen. Damit
vergehen Sie sich wirklich am Wohl dieses Volkes.
Ändern Sie da Ihr Herangehen. Kaufen Sie auch, und
unterstützen Sie das auch. Prüfen Sie nicht immer nur,
sondern beschließen Sie, dass die Länder, in denen Sie
regieren, ebenfalls für solche CDs bezahlen. Sorgen Sie
dafür, dass auch der Bund dafür bezahlt. Das wäre das
richtige Vorgehen.
({16})
Das war Punkt fünf.
Damit komme ich zum Schluss. Ich will nur noch auf
eines hinweisen - schließlich wird immer wieder gesagt,
das hätten die Sozialdemokraten doch alles tun können -:
({17})
2002 haben wir hier im Bundestag einen Gesetzentwurf
verabschiedet, durch den das Bankgeheimnis abgeschafft werden sollte. Sie haben ihn mit Ihrer damaligen
Mehrheit im Bundesrat blockiert, und Sie haben somit
verhindert, dass Bankgeschäfte endlich transparent
werden. Sie tragen die Verantwortung, auch für die Vergangenheit. Das Gute, was Sozialdemokraten und Grüne
angefangen haben, haben Sie verhindert, und damit
tragen auch Sie an dieser Stelle daran Schuld, dass der
Kampf gegen Steuerhinterziehung in Deutschland ein
stiefmütterliches Dasein fristet.
Vielen Dank.
({18})
Jetzt hat Manfred Kolbe das Wort für die CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Sieling, Ihre ganze Aufgeregtheit
({0})
und auch Ihr Statement hier, die Bekämpfung der Steuerhinterziehung sei zum Erliegen gekommen, sind doch
schlicht und ergreifend fehl am Platz. Diese Bundesregierung, seit 2005 von Angela Merkel geführt, ist die
erfolgreichste Bundesregierung hinsichtlich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
({1})
Sie kommen doch nicht an den Fakten vorbei. Ich
liste sie noch einmal auf. Um alle zu nennen, würde
meine Redezeit gar nicht reichen. Ich nenne Ihnen nur
die wichtigsten: Wir haben den qualifizierten Tatbestand
der bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung - § 370
Abs. 2 Abgabenordnung - eingeführt. Wir haben die
Telekommunikationsüberwachung bei Steuerdelikten
eingeführt; sie gab es vorher nicht. Wir haben die Verjährungsfrist bei schwerer Steuerhinterziehung von fünf
auf zehn Jahre verlängert. Wir haben Einschränkungen
bei der strafbefreienden Selbstanzeige vorgenommen. Es
gibt jetzt keine Teilselbstanzeige mehr, und auch der
Zeitpunkt der Tatentdeckung ist vorverlagert worden.
Die Selbstanzeige als Mittel einer Hinterziehungsstrategie scheidet also aus.
Zu den CDs, die Sie hier immer wieder in die Diskussion bringen: Jeder weiß, dass das problematisch ist.
Diese Bundesregierung hat aber von Anfang an einen
klaren Standpunkt gehabt. Ich zitiere Angela Merkel
vom 1. Februar 2010:
Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant
sind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass Steuerhinterziehung geahndet werden muss.
({2})
So Angela Merkel. Das ist immerhin die Bundeskanzlerin. Eine ganz klare Position, von Anfang an!
({3})
Vergleichen Sie bitte einmal die Zeit ab 2005 mit der
Zeit vor 2005! Von 1998 bis 2005 hat Rot-Grün regiert.
({4})
Frau Andreae, das sollten Sie sich vielleicht noch einmal
vergegenwärtigen, auch wenn Sie nicht die ganze Zeit
dabei waren.
Was ist denn in den sieben Jahren unter Rot-Grün passiert? Da ist doch jedem nur Eichels Steueramnestie aus
dem Jahr 2003 in Erinnerung. Das nannte sich dann pikanterweise auch noch „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“. Was haben Sie denn damals gemacht? Sie
haben bei hinterzogenen Steuern die Bemessungsgrundlage ermäßigt: bei der Einkommensteuer auf 60 Prozent,
bei der Erbschaftsteuer auf 20 Prozent und bei der Gewerbesteuer auf 10 Prozent.
({5})
Die erhofften und in den Haushalt eingestellten 5 Milliarden Euro sind nie gekommen. Am Ende sind klägliche 1,2 Milliarden Euro gekommen. Diese sieben Jahre,
die waren doch wirklich blamabel. Da können Sie jetzt
nicht das große Wort führen.
({6})
Es ist richtig: Wir haben 2005 bis 2009 in der Großen
Koalition gut zusammengearbeitet. Sie haben den Bundesfinanzminister gestellt. Aber auch schon damals war
Peer Steinbrück eher für die Abteilung Klamauk zuständig. Die Kavallerie ritt gegen die völlig unschuldigen Indianer aus; Ouagadougou, die Republik Burkina Faso,
die mit Steuerhinterziehung nun wirklich nichts zu tun
hat, wurde beleidigt usw. Das alles war doch nicht unbedingt zielführend. - Ein kleiner Einschub, Herr Poß: Wovor hat die SPD im Augenblick am meisten Angst? Dass
Peer Steinbrück wieder mal ankündigt, Klartext zu reden! - Das war damals genauso wie heute.
({7})
Sie, Herr Poß, haben gleich zu Beginn wieder das
Schweiz-Bashing fortgesetzt. Sicherlich war der Finanzplatz Schweiz nicht unproblematisch.
({8})
Aber die Schweiz bemüht sich doch ehrlich, hiervon
wegzukommen. Deshalb: Ruinieren Sie doch nicht das
Verhältnis zu einem guten Nachbarn!
({9})
Wir führen hier ja auch nicht ständig die in Paris augenblicklich regierenden Champagnersozialisten vor, bloß
weil dort der Haushaltsstaatssekretär ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz mit 600 000 Euro hatte. Das ist
nicht typisch für Frankreich. Also, achten Sie doch auch
einmal ein bisschen auf die Beziehungen zu unseren
Nachbarn! Die Bemerkungen über Italien, über Grillo
usw., waren doch alle nicht notwendig.
({10})
Wir dagegen arbeiten sachorientiert, auch international - das ist ja schon genannt worden -: BEPS, Aktionsplan EU-Kommission, EU-Zinsrichtlinie, FACTA,
G5-Initiative usw. Das wird auch zum Erfolg führen.
({11})
Eines müssen wir in Europa konstatieren - ich glaube,
das können wir fraktionsübergreifend konstatieren -:
Steueroasen sind nicht irgendwelche fernen Inseln, sondern zu einer Steueroase gehört auch eine gewisse
Rechtssicherheit, eine gewisse Rechtskultur; denn sonst
ist das Geld dort nicht sicher. Das gibt es im Regelfall
nicht ohne eine enge Anbindung an Europa. Alle diese
Inseln - Cookinseln, Jungferninseln, Inseln hinter dem
Winde, Inseln vor dem Winde usw. - haben sehr enge
Beziehungen zu ihren ehemaligen Kolonialmächten und
damit zu Europa. Wir hier in Europa haben es deshalb in
der Hand, dagegen vorzugehen.
Da ist die Bundesregierung führend und leistet gute
Arbeit. Ich bedanke mich namens meiner Fraktion dafür
und wünsche der Bundesregierung und uns allen dabei
weiterhin viel Erfolg. Derjenige, der Steuern zahlt, tut
das nicht nur aus patriotischen Gründen - er ist auch
kein Idiot -, sondern der tut das, um diese unsere soziale
Gemeinschaft zu finanzieren. Dafür müssen wir als Parlamentarier eintreten.
Danke.
({12})
Jetzt hat der Kollege Ralph Brinkhaus das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines
vielleicht vorausgeschickt: Aus welchen Gründen auch
immer man das Steuerabkommen mit der Schweiz blockiert hat - ich will das gar nicht inhaltlich bewerten -:
({0})
Das hat die Kommunen, die Länder und die Bundesrepublik Deutschland, wie der Staatssekretär ausgeführt hat,
Milliardenbeträge gekostet. Das hat allein die Kommunen bei mir im Kreis Gütersloh - daher komme ich - einen siebenstelligen Betrag gekostet.
Erklären Sie bitte den Kommunalpolitikern, warum
Feuerwehrhäuser, Kindergärten, Schulen nicht mehr gebaut werden können:
({1})
Weil Sie dieses Steuerabkommen blockiert haben! Das
ist nämlich die Wahrheit.
({2})
Beim Kampf gegen Steuerhinterziehung sind wir uns,
glaube ich, alle einig. Es gibt niemanden in diesem
Haus, der irgendwelche Sympathien für jemanden hat,
der Steuern hinterzieht. Aber es lohnt sich, da eine saubere Analyse zu machen. Die saubere Analyse besteht
darin, dass wir feststellen können - das ist uns auch in
Fachgesprächen und in Anhörungen bestätigt worden;
Ihnen übrigens auch -, dass das deutsche Recht ziemlich
gut ist. Das deutsche Recht ist ziemlich gut gewachsen
über viele Bundesregierungen - Sie waren auch dabei.
({3})
Wir checken das gerade einmal.
Sabotage. - Jetzt ist es wieder an.
({0})
Das deutsche Recht ist gut.
Ganz ehrlich, Herr Poß: Sie reden über das Bankgeheimnis. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass in
Deutschland das Bankgeheimnis kein Hindernis ist,
Steuerfahndungsmaßnahmen einzuleiten. Die einschlägige Paragrafenkette - das findet man schon bei Wikipedia, Herr Zöllmer, nicht? -: 30 a, 88 und 93 Abgabenordnung. Lesen Sie sich das einfach einmal durch! Das
heißt, jeder, der in Deutschland Steuern hinterzieht, kann
auch durch das Bankgeheimnis nicht geschützt werden.
Also erzählen Sie hier doch nicht das Märchen, dass es
das Problem ist, dass wir hier in Deutschland ein Bankgeheimnis haben! Das ist schlichtweg nicht wahr.
Der zweite Punkt ist folgender: Das Problem - das
haben wir doch alle ganz klar identifiziert - liegt im
Ausland. Wir haben dort drei Problemblöcke.
Der erste Problemblock liegt darin, dass es Länder
gibt, die uns partout nicht mitteilen wollen, wer aus
Deutschland dort sein Geld angelegt hat.
({1})
Dagegen haben wir gearbeitet. Ich habe es gerade noch
einmal herausgeholt. Wir haben in der letzten bzw. in
dieser Legislaturperiode mehr als 40 Doppelbesteuerungsabkommen, Abkommen über Informationsaustausch und Ähnliches abgeschlossen. Die Vorsitzende
des Finanzausschusses hat darauf hingewiesen. Das ist
auch genau der Weg, wie so etwas zu erfolgen hat: auf
diplomatischem Weg, nicht mit der Kavallerie, sondern
auf dem Verhandlungsweg. Das ist nicht sonderlich populär, das ist nicht der große grüne Knopf, wo man sagt:
Darauf drücke ich, und alles wird gut. - Das ist harte Ar29242
beit. Ich kann mich bei der Bundesregierung nur dafür
bedanken, dass sie diese harte Arbeit geleistet hat und
das so gut durchgezogen hat.
({2})
Der zweite Problemblock liegt darin, dass es Länder
gibt, die wesentlich niedrigere Steuersätze als wir haben - im Übrigen auch in Europa. Auch darüber muss
man reden. Dazu gehört Zypern; dazu gehört im Übrigen
auch Irland, für das wir heute sehr großzügig die Konditionen für die Hilfskredite, für die Bürgschaften verlängert haben. Dementsprechend sollte es unser Anspruch
sein - von uns allen -, dass wir immer wieder darauf
hinweisen.
Der dritte Problemblock besteht darin, dass es Länder
gibt, die die Steuergesetze so ausgestaltet haben, dass
man Schlupflöcher finden kann, wie man Geld irgendwohin verlagern kann. Das ist genau der Fall, über den wir
auch geredet haben. Das ist Apple, das ist Google. Das
nennt man „Double Irish with a Dutch Sandwich“. Da
sind unsere Freunde aus den Niederlanden ganz vorn dabei, da sind unsere Freunde aus Irland ganz vorn dabei,
und ich glaube, wir tun gut daran, das Ganze im europäischen Prozess zu adressieren. Das macht die Bundesregierung. Im Übrigen ist die Bundesregierung - darauf
wurde schon mehrfach hingewiesen - bei den Arbeitsgruppen in der OECD führend, macht am meisten Druck.
Ich denke einmal, da sind wir auf einem guten Weg.
Ich denke auch, die Vorschläge von Herrn Sieling waren nicht so sonderlich überzeugend. Das waren die Forderungen: mehr Fahnder - das ist Aufgabe der Länder -,
mehr Informationsaustausch - das wird schon gemacht -, mehr CDs. Ich weiß nicht, ob das ein probates
Mittel ist, das man anwenden kann. Ich glaube, diese
Bundesregierung hat gut gearbeitet; Ihre Vorschläge laufen ins Leere.
({3})
Zum Schluss vielleicht zwei Punkte, die uns unterscheiden. Das Erste ist das nahezu semierotische Verhältnis der Opposition zu Steuereinnahmen. Wir haben
600 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Das Einzige, was
der Opposition in ihren Wahlprogrammen einfällt, ist:
Wie können wir das steigern? Das ist doch völlig absurd,
und das zeigt im Grunde genommen: Sie definieren sich
nicht über vernünftige Staatshaushalte,
({4})
sondern über die Erhöhung bei der Erzielung von Steuereinnahmen.
({5})
Das ist schon schlimm genug.
Aber wissen Sie, was noch viel schlimmer ist - das ist
auch der Geist Ihres Vorschlages, dass wir ganz, ganz
viele Fahnder brauchen -: Sie trauen den Menschen in
diesem Land nichts zu.
({6})
Fakt ist, dass in diesem Land 99,9 Prozent der Steuerpflichtigen - ob Einzelsteuerpflichtige oder Unternehmer - steuerehrlich sind.
({7})
Was Sie machen, ist: Sie stellen alle Steuerpflichtigen
unter den Generalverdacht, dass sie nichts anderes vorhaben, als Steuern zu hinterziehen, zu vermeiden und zu
verkürzen. Das ist schlichtweg unanständig. Das wird
mit uns nicht laufen. Sie trauen den Bürgern und Bürgerinnen in diesem Lande nichts zu. Sie wollen einen Kontrollstaat. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir werden
die Durchsetzung des Steuervollzugs in diesem Land mit
Augenmaß und vernünftig weiter voranbringen, so wie
wir es in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht haben
und wie wir es in den nächsten vier Jahren machen werden.
Danke schön.
({8})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 l auf:
a) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Schlussbericht der Enquete-Kommission „In-
ternet und digitale Gesellschaft“
- Drucksache 17/12550 -
b) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Urheberrecht
- Drucksache 17/7899 -
c) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Vierter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Netzneutralität
- Drucksache 17/8536 -
d) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Fünfter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Datenschutz, Persönlichkeitsrechte
- Drucksache 17/8999 -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
e) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Sechster Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Bildung und Forschung
- Drucksache 17/12029 -
f) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Siebter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Demokratie und Staat
- Drucksache 17/12290 -
g) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Achter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Wirtschaft, Arbeit, Green IT
- Drucksache 17/12505 -
h) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Neunter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz
- Drucksache 17/12541 -
i) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Zehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Interoperabilität, Standards, Freie Software
- Drucksache 17/12495 -
j) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Elfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Internationales und Internet Governance
- Drucksache 17/12480 -
k) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Zwölfter Zwischenbericht der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“
Verbraucherschutz
- Drucksache 17/12540 -
l) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Dreizehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
Kultur, Medien und Öffentlichkeit
- Drucksache 17/12542 Dazu ist vorgesehen, eineinhalb Stunden zu debattieren.
({0})
- Eine und eine viertel Stunde. Sie haben recht.
Zu Beginn der Aussprache gebe ich das Wort an den
Kollegen Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Sachverständige der Enquete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Internetrebellion im Deutschen Bundestag ist beendet“, hat Die Welt heute Morgen geschrieben.
({0})
Das ist natürlich grober Unfug. Ich sehe keine Rebellen,
sondern nur engagierte Abgeordnete und Sachverständige, die sich einem wichtigen Thema gewidmet haben.
In der Tat, es ist vollbracht. Die Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“ ist beendet. Viele
sind darüber heilfroh. Der eine oder andere hat auch
Phantomschmerzen oder Entzugserscheinungen. Bei mir
hält es sich in Grenzen. Aber das eine oder andere Mal
fehlt sie mir doch an einem Montag, unsere EnqueteKommission. Wir haben drei Jahre lang intensiv zusammengearbeitet, haben nahezu 2 000 Seiten beschrieben.
Es gab über 200 Sitzungen in zwölf Projektgruppen, bei
30 großen Themenbereichen. Das war natürlich sehr
kraftraubend, sehr kräftezehrend, teilweise sehr nervtötend und auch sehr spannend. Dieses Thema hat eine
große Spannbreite und birgt auch große Spannungen in
sich. Ich glaube, wir haben das ganz gut gemeistert. Die
Frage ist natürlich: Hat sich diese Enquete gelohnt? Ich
muss sagen: Ja, sie hat sich gelohnt. Es war gut, dass wir
diese Enquete-Kommission eingesetzt haben.
({1})
Wir haben in dieser Legislaturperiode aus einem Nischenthema ein Schwerpunktthema gemacht. Wir haben
das Thema Internet, das ein Querschnittsthema ist, in die
Mitte der Gesellschaft, in den Deutschen Bundestag, in
die politischen Entscheidungen geholt. Wir haben viel
erreicht, nicht nur quantitativ, nicht nur die 2 000 Seiten,
sondern wir haben eine sehr intensive Laborarbeit
- ohne Feldversuch - gemacht. Wir hatten dabei die Absicht, nicht so sehr ins Tagesgeschäft zu gehen, was uns
nicht immer gelungen ist, was wahrscheinlich bei diesem Thema gar nicht möglich ist. Die Generalinventur,
die Bestandsaufnahme, die wir gemacht haben, ist deswegen so wichtig, weil es dies vorher so noch nicht gab.
Ich bin sehr froh darüber, dass die Handlungsempfehlungen sehr vielseitig sind. Natürlich gefallen diese
Handlungsempfehlungen nicht jedem. Für mich persön29244
lich sind auch einige dabei, die mir zuwider sind. Aber
das ist bei jedem politischen Thema so: Es ist so bei der
Energiepolitik, der Gesundheitspolitik, der Verteidigungspolitik oder anderen Themen. Es kann nicht immer
so sein, dass es uns allen gefällt.
Die Enquete ist auch besonders streitbar gewesen,
besonders am Anfang. Wir haben uns zu Beginn sehr
in die ideologischen Schützengräben eingegraben. Zum
Schluss - das hat mir sehr gefallen - haben wir - auch
angesichts des Zeitdrucks - sehr konsensorientiert und
ergebnisorientiert gearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir müssen das Ergebnis positiv begleiten.
Die Enquete ist ein Erfolg. Es gibt keine Verlierer, wie
die Bild oder einige Twitter-Meldungen heute verkündeten. Es gibt nur Gewinner, weil wir dieses Thema so
wunderbar begleitet haben. Dafür vielen herzlichen
Dank!
({2})
Als Obmann meiner Fraktion darf ich mich bei meinen Kollegen bedanken, die sich - neben ihren anderen
Fachthemen - intensiv und mit Herzblut in diese Themen eingearbeitet haben und wirklich bei der Sache waren. Ich bedanke mich bei unseren Mitarbeitern, den
Mitarbeitern unserer Abgeordnetenbüros, der Fraktionen, beim Sekretariat und beim Vorsitzenden. Alle haben
intensiv gearbeitet. Insbesondere danke ich unseren
Sachverständigen herzlich, die ihren Sachverstand eingebracht haben. Ohne sie wäre das Zelt, das wir aufgebaut haben, ein Zelt ohne Gestänge, und es wäre in sich
zusammengefallen. Vielen Dank für Ihren Sachverstand!
Das hat uns wirklich sehr viel weitergebracht.
({3})
Es wird nachher von allen Kollegen, die mitgemacht
haben, noch sehr viel berichtet werden. Meine Quintessenz sind drei wesentliche Punkte, die ich Ihnen nennen
möchte:
Erstens. Nach dem Ende ist vor dem Anfang. Das bedeutet: Nach der Enquete ist vor dem Ausschuss. Wir
sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ an einer herausgehobenen
Stelle, wie auch immer es aussehen mag - das muss der
nächste Deutsche Bundestag beschließen -, wirklich
weiter bearbeitet wird. Es darf nicht so sein, dass man
bei diesem wichtigen Thema wieder in einen Dornröschenschlaf verfällt. Wir wollen keinem anderen Ausschuss irgendwelche Besitzstände abjagen, sondern wollen dieses Thema in der Mitte halten. Das ist für uns
ganz wichtig; es ist eine wichtige Handlungsempfehlung, die wir getroffen haben.
({4})
Zweitens. Wir haben neue Formen der Bürgerbeteiligung gefunden - viele werden noch genauer darauf eingehen -: Blogs, Foren, neue Arbeitsplattformen, eigene
Internetseiten, auf denen wir das Material wirklich zeitnah zur Verfügung gestellt haben. All das war ganz
wichtig. Wir müssen diese Formen der Bürgerbeteiligung untersuchen und im Ergebnis festhalten: Wie informieren wir in Zukunft die Menschen? Wie können sie
sich beteiligen? Wie können sie ihre Ideen und Vorschläge einbringen? - Wir haben in diesem Zusammenhang viele Dinge ausprobiert; aber all das ist noch nicht
rund und fertig.
Eines ist dabei auch klar: Beteiligen heißt natürlich
nicht Entscheiden. Auf jede Bürgerbeteiligung folgt eine
Entscheidung, und die Entscheidung können nur diejenigen treffen, die dafür legitimiert sind: die Mitglieder des
Deutschen Bundestages. Das wird natürlich so bleiben.
Kein Computer, kein iPad ersetzt den Deutschen Bundestag. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen.
Drittens: Leitplanken und Regeln, die wir aufstellen
und benennen müssen. Da geht bei manchen natürlich
die rote Lampe an. Aber jede funktionierende Gesellschaft braucht Regeln und Leitplanken, damit sich beispielsweise Anbieter sicher und frei bewegen können.
Eine Selbstregulierung des Internets wird es nicht geben
und kann nicht funktionieren. Es darf weder eine Freibiermentalität - Freibier für alle - noch einen Freibrief
für Kriminelle geben.
Mein Fazit, meine Damen und Herren: Ohne Internet
ist eine moderne, freie Gesellschaft wie unsere nicht vorstellbar. Wir müssen die Chancen bewahren, die Werte,
die in diesen Chancen liegen, gestalten und die Risiken,
die es natürlich gibt, aufzeigen und minimieren. Das
geht nur auf globaler Ebene. Wenn es uns gelingt, bei
den drei Punkten, die ich genannt habe, weiter voranzukommen, dann hat sich diese Enquete schon allein deshalb gelohnt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen,
die darin mitgearbeitet haben.
({5})
Jetzt hat Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Tat sollten wir in der heutigen Debatte
über die erfolgreiche Arbeit in der Enquete-Kommission
reden. Wir haben die ersten Pressekommentierungen gelesen, in denen uns auch unterstellt wird, wir hätten
nichts geschafft. Aber ich sage: Wir wussten, dass wir
uns auf einen schweren Weg machen. Wir, 17 Abgeordnete, 17 Sachverständige und der 18. Sachverständige,
auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde, haben gemeinsam versucht, das Thema Netzpolitik hier im
Deutschen Bundestag zu verankern. Ich finde, wir können voller Stolz sagen: Es ist uns gelungen. Es gab
schwierige Diskussionen, es gab auch Holprigkeiten auf
dem Weg, es gab Missverständnisse, Streit und Auseinandersetzungen. Das gehört aber zur parlamentarischen Demokratie dazu. Am Ende des Tages ist es uns
aber gelungen, einen 2 000 Seiten langen Bericht vorzuLars Klingbeil
legen, der wesentliche Wegmarken für die Zukunft, für
die Entwicklung der digitalen Gesellschaft, aufzeigt und
dokumentiert. Ich sage Ihnen: Wir haben etwas geschafft. Wir haben das Thema hier verankert. Dahinter
wird man nicht mehr zurückfallen.
({0})
Auch ich möchte mich vor allem bei den Sachverständigen bedanken. Wir von der SPD haben vier Sachverständige benannt, mit denen wir hervorragend zusammengearbeitet haben: Cornelia Tausch, Alvar Freude,
Wolfgang Schulz und Lothar Schröder. Das sind vier, die
unsere Arbeit, die Arbeit der SPD, bereichert haben, die
sich konstruktiv eingebracht haben, die gestritten haben,
die viel Zeit für die Arbeit in der Enquete hier im Deutschen Bundestag geopfert haben. Ich hoffe, dass auch
die vier sagen: Dieser Weg hat sich gelohnt.
({1})
Insgesamt möchte ich mich bei allen Sachverständigen
bedanken, die hier heute zahlreich vertreten sind.
({2})
Ich will mich im Namen der SPD-Fraktion beim Sekretariat der Enquete und bei vielen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern bedanken, die viele Überstunden geleistet haben, damit der umfassende Bericht pünktlich
zum heutigen Tag fertig wurde. Das war eine großartige
Arbeit, die weit über tariflich geregelte Arbeitszeiten hinaus geleistet wurde. Dafür von uns allen ein herzlicher
Dank!
Wir sind im Jahr 2009 gestartet. Damals befanden wir
uns an einem netzpolitischen Tiefpunkt; ich erinnere an
die Diskussion über die Netzsperren. Das war Antrieb
für viele Fraktionen, zu sagen: Wir brauchen eine Enquete-Kommission. Zudem gab es eine Onlinepetition,
die 134 000 Menschen unterzeichnet haben und damit
auf den Weg gebracht haben, dass sich hier im Deutschen Bundestag etwas ändern soll. Die Neugründung
der Piraten gehörte mit dazu; allerdings scheint sich das
Thema mittlerweile erledigt zu haben. Aber es ist festzuhalten: Ihr großes historisches Verdienst war, das Thema
Netzpolitik in die traditionellen Parteien hineingetragen
zu haben.
Das Thema ist angekommen. Wir haben hier im Deutschen Bundestag Pflöcke eingeschlagen, und - der Kollege Koeppen hat es gerade angesprochen - es muss in
der nächsten Legislaturperiode weitergehen. Wir haben
uns einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden. Deswegen wollen wir auch, dass in der nächsten Legislatur ein ständiger Ausschuss „Netzpolitik“ eingerichtet wird, der
sich darum kümmert, dass die Handlungsempfehlungen
umgesetzt und vorangetrieben werden und dass der Bundestag nicht hinter das zurückfällt, was wir niedergelegt
haben.
Wir sagen aber auch: Wir brauchen eine Spiegelung
auf der Regierungsseite. Es gibt unterschiedliche Interpretationen, was das bedeutet. Ich persönlich habe immer gesagt, dass wir einen Staatsminister im Bundeskanzleramt brauchen, weil wir sehen: Es funktioniert
nicht, wenn 14 unterschiedliche Ministerien ihre eigene
netzpolitische Agenda haben. Momentan, unter der
schwarz-gelben Regierung, sehen wir, dass nichts passiert. Wir brauchen jemanden in der Regierung, der das
Thema vorantreibt, der Ideen umsetzt und das Ganze koordiniert.
({3})
Ich möchte drei Punkte aus den 2 000 Seiten des
Schlussberichts herausgreifen, die uns besonders wichtig
sind.
Der erste Punkt ist das Thema Bildungspolitik. Es
darf nicht vom Geldbeutel oder der Netzaffinität der Eltern abhängen, ob Menschen in der digitalen Gesellschaft Startchancen haben. Deswegen haben wir einstimmig beschlossen: Jede Schülerin, jeder Schüler braucht
ein Laptop oder ein Tablet. Wir brauchen eine Digitalisierung der Bildungsmaterialien. Wir brauchen eine veränderte Lehrerausbildung. Dazu gehört für uns Sozialdemokraten auch, dass das Kooperationsverbot fällt und
der Bund in der Bildungspolitik mitgestalten kann.
({4})
Wir haben davon gesprochen, dass das Laptop zur
Werkbank des 21. Jahrhunderts wird. Das heißt, wir
müssen die Menschen ermutigen, sich digital auszuprobieren. Es geht um digitale Selbstständigkeit, um Befähigung und nicht um den erhobenen Zeigefinger. Das ist
uns in der Bildungspolitik ganz wichtig.
Der zweite Punkt, der uns wichtig ist, ist die digitale
Wirtschaft. Auch hier brauchen wir einen Aufbruch. Wir
sehen, dass es Potenziale für Wachstum und Arbeitsplätze gibt. Das heißt für uns, dass wir stärker über die
Ausbildung von IT-Fachkräften reden müssen. Wir brauchen den entschlossenen Breitbandausbau mit dem Universaldienst, die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität und die Förderung einer digitalen Gründerkultur.
Hierfür hat die Enquete-Kommission - manchmal in den
Mehrheitsvoten, manchmal in den Sondervoten - viele
vernünftige Vorschläge aufgeschrieben, die jetzt umgesetzt werden müssen.
({5})
Der dritte Punkt, der uns wichtig ist: die Entwicklung
der digitalen Demokratie. Hierfür war die Enquete selbst
ein Paradebeispiel. Aber auch inhaltlich haben wir vieles
auf den Weg gebracht, etwa wenn es darum geht, dass
die Informationsfreiheit ausgebaut werden muss. Wir
wollen endlich einen Aufbruch im Bereich von Open
Data. Wir wollen dafür sorgen, dass die Transparenz
auch in politischen Prozessen gestärkt wird.
Wir als Enquete haben diesen Gedanken der Transparenz gelebt. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger über
den 18. Sachverständigen beteiligt. Auch wenn wir uns
einig sind, dass wir uns manches Mal mehr Vorschläge
gewünscht hätten: Die eingebrachten Vorschläge waren
qualitativ sehr hochwertig. Vieles von dem ist in den Abschlussbericht eingegangen. Das hat uns allen gezeigt:
Die Politik muss keine Angst davor haben, Türen aufzustoßen und die Menschen zu beteiligen. Vielmehr sorgt
es für eine höhere Legitimation unserer Entscheidungen,
wenn wir Menschen transparent beteiligen.
({6})
Abschließend kann ich sagen: Das waren aus meiner,
aus unserer Sicht drei erfolgreiche Jahre. Viele Worte
müssen jetzt in Taten umgesetzt werden. Dafür ist die
nächste Bundesregierung, der nächste Bundestag zuständig. Mir ist wichtig, festzuhalten: Das Internet ist da, es
geht nicht mehr weg. Die Frage, ob das Ganze politisch
gestaltet wird, entscheiden wir hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen für Zugang sorgen, wir müssen für
ausreichend Bildung sorgen, dafür, dass sich Kreativität
und Wertschöpfung entfalten können, und dafür, dass
sich Demokratie weiterentwickelt. Hier können wir nur
gemeinsam hoffen, dass alle die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission ernst nehmen und umsetzen.
Vielen Dank.
({7})
Jimmy Schulz hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Keine Angst, ich werde jetzt keine Rede mit ehemals
nicht erlaubten technischen Hilfsmitteln halten.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Sachverständige, die Sie heute auf der
Tribüne diese Debatte verfolgen! Natürlich begrüße ich
auch die anonymen Internetuser an den Tastaturen. Dieser Tablet-PC, mit dem ich vor drei Jahren eine meiner
ersten Reden in diesem Haus gehalten habe, ist ein Symbol für die Veränderung, die in diesem Hause stattgefunden hat. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale
Gesellschaft“ hat diese Veränderung manifestiert. Digitalisierung und globale Vernetzung haben nicht nur alle
gesellschaftlichen Bereiche erfasst, durchdrungen und
nachhaltig verändert, sie haben auch Politik und den
Bundestag verändert.
Aufgabe der Enquete-Kommission, die auf Initiative
der Koalition hin eingerichtet wurde, war es, über drei
Jahre diese Veränderungen in allen gesellschaftlichen
Bereichen politisch zu verstehen, zu analysieren, zu bewerten und über mögliche Schlüsse, die daraus zu ziehen
sind, über eventuell notwendig werdendes Handeln des
Gesetzgebers zu diskutieren. Im Auftrag der EnqueteKommission stand, dass die Öffentlichkeit in besonderem Maße in die Arbeit der Enquete einbezogen werden
sollte. Die Diskussion darüber, wie dieser Auftrag in die
Tat umgesetzt werden sollte, war sicherlich nicht einfach, aber erstens für alle lehrreich und zweitens erfolgreich.
Wir haben gemeinsam für größtmögliche Transparenz
gesorgt: mit einem Internetauftritt, mit der Veröffentlichung aller Dokumente und mit Livestreams der Enquete-Kommissionssitzungen. Diese Transparenz war
nötig, um für echte Beteiligung zu sorgen, um einen echten Dialog mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern,
dem 18. Sachverständigen, in Gang zu bringen. Den
3 200 Bürgerinnen und Bürgern, die sich auf unserer Beteiligungsplattform registriert haben, die den Mut gefunden haben, mit uns diesen Weg zu gehen, gilt genauso
unser Dank wie den 17 Sachverständigen, die uns fast
drei Jahre lang ausgehalten haben. Vielen Dank!
({1})
Das Experiment der direkten Bürgerbeteiligung, der
Einbeziehung des Souveräns in die politische Arbeit des
Parlaments, ist weltweit einmalig und beispielgebend.
Alle Beteiligten haben dabei viel gelernt. Das ist sicher
ein Zukunftsmodell und zeigt, wie sich Demokratie weiterentwickeln kann, wie sie sich weiterentwickeln muss.
Das ist kein Patentrezept gegen Politikverdrossenheit,
aber ein Baustein für die Weiterentwicklung des Erfolgsmodells der repräsentativen Demokratie.
Aus den zwölf Projektgruppen will ich kurz zwei herausgreifen, mit denen ich mich in den letzten 18 Monaten besonders beschäftigt habe. Zum einen ist das die
Projektgruppe „Zugang, Struktur und Sicherheit im
Netz“. Das Thema IT-Sicherheit ist längst kein
Randthema mehr, sondern betrifft uns alle. Um uns den
Herausforderungen stellen zu können, braucht es kompetente Köpfe, die wir durch mehr Lehrstühle in dieser
Fachrichtung fördern wollen. Ebenso empfehlen wir, zu
prüfen, ob der umstrittene sogenannte Hackerparagraf
sich negativ auf das Entdecken von Sicherheitslücken
auswirken könnte.
Eine besondere Ehre wurde mir dadurch zuteil, dass
ich der Projektgruppe „Interoperabilität, Standards, Freie
Software“ vorsitzen durfte, beschäftige ich mich doch
beruflich und privat seit über 20 Jahren mit dem Thema
der freien Software. Unabhängig davon freue ich mich,
dass wir heute Abend zu ganz später Stunde anlässlich
eines entsprechenden Antrages endlich das Thema der
Eindämmung von Softwarepatenten aufgreifen können.
Aber leider werden die Reden dazu zu Protokoll gegeben; deswegen habe ich dies hier erwähnt.
Neben dem Hinweis auf die vielen gemeinsamen Erfolge und darauf, dass so manche Auseinandersetzung in
der Sache strittig geführt wurde, bedanke ich mich bei
allen, die an dieser Enquete mitgewirkt haben, für den
kollegialen Stil und die manchmal fast familiäre Atmosphäre. Ich habe diese Enquete am Anfang einmal als
„Volkshochschulkurs Internet für den Bundestag“ bezeichnet. Heute formuliere ich es anders: Mission completed!
({2})
Schon vor drei Jahren habe ich an dieser Stelle einen
eigenen dauerhaften Platz für dieses Thema in diesem
Haus gefordert. Dies ist das wichtigste Ergebnis unserer
gemeinsamen Bestrebungen. Wir haben einstimmig beschlossen, dass das Thema Netzpolitik diesen Platz im
Parlament bekommt: einen eigenen Ausschuss. Das ist
unser gemeinsamer Auftrag.
Dieses Gerät wird vermutlich bald im Museum landen. Das Thema Internet, die schönste Form der Globalisierung, bleibt aber in diesem Haus.
Vielen Dank.
({3})
Jetzt erteile ich Halina Wawzyniak das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beenden heute ganz offiziell die Arbeit der
Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich will
mich zunächst ganz herzlich bei allen Sachverständigen
bedanken, die über Parteigrenzen hinweg - sie wurden ja
von den Fraktionen benannt - die Arbeit der Enquete bereichert haben. Sie haben viel Zeit und viel Kraft in diese
Arbeit investiert, und das ohne einen Fraktionsapparat
und ohne persönliche Mitarbeiter. Deswegen herzlichen
Dank! Ein ganz besonders herzliches Dankeschön geht
auch an das Sekretariat der Enquete.
({0})
Ich will mich an dieser Stelle insbesondere bei
Constanze Kurz und Annette Mühlberg bedanken, die in
besonderer Unabhängigkeit die Arbeit der Enquete begleitet haben.
Ich will an dieser Stelle auch anmerken, dass ich es
bedauerlich finde, dass die Debattenzeit verkürzt worden
ist. Weder die Verkürzung der Debattenzeit noch der
Zeitpunkt der Debatte sind der Arbeit der Enquete angemessen.
({1})
Der wichtigste Beitrag, den die Enquete geleistet hat,
war, das Thema in der Gesellschaft und damit auch in
der Mitte des Bundestages zu verankern. Es ist eben
nicht mehr nur ein Thema für ein paar Verrückte in den
jeweiligen Fraktionen; im Prinzip hat mittlerweile jede
und jeder Abgeordnete irgendwie mit dem Thema Netzpolitik zu tun.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Beteiligung von
Bürgerinnen und Bürgern an parlamentarischen Prozessen sinnvoll und richtig ist. Alle können profitieren,
wenn Bürgerinnen und Bürger an Entstehungsprozessen
von Initiativen beteiligt werden. Deswegen ist es zu begrüßen, dass die Enquete empfohlen hat, dass parlamentarische Gremien, wenn sie Beteiligungswerkzeuge nutzen wollen, diese zukünftig zur Verfügung gestellt
bekommen. Ich kann Sie alle nur auffordern: Machen
Sie das! Nutzen Sie die Beteiligungswerkzeuge!
({2})
Ich persönlich finde, die Enquete hätte an der einen
oder anderen Stelle im Hinblick auf die Handlungsempfehlungen durchaus mutiger sein können. Es handelt sich
schließlich um Empfehlungen, und am Ende entscheidet
der Bundestag.
Der Abschluss der Arbeit der Enquete ist ein Zeitpunkt, um nach vorne zu schauen. Deswegen will ich aus
linker Sicht deutlich machen, wo Handlungsbedarf besteht, um das Internet als Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs zu gestalten.
Erstens. Internet gehört zum Alltag. Ohne Zugang
zum Internet sind Menschen von vielen gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen: Jobvermittlung, Nachrichten, Onlinebanking und Austausch mit anderen. Ich
könnte noch vieles andere aufzählen. Deshalb sagen wir:
Netz für alle! Wir meinen, dass der Zugang zum Internet
Bestandteil des soziokulturellen Existenzminimums sein
muss und deshalb ein Computer unpfändbar sein sollte.
({3})
Das haben wir in einem Antrag, den wir hier eingebracht
haben, und auch in einem Sondervotum in der Projektgruppe „Medienkompetenz“ deutlich gemacht.
Zweitens. Der Zugang zum Internet setzt voraus, dass
es überhaupt die Möglichkeit gibt, das Internet zu nutzen. Deshalb sind der Breitbandausbau und eine Universaldienstverpflichtung dringend nötig.
({4})
- Ich wundere mich, warum von SPD und Grünen kein
Beifall kommt; denn dies haben die drei Oppositionsfraktionen in drei Sondervoten gefordert.
Drittens. „Netz für alle“ bedeutet aber auch, dass an
der Netzneutralität festgehalten werden muss. Nicht nur
Entwicklungen in jüngster Zeit - ich nenne das Stichwort „Telekom“ - lassen uns sagen: Netzneutralität gehört gesetzlich verankert. Auch das haben die Oppositionsfraktionen in zwei Sondervoten festgehalten.
({5})
Viertens. Wenn wir vom Internet als einem Raum der
Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs
sprechen, dann bedeutet dies aber auch, dass wir einen
Datenschutz brauchen, der diesen Namen wieder verdient. Wir sagen ein klares Nein zur Vorratsdatenspeicherung. Wir fordern die Voreinstellung von Geräten
und Diensten mit der größtmöglichen Privatsphäre und
die Sicherung von Anonymität und Pseudonymität im
Internet.
({6})
Dass Netzpolitik Gesellschaftspolitik ist, will ich an
einem Beispiel aus der Außenpolitik deutlich machen.
Wir als Linke betrachten die Ergebnisse des sogenannten
Tallinn Manuals ausgesprochen skeptisch. Im Rahmen
eines informellen Gesetzbuches sollen völkerrechtliche
Fakten geschaffen werden, unter welchen Bedingungen
bei einem sogenannten Cyberwar mit konventionellen
Mitteln Krieg geführt werden kann. Völkerrechtler bezeichnen dies als Krieg auf Verdacht. Wir als Linke sagen auch hier sehr deutlich: Wir lehnen Krieg als Mittel
der Politik ab, Krieg auf Verdacht erst recht.
({7})
Das Internet und die Digitalisierung der Gesellschaft
verändern unser Leben rasant. Es liegt an uns, wie wir
diese Herausforderungen meistern. Die Linke stellt sich
diesen Herausforderungen und wird die Handlungsempfehlungen aufgreifen, auch in der nächsten Legislaturperiode. Unser zentraler Ausgangspunkt ist dabei, das
Internet als Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs zu gestalten.
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Konstantin von
Notz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Gesetzgeber müssen uns mit den massiven gesellschaftlichen Umbrüchen, die mit dem Internet und der Digitalisierung einhergehen, intensiv beschäftigen und diesen
Wandel vor allem politisch aktiv gestalten. Diese Einsicht stand am Anfang der Enquete-Kommission, deren
Arbeit wir heute mit dieser Debatte abschließen.
Am Anfang der Legislaturperiode waren wir uns einig, dass es einen ganz erheblichen parlamentarischen
Aufholbedarf in diesem Politikfeld gab. In den letzten
drei Jahren haben wir intensiv daran gearbeitet, diesen
Zustand zu beheben - erfolgreich, wie ich finde. Ich
wage die These, dass sich kaum ein anderes Parlament
derart intensiv mit netzpolitischen Fragestellungen beschäftigt hat, wie wir es in dieser Legislaturperiode getan haben.
({0})
Die Netzpolitik ist in der Mitte dieses Parlaments angekommen. Das ist vor allen Dingen ein Verdienst der
Enquete-Kommission. Das heißt mitnichten, dass es
nicht auch an zahlreichen Stellen teilweise ganz erheblich voneinander abweichende Positionierungen der einzelnen Fraktionen gegeben hat - leider.
({1})
Ich denke da vor allem an die Netzneutralität, den Verbraucherschutz, den Datenschutz, aber auch an GreenIT, wo es trotz aller Kompromissbereitschaft unter den
Beteiligten unmöglich war, gemeinsame Positionierungen zu finden. Hier sage ich für meine Fraktion ganz
deutlich, dass wir uns an zahlreichen Stellen, auch bei
der Gutachtenvergabe, Herr Kollege Koeppen, oft mehr
Mut gewünscht hätten.
({2})
Die Enquete-Kommission hat insgesamt, nicht nur inhaltlich, ein dickes Brett gebohrt. Sie hat das Gebot der
Stunde erkannt und sehr weit gehende Transparenz der
eigenen Arbeit hergestellt.
({3})
Darüber hinaus hat sie auch in anderen Bereichen innovative Wege beschritten. Als „Versuchslabor eines Parlaments der Zukunft“ hat sie eine neue zivilgesellschaftliche Beteiligung ermöglicht. Das war nicht immer
einfach. Es war richtig und wichtig, neue Beteiligungsformen zu nutzen. Dies sollte der Bundestag auch in Zukunft weiter ausbauen.
Aber diese Beteiligungsinstrumente ersetzen - das
weiß jeder von uns, der die Arbeit der Enquete-Kommission in den letzten Jahren verfolgt hat - eben nicht das
Ringen um Kompromisse, zähe Abstimmungsverfahren,
Sitzungen bis spät in die Nacht und auch manchmal anstrengende Diskussionen; all das bleibt uns erhalten. Die
Einbeziehung externen Sachverstands macht demokratische Prozesse nicht automatisch einfacher; sie ist oft
sogar mit mehr Arbeit verbunden. Aber sie ist - das sieht
man auch an unseren Ergebnissen - lohnend.
Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion dem
Dank an alle anschließen, die den Erfolg dieser EnqueteKommission ermöglicht haben. Zu nennen sind unsere
Sachverständigen, Jeanette Hofmann und Markus
Beckedahl, und die vielen Sachverständigen der anderen
Fraktionen, zum Beispiel Wolfgang Schulz, aber auch
der Ausschussvorsitzende Axel E. Fischer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschusssekretariats und
der Fraktionen, die sich so manche Nacht um die Ohren
geschlagen haben, die Köpfe hinter der Beteiligungsplattform Adhocracy, deren ehrenamtliches EngageDr. Konstantin von Notz
ment zweifellos nicht immer ausreichend gewürdigt
wurde und - last but not least - diejenigen, die dieses
Angebot tatsächlich genutzt und sich an unseren Diskussionen intensiv beteiligt haben. Ihnen allen einen ganz
herzlichen Dank!
({4})
Leider muss derzeit das unsägliche schwarz-gelbe
Leistungsschutzrecht als Argument für den Nachweis
herhalten, die Netzpolitik habe keinen Einfluss in diesem Hohen Haus. Das sehe ich komplett anders.
({5})
- Das sehe ich komplett anders, Herr Blumenthal.
({6})
- Passen Sie auf! Jetzt wird es total spannend. - Das Zufallbringen von ACTA, die Rücknahme der Netzsperren,
die Blockade der Vorratsdatenspeicherung und selbst das
Downsizen beim Leistungsschutzrecht, all das zeigt den
zunehmenden Einfluss und die steigende Bedeutung der
Netzpolitik in diesem Haus.
({7})
Die Arbeit der Enquete-Kommission, die Tausende
Seiten Ergebnisse, die 400 Handlungsempfehlungen sind
nicht ein Abschluss in Sachen Netzpolitik, sondern der
Anfang. Die Bedeutung dieses Themas wird nämlich
nicht abnehmen, sondern wegen der zunehmenden Veränderung unserer Gesellschaft durch Digitalisierung und
Internet massiv zunehmen.
Es geht bei der Netzpolitik um die Zukunft der Zivilgesellschaft.
Herr Kollege!
Ich komme zum Schluss. - Es geht um Gerechtigkeit
und Teilhabe, es geht um die wirtschaftliche Zukunft
dieses Landes, und es geht darum, wie wir arbeiten,
kommunizieren, wie wir lernen, ja, wie wir leben wollen. Das alles müssen wir politisch gestalten. Ein Anfang
ist gemacht, mehr aber auch nicht. Jetzt muss es richtig
losgehen.
Ganz herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Thomas Jarzombek hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
nehme das Kompliment des Kollegen von Notz ausgesprochen gerne an. Ich finde, dass er in dieser Sache absolut recht hat.
({0})
Wir haben in diesen mehr als drei Jahren nicht nur einen
Bericht mit über 2 000 Seiten produziert, sondern auch
sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet, und, wie ich
glaube, erfolgreich. Die eine oder andere Kommentierung, es sei in dieser Zeit nicht viel erreicht worden, teile
ich überhaupt nicht. In der vorangegangenen Legislaturperiode war ein freiheitlich-subsidiärer Gedanke nicht
Leitmotiv der Internetpolitik. Wir haben viele Kollegen
überzeugen können und den Geist der Freiheit beim
Thema Internet auch innerhalb unserer eigenen Fraktion
wieder zurückgeholt.
Die Rücknahme des Zugangserschwerungsgesetzes,
ACTA, der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und nicht
zuletzt das Leistungsschutzrecht - vielen Dank auch
noch einmal für dieses Kompliment -, das am Ende nur
noch eine relativ leere Hülle geblieben ist, zeigen doch
relativ klar, wie sich die Paradigmen gewandelt haben.
({1})
Man kann das auch an drei Personen festmachen: Selbst
unser Kollege Günter Krings hält es nicht mehr für möglich, Internetanschlüsse abzuschalten.
({2})
Selbst Siegfried Kauder, „Kauder-Strike“, ist zum Revoluzzer in Sachen LSR geworden, und der Kollege
Dr. Tauber hat es geschafft, Erika Steinbach zum Twittern zu bringen.
({3})
Wenn das keine Erfolge sind, dann weiß ich es auch
nicht mehr.
Wir haben viel Positives erreicht - das soll nicht verschwiegen werden -, angefangen damit, dass wir beim
Thema Breitbandversorgung einen großen Schritt nach
vorne gemacht haben, bis hin zur Vergabe des Deutschen
Computerspielpreises. Auch in den Arbeitsgruppen, in
denen ich entweder federführend tätig war bzw. die ich
geleitet habe, haben wir eine ganze Reihe guter Ergebnisse erzielt. Beim Thema „Wirtschaft, Arbeit, GreenIT“ haben wir entdeckt, dass das Internet ein echter
Wirtschaftsfaktor, eine Jobmaschine ist und die Chance
bietet, neue spannende Unternehmen zu gründen.
({4})
Nicht nur die Studien, die wir in der Enquete-Kommission in Auftrag gegeben haben, sondern auch der Emp29250
fang der Start-ups, zu dem die Bundeskanzlerin vor kurzem zusammen mit dem Vizekanzler Rösler eingeladen
hat, haben gezeigt, dass in diesem Bereich über 100 000
Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Das ist also alles
andere als ein kleines Geschäft.
Wir haben bisher immer gesagt: Der jüngste deutsche
Konzern auf diesem Gebiet wurde vor 40 Jahren gegründet, nämlich SAP. Was kam eigentlich danach? Es sind
viele nordamerikanische Unternehmen gekommen. Jetzt
schicken sich bereits die ersten Firmen aus Deutschland
an, Marktführer zu werden. Trivago, ein Unternehmen,
das beim Thema Hotel mittlerweile weltweit führend ist,
hat bei mir zu Hause, in Düsseldorf, 300 Arbeitsplätze
geschaffen. Das muss man anerkennen und weiter fördern. Dafür haben wir in dieser Enquete-Kommission
eine Menge geleistet.
Wir hatten auch das Thema „Internationales und Internet-Governance“ auf unserer Tagesordnung. Hier fällt
mein Resümee nicht so positiv aus, weil ich glaube, dass
das Thema Internationales im Bereich Internet im Deutschen Bundestag bisher zu wenig Platz gegriffen hat. Ich
finde es wichtig, dass wir Abgeordnete künftig stärker
Präsenz auf internationalen Konferenzen zeigen, dass
wir unseren Einfluss auch in Deutschland stärker geltend
machen. Nicht zuletzt stehe ich sehr hinter unserer konsensualen Forderung - übrigens ist der gesamte Bericht
vollständig konsensual beschlossen -, uns für ein IGF in
Deutschland zu bewerben. Warum sollen wir uns immer
nur für die Ausrichtung von Fußballweltmeisterschaften
und Ähnlichem bewerben? Ich finde, wir müssen auch
bei den internationalen Internetveranstaltungen endlich
einmal Ausrichter werden und auch hier für mehr Bewusstsein sorgen.
({5})
Die dritte Arbeitsgruppe befasste sich mit Jugendschutz und Medienkompetenz. Über die Ergebnisse haben wir schon bei der Debatte über den Zwischenbericht
gesprochen; deshalb muss hier gar nicht mehr viel gesagt
werden, außer vielleicht, dass ich bedaure, dass wir an
einigen Stellen nicht so weit gekommen sind, wie wir
gekommen sein könnten. Wenn man beim Thema „Laptops für Schüler“ - das habe ich selbst erlebt - immer
noch darüber diskutiert, ob nun die Länder zuständig
sind oder der Bund, und die Länder glauben, hier könne
jeder seinen eigenen technischen Standard realisieren,
sind wir leider auch im Jahr 2013 noch nicht da angekommen, wo wir eigentlich hin müssen.
({6})
Ich finde im Übrigen, dass wir uns mit dem Thema
„Jugendschutz im Internet“ noch einmal stärker befassen
müssen. All die Bemühungen und Vorstöße, die wir hier
vonseiten des Familienausschusses gemacht haben, wurden von den Ländern auf relativ breiter Front immer
wieder gebremst. Denjenigen in den Ländern, die glauben, man könne - vielleicht nach einer Bundestagswahl
ohne Piratenfraktion - hingehen und den alten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wieder aus der Schublade
holen, ihn ein bisschen anpinseln und wieder einbringen,
sage ich: Das wird nicht gehen.
({7})
Ich freue mich, wenn ich Sie dabei auf meiner Seite
habe.
({8})
Ich darf mich zum Schluss bei all denen bedanken,
die in der Enquete-Kommission mitgearbeitet haben,
nicht nur bei denen, die in meinen Arbeitsgruppen
mitgearbeitet haben, sondern bei allen. Es war ein sehr
engagiertes Arbeiten. Die Arbeit war teilweise wirklich
anstrengend. Ein paar von meinen grauen Haaren, die
leider immer mehr werden, haben sich, glaube ich, in
dem einen oder anderen Bericht niedergeschlagen.
({9})
Aber ich finde, es war eine tolle Diskussionsatmosphäre.
Sie war, auch wenn man anderer Meinung war, von sehr
sachlichen Auseinandersetzungen geprägt. Das hat mir
sehr gut gefallen.
Zum Schluss danke ich für meine Fraktion unseren
Sachverständigen: Professor Ring, Dr. Rohleder, Nicole
Simon, Professor Weinhardt, Harald Lemke und Professor Gorny. Sie sind alle häufig nach Berlin gekommen,
haben sehr viel Zeit geopfert und auch an den Texten
viel Arbeit geleistet. Herzlichen Dank dafür!
({10})
Ich freue mich, mit Ihnen zusammen in einem Internetausschuss in der nächsten Wahlperiode weiterzumachen; denn eines ist klar: Das Thema Internet ist viel zu
wichtig, um der Unterausschuss von irgendwas zu sein.
Vielen Dank.
({11})
Brigitte Zypries hat für die SPD-Fraktion das Wort.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir hatten in der Tat drei Jahre Gespräche, drei Jahre Beratungen, drei Jahre Arbeit. Ganz
so positiv, wie Sie es geschildert haben, Herr Jarzombek,
fand ich es, ehrlich gesagt, nicht. Ich hätte mich schon
manchmal über bessere Diskussionen gefreut.
({0})
Es ist schön, dass Sie in der CDU einen erheblichen
Lernprozess durchgemacht haben. Das freut uns natürlich.
({1})
- Die SPD hat es vielleicht nicht so nötig; das kann man
an verschiedenen anderen Dingen sehen.
({2})
Ich schließe mich dem Dank an die Sachverständigen
an und bestätige Ihnen gerne, dass wir in diesem Diskussionsprozess eine Menge an gemeinsamen Positionen
gefunden haben, aber nicht nur solche. Es bleiben eine
Menge grundsätzlicher Fragen bestehen, über die wir
keinen Konsens erzielen konnten. Insbesondere bei der
Frage der gesellschaftlichen Bedeutung von Transparenz
und Informationsfreiheit gibt es eine unterschiedliche
Bewertung. Deshalb möchte ich allen, die ein vollständiges Bild der Ergebnisse der Enquete-Kommission bekommen wollen - nicht nur bei diesem Punkt, aber eben
auch bei diesem Punkt -, empfehlen, sich auch die
Handlungsempfehlungen der Oppositionsfraktionen
durchzulesen.
({3})
Sie finden sich dort in den Sondervoten. Wir werden an
vielen Stellen wesentlich konkreter als die Koalition.
Deswegen kann ich nur sagen: Lesen Sie auch diese
Handlungsempfehlungen! Unter den ergänzenden Empfehlungen finden sich unter anderem Vorschläge zur
Transparenz, zur Weiterentwicklung der anonymen und
der pseudonymen Kommunikation im Internet, zur Weiterentwicklung des Petitionsrechts und zur Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsrechts.
Transparenz - ein Begriff, der in aller Munde ist - ist
gar kein sonderlich unkomplizierter Begriff. Was heißt
denn das: „Transparenz“? Live-Öffentlichkeit verändert
Kommunikationsprozesse; das wissen wir alle. Sie kann
auf der einen Seite die Akzeptanz dieser Kommunikationsprozesse verbessern, wird aber auf der anderen
Seite mit Sicherheit das Verhalten der Kommunizierenden verändern. Deswegen meine ich, dass man nicht generell sagen kann: Wir machen das alles transparent und
offen. Vielmehr müssen wir uns für jeden Fall, für jedes
Gremium und im Zweifel für jede Institution, einzeln
überlegen, wie viel Transparenz für die Herstellung von
Öffentlichkeit sinnvoll ist und wo als Nebenwirkung
droht, dass Diskussionen aus dem dann transparenten
Prozess in die Hinterzimmer verlagert werden. Damit
wäre niemandem gedient.
Mit diesen neuen Möglichkeiten zur Schaffung von
Transparenz, die wir durch das Netz haben, stehen wir
jedenfalls nicht mehr nur vor der Frage der Machbarkeit,
sondern auch vor der Frage von politischem Wollen und
politischem Willen. Wie viel Transparenz will der Staat
gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern erreichen?
Wer ein digitales Vermummungsverbot fordert, wie einige Kollegen, oder wer die im deutschen Recht durch
das Telemediengesetz garantierte Anonymität im Internet infrage stellt, der hat für meine Begriffe problematische Vorstellungen davon, wie viel Transparenz andersherum der Staat von seinen Bürgern verlangen kann.
({4})
- Das ist ein anderes Thema. Darauf gehen wir gerne
später ein.
({5})
- Nein, Herr Kollege, keineswegs.
({6})
Wir haben uns in der Projektgruppe „Demokratie und
Staat“ darauf verständigt, dass die Transparenz weiter
ausgebaut werden soll und die Beteiligungsmöglichkeiten stärker genutzt werden sollen. Das haben wir auch
im Rahmen dieser Arbeitsgruppe gemacht. Die EnqueteKommission hat die Adhocracy-Plattform genutzt, und
auch die SPD-Fraktion setzt sie ein. Das ist nicht nur ein
Beispiel dafür, wie man Anforderungen an Transparenz
und Bürgerbeteiligung angemessen begegnen kann, sondern auch ein Beispiel dafür, wie man Sachverstand auf
direkte Art und Weise von außen einbeziehen kann.
Für die Enquete-Kommission war es ein Schritt in das
wirkliche Leben, als wir sahen, wie wenig Menschen
sich beteiligt haben. Das ist leider Fakt. Wir hatten diesen Experimentcharakter durchaus geplant; aber dass die
Zahl der Beteiligungen über die Onlineplattform noch
deutlich niedriger war als erwartet, war schade.
({7})
Wunderbar aber war die Tatsache, dass die Qualität dieser Beiträge sehr hoch war. Das zeigt aber eben nur, dass
sich einige speziell Interessierte angesprochen fühlten.
Es gab aber nicht den breiten Beteiligungseffekt, auf den
wir alle gehofft hatten. Das macht noch einmal deutlich,
wie wichtig das Thema „Bildung im Internet“ - Herr
Kollege Klingbeil hat das schon angesprochen - ist. Die
Tatsache, dass man im Internet alles finden kann, heißt
eben nicht, dass man sich auch beteiligt und kommuniziert. Bildung heißt also nicht nur, zu lernen, wie man
den Computer an- und ausstellt, sondern auch, zu lernen,
wie man damit umgeht. Deswegen ist es richtig und gut,
dass wir uns darauf verständigt haben, Laptops für Schülerinnen und Schüler zu beschaffen. Das reicht aber
nicht. Es muss auch völlig klar sein, dass die Lehrpläne
der Schulen entsprechend angepasst werden müssen und
die Schülerinnen und Schüler lernen müssen, dass man
sich über dieses Medium auch beteiligen kann.
({8})
Diesen wichtigen Punkt noch am Ende meiner Rede zu
nennen, liegt mir ganz besonders am Herzen.
Danke schön.
({9})
Jetzt spricht Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion.
({0})
Heute bringt jeder etwas mit ans Rednerpult.
Zunächst möchte ich zu Ihnen kommen, Frau Kollegin Zypries. Schön, dass Sie die Lernfähigkeit einzelner
Kolleginnen und Kollegen erwähnen. Ich will Sie jetzt
nicht als Mutter des Zensurgesetzes bezeichnen, aber Sie
waren zumindest die Patentante. Von daher freut es
mich, dass alle gelernt haben.
({0})
Dieses Werk, das Sie hier sehen, ist der ausgedruckte
Text des Abschlussberichts der Enquete-Kommission.
Der eine oder andere munkelt bereits im Netz, wir hätten
das Internet ausgedruckt und könnten es jetzt ausschalten. Jimmy Schulz hat gerade ein digitales Gerät auf das
Rednerpult gelegt. Ich glaube, ein wesentlicher Punkt
der Enquete-Kommission „Internet“ ist, dass nicht Nerds
in einem geschlossenen Raum miteinander gesprochen
haben, also Leute, die sich damit auskennen, sondern
dass wir hierzu ein Papier herausgebracht haben, das
diejenigen, die sich nicht so sehr mit Fragen des Internets und der digitalen Gesellschaft beschäftigen, lesen
können. Deswegen habe ich symbolisch das Papier mitgebracht, auch wenn es um Internet und digitale Gesellschaft geht.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte
unseren drei Sachverständigen namentlich danken: Professor Gersdorf, Dr. Osthaus und padeluun. Auch sie haben, wie viele in diesem Umfeld - die Sachverständigen,
die Abgeordneten und die Mitarbeiter -, viel Arbeit und
viel Zeit investiert. Ich kann es nicht oft genug sagen:
Ich glaube, es war für einen Sachverständigen - ich sage
das in unser aller Namen - ein Stück weit eine Zumutung, den parlamentarischen Ablauf ertragen zu müssen.
Herzlichen Dank, dass Sie mitgemacht und durchgehalten haben! Das Ergebnis war es wert.
Ich möchte kurz inhaltlich etwas zum Thema Datenschutz sagen. Ich hatte das Vergnügen, die Arbeitsgruppe „Datenschutz und Persönlichkeitsrecht“ leiten zu
dürfen. Wir haben jenseits der Tagespolitik Handlungsempfehlungen entwickelt und eine sehr lange Analyse
geschrieben, die auch von den Sachverständigen in großem Maße mitgetragen wurde; ich empfehle jedem,
diese einmal intensiv zu lesen. Aber besonders stolz bin
ich, dass wir gerade bei diesem schwierigen Thema elf
Handlungsempfehlungen konsensual beschließen konnten. Ich hätte zu Beginn, ehrlich gesagt, nicht gedacht,
dass wir das schaffen. Gerade beim Thema Datenschutz
hat man den Eindruck, dass wir zwar ähnliche Vorstellungen betreffend die Ziele haben, nicht aber betreffend
die Wege. Dass wir es dennoch geschafft haben, konsensuale Empfehlungen zu beschließen, fand ich ganz besonders toll. Deswegen einen herzlichen Dank an alle,
die bereit waren, gemeinsam eine gelungene Formulierung zu finden.
Für mich ist das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung besonders wichtig, aber auch Selbstdatenschutz und Medienkompetenz, über die wir in der
Arbeitsgruppe „Datenschutz“ intensiv gesprochen
haben. Der Selbstdatenschutz und die Medienkompetenz
sind die wichtigsten Mittel, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können. Die Nutzer müssen informiert und aufgeklärt sein, um in der
digitalen Welt die richtigen Entscheidungen zu treffen;
denn nur dann können sie selbstständig und frei entscheiden, ob sie in etwas einwilligen, und zeigen, ob sie
mit ihren Daten selbstbewusst und selbstbestimmt umgehen. Deshalb war das für uns ein ganz wichtiger Punkt.
Diese Rechte müssen aber selbst ausgeübt werden
können. Das Internet muss klar und transparent sein, damit man weiß, was man tut. Das ist etwas, was wir gefordert haben: Die nötigen Informationen müssen in der
digitalen Welt vorhanden sein. Man muss diesen Informationen auch vertrauen können, um dann selbstbestimmt sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung
ausüben zu können. Oft fehlt es in den Angeboten im Internet an dieser Transparenz. Es bedarf daher weiterer
großer Anstrengungen. Die christlich-liberale Koalition
hat nicht zuletzt deshalb die Stiftung Datenschutz eingerichtet, die ihre Arbeit gerade aufgenommen hat. Sie
wird wesentlich dazu beitragen, in der digitalen Welt zu
mehr Transparenz und Selbstbestimmung beim Datenschutz zu kommen.
({2})
Ich möchte noch ganz kurz, Frau Präsidentin, sagen
- das meiste hat Thomas Jarzombek gesagt -, dass die
Projektgruppe „Internationales und Internet-Governance“ einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Aber wir
haben leider auch feststellen müssen, dass das deutsche
Parlament auf internationalen Treffen nicht oder nur
durch den Kollegen Jimmy Schulz repräsentiert wird.
Das muss anders werden. Nicht, dass Jimmy Schulz
nicht ausreichen würde - er ist hervorragend -, aber ich
wünsche mir, dass der Bundestag dort in größerer Zahl
selbstbewusst vertreten ist.
Ein letzter Punkt. Ich wünsche mir sehr, dass dieses
Werk nicht nur in Deutsch vorliegt und dass sich der
Bundestag doch noch entscheidet, es zumindest ins Englische zu übersetzen, und zwar komplett.
({3})
Herr Kollege!
Das ist eine der wichtigsten Forderungen, die wir haben, damit jeder an diesem Werk teilhaben kann.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wissen
von morgen“, das ist das Thema, das mich als Forschungs- und Netzpolitikerin der Linken am meisten interessiert und umtreibt. Wie schaffen wir es, möglichst
allen Menschen dieses Wissen nach ihren Wünschen und
nach ihren Bedürfnissen zu formen, und wie schaffen
wir es, dass sie sich dieses Wissen aneignen können, und
zwar unabhängig von ihrer sozialen Lage? Deswegen
wollte ich vor drei Jahren - da kann ich mich outen - unbedingt Mitglied dieser Internet-Enquete werden.
Die Digitalisierung bietet vielfältige Werkzeuge und
Wege, Wissen zu erarbeiten und auch zu teilen. Viele
Open-Bewegungen rund ums Internet zeigen dies eindrücklich. Die Digitalisierung kann Wissen, Kultur und
Lernen geradezu befreien, wenn, ja wenn wir es auch
wirklich zulassen. In diesem Sinne habe ich mich für ein
Urheberrecht eingesetzt, das die Verbreitung von Wissen
in den Mittelpunkt stellt, ohne allerdings die Masse der
Kreativen weiter im Existenzminimum und in Selbstausbeutung zu belassen.
({0})
Hier zeigte sich jedoch deutlich, dass den Regierungsfraktionen das künstliche Aufrechterhalten von nicht
mehr zeitgemäßen Marktstrukturen allemal wichtiger
war und dass sie sich einem modernen Modell der Wissensverbreitung verschlossen haben. Schon das alte Urheberrecht ist kaum in der Lage, Urheberinnen und Urhebern ein anständiges Auskommen zu ermöglichen.
Warum, frage ich Sie, trauen wir uns hier in diesem
Hause nicht, eine neue Rechtsordnung gemeinsam zu
entwerfen, eine, die im Kern Nutzungsfreiheit und Vergütung von Kreativen zusammendenkt? Was bitte ist so
schwierig daran?
({1})
Das hätte ich mir von der Enquete gewünscht. In diesem
Sinne haben wir Linke auch gearbeitet. Wir fanden aber
für unsere Vorschläge keine Mehrheiten.
Nicht einmal bis dato unerhörte Allianzen konnten an
diesen misslichen Mehrheiten etwas ändern. Wir Linke
haben nämlich gemeinsam mit dem von der Union berufenen Sachverständigen Dieter Gorny von der Musikindustrie einen ausführlichen Bericht vorgelegt, aus dem
hervorgeht, wie prekär die Lage der Kreativen in
Deutschland ist. Dieser Bericht hat zumindest belegt,
dass die Digitalisierung daran viel weniger Schuld trägt,
als mancher Kulturpessimist heute noch behauptet. Auf
Handlungsempfehlungen, wie dieser Missstand nun behoben werden könnte, wollten sich CDU/CSU und FDP
dann doch nicht einlassen. Einmal mehr finden sich unsere Vorschläge in Sondervoten der Opposition zum Enquete-Bericht. Nichtsdestotrotz kann der neue Bundestag das alles aufnehmen.
Erfrischend anders war die Situation bei den Themen
Bildung und Forschung; das ist hier schon angeklungen.
Hier haben wir fraktionsübergreifend gute und progressive Vorschläge gemacht, wie das Parlament Open Access,
offene Hochschulen, freie Lehr- und Lernmaterialien,
virtuelle Forschungsumgebung, E-Learning und vieles
andere mehr unterstützen könnte. Hier haben wir gemeinsam gezeigt, dass eine Enquete-Kommission sehr
sachorientiert nach vorne schauen kann. Ich hoffe deshalb inständig, dass wir als Parlament den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Urheberrecht für
Wissenschaft und Forschung noch ordentlich nachbessern. Dieser Entwurf bleibt nämlich weit hinter den Forderungen der Enquete zurück. Sie, meine Damen und
Herren von den Koalitionsfraktionen, können in den zukünftigen Debatten hier im Haus den Beleg dafür liefern,
dass die Enquete nicht umsonst gearbeitet hat.
Es wäre zu schön, wenn die guten Vorschläge der Enquete-Kommission auch Gehör fänden und nicht nur in
digitalen oder analogen Papierkörben landen würden.
Dann hätte sich der riesige Aufwand, den meine Kollegen hier angesprochen haben, auch wirklich gelohnt.
Danke schön.
({2})
Tabea Rößner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Das bin ich gar nicht gewohnt. Vielen Dank. - Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Eines zeigt die Debatte deutlich: Die Internet-Enquete war eine Art Inkubator des
Bundestages für Netz- und Medienpolitik. Wir haben mit
hoher Geschwindigkeit und Konzentration einen riesi29254
gen Berg an Themen bearbeitet. Daher auch von meiner
Seite ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten!
Wir alle sehen die Auswirkungen des Internets auf
unser tägliches Leben. Die Enquete hat Fragen, die sich
dadurch für die Politik stellen, mehr ins Zentrum des
Parlaments gerückt. Ganz neu waren die Themen aber
nicht. Seit Jahren werden Softwarepatente, Datenschutz
oder E-Democracy im Unterausschuss „Neue Medien“
beraten. Dieser wurde schon in der vorletzten Legislaturperiode auf Initiative von SPD und Grünen eingerichtet.
Nur nannte sich das noch nicht so schick wie heute
„Netzpolitik“.
Im Antrag zur Einsetzung einer Enquete hieß es unter
anderem, die Enquete solle „die Auswirkungen der
neuen Medien auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie
auf Gesellschaft und Umwelt, Bildung und Kultur, Politik und Demokratie beurteilen“, unterzeichnet von
Rudolf Scharping und Joseph Fischer 1995.
Die technischen Grundlagen waren damals völlig andere, die Fragestellungen dagegen sehr ähnlich: Urheberrecht, Medienkompetenz, soziale Lage, Bürgerbeteiligung, Energieeffizienz, Wirtschaftspotenzial, das alles
sind damals wie heute brennende Themen, und das werden sie auch noch bleiben. Es war daher überfällig, dass
diese Themen erneut in einer Enquete behandelt wurden.
Wir haben das digitale Rad nicht neu erfunden; das war
aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir haben auf viele,
aber nicht auf alle Fragen Antworten gefunden, und oft
konnten wir uns eben auch nicht auf eine Antwort einigen. Mir kam es manchmal ein bisschen so vor, als hätten wir mit der Realität Hase und Igel gespielt.
Erst vorgestern wurde eine Studie des BITKOM veröffentlicht, wonach die ständige Erreichbarkeit aufgrund
der Digitalisierung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft Stress bedeutet. Die Grenzen zwischen
Arbeitswelt und Privatleben verschwimmen zusehends.
Über dieses Problem haben wir in der Projektgruppe
„Wirtschaft, Arbeit, Green IT“ zwar diskutiert. Kreative
Lösungsansätze, wie wir den Herausforderungen begegnen können, sind dagegen rar.
So wie in diesem konkreten Fall ging es uns mehrfach. Statt echte Handlungsempfehlungen zu entwickeln,
haben wir manchmal eben nur den Status quo beschrieben. Das lag nicht immer an unterschiedlichen Auffassungen, sondern auch am Thema, das uns in der Entwicklung ja immer drei Schritte voraus ist.
Es wurden anfangs große Erwartungen in die Enquete
gesetzt, insbesondere aus der Netzszene. Die Beteiligungsmöglichkeiten, die hier schon angesprochen wurden, waren neu und geradezu revolutionär für die alte
Dame Bundestag. Bei einigen trat aber bald Ernüchterung ein, und ich kann so manche Enttäuschung verstehen. Wenn nach so intensiver Befassung mit dem
Internet trotzdem so sinnlose Gesetze wie das Leistungsschutzrecht verabschiedet werden, dann ist das ein
Rückschritt.
({0})
Dennoch geben wir dem nächsten Bundestag und der
nächsten Bundesregierung eine Reihe von Aufgaben mit
auf den Weg. In der Projektgruppe „Kultur und Medien“
zum Beispiel haben wir einstimmig beschlossen, die Depublikationspflicht bei Internetangeboten von ARD und
ZDF abzuschaffen. Außerdem wollen wir Journalisten
und Urheber gegenüber Verwertern besserstellen. Weil
von der Regierung, Herr Otto, aber bisher kein Umsetzungsvorschlag kam, haben wir Grünen einen entsprechenden Antrag erarbeitet. Er wird demnächst zur Abstimmung gestellt werden. Da können Sie dann alle
beruhigt die Hand heben.
({1})
Ich hoffe, dass wir oder nachfolgende Parlamente auch
bei anderen Enquete-Themen noch einen Konsens finden werden. Wir werden es nämlich müssen.
Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission im
Jahre 2013 markiert nicht das Ende einer Reise. Er ist
ein Zwischenschritt. Entscheidend ist nun, was wir daraus machen. Vielleicht werden wir in 10, 15 Jahren
noch einmal eine Internet-Enquete-Kommission brauchen, und vielleicht können dann Kolleginnen und Kollegen wie Konstantin von Notz, Lars Klingbeil, Petra
Sitte, Halina Wawzyniak, Thomas Jarzombek, Jimmy
Schulz, Manuel Höferlin und wie sie alle heißen oder ich
den neuen, jungen MdBs erzählen, wie das damals so
war,
({2})
als das Internet für uns alle noch so neu und aufregend
war.
Vielen Dank.
({3})
Jetzt hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen
und vor allem verehrte sachverständige Mitglieder der
Enquete-Kommission, die heute zum Teil auf der Tribüne zu Gast sind und die maßgeblich dazu beigetragen
haben, dass wir den Bericht heute in dieser Form verabschieden können! Gemeinsam mit Ihnen ist es uns gelungen, die Debatte um die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung in der notwendigen Breite und
Tiefe zu führen und damit von einer oberflächlichen,
emotionsgeladenen Auseinandersetzung wegzukommen
zwischen denen, die besonders kompetent sind, und denen, die sich bei allen neuen Fragen vermeintlich nur an
die alten Regeln der Offlinewelt klammern. So einfach
ist es nämlich nicht.
Dass es nicht so einfach ist, zeigen die mehr als
2 000 Seiten des Berichts, die uns heute vorliegen. Das
Interessante dabei ist: In den Texten geht es kaum um
Technik, sondern darum, wie in einem sich ändernden
Umfeld die unterschiedlichen Belange zum Beispiel von
Nutzern und Urhebern, von Sicherheit und Bürgerrechten, von Wirtschaft und Verbrauchern, von großen und
kleinen Unternehmen, aber auch ganz konkrete Belange
von Inhalteanbietern im Internet und Inhalteanbietern im
Rundfunk neu ausbalanciert werden müssen. Die große
Leistung der Enquete liegt für mich vor allem in der Beschreibung und den Bestandsaufnahmen der Veränderungen durch die Digitalisierung. Dass auf Basis dieser
Bestandsaufnahmen dann unterschiedliche Handlungsempfehlungen zustande kommen, verwundert nicht. Es
gibt ja auch unterschiedliche Standpunkte in diesem
Haus. Aber insbesondere mit den Bestandsaufnahmen
haben wir eine sachliche Basis geschaffen, die es vorher
in dieser Form nicht gab.
Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass sich Professor
Ring als ehemaliger Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und Alvar Freude als Mitgründer des AK Zensur auf ein gemeinsames Leitbild einigen
können, in welchem Verhältnis Jugendmedienschutz und
Medienkompetenz zueinander stehen? In meinem Bereich, der Projektgruppe „Bildung und Forschung“, haben wir zum Beispiel intensiv das Themenfeld „Open
Access im Wissenschaftsbereich“ bearbeitet und von allen Seiten beleuchtet. Wir haben im Konsens einen Vorschlag erarbeitet, der eine gute Grundlage für das nun
anstehende Gesetzesvorhaben ist.
An diesem Thema lässt sich beispielhaft der Wert einer solchen Enquete-Kommission aufzeigen. Der Wert
besteht nämlich nicht darin, dass sich die Netzpolitiker
aller Fraktionen an einen Tisch setzen und sich verständigen. Die sind sich ja oft sowieso alle einig. Der Wert
besteht darin, dass sich die Netzpolitiker mit den zuständigen Berichterstattern der Fachausschüsse aus den
Bereichen Bildung und Forschung, Recht, Innen, Wirtschaft, Verbraucher, Kultur und Medien, Familie
- überall ist ja das Internet mehr oder weniger ein
Thema - zusammensetzen und in einer Kommission
Konsense erarbeiten, die dann auch über die Kommission hinaus tragen.
({0})
Das ist der Mehrwert. Solch ein Koordinierungsgremium zwischen den einzelnen Politikfeldern fehlt uns
noch im Deutschen Bundestag.
Was uns in Deutschland auch noch fehlt, ist eine Begleitung durch wissenschaftliche Einrichtungen, die dieses Thema, so wie wir es gemacht haben, interdisziplinär
in allen Lebensbereichen bewerten und untersuchen und
unabhängig von den kommerziellen Interessen großer
Firmen sind. Ich hoffe, dass wir mit unserem Bericht,
mit unserer Arbeit und auch den Empfehlungen in dieser
Richtung die Gründung solcher Institutionen mit vorantreiben können.
Die offene und transparente Arbeit in der EnqueteKommission - das ist hier schon mehrfach angesprochen
worden - hat auch gezeigt, wie wertvoll die Beteiligung
von Bürgern über das Internet sein kann. In den Projektgruppen, in denen ich war, haben wir die Vorschläge aus
dem Internet eins zu eins in den Bericht übernommen.
Natürlich haben sich nicht alle Fraktionen allen Handlungsempfehlungen aus dem Internet angeschlossen.
Aber auch das haben wir transparent gemacht. Jeder, der
sich über das Internet mit eingebracht hat, findet sich mit
seinen Argumenten auch im Bericht wieder.
Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich über das
Internet an unserer Arbeit beteiligt haben, die unsere Arbeit mitverfolgt haben, aber ich möchte mich auch bei
denen bedanken, die uns hier im Haus tatkräftig unterstützt haben. Die Sachverständigen sind bereits alle namentlich genannt worden. Ich darf weiter die Mitarbeiter
der Verwaltung, des Sekretariats, der Fraktionen und der
Abgeordneten nennen.
({1})
Ohne deren große Unterstützung - zum Teil mussten wir
bei unserer Arbeit ja auch auf Wochenenden zurückgreifen, weil wir es sonst nicht geschafft hätten, das Thema
wirklich abzuschließen - wäre das nicht zu schultern gewesen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich bin stolz auf das, was wir in den letzten
drei Jahren gemeinsam erreicht haben. Die Berichte, die
der Kollege Höferlin uns gerade so plastisch gezeigt hat,
sind nicht nur etwas zum Ins-Regal-Stellen, um dann
später einmal unseren Nachfolgern zu zeigen, wie fleißig
wir damals waren, sondern - ich sage es aus meiner Erfahrung - ich nehme die Berichte immer wieder zur
Hand, wenn ich mir über ein Thema einen Überblick
verschaffen möchte. Das ist eine gute Grundlage, die wir
gemeinsam erarbeitet haben. Ich kann jedem von Ihnen
und jedem von euch empfehlen, das Gleiche zu tun. Es
lohnt sich zu lesen.
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, und
herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Der nächste Redner ist der Kollege Gerold
Reichenbach für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, auch in meiner Eigenschaft als
stellvertretender Kommissionsvorsitzender, zunächst
ebenfalls den Mitarbeitern des Sekretariats, aber auch
den Sachverständigen danken. Es hat Spaß gemacht, mit
ihnen zusammenzuarbeiten. Was die Sachverständigen
betrifft, zumindest die, die von meiner Fraktion benannt
worden sind, bin ich sicher, dass die fruchtbare und teil29256
weise auch sehr enge persönliche Zusammenarbeit mit
ihnen über die Legislaturperiode hinausgehen wird. An
uns soll es nicht scheitern.
Ich möchte mich auch bedanken bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, stellvertretend für all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Fraktion, aber
auch der anderen Fraktionen. Sie mussten zusätzlich zu
dem Alltagsgeschäft, das sie für einen Bundestagsabgeordneten ohnehin bewältigen mussten, sehr viel Zeit in
die Vorbereitung der Sitzungen der Arbeitsgruppen und
der Sitzungen der Enquete-Kommission investieren.
Auch ihnen sage ich noch einmal ausdrücklich meinen
herzlichen Dank.
Der Chefredakteur von Zeit Online hat einmal formuliert:
Die Enquete-Kommission „Internet und digitale
Gesellschaft“ ist die unterschätzte Keimzelle für die
Erneuerung des Parlamentarismus.
Dieses Zitat findet sich übrigens auch im Schlussbericht
der Enquete. Ein anderer Kommentator hat formuliert:
„Viel erreicht und doch versagt.“ Ich glaube, auch diese
Qualifizierung der Enquete stimmt.
Neben all den positiven Aspekten, die bereits benannt
sind, sollte man hier auch den einen oder anderen kritischen Punkt nicht unter den Tisch fallen lassen. In vielen
Bereichen ist die Enquete hinter ihren Möglichkeiten
zurückgeblieben, nicht was die Beschreibung des Ist
betrifft, sondern was die Frage des Angehens von Zukunftsherausforderungen und Handlungsempfehlungen
betrifft.
({0})
Insofern ist der Hinweis der Kollegin Zypries wichtig:
Wichtige Ergebnisse der Enquete sind nicht nur das, was
sich in den Mehrheitsbeschlüssen, in den Handlungsempfehlungen widerspiegelt. Zu oft mussten wir erleben, dass neben einer sehr allgemeinen Beschreibung
dessen, was ist, und sehr vagen Handlungsempfehlungen
mit den Koalitionsfraktionen nichts durchzusetzen war.
Kritisch anmerken muss ich auch, dass für die, die
gearbeitet haben, sehr oft der massive Einfluss der
Wirtschaftslobby auf die Koalition zu spüren war.
({1})
Dies ging teilweise so weit, dass bereits konsertierte
Texte zurückgezogen wurden, weil Wirtschaftsverbände
damit nicht einverstanden waren.
({2})
Dass an vielen Stellen nichts ging, zeigt auch, dass
Kompromissbereitschaft nicht vorhanden war. Vielleicht
lag es auch daran, dass die Koalition intern sehr oft sehr
viel Mühe darauf verwenden musste, untereinander
Konsens herzustellen, und nicht mehr in der Lage war,
ihr Vorgehen auch noch auf die Opposition, auf die
Sachverständigen und die Fraktionen insgesamt auszudehnen.
({3})
Das sieht man allein daran, dass es trotz unterschiedlicher Positionen von SPD, Grünen und Linkspartei gelungen ist, in vielen Sondervoten eine gemeinsame Position zu verhandeln, und dies auch mit sehr viel
Bereitschaft zu Kompromissen. Ich rate, sich im Bericht
der Enquete nicht nur das anzuschauen, was der jetzigen
Mehrheit im Parlament geschuldet ist, sondern auch das,
was in den Sondervoten seinen Niederschlag gefunden
hat. Ich persönlich bin davon überzeugt - das werden Sie
mir nachsehen -, dass dies zukunftsweisender ist. Darüber hinaus ist es ein Fingerzeig darauf, was bei anderen Mehrheiten in diesem Hause möglich ist.
Ich nenne in diesem Zusammenhang nur einmal drei
Bereiche:
Bereich Datenschutz: Da geht es um die Stärkung der
Persönlichkeitsrechte. Da geht es darum, ob per Gesetz
garantiert wird, dass die Hoheit über die Daten bei den
jeweiligen Personen bleibt, und dass sie nicht nur Gegenstand von Geschäftsmodellen wird.
Beim Verbraucherschutz geht es darum, dass bei allem Interesse der Wirtschaft, Geld und Profit zu machen,
der Schutz des Verbrauchers nicht auf der Strecke bleibt.
Die Tatsache, dass es zum Verbraucherschutz keine einzige gemeinsame Handlungsempfehlung gibt, zeigt
doch, dass in vielen Bereichen die Koalition den Verbraucherschutz offensichtlich etwas falsch verstanden
hat, nämlich als den Schutz der Wirtschaft vor den Ansprüchen des Verbrauchers interpretiert.
({4})
Ich nenne ein anderes Beispiel, das Beispiel ITSicherheit. Wir alle wissen, dass die digitale Gesellschaft die Zukunft ist; das wird immer mehr Lebensbereiche durchdringen. Es wird in Zukunft darauf ankommen, dieses Instrument, von dem wir immer mehr
abhängig werden, auch - ähnlich, wie das beim Automobil der Fall war - sicher zu machen. Da reicht es
nicht, in die Handlungsempfehlung zu schreiben, wie
das die Koalition getan hat: Wir bitten die Wirtschaft
höflichst, etwas mehr über Sicherheit nachzudenken. Selbst der Vorstoß von uns: „Lasst uns über ein ITSicherheitsgesetz nachdenken!“, war mit der Koalition
nicht konsensfähig.
({5})
Ihr eigener Innenminister ist anschließend gekommen
und hat gesagt: Wir brauchen so etwas. - Auch das ist
ein gutes Beispiel dafür, wie wenig man an einigen Stellen bereit war, wirklich in die Zukunft gerichtet zu diskutieren.
({6})
Deswegen sage ich: Es ist nicht alles Gold, was glänzt
an der EIDG. Aber insgesamt haben wir ein Kompendium vorgelegt, in dem - ich sage ausdrücklich: in vielen Bereichen leider nur in den Minderheitenvoten - zukunftsweisende Diskussionsanstöße für die Gestaltung
einer demokratischen, verbraucherfreundlichen, sich am
Menschen orientierenden digitalen Gesellschaft stecken. Dies gilt es in der öffentlichen Debatte und auch in
der nächsten Legislaturperiode aufzugreifen. Da bin ich
optimistisch.
({7})
Ich gebe jetzt Sebastian Blumenthal das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Reichenbach, ich habe mich eben gefragt, in
welcher Enquete-Kommission Sie wohl waren.
({0})
Die Äußerungen, die Sie hier gemacht haben, kann ich
nur zurückweisen. Ich finde es schade; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Man kann etwas differenziert
darstellen. Man kann aber auch völlig überziehen, und es
kann ganz kleines Karo sein, was man auspackt.
Sie haben uns von der Koalitionsseite unterstellt, wir
seien allein von Lobbyistengruppen getrieben. Ich sage
Ihnen Folgendes, Herr Reichenbach: Ich käme nicht auf
die Idee, der SPD-Fraktion Lobbyismus zu unterstellen,
nur weil sie Vertreter von Gewerkschaften in die Enquete-Kommission berufen hat, die uns übrigens gute
Hinweise gegeben haben. Das unterscheidet uns. Wir
haben natürlich auch Wirtschaftsverbände dabeigehabt,
weil das zum Sachverstand dazugehört. Auch der Einsetzungsbeschluss hat es hergegeben, dass wir uns Sachverstand von außen dazuholen.
({1})
Daraus jetzt die Legende zu stricken: „Gute Lobbyisten
sitzen bei der SPD, böse Lobbyisten sitzen bei SchwarzGelb“, das diskreditiert Sie und Ihren Beitrag. - Diese
Replik musste sein.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt auf
einen inhaltlichen Punkt eingehen, nämlich auf das
Thema Arbeitsmarkt, auf den Wandel in der Arbeitswelt.
Das ist Thema in der entsprechenden Projektgruppe der
Enquete-Kommission gewesen. Ich möchte für die FDPFraktion herausstellen, dass wir mit den Handlungsempfehlungen sehr gut leben können, weil darin dokumentiert ist, dass wir nicht vorauseilend regulieren, dass wir
zur Kenntnis nehmen, dass das sogenannte normative
Beschäftigungsverhältnis nicht immer prägend sein
wird. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es einen Teil der
Wirtschaft gibt, wo einzelne Arbeitnehmer für sich entscheiden, dass sie selbstständig werden wollen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass im Bereich von Webentwicklung, Webdesign und Softwareentwicklung viele sagen:
Eine Festanstellung ist für mich nicht das Ziel. Ich
möchte in die Selbstständigkeit gehen. - Das, meine Damen und Herren, führt nicht immer gleich zu prekären
Beschäftigungsverhältnissen. Es wurde ja versucht, Herr
Kollege Reichenbach, im Rahmen der Enquete-Kommission dieses Zerrbild hier und da zu malen.
Wir respektieren den Wunsch der Betreffenden, einmal eine andere Arbeitsbiografie zu leben.
({3})
Es wird immer Phasen geben, in denen man abhängig
beschäftigt ist, manchmal eben unterbrochen von Phasen
der Selbstständigkeit. Dies gehört zu einer Wirtschaftsund Arbeitswelt, die von digitalen Medien, von digitalen
Formaten geprägt ist. Da macht es keinen Sinn, vorauseilend zu regulieren, sondern es gilt, Freiraum für die
Entscheidung der Einzelnen im Rahmen ihrer Souveränität zu belassen.
Ein zweiter Punkt ist - das ist aus der Projektgruppe
zum Thema Wirtschaft; da haben wir noch viel zu tun;
da haben wir aber auch Handlungsempfehlungen darstellen können -, das Bewusstsein für unternehmerisches
Handeln auch hier in Deutschland weiter zu stärken.
Es gab eine Delegationsreise des Unterausschusses
„Neue Medien“ Anfang letzten Jahres in die San Francisco Bay Area. Wir haben dort mit deutschen Gründern
gesprochen. Ich habe einen derjenigen gefragt: „Warum
bist du in die USA gegangen, warum bist du nicht in
Deutschland geblieben?“ Er hat ganz klar gesagt: „Wenn
ich in Deutschland mit Ende 20 sage, ich möchte Unternehmer werden, ich möchte eben nicht die vermeintliche
Sicherheit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, dann werde ich belächelt.“ Wenn er das in seinem
persönlichen Umfeld gesagt habe, habe es etwas verschreckte Reaktionen gegeben.
In den Vereinigten Staaten, in Nordamerika, gibt es
eine andere Mentalität. Wenn wir uns immer wieder fragen, warum die ganz große Innovation, der ganz große
Dynamikschub oft vom nordamerikanischen Markt
kommt, dann hat das auch damit zu tun, dass wir unsere
Mentalität und unsere Einstellung gegenüber diesen
Gründern, diesen mutigen Unternehmern durchaus ändern sollten.
({4})
Dazu gehört auch, die sogenannte Kultur des Scheiterns zu respektieren, anzuerkennen. In den Vereinigten
Staaten gilt das Scheitern im ersten Versuch als Erfahrungsgewinn. Dort gibt es die pragmatische, die zutreffende Formulierung: Wer einmal den Fehler gemacht
hat, macht ihn kein zweites Mal, und er weiß, wie es
beim nächsten Mal besser geht.
Herr Kollege - 29258
Danke, Frau Präsidentin. Ich habe das Zeichen gesehen. - Auch das sollte uns hier weiter vorantreiben.
Abschließend, meine Damen und Herren: Zu dem
Fazit einer Zeitung, die Rebellion sei gescheitert - Jens
Koeppen hat es vorhin erwähnt -, sage ich: Das Gegenteil ist der Fall, sie hat gerade erst begonnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Peter Tauber das Wort. Er hat auch etwas mitgebracht.
Ja, aber nur Papier. Ich habe das Internet weder unter
dem Arm noch ausgedruckt mitgebracht.
({0})
- Im Herzen? - Na, jetzt wird es fast schon pathetisch,
fast schon flauschig. Mal schauen, ob das am Ende meines Redebeitrags auch noch so ist.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der
Tat, drei Jahre Arbeit liegen hinter uns, drei Jahre Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“.
Ich kann mich noch gut an den einen oder anderen Kommentar zu Beginn dieser Enquete, kurz nach oder auch
vor dem Einsetzungsbeschluss, im Netz erinnern. Teilweise ein bisschen hämisch, teilweise belächelnd, so
nach dem Motto: Jetzt reden die Internetausdrucker über
das Netz.
In der Tat, ich muss zumindest für mich feststellen,
ich habe in den drei Jahren auch unheimlich viel gelernt.
Ich bin schlauer als vor drei Jahren. Ich finde, dass es gut
ist, wenn man in einer Enquete lernt, und ich denke, wir
können für uns alle, ohne dass wir uns etwas vergeben,
mit ins Resümee hineinschreiben: Wir haben etwas gelernt.
Ob wir dabei den hohen Erwartungshaltungen, mit
denen wir aus dem Netz konfrontiert worden sind, mit
dem, was wir vorgelegt haben, mit der Art, wie wir mit
dem Thema umgegangen sind, gerecht werden, weiß ich
nicht genau. Ich glaube, dass wir da auch eine große
Herausforderung vor uns hatten. Es gab die hohe Erwartungshaltung derjenigen, die sich im Netz wie selbstverständlich bewegen, die wissen, was da passiert, die
schon sehr viel länger über die Folgen der Digitalisierung für unsere Gesellschaft nachdenken, und die gesagt
haben: Jetzt muss die Politik etwas tun, jetzt müssen die
sich bewegen im Parlament, und das muss schnell
gehen. - In der Tat muss es bei vielen Fragen, mit denen
wir uns beschäftigen, auch schnell gehen.
Die Wahrheit ist aber auch, dass sich die Enquete vorgenommen hatte, dieses Thema aus der Nische herauszuholen - nicht deshalb, weil die Piraten zu der Zeit
Wind in den Segeln hatten und für sie keine Flaute
herrschte -, weil wir eben gemerkt haben, dass das ein
Thema ist, das für die Zukunft unseres Landes existenziell ist. Wenn man will, dass alle Menschen diesen Weg
mitgehen, sich auf die Risiken einlassen, auf die Veränderungen, die dadurch entstehen, einlassen, dann muss
es auch ein Thema sein, das alle interessiert, und dann
darf nicht nur eine kleine Gruppe, die sich gut auskennt,
voranmarschieren.
Wir haben genau das versucht. Wir haben versucht,
das Thema wirklich an alle zu adressieren und nicht nur
an die, die schon im Thema sind. Dabei haben wir wahrscheinlich auch die eine oder andere Enttäuschung bei
dem einen oder anderen Nerd und Blogger produziert.
Das mag so sein. Aber ich glaube, das müssen wir in
Kauf nehmen. Denn am Ende ist das ja gelungen. Es ist
inzwischen ein Thema, das alle beschäftigt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber von jeder Besuchergruppe, die hier ist, in jeder Veranstaltung, die
man vor Ort macht, wird man inzwischen auf netzpolitische Fragen angesprochen. Das ist kein Nischenthema
mehr, es ist in der Mitte des Parlaments angekommen,
wie es auch - dazu haben wir sicherlich einen Teil beigetragen - in der Mitte der Gesellschaft als zentrales politisches Zukunftsthema angekommen ist.
({2})
Wir Abgeordnete haben dabei neue Arbeitsmethoden
ausprobiert. Die Sitzungen sind gestreamt worden. Man
musste damit leben, dass das, was man tut und sagt, unmittelbar und zeitnah kommentiert wurde. Man konnte
die Kommentierung verfolgen. Daran musste sich der
eine oder andere gewöhnen. Zugegebenermaßen ist das,
gerade wenn Kritik geäußert wird, nicht gerade leicht.
Wir haben auch erlebt, dass die Arbeit in der Enquete
- ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen,
gerade bei denen der anderen Feldpostnummer, herzlich
bedanken -, die Arbeit in den Sitzungen der Projektgruppen, unheimlich konstruktiv war. Wir haben in der
Sache hart gestritten. Aber die Arbeit war konstruktiv.
Für die Projektgruppe Netzneutralität, die ich leiten
durfte, kann ich sagen: Es war spannend, zu sehen, wer
fraktionsübergreifend bereit war, zusammenzuarbeiten,
Textbausteine zu liefern, seitens der Sachverständigen,
seitens der Abgeordneten. Das hat mir persönlich viel
Freude gemacht. Aber die Wahrheit ist auch: Sobald die
Kameras an waren, sobald die Sitzung öffentlich war, ist
der eine oder andere in die gewohnten Rituale zurückgefallen.
({3})
Dann müssen wir uns fragen: Sind wir schon in der
Lage, diese Instrumente bei der politischen Arbeit so zu
nutzen, wie es im Idealfall sein sollte? - Ich glaube, dass
das Parlament noch einen Lernprozess vor sich hat.
Gerade habe ich allen Kolleginnen und Kollegen gedankt. Ich schränke den Dank nach den Wortbeiträgen,
die ich gehört habe, noch ein. Ich wende mich noch einmal an die Freunde der Sozialdemokratie. Herr
Reichenbach, nach Ihrem Wortbeitrag weiß ich, warum
der eine oder andere in der Enquete Sie hinter vorgehaltener Hand den Troll der Enquete nennt.
({4})
Das sage ich Ihnen ganz offen an dieser Stelle.
Frau Zypries, auch an Sie ein Wort: Es tut nicht gut,
hier vorne so zu tun, als ob man alles verstanden hätte,
alles wüsste und glaubt, die Kollegen der Regierungsfraktionen belehren zu müssen, wenn man eine der Mütter des Zugangserschwerungsgesetzes ist. Diesen Titel
haben Sie.
({5})
Sie waren vielleicht nicht federführend, aber dabei.
Der einzige, den ich ausnehme, ist der Kollege
Klingbeil, den ich sehr schätze. Er hat sich bewusst zurückgehalten, weil er weiß, dass er an dieser Stelle stand
und sagte: Wir werden im Bundesrat das Leistungsschutzrecht aufhalten. Er ist als Tiger gesprungen und als
Bettvorleger gelandet. Deswegen war er hier sehr
freundlich. So freundlich und so gut, lieber Lars, war
auch die Zusammenarbeit im Plenum.
Wir haben uns einige Dinge vorgenommen. Einer darf
nicht passieren, dass wir Netzpolitik nämlich wieder zu
den Akten legen. Wir haben über den Ausschuss geredet.
Ich finde es schön, dass alle Fraktionen Konsens haben.
Wir brauchen diesen Ausschuss. Ob ein Staatsminister
oder ein Beauftragter im Kanzleramt für dieses Thema
zukünftig zuständig ist, darüber können wir zu Beginn
der nächsten Legislaturperiode sprechen. Ich glaube, es
ist gut, neben der Tagespolitik, mit der wir uns beschäftigen müssen, auch ein Weißbuch zu schreiben, ein Cyberwhite-Paper, in dem wir festlegen, wohin wir im Zuge
der Digitalisierung dieses Landes in den nächsten fünf
oder zehn Jahren wollen. Dann können wir uns auch auf
die entscheidenden Fragen konzentrieren. Dies war das
Schöne in der Enquete. Wir haben es ab und zu geschafft, die Tagespolitik beiseitezuschieben, und uns
gefragt: Was ist die Linie? Wohin soll es gehen? Das
brauchen wir auch weiterhin. Neben aktuellen tagespolitischen Fragen geht es um die große Linie, wo wir mit
der Digitalisierung unseres Landes hinwollen. Dies ist
eine sehr große Chance, die wir gemeinsam nutzen müssen. Das hat die Enquete nach außen deutlich gezeigt.
Deswegen ist sie für mich auch ein Erfolg.
Herzlichen Dank.
({6})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Axel Fischer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 2010 war
ich Vorsitzender der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“, deren Arbeitsergebnisse wir heute
debattieren. Wir blicken zurück auf 20 Kommissionssitzungen und nicht weniger als 179 Arbeitssitzungen
der Projektgruppen. Insgesamt haben wir 13 Expertengespräche veranstaltet. Als Ergebnis unserer Arbeit legen wir 14 sach- und fachkundige Berichte vor. Ich sage
das nicht ohne Stolz, und ich kann Ihnen versichern,
zwischendurch war die Arbeit auch schwierig und mühsam. Auf anfänglichen Enthusiasmus folgte schnell die
Phase der Ernüchterung. Aber wir haben uns zusammengerauft und uns so mancher Kontroverse gestellt. Umso
mehr freue ich mich über die Ergebnisse.
Es ist uns eine umfassende Aufarbeitung des Themenbereichs gelungen. Wir haben dabei Konflikte offen
und klar aufgezeigt. Sicherlich gibt es auch Lücken
- nichts ist perfekt -, aber ich persönlich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und danke allen, die an diesem
Werk mitgewirkt haben: den Kollegen, den Sachverständigen, den Mitarbeitern und auch dem „18. Sachverständigen“. Besonders danke ich heute hier an dieser Stelle
dem Leiter des Sekretariats der Enquete-Kommission,
Herrn Ministerialrat Norbert Linn, der eine schlagkräftige Sekretariatsmannschaft zusammengestellt und zusammengehalten hat und über die Jahre hinweg ein verlässlicher und stets kompetenter Ansprechpartner war.
({0})
Ihnen persönlich und Ihren Mitarbeitern vielen Dank für
Ihren unermüdlichen Einsatz! Ohne Sie alle wäre der Erfolg der Kommission so nicht möglich gewesen. Deshalb freue ich mich besonders, dass so viele von Ihnen
heute gekommen sind und auf der Tribüne sitzen. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie die Debatte mitverfolgen.
({1})
Meine Damen und Herren, wie sich in der Debatte
schon gezeigt hat, war unser Aufgabenfeld riesig. Wir
haben zentrale Themen in Projektgruppen aufgearbeitet
und jeweils Zwischenberichte mit Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber vorgelegt. Mit der Onlinebürgerbeteiligung hat die Enquete-Kommission Neuland
betreten: Noch nie zuvor hat eine Enquete zum Beispiel
grundsätzlich öffentlich getagt. Keine andere Enquete
zuvor hat auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite
Material veröffentlicht, hat Blogs, Forum und TwitterKanal bereitgestellt, mit EtherPads gearbeitet oder
Livestreams der Sitzungen angeboten. Nicht alles hat
sich bewährt. Wichtig ist jedoch, dass wir es probiert haben, dass wir neue Elemente ausprobiert haben, zusätzlich zu den etablierten und bewährten Arbeits- und Organisationsformen des Parlaments.
Eine Sonderstellung nimmt hier sicher die Onlinebürgerbeteiligung über eine spezielle Bürgerbeteiligungsplattform ein. Auch hier konnten sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Sachverstand und ihrer Meinung in die
Arbeit der Enquete einbringen. Die Projektgruppen haben anschließend jeweils für sich entschieden, welche
Axel E. Fischer ({2})
dieser Vorschläge sie aufnehmen und in welcher Form
sie diese verwerten. Meiner Meinung nach war diese Art
der Onlinebürgerbeteiligung ein Gewinn, der das Erfolgsmodell der parlamentarischen Demokratie bereichert.
({3})
Es wird übrigens noch eine wissenschaftliche Evaluation
der Bürgerbeteiligung durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag geben, auf
deren Ergebnisse wir alle sehr gespannt sein dürfen.
Meine Damen und Herren, die Digitalisierung unserer
Gesellschaft wird unser Leben zunehmend prägen. Es
handelt sich um eine gesellschaftliche Umwälzung von
großem Ausmaß, vergleichbar mit der Industrialisierung.
Die Politik tut daher gut daran, dieses Thema im politischen Betrieb zentral zu verankern und nicht verkümmern zu lassen. Wenn wir nach vorne blicken, werden
wir feststellen: Fragen der digitalen Gesellschaft stellen
ein ebensolches Querschnittsthema dar wie etwa die
Umweltpolitik. Einst als Nischenthema abgetan, werden
Umweltbelange heute jederzeit mitbedacht und sind wesentlicher Bestandteil politischer Entscheidungen. Die
Visionäre von damals waren Vorreiter.
Der von uns empfohlene Bundestagsausschuss für Internet und digitale Gesellschaft, der auch in der Bundesregierung entsprechend abgebildet werden sollte, erscheint als passendes Mittel, um die Themen der
Digitalisierung dauerhaft im Parlament, in der Politik
und in der Gesellschaft zu verankern.
Es ist an uns, hier und jetzt die entscheidenden Weichen zu stellen und die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken. Daran wollen wir gemeinsam weiterarbeiten. Die Arbeit der Enquete ist beendet, aber unsere
Arbeit geht jetzt erst richtig los.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir haben damit die Zwischenberichte und den
Schlussbericht zur Kenntnis genommen.
Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 6:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Gabriele
Lösekrug-Möller, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Mehr Zeitsouveränität für Beschäftigte - Teilzeitarbeit gestalten
- Drucksache 17/13084 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile, nachdem die
Kollegin Andrea Nahles noch nicht anwesend ist
- kommt sie denn noch? -,
({1})
als erster Rednerin der Kollegin Anette Kramme von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Der Begriff „Teilzeitfalle“ ist unabdingbar
mit der Teilzeitarbeit verbunden. Gemäß klassischem
Verständnis bedeutet der Begriff „Teilzeitfalle“: Man
kommt aus der Teilzeitarbeit nicht mehr heraus, und das
ist unzweifelhaft ein Problem.
Es gibt aber noch eine ganz andere Schwierigkeit. Es
ist bei vielen Arbeitgebern extrem schwierig, nach einer
Vollzeitbeschäftigung ein Teilzeitarbeitsverhältnis beginnen zu können. Das ist ein richtiges Problem für viele
Frauen, die ihre alten Arbeitszeiten beispielsweise nach
der Geburt eines Kindes nicht mehr einhalten können
oder die überraschend durch den Pflegefall eines Angehörigen vor dem Problem stehen, Pflege erbringen zu
müssen, das heißt, Teilzeit arbeiten zu müssen. Ich habe
häufig erlebt, dass das mit einer Kündigung einhergeht.
Das ist natürlich sehr unschön. Deshalb hat Rot-Grün
erstmals im Jahr 2000 den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eingeführt. Das war und ist eine gute und richtige
Sache.
Es hat sich aber herausgestellt, dass es an der einen
oder anderen Stelle praktische Probleme gibt. Damals
haben wir den Rechtsanspruch an die Bedingung geknüpft, dass der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung
keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Literatur
und Rechtsprechung sind sich allerdings einig, dass kein
strenger Maßstab anzulegen ist. Zum Beispiel soll es
ausreichend sein, wenn ein Arbeitgeber der Auffassung
ist, dass Kunden in einem Geschäft immer den gleichen
Ansprechpartner vorfinden müssen. Oder: Der Arbeitgeber kann sich sogar entschließen, überhaupt keine Teilzeit zuzulassen, wenn er dies nur einigermaßen plausibel
begründet. Deshalb sind an dieser Stelle Änderungen angebracht.
Teilzeit soll nach unserer Vorstellung in einem Betrieb nur noch dann abgelehnt werden können, wenn
„dringende betriebliche Gründe“ vorliegen. Dabei handelt es sich um einen Begriff, den wir aus dem Kündigungsschutzgesetz kennen, mit dem man also gut umgehen kann. Auch dann, wenn betriebliche Gründe seitens
des Arbeitgebers vorgetragen werden, soll der Arbeitgeber in bestimmten Konstellationen dennoch abwägen
müssen, weil es natürlich auch aufseiten der Arbeitnehmer Konstellationen gibt, die Teilzeitarbeit zwingend erforderlich machen, beispielsweise wenn ein Kind unter
14 Jahren versorgt werden muss oder pflegebedürftige
Angehörige zu betreuen sind. Wir kennen aus der Juristerei durchaus die Situation, dass die Belange von Arbeitnehmern zu berücksichtigen sind, beispielsweise
wenn es um die Ausübung von Ermessen geht.
Lassen sie mich zu einem zweiten Thema innerhalb
der Teilzeitarbeit kommen: zur unfreiwilligen Teilzeit.
Circa ein Fünftel aller Teilzeitbeschäftigten leistet unfreiwillig Teilzeitarbeit, weil kein Vollzeitarbeitsplatz
zur Verfügung steht. Lassen Sie mich bei der Gelegenheit auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn man diejenigen einrechnet, die aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten Teilzeit arbeiten, käme man auf noch
weitaus höhere Zahlen; aber das ist ein anderes Thema.
Der Zeitumfang, den Teilzeitbeschäftigte mehr arbeiten möchten, beträgt, wie wir wissen, bei sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten im Regelfall vier zusätzliche Stunden, bei Minijobbern sogar neun Stunden.
Hinter unfreiwilliger Teilzeitarbeit verbirgt sich vor
allen Dingen ein Rentenproblem; denn langjährige Teilzeitarbeit oder gar ein Minijob führen zu Altersarmut.
Deshalb haben wir bereits unter Rot-Grün den sogenannten Berücksichtigungsanspruch eingeführt. Wird ein Arbeitsplatz frei, ist der Arbeitgeber verpflichtet, Teilzeitbeschäftigte vorrangig zu berücksichtigen. Aber
niemand kennt diesen Berücksichtigungsanspruch. An
sich wäre eine Kampagne des Arbeitsministeriums oder
des Familienministeriums dringend erforderlich. Wie
beim ganzen Themenblock „Teilzeitbeschäftigung/
Rechte von Frauen“ gibt es aber auch hier nur Ankündigungspolitik; es gibt kein wirkliches Handeln der Ministerien.
Lassen Sie mich zu dem Berücksichtigungsanspruch
zurückkommen. Die diesbezügliche Rechtsprechung ist
leider nicht unproblematisch. Nach der Rechtsprechung
kann der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht verlangen, dass der Arbeitgeber, um einen Verlängerungswunsch zu erfüllen, einen freien Teilzeitarbeitsplatz mit
dem bisherigen Teilzeitarbeitsplatz vereinigt oder den
neu freigewordenen Arbeitsplatz anders zuschneidet.
Das wollen wir ändern. Ich finde, das ist eine wichtige
Sache. Es darf nicht heißen: einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Frauen müssen neue Chancen bekommen.
({0})
Lassen Sie mich abschließend ein drittes Problem ansprechen. Urteile zur Teilzeitbeschäftigung sind bislang
nicht vorläufig vollstreckbar. Das ist für das Arbeitsrecht
an sich etwas Atypisches. Es kann daher dazu kommen,
dass Arbeitnehmerinnen Jahre darauf warten müssen, in
Teilzeit gehen zu können. Dabei ist nur eine winzige
Formulierungsänderung im Teilzeit- und Befristungsgesetz erforderlich. Auch diese Änderung würden wir
gerne vornehmen.
({1})
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Gesetz zur
Schaffung von mehr Zeitsouveränität die Realität von
Teilzeitbeschäftigten wesentlich verbessern würde. Heute
haben Sie, meine Damen und Herren von der Union und
der FDP, die Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte abgelehnt.
({2})
Sie sollten keinen weiteren politischen Sündenfall begehen und deshalb unserem Antrag zur Teilzeitbeschäftigung zustimmen.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege
Ulrich Lange.
({0})
Das mache ich jetzt.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Teilzeitarbeit ist inzwischen ein wichtiger Teil unseres Wirtschafts- und Arbeitslebens geworden. Ich gebe
zu, liebe Kollegin Kramme: Als Rot-Grün damals das
TzBfG verabschiedet hat, stand auch ich persönlich diesem Gesetz durchaus kritisch gegenüber. Heute können
wir aber feststellen: Das TzBfG ist ein fester und anerkannter Bestandteil des Arbeitsrechts und bietet auch
schon heute eine Chance, Zeitsouveränität auszuüben.
Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schon heute möglich, ihre Arbeit zu reduzieren oder zu verlängern. Es ist
also nicht nötig, durch ein neues Gesetz in dem von Ihnen geforderten Umfang für angeblich mehr Zeitsouveränität auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Wir glauben,
dass wir mit dem jetzigen Gesetz eine sehr gute Grundlage haben. Warum? - Lassen Sie mich dazu ein paar
rechtliche Ausführungen machen, da Sie, liebe Kollegin
Kramme, gerade gesagt haben, dass das, was Sie damals
geschaffen haben, untauglich sei.
§ 8 TzBfG enthält schon die Bestimmung, dass der
Arbeitgeber dem Verringerungswunsch zustimmen muss,
außer es stehen betriebliche Gründe dagegen. Jetzt wollen Sie das Wort „dringend“ einfügen. Das Wort „dringend“ war in Ihrem damaligen Referentenentwurf
enthalten. Sie selbst haben es im Jahr 2000 herausgenommen,
({1})
weil Sie die betrieblichen Notwendigkeiten genau erkannt haben. An dieser Stelle hat das BAG mit seiner
Rechtsprechung angeknüpft, werte Kollegin Kramme.
Durch die Rechtsprechung, die Sie als so problematisch
erachten, sind die Gewichte längst verschoben worden,
indem gesagt wurde: Es müssen wesentliche Beeinträchtigungen für die Arbeitsorganisation bzw. unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastungen entstehen, um dem
Anspruch nach § 8 TzBfG nicht stattzugeben. Wir fassen
zusammen: In § 8 TzBfG ist schon heute die Stellung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus
stark.
({2})
Nicht anders sehen wir das bei § 9 TzBfG, dem
Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit. Es ist richtig: Es gibt keinen bedingungslosen Anspruch. Ich will
aber auch darauf hinweisen, dass § 9 TzBfG anders als
§ 8 zum Beispiel keine Kleinbetriebsklausel kennt. Das
heißt, in jedem Kleinbetrieb kann ich ohne Wartezeit sofort den Verlängerungswunsch stellen. Die Fallsituation,
die Sie gerade beschrieben haben, dass die Arbeitsplätze
nicht entsprechend zugeschnitten werden müssen, ist auf
der einen Seite richtig, aber gerade Sie wissen doch, dass
eine Umgehung des § 9 TzBfG nicht zulässig ist, sondern dass der Arbeitgeber im Zweifel arbeitsplatzbezogene Sachgründe nachweisen muss. Wir stellen also
auch hier fest: § 9 TzBfG ist eine starke Norm, die eher
den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Vorrang gibt. Auch den strengeren Maßstab habe
ich: Indem Sie im Jahr 2000 das Wort „dringend“ nur in
§ 9 verwendet haben - ich hoffe, dies interessiert auch
die Kollegin Kramme und die Kollegin Nahles -, haben
Sie damals als Gesetzgeber diese Unterscheidung selber
so getroffen.
Nachdem Sie Mitbestimmung und Sanktionen angesprochen haben, möchte ich nur darauf hinweisen, dass
die Missachtung des § 9 TzBfG, also des Wunsches nach
Verlängerung der Arbeitszeit, dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht gibt. Also besteht auch
hier keine schwache Stellung.
Was die Durchsetzbarkeit von Urteilen angeht, liebe
Kollegin Kramme, kann ich Ihre Auffassung ebenfalls
nicht teilen. Sie wissen, dass es im Falle der Besetzung
der Stelle durch einen Mitbewerber einen Unterlassungsanspruch bzw. die Möglichkeit einer Konkurrentenabwehrklage gibt, und zwar im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Der volle Rechtsweg steht also offen.
Für den von Ihnen beschriebenen Fall, dass das Arbeitsgericht feststellt, dass die Stelle rechtswidrig besetzt
wurde, besteht ein Schadensersatzanspruch in voller Gehaltsdifferenz zur Vollzeitstelle. Jeder Arbeitgeber wird
sich im gerichtlichen Verfahren also überlegen, ob er den
Arbeitsplatz, wenn es zum Verfahren kommt, besetzt.
Die prozessualen Möglichkeiten, die das TzBfG hier
einräumt, sind also kein stumpfes Schwert. Sie selber
wissen doch am besten, dass weit über 90 Prozent dieser
Fälle beim Gütetermin erledigt werden. Wir haben
- auch Sie sollten es haben - Vertrauen zu unseren Arbeitsgerichten.
Natürlich gibt es Wünsche nach mehr Teilzeit und
Wünsche auf eine Verlängerung der Arbeitszeit. Das ist
zum einen eine Frage des Personalmanagements, und
zum anderen hängt es damit zusammen, dass sich Beschäftigungszeiten entsprechend der Lebensumstände
und der Qualifikation im Laufe eines Berufslebens verändern können und sollen. Genau dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, haben wir ja eine von Ihnen
damals geschaffene Rechtsgrundlage.
({3})
Am Ende geht es immer um die Abwägung zwischen
den Wünschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und den Eingriffen in Betriebsorganisation und unternehmerische Freiheit. Auch das bitte ich an dieser
Stelle zu bedenken.
Wo keine Vollzeitstelle da ist, kann auch ein Rückkehranspruch oder ein Anspruch auf Verlängerung der
Arbeitszeit per Gesetz sie nicht schaffen. Ich bitte auch,
zu bedenken, was ein Rückkehranspruch für befristete
Vertretungen bedeutet. Es darf am Ende nicht zu einem
Verschiebebahnhof von der Teilzeitbeschäftigung in die
Befristung mit Teilzeit kommen. Genau das ist der
Schwachpunkt Ihres Antrags.
({4})
Wir kümmern uns um die Abwägungsparameter. Wir
werden diese Diskussion offen führen. Aber im Hinblick
auf den Fachkräfteengpass geht es auch um die Verantwortung der Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern solche Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen, durch die die gut qualifizierten Mitarbeiter in
unserem Land gehalten werden können. Lassen Sie uns
also auf diesem Weg weitergehen!
Danke schön.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin
Jutta Krellmann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Teilzeit- und Befristungsgesetz von 2000
sollte die Teilzeitarbeit fördern. In der Praxis damals war
es nur schwer durchsetzbar. Jeder Praktiker, der nur gelesen hat, wie das gehen soll, hat festgestellt: So geht das
nicht. Da bekommen wir Schwierigkeiten. Das lässt sich
so überhaupt nicht umsetzen.
Und heute? Es gibt wachsende Unordnung auf dem
Arbeitsmarkt durch Flexibilisierung. Einerseits sind
Menschen überlastet. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitstellen hat zugenommen,
die Zahl der Überstunden auch. Menschen leiden unter
zu langen Arbeitszeiten und wollen weniger arbeiten;
aber sie können nicht. Andererseits gibt es immer mehr
Menschen, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. Sie wollen mehr arbeiten, aber dürfen oder können nicht.
Unterbeschäftigung bedeutet niedrigeres Einkommen.
Viele Menschen sind arm trotz Arbeit: erstens, weil die
Wochenarbeitszeit geringer ist, und zweitens, weil die
Stundenlöhne von Teilzeitbeschäftigten in der Regel
niedriger sind als die anderer Beschäftigter. Teilzeitarbeit
muss nicht prekär sein, ist es aber oft.
({0})
Viele Teilzeitbeschäftigte beziehen ergänzende staatliche
Leistungen, um über die Runden zu kommen, insbesondere alleinerziehende Frauen. Niedrigere Einkommen
bedeuten niedrigere Renten. Unfreiwillige Teilzeitarbeit
betrifft vor allen Dingen Frauen mit Kindern. Für sie
heißt das: Die Abhängigkeit vom Mann, wenn sie einen
haben, wird größer. Das alles sind Ergebnisse der unsäglichen Agenda-Politik der letzten Jahre.
Was sind die Gründe für unfreiwillige Teilzeit?
Hauptgrund ist das mangelnde Angebot an Vollzeitstellen. Viele Vollzeitstellen wurden ersetzt durch Teilzeitstellen. Ein Beispiel dafür
({1})
- würden Sie mir bitte einmal zuhören, liebe Kollegen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen? -: Im Einzelhandel hat die Zahl der Vollzeitstellen seit 1995 um ein Viertel abgenommen. Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Teilzeitstellen ist um ein Drittel gestiegen. Die Zahl
der Minijobs hat sich verdoppelt. Unternehmen nutzen
Teilzeit und Minijobs, um flexibler auf Schwankungen
zu reagieren. Die Arbeit auf Abruf ist im Grunde eine
Flexibilisierungskatastrophe für die Beschäftigten.
({2})
Der Arbeitsmarkt polarisiert sich zunehmend. Die
Gesamtzahl der Arbeitsstellen hat zugenommen. Die
Zahl der Vollzeitarbeitsstellen hat abgenommen, auch
wenn Sie das gerne anders sehen möchten. Auch die
Zahl der Teilzeitstellen, Minijobs und Befristungen hat
parallel zugenommen. Die Menge der Arbeitsstunden in
Deutschland ist gleich geblieben. Das sind die Ergebnisse der Agenda-Politik der letzten zehn Jahre, nachzulesen in der Antwort des Bundesministeriums auf eine
Kleine Anfrage meiner Fraktion. Wir benutzen nur die
Zahlen, die das Bundesministerium genannt hat, keine
anderen.
Was heute beklagt und korrigiert wird, ist das Ergebnis der Politik von SPD, Grünen, FDP und Union. Es hat
eine regelrechte Umverteilung der Arbeit von Vollzeit zu
Teilzeit gegeben. Deshalb sind viele Menschen zu wenig
beschäftigt, obwohl sie es gerne anders wollen. Das ist
Arbeitszeitverkürzung by Chaos und Verschwendung
von Arbeitskraft in Zeiten des Fachkräftemangels.
Zweiter Grund für unfreiwillige Teilzeit, vor allem
von Frauen, ist die Betreuung und Pflege von Familienangehörigen und Kindern neben der Arbeit. Das zwingt
zu Teilzeitarbeit, weil es viel zu wenige Kitaplätze gibt
und weil in der Pflege kontinuierlich gespart wird. Wenn
Kinder alt genug sind oder kranke Eltern nicht mehr gepflegt werden müssen, gelingt vielen Frauen die Rückkehr in Vollzeitarbeit nicht, weil es zu wenige Vollzeitstellen gibt. Frauen landen dauerhaft in der Teilzeitfalle.
Das sind die beiden Hauptgründe für die unfreiwillige
Teilzeitarbeit; das ist der größere Zusammenhang, in
dem wir den heutigen Antrag der SPD diskutieren müssen.
Die Vorschläge der SPD sind im Grunde gut, zum
Beispiel der, dass es einen verbesserten Rechtsanspruch
auf Rückkehr in Vollzeit geben soll. Genau das hat im eigenen Gesetz aus dem Jahr 2000 gefehlt. Richtig ist
auch, dass Menschen leichter in Teilzeit wechseln können sollen, wenn sie es wollen.
({3})
Deshalb unterstützt die Linke diese Forderungen.
Aber wir vermissen ein Gesamtkonzept. Wir wollen das
Problem der ungleichen Verteilung der Arbeit in seiner
Gesamtheit anpacken.
({4})
Das Problem ist nicht nur durch einen individuellen
Rechtsanspruch zu lösen. Allgemeine Initiativen zur Gestaltung der Arbeitszeit müssen her.
({5})
Eine neue Verteilung von Arbeitszeit durch allgemeine Arbeitszeitverkürzung würde helfen. In Gewerkschaften wird das Problem mit dem Stichwort „kurze
Vollzeit“ diskutiert. Das fände ich richtig toll!
({6})
Auf tariflicher Ebene ist das auch schon erfolgreich ausprobiert worden, zum Beispiel mit der 28,8-Stundenwoche bei VW, in deren Rahmen an vier Arbeitstagen in
der Woche gearbeitet wurde. Leider ist der Versuch beendet worden.
Eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit wäre
möglich, selbst ohne Lohneinbußen. Die Produktivität
der deutschen Wirtschaft steigt Jahr für Jahr kontinuierlich. Die Umverteilung von Arbeit würde das Problem
der Unterbeschäftigung vieler Teilzeitbeschäftigter entschärfen. Rückkehrrecht auf Vollzeit ist die eine Sache,
aber auf welchen Arbeitsplatz, ist die andere.
Arbeitszeitverkürzung macht es auch für viele Vollzeitbeschäftigte leichter, Familie und Beruf zu organisieren. Wir verhandeln hier im Bundestag nicht über konkrete Arbeitszeitregelungen - das ist Sache der Betriebsund Tarifvertragsparteien -, aber wir setzen die Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Arbeitszeitgesetz. Die
Verringerung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit wäre
ein Anfang.
({7})
Das Thema Arbeitszeitverkürzung muss wieder auf
die Tagesordnung dieser Gesellschaft. Umverteilung von
Arbeitszeit und Arbeitszeitverkürzung jetzt - dann hätten wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Vielen Dank.
({8})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Heinrich Kolb das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Kramme, als ich den Antrag der
SPD gelesen habe, habe ich mich wirklich gefreut.
({0})
Das kommt ja nicht allzu oft vor. Da steht in der Tat
- und das sogar relativ prominent am Anfang -: „Teilzeitarbeit ist nicht per se gut oder schlecht.“ Das ist eine
bemerkenswerte Erkenntnis, zu der die SPD-Fraktion da
gekommen ist.
({1})
Das deckt sich im Übrigen mit dem, was ich hier schon
öfters gesagt habe. Man sollte sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass es noch nicht allzu lange her ist,
dass Teilzeitarbeit als große Errungenschaft gefeiert
wurde, und zwar, wie ich sagen will, mit Recht.
Frau Kollegin Kramme, vielleicht würde es sich lohnen, auch einmal über andere Beschäftigungsformen in
Deutschland genauso konstruktiv nachzudenken. Sie
könnten dann vielleicht zu dem Ergebnis kommen, dass
auch Zeitarbeit durchaus eine Beschäftigungsform ist,
die von bestimmten Personen angestrebt wird. Darüber
hinaus könnten Sie feststellen, dass Minijobs, also geringfügige Beschäftigung, für viele Menschen in
Deutschland die ideale Form darstellen, am Erwerbsleben auf dem Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Es ist jedenfalls nicht von vornherein abwegig, diese
Überlegungen anzustellen und sich einmal dem Gedanken zu nähern, dass Menschen nicht durchgängig Opfer
böser Arbeitgeber sind, welche sie nur in ausbeuterischer Absicht beschäftigen. Denn es gibt durchaus auch
einen positiven Match zwischen dem, was Unternehmen
an Arbeit anbieten, und dem, was Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer an Arbeit nachfragen. Das ist auch
des Nachdenkens der Sozialdemokraten wert. Der Antrag, über den wir heute sprechen, ist mindestens ein erster Erfolg in dieser Richtung, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({2})
Frau Kollegin Krellmann kann trotzdem nicht widerstehen und sagt: Teilzeitarbeit ist schlecht. - Dem Antrag der Kollegen von der SPD zufolge - ich unterstelle
mal: Was da an Zahlen steht, ist alles richtig - würden,
Frau Kollegin Krellmann, 20 Prozent der Teilzeitkräfte
gerne kürzer oder länger arbeiten. Im Umkehrschluss
- ich beherrsche die Prozentrechnung - heißt das aber,
dass 80 Prozent der Teilzeit Arbeitenden mit dem Umfang ihrer Arbeitszeit zufrieden sind.
({3})
Ein Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland
arbeitet Teilzeit, 80 Prozent davon, wie wir gehört haben, genau in dem Umfang, wie sie es gerne hätten. Da
muss ich sagen: Chapeau!
({4})
Das zeigt: Die Teilzeitarbeit funktioniert in den deutschen Unternehmen offensichtlich sehr viel besser, als
Sie es sich vorstellen können, Frau Krellmann und liebe
Kollegen von den Linken.
({5})
Übrigens: Auch 72 Prozent der Minijobber wollen gar
nicht mehr arbeiten als genau in dem Stundenumfang,
der mit einer geringfügigen Beschäftigung abgedeckt ist.
Die Pfui-Liste, mit der Sie immer hantieren, und Ihr Gerede von prekärer Beschäftigung müssen Sie also wirklich noch einmal überdenken. Es gibt also auch abseits
des unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnisses hervorragende Möglichkeiten, erwerbstätig zu sein. Die Menschen - das ist jedenfalls mein Eindruck, meine Beobachtung der Realität - suchen sich genau die
Beschäftigungsform aus, die zu ihren individuellen Anforderungen passt.
({6})
- Die Zahlen sprechen doch dagegen: Wenn die Menschen, die gefragt werden, sagen, sie wollen gar nicht
länger arbeiten, dann muss man annehmen können, dass
es genau das ist, was sie sich selbst wünschen; ansonsten
hätten sie sich doch anders geäußert. - Sie müssten eigentlich mich fragen, Frau Kollegin, ob das alternativlos
wäre; das käme mir mit Blick auf meine Redezeit sehr
zupass.
({7})
Ich will in der Kürze der Zeit aber noch einen zweiten
Punkt ansprechen: Zwischen den Zeilen Ihres Antrags,
Frau Kollegin Kramme, schimmert durch, wir müssten
den Menschen helfen; am Ende sei das Ideal doch die
Vollzeitbeschäftigung, und sei es eine verkürzte Vollzeit.
In diese Richtung werden die Menschen bei Ihnen ein
bisschen geschoben.
({8})
- Wenn man Ihren Antrag aufmerksam liest - ich lese es
jedenfalls so zwischen den Zeilen -, dann kommt man
zu dem Ergebnis, dass Sie genau das beabsichtigen. Ich
finde aber, dass der Staat hier nicht den Menschen vorschreiben sollte, was sie wollen müssen.
({9})
Ich finde, wir sollten den Menschen die Freiheit belassen, ihr Arbeitsverhältnis genau so zu gestalten, wie es
ihnen vorschwebt. Das gelingt heute sehr gut.
Wir haben, gerade aus arbeitsmarktpolitischer Sicht,
vier gute Jahre für Deutschland hinter uns: Wir feiern bei
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und
bei der Erwerbstätigkeit Rekordstände, und das auch
deswegen, weil wir das ganze Programm der Beschäftigungsformen in Deutschland akzeptieren. Wir fahren
erfolgreich damit, und daran sollten wir nichts ändern.
({10})
Deswegen, Frau Kollegin Kramme, lehnen wir Ihren
Antrag - so leid es mir tut, weil erstmals auch positive
Ansätze zu erkennen sind - am Ende ab. Ich bitte um
Verständnis.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Brigitte Pothmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Lange und Herr Kolb, ich bin angesichts Ihrer Beiträge
irritiert.
({0})
Vor knapp einem Monat haben wir in diesem Parlament
einen grünen Antrag zum Recht auf Rückkehr in Vollzeit
behandelt, wobei die Reden zu Protokoll gegeben wurden. Ich habe das Protokoll noch einmal gelesen. Wissen
Sie, was ich da fand? Ich fand eine fraktionsübergreifende Zustimmung dafür, dass es notwendig ist, flexible
und familiengerechte Arbeitszeiten einzuführen, das
heißt, dass es beim Teilzeit- und Befristungsgesetz
Nachholbedarf gibt.
({1})
- Ich weiß nicht, welche Protokolle Sie lesen;
({2})
aber das ist ein Phänomen, Frau Connemann: dass Sie
aus den Texten immer etwas anderes lesen als der Rest
der Republik.
({3})
Dieses Grundsatzproblem können wir jetzt nicht lösen.
({4})
Was waren die Begründungen, im Übrigen auch von
Ihren Fraktionen? Wir müssen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Wir müssen den Frauen bessere Chancen geben, eine eigene, vollständige Erwerbsbiografie aufzubauen.
Interessant und richtig ist Ihre Anmerkung: Die Chancen der Betriebe auf ausreichend viele qualifizierte
Fachkräfte müssen verbessert werden. Hier haben wir
mit den Frauen ein erhebliches Potenzial.
({5})
Wir haben ja nicht nur in dieser Debatte, sondern
auch in der Debatte heute Morgen über die Quote zur
Kenntnis nehmen müssen, dass die inhaltliche Zustimmung noch lange keinen Abstimmungserfolg bedeutet.
In Bezug auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz bin ich
hier auch skeptisch; denn Frau Schröder und Frau von
der Leyen haben zwar, wie ich gehört habe, einen Gesetzentwurf zum Rückkehrrecht auf Vollzeit in der
Schublade, aber sie bringen ihn nicht ein.
({6})
Er verstaubt in der Schublade. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich für die Frauen hier wenig tut.
Dabei ist der Handlungsdruck extrem groß. In keinem
anderen Land in Europa ist die Arbeitszeit der in Teilzeit
arbeitenden Beschäftigten so gering wie in Deutschland;
sie liegt nämlich bei 18,5 Stunden. Das liegt natürlich an
der unzureichenden Kinderbetreuung. Viele Paare, die
ein egalitäres Lebensmodell gelebt haben, finden sich
plötzlich in der klassischen Rollenverteilung wieder,
wenn sie Kinder haben. Wenn die Frauen dann nach der
Kinderphase auf eine Vollzeitstelle zurückkehren wollen, dann gelingt ihnen das in vielen Fällen nicht.
Parallel dazu wächst der Fachkräftemangel. Das ist
doch einfach absurd. Wir haben es hier nicht nur mit einem frauenpolitischen Problem, sondern auch mit einem
großen volkswirtschaftlichen Problem zu tun. Der Fachkräftemangel kostet den Mittelstand jährlich 33 Milliarden Euro, Herr Kolb.
({7})
Ich frage Sie, wie lange wir uns das noch leisten wollen:
Fachkräftemangel auf der einen Seite und auf der anderen Seite Frauen, die ihr Erwerbsvolumen ausweiten
wollen und denen das nicht gelingt.
({8})
Daneben greifen wir auch in die Lebensentwürfe der
Paare ein. Väter wollen heute weniger arbeiten, und
Mütter wollen heute mehr arbeiten. Die betriebliche
Wirklichkeit lässt das aber bei zwei Dritteln aller Unternehmen, die flexible Arbeitszeiten anbieten und sich da29266
bei ausschließlich an den betrieblichen Belangen orientieren, nach wie vor nicht zu.
({9})
Wir haben in Deutschland eine Arbeitskultur, die auf
dauernder Verfügbarkeit und permanenter Anwesenheit
beruht.
Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehrieder?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Kollegin Pothmer, Sie haben gerade aus dem Protokoll des Bundestages repliziert, und
zwar aus meiner Rede im Rahmen der Beratung Ihres
Antrages am 21. März 2013. Ich darf Sie fragen, ob Sie
mir zustimmen, dass in meiner Rede, die zu Protokoll
gegeben wurde, unter anderem folgender Passus zu finden ist:
Dieser Tatsache wurde mit dem Bundeselterngeldund Elternzeitgesetz, BEEG, Rechnung getragen.
Demnach haben Eltern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes einen Anspruch auf
Elternzeit. Diese kann auch in einer Vereinbarung
zur Verringerung der Arbeitszeit bestehen. Somit
haben Eltern im Rahmen der Elternzeit einen Anspruch auf Teilzeitarbeit.
Zudem haben Arbeitnehmer in Teilzeit bereits
heute ein Recht auf Verlängerung ihrer Arbeitszeit.
§ 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG,
- dies wurde vom Kollegen Lange zutreffend zitiert begründet ein solches Recht, wenn sie diese ihrem
Arbeitgeber anzeigen und keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Damit wurde
die EU-Richtlinie 97/81/EG umgesetzt, die einen
Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung von Arbeitnehmern vorsieht, die einen Teilzeitwunsch geltend gemacht haben und ihre Arbeitszeit wieder erhöhen wollen.
Stimmen Sie mir zu, dass genau das von Ihnen vermisste Recht auf Rückkehr zur Vollzeit tatsächlich bei
der Beratung Ihres Antrags von uns hier zugestanden
wurde?
Ich habe aus Ihrer Rede darüber hinaus aber nicht entnehmen können, dass Sie die Notwendigkeit sehen, den
Frauen das Rückkehrrecht auf Vollzeit zu ermöglichen.
({0})
- Gut. Wir machen dann noch einmal eine gemeinsame
Textexegese.
({1})
- Können wir uns darauf verständigen?
({2})
Ich würde jetzt aber gerne in meiner Rede fortfahren,
es sei denn, Herr Lehrieder, Sie wollen jetzt sozusagen
alle Protokolle vorlesen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob der Präsident das möchte.
Das würde ich nicht zulassen.
Okay.
Fahren Sie bitte mit Ihrer Rede fort.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir in
Deutschland eine Arbeitskultur haben, die im Wesentlichen darin besteht, dass es eine allgemeine Verfügbarkeit ohne Grenzen und eine Präsenzpflicht gibt, die den
Frauen die Beteiligung an der Erwerbsarbeit sehr schwer
macht und die auch dazu führt, dass die Männer ihre
Wünsche hinsichtlich kürzerer Arbeitszeiten nicht
durchsetzen können.
Jetzt will ich Ihnen das Ergebnis einer Umfrage mitteilen - Herr Lehrieder, hören Sie einmal genau zu -:
({0})
Jede vierte Frau ist inzwischen der Auffassung, dass es
ein Fehler war, Elternzeit in Anspruch genommen zu haben. Herr Lehrieder, das kann doch wohl nicht wahr
sein. Daran müssen wir etwas ändern. Das können auch
Sie nicht bestreiten.
({1})
Ich glaube, wir brauchen ein völlig neues Normalarbeitsverhältnis,
({2})
ein Normalarbeitsverhältnis, das darauf aufgerichtet ist,
flexibel auf die unterschiedlichen Lebensphasen zu reagieren.
({3})
Es ist mir klar, dass da zunächst einmal die Tarifparteien
und die Unternehmen gefragt sind.
Ich will an dieser Stelle aber noch einmal deutlich sagen: Das liegt auch im betriebswirtschaftlichen Interesse
der Unternehmen, weil Untersuchungen sehr deutlich
gezeigt haben, dass Unternehmen, die familienfreundliche Personalpolitik betreiben, davon betriebswirtschaftliche Vorteile haben. Deswegen liegt eine Neuregelung
durchaus im wirtschaftlichen Interesse.
Wir brauchen zusätzlich neue Rahmenbedingungen
im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Die derzeitigen Regelungen - da hat die SPD vollkommen recht - haben
sich in Teilen als Papiertiger erwiesen. Hier gibt es
Nachbesserungsbedarf. Ob diese Regelungen im Detail
so aussehen müssen, wie die SPD das vorschlägt, werden wir im Ausschuss beraten. Die Richtung jedenfalls
stimmt.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Zimmer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute einen Antrag der sozialdemokratischen
Fraktion. Ich stelle fest, dass aus dem zuständigen Arbeitskreis der Union für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
alle Mitglieder anwesend sind, bei den Sozialdemokraten sind es entsprechend nur drei reguläre Mitglieder.
Dann stelle ich mir schon die Frage: Kann es sein, dass
wir Ihre Anträge ernster nehmen als Sie selbst?
({0})
Mir ist es bei der Lektüre des Antrages ganz ähnlich
ergangen wie dem Kollegen Kolb. Ich konnte mich daran erinnern, dazu einmal eine Presseerklärung gesehen
zu haben. In der Presseerklärung vom 7. März 2012, die
Sie, Frau Kramme, zusammen mit Frau Hiller-Ohm herausgebracht haben, heißt es:
Teilzeit bedeutet meist … unsichere Arbeitsplätze … und unzureichende Alterssicherung.
({1})
Teilzeit macht arm und schadet besonders Frauen.
Nun lese ich in Ihrem Antrag - Kollege Kolb hat es
zitiert -:
Teilzeit ist nicht per se gut oder schlecht. … Teilzeit
kann außerdem dazu beitragen, Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({2})
Ich finde das wunderbar, Frau Kramme, dass Ihnen in
der Opposition immer wieder neue Erkenntnischancen
zufallen. Ich wünsche mir, dass das auch nach dem
22. September so bleibt.
({3})
Es ist in der Tat wahr: So richtig wissen wir gar nicht,
wohin bei Ihnen die arbeitsmarkt- und sozialpolitische
Reise geht. Das haben wir sehr deutlich in der letzten
Ausschusssitzung gesehen, als es um die Frage Hartz IV
ging. Da haben Sie ziemlich herumgeeiert. Anstatt zu
sagen: „Hartz IV war eine Erfolgsstory, wir stehen dahinter“, war das ein Wenn und Aber, hier und da eine
Einschränkung, dort eine kleine Berichtigung. Man weiß
also gar nicht so richtig, wohin bei Ihnen die Reise geht,
was die Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik
Deutschland angeht.
({4})
Jetzt schaue ich in Ihr Wahlprogramm. Dort lese ich
vor allen Dingen etwas über Steuermehrbelastungen für
Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
({5})
Ihre Steuerpläne würden in kleinen und mittleren Betrieben - das Rückgrat der deutschen Wirtschaft; sie sind es,
die Arbeitsplätze schaffen und das Einkommen von
Millionen von Familien sichern - massiv Jobs kosten.
({6})
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hat errechnet: Die roten Steuerpläne würden
1,4 Millionen Jobs kosten. Wir führen heute also die falsche Diskussion. Wir sollten nicht darüber diskutieren,
ob in Deutschland mehr Teilzeit gearbeitet werden soll,
sondern wir sollten darüber diskutieren, wie wir verhindern, dass Sie Millionen Jobs vernichten.
({7})
Eigentlich hätte der SPD-Kanzlerkandidat schon bei
seinem Frankreich-Besuch sehen können, welche negativen Auswirkungen mit Steuererhöhungen verbunden
sind. Das hat er nicht. Er hat sich lieber im Glanz sozialistischer Blütenträume gesonnt. Dabei ist gerade Frankreich mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit und seiner
steigenden Arbeitslosigkeit insgesamt doch nur für eines
ein Beispiel: für das Versagen des postrealen Sozialismus in Europa. Sozialismus muss man sich leisten können. Wir können es nicht.
({8})
Schon jetzt kommt die Blockade der SPD-geführten
Länder im Bundesrat Steuerzahler und Staat teuer zu stehen. Die Blockade des Steuerabkommens mit der
Schweiz kostet den Staat 9 Milliarden Euro im Jahr
2013. Mein Kollege Michael Meister hat heute Morgen
zu Recht gesagt: Die SPD macht sich damit zum Anwalt
der Steuerhinterzieher. - Die Anhebung des Grundfreibetrags kann zwar in Kraft treten. Aber die Blockade der
Änderung des Steuertarifs, um Steuersprünge, also die
kalte Progression, zu vermeiden, kostet die Arbeitnehmer 6,1 Milliarden Euro.
({9})
Meinem Empfinden nach liegt der SPD-Blockadepolitik
im Bundesrat ein entscheidender Denkfehler zugrunde.
Sie wollen die unionsgeführte Bundesregierung blockieren. Letztendlich blockieren Sie aber nicht diese, sondern die Arbeitnehmer, das Handwerk und die Unternehmen in diesem Land. Sie blockieren das Land, weil Sie
sich schwertun mit der Erkenntnis, dass es den Menschen in Deutschland gut geht.
Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der
Wiedervereinigung. Die Zahl der Landzeitarbeitslosen
ist gesunken. Deutschland weist die niedrigste Jugendarbeitslosenquote in der EU auf. Wir haben zudem einen
Tiefstand im Hartz-IV-Bezug und einen Höchststand bei
der Beschäftigung zu verzeichnen. Die Löhne steigen
spürbar, insbesondere dort, wo die Tarifbindung hoch ist.
Kurzum: Wir haben eine insgesamt gute arbeits- und
sozialpolitische Gesamtsituation.
({10})
Das wollen wir als Union bewahren. Daher tun wir
gut daran, die erfolgreiche Politik unter Bundeskanzlerin
Merkel fortzusetzen. Unter dieser Regierung schließt
sich die Einkommensschere wieder. Unter Rot-Grün hat
die gesellschaftliche Ungleichheit zugenommen. Unter
dieser Regierung haben die Menschen eine Perspektive.
Unter Rot-Grün waren sie arbeitslos. Ich sage Ihnen, was
dem Land guttun würde: Ihnen einige weitere Jahre der
Zeitsouveränität in der Opposition zu gönnen.
({11})
Wir haben in den vergangenen Jahren behutsam die
Fehler korrigiert, die Sie mit Ihren Reformen hinterlassen haben. Wir haben nachgebessert. Wir haben die Instrumentenreform gemacht. Wir haben die Organisationsreform angepackt. Wir haben dem Missbrauch der
Arbeitnehmerüberlassung einen Riegel vorgeschoben.
Wir werden auch anderen missbräuchlichen Praktiken
einen Riegel vorschieben.
Nun komme ich zu einem Thema, das auch mit Teilzeitbeschäftigung zu tun hat,
({12})
das mich aber mehr ärgert als Ihre Wahlkampfmanöver.
Nach Recherchen der WirtschaftsWoche werden von
kirchlichen Arbeitgebern wie der Diakonie immer häufiger Minijobs mit der Übungsleiterpauschale kombiniert.
Dabei wird eine Tätigkeit im Minijob zugleich als ehrenamtliche Leistung ausgewiesen. Die Diakonie drückt
sich damit vor der Zahlung von Sozialabgaben für ihre
Beschäftigten.
({13})
Es gibt inzwischen sogar spezielle Handreichungen, in
denen kirchliche Arbeitgeber ihre örtlichen Dienste über
diese Möglichkeit unterrichten.
Neben Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten
Trägern unterläuft die Diakonie mit dieser Praxis
Anreizregelungen, die zum Ziel haben, eine vollwertige
Arbeitsstelle zu schaffen. Mich ärgert besonders, dass
der Missbrauch des Ehrenamtes klar zulasten der Beschäftigten geht. Nicht nur, dass die Beschäftigten um
ein Normalarbeitsverhältnis gebracht werden: Auch die
Gefahr, dass sie am Ende in Altersarmut landen, weil ihr
Arbeitgeber Sozialabgaben sparen wollte, ist hoch.
({14})
Mich ärgert auch, dass diese Praxis auch von anderen
kirchlichen Arbeitgebern betrieben wird.
Hier brauchen wir aus meiner Sicht analog zur Schlecker-Klausel eine Diakonie-Klausel. Meines Erachtens
sollte die Schande des Missbrauchs beim Namen genannt und verewigt werden. Sollte mich wieder einmal
einer der häufigen Briefe von der Diakonie, anderen
kirchlichen Trägern oder von den dahinter stehenden
kirchlichen Würdenträgern erreichen, die mehr Gerechtigkeit einfordern, so empfehle ich ihnen Matthäus 7,
Vers 3. Ich habe den Verdacht, darin liegt gerade für die
kirchlichen Träger noch einiges an Erkenntnischancen.
({15})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Andrea Nahles.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte das Teilzeitgesetz so ändern, dass es ein
verlässliches Rückkehrrecht in Vollzeit gibt.
({0})
Mich erstaunt, dass Sie aufseiten der Union bei diesem
Satz nicht klatschen, weil er wörtlich von Frau von der
Leyen stammt, und zwar nicht etwa von vor zehn Jahren,
sondern vom 28. Februar 2013.
({1})
Nun, das ist ja wunderbar. Ich sage Ihnen: Der Antrag
der SPD gibt Ihnen heute die Möglichkeit, diesem
Wunsch von Frau von der Leyen Rechnung zu tragen.
Stimmen Sie unserem Antrag einfach zu, meine Damen
und Herren von der Union!
({2})
Es ist übrigens auch deswegen wunderbar, weil wir an
dieser Stelle sehr gut erkennen können, was hier eigentlich gerade passiert. Frau von der Leyen äußert irgendeinen schönen Satz, freundlich in die Kameras lächelnd,
und die eigene Fraktion bekämpft dann genau das, was
zur Umsetzung eines solchen Satzes notwendig ist.
({3})
Das passiert heute schon zum zweiten Mal. Wir haben es
vorhin bei der Frauenquote ebenfalls erlebt.
({4})
Ich kann Ihnen nur sagen: 2001 war es die rot-grüne
Bundesregierung, die den Rechtsanspruch auf Teilzeit
gesetzlich eingeführt hat. Das war ein Meilenstein, das
hat zu mehr Möglichkeiten geführt, die Arbeitszeit den
Bedürfnissen insbesondere der Frauen anzupassen. Es
hat mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten gebracht.
Wir wissen aber auch, nachdem wir das jetzt über
viele Jahre in der Praxis beobachtet haben - bitte argumentieren Sie hier nicht mit Gesetzestexten, meine
Herren, sondern schauen Sie sich die Praxis an -, dass
der Rechtsanspruch auf Teilzeit nur die eine Seite der
Medaille war. Die andere Seite ist, dass wir, um Ihre
Ministerin noch einmal zu zitieren, einen verlässlichen
Rückkehranspruch auf Vollzeit hinzufügen müssen.
Denn wenn eines klar ist, dann dies: Teilzeit ist zwar
nicht von vornherein schlecht oder gut; aber dauerhafte
Teilzeitarbeit ist eine Falle für Frauen.
({5})
Das ist eindeutig festzustellen. Sie führt dazu, dass man
wirtschaftlich abhängig ist, weil man von dem Teilzeitentgelt auf Dauer eben nicht leben kann. Wer dauerhaft
Teilzeit arbeitet, riskiert Armut, falls es eine Scheidung
gibt, falls man in Arbeitslosigkeit gerät oder gar der Tod
des Partners zu beklagen ist. Vor allem erreicht man damit nur Niedrigstrenten. Das ist doch klar: Wir produzieren bei dauerhafter Teilzeitarbeit auch Altersarmut.
Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht nicht
nachvollziehbar, warum hierbei immer nur die Frauen
die Hauptlast und das Risiko tragen müssen. Sie sind es,
die überwiegend in Teilzeit arbeiten, weil sie sich immer
noch mehrheitlich für die Familie einsetzen und weil sie
immer noch mehrheitlich Kinder, Haushalt und Pflege
übernehmen. Aber dann müssen wir ihnen die Möglichkeit eröffnen, aus dieser Teilzeit wieder herauszukommen, was viele ja auch unbedingt wollen.
({6})
Ich kann Ihnen wirklich aus meinem eigenen familiären Umfeld sagen: Auch bei meinen Cousinen erlebe
ich, welche Steine ihnen massenhaft in den Weg gelegt
werden und welche Ausreden sie sich anhören müssen.
Da kann man immer sagen: Ja, im Gesetz haben wir
doch alles schon geregelt. - In der Wirklichkeit funktioniert es aber nicht. Damit muss man sich doch einmal
auseinandersetzen.
Eines ist klar: Wir haben hier eindeutig die Situation,
dass wir bei dem Rechtsanspruch auf Reduzierung der
Arbeitszeit in der Praxis Probleme haben. Es werden betriebliche Gründe angeführt, die die Umsetzung eines
Teilzeitwunsches verhindern. Das wird natürlich auch
massenhaft so gemacht, sodass viele ihr Recht nicht
wahrnehmen. Hier eine Klarstellung vorzunehmen, ist
bei der Durchsetzung dessen, was wir uns ursprünglich
erhofft hatten, hilfreich.
Ein weiterer Punkt. Wir wollen die Möglichkeiten zur
Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung verbessern. Das
betrifft vor allem diejenigen, die vorher schon in Teilzeit
beschäftigt waren oder jetzt in Teilzeit beschäftigt sind.
Die Betriebsräte müssen hier mehr Mitspracherechte erhalten.
Wir wollen - das haben Sie offensichtlich überlesen,
Herr Lange - ein Recht auf befristete Teilzeit. Damit
kann dann auch der Arbeitgeber von vornherein sicher
planen.
({7})
Wenn man von vornherein sagt: „Ich arbeite jetzt für
zwei Jahre befristet in Teilzeit, dann komme ich wieder
zurück“, dann ist das für alle Beteiligten eine klare Sache und ein klarer Rechtsanspruch. Genau das wollen
wir hier durchsetzen.
({8})
Herr Kolb, Sie haben die Gestaltung von Zeitarbeit
angesprochen. Das ist doch kein Problem.
Herr Kollege Lange, wollten Sie eine Frage stellen?
Nein, ich möchte das jetzt gerade nicht. Weil Herr
Kolb mich eben herausgefordert hat, darauf zu antworten, würde ich jetzt gerne dieses Argument aufgreifen.
({0})
Tragen Sie hier doch keine Eulen nach Athen. Verwechseln Sie uns doch nicht mit anderen Parteien hier
im Hohen Haus. Wir sind nicht für ein Verbot der Zeitarbeit. Wir sind immer dafür gewesen, dass der Missbrauch von Zeitarbeit bekämpft wird. Das ist etwas ganz
anderes, und das haben wir auch schon seit vielen Jahren
vertreten.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ein Problem
ansprechen, das mich zunehmend wütend macht: Frauenpolitik à la CDU/CSU und FDP, das ist eine Art Fata
Morgana.
({2})
Es gibt nämlich immer nur eine große Ankündigung, einen großen Medientrubel und dann am Ende nichts als
heiße Luft.
Frau Kollegin Nahles, erlauben Sie trotzdem eine
Frage des Kollegen Lange?
Bitte.
Bitte schön, Herr Lange.
Frau Kollegin Nahles, nachdem Sie jetzt so ehrlich
waren und den von mir angesprochenen Verschiebebahnhof eingeräumt haben, indem Sie sagten, es gebe
dann Planungssicherheit für Arbeitgeber, kommen Sie
genau zu dem, was ich Ihnen vorgehalten habe: Für die
Zeit, in der die Arbeitszeit reduziert ist, wird der Arbeitgeber eine Vertretung befristet in Teilzeit einstellen.
Ja, natürlich.
({0})
Ja, natürlich. Aber damit haben Sie im Endeffekt einen Verschiebebahnhof innerhalb des TzBfG. Sie haben
nichts gewonnen.
({0})
Das hat nichts damit zu tun, dass ich das nicht verstehe, Herr Kollege Zimmer.
({0})
Herr Kollege Lange, das würde ich an Ihrer Stelle
nach Ihrer Rede jetzt wirklich nicht als Argument anführen. Tatsache ist: Aus meiner Sicht ist es die ganz normale Praxis, dass jemand durch eine andere Teilzeitkraft
ersetzt wird, wenn er seine Arbeitszeit reduziert und der
Bedarf an Arbeitszeit im Unternehmen noch da ist.
Die Frage, über die wir heute reden, ist auch überhaupt kein Gegenargument gegen das, was wir hier vorschlagen, sondern das ist ein ganz anderes Thema. Was
wir hier vorschlagen, ist doch eine simple Geschichte.
Wir wollen nämlich versuchen, Frauen die Möglichkeit
zu geben, nach einer Phase, die sie in die Familie oder in
die Pflege von Angehörigen - welche Gründe sie auch
immer haben - investiert haben, wieder eine Vollzeitbeschäftigung zu finden.
({1})
- Übrigens, es ist üblich, dass man stehen bleibt, solange
auf eine vorher gestellte Frage geantwortet wird.
({2})
Jüngste Untersuchungen besagen - das wissen Sie
doch auch -, dass nur Vollzeitbeschäftigte Karrierechancen haben und dass nur bei Vollzeitbeschäftigten die
Qualifizierung hundertprozentig funktioniert. Darum
geht es.
({3})
Dass hier eine Ersetzung vorgenommen wird oder ein
Kreislauf bzw. Austausch stattfindet, ist nicht das
Thema.
({4})
Ich kann Ihnen nur sagen: Unser geplantes Gesetz
schafft mehr Planungssicherheit, auch für die Arbeitgeber, wenn wir von vornherein eine befristete Teilzeit vorsehen.
Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass hier
mehrere Dinge zusammenkommen. Ich bin mir dessen
bewusst, dass ein Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit nicht alle frauenpolitischen Probleme auf dem Arbeitsmarkt löst. Hinzukommen muss endlich auch ein
Gesetz zur Entgeltgleichheit. Dazu haben wir Vorschläge
gemacht. Hinzu kommt aus meiner Sicht auch das Steuerrecht. Hier privilegieren wir immer noch einseitig vollzeiterwerbstätige Männer, deren Ehefrauen in Teilzeit
arbeiten. Leider gibt es auch 3,1 Millionen Frauen, die
nur in Minijobs arbeiten.
({5})
34 Prozent davon üben diese Minijobs schon über zehn
Jahre lang aus, und von denen sagen viele, dass sie gerne
aus dieser Teilzeitfalle herausgekommen wären.
Aus meiner Sicht ist es daher dringend erforderlich,
dass wir uns das Gesamtfeld anschauen, um die höhere
Erwerbsbeteiligung von Frauen in der Summe zu garantieren. Es gibt ja viele Frauen, die erwerbstätig sind; aber
sie sind vor allem in Teilzeit und Minijobs tätig. Das ist
der Befund, und das ist unbefriedigend.
({6})
Wenn wir schon, wie wir heute gesehen haben, hinsichtlich der Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Aufsichtsräte von Ihnen hier nichts zu erwarten
haben - man braucht ein Fernrohr, um irgendwo am
Himmel die Frauenquote zu sehen -, dann helfen Sie uns
mit Blick auf Millionen von Frauen, wenigstens die
Rechte im Bereich Teilzeit zu stärken. Dann könnten wir
auch in Ihrer Regierungszeit so etwas wie einen kleinen
Fortschritt für Frauen erkennen.
Da Sie Ihrer Ministerin nicht helfen wollen, ihre
Wünsche zu erfüllen,
({7})
kann ich angesichts Ihres Nichtstuns momentan nur die
Möglichkeit erkennen, dass Sie sich die nächsten fünf
Monate noch irgendwie durchwurschteln. Wir werden
für eine sozialdemokratisch geführte Regierung sorgen.
Das wird den Frauen in Deutschland jedenfalls viel mehr
Rechte bringen als das, was Sie hier anzubieten haben,
nämlich nichts. Sie haben keine Vorschläge vorgelegt.
Wir sind die einzige Partei, die konkrete Vorschläge zur
Verbesserung dieser Situation macht.
Vielen Dank.
({8})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Pascal
Kober.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, liebe Frau
Nahles, wenn Sie fordern - das tun Sie ja explizit in Ihrem Antrag -, dass der Arbeitnehmer das Recht hat, anzukündigen, dass er für einen begrenzten Zeitraum
- zwischen sechs Monaten und fünf Jahren - seine Arbeitszeit reduziert, dann bedeutet das automatisch - Frau
Nahles, lassen Sie es sich von mir erklären; Frau
Kramme hat es mit dem Schreiben dieses Antrags offensichtlich nicht geschafft -,
({0})
dass der Arbeitgeber diese Zeit durch ein weiteres Arbeitsverhältnis ausgleichen muss. Dieses Arbeitsverhältnis ist notwendigerweise eine Teilzeitstelle, und zwar
eine befristete.
Jetzt möchte ich Sie an eines erinnern, Frau Nahles,
Frau Kramme und liebe SPD: Sie haben im Mai 2010,
also in dieser Legislaturperiode, einen Antrag eingebracht, in dem Sie sich darüber beklagt haben, dass es zu
viel befristete Beschäftigung in Deutschland gebe. Ich
darf einmal zitieren:
Wir brauchen mehr Sicherheit im Erwerbsleben.
Prekäre Beschäftigung auf Zeit nimmt in Deutschland zu. Deshalb
- jetzt hören Sie zu müssen befristete Arbeitsverträge auf das Notwendige zurückgedrängt werden.
Wenn, wie Sie wollen, möglichst viele Menschen der
Forderung in Ihrem heutigen Antrag nachkommen,
würde das automatisch bedeuten, dass andere Menschen
befristet eingestellt werden. Insofern widerspricht Ihr
Antrag dem von vor drei Jahren.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wir sind
von Ihrem Kanzlerkandidaten gewohnt, dass bei ihm
heute nicht mehr gilt, was er gestern gesagt hat. Aber
dass Ihre ganze Fraktion diesem Beispiel folgt, das kann
ich Ihnen nicht empfehlen. Bleiben Sie konsequent in Ihren Aussagen. Stehen Sie zu dem, was Sie gestern gesagt
haben, jedenfalls dann, wenn es richtig ist; allzu häufig
ist es leider falsch. Ich empfehle Ihnen, auch die nächste
Wahlperiode von den Plätzen der Opposition aus zu verfolgen und zu begutachten, wie hier ordentliche Politik
gemacht wird. Die vergangenen dreieinhalb Jahre, die
wir regiert haben, waren nämlich gute Jahre für Deutschland.
({2})
Sie müssen noch weiter hinzulernen, bevor Sie hier die
Verantwortung übernehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig - dazu
bekennt sich auch diese Bundesregierung -, dass wir die
Möglichkeiten verbessern müssen, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln oder Teilzeit zu arbeiten. Wenn Sie das
Fachkräftesicherungskonzept der Bundesregierung gelesen haben, dann haben Sie gesehen, dass wir diese
Herausforderung dort klar benannt haben und uns auch
dieser Verantwortung stellen.
Wenn aber richtig ist, dass nur 20 Prozent derjenigen,
die Teilzeit arbeiten, deshalb nicht Vollzeit arbeiten können, weil sie keinen Vollzeitarbeitsplatz finden, und dass
80 Prozent derjenigen, die Teilzeit arbeiten, offensichtlich andere Gründe dafür haben - Sie selber schreiben
das in Ihrem Antrag -, dann muss man dazu zweierlei
sagen:
Erstens. Wir brauchen eine wirtschaftliche Dynamik,
in der mehr Vollzeitarbeitsplätze entstehen. Deshalb sind
Ihre Steuervorschläge, wie der Kollege Dr. Zimmer zu
Recht angemerkt hat, völlig falsch und gehen an dem
Problem völlig vorbei. Durch ihre Umsetzung würde das
Problem verschärft.
Zweitens. Man muss fragen, was die Gründe dieser
80 Prozent dafür sind, dass sie freiwillig, jedenfalls nicht
wegen des Arbeitgebers oder wegen des Fehlens einer
Vollzeitstelle, Teilzeit arbeiten. Es gibt in der Tat einige,
die sagen: Es fehlt an einer geeigneten Betreuungsinfrastruktur entweder für zu betreuende Kinder oder für zu
pflegende Angehörige. Diese Bundesregierung hat wie
keine zweite zuvor diese Verantwortung angenommen,
hat wie keine zweite zuvor in den Ausbau der Kinder29272
betreuung investiert und hat auch im Bereich der Pflege
einiges auf den richtigen Weg gebracht.
In den nächsten vier Jahren werden wir das fortsetzen.
Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für
Deutschland. Die nächsten vier Jahre werden es auch
sein, wenn wir, CDU, CSU, FDP, gemeinsam weiterhin
die Regierung stellen.
Vielen Dank.
({3})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Gitta Connemann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Des einen
Freud’, des anderen Leid. - Dieser Satz fiel mir beim Lesen Ihres Antrags ein, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD. Es geht zunächst um Änderungen des Teilzeitrechts. Eltern sollen mehr Ansprüche erhalten: zwingende Ansprüche auf Verringerung der Arbeitszeit und
ein Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit. Ohne Frage,
das hört sich gut an.
({0})
Wir alle kennen sicherlich Fälle, in denen der Kinderwunsch zur Karrierefalle geworden ist. Ohne Frage: Wer
Familien stärken will, muss ihren Bedürfnissen gerecht
werden, auch und gerade in der Arbeitswelt.
Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Flexibilität,
die einen, um Beruf und Familie in Einklang zu bringen,
die anderen übrigens für ihre individuelle Lebensplanung. Dafür haben wir als Gesetzgeber in dieser Koalition einiges getan. Ich nenne nur beispielhaft die Vätermonate und die Familienpflegezeit für die Betreuung
pflegebedürftiger Familienangehöriger.
Aber auch die Betriebe haben reagiert. Seit der Unterzeichnung der Charta für familienbewusste Arbeitszeiten
gibt es deutliche Fortschritte in Deutschland. Heute bieten über 70 Prozent der Unternehmen familienfreundliche Maßnahmen an. Sie ermöglichen Zeitsouveränität
zum Beispiel durch Staffelung der Arbeitszeiten, individuelle Festlegung von Wochenarbeitstagen, flexible Pausen und das Angebot der Teilzeitarbeit - dauerhaft oder
befristet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben es ja in
unseren eigenen Betrieben, unseren Abgeordnetenbüros:
Gerade die Teilzeitarbeit ist in manchen Lebensphasen
begehrt und hilft übrigens auch, persönliche Wünsche
und Ziele zu erreichen. Ich bin sehr froh, dass die SPD
das inzwischen auch erkannt hat. In vielen Anträgen der
letzten Jahre wurde die Teilzeitarbeit immer wieder als
atypisch, als prekär gegeißelt.
({1})
Dass die SPD inzwischen festgestellt hat - ich zitiere -:
„Auf die Lebenslage kommt es an: Teilzeitarbeit ist nicht
per se gut oder schlecht“,
({2})
das ist ein Fortschritt, und ich gratuliere zu dieser Einsicht.
({3})
In rund 80 Prozent der Betriebe gibt es Beschäftigte,
die in Teilzeit arbeiten. Das ist übrigens in den meisten
Fällen das Wunschmodell. Dies gilt übrigens auch für
mein Büro. Von meinem Team arbeiten eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter in Vollzeit, zwei arbeiten
30 Stunden, und ein Mitarbeiter arbeitet 20 Stunden, übrigens nicht deshalb, weil ich das diktatorisch vorgegeben habe, sondern deshalb, weil wir es so vereinbart
haben, und zwar zu Beginn des Arbeitsverhältnisses,
aber auch danach.
Eine Mitarbeiterin bekam ein Kind. Ein Mitarbeiter
überlegte sich, zu promovieren. Dann haben wir im
Team besprochen, wie die Lösung aussehen kann; denn
der Wunsch des einen muss von den anderen geschultert
werden:
({4})
durch die Einarbeitung neuer Kollegen, durch die Übernahme weiterer Aufgaben. Deswegen: Des einen Freud’,
des anderen Leid.
Meine Damen und Herren, wenn auch nur ein Mitarbeiter in einem kleineren Betrieb oder in einer Abteilung
in Teilzeit wechselt, ist das für die anderen spürbar ohne Frage. Als verantwortungsbewusster Arbeitgeber
wird ein Betrieb solche Teilzeitwünsche ermöglichen,
aber er wird auch dafür sorgen, dass ein Ersatz eingestellt wird, damit die anderen Mitarbeiter nicht im Regen
stehen. Es geht bei diesen Wünschen also immer um einen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber auch zwischen den Mitarbeitern.
Dem wird das Gesetz, das wir derzeit haben, gerecht.
Das konzediere ich auch der damaligen rot-grünen Fraktion, die es auf den Weg gebracht hat.
({5})
Denn alle Belange können berücksichtigt werden, und es
gibt schon heute das Recht auf Teilzeit und auch das
Recht auf Verlängerung - das hat der Kollege Uli Lange
hervorragend dargestellt -,
({6})
allerdings eben nicht um jeden Preis, nicht unbedingt.
Genau das wollen jetzt die SPD-Kolleginnen und -Kollegen: einen bedingungslosen Anspruch auf Reduzierung
der Arbeitszeit und ein zwingendes Recht auf Rückkehr in
die Vollzeit. Damit wären wir dann wieder beim Anfang:
Des einen Freud’, des anderen Leid.
Solche Regeln mögen den unmittelbar Betroffenen
helfen. Alle anderen leiden jedoch unter der unkalkulierbaren Flexibilität. Den Preis zahlen nämlich nicht nur
die Betriebe, sondern auch die anderen Arbeitnehmer
und insbesondere die Ersatzkräfte.
Frau Kollegin Connemann, Frau Pothmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das?
Damit macht mir die Kollegin Pothmer eine große
Freude.
({0})
Bitte schön, Frau Pothmer.
Frau Connemann, da Sie es ja sonst im Leben nicht so
leicht haben, mache ich das gerne.
({0})
Frau Connemann, wir - und auch Herr Lehrieder haben von Ihnen gehört, es gäbe bei der Frage des Teilzeit- und Befristungsgesetzes keinen Regelungsbedarf;
das sei ja schon in der letzten Debatte angeklungen. Darf
ich Sie fragen, ob ein Zitat aus der Rede von Herrn
Lehrieder nicht möglicherweise auch aus Ihrer Sicht einen Hinweis darauf geben könnte, dass auch Herr
Lehrieder der Ansicht ist, dass es vielleicht doch Handlungsbedarf beim Teilzeit- und Befristungsgesetz gibt?
({1})
Ich zitiere:
Unser Ziel ist es, dass auf lange Sicht die Entscheidung zwischen Karriere und Familie überflüssig
wird und beides Hand in Hand geht.
({2})
Als weiterer Schritt in diese Richtung muss natürlich auch die gesetzliche Regelung der Rückkehr
zur Vollzeit angedacht und diskutiert und überprüft
werden, ob das geltende Teilzeitrecht
- das Teilzeit- und Befristungsgesetz noch den Anforderungen unserer modernen Arbeitsgesellschaft in ausreichendem Maße Rechnung
trägt.
({3})
Ich frage Sie, Frau Connemann: Könnten Sie sich dieser, wie ich finde, klugen Auffassung von Herrn
Lehrieder anschließen?
({4})
Die Zitate des Kollegen Lehrieder sind für mich immer außerordentlich erleuchtend. Sie sind in diesem Fall
für mich nicht besonders überraschend, weil ich ja - anders als Sie - das Protokoll gelesen hatte und es auch
mitgebracht habe. Ich bin froh, dass Sie das jetzt nachgeholt haben und das Protokoll mittels der modernen Technik über Ihr iPhone aufgerufen haben. Das ist gut.
({0})
Ich finde, an den Aussagen des Kollegen Lehrieder ist
nicht nur nichts auszusetzen, sondern ich würde sie auch
unterzeichnen. Als Gesetzgeber steht es uns immer nicht
nur gut zu Gesicht, sondern es ist auch unsere Pflicht, zu
überprüfen, ob gesetzliche Rahmenbedingungen noch
der aktuellen Wirklichkeit entsprechen. Dazu gehört
auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das wir an jeder Stelle überprüfen. Das gilt übrigens auch bezüglich
des § 8, wenn es um Themen wie die Sachbefristung, die
Befristung bei Älteren oder auch um Fragen der sachgrundlosen Befristung geht.
In diesem Fall haben wir uns außerordentlich gut mit
der Vorlage der SPD, aber auch mit Ihrem Vorschlag
auseinandergesetzt. Wir haben es geprüft, wir haben es
diskutiert und kommen zu dem Ergebnis: Wir befinden
es für zu leicht.
({1})
Denn solche Regelungen schaden nicht nur den Betrieben. Ich will nicht auch noch davon sprechen, wie brachial in die Vertragsfreiheit eingegriffen wird. Solche
Güter scheinen hier im Hause kaum noch zu interessieren. Aber der Blick auf die betriebliche Praxis sei mir
gestattet, und das hätte ich den Kolleginnen und Kollegen auch sehr empfohlen.
Eine Arbeitszeitverkürzung kann nur durch eine befristete Ersatzkraft oder eine Reorganisation bewältigt
werden.
({2})
Aber was ist mit der Personalplanung, wenn unsicher ist,
wann und wie viele Teilzeitarbeitnehmer mit dem
Wunsch auf Vollzeit anklopfen?
({3})
- Frau Nahles, ich gestatte Ihnen gerne, eine Zwischenfrage zu stellen.
({4})
- Aber hören Sie auf, zu quaken. Damit tun Sie uns allen
einen Gefallen.
({5})
Was ist mit der Personalplanung, wenn unsicher ist,
wann und wie viele Teilzeitarbeitnehmer mit dem
Wunsch auf Vollzeit anklopfen, insbesondere bei kleinen
und mittleren Unternehmen ohne eigene Personalabteilung? Wenn der Betrieb damit rechnen muss, dass alle
Teilzeitkräfte jederzeit wieder eine Vollzeitstelle einfordern können, kann er nur eines machen: Er muss befristet einstellen, er kann Minijobs basteln, und er kann auf
Zeitarbeit zurückgreifen. Leidtragende sind in diesem
Fall immer die jungen Arbeitskräfte, die ohnehin oftmals
von einem befristeten Vertrag in den nächsten rutschen
und sich auch deshalb manchmal gegen Kinder entscheiden. - Des einen Freud’, des anderen Leid.
Mehr Flexibilität für Eltern hat eine Kehrseite, nämlich weniger Sicherheit für andere, liebe Frau Kollegin
Nahles. Sie führt zu den Arbeitsverhältnissen, die Sie
sonst in diesem Haus immer geißeln. Das ist nicht nur
ein kreativer Umgang mit der Wahrheit, sondern es ist
im großen Maße unseriös und ein Verschiebebahnhof,
dem Sie die Grundlage geben wollen. Das ist mit uns
nicht zu machen.
({6})
Ein solches Gesetz hätte einen furchtbar hohen Preis.
Die Frage ist: Wäre es überhaupt erforderlich? Denn
Vereinbarungen über die spätere Ausweitung der Arbeitszeit sind auch heute schon möglich, wenn sich beide
Seiten einig sind.
Dies liegt übrigens im existenziellen Interesse der
Arbeitgeber. Betriebe, die keine flexiblen befristeten
Teilzeitmöglichkeiten anbieten, geben Wettbewerbsvorteile preis. Sie verlieren Fachkräfte - und das in einer
Zeit des Fachkräftemangels. Das kann sich kein Betrieb
leisten.
Natürlich gibt es auch Teilzeitbeschäftigte, die lieber
in Vollzeit arbeiten würden. Unfreiwillige Teilzeit ist
nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Laut Statistischem Bundesamt liegt diese bei 16 Prozent. Der häufigste Grund, warum längeres Arbeiten nicht möglich ist,
sind unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Der beste Weg, um unfreiwillige Teilzeit abzubauen, ist
der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen.
({7})
Es gibt Länder wie Sachsen, die eine Betreuungsquote von fast 50 Prozent haben. Es gibt aber auch Länder wie Nordrhein-Westfalen, rot-grün geführt, mit einer
Betreuungsquote von nur noch 20 Prozent. Ich empfehle
Ihnen dringend: Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben! Ich habe meine gemacht. Ich habe mir das vom
Kollegen Zimmer empfohlene Zitat angesehen. Dort
heißt es: Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken aber in deinem Auge bemerkst du
nicht? - Das heißt auch: Kehr zunächst vor deiner eigenen Tür. Wohl wahr.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13084 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken
- Drucksache 17/13057 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung
des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung
- Drucksache 17/6482 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy
Montag, Renate Künast, Jürgen Trittin, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Eindämmung des Missbrauchs
des Abmahnwesens
- Drucksache 17/12620 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich bitte diejenigen, die dieser Aussprache nicht folgen wollen, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen den Rednern zuwenden können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster
Rednerin das Wort der Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten ein wichtiges, umfassendes Gesetzespaket für mehr Rechtssicherheit und für die StärBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
kung der Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der technische Fortschritt erschließt ständig neue
Geschäftsmodelle. Noch vor wenigen Jahren konnte
man sich kaum vorstellen, mit welcher Selbstverständlichkeit heute auf dem Tablet oder dem Smartphone
Werbung geschaltet, Verträge geschlossen oder Dienstleistungen erbracht werden. Diese Geschäftsfelder
werden nicht nur von seriösen Unternehmen genutzt,
sondern leider auch von einigen unredlichen Geschäftemachern. Der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzentwurf soll diesen Methoden einen Riegel vorschieben.
Lassen Sie mich zunächst einen ersten Komplex ansprechen: unlautere, unerlaubte Telefonwerbung. Werbeanrufe sind bereits heute nur dann erlaubt, wenn der Verbraucher ausdrücklich vorher eingewilligt hat. Dennoch
gibt es im Bereich der Telefonwerbung Probleme, auf
die wir mit einem Maßnahmenbündel passgenau reagieren. In Zukunft sollen auch solche Werbeanrufe mit Bußgeldern geahndet werden können, die mithilfe automatischer Anrufmaschinen erfolgen.
({0})
Der Gesetzentwurf sieht hier eine deutliche Anhebung
der maximalen Bußgelder vor, nämlich von derzeit
50 000 Euro auf 300 000 Euro, die bei Vorliegen der Voraussetzungen von der Bundesnetzagentur verhängt werden können.
({1})
Darüber hinaus werden Verträge über Gewinnspieldienste nur noch dann wirksam, wenn sie schriftlich geschlossen werden. Darauf bezieht sich ein Großteil der
Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern:
Nach den uns mitgeteilten Zahlen beziehen sich 70 bis
80 Prozent der Beschwerden bei Verbraucherschutzverbänden und -organisationen auf versuchte Abschlüsse
von Verträgen über Gewinnspieldienste. Deshalb wird
für diesen Bereich jetzt die Regelung getroffen, dass
eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung erforderlich
ist.
({2})
Das schließt eine wichtige Lücke und sorgt für mehr
Verbraucherschutz.
Ein weiterer großer Anwendungsbereich sind Abmahnungen im Urheberrecht und im Wettbewerbsrecht.
Ich glaube, es ist wichtig, hier zunächst klarzustellen:
Abmahnungen sind ein legitimes und sinnvolles Instrument, um die Ahndung von Rechtsverstößen und die
Durchsetzung von Ansprüchen für die Beteiligten einfach zu gestalten, ohne dass es zu einem unter Umständen langen und teuren Gerichtsprozess kommt. Das ist
die Grundlage, von der wir ausgehen. Dieses Institut soll
natürlich erhalten bleiben, und es wird erhalten bleiben.
Es gibt im Bereich des Wettbewerbsrechts und des
Urheberrechts allerdings auch Methoden, um dieses Instrument so anzuwenden, wie es eigentlich nicht gedacht
ist, also massenhaft Abmahnungen vorzunehmen. Der
eine oder andere entwickelt daraus vielleicht auch eine
Art Geschäftsmodell. Das führt natürlich zu einer
schwierigen, belastenden Situation für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Deshalb sehen wir für zwei Bereiche Änderungen
vor, zum einen im Wettbewerbsrecht. Dort ist ganz klar
zu erkennen, dass es im Zusammenhang mit der
Zunahme von Onlinegeschäften zu überzogenen Abmahnungen kommt. Da stellen wir fest: Es ist ein
Riesenanliegen von Handwerkern, von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Abmahnkosten zu reduzieren, wenn es zum Beispiel aufgrund irgendeiner
technischen Angabe im Impressum, die nicht ganz richtig ist, zu einer Abmahnung kommt. Hier setzen wir an,
zum einen durch Änderungen im Gebührenrecht, zum
anderen durch Änderungen bei der Zuständigkeit der
Gerichte, die man anrufen kann. Das Forum Shopping
bei der Gerichtswahl wird beendet. Demjenigen, der auf
missbräuchliche Weise abgemahnt wird, wird erstmals
ein eigener Anspruch auf Kostenersatz zugestanden, begründet durch diesen Gesetzentwurf. Wir schaffen damit
mehr Transparenz für die Marktteilnehmer. Das stärkt
den fairen Wettbewerb. Genau das wollen wir erreichen.
Deshalb ist es richtig, hier entsprechend zu justieren, unter Abwägung der gemeinsamen Interessen aller Beteiligten.
({3})
Zum Urheberrecht. Auch in diesem Bereich gibt es
Ärger mit massenhaft versandten Abmahnungen. Hier
wollen wir im Urheberrecht einen Paradigmenwechsel
vornehmen. Eine Regelung hierzu ist in der letzten Legislaturperiode verabschiedet worden. Sie sieht vor, die Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen klar auf
einen Betrag von 100 Euro zu deckeln, wenn es sich um
einfach gelagerte Sachverhalte handelt.
Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, vorsichtig
ausgedrückt, extrem überschaubar. Sie hat in keiner
Weise Wirkung entfaltet. Aber an dieser Regelung sieht
man, dass es schon damals die Auffassung des Bundestages war, überzogenen Abmahnungen insofern vorzubeugen bzw. ihre Auswirkungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher annehmbar zu machen, indem man
versucht, die Kosten zu deckeln. Das ist nicht gelungen.
Wir schlagen daher eine andere Regelung vor, nämlich eine Regelstreitwertregelung für Beseitigungs- und
Unterlassungsansprüche gegenüber Privatpersonen, sodass bei einem Regelstreitwert von 1 000 Euro die fällige Anwaltsgebühr nach dem Kostenrecht bei 110 Euro
plus Pauschalen, also bei ungefähr 155 Euro, liegt. Das
ist der Regelstreitwert, der die Masse der Fälle betreffen
wird.
Es gibt eine Ausnahmeregelung, die dann greift,
wenn nach Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Einzelfalles die Begrenzung des Streitwertes mit den
Folgen unbillig wäre. Wir verlangen aber - das ist anders, als bisher im Urheberrecht geregelt -, dass das von
dem dargelegt werden muss, der abmahnt,
({4})
und nicht - wie nach dem bisher geltenden Recht - von
dem, der abgemahnt worden ist.
Das sind die Regelungen - meine Redezeit reicht leider nicht, um auf die weiteren Komplexe einzugehen -,
die wir vorgesehen haben, um auf die Entwicklungen in
der Abmahnpraxis zu reagieren: mit Blick auf die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch mit Blick darauf, dass es für Unternehmen, für Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr, gut ist, wenn sie rechtssichere Regeln
haben.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Marianne Schieder.
({0})
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin hat es schon gesagt: Wir diskutieren heute in erster Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem für die Verbraucherinnen und
Verbraucher sehr wichtigen Themenbereich: den unseriösen Geschäftspraktiken im Inkassowesen, der Telefonwerbung und dem Abmahnwesen. Endlich, muss man
sagen; denn schon seit einem Jahr liegt der Gesetzentwurf in der Schublade. Man fragt sich: Warum eigentlich? Man weiß doch seit langem, um was es geht. Man
hätte schon viel eher handeln und damit Tausende Verbraucherinnen und Verbraucher vor großem Schaden bewahren können.
({0})
Stattdessen hat man zugelassen, dass im Bereich des Abmahnwesens ein regelrechter Geschäftszweig entstehen
konnte, der sehr einträglich sein Unwesen treibt.
Bereits seit mehr als drei Jahren weist die SPD im
Deutschen Bundestag auf den Zusammenhang von Abofallen im Internet und unseriösen Inkassounternehmen
hin. Im Sommer 2010 haben wir einen Gesetzentwurf
eingebracht, und - wie sollte es anders sein? - die Koalition hat ihn abgelehnt. Aber selber hat man nichts gemacht. Immer und immer wieder haben wir deutlich gemacht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
nur vor den Abofallen geschützt werden müssen, sondern auch vor unseriösen Inkassofirmen und unseriösen
Anwälten, die die Menschen mit unberechtigten Forderungen und unverhältnismäßigen Gebühren abzocken.
Ich zitiere heute gerne einmal den Kollegen
Wanderwitz,
({1})
der in seiner Rede anlässlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu den Abofallen am
15. Dezember 2011 gesagt hat:
Die Folge ist Inkasso-Stalking. Das heißt, man wird
mit Forderungen überzogen, die sich schnell zu
größeren Summen anhäufen. Viele zahlen unter
Druck, weil sie die Sorge haben, dass es noch teurer
werden kann oder weil sie vielleicht überhaupt
keine Erinnerung mehr daran haben; denn eine solche Forderung kommt meist nicht eine Woche danach, sondern mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. … Zu der ganzen Thematik gehört nicht nur
seriöses Inkasso, sondern auch unseriöses Inkasso.
Auch bei diesem Thema sind wir innerhalb der Koalitionsfraktionen schon erheblich vorangekommen. Wir haben das Thema identifiziert und werden
uns ihm auf Sicht widmen.
So weit der Kollege Wanderwitz. Hört! Hört! Die
Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben ein seit
Jahren bekanntes Thema im Dezember 2011 endlich
identifiziert,
({2})
eineinhalb Jahre nachdem die SPD hier einen entsprechenden Antrag eingebracht hat. Die Union widmet sich
dem Thema zusammen mit der FDP „auf Sicht“. Ich will
gar nicht wissen, wie viel Nebel in der Koalition vorhanden sein muss, dass man nahezu eineinhalb Jahre
braucht, ehe man einen Gesetzentwurf vorlegen kann.
({3})
Wir kennen diese Vorgehensweise aus vielen Bereichen,
und wir sind zunächst einmal dankbar, dass überhaupt
etwas zustande gekommen ist, womit wir uns jetzt auseinandersetzen können.
Im Grunde sind die vorgesehenen Regelungen zu begrüßen. Damit werden nicht nur die Verbraucherinnen
und Verbraucher geschützt, sondern auch diejenigen in
der Branche, die ein seriöses Inkassounternehmen betreiben. Diese seriösen Inkassounternehmen sind gerade
für die mittelständischen Handwerksbetriebe eine ganz
große Stütze. Schwarze Schafe richten in diesem Bereich wirklich viel Schaden an und bringen die ganze
Branche in Verruf. Verbraucherinnen und Verbraucher
werden durch absolut unredliche Geschäftspraktiken von
unseriösen Geschäftemachern verunsichert, in die Enge
getrieben und um ihr Geld gebracht.
Den zum Teil vollkommen überhöhten Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen soll nun ein Riegel vorgeschoben werden, indem die Kosten für die erste
Abmahnung gedeckelt und der Streitwert auf 1 000 Euro
begrenzt werden. Warum hier aber wieder eine Ausnahme möglich sein soll - sogenannte Billigkeitsgründe
-, ist nicht nachzuvollziehen.
({4})
Damit öffnet man doch schon wieder Tür und Tor für die
Umgehung der Vorschrift und ebnet den Weg für höhere
Gebühren.
Marianne Schieder ({5})
Ganz wichtig wäre aus meiner Sicht aber auch die
Verbesserung der Aufsicht über die Inkassounternehmen. Wir brauchen eine Aufsicht, die nicht nur auf dem
Papier steht, sondern eine, die wirklich prüft, die den
Markt kennt und in der Lage ist, die Spreu vom Weizen
zu trennen. Dazu gehören wirksame Sanktionsmöglichkeiten ebenso wie eine entsprechende personelle Ausstattung. Darüber, liebe Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir wirklich noch reden.
Auch im Bereich der unerlaubten Telefonwerbung
gibt es Verbesserungen. Verträge über Glücks- und Gewinnspiele sollen nur dann Gültigkeit erlangen, wenn sie
schriftlich geschlossen werden. Warum aber, so frage ich
mich, nur diese Verträge? Die Überrumpelung durch unerlaubte Anrufe gibt es doch auch bei Zeitschriftenabos
oder beim Kauf sonstiger Gegenstände von zum Teil erheblichem Wert. Gerade ältere Menschen sind hier großen Gefahren ausgesetzt. Warum können Sie sich nicht
durchringen, generell immer dann, wenn Geschäfte
durch unerlaubte - ich betone: unerlaubte - Telefonanrufe zustande gekommen sind, die Textform zu verlangen? Die europäischen Vorgaben geben eine solche Lösung her. Ich bitte Sie, sich das noch einmal anzuschauen
und zu prüfen, ob eine Ausweitung nicht doch sinnvoll
ist.
({6})
Wir begrüßen auch die Ausweitung des Bußgeldrahmens. Schließlich wird mit diesen Geschäften viel
Geld verdient. Abschreckung kann daher nur funktionieren, wenn die Strafe hoch genug ist.
Wie gesagt: Das sind Details, über die wir noch reden
möchten, über die wir aber auch reden sollten. Ich
möchte abschließend noch einmal sagen: Ich freue mich
mit der Koalition darüber, dass sich der Nebel gelichtet
hat und Sie jetzt klarer sehen. Wir wollen gerne dazu
beitragen, dass Ihr Durchblick vollkommen wird. Lassen
Sie mit sich reden!
Herzlichen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Thomas Silberhorn.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Freundinnen und Freunde der Rechtspolitik! Frau
Kollegin Schieder, wir lassen sehr gerne mit uns reden,
({0})
aber wir legen Wert darauf, dass, wenn es darum geht,
dass wir unseriöse Geschäftspraktiken bekämpfen wollen, hier auch seriöse Reden gehalten werden. Hinweise,
wer wann was gesagt hat, führen uns nicht weiter.
({1})
Ich denke, der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, bietet
eine Lösung, von der nahezu alle Beteiligten profitieren
werden, was selten ist - freilich mit einer Einschränkung: Profitieren werden nur diejenigen, die sich im Geschäftsverkehr redlich verhalten. Wir haben schon im
Herbst 2011 über dieses Thema debattiert. Ich habe damals herausgestellt, dass es mit Flickschusterei nicht getan sein wird, sondern ein schlüssiges Gesamtkonzept
gebraucht wird; darüber sind wir uns in der Koalition einig. Dafür braucht man Zeit. Diese Zeit haben wir uns
genommen. Ich denke, das macht sich nun bezahlt. Dieser
Gesetzentwurf stärkt den Verbraucherschutz. Er stärkt
aber auch im Rahmen des Wettbewerbsrechts kleine und
mittlere Unternehmen und Start-ups mit ihren Innovationen.
Ich will, bevor ich näher auf Details eingehe und mich
vor allem auf die Regelungen zu Abmahnungen konzentriere, zunächst betonen, was dieser Gesetzentwurf nicht
bezweckt. Das Gesetz soll und wird die Rechtsdurchsetzung für Urheber, für Wettbewerber, für Rechtsanwälte
und Inkassounternehmen nicht erschweren oder gar konterkarieren. Abmahnungen bleiben ein probates Mittel,
um effektiv, frühzeitig und kostengünstig Rechtsverletzungen zu unterbinden. Das Gesetz ist daher auch keine
Einladung zu Rechtsverstößen. Urheberrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht werden
weiterhin und uneingeschränkt verfolgbar bleiben. Uns
ist die Feststellung wichtig, dass Eigentum Eigentum
bleibt, egal ob in körperlicher oder geistiger Form. Wir
stehen zu unserem Bekenntnis, dass das Internet kein
rechtsfreier Raum sein darf.
({2})
Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht nur für die Verbraucher. Wir haben in den vergangenen Jahren Geschäftspraktiken erlebt, die nicht mehr vorrangig dem
Schutz des Wettbewerbs oder der Urheber dienen. Massenabmahnungen haben sich zu einem eigenen Geschäftsmodell entwickelt, das unabhängig von der in
Rede stehenden Rechtsverletzung auf Gewinnerzielung
gerichtet ist. Das hat dazu geführt, dass vielfach auch vor
missbräuchlichen Abmahnungen nicht haltgemacht worden ist.
Besonders auffällig ist, dass selbst bei geringsten
Rechtsverletzungen oft unverhältnismäßig hohe Kosten
geltend gemacht werden und regelmäßig hohe vierstellige Streitwerte angesetzt werden. Dabei hat der Gesetzgeber für einfach gelagerte Fälle sowohl im Urheberrecht als auch im Wettbewerbsrecht bereits explizite
Wertvorschriften formuliert, um dem entgegenzuwirken.
Aber wir haben feststellen müssen, dass sich diese Normen in der Praxis als weitgehend wirkungslos erwiesen
haben.
({3})
In § 12 Abs. 4 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb ist vorgesehen, einfach gelagerte Fälle bei der
Bemessung des Streitwerts wertmindernd zu berücksichtigen. Im Urheberrechtsgesetz wird der Aufwendungsersatz für anwaltliche Dienstleistungen bei erstmaliger
Abmahnung auf 100 Euro begrenzt. Aber dies ist in der
Praxis ohne spürbare Auswirkungen geblieben.
Erschwerend kommt hinzu, dass ein Kläger den für
ihn günstigsten Gerichtsstand wählen kann. Das führt
dazu, dass der Beklagte oft weit entfernt seine Interessen
vertreten muss und deshalb oft seine Rechte nicht wahrnimmt, weil er das hohe Prozesskostenrisiko scheut.
Hier setzt unser Gesetzentwurf an. Wir schaffen neue
Wertvorschriften, die die entstandenen Missstände bei
Abmahnungen ausräumen sollen.
Wir stellen im Urheberrecht sicher, dass dem Verletzer die Grundlage der Abmahnung transparent offengelegt wird. Privatpersonen sollen auch ohne Rechtsbeistand auf den ersten Blick erkennen können, welche
Rechtsverletzung ihnen überhaupt vorgeworfen wird.
({4})
In einem zweiten Schritt etablieren wir einen Gegenanspruch des Abgemahnten bei unberechtigten oder unwirksamen Abmahnungen. Wir wollen Waffengleichheit
zwischen dem, der abmahnt, und dem, der abgemahnt
wird, herstellen.
Schließlich wird ein Regelstreitwert von 1 000 Euro
für urheberrechtliche Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche festgelegt, wenn es sich um eine erstmalige
Abmahnung eines Privatnutzers handelt. Von dieser
Streitwertfestsetzung - Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen - kann künftig nur abgewichen werden,
wenn der Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist.
Wir stellen in der Gesetzesbegründung klar, dass der
Streitwert von 1 000 Euro - ich zitiere - in „den allermeisten Fällen der von Privatpersonen im digitalen oder
analogen Umfeld begangenen Urheberrechtsverletzungen … angemessen“ ist. Die Kosten erstmaliger Abmahnungen für Privatnutzer werden damit regelmäßig spürbar gedeckelt. Diese Regelung soll dazu beitragen,
wieder mehr Bewusstsein und Akzeptanz für den Wert
urheberrechtlich geschützter Werke zu schaffen.
Die Bürger lassen sich von einer Abmahnung durchaus beeindrucken, und zwar unabhängig von der Höhe
der Kostenfolgen. Das soll auch so sein, damit weitere
Urheberrechtsverletzungen unterlassen werden. Aber
mit der Deckelung des Regelstreitwerts für erstmalige
Verletzungen wird sichergestellt, dass die Bürger künftig
Abmahnung nicht mehr mit Abzocke gleichsetzen. Das
gilt umso mehr, wenn Kinder oder Jugendliche im Haushalt eine Urheberrechtsverletzung begangen haben und
ihre Eltern als Anschlussinhaber dann dafür geradestehen müssen.
Wir werden uns in den Ausschussberatungen allerdings noch ausführlich mit der Frage beschäftigen müssen, was genau unter einer Urheberrechtsstreitsache zu
verstehen ist, für die dann der Streitwert von 1 000 Euro
gilt. Hier darf keine Rechtsunsicherheit entstehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,
der Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage für die
weiteren Beratungen. Zusammen mit den Regelungen zu
Inkassowesen und Telefonwerbung haben wir ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung unseriöser
Geschäftspraktiken geschnürt. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen.
Vielen Dank.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Caren Lay.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das soll also jetzt das sogenannte Anti-Abzocke-Gesetz sein, auf das wir seit Jahren gewartet haben.
Was die Bundesregierung aber hier und heute vorgelegt
hat, hat mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf in vielen
Punkten leider nur noch wenig zu tun. Im jahrelangen
Dauerstreit innerhalb der Koalition sind viele Forderungen verwässert oder verschlimmbessert worden. Das
zeigt vor allen Dingen eines: dass die Bundesregierung
nicht wirklich aus dem Knick kommt, wenn es darum
geht, Verbraucherinnen und Verbraucher wirkungsvoll
zu schützen. Meine Damen und Herren, es sind die Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Leidtragenden
dieser Politik sind.
Ich komme zum Thema der unseriösen Inkassounternehmen, die Millionen von Drohbriefen mit Geldforderungen verschicken. Interessant ist hier eine Untersuchung der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2011. Sie
hat ergeben, dass 84 Prozent der Inkassoforderungen unberechtigt waren, in 15 Prozent der Briefe waren die
Forderungen unklar, und in gerade einmal 1 Prozent der
Fälle waren die Geldforderungen berechtigt. Das ist
doch ein Skandal! Hier hätte die Koalition schon viel
schneller reagieren müssen.
({0})
Auch wir als Linke freuen uns, dass künftig Inkassodienstleister, die falsche oder unvollständige Briefe verschicken, mit höheren Bußgeldern bestraft werden sollen. Unsere Befürchtung ist allerdings, dass das in der
Praxis nichts bringen wird. Die Frage ist doch: Wer soll
das eigentlich überwachen, und wer soll das durchsetzen? Wenn die Aufsicht von Inkassounternehmen auf
sage und schreibe 79 Behörden zersplittert werden soll,
dann ist das doch eine einzige Farce.
({1})
Wir sagen: Dieses Chaos muss im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher endlich beseitigt werden.
({2})
Wir von der Linken haben als erste Fraktion einen
Antrag zur Regulierung von unseriösem Inkasso eingebracht. Wir fordern beispielsweise eine Verbraucherschutzbehörde, die von zentraler Stelle aus die Aufsicht
übernimmt und auch Durchsetzungsbefugnisse hat.
Auch die Gebührenregelungen sind aus unserer Sicht
nichts Halbes und nichts Ganzes. Denn Fantasiegebühren im Inkassobereich bleiben weiterhin möglich, weil
gerade im sogenannten Bagatellbereich, also bis
50 Euro, Ausnahmen vorgesehen sind.
Sie alle kennen möglicherweise den Fall der Münchner Rentnerin, der durch die Medien ging. Sie hatte beim
Begleichen ihrer Telefonrechnung 5 Cent zu wenig bezahlt, sollte am Ende aber 35 Euro Inkassogebühr bezahlen. Das, meine Damen und Herren, ist doch völlig unverhältnismäßig. Aber die Bundesregierung unternimmt
nichts, um das zu unterbinden. Das können wir als Linke
nicht akzeptieren.
({3})
Ich komme zum zweiten zentralen Bereich des Gesetzentwurfes: zur unerlaubten Telefonwerbung. Es ist
richtig: Am Telefon werden besonders gerne und besonders leicht betrügerische Verträge untergeschoben. Wir
Linke und die Verbraucherorganisationen fordern deswegen schon lange als Lösung eine schriftliche Bestätigung. Gerade ältere Menschen trauen sich nicht, am
Telefon zu widersprechen, wenn ihnen etwas aufgeschwatzt wird. Aber auch hier bleiben Sie bei der Umsetzung leider halbherzig. Ich kann überhaupt nicht erkennen - mir bleibt das schleierhaft -, warum die
schriftliche Bestätigung für telefonische Gewinnspiele
gelten soll, aber andere wichtige Bereiche außen vor
bleiben, beispielsweise Telefonverträge, Versicherungen
oder Zeitschriftenabos. Keiner kann mir erklären, warum
diese Bereiche in diesem Gesetzentwurf nicht reguliert
werden.
({4})
Und auch beim dritten Punkt, der Abmahnindustrie
im Internet, müssen wir das, was von der Koalition jetzt
vorgelegt wurde, leider kritisieren. Viele Anwälte haben
offenbar Abmahnungen als einen lukrativen Geschäftszweig entdeckt. Sie verschicken Hunderttausende von
Abmahnbriefen für das Herunterladen von Musik, Filmen, Software aus dem Internet.
({5})
6 Prozent der Bevölkerung - das sind mehr als 4 Millionen Menschen - sind schon einmal wegen dieser illegalen Downloads abgemahnt worden. Das Problem ist:
viele davon zu Unrecht. Ein anderes Problem sind auch
die Kosten, die im Durchschnitt bei etwa 800 Euro liegen. Das ist für einen Jugendlichen, der sich an einer
Tauschbörse Musik besorgt, jede Menge Geld. Deswegen sagen wir als Linke: Hier muss etwas passieren. Und
ich freue mich, dass die Koalition diesen Punkt aufgegriffen und einige Gedanken aus dem Gesetzentwurf der
Linken, den wir hier vor zwei Jahren eingebracht haben,
übernommen hat.
({6})
Allerdings ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung
aus unserer Sicht an der entscheidenden Stelle nicht
scharf genug, um die Abmahnwelle einzudämmen. Nach
Einschätzung der Verbraucherzentralen würde das Gesetz sogar die Rechtslage der Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Höhe der Anwaltskosten verschlechtern, weil es hier Ausnahmeregelungen gibt. Auch das
können wir als Linke so nicht akzeptieren.
({7})
Meine Damen und Herren, wir als Linke fordern, dass
die horrenden Abmahnkosten auf den tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Schaden begrenzt werden.
({8})
Das ist doch ein guter Gedankengang. Hier können Sie
sich vielleicht noch einmal am Gesetzentwurf der Linken bedienen.
({9})
Ich hoffe jedenfalls sehr, dass wir im Rahmen der Behandlung dieses Gesetzentwurfs die dringend notwendigen Nachbesserungen im Interesse der Verbraucherinnen
und Verbraucher durchsetzen können. Die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten es verdient.
Vielen Dank.
({10})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege
Jerzy Montag das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute in erster Lesung auch einen Gesetzentwurf meiner Fraktion. Der Gesetzentwurf richtet sich gegen den Missbrauch des Abmahnwesens im Urheberrecht. Die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit
erlaubt es mir nicht, auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung einzugehen. Ich hoffe insofern auf Ihre Zwischenfragen.
({0})
Im Rahmen der Beantwortung dieser Fragen kann ich
dazu gerne Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, es ist richtig: Das Jahr
2008 war der Beginn eines Phänomens in Form eines
neuen anwaltlichen Geschäftsmodells mit hunderttausendfachen Abmahnungen von Internetnutzern wegen
Urheberrechtsverstößen. Dieses Geschäftsmodell wurde
und wird zur Gewinnoptimierung betrieben, weil mit
diesen Abmahnungen - das gilt für die Anwälte sowie
für ihre Mandanten - mehr Geld verdient werden kann
als mit einer legalen Lizensierung bestimmter urheberrechtsgeschützter Werke. So weit ist in der Begründung
des Regierungsentwurfs der Sachverhalt richtig dargestellt.
Ich will aber diesen Vorgang noch mit konkreten Zahlen unterfüttern. Im Jahre 2008 hatten wir in Deutschland 250 000 Abmahnungen, im Jahre 2009 453 000, im
Jahre 2010 575 000. In den Jahren 2011 und 2012 ist die
Zahl der Abmahnungen ein wenig zurückgegangen, aber
sie ist immer noch auf einem sehr hohen Level. Das Gesamtforderungsvolumen betrug im Jahre 2012 fast
100 Millionen Euro. Laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband sind inzwischen 4,3 Millionen Menschen in Deutschland im Bereich des Urheberrechts von Abmahnungen betroffen. Es ist also völlig
klar, dass es sich um einen Missbrauch handelt.
Und ich sage Ihnen: Die Geburtsstunde dieses Missbrauchs war die Verabschiedung des Gesetzes der Großen Koalition aus dem Jahre 2008, mit dem der Drittauskunftsanspruch ins Urheberrecht hineingeschrieben
worden ist. Dem deutschen Zivilrecht fremd und völlig
unsystematisch erstmals in diesem Bereich eingeführt,
hat er dazu geführt, dass es diese Abmahnungen überhaupt in einem solchen millionenfachen Ausmaß gab.
Das war der Türöffner. Schon im April 2008 haben wir
im Rechtsausschuss darüber gestritten, ob, wie die
Große Koalition damals behauptete, dies von der europäischen Ebene erzwungen worden ist oder nicht. Ich
meine damit die Enforcement-Richtlinie.
Ich habe schon damals darauf aufmerksam gemacht,
dass der Europäische Gerichtshof im Januar 2008 - man
hätte es also schon damals wissen können - in der Sache
Música de España gegen Telefónica de España entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union aus datenschutzrechtlichen Gründen einen Drittauskunftsanspruch einführen dürfen, können, aber
durchaus nicht müssen.
Das war den Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition auch bewusst; denn sie haben damals die
Öffentlichkeit und das Parlament damit vertröstet, dass
dieser Drittauskunftsanspruch mit der sogenannten doppelten Gewerblichkeit verbunden sei: Der zur Auskunft
Verpflichtete müsse gewerblich tätig sein, und der angebliche Rechtsverletzer müsse im geschäftlichen Verkehr unterwegs sein.
Der Bundesrat war anderer Auffassung, er meinte, das
stünde im Gesetz nicht drin. Sie von der Großen Koalition haben, obwohl man Sie auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat, darauf beharrt, dass diese sinnvolle
Beschränkung im Gesetz stünde.
Inzwischen hat der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen lapidar festgestellt, dass es ihm egal ist, was
die Damen und Herren Abgeordneten von der damaligen
Großen Koalition gewollt haben; ins Gesetz hätten sie
diesen Punkt jedenfalls nicht hineingeschrieben.
Dies ist der wichtige Punkt, den ich hier darstellen
will: Mit dem Gesetzentwurf der Grünen wird der Drittauskunftsanspruch auf den geschäftlichen Bereich beschränkt. Bereits das wird dazu führen, dass die Zahl der
willkürlichen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen erheblich zurückgeht.
({1})
Herr Kollege Montag, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krings?
Sie kommt gerade recht; danke schön.
Bitte schön, Herr Krings.
Sie kommt wahrscheinlich immer recht. - Herr
Montag, Sie kennen die Debatte der damaligen Zeit so
gut wie ich. Deshalb müssten Sie wissen - ich frage, ob
Sie sich noch daran erinnern -, dass wir den Drittauskunftsanspruch nicht nur deshalb eingeführt haben, weil
es europarechtlich angezeigt war, sondern auch, weil wir
dadurch eine Entkriminalisierung dieser Fälle vornehmen wollten. Bis dato war es nämlich nur möglich - und
das geschah auch in großer Zahl -, diese Auskünfte über
die Staatsanwaltschaften zu bekommen, musste also erst
ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen
eines Rechtsbruchs, wegen eines strafrechtlichen Deliktes eingeleitet werden. Durch die Einführung des Drittauskunftsanspruchs haben wir erreicht, dass die Staatsanwaltschaften deutlich weniger tätig sein müssen, weil
es um einen rein zivilrechtlichen Anspruch geht.
Deshalb frage ich Sie: Wären Sie dafür, diese Fälle
wieder mehr auf die Staatsanwaltschaften zu verlagern?
Würden Sie also die Rechteinhaber, deren Rechte verletzt wurden, auffordern, wieder vermehrt Strafanzeige
zu erstatten und das Ganze von den Strafgerichten ausurteilen zu lassen?
Herr Kollege Dr. Krings, ich danke Ihnen sehr für
diese Auskunft, gibt sie mir doch die Gelegenheit, an
dieser Stelle recht ausführlich auf dieses Problem einzugehen.
Erstens. Von einer Entkriminalisierung - dieses Wort
haben Sie in den Mund genommen - hätten wir 2008
sprechen können, aber nur, wenn Sie tatsächlich einen
bestimmten Bereich von Urheberrechtsverletzungen aus
der Strafvorschrift des § 106 Urheberrechtsgesetz herausgenommen hätten. Genau das haben die Grünen damals der Großen Koalition vorgeschlagen: in die Strafnorm des Urheberrechts eine Vorschrift aufzunehmen,
dass bei Vorfällen im Bagatellbereich eine Strafverfolgung ausgeschlossen ist. Sie haben das abgelehnt. Deswegen haben Sie in keinem Punkt eine Entkriminalisierung durchgeführt.
Zweitens. Es stimmt: Sowohl das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren als auch das Recht zur
Akteneinsicht sind missbraucht worden - im Übrigen
von den gleichen Anwaltskanzleien, über die wir jetzt
reden -, um auf diesem Umweg an die Adressen angeblicher Urheberrechtsverletzer zu gelangen. Aber - das
wissen Sie wiederum genauso gut wie ich - schon lange
vor der Einführung des Gesetzes 2008 haben die Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland begriffen, dass sie
missbraucht werden, sodass diese Verfahren in großem
Umfang ohne Ermittlungen eingestellt worden sind oder,
wie zum Beispiel in Karlsruhe, Akteneinsichtsgesuche
nicht mehr genehmigt wurden. Sie können uns und der
Öffentlichkeit also nicht verkaufen, Sie hätten den Drittauskunftsanspruch damals ins Gesetz geschrieben, um
eine Entkriminalisierung zu bewirken.
Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben aufgerüstet. Das
vorhandene Strafrecht haben Sie überhaupt nicht angerührt, und zusätzlich haben Sie auch noch dafür gesorgt,
dass wir den Zustand haben, den wir heute beklagen.
Die Tür ist geöffnet worden. Mit der Beschränkung
des Drittauskunftsanspruchs muss sie wieder geschlossen werden.
In Bezug auf die bekannten angeblichen Urheberrechtsverletzer folgen wir darüber hinaus Ihrem Vorschlag der Streitwertbegrenzung im Grundsatz durchaus,
allerdings ohne Rückausnahme, die Sie hineingebracht
haben; denn - das sage ich Ihnen auch, Herr
Dr. Krings -: Sie waren derjenige, der im Rechtsausschuss dafür gesorgt hat, dass in den damaligen
§ 97 a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz bezüglich der Begrenzung der Anwaltskosten auf 100 Euro eine Rückausnahme bei sogenannten einfachen Fällen ins Gesetz
aufgenommen wurde.
Jetzt sorgt die schwarz-gelbe Koalition dafür, dass in
Bezug auf § 49 Gerichtskostengesetz wiederum eine
Rückausnahme ins Gesetz geschrieben wird. Sie werden
erleben, dass Sie über diese Hintertür, die Sie aufmachen, wiederum nichts zur Absenkung der großen Zahl
der Abmahnungen im Urheberrecht beitragen werden.
Deswegen ist das, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern mit Ihrem Gesetzentwurf anbieten, weiße Salbe.
Das werden wir in den Anhörungen noch ausführlich
diskutieren.
Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Machen Sie sich
mit unserem Gesetzentwurf vertraut; denn er geht den
richtigen Weg, ist konsequent, ist rechtlich und dogmatisch völlig sauber und wird das Unwesen im Urheberrecht mit den massenhaften Abmahnungen endlich begrenzen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Ansgar Heveling für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
An der ausführlichen Antwort und dem Wortspiel der
Kollegen Krings und Montag kann man ablesen, dass
das, was wir heute beraten, schon eine längere Vorgeschichte hat. Es werden Zusammenhänge sichtbar, die
auch schon eine längere Geschichte haben, wobei interessant ist: So oft wie der Herr Kollege Montag hier an
diesem Pult bei rechtspolitischen Debatten von weißer
Salbe spricht, könnte man fast den Eindruck bekommen,
er sei Apotheker und nicht Rechtspolitiker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Gesetzentwurf, den wir
heute beraten, firmiert in der Presse meistens als sogenanntes Anti-Abzocke-Gesetz. Das ist eine sehr plakative Formulierung, aber es lohnt sich doch, dort ein bisschen genauer hinzuschauen und auch genauer zu
differenzieren; denn es geht bei unserem Gesetzentwurf
darum, missbräuchlichen und unlauteren Geschäftspraktiken den Boden zu entziehen und eine juristische
Grundlage dafür zu schaffen, dass Verbraucherinnen und
Verbraucher besser vor unlauterer Telefonwerbung, unseriösem Inkasso und überzogenen Abmahnungen geschützt werden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen unseriöse Geschäftspraktiken beraten
wir hier also gewissermaßen ein ganzes Paket von Maßnahmen. Ziel ist es, vor allem gegen die drei genannten
Phänomene vorzugehen, mit denen die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land leider immer wieder zu tun haben.
Insbesondere einen Teil des Gesetzentwurfs, die urheberrechtlichen Abmahnungen, möchte ich an dieser
Stelle aufgrund meiner Zuständigkeit hervorheben:
Leider gibt es - das ist nicht von der Hand zu
weisen - eine ganze Reihe von schwarzen Schafen, die
in unserem Land mit Abmahnungen Missbrauch betreiben. Vor solchen unlauteren Abmahnungen wollen wir
die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig schützen.
Durch mehr Informationspflichten wird der Verbraucher
schneller erkennen können, ob eine Abmahnung, die er
erhalten hat, auch tatsächlich wirksam ist.
Gleichzeitig muss aber auch klar sein - das gehört
dazu, wenn man eine Ausbalancierung von Rechten vornimmt -, dass diese schwarzen Schafe den seriös arbeitenden Anwälten das rechtmäßige Vorgehen streitig machen. Das legitime Instrument der Abmahnung muss und
soll natürlich auch in Zukunft weiter nutzbar bleiben;
denn in unserem Rechtssystem müssen wir auch in Zukunft wirksam gegen die Urheberrechtsverletzer vorgehen, die geschützte Inhalte illegal up- oder downloaden
und dies durchaus in größerem Umfang tun. Es gibt
Fälle, in denen das vereinzelt geschieht. Es gibt jedoch
auch Fälle, in denen massenhaft Urheberrechtsverletzungen begangen werden.
Unsere Fraktion hat darauf hingewirkt, dass in diesem
Gesetzentwurf deshalb die Schwere der Urheberrechtsverletzungen mitberücksichtigt wird; denn es macht aus
unserer Sicht einen Unterschied, ob jemand einmal einen
Song illegal heruntergeladen hat oder ob jemand täglich
ganze Alben oder gar Filme auf seinen Computer herunterlädt.
({0})
In dem vorliegenden Gesetzentwurf musste also ein
Ausgleich zwischen dem Schutz der Verbraucher auf der
einen und dem Schutz der Urheber und ihrer Rechte auf
der anderen Seite gefunden werden. Die Abmahnung ist
und bleibt ein legitimes Instrument, um gegen schwere
Urheberrechtsverletzungen effektiv vorgehen zu können.
Der Wortwechsel eben zwischen Herrn Kollegen
Montag und Herrn Kollegen Krings hat darauf aufmerksam gemacht, dass wir darüber schon vor längerer Zeit
sehr intensiv diskutiert haben. Der Anlass ist seinerzeit
gewesen, das Instrument des Strafrechts einzusetzen, um
voranzukommen. Das Ziel seinerzeit ist in der Tat gewesen, über das Instrument der Abmahnung, verbunden mit
dem Auskunftsanspruch, ein zivilrechtliches Instrument
zu schaffen, um schnell Rechtsdurchsetzungen auch
ohne Zuhilfenahme der Gerichte zu erreichen und eben
nicht mehr auf den Staatsanwalt setzen zu müssen.
Insofern hat eine Entkriminalisierung stattgefunden,
({1})
weil zwar die Straftatbestände nach wie vor richtigerweise im Strafgesetzbuch stehen - der Staat muss die
Möglichkeit haben, hier strafrechtlich vorzugehen -,
aber entscheidend ist, wie das in der Praxis gehandhabt
wird. Da haben sich eben die Abmahnungen als das Mittel erwiesen, das jetzt genutzt wird, bei dem wir aber
Entwicklungen beobachten, die zu Kritik Anlass geben.
Insgesamt hat diese Entkriminalisierung, die Verlagerung ins Zivilrecht, tatsächlich stattgefunden.
Gegen legitime und juristisch saubere Abmahnungen
bleibt von daher weiterhin nichts einzuwenden. Jeder
Urheber hat einen Anspruch auf Vergütung für seine
kreative Leistung. Wer sich das geistige Eigentum der
Urheber ohne Erlaubnis zu eigen macht, muss Sanktionen erfahren können.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das, was wir
eben von der Fraktion Die Linke gehört haben. Sie will
den tatsächlichen Schaden zum maßgeblichen Kriterium
und Anknüpfungspunkt machen. Ich weiß nicht, ob die
Fraktion Die Linke bedacht hat, was das in diesem Kontext für Folgen hat, und ob dann nicht die Abmahnung
vielleicht doch die bessere Variante wäre.
Wir wollen aber denjenigen ein Stoppschild vorhalten, die Familien schwer belasten, indem sie mit überzogenen Abmahnungen systematisch und in großem Stil
vorgehen. Das Stoppschild erreichen wir unter anderem
mit der Deckelung des Streitwerts auf 1 000 Euro. Damit
wird die bereits bestehende Abmahndeckelung fortentwickelt. Insgesamt zeigt sich, dass die Zahl der Abmahnungen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückging. Allein im Jahr 2012 hat sich die Zahl der
Abmahnungen im Vergleich zu 2011 um mehr als
50 Prozent, also um etwa die Hälfte, verringert. Es geht
daher auch bei den unseriösen Abmahnungen um ein
quantitativ rückgängiges Phänomen.
Kollege Heveling, unser Stoppschild leuchtet schon
vor Ihnen. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das Stoppschild leuchtet, und ich komme zum
Schluss. - Ich mache darauf aufmerksam: Die Zahl der
Abmahnungen geht zurück. Den unseriösen Abmahnungen wollen wir mit diesem Gesetz einen Riegel vorschieben. Die weiteren Beratungen im Gesetzgebungsverfahren werden Gelegenheit geben, eventuell offene Fragen
zu klären. Die Expertenanhörung im Rechtsausschuss
steht uns bevor. Ich glaube, wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weitere Beratung.
Ganz herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige erste Beratung steht unter dem Motto „Was
lange währt …“. Ob es gut wird, werden die Ergebnisse
der weiteren Beratungen noch zeigen; denn wir haben
Gesprächs- und Beratungsbedarf zu diesem Gesetzentwurf. Insbesondere die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten natürlich, dass die künftigen Regelungen
gegen die Abzocke so gestaltet sind, dass sie umfassend
und gut sind und dass sie nicht in absehbarer Zeit einer
weiteren Überprüfung bedürfen. Wir erhoffen uns von
den anstehenden Beratungen und insbesondere von der
Anhörung, dass es Themen geben wird, über die wir uns
noch verständigen können. Wir bitten die Bundesregierung, unserer Erwartungshaltung - diese werde ich
gleich noch präzisieren - bei der einen oder anderen
Thematik offen gegenüberzustehen. Die Beratungen dürfen kein Closed Shop sein; denn diese massenhafte Abzocke ist für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ein
Riesenproblem und stellt einen Wahnsinnsangriff auf
den Geldbeutel dar. An dieser Stelle wollen wir daher
richtig gut und ausreichend regeln.
({0})
Im Inkassobereich gibt es keine real existierende Aufsicht. Das ist ein wirklich ernst zu nehmendes Problem.
Die 79 Landgerichte, die im Moment dafür zuständig
sind, führen de facto keine ernst zu nehmende Aufsicht
durch. Deshalb brauchen wir ein Gespräch darüber, wie
eine gelingende, eine funktionierende und tatsächlich
agierende Aufsicht für diesen Bereich aussieht. Hierzu
liegen unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch. Der
Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen zum
Beispiel fordert eine einheitliche Behörde auf Bundesebene und bietet sogar eine Umlagefinanzierung an. Das
kann eine Möglichkeit sein. Eine andere Möglichkeit,
die der Bundesrat empfiehlt, ist, dass in jedem BundesKerstin Tack
land ein Landgericht für diesen Aufsichtsbereich als zentral zuständig erklärt wird. Die betreffenden Landgerichte müssen dann natürlich mit den entsprechenden
Ressourcen ausgestattet werden. Ich finde, das ist ein interessanter Vorschlag. Wir sollten darüber nachdenken,
wie sich am besten eine funktionierende Aufsicht herstellen lässt.
Der Bundesrat regt außerdem an, darüber nachzudenken, ob es nicht Sinn macht, dass auf jedem Inkassoschreiben oben oder unten die derzeit zuständige Aufsicht benannt wird, damit die Verbraucherinnen und
Verbraucher wissen, wohin sie sich wenden können.
Wir halten die Sanktionsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden für nicht ausreichend bzw. für ergänzungsbedürftig. Neben dem Verhängen von Bußgeldern oder der
Entziehung der Erlaubnis muss es die Möglichkeit geben, zum Beispiel die Verwendung bestimmter Textbausteine zu untersagen. Das wäre hilfreich.
Wir verstehen nicht, warum nur auf Anfrage die Anschrift des ursprünglichen Auftraggebers mitgeteilt werden muss. Viele Forderungen werden weiterverkauft.
Deshalb macht es Sinn, dass Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen können, woher die Ursprungsforderung stammt, die ihnen angelastet wird. Das kann nicht
nur auf Anfrage und Bitte der Verbraucherinnen und
Verbraucher passieren.
Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Gebühren ausschließlich in einer Verordnungsermächtigung
geregelt werden. Wir wollen eine Regelung im Gesetz.
Ich glaube, an dieser Stelle haben wir einen sehr ernst zu
nehmenden Dissens, über den wir debattieren müssen.
Wir wollen zudem schärfere Verhaltensstandards und
Berufspflichten für Inkassounternehmen. Entscheidend
ist dabei die Frage, wie wir es schaffen können, dass seriöse Unternehmen nicht dadurch in Misskredit gebracht
werden, dass andere mit geringer oder gar keiner Qualifizierung sich dieser Aufgabe stellen und unseriöse Praktiken anwenden. Auch hier besteht Diskussionsbedarf.
Wir werden auch darüber reden müssen, warum sich
die Regelungen betreffend die Telefonwerbung ausschließlich auf die Gewinnspielbranche beziehen. Wir
alle wissen, dass der Markt weit größer ist und einer umfassenderen Regelung bedarf.
Bei den Datenschutzfragen sind wir enttäuscht. Der
erste Entwurf, den Sie vor einem Jahr vorgelegt haben,
Frau Ministerin, sah noch vor, dass Datennutzung und
Datenweitergabe einer aktiven Einwilligung der Verbraucherinnen und Verbraucher bedürfen. Nun haben Sie
das aus dem Gesetzentwurf herausgenommen, sodass
die Einwilligung wieder automatisch mit Zustimmung
zum Kleingedruckten erteilt wird.
Ich halte das für einen echten Rückschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir wollen, dass der
Zustand Ihres Entwurfes vom März letzten Jahres wiederhergestellt wird und die ursprüngliche Regelung wieder in das Gesetz kommt. Wir werden darauf bestehen,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vernünftig
einwilligen können.
({1})
Wir haben noch mehrere Punkte, die ich aber jetzt aus
Zeitgründen nicht ausführen kann. Ich hoffe auf konstruktive Beratungen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind es allemal wert, dass wir uns verdammt
viel Mühe geben.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem
wir die Verbraucher vor unseriösen Geschäftspraktiken
schützen, und das ist gut so, und wir stärken mit diesem
Gesetzentwurf auch die große Mehrheit der seriös arbeitenden Unternehmen. Wir haben das gemacht, weil einige wenige schwarze Schafe großen Schaden anrichten.
Sie ziehen ahnungslosen Verbrauchern trickreich Geld
aus der Tasche und ruinieren damit den Ruf einer ganzen
Branche. Ja, ich muss es leider auch heute hier so deutlich formulieren: Diese unseriös arbeitenden Unternehmer zocken die Verbraucher ab. Damit ist jetzt Schluss.
Wir legen diesen Leuten das Handwerk.
Im vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir drei Bereiche: Inkasso, Telefonwerbung und das Abmahnwesen.
Meine Kollegen haben für die Bereiche der Abmahnungen und der Urheberrechtsverstöße eindrücklich aufgezeigt: Wir haben hier gute Lösungen gefunden, damit
Verbraucher bei einem einmaligen - vielleicht sogar unwissentlichen - Verstoß nicht mit überzogenen Forderungen konfrontiert werden; andererseits muss aber natürlich der gewerbsmäßige Betrug weiterhin geahndet
werden.
Aber auch in den Bereichen Inkassowesen und Telefonwerbung sorgen wir für noch besseren Verbraucherschutz vor ungerechtfertigten Zahlungsaufforderungen.
Eine bestellte Leistung oder Ware muss bezahlt werden. Das ist nicht nur eine Frage der Moral, sondern das
ist auch für das Funktionieren unserer Wirtschaft wichtig. Um berechtigte Forderungen auch wirksam durchzusetzen, nehmen viele Firmen seriöse Inkassounternehmen in Anspruch. Das ist ein großer Markt. Da kann
man viel Geld verdienen, und das zieht natürlich auch
schwarze Schafe an. Uns geht es nun darum, diesen Betrügern das Handwerk zu legen. Wir wollen sie erkennen, wir wollen sie bestrafen, und wir wollen sie gegebenenfalls von dieser Tätigkeit in Zukunft fernhalten.
Deshalb haben wir zum Beispiel die Sanktionsmöglichkeiten ausgebaut und den Höchstsatz für ein Bußgeld
von 5 000 Euro auf 50 000 Euro angehoben. Betrug darf
sich hier in Deutschland nicht lohnen.
({0})
Außerdem haben wir die Darlegungs- und Informationspflichten erweitert. Das heißt konkret: Aus dem Inkassoschreiben, also dem Mahnschreiben, dem Brief,
der einem ins Haus flattert, muss hervorgehen, welche
Firma überhaupt die Forderung gestellt hat. Wenn es um
Verträge geht, müssen der Vertragsgrund und das Datum
genannt werden, und auch die Zins- und Inkassoforderungen müssen aufgeschlüsselt werden. Sie auf der Zuschauertribüne denken vielleicht, das sei selbstverständlich. Ja, so sollte es sein, und seriöse Unternehmen
arbeiten auch so. Wir haben jetzt den Vorteil, dass künftig alle Verbraucher die Fantasieforderungen von unseriösen Unternehmern leichter erkennen können.
Ein weiteres Thema packen wir an. Viele Menschen
ärgern sich über die häufig unerwünschten Werbeanrufe.
Im Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung
haben wir bereits 2009 festgeschrieben, dass eine Firma
nur dann zu Werbezwecken telefonisch Kontakt aufnehmen darf, wenn sich der Verbraucher damit vorher ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Wir haben nun die
Daumenschrauben noch etwas mehr angezogen. Damit
Verstöße auch richtig wehtun, haben wir die Bußgeldobergrenze für unerlaubte Telefonanrufe von 50 000 Euro
auf 300 000 Euro angehoben. Das gilt auch dann, wenn
der Anruf durch eine automatische Anrufmaschine erfolgt. Das tut weh, und das schreckt ab.
Ein besonderes Problem waren telefonisch abgeschlossene Glücksspielverträge. Dazu ein Beispiel aus
meinem eigenen Umfeld: Einer Rentnerin flattert plötzlich eine Rechnung von einem Gewinnspielanbieter ins
Haus. Angeblich hat sie telefonisch einen Vertrag abgeschlossen. Sie erinnert sich nicht. Sie möchte den Vertrag kündigen - dieses Recht hat sie -, aber alle Schreiben an die angegebene Adresse und die Faxnummer in
Spanien kommen zurück. Auch telefonisch ist niemand
zu erreichen. Dann schaltet sich ein Inkassounternehmen
ein, um die Forderungen einzutreiben. Sie fühlt sich irgendwann so unter Druck gesetzt, dass sie lieber zahlen
will, als weiterhin telefonisch oder mit Mahnschreiben
belästigt zu werden.
Solche und ähnliche Fälle kommen leider viel zu häufig vor. Damit ist jetzt Schluss. Wir schieben dieser
Methode einen Riegel vor. Solche Glücksspielverträge
müssen künftig schriftlich abgeschlossen werden. Die
Opposition meckert auch heute Abend wieder herum,
dies gehe nicht weit genug und jenes sei noch nicht perfekt.
({1})
Liebe Kollegen, wir haben diesen Gesetzentwurf gemacht. Sie haben in Ihrer Regierungszeit keinen hinbekommen.
({2})
Verbraucherpolitik ist nie abgeschlossen, weil sich die
Verbraucherwelt ständig ändert. Verbraucherpolitik ist
ein Prozess. Sie meckern herum; wir gestalten diesen
Prozess.
({3})
Kollegin Heil, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Mit dem Gesetzentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken beweisen wir wieder einmal mehr: Die christlich-liberale Koalition ist ein Glücksfall für die Verbraucherpolitik in Deutschland.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/13057, 17/6482 und
17/12620 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Wohn- und Mietensituation von Studierenden
verbessern
- Drucksache 17/11696 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke.
({2})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Immobilienfirmen und Finanzhäuser haben längst herausgefunden, wie man jetzt auch noch den Studierenden das
Geld aus der Tasche ziehen kann. Studentischer Wohnraum wurde als Anlageobjekt entdeckt. Der Immobiliendienstleister Savills beispielweise wirbt folgendermaßen
um Kunden - ich zitiere -:
In den nächsten Jahren wird die Zahl der Studierenden … deutlich ansteigen. Da die öffentlichen
Wohnheimplätze … bereits heute knapp sind, dürfte
sich die Situation … weiter verschärfen. … Insofern ergibt sich hier Potenzial für private Investoren.
Die privaten Investoren aber verlangen Mieten von
400 Euro und mehr für ein kleines Zimmer. Für die
meisten Studierenden ist das völlig unbezahlbar, und es
ist schlicht eine Unverschämtheit.
({0})
In München standen im Herbst des letzten Jahres über
750 Studierende auf der Suche nach finanzierbaren
Alternativen Schlange, als das Studentenwerk gerade
einmal 150 Wohnheimplätze verloste. Studierende werden in Turnhallen oder in Containern untergebracht,
Tausende nehmen in Kauf, jeden Tag mehrere Stunden
zu ihren Unis zu pendeln. Diejenigen, die einen Studienplatz in ihrer Heimatstadt bekommen haben, bleiben
gleich bei den Eltern wohnen und dürfen sich dann darüber freuen, dass ihr neuer Lebensabschnitt im alten
Kinderzimmer beginnt. Für die Wohnungsnot und die
explodierenden Wohnkosten gibt es allerdings politische
Gründe.
Erstens. Die Mieten steigen vor allem in städtischen
Wohngebieten und an Hochschulstandorten, weil diese
besonders von dem Umstrukturierungsprozess betroffen
sind, der als Gentrifizierung bekannt ist. Für Renditeaussichten von privaten Investoren werden Preise in die
Höhe getrieben. Menschen, die sich das nicht leisten
können, werden aus den Wohnvierteln vertrieben. Die
Innenstädte werden zu Konsummeilen für die obere
Preisklasse.
Zweitens. Studierende haben im Monat durchschnittlich 830 Euro zur Verfügung, 20 Prozent von ihnen
weniger als 600 Euro. Die Miete ist mittlerweile der mit
Abstand größte Kostenpunkt. Fast die Hälfte ihres Geldes geben die Studierenden für die Miete aus. Für die
meisten von ihnen geht das schlicht an die Existenz.
Ein weiterer Grund ist die sinkende öffentliche Förderung von studentischem Wohnraum. 1991 gab es bundesweit noch 246 000 Plätze in Studentenwohnheimen.
2011, also 20 Jahre später, gab es 20 000 Plätze weniger,
obwohl die Studierendenzahl im selben Zeitraum um
34 Prozent gewachsen ist. In Bremen bekommen auf
diese Art und Weise jetzt nicht einmal mehr 7 Prozent
der Studierenden einen Wohnheimplatz. Und was macht
die Bundesregierung? Nichts! Es gab nicht eine einzige
Maßnahme aus dem Bildungsministerium. Der Runde
Tisch „Wohnraum für Studierende“ von Minister
Ramsauer blieb ergebnislos.
({1})
Bei den aktuellen Nachverhandlungen zum Hochschulpakt spielte die soziale Infrastruktur keine Rolle.
Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung des Kollegen Feist?
Ja, gerne.
Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. - Natürlich
ist es in München oder in Bremen schlimm. Könnten Sie
sich vorstellen, unter der Überschrift „Studentisches
Wohnen“ am Schluss Ihrer Rede noch ein flammendes
Plädoyer für die hervorragenden Universitäten in Ostdeutschland, speziell am Standort Leipzig, zu halten?
({0})
Ich habe das Gefühl, dass Sie das Thema dieser Debatte nicht ganz verstanden haben. Wir reden gerade
nämlich nicht über die Hochschulen, sondern wir reden
über studentischen Wohnraum. Natürlich ist es bekannt,
dass es an verschiedenen Hochschulstandorten unterschiedlich ausschaut. Aber wir reden doch hier über die
Verantwortung des Bundes. In der Verantwortung des
Bundes liegt es ja auch, gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen. Ich verstehe eigentlich nicht, warum manche Studierende 400 Euro Miete
und mehr zahlen sollen und andere nicht. Was hat das
zum Beispiel mit Fairness beim BAföG zu tun?
({0})
Die Bundesregierung schiebt alles auf die Länder.
Man könnte in diesem Fall auch sagen: Sie schiebt alles
auf die Hochschulen. Aber der Bund ist in der Verantwortung, eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die es
allen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen. Wenn die
Koalition jetzt einwendet, dass das nicht geht, dann muss
man eben die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen
dafür schaffen: Kippen Sie endlich das Kooperationsverbot!
({1})
Ohne die sozialen Voraussetzungen entscheidet am
Ende der Geldbeutel, und es entscheiden nicht die Neigung oder die Interessen darüber, ob man sich ein Studium an der LMU in München, an der HU in Berlin oder
an der TU in Darmstadt überhaupt leisten kann. Das zu
verändern, das wäre Aufgabe der Bundesregierung.
({2})
Die Linke fordert eine Offensive im sozialen Wohnungsbau und eine soziale Mietrechtsreform. Wir wollen
die Mieten deckeln. Die Kommunen müssen das Recht
bekommen, Höchstmieten festzulegen, um den Preisanstieg zu stoppen. Der Verkauf öffentlicher Wohnungen
muss gestoppt und die Rekommunalisierung bereits verkaufter Bestände unterstützt werden.
({3})
Die Linke will eine Wohnungsoffensive für Studierende. Mit einem Bund-Länder-Programm müssen neue
Wohnheimplätze finanziert werden. In den kommunalen
Wohnungsbaugesellschaften muss bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen werden. Wir brauchen
natürlich eine BAföG-Reform: Der Fördersatz für
Wohnkosten muss erhöht werden und dynamisch an die
durchschnittliche Mietsteigerungsrate angepasst werden.
({4})
Kollegin Gohlke, ich unterbreche Sie ungern; aber Sie
müssen jetzt einen Punkt setzen.
Genau. Ich komme zum Schluss. - Die Bundesregierung muss endlich begreifen: Es gibt ein Menschenrecht
auf Wohnen und keines auf Spekulation und Mietwucher.
({0})
Wenn man keinen bezahlbaren Wohnraum schafft, darf
man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich ihn
einfach irgendwann nehmen. Dazu muss man dann auch
wohl den Studierenden raten.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn ich den vorliegenden Antrag der Linken lese, bin
ich versucht, mir die Frage zu stellen, ob wir eigentlich
die Richtigen sind, die dieses Thema beraten. Wie Sie sicherlich wissen, liegt der soziale Wohnungsbau nach unserem Grundgesetz in der Verantwortung der Länder.
Der Bund ist für die soziale Wohnraumförderung
- hierzu gehört auch die Förderung von studentischem
Wohnraum - nicht zuständig. Das ist Ländersache.
Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 haben sich
Bund und Länder darauf verständigt, dass jeder künftig
nur noch das zahlt, wofür er auch zuständig ist. Ihre Forderung an den Bund nach einer bedarfsgerechten Bereitstellung von günstigem Wohnraum ist also grundgesetzwidrig.
({0})
- Das ist kein Unsinn; das ist richtig.
Erlauben Sie mir einen weiteren Hinweis. Im Rahmen
der Föderalismusreform wurde auch vereinbart, dass der
Bund den Ländern für einen Übergangszeitraum, nämlich bis 2019, Kompensationszahlungen leistet. Wie es
ausschaut - das ist auf dem Weg -, wird das auch im
Jahr 2014 der Fall sein. Das sind im Bereich des sozialen
Wohnungsbaus 518 Millionen Euro jährlich. Die Frage,
meine Damen und Herren, ist natürlich: Wie verantwortungsvoll gehen die Länder mit diesen Kompensationszahlungen des Bundes um?
Ich erinnere mich, dass das Land Berlin - man kann
das auch nachschauen - unter Regierungsbeteiligung der
Linken dieses Geld, das eigentlich für Investitionen im
sozialen Wohnungsbau gedacht war, zweckentfremdet
hat.
({1})
Ich wiederhole mit anderen Worten: Man hat es ganz anders verwendet, als es eigentlich gedacht war. Damals
hätte die Linke zeigen können, wie sehr ihr die Studentenwohnungen wirklich am Herzen liegen. Doch was haben Sie von der Linken mit dem Geld getan? Sie haben
den Studenten das Geld vorenthalten, um damit alte
Schuldenlöcher zu stopfen - eigentlich ein waschechter
Skandal.
({2})
Doch statt sich in Demut zu üben, kommen Sie jetzt daher und wollen vom Bund noch mehr Geld.
Dabei gibt es durchaus Länder, die ihre Pflicht erfüllt
haben und erfüllen. Schauen Sie einmal nach Bayern! In
Bayern halten wir uns an die Vorgaben der Föderalismusreform. Der Freistaat gewährt aufgrund des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes Investoren, die studentischen Wohnraum schaffen, erweitern oder auch
sanieren, Darlehen von bis zu 26 500 Euro je Wohnung.
Ein solches Darlehen wird in einen Zuschuss umgewandelt, wenn die bestimmungsgemäße Verwendung als studentischer Wohnraum nicht verändert wird. In den Förderrichtlinien ist gleichzeitig eine zulässige Höchstmiete
von durchschnittlich 170 Euro monatlich je Wohnung
- ich wiederhole: 170 Euro! - festgesetzt. Das zeigt: Es
geht, wenn die Länder ihre Hausaufgaben anständig machen. Hier ist ein Unterschied zwischen Bayern und Berlin. Eine grundgesetzwidrige Intervention des Bundes,
wie im vorliegenden Antrag von den Linken vorgesehen,
ist dann nicht notwendig.
({3})
Unser Bundesbauminister treibt das Thema „studentisches Wohnen“ auch im Bund voran, soweit dies im
Rahmen seiner Zuständigkeit überhaupt möglich ist.
({4})
Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer hat erst im November letzten Jahres einen Runden Tisch zum Thema
„Wohnraum für Studierende“ organisiert. Der Minister
hat hier noch einmal klargestellt, dass er zu den zugesagten Kompensationsmitteln in Höhe von 518 Millionen
Euro jährlich steht. Er hat klargemacht, dass die Förderung von studentischem Wohnraum eine Daueraufgabe
ist, die jedoch in erster Linie von den Ländern zu erfüllen ist. Der Minister hat eine Investorenkonferenz initiiert, die demnächst stattfinden wird. Hieran werden Investoren teilnehmen, die auf studentischen Wohnraum
spezialisiert sind. Außerdem hat er die BImA gebeten,
sich verstärkt in diesem Bereich zu engagieren. Die Gespräche hierfür laufen derzeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich abschließend noch eine Anmerkung zur grundsätzlichen Diskussion über die Mietpreisexplosion in
Deutschland machen, die Sie, Frau Gohlke, angesprochen haben. Als Vertreter eines Flächenwahlkreises verweise ich regelmäßig darauf, dass wir den ländlichen
Raum stärken müssen.
({5})
Warum? Weil der Markt die Preise, eben auch die Mieten, bestimmt!
({6})
Der beste Weg, die Mietpreise auf einem angemessenen
Niveau zu halten, führt über eine ausgewogene Nachfrage in Stadt und Land. Die christlich-liberale Koalition
hat dies bereits seit langem erkannt. Andere hinken hier
weit hinterher.
Wir haben im vergangenen Jahr einen beeindruckenden Antrag zur Zukunft der ländlichen Räume verabschiedet. Dieser Antrag enthält viele ganz konkrete
Maßnahmen zur Stärkung des ländlichen Raums und
leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmarktsituation.
Was haben wir in der christlich-liberalen Koalition
noch getan? Wir haben ebenfalls bereits im vergangenen
Jahr eine Mietrechtsänderung beschlossen,
({7})
in der auch Maßnahmen gegen eine Mietpreisexplosion
in den Ballungsräumen enthalten sind. Künftig darf die
Miete innerhalb von drei Jahren nur noch um 15 Prozent
statt bisher um 20 Prozent erhöht werden, wenn ein Land
für bestimmte Gemeinden dies so festlegt. Hier hat die
Koalition gehandelt, während andere nur reden. Wir haben in diesem Gesetz einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen der Eigentümer, die man natürlich
nicht vergessen darf, und der Mieter gefunden. Bei allem
Einsatz für die Mieterinnen und Mieter denken wir nämlich auch daran, dass irgendjemand die Wohnungen, in
denen die Mieter wohnen sollen, auch bauen und bezahlen muss. Das haben einige mit ihrer sozialistischen
Denkweise immer noch nicht kapiert, wie man am vorliegenden Antrag wieder einmal sieht.
({8})
Ohne wirtschaftlichen Anreiz wird kein Investor auch
nur eine Wohnung bauen.
({9})
Dies alles zeigt: Mit der christlich-liberalen Koalition
und natürlich einer starken CSU fährt unser Land, fahren
die Menschen in unserem Land und insbesondere die
Studenten, über die wir heute reden, am besten.
({10})
Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Groß für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Holmeier, ich wundere mich, warum Sie Ihren Minister
noch Bauminister nennen. Sie haben ihm ja gerade alle
Aufgaben, die er eigentlich hat, entzogen; denn Sie sagen ja: Das ist nicht seine Aufgabe, in Deutschland
Wohnungsbaupolitik zu unterstützen,
({0})
dafür zu sorgen, dass Menschen in unserem Land vernünftig leben und wohnen können in Quartieren, die sie
unterstützen, dass Studenten eine Wohnung finden, die
das Studium fördert, und Rahmenbedingungen zu schaffen, die dafür sorgen, dass sie ihre Lebensziele erreichen.
({1})
Was die Zahl der Studienanfänger angeht: Es war ja
schon zu Beginn der Amtszeit der jetzigen Regierung erkennbar, dass es mehr Studierende geben würde. Umso
mehr wundern wir uns, dass - das wurde ja gerade noch
einmal bestätigt - außer Gesprächen nicht viel stattgefunden hat.
({2})
Wir begrüßen natürlich sehr, dass es immer mehr Studienanfänger gibt, aber leider setzt sich in Deutschland
Bildungsgleichheit immer noch nicht durch, weil vielen
die materielle und wirtschaftliche Grundlage fehlt. Drei
Viertel der jungen Menschen, die ein Studium nicht be29288
ginnen, machen das, weil sie nicht auf eine sichere finanzielle Grundlage zurückgreifen können,
({3})
und ein Fünftel der Studentinnen und Studenten, die ein
Studium abbrechen, tun das, weil sie in einer schwierigen finanziellen Situation sind.
Wir haben es gerade gehört: Im Oktober 2012 konnte
man in der Zeit lesen, wie die Situation der Studentinnen
und Studenten aussieht. Tausende müssen auf eine Wohnung warten, es gibt Notplätze in Fitnessstudios und
Turnhallen,
({4})
und Studierende müssen Kredite aufnehmen, damit sie
ihre Studentenbude finanzieren können. Und was tut der
Minister? Er sagt, seine Spielräume seien begrenzt, und
er verkündet auf der Bauministerkonferenz, er habe mit
der letzten Mietrechtsnovelle alles getan, damit die
Mietpreise nicht steigen.
Das ist falsch, Herr Minister. Sie haben mit der Mietrechtsnovelle die soziale Funktion des Mietrechts ausgehöhlt; damit werden Sie in den Städten bewirken, dass es
weiter zu Mietpreissteigerungen kommt und die Studentinnen und Studenten aus den Wohnungen vertrieben
werden.
({5})
Sie haben mit dem Finger auf Nordrhein-Westfalen
oder auf andere Bundesländer gezeigt. Ich kann Ihnen
nur sagen: NRW ist genauso gut wie Bayern und viele
andere Bundesländer auch. NRW hat ein eigenes Förderprogramm aufgelegt, das im letzten Jahr in Kraft getreten ist, und will Bauträgern, die den Studenten Wohnungen anbieten, verbilligte Kredite ermöglichen.
Es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen und nicht
die Hände in den Schoß legen. Wir fordern ein nationales Aktionsprogramm für Wohnen und Stadtentwicklung.
({6})
Wir fordern ein Ausbauprogramm des Bundes für
25 000 neue Studentenwohnplätze. Die Städtebauförderung muss wieder aufgestockt werden; Sie haben sie heruntergefahren auf 455 Millionen Euro, haben sie massiv
gekürzt.
({7})
Das Programm „Soziale Stadt“ haben Sie zum Teil um
60 Prozent gekürzt. Wir fordern ein Sonderprogramm
für Wohnungsbaugenossenschaften, damit der Wohnungsneubau angereizt wird, und wir fordern vor allen
Dingen - das haben Sie eben nicht zugesagt, Herr Minister - mittelfristig 518 Millionen Euro für die soziale
Wohnraumförderung. Sie haben vom nächsten Jahr gesprochen. Schließlich fordern wir eine Rückkehr zu einem sozialen Mietrecht. Das werden wir angehen, wenn
wir in der Verantwortung sind.
({8})
Das sind die Aufgaben des Bundes. Da können Sie sich
nicht zurückziehen und sagen: Ich habe da eigentlich
keinen Spielraum und keinen Einfluss.
({9})
Also: Wir müssen in Forschung, Bildung und Infrastruktur investieren.
({10})
Wir wollen, dass junge Menschen unabhängig von ihrer
Herkunft den sozialen Aufstieg schaffen, und wir wollen, dass das in lebenswerten Städten mit bezahlbarem
Wohnraum passiert.
Herzlichen Dank. Glück auf!
({11})
Der Kollege Sebastian Körber hat für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Studienanfänger, gerade auch ausländische Studierende, haben es an vielen Hochschulstandorten
schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. In der Analyse sind wir uns einig. Wir benötigen etwa 70 000 bis
80 000 zusätzliche Wohnungen und Heimplätze. Wenn
wir uns, Frau Kollegin Gohlke, den heute vorliegenden
Antrag Ihrer Fraktion anschauen, erkennen wir: Das ist
vielleicht das schlechte Gewissen, das Sie gerade haben.
Was Sie nicht wahrhaben wollen: Sie haben bis zum Jahr
2011 im Land Berlin, in dem wir uns ja befinden, mitregiert. Was haben Sie da gemacht? Nichts! Der Kollege
Holmeier hat es bereits angesprochen: In der Föderalismusreform ist festgelegt worden, dass die soziale Wohnraumförderung - dazu gehört explizit auch bezahlbarer
Wohnraum für Studierende - Länderkompetenz ist und
in die Länderhoheit gehört. Das nur mal so zum Verständnis. Sie haben im Land Berlin diese Mittel sogar
zweckentfremdet.
({0})
Sie haben die Frechheit besessen, dass Sie diese Mittel
für die Tilgung von Schulden verwendet haben, und haben also ganz andere Sachen mit dem Geld veranstaltet.
Sie haben die Mittel nicht zielgerichtet für den eigentSebastian Körber
lichen Zweck eingesetzt. Vielleicht plagt Sie gerade das
schlechte Gewissen.
({1})
Bei der Linken muss ohnehin alles der Staat regeln.
Das ist aus meiner Sicht übrigens grundfalsch.
({2})
Wir müssen Anreize schaffen, damit bezahlbarer Wohnraum gebaut wird. Das ist der beste Schutz für die Mieterinnen und Mieter. Sie ziehen sich doch aus der Verantwortung!
Eine wesentliche Ursache für die Wohnungsproblematik ist natürlich auch, dass in den Ballungsräumen in
den letzten Jahren schlicht und ergreifend zu wenig getan worden ist. Herr Kollege Groß, in den zehn größten
Städten unseres Landes sind die Oberbürgermeister mittlerweile alles sozialdemokratische Kollegen von Ihnen.
({3})
Die müssen erst einmal Bauland zur Verfügung stellen,
und zwar zu bezahlbaren Preisen, damit wir die Chance
haben, dort etwas zu bauen. Aber das machen Ihre Kolleginnen und Kollegen Oberbürgermeister vor Ort nicht.
Damit fängt es schon an.
Wir müssen feststellen, dass die Zahl der Studierenden gestiegen ist: um 50 Prozent in fünf Jahren. Aber wir
müssen uns auch mit den Handlungsmöglichkeiten, die
wir jetzt haben, auseinandersetzen. Zur sozialen Wohnraumförderung gehören nun einmal die Schaffung von
bezahlbarem Wohnraum und das studentische Wohnen.
Leider ist die Abgrenzung kompliziert. Das Land Bayern
zum Beispiel macht eine hervorragende Arbeit; dies ist
angesprochen worden.
({4})
Es ist ein schwarz-gelb regiertes Bundesland. Hier werden 26 500 Euro zur Verfügung gestellt. Das hätten Sie
alles im Land Berlin machen können. Sie haben nichts
gemacht. Der Bund und die KfW saßen zusammen mit
am Runden Tisch, an dem die ersten Vorschläge erarbeitet worden sind. Hier hat der Bund auch Zuständigkeit;
wir sind ja der Deutsche Bundestag. Wir machen auch
noch deutlich mehr. Der Bund und die KfW unterstützen
den Neubau und die Sanierung von studentischem
Wohnraum mit zinsverbilligten Krediten über die KfWFörderbank. Seit Oktober 2012 sind die Maßnahmen zur
energetischen Sanierung bei Umwidmung förderfähig
und damit auch für Wohnraum für Studierende zu verwenden.
Ein guter Ansatz ist auch, die schnellere Schaffung
studentischen Wohnraums dadurch zu ermöglichen, dass
wir die militärischen Liegenschaften und die Bundeswehrliegenschaften schneller für die Umnutzung zur
Verfügung stellen. Sie sehen, wir unternehmen viele Anstrengungen. Hier haben wir eine gewisse Bundeszuständigkeit. Das Baurecht, die Planungshoheit hat die
Kommune. In den größten Ballungsgebieten, in denen
die Mieten am allerhöchsten sind - nehmen wir einmal
München -, regieren Kollegen der SPD, zum Beispiel
der Kollege Ude. Da ist es ja mit den Immobilienpreisen
am allerschlimmsten. Da muss man anfangen. Sie hätten
über die Planungshoheit der Kommunen die Möglichkeit,
({5})
diese Situation zu verbessern, Herr Burkert. So ist es nun
einmal.
({6})
Unsere Studierenden brauchen natürlich auch vernünftige Studienbedingungen - das ist klar -, aber eben
auch bezahlbaren Wohnraum. Natürlich leiden viele unter diesen hohen Mieten. Sicher kann man die BAföGSätze erhöhen. Mehr ist Ihnen in Ihrem Antrag nicht eingefallen. Davon wird aber keine einzige bezahlbare
Wohnung gebaut und geschaffen. Mit Ihrem Antrag gehen Sie völlig an dem Problem vorbei. Der beste Mieterschutz ist und bleibt ausreichend bezahlbarer Wohnraum.
({7})
Wir müssen Anreize setzen, die Rahmenbedingungen
anpassen. Das können wir als Bund machen. Bis zum
Jahr 2011 haben Sie im Land Berlin nichts gemacht. Ich
wiederhole es gerne zum dritten Mal. Der Bund hat im
Rahmen seiner Kompetenzen schon seine Hausaufgaben
gemacht. Es gab nicht nur Runde Tische; da sind Sie anscheinend falsch informiert. Ich bin auch optimistisch,
dass wir gemeinsam einiges bewegen können. Aber Sie
greifen da einfach viel zu kurz.
Der Bund muss die Rahmenbedingungen setzen. Das
Geld, das vom Bund bereitgestellt wird - es sind immerhin 518 Millionen Euro per annum für den sozialen
Wohnungsbau und 455 Millionen Euro an Städtebaufördermitteln, zum Beispiel für die energetische Stadtsanierung -, muss von den Ländern richtig eingesetzt werden.
In vielen Ländern regiert die SPD, Herr Kollege Groß.
Der Bund hat die Rahmenbedingungen gesetzt.
Am Schluss ist es doch so: Die Umsetzung der Forderungen aus dem Angstwahlkampf der SPD zum Thema
„Bezahlbarkeit von Wohnraum“ - Sie von der SPD
schüren hier die Ängste der Menschen - würde nicht
dazu führen, dass neue Wohnungen gebaut werden.
Wenn Sie eine Deckelung des Mietpreises bei 10 Prozent
oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete einführen
würden - das haben Sie schon angesprochen -, würde
überhaupt keiner mehr etwas bauen und sanieren, und
das wäre das Allerschlimmste. Ausreichend bezahlbarer
Wohnraum ist der beste Mieterschutz; er ist auch das
Beste für Studentinnen und Studenten. Nicht „das Wir
entscheidet“ hier am Schluss. Entscheidend ist vielmehr,
dass wir zielgerichtete Investitionen ermöglichen und
Verordnungen und Gesetze entsprechend flexibilisieren,
damit Wohnungsbau stattfinden kann.
Die schwarz-gelbe Koalition hat ihre Hausaufgaben
gemacht. Vielleicht macht gerade die SPD in den Ländern, in denen sie Verantwortung trägt, ebenfalls ihre
Hausaufgaben. Das würde uns sicherlich weiterhelfen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nie zuvor gab es so viele Studierende wie heute. Die
große Chance, mehr Bildungsaufstiege und Studienabschlüsse zu ermöglichen, darf nicht ungenutzt bleiben.
Was die Bereitstellung von Studienplätzen angeht, haben
Bund und Länder mit der Aufstockung der Mittel des
Hochschulpaktes in der letzten GWK-Sitzung ein ebenso
gutes wie überfälliges Signal gesendet. Aber damit ist
die Herausforderung des Studierendenbooms längst
nicht bewältigt: Es fehlt eine Ausweitung des BAföG, es
fehlt die soziale Öffnung unserer Universitäten und
Fachhochschulen, und es fehlt der Ausbau der sozialen
Infrastruktur an den Hochschulen. Zur sozialen Infrastruktur gehört insbesondere studentisches Wohnen. Hier
muss die Bundesregierung endlich eigene Vorschläge
vorlegen, anstatt weiter die Hände in den Schoß zu legen.
({0})
Ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht geht, hat Bundesbauminister Ramsauer geliefert. Mit großem medialem Getöse hat er zum Runden Tisch „Wohnraum für
Studierende“ eingeladen. Dabei ist doch nichts Substanzielles herausgekommen - es wurde gerade deutlich -:
({1})
Neben Vorwürfen an die Länder gab es nur einen Prüfauftrag hinsichtlich der Unterbringung von Studierenden
in alten Kasernen. Die Umsetzung dieses einzigen
konkreten Vorschlags ist in gerade einmal drei Städten
Realität. Das ist ein schlechter Scherz. Da muss nachgearbeitet werden.
({2})
Nahezu alle Hochschulstädte berichten von Wohnungsknappheit und langen Wartelisten bei Studierendenwohnheimen. Das Studentenwerk Erlangen-Nürnberg registrierte im letzten Wintersemester 4 000
Bewerbungen auf 2 000 Wohnheimplätze. Hier in Berlin
stehen rund 900 Studierende auf der Warteliste für ein
Studentenzimmer. Auch in ostdeutschen Unistädten wird
es für Studierende schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu
finden. Das Deutsche Studentenwerk beziffert den
Mangel bundesweit auf 25 000 Wohnheimplätze. Herr
Ramsauer, Frau Wanka, all diese Zahlen mahnen doch
zum Handeln. Studierende brauchen ein Dach über dem
Kopf und keine Inszenierung von Aktionismus.
({3})
Wir schlagen ergänzend zum Hochschulpakt einen
bundesweiten Aktionsplan für studentisches Wohnen
vor, damit Studierende nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Wohnraum vorfinden. Dazu gehört auch,
Zwischennutzungen von Bundesliegenschaften endlich
zu erleichtern. Anstatt ungenutzte oder leerstehende Gebäude des Bundes zu verkaufen, damit Investoren dort
zum Beispiel teure Eigentumswohnungen hochziehen
können, sollten diese Gebäude für günstiges studentisches Wohnen geöffnet werden.
({4})
Wir sagen: Wohnen muss bezahlbar bleiben. Hier ist
die Koalition ihrer Verantwortung überhaupt nicht gerecht geworden. Bei der Städtebauförderung wurde massiv gekürzt. Das ging auch zulasten von Studierenden.
Unsere Initiativen für eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik, vorangetrieben insbesondere von unserer
Bauexpertin Daniela Wagner, haben Sie allesamt abgelehnt. Kommunen brauchen aber dringend wieder
baurechtliche Instrumente zur Dämpfung der Mietentwicklung. Sie müssen in einzelnen Stadtquartieren Mietobergrenzen bei Neuvertragsmieten setzen können. Dass
Schwarz-Gelb dies ablehnt, das ist unverantwortlich.
({5})
Auch Bundesbildungsministerin Wanka muss handeln, damit Studierende ihre Miete zahlen können: durch
Verbesserungen beim BAföG. Sie wäre aber schlecht beraten, dem Vorschlag der Linksfraktion zu folgen. Jedem
BAföG-Empfänger mit einem Schlag monatlich pauschal 70 Euro zusätzlich für die Miete zu überweisen,
wäre undifferenziert, ja bisweilen ungerecht. Studentenbuden sind in Leipzig, Görlitz, Hamburg und München
unterschiedlich teuer. Deswegen schlagen wir vor, die
regional unterschiedlichen Mietstufen des Wohngeldgesetzes im BAföG zu verankern. Das wäre viel zielgenauer und gerechter als eine bundeseinheitliche Pauschalierung.
({6})
Patentrezepte für den Umgang mit dem Mangel an
studentischem Wohnraum verbieten sich, dafür unterscheiden sich die Bedingungen an den Hochschulstädten
zu sehr voneinander. Wichtig ist, das Problem wirklich
anzupacken, alle Beteiligten - von Studentenwerk bis
Immobilienwirtschaft - einzubeziehen und gemeinsam
maßgeschneiderte Lösungen vor Ort zu finden.
Länder und Kommunen gehen vielerorts mit gutem
Beispiel voran. Gerade das grün-rot regierte BadenWürttemberg und NRW forcieren den Wohnheimausbau,
sie stärken die Studentenwerke und unterstützen kreative
Lösungen auf kommunaler Ebene.
Der Bund muss von seiner Zuschauertribüne runterkommen und das Nötige tun. Studentische Wohnungsnot
in einer Wissensgesellschaft - das ist hochnotpeinlich
und muss überwunden werden.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Liebe Frau Gohlke, Ihre
Analyse ist richtig: Aufgrund des großen Studierendenandrangs fehlen in unserem Land viele Wohnheimplätze
und bezahlbare Wohnungen. Zum Studieren - das haben
wir gehört, da sind wir uns einig - gehört nun einmal
auch ein Dach über dem Kopf.
Ihre Schlussfolgerungen aber, Frau Gohlke, kann ich
dagegen überhaupt nicht teilen. Sie fordern nichts weniger als eine Mietrechtsreform für alle Wohnungen in
Deutschland und eine Verstaatlichung des Wohnungsbaus in Deutschland.
({0})
Ob wir so tatsächlich den Wohnungsmangel beseitigen,
Frau Gohlke, das wage ich zu bezweifeln; um es einmal
vorsichtig auszudrücken.
({1})
Ihre zweite Forderung zur Deckelung der Mieten für
einen Wohnheimplatz ist überflüssig. Sie wird bereits
vom Deutschen Studentenwerk, DSW, erfüllt. Es braucht
also das von Ihnen vorgeschlagene Mietmoratorium
nicht.
Drittens fordern Sie - genau wie Peer Steinbrück; wir
haben es auch von Herrn Groß gehört - ein BundLänder-Programm zur Schaffung von 25 000 Wohnheimplätzen für Studierende. Rot-rote Einigkeit also:
herzlichen Glückwunsch!
Ich muss aber - das wurde heute schon x-mal gesagt darauf hinweisen, dass die Zuständigkeit für den Wohnheimbau eindeutig bei den Ländern liegt. Es ist an den
Ländern, eine bessere Ausstattung zum Beispiel der
Studentenwerke sicherzustellen. Das gilt im Übrigen
auch für die BAföG-Ämter, wo immer noch viel zu viele
Anträge zu lange liegen bleiben.
Einige Länder zeigen, dass es anders geht. Bayern
zum Beispiel - wir haben es gehört - baut derzeit 2 500
neue Wohnheimplätze und bezuschusst diese mit dem
bundesweit höchsten Anteil von 26 000 Euro pro Platz.
Das Deutsche Studentenwerk preist die Bayern hierbei
als vorbildlich für alle Bundesländer.
In meiner Heimat Baden-Württemberg hat noch die
CDU-geführte Vorgängerregierung den Bau von über
3 000 neuen Wohnheimplätzen beschlossen. Diese befinden sich schon im Bau. Das ist also kein Verdienst der
neuen Landesregierung. In Stuttgart beispielsweise steht
schon jetzt für fast 15 Prozent aller Studierenden ein
Wohnheimplatz zur Verfügung. Zum Vergleich: In Berlin sind es gerade mal 6,5 Prozent. Auch das zeigt: Die
Kommunen sind gefordert. Darauf hat Kollege Körber
schon hingewiesen. Im CDU-geführten Hessen, das ohnehin schon sehr aktiv im Wohnheimbau war, hat in diesem Monat der Bau von 2 000 zusätzlichen Wohnheimplätzen begonnen. Sie sehen also: Im Wohnheimbau geht
es besonders dort voran, wo die CDU bzw. die CSU regiert. Zur Linkspartei sage ich: Sie fordern immer besonders viel, aber dort, wo Sie regieren, passiert leider
nichts.
({2})
Das Beispiel Berlin wurde angesprochen. Dort wurde
erst unter Regierungsbeteiligung der CDU eine Vereinbarung über die Schaffung von 5 000 neuen Studentenwohnungen getroffen. Als Sie von der Linkspartei noch
an der Regierung waren - zehn Jahre lang -, haben Sie
nichts getan; auch das wurde gesagt. Wie soll da ein Student oder eine Studentin Ihren Antrag ernst nehmen,
Frau Gohlke?
({3})
Auch im rot-roten Brandenburg sind jedenfalls mir übermäßige Aktivitäten im Studentenwohnheimbau nicht bekannt. Die Linken tun also nichts, aber auch SPD, Herr
Groß, und Grüne sind wenig vorbildlich.
Ich muss leider sagen: Sie machen sich einen schlanken Fuß.
({4})
Was passiert zum Beispiel in Niedersachsen? Gerade
einmal zwei Monate ist die rot-grüne Regierung im Amt,
und schon werden erste Kürzungen für den Hochschulbereich beschlossen. 9 Millionen Euro muss das Wissenschaftsministerium im nächsten Jahr einsparen.
({5})
Wie man so die ohnehin schon magere Grundfinanzierung der Hochschulen und Universitäten verbessern will,
bleibt Ihr Geheimnis. Für neue Studentenwohnheime
wird dann natürlich erst recht kein Geld vorhanden sein.
Aber in der Opposition - das zeigen Sie hier immer wieder aufs Neue - kann man gerade im Bereich der Bildungspolitik immer lustig mitfordern.
In meinem Heimatland Baden-Württemberg wird unter Führung der Grünen trotz 3 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen im Bildungsbereich massiv gekürzt:
Tausende Lehrerstellen fallen weg,
({6})
die Senkung des Klassenteilers wird gestoppt, neu eingestellte Lehrer verdienen weniger und, und, und. Ich
könnte die grün-rote Streichliste hier beliebig fortsetzen.
({7})
Im Bund wären ein wenig mehr Konstruktivität und
weniger Wahlkampfgetöse seitens der Opposition angebracht. Frau Gohlke, keine der Forderungen der Linkspartei ist geeignet, den Studenten wirklich zu helfen. Im
Gegenteil: Einige Ihrer Forderungen sind sogar völlig
kontraproduktiv. Wo bleibt denn die Kreativität bei Ihren
Vorschlägen? Warum rufen Sie immer nur nach dem
Bund als Geldgeber? Der Bund sattelt beim Hochschulpakt Milliarden für über 600 000 neue Studienplätze
drauf. Bei den Wohnheimplätzen sind jetzt aber die Länder am Zug.
Setzen wir uns gemeinsam mit guten Ideen für mehr
Wohnheimplätze ein, und orientieren wir uns dabei an
den unionsgeführten Ländern! Diskutabel ist sicherlich
die Öffnung von Bundesliegenschaften. Auch über die
Länderklausel beim BAföG kann man sicherlich diskutieren. Wir haben aber gesehen: Die Union macht es besser als die Linken, als SPD und Grüne. Deshalb sollten
wir da gemeinsam ansetzen. Frau Gohlke, Ihr Antrag
hilft den Studierenden nicht. Deshalb lehnen wir ihn
heute ab.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass heute intensiv über Wohnraum für Studierende debattiert wird. Als wir Sozialdemokraten vor
einem Jahr, im Februar 2012, einen solchen Antrag hier
eingebracht haben, fand er keine große Aufmerksamkeit.
Die Aufmerksamkeit kann aber wachsen.
({0})
Die Aufmerksamkeit sollte aber in einer Art und Weise
wachsen, dass es nicht zu falschen Zuordnungen kommt.
Der Antreiber bei diesem Thema ist das Deutsche
Studentenwerk und nicht irgendwelche rot-roten Sozialisten oder sonst jemand. In allen Bundesländern geht
bei diesem Thema das Deutsche Studentenwerk mit einem vergleichsweise hohen Maß an Objektivität in der
Analyse vor. Damit es hier nicht bei einseitigen Länderbetrachtungen bleibt, möchte ich Ihnen aus dem jüngsten
Report des Deutschen Studentenwerks, den Sie alle erhalten haben, vorlesen, wie es aktuell mit der Versorgung mit Wohnraumplätzen aussieht: tolle Versorgung in
Sachsen und Thüringen - Herr Feist, damit kann man
werben -, Bayern und Nordrhein-Westfalen bewegen
sich auf vergleichbarem Niveau - 10,65 Prozent in
NRW, 10,96 Prozent in Bayern -, und ziemlich schlecht
ist die Situation in Hessen mit 7,34 Prozent und in Hamburg mit 8,74 Prozent.
Was soll denn immer dieses Länderbashing? Warum
sucht sich jeder immer das Passende heraus, obwohl es
doch eigentlich darum gehen muss, die Situation beim
studentischen Wohnraum insgesamt und nicht nach Farben sortiert voranzubringen?
({1})
Wenn Ihnen die Analyse des Deutschen Studentenwerks,
die sich mit der Situation in den Ländern befasst und
sich dabei nicht an Parteien oder Farben orientiert, nicht
reicht, empfehle ich Ihnen eine weitere Verlautbarung
des Studentenwerks, in der die Bundesländer, die jetzt
Gutes tun, genannt werden - quer durch alle Farben -:
Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz,
Nordrhein-Westfalen, Hamburg.
Wir müssten doch gemeinsam ein Interesse daran haben, dass alle etwas tun. Wenn wir aber wollen, dass alle
etwas tun, dann müssen wir auch die Frage stellen, ob
die Länder das alleine machen sollen oder ob das nicht
aufgrund des nationalen Bildungsinteresses ein Engagement ist, das von Bundesebene aus mit befördert werden
kann. Ein richtiger Punkt in diesem Zusammenhang
wurde vom Kollegen Gehring angesprochen, er steht
auch im Antrag der Fraktion Die Linke und kam auch in
den letzten Beiträgen der Sprecher der Konservativen
und der Liberalen zum Ausdruck: Wir müssen beim
BAföG aufpassen, dass niemand abgehängt wird. Es
muss differenziert werden, aber es muss eine Anpassung
beim BAföG geben, damit die soziale Dimension gewahrt bleibt.
Studentenwohnheime sind aber nicht nur eine Frage
des sozialen Wohnungsbaus. Es geht darum, dass man in
Studentenwohnheimen unabhängig vom Einkommen der
Eltern wohnen kann. Dafür gibt es Gründe, zum Beispiel
die soziale Durchmischung und die Attraktivität der Universitätsstädte für ausländische Studierende. Deswegen
ist dies nicht ausschließlich ein Thema der sozialen
Wohnraumförderung, die durch die Föderalismusreform
auf die Länder übergegangen ist. Der Bund kann; er
könnte, wenn er wollte.
Das ist der zweite Akzent, den wir neben dem BAföG
setzen wollen: Es sollte ein Sonderprogramm für 25 000
Wohnheimplätze für Studenten geben; das hat auch das
Deutsche Studentenwerk gefordert. Dies wäre ein sichtbares Zeichen dafür, dass das besondere Problem des
studentischen Wohnens bei uns angekommen ist. Es geht
um die Querschnittsaufgabe Bildungsförderung, aber
auch um die Förderung einer zukünftigen - mit diesem
Begriff wende ich mich insbesondere an die rechte Seite
des Hauses - Elite.
Wenn wir diese hohen Studierendenzahlen halten
wollen, bedeutet das, dass zusätzlich ausländische Studierende aus vielfältigen Gründen zu uns kommen sollen. Sie wissen genau, dass die ausländischen Studierenden, gerade auch die sehr guten, meist in studentischen
Wohnheimen ihre Unterbringung finden. Diese sind
auch eine Art Basis, um soziale Kontakte zu knüpfen.
Deshalb ist das eine langfristige Investition. In diesem
Bereich muss es mehr geben als das, was wir aktuell
vom Wohnungsbauminister geboten bekommen.
Der Wohnungsbauminister hat einen Runden Tisch
gemacht. Zeitgleich hat er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Grundsatzartikel „Impulse für mehr
Wohnungsbau“ veröffentlicht. Diesen Artikel habe ich
interessiert gelesen und dabei gedacht: Wann kommt
denn etwas zum studentischen Wohnungsbau? Schließlich hat der Wohnungsbauminister einen Runden Tisch
dazu gemacht. Kein Wort in der FAZ, aber Runde Tische! Wissen Sie, was wir zu einem solchen Wohnungsbauminister in Schleswig-Holstein sagen? Er ist ein
Schnacker, nicht mehr.
({2})
Wir brauchen aber einen Bundesminister, der im Kooperationsverhalten mit Bund und Ländern aktiv Politik
macht. So einen Bundesminister brauchen wir, keinen
Schnacker.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11696 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fraktion Die Linke
wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also
Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung. Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der SPD und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene
Mortler, Ingbert Liebing, Dr. Michael Fuchs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Jens Ackermann, Helga Daub,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Tourismus in ländlichen Räumen - Poten-
ziale erkennen, Chancen nutzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula,
Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim Hacker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Tourismus in ländlichen Räumen durch
schlüssiges Gesamtkonzept stärken
- Drucksachen 17/9570, 17/9571, 17/12573 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Horst Meierhofer
Kornelia Möller
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Kornelia Möller, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Sozial und regional - Tourismus in ländlichen
Räumen stärken
- Drucksachen 17/11373, 17/12926 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Horst Meierhofer
Markus Tressel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tourismus im ländlichen Raum ist ziemlich genau das
Gegenstück zu dem, über das wir gerade debattiert haben, nämlich die Tatsache, dass in den Groß- und Ballungsräumen das Problem besteht, dass man kaum noch
Mietraum bekommt oder er kaum noch bezahlbar ist. Im
ländlichen Raum hingegen hat man höchste Schwierigkeiten, die jungen Leute noch dort zu halten. Deswegen
ist es, glaube ich, dringend notwendig - da sind wir uns
alle einig; es ist schön, dass es so viele Anträge zu diesem Thema gibt -, endlich Zukunftsperspektiven für den
ländlichen Raum zu schaffen. Unserer Überzeugung
nach ist der Bereich Tourismus eine der besten Möglichkeiten dafür; denn Tourismus schafft hochwertige Arbeitsplätze und hält die Leute vor Ort. Diese Arbeits29294
plätze sind auch nicht so leicht verlagerbar. Deswegen
ist es unser gemeinsames Interesse, den Tourismus im
ländlichen Raum voranzubringen.
Dieses Thema ist nicht nur bei uns von Interesse; es
wurde nicht nur innerhalb unserer Fraktionen besprochen, sondern auch im Bundeswirtschaftsministerium
und im BMELV, im Landwirtschaftsministerium. Im
Rahmen des Projekts „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ - dazu wird der Staatssekretär und Tourismusbeauftragte Burgbacher noch etwas sagen - hat
man Handlungsempfehlungen, Praxisleitfäden, BestPractice-Beispiele und Ähnliches gegeben, damit die
Leute vor Ort wissen, was man tun kann, und sich auch
ein Beispiel an anderen Touristikern nehmen können, die
vielleicht schon mehr Erfahrungen damit gemacht haben. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Bestandteil,
und das haben wir mit unserem Antrag gerne unterstützt.
Wir haben auch einen Kongress veranstaltet, und
zwar gemeinsam als CDU/CSU und FDP. In diesem
Rahmen haben wir über die ländlichen Räume und ihre
Perspektiven gesprochen. Es waren mehrere Hundert
Teilnehmer, die uns zugehört haben. Das Spannende
war: Von allen Bereichen - Wirtschaft, Verkehr, Tourismus - hatte der Tourismus die meisten Zuhörer. Aus
meiner Sicht war das damals überraschend. Aber es
zeigt, dass der ländliche Raum selbst erkennt, dass es
hier wirklich große Chancen gibt.
Es gibt einiges, was wir noch erreichen müssen. Bei
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ haben wir schon einige Erfolge erzielt;
das ist von großer Bedeutung. Auch die Breitbandstrategie ist wichtig. Wenn man Schwierigkeiten hat, mit den
Ballungsräumen zu konkurrieren, ist es umso wichtiger,
die Infrastruktur im ländlichen Raum - das Internet gehört mittlerweile natürlich zuvorderst dazu - zu fördern.
Das ist uns, glaube ich, ganz gut gelungen.
({0})
Bis 2014 streben wir eine Verfügbarkeit von Bandbreiten
mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde für 75 Prozent
der Haushalte an. Das zu schaffen, wäre ein großer Erfolg.
Ein Thema, das die Tourismuspolitiker aller Parteien
verbindet, ist der Ferienkorridor. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Zeiten, in denen der Tourismus stattfindet,
weiter ausgedehnt werden müssen. Auf Länderebene ist
noch einiges zu tun, um die Hauptsaison zu verlängern.
({1})
- Das gilt auch für unser Bundesland, für Bayern; da haben Sie vollkommen recht.
({2})
Es liegen heute auch ein Antrag von der SPD und ein
Antrag von den Linken vor, für die ich aber leider nicht
mehr allzu viel Zeit habe.
({3})
Sie, lieber Kollege Paula, hinken insoweit hinterher, als
in Ihrem Antrag steht, dass Sie ein Gesamtkonzept auf
Bundesebene bzw. eine bundesweit geltende Regelung
wollen.
({4})
Das wollten früher auch wir. Wir haben das sogar in unseren Koalitionsvertrag geschrieben.
({5})
Wir haben aber gleich zu Beginn der Legislaturperiode
festgestellt, dass die Länder das nicht wollen.
({6})
Die Länder haben gesagt: Wir wollen das nicht mehr. Ein Beispiel ist die Deutsche Zentrale für Tourismus. Sie
hat gesagt, dass sie ihre Konzepte auf Länderebene umsetzen möchte. Genau das tut sie jetzt, unterschiedlich
erfolgreich. In Bayern ist man sogar sehr erfolgreich. Es
macht wenig Sinn, jetzt etwas zu fordern, was von der
Wirklichkeit schon überholt ist.
Noch ein Wort zum Antrag der Linken. Sie fordern,
eine Analyse der Stärken und Schwächen vorzunehmen
und eine Grundlagenuntersuchung durchzuführen. Wir
sind sehr froh, dass wir das schon längst hinter uns haben. Denn wenn wir erst so weit wären, dann würden
auch wir der Zeit hinterherhinken. Gott sei Dank tun wir
das nicht, Sie schon ein bisschen. Trotzdem freuen wir
uns, dass auch Sie der Meinung sind: Der ländliche
Raum ist wichtiger, als er in der Vergangenheit wahrgenommen wurde. Es würde uns freuen, wenn Sie auch in
Zukunft mit uns gemeinsam dafür sorgen würden, dass
es vorwärts geht.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Heinz Paula für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste! Die Ausführungen meines Kollegen
Meierhofer haben etwas, das auch ich deutlich zum Ausdruck bringen möchte, unterstrichen: Im Bereich des
ländlichen Tourismus gibt es enorme Potenziale. Wir
wissen, dass in Deutschland zwei Drittel aller Übernachtungen und über 40 Prozent der Tagesreisen in ländlichen Räumen stattfinden. Die Menschen wollen Natur
erleben. Sie wollen nachhaltig verreisen. Sie wollen Produkte aus der Region. Da gibt es ein enormes Potenzial,
welches wir heben, pflegen und ausbauen müssen.
Wir sind uns einig, dass der Tourismus in ländlichen
Räumen kein Selbstläufer ist, sondern wir die entspreHeinz Paula
chenden Rahmenbedingungen schaffen müssen, um ihn
zu stärken. Wir wissen, dass der ländliche Raum insgesamt vor gewaltigen Herausforderungen steht. Dazu
gehören - ich nenne nur ein paar Beispiele - der demografische Wandel mit seinen Auswirkungen, sich entleerende Dörfer, Kaufkraftverlust, Fachkräftemangel, unzureichende Angebote bei der Mobilität und, lieber
Kollege Horst Meierhofer, leider auch bei der Breitbandversorgung; teilweise geht man besser noch zu Fuß, als
auf die Übertragungswege, die momentan vorhanden
sind, zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist uns allen
klar: Der Tourismus im ländlichen Raum ist ein Querschnittsthema. Es bedarf daher eines nachhaltigen und
umfassenden Konzepts, um ihn bestmöglich zu stärken.
Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern
wir in unserem Antrag. Selbst Sie, liebe Kollegin
Mortler, haben bei der ersten Lesung im letzten Mai
- Sie erinnern sich - klar und deutlich bestätigt - ich
darf Sie zitieren -, es wäre ideal, so Ihre Worte, ein Gesamtkonzept auf den Weg zu bringen.
({0})
Leider haben Sie bisher nicht im Ansatz versucht, etwas
voranzutreiben. Auf Ihren Koalitionsvertrag, der, so wie
bei Ihnen üblich, auch an dieser Stelle nur Papier ist,
möchte ich gar nicht mehr groß eingehen.
Mit unseren Forderungen - das sage ich insbesondere
in Richtung der Regierungskoalition - stehen wir Gott
sei Dank nicht alleine da. Wir haben sehr starke Bündnispartner. Auch der Deutsche Bauernverband zusammen mit dem Deutschen Landkreistag und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und
Landtourismus stellen in ihrem Positionspapier sehr
konkrete Forderungen zu sehr konkreten Maßnahmen.
Wir brauchen ein entsprechendes Gesamtkonzept, um
diesen Katalog an Forderungen erfüllen zu können.
Das von der Bundesregierung initiierte Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ - Horst
Meierhofer hat gerade darauf hingewiesen - geht zunächst einmal in die richtige Richtung.
({1})
Es zeigt nämlich überdeutlich - Vorsicht mit dem frühen
Applaus, Kollege Horst Meierhofer -, dass enormer
Handlungsbedarf besteht. Es ist spannend, welche Antworten Sie darauf geben. Ganz interessant finde ich die
Kurzreports und Checklisten, mit denen wir wirklich etwas vorantreiben können. Herr Kollege Burgbacher,
Kompliment an Ihre Mitarbeiter! Sie haben wirklich eine
hervorragende Arbeit geleistet. Allerdings bleibt die
spannende Frage: Was tut die Bundesregierung? Was
setzt sie davon um? Wer nimmt die Fäden in die Hand
und versucht, die Dinge voranzutreiben?
Lassen Sie mich auf einige unserer Forderungen eingehen. Der Deutsche Bauernverband und wir Sozialdemokraten fordern, dass endlich eine Grundlagenuntersuchung gefördert wird, die belastbare Daten zum
Tourismus in ländlichen Räumen als Wirtschaftsfaktor
liefert. Bisher: Fehlanzeige! Dann zu den finanziellen
Rahmenbedingungen. Wir wissen doch alle, dass in Zeiten knapper werdender Kassen die Tourismusförderung
nicht hinten herunterkippen darf. Wie sieht es mit der
Förderung nach 2014 aus? Welche Schwerpunkte setzen
Sie? Vonseiten der Regierung kommt dazu nichts.
Der Bauernverband und die SPD fordern ferner, dass
die Förderprogramme auf Bundes- und Länderebene neu
ausgerichtet und aufeinander abgestimmt werden, damit
das gesamte Förderspektrum bestmöglich ausgenutzt
und Doppelförderungen vermieden werden.
({2})
Vonseiten der Regierung - Sie vermuten es schon, Kolleginnen und Kollegen -, kommt dazu wie immer nichts.
Der Deutsche Bauernverband und wir Sozialdemokraten fordern, dass die Organisationsstrukturen endlich
überdacht und zum Beispiel Parallelstrukturen vermieden werden. Welche Antwort kommt wiederum vonseiten der Bundesregierung? - Sie können die Antwort
schon erahnen: nichts.
Lassen Sie mich zu einem mir und meiner Fraktion
sehr wichtigen Punkt kommen. Wir fordern in unserem
Antrag eine soziale Ausrichtung des Gesamtkonzepts.
Dazu gehören die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen
und vor allen Dingen auch die Entlohnung. Sie schreiben
in Ihrem Papier „Tourismusperspektiven in ländlichen
Räumen“, Kurzreport Fachkräfte, sehr Aufschlussreiches. Ich darf zitieren:
Familienunfreundliche Arbeitszeiten, vergleichsweise geringe Löhne … stellen eine hohe Belastung
für Beschäftigte … dar und führen häufig zu einer
hohen Unzufriedenheit.
Richtig; das kann man nur unterstreichen, Herr Kollege
Burgbacher.
({3})
Es geht weiter: leistungsgerechte Entlohnung. Auch
da kann ich sagen: Jedes Wort ist richtig. „Mitarbeiter
müssen spüren, dass sich gute Leistung lohnt.“ Jawohl,
das ist absolut zu unterstreichen. Aber jetzt wird es ganz
spannend, Kolleginnen und Kollegen. Ein paar Zeilen
weiter steht nämlich:
Wertschätzung und Anerkennung:
- das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen Ist der finanzielle Spielraum der Betriebe im Tourismussystem ländlicher Räume für Gehaltserhöhungen … begrenzt, kann auch eine wertschätzende
Führung die Motivation der Mitarbeiter erhöhen.
Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Verhöhnung der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
({4})
Wir fordern klipp und klar, ohne Wenn und Aber, guten
Lohn für gute Arbeit, und das ist Mindestlohn.
({5})
Wir wissen doch alle, dass eine entsprechende Entlohnung ganz wesentlich mit dazu beitragen kann, dass Arbeitskräfte in den Regionen gehalten werden und damit
ländliche Regionen stabilisiert werden können.
Lassen Sie mich zu einem weiteren hochinteressanten
Punkt kommen, der deutlich dokumentiert, wie weit Sie
mit Ihren Bemühungen, den ländlichen Tourismus zu
unterstützen, gekommen sind. Wie sieht es denn mit der
Sommerferienzeitregelung aus? - Nichts, aber auch gar
nichts haben Sie bewirkt. Im nächsten Jahr wird es einen
Sommerferienkorridor von sage und schreibe 71 Tagen
geben. Die Verbände rechnen uns doch immer wieder
vor, welch horrender Einnahmeausfall mit den fehlenden
Tagen - von 90 Tagen sind wir sehr weit entfernt - verbunden ist.
Handeln Sie doch endlich! Übrigens, Frau Kollegin
Mortler - es tut mir leid, dass ich schon wieder nach
Bayern schauen muss -: Der allergrößte Blockierer in
diesem Bereich ist die Bayerische Staatsregierung.
({6})
Ermuntern Sie Herrn Seehofer doch einmal, endlich vernünftig zu werden!
Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Anträge der
Regierungskoalition, der SPD und der Linken nebeneinanderstellen, stellen wir fest, dass der Antrag der SPD
der umfassendste ist. Deshalb würde ich Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
({7})
Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr Antrag ist
gar keine schlechte Kopie; aber er ist eine Kopie. Das
Original, unser Antrag, ist einfach besser. Deshalb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten.
Zu der Kopie, die die Kollegen von der Regierungskoalition vorgelegt haben, kann ich nur die Empfehlung
aussprechen, sie abzulehnen. Dieser Antrag führt mit
Sicherheit nicht weiter.
({8})
Ganz im Vertrauen: Ich traue Ihnen nicht zu, dass Sie bis
September noch Butter bei die Fische bringen können ({9})
es sei denn, Kolleginnen und Kollegen, Sie gehen ohnehin davon aus, dass ab September Rot-Grün all das aufarbeitet, was Sie bisher versäumt haben.
Ich bedanke mich.
({10})
Ingbert Liebing ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Zukunft der ländlichen Räume war für die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag in dieser Wahlperiode ein ganz wichtiges Thema; das haben wir mit einer
ganzen Reihe von Initiativen unter Beweis gestellt. Wir
haben dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung der
Bundespolitik gesetzt. Deshalb ist es gut, dass wir heute
über den Tourismus in den ländlichen Räumen sprechen.
({0})
Das Thema Tourismus ist bei uns eingebettet in unsere Gesamtstrategie
({1})
für die Zukunft der ländlichen Räume. Die ländlichen
Räume stehen angesichts des demografischen Wandels
vor zunehmenden Herausforderungen. Mit der Koalitionsarbeitsgruppe, mit einem großen Fachkongress hier
im Haus, mit dem Abschlussbericht im Juni und mit
der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages im
November vergangenen Jahres zu unserem Paket von
105 sehr konkreten Einzelmaßnahmen haben wir eine
umfassende Strategie für die Zukunft der ländlichen
Räume vorgelegt. Unser Ziel ist es, die ländlichen
Regionen auch bei zurückgehender Bevölkerungszahl
zukunftsfest und lebensfähig zu halten. Wir möchten den
Menschen dort Heimat geben, wo sie zu Hause sind. Wir
möchten, dass auch die nächsten Generationen noch auf
dem Lande leben und arbeiten können.
({2})
Das ist unser Gegenentwurf zu der Politik von der linken Seite des Hauses, wo es oft genug nur heißt, man
müsse die Starken stärken, und bei der die großen Metropolen im Mittelpunkt stehen. Das, liebe Freunde,
meine Damen und Herren, reicht uns nicht aus. Wir
brauchen im Prozess des demografischen Wandels
Antworten für die Städte genauso wie für die ländlichen
Regionen.
Dafür bietet der Tourismus zusätzliche Chancen. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen dieses Thema zu
Beginn der Wahlperiode im Koalitionsvertrag verankert.
Jetzt, zum Ende der Wahlperiode, können wir Bilanz ziehen.
({3})
Wir können feststellen: Es ist viel geschehen; die Bundesregierung und die Koalition haben konkret gehandelt.
Dies gibt mir heute die Gelegenheit, dem Beauftragten
der Bundesregierung für Tourismus, Herrn Staatssekretär Ernst Burgbacher, für seinen engagierten Einsatz für
den Tourismus insgesamt in unserem Land Dank zu sagen.
({4})
Auf Koalitionsinitiative hin hat die Bundesregierung
das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen
Räumen“ auf den Weg gebracht und abgeschlossen. Es
liegen Handlungsempfehlungen und zahlreiche BestPractice-Beispiele vor. Mit unserem Antrag, den wir
heute zur Beschlussfassung vorlegen, untermauern wir
die Bedeutung dieses Themas und der dort angesprochenen Aspekte.
In den vergangenen Jahren boomte insbesondere der
Städtetourismus. Wir möchten auch die Potenziale der
ländlichen Räume für den Tourismus stärker ausschöpfen. Dabei leistet die Bundesarbeitsgemeinschaft für
Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus in
Deutschland eine großartige Arbeit.
({5})
Die von ihr entwickelte deutschlandweite Informationsund Buchungsplattform www.landsichten.de hat gerade
diese neuen Onlinebuchungswege für den ländlichen
Tourismus geöffnet. Dass ihre Vorsitzende Ute Mushardt
auf der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse
die Kristallkugel als Auszeichnung des Tourismusausschusses des Bundestages verliehen bekommen hat, ist
eine besondere Würdigung dieses Einsatzes.
({6})
Das Projekt der Bundesregierung „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“, das gemeinsam mit dem
Deutschen Reiseverband und vielen weiteren Partnern
organisiert wurde, hat zehn Handlungsfelder identifiziert. Es geht um die Bewusstseinsbildung für regionale
Identität, um Organisationsstrukturen, um mehr Zusammenarbeit in Netzwerken, um Markenbildung, um
Sicherung von Fachkräften und Nachwuchs, um zeitgerechte Vertriebswege, um Infrastruktur, um Projektgestaltung und um Barrierefreiheit und Mobilität. Aus diesem Strauß von Themen möchte ich nur einige wenige
Stichworte hervorheben.
Gerade in den ländlichen Regionen haben wir noch zu
kleinteilige touristische Organisationsstrukturen. Wir
brauchen größere, schlagkräftigere und handlungsfähigere Einheiten. Aber das können wir nicht im Bundestag
beschließen; das ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller
Akteure im Tourismus.
({7})
Dabei kommt es auch darauf an, die regionale Bevölkerung in die Tourismusentwicklung einzubeziehen und
für das Thema zu sensibilisieren und zu gewinnen.
Die ländlichen Regionen, die sich im Tourismus engagieren wollen, brauchen für ihre Region klar erkennbare Markenbilder, klare Zielgruppen und Themen.
Nicht jeder kann und soll alles machen wollen.
Beim Vertrieb kommt es auf zeitgerechte Kommunikationsplattformen, gerade im Onlinegeschäft, an. Auch
kleinste Angebote müssen online buchbar sein. Dafür
kommt es aber auch auf die Infrastruktur an. Was nützt
die beste Buchungsplattform, wenn die ländlichen Regionen von der Breitbandentwicklung abgehängt sind?
Deswegen setzen wir uns für einen forcierten Breitbandausbau ein. Unser Ziel ist es, bis 2017 flächendeckend Übertragungsraten von 50 MBit sicherzustellen.
Vor diesem Hintergrund habe ich umso weniger Verständnis dafür, dass die neue SPD-geführte Landesregierung in meinem Heimatland, in Schleswig-Holstein, die
Breitbandziele der CDU-geführten Vorgängerregierung
abschwächt und das Ziel für den Glasfaserausbau von
2020 auf 2030 um glatte zehn Jahre nach hinten verschiebt.
({8})
Genau das ist es, was ich eingangs meinte, als ich davon
sprach, dass die Linken eher die Metropolen im Blick
haben.
({9})
Dort haben wir kein Problem mit schnellem Internet.
Um die ländlichen Regionen müssen wir uns hier kümmern, und wir tun dies.
({10})
Gerade die Infrastruktur zur Sicherung von Mobilität
Das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen, Herr Kollege Liebing.
({0})
- ist auch ein wichtiges Thema für die ländlichen Regionen und für den Tourismus. Wenn die ländlichen Regionen nur schwer erreichbar sind und die Anreise unverhältnismäßig lange dauert, dann fliegen die Menschen
lieber in kürzerer Zeit nach Mallorca, als dass sie im eigenen Land Urlaub machen. Gerade deswegen ist auch
die Verkehrsanbindung so wichtig.
In dieser Wahlperiode haben wir also viel getan.
Es geht jetzt zu weit, die ganze Wahlperiode Revue
passieren zu lassen.
Wir haben viel auf den Weg gebracht und viel
erreicht. Das werden wir in Zukunft fortsetzen, auch in
der kommenden Wahlperiode, Herr Präsident, auch in
Regierungsverantwortung.
Vielen Dank.
({0})
Nun hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist unstrittig: Tourismus im ländlichen Raum ist ein
wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor. Oftmals ist er sogar der einzige Wirtschaftszweig einer Region, der
gleichzeitig viele Arbeitsplätze bindet. Trotzdem sind
die aktuellen Zahlen alles andere als positiv. Während in
den Ballungszentren die Besucher- und Übernachtungszahlen ansteigen, haben wir in ländlich geprägten Regionen und teilweise sogar in ausgewiesenen Urlaubsgebieten einen Rückgang zu verzeichnen. Selbst die stetige
Verteuerung der klassischen Pauschalreisen ins Ausland
hat nicht nennenswert dazu geführt, dass Urlaubsangebote im ländlichen Raum spürbar stärker nachgefragt
werden. Häufig fehlt es an einer zeitgemäßen Bewerbung; vor allem fehlt es an bezahlbaren Angeboten für
Familien gerade in den Schulferien.
Obwohl die Tourismusförderung in der Zuständigkeit
der Länder liegt, könnte der Bund mehr leisten. Der
Bund könnte die Koordination und die überregionale
Vernetzung von touristischen Angeboten deutlich
verbessern. In diesem Zusammenhang warten wir noch
immer auf die Stärkung eines Parlamentarischen Staatssekretärs zum Koordinator für die ländlichen Räume.
({0})
Die sozialpolitische Komponente fehlt bei der Koalition wieder einmal komplett. Sollte es nicht eigentlich so
sein, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf
haben, in den Urlaub zu fahren?
({1})
Urlaub ist nicht nur Erholung und Regeneration, Urlaub
ist auch Bildung.
({2})
Urlaub kann zum Beispiel dazu beitragen, dass Vorurteile durch Kennenlernen abgebaut werden, übrigens
auch im Inland.
({3})
Wir können die sozialpolitische Komponente nicht
außer Acht lassen, wenn wir über die touristische
Entwicklung des ländlichen Raumes reden. Der Anteil
derer, die im Hotel- und Gaststättengewerbe regulär beschäftigt sind, nimmt immer weiter ab. In der Regel
muss fast überall aufgrund des Kostendrucks und der
zweifelhaften gesetzlichen Rahmenbedingungen mit
Minijobs gearbeitet werden. Ich glaube, das muss ganz
dringend korrigiert werden.
({4})
In vielen Betrieben findet im Übrigen eine Selbstausbeutung innerhalb der Familien statt. Was bleibt denn
dort für die Rente und die Altersvorsorge? Was ist, wenn
zum Beispiel am Ende der Erwerbsarbeit der Familienbetrieb nicht verkauft werden kann, worauf viele ihre
Altersvorsorge begründen?
Ein zweiter Einwand: Im Antrag der Koalition findet
sich so gut wie nichts zur Frage der Barrierefreiheit. Das
hatten wir eigentlich im Tourismusausschuss schon des
Öfteren ziemlich einvernehmlich debattiert. Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer stoßen immer noch auf
Hindernisse, die trotz zahlreicher Baumaßnahmen nicht
beseitigt sind. Es betrifft aber auch ältere Menschen, die
im Alter zwar aktiv sein wollen, aber in ihrer Mobilität
eingeschränkt sind. Umfassende Barrierefreiheit muss
deshalb endlich zum Standard werden. Für uns sind Barrierefreiheit und eine gute öffentliche Verkehrsanbindung keine Nebensächlichkeit, sondern eine Verpflichtung der Gesellschaft.
({5})
Ich finde es übrigens bedenklich, um ein Beispiel zu
nennen, wenn stillgelegte Bahntrassen zu Radwegen
umgebaut werden. Oft bleibt die Frage: Wie kommen die
Urlauber, die vielleicht nicht mit einem eigenen Auto anreisen wollen oder können, in diese ländlichen Urlaubsregionen?
({6})
- Na klar, mit dem Fahrrad. Diejenigen, die sich nicht so
bewegen können, fahren dann 50 Kilometer mit dem
Fahrrad; das geht schon klar.
Noch immer fehlt - das ist gerade angesprochen worden - eine flächendeckende Breitbandversorgung im
ländlichen Raum,
({7})
sowohl für die Urlauber als auch für die Unternehmen,
die dort tätig sind. Im sogenannten Internetzeitalter sind
das echte Standortnachteile, die sich heutzutage keiner
mehr leisten kann.
Für uns - damit komme ich zum Schluss - sind soziale Gerechtigkeit, gute Löhne für die Beschäftigten,
vernünftige Arbeitsbedingungen und die allgemeine
Erreichbarkeit der Urlaubsziele wichtige Faktoren, die
die Gesellschaft gewährleisten muss.
Herr Paula, eine Bemerkung noch zu Ihnen: Sie haben
gerade angekündigt, unseren Antrag kämpferisch abzulehnen
({8})
- Entschuldigung -, sich zu enthalten. Wir halten Ihren
Antrag für in der Sache richtig, wenn auch ausbaufähig.
Deswegen wird die Linke dem Antrag der SPD zustimmen. Vielleicht können Sie beim nächsten Mal auch über
Ihren Schatten springen.
Vielen Dank.
({9})
Markus Tressel ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere ländlichen Räume sind in unterschiedlichem
Ausmaß von großen Herausforderungen betroffen - die
Kollegen haben es angesprochen -: Wir haben den
demografischen Wandel, die Frage der verkehrlichen Erreichbarkeit, die Misere der kommunalen Haushalte,
aber auch den Klimawandel, den die Destinationen in
den Mittel- und Hochgebirgen schon heute erheblich zu
spüren bekommen. Der Tourismus kann eine wichtige
Rolle dabei spielen, diese Herausforderungen zu bewältigen.
Gestern hat ein Sachverständiger im Tourismusausschuss gesagt: Wir brauchen eine ganzheitliche Destinationsentwicklung im ländlichen Raum. - Das ist richtig.
Wir brauchen Konzepte, die den demografischen Wandel, die Verkehrspolitik, die Klimapolitik, die Energiepolitik und viele weitere Bereiche klug miteinander verknüpfen.
({0})
Wenn A nicht funktioniert, brauchen wir B nicht zu forcieren. Das muss uns vor dem Hintergrund knapper Ressourcen klar sein.
({1})
Für uns stehen zunächst einmal drei Fragen im Mittelpunkt: Wie kann es gelingen, über den Tourismus auch
die regionalen Wirtschaftskreisläufe nachhaltig zu verbessern? Die Regionen profitieren noch deutlich zu wenig, wenn es denn Tourismus gibt. Lediglich 12 Prozent
der touristischen Wertschöpfung werden auf dem Land
generiert, obwohl fast 32 Prozent der Übernachtungskapazitäten hier zu finden sind. Dabei bleiben von 100
umgesetzten Euro nur rund 36 Euro in der Region. Das
ist deutlich zu wenig.
({2})
Die zweite Frage ist: Wie wird die Mobilität nachhaltig im ländlichen Raum? Nur dort, wohin die Menschen
auch gut kommen und wo sie während des Urlaubs auch
ohne Auto mobil sein können, kann nachhaltiger Tourismus wachsen. Wir brauchen einen hochwertigen Schienenfernverkehr in der Fläche, und wir brauchen Projekte,
die verschiedene Mobilitätsformen sinnvoll verknüpfen.
Da hätte die Bundesregierung schon deutlich mehr handeln können.
({3})
Das hat auch etwas mit dem Thema Klimaschutz zu
tun. Dazu habe ich in Ihrem Koalitionsantrag nichts Substanzielles gefunden. Ich glaube, ich habe noch nicht
einmal das Wort „Klima“ oder „Klimaschutz“ in Ihrem
Antrag gelesen. Eine der wichtigsten Fragen in diesem
Zusammenhang lautet: Wie gelingt es, den massiven Investitionsstau in den Betrieben zu beheben? Die Unterbringungsqualität ist vielerorts immer noch ein großer
Hemmschuh für die touristische Entwicklung. In fast
80 Prozent der Landkreise wurde ein Investitionsstau im
Beherbergungsgewerbe festgestellt. Hier liegt die Eigenkapitalquote bei 2,8 Prozent. Sie liegt damit deutlich unter dem vergleichbaren Dienstleistungssektor mit knapp
20 Prozent. Da braucht es konkrete Lösungen.
({4})
- Nein, ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Dazu gehört - darauf haben auch Sie Einfluss -, dass
Hausbanken, Landesbanken und Förderbanken in den
Regionen Tourismusexpertise aufbauen und bedarfsspezifische Angebote für die Tourismuswirtschaft schnüren.
Schulungsprogramme der KfW, die bereits vor Ort stattfinden, müssen tourismusspezifische Belange und Informationen zu Förderprogrammen für die Tourismuswirtschaft aufnehmen.
({5})
Damit werden nicht nur Investitionen angeschoben. Es
ergeben sich langfristig bessere finanzielle Rahmenbedingungen, und das hilft auch bei der Lösung der Nachfolgeproblematik.
({6})
Was man zunächst brauchte, wäre eine ehrliche Bestandsanalyse, eine Grundlagenuntersuchung, wie sie
auch die Kollegen von der SPD und der Linken fordern.
({7})
Eine Bundesstudie zu den Tourismuspotenzialen im
ländlichen Raum in Zusammenarbeit mit den Ländern
wäre hilfreich. Ich weiß, dass die Zusammenarbeit mit
den Ländern nicht immer einfach ist. Aber wir müssen
eine solche Bundesstudie erarbeiten. Der Abschlussbericht des Projekts „Tourismusperspektiven in ländlichen
Räumen“ ist eine Grundlage, die zumindest auch einmal
auf Fragen des Klimawandels eingegangen ist - das haben Sie nicht gemacht - und Bewertungen vorgenommen hat. Das ist eine Grundlage, aber nicht mehr. Da
muss deutlich Fleisch an den Knochen. Dafür stehen wir
zur Verfügung. Wir wollen die touristische Entwicklung
in den ländlichen Räumen voranbringen, aber nachhaltig
und zukunftsgerichtet. Das muss die Prämisse sein. Gute
Worte und Prüfaufträge helfen nicht weiter.
({8})
Nun erhält für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2,9 Millionen Beschäftigte im Tourismus, 4,4 Prozent
der gesamten Bruttowertschöpfung, über 400 Millionen
Übernachtungen, hohe Zuwachsraten - 3 Prozent bei
den inländischen Gästen, 8 Prozent bei den auslän29300
dischen Gästen -, das alles kann sich wahrhaft sehen lassen. Der Tourismus ist einer der Wachstumsmotoren der
deutschen Wirtschaft. Das muss man offensiver darstellen.
({0})
Das ist allerdings kein Selbstläufer. Dafür sind zum einen das Engagement bzw. die Leistungsfähigkeit der
vielen mittelständischen Betriebe und zum anderen die
erfolgreiche Wirtschafts- und Tourismuspolitik dieser
Bundesregierung verantwortlich. Da brauchen wir uns
überhaupt nicht zu verstecken.
({1})
Lieber Herr Tressel, da Sie gerade über Investitionen
im ländlichen Raum geredet haben, sage ich Ihnen: Es
ist unehrlich, dass Sie draußen gegen die Mehrwertsteuersenkung zu Felde ziehen. Die Mehrwertsteuersenkung
hat das größte Modernisierungsinvestitionsprogramm
zur Folge gehabt, das der Tourismus in Deutschland jemals gesehen hat.
({2})
Im ländlichen Raum haben wir Nachholbedarf. Herr
Lutze, es stimmt übrigens nicht, dass generell ein Rückgang zu beklagen ist. In den meisten ländlichen Räumen
haben wir Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings
nicht so hohe. Wir haben gemeinsam mit dem BTW eine
breite Grundlagenuntersuchung durchgeführt. Wir kennen seither die Zahlen. Wir versuchen, gemeinsam mit
den Ländern die entsprechenden Empfehlungen umzusetzen. Das im September 2011 gestartete Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ hat bewusst
einen offenen Ansatz. Wir haben viele Beteiligte zusammengeholt. Kein einziger hat gesagt, er warte auf ein Gesamtkonzept aus Berlin. Das haben alle abgelehnt. Deshalb haben wir einen anderen Ansatz gewählt.
Ich will Ihnen, lieber Herr Tressel und Herr Lutze, eines sagen: Hüten wir uns davor, dass der Staat den Menschen sagt, wo sie Urlaub machen sollen.
({3})
Das ist die freie Entscheidung der Menschen. Damit hat
die Regierung nichts zu tun.
({4})
Wir haben eine breite Untersuchung über innovative
Ansätze, wie sich der ländliche Raum entwickeln kann,
in Auftrag gegeben und die Ergebnisse veröffentlicht.
Wir haben insgesamt 350 Fachleute zusammengeholt
und aus 450 Vorschlägen 30 hervorragende Beispiele ermittelt. Wir haben die Ergebnisse auf Kongressen diskutiert. Außerdem haben wir einen Leitfaden veröffentlicht
- das wurde schon erwähnt -, weiterhin wurden Kurzreports vorgestellt. Wir werden in dieser Richtung weiterarbeiten. Wir werden in Kürze die Sonderstudie „Freizeitparks, Märkte und Volksfeste“ vorlegen. Außerdem
haben wir vor, Ergebnisse auf sogenannten Roadshows
der breiten Öffentlichkeit vor Ort vorzustellen. Das soll
über einen langen Zeitraum erfolgen.
All die Aktivitäten erfolgten zusammen mit dem
Deutschen Reiseverband in enger Kooperation mit dem
BMELV. Ich möchte mich besonders bei dem Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages für die parteiübergreifende Unterstützung und Begleitung bedanken.
({5})
Meine Damen und Herren, wenn wir alles zusammennehmen, dann können wir auch hier selbstbewusst sagen: Das waren vier gute Jahre für Deutschland. Wir
werden diese Politik fortsetzen und zum Aufschwung
des Tourismus und damit der deutschen Wirtschaft weiter beitragen.
Herzlichen Dank.
({6})
Nun erhält der Kollege Christian Hirte das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Dass wir heute über drei Anträge
zum ländlichen Tourismus abstimmen, die uns vorliegen, ist doch eigentlich eher ein Grund zur Freude, weil
das deutlich macht, dass das Thema in allen Fraktionen
präsent ist.
({0})
Deshalb halte ich es bei allen Unterschieden der Positionen zunächst einmal für ein gutes Signal, dass wir uns
einig sind, dass der Tourismusboom in Deutschland
nicht an den ländlichen Regionen vorbeigehen darf.
Umso erstaunter ist allerdings der geneigte Zuhörer,
wenn er den Rednern der Opposition zuhört, die den Anschein erwecken, als wenn beim Tourismus alles im Argen läge. Fakt ist doch - gerade ist es von Herrn
Burgbacher ausgeführt worden -, dass seit Jahren die
Besucherzahlen nach oben schnellen. Deutschland ist
längst nicht mehr nur eine erfolgreiche Exportnation,
sondern mittlerweile auch eine ausgesprochen erfolgreiche Urlaubsdestination, der geneigte Bürger würde sagen: Urlaubsziel.
({1})
Das Motto der Fußballweltmeisterschaft von 2006 ist
heute längst gelebte Realität: „Die Welt zu Gast bei
Freunden“.
({2})
Gleichzeitig sehen wir, dass die ländlichen Destinationen sich sehr unterschiedlich entwickeln. Die Landlust
ist zwar medial allgegenwärtig, aber - positiv formuliert es ist durchaus noch Luft nach oben. Dabei ist Tourismus nicht losgelöst von generellen Entwicklungen im
ländlichen Raum zu betrachten; denn dort spüren wir bereits heute die volle Wucht der demografischen Entwicklung. Das ist schon angesprochen worden. Das heißt, die
ländlichen Räume sind schon heute mitten in einem riesigen strukturellen Wandel. Die Pflege des Tourismus ist
daher eine ganz besonders wichtige Aufgabe, aber zugleich auch eine Chance.
Das war auch der Grund, warum wir uns in dieser
Koalition mit dem gesamten Spektrum des ländlichen
Raums befasst haben. Das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ mit der Dokumentation von
Best-Practice-Beispielen hat viele Leuchttürme und
Ideen ans Licht gebracht. Ingbert Liebing hat das gerade
schon ausgeführt. Wie schon beim Gesundheitstourismus war der Ansatz, Akteure zusammenzubringen, Beispiele herauszustellen und Empfehlungen auszusprechen.
Wir möchten mit unserem Antrag genau das noch einmal erreichen. Es sollen Handlungsempfehlungen und
Praxisleitfäden erstellt werden, damit die Anbieter damit
nachher praktisch umgehen können. Insbesondere die
Themen Fachkräftesicherung und Qualifizierung sind
aus meiner Sicht ganz wichtige Themen. In kaum einer
anderen Branche sind die Herausforderungen auf diesem
Gebiet so groß, und gerade die ländlichen Regionen haben hier besonders zu kämpfen. Positiv zu erwähnen ist
die Deutsche Zentrale für Tourismus, die einer der ganz
zentralen Mosaiksteine für den Erfolg des Deutschlandtourismus ist. Wenn ich an das kommende Jahr denke, in
dem die Weltkulturerbe- und vor allem auch die Weltnaturerbethemen im Mittelpunkt der DZT-Aktivitäten
stehen, dann sehe ich doch, dass hier auch für den ländlichen Raum noch einiges möglich ist, gerade weil die
Weltnaturerbestätten überwiegend in ländlichen Regionen liegen und dabei stärker in den Blick genommen
werden können.
({3})
Einen wichtigen Punkt in unserem Antrag nimmt die
Förderpolitik ein. Wir unterstreichen mit unserem Ansatz, dass beim Tourismus und besonders auch im ländlichen Raum vieles mit vielem zusammenhängt. GAK,
GRW, GAP, ELER, EFRE wurden angesprochen. Mit all
diesen Programmen werden Weichen gestellt, die am
Ende auch für die Tourismusentwicklung unverzichtbar
sind. In der Vergangenheit war es, denke ich, für alle erkennbar immer die Union, die sich gerade für diese Programme starkgemacht hat, die den ländlichen Raum immer hochgehalten hat.
({4})
Wenn ich mir anschaue, wie die Grünen mit ihren
Vorstellungen für die Agrarpolitik in Europa vorangehen, dann muss ich ganz klar sagen: Damit schaden Sie
nicht nur unserer Landwirtschaft, sondern am Ende auch
dem ländlichen Raum insgesamt und damit auch dem
Tourismus in den ländlichen Gebieten.
({5})
Liebe Freunde, auch eine gute Agrarpolitik ist wichtig
für den ländlichen Tourismus. In Ihren Vorstellungen ist
der ländliche Raum aber eher nur der Rückzugsort für
die Boheme vom Prenzlauer Berg als für diejenigen
Menschen, die dort ihr Lebensauskommen finden müssen. Insofern muss er in all unseren Förderprogrammen
Berücksichtigung finden. Dabei muss dann natürlich
auch noch Raum für die touristische Entwicklung bleiben.
Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zu den
Anträgen der SPD und der Linken verlieren. Sie kritisieren beide in Ihren Entwürfen, es bedürfe dringend einer
bundesweiten wissenschaftlichen Untersuchung zum
Tourismus in den ländlichen Räumen.
({6})
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat bereits 2011 - Sie haben es selber angesprochen - seine Studie „Urlaub auf
dem Bauernhof - Urlaub auf dem Lande“ auf den Weg
gebracht. Diese stellt schon eine umfassende Angebotsund Nachfrageanalyse für den ländlichen Tourismus dar.
({7})
Auf die dabei gewonnenen Erkenntnisse über die aktuelle Marktsituation können die heimischen Tourismusanbieter zurückgreifen, gerne auch Sie. Wir wünschen
uns daher ausdrücklich, dass die Studie so wie geplant
alle zwei Jahre fortgeführt wird. Gerade die Kollegen
aus den neuen Bundesländern können einschätzen, wie
wichtig eine solche regelmäßige Untersuchung ist. Mithilfe des Barometers der Sparkassen erkennen wir, dass
es erfolgreiche Ergebnisse gibt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss: Was wir brauchen, ist also nicht ein KleinKlein, sondern ein umfassender Ansatz für den gesamten
ländlichen Raum.
({8})
In diesem Sinne legen wir unseren Antrag vor. Wir
wollen weiteren Vorschub leisten, damit der Tourismus
prosperieren kann. Dafür bitte ich um die Unterstützung
natürlich des gesamten Hauses.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf der Drucksache 17/12573.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf der Drucksache
17/9570 mit dem Titel „Tourismus in ländlichen Räumen - Potenziale erkennen, Chancen nutzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/9571 mit dem Titel „Tourismus in ländlichen
Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheiten angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 9 b.
Hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/12926, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/11373 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft
({0})
- Drucksache 17/12531 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Möchte jemand länger debattieren? - Das ist jedenfalls nicht erkennbar. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Swen Schulz für die SPD-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation
derjenigen, die in der Wissenschaft arbeiten, hat uns alle
im Ausschuss für Bildung und Forschung in den letzten
Jahren immer wieder beschäftigt. Vor allem am wissenschaftlichen Nachwuchs muss uns gelegen sein. Wir
brauchen ihn für die Lehre an den Hochschulen. Immer
mehr Leute wollen studieren - das ist wunderbar -; aber
sie müssen natürlich auch gut und kompetent ausgebildet
werden. Außerdem benötigen wir Forscherinnen und
Forscher, die uns voranbringen, die uns in den verschiedenen Bereichen Problemlösungen anbieten.
({0})
Tatsächlich hat gerade auch der Bund seit etwa
15 Jahren erheblich dazu beigetragen, dass in der Wissenschaft aufgebaut wurde. Trotzdem müssen wir uns
Sorgen um den wissenschaftlichen Nachwuchs machen.
Denn Wissenschaft als Beruf droht unattraktiv zu werden. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen durch
schlechte Arbeitsbedingungen, durch einen Mangel an
Perspektiven abgeschreckt werden.
({1})
Ich möchte etwas aus einer von der Bundesregierung
in Auftrag gegebenen Studie zitieren - es handelt sich
um die Aussage einer jungen Naturwissenschaftlerin, die
an einer Universität beschäftigt war -:
Die Gefahr, nach jahrelangem „Durchschlagen“ auf
befristeten Stellen und einem gewissen „Berufsnomadentum“ am Ende keine permanente Stelle zu
bekommen, ist hoch. Das Risiko, diesen Weg zu gehen, ist mir persönlich zu hoch, auch wenn ich die
Arbeit in der Wissenschaft mag.
An diesem Beispiel ist zu sehen, dass wir Menschen
verlieren, dass wir ihre Kompetenzen verlieren. Das
können wir nicht einfach hinnehmen.
({2})
Gerade heute ist der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht worden. Die Befunde sind eindeutig. Es gibt einige positive Entwicklungen. Doch die Sorge um die Zukunft zieht sich wie ein
roter Faden durch den Bericht. Der Befristungsanteil bei
den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist auf 90 Prozent - 90 Prozent! ({3})
im Jahr 2010 angestiegen. Teilzeitbeschäftigung nimmt
zu, ebenso die Drittmittelfinanzierung. Das ist eine Fehlentwicklung. Wir müssen den Menschen in der Wissenschaft Perspektiven geben.
({4})
Darum bringt die SPD-Bundestagsfraktion heute den
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft
ein, mehr oder weniger kurz: Wissenschaftszeitvertragsänderungsgesetz. Ziel ist, Missbrauch bei Befristungen
von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft zu verhindern,
die Situation der Beschäftigten zu verbessern und somit
letztlich Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten.
({5})
Swen Schulz ({6})
Mit diesem ausformulierten Gesetzentwurf wollen wir
erreichen, dass nach langen, mehrfachen Debatten im
Plenum des Bundestages und im Ausschuss endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden,
({7})
und zwar noch vor den Bundestagswahlen.
({8})
Weil wir wissen, dass wir hier im Bundestag nicht die
Mehrheit haben, jedenfalls noch nicht,
({9})
ist dieser Gesetzentwurf ausdrücklich ein Angebot an die
Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP. Wir hoffen,
dass sie in diesem Fall ausnahmsweise unsere Initiative
nicht abtun, nicht in Bausch und Bogen ablehnen. Vielmehr setzen wir darauf, dass sie dieses Problem ebenfalls sehen und dass sie mit uns über unseren Vorschlag
reden. Eine schnelle gemeinsame Verbesserung der Situation der Betroffenen würde uns freuen.
({10})
Worum geht es im Einzelnen? 2007 hat die damalige
Große Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
verabschiedet. Weil das ein schwieriges Feld ist, wie wir
auch in der Zeit davor erfahren durften, haben wir
gleichzeitig gesagt, dass die Auswirkungen des Gesetzes
evaluiert werden sollen. 2008 wurde diese Evaluation
von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. 2011 lag
sie dann vor. Aber leider wurden bis heute keine Konsequenzen daraus gezogen.
({11})
Der Bericht stellte fest, dass sich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zwar insgesamt bewährt hat. Aber
schon zu diesem Zeitpunkt war der Trend zu Befristungen unübersehbar:
({12})
83 Prozent war der Befristungsanteil damals; in gut der
Hälfte der Befristungen lag die Vertragslaufzeit unter einem Jahr; Probleme bei der Familienkomponente, also
bei der Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten; uneinheitlicher Umgang mit studentischen Arbeitszeiten. In der Studie kommt neben den nackten
Zahlen auch sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Leute
Perspektiven haben wollen, dass sie schon im Interesse
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Planbarkeit des
Berufsweges wünschen.
Diese Ergebnisse der Evaluierung, aber auch viele
Diskussionsrunden, Beratungen, Gespräche mit Betroffenen haben uns dazu geführt, konkrete Vorschläge zur
Gesetzesänderung zu machen. Dass der „Bundesbericht
Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ uns heute so eindrücklich bestätigt, ist zwar in der zeitlichen Parallelität
Zufall, doch in der Sache war das leider absehbar.
({13})
Unsere Gesetzesnovelle hat zum Ziel, die arbeitsrechtliche Position der Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb zu stärken, Mindestlaufzeiten bei Befristungen
zu definieren und den Tarifpartnern Handlungsmöglichkeiten zu geben. Damit sollen insbesondere unbegründete kleinteilige Befristungen an Hochschulen sowie außeruniversitären Einrichtungen verhindert werden. Auch
der Schutz der Promovierenden vor einer Ausnutzung
muss verbessert werden.
({14})
Die wichtigsten Regelungsinhalte will ich kurz benennen:
In der Promotionsphase wollen wir Befristungen nur
dann erlauben, wenn entsprechende Betreuungsvereinbarungen abgeschlossen werden.
({15})
Darin sind die Rechte und Pflichten der Promovierenden
festzulegen, und es ist insbesondere das Qualifizierungsziel zu gewährleisten.
In der Phase nach der Promotion sollen die Vertragslaufzeiten regelmäßig mindestens zwei Jahre betragen.
Bei Drittmittelbefristungen schlagen wir vor, die
Laufzeiten an die Dauer der Mittelbewilligung anzugleichen. Bei Bewilligungen von über zwei Jahren müssen
die Verträge mindestens 24 Monate laufen. Das ist im
Übrigen ein Punkt, über den wir gern noch diskutieren
können. Einige Bundesländer wollen da sogar noch weiter gehen. Das überlassen wir dann den Ausschussberatungen.
Wir wollen darüber hinaus auch das nichtwissenschaftliche Personal, also etwa technische Mitarbeiter,
schützen. Das ist eine Gruppe, die wir nicht vergessen
dürfen, Kolleginnen und Kollegen.
Die bisher unterschiedliche Auslegungspraxis bei den
studentischen Arbeitszeiten wollen wir studierendenfreundlich vereinheitlichen.
Bei der Anrechnung von Eltern-, Betreuungs- oder
Pflegezeiten wollen wir ebenfalls Verbesserungen erreichen.
Schließlich wollen wir die Tarifsperre abschaffen,
Kolleginnen und Kollegen.
({16})
Die gesetzliche Festlegung, dass Gewerkschaften und
Arbeitgeber hier nichts zu sagen haben, ist falsch und
gehört abgeschafft.
Unser Entwurf schafft einen neuen, tragfähigen Ausgleich zwischen den Befristungsbedarfen im Wissenschaftsbetrieb auf der einen und den Interessen der
Beschäftigten auf der anderen Seite. Er leitet die Arbeitgeber an, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen
beschäftigtenfreundlicher einzusetzen. Es muss eben
auch hier der sozialdemokratische Grundsatz der guten
Arbeit gelten. Nur mit Perspektiven und nur mit guten
Swen Schulz ({17})
Arbeitsbedingungen können wir die Leute gewinnen,
und nur so können diese auch die exzellenten Leistungen
abliefern, die wir von ihnen sehen wollen. Das wollen
wir erreichen: gute Arbeit, auch in der Wissenschaft.
({18})
Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss möchte
ich noch einmal ausdrücklich die Koalitionsfraktionen
von CDU/CSU und FDP
({19})
ansprechen. In der gestrigen Ausschusssitzung hatten
wir Professor Strohschneider zu Gast; Sie erinnern sich
natürlich: früher Wissenschaftsrat, jetzt DFG.
({20})
Er hat unter anderem das Thema „Perspektiven für den
wissenschaftlichen Nachwuchs“ angesprochen. Kollege
Rupprecht, ich fand, dass Sie in der Ausschussdiskussion sehr vernünftig auf dieses Thema eingegangen sind.
({21})
Das nehme ich einmal durchaus als Ermutigung.
Unsere Initiative kann ein Beitrag zur Verbesserung
der Situation sein. Darum meine Bitte: Treten Sie in ein
konstruktives Gespräch über unseren Gesetzentwurf ein!
Vielen Dank.
({22})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Tankred Schipanski das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute einen Entwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.
({0})
Darin fordert die SPD lediglich drei Punkte, lieber Herr
Schulz, nämlich eine verbindliche Einführung von Betreuungsvereinbarungen, eine Mindestvertragslaufzeit
von zwei Jahren für Arbeitsverträge nach der Promotionsphase für wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Personal sowie die Streichung der Tarifsperre. Es
wird Sie nicht überraschen, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen werden ({1})
trotz Ihres großen Prosavortrags, den wir jetzt acht Minuten hören konnten.
({2})
Ich darf Ihnen das ganz sachlich begründen, lieber Herr
Schulz. Sie reagieren mit diesem Gesetzentwurf auf die
HIS-Studie „Wissenschaftliche Karrieren“ aus dem Jahr
2011. Diese Studie sagt uns, dass die Nachwuchswissenschaftler die Bedingungen und Inhalte ihrer Arbeit
durchaus positiv einschätzen. Das haben sie genannt:
Arbeitsausstattung, Möglichkeiten der fachlichen Weiterentwicklung, das Arbeitsklima.
Zwei ganz konkrete Problemfelder zeigt uns die Studie, nämlich erstens die Betreuung von Doktoranden und
zweitens die Planbarkeit der Karriere insbesondere für
Postdocs in einem ganz bestimmten Lebensalter. Für
diese Felder galt es politische Lösungsvorschläge zu entwickeln. Die Antwort darauf haben wir, die Koalitionsfraktionen, mit unserem Antrag auf Drucksache 17/9396
({3})
mit dem Titel „Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“ gegeben.
({4})
- Den Antrag haben Sie nicht verstanden? Dann sollten
Sie ihn noch einmal lesen;
({5})
denn wir haben den im Ausschuss und hier im Plenum
sehr gut diskutiert.
Ihre Antwort, eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sowie die Einführung sogenannter
Betreuungsvereinbarungen, greift zu kurz bzw. ist schon
ganz gängige Praxis. In Selbstverpflichtungserklärungen
der Hochschulen sowie im sogenannten Code of
Conduct der außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind die von Ihnen geforderten Betreuungsvereinbarungen schon längst Praxis.
({6})
Die Doktorandenausbildung wird oftmals in Promotionskollegs oder Graduiertenschulen durchgeführt.
Diese werden Stück für Stück ausgebaut. Der Bund fördert dies auf einem sehr hohen Niveau. In allen außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben wir bereits
eine strukturierte Ausbildung. Die Hochschulen und Fakultäten können dies jederzeit organisieren und einrichten. Der Bund steht hier überhaupt nicht im Wege, vielmehr fördert er das ganz aktiv durch sehr, sehr viele
Programme.
({7})
Meine Damen und Herren, der zweite Problembereich
sind die Karriereplanung und die teils überbordende Befristungspraxis, die mancherorts praktiziert wird. Hier
greift eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes einfach zu kurz. Bezüglich der Befristungspraxis
haben sich die Hochschulen bereits im April 2012 im
Rahmen eines HRK-Beschlusses mit dem Titel „LeitliTankred Schipanski
nien für die Ausgestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliches Personal“ verpflichtet, die unrühmliche Befristungspraxis zu ändern. Dabei
lässt sich dieser Leitlinie entnehmen, dass grundsätzlich
die Vertragslaufzeiten an die Laufzeit der Projekte bzw.
an die entsprechende Qualifikationsphase zu koppeln
sind. Konkretisierungen sind dabei bei der Problematik
des Stellensplittings in Einheiten von weniger als einer
halben Stelle noch notwendig. Ein derartiges Stellensplitting ist stellenweise nicht zielführend.
Übrigens sind dies alles Forderungen aus unserem
Koalitionsantrag, den ich eingangs erwähnt hatte, zur
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben dies wiederum konsequent in ihren Code of Conduct
aufgenommen.
Ich darf zudem festhalten, dass es für Übergangsfinanzierungen und Ähnliches durchaus sinnvoll sein
kann, dass ausnahmsweise für einen Übergang in ein anderes Arbeitsverhältnis auch einmal ein Arbeitsvertrag
für nur ein halbes Jahr abgeschlossen wird, eine Flexibilität, die der SPD-Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt.
({8})
Sie nehmen zudem plötzlich nichtwissenschaftliches
Personal in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes
auf. Dabei zeigt uns die Praxis ganz eindeutig: Wenn die
Unis sparen, sparen sie als Erstes immer beim wissenschaftlichen Personal, weil wir da befristete Verhältnisse
haben, und eben nicht bei den unbefristeten Arbeitsverhältnissen des nichtwissenschaftlichen Personals.
Meine Damen und Herren, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist kein Gesetz, mit dem auf die Gestaltung
der Personalstruktur und der Karrierepfade Einfluss genommen werden kann. Auch Ausprägung und Wahrnehmung der Personalverantwortung der Hochschulen werden nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt.
({9})
Wir verfolgen einen anderen Ansatz, der deutlich tiefer greift und auch einen Wandel der Personalstrukturen
und Qualifizierungsstrukturen an den Hochschulen umfasst. Zu diesen Punkten trägt Ihr Gesetzentwurf nichts
Erhellendes bei.
Ich empfehle noch einmal unseren Koalitionsantrag,
und ich empfehle Ihnen einen Blick auf die TU München, die die Grundidee unseres Antrags bereits in die
Praxis umgesetzt hat.
Lieber Herr Schulz, Sie haben unsere Diskussion zum
Hochschulpakt von gestern erwähnt. Ich kann die Länder und die Hochschulen nur erneut ermahnen, die Planungssicherheit, die der Bund den Ländern und den
Hochschulen bis 2018 gibt, nunmehr an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschulen weiterzugeben.
Der heute veröffentlichte Bundesbericht - Herr
Schulz, Sie haben ihn erwähnt - bestätigt genau die Erkenntnisse, die ich Ihnen hier heute dargeboten habe. In
ihm wird nochmals ausdrücklich festgestellt, dass die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine
Querschnittsaufgabe von Bund und Ländern ist.
({10})
Der Bund engagiert sich in drei zentralen Bund-LänderProgrammen: Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Pakt
für Forschung und Innovation. Darüber hinaus engagiert
er sich beim DAAD, bei der AvH und den Begabtenförderungswerken.
Im Bericht wird auch festgestellt, dass die wichtige
Personalkategorie der „Nachwuchsgruppenleiter“, wie
wir sie von Emmy-Noether- oder Heisenberg-Programmen kennen, weiter ausgebaut werden muss.
Der Bericht, meine Damen und Herren, macht eines
ganz deutlich - damit will ich schließen -: Die Personalstruktur ist in den Landeshochschulgesetzen geregelt
und eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz.
Vielen Dank.
({11})
Jetzt hat die Kollegin Petra Sitte das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Ihrem Gesetzentwurf, geehrte Kolleginnen und Kollegen
der SPD, kann ich Sie nur beglückwünschen. Immerhin
wollen Sie die problematischsten Regelungen aus dem
Wissenschaftszeitvertragsgesetz korrigieren. Das ist
dringend notwendig. Das Besondere daran ist, dass Sie
an diesem Problem einen eigenen Anteil haben.
Bereits 2002 wurde unter Ministerin Bulmahn die
sachgrundlose Befristung für den wissenschaftlichen
Nachwuchs eingeführt. Fünf Jahre später haben Sie
diese dann mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz
rechtlich betoniert. Bis zu Ihrer heutigen Einsicht, dass
diese Regelungen in die falsche Richtung gehen, hat sich
beinahe eine ganze Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit herumschlagen müssen,
hat sich von Vertrag zu Vertrag bis an die berüchtigte
Zwölfjahresgrenze heranhangeln müssen.
Nun gut, wir wollen nicht nachtragend sein und nur
zurückschauen,
({0})
sondern tapfer nach vorne schauen. Da fällt unser Blick
auf die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Sie haben diese Studie schon erwähnt. Diese hat die
Realität des wissenschaftlichen Prekariats in diesem
Land schonungslos offengelegt. Sie haben selber erwähnt, dass über 90 Prozent der Verträge befristet sind
und weit über die Hälfte dieser Verträge kürzer als ein
Jahr dauern.
({1})
Das muss man sich einmal vorstellen: im Wissenschaftsbereich! Solche Laufzeiten haben mit den einstigen Begründungen des Gesetzgebers für die Befristung überhaupt nichts mehr zu tun.
({2})
Weder Promotionen noch Habilitationen noch Drittmittelprojekte haben derart kurze Laufzeiten.
({3})
Das Befristungsunwesen an unseren Hochschulen
und Instituten hat sich mittlerweile völlig verselbständigt. Dieser Missbrauch gesetzlicher Möglichkeiten hat
überhaupt keine wissenschaftsgeleiteten, sondern ausschließlich finanzielle Gründe. Ministerin Wanka hat
dieses Phänomen unlängst im Ausschuss ironisch, aber
völlig zutreffend als haushalterisches Sicherheitsbedürfnis der Hochschulen und Forschungseinrichtungen bezeichnet.
({4})
Mit befristetem Personal lässt sich natürlich viel flexibler umgehen als mit dauerhaft Beschäftigten.
({5})
- Ich weiß es sehr genau. Das sagt jetzt der Richtige.
Lieber Gott, da wird über Jahre ignoriert, was passiert,
({6})
und jetzt sagen Sie mir, ich wüsste es besser. Ja, ich weiß
es besser als Sie. Das sage ich einfach.
({7})
Je kürzer also die Verträge, desto beweglicher ist die
personelle Verschiebemasse. Das ist der Punkt. Dieser
zynischen, aber eben auch rationalen Logik folgt das
Wissenschaftsmanagement - erst recht in Zeiten explodierender Drittmittel oder von Exzellenzwettbewerben.
Diese provozieren geradezu kurzfristige Reaktionen auf
Ausschreibungen. Damit ist der Arbeitsplatz Wissenschaft ziemlich unattraktiv geworden. Wen heute der
Wunsch, zu forschen und zu lehren, treibt, der oder die
ist gezwungen, sich auf diese Arbeitsbedingungen einzulassen, sich quasi auszuliefern. - Gott sei Dank aber
nicht mehr widerstandslos, denn der Widerstand hat sich
geregt und organisiert.
({8})
Nur 27 Prozent der befristet Beschäftigten an den
Hochschulen zeigten sich zufrieden mit der Arbeitsplatzsicherheit - so viel zu besagter Studie, Herr Tankred
Schipanski.
({9})
Noch negativer wurden die Planbarkeit der Berufswege,
die Aufstiegsmöglichkeiten und erst recht die Familienfreundlichkeit bewertet. Ich habe schon die abenteuerlichsten Geschichten über Kettenverträge, gestückelte
Verträge oder auch über Menschen gehört, die ganz ohne
Bezahlung an den Universitäten und Hochschulen unterrichten, nur um ihre Lehrberechtigung zu behalten. Viele
von ihnen kippen dann durchaus in Hartz IV.
Aber diese Koalition ficht das, wie wir gerade gehört
haben, überhaupt nicht an. Sie will trotz dieser alarmierenden Signale am Wissenschaftszeitvertragsgesetz gar
nichts ändern. Ihr fast vergessener Antrag zur Nachwuchsentwicklung, der immerhin einige wenige untergesetzliche Regelungen vorsah, schmort seit gut einem
Jahr im parlamentarischen Verfahren.
({10})
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließen.
Es liegt auf der Hand: Diese vier Jahre Schwarz-Gelb
waren für den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem
Land vier verlorene Jahre.
({11})
Nutzen Sie den Gesetzentwurf der SPD, um daran etwas
zu ändern.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Herr Professor Martin
Neumann für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Kollege Schulz, Sie haben recht: Das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat sich bewährt. Das
haben Sie hier ja ganz deutlich gesagt. Das belegen nicht
nur uns vorliegende Studien, sondern auch der Evaluationsbericht der HIS, der Hochschul-InformationsSystem GmbH, den der Gesetzgeber gefordert und vor
allen Dingen auch ermöglicht hat. Das belegt auch die
öffentliche Anhörung von Experten im Bildungsausschuss zum Evaluationsbericht am 30. November 2011.
Die Bewährung des Gesetzes hat sich auch in der Praxis
und in der täglichen Erfahrung im Wissenschaftsbereich
gezeigt. Das kann ich aus eigener Erfahrung hier bestätiDr. Martin Neumann ({0})
gen, ebenso aufgrund vieler Gespräche mit Forschungseinrichtungen.
Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Punkte eingehen:
Erstens. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat eine
wissenschaftsadäquate Grundlage geschaffen. Mit dem
Gesetz wurde vor allen Dingen Rechtssicherheit geschaffen, insbesondere im Bereich der Drittmittelforschung, Rechtssicherheit nicht nur für die Institutionen,
sondern gerade auch für die Beschäftigten und die Nachwuchswissenschaftler. In der Anhörung im Ausschuss
wurde deutlich - Sie alle waren dabei -, dass das vorliegende Gesetz das wichtigste Instrument im Hinblick auf
die Fähigkeit einer Wissenschaftseinrichtung zur personellen Erneuerung ist.
({1})
Aus der Praxis weiß ich, dass die wissenschaftliche
Qualifizierung wie auch das wissenschaftliche Arbeiten
nicht nur Planbarkeit benötigen.
({2})
Es braucht auch einen gewissen Druck durch ein verantwortungsvolles Personalmanagement. Die Rede von
Leistungsstreben durch Befristungsregeln ist daher nicht
von vornherein eine hohle Phrase, sondern in der wissenschaftlichen Praxis durchaus üblich.
Einige der von Ihnen vorgelegten Änderungsvorschläge, meine lieben Kollegen von der SPD, würden jedoch auf keinen Fall Verbesserungen bewirken. Wenn
Sie zum Beispiel Mindestvertragslaufzeiten von 24 Monaten einfordern, blockieren Sie aus meiner Sicht einen
dynamischen Prozess, der Flexibilisierungsmöglichkeiten benötigt.
({3})
In der wissenschaftlichen Qualifizierung, meine Damen
und Herren - das wissen wir auch aus Erfahrung -, ist es
notwendig, den Vertrag auch mal, Frau Sitte, um sechs
Monate oder um zwölf Monate zu verlängern, um
beispielsweise die Promotion bei einer Überziehung des
geplanten Zeitraums von drei Jahren abschließen zu können.
({4})
Würde man aber jetzt einen Zweijahresvertrag schließen
- das wollen Sie ja; das haben Sie so geschrieben -, dann
würde man Zeit verschenken, nämlich dadurch, dass ein
weiterer Promovend, der in den Startlöchern steht, keinen Vertrag erhält, oder dadurch, dass der Promovend
aufgrund des fehlenden Drucks an der Stelle
({5})
selbst nach weiteren 24 Monaten wieder vor dem gleichen Dilemma steht, die Promotion um ein halbes Jahr
verlängern zu müssen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliches Arbeiten, meine Damen und Herren, können eben
in keine Schablone gepresst werden. Das steht übrigens
auch im HIS-Evaluationsbericht; Sie sollten ihn genau
lesen. Wo die linke Seite des Hauses einen Beleg für die
Ausbeutung des Wissenschaftlers sieht, nämlich eine
prekäre Beschäftigungssituation - Sie haben es gerade
gesagt, Frau Sitte -, zeigt sich dagegen in den Stellungnahmen der Wissenschaftseinrichtungen, dass man hier
völlig flexibel auf persönliche, individuelle Lebensläufe
reagiert hat.
Ich sage an der Stelle: Es wäre viel besser, wenn Sie
zukünftig die Daten, die dazu vorliegen, nicht frei interpretieren würden, sondern sich zumindest informieren
würden. Denn der Grund für die Befristungsquoten liegt
eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Die
Gründe liegen aus meiner, aus unserer Sicht
({6})
in der zunehmenden Drittmittelfinanzierung, in den
Hochschulpakten I und II, vor allen Dingen auch in der
Exzellenzinitiative.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
verwechseln in Ihrem Antrag Ursache und Wirkung, so
scheint es zumindest, wenn ich die Problembeschreibung auf der ersten Seite Ihres Antrags lese. Ich denke
da zum Beispiel an Formulierungen zu Qualität, Betreuung und Beratung. Das haben Ihnen auch die Experten in
der Anhörung ins Stammbuch geschrieben.
({7})
Mit einer Änderung der gesetzlichen Regelungen kurieren Sie die Probleme nicht, sondern Sie verschärfen sie,
oder - viel schlimmer - Sie verschieben sie auf ein anderes Feld.
({8})
Das Problem liegt vor allem in der nicht mit den Aufgaben und Anforderungen in gleichem Maße gewachsenen institutionellen Finanzierung der Hochschulen. Ich
weiß, Sie wollen es nicht hören, Sie wollen es auch nicht
verstehen.
({9})
Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir es leid sind, Sie immer auf die Möglichkeiten einer Änderung von Art. 91 b
Grundgesetz hinzuweisen. Ermöglichen Sie uns die Mitfinanzierung der Hochschulen! Dann entschärfen Sie das
Problem, über das wir hier diskutieren.
({10})
Dr. Martin Neumann ({11})
Zweiter Punkt. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
verhindert keine unbefristete Anstellung. Vielmehr - das
will ich an dieser Stelle deutlich sagen - ermöglicht es
viele zweckkonforme Beschäftigungsformen und Perspektiven für junge Wissenschaftler. Ich erinnere da
gerne an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die zum Teil schon jetzt ein verantwortungsvolles
Personalmanagement pflegen oder dies in Kürze einführen.
Ich kann daher nur an alle Wissenschaftseinrichtungen appellieren und empfehlen, mit befristeten Arbeitsverträgen sorgsam umzugehen und sie vor allen Dingen
an die Laufzeit von Forschungsprojekten anzulehnen.
({12})
Dann wird sich auch der letzte Fall, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, für den Sie irgendwelche
Änderungsvorschläge herbeizitiert haben, erledigen.
({13})
Ich sage aber auch ganz deutlich, Herr Schulz: Über einige andere Vorschläge - beispielsweise haben Sie auf
die unterschiedliche Anrechnungspraxis hingewiesen wird man reden können. Damit werden wir uns auch
auseinandersetzen.
Vielen Dank.
({14})
Jetzt hat Krista Sager das Wort für die Fraktion Bündnis 90/die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbst
wenn man berücksichtigt, dass ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität in der Wissenschaft normal ist, muss
man feststellen, dass die Beschäftigungsbedingungen für
junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler inzwischen völlig aus dem Ruder gelaufen sind.
({0})
Der Bericht, der uns gerade heute vorgelegt wurde,
zeigt, dass die Balance zwischen unbefristeten und befristeten Beschäftigungsverhältnissen längst nicht mehr
gegeben ist. Wir reden hier nicht nur von jungen Menschen, die promovieren, wir reden zum Teil von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre
Promotion längst absolviert haben.
({1})
Wir müssen dieses Problem endlich in den Blick nehmen. Die Laufzeiten der Arbeitsverträge werden immer
kürzer; die Personalstrukturen sind völlig unausgewogen; es gibt keinerlei Planbarkeit, geschweige denn
Familienfreundlichkeit.
({2})
Stattdessen gibt es Unsicherheit und Abhängigkeit, zum
Teil bis ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein.
({3})
Herr Schulz hat vollkommen recht: Diese unsicheren
Perspektiven gefährden inzwischen die gute Qualität und
die Zukunft unseres Wissenschaftssystems,
({4})
weil sich inzwischen immer mehr junge Menschen Alternativen in der Wirtschaft oder im Ausland suchen
werden. Sie, Herr Schipanski, sollten sich nicht weiter
darauf verlassen, dass sich die jungen Menschen aufgrund ihrer hohen Motivation, die Sie hier zu Recht beschrieben haben, beliebig weiter ausbeuten lassen. Das
wird auf Dauer nicht funktionieren.
({5})
Sicherlich gibt es nicht nur eine Ursache, und es gibt
deswegen zum Glück auch nicht nur eine Handlungsmöglichkeit. Man kann bei einer Verbesserung der
Grundfinanzierung der Hochschulen ansetzen. Der
Bund könnte dafür eine höhere Verantwortung bei der
gemeinsamen Forschungsfinanzierung übernehmen.
Man könnte bei einer besseren Balance zwischen Drittmittelquote und Grundfinanzierung ansetzen.
({6})
Natürlich brauchen wir auch ein verantwortungsvolles
Personalmanagement an den Hochschulen.
({7})
Wir brauchen eine verbesserte Personalstruktur, aber
auch Anreize, damit jenseits der Vollprofessur mehr Beschäftigungsverhältnisse für selbstständig Arbeitende
geschaffen werden.
({8})
Wir brauchen auch einen Code of Conduct und Selbstverpflichtungen in Bezug auf Mindeststandards bei den
Beschäftigungsverhältnissen und den Laufzeiten.
({9})
Der Bund, Herr Schipanski, hat in den letzten Jahren
sehr viel Geld für das Wissenschaftssystem in die Hand
genommen, aber die Probleme der jungen Menschen in
der Postdoc-Phase, nach der Promotion, hat der Bund
überhaupt nicht in den Blick genommen.
({10})
Sie haben dieses Problem erst jahrelang geleugnet. Dann
kamen Sie ganz schnell mit einem Antrag, demzufolge
alle Probleme nur an die Hochschulen und die Länder
delegiert werden sollen.
({11})
Sie können auf Bundesebene genauso dazu beitragen,
dass man dieses Problem in den Griff bekommt.
({12})
Dazu gehört auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. 2007 konnte man sich vielleicht noch einreden,
dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für eine Balance zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen sorgen würde. Aber jetzt wissen wir definitiv:
Das Gegenteil ist der Fall. Die Sache ist aus dem Ruder
gelaufen. Deswegen muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert werden. Dazu gibt es seit Jahren
Vorschläge. Im Bundesrat liegt jetzt ein Gesetzesantrag
vor, der von den rot-grün geführten Bundesländern eingebracht wurde,
({13})
und hier liegt ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vor.
Das gibt Ihnen jetzt noch einmal Bedenkzeit. Sie können
diese Gnadenfrist nutzen,
({14})
um mit uns im Ausschuss darüber zu diskutieren, an
welchen Stellschrauben bei diesem Gesetz wir drehen
müssen, damit zum Beispiel familiäre Belastungen besser berücksichtigt werden.
({15})
Wir müssen an einigen Stellschrauben drehen, damit
auch dieses Gesetz dafür sorgen kann, dass unsere jungen Leute in der Wissenschaft eine bessere Perspektive
bekommen.
({16})
Jetzt hat das Wort der Kollege Florian Hahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über einen Gesetzentwurf der SPD zur Änderung des Gesetzes über befristete
Arbeitsverträge in der Wissenschaft.
Wie passend, dass heute der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht wurde. Er
bescheinigt dem Bund eine erfolgreiche Politik für den
wissenschaftlichen Nachwuchs und zeigt wichtige
Handlungsfelder auf. Das ist richtig und wichtig; denn
die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ist zu einem
großen Teil abhängig von der Absicherung unserer Innovationskraft. Sie ist Grundlage und Motor unseres globalen Erfolgs. Der wissenschaftliche Nachwuchs spielt dabei eine essenzielle Rolle.
({0})
Er fungiert als Schnittstelle zwischen Ausbildungs- und
Forschungsfunktion des Hochschulsystems. An den
Hochschulen und Forschungseinrichtungen unseres Landes wird heute der Grundstein für den wirtschaftlichen
und damit auch für den sozialen Erfolg von morgen gelegt.
Die Sorgen und Nöte der wissenschaftlichen Elite
sollten uns daher beschäftigen. Wir, die christlich-liberale Koalition, nehmen uns dieser an und wollen die nötigen Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen
Nachwuchs schaffen. Dabei müssen wir uns auch an den
Bedürfnissen der jungen Menschen orientieren.
({1})
Anstellungskonditionen, Aufstiegsmöglichkeiten, berufliche und familiäre Planbarkeit sind dabei wichtige Aspekte.
Die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt und der
Pakt für Forschung und Innovation konnten die Beschäftigungssituation und die -bedingungen nachhaltig verbessern. Die Zahl der an den Hochschulen hauptberuflich wissenschaftlich Tätigen hat sich seit 2005 um
29 Prozent auf knapp 200 000 erhöht. So unattraktiv
kann das Angebot also nicht sein.
({2})
Promotionskollegs und Graduiertenschulen sorgen für
eine bessere Struktur bei der Doktorandenausbildung.
Das aktuelle System setzt auf Mobilität und Flexibilität
und nicht auf verkrustete Strukturen.
({3})
Der unabhängige „Bundesbericht Wissenschaftlicher
Nachwuchs 2013“ bescheinigt uns, dass die Durchlässigkeit des Qualifizierungssystems der Zukunftsfähigkeit dient. All das sind Ergebnisse und Verdienste CDU29310
und CSU-geführter Wissenschafts- und Forschungspolitik.
Es gibt die Möglichkeit zum Wechsel und zum Wiedereinstieg. Das System toleriert Unterbrechungen, setzt
auf Eigeninitiative und lässt Raum für langfristige Erfolge.
({4})
Die Urteile zur Arbeitszufriedenheit und Motivation fallen dank dieser Eigenschaften überwiegend positiv aus.
Natürlich ist dieses System noch nicht perfekt.
({5})
Die derzeitig übermäßige Anzahl von Kurzzeitbefristungen muss verringert werden. Diese Koalition hat dieses
Thema bereits angesprochen und die Wissenschaft zum
Handeln aufgefordert.
({6})
Wir werden die Entwicklung genau beobachten. Wenn
sich nichts ändert, werden wir dafür sorgen, dass sich etwas ändert.
Bei allen Bemühungen, die Rahmenbedingungen zu
verbessern, dürfen wir wichtige Aspekte nicht außer
Acht lassen. Ein zu starker Eingriff wäre für die Innovationskraft und die Flexibilität des derzeitigen Systems
schädlich. Die Forderung der SPD nach Aufhebung der
Tarifsperre ist dafür ein gutes Beispiel. Sie würde mit
Rasenmähermethode viele Möglichkeiten und Chancen,
besonders bei drittmittelbefristeten Stellen kaputtmachen.
({7})
Die Folgen wären weniger Anstellungen und eine langfristige Schwächung des gesamten Systems.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wenn Sie
wirklich etwas für die Hochschulen tun wollen, sollten
Sie handeln. Ändern Sie mit uns Art. 91 b Grundgesetz.
({8})
Dies wäre ein effektives Mittel, um den finanziellen
Engpässen an Hochschulen ein Stück weit entgegenzuwirken. Lassen Sie uns hier Nägel mit Köpfen machen,
Herr Schulz! Das wäre richtig und angebracht.
({9})
Liebe Kollegen, die Hochschulen selbst sind deutlich
kreativer als die Opposition. Mehrere Universitäten haben begonnen, die derzeitigen Rahmenbedingungen zu
nutzen. Sie konzipieren wirklich attraktive Konzepte für
ihren Nachwuchs. Die TU München - sie wurde heute in
diesem Zusammenhang schon einmal genannt - hat ein
Karrieremodell entwickelt, das Postdocs mithilfe attraktiver Aufstiegsaussichten an der Universität hält. Das
zeigt die Möglichkeiten im aktuellen System. Eine zu
starke Regulierung würde der Flexibilität die Grundlage
entziehen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12531 an die Ausschüsse vor-
geschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Zusatzpunkt 6:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Neunzehntes Hauptgutachten der Monopol-
kommission 2010/2011
- Drucksache 17/10365 -
hier: Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 17/12940 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung geht der
Zusatzpunkt 6 zu Protokoll.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Angelika Graf ({1}),
Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Volker Beck ({2}), Ute
Koczy, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen
- Drucksachen 17/12822, 17/13144 Berichterstattung:
Abgeordnete Frank Heinrich
Angelika Graf ({3})
Marina Schuster
Katrin Werner
Volker Beck ({4})
ZP 7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck ({5}), Ute Koczy, Hans-Josef Fell,
1) Anlage 19
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Westsahara
und zur Menschenrechtslage in den vom Kö-
nigreich Marokko und von der Frente Popular
de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de
Oro kontrollierten Gebieten
- Drucksache 17/11453 -
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Be-
satzungspolitik Marokkos in der Westsahara
und Lösung des Konflikts durch Referendum
unterstützen
- Drucksache 17/13089 -
Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Menschenrechtslage und
humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und
Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13144, den Antrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/12822 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke. Dagegen waren Grüne
und SPD. Dafür haben gestimmt CDU/CSU und FDP.
Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13089 mit dem
Titel „Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besat-
zungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung
des Konflikts durch Referendum unterstützen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt. Die Frak-
tion Die Linke hat zugestimmt. Bündnis 90/Die Grünen
haben sich enthalten. Die übrigen Fraktionen waren da-
gegen.
Tagesordnungspunkt 13:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit
von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen
Union ({6})
- Drucksache 17/12816 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({7})
- Drucksache 17/13142 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth ({8})
Alexander Ulrich
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({9}) zu dem
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon konsequent anwenden - Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der
Europäischen Union weiter stärken
- Drucksachen 17/8137, 17/13142 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth ({10})
Alexander Ulrich
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union hat in seiner Beschlussempfehlung den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/8137 mit dem Titel „Begleitgesetzge-
bung zum Vertrag von Lissabon konsequent anwenden
- Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenhei-
ten der Europäischen Union weiter stärken“ mit einbezo-
gen. Über diese Vorlage soll jetzt ebenfalls abschließend
beraten werden. Damit sind Sie einverstanden? - Dann
verfahren wir so.
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13142, den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 17/12816 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, mögen bitte jetzt aufstehen. - Die Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13142 empfiehlt der Ausschuss, den An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf
Drucksache 17/8137 für erledigt zu erklären. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
1) Anlage 11 2) Anlage 12
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Enthaltungen? - Dann ist auch das mehr oder weniger
einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({11})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Michalk, Karl Schiewerling, Paul Lehrieder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele
Molitor, Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian
Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silvia
Schmidt ({12}), Anette Kramme, Josip
Juratovic, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen
mit Behinderung fairen Zugang zum Ar-
beitsmarkt ermöglichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung
- Drucksachen 17/12180, 17/9931, 17/9758,
17/12770 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Molitor
Hier sind die Reden zu Protokoll genommen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 17/12770. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
auf Drucksache 17/12180 mit dem Titel „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen. Enthalten hat sich
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben
SPD und Linke gestimmt. Die Koalitionsfraktionen waren dafür.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9931 mit dem Titel „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum
Arbeitsmarkt ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen.
Die Oppositionsfraktionen waren dagegen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9758
mit dem Titel „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der SPD-Fraktion, bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen von Linken und
Bündnis 90/Die Grünen ist diese Beschlussempfehlung
angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines
Altersgelds für freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten
- Drucksache 17/12479 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({13})
- Drucksache 17/13132 Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster ({14})
Dr. Stefan Ruppert
Dr. Konstantin von Notz
- Bericht des Haushaltsausschusses ({15})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13135 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Stefanie Vogelsang
Dr. Peter Danckert
Dr. Florian Toncar
Roland Claus
Katja Dörner
Die Reden wurden zu Protokoll genommen.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13132, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/12479 anzu-
nehmen. Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Zugestimmt haben
die Fraktion Die Linke und die Koalitionsfraktionen.
Dagegen hat die SPD gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen
hat sich enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dafür ist, möge bitte auf-
stehen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - In der
1) Anlage 13 2) Anlage 14
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
dritten Beratung ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Memet Kilic, Volker Beck ({16}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesellschaftliche Vielfalt in der Bundeswehr
anerkennen
- Drucksache 17/13095 Die Reden sind zu Protokoll genommen.
Ich möchte meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen: „Nirgends werde ich so wenig diskriminiert wie
in der Bundeswehr.“ Das Zitat stammt von einem jungen Mann, dessen Eltern aus Afrika stammen und der
einen Wunsch hat: Er will in Deutschland dazugehören. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit fand er nach
eigener Aussage bei der Bundeswehr. Denn in der
Bundeswehr gibt es einen Wert, der in der heutigen
Gesellschaft leider oft an Bedeutung verloren hat. Ich
meine damit Kameradschaft. In der Bundeswehr zählt
Kameradschaft. Es zählt dein Dienstgrad und deine
Leistung, bevor andere Dinge in Erwägung gezogen
werden. Die Menschen, die in unseren Streitkräften
dienen, kommen aus unterschiedlichen Milieus, haben
verschiedene Religionszugehörigkeiten, Geschlechter
oder Hautfarben. Sie alle haben aber ein Ziel: Sie wollen diesem Land dienen und dafür im Ernstfall ihr Leben einsetzen. Sie alle leisten den gleichen Eid.
Der junge Mann, den ich eingangs zitierte, hat mittlerweile einen Verein gegründet, der sich Deutscher.Soldat.e.V. nennt. In einem Interview sagte er, er habe den
Verein nicht dazu gegründet, um in der Armee etwas zu
ändern. Er wolle vielmehr einen positiven Impuls in
die Integrationsdebatte innerhalb der Gesellschaft liefern. Und statt Multikulti gehe es dem Verein darum,
das Deutschsein in seiner Vielfalt zu zeigen. Dies zeigt,
welche Entwicklung in der Bundeswehr mittlerweile
stattgefunden hat und dass gelebte Vielfalt nicht nur
ein Lippenbekenntnis ist, wie im Antrag der Grünen
formuliert.
Ich möchte definitiv nicht alles in der Bundeswehr
glorifizieren. Auch dort kommt es leider zu Fällen
- wie in allen Teilen der Gesellschaft -, in denen jemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Religionszugehörigkeit oder der Herkunft seiner Eltern diskriminiert wird. Das ist schlimm, und wir alle müssen uns
dafür einsetzen, dass sich daran etwas ändert. Dennoch zeigt sich insgesamt, dass die Bundeswehr bei
der Frage nach gelebter Vielfalt auf einem guten Weg
ist. Beispielhaft sind dafür etwa die rückläufigen Zahlen
rechtsextremistischer Vorfälle. So wurden im Jahr 2009
122 Vorkommnisse mit rechtsextremistischem Hintergrund gemeldet. Im darauffolgenden Jahr waren es
82 Fälle, 2011 waren es 63 und 2012 67 Fälle. Nach
einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Jahr 2009 haben
12 Prozent aller Soldatinnen und Soldaten einen Migrationshintergrund.
Die Vielfalt innerhalb der Bundeswehr drückt sich
außerdem dadurch aus, dass sich die Anzahl von
Frauen in den Streitkräften deutlich erhöht hat. Vor
dem Hintergrund der Tatsache, dass die Laufbahnen
der Streitkräfte erst seit dem 1. Januar 2001 für
Frauen geöffnet sind, ist ein Frauenanteil in den Streitkräften von mehr als 9 Prozent ein gutes Ergebnis, das
selbstverständlich weiter ausgebaut werden muss. Soldatinnen sind heutzutage ein akzeptierter Teil der
Truppe und nicht mehr wegzudenken. Frauen dienen in
nahezu allen Bereichen. 2011 führte erstmals ein weiblicher Oberleutnant in Afghanistan einen Infanteriezug im Gefecht. Es gibt mittlerweile eine TornadoPilotin, und rund 5 Prozent aller Soldaten in den Auslandseinsätzen sind weiblich.
Ihre Integrationsfähigkeit hat die Bundeswehr nach
meiner Einschätzung bereits im Zuge der deutschen
Einheit gezeigt, als Armee der Einheit. Das Ende des
Ost-West-Konflikts stellte die Bundeswehr vor eine
große Herausforderung. Obwohl es damals Zweifel
gab, ist die deutsche Einheit innerhalb unserer Streitkräfte schneller erfolgt, als in anderen Bereichen.
Lassen Sie mich nun zur Charta der Diversität kommen. Die Idee, die Charta zu unterzeichnen, stammte
ursprünglich aus der Truppe. Das, was in der Bundeswehr gelebt wird, sollte mit der Unterzeichnung der
Charta auch nach außen transportiert werden. Und
entgegen der Verlautbarungen von Teilen der Opposition werden die Verpflichtungen, die sich mit der Unterzeichnung der Charta ergeben, ernst genommen.
Toleranz, Fairness und Wertschätzung von Menschen diese Werte finden sie in der Bundeswehr und das auch
schon von Anfang an.
In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem das
Konzept der Inneren Führung in Erinnerung rufen. Mit
der Aufstellung unserer Streitkräfte verband sich die
Idee, das Menschenbild des Grundgesetzes auch in der
Truppe zur verbindlichen Richtschnur zu machen. Mit
der Konzeption der Inneren Führung und dem Leitbild
des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ setzen wir
diesen Anspruch um. Das Werte- und Normensystem
des Grundgesetzes findet mit der Konzeption der Inneren Führung in der Führung, Bildung, Ausbildung und
Erziehung in der Bundeswehr seinen Ausdruck. Die
Unantastbarkeit und der Schutz der Menschenwürde
sind Verpflichtung des Staates und daher auch der
Bundeswehr.
Um die Vielfalt in unseren Streitkräften weiterhin zu
fördern, wird auch daran gearbeitet, die Anzahl der
Soldatinnen weiter zu erhöhen. Von enormer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Maßnahmen
zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Dienst. Erfahrungsgemäß ist dabei eine zuverlässige
und den Arbeitszeiten der Eltern möglichst angepasste
Kinderbetreuung wichtig. In den letzen Jahren wurden
daher zusätzliche arbeitsplatznahe Betreuungsplätze
eingerichtet bzw. Belegrechte bereitgestellt. Um mal
ein paar Beispiele zu nennen: An den Standorten
Seedorf, Westerstede, Hamburg und Berlin wurden Belegrechte erworben. Für weitere Standorte werden gegenwärtig Verhandlungen geführt. Das Bundesministerium der Verteidigung teilte mir außerdem mit, dass
aktuell insgesamt circa 200 Betreuungsplätze - überwiegend in Form von Belegrechten - zur Verfügung
stehen. In der Planung befinden sich weitere 400
Plätze, einschließlich der Betriebskindergärten. An
Standorten mit hohem und langfristig gesichertem
Bedarf werden durch die Bundeswehr Betriebskindergärten eingerichtet.
Mittlerweile gibt es außerdem 139 Eltern-Kind-Arbeitszimmer. Damit wird Beschäftigen bei unvorhergesehenem kurzfristigem Ausfall der Kinderbetreuung
eine unmittelbare Betreuungsmöglichkeit am Arbeitsplatz geboten. Die Eltern-Kind-Arbeitszimmer enthalten neben einem komplett ausgestatteten Arbeitsplatz
eine kindgerechte Ausstattung, die eine kurzfristige
Betreuung der Kinder durch die Eltern im Dienst ermöglicht. Die Einrichtung weiterer circa 160 ElternKind-Arbeitszimmer ist in Planung
Seit letztem Herbst wird schließlich das an neun
Pilotstandorten erprobte Kinderbetreuungsportal in
die Fläche ausgeweitet. Diese Maßnahme ermöglicht
Bundeswehrangehörigen, standortbezogene Informationen über Betreuungsmöglichkeiten einzuholen.
Lassen Sie mich nun noch zu den Themen „lebenskundlicher Unterricht“ und „Militärseelsorge“ kommen. Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen,
dass der lebenskundliche Unterricht kein Religionsunterricht ist. Es handelt sich um eine berufsethische
Qualifizierungsmaßnahme für alle Soldatinnen und
Soldaten. Richtig ist, dass aufgrund unserer Geschichte die christliche Militärseelsorge in diesem Bereich eine wichtige Rolle spielt. Dennoch sind die Verantwortlichen in diesem Bereich dazu angehalten, den
religiösen Dialog zu fördern und weltanschauliche
Neutralität zu wahren.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich die Bundeswehr im 21. Jahrhundert gewandelt hat. Anders als
in den Medien zum Teil dargestellt, spiegeln auch unsere Streitkräfte die Gesellschaft in ihrer Vielfalt wider
und ermöglichen ein Miteinander und Kameradschaft
zwischen Menschen, die innerhalb der Gesellschaft
ansonsten nicht zusammengefunden hätten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen uns, dass die Verpflichtungen, die sich mit der Charta der Diversität verbinden,
ernst genommen werden und dass die Bundeswehr ein
Ort gelebter Vielfalt ist. Ich sehe daher keinen Grund,
dem Antrag der Grünen zuzustimmen. Stattdessen
empfehle ich den Grünen, einmal genauer in die
Truppe hineinzuhören, um sich ein Bild von der tatsächlichen Lage zu machen.
Unsere Streitkräfte waren und sind Spiegelbild unserer Gesellschaft. Der soziale Wandel hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Bundeswehr. Als eine der
größten staatlichen Institutionen muss sie sich diesen
Veränderungen stellen und sie annehmen. Mehr als
50 Jahre Immigration haben unsere Gesellschaft facettenreicher gemacht. Einwanderer aus allen Regionen der Welt haben unser Land verändert. Mit der
deutschen Staatsangehörigkeit wird die Bundeswehr
automatisch ein interessanter Arbeitgeber. Soldatinnen und Soldaten mit Migrationshintergrund sind eine
Selbstverständlichkeit in unseren Streitkräften. Das ist
Chance und Auftrag zugleich. Die Bundeswehr kann
von den diversen kulturellen Einflüssen profitieren. Sie
muss aber auch den Bedürfnissen der Soldatinnen und
Soldaten gerecht werden.
Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Ihre
Einsätze finden im multinationalen Rahmen statt. Wir
entsenden unsere Soldatinnen und Soldaten in die verschiedensten Regionen der Welt: Afghanistan, Kosovo,
Türkei und kürzlich erst nach Westafrika. Wo der
nächste Einsatz stattfindet, ist nicht abzusehen. Die
teilnehmenden Nationen unterscheiden sich von Einsatz zu Einsatz. Eine Armee, deren Auftrag international ist, kann von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen nur profitieren. Der tägliche Austausch mit
Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen ist Teil
jeder Mission. Wer sich in mehreren Sprachen ausdrücken kann und interkulturelle Kompetenz mitbringt, ist klar im Vorteil. Das wirkt sich positiv auf die
Zusammenarbeit aus und ist hilfreich für den Erfolg
des Einsatzes. Darüber hinaus bewegen sich unsere
Soldatinnen und Soldaten im Einsatz oft in für sie
fremden Kulturkreisen. Auch wenn die Truppe natürlich für solche Einsätze entsprechend vorbereitet wird,
ist gelebte gesellschaftliche Vielfalt jedoch in solchen
Szenarien sicherlich eine Bereicherung. Wer sich in
mehreren Sprachen ausdrücken kann, wer sich in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen bewegen
kann, der ist ein Gewinn für die Bundeswehr. Das sollten wir fördern.
Aber damit die Bundeswehr in vollem Umfang von
den Kompetenzen und Fähigkeiten ihrer Soldatinnen
und Soldaten profitieren kann, müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. Unterschiedliche Kulturen und Religionen beinhalten unterschiedliche Rituale. Die Soldatinnen und Soldaten wissen,
dass der Dienst im Vordergrund steht. Aber genauso
pflichtbewusst, wie die Soldatinnen und Soldaten ihren
Dienst ableisten, sollte der Dienstherr ihnen die Möglichkeit geben, ihre Religion auszuüben. Es ist etwas
Bemerkenswertes, wenn Menschen unterschiedlicher
Religionen sich zur Bundeswehr bekennen.
Bei gesellschaftlicher Vielfalt geht es aber nicht nur
um andere Religionen. Immer mehr Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land entscheiden sich, keiner Religion anzugehören. Diese Entwicklung vollzieht sich
auch in der Bundeswehr. Viele Soldatinnen und SoldaZu Protokoll gegebene Reden
ten sind dankbar für die Angebote der militärischen
Seelsorge und nehmen diese gerne an. Jedoch müssen
wir uns Gedanken machen, ob es nicht sinnvoll ist,
weitergehende Möglichkeiten für vertrauensvolle Gespräche vorzuhalten. Diese Angebote sollten dabei so
niedrigschwellig wie möglich sein, damit sie jede Soldatin, jeder Soldat annehmen kann. Vor allem im Bereich der Gesprächs- und Beratungsangebote sollte
die Bundeswehr nicht auf die Nachfrage warten, sondern mit verschiedenen Angeboten in Vorleistung treten.
Gesellschaftliche Vielfalt ist auch entscheidender
Punkt in Bezug auf die Verankerung der Bundeswehr
in der Gesellschaft. Damit die Bundeswehr weiterhin
gut integriert und verankert ist, muss sie die Entwicklungen in der Gesellschaft widerspiegeln. Wir erwarten von unseren Soldatinnen und Soldaten, dass sie
Bürger in Uniform sind. Sie sollen sich mit ihrer Tätigkeit auseinandersetzen und sich in die Gesellschaft
einbringen. Je besser die Bundeswehr, in der sie dienen, den multikulturellen Wandel der Gesellschaft widerspiegelt, desto stärker ist die Verankerung und
desto besser gelingt die Integration.
Darüber hinaus ist die Öffnung der Bundeswehr
eine Chance für die Nachwuchsgewinnung. Die Bundeswehr kann zeigen, dass sie ein offener, multikultureller und toleranter Arbeitgeber ist. Damit macht sie
sich auch interessanter für neue Bewerbergruppen.
Die interkulturelle Kompetenz einer multikulturellen
Truppe macht die Bundeswehr relevanter als Arbeitgeber für Rekrutinnen und Rekruten aus allen sozialen
und kulturellen Gruppen der Gesellschaft.
Der Minister hat in der Vergangenheit den Anspruch formuliert, die Truppe weiter zu öffnen und
mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Bundeswehr zu bringen. Das begrüße ich ausdrücklich.
Ich bin davon überzeugt, dass die Bundeswehr von einer Öffnung nur profitieren kann und freue mich auf
die kommenden Diskussionen.
Das Anliegen, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft
auch in unseren Streitkräften zum Ausdruck kommt und
dort gelebt wird, verbindet uns alle über die Fraktionsgrenzen hinweg. Es ist nicht das Ob, sondern viel mehr
das Wie, über das wir heute hier miteinander diskutieren.
Anerkennung und Achtung gesellschaftlicher Vielfalt werden in der Bundeswehr nicht nur ganz praktisch von der überwältigenden Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten gelebt, sondern sie sind auch Teil des
gesetzlichen Auftrags.
In § 12 des Soldatengesetzes heißt es: „Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde,
die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und
ihm in Not und Gefahr beizustehen. Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein.“
Wenn Soldatinnen oder Soldaten sich nicht an das
Soldatengesetz halten, droht ihnen neben den disziplinarrechtlichen Konsequenzen vor allem eine Ächtung
ihres diskriminierenden Verhaltens durch die Kameradinnen und Kameraden.
Wir werden Toleranz niemals erfolgreich verordnen
können. In erster Linie muss sie als Herzensanliegen
von den Soldatinnen und Soldaten selbst ausgehen.
Unsere Aufgabe als Politik ist es, die richtigen Impulse
zu setzen und den rechtlichen Rahmen laufend weiterzuentwickeln, damit jedwede Form von Diskriminierung keinen Raum in der Bundeswehr erhält.
Bei meinem Besuch im Afghanistan im Februar dieses Jahres durfte ich Gespräche mit vielen Soldatinnen
und Soldaten führen. Gerade im Auslandseinsatz zeigt
sich, dass kulturelle Unterschiede im Alltag der Soldaten keine Rolle spielen. Manche der Soldatinnen und
Soldaten, mit denen ich sprach, hatten einen Migrationshintergrund, andere wiederum hatten ungewöhnliche Biografien, die sie auf Umwegen zur Bundeswehr
geführt haben. All dies spielt vor Ort keine Rolle und
ist erst recht kein Hemmnis im täglichen Umgang miteinander. Die Soldatinnen und Soldaten bringen aus
ihrem privaten Umfeld und ihren Biografien Kompetenzen mit, mit denen sie unsere Bundeswehr bereichern.
Wer sich beispielsweise näher mit der Arbeit des
ehrenamtlichen Vereins Deutscher Soldat e. V. befasst,
erkennt schnell, wie sehr sich die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten selbst mit Fragen der gesellschaftlichen Vielfalt und Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzen.
Wie an jeder zivilen Hochschule, gibt es an der
Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg eine Interessensgemeinschaft Queer, die sich mit
Erfolg und Anerkennung durch alle Studierenden für
die Rechte homosexueller Soldatinnen und Soldaten
einsetzt.
Die Arbeit dieser Institutionen sollten wir Parlamentarier unterstützen, weil sie aus der Mitte der Bundeswehr heraus Veränderungen anstoßen. All diese
positiven Aspekte und Entwicklungen finden in Ihrem
Antrag bedauerlicherweise keine Erwähnung.
Es liegt an uns, das häufig einseitige und stereotype
Bild des wenig weltoffenen und mitunter intoleranten
Soldaten zu überprüfen und uns in der Politik nicht
gängiger Vorurteile zu bedienen. Allerdings sollten wir
den Staatsbürger in Uniform oder auch die Bundeswehr als Abbild unserer Gesellschaft nicht überfordern. Wenn wir bei der Bundeswehr zu Recht hohe
Anforderungen stellen, sollten wir den Anspruch an
die Gesamtgesellschaft in diesen Fragen nicht aus den
Augen verlieren.
Wir machen es uns zu leicht, wenn wir Teilen der
Soldaten und der militärischen Führung unterstellen,
Zu Protokoll gegebene Reden
dass sie Ansätze einer frauen-, schwulen- oder fremdenfeindlichen Gesinnung in sich tragen. Die Bundeswehr ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. In den
Streitkräften erleben wir die gleichen Prozesse der
Pluralisierung, wie wir sie in der Gesamtgesellschaft
finden.
Ich würde mich freuen, wenn wir Abgeordneten
noch mehr in der Gesellschaft aktiv für das veränderte
und sich weiter verändernde Bild unserer Streitkräfte
werben. Was wir brauchen, ist ein differenzierter Blick,
und ich bin dem Wehrbeauftragten dankbar dafür, dass
er in seinen jährlichen Berichten immer wieder aufzeigt, wo Nachholbedarf besteht und wo wir als Politik
und die Bundeswehr selbst zum Handeln aufgefordert
sind.
Ich setze mich für die Öffnung der Militärseelsorge
für weitere Konfessionen ein. Mit dieser Forderung
stehe ich - oder wir - nicht allein. Sowohl die katholische als auch die evangelische Militärseelsorge regen
selbst eine solche Erweiterung an, und auch das
Verteidigungsministerium prüft aktuell die Möglichkeiten einer solchen Öffnung. Diesen Prozess sollten
wir Abgeordneten im Verteidigungsausschuss aktiv unterstützen.
In Afghanistan wurde mir aber eine ganz andere Bedeutung der Militärseelsorge nochmals deutlich. Die
Militärseelsorge ist in der Praxis keinesfalls in erster
Linie ein religiöses oder konfessionelles Angebot. Die
Militärseelsorger selbst verstehen sich ganz bewusst
nicht als Ansprechpartner nur für die Soldaten, die
ihrer Konfession angehören oder mindestens einen
persönlichen Bezug zum Religiösen haben. Ganz im
Gegenteil: Sie sind für alle Soldatinnen und Soldaten
da und werden auch von allen in Anspruch genommen.
Neben der Militärseelsorge gibt es mit dem psychosozialen Netzwerk aber auch ein Beratungsangebot,
welches unabhängig von den Kirchen angeboten wird.
So kann jeder Soldat selbst wählen, welche Art der Begleitung er in Anspruch nehmen möchte.
Gerade wenn es um die Ehrung der gefallenen
Kameraden geht, ist das gemeinsame Gedenken, angeleitet durch die Militärseelsorger, von besonderer Bedeutung. Hier spielt die Konfession der Seelsorger
keine Rolle. Im Zentrum steht ihre Aufgabe, das nicht
Erklärbare in Worte zu fassen und den Soldaten Halt
und Zuspruch zu geben.
Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren eine Institution im Wandel. Die Umsetzung wichtiger Ziele
unserer Gesellschaft, sei es die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder die Integration
von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund, wird in der Bundeswehr nicht nur diskutiert,
sondern es werden auch konkrete Lösungen erarbeitet
und umgesetzt.
Ich würde mich freuen, wenn wir Parlamentarier
die Bundeswehr bei diesem Prozess auch weiterhin gemeinsam begleiten.
Die kulturelle und religiöse Vielfalt zu leben, gehört
heute zum Glück zum Alltag in Deutschland und das
sollte auch in der Bundeswehr so sein.
In diesem Sinne ist der Antrag der Fraktion
Bündnis90/Die Grünen auch zu begrüßen. Denn man
hat schon den Eindruck, dass die Bundeswehr das
Thema am liebsten aussitzen würde. Vergleichen Sie
mal die Antworten des Verteidigungsministeriums auf
die Kleine Anfrage meiner Fraktion 2006 mit den Antworten auf die Kleine Anfrage der Grünen 2012 - viel
geändert hat sich nicht.
Sicherlich, man unterzeichnet solche Appelle, wie
die Charta der Vielfalt. Man hat eine Zentrale Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz und auch
einen beim Verteidigungsministerium angegliederten
Beirat für Fragen der Inneren Führung, der auch
einige externe Organisationen einbindet. Aber wenn
die Bundeswehrführung von „interkultureller Kompetenz“ redet, ist nahezu ausschließlich ein Fähigkeitsmerkmal der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
bei den Auslandseinsätzen gemeint. Mit anderen Worten: Mehr Weltoffenheit soll die Arbeit der Truppe in
den globalen Einsätzen zu effektivieren helfen.
Anders herum wäre besser: Die vielbeschworene interkulturelle Kompetenz sollte bei der Erkenntnis helfen, zu erkennen, dass externe militärische Akteure in
der Regel bei dem Versuch scheitern, andere Kulturkreise Mores zu lehren.
Im Antrag der Grünen spielt der Zusammenhang,
genauer: das Spannungsverhältnis zwischen religiöser
Bindung bzw. Prägung und der Tendenz zu gesellschaftlicher Diversifizierung eine große Rolle. Nur
wird die Tatsache, dass die Weltanschauungs-, Glaubens- und Kulturorientierungen immer vielfältiger
werden, dahin gehend gedeutet, dass all diese Richtungen in den diversen Gremien - wie dem Beirat für Innere Führung - auch angemessen vertreten sein sollten. Das ist richtig, aber auch nur ein erster Schritt.
Bislang hatte die katholische und evangelische Militärseelsorge quasi eine Monopolstellung und war
aufgrund der Strukturen der fast „natürliche“ Bezugspunkt vieler Soldatinnen und Soldaten auf die Kirchen,
wenn es um existenzielle Bedrängnis oder auch tiefgehende menschliche Sorgen und Nöte geht. Das war
früher so und - die Erfahrungen in den „Einsatzgebieten“ zeigen es - ist auch noch heute so. Aber dass
selbst konfessionell ungebundene Armeeangehörige
sich vor allem an die Militärgeistlichen wenden, wenn
sie Trost oder Rat suchen, ist zunächst nur der Tatsache geschuldet, dass es keine Alternativen gibt. Ein
Beweis für die Unverzichtbarkeit dieser Art der Seelsorge ist es nicht.
Dennoch kann es gegenwärtig nicht darum gehen,
den Vertretern der Kirchen einfach die Tür zu weisen,
aber die derzeit bestehende Monopolstellung der Kirchenmänner und -frauen im Lebenskundlichen UnterZu Protokoll gegebene Reden
Paul Schäfer ({0})
richt der Soldaten ist nicht angemessen und nicht akzeptabel.
Um der veränderten gesellschaftlichen Realität
Rechnung zu tragen, müssen zudem Betreuungsangebote auch für Muslime und andere Glaubensrichtungen eingerichtet werden. Mehr noch: Auf den Prüfstand sollte auch gestellt werden, wie säkulare
Betreuungsmöglichkeiten ausgebaut werden können.
Tabus helfen hier nicht weiter.
Die Linke hat von Anfang an und auch im damaligen Unterausschuss für Innere Führung diese Exklusivposition kritisiert. Dieses Monopol wollen wir aber
nicht durch ein Oligopol ersetzen. Der lebenskundliche Unterricht, der ja für alle Angehörigen der
Truppe obligatorisch ist, muss grundlegend säkularisiert werden. In der Neukonzeption des Lebenskundlichen Unterrichts im Juni 2011 wurde zwar erstmals
die Möglichkeit eröffnet, dass „nicht-religiöse berufsethisch besonders qualifizierte Lehrkräfte Lebenskundlichen Unterricht erteilen“ dürfen. Das hatte aber
anscheinend keine Auswirkungen auf die Praxis. Ein
Jahr später hieß es, dass es keinen Bedarf dafür gibt,
da die kirchlichen Militärseelsorger das immer noch
machen. In Ewigkeit Amen. Damit wollen und werden
wir uns nicht abfinden. Insofern geht uns der Antrag
der Grünen an dieser Stelle nicht weit genug.
Es bleibt, solange die seelsorgerische Betreuung
kirchlich organisiert ist, das strukturelle Grundproblem, dass die Seelsorger vom Staat bezahlt werden, gegenüber den anderen Geistlichen in der Kirche Privilegien genießen und die Behörden der Militärseelsorge
nicht bei den Kirchen, sondern direkt beim Verteidigungsministerium angesiedelt sind. Unabhängigkeit
buchstabiert sich anders. Das muss geändert werden.
Es ist richtig, eine breitere Debatte in Gang zu setzen, wie gerade die Bundeswehr dem Gebot der Vielfalt - der Kulturen, der Lebensstile, der sexuellen
Orientierung - in ihren Reihen Rechnung tragen
kann - und dabei kann der Antrag der Grünen helfen.
Die Mindestanforderung lautet, dass es in Bezug auf
religiöse Überzeugung, ethnische/nationale Herkunft,
sexuelle Orientierung und kulturell geprägte Lebensweise keinerlei Diskriminierung geben darf.
Die andere Mindestbedingung lautet, dass innerhalb der Bundeswehr rassistische, fremdenfeindliche,
nationalchauvinistische Auffassungen keinen Platz haben dürfen. Die Angehörigen der Bundeswehr dafür zu
sensibilisieren und davon zu überzeugen, ist eine ständige Aufgabe in der Politischen Bildung, im Lebenskundlichen Unterricht, im praktischen, alltäglichen
Umgang.
Diese Bedingungen werden nicht dadurch einzulösen sein, dass man einfach eklektisch hier eine Migrantenorganisation und dort ein paar Glaubensgemeinschaften hinzu bittet. Hier geht es um eine
grundlegende Aufklärungsaufgabe. Und hier gibt es
noch eine ganze Menge zu tun. Das Parlament sollte
diese Anstrengungen kontinuierlich und kritisch begleiten.
Wer aus diesem Hohen Haus auf die Straßen dieser
Stadt hinaustritt, kann die Realität gesellschaftlicher
Vielfalt in diesem Land nicht leugnen. Deutschland ist
ein Einwanderungsland und hat von dieser Einwande-
rung einen großen gesellschaftlichen, kulturellen und
nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Nutzen gezogen.
Das Bild unseres Landes in der Welt hat - bei allen
Problemen und bei aller sehr berechtigten Kritik - vom
offenen und positiven Umgang mit gesellschaftlicher
Vielfalt entscheidend profitiert. Das heißt nicht, dass
wir die Probleme, die eine multikulturelle Realität mit
sich bringt, unter den Teppich kehren dürfen. Sondern
das heißt, dass unser Umgang mit gesellschaftlicher
Vielfalt auf den Grundregeln und im Geist unserer
Verfassung geschehen muss: Würde, Freiheit und
Gleichberechtigung jeder Bürgerin und jedes Bürgers,
Rücksicht, Respekt und Toleranz untereinander.
Die Bundeswehr ist ein Teil dieser Republik, was
sich im Verständnis des „Staatsbürgers in Uniform“
widerspiegelt - und sogar ein bisschen mehr: Sie ist im
besonderen Maß dazu verpflichtet, die Werte, für die
sie einsteht, auch in ihrem Inneren zu verwirklichen.
Das Prinzip der Inneren Führung steht für die Ein-
haltung dieser Werte. Und in der Tat: Die Bundeswehr
unternimmt zahlreiche Anstrengungen, um ihre inter-
kulturelle Kompetenz zu stärken, und sie hat, was den
Umgang mit Intoleranz und Rassismus in ihren Reihen
angeht, eine passable Bilanz vorzuweisen. Dennoch
müssen wir daran weiter arbeiten: Intoleranz und
Rassismus haben keinen Platz in dieser Bundeswehr
und dürfen auch aus Respekt vor vermeintlichen Tradi-
tionen oder Riten nicht geduldet werden. Der Skandal
um die Ermittlungen der NSU-Mordserie habe gezeigt,
dass wir uns trotz vieler Fortschritte keinesfalls zu-
rücklehnen dürfen.
Noch immer aber verharrt die Bundeswehr an vie-
len Stellen in überkommenen Strukturen. Wir wissen,
wie schwer es ist, eine große und oft auch etwas
schwerfällige Organisation zu verändern. Aber man
hat oftmals das Gefühl, dass es an entscheidenden
Stellen auch am rechten Willen fehlt.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Militärseelsorge.
Obwohl mittlerweile mindestens 1 000 Soldatinnen
und Soldaten muslimischen Glaubens bei der Bundes-
wehr dienen, weigert sich die Bundesregierung
hartnäckig, einen muslimischen Militärseelsorger ein-
zustellen oder dessen Einstellung auch nur anzuvisie-
ren. Dabei gibt es bei den evangelischen oder protes-
tantischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine
Betreuungsquote von rund 650 zu 1. Ein solcher Seel-
sorger würde nicht nur den Bedürfnissen Hunderter
Soldatinnen und Soldaten Rechnung tragen, sondern
auch nach außen ein wichtiges Zeichen für die Aner-
kennung gesellschaftlicher Vielfalt setzen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Le-
benskundlichen Unterricht. Er ist einer der wichtigs-
ten Orte, um Soldatinnen und Soldaten auf die beson-
ders hohen ethischen Ansprüche vorzubereiten, die ihr
Beruf mit sich bringt. Er sollte auf die Lebensrealität
aller Soldatinnen und Soldaten eingehen. Stattdessen
aber wird er bislang ausschließlich von evangelischen
oder katholischen Geistlichen bestritten. Das geht an
der Realität einer Truppe mit immer heterogeneren
kulturellen und damit auch moralischen Leitlinien völ-
lig vorbei.
All das sind Teile dessen, was man heute gemeinhin
als Diversity Management bezeichnet, als die Bemü-
hungen von Unternehmen und Institutionen, ange-
sichts immer heterogener werdender Gruppen dem In-
dividuum mit seinen Ansprüchen und Fähigkeiten
gerecht zu werden. Die Bundeswehr bekennt sich auf
dem Papier dazu, und in der Bundeswehr streiten täg-
lich viele Männer und Frauen dafür, diese Prinzipien
einzuhalten. Oft gegen widrige bürokratische
Umstände und mit zu geringen Mitteln. Aber bei der
Koordinierung dieser Aktivitäten, bei der gesteuerten
Umsetzung dieser Lippenbekenntnisse, tut sich wenig.
Das fügt noch etwas zur ohnehin schon hohen Frustra-
tion in der Bundeswehr hinzu und lässt auch viele der
Schätze, die eine wachsende interkulturelle Kompetenz
in der Truppe für viele Einsätze mit sich bringt, unge-
hoben.
Deswegen brauchen wir endlich eine zentrale
Koordination der einzelnen Ansätze zum Diversity
Management im Verteidigungsministerium. Und wir
brauchen den Willen, angesichts der Veränderungen
mit ihren zahlreichen Chancen alte Zöpfe abzuschnei-
den.
Dabei geht es nicht zuletzt darum, mit den Soldatin-
nen und Soldaten mit und ohne Migrationshintergrund
zu sprechen, die sich in der Bundeswehr für gesell-
schaftliche Vielfalt einsetzen.
Die vielen ermutigenden Geschichten von Soldatin-
nen und Soldaten mit Migrationshintergrund, die in
der Bundeswehr für dieses Land und seine Werte ein-
stehen, zeigen, welches Potenzial eine - ich sage es
noch einmal bewusst - multikulturelle Realität mit sich
bringt. Dieses Potenzial müssen wir auch in der Bun-
deswehr nutzen. Dies hilft ihr nicht nur dabei, ihre
Rolle als Verteidigerin unserer Werte zu erfüllen; sie
kann damit auch einen eigenen Beitrag zur Integration
in unserer Gesellschaft leisten.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13095 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wettbewerb und Innovationsdynamik im Soft-
warebereich sichern - Patentierung von Com-
puterprogrammen effektiv begrenzen
- Drucksache 17/13086 -
Die Reden sind zu Protokoll genommen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13086 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt-
Governance verbessern
- Drucksache 17/12734 -
Die Reden wurden zu Protokoll genommen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf
Drucksache 17/12734. Wer stimmt für den Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag
ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Silvia Schmidt ({0}), Dr. Ernst
Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Teilhabe ermöglichen - Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für alle
intensivieren
- Drucksache 17/13085 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Die Reden wurden zu Protokoll genommen.
Wir beraten heute einen Antrag der SPD zum
Thema „Teilhabe ermöglichen - Forschung und Ent-
wicklung von Technologie und Design für alle intensi-
vieren“. Wir sind uns heute glücklicherweise über alle
Parteigrenzen hinweg einig, dass wir eine inklusive
Gesellschaft in Deutschland sein wollen. Alle Men-
schen, egal ob mit oder ohne Behinderung, sind für un-
sere Gesellschaft wichtig. Jeder Mensch hat Stärken.
Es gilt gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutsch-
1) Anlage 15
2) Anlage 16
land, die Stärken der Menschen zu stärken und allen
Bürgerinnen und Bürgern die Chance zu geben, ein
selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu führen.
Aus diesem Grund hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu
verpflichtet, Menschen mit Behinderungen alle Rechte
und Freiheiten uneingeschränkt zu gewährleisten.
Aus diesem Grund hat sich diese christlich-liberale
Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig positioniert: „Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen
Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für
Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die
Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über
Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über
Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum
Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen
mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die
Rechte der Menschen mit Behinderungen messen
lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickeln.“
Wir haben Wort gehalten: Nach einem intensiven
Beratungsprozess mit allen Beteiligten konnte im Jahr
2011 der angestrebte Nationale Aktionsplan verabschiedet werden, mit dem die UN-Behindertenrechtskonvention Schritt für Schritt umgesetzt werden wird.
Insbesondere das Universelle Design ist ein zentraler Aspekt des Nationalen Aktionsplans. Auch in verschiedenen Antworten auf Anfragen der Opposition
hat sich die Bundesregierung eindeutig zur Bedeutung
behinderungskompensierender Technologien und dem
Universellen Design bekannt. Ich verweise dazu auf
die Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen
Anfragen erstens der Fraktion Die Linke „Nutzen-füralle-Konzept umsetzen“, Drucksache 17/631, zweitens
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Forschung an
behinderungskompensierenden Technologien am
Arbeitsplatz“, Drucksache 17/4169, und drittens der
Fraktion der SPD „Forschung und Entwicklung von
behinderungskompensierenden Technologien und Universellem Design“, Drucksache 17/11793.
In dem nun vorliegenden Antrag schlägt die SPD
vor, Forschung und Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien, die sie „Technologien
für alle“ genannt hat, und des Konzeptes des Universellen Designs - Design für alle - zu intensivieren.
So sehr ich grundsätzlich von behinderungskompensierenden Technologien und dem Konzept des Universellen Designs überzeugt bin, so wenig glaube ich,
dass die von der SPD geforderten Punkte einen hilfreichen Beitrag leisten können. Ich möchte meine Skepsis
an einigen Punkten deutlich machen.
Zunächst hadere ich mit der Definition des Universellen Designs. Der Nationale Aktionsplan beschreibt
das Design für alle auf Seite 78 wie folgt:
„‘Design für Alle‘ ist ein Konzept für die Planung
und Gestaltung von Produkten und Umgebungen ({0}), das es allen Menschen erlaubt, diese Produkte und Umgebungen so weit wie möglich ohne individuelle Anpassung oder eine besondere Assistenz zu
benutzen.“
Eine ähnliche Definition enthält auch die UNBehindertenrechtskommission in Art. 2.
Der Präsident des EIDD - Design for All Europe -,
Finn Petren, hat sich zu „Design für Alle“ allerdings
wie folgt geäußert. „Oft werde ich gefragt, worum es
beim Design für Alle eigentlich geht. Es gibt immer
noch eine ganze Menge Leute, die Design für Alle als
einen Versuch betrachten, mit von Designern gestalteten Produkten die größtmögliche Zielgruppe zu erreichen. Und dann gibt es jene, die denken, es ginge um
Design für Menschen mit Behinderungen, um elegante
Hilfsmittel und clevere Speziallösungen. Und für andere wiederum ist es lediglich ein anderer Ausdruck
für Zugänglichkeit und Nutzerfreundlichkeit.“ So steht
es im Gutachten „Impulse für Wirtschaftswachstum
und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für
Alle“ welches 2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erarbeitet
wurde.
Und weiter heißt es dort in Übersetzung des Präsidenten: „Design für Alle definieren zu wollen, ist der
Versuch, etwas zu erklären, was nicht definiert, nicht
gemessen und ganz bestimmt nicht standardisiert
werden kann. Design für Alle ist eine kreative Herausforderung und somit das Gegenteil von ‚one size fits
all‘. Es ist ein Prozess mit spezifischen Ausgangsvoraussetzungen, kein fertiges Endprodukt“.
Ich wiederhole die Kernthese gern noch einmal laut
und deutlich: „ … und ganz bestimmt nicht standardisiert werden kann“. Hier liegt für mich das Problem.
Prozesse, die in vielen europäischen Ländern und
besonders in Deutschland schon mehr oder weniger
erfolgreich verlaufen, in Formeln und Regularien
pressen zu wollen sowie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben eindeutig abzugrenzen, halte ich für
äußerst schwierig bis unmöglich. Dies müsste aber
einer, von der SPD in ihrem Antrag geforderten, nationalen Strategie zur Forschung und Entwicklung zugrunde liegen.
Aufgrund der Definition und der Prinzipien des
Universellen Designs handelt es sich dabei eben um
einen facettenreichen Prozess, der sich innerhalb der
Forschung und Entwicklung nur schwer abgrenzen
lässt. Nun kann man diese Tatsache wie der Bericht
des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag ({1}) „Chancen und Perspektiven
Zu Protokoll gegebene Reden
behinderungskompensierender Technologien am
Arbeitsplatz“ ({2}) als
singuläre Forschungsanstrengungen interpretieren
oder aber als vielfältige Anstrengungen, die dezentral
an den Orten in der Industrie, Forschungseinrichtungen und Hochschulen durchgeführt werden, wo die
Kompetenzen dafür vorhanden sind. Ich bin fest von
der letzten Interpretation überzeugt. Aufgrund des
Facettenreichtums und der Bedeutung als Querschnittthema gibt es eine Vielzahl von Förderanstrengungen,
die einen Bezug auf das Universelle Design und die behinderungskompensierenden Technologien nehmen.
In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und
„Gesundheitsforschung“ des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung gab und gibt es beispielsweise
eine Vielzahl von Fördermaßnahmen, die Menschen
mit Behinderungen zugutekommen können.
So fördert das Bundesministerium für Bildung und
Forschung im als Förderschwerpunkt bestimmten
Zukunftsfeld „Mensch-Technik-Interaktion“ auf der
Basis etablierter Schlüsseltechnologien die Entwicklung neuer bedarfsgerechter Lösungen, in denen
menschliches Kommunizieren und Verhalten berücksichtigt wird. Mit 11,8 Millionen Euro werden neun
Verbundvorhaben finanziell unterstützt.
Ganz konkret werden etwa die Forschungsergebnisse des Verbundprojektes CoSiP ({3})
auf die Entwicklung neuer Hörgeräte angewendet.
Die Ergebnisse des Verbundprojekts 9D-Sense
({4}) sollen nach dem Abschluss 2014 für neue
Kniegelenkprothesen angewendet werden.
Allerdings, und das betont der TAB-Bericht ganz
deutlich, sind die behinderungskompensierenden Techniken keine Garantie für eine erfolgreiche Inklusion:
„Der Einsatz von bkT bewirkt nicht automatisch bessere Inklusionschancen für Menschen mit Behinderung. Oft lässt sich nur im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren auf der Ebene des Individuums und der
umgebenden Umwelt ein nachhaltiger Effekt auf die
Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsleben erreichen.“
Nehmen wir das Beispiel der behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz, die eine
wichtige Rolle für die Verbesserung der Teilhabe behinderter Menschen spielen. Die Bedeutung ist gesellschaftlich anerkannt, und je nach Schwere und Art der
Behinderung können verschiedene Hilfsangebote eingefordert und von den zuständigen Rehabilitationsträgern und Integrationsämtern erbracht werden. Es gibt
auch bereits eine Vielzahl von Technologien an Hardund Software am Markt. Es sind jedoch die Leistungsträger, die hier gefordert sind, auf dem neuesten Stand
der Technik zu bleiben, um angepasste und einzelfallbezogene Lösungen zu finden. Das finde ich auch
richtig und wichtig. Diese dezentralen Entscheidungsstrukturen gewährleisten, dass diejenigen die Verantwortung tragen, die nah am Menschen sind, sich in deren Situation hineinversetzen können, um passgenaue
Lösungen zu finden.
Unterstützend tätig wird die Bundesregierung, um
den hohen Informationsbedarf zu decken, den die
Komplexität der Bedarfe, Produkte und Prozesse hervorruft. Beispielhaft genannt werden kann an dieser
Stelle die Datenbank REHADAT, die mit rund 8 Millionen Euro vom Bundesministerium für Arbeit und
Soziales gefördert wurde. Ich zitiere dazu aus der
Antwort der Bundesregierung, Drucksache 17/11793,
Seite 7: „REHADAT“ - das Informationssystem zur
beruflichen Rehabilitation „sammelt und veröffentlicht Informationen zu den Themen Behinderung,
Integration und Beruf. Alle Informationen gibt es
kostenlos im Internet unter www.rehadat.de. Mehr als
86 000 Texte und 20 000 Bilder stehen in REHADAT
zur Verfügung. REHADAT wird gefördert durch das
BMAS aus Mitteln des Ausgleichsfonds und ist ein
Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln
({5}).
Aktuell neu ist die Datenbank „REHADAT Hilfsmittel“ ({6}). In diesem WebPortal sind mehr als 21 000 Produkte nach Bereichen
wie Arbeitsplatz, Mobilität, Haushalt oder Kommunikation gruppiert und detailliert beschrieben. Bilder,
Produktmerkmale, Hersteller- und Vertriebsadressen
werden genannt. Ergänzt werden die Inhalte durch
zahlreiche Gerichtsurteile ({7}), Literatur ({8}), Praxisbeispiele ({9}) und Adressen ({10}). Besonders hilfreich ist die
Rubrik „Infothek“. Sie enthält praxisorientierte
Hintergrundinformationen dazu, wie man an das gewünschte Hilfsmittel kommt und wie die Finanzierung
geregelt ist. Die Datenbank informiert auch über
Forschungs- und Modellprojekte auf dem Gebiet der
beruflichen Rehabilitation. Es werden laufende und
abgeschlossene Projekte dokumentiert. Für jedes Projekt werden die Inhalte, die Namen und Anschriften der
Forscher und die Veröffentlichungen beschrieben.
Wenn forschende Institutionen über eine eigene Homepage verfügen, lässt sich diese direkt über einen Link
aufrufen. Die Forschungsdatenbank wird in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation erstellt. Das BMAS veröffentlicht seit Jahren
Forschungsberichte auf der Seite von REHADAT und
verweist in einer Vielzahl von öffentlichen Unterlagen
({11}) auf die entsprechenden REHADAT-Seiten.“
Dieses Beispiel steht stellvertretend für das gesamte
Konzept des Universellen Designs. Es muss viel mehr
darüber informiert und aufgeklärt werden. Der Nutzen
und die Möglichkeiten müssen deutlicher werden. Dies
insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft ja primär für die Umsetzung der Forschungsergebnisse in Produkte und Dienstleistungen nach dem
Universellen Design verantwortlich ist. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Umsetzung des KonZu Protokoll gegebene Reden
zepts Universelles Design bereits 2008/2009 durch das
Forschungsprojekt „Impulse für Wirtschaftswachstum
und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für
Alle“ gefördert. Unmittelbar im Anschluss daran hat
das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der
Deutschen Wirtschaft e. V. durch zehn Unternehmerkonferenzen in den Jahren 2010 bis 2012 insbesondere
kleine und mittlere Unternehmen auf die längerfristigen Vorteile dieses Konzepts hingewiesen. Die Studie
des Jahres 2009 hat gezeigt, dass erheblicher Konkretisierungsbedarf besteht, das Konzept des Universellen
Designs in der unternehmerischen Praxis umzusetzen.
Am 6. November 2012 wurde der Auftrag für ein
weiteres Projekt zur Entwicklung handlungsleitender
Kriterien für kleine und mittlere Unternehmen erteilt.
Es wurde und wird also eine Vielzahl von Forschungsanstrengungen und Umsetzungsmaßnahmen
unternommen. Ich kann derzeit keinen zusätzlichen
Nutzen der von der SPD geforderten Maßnahmen
erkennen. Ich unterstelle ja gerne meinen Kollegen
„Bemühen“ und eine „gute Absicht“, aber erneut wird
deutlich, dass die SPD mit ihrem grundsätzlichen Politikansatz der Überregulierung jeden Details des
menschlichen Lebens weit über das Ziel hinausschießt.
Insbesondere vor dem Hintergrund der sehr detaillierten und aussagekräftigen Antworten der Bundesregierung auf die Vielzahl der Kleinen Anfragen der Opposition erkenne ich in dem Antrag keine neuen Aspekte.
Das ist sicher ein hervorragender Beitrag im Wahlkampfjahr, aber eben wegen der Herauslösung weniger Aspekte aus dem Gesamtzusammenhang letztendlich für das eigentliche Anliegen nicht besonders
hilfreich.
Ich erinnere einmal an die Erfolge in den vergangenen Jahren zum Thema der Barrierefreiheit, ein Aspekt, der sich inzwischen weltweit in einschlägigen
Standards, Normen und Regeln niedergeschlagen hat.
Doch wie sieht es in unserem Alltag aus? Da wird die
gegebene Barrierefreiheit oft genug einfach missachtet
und eingeschränkt. Abgesenkte Bordsteine sind überall zugeparkt, rollstuhlgerechte Türen unzumutbar verräumt, Fahrstühle und Rolltreppen sind monatelang
nicht in Betrieb. Die davon Betroffenen bleiben allein,
oft bleibt nur ein mühsamer und mitunter erfolgloser
Spießrutenlauf. Aus meiner Abgeordnetensprechstunde sind mir zahlreiche, mitunter haarsträubende
Fälle bekannt; oft konnte ich kurzfristig und unbürokratisch helfen.
Hier liegen auch unsere Defizite, Standards wirksam umzusetzen und gemeinsam mit den Betroffenen
nach wirksamen Lösungen zu suchen, um die gesetzlichen Grundlagen erfolgreich in unserem Zusammenleben umzusetzen.
In der heutigen Debatte beschäftigen wir uns mit
dem Antrag der Kollegen der SPD zum Konzept des
„Designs für Alle“ als Grundlage für die Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft. Ich freue mich über
eine Debatte zu diesem wichtigen, uns alle angehenden
Thema.
Wenn man also über dieses „Design für Alle“ diskutiert, ist man schnell bei der entscheidenden Frage:
Wie können wir die Lebensumwelt für alle Menschen
und in allen Bereichen barrierefrei gestalten? Wie weit
reicht das „Design für Alle“, wie weit muss, kann und
soll es reichen?
„Eine barrierefrei zugängliche Umwelt ist für etwa
zehn Prozent der Bevölkerung entbehrlich, für circa
40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel.“ Dieses Zitat beschreibt anschaulich, was der Begriff „Design für Alle“ meint. Das „Design für Alle“
vereinfacht das Leben aller Menschen, weil es sich
nicht nur auf die Vermeidung von Barrieren für ältere
Menschen oder Menschen mit Behinderung beschränkt, sondern auch die Bedürfnisse verschiedener
Altersgruppen und Kulturkreise berücksichtigt. Dahinter steckt der Gedanke an eine Barrierefreiheit auf
allen Ebenen, die wir in der Politik mit geeigneten
Maßnahmen unterstützen.
Um „Design für Alle“ im Alltag gangbar zu machen, müssen Produkte und Dienstleistungen also für
alle Menschen zugänglich und nutzbar sein. Dazu sollen keine speziellen Anpassungen notwendig werden.
Bereits in der Phase der Konzeption und Entwicklung
müssen Alltagsprodukte und Dienstleistungen aus sich
heraus so geschaffen sein, dass sie später nicht mehr
für spezielle Bedürfnisse nutzbar gemacht werden
müssen.
Die gesetzliche Umsetzung des „Designs für Alle“
findet sich in Art. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention. Deutschland hat diese Konvention ratifiziert und
sich damit dazu verpflichtet, ein universelles Design
sowie die Entwicklung und Verfügbarkeit neuer
Technologien zu fördern. Mit der Anerkennung der
Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtskonvention besteht unser erklärtes Ziel darin, Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit
Behinderungen, Einschränkungen oder Diskriminierungen zu gewährleisten und eine umfassende Teilhabe zu fördern.
Im Koalitionsvertrag haben wir das Thema gestärkt
und vereinbart, Vorhaben in den Bereichen Bildung,
Ausbildung und Beruf, Verkehr und Tourismus, Medien
und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau zu
befördern.
„Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen
Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für
Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die
Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über
Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über
Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit
Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen
Zu Protokoll gegebene Reden
Marcus Weinberg ({0})
sich an den Inhalten der UN-Konvention über die
Rechte der Menschen mit Behinderungen messen
lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen entwickeln.“
Um dies zu erreichen, setzen wir zunächst bei der
Erforschung und Entwicklung sogenannter einschränkungskompensierender Technologien an. Diese bilden
die Grundlage, um das universelle Design in alle Lebensbereiche zu integrieren. So können Güter, Geräte
und Einrichtungen in universellem Design entwickelt
werden.
Der von den Kollegen der SPD vorgelegte Antrag
fordert den Bund auf, eine nationale Strategie zur
Forschung und Entwicklung von Technologien und
„Designs für Alle“ zu beschließen und in einen Nationalen Aktionsplan münden zu lassen.
So sehr ich das Anliegen der Opposition grundsätzlich begrüße und wir uns in der Zielsetzung einer inklusiven Gesellschaft auch sicherlich einig sind, so
sehr bin ich davon überzeugt, dass die Forderungen
der SPD in diesem Zusammenhang nicht erfolgversprechend und daher auch nicht sehr sinnvoll sind.
Der Bund ist bei den Forschungsvorhaben und
Projekten in allen Ressorts bereits engagiert und aktiv
tätig. So fördert er beispielsweise Modellvorhaben und
Projekte wie das INCOBS - Informationsportal
Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte oder die Datenbank REHADAT, die zum Ziel haben,
den Hilfsmittelmarkt transparent darzustellen und als
nützliche Hilfswerkzeuge von allen Beteiligten an der
beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen
im Arbeitsleben genutzt werden können.
In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und „Gesundheitsforschung“ sind beim Bundesministerium für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
mehrere Förderschwerpunkte angelegt, in denen derzeit Projekte gefördert werden, die Technologien bzw.
Forschungsvorhaben aufgreifen, die zur Kompensation von Behinderungen geeignet bzw. die die Grundlagen schaffen, auf denen behinderungskompensierende Technologien entwickelt werden können. Zu
diesen Rahmenprogrammen gehören circa 130 Projekte bzw. Teilprojekte mit einem Bezug zu behinderungskompensierenden Technologien.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat darüber
hinaus im Jahr 2011 eine Studie mit dem Thema Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung
durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept für „Design für Alle“ veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen aufzeigt, die sich am Konzept des „Designs für
Alle“ orientieren. Regelmäßig finden Konferenzen
statt, die die Ergebnisse der Studie verbreiten und Entscheidungsträger in der Wirtschaft für dieses Thema
sensibilisieren sollen.
Ein letztes Beispiel von vielen möchte ich aus dem
Bereich der Gehörlosigkeit benennen, für den die
Erforschung der Avatartechnologie von großer Bedeutung ist. Im Zuge der Evaluation des Nationalen
Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird in diesem die Machbarkeitsstudie des Bundesarbeitsministeriums Aufschluss darüber
geben, inwieweit Gebärdenavatare eingesetzt werden
können.
Wie Sie sehen, liebe Kollegen der SPD - ich hoffe,
ich konnte das verdeutlichen -, ist der Bund nicht untätig. Das Thema des „Designs für Alle“ geht uns alle
an und lässt niemanden unberührt. Unsere Umwelt
barrierefrei zu gestalten, ist für jeden von uns zunehmend wichtig. Gemeinsam stehen wir für eine inklusive
Gesellschaft ein, aber der hier zu beratende Antrag ist
nicht ausschließlich geeignet, eine solche auch Wirklichkeit werden zu lassen.
Es ist sicherlich noch ein weiter, nicht einfacher
Weg hin zu einer universell designten Lebenswelt, dennoch werden wir diesen konsequent weiter beschreiten.
Das Konzept der Inklusion, der Teilhabe behinderter Menschen, wird mehr und mehr öffentlich debattiert. Das ist sehr erfreulich. Jedoch bleibt noch viel zu
tun, bis Inklusion tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft verankert und tägliche Lebensrealität und
somit Normalität sein wird.
Inklusion bedeutet nicht nur Teilhabe von Menschen
mit Behinderungen in bestimmten, sondern eben in
allen Lebensbereichen. Dafür braucht es Barrierefreiheit. Dieser Begriff lässt zunächst an Rampen für
Rollstuhlnutzer in Behörden oder Museen denken.
Auch barrierefreies Internet rückt immer mehr in den
Blickpunkt. Den wenigsten Menschen, die nicht täglich
durch spezifische Einschränkungen damit konfrontiert
werden, ist jedoch bewusst, welch kleine alltägliche
Details Menschen in ihrem Leben einschränken können. Barrierefreiheit muss tatsächlich bedeuten, dass
sie jeden Lebensbereich umfasst, und darf nicht an
vermeintlichen Kleinigkeiten scheitern.
Für eine solche umfassende Barrierefreiheit brauchen wir Produkte, die so konzipiert sind, dass sie von
jedem genutzt werden können. Einige wenige Produkte
gibt es bereits. Sie sind nach dem Konzept des
„Designs für Alle“ entstanden. „Design für Alle“ bedeutet die Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen, Umfeldern und Programmen mit dem Ziel, dass
diese von allen Menschen möglichst weitgehend ohne
eine Anpassung genutzt werden können. Die Gestaltung erfolgt anhand der sieben Prinzipien breite
Nutzbarkeit, Flexibilität in der Benutzung, einfache
und intuitive Benutzung, sensorisch wahrnehmbare
Informationen, Fehlertoleranz, niedriger körperlicher
Aufwand sowie Größe und Platz für Zugang und
Nutzung.
Zu Protokoll gegebene Reden
Lassen Sie mich an dieser Stelle zur Veranschaulichung einige Beispiele nennen:
Das Unternehmen WMF hat eine kleine Kaffeepadmaschine konzipiert, die gut zu transportieren und
sehr benutzerfreundlich ist. Die Maschine hat nur eine
einzige große Taste, sie ist für eine Tasse ausgelegt,
und der Tank fasst genau soviel Wasser, wie für diese
eine Tasse benötigt wird.
Das Unternehmen Edeka hat mit seinem Supermarkt der Generationen ein kundenfreundliches
Konzept für alle Verbraucher entworfen, das sich unter
anderem auszeichnet durch Verbreiterung der Gänge
und Kassenzonen, Absenkung der Regalhöhen, bessere
Be- und Ausleuchtung, Einrichtung von Ruhezonen,
Leselupen an den Regalen, sprechende Waagen, spezifische Schulungen des Personals, Serviceknöpfe, Leitleisten für Blindenstöcke, Beschriftung der Regale in
Blindenschrift und vieles mehr.
Das Unternehmen Joseph Vögele hat einen Asphaltfertiger entwickelt, eine Maschine, mit der sich ungebundene und gebundene Schichten wie zum Beispiel
Sand, Schotter, Asphalt und Beton herstellen lassen.
Dieser zeichnet sich insbesondere durch einen ergonomisch gestalteten, bequem auf den jeweiligen Fahrer
einzurichtenden Bedienstand und moderne, intuitive
Bedienkonsolen aus. Die Tasten können blind erfühlt
werden.
„Design für Alle“ gewinnt in dieser Hinsicht vor
dem Hintergrund des demografischen Wandels der
Gesellschaft besondere Bedeutung. Die Menschen
werden immer älter, und mit dem Alter kommen zumeist körperliche Einschränkungen. „Design für Alle“
verhindert, dass diese Einschränkungen zu einer Barriere im Alltag werden, die Teilhabe verhindert.
Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert unter
der Bezeichnung „Universelles Design“ die Umsetzung genau solcher Lösungen, die eigentlich zum
Nutzen aller selbstverständlich sein sollten. Die Bundesregierung hat diese Forderung auch brav in ihren
Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention übernommen, wenn auch nur
für wenige Teilbereiche. Aber es reicht nun einmal
nicht aus, etwas schriftlich zu fixieren. Seitdem ist
nichts passiert. Wann soll denn „Design für Alle“ in
Deutschland umfassend umgesetzt werden? Und vor
allem: Wie soll es umgesetzt werden? Die schlichte
Wahrheit ist: Schwarz-Gelb hat entgegen ihren Ankündigungen im Nationalen Aktionsplan nicht vor, in diesem Bereich tätig zu werden.
Machen wir uns dennoch nichts vor: Selbst bei der
bestmöglichen und umfassendsten Umsetzung des
„Designs für Alle“ wird es immer ganz spezifische
Einschränkungen und Behinderungen geben, die sich
dadurch nicht ausgleichen lassen. Wir benötigen also
Technologien, die helfen, diese Einschränkungen zu
kompensieren. Technologien, die ungeachtet von Behinderungen den Betroffenen bei ihrer Arbeitsausübung, aber auch im täglichen Leben Eigenständigkeit
ermöglichen. Solche Technologien sind beispielsweise
baulich integrierte Induktionsanlagen für Hörgeräte
oder aktivierende und kraftunterstützende Bewegungshilfen.
Obwohl es schon lange gefordert und sogar von unserer Bundesregierung großspurig angekündigt wird,
stehen wir bei Technologien und „Design für Alle“
noch ganz am Anfang. Forschung und Entwicklung in
diesem Bereich findet in Deutschland zum Großteil in
der Wirtschaft statt, und das auch nur in einigen wenigen Unternehmen. Das darf nicht länger so bleiben.
Gutachten zeigen, dass Unternehmen, die das Konzept
„Design für Alle“ konsequent umsetzen, damit wirtschaftlich überaus erfolgreich sind. Diese BestPractice-Beispiele müssen Ansporn und Ermutigung
sein für alle Unternehmen in Deutschland.
Wir fordern deshalb einen strukturierten und nachhaltigen Forschungsansatz. Deutschland braucht eine
nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung
von Technologien und „Design für Alle“. Diese muss
Teil eines neuen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK werden. Gezielte Förderung und
Intensivierung dieser Forschung können wir durch die
Einrichtung einer öffentlich geförderten Agentur, die
alle Forschungsansätze zusammenführt, und durch die
Etablierung einer eigenen Förderlinie erreichen. Für
umfassende Barrierefreiheit im Internet muss die Verpflichtung der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nicht nur auf weitere behördliche Internetseiten ausgeweitet werden. Das
Konzept des „Designs für Alle“ muss zudem als Querschnittsaufgabe in allen Bundesministerien verankert
werden. Besonders wichtig ist auch die Verankerung
des Konzeptes „Technologien für Alle“ und „Design
für Alle“ in der Ausbildung sämtlicher relevanter Berufsfelder.
Inklusion in Deutschland ist machbar! Unsere Gesellschaft braucht Inklusion - zum Nutzen aller. Lassen
Sie uns gemeinsam vorangehen!
Politik für Menschen mit Behinderung ist für mich
schon lange kein Minderheitenthema mehr. Menschen
mit Behinderungen sind Teil unserer Gesellschaft. Insofern ist es unsere vordringliche Aufgabe, eine vollständige Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten.
Ich teile durchaus die Aussage des Berichts des Büros für Technikfolgenabschätzung zu „Chancen und
Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“, der genau das als eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe beschreibt.
Doch wir beschreiten auf diesem Weg längst kein
Neuland mehr. Vieles, was völlig zu Recht noch vor
zwanzig und mehr Jahren von Betroffenen und Behindertenverbänden kritisiert und gefordert wurde, hat in
unser alltägliches Leben Einzug gehalten und wird von
Vielen gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. VersteZu Protokoll gegebene Reden
http://de.wikipedia.org/wiki/Sand
http://de.wikipedia.org/wiki/Sand
http://de.wikipedia.org/wiki/Sand
http://de.wikipedia.org/wiki/Schotter
http://de.wikipedia.org/wiki/Asphalt
http://de.wikipedia.org/wiki/Beton
http://de.wikipedia.org/wiki/Beton
hen Sie mich jetzt nicht falsch, es gibt noch viel zu tun.
Dem aufmerksamen Beobachter fallen aber durchaus
die vielen Veränderungen im öffentlichen Raum und in
öffentlichen Gebäuden mit ihrer Barrierefreiheit und
zunehmend auch durch ihr „Design für Alle“ auf.
Ich erinnere mich sehr genau an ein vor kurzem aufgetretenes Problem. Wir hatten in unserem Hohen
Haus eine große Zahl von Rollstuhlfahren zu Gast. Es
kam die Frage auf, wie wir im Falle eines Brandes unsere Gäste schnell evakuieren können. Vor einigen
Jahren hätte aber die Frage noch gelautet: Wie kommen sie überhaupt in die Tagungsräume? Der barrierefreie Zugang ist über schiefe Ebenen, den Wegfall von
Schwellen, sich selbst öffnende Türen, Aufzüge mit erreichbaren Bedienfeldern gewährleistet. Und, schaut
man genau hin, befinden sich auf fast allen Bedienelementen der Aufzüge auch für Blinde lesbare Schriftzüge und akustische Anzeigen.
Allein diese kleinen Beispiele zeigen, dass es durchaus machbar ist, „Multiple-use-Lösungen“ in der
Breite zu finden und auf sehr vielen Gebieten umzusetzen. Der Entwurf von Produkten und Lebenswelten, die
weitestgehend von jedermann benutzt werden können,
ohne dass die Notwendigkeit der Anpassung oder eines
speziellen Designs besteht, ist ein geeigneter Ansatz.
Das Konzept des „Designs für Alle“ als eine Weiterentwicklung des Prinzips der Barrierefreiheit setzt
ganz bewusst auf die Analyse des Bedarfs und der
Wünsche der Menschen. Ich hatte vor einiger Zeit gelesen, dass „Design für Alle“ ein Gestaltungsprozess
ist, der darauf abzielt, eine barrierefreie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für möglichst alle Menschen zu
erreichen. Das bedeutet, dass die gebaute Umwelt,
Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sein sollen,
dass sie sicher, gesund, funktional, leicht verständlich
und ästhetisch sowohl anspruchsvoll als auch nachhaltig sind und daher die menschliche Vielfalt berücksichtigen und sich nicht diskriminierend auswirken.
Für mich ist das ein Zeichen eines sich schrittweise
vollziehenden Paradigmenwechsels, weg vom Fürsorgeprinzip zu immer mehr Selbstbestimmung und Teilhabe
der Menschen mit Behinderungen.
Jedoch ist eine wichtige Voraussetzung für mehr
Selbstbestimmung eine möglichst dauerhafte Teilhabe
am Arbeitsleben, die für Menschen mit Behinderung
oft weit mehr bedeutet als nur eine eigene finanzielle
Lebensgrundlage. Und hier gibt es zwischen Menschen mit und ohne Behinderung noch erhebliche
Unterschiede. Genau darum müssen wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortführen. Es gilt das Bewusstsein aller Mitglieder unserer Gesellschaft auf die
Frage zu lenken: Wie würde ich mich in meiner Lebensumwelt zurecht finden, wenn ich eine oder mehrere Behinderungen hätte? Mit dieser Frage sollten
wir schon die Kinder, die Jugendlichen, die Schüler,
die Auszubildenden, die Studenten und die Entwicklungsingenieure konfrontieren.
Eine inklusive Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, muss sich daher auch der Entwicklung und dem
verstärkten Einsatz von behinderungskompensierenden Technologien, bkT, annehmen. Es geht also um die
Frage: Wie geht ein Mensch mit einer oder mehreren
Behinderungen mit dem von mir entwickelten Produkt
um, und ist es für „multiple use“ geeignet?
Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der SPD, ebenso deutlich: Hierfür brauchen wir keinen bürokratisch aufgeblähten Überbau.
Völlig richtig fordern Sie, die Implementierung des
Konzepts „Design für Alle“ als Führungsaufgabe in
allen Bundesministerien zu verankern. Es ist auch
richtig, darauf hinzuwirken, dass in den bestehenden
Forschungs- und Entwicklungsstrukturen das Konzept
„Design für Alle“ Einzug halten muss. Einer eigenen
Förderlinie über die bestehenden Instrumente hinaus
stehe ich jedoch kritisch gegenüber.
Das in Deutschland noch immer zu wenig beachtete
Konzept „Design für Alle“, auch „Universelles Design“ oder „Nutzen-für-alle-Konzept“ genannt, hat
eine inklusive Gesellschaft im Blick. Wesentlicher
Aspekt dabei ist Barrierefreiheit auf allen Ebenen.
Bauten, Gebrauchsgegenstände, Informations- und
Kommunikationssysteme sowie Dienstleistungs- und
Verkehrsangebote sollen für möglichst alle Menschen
leicht erreichbar, zugänglich und nutzbar sein. „Design
für Alle“ versteht sich als Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung, welche die Verschiedenartigkeit und Lebensqualität aller Menschen berücksichtigt. Barrieren, die Menschen an der gesellschaftlichen
Teilhabe behindern, werden als Diskriminierung identifiziert.
„Design für Alle“ fordert darüber hinaus eine Analyse der individuellen Bedarfe, die Einbindung der
Endverbraucherinnen und Endverbraucher in Entstehungsprozesse und insgesamt eine nachhaltige Gestaltung aller Lebensbereiche inklusive einer teilhabeorientierten Stadtentwicklung. So sollen zum
Beispiel Gebäude nicht nur barrierefrei, sondern auch
dergestalt entworfen sein, dass sie soziale Interaktion
fördern. Auf Initiative des Europäischen Rates für behinderte Menschen erarbeitete das Netzwerk des „Design für Alle“, in dem unter anderem Architekten, Designer, Ingenieure, Stadtplaner, Behindertenverbände
zusammengeschlossen sind, das „Europäisches Konzept für Zugänglichkeit“, das in einigen Ländern der
Überarbeitung nationaler Richtlinien dient.
Ich meine: Die systematische Schaffung von Barrierefreiheit soll nicht länger als „lästiges Übel“ missverstanden, sondern als Herausforderung an die Kreativität von Designern, Architekten, Ingenieuren usw.
angenommen werden. Menschen mit Behinderungen
und ihre Organisationen als Experten in eigener Sache
müssen dabei als gleichberechtigte und gleich kreative
Mitgestalterinnen und Mitgestalter aktiv einbezogen,
ja hochwillkommen sein. Dann entstehen im Ergebnis
Zu Protokoll gegebene Reden
innovative Produkte, die für jeden Mann und jede Frau
leicht handhabbar sind. Der Nutzen liegt also bei allen.
Nach der UN-Behindertenrechtskonvention Art. 4
Abs. 1 Buchstabe f ist die Bundesregierung verpflichtet, Forschung und Entwicklung für Güter, Dienstleistungen, Geräte und Einrichtungen in universellem Design zu fördern sowie sich bei der Entwicklung von
Normen und Richtlinien für universelles Design einzusetzen. Dies wissen manche in der Bundesregierung
leider immer noch nicht. Ein Beispiel: Auf meine
Frage: „In welcher Weise begleitet und unterstützt die
Bundesregierung die Schaffung von Barrierefreiheit
im nationalen sowie im grenzüberschreitenden Fernbuslinienverkehr?“ im Bundestag am 20. Februar dieses Jahres antwortete die Bundesregierung: „Nach
§ 42 b in Verbindung mit § 62 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz müssen neue Omnibusse ab dem 1. Januar
2016 mit mindestens zwei Stellplätzen für Rollstuhlnutzer ausgerüstet sein. Ab dem 1. Januar 2020 gilt dies
für alle Omnibusse, die im Fernbuslinienverkehr eingesetzt werden. Diese Vorschrift gilt nicht für den
grenzüberschreitenden Linienverkehr innerhalb der
Europäischen Union. Die Bundesregierung wird auf
der Grundlage eines vom Deutschen Bundestag in seiner 195. Sitzung am 27. September 2012 verabschiedeten Entschließungsantrags und nach dessen Maßgaben prüfen, ob auf EU-Ebene Regelungen geschaffen
oder verbessert werden sollen, die einen europaweit
einheitlichen barrierefreien Fernbuslinienverkehr gewährleisten. Je nach Ergebnis der Prüfung wird die
Bundesregierung gegebenenfalls die Initiative für eine
Änderung der betreffenden Regelungen ergreifen ...“
Einmal abgesehen von den vielen - für mich unakzeptablen - Einschränkungen und Ausnahmeregelungen im Personenbeförderungsgesetz: Begleitende
Maßnahmen zur Forschung und Entwicklung barrierefreier Busse und für eine Anschubfinanzierung gibt es
nicht. Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauer ({0})
lässt die Busunternehmen und Bushersteller in dieser
Frage allein.
Wie es mit der diesbezüglichen Umsetzung in
Deutschland steht, hat die Fraktion Die Linke die Bundesregierung in einer Kleine Anfrage „Nutzen-füralle-Konzept umsetzen“ bereits am 15. Dezember 2009
auf Drucksache 17/293 gefragt. Nimmt man die Antworten auf Drucksache 17/631 vom 3. Februar 2010,
ist die Bundesregierung engagiert und auf der Höhe
der Zeit. Vergleicht man die Antworten mit dem wirklichen Leben, mit den Alltagserfahrungen von mir und
vielen weiteren Menschen mit Behinderungen, tun sich
Widersprüche und Fragen auf.
Deswegen unterstützt die Linke den nun vorliegenden Antrag der SPD, der ebenso wie die Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD
zum universellen Design auf Drucksache 17/11793
vom 10. Dezember 2012 die Diskussion in Politik, Verwaltungen, Wirtschaft, Wissenschaft und andere Bereiche der Gesellschaft befördern wird. Zum Nutzen aller!
Der vorliegende Antrag der SPD verfolgt ein auch
für uns zentrales Thema: Die forschungs- und wissenschaftspolitische Ausgestaltung der technologischen
Dimension von Inklusion. Durch Inklusion wird unsere
Gesellschaft gerechter, offener und menschlicher. Sie
erfordert es, neben den gesellschaftlichen Strukturen
und Institutionen auch die in der Gesellschaft zentralen
Technologien und Gestaltungsprinzipien so zu verändern, dass sie der Vielfalt der menschlichen Fähigkeiten von Anfang an Rechnung tragen, indem sie allen
Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Die umfassende Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben bedarf der
technologischen Beseitigung behindernder Faktoren.
Inklusion ist damit zweifelsohne ein Anwendungsbereich innovativer Forschung und Entwicklung, der vorbildhaft den individuellen wie gesamtgesellschaftlichen
Nutzen von Innovationen illustriert.
Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Alterung
und der damit einhergehenden Zunahme von Menschen
mit Behinderungen wächst die Notwendigkeit, dass
Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer im Bereich der behinderungskompensierenden Technologien
für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft verstärkt und
sie stärker in sämtlichen Bereichen umgesetzt werden.
Das reicht von multimodaler Interaktion bei Informations- und Kommunikationstechnologien und der
Berücksichtigung im öffentlichen Personennahverkehr
bis zur Berücksichtigung bei der Planung von Arbeitsprozessen und -umgebungen. Vor diesem Hintergrund
begrüßen wir den Antrag der SPD zur Ermöglichung
von Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch
Technologien und „Design für Alle“. Er bezieht sich
auf den von unserer Fraktion in der letzten Wahlperiode initiierten TA-Bericht „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am
Arbeitsplatz“ ({0}) und greift die
darin enthaltenen Aspekte auf.
Vor dem Hintergrund des TA-Berichtes verwundert
es aber, dass die SPD das Thema nicht in seiner ganzen
Bandbreite in Angriff nimmt. Denn umfassende Teilhabe setzt einen integrativen technologischen Ansatz
voraus: Neben den in dem Antrag zentralen Konzepten
von Technologie und „Design für Alle“, die sich auf die
Beseitigung von Beschränkungen in der Umwelt und
Umgebung beziehen, bedarf es auch assistiver Technologien auf der individuellen Ebene. Der notwendigen
Integration beider Ansätze wird der SPD-Antrag nicht
gerecht und erkennt nicht den diesbezüglichen Forschungsbedarf. Hier greift der Antrag in seiner Einengung auf Technologien und „Design für Alle“ noch zu
kurz.
Auch zu kurz greift der Antrag bei der Stoßrichtung
seiner Forderungen. Der Antrag fordert unter anderem
die Bundesregierung auf, eine nationale Strategie zu
entwickeln, Forschung an Technologien und „Design
Zu Protokoll gegebene Reden
für Alle“ zu intensivieren - unter anderem durch eine
eigene Förderlinie und gezielte Anreize im Rahmen des
Beschaffungswesens - und das Thema als Querschnittsaufgabe voranzutreiben sowie es in der Ausbildung zu verankern.
Der Antrag benennt jedoch nicht, welche Fragestellungen konkret angegangen werden sollen; dabei ist
gerade diese Frage für den Inklusionsansatz von
zentraler Bedeutung. So fehlt aus unserer Sicht zum
Beispiel die im ersten Schritt notwendige empirische
Bedarfserhebung, damit die Forschung in dem Bereich
nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht.
Bereits Anfang 2011 hat die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Forschung an behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz“ auf Drucksache 17/4169 gezeigt, dass die
Bundesregierung ihrer Verantwortung für eine solche
koordinierte Bedarfserhebung nicht nachkommen will.
Es bedarf der Stärkung der Bedarfsforschung und der
Anwendungsanalysen sowie der Identifikation von Implementierungslücken. Letztere wurde bereits 2011 von
der Bundesregierung angekündigt - ebenso wie die Erarbeitung von Maßnahmepaketen, um den Transfer von
der Modellphase in die Regelversorgung zu beschleunigen. Die Bundesregierung kommt stets mit Ankündigungen - diesen jedoch offenbar nicht mehr hinterher.
Auch die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit
Behinderungen ist nicht hinreichend empirisch erfasst
und von daher keine Markt- und Potenzialanalyse möglich. Dies sowie die bereits genannte Integration
verschiedener Ansätze behinderungskompensierender
Technologien fehlt in dem Antrag. Auch die Rolle der
Rehabilitationsträger wird nicht gebührend beschrieben - ebenso wenig wie der notwendige Wissenstransfer aus anderen Bereichen in die Forschung an behinderungskompensierenden Technologien.
Wir würden dem Antrag gerne aufgrund der Bedeutung behinderungskompensierender Technologien für
eine inklusive Gesellschaft zustimmen, doch fehlen uns
im Antrag die genannten Elemente sowie eine stärkere
Auseinandersetzung mit dem konkreten Handlungsbedarf. Anders als die SPD halten wir es für sinnvoll,
einen mehrdimensionalen Ansatz im Bereich behinderungskompensierender Technologien zu verfolgen und
das Thema nicht auf Technologien und „Design für
Alle“ einzuengen. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise muss neben der Einbeziehung der bereits
skizzierten Themen auch weitere Fragestellungen einschließen, wie zum Beispiel Fragen des Urheberrechts
in Bezug auf Studienmaterialien, die für sehbehinderte
Menschen digital zur Verfügung gestellt werden sollen.
In den Ausschussberatungen werden wir auch die
Möglichkeit haben, noch einmal zu diskutieren, ob eine
eigene Förderlinie tatsächlich der richtige Weg ist.
Denkbar wäre es auch, das Thema behinderungskompensierender Technologien stärker in andere Förderlinien mit anwendungsorientierten Forschungsvorhaben zu integrieren. Eine zu starke Einengung der
Forschungsförderung verkennt die Breite der Thematik, die von der Zugänglichkeit im Bereich E-Learning
bis hin zu Berücksichtigung des „Designs für Alle“ bei
der Stadtplanung und im Bauordnungsrecht reicht.
Für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft wird es
darauf ankommen, die möglichst umfassende Teilhabe
aller Menschen und ihrer jeweiligen Fähigkeiten in den
verschiedensten lebens- und arbeitsweltlichen Umgebungen technologisch zu ermöglichen. Diesbezüglich
stehen wir vor einer großen Herausforderung. Es gilt,
die Ansätze behinderungskompensierender Technologien zu integrieren und ihre jeweiligen Kontexte bei
Forschung, Entwicklung und Umsetzung mitzudenken
und hierbei unterschiedliche Anwenderinnen- und Anwendergruppierungen einzubeziehen.
Es ist zu begrüßen, dass die SPD nun die in der
letzten Wahlperiode von uns im Bundestag begonnene
Debatte mit einem Antrag aufgreift. Wir werden nun
gemeinsam das Thema fortführen und die Bundesregierung an ihre Verantwortung erinnern.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13085 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Förderung der elektronischen Verwaltung
sowie zur Änderung weiterer Vorschriften
- Drucksache 17/11473 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 17/13139 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Manuel Höferlin
Dr. Konstantin von Notz
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/13140 Berichterstattung:
Abgeordnete Stefanie Vogelsang
Dr. Peter Danckert
Dr. Florian Toncar
Roland Claus
Katja Dörner
Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die gerade erschienene Zukunftsstudie Münchner Kreis fragte nach den Bedürfnissen der Menschen im
digitalen Zeitalter. In Bezug auf E-Government, also in
Bezug auf die Kommunikation mit den Behörden, waren
den Bürgerinnen und Bürgern vor allem zwei Dinge
wichtig, nämlich ein einfaches Verfahren und ein zuverlässiges Verfahren.
Aber wie sieht die Realität in unseren Behörden aus?
Der Wille der Bürger, elektronische Bürgerdienste zu
nutzen, ist groß. 51 Prozent der Bürger nutzten 2012 für
den Kontakt mit den Behörden das Internet. Die Behörden sind in der Tat zwar gut, wenn es darum geht, Informationen zur Verfügung zu stellen. Aber nur 15 Prozent
der Bürger konnten ausgefüllte Formulare elektronisch
an die Behörden zurücksenden.
Im Verkehr mit den Behörden gilt eben noch immer:
Anträge sind vom Bürger zu unterschreiben. Bescheide
kommen per Post. Formulare müssen ausgedruckt, unterschrieben und anschließend per Post oder per Fax versendet werden, und das, obwohl es mit der qualifizierten
elektronischen Signatur seit fast zehn Jahren eine elektronische Alternative zur Unterschrift gibt. Aber die qualifizierte elektronische Signatur ist sehr schwierig einzusetzen. Sie ist nicht intuitiv anzuwenden. Deshalb hat sie
sich bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durchgesetzt.
({0})
Das Herzstück des E-Government-Gesetzentwurfs,
den wir heute beraten, besteht deshalb darin, neben der
qualifizierten elektronischen Signatur zwei weitere sichere technische Verfahren einzuführen, um die Schriftform zu ersetzen.
Beim ersten Verfahren können elektronische Formulare, die von den Behörden zuhauf online auf den jeweiligen Seiten zur Verfügung gestellt werden, in Verbindung mit der elektronischen ID-Funktion des neuen
Personalausweises versendet werden. Damit kann der
Bürger zum Beispiel Formulare zur Gewerbeanmeldung,
zur Schulanmeldung, zur Kindergartenanmeldung online
ausfüllen und versenden. Das gilt auch für die dazugehörigen Anlagen. Es nützt nämlich nichts, wenn man zwar
das Formular online ausfüllen kann, aber die Anlagen
per Post versenden muss. Dann kann man das Formular
auch gleich per Post versenden.
Das zweite Verfahren ist die De-Mail mit der Versandoption „Absender bestätigt“, das ebenfalls ein sicheres
Verfahren ist, weil man sich natürlich anmelden muss.
({1})
Im parlamentarischen Verfahren haben wir auf
Wunsch der Länder über eine Verordnungsermächtigung
die Möglichkeit geschaffen, sehr schnell neue Verfahren,
die sich unter Umständen auf europäischer Ebene etablieren werden, einzuführen, um auch hier reagieren zu
können.
Lassen Sie mich noch etwas zur Kritik an dem DeMail-Verfahren sagen. Bei ganz sensiblen Daten ist eine
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung selbstverständlich vorzugswürdig; darauf weisen wir in der Begründung dieses
Gesetzentwurfs auch hin. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu nutzen; daran wird durch dieses Gesetz niemand gehindert. Es
wäre aber ein schwerer Fehler, diesen hohen Standard
für alle Verwaltungsverfahren verpflichtend zu machen.
Es gibt viele Vorgänge, bei denen diese Verschlüsselung
überhaupt keinen Sinn machte, beispielsweise wenn ein
Bürger einen Anwohnerparkausweis beantragt; diese
Daten sind wohl kaum so interessant, dass sich ein
Hacker dafür interessieren würde.
({2})
Wenn der Bürger meint, dass es sich um zu sensible Daten handelt, kann er ja die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen; aber wir wollen ihn eben nicht dazu zwingen. Denn wenn wir keine einfachen und sicheren
Verfahren ermöglichen, dann verschickt der Bürger am
Ende ein Fax - wie sicher das ist, weiß jeder: Ein Fax ist
die unsicherste Methode.
Meine Damen und Herren, um E-Government in
Deutschland voranzubringen, brauchen wir noch mehr:
Wir schaffen für die Bürger eine Infrastruktur, die eine
durchgehend elektronische Abwicklung ermöglicht. Um
eine anwenderfreundliche Struktur zu schaffen, brauchen wir durchgehend digitalisierte Prozesse.
Wenn beispielsweise ein Antrag auf Ausstellung einer
Fahrerlaubnis gestellt wird, muss es zukünftig möglich
sein, den Auszug aus dem Personenstandsregister von
der Behörde online zu erhalten. Auch die entsprechenden weiteren Unterlagen wie das Lichtbild oder die Bescheinigung über das Bestehen der Fahrprüfung müssen
elektronisch versendet werden können. Oder denken Sie
an andere Lebenssachverhalte: Auch die Meldung der
Geburt eines Kindes muss zukünftig online möglich
sein, und es ist vorzugswürdig, wenn der Kindergeldantrag gleich mit abgewickelt werden kann.
Die Verwaltung wird Dienste zu den Lebenslagen der
Bürger auch besser bündeln können. So wird es möglich
sein, Behördengänge obsolet zu machen. Selbstverständlich müssen auch die Gebühren online bezahlt werden
können. E-Government entlastet die Verwaltung bei der
Bewältigung des demografischen Wandels; denn wir
werden es zukünftig nicht schaffen, überall im ländlichen Raum Bürgerbüros aufrechtzuerhalten. Das wird
schlichtweg nicht möglich sein. Umso wichtiger ist es
dann, dass die Behörden online sicher erreichbar sind.
Deshalb ist dieses Gesetz so wichtig.
Herr Schröder, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Alpers zulassen?
Bitte.
Bitte schön, Frau Alpers.
Vielen Dank. - Ich habe eine Nachfrage. Sie sagten,
dass die Bundesregierung eine durchgehend digitale
Struktur aufbauen will und diese auch für alle zugänglich sein soll. Meine Frage bezieht sich auf Menschen
mit Sehbehinderung: Inwiefern wird dieses Angebot
wirklich barrierefrei sein? Meines Erachtens besteht genau an diesem Punkt noch ein riesiger Nachholbedarf.
Wie will die Regierung dafür sorgen, dass diesem Nachholbedarf zügig Rechnung getragen wird?
Um dem, was Sie angesprochen haben, Rechnung zu
tragen, haben wir im parlamentarischen Verfahren noch
einmal ausdrücklich deklaratorisch festgestellt, dass diese
Onlineangebote - auch wenn das schon bisher galt auch barrierefrei zur Verfügung gestellt werden müssen.
Das war uns sehr wichtig.
({0})
Meine Damen und Herren, auch für die Behörden
werden wir dadurch Vorteile schaffen, dass das gesamte
Verfahren effizienter wird, wenn wir digitalisierte Prozesse möglich machen. Da gibt es Effizienzreserven, und
da gibt es auch Einsparmöglichkeiten. Wichtig ist, dass
wir das jetzt gerade für die Bundesbehörden auf den
Weg bringen. Wir müssen auch die Digitalisierung der
Akten auf den Weg bringen. Das wird einige Zeit brauchen.
Wir bringen jetzt zusammen mit den anderen Ressorts
einen Masterplan auf den Weg, um dann dem Anspruch
der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, dass wir
jederzeit erreichbar sind und dass das sicher und auch
bequem ist. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf
in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin froh, dass auch noch einige Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen sind.
Wir haben darauf bestanden,
({0})
dass der Gesetzentwurf zum E-Government, wie es so
schön heißt, heute Abend noch debattiert wird. Ich sage
Ihnen auch, warum.
({1})
Wir wollen damit verhindern, dass anschließend wieder
eine Debatte entsteht, in der gesagt wird, dass das Parlament und die Opposition sich nicht gerührt und wieder
eine Verschlechterung von Datenschutz und Sicherheitsstandards durch das Parlament gewunken haben, ohne
sich zu wehren.
({2})
Herr Staatssekretär, Sie haben eben genau das getan,
was zum Problem bei der heutigen Beratung führt: Sie
haben sehr viele Nebelkerzen geworfen. Sie haben zwar
sehr vieles zum E-Government erzählt, was richtig,
wichtig und unterstützenswert ist,
({3})
aber Sie sind mit keinem Wort auf die Kritik an diesem
Gesetzentwurf eingegangen.
({4})
Es geht bei der Kritik nicht um die Einführung des
E-Government, sondern um die Tatsache, dass Sie die
Einführung des E-Government dafür nutzen, das Sozialgesetzbuch und die Abgabenordnung durch ein Artikelgesetz so zu ändern, dass die bisher geltenden Sicherheitsstandards bei der Übermittlung von hochsensiblen
Gesundheitsdaten, bei der Übermittlung von hochsensiblen Sozialdaten und auch bei der Übermittlung von
Steuerdaten abgesenkt werden, und zwar - das ist das
Entscheidende - nicht nur im Verkehr zwischen den Behörden und dem jeweiligen Nutzer, sondern natürlich
auch im Verkehr zwischen all denen, die Gesundheitsund Sozialdaten austauschen, etwa die Versicherungen
und ihre Versicherten oder - bei der Abrechnung - die
Versicherungen und die Ärzte. Das genau ist der Hintergrund, warum Sie dies klammheimlich tun.
Beim De-Mail-Gesetz haben Sie gesagt - auch damals schon gegen den Rat der Fachwelt -: Um den
Diensteanbietern Kosten zu ersparen, verzichten wir auf
eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. - Nun haben die
De-Mail-Anbieter festgestellt, dass das große Geschäft,
das sie sich damit erhofft haben, nämlich der Masseneinstieg über die Versicherungen und über die, die in Austausch zu ihren Kunden treten, nicht stattfindet, und
zwar deswegen nicht, weil bei der De-Mail der bisherige
Standard, den der Deutsche Bundestag, der Gesetzgeber,
für die Übermittlung solch hochsensibler Daten zu Recht
gesetzt hat - es geht um die modernste Form der Sicherheit und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung -, bei der
Übermittlung zu nutzen ist. Deswegen ist die De-Mail
kein Erfolg.
Sie definieren diese Sicherheitslücke jetzt juristisch
weg, indem Sie sagen: Die Entschlüsselung der verschlüsselten Daten - Gesundheitsdaten, Sozialdaten auf dem Server der Betreiber und die anschließende
Wiederverschlüsselung
({5})
ist keine Übermittlung im Sinne des Gesetzes. Das ist
ungefähr so, als würden Sie sagen, die Wand dürfe kein
Loch haben, und anschließend feststellen, dass keiner
Ihre löchrige Wand abnimmt, weil sie den Anforderungen nicht genügt, weshalb Sie dann die Bauordnung ändern und sagen: Das Loch gehört nicht zur Wand, und
damit sind auch Wände mit Löchern löcherlose Wände.
Genau das ist der Trick. Das tun Sie bei Gesundheits-,
bei Sozial- und bei Steuerdaten.
Sie kommen dann natürlich wieder mit dem Argument, dass das Fax und die E-Mail noch viel unsicherer
sind.
({6})
Hinter diesem Modell steckt aber doch die Überlegung
- den Umfang wollen Sie jetzt gerade herunterspielen -,
dass Versicherer und andere demnächst massenweise
sensible Gesundheitsdaten versenden. Da geht es nicht
nur um den Schriftverkehr zwischen der Gemeinde und
dem Bürger, sondern es geht um den Bereich, den ich gerade genannt habe.
({7})
Das hat dann eine andere Qualität. Denn durch einen gezielten Angriff auf zwei, drei oder vier Server in dieser
Republik ist es nicht möglich, sämtliche Faxe dieser Republik mitzulesen.
Wenn Sie diese Regelung bei den E-Mails einführen,
haben Sie das Problem, dass die Massenkommunikation
betroffen ist. In Zukunft werden die De-Mail-Server
hochinteressante Angriffspunkte werden, weil nämlich
ein möglicher Angreifer genau weiß: Über diesen Server
werden hochsensible Daten der Bürger kommuniziert,
zwischen Bürgern und Versicherungen, zwischen Bürgern und Gesundheitsinstitutionen, zwischen Bürgern
und Finanzämtern. Der Chaos Computer Club hat dies in
der Anhörung noch einmal eindrücklich deutlich gemacht.
({8})
Dann nutzt Ihnen auch das, was Sie über die Sicherheit
mit Blick auf das BSI gesagt haben, wahrscheinlich
nichts mehr.
Sie tun auch der betroffenen Industrie einen Tort an.
Denn: Wenn wir den ersten Datenskandal haben - ich
prophezeie Ihnen: so attraktiv wie diese Server für Angreifer sind, wird es ihn geben -, werden E-Government
und De-Mail tot sein. Die Sicherheit ist hier das Problem, deren Bedeutung die Regierung in der Vergangenheit nicht bedacht hat. Deswegen floppte das Ganze. Im
Interesse der Industrie hat man die Sicherheitsstandards
abgesenkt. Anschließend hat der Bürger diese Art der
Kommunikation nicht akzeptiert.
Die letzte Maßnahme, die Sie hier verstecken, ist: Sie
lassen jetzt die Gesundheitskarte am Personalausweisgesetz vorbei als Identitätsnachweis zu. Ich prophezeie
Ihnen: Das wird dazu führen, dass die Bürger mit der
Einführung der Gesundheitskarte demnächst noch mehr
Probleme haben werden, als sie sie jetzt schon haben,
weil sie natürlich befürchten müssen, dass dann, wenn
die Daten auf der Karte gehackt werden, nicht nur ihre
Identität, sondern unter Umständen auch noch ihre gesamten Gesundheitsdaten offengelegt werden.
Wir haben Ihnen im Ausschuss angeboten - wir haben dazu einen Antrag gestellt -: Streichen Sie diese
Veränderung im Sozialgesetzbuch und in der Abgabenordnung wieder raus. Dann sind wir trotz weiterer
Punkte, über die man auch noch hätte diskutieren können, bereit, das E-Government-Gesetz mitzutragen,
({9})
weil wir es vom Grundsatz her für einen sinnvollen
Schritt halten.
Sie aber haben den Antrag abgelehnt.
({10})
Deswegen werden wir dieses Gesetz nicht mittragen. Es
soll verschleiern, dass diese schwarz-gelbe Koalition mit
der freudigen Unterstützung der angeblich bürgerdatenschützenden FDP die Standards für die Übermittlung
von sensiblen Daten im Gesundheits-, im Sozial- und im
Steuerbereich, die bisher in dieser Republik gegolten haben, absenkt. Diese Absenkung ist mit der SPD-Fraktion
nicht zu machen. Wir werden diesen Gesetzentwurf daher ablehnen.
({11})
Der nächste Redner ist der Kollege Manuel Höferlin
für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Reichenbach, kurz etwas zur
Klarstellung. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass die Reden zu diesem Punkt gehalten und nicht zu Protokoll gegeben werden. Es gab nämlich niemanden, der seine
Rede zu Protokoll geben wollte. Das, was Sie behaupten,
ist einfach unwahr. Sie erzeugen den Eindruck, als ob
Sie es durchgesetzt hätten, dass zu diesem Punkt geredet
wird. Ich habe gerade beim Kollegen Binninger nachgefragt: Niemand wollte seine Rede zu Protokoll geben,
alle wollten reden. Ich habe Ihnen schon im Ausschuss
gesagt, dass ich heute Abend selbstverständlich hier re29330
den werde. Die Nebelkerzenzünder sind also Sie. Das
zieht sich auch durch Ihren Vortrag.
Was für ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Wir verabschieden endlich das
E-Government-Gesetz. Wir können auf sehr konstruktive
Verhandlungen, auch mit den Bundesländern, zurückblicken und haben nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
einen Vorschlag vorgelegt, der mit den Ländern umsetzbar ist. Mit dem E-Government-Gesetz legen wir nach
der Modernisierung des Verwaltungsgebührenrechts und
dem Planungsvereinheitlichungsgesetz einen weiteren
zentralen Baustein der Modernisierung der Verwaltung in
Deutschland. Die christlich-liberale Strategie zur Verwaltungsmodernisierung kann man am Ende dieser Legislaturperiode als Erfolg betrachten.
({0})
Unser E-Government-Gesetz ist die Motornorm, mit
der wir die Modernisierung der Verwaltung in Deutschland vorantreiben wollen. Das ist ein überfälliger Schritt,
der zuvor unter der SPD-geführten Bundesregierung
nicht gemacht wurde.
Der demografische Wandel in Deutschland macht
E-Government zu einem wichtigen Bestandteil für einen
bürgernahen und erreichbaren Staat; das gilt auch für die
Verwaltung. Zukunftstechnologien müssen noch stärker
als heute eine zentrale Rolle in Staat und Gesellschaft
spielen, damit Bürgerinnen und Bürger effektiv am politischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Das E-Government-Gesetz soll jetzt die sichere, rechtsverbindliche digitale Kommunikation zwischen Bundesbehörden sowie Bürgerinnen und Bürgern regeln.
Erlauben Sie mir, kurz zu erläutern, welche konkreten
Verbesserungen wir für die Bürgerinnen und Bürger einführen. Bisher war das sogenannte Schriftformerfordernis im Verhältnis des Bürgers zum Staat ein praktisches
Problem. Unterschriften auf Formularen und Dokumenten haben es stets zwingend notwendig gemacht, dass
diese per Post oder Fax zugestellt und von Bürgerinnen
und Bürgern von Hand unterschrieben werden mussten.
Mit dem E-Government-Gesetz schaffen wir nun einen
adäquaten Ersatz für dieses Schriftformerfordernis. Dieser Ersatz sind - wie bisher - die qualifizierte elektronische Signatur gemäß Signaturgesetz und entsprechend
signierte digitale Formulare.
Da wir aber um die hohen Hürden wissen, die die
elektronische Signatur gerade für private Nutzer darstellt
- weniger als 15 Prozent in Deutschland nutzen die digitale Signatur; es handelt sich vor allen Dingen um professionelle Anwender -, haben wir ein weiteres zentrales
Verfahren als Angebot bereitgestellt: die De-Mail. Mit
der De-Mail können nun Bürger und Wirtschaft rechtsverbindlich, sicher und vor allen Dingen unkompliziert
mit Behörden und auch untereinander kommunizieren.
Dabei ist es aus meiner Sicht absolut richtig, den Zugang
De-Mail für die Behörden vorzugeben, um den Bürgerinnen und Bürgern ein verlässliches und auch tatsächlich von allen Behörden angebotenes System bereitzustellen. Bei einem Umzug oder einem Kontakt mit einer
anderen Behörde sollte sich schließlich niemand auf ein
komplett neues System einstellen müssen.
Durch unseren Änderungsantrag, den wir in das parlamentarische Verfahren eingebracht haben, haben wir den
drei Möglichkeiten - qualifizierte elektronische Signatur, verschlüsselte Formulare und De-Mail - noch eine
maßgebliche Erweiterung hinzugefügt. Das Thema
Technikoffenheit spielt hier eine entscheidende Rolle.
Wir möchten, dass E-Government nicht auf der Stelle
tritt und dass auch in Zukunft innovative Technologien
mit dem E-Government-Gesetz angewandt werden können. Deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag
einen Passus eingefügt, der den Einsatz zusätzlicher
Technologien grundsätzlich ermöglicht, sofern die Mindestanforderungen an Sicherheit und Barrierefreiheit erfüllt sind.
Damit wären wir bei einem weiteren zentralen Baustein des E-Government-Gesetzes, den wir durch unseren
Änderungsantrag eingefügt haben. Wir stellen im neuen
§ 16 des E-Government-Gesetzes klar, dass Barrierefreiheit auch für E-Government gilt. Alle Menschen haben
das Recht auf Teilhabe.
({1})
Mit der elektronischen Akte schaffen wir außerdem
einen wichtigen Baustein für die Modernisierung unserer
Verwaltung. Elektronisch geführte Akten ermöglichen
nicht nur effizienteres Dokumentenmanagement. Sie erleichtern es auch, Auszüge und Informationen mit Bürgerinnen und Bürgern elektronisch zu teilen. Das ist ein
wichtiger Grundstein des E-Government-Gesetzes. Die
elektronische Akte spart nicht nur tonnenweise Papier
- das dürfte Ihnen besonders gefallen, liebe Freunde von
den Grünen -, sondern macht auch die Bereitstellung
von Peripheriegeräten und Aufbewahrungsraum überflüssig. Sie ermöglicht eine bruchfreie Kommunikation
über Gerätegrenzen hinweg.
Lassen Sie mich jetzt noch auf ein paar Nebelkerzenargumente des Kollegen Reichenbach zu sprechen kommen. Er hat gesagt, dass wir gegen den Rat vieler Sachverständigen Änderungen durchgesetzt hätten. Wir
haben das aber nicht gegen den Rat Ihres Sachverständigen getan. Ihr Sachverständiger war nämlich - genauso wie die Sachverständigen der Koalition - der Meinung, dass wir eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht
unbedingt brauchen. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat explizit gesagt: Bitte führen Sie keine
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein; das kann die Verwaltung vor Ort nicht leisten, weder organisatorisch
noch im Hinblick auf die Kosten.
Sie haben auch Nebelkerzen geworfen, als Sie gesagt
haben, es gehe um Steuerdaten.
({2})
- Herr Reichenbach, Sie haben bereits gesprochen. Zu
dieser Uhrzeit möchte ich keine Zwischenfragen mehr
zulassen. - Sie wollen mit dem Hinweis auf Steuerdaten
den Anschein erwecken, als ob es hier um Steuerformulare gehe. Dabei wissen Sie ganz genau, dass die Steuerbehörden weiterhin ELSTER als Datenformular nutzen
werden. Die De-Mail wird dann zum Einsatz kommen,
wenn man beispielsweise seine Adresse ändern oder etwas zum Finanzamt schicken möchte. Das wird bisher
per Post, per Anruf oder per normaler E-Mail gemacht.
Des Weiteren tun Sie so, als ob wir die Hürden herabsetzen würden und etwas wegdefinieren wollten. Dieser
Vorwurf ist schlichtweg falsch. Es ist nämlich so, dass
das Gebot der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, das im
Gesetz jetzt steht, sich auf die Technik, die davor vorhanden war, bezieht, nämlich auf die E-Mail. Bei der EMail ist es auch gut und richtig, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorzuschreiben.
Herr Kollege.
Jetzt - ich komme damit zum Ende - ist es nicht mehr
nötig; denn die De-Mail ist ein anderes System. Deswegen kann man dies explizit ausklammern.
Das E-Government-Gesetz ist der nächste Schritt ins
Zeitalter der digitalen Verwaltung. Lassen Sie ihn uns
gemeinsam gehen. Ich freue mich darauf und wäre froh,
wenn Sie dem Gesetz zustimmen würden.
Herzlichen Dank.
({0})
Jan Korte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Reichenbach, lieber Kollege Höferlin,
wir können uns vielleicht darauf verständigen, dass wir
alle sehr froh sind, dass wir heute hier noch reden und
den Abend zusammen verbringen. Was sollten wir auch
sonst in einer Sitzungswoche machen? Deswegen ist es
erst einmal gut, dass wir alle zusammen sind.
In der Tat - das sieht auch die Linke so - bietet die
elektronische Verwaltung große Chancen, gemeinwohlorientierte öffentliche Dienste zu stärken und voranzubringen. Das ist völlig unbestritten. E-Government bietet
logischerweise - auch das ist anzuerkennen - enorme
Chancen für mehr Beteiligung von Bürgerinnen und
Bürgern. Es könnte, wenn es gut läuft, einen weiteren
Vorteil haben: Die Nervereien bei Problemen, die der
eine oder andere mit Behörden hat - das soll ja vorkommen -, könnten auf beiden Seiten verringert werden.
Auch das ist erst einmal richtig. Deswegen ist die
Grundidee Ihres Gesetzentwurfs gar nicht schlecht. Das
Problem ist nur, dass die Idee zwar nicht schlecht ist,
aber die Umsetzung wieder einmal nicht hinhaut und leider inakzeptabel ist.
Ich möchte an drei Punkten aufzeigen, warum die
Linke das so sieht. Zum Ersten soll in Zukunft das DeMail-Verfahren als wesentliche Grundlage für die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung dienen.
Der Chaos Computer Club und seine exzellenten Sachverständigen haben nun deutlich gemacht - denen sollte
man glauben angesichts dessen, was der CCC uns in der
Vergangenheit vor Augen geführt hat -, dass das DeMail-Verfahren genauso unsicher ist wie eine herkömmliche E-Mail.
({0})
Das ist natürlich bei solch hochsensiblen Daten, die zwischen Bürgern und Verwaltung ausgetauscht werden,
nicht zu akzeptieren. Dieses Verfahren ist abzulehnen;
denn es ist nicht sicher.
Zum Zweiten: Wer den Server, so der CCC, eines der
wenigen De-Mail-Anbieter kontrolliert, hat logischerweise auch den totalen Zugriff auf die komplette Kommunikation. Das ist ein Problem, weil wir dort eine Zentralisierung bei diesen Diensten haben. Darin liegt eine
enorme Gefahr. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche
Lust auf diese Daten bei Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden geschürt wird.
({1})
Deswegen sollte man diese Lust gar nicht erst wecken.
Auch das ist ein Grund, warum der heutige Gesetzentwurf nicht zu akzeptieren ist.
({2})
Zum Dritten: Heute ist es so - das hat eine Umfrage,
die ich eben in der Welt gelesen habe, ergeben -, dass
30 Prozent der Deutschen ihre Behördenangelegenheiten
online erledigen. In Indien - nur zum Vergleich - sind es
übrigens weit über 60 Prozent. Das heißt, hier wird ein
Gesetz verabschiedet, um ein Verfahren zu unterstützen,
das de facto bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung gar keine Akzeptanz hat. Es ist eine Luftnummer,
wenn die Bürgerinnen und Bürger das nicht im großen
Umfang nutzen wollen.
({3})
Die Linke ist in der Tat für E-Government-Projekte,
die nicht - das ist ganz entscheidend, und das ist der Unterschied zu Ihnen - vor allem das Profitinteresse einiger
weniger in der IT-Branche zum Ziel haben. Das ist nämlich Ihr eigentliches Ziel: ganz wenigen Anbietern in der
IT-Branche ordentliche Profite zu organisieren.
({4})
Das sehen wir nicht ein. Sinnvoll wäre vielmehr ein Gesetzentwurf, der die Partizipation der Bürgerinnen und
Bürger stärken würde.
Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, erinnert an ELENA, an den elektronischen Personalaus29332
weis und an andere Projekte, die Sie grandios versenkt
haben. Sie alle haben nicht funktioniert und sind auf
ganzer Linie gescheitert. Jetzt kommt mit Ihrem Gesetzentwurf das nächste Projekt hinzu. Deswegen: Lassen
Sie das Ganze besser!
({5})
Die Linke wird Ihrem Gesetzentwurf heute selbstverständlich nicht zustimmen und bedauert es, dass wir in
diesem Bereich keinen Schritt vorwärtsgekommen sind.
Vielen Dank.
({6})
Clemens Binninger hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Moderne Verwaltung ist ein Standortfaktor. Moderne Verwaltung beginnt nicht erst im Rathaus, sie beginnt bereits im Netz. Mit diesem Gesetz schaffen wir
wichtige Voraussetzungen dafür, dass Verwaltung modern, bürgernah, unbürokratisch und ohne Medienbrüche
bereits im Netz funktionieren kann. Es ist ein wichtiger
Schritt. Dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen, halte
ich für unverzichtbar. Ich verstehe deshalb wirklich
nicht, wie man dagegen sein kann.
({0})
Denn wir machen hier etwas, was ja von allen, von den
Kommunen - auch da, wo Sie regieren -, von den Ländern - auch dort, wo Sie in der Regierung sind -, mit unterstützt und gefördert wird. Nur Sie glauben, Sie müssten dagegen sein.
Dieses Gesetz beinhaltet eine ganze Reihe von Verbesserungen und eine ganze Fülle von Dingen, die es
bisher nicht gibt: elektronisches Einreichen von Nachweisen, elektronische Akteneinsicht, elektronische Gebührbezahlsysteme. All das ist entscheidend. Was hat
uns bisher davon abgehalten, Verwaltung wirklich zu
vereinfachen? Der Bürger konnte vieles am PC machen.
Er konnte sich auf der Homepage einer Stadt die Angebote anschauen, er konnte auch eine normale E-Mail
hinschicken. Aber sobald ein Vorgang ein bisschen Verwaltungscharakter hatte - und das wird jeder zugeben,
der es schon einmal versucht hat -, hieß die Antwort
häufig: Tut uns leid. Das geht nicht. Das muss unterschrieben per Brief kommen.
({1})
Dieses Schriftformerfordernis war mit die größte
Hürde dafür, Verwaltung zu vereinfachen. Genau deshalb gehen wir jetzt mit diesem Gesetz einen Schritt weiter und sagen: Wir bauen die Schriftformerfordernisse
ab, wir ersetzen sie. Dort, wo es auch ohne sie gegangen
ist, streichen wir sie ganz. Wir haben aber weit über
1 000 Fälle, in denen die Schriftform aus irgendeinem
Grund erforderlich ist. Deshalb haben wir gesagt: Wir
brauchen ein oder sogar mehrere Verfahren, mit denen
wir die Schriftform ersetzen können.
Dieses Gesetz nennt übrigens nicht nur ein Verfahren,
Kollege Reichenbach. Es nennt drei Verfahren, mit denen der Bürger - er kann es sich aussuchen - die Schriftform ersetzen kann. Er muss dann keinen Brief mehr abschicken und braucht kein Papier mehr auszudrucken,
sondern kann alles zu Hause am PC machen.
Erster Weg: mit dem elektronischen Personalausweis
und der Zusatzfunktion. Hier wird man fragen können:
Wenn ich den nicht habe, was mache ich dann?
Zweiter Weg: mit der elektronischen Signatur, Ende
zu Ende verschlüsselt für die Daten, für die der Bürger
es will.
Dritter Weg: das De-Mail-Gesetz, mit dem wir schon
vor über einem Jahr einen Standard geschaffen haben,
der deutlich über der E-Mail und dem Fax liegt.
In diesem Fall - geschätzter Kollege Reichenbach,
vielleicht noch keine Erfolgsmeldungen simsen, die es
nicht gibt - sollten wir redlich miteinander umgehen.
Unsere Hauptkommunikationsform als Parlamentarier,
als Bürger, wo auch immer, ist heute die unsichere
E-Mail. Die E-Mail hat einen Sicherheitsstandard, der
mit einer Postkarte vergleichbar ist, die man mit dem
Text nach außen ans Schwarze Brett hängt. Das akzeptieren wir, das ist überhaupt kein Problem. Alternativ
gibt es das Fax, das auf der gesamten Strecke überhaupt
nicht verschlüsselt ist.
Mit der De-Mail haben wir ein Verfahren entwickelt,
das deutlich über dem Sicherheitsstandard der E-Mail
liegt. Es ist nicht Ende zu Ende verschlüsselt; aber anders, als die Rede vorher suggeriert hat, entscheidet der
Bürger, welches Verfahren er anwenden will. Der Bürger
entscheidet auch, ob er die De-Mail nutzt oder nicht.
Aber für uns ist doch entscheidend, dass die Sache keinen Schritt vorangehen wird, wenn wir die staatlichen
Behörden nicht in die Lage versetzen, solche Angebote
überhaupt zu machen, weil immer noch die Schriftform
erforderlich ist.
Ich habe mir noch einmal die Rede des Kollegen
Reichenbach zur ersten Lesung durchgesehen - zumindest den ersten Teil, dann war ich genügend informiert.
Damals war das Szenario noch ein anderes als heute.
Heute bezog sich die Kritik auf das Verschlüsseln und
die Standards, die wir angeblich wegdefinieren, was
nicht stimmt. Damals ging es noch darum, dass wir mit
diesem Gesetz für die Kommunen eine Kostenlawine
auslösen, durch die sie erdrückt werden. Das war Inhalt
dieser Rede.
({2})
- Ich nehme an, dass diese Rede stimmt. Sie war übrigens zu Protokoll gegeben, wenn ich mich richtig erinnere, aber egal, das ist ein anderes Thema.
({3})
Interessanterweise wurde in der Sachverständigenanhörung der Vertreter des Städtetages von mehreren Kollegen gefragt: Ist dieses E-Government-Gesetz - es löst
für die Kommunen keine Pflicht aus; nur dort, wo sie
Bundesrecht im Auftrag ausführen - mit der Verpflichtung, eine normale E-Mail-Adresse bereitzustellen, eine
Homepage anzubieten und eben dort, wo sie wollen,
auch De-Mail oder andere Zugänge zu ermöglichen, für
die Kommunen ein Kostenrisiko? Einhellige Antwort:
Nein, überhaupt nicht. Die Kosten sind kein Faktor. Also ist auch dieses Argument weg.
({4})
- Er hat es in dieser Eindeutigkeit gesagt, Frau Kollegin;
denn wir haben darauf Wert gelegt, dass wir darauf eine
präzise Antwort bekommen.
Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass Sie
in Ihrem Wahlkreis eine Kommune finden, die sagt: Wir
haben mit diesem E-Government-Gesetz das Problem,
dass uns aufgrund von Folgekosten eine Kostenlawine
erdrücken könnte. Eine Kostenlawine ist eigentlich nur
möglich, wenn es sich um eine Kommune handelt - die
gibt es, glaube ich, nicht einmal in Niedersachsen -, die
noch keinen PC hat, keine EDV-Infrastruktur, eine Kommune, in deren Büros noch Adler-Schreibmaschinen stehen und wo sonst nichts vorhanden ist. Solche Kommunen wird es in Deutschland nirgendwo mehr geben.
Insofern ist dieses Kostenargument schon lange als ein
von Ihnen aufgebauter Popanz entlarvt.
({5})
Zwei weitere wichtige Änderungen haben wir vorgenommen: Wir haben Barrierefreiheit geschaffen, damit
alle an dem, was in diesem Gesetz geregelt wird, teilhaben können. Außerdem haben wir dieses Gesetz ganz
bewusst technikoffen gestaltet; auch da wird man sehen,
wie sich das Ganze entwickelt. Das heißt, wenn es irgendwann neben den bisherigen drei beschriebenen Verfahren - Signatur mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung,
De-Mail oder E-Perso mit der Zusatzfunktion - ein weiteres sicheres Verfahren gibt, ist dessen Anwendung
möglich. Damit ist auch die Technikoffenheit gewährleistet. In der Summe ist es ein sehr gutes Gesetz, das für
etwas sorgt, worauf alle - Bürger, Kommunen, Verwaltung, Unternehmen, aber auch Bundesbehörden - schon
lange gewartet haben: Das Schriftformerfordernis ist in
vielen Bereichen nicht mehr notwendig. Wir sind moderner, schneller, näher, unbürokratischer. Deshalb lohnt es
sich, diesem Gesetz zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Konstantin von Notz
für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal auch mein Bekenntnis: Auch ich diskutiere gerne
noch zu dieser Stunde das E-Government-Gesetz. Ich
finde das erfrischend und schön.
({0})
- Genau. Einmal ein Applaus für alle.
({1})
- Sehr gut, gerne.
({2})
Mit der Zielrichtung des E-Government-Gesetzes hat
niemand - die Einleitung Ihres Vortrages, Herr Kollege
Binninger, war insofern ein bisschen scheinheilig - Probleme. Das ist eine feine Sache und toll.
({3})
Es geht um die Umsetzung, und bei der Umsetzung hapert es.
Wir begrüßen dieses Vorhaben grundsätzlich. E-Government findet in Bund, Ländern und Kommunen, also auf
allen Ebenen, schon statt. Leider hapert es ein bisschen
an der Kommunikation und dem Kontakt; Sie haben das
durchaus zutreffend beschrieben, Herr Kollege
Binninger. Insofern begrüßen wir, dass hier versucht
wird, medienbruchfreie Prozesse herbeizuführen. Wir
begrüßen die Verpflichtung von Behörden zur elektronischen Erreichbarkeit. Es ist grundsätzlich richtig, die
Behörden zu elektronischen Bezahlmöglichkeiten zu
verpflichten. Eine Verpflichtung zu Webauftritten ist sicherlich genauso gut wie die Bereitstellung von wesentlichen Informationen.
({4})
Der Einstieg der Bundesverwaltung in die elektronische
Aktenführung ist ebenfalls gut. Das sind die Ziele.
Die Generalfrage ist: Wie haben Sie die Vorgaben zur
Erreichung dieser Ziele umgesetzt? Ich verweise Sie einmal auf den Änderungsantrag, den Sie nachgeschoben
haben;
({5})
die entsprechenden Punkte sind ja benannt worden. Barrierefreiheit und andere Punkte sind mit zusätzlichen
Identifikationsverfahren versehen worden. Diese Punkte
sind gut.
({6})
Aber das Kernproblem, der Geburtsfehler, der diesem
Gesetz innewohnt, ist, dass Sie auf das De-Mail-Verfahren bauen.
({7})
Das haben Ihnen sämtliche Sachverständige schon in der
ersten Anhörung zum De-Mail-Verfahren gesagt, und
jetzt haben Sie es wieder erzählt bekommen.
Herr Kollege Binninger, ich will Ihnen und gerne
auch dem Kollegen Höferlin, der eigentlich in der Netzpolitik zu Hause ist
({8})
- ja, gut -, die Unterschiede erklären. Ich möchte klarstellen, welche Dinge wir als problematisch ansehen
müssen. Der Vergleich mit Briefkästen, die auch ausgeraubt werden können - auch Briefe können verschwinden -, hakt eben. Es geht hier um Server mit Millionen
von sensiblen Daten, auf die zugegriffen werden kann.
Das ist ein riesiges Problem und birgt ein riesiges Gefährdungspotenzial. Durch das De-Mail-Verfahren wird
kein adäquater Schutz gewährleistet.
Ich zitiere jetzt einmal Sascha Lobo - ich wollte das
schon immer einmal machen -, der diese Woche sehr zutreffend geschrieben hat:
Das Projekt De-Mail taugt in allen Details als Vorzeigemisserfolg. Und es steht mustergültig für das
fortgesetzte Versagen von Politik und Administration, die dringend benötigte digitale Infrastruktur zu
schaffen: Die De-Mail ist der digitale Hauptstadtflughafen.
Genau so wird es kommen, weil Sie auf diese Vorwürfe, auf diese Bedenken nicht eingegangen sind. Sie
ignorieren die Probleme. Sie gehen auf die fehlende
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht ein.
({9})
Sie erkennen die Problematik nicht. Sie reden das schön.
Damit werden Sie der Problematik nicht gerecht werden.
Der Innenminister - hier hat ja eben der Staatssekretär
geredet - spricht immer von der Problematik der Cybersicherheit. Ich sage Ihnen: Wir werden hier ein neues
Problem bekommen. Das wird ein Einfallstor für Missbrauch im Netz. Dieser wichtige Baustein für eine moderne Kommunikation zwischen Staat und Bürgern wird
hier final beschädigt werden. Deswegen ist das kein guter Tag
({10})
für die neue Beziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Staat über das Netz, sondern es ist bedauerlicherweise ein schlechter Tag.
Ganz herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13139, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/11473 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer
will dem Gesetzentwurf zustimmen? - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen
({0})
bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und der FDPFraktion; die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer stimmt dafür und steht
deswegen bitte auf?
({1})
Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Gesetzentwurf in
dritter Beratung ebenfalls angenommen, mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher.
Zurückkommen müssen wir zum Zusatzpunkt 6,
weil ein Zettel verschwunden war. Dabei ging es um ein
Hauptgutachten der Monopolkommission. Es fehlte
noch die Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12940 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/13109 soll an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann verfahren wir so.
Tagesordnungspunkt 21:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Zugänge schaffen und Teilhabe erleichtern Die Einfache Sprache in Deutschland fördern
- Drucksache 17/12724 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Petitionsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Die Reden sind zu Protokoll genommen.
Bereits der amerikanische Präsident John F.
Kennedy sagte richtigerweise „Es gibt nur eines, was
auf die Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“
Deshalb sorgen wir als Regierungsfraktionen dafür,
dass die Bildung ganzheitlich in unserem Land Vorrang genießt.
Und unsere Erfolge können sich dabei sehen lassen;
denn das Bildungsniveau ist insgesamt so gestiegen,
dass es nie weniger Schulabbrecher gab, nie mehr Abiturienten gab als jetzt und auch nie mehr Hochschulabsolventen gab als jetzt. Bildung hat im Haushalt den
größten Zuwachs. Gegenüber 2005 haben wir als
christlich-liberale Koalition eine Steigerung von
54 Prozent erreicht. Allein im Jahr 2013 beträgt das
Budget für Bildung und Forschung 13,75 Milliarden
Euro.
Doch neben diesen positiven Zahlen dürfen wir als
Deutscher Bundestag - und da stimme ich Ihnen von
der SPD zu - nicht diejenigen vergessen, die nicht davon profitieren oder die bereits die Schule längst verlassen haben. Und auch stimme ich Ihnen darin zu,
dass die Zahlen der „leo. - Level-One Studie“ alarmierend sind.
Daraus nun so wie Sie als SPD-Fraktion abzuleiten,
dass nur der Bund dafür zuständig sei, die Missstände
zu beheben, ist nicht redlich. Das Thema Analphabetismus fällt nämlich primär in die Zuständigkeit der
Länder. Der Bund unterstützt dabei und leistet wichtige Beiträge zur Bekämpfung des Problems.
Wie ich bereits vor knapp zwei Jahren anlässlich eines ähnlichen Antrags von Ihnen hier im Deutschen
Bundestag gesagt habe, hat die Bundesregierung das
Thema Alphabetisierung und Grundbildung bereits
seit längerem auf ihrer Agenda. Erste Ansätze in die
richtige Richtung haben wir bereits übrigens in der
Großen Koalition gesetzt, also sogar mit Ihnen gemeinsam. Wir fördern Alphabetisierung und Grundbildung mit einem ganzheitlichen Ansatz.
Daran hat sich auch nichts geändert - im Gegenteil.
Denn wir können es uns in unserem Land schlicht nicht
leisten, Menschen bei der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe - vor allem auch dauerhaft in ihrem
beruflichen Alltag oder Fortkommen - zu benachteiligen.
Um Ihnen zu verdeutlichen, wie der Bund handelt,
möchte ich exemplarisch drei Projekte aus der - übrigens gemeinsam mit den Ländern verabschiedeten Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung herausgreifen:
Erstens: die Öffentlichkeitskampagne im Rahmen
der gemeinsamen Strategie für Alphabetisierung und
Grundbildung Erwachsener. Wir wollen damit die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema erreichen, Motivation bei den Betroffenen schaffen und vor
allem zur Enttabuisierung der Problematik beitragen.
Der Bund investierte hier alleine 2012 5 Millionen
Euro.
Zweitens: die Einrichtung der Lernplattform „ichwill-lernen.de“ durch den Deutschen VolkshochschulVerband. Fast 340 000 Nutzer haben sich hier bisher
registriert. Der Bund hat hier bereits 7 Millionen Euro
an Fördermitteln bereitgestellt.
Drittens: die arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, bei der der
Bund insgesamt 20 Millionen Euro in den Jahren 2012
bis 2015 investiert, um beispielsweise kleine und mittlere Unternehmen, Hochschulen oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bei ihren Projekten,
Konzepten, Beratungs- und Schulungsangebote zu unterstützen.
Angesichts des drohenden Fachkräftemangels handelt der Bund entschlossen, um Menschen mit Schwächen in der Lese- und Schreibkompetenz zu unterstützen. Momentan entwickelt das Bundesministerium für
Arbeit und Soziales einen Leitfaden zur Anwendung
von leichter Sprache. Dies verdient unser aller Unterstützung genauso wie die Arbeit der verschiedenen Institutionen, Vereine und Netzwerke, die sich für die
leichte und einfache Sprache einsetzen.
Abschließend möchte ich zusammenfassen: Wir als
Regierungsfraktionen unterstützen die Bundesregierung in ihren bisherigen Projekten, insbesondere in
der Forschung zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Seit 2007 wurden über 100 Projekte bzw. Teilprojekte gefördert.
Wir machen als Bund - in Ergänzung zu den Ländern und Kommunen - bereits sehr viel, damit mangelnde oder schwächere Lese- und Schreibkompetenz
erfolgreich und nachhaltig bekämpft wird, um allen
Menschen in unserem Land insbesondere im Erwerbsleben und in allen demokratischen Prozessen eine Teilhabe zu ermöglichen. Diesen Weg werden wir fortführen.
Da Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD,
durch Ihren Antrag zeigen, dass auch Ihnen an möglichst großer gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche liegt, freue ich
mich auf eine konstruktive und zielführende Beratung
aller Parteien in unserem zuständigen Ausschuss.
Die UN-Weltdekade der Alphabetisierung ist gerade zu Ende gegangen - doch das Thema Analphabetismus ist auch in Deutschland noch lange nicht vom
Tisch. Wir haben im Bundestag wiederholt über die
7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht
richtig lesen oder schreiben können, debattiert. Doch
damit nicht genug: Neben diesen 7,5 Millionen sogenannten funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten können zusätzlich 13,3 Millionen Menschen in
Deutschland Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenstücke nur langsam und fehlerhaft
lesen und verstehen.
Diese Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ist in unserer Gesellschaft stark benachteiligt. Fahrpläne, Handyverträge, Banküberweisungen,
schriftliche Arbeitsanweisungen, Beipackzettel für
Medikamente, Zeitungen, Bücher oder gar Behördenbriefe und Antragsformulare sind unüberwindbare
Hindernisse für die Betroffenen. Dabei machen die
Zahlen auch deutlich, dass Lese- und Schreibschwäche
in Deutschland die gesamte Gesellschaft durchdringt viele arbeiten als Bauhilfsarbeiter, Reinigungskräfte,
Transport- und Frachtarbeiter, Köche, Maler oder
Verkäufer, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie dürfen bildungspolitisch nicht außer Acht gelassen werden. Gerade angesichts der Reduzierung einfacher Tätigkeiten im Berufsleben europaweit von 31 Prozent in
1996 auf 18 Prozent in 2020 stellt der Ausschluss von
Menschen mit Lese- und Schreibschwäche aus dem Erwerbsleben ein großes Problem dar. Richtig schreiben
und sinnentnehmend lesen zu können, sind aber auch
Voraussetzungen, um umfassend an Demokratie teilhaben zu können und somit auch insgesamt von gesellschaftlichem Interesse.
Eine Möglichkeit, Menschen mit Lese- und Schreibschwäche zu erreichen, ist, ihnen Informationen und
Materialien in einfacher Sprache anzubieten. Einerseits verlieren sie durch niedrigschwellige Leseangebote die Scheu vor dem Lesen. Andererseits wächst
durch Lesematerialien mit passendem Sprachniveau
ihr Selbstvertrauen, ihre Lesefähigkeit steigt, und es
entsteht eine positive Lernspirale. Es geht also nicht
darum, das Lese- und Schreibniveau generell abzusenken. Vielmehr steht dahinter die Absicht, diese Zielgruppe durch entsprechende Angebote überhaupt zu
erreichen und dann an ein höheres Niveau heranzuführen. Nur so kann eine umfassende gesellschaftliche
Teilhabe für diese immerhin 20,8 Millionen Erwachsenen in Deutschland sichergestellt werden.
Der Bund hat zwar in Reaktion auf die Ergebnisse
der leo.-Studie zusammen mit der Kultusministerkonferenz Ende 2011 eine „Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in
Deutschland“ ins Leben gerufen. Mehr als eine gute
Absicht kann man der Bundesregierung hier aber nicht
zugutehalten. Es gibt positive Bestrebungen und Ansätze. So bietet beispielsweise der Deutsche Bundestag
neben der regulären Homepage Information über die
Tätigkeit des Parlaments in leichter Sprache für Menschen mit Behinderung an. Auch unsere Fraktion hat
diverse parlamentarische Initiativen und Informationen in leichte Sprache und einfache Sprache übersetzt.
Doch diese Ansätze gilt es dringend auszubauen. Dazu
müssen die bisherigen Maßnahmen zur Vermittlung
von Inhalten in einfacher und leichter Sprache im Internetangebot des Bundestages erweitert werden.
Auch fordern wir die Bundesregierung auf, unzureichende Lese- und Schreibkompetenz und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Implikationen in
ihren Forschungsprogrammen zu verankern und das
Instrument der einfachen Sprache etwa in Form von
Zeitungen, Büchern oder digitalen Angeboten weiter
zu entwickeln und zu fördern. Darüber hinaus muss die
zusätzliche Anwendung der einfachen Sprache in
staatlichen Stellen verbindlich werden, und es sind
Maßnahmen notwendig, um die politische Partizipation von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche
und Behinderung zu erhöhen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische
Bildung.
In anderen Ländern, wie etwa in den Niederlanden
oder Schweden, wird die einfache Sprache neben der
leichten Sprache bereits seit längerem - als Teil einer
Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Leseund Schreibkompetenz - gezielt gefördert. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst ganz am Anfang.
Wir brauchen eine umfassend angelegte Strategie, die
konkrete Maßnahmen aufgreift und die Kooperation
der Akteure stärkt. Angebote in einfacher Sprache können Zugänge schaffen und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche
ermöglichen. Nutzen wir diese Chance!
Das große Verdienst der „leo. - Level-One-Studie“,
die im Jahr 2010 die Größenordnung und die Bedingungen und Differenzierungen des funktionalen Analphabetismus der erwerbsfähigen Bevölkerung in
Deutschland erfasst hat, ist, dass mit dieser Studie
nicht nur der Blick gerichtet wurde auf die über
7,5 Millionen Menschen, die zwar einzelne einfache
Sätze lesen oder schreiben können, nicht jedoch zusammenhängende Texte, sondern dass es darüber hinaus auch weitere 13 Millionen Menschen gibt, die
Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenschriftstücke nur langsam und fehlerhaft lesen
und verstehen können.
Diese fast 13 Millionen Menschen, die das Lesen
nach Möglichkeit vermeiden, dürfen genauso wenig
wie die funktionalen Analphabeten aus dem Blickfeld
der Politik ausgesperrt bleiben; sie bedürfen der bildungspolitischen Aufmerksamkeit, da Lese- und
Schreibfertigkeiten grundsätzliche Voraussetzungen
für umfassende gesellschaftliche Teilhabe sind.
Ausreichende Lese- und Schreibfertigkeiten sind dabei in allen Bereichen der Teilhabe wichtige Voraussetzungen im persönlichen Sozial- und Familienleben,
in der Teilhabe an öffentlichen Angeboten von Freizeit,
Sport und Kultur, in der Teilhabe am Erwerbsleben,
was natürlich eine besondere Bedeutung bekommt,
wenn wir wissen, dass sich die Reduzierung einfacher
Tätigkeiten im Berufsleben europaweit noch massiv
verstärken wird. Und Lese- und Schreibfertigkeiten
sind auch Voraussetzung für die Teilhabe an Demokratie. Die wachsende Wahlenthaltung wie die nicht vollständig und nicht korrekt ausgefüllten Wahlunterlagen, die zunehmend festzustellen sind, haben auch
Zu Protokoll gegebene Reden
etwas damit zu tun, dass mittlerweile sprachliche Anforderungen damit verbunden sind, die im Lesen und
Schreiben leider von vielen Menschen auch in
Deutschland nicht geleistet werden können.
Was eine wissenschaftliche Studie uns hier ins Bewusstsein gebracht hat, hat dann in der politischen
Debatte nicht nur zur Entwicklung einer sogenannten
Alphastrategie geführt, sondern speziell bei unserer
Fraktion, der sozialdemokratischen Fraktion, auch
dazu geführt, dass wir in den Ausschussanhörungen
wie in zusätzlichen Fachgesprächen, die wir als Fraktion veranstaltet haben, unser Augenmerk auf diese
größere Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche gerichtet haben. Es waren Vertreter aus Unternehmen - von gewerkschaftlicher Seite wie vonseiten der Personalführung -, es waren Sachverständige
aus der Wissenschaft, es waren Vertreter von Betroffenenverbänden und auch der Weiterbildungsträger und
nicht zuletzt auch Anbieter von Publikationen in einfacher Sprache, die uns sehr nachdrücklich darauf hingewiesen haben, dass Teil jeder Alphabetisierungsstrategie auch die Verbesserung der Bedingungen für
Menschen auf dem sogenannten Alpha-Level 4 bzw.
solche Menschen sein müsste, die nur mit einfacher
Sprache in ihrer Literacy, um hier einmal ausnahmsweise ein Fremdwort ganz gegen die Absicht der einfachen Sprache in die Debatte einzubringen, umgehen
können. Wir bekennen ganz freimütig: Hier haben wir
dazugelernt, und dies haben wir für die SPD-Bundestagsfraktion zum Anlass genommen, zu unseren bisher
schon eingebrachten Initiativen zur Alphabetisierung
eine weitere Initiative zu starten, mit der wir auch die
übrigen Fraktionen des Hauses ermutigen möchten,
sich stärker mit der einfachen Sprache und der dahinter stehenden Lebenswirklichkeit und den Schicksalen
von sehr vielen Menschen in unserem Land auseinanderzusetzen. Es kann nicht schaden, auch in der eigenen politischen Arbeit solche neuen Erkenntnisgewinne bei sich zuzulassen und daraus zu
entsprechenden politischen Ableitungen zu kommen.
Der gute Wille sollte jedenfalls da sein, und diesem
möchten wir mit dieser Initiative einen weiteren Anstoß geben.
Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass es eine
Zeit lang auch grundsätzliche Fragen gab, ob es eigentlich sinnvoll ist, niederschwellige Leseangebot in
einfacher Sprache zu fördern. Wir sind allerdings
- sehr nachdrücklich und oft bestätigt durch die Wissenschaft und die Praktiker in diesem Bereich - der
Auffassung, dass mit niederschwelligen Leseangeboten keine Verfestigung einer unzureichenden Lese- und
Schreibkompetenz verbunden ist, sondern im Gegenteil niederschwellige Leseangebote in einfacher Sprache ein ganz wichtiger Trittstein sind, um zusätzliche
Teilhabe und auch Lese- und Schreibfertigkeiten als
Kompetenzen mit aufzubauen und zu verbessern. Die
Menschen haben die Chance, die Scheu vor dem Lesen
zu verlieren. Dadurch wächst ihr Selbstvertrauen. Ihre
Lesefähigkeit steigt. Es kann eine positive Lesespirale
entstehen. Dies kann dazu führen, dass sie aus der einfachen Sprache herauswachsen und ein höheres Niveau in ihrer Kompetenz erreichen. Deshalb noch einmal ausdrücklich: Wer für einfache Sprache ist und
diese weiter in die Gesellschaft und den Umgang von
Institutionen in ihrem Schriftgut mit Menschen ausbauen möchte, will damit mitnichten diese Menschen
in ihrem Sprachniveau festschreiben und es ihnen „nur
zu leicht machen“. Gerade das Gegenteil ist der Fall.
Hier haben wir eine echte Chance, Teilhabe durch
Fördern zu erreichen.
Einmal mehr müssen wir im Bereich der Grundbildung hierbei leider konstatieren, dass andere Länder
wie zum Beispiel die Niederlande oder Schweden mit
der gezielten Förderung der einfachen Sprache schon
viel weiter fortgeschritten sind, um damit allen Menschen dazu zu verhelfen, ihre Lese- und Schreibschwächen zu überwinden oder jedenfalls damit besser umgehen zu können. In diesen Ländern wird gezielt an
einer allgemeinen Erhöhung des Literalitätsniveaus
auf allen Stufen gearbeitet. Angebote in einfacher
Sprache wie auch in der Variante der leichten Sprache
sind in diesen Ländern seit längerem Teil einer Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Lese- und
Schreibkompetenz. Erste Erfolge sind dort bereits zu
verzeichnen. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst am Anfang einer solchen ausbaufähigen Gesamtstrategie zur Förderung der Lese- und Schreibkompetenz. Es wird tatsächlich aber höchste Zeit, dass
wir auch in Deutschland hier energisch vorangehen,
wenn wir nicht auf Dauer von einem PISA-Schock in
einen nächsten Schock zum Beispiel im Rahmen
der Veröffentlichung der Ergebnisse zur sogenannten
PIAAC-Studie über die Alltagsfertigkeiten Erwachsener im Oktober diesen Jahres fallen wollen und dieses
uns auch in den nächsten Jahren immer wieder passiert, ohne das sich tatsächlich wirklich etwas ändert.
Was sich ändern kann im Sinne der einfachen Sprache, haben wir von der SPD-Fraktion in einem umfangreichen Forderungs- und Anregungskatalog herausgearbeitet, den wir gerne auch parteiübergreifend
mit anderen Fraktionen beraten möchten. Wir setzen
hier auch deshalb auf die parteiübergreifende Arbeit
in diesen Fragen, weil ja kleine Ansätze auch in der
Vergangenheit nicht zuletzt im Parlament wie auch im
Regierungshandeln schon parteiübergreifend gemacht
worden sind. Dies soll hier keineswegs verschwiegen
werden. Zum Beispiel gibt es und gab es den Einsatz
von Sprachwissenschaftlern mit Blick auf die sprachliche Beratung bei der Bearbeitung von Gesetzes- und
Rechtsvorschriften. Es gab ja auch Pilotprojekte über
bürgernahe Verwaltungssprache. Auch der Bundestag
hat im letzten Jahr erste Schritte zur leichten Sprache
mit unternommen, indem auf der regulären Homepage
des Bundestages über die Tätigkeit des Parlamentes in
leichter Sprache informiert wird. Nicht zuletzt haben
auch Anträge der SPD-Fraktion, für die ich hier sprechen darf, eine ergänzende Fassung in der Form der
einfachen Sprache bekommen. Zum Beispiel in dem
Antrag „Kultur für alle - Für einen gleichberechtigten
Zugang von Menschen mit Behinderung zu Kultur, InZu Protokoll gegebene Reden
formation und Kommunikation“ oder auch in Broschüren zur Bildungspolitik, zur Inklusion wie im Antrag zur Alphabetisierung und Grundbildung, die für
uns als antragstellende Fraktion in eigener Verantwortung in einfache Sprache übersetzt worden sind.
In dieser Linie müssen wir insgesamt im Bundestag
weiterarbeiten, mit entsprechenden alternativ formulierten Anträgen, mit Angeboten im Parlament, mit Publikationen und mit einer grundsätzlich größeren Bereitschaft, diese sprachliche Zugänglichkeit ernst zu
nehmen.
Ernst genommen werden muss die Situation von
13 Millionen Menschen, die nur fehlerhaft schreiben
und lesen können in Deutschland, auch in der Wissenschaft. Hier hat es ja, ohne hieran irgendwie Kritik
üben zu wollen, eine erhebliche Verstärkung der Forschungsinitiativen nicht zuletzt auch durch die Bildungsforschungsmittel seitens der Bundesregierung
gegeben. Wir regen dringend an, hier auch die Themen
von einfacher und leichter Sprache zum Gegenstand
entsprechender Forschungsprogramme zu machen.
Ein drittes Handlungsfeld liegt darin, die Nationale
Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung um
die Dimension der einfachen Sprache zu erweitern und
mit allen an dieser Strategie Beteiligten, von den Kirchen über die Kommunen bis hin zur Bundesagentur
für Arbeit, bei den Gewerkschaften wie der Wirtschaft,
darauf zu drängen, dass einfache Sprache zu einer
Selbstverständlichkeit wird, wenn es darum geht, Menschen den Zugang in schriftlicher Form zu den Informationen und Kommunikationswegen dieser Institutionen zu ermöglichen.
Es bleibt dabei: Wenn wir Partizipation und Teilhabe für alle wirklich ernst nehmen, müssten wir uns
auf die Voraussetzungen einlassen und einstellen, die
die Menschen mitbringen. Anfangen, wo die Gruppe
steht, ist ein elementarer Grundsatz jeder Gruppenpädagogik. Schreiben und formulieren so, dass der Adressat es verstehen kann, muss die Maxime sein, nach der
wir in Zukunft auf jeder Ebene Schrift- und damit letztlich Kommunikationsangebote machen. Wir bitten
dringlich darum, dass dieses auch in anderen Fraktionen konstruktiv aufgenommen wird und unser Antrag
einen weiteren Anstoß geben kann, in dieser Grundbildungsstrategie für Deutschland endlich ernsthaft voranzukommen.
Die grundsätzliche Absicht dieses Antrags der SPDFraktion ist zu 100 Prozent nachvollziehbar. Sie fordern, dass der Bundestag mehr Angebote in Leichter
und Einfacher Sprache verfügbar machen soll. Dies
sollte für jeden von uns in diesem Parlament innere
Verpflichtung sein. Schade ist nur, dass Sie selbst nicht
einmal Ihren Antrag in Leichter und Einfacher Sprache formulieren können. Würden wir andere Anträge
zurate ziehen, kämen ziemliche Bandwurmsätze zutage.
Sie verwenden auch hier Worte wie „BürgerVerwaltungs-Kommunikation“, „Rechtsetzungsverfahren“ und „zielgruppenspezifische Angebote oder
Forschungsprogramme“. Fragen Sie einmal Otto
Normalleser, ob er damit irgendetwas anfangen kann.
Ich denke, Sie erkennen selbst, wie viel Ironie in Ihrem
Antrag verborgen ist.
Wir haben in dieser Legislaturperiode wirklich
Maßnahmen ergriffen: das Programm „Lesestart“ mit
einer Finanzierung von 20 Millionen Euro, bei dem in
den kommenden acht Jahren 4,5 Millionen LesestartSets verteilt werden, die „Offensive Frühe Chancen“
für 4 000 Schwerpunkt-Kindertagesstätten, das Programm zur arbeitsplatzorientierten Forschung und
Entwicklung für Grundbildung, das mit 20 Millionen
Euro ausgestattet wurde, die weitere Aktivierung von
Mitteln für Alphabetisierung und Grundbildung aus
dem Europäischen Sozialfonds in Höhe von 35 Millionen Euro, die Förderung von 24 Verbundvorhaben mit
über 100 Einzelmaßnahmen mit einer Gesamtfördersumme von über 30 Millionen Euro, die Öffnung der
Bildungsprämie für Maßnahmen der Alphabetisierung
und Grundbildung, bei der seit deren Verdreifachung
von 150 auf 500 Euro statt 7 000 Prämien im Jahr
2009 inzwischen 180 000 Prämien ausgegeben wurden, die Einrichtung der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“, die
Initiative „Lesen und Schreiben - Mein Schlüssel zur
Welt“, die mit den 5 Millionen Euro ausgestattet ist,
die die FDP in den Haushaltsberatungen durchgesetzt
hat, die Fortführung der Initiative „iChANCE“.
Dies ist ein großer Maßnahmenplan der bürgerlichen Regierung für Alphabetisierung und Grundbildung.
Dringende, nächste Schritte aus Sicht der Liberalen
sind: ein „Alpha-Plan“ im Sinne eines Masterplans
Alphabetisierung für die Bundesrepublik Deutschland;
Bund, Länder, Kommunen, Verbände, Organisationen
und die Wirtschaft stehen hier in einer gemeinsamen
gesellschaftpolitischen Verantwortung, um die hohe
Zahl von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten zu
reduzieren, die bestehende Qualifizierungsinitiative
„Aufstieg durch Bildung“ zwischen Bund und Ländern
um eine „Alpha-Initiative“ für die Bundesrepublik
Deutschland zu erweitern und so konkrete Schritte in
den gemeinsamen Verabredungen zu verankern, wie
funktionaler Analphabetismus frühzeitig erkannt und
von der Kindertagesstätte an begegnet werden kann,
die Einrichtung eines „Alpha-Büros“ als Koordinierungsstelle für alle Maßnahmen, die in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, vorzugsweise angesiedelt bei der KMK, das Thema Analphabetismus in
Deutschland endlich ins Zentrum der bildungspolitischen Debatte zu stellen; die KMK muss sich dieser
Aufgabe annehmen und alle Maßnahmen der Bundesländer darstellen, kritisch überprüfen und neu ausrichten, im Rahmen der „Initiative zur Stärkung der
Exzellenz in der Lehrerausbildung“ ein besonderes
Augenmerk auf die Qualifizierung von Lehrerinnen
Zu Protokoll gegebene Reden
und Lehrern zum frühzeitigen Erkennen von Symptomen des Analphabetismus zu legen, im Rahmen der
lokalen Bildungsbündnisse der Frage der Alphabetisierung einen wichtigen Stellenwert zukommen zu lassen; nur in der Vernetzung vor Ort zwischen allen
schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen können Maßnahmen frühzeitig greifen, eine
Kampagne zur Gewinnung von „Alpha-Paten“, die
sich ehrenamtlich für Alphabetisierung engagieren
möchten und die in enger Kooperation mit den regionalen Wirtschaftsorganisationen stattfinden muss, die
Einrichtung einer „Alpha-Stiftung“ für die Bundesrepublik Deutschland, um hier alle Beteiligten zu einem
gemeinsamen Engagement zu motivieren und verstärkt
innovative Maßnahmen zur Enttabuisierung und zur
Förderung auf den Weg zu bringen, eine LänderFolgestudie zur leo.-Level-One Studie, die genau aufschlüsselt, wie die jeweilige Situation in den Bundesländern ist, um so auch deutlich zu machen, welcher
unterschiedliche Handlungsbedarf in welchen Ländern notwendig ist, in diesem Zusammenhang eine umfassende Aufklärungskampagne gerade auch für die
sogenannten „Mitwisser“ zu starten; jeder muss sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, hilfreich zur Seite
zu stehen, statt einfach wegzuschauen, dem funktionalen Analphabetismus im Rahmen des Nationalen Bildungsberichts einen eigenen Schwerpunkt zu geben,
die Weitung der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ durch
Verbände der Wirtschaft und Gewerkschaften, um so
umfassende Grundlagen für arbeitsplatzorientierte
Maßnahmen legen zu können, in der Frage der Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland auch im
politischen Bereich die Konsequenz zu tragen; deshalb
fordern wir einen „Alpha-Beauftragten“ der Bundesregierung und in gleicher Weise Landesbeauftragte
der Landesregierungen, die Öffentlichkeit durch die
Medien kontinuierlich über das Themenfeld Alphabetisierung zu informieren, um so zur Entstigmatisierung
beizutragen und zugleich die Betroffenen und ihre Vertrauenspersonen auf bestehende Hilfsangebote aufmerksam zu machen; Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener erfordern ein möglichst
flächendeckendes und nachfragegerechtes Angebot an
Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen in Weiterbildungseinrichtungen, im Bereich der Prävention
von funktionalem Analphabetismus sicherzustellen,
dass es frühzeitige Sprachstandsdiagnosen und Förderangebote schon in den Kindertagesstätten gibt,
eine enge Verzahnung der Arbeit der „Nationalen
Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung
Erwachsener“ und der „Allianz für Bildung“, damit
keine Maßnahmen parallel stattfinden.
Hier können gerne alle gemeinsam wirken. Die internationale Parlamentskonferenz am Montag bietet
einen wichtigen weiteren Schritt.
Eines der größten Hemmnisse beim Kampf gegen
den Analphabetismus ist die Angst der Betroffenen, mit
ihrem Problem an die Öffentlichkeit zu gehen und Hilfe
in Anspruch zu nehmen. Daher muss die Gesellschaft
noch mehr für dieses Thema sensibilisiert werden. Nur
wenn alle hier an einem Strang ziehen, kann diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe bewältigt werden. Die
bürgerliche Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass
wir ein gesellschaftspolitisches Klima schaffen, in dem
Analphabetismus enttabuisiert und alle gesellschaftlichen Institutionen dafür sensibilisiert werden.
Es betrifft 7,5 Millionen Menschen in Deutschland
oder jeden Siebenten im Alter zwischen 15 und 65 Jahren: So viele Menschen, die in Deutschland leben, können nicht oder nicht gut lesen und schreiben. Es gibt
für sie zu wenig Hilfen. Es wäre sicher eine große Erleichterung, wenn Texte in Zeitungen, im Bundestag, in
den Landtagen, in Ämtern und Behörden oder auch vor
Gericht in einfacher Sprache veröffentlicht würden.
Das erleichtert ganz sicher vielen Menschen, sich
zurechtzufinden. Das ist wichtig für Menschen, die
nicht gut lesen und schreiben können. Das ist auch
wichtig für Menschen, die eine andere Muttersprache
gelernt haben. Und selbst für Touristen aus dem Ausland ist es nicht schlecht.
Einfach zu sprechen und zu schreiben, ist durchaus
anspruchsvoll; denn manche und mancher von uns
wird beim Lesen von Vorlagen und Gesetzen auch
schon gefragt haben: Kann man das nicht auch einfacher sagen? - Texte in einfacher Sprache werden also
durchaus von jedem Menschen besser verstanden. Insofern sollte man nicht den Eindruck erwecken, die
einfache Sprache sei nur etwas für jene, die nicht so
klug sind.
Sich in einfacher Sprache auszudrücken, strengt ungeheuer an. Also: Einfache Sprache in die Ämter und
Behörden! Projekte entwickeln, in denen Lesen und
Schreiben gelernt wird. Barrierefreiheit auch in der
Sprache! So lauten im Wesentlichen die Forderungen
der SPD.
Ist damit also alles gut? Keinesfalls. Ich bin auch
nach mehrmaligem Lesen etwas ratlos, warum der Antrag jetzt, gerade zu diesem Zeitpunkt, gestellt wurde.
Hier wird der Eindruck erweckt, wenn man alles in
einfacher oder leichter Sprache schreiben würde, dann
wäre den vielen, die nicht gut lesen und schreiben können, genug geholfen.
Im Forderungsteil des Antrags findet man auch
Forderungen nach einer besseren wissenschaftlichen
Erforschung zu den Ursachen der schlechten Beherrschung der Schriftsprache. Doch die verschiedenen
betroffenen Gruppen werden kaum berücksichtigt. Es
werden auch keine unterschiedlichen Wege angestrebt,
mit denen das Lesevermögen und die Fähigkeit, zu
schreiben, verbessert werden können. Vielmehr entsteht der Eindruck, der Zustand der schlechten Leseund Schreibfähigkeit eines großen Teils der Bevölkerung werde einfach hingenommen. Warum das so ist,
wird nicht gefragt. Die „einfache Sprache“ scheint
das einzige Mittel dagegen zu sein.
Zu Protokoll gegebene Reden
Das aber wäre fatal. Manche Menschen, die nur
eingeschränkt lesen und schreiben können, haben eine
geistige Beeinträchtigung. Für sie ist die Möglichkeit,
Texte in leichter oder einfacher Sprache lesen zu können, eine große Leistung. Sie brauchen ihr Leben lang
solche Hilfen, um mitreden zu können.
Es gibt auch Menschen, die mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind und die nur die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Auch ihnen
kann über einfache Sprache gut geholfen werden. Aber
sie könnten die deutsche Sprache irgendwann gut beherrschen.
Doch es gibt auch Menschen, die schlecht lesen und
schreiben können, weil sie in der Schule nicht genügend gefördert werden konnten. Und schließlich gibt
es Menschen, die nach einem erfolgreichen Schulabschluss das Lesen und Schreiben wieder verlernt haben. In den wenigsten Fällen bedeutet die fehlende
oder schlechte Beherrschung der Schriftsprache, dass
man sie nicht lernen kann.
Darum muss man sorgfältiger nach den Ursachen
für die verschiedenen Formen von Analphabetismus
suchen. Dann können auch Wege gefunden werden, mit
denen die sichere Beherrschung der Sprache in Wort
und Schrift erreicht werden kann.
Wir haben dazu schon einen Antrag vorgelegt, Bundestagsdrucksache 17/8766 „Niemanden abschreiben
- Analphabetismus wirksam entgegentreten, Grundbildung für alle sichern“. Diese Wege müssen mindestens
in der Schule beginnen. Dazu braucht man eine größere Aufmerksamkeit bei Lehrerinnen und Lehrern.
Dazu braucht man aber auch mehr Zeit, sich besonders mit den Kindern zu befassen, die es schwerer haben, lesen und schreiben zu lernen.
Es ist zu spät, wenn sich die Politik erst dann bemüht, wenn festgestellt wurde, wie groß der Anteil der
Bevölkerung ist, der nicht gut lesen und schreiben
kann. Im SPD-Antrag erscheint es aber so, als ob man
sich mit dem schlechten Befund der LEO-Studie über
die Lese- und Schreibfähigkeit der Bevölkerung abfinden muss. Und nun sucht man nur nach Möglichkeiten
der Reparatur. Das ist uns zu wenig.
Wir wollen erreichen, dass alle Menschen von Anfang an einen guten Zugang zur Sprache erhalten. Sie
sollen gut lesen und schreiben lernen. Denn die Fähigkeit, gut zu lesen und zu schreiben, ist wichtig für die
volle gesellschaftliche Teilhabe oder für beruflichen
Erfolg.
Darum wollen wir nicht erst dann beginnen, wenn
das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern
schon dort, wo Lesen und Schreiben zuerst gelernt
wird: in der Schule. Und wir wollen verhindern, dass
einmal Gelerntes wieder verlernt wird.
Darum müssen wir mehr darüber wissen, wann, wo,
wie und warum Lesen und Schreiben nicht richtig gelernt wird oder aber auch die Fähigkeit wieder verloren geht. Darauf müssen auch die Hilfen aufbauen.
Und das werden unterschiedliche Hilfen sein. Das
müssen Schulen wissen, aber auch Arbeitgeberinnen
und Arbeitgeber, Ämter und Behörden. Dann erst können unterschiedliche und für jede besondere Gruppe
sinnvolle Wege gefunden werden, die geeignet sind, die
Lese- und Schreibfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die „einfache Sprache“ ist nur ein Bestandteil
dieser möglichen Hilfen. Uns reicht das nicht.
Inzwischen ist mir auch eingefallen, warum der Antrag gerade heute und so kurzfristig gestellt wurde: Am
Montag findet im Bundestag die internationale Parlamentarierkonferenz zum Abschluss der UN-Weltdekade für Alphabetisierung statt. Und da möchte die
SPD halt ein wenig glänzen. Ein Schaufensterantrag
ist es also. Er ist sehr durchsichtig und leider auch
sehr oberflächlich. Doch das Problem bleibt uns auch
nach diesem Antrag erhalten.
Wir sprechen hier heute über einen wichtigen As-
pekt gesellschaftlicher Teilhabe: Lesen und Schreiben.
Die „leo. - Level-One-Studie“ hat uns allen im Jahr
2010 die Augen geöffnet: In Deutschland leben viele
Erwachsene, die keinen zusammenhängenden Text le-
sen können. Das bedeutet: Sie können nur ganz wenig
geschriebene Information aufnehmen. Und sie können
selbst auch nur ganz wenig schriftlich mitteilen.
In unserem Parlamentsalltag ist das schwierig vor-
zustellen. Wahrscheinlich schreiben und lesen wir alle
an einem Tag so viel wie diese 7,5 Millionen Menschen
in einem Monat.
Die SPD erinnert uns in unserem Arbeitsalltag, der
so oft voll von hochkomplexen Texten ist, dankenswer-
terweise daran, dass wir alle Menschen erreichen wol-
len. Dafür müssen wir etwas tun. Einfache Sprache in
Wort und Schrift hilft dabei. Wir müssen uns klarma-
chen: Manche Wege, die für uns alltäglich sind, sind
für eine große Zahl von Menschen eine große Anstren-
gung und Überwindung.
Im vorliegenden Antrag sind drei Vorschläge ent-
halten, wie der Deutsche Bundestag in leichter und
einfacher Sprache kommunizieren sollte. Die Vor-
schläge, das Internet dafür stärker zu nutzen und ei-
genständige Publikationsangebote zu entwickeln,
finde ich sehr gut.
Für die Zeitung „Das Parlament“ gilt nach meiner
Einschätzung, dass sie gerne auch eine leichter les-
bare Seite enthalten sollte. Diese Seite könnte und
sollte sich aber eher an junge Leserinnen und Leser
richten.
Denn für die Mehrheit der Gruppe, über die wir uns
hier Gedanken machen, ist eine Zeitung gerade kein
attraktives Medium, sondern abschreckend. Die
Hürde, eine Zeitung in die Hand zu nehmen und in ihr
nach Informationen zu suchen, ist nach jahrelanger
Erfahrung der eigenen Schwäche für die meisten zu
hoch.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zu anderen Forderungen nur kurz:
Die Nationale Strategie für Alphabetisierung und
Grundbildung Erwachsener ist eine gute Initiative. Sie
sollte auf diejenigen ausgedehnt werden, die das Al-
pha-Level 4 erreichen - also Menschen, die sehr feh-
lerhaft und langsam schreiben trotz gebräuchlichem
Wortschatz.
Mich wundert, dass die Wirtschaft im Antrag nur
einmal erwähnt wird. Sie soll sich an einer Öffentlich-
keitskampagne beteiligen. Das ist gut und richtig. Aber
die Unternehmen sind als Arbeitgeber viel direkter ge-
fragt! Es geht gerade darum, Menschen, die „aktive
Lesevermeider“ sind, im wahrsten Wortsinne „anzu-
sprechen“. Wer kann das besser als Kollegen, Be-
triebsratsmitglieder, aufmerksame Vorgesetzte? Damit
diese das tun, brauchen sie die Aufmunterung und Un-
terstützung der Leitung. Also: Wirtschaft muss stärker
mit ins Boot. Sie muss informieren und aktivieren, un-
terstützen und motivieren. Der Fachkräftemangel
muss auf allen Ebenen angegangen werden!
Dies kann nicht alleine Aufgabe der Jobcenter und
Agenturen sein. Denn glücklicherweise sind nicht alle
Menschen, die einfache Sprache benötigen oder be-
vorzugen, arbeitslos.
Auch wenn die Menschen, die nur wenig lesen und
schreiben können, das Lernen nachholen wollen, brau-
chen sie die Unterstützung der Arbeitgeber: Vielleicht
über eine flexiblere Schichteinteilung, einen Bildungs-
urlaub oder die Gelegenheit zum Erfahrungsaus-
tausch.
Die Volkshochschulen können noch so gute Ange-
bote machen. Sie erreichen ihre Zielgruppe, indem sie
zum Beispiel Plakate aufhängen und Werbung im Ra-
dio machen. Aber es fällt ihnen nicht leicht, Menschen
für ein Alphabetisierungsangebot auf klassischen We-
gen wirklich anzusprechen.
Deswegen sind alle zum Ansprechen aufgefordert:
staatliche Stellen von der Kommune bis zum Bundes-
tag, gesellschaftliche Gruppen vom Turnverein bis zur
Nachbarschaftsinitiative, die Wirtschaft vom Ausbil-
dungsbetrieb bis zur Kammer.
Der Hinweis der Antragsteller, dass wir im Oktober
2013 einen neuen Bildungsschock erleiden, ist hoffent-
lich überflüssig. Wie auch immer die PIAAC-Ergeb-
nisse über die Alltagsfertigkeiten Erwachsener ganz
genau ausfallen werden: Wir müssen handeln und uns
um einfache Sprache stärker kümmern.
Es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache
17/12724 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in
der Tagesordnung aufgeführt finden. - Damit sind Sie
einverstanden. Dann ist das beschlossen.
Tagesordnungspunkte 22 a und b:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung
- Drucksache 17/13079 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden
- Drucksache 17/12069 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Die Reden sind zu Protokoll genommen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/13079 und 17/12069 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das beschlossen.
Tagesordnungspunkt 23:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert,
Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen
mit Behinderung ermöglichen - UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen
- Drucksachen 17/9190, 17/12915 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dr. Lutz Knopek
Katrin Kunert
Viola von Cramon-Taubadel
Die Reden sind zu Protokoll genommen.
Im Jahr 2006 hat die UNO-Generalversammlung
das Übereinkommen über die Rechte von Menschen
mit Behinderung verabschiedet. Zwei Jahre später ist
es in Kraft getreten. Es ist ein von 128 Staaten
abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag, der
Menschenrechte für die Lebenssituation behinderter
1) Anlage 17
Menschen konkretisiert, um ihnen die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Natürlich haben Deutschland und die Europäische Union diesem wichtigen Übereinkommen
zugestimmt. Darin finden sich neben grundlegenden
Teilen der allgemeinen Menschenrechte, wie zum Beispiel dem Recht auf Leben oder dem Recht auf Freizügigkeit, viele spezielle Bestimmungen, die auf die Lebenssituation behinderter Menschen eingehen. Dazu
gehören im Art. 30 auch einige Bestimmungen, die den
Bereich des Sports betreffen.
Alle 27 EU-Mitgliedstaaten haben die Konvention
unterzeichnet, und für die EU ist das Übereinkommen
am 22. Januar 2011 in Kraft getreten. In Deutschland
ist dies bereits knapp zwei Jahre früher, am 26. März
2009, geschehen. Das verdeutlicht, wie wichtig der
Politik in Deutschland die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist.
Die Konvention stellt die Pflichten der Staaten
heraus, die für Menschen mit Behinderung bestehenden Menschenrechte zu gewährleisten. Aufgabe aller
Menschenrechtskonventionen ist die Stärkung der
Menschen, indem Ansprüche auf Selbstbestimmung
und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe geltend gemacht werden und ihre Durchsetzung ermöglicht wird.
Die Grundsätze der Konvention enthält Art. 3. Darin ist unter anderem festgelegt, dass die Achtung der
dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene
Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit gewährleistet sein muss. Die Nichtdiskriminierung
von Menschen mit Behinderung wird ebenso gewährt,
wie die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft, die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit
Behinderung und die Akzeptanz dieser Menschen als
Teil der menschlichen Vielfalt.
Die Behindertenrechtskonvention verfolgt das Leitbild der sogenannten Inklusion. Dabei darf es nicht
mehr darum gehen, Ausgegrenzte zu integrieren, sondern allen Menschen von vornherein die Teilnahme an
allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf allen Ebenen
und in vollem Umfang zu ermöglichen. Dies bedeutet,
dass alle gesellschaftlichen Bereiche für die Teilhabe
von Menschen mit Behinderung zugeschnitten sein
müssen oder geöffnet werden müssen. Schlussendlich
ist es nicht die Aufgabe des Menschen mit Behinderung, sich anzupassen, um seine Rechte wahrzunehmen. Wir müssen uns ihnen anpassen. Dazu gehört
auch die Sicherstellung behindertengerechter Infrastruktur, denn das ist ein Grundgedanke der Behindertenrechtskonvention.
Neben diesen allgemein gehaltenen Richtlinien enthält der Art. 30 der Konvention Aspekte, die insbesondere im Bereich des Sports zur Geltung kommen. Da
diese für uns folglich von besonderer Bedeutung sind,
möchte ich einige von Ihnen hier aufgreifen.
So heißt es zum Beispiel, dass gleichberechtigte
Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit
Menschen mit Behinderung ohne Nachteile ihrem
Sport nachkommen können. Explizit wird darin darauf
hingewiesen, dass auf allen Ebenen die Möglichkeit
der Beteiligung von Menschen mit Behinderung an
Breitensportangeboten hergestellt werden sollte. Es
soll sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderung sich im Sport organisieren können und ihnen
angemessene Trainings- und Trainerangebote zur Verfügung gestellt werden. Zudem heißt es in dem Artikel
auch, dass insbesondere behinderte Schülerinnen und
Schüler die Möglichkeit erhalten sollen, gleichberechtigt an allen sportlichen Aktivitäten im Schulsystem
teilzunehmen.
Die Erfüllung all dieser Voraussetzungen ist für die
Inklusion von Menschen mit Behinderung unerlässlich. Daraus ergibt sich der Auftrag an uns alle, diese
auch umzusetzen. Daran arbeitet diese Bundesregierung, und ich möchte einige Maßnahmen aufzeigen,
die das verdeutlichen.
Das Leistungssportprogramm der Bundesregierung
sieht bereits seit dem Jahr 2005 eine Gleichbehandlung des Spitzensports von Sportlern mit und ohne Behinderung vor. Der Leistungssport von Menschen mit
Behinderung wird durch das Bundesministerium des
Inneren grundsätzlich nach den gleichen Kriterien gefördert wie der Spitzensport der Nichtbehinderten. Das
gilt zum Beispiel für die Finanzierung von
Trainingslehrgängen, der Teilnahme an nationalen
und internationalen Wettbewerben und der Übernahme von Personalkosten der Geschäftsstellen der
Behindertensportverbände. Diese Gleichbehandlung
spiegelt sich auch in der Höhe der Haushaltsmittel
wider: Der Deutsche Behindertensportverband, der
Deutsche Gehörlosen-Sportverband und Special
Olympics Deutschland werden mit insgesamt circa
5 Millionen Euro jährlich unterstützt.
Dazu gehört auch, dass die „Duale Karriere“ von
Leistungssport und beruflicher Entwicklung behinderter Sportler durch den neu geschaffenen, ressortübergreifenden Stellenpool bei Bundesbehörden maßgeblich vorangebracht wurde. Dort wurde die Möglichkeit
geschaffen, neben einer beruflichen Tätigkeit auch
Leistungssport ausüben zu können. Diese Angebote für
Sportler mit Behinderung wurden in den letzten Jahren
immer weiter ausgebaut, und das wird auch in Zukunft
so weitergehen.
Obwohl es im Grunde genommen eine reine
Aufgabe der Bundesländer ist, stellt der Bund darüber
hinaus auch finanzielle Mittel zur Förderung der
Teilnahme von Menschen mit Behinderung im Breitensport zur Verfügung, darunter solche zur Förderung
des Deutschen Behindertensportverbands, der Maßnahmen im Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport organisiert.
Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass viele
Sportangebote für Menschen mit Behinderung ohne
Zu Protokoll gegebene Reden
die Arbeit von Ehrenamtlichen nicht denkbar wären.
Dieses freiwillige Engagement gibt es jedoch nicht nur
für Menschen mit Behinderung, sondern selbstverständlich auch von Menschen mit Behinderung. Dieser
Gedanke wird durch die Nationale Engagementstrategie aufgegriffen. Menschen mit Behinderung sind darüber hinaus explizite Zielgruppe des ebenfalls in der
Strategie genannten Programms „Freiwilligendienste
aller Generationen“.
Das eigene Freiwilligenengagement von Menschen
mit Behinderung stärkt die Menschen in ihren Fähigkeiten, fördert oder aktiviert ihre Kompetenzen. Das
Engagement führt zur gesellschaftlichen Teilhabe in
Richtung einer inklusiven Gesellschaft und wird daher
selbstverständlich von der Bundesregierung besonders
begrüßt und gefördert. Darüber hinaus haben junge
Menschen mit Behinderung auch die Möglichkeit, einen Jugendfreiwilligendienst zu absolvieren. Der Bundesfreiwilligendienst steht Menschen jeder Altersgruppe mit und ohne Behinderung ebenfalls offen.
Für die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Die Linke habe ich die umfassenden Maßnahmen der
Bundesregierung zur Umsetzung der in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen vorgesehenen Regelungen zur vollständigen Inklusion aufgeführt, da ihnen diese offensichtlich nicht bekannt sind.
Anders ist deren Antrag nicht zu erklären.
Die umfassenden Maßnahmen der Bundesregierung
bezüglich der Förderung des Behindertensports werden in dem vorliegenden Antrag außer Acht gelassen.
Zudem werden die unterschiedlichen Kompetenzbereiche von Bund und Ländern im Bereich des Behindertensports und damit die zuwendungsrechtlichen
Bestimmungen nicht berücksichtigt. Es gibt in
Deutschland eine klare Trennung zwischen Aufgaben
des Bundes und der Länder, welche hier übersehen
wird.
Da es aus dem Antrag nicht ersichtlich wird, möchte
ich es gerne nochmal sagen: Insgesamt ist mit Blick
auf die vollständige Umsetzung der Konvention zu beachten, dass der Bund für den Spitzensport und die
Bundesländer für den Breitensport von Menschen mit
Behinderung zuständig sind.
Dennoch hat diese Bundesregierung, zusammen mit
den Bundesländern sowie dem Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, sukzessiv die
durch den Bund geförderten Sportanlagen hinsichtlich
der Herstellung der Barrierefreiheit modernisiert.
Auch die personelle Ausstattung für den Behindertenleistungssport wurde seit 2008 stetig aufgebaut Das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das
Bundesministerium für Gesundheit haben sich in der
Vergangenheit für Sportangebote der Krankenkassen,
Rentenversicherungsträgern und Unfallkassen stark
gemacht.
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass
der Bund - obwohl nicht für den Breitensport von
Menschen mit Behinderung und den Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport zuständig - den neu etablierten Jugendsportwettbewerb „Jugend trainiert für
Paralympics“ unterstützt und so ein wichtiges Zeichen
für den Sport von Jugendlichen mit Behinderung setzt.
Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich die
Antragsteller nur noch auf zwei Dinge hinweisen. Zum
einen wird in den Punkten drei und vier des Antrags
gefordert, dass die Bundesregierung Berichte über den
Fortgang der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegen soll, was wiederrum verdeutlicht,
dass sie die Konvention selbst nicht ausreichend gelesen haben. Darin heißt es nämlich, dass jeder
Vertragsstaat innerhalb von zwei Jahren und danach
mindestens alle vier Jahre einen Bericht über die Erfüllung der Konvention vorzulegen hat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist dem bereits
nachgegangen und hat den ersten Staatenbericht vorgelegt.
Zum anderen hat die Bundesregierung am 15. Juni
2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der
UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen. Aus
diesem geht hervor, wie sich die Bundesregierung die
Umsetzung der in der Konvention vorgesehenen Maßnahmen vorstellt.
Folglich wird es nicht überraschen, dass wir dem
Antrag nicht folgen werden und ihn ablehnen. Neben
den von mir angeführten Maßnahmen der Bundesregierung, die bereits eine zügige Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention vorsehen, und den ebenfalls aufgeführten, aber völlig außer Acht gelassenen
Kompetenzverteilungen zwischen Bund und Ländern
ist es am Ende mit dem Antrag so, wie mit fast allen
Anträgen der Linken: ein konkreter Vorschlag bezüglich einer Gegenfinanzierung wurde nicht unterbreitet.
Da stellt sich mir die Frage, wie ernst die Fraktion Die
Linke es mit der vollständigen Inklusion von Menschen
mit Behinderung wirklich meint.
Sie fordern in Ihrem Entwurf, Spitzen- wie auch
Breitensport besser zu unterstützen und damit die UNBehindertenrechtskonvention, die in Deutschland seit
dem 26. März 2009 gilt, umzusetzen.
Sie stellen in Ihrem Antrag fest: „Bund, Länder und
Kommunen sind verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an
Sportaktivitäten zu ermöglichen“.
Herzlichen Glückwunsch, dass Ihnen diese Idee
jetzt kommt. Wir von der Regierungskoalition verfolgen diesen Ansatz schon seit einigen Jahren. Mit dem
Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der am 15. Juni 2011 von der
Bundesregierung beschlossen wurde, legen wir mit einem Zeitfenster von zehn Jahren die schrittweise Inklusion fest. Somit ist Ihr Antrag überholt und missachtet
jegliche Forderungen des Behindertensports im Allgemeinen wie auch im Speziellen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ich möchte hier ein paar Beispiele nennen. Das umfassende Förderprogramm zu beschreiben, würde den
Rahmen dieser Rede sprengen.
Schon seit dem Jahr 2005 fördern wir ambitionierte
Sportler mit Behinderung mit dem Leistungssportprogramm des Bundesministeriums des Innern. Der Leistungssport für Menschen mit Behinderungen wird dadurch genauso gefördert wie der Spitzensport der
Menschen ohne Behinderungen.
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung,
Hubert Hüppe, MdB, betonte in der öffentlichen Anhörung zum Stand der Maßnahmen zur Umsetzung der
Behindertenrechtskonvention an Sportstätten, dass die
bereits durchgeführten wie auch geplanten Aktionen
zur Barrierefreiheit sich sehen lassen können. Die
Sportverbände für Sportler mit und ohne Behinderungen haben bereits gute Ansätze gefunden. Darunter
sind unter anderem der Deutsche Behindertensportverband, DBS, der Deutsche Gehörlosen-Sportverband ({0}), Special Olympics Deutschland, SOD,
und der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB.
Ich erinnere nochmals daran, dass der Aktionsplan
zur Umsetzung der Konvention auf einen zeitlichen
Rahmen von zehn Jahren angesetzt ist. Bis 2021 sollen
also Menschen mit Behinderung inklusiv in unsere Gesellschaft eingebunden sein. Dies bedeutet, dass die
Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf
allen Ebenen - auch der sportlichen Ausbildung - in
vollem Umfang ermöglicht werden muss und auf die
gleichen sportiven Angebote wie Möglichkeiten zur
Aus- und Weiterbildung zurückgegriffen werden kann.
Ich möchte Sie gerne fragen, meine Damen und
Herren von den Linken: Haben Sie die letzten olympischen und paralympischen Sommerspiele gesehen?
Letztes Jahr, im August 2012, fanden in London die
14. paralympischen Sommerspiele statt. Mehr als
4 200 Sportlerinnen und Sportler nahmen daran teil,
darunter auch 166 Sportler für die Bundesrepublik
Deutschland. Auf den Rängen wurden sie zu Spitzenzeiten von bis zu 80 000 Zuschauern bejubelt. Die öffentlich-rechtlichen Sender wechselten sich mit der
Übertragung ab.
Die Athleten konnten sich in fast allen 20 Sportarten
qualifizieren und das Ergebnis von Peking in der Gesamtwertung übertreffen. Mit 18 Goldmedaillen hat
sich die deutsche Mannschaft einen Platz unter den
ersten zehn Ländern gesichert.
Das mediale Interesse sowie die Begeisterung, die
den paralympischen Athleten entgegengebracht wird
und wurde, zeigt, wie sehr sich das Bild im Sport gewandelt hat. Behindertensport ist genauso spannend
und genauso professionell.
Wir ruhen uns aber nicht auf diesen Erfolgen aus:
Dass Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen
des gesellschaftlichen Lebens teilhaben können, haben
wir von der christlich-liberalen Koalition bereits im
Koalitionsvertrag verankert und auch umgesetzt.
So fördern wir wie keine andere Partei das Ehrenamt. Noch nie wurde bürgerschaftliches Engagement
finanziell so stark unterstützt wie heute.
Mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes haben
wir die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert und Engagierte und Vereine von bürokratischem Aufwand entlastet. Wir motivieren zur Beteiligung an einer inklusiven Gesellschaft und bauen
Barrieren ab.
Kommen wir nun zu einer weiteren Krux in Ihrem
Antrag: Sie verwechseln die Hoheiten von Bund und
Ländern.
Was der Bund bereits zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Leistungssport tut, habe
ich eben schon angerissen. Wir können uns einig sein,
dass der Spitzensport „spitze“ aufgestellt ist.
Für die Förderung des Breitensports sind die Länder zuständig. Trotzdem unterstützt die Bundesregierung Talentfindung und Sichtung möglicher künftiger
Sporttalente mit Behinderung. Das Bundesministerium
des Innern zum Beispiel bezuschusst jährlich den neu
etablierten Jugendsportwettbewerb „Jugend trainiert
für Paralympics“.
Bei der Wahl der Ausübung einer bestimmten Sportart muss zwar das „selbstbestimmte Wahlrecht“, wie
Sie es formulieren, berücksichtigt werden; allerdings
müssen auch örtliche Bedingungen sowie soziale Faktoren berücksichtigt werden.
Dennoch: Für den Schul- und Hochschulsport sind
die Länder zuständig, konkret die Bildungs- bzw. Wissenschaftsministerien. Für die Koordinierung länderübergreifender Angelegenheiten bzw. von Angelegenheiten, die eine Mehrzahl von Ländern im Bereich des
Schul- und Hochschulsports betreffen, ist die Kommission „Sport“ der Kultusministerkonferenz zuständig.
Da können wir uns nicht einmischen; das müssen die
Länder selber regeln.
Es gibt bereits Schulen, die sich mit dem Thema
Inklusion intensiv beschäftigt haben und „Rollstuhlbasketball“ anbieten, an dem sowohl Gehbehinderte
als auch die anderen Schüler teilnehmen können.
Auch gibt es viele Förderschulen, die sich in privater Trägerschaft befinden, wie zum Beispiel christliche
Kirchen, Sozialverbände oder Stiftungen. Die haben
die nötigen Mittel und fachlich ausgebildetes Personal, das solchen Anforderungen gewachsen ist. Denn
inklusive Sportangebote bedeuten exklusive Förderung. Hier sind spezielle Ausbildungen und zusätzliche
benötigte Sachmittel erforderlich, welche nicht jede
Regelschule stemmen kann. Schon gar nicht, wenn die
Regelschulen keine angemessene Förderung durch die
Länder erfahren. Auch muss man sich fragen, ob
Nachfragen in dem Maße vorhanden sind, solche Angebote in allen Schulen zu etablieren.
Ich habe es bereits in meiner letzten Rede zu Ihrem
Antrag gesagt: Durch die Begegnung der Menschen
mit Behinderung untereinander und mit NichtbehinZu Protokoll gegebene Reden
derten leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zu der
von uns angestrebten Inklusion. Zudem geben Leistungssportler anderen Menschen mit Behinderungen
Mut, ihren Lebensweg auch aktiv zu gestalten und an
der Öffentlichkeit teilzuhaben.
Wir haben bereits viele Initiativen gestartet, um
Hindernisse auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft abzubauen. Auf Länderebene machen wir dabei
kleinere Fortschritte als auf Bundesebene, aber wir
müssen den gesäten Pflänzchen auch Zeit geben, zu
wachsen und zu gedeihen. Dazu haben wir noch ganze
acht Jahre Zeit. Denn, wie ich am Anfang meiner Rede
schon sagte: Wir haben bis 2021 Zeit, um den Aktionsplan zur Inklusion umzusetzen. Wir werden uns jetzt
nicht zurücklehnen und ausruhen; im Gegenteil.
Die Erfolge der Paralympics und die Begeisterung
und Teilhabe der Bürger bestätigen uns, dass der Weg
in eine inklusive Gesellschaft zu schaffen ist und dass
wir mit unserer Politik darauf auch eine gute Aussicht
haben.
Hürden zu überwinden, das ist Teil des Lebens. Nur
dadurch, dass man sich Herausforderungen stellt, reift
man als Person und als Mensch. Schon Winston
Churchill wusste, dass die Kunst des Lebens darin besteht, einmal öfter aufzustehen, als man umgeworfen
wird.
Schöne Worte, oder? Wohliges Gefühl in der Magengegend, klasse Zitat für die Facebook-Seite.
Ich kann mir leisten, eine derart idealisierte Weltsicht hier kundzutun. Denn ich lebe in einer Welt, die
für meine körperlichen Voraussetzungen geschaffen
wurde. Ich lebe in einer Gesellschaft, in der ich, gemessen an physischen Fähigkeiten, dem Normalmaß
entspreche.
Jetzt gibt es aber Menschen, die dieses Glück nicht
haben. Menschen, die eine körperliche Behinderung
haben. Diese Menschen sind nicht zwangsläufig unglücklich. Sie sind keine Mitleidsfälle. Aber sie merken
Tag für Tag, dass sie nicht dem entsprechen, was Architekten, Stadtplaner und Ingenieure im Hinterkopf
hatten, als sie ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Bahnhof entworfen haben.
Wie viel stärker muss diese Wahrnehmung im Bereich des Sports sein? Dort, wo es per Definition darum geht, sich körperlich mit anderen zu messen. Wie
viel Mut gehört dazu, offensiv mit der eigenen Behinderung umzugehen und sich und die eigene Leistungsfähigkeit im Angesicht von vorgefassten Meinungen zu
präsentieren? Wie viel Unterstützung sollten wir als
Gesellschaft Sportlerinnen und Sportlern zukommen
lassen, die diesen Mut aufbringen?
2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung
die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die 2008 in Kraft trat und von Deutschland 2009 ratifiziert wurde. Die Bundesregierung beschloss im Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Im
Sportausschuss haben wir eine Reihe von Anträgen
zum Thema Behindertensport beraten, unter anderem
nun über einen Antrag der Kolleginnen und Kollegen
von der Linken. Dieser Antrag enthält viele Forderungen, die wir als SPD-Bundestagsfraktion in der Vergangenheit ebenso in Anträgen, insbesondere im Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen - Chancen für
eine inklusive Gesellschaft nutzen“ ({0}), in ähnlicher Weise gestellt haben.
Sie fordern unter anderem etwa die konsequente
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und
die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans im
Bereich Sport. Das ist richtig und wichtig, denn im
Sportbereich waren beide Dokumente leider recht
dünn. Die Rolle des Sportes im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung entspricht in keiner Weise
dessen Stellenwert in der Gesellschaft. Eine angemessene Berücksichtigung und Ansätze zur Förderung der
positiven Wahrnehmung von Behindertensport in der
Gesellschaft sind daher wünschenswert.
Das haben wir, ebenso wie Sie, auch erkannt und in
unseren Anträgen thematisiert. Zusätzlich haben wir
im vergangenen Herbst eine Veranstaltung mit Vertreterinnen und Vertretern der Behindertensportverbände
durchgeführt und viel Bestätigung für die Forderungen
erhalten, die unseren Anträgen gemein sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie haben einen Antrag vorgelegt, der in vielem mit dem
übereinstimmt, was wir von der SPD-Fraktion selbst in
unseren Anträgen fordern. In vielen Ihrer Forderungen
sind Sie in die richtige Richtung aufgebrochen. Leider
haben Sie nicht beschrieben, wie Sie ans Ziel kommen
wollen. So bleibt Ihr Antrag bedauerlicherweise im
Forderungsteil unkonkret.
Bei einem Teil der im Antrag gestellten Forderungen stellt sich unserer Auffassung nach außerdem die
Frage nach der Zuständigkeit des Bundes, etwa bei
Breitensportförderung und Sportstättenfinanzierung
oder den Angeboten der Krankenkassen. Diesen Forderungen können wir uns als SPD-Fraktion daher
nicht anschließen. Zudem enthält Ihr Antrag eine
Reihe von Fristsetzungen, die zum Zeitpunkt der Beratung leider schon verstrichen waren und damit für uns
nicht tragbar waren.
Wir haben seinerzeit im Ausschuss bereits klargemacht, dass wir die Intention Ihres Antrags teilen. Daran hat sich auch nichts geändert. Allerdings hat Ihr
Antrag unserer Ansicht nach Mängel, die verhindern,
dass wir ihm zustimmen. Aufgrund unseres gemeinsamen Anliegens haben wir aber im Ausschuss nicht
gegen Ihren Antrag gestimmt. Und wir werden es auch
hier und heute nicht tun. Vielleicht ergibt sich ja in der
Zukunft die Möglichkeit, einen gemeinsamen, überfraktionellen Antrag zu diesem Thema zu stellen.
Ich denke - ich hoffe! -, dass sich mittlerweile die
Einsicht durchgesetzt hat, dass Inklusion nicht bloß ein
Zu Protokoll gegebene Reden
neues Füllwort im Wörterbuch der Politik ist. Inklusion ist vielmehr die Idee einer Gesellschaft, die für jeden Mann und jede Frau, für jede Sportlerin und jeden
Sportler bereit ist. Eine Gesellschaft, in der niemand
draußen vor der Tür bleiben muss, weil es eben doch
die eine Stufe zu viel gibt.
Unabhängig vom vorliegenden Antrag lassen Sie
uns weiter daran arbeiten, eine solche Gesellschaft zu
verwirklichen.
Lassen Sie uns zurück zu Winston Churchill kommen. Folgen wir seinem Rat: Probleme löst man nicht,
indem man sie auf Eis legt.
Der Antrag der Fraktion Die Linke „Umfassende
Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen“, den wir heute debattieren, enthält viele
Forderungen, die wir teilen und unterstützen, bleibt
aber insgesamt zu allgemein. Wir Sozialdemokraten
haben in der Vergangenheit zu dem Thema schon deutlich weiter reichende und detailliertere Anträge eingebracht. Deswegen wird sich die SPD-Fraktion enthalten.
Die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich des Sports ist notwendig.
Für uns greift der Antrag aber zu kurz, da es in der
Sache um mehr geht. Ein bundesweites Sportstättensanierungsprogramm aufzulegen, bei dem neben sozialen, ökologischen sowie geschlechtsbezogenen Kriterien insbesondere Erfordernisse der Barrierefreiheit
berücksichtigt werden, ist richtig. Wir haben aber immer wieder deutlich gemacht, dass es nicht ausreicht,
die Situation von Menschen mit Behinderungen nur
punktuell zu verbessern, sondern dass es eine umfassende, gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, eine wirklich inklusive Gesellschaft zu erreichen.
Legt man aber das soziale Modell von Behinderung
zugrunde, nämlich dass die Behinderung erst durch
die Wechselwirkung von körperlichen Einschränkungen mit gesellschaftlichen Barrieren entsteht, zeigt
sich, dass es nicht ausreicht, Sportstätten nur mit Rampen für Rollstuhlfahrer auszustatten - wir brauchen
eine viel umfassendere Lösung.
Nehmen wir als Beispiel die bald stattfindende Basketballeuropameisterschaft in Deutschland. Eine barrierefreie EM bedeutet nicht nur, dass das Spielfeld für
Rollstuhlfahrer geeignet ist und ein unkomplizierter
Zugang zu den Spielstätten gegeben ist. Barrierefreiheit beginnt viel früher. Schon die Anfahrt zur Spielstätte muss auch mit dem öffentlichen Personennahverkehr problemlos für alle möglich sein. Dies betrifft
die Fahrzeuge an sich, aber auch den Zugang dazu.
Barrierefreie Fahrpläne ermöglichen erst eine wirkliche selbstständige Mobilität. Der Zugang zu Mobilität
ist eine Grundvoraussetzung für eine inklusive Gesellschaft.
Sind diese Hindernisse überwunden, wünscht man
sich, dass auch das Programm des Sportereignisses
barrierefrei zugänglich ist. Ein solches Programm in
leichter Sprache gehört ebenfalls zur Aufgabe der
Barrierefreiheit.
Sie sehen also, dass es viel mehr bedarf, um eine inklusive Gesellschaft im Sport zu erreichen. Barrieren
entstehen zuallererst im Kopf und müssen dort auch
zuerst beseitigt werden. Wenn wir es schaffen, das
defizitorientierte Denken in unserer Gesellschaft zu
überwinden und eine wirkliche Barrierefreiheit zu erreichen, profitieren wir alle davon. Schon ein Blick auf
den demografischen Wandel zeigt uns, dass Barrierefreiheit uns alle angeht und nicht nur die rund 9 Millionen direkt Betroffenen.
Ihr Antrag bleibt hier viel zu sehr im Vagen.
Wir wollen im Sport eine grundsätzlich bessere Vernetzung von Behinderten- und Nichtbehindertensportverbänden erreichen. Hierzu gehört auch eine angemessene Repräsentanz behinderter Menschen in den
jeweiligen Führungsgremien.
Lassen Sie uns den großen Wurf wagen und uns
nicht mit Stückwerk begnügen. Vielleicht sind wir dann
irgendwann so weit, dass wir in einer wahren inklusiven Gesellschaft auch gar keine Behindertensportverbände mehr brauchen.
Die Kernforderung des Antrags der Linken, nämlich
die umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit
Behinderung zu ermöglichen, tragen wir Liberale
selbstverständlich mit. Das gilt für den Breitensport
genauso wie für den Spitzensport. Gerade bei den letzten Paralympics vergangenes Jahr in London haben
wir wieder gesehen, wozu Menschen mit Handicaps in
der Lage sind und dass es unverzichtbar ist, für ein angemessenes Training dieser Sportler Geld bereitzustellen.
Als Kommunalpolitikerin liegt mir der Breitensport
besonders am Herzen. Gerade in Zeiten wie diesen, wo
Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Freizeit
vor dem Computer sitzen und sich kaum bewegen, ist
die Bedeutung von Breitensport so wichtig wie nie zuvor. Dies gilt für behinderte Kinder und Jugendliche
gleichermaßen wie für Nichtbehinderte.
Den Hinweis im Antrag der Fraktion Die Linke,
dass Menschen mit Behinderung aber prozentual deutlich weniger Sport treiben als Menschen ohne Handicaps, finde ich wichtig. Es stimmt, als Bundespolitiker
müssen wir dies im Blick haben und eingestehen, dass
es in vielen Bereichen noch Handlungsbedarf gibt. Der
Antrag lässt aber weitestgehend außer Acht, dass der
Bund für den Spitzensport zuständig und der Breitensport Ländersache ist.
Der Antrag der Linken erweckt den Eindruck, als
sei vonseiten der Bundesregierung bislang noch nichts
geschehen, als sei die Teilhabe am Sport für Menschen
mit Behinderung noch absolutes Neuland. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundesregierung hat gerade im
Zu Protokoll gegebene Reden
Behindertensport längst vieles umgesetzt. Das wird
auch deutlich, sieht man sich die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention an. Deshalb sind etliche
Ihrer Forderungen schon längst überfällig.
Hinzu kommen zwei weitere Punkte, die maßgeblich
sind, dass wir Liberale den Antrag der Linken nicht
mittragen: In dem Antrag werden alle Formen des Behindertensports quasi über einen Kamm geschoren.
Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern werden, wie gesagt, so gut wie ignoriert, ebenso werden
Bestimmungen für Zuwendungen förmlich übergangen. Sie kritisieren, dass viele Fitnessstudios nicht behindertenfrei sind. Das ist in der Tat bedauerlich, aber
soll sich der Bund hier auch noch einmischen? Das
geht zu weit.
Ein zweiter Punkt, den Sie außen vor lassen: Die
Frist zur vollständigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist noch lange nicht abgelaufen.
Bund, Städte und Gemeinden sollten diese große Herausforderung nicht auf die lange Bank schieben. Lieber heute als morgen sollte die Konvention umgesetzt
werden. Aber es besteht überhaupt kein Anlass, jetzt
überstürzt zu agieren. Die Bundesregierung hat bekanntlich 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention beschlossen, umgesetzt werden
muss er bis 2021.
Ich möchte noch mal klar sagen, dass der Leistungssport der Menschen mit Behinderung bereits seit
2005 nach den gleichen Kriterien gefördert wird wie
der Spitzensport der Nichtbehinderten. Eine Gleichbehandlung spiegelt sich auch im Haushalt wider. Wie
aus dem Vorbericht des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hervorgeht, sind die bereits umgesetzten Maßnahmen einzelner Sportverbände wie auch die des Deutschen
Olympischen Sportbundes ausdrücklich zu loben.
Nach und nach wurden bereits zusammen mit den
Bundesländern und dem Bundesverkehrsministerium
etliche Sportanlagen barrierefrei umgebaut. Die Baumaßnahmen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir
liegen gut im Zeitplan. Das gilt auch für die personelle
Ausstattung für den Behindertenleistungssport, hier
wird seit 2008 kontinuierlich aufgestockt.
Zu erwähnen sind hier auch die Anstrengungen des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des
Bundesgesundheitsamtes im Zusammenhang mit Sportangeboten der Krankenkassen, der Rentenversicherungsträger und Unfallkassen. Hier ist eine Menge passiert,
und hier hat die Bundesregierung wirklich Beachtliches auf den Weg gebracht.
Dies gilt auch für das Stichwort „Duale Karriere“,
die Vereinbarkeit von Leistungssport und beruflicher
Entwicklung behinderter Sportler und Sportlerinnen.
Das wurde durch den neuen Stellenpool bei Bundesbehörden maßgeblich vorangebracht.
Die Reihe guter Beispiele und Maßnahmen, die die
Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht hat, ist
lang. Die christlich-liberale Koalition hat längst bewiesen, dass Inklusion und die Teilhabe am Sport auch
für Menschen mit Behinderung kein leeres Versprechen sind. Sie hat längst gehandelt. Deshalb halten wir
Liberale den Antrag für nicht notwendig und werden
ihm nicht zustimmen.
Der Behindertensport erlebte in den letzten Jahren
einen rasanten Aufschwung. Dies wird insbesondere
durch den Anstieg der Mitgliederzahlen in den Sportvereinen deutlich. Special Olympics Deutschland e. V.
zählt heute etwa 40 000 Mitglieder und bietet Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung die Möglichkeit, Sport zu treiben und an Wettkämpfen teilzunehmen. Der Deutsche Gehörlosen-Sportverband e. V.
zählt etwa 11 000 Mitglieder in 149 Vereinen. Mit rund
600 000 Mitgliedern in über 5 600 Vereinen gehört der
Deutsche Behindertensportverband e. V., DBS, zu den
größten Sportvereinigungen für Menschen mit Behinderung. Hinzu kommen Menschen mit Behinderung,
die in allgemeinen Sportvereinen oder nicht organisiert regelmäßig Sport treiben. Die genannten Zahlen
belegen eindrucksvoll die herausragende Bedeutung
der Verbände für den Breitensport. Auch im Spitzensport können wir - davon konnte ich mich bei den
Paralympischen Winterspielen 2010 in Vancouver und
den Paralympics 2012 in London sowie vielen weiteren
nationalen und internationalen Sportveranstaltungen
in Deutschland persönlich überzeugen - großartige
Erfolge von Menschen mit Behinderung verzeichnen.
Diese positive Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Bereich des Behindertensports enormer Handlungsbedarf besteht. Im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung betreiben
Menschen mit Behinderung prozentual weniger Sport.
Dies hat Ursachen. Viele Sportstätten und auch kommerzielle Sportangebote sind nicht barrierefrei, oder
die Erreichbarkeit ist für Menschen mit Behinderung
nicht gegeben. Es gibt viel zu wenige
- hauptamtliche - Trainerinnen und Trainer sowie
Betreuerinnen und Betreuer, insbesondere für erwachsene Behindertensportlerinnen und -sportler. Bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wird in vielen
Fällen pauschal eine Sportbefreiung erteilt, anstatt in
Schule, Berufsschule und Hochschule geeignete
Sportangebote zu entwickeln und anzubieten. Gering
ist auch die Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen,
Freistellungsregelungen für das - tägliche - Training,
für Trainingslager und Wettkämpfe anzubieten. Zugangshindernisse beim Behindertensport gibt es auch
aus finanziellen Gründen. Häufig ist Sport für Menschen mit Behinderung mit erheblichen Kosten verbunden, die zum Beispiel durch teure Ausstattung wie
Prothesen, Sportrollstühle und andere spezielle Sportgeräte und Aufwendungen für Fahrdienste oder für
Betreuer oder Betreuerinnen entstehen. Eine Vielzahl
von Problemen ließe sich auch zum Rehabilitationssport nennen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deutlich schwieriger ist für Spitzensportlerinnen
und Spitzensportler auch die Vereinbarkeit mit der
Ausbildung und der beruflichen Entwicklung. Bisher
enthalten die Aufnahmekriterien der Fachhochschule
des Bundes keine maßgeschneiderten Regelungen für
Spitzensportlerinnen und Spitzensportler mit Behinderung. Nicht alle Olympiastützpunkte sind barrierefrei.
Auch wenn es hier Veränderungen gab: Ich finde es
herabwürdigend und diskriminierend, wenn die Medaillenprämien bei Paralympischen Spielen niedriger
sind als bei Olympischen Spielen. Wenn das Leistungssportprogramm der Bundesregierung die grundsätzliche Gleichbehandlung von nichtbehinderten und behinderten Sportlerinnen und Sportlern vorsieht, führt
dies zu einer Verfestigung der Ungleichheit, da die Voraussetzungen im Behindertensport andere sind. Reale
Gleichheit wird nur erreicht, wenn die Förderung an
die tatsächlichen Bedingungen angepasst wird.
Seit dem 26. März 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention, BRK, in Deutschland. Das Leitbild
der BRK ist eine inklusive Gesellschaft. Durch die
BRK ist der Bund - gemeinsam mit Ländern und Kommunen - verpflichtet, Menschen mit Behinderung
gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an Sportaktivitäten zu ermöglichen ({0}). Dies betrifft den Schul-, Berufsschul- und
Hochschulsport, den Breiten- und Leistungssport, den
Rehabilitationssport, die Teilhabe in Verbänden des
Behindertensports ebenso wie die aktive - als Sportlerin und Sportler - und passive - als Zuschauerin und
Zuschauer - Teilhabe an Sportangeboten außerhalb
des Behindertensports sowie in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bei der Umsetzung der BRK
sind die verschiedenen Verbände von Menschen mit
Behinderung aktiv in alle Entscheidungsprozesse einzubinden.
Am 15. Juni 2011 beschloss die Bundesregierung ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der BRK.
Dieser Plan ist - hier sind wir uns mit vielen Menschen
mit Behinderungen und ihren Organisationen einig auch hinsichtlich des Sportes unzureichend.
Am 28. März 2012 brachte die Linke einen Antrag
mit dem Titel „Umfassende Teilhabe am Sport für
Menschen mit Behinderung ermöglichen - UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen“ in den Bundestag
ein. Der Einbringung des Antrages ging eine umfassende Beratung mit Sportlerinnen und Sportlern und
weiteren Vertretern von Behindertensportorganisationen sowie weiteren Sachverständigen voraus.
Am 24. Oktober 2012 gab es im Sportausschuss zu
dem Antrag der Linken eine öffentliche Anhörung.
Hier wurde sehr deutlich, wie wichtig die Diskussion
zur Entwicklung des Sports für Menschen mit Behinderungen und zu bestehenden Problemen ist. Zum Abschluss der Anhörung fragte ich alle Sachverständigen, ob sie - wenn sie es dürften - dem Antrag im
Bundestag zustimmen würden. Bis auf den Sachverständigen Karl Weinmann vom Kultusministerium in
Baden-Württemberg - er behauptete, den Antrag nicht
gelesen zu haben - sagten alle Sachverständigen, dass
sie dem Antrag zustimmen würden.
Es blieb der einzige Antrag einer Bundestagsfraktion in dieser Wahlperiode zu diesem wichtigen
Thema. Insofern ist für mich das Abstimmungsverhalten der anderen Fraktionen enttäuschend. Die CDU/
CSU-FDP-Koalition lehnt den Antrag ab, SPD und
Grüne enthalten sich der Stimme. Im Interesse der
Menschen mit Behinderungen, der Sportvereine, im Interesse des Schul-, Breiten- und Leistungssports hätte
ich es besser gefunden, wenn die anderen Fraktionen
ihre Vorschläge neben die 21 Punkte aus dem Antrag
der Linken gepackt und wir im Ergebnis eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung des Ausschusses
vorgelegt hätten.
Um eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen, müssen im Sport noch viele Barrieren abgebaut werden.
Diese gibt es sowohl im infrastrukturellen und baulichen Bereich als auch in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger - Politikerinnen und Politiker eingeschlossen.
Für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die
Grünen hat die Politik für Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert. Wir setzen uns für die
gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens ein; denn aus unserer Sicht
steht fest, dass es sich bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um eine freiwillige
politische Aufgabe handelt, sondern dass eine staatliche Verpflichtung besteht.
Unsere politischen Forderungen hatten wir Grüne in Bundestagsanträgen formuliert, 17/7951 und
17/9406. Darin haben wir ein Teilhabegesetz gefordert, um Rechte abzusichern sowie eine generelle Barrierefreiheit auch für Einrichtungen des Sports.
In der Sportpolitik regen wir darüber hinaus einen
„Zukunftsplan Sportpolitik 2025“ an, der einen klaren
Ziel- und Maßnahmenkorridor für die Sportentwicklung absteckt und zwischen Sportorganisationen und
-vereinen sowie staatlichen Institutionen beschlossen
werden sollte. In diesem Rahmen sollte es auch zu konkreten Vereinbarungen für einen Umbau von bestehenden Sportstätten und zu einer Gewährleistung der Barrierefreiheit beim Sportstättenneubau kommen. Dies
wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer sport- und
bewegungsfreundlichen Gesellschaft in Deutschland.
Der Antrag der Fraktion Die Linke wäre bei vielen
Forderungsteilen zustimmungswürdig.
Aber: Spiegelstrich 6 fordert ein bundesweites
Sportstättensanierungsprogramm. Das ist nicht zustimmungsfähig, da der Bund nicht für den kommunalen Sportstättenbau zuständig ist.
Zu Protokoll gegebene Reden
Bei weiteren Forderungen greift die antragstellende
Fraktion ebenfalls in die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern ein, Bund = Spitzensport,
Länder = Breitensport. Schulsport und Lehramtsausbildung sind Sache der Bundesländer.
Dennoch hat der vorliegende Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke die wesentlichen Handlungsfelder und Defizite erfasst und größtenteils sehr gute und
richtige Handlungsschritte benannt.
Es ist unser aller Aufgabe den Art. 30 ({0}) der UNBehindertenrechtskonvention umzusetzen, der die Teilhabe am kulturellen Leben sowie Erholung, Freizeit
und Sport betrachtet und auf den wichtigen Beitrag
des Sports für eine erfolgreiche Inklusion hinweist.
Sport ist niederschwellig und begeistert Jung und
Alt in allen sozialen Lagen. Diese Chance sollten wir
insbesondere nach den besonderen Erfolgen unserer
deutschen Mannschaft bei den Paralympics und der
großen Begeisterung in der Bevölkerung dafür nutzen,
das Thema Inklusion in die Gesellschaft zu transportieren und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auch im Sport voranzutreiben.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12915, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/9190 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen
bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. SPD und
Grüne haben sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 26:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht
bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz
- Drucksache 17/13021 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Die Reden wurden zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13021 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
beschlossen.
Tagesordnungspunkt 29:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker,
Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Rücknahmepflicht der Händler für AltEnergiesparlampen durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea
Steiner, Oliver Krischer, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern
- Drucksachen 17/9058, 17/8899, 17/10866 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Horst Meierhofer
Dorothea Steiner
Die Reden wurden zu Protokoll genommen.
Die Debatte um die Frage der Entsorgung von Elek-
tro- oder Elektronikschrott kennzeichnet sich in vielen
Fällen durch eine mangelnde Nachhaltigkeit. Stattdes-
sen gibt es dann hektische Aktivität, die durchaus ihre
eigene Risiken beinhaltet. Nicht jeder Vorschlag einer
weiteren gesetzlichen Regelung ist der ökologisch oder
ökonomisch richtige. Gerade beim Elektroschrott sind
diese politischen Kurzschlüsse häufiger zu beobach-
ten; fast möchte man ironisch vermuten, es liegt am
Gegenstand der Debatte.
Jedenfalls ist der Reflex, die angestrebte Minimie-
rung der Gesundheitsrisiken aus Energiesparlampen
und deren fachgerechte Entsorgung über eine gesetzli-
che Regelung über den Einzelhandel zu steuern, viel-
mehr eine Verlagerung des Gesundheitsrisikos und
mitnichten eine risikofreie Lösung. Schon in der ersten
Lesung haben wir als CDU/CSU-Fraktion nicht nur
auf die Probleme für den Einzelhandel hingewiesen.
Wir warnen nochmals deutlich vor den Folgen für den
Mittelstand, die durch den SPD-Vorschlag hier in der
konkreten Umsetzung drohen: Die SPD will jeden
Händler zwingen, die in der Entsorgung riskanten
Energiesparlampen zu lagern, egal ob der Händler da-
für Räume hat oder nicht. Die großen Konzerne kön-
nen dies viel leichter. Jenseits der ökologischen und
gesundheitlichen Risiken würde der von Rot und Grün
gemachte Vorschlag auch noch ökonomische Risiken
auslösen. Dabei sind die Energiesparlampen als be-
sonders fragiles und mit Quecksilber versetztes Pro-
dukt zwingend in einer fachlich einwandfreien Kette
der Entsorgung zu halten. Wir können als Deutscher
Bundestag das freiwillige Rücknahmesystem der Her-
steller kritisieren. Lightcycle ist noch immer nicht op-
timal ausgerichtet. Hier sind die Hersteller weiter in
der Pflicht.1) Anlage 18
Wir appellieren als CDU/CSU-Fraktion an die Bundesregierung, hier von der Industrie deren ökologische
Gesamtverantwortung einzufordern. Wir bekennen uns
klar zum Verursacherprinzip. Wenn wir dieses Verursacherprinzip stärken, dann darf die SPD nicht in erster Linie den Mittelstand im Elektrohandel dafür abstrafen, dass die Industrie ihre Hausaufgaben nicht
erledigt. Die Beschäftigten im Einzelhandel wären mit
den großen Mengen an Energiesparlampen und dem
nie völlig zu vermeidenden Glasbruch dann Giften wie
Quecksilber ausgesetzt. Eine wundersame Entwicklung, dass die SPD diese Beschäftigten einem solchen
Risiko aussetzen will!
Der richtige Weg bleibt die fachlich korrekte Entsorgung dieser speziell risikobehafteten Leuchtmittel
über spezielle, fachlich qualifizierte Entsorgungswege.
Es wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung,
wenn die Industrie und die privaten wie kommunalen
Entsorger eine zeitnahe Optimierung der Entsorgungswege anstreben. So lassen sich der falsche Weg in den
Hausmüll und die riskante Lagerung im Einzelhandel
vermeiden. Gleiches gilt für die Frage der Wiedergewinnung des Quecksilbers und anderer Rohstoffe aus
den verbrauchten Energiesparlampen.
Es gilt nicht zuletzt, die Energiesparlampen als
Leuchtmittel nicht zu glorifizieren. Wer die letzten
Tests zu Langlebigkeit und Gesundheitsrisiken und die
Diskrepanz zwischen Versprechen der Hersteller und
tatsächlichen Werten der Energiesparlampen kennt,
der darf seine gesunde Skepsis gegenüber dieser mit
Quecksilber versetzten Lichtquelle durchaus behalten.
Insgesamt werden wir uns ohnehin auch mit der
Frage der Entsorgung von Energiesparlampen und anderem Elektro- und Elektronikschrott bei der laufenden Umsetzung der novellierten WEEE-Richtlinie in
nationales Recht bis zum Jahre 2014 zu befassen haben. Auch von daher ist es sicher geboten, die Frage
der fachgerechten Entsorgung von Energiesparlampen
im richtigen Kontext zu beraten, um nachhaltige Lösungen zu finden. Der SPD-Vorschlag ist fachlich
falsch, weil er einen falschen Weg über den Einzelhandel einschlägt, im Übrigen einen Umweg. Er ist ordnungspolitisch falsch, weil er wieder einmal nichts anderes als eine weitere Zwangsverpflichtung vorsieht.
Und er ist ökologisch falsch, weil er nicht die ökologisch nachhaltigsten Wege sucht. Diese liegen in einer
optimierten Abstimmung der Entsorgungslogistik von
den privaten Haushalten hin zu den fachlich qualifizierten und zertifizierten Entsorgungsbetrieben.
Insgesamt sind die Energiesparlampen ein Beispiel
dafür, wie man es in Europa in Zukunft nicht mehr machen sollte: nämlich eine einzige Technologie verbieten, um eine andere mit neuen Risiken zu fördern. Es
sind wenige Akteure, die der EU diesen Weg vorgeschlagen haben. Nun sind es Millionen Haushalte, die
diese Entscheidung mit riskanter Beleuchtung bezahlen. Es wäre vielleicht deutlich sinnvoller gewesen,
den jetzt langsam beginnenden Siegeszug der LEDLichttechnik zu beschleunigen, statt den Umweg über
die Energiesparlampen zu gehen.
Auch dies zeigt: Mancher in der Energiespardebatte
gezogene Schluss ist ein Kurzschluss. Die CDU/CSU
lehnt den SPD-Vorschlag aus ökologischen und ökonomischen Gründen ab. Für bessere Vorschläge und eine
nachhaltig klima- und umweltschonende Lösung bleiben wir bei den Beratungen zur Umsetzung der WEEERichtlinie in nationales Recht sehr offen und freuen
uns auch bis zum Jahre 2014 auf die Mitarbeit der Opposition.
Den SPD-Antrag müssen wir heute ablehnen.
Heute rede ich zu unserem Antrag „Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen“ und zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
„Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern“. Zu beiden Anträgen habe ich bereits in diesem Haus gesprochen. Inhaltlich gibt es eigentlich
nichts Neues zu berichten.
Daher werde ich nachher nur noch einmal kurz auf
beide Anträge eingehen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal allgemein auf die Entwicklungen in der Abfallpolitik und
die derzeitige Regierungspolitik in diesem Bereich,
welche auch exemplarisch für andere Themen steht,
einzugehen.
Der SPD-Antrag stammt vom 21. März letzten Jahres, wurde also vor über einem Jahr gestellt. Auch der
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wurde bereits im
März letzten Jahres eingebracht. Zwei Anträge, welche
vorhandene Probleme aufgreifen und Lösungsmöglichkeiten - meiner Meinung nach weitestgehend gute
Lösungen - vorschlagen.
In der Debatte im Umweltausschuss ebenso wie in
Verlautbarungen, Stellungnahmen und Äußerungen
des Bundesumweltministeriums war es nicht so, dass
alles, was vorgeschlagen wird, grundsätzlich abgelehnt wurde. Nein, es gab eigentlich nur zwei Gründe,
weshalb die Regierungsparteien die Anträge abgelehnt haben. Der erste Grund ist politisch-ideologischer Art: Verbindliche Vorgaben, Verpflichtungen
werden abgelehnt; stattdessen sollen freiwillige Vereinbarungen, freiwillige Systeme die vorhandenen
Probleme lösen. Selbst dann, wenn, wie bei der Rücknahme von Energiesparlampen oder bei Rückgabe von
Mobiltelefonen, die freiwilligen Systeme nicht bzw. erkennbar nur unzureichend funktionieren.
Meine Partei hat nicht grundsätzlich etwas gegen
freiwillige Vereinbarungen. Wenn damit die erwünschten Ziele erreicht werden - gut. Wenn aber die Ziele
nicht erreicht werden, wenn freiwillige Vereinbarungen nur Scheinlösungen sind, hinter denen sich Beteiligte vor ihrer Verantwortung drücken, dann müssen
verbindliche Vorgaben an deren Stelle treten. Ich habe
des Öfteren den Eindruck, dass sogenannte freiwillige
Zu Protokoll gegebene Reden
Gestaltungsweisen vereinbart werden, wenn einzelne
Gruppierungen eigentlich mit den Zielen nicht einverstanden sind. Es besteht dann immer die Möglichkeit,
andere verbindliche Maßnahmen mit dem Hinweis auf
die bereits bestehende und angeblich funktionierende
freiwillige Vereinbarung abzulehnen. Und schlussendlich heißt es dann: Tut uns leid; leider waren die Ziele
nicht erreichbar.
Andererseits gibt es - siehe Frauenquote - inzwischen auch bei Union und FDP immer mehr Politiker,
die erkennen, dass eine ideologisch begründete Ablehnung verbindlicher Maßnahmen nicht zweckführend
ist.
Der zweite Grund für die Ablehnung unserer Forderungen ist der Hinweis auf ein zukünftiges Wertstoffgesetz, eine zukünftige Novellierung des Elektroaltgerätegesetzes oder andere zukünftige gesetzgeberische
Maßnahmen, wie zum Beispiel Verordnungen zum
Kreislaufwirtschaftsgesetz.
Unsere Forderungen und unsere Vorschläge werden
nicht alle abgelehnt. Im Gegenteil, viele unserer Ziele
- Erhöhung der Verwertungsquoten, mehr Ressourcenschutz, höhere Ressourceneffizienz, Abfallvermeidung,
Sicherung von Rohstoffen - werden nicht nur befürwortet, sondern sogar als eigene Ziele, als eigene Forderungen immer wieder erhoben. Sei es in sogenannten Eckpunkten, sei es im Ressourcenschutzprogramm
oder in öffentlichen Verlautbarungen, immer heißt es,
eine Stärkung des Ressourcenschutzes, ein Mehr an
stofflicher Verwertung und eine Hinwendung zur einer
wirklichen Kreislaufwirtschaft seien das Ziel der Bundesregierung in der Abfallpolitik. Bereits in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP haben die
jetzigen Regierungsparteien konkret die Einführung
einer Wertstofftonne durch ein Wertstoffgesetz vereinbart. Mehr Ressourcenschutz, mehr Abfallvermeidung,
mehr Kreislaufwirtschaft, alles Mögliche soll durch
ein Wertstoffgesetz geregelt werden.
Ich weiß nicht, wie oft ich nach dem Sachstand zu
dem sogenannten Wertstoffgesetz gefragt habe. Immer
hieß es, es wird noch in dieser Legislaturperiode kommen. Selbst Anfang dieses Jahres, als klar war, dass
eine Verabschiedung in dieser Legislaturperiode nicht
mehr möglich ist, wurde vonseiten der Bundesregierung behauptet, man wolle das Wertstoffgesetz noch
vor dem Sommer beschließen.
Das Wertstoffgesetz ist die Fata Morgana der
schwarz-gelben Koalition in der Abfallpolitik. Immer
wenn Forderungen erhoben werden, sei es von der Opposition, sei es von Umweltverbänden, sei es aus der
Wirtschaft, wird auf das Wertstoffgesetz verwiesen.
Wie eine Fata Morgana steht es am Horizont, schön
anzusehen, aber jeder weiß, vor allem jeder aus den
Regierungsparteien: Erreichen werden wir dieses
Wertstoffgesetz nie.
Ähnlich sieht es bei allen anderen Vorhaben des
BMU in der Abfallpolitik aus, sei es die Mantelverordnung, das Ressourcenschutzprogramm, die Phosphatrückgewinnungsverordnung oder die angekündigten
Verordnungen für einzelne Stoffströme. Alles Ankündigungen, schöne Worte, hehre Ziele, aber konkret passiert gar nichts.
Ein schönes Beispiel dafür sind die Äußerungen des
Bundesumweltministers Altmaier auf der Internationalen Konferenz zur Verhinderung von Meeresmüll in
europäischen Meeren in Berlin. Öffentlich und medienwirksam versprach Herr Altmaier, sich verstärkt gegen
Meeresverschmutzung einzusetzen. Nachgefragt, wurde
wieder einmal deutlich, dass es nur schöne Worte ohne
Taten sind.
Eines wird in den letzten Monaten auch im Bereich
der Abfallpolitik immer deutlicher: Stillstand. Die
Bundesregierung regiert nicht, sondern kündigt nur
an. Warum? Weil CDU, CSU und FDP, wie in vielen
anderen Politikbereichen, sich völlig uneins sind. In
der Abfallpolitik sind die Koalitionsparteien nicht in
der Lage, ihren Grundkonflikt über die Zuständigkeiten zu lösen. Daraus folgt, dass sie gar nichts mehr
tun.
Deutschland steht in der Abfallwirtschaft in fast allen Bereichen weltweit an der Spitze. Aber diese Position muss verteidigt und ausgebaut werden, zugunsten
der Umwelt, der Verbraucher und auch unserer Wirtschaft. Mit Ihrem Nichthandeln gefährden Sie, meine
Damen und Herren von der Koalition, alles Erreichte.
Die heute hier diskutierten Anträge sind dafür ein
Beispiel. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
greift ein Problem auf, das auch wir Sozialdemokraten
seit längerer Zeit thematisiert haben. Die Sammel- und
Recyclingquote für Elektroaltgeräte in Deutschland ist
im europäischen Vergleich zwar Spitze. Die Umsetzung
der europäischen WEEE-Richtlinie war zum damaligen
Zeitpunkt angemessen und im europäischen Vergleich
beispielgebend. Trotzdem ist gerade im Bereich des
Elektroschrotts eine Verbesserung der Sammlung und
des Recyclings vonnöten. Angesichts dieser Realitäten
ist eine Verbesserung durchaus machbar. Die Sammlung muss für den Bürger einfacher werden, dann wird
auch die Sammlungsquote verbessert.
In dem Antrag der grünen Fraktion wird ausführlich auf die Bedeutung der zurückgewonnenen Wertstoffe hingewiesen. Ich brauche dies daher nicht zu
wiederholen. Ich verweise aber darauf, dass von einer
unsachgemäßen Entsorgung von Elektroaltgeräten immer noch ökologische oder gesundheitliche Gefahren
ausgehen. Die höhere Anzahl von gebrauchten und defekten Energiesparlampen im Abfall, insbesondere in
Altglascontainern, gefährdet nach Untersuchungen
aus Skandinavien die Mitarbeiter von Recyclingunternehmen.
Sie sehen: Es gibt nicht nur wirtschaftliche und rohstoffpolitische Gründe für eine Verbesserung des Elektroschrottrecyclings, auch wenn diese sehr wichtig
sind und momentan in der öffentlichen Diskussion im
Vordergrund stehen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ich werde heute nicht mehr im Einzelnen auf die Inhalte beider Anträge eingehen. Dies habe ich ausführlich in den ersten Reden getan. Ich möchte nur noch
einmal darauf hinweisen, dass beide Anträge viele
gute und sinnvolle Vorschläge enthalten. Und ich fordere Sie, meine Damen und Herren von Union und
FDP, und die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. Belassen Sie es nicht bei Ankündigungen, sondern regieren Sie! Für die Umwelt, den Ressourcenschutz und die Verbraucher.
Im August 2012 ist die Neufassung der Richtlinie
2012/19/EU über Elektro- und Elektronikgeräte in
Kraft getreten. Die Umsetzung der sogenannten
WEEE-Richtlinie in nationales Recht muss bis
Februar nächsten Jahres erfolgen. Die Richtlinie sieht
vor, dass Einzelhändler ab einer Verkaufsfläche von
400 Quadratmetern kleinere Elektrogeräte zurücknehmen müssen. Ziel ist es, die Sammelmengen von Elektroschrott zu erhöhen und damit das Recycling zu verbessern.
Mit der Novellierung wurden auch die Exportvorschriften für gebrauchte Elektrogeräte verschärft, um
eine illegale Verbringung wirksamer zu unterbinden.
Dafür hat sich Deutschland auch auf europäischer
Ebene eingesetzt. Zwar sehe ich kein Problem darin,
wenn funktionstüchtige Geräte ihren Weg auf andere
Kontinente finden, es kann aber nicht sein, dass wir
unsere alten schadstoffbelasteten und kaputten Geräte,
unseren Müll, in anderen Ländern abladen.
Eine zügige Umsetzung der WEEE-Richtlinie in nationales Recht ist daher in unserem Interesse, und ich
stimme dem Antrag der Grünen in diesem Punkt voll
zu. Bei einigen anderen Punkten bin ich allerdings
nicht einverstanden.
Um eine Entsorgung von Altgeräten über den Hausmüll zu unterbinden und den Verlust von Wertstoffen zu
verringern, fordern Sie beispielsweise ein verbessertes
System der haushaltsnahen sortenreinen Sammlung
von Elektro- und Elektronikgeräten. Das klingt ja alles
gut und schön, aber was bedeutet das konkret? Konkret bedeutet „haushaltsnahe sortenreine Sammlung“
die Einführung einer Elektroschrotttonne.
Eine solche Tonne, alleine für Elektroschrott, wird
sich aber nicht lohnen. Eine Gefahr ist, dass anderer
Hausmüll seinen Weg in die Elektroschrotttonne findet,
wenn alle anderen Tonnen im Hof voll sind. Dann ist
die sortenreine Sammlung auch wieder passé. Abgesehen davon kann ich mir den Aufschrei vieler Hausbewohner vorstellen, wenn neben Biotonne, Restmülltonne, Papiertonne und gelber Tonne jetzt auch noch
eine fünfte Mülltonne vor ihrem Haus steht.
Auch eine stärkere Einbeziehung des Effizienzgedankens in die Gestaltung und Normierung neuer
Produkte, wie von Ihnen gefordert, halte ich für wenig
praktikabel:
Sie behaupten, es sei notwendig, verbindliche Vorgaben für das abfallarme Design von Neugeräten festzulegen. Wenn ein Hersteller heute für ein Handy
25 Milligramm Gold und 500 Gramm Gummi verbraucht, soll er zukünftig beispielsweise nur noch
15 Milligramm Gold und 350 Gramm Gummi verbrauchen. Das ist doch heute schon im Interesse jedes
Herstellers, nicht mehr teure Rohstoffe zu verbauen als
unbedingt nötig. Woher wollen Sie wissen, welche
Rohstoffe in welchen Geräten nötig sind?
Wir finden es viel wichtiger, dass bei der Konstruktion von Handys darauf geachtet wird, dass die einzelnen Teile leicht auseinandergebaut und ersetzt werden
können, zum Beispiel Akkus in Smartphones. Sie setzen
den Schwerpunkt darauf, „weniger zu verbrauchen“,
wir setzen den Schwerpunkt darauf, „mehr zu gebrauchen“!
Mit dem Ressourceneffizienzprogramm haben wir
den Energieverbrauch sowie andere geeignete
Ressourcenaspekte in den Vordergrund gerückt.
Unternehmen sollen so mehr Anreiz haben, ressourceneffiziente Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.
Auch in einem dritten Punkt muss ich Ihrem Antrag
widersprechen: Sie verlangen die Prüfung eines verpflichtenden Mindestanteils an recycelten Rohstoffen.
Dieser Vorschlag ist ein bürokratisches Monstrum.
Für jeden Rohstoff müssten Sie am Sekundärmarkt die
Rohstoffsituation überprüfen und feststellen, ob genug
Sekundärrohstoffe vorhanden sind. Für einige der
Stoffe, die verarbeitet werden, gibt es derzeit noch
keine geeigneten Recyclingverfahren. Nicht zuletzt
unterscheiden sich die Geräte darin, wie sie für den
Einbau von Recyclingmaterialien geeignet sind. Das
heißt, sie brauchten für jeden Gerätetyp eine eigene
Quote. Ein bürokratisches Unding. Unser Ziel ist es,
das System der Wiederverwendung und des Recyclings
von Elektrogeräten zu optimieren. In Ihrem Antrag finden sich Ansätze, die wir als FDP mittragen können,
aber in Ihren Forderungen schießen Sie über eine
realitätsnahe Umsetzung hinaus.
Ähnlich sehe ich den Antrag der SPD zu einer Rücknahmepflicht der Händler für Altenergiesparlampen.
Die Einführung von Energiesparlampen hat gezeigt,
dass nicht notwendigerweise alles, was gut gemeint ist,
auch ein gutes Ergebnis bringt. Mit der steigenden
Anzahl an quecksilberhaltigen Energiesparlampen hat
sich auch das Problem einer umweltgerechten Entsorgung verstärkt. Die Altenergiesparlampen müssen getrennt gesammelt und entsorgt werden.
In Ihrem Antrag fordern Sie, jede Verkaufsstelle zur
Rücknahme von quecksilberhaltigen Altenergiesparlampen zu verpflichten. Das bedeutet, dass jeder noch
so kleine Laden eine Sammelstation für Energiesparlampen einrichten muss. Da die Sammelmengen
hier allerdings verhältnismäßig gering wären, ist ein
regelmäßiger Abholrhythmus logistischer Quatsch.
Damit würden die quecksilberhaltigen EnergiesparZu Protokoll gegebene Reden
lampen über längere Zeit in den Geschäften gelagert
werden müssen - eine unverantwortliche Belastung für
die Gesundheit der Mitarbeiter und der Kunden, spätestens wenn mal eine Lampe zerbrechen sollte.
Ich empfehle Ihnen daher, freiwillige Rücknahmesysteme etwas differenzierter zu betrachten. Das tun
Sie aber nicht. Vielmehr führen Sie einen Rundumschlag gegen freiwillige Rücknahmesysteme aus und
erklären beispielsweise das freiwillige Rücknahmesystem Lightcycle einfach für gescheitert. Als Begründung führen Sie an, dass sich die Mehrzahl der Baumärkte, Elektrogeschäfte und Discounter nicht am
System beteiligten und die Wertstoffhöfe teilweise in
einer Entfernung von zehn Kilometern liegen würden.
Natürlich ist das System noch verbesserungswürdig.
Fast jedes System kann optimiert werden.
Sieht man sich allerdings die aktuellen Zahlen an,
stellt man fest: Die sind durchaus positiv. Verbraucher
können ihre Altenergiesparlampen mittlerweile bundesweit an über 9 000 aktiv beworbenen Sammelstellen kostenfrei abgeben. Mehr als 6 000 dieser Sammelstellen sind in Baumärkten, im Elektrofachhandel, in
Supermärkten und Drogeriemärkten zu finden. Im
kommunalen Bereich gibt es über 2 700 Sammelstellen. Weiterhin gibt es 400 Großmengensammelstellen,
bei denen gewerbliche Mengen abgeliefert werden
können.
Was ist die Schlussfolgerung? In meinen Augen ist
es sinnvoll, dieses Netz weiter auszubauen, gegebenenfalls auch mit einer verschärften Rücknahmepflicht,
aber nicht für jeden Tante-Emma-Laden. Das kann
erst wünschenswert sein, wenn Energiesparlampen
kein Quecksilber mehr enthalten, ein Ziel, auf das wir
auf europäischer und nationaler Ebene hinarbeiten
müssen. In seiner jetzigen Form schießt Ihr Antrag
aber über sein Ziel hinaus und ist zum Teil eher kontraproduktiv.
Schutz der Umwelt und alte Geräte - wie geht das
zusammen? Die Entwicklungen der Technik sind rasant.
Man kauft sich einen neuen Computer, und schon
nach dem Bezahlen weiß man: In Monaten oder wenigen Jahren bringt der es nicht mehr. Er ist entweder
kaputt oder so veraltet, dass er für neue Anwendungen
nicht mehr nutzbar ist. Beim Fernsehen redet man uns
ständig neue Techniken ein.
Für Musikliebhaber ging die Entwicklung von
Schallplatten über Tonbänder und Kasetten zu CDs,
und weiter zu Sticks oder winzigen Speicherkarten für
MP3. Wer arbeitet noch mit Schmalfilmen oder Videokasetten? Selbst DVD und Blue-Ray sind schon Relikte
vergangener Tage. Was bleibt, sind die jeweiligen Abspielgeräte, die man nicht mehr braucht, auch alte
Handys will fast keiner mehr nutzen.
Kaffeemaschinen, ersetzt vom schicken, hippen
SENSEO-Automaten, trifft das gleiche Schicksal wie
den alten Kühlschrank, den Staubsauger und was sonst
noch an elektrischen und elektronischen Geräten unser Leben vereinfacht.
Alle diese Alt-Geräte schlummern in unseren Haushalten oder werden entsorgt. Oft nicht fachgerecht,
und das, obwohl sie noch nutzbar oder mit wenig Aufwand aufrüstbar wären. So gehen viele der in ihnen
enthaltenen wertvollen Rohstoffe dem Wirtschaftskreislauf verloren.
Der Ansatz, das Recycling der Rohstoffe aus den
Elektronikgeräten zu verbessern, ist löblich, und die
Vorschläge der Grünen könnten die Erfassung der
Rohstoffe etwas verbessern. Deshalb stimmt die Linke
diesem Antrag zu, auch wenn wir schon bei der Behandlung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes im letzten
Jahr ein deutlich besseres System vorschlugen.
Die Vermeidung neuer Geräte schont die Umwelt
am meisten. Das widerspricht aber der wachstumsgetriebenen Marktwirtschaft. Vermeidung bedeutet weniger Verkauf. Wie sollen da Umsätze wachsen? Verhindert der Produzent Reparaturen, wie Apple mit den
eingelöteten Batterien, oder verhindert Upgrades auf
aktuelle Standards, so zwingt er die Kunden zum Neukauf seiner elektronischen Erzeugnisse. Der Umsatz
wächst, die Marktwirtschaft blüht auf. Die verbrauchten Umweltressourcen jedoch kosten den Produzenten
nichts. Also werden sie nicht eingepreist. Produzenten
oder Unternehmer sind der Rendite, nicht der Natur
verpflichtet.
Deshalb muss man die Hersteller und Händler zu
einem umweltfreundlichen Handeln verdonnern, und
zwar per Gesetz. Darum schlägt die Linke folgendes
System zur Elektro- und Elektronikschrotterfassung
vor:
Der Produzent/Hersteller zahlt eine Entsorgungsabgabe, welche von der Höhe der Kosten für Erfassung und Entsorgung abhängt. Je einfacher sich ein
Produkt entsorgen lässt, sei es durch die Verwendung
gut recycelbarer Materialien oder einfaches Auseinandernehmen, desto niedriger wird die Entsorgungsabgabe.
Produkte müssen gut reparierbar und „aufrüstbar“
gestaltet werden. Hat ein Produkt „zwei Leben“, wird
die Entsorgungsabgabe nur einmal fällig.
Jedes Produkt wird mit einer Pfandabgabe verkauft.
Die Rücknahme aller Elektro-/Elektronikgeräte erfolgt über kommunale Wertstoffhöfe, wo man das
Pfand zurück erhält.
Ein Teil der Entsorgungsabgabe finanziert das kommunale Rücknahmesystem.
Die Wertstoffhöfe sind für die Weiterleitung an den
besten Entsorger/Verwerter zuständig. Decken die
Einnahmen der wiedergewonnenen Sekundärrohstoffe
aus der Verwertung die Kosten der Entsorgung nicht,
wird die Differenz aus der Entsorgungsabgabe gezahlt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Damit werden langlebige Produkte relativ preiswerter, weil die Entsorgungsabgabe nur ein Mal fällig
wird, und Produkte, welche einfach recycelbar sind,
erreichen einen Preisvorteil durch die niedrigere Entsorgungsabgabe.
Mit diesem System ließen sich gute kommunale Arbeitsplätze schaffen. Und ganz nebenbei könnte man
das System Pfand-Wertstoffhof auch nutzen, um gefährliche Produkte sicher zur Entsorgung zu erfassen,
wie beispielsweise Energiesparlampen, um deren
Rücknahme es im Antrag der SPD geht.
Der Einsatz von Energiesparlampen ist zweifelhafter Umweltschutz. Sie verwenden hochgiftiges Quecksilber. Ihre Haltbarkeit ist kürzer als versprochen. Der
Farbton ihres Lichtes ist meist so unangenehm, dass
oft nur indirekte Beleuchtung erträglich ist. Damit
braucht man je nach Farbe der Wand/der reflektierenden Fläche mehr Lichtmenge, also mehr Leuchten als
geplant.
In privaten Haushalten auf Fluren, auf Treppen und
in Bädern, wo das Licht meist nur wenige Minuten am
Tag genutzt wird, lohnen sich Energiesparlampen gar
nicht. Der Energieverbrauch bei Produktion und Entsorgung der Energiesparlampen wurde in der Bilanz
nicht ordentlich berücksichtigt.
Problematisch sind die zusätzlichen Risiken für die
Gesundheit. Zerbricht der Glaskörper, gelangt das
Quecksilber in die Umwelt - Quecksilber reichert sich
im Körper an, und jede zusätzliche Dosis vergrößert
die Gefahr von Vergiftungen. „Bild“ stellte gestern
fest: „Energiesparlampen sondern im Betrieb starke
elektromagnetische Strahlung ab“, aber die Grenzwerte wurden eingehalten. Über diese Grenzwerte jedoch ist massiver Streit entbrannt. Zum Beispiel liegt
ein aktueller Grenzwert bei 100 µTesla, obwohl bereits
bei 10 µTesla hormonelle Veränderungen bei Menschen festgestellt wurden, bei 1 µTesla das Risiko, an
Krebs oder Alzheimer zu erkranken, stark wächst und
bei 0,3 µTesla die Gefahr von Leukämie bei Kindern
stark zunimmt. Da beruhigt es mich und die Bürgerinnen und Bürger ungemein, dass Energiesparlampen
die Grenzwerte einhalten.
Schon 2010 forderte die Linke verpflichtende Rücknahmesysteme für Energiesparlampen. Leider hat die
Koalition dies damals abgelehnt. Wir unterstützen darum den Antrag der SPD, die Rücknahmepflicht für
Alt-Energiesparlampen durchzusetzen. Gleichzeitig
fordern wir die Regierung auf, in Brüssel für ein Verbot dieser Lampen zu kämpfen. Es gibt Alternativen,
sei es die in blindem Aktionismus verbotene gute, alte
Glühbirne, seien es LED- oder OLED-Leuchtmittel.
Unser Vorschlag: Entscheiden Sie sich zusammen
mit der Opposition in einem Schritt für eine Rücknahmepflicht für Energiesparlampen und in einem zweiten
für deren Verbot.
Warum gehen so viele Produkte kurz nach der Garantiezeit kaputt? Verkürzen Hersteller die Lebenszeit
künstlich, um die Nachfrage nach neuen Waren sicherzustellen? Wir Grüne haben uns in den letzten Monaten ganz intensiv mit diesen Fragen beschäftigt.
Die Ergebnisse einer Studie, die wir hierzu in Auftrag gegeben haben, waren erschreckend. Produkte,
die kurz nach dem Ablauf der Garantie- oder Gewährleistungszeiten den Dienst einstellen, sind einfach zu
finden - jeder kennt diese Beispiele. Der Gedanke liegt
nahe, dass schon während des Herstellungsprozesses
vorzeitiger Verschleiß eingebaut wird. Reparaturen
werden bei manchen Produkten inzwischen fast unmöglich gemacht. Beispielsweise werden Laptops so
angeboten, dass sie beim Öffnen irreparabel zerstört
werden, oder Akkus so verbaut, dass ein Austausch gar
nicht mehr möglich ist. Dieses kann als „geplanter
Verschleiß“ betrachtet werden.
Es ist ärgerlich für Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn sie Geräte nach kurzer Zeit neu kaufen
müssen. Es ist eine Geldverschwendung, wenn Handys
oder auch elektrische Zahnbürsten viel zu kurze
Lebensdauern haben. Und es ist eine skandalöse Verschwendung von Ressourcen. Unsere Abfallberge
wachsen, weil die Recyclingquoten zum Beispiel bei
Elektroschrott nach wie vor zu niedrig sind.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Branchenverbandes BITKOM besagt, dass die Zahl der Althandys und Smartphones in deutschen Haushalten im vergangenen Jahr auf fast 86 Millionen angewachsen ist.
Dies ist eine Zunahme um gut 3 Prozent in einem Jahr.
Wir wissen: Rund 80 Prozent aller in einem Mobiltelefon verwendeten Materialien könnten durch Recycling
zurückgewonnen werden. Allerdings müssen Geräte
hierfür auf hohem Niveau recycelt werden.
Um ein effizientes Recycling zu ermöglichen, müssen möglichst viele Geräte zurückkommen. Daher setzen wir uns für ein Handypfand als Pilotmodell ein;
denn die Erfahrung zeigt: Finanzielle Anreize erhöhen
die Rücklaufquoten deutlich. Ist dieses bei Mobiltelefonen erfolgreich, wollen wir es auf weitere Produktgruppen wie Laptops, Tabletcomputer und Spielekonsolen anwenden.
Das bisherige System hat einen zu geringen
Rücklauf. Ein umfassendes Rücknahmesystem kann
nur gemeinsam mit Handel und Herstellern entwickelt
werden, wenn es Erfolg haben soll. Kooperation einzelner Anbieter mit Umweltverbänden, zum Beispiel
bei der Rücknahme von Mobiltelefonen, ist ein guter
Ansatz, führt aber noch nicht zu insgesamt großen
Mengen. Um wichtige Rohstoffe in größerer Masse
zurückgewinnen zu können, bedarf es größerer Mengen im Rücklauf. Nur so besteht der Anreiz für Investitionen in hochwertiges Recycling.
Zum Thema Energiesparlampen: Hier ist der Antrag der SPD-Fraktion sinnvoll, wir unterstützen ihn.
Wir hatten hierzu vor geraumer Zeit ja bereits einen
Zu Protokoll gegebene Reden
Grünen-Antrag vorgelegt. Seither hat sich aber für
Verbraucherinnen und Verbraucher rein gar nichts
verbessert. Die Regierung muss endlich handeln und
darf die Rücknahme nicht privaten Initiativen überlassen.
Dort, wo finanzielle Anreize nicht ausreichen, setzen wir auf das Ordnungsrecht. Das jetzige Elektround Elektronikgerätegesetz ist nicht mehr zeitgemäß,
die Anforderungen an Ressourceneffizienz und Recycling sind seit 2005 stark gestiegen. Schon lange ist
eine umfassende Novellierung erforderlich, allein um
die illegalen Exporte unseres Elektroschrotts einzudämmen, zum Beispiel nach Ghana oder Indien. Auch
diese haben in letzter Zeit eher zugenommen, statt weniger zu werden. Da müssen wir auch die Bedingungen
für Zollkontrollen verbessern.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Lassen Sie
Nutzerinnen und Nutzer nicht länger im Regen stehen.
Eine Überarbeitung der Regelungen zum Elektroschrott ist dringend notwendig. Der Handel muss in
die Pflicht genommen werden, ebenso die Produzenten, die es auf raschen Verschleiß ihrer Waren anlegen
und gezielt minderwertige Bauteile verwenden.
Verbraucherinnen und Verbraucher wollen ihre Elektrogeräte reparieren können, wenn sie nicht mehr
funktionieren. Eine längere Lebensdauer, auch von
Elektronikgeräten, muss vorgegeben werden. Und
wenn etwas endgültig nicht mehr zu gebrauchen ist,
muss es den Menschen einfach gemacht werden, dieses
einem wirklich sinnvollen Recycling zuzuführen.
Darum muss es gehen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/10866.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9058. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung?
({0})
- Ist total dafür, nicht? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen.
Dagegen haben SPD und Linke gestimmt.
({1})
- Ach so, und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8899. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen.
Dagegen waren die Oppositionsfraktionen.
Tagesordnungspunkt 28:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Familienpflegezeit und zum flexibleren
Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und
Beamte des Bundes
- Drucksache 17/12356 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 17/13133 Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster ({3})
Dr. Stefan Ruppert
Dr. Konstantin von Notz
Die Reden wurden zu Protokoll genommen.
Diese Koalition redet nicht nur über Demografie,
sich wandelnde Altersstrukturen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Nein, wir tun auch etwas, um
auf diese Entwicklungen adäquat zu reagieren. Die
Demografiestrategie der Bundesregierung beschäftigt
sich beispielsweise ausgiebig damit, dass Familie und
Beruf besser zu vereinbaren sind und dass die Arbeitswelt familienfreundlicher werden soll, auch - und ich
meine aus Vorbildgründen sogar insbesondere - für
die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also die
Bundesbeamtinnen und -beamten.
Eines der vielen Ziele dabei ist es, die Doppelbelastung von Beruf und Pflege zu reduzieren. Deshalb hat
Ministerin Schröder folgerichtig das Instrument der
Familienpflegezeit eingeführt. Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer können damit in Vereinbarung mit ihrem
Arbeitgeber ihre Arbeitszeit für einen begrenzten Zeitraum reduzieren. Die finanziellen Einbußen werden
abgemildert, indem sie auf einen längeren Zeitraum
verteilt werden.
Nun sollen auch Beamtinnen und Beamte der Bundesverwaltung die Möglichkeit bekommen, für die
Pflege von nahen Angehörigen Familienpflegezeit zu
beantragen. Ihnen wird ein späterer Eintritt in den
Ruhestand ermöglicht, um Versorgungseinbußen zu
mindern. Das Verfahren zur Beantragung der Pflegezeit wird unbürokratisch sein: Die Beamtin oder der
Beamte weist die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen nach, indem er eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegt. Stehen dem Antrag keine
dienstlichen Gründe entgegen, kann die Arbeitszeit
wie gewünscht reduziert werden. Im Gesetzentwurf
wird zudem die Möglichkeit eingeräumt, den Eintritt in
den Ruhestand um bis zu drei Jahre hinauszuschieben.
Damit kann die Beamtin oder der Beamte Ausfälle in
den Versorgungsbezügen ausgleichen, die sich aus der
Reduzierung der Arbeitszeit für die Pflege ergeben.
Armin Schuster ({0})
Der Gesetzentwurf regelt deshalb auch den flexiblen Einstieg in den Ruhestand. Im Änderungsantrag
der Koalition haben wir nun vorgesehen, dass all jene
Beamte, die nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze
weiterhin arbeiten, 10 Prozent Besoldungszuschlag erhalten. Zudem streichen wir die im Bundesbeamtengesetz enthaltene Möglichkeit des Dienstherrn, den Ruhestandseintritt ohne die Zustimmung der Beamtin oder
des Beamten zu verschieben. Wir haben also einen zusätzlichen finanziellen Anreiz geschaffen, freiwillig
länger zu arbeiten.
In der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses
wurden wir Abgeordneten daran erinnert, dass längeres Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus derzeit
noch kein großes Thema ist. Vielmehr müssten zunächst weitere Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Beschäftigten überhaupt bis zur Regelaltersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand arbeiten
können. Zwar sind die Frühpensionierungen in den
letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Dennoch
haben wir nicht nur die Aufgabe, den öffentlichen
Dienst für Fachkräfte attraktiv zu gestalten, um sie als
Beamtinnen und Beamte neu zu gewinnen, sondern wir
haben auch eine Fürsorgepflicht für all jene, die unter
den gestiegenen Anforderungen schon heute im öffentlichen Dienst arbeiten. Prävention und gute Mitarbeiterführung sind nur zwei der Bausteine, um eine gute
und gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen. Hier passiert gerade in den Bundesbehörden schon sehr viel.
Dennoch: Weitere Maßnahmen sind möglich und nötig. Ich nehme diese Anmerkungen sehr ernst.
Heute jedenfalls legen wir Ihnen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir es Bundesbeamtinnen und -beamten ermöglichen, eine möglicherweise bestehende
Doppelbelastung aus Beruf und Pflege zu reduzieren.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der verschiedene Änderungen im Öffentlichen Dienst nach sich zieht. Regelungen für die Familienpflegezeit für Beamtinnen und Beamte sollen
gestaltet und der Ruhestandseintritt bei Beamtinnen
und Beamten flexibler geregelt werden.
Mit den Regelungen zur Familienpflegezeit soll dies
nun auch den Beamtinnen und Beamten ermöglicht
werden. Grundsätzlich ist es durchaus zu begrüßen,
dass die Bundesregierung erkennt, dass im Bereich der
privaten Pflege von Angehörigen dringende Probleme
warten, die unbedingt angegangen werden müssen.
Ein Großteil pflegebedürftiger Menschen wird von ihren Angehörigen betreut. Diese Pflege stellt ein extremes Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf dar.
Bei der Umsetzung dieser Familienpflegezeit hakt
es an einigen Stellen jedoch noch, insbesondere ist es
bedauerlich, dass Fehler des Familienpflegzeitgesetzes für Tarifbeschäftigte übernommen werden. Die
SPD-Bundestagsfraktion hat in der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu diesen
Themen verschiedene Kritikpunkte aufgegriffen und
mit den Sachverständigen diskutiert.
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht es als sehr kritisch an, dass die Genehmigung der Pflegezeit in das
Ermessen des Dienstherrn gestellt wird. Dem dienstlichen Interesse ist durch die normierte Voraussetzung
der nicht entgegenstehenden dienstlichen Gründe hinreichend Genüge getan.
Auch hinsichtlich der zeitlichen Beschränkung der
Pflegezeit auf 24 Monate haben wir Zweifel, ob dies
den tatsächlichen Anforderungen an die Pflege von
Angehörigen entspricht. Zu dieser Frage gab es in der
Anhörung unterschiedliche Einschätzungen. Insgesamt wäre eine längere Pflegezeit jedoch zu begrüßen.
Weitere Kritikpunkte, die von der SPD-Bundestagsfraktion benannt wurden, betreffen das Rückzahlsystem des Vorschusses, der uns nicht praktikabel und interessensgerecht erscheint, und die wöchentliche
Arbeitszeit von 15 Stunden. Diese Festlegung ist nicht
flexibel genug.
Da die Familienpflegezeit, die bisher außerhalb des
Geltungsbereichs des Bundesbeamtengesetzes Anwendung findet, kaum in Anspruch genommen wird, steht
zu erwarten, dass dies analog auch für die Beamtinnen
und Beamten gelten wird.
So geht auch der vorliegende Gesetzentwurf von gerade einmal 250 Anträgen auf Familienpflegezeit
durch Beamtinnen und Beamte aus. Da kann man
schon von einem reinen Nischenangebot sprechen.
Ich möchte nun noch auf den zweiten Teil des vorgelegten Gesetzentwurfes eingehen, das Hinausschieben
der Altersgrenze.
Freiwillige Dienstzeitverlängerungen kann ich nur
begrüßen. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich die
Freiwilligkeit einer solchen Verlängerung. Alles andere finde ich nicht zielführend. Insofern begrüße ich
es, dass die Koalition einen der Kritikpunkte der Sachverständigengutachten im Rahmen der Anhörung aufgegriffen hat und einen Änderungsantrag für den
Innenausschuss formuliert hat. Darin wird die bisher
mögliche zwangsweise Dienstzeitverlängerung auf
Initiative des Dienstherren ohne Zustimmung des Beschäftigten aufgehoben. Die Zustimmung der Beamtin
oder des Beamten ist nun erforderlich. Diese Anpassung begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich.
Im Februar 2013 haben die Fraktionen des Deutschen Bundestages den vorliegenden Gesetzentwurf
erstmalig im Plenum debattiert. Es ist erfreulich, dass
die Koalition sich auf Initiative der FDP-Fraktion auf
wichtige Änderungen verständigt hat und wir den Gesetzentwurf in geänderter Form heute beschließen
können.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ziel der Regelung ist in erster Linie, das Familienpflegezeitgesetz auf die Beamtinnen und Beamten des
Bundes zu übertragen. Für Arbeitnehmer und für Tarifangestellte im öffentlichen Dienst gilt es seit Anfang
2012. Anfang dieses Jahres wurden Stimmen aus den
Reihen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen laut,
nach denen die Regelung ein „Flop“ sei. Solche Äußerungen können nur als Wahlkampfgetöse wahrgenommen werden. Sie sind weder fundiert noch sachlich.
Mit dem Familienpflegezeitgesetz hat die Koalition die
Möglichkeit der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
verbessert. Man muss den Menschen Zeit geben, diese
Möglichkeiten zu entdecken und zu prüfen. Eine umfassende wissenschaftliche Evaluation auf Initiative
des Bundesfamilienministeriums wird Aufschluss über
die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes geben.
Beamte konnten bisher zugunsten der Pflege von
Angehörigen in Teilzeit arbeiten und wurden dafür anteilig besoldet. Mit Einführung der Familienpflegezeit
können sie nun für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren ihre Arbeitszeit auf mindestens 15 Stunden pro Woche reduzieren. In dieser Zeit erhalten sie einen Vorschuss auf ihre Besoldung, der nach der Pflegephase
zurückgezahlt wird. Mit dieser Regelung wird ein Ausgleich geschaffen für die finanzielle Belastung, die unter Umständen mit einer Pflegezeitphase einhergeht.
Darüber hinaus setzen wir weitere Maßnahmen zur
Flexibilisierung des Ruhestandseintritts um. Beamte,
die wegen familiärer Aus- oder Teilzeiten während ihrer aktiven Dienstzeit Versorgungseinbußen haben,
können künftig diese Lücken auffüllen, indem sie über
ihr gesetzliches Pensionsalter hinaus bis zu drei Jahre
weiterarbeiten. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit,
den Höchstruhegehaltsatz von 71,75 Prozent doch
noch zu erreichen.
Außerdem erhöhen wir die Attraktivität des Modells
FALTER, das Beamten ermöglicht, mit reduzierter
Arbeitszeit in Ruhestand zu gehen. Bisher war bei Inanspruchnahme des FALTER-Modells wegen eines
Versorgungsabschlags ein finanzieller Nachteil gegenüber dem herkömmlichen Ruhestandseintritt verbunden. Dieser Abschlag fällt nun weg.
Auf Initiative und Druck der FDP-Fraktion werden
mit einem Änderungsantrag der Koalition im Gesetzentwurf zwei weitere wichtige Punkte umgesetzt:
Zum einen fällt die unglückliche Regelung weg,
dass der Dienstherr Beamte ohne ihre Zustimmung zur
Verlängerung der Arbeitszeit über den gesetzlichen
Ruhestand hinaus zwingen kann. Aus Sicht der Liberalen kann motiviertes längeres Arbeiten nur aus freien
Stücken erfolgen.
Zum anderen motiviert ein Zuschlag von 10 Prozent
des Grundgehalts künftig auch diejenigen Beamten zur
freiwilligen Verlängerung der Arbeitszeit, die bei Erreichen des Ruhestandsalters den Höchstruhegehaltssatz von 71,75 Prozent bereits erreicht haben. Bisher
hätte ihnen einen Verlängerung der Arbeitszeit keine
Vorteile gebracht.
In einer öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestages im März dieses Jahres wurden
diese Änderungen von Sachverständigen konkret gefordert, die auf Initiative der FDP nun umgesetzt worden sind. Darüber hinaus hat die Mehrzahl der Sachverständigen den vorliegenden Gesetzentwurf neben
einigen weiter gehenden Vorschlägen positiv bewertet.
Die Maßnahmen wurden von Experten als angemessene Reaktion auf die Herausforderungen des
demografischen Wandels bewertet. Im Rahmen der
Demografiestrategie der Bundesregierung bisher erarbeitete Handlungsempfehlungen für den öffentlichen
Dienst werden damit umgesetzt. Die FDP-Fraktion
hätte sich die Familienpflegezeitregelung auch für Soldaten gewünscht, dies war jedoch mit dem Koalitionspartner nicht umzusetzen.
Neben dem Familienpflegezeitgesetz kommen heute
noch zwei weitere Gesetzentwürfe im Beamtenrecht
zur Abstimmung, bei denen die FDP-Fraktion ebenfalls sehr gute Kompromisse durchgesetzt hat: Wir führen die Portabilität der Versorgung ein und sorgen für
eine ausgewogen gestaltete Neuregelung der Professorenbesoldung. Die Koalition hat in dieser Wahlperiode
weit mehr im Beamtenrecht erreicht als die Große
Koalition und Rot-Grün zuvor. Ein Blick auf die Entwicklung des Dienstrechts in den rot-grün geführten
Ländern genügt, um zu zeigen, dass wir dank der
christlich-liberalen Koalition im Bund auf vier gute
Jahre für Deutschland im Beamtenrecht zurückblicken.
Ich bitte um Zustimmung für diesen Gesetzentwurf.
Der Pflegefall ist der Ernstfall der Solidarität.
Nicht nur im Familienverhältnis. Ein guter Freund erleidet einen Schlaganfall, die Schwiegermutter wird
dement. Solche Ereignisse werden häufig als existenzielle Brüche im gewohnten Alltag erfahren, ändern
vieles, verlangen große Umstellungen und führen die
Beteiligten schnell an psychische und physische
Grenzen.
Sowohl Angehörige als auch Freunde und Bekannte
erfahren diese Situationen oft als innere Verpflichtung,
zu helfen, und erwarten dabei die Unterstützung ihres
Umfeldes, gerade auch die des Arbeitgebers. Ihnen
hierfür den erforderlichen Raum zu geben, sollte deshalb Ziel sein, weil damit die Würde der Pflegebedürftigen als auch der diesen Menschen nahestehenden
Personen respektiert und gewährleistet wird. Soweit
derartige solidarische Leistungen zur Verfügung stehen, werden damit auch öffentliche Hilfsstrukturen
entlastet.
Nun lassen sich für das Arbeitsverhältnis durchaus
unterschiedliche Modelle vorstellen, mit denen dem
Wunsch von Beschäftigten entgegengekommen werden
kann, eine Auszeit für die Pflege zu nehmen. Eingehend hat dazu der Familienausschuss eine Anhörung
durchgeführt. Die Bundesregierung hat sich für den
Bereich der Beamtinnen und Beamten entschieden, das
Zu Protokoll gegebene Reden
Familienpflegezeitmodell für die Tarifbeschäftigten
wirkungsgleich zu übernehmen. Von allen denkbaren
Möglichkeiten hat sie sich letztendlich, wie bei den
Tarifbeschäftigten auch, damit für die maximal eigenverantwortliche - früher hätte man gesagt: neoliberale - Lösung entschieden. Eine solidarische Leistung,
etwa in Gestalt der von Verdi vorgeschlagenen erweiterten Anerkennung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten für die Versorgung, ist nicht vorgesehen.
Deutlich wird: Die Pflege soll an dieser Stelle nur
keine weiteren Kosten produzieren, die Solidarität der
Menschen miteinander und untereinander wird als
selbstverständliche, also erwartete und damit nicht
weiter finanziell unterstützenswerte Pflicht abgebucht.
Diese hochabstrakte Erwartungsschablone passt aber
nicht mehr auf die vielfältigen Lebensverhältnisse unserer Gesellschaft. Unausgesprochene Wirklichkeit an
dieser Stelle zudem: Tatsächlich gemacht wird die Arbeit nach wie vor überwiegend durch Frauen.
Gleichzeitig wird im Beamtenverhältnis die Selbstbestimmung der Betroffenen unter Verweis auf ihre
Treuepflicht klar eingeschränkt. Denn nach dem Entwurf der Bundesregierung steht die Wahrnehmung der
Pflegezeit unter Vorbehalt der Zustimmung des Dienstherrn. Zunächst wollte die Koalition sogar die Verlängerung der Dienstzeit anordnen können, hat davon
aber im Änderungsantrag dann doch Abstand genommen. Formal mag es zumindest mit Blick auf einzelne
Ausnahmebereiche des öffentlichen Dienstes und unter
Verweis auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung
nachvollziehbar und auch zulässig sein ({0}), dass die Lücke einer Pflegezeit
vermieden werden muss. Für die große Mehrheit der
Beamten gilt dies jedoch nicht. Und an sich sind Arbeitsplätze so zu organisieren, dass für solche Ausfälle
Kompensationsmöglichkeiten bestehen, weil diese
mehr als erwartbar sind. Zudem kann der Forderung
der Gewerkschaften nach einem Rechtsanspruch auf
Wahrnehmung der Pflegezeit im öffentlich-rechtlichen
Verhältnis nicht das allein für den privatwirtschaftlichen Bereich passende, aber auch dort schwierige
Argument entgegengehalten werden, die Arbeitgeber
würden bei einer gesetzlichen Verpflichtung jegliche
Akzeptanz des Gesetzes verweigern.
Der Begriff der Angehörigen ist im Gesetzentwurf
zu eng definiert; wir teilen da die Kritik der Gewerkschaft. So müssten auch bloße leibliche Kinder in
häuslicher Gemeinschaft, welche nicht adoptiert sind,
beispielsweise mit erfasst sein. Auch müsste die häusliche Umgebung auf teilstationäre Pflege erweitert
werden.
Die zeitliche Begrenzung auf 24 Monate überzeugt
angesichts längerwährender Erkrankungen nicht,
auch wenn es dort eine einmalige Verlängerungsmöglichkeit gibt. Die ebenfalls vorgesehene Beibehaltung
einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit, die von der
Koalition auch noch als Schutzmaßnahme verbrämt
wird, passt in dieser Starrheit nicht für schwerwiegendere Pflegefälle. Wir teilen die Auffassung von Verdi,
dass es gerade hier besonderer Flexibilität bedarf, damit das Angebot wahrgenommen werden kann. Auch
der Kritik der Gewerkschaften an den vorgesehenen
Modalitäten des Vorschusses schließen wir uns an.
Die durch den Gesetzesvorschlag beabsichtigte
Flexibilisierung des Ruhestandseintritts ist im Grundsatz zu begrüßen. Zugleich lässt sich der Vorwurf der
Gewerkschaften nicht von der Hand weisen, dass hier
über den Umweg der Familienpflegezeit an der
Lebensarbeitszeitverlängerung gedreht werden soll.
Wer die Pflegezeit in Anspruch nimmt, mag vereinzelt
froh um die ermöglichte Verlängerung der Dienstzeit
und die ermöglichte Abgeltung des Vorschusses sein.
Aufs Ganze besehen aber müssen die individuellen
Folgen solcher Verlängerungen im Blick behalten und
organisatorische Folgen in Gestalt etwa des Erlahmens der Nachwuchsförderung und Neueinstellung
vermieden werden. Das Nutzen der Erfahrung älterer
Bediensteter kann nur Hand in Hand mit einer wirksamen Konzeption der Sicherung der Weitergabe dieses Wissens erfolgen. Eine generelle Kultur des längeren Arbeitens ist voraussetzungsvoll; es genügt nicht,
höhere Lebenserwartungen zu konstatieren.
In der Summe ergeben sich wegen der genannten
Hürden bei der Antragstellung Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verfolgung des Gesetzesziels. Im privaten Bereich gilt die Regelung ja bereits wegen der fehlenden Verbindlichkeit und der Ablehnung durch die
Arbeitgeber als de facto gescheitert. Für den Beamtenbereich drängt sich ebenfalls auf, in wie vielen Fällen
wohl unter Verweis auf den Fachkräftemangel die Zustimmung verweigert werden wird.
Nicht akzeptabel ist aber auch, dass gleichstellungspolitisch nicht gegengesteuert wird. Die Tatsache, dass ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen, zementiert spätere Benachteiligungen beim
Wiedereinstieg. Die Bundesregierung spricht dieses
Problem im Gesetzentwurf an. In einer kühnen Prognose attestiert sie sich selbst einen wertvollen gleichstellungspolitischen Beitrag, weil die Pflegezeit die
größte Wirkung bei Vollzeitbeschäftigten entfalte, und
diese seien ja nun überwiegend Männer, also würden
zukünftig Männer mehr Pflege übernehmen. Diese Art
der Rechnung, die unter Ausschluss der Realität,
sprich: der zentralen Frage nach dem Hauptverdiener
in den Familien, vorgeht, belegt gleichstellungspolitisch ein hohes Maß an Ignoranz.
Wie in den anderen Anträgen dieser Koalition zum
Dienstrecht auch wird recht salopp ein Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und der eigenen
Strategie gegen die möglichen negativen Folgen
hergestellt. Schon angesichts der prognostizierten
250 Anträge pro Jahr darf bezweifelt werden, dass wir
es hier insoweit mit einem Instrument hinreichend
signifikanter Reichweite zu tun haben, um grundlegende, die gesamte Bevölkerung betreffende Veränderungen mit steuern zu können. Meine Kollegen
sprechen im Hinblick auf Frau Schröders Familienpflegezeitregelung von Symbolpolitik; dem kann ich
Zu Protokoll gegebene Reden
mich hier für den Bereich des Dienstrechts anschließen. Eine verlässliche Pflegestruktur mit professionellen Pflegestrukturen und auch der oftmals angesprochene Pflegemix stellen strukturelle Ziele dar mit
potenziell weitgehenden Entlastungswirkungen für
alle Beteiligten, die insoweit deutlich über das von der
Koalition propagierte bürgerliche Modell des Rückzugs in die Familie hinausweisen. Leider verweigert
sich diese Koalition einer solchen Modernisierung.
Die Folgen könnten schwerwiegend ausfallen, wenn
der längst ausgerufene Pflegenotstand sich weiter manifestiert. Die Untätigkeit der letzten vier Jahre ist
dann als verlorene Zeit bei der Gestaltung einer effektiven und die Menschen tatsächlich erreichenden Pflegeregelung zu verbuchen.
Wir werden den Anträgen der schwarz-gelben
Koalition nach alledem deshalb nicht zustimmen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13133, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12356 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen? - Dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen
bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die
SPD. Linke und Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmt, möge sich erheben. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit
ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 27:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar
Enkelmann, Roland Claus, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den
Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2012
- Drucksachen 17/3046, 17/5964 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Klaus Brandner
Roland Claus
Priska Hinz ({1})
Die Reden sind zu Protokoll genommen.
Der Antrag der Fraktion Die Linke war bereits bei
der Einbringung im Jahr 2010 völlig überflüssig.
Selbstverständlich haben sich die Landesregierungen der Länder Brandenburg, Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen sowie der Bund rechtzeitig auf
ein neues Abkommen für den Zeitraum 2013 bis 2017
geeinigt. Niemand wollte die notwendige Sanierung
frühzeitig abbrechen und selbstverständlich ist sich
jede der verhandelnden Regierungen der Aufgabe der
Gewässernachsorge bewusst.
Die rot-rote Landesregierung von Brandenburg hat
in einer Presseerklärung am 7. November 2012 das
Abkommen als verlässliche Grundlage für die kommenden fünf Sanierungsjahre gelobt. Da ist eigentlich
nichts hinzuzufügen. Es besteht somit ein weitreichender parteiübergreifender lobender Konsens zum
Verwaltungsabkommen über die weitere Braunkohlensanierung.
Was gemeinsam für die betroffenen Regionen verhandelt wurde, lässt sich auch sehen:
Bis 2017 werden weitere 1,2 Milliarden Euro von
Bund und Ländern bereitgestellt; mit den Abkommen
1 bis 4 sind bereits 9,3 Milliarden Euro zur Abarbeitung der schmutzigen DDR-Hinterlassenschaften eingesetzt worden.
Die bedarfsgerechte Fortführung der Sanierung ist
mit dem Mittelvolumen gesichert.
Von dem Mittelvolumen sind 460 Millionen Euro für
die Gefahrenabwehr aus dem Gewässeranstieg in den
DDR-Bergbauregionen vorgesehen.
Die bergtechnische Sanierung ist weitgehend abgeschlossen; bis 2015 werden die Tagebauseen bis auf
wenige Ausnahmen weitgehend geflutet sein, und zum
neuen Schwerpunkt wird daher die Gewässernachsorge. Dazu gehörten die langfristige Beobachtung der
Gewässerqualität der Tagebauseen und gegebenenfalls Reaktionen auf die Qualitätsentwicklung. Hinzu
kommen auch die Überwachung der Gewässerböschungen und des Grundwasseranstiegs.
In den betroffenen Regionen ist nicht nur der Bergbau immer noch eine tragende wirtschaftliche Säule,
sondern mittlerweile auch die Bergbausanierung.
Nach Angaben der brandenburgischen Landesregierung haben zirka 1 300 Menschen - überwiegend aus
bergbaulichen Berufen - einen neuen Job in Sanierungsprojekten in der brandenburgischen Lausitz gefunden. Die gemeinsamen finanziellen Anstrengungen
und der persönliche Einsatz der Menschen vor Ort
haben es ermöglicht, aus der Umweltkatastrophe, die
uns durch die Energiepolitik der SED hinterlassen
wurde, neue Entwicklungsperspektiven aufzubauen.
Der Tourismus, eine moderne, sehr diversifizierte
Energiewirtschaft, aber auch hervorragende Kompetenzen in Wissenschaft und Forschung gehören heute
zu den Zukunftschancen der Regionen.
Ich bitte die Antragssteller: Reden Sie das Geleistete nicht weiterhin schlecht. Malen Sie nicht weiterhin
schwarze Zukunftsszenarien. Sie zerreden damit nicht
nur die Bemühungen der Koalition, sondern insbesondere die Lebensleistung der Menschen vor Ort. Gerade
vor dem Hintergrund Ihrer parteipolitischen Herkunft
empfinde ich Ihre vorgetragene Empörung noch mehr
als plumpe Heuchelei.
Am 9. Oktober letzten Jahres wurde das 5. BundLänder-Verwaltungsabkommen über die Finanzierung
der Braunkohlensanierung von den Braunkohleländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unterzeichnet. Für den Bund haben Finanzminister Schäuble und Umweltminister Altmaier ihre
Unterschrift geleistet. Das Abkommen ist zum 1. Januar in Kraft getreten. Auch das entsprechende 4., ergänzende Verwaltungsabkommen wurde vor wenigen
Wochen, Ende Februar, unterzeichnet.
Damit haben wir zur Sanierung der Hinterlassenschaften des DDR-Braunkohlenbergbaus einen weiteren wichtigen Meilenstein erreicht. Für die Jahre 2013
bis 2017 stehen hier insgesamt über 1,2 Milliarden
Euro bereit. Im Vergleich zum vorherigen Abkommen
haben wir die Sanierungsmittel wieder um über
200 Millionen Euro erhöht. Diese Mittel ermöglichen
es uns, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen bedarfsgerecht fortführen zu können. Sie tragen auch
dazu bei, wichtige ökologische und ökonomische Impulse für die betroffenen Regionen zu geben.
Die Unterzeichnung ebendieses Verwaltungsabkommens hatte der hier zur Debatte stehende Antrag
der Fraktion Die Linke gefordert. Dieses ist, wie gesagt, im vergangenen Jahr geschehen. Damit ist zu
diesem Antrag im Grunde alles gesagt. Der Antrag der
Opposition ist alles in allem überflüssig und unnötig.
Was er fordert, ist längst passiert.
Die Opposition verlangt in ihrem Antrag, dass diese
Sanierung bis zu ihrer endgültigen Beendigung als öffentliche Aufgabe zu betrachten sei. Meine Damen und
Herren von der Opposition, ich frage Sie: Was tun wir
denn seit über 20 Jahren anderes als das? Dies ist seit
Jahr und Tag wichtige öffentliche Aufgabe. Und das
wird so bleiben. Hätte es sonst schon fünf Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern gegeben? In der Sache sind wir bis 2017 bestens aufgestellt. Das sehen auch die Länder so.
Lassen Sie mich dennoch auch heute noch einmal
ausdrücklich betonen: Die ostdeutsche Erfolgsgeschichte der Braunkohlensanierung geht weiter. Wir
haben sie vor gut 20 Jahren unter einer schwarzgelben Regierungskoalition in Angriff genommen. Und
wir haben sie mit dem 5. Verwaltungsabkommen erneut in einer schwarz-gelben Koalition zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Dafür braucht es nun
wahrlich keine Anträge der Linken.
Sie sollten lieber anerkennen, dass die Sanierung
der Braunkohlentagebaue und anderer Altstandorte in
Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ein Vorzeigeprojekt des Aufbaus Ost darstellt. Daran kann es ernsthaft keinen Zweifel geben.
Wir sprechen hier von einem Mammutprojekt, das
neben der Wismutsanierung seinesgleichen sucht. So
wurden in den ersten zehn Jahren seit der Wiedervereinigung mehr als 30 Tagebaue und über 40 weitere Produktionsstandorte in der Lausitz und in Mitteldeutschland stillgelegt. Wir reden hier von einer Gesamtfläche,
die über 1 000 Quadratkilometer betragen hat. Die Sanierung hat den Steuerzahler erhebliche finanzielle
Mittel gekostet. Bis 2017 werden es weit mehr als
9 Milliarden Euro sein.
Die Sanierung und Rekultivierung dieser Landstriche in den vier ostdeutschen Braunkohlenländern hat
jedoch nicht allein den Umweltschutz und damit eine
Verbesserung der Lebensqualität der dort ansässigen
Bevölkerung zum Ziel. Es geht auch um die Schaffung
neuer Arbeitsplätze und um die Generierung von Wirtschaftswachstum, nicht allein im Bereich des Umweltschutzes, sondern gerade auch im Tourismus.
Mit vereinten Kräften hat der Bund zusammen mit
den betroffenen Ländern die notwendige Braunkohlensanierung genutzt, um in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier auf der einen Seite moderne Standorte für Industrie und Gewerbe zu schaffen, zugleich
aber auf der anderen Seite auch neue Seenlandschaften mit hohem Freizeit- und Naturwert entstehen zu
lassen. Als Beispiele möchte ich nur den BergbauTechnik-Park Espenhain und den Verbindungskanal
zwischen dem Spreetaler See und dem Sabrodter See
nennen.
Insgesamt sind in den letzten Jahren in den Braunkohlenrevieren Lausitz und Mitteldeutschland rund
120 kleinere, mittlere und große Seen entstanden. Ihre
Gesamtfläche beträgt über 700 Quadratkilometer. Die
Gesamtfläche der deutschen Binnengewässer, ohne
den Bodensee, vergrößert sich damit um 20 Prozent.
Wir haben hier Landschaften geschaffen für die Naherholung, zum Wandern und Spazierengehen, zum Angeln, Rudern, Segeln und für viele andere Freizeitaktivitäten mehr.
In den vergangenen zwei Jahren galt es nun, das
5. Verwaltungsabkommen auszuhandeln. Bund und
Braunkohlenländer haben sich dabei - ich nannte die
Summe bereits - auf ein Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro geeinigt.
Die bergtechnischen Sicherungsarbeiten sind mittlerweile zu fast 100 Prozent abgeschlossen. Die Tagebauseen werden bis 2015 bis auf wenige Ausnahmen
geflutet sein. Jetzt gilt es, die gesicherten und sanierten Flächen nutzbar zu machen und einer Verwertung
zuzuführen. Von ganz besonderer Bedeutung sind vor
allem aber die Maßnahmen, mit denen der Gefährdung
von Häuser und Gebäuden durch den Wiederanstieg
des Grundwassers begegnet werden muss.
Deshalb liegt der künftige Aufgabenschwerpunkt im
Bereich der sogenannten Gewässernachsorge. Die
Wiederherstellung eines ausgeglichenen Wasserhaushaltes ist deshalb hier eine der wichtigsten Aufgaben
für die kommenden Jahre. Es geht um die Sicherung
der Gewässerqualität der Tagebauseen. Wie das tragische Unglück von Nachterstedt 2009, bei dem drei
Zu Protokoll gegebene Reden
Menschen tragisch ums Leben gekommen sind, gezeigt
hat, ist gerade auch die Überwachung der Stabilität
der Gewässerböschungen von überragender Bedeutung.
Der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, stehen für Maßnahmen der Grundsanierung ({0}) 770
Millionen Euro zur Verfügung. Diese teilen sich Bund
und Länder im Verhältnis 75 zu 25 Prozent.
Ein Aufgabenschwerpunkt von enormer Bedeutung
ist auch in Zukunft der Wiederanstieg des Grundwasserspiegels. Für Maßnahmen, die den Gefahren aus
dem Grundwasserwiederanstieg begegnen sollen, wie
beispielsweise der Vernässung von Gebäuden, stehen
460 Millionen Euro bereit. Diese §-3-Maßnahmen tragen Bund und Länder je zur Hälfte.
Insbesondere für den sächsischen Tourismus begrüße ich, dass der Freistaat für sogenannte §-4-Maßnahmen zur Folgenutzung ehemaliger Tiefbaulandschaften 40 Millionen Euro bereitstellt, Brandenburg
50 Millionen. Mit diesem Geld kann dort die touristische Infrastruktur verbessert werden. Lassen Sie mich
an dieser Stelle beispielsweise den Bau von Radwegen,
Bootsanlegern oder Schleusen nennen.
Hier und heute möchte ich nochmals mit Nachdruck
daran erinnern, dass der Braunkohlenabbau in der
DDR und die daraus resultierenden dramatischen Zerstörungen unserer Umwelt für mich als Sachsen real
erlebter Kommunismus waren. Ich war die ersten
34 Jahre meines Lebens Bürger der DDR. Das war
eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte. Im
Gegensatz zur Linkspartei weiß ich mich hier mit der
geradezu dramatischen Mehrheit der Menschen in diesem Lande einer Meinung. Dass sich ausgerechnet die
Linke an dieser Stelle zum Fürsprecher der Braunkohlensanierung machen will, ist in meinen Augen mehr
als unglaubwürdig.
Ich fasse zusammen: Die Braunkohlensanierung
war und ist eine Erfolgsgeschichte. Ihren Erfolg haben wir mit dem 5. Verwaltungsabkommen bis 2017 sichergestellt. Dafür aber braucht die Regierungskoalition zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anträge der
Linken.
Auch wenn wir den Antrag zur Fortsetzung der
Braunkohlensanierung erst heute im Plenum beraten,
seine Zielsetzung bleibt richtig, und die Ablehnung
durch die Koalition war unverantwortlich; zuletzt wurden die Koalitionsfraktionen durch ihre eigene Bundesregierung eines Besseren belehrt.
Wir alle wissen, wie zu DDR-Zeiten Braunkohle abgebaut wurde. Die Regierung der DDR nahm wenig
Rücksicht auf die Menschen und gar keine Rücksicht
auf ökologische Belange. Folgeschäden wurden billigend in Kauf genommen. Die Auswirkungen spüren
wir bis heute.
Um die ökologischen Folgen des Braunkohlenabbaus wie auch des drastischen Förderrückgangs nach
1990 zu bewältigen, wendeten Bund und Länder bis
heute rund 9,3 Milliarden Euro auf. Mit der Sanierung
wurden Tausende Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen und eine regionale Wirtschaftsentwicklung
nach dem Braunkohlenabbau organisiert. Dies gehört
zu den positiven Kapiteln der deutschen Einheit und
hat vielen Menschen in der Region eine Perspektive
gegeben.
Zwar war abzusehen, dass bis Ende 2012 ein erheblicher Teil der Grundsanierungen und bergmännischen
Sicherungsarbeiten zu schaffen waren. Das war die
Leistung vieler, denen unser Dank gebührt: zuallererst
den Menschen in der Region, die mitgeholfen haben,
auch der Bundesregierung und den Landesregierungen. Gerade deshalb war entscheidend, nicht kurz vor
Schluss aufzuhören, sondern das Erreichte zu sichern
und den erfolgreichen Weg bis zum Jahr 2017 weiter
zu gehen.
Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch realisierbar, darüber sind sich alle wohl bewusst. Aber es
war für die Region ein entscheidender Meilenstein, die
im Juni 2010 begonnenen Verhandlungen zwischen
dem Bund und Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt
und Thüringen über ein fünftes Verwaltungsabkommen
für den Zeitraum 2013 bis 2017 zu einem erfolgreichen
Abschluss zu bringen. Es war im Interesse der betroffenen Regionen, Unternehmen, Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürgern, nur anscheinend nicht im Interesse der schwarz-gelben Koalition in diesem Hause.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, bei manchen Entscheidungen ist nicht wichtig,
wer die Vorlage geschrieben hat, sondern die Sache.
Aber das mit der Verantwortung bereitet Ihnen ja
schon seit Beginn Ihrer Koalition erhebliche Schwierigkeiten.
Nun haben Ihr Bundesfinanzminister und Ihr Bundesumweltminister im Oktober das 5. Bund-LänderVerwaltungsabkommen über die Finanzierung der
Braunkohlensanierung in der Lausitz und in Mitteldeutschland von 2013 bis 2017 unterzeichnet, ebenso
wie die Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Durch das Abkommen wird die Finanzierung der Braunkohlensanierung bis 2017 abgesichert. Dazu werden über 1,2 Milliarden Euro von
Bund und Ländern bereitgestellt, mit nahezu allen Details, die der Antrag gefordert hat.
Es war Bundesumweltminister Altmaier, der das Abkommen als Meilenstein bezeichnet und die wichtigen
ökologischen und ökonomischen Impulse für die betroffenen Regionen gerühmt hat. Nun, das haben wir
über ein Jahr vorher gewusst.
Um die Rechtsverpflichtung der Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbau- Verwaltungsgesellschaft mbH zu
erfüllen, steht nun ein Finanzrahmen von 770 Millionen Euro zur Verfügung, den sich Bund und Braunkohlenländer im Verhältnis 75 zu 25 Prozent teilen. Für
Zu Protokoll gegebene Reden
Carsten Schneider ({0})
ergänzende Maßnahmen, die dazu dienen, Gefahren
aus dem Grundwasserwiederanstieg abzuwehren, stellen Bund und Braunkohlenländer je zur Hälfte einen
Betrag von 460 Millionen Euro bereit.
Im Zuge der Braunkohlensanierung sind in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier neue Seenlandschaften mit hohem Freizeit- und Naturwert und moderne Standorte für Industrie und Gewerbe
entstanden. Die wollen wir erhalten, pflegen und ausbauen. Die Tagebauseen werden bis 2015 bis auf wenige Ausnahmen geflutet sein. Deshalb geht es jetzt
verstärkt um die Gewässernachsorge. Das war übrigens der wichtigste Punkt unseres Antrags. Ebenso ist
die Stabilität der Gewässerböschungen zu gewährleisten. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt wird sich zukünftig aus dem Grundwasserwiederanstieg ergeben. Hier
gilt es, sowohl die Vernässung von Gebäuden zu verhindern als auch gefährdete Kippenflächen zu sichern.
Denn einen weiteren Unfall mit den schrecklichen Folgen möchte niemand in der Region und erst recht ich
nicht noch einmal erleben müssen.
Das ist unsere Verantwortung. Und es stünde Ihnen
gut an, wenigstens heute für den Antrag zu stimmen.
Dann ersparen Sie uns und der Öffentlichkeit auch,
uns über Ihre Kurzsichtigkeit vor zwei Jahren zu ärgern.
Als dieser Antrag am 20. Januar 2011 in dieses
Hohe Haus eingebracht wurde, liefen die Verhandlungen für das 5. Verwaltungsabkommen bereits und sind
rechtzeitig erfolgreich abgeschlossen worden. Der
Klientelantrag von der Linken war bereits zu seiner
Einbringung überflüssig wie ein Kropf. Wesentliche
Forderungen des Antrags waren bereits bei Antragseinbringung Gegenstand der Verhandlungen und fanden, unabhängig von diesem Antrag, Berücksichtigung. Aber der Antrag zeigt auch deutlich die
fundamentale Unterscheidung zwischen linken Ideologen und rechtsstaatlichen Marktwirtschaftlern auf:
Jene wollen das Primat der Politik zur Gestaltung und
Steuerung, wir vertrauen rechtsverbindlichen Verträgen.
Bereits bei der Einbringung dieses Antrags habe ich
in meiner Rede darauf hingewiesen - und wiederhole
es an dieser Stelle -, dass die Braunkohlensanierung
ein Erbe des gigantischen planwirtschaftlichen Raubbaus der kommunistischen Ideologen der DDR ist. Sie
sind Verursacher und verantwortlich dafür, dass zur
Planerfüllung bis zu 300 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaut wurden, ohne auf Mensch
oder Natur zu achten. Es wurde auf einer Fläche von
1 400 Quadratkilometern der Tagebau betrieben, ohne
Rücksicht auf Menschen, Natur und Tiere. So war es
bis 1990: geräumte Dörfer, öde Landschaften und eine
unvorstellbare Umweltverschmutzung.
Mit der Wende verloren nicht nur die Kommunisten
ihre Macht, sondern es begann zugleich der lange und
mühsame Weg der Braunkohlensanierung. Seit 1990
haben der Bund und die betroffenen Bundesländer
Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits über 9,3 Milliarden Euro in die Braunkohlensanierung investiert und Beachtliches erreicht:
97 Prozent der Fläche sind bereist bergmännisch saniert, 87 Prozent rekultiviert und rund zwei Drittel der
Flächen sind nach erfolgreich durchgeführter Sanierung an neue Eigentümer übertragen worden. Es entstanden nicht nur neue Erholungsgebiete, wie beispielsweise das Lausitzer Seenland oder das Leipziger
Neuseenland, sondern auch neue Standorte für Wirtschaft und Gewerbe. Die Sanierung und die anschließende neue Nutzung tragen unmittelbar zur Beschäftigungsentwicklung und andauernden Verbesserung der
Wirtschaftsstruktur in den betroffenen Regionen bei.
Es ist uns ein Anliegen, dass die Menschen in diesen
Regionen eine neue Zukunftsperspektive bekommen.
Über solche Erfolge sprechen zu können ist schön.
Damit diese Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung finden kann, wurde das 5. Verwaltungsabkommen, unabhängig vom überflüssigen Antrag der Linken, zügig erfolgreich zu Ende verhandelt und ist pünktlich zum
1. Januar 2013 in Kraft getreten. Die Menschen in den
betroffenen Regionen, die Unternehmen und die
Kommunen haben jetzt eine Planungs- und Zukunftssicherheit bis 2017. Dazu werden über 1,2 Milliarden
Euro von Bund und den Ländern bereitgestellt. Viel
Geld, das Perspektiven eröffnet. Und für die Zeit nach
2017 wurde vereinbart und im § 5 ({0}) festgeschrieben:
„Der Bund und die Länder vereinbaren, für den
Zeitraum nach 2017 die Vorgehensweise für eine
darüber hinausreichende Fortführung der Braunkohlesanierung und für eine abschließende Übertragung
der Verpflichtungen und Vermögenswerte der LMBV
auf vom Bund unabhängige Trägerstrukturen einschließlich notwendiger Regelungen für den Risikofall
abzustimmen.“
Das heißt, wir wollen und werden vom Bund unabhängige Trägerstrukturen finden, um Risikofälle abzusichern. Anders als die Kommunisten, die alle Verantwortung beim Staat zentralisieren, vertrauen wir
rechtsstaatlichen Verträgen zur Risikoabsicherung.
Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, gehört zu 100 Prozent
dem Bund, was zeigt, dass die Braunkohlensanierung
als öffentliche Aufgabe wahrgenommen und durchgeführt wird. Die LMBV ist Eigentümerin der Bergbauflächen und Altstandorte und ist als Projektträgerin für die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen
verantwortlich, die vorher im Steuerungs- und Budgetausschuss Braunkohlesanierung, StuBA, vom Bund und
den Braunkohlenländer gemeinsam festgelegt werden.
Ein weiteres Beispiel für erfolgreiche Kooperationen
zwischen Bundes- und Landesbehörden.
Damit die LMBV auch zukünftig ihre erfolgreiche
Arbeit fortsetzen kann, wurde im 5. Verwaltungsabkommen ein Finanzrahmen von 770 Millionen Euro
Zu Protokoll gegebene Reden
zwischen dem Bund und den Ländern vereinbart, den
sie sich im Verhältnis 75 Prozent zu 25 Prozent teilen.
Der Bund weiß um seine Verantwortung und steht zu
ihr. Ein bewährtes und faires Verfahren, um eine kontinuierliche Sanierungsarbeit zu gewährleisten.
Nicht nur, weil ich aus dem Erzgebirge mit seiner
über 800 Jahre alten Bergbaugeschichte komme, weiß
ich, der Erzfeind des Bergmanns ist das Wasser - egal
ob in den Erzgruben oder in den Tagebauen. In meiner
Heimat gibt es auch heute noch immer wieder Einstürze an Straßen und auf den Feldern; noch heute entstehen Bingen. Deshalb haben Bund und Länder zur
Gefahrenabwehr, wie sie sich beispielsweise aus dem
Grundwasserwiederanstieg ergibt, insgesamt einen
Betrag von 460 Millionen Euro vereinbart, den sie jeweils zur Hälfte tragen. Das ist ein Beitrag zu einer in
die Zukunft gerichteten Gefahrenabwehr.
Darüber hinaus haben sich die Länder bereit erklärt, über ihre Verpflichtungen gegenüber der LMBV
hinaus, zusätzliche Mittel für weitere Maßnahmen unter anderem zur Erhöhung des Folgenutzungsstandards und zur Gefahrenabwehr im Bereich des Braunkohlenaltbergbaus bereitzustellen. Das ist in der Tat
zuerst eine Aufgabe der Länder, der sie mit dieser
Selbstverpflichtung auch nachkommen werden, und
nicht eine zentralistisch zu handhabende Herausforderung, wie Staatsetatisten und Kommunisten sie handhaben würden.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung stellt sich ihrer
Verantwortung über die Legislatur- und Vertragslaufzeit hinaus.
Im Gesamtergebnis ist das 5. Verwaltungsabkommens eine konsequente Fortschreibung der erfolgreichen Braunkohlensanierungspolitik. Der Bund und die
Länder nehmen gemeinsam ihre Verantwortung war
und schaffen durch ökonomische und ökologische Impulse Entwicklungsmöglichkeiten für die betroffenen
Regionen. Das trägt zur Planungssicherheit für die
Menschen und Kommunen bei.
Der Antrag der Linken war bereits bei seiner Einbringung ein Schaufensterantrag und gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen: Der Kommunismus fördert den Raubbau an der Natur und die Missachtung
der Schöpfung. Überall dort, wo Kommunisten regierten oder gar noch regieren, das gleiche Bild: Umweltzerstörung, Verödung der Natur. Gott sei Dank hat das
in Deutschland ein Ende und wir arbeiten daran, dass
es nie wieder eine Zukunft für diese menschenmissachtende Ideologie gibt.
Aus meinen Ausführungen ist deutlich geworden:
Wir lehnen den Antrag der Linken in allen Punkten
konsequent ab. - Ein herzliches „Glück Auf“ aus dem
Erzgebirge.
Der hier abschließend zu beratende Antrag stammt
aus dem September 2010 und hat einen seiner Zwecke
erfüllt: Ende 2012 wurde noch rechtzeitig das fünfte
Verwaltungsabkommen zur Braunkohlensanierung für
die Zeit von 2013 bis 2017 unterzeichnet. Das Abkommen hat ein Gesamtvolumen von etwa 1,3 Milliarden
Euro. Verglichen mit den im Zeitraum von 1991 bis
2011 aufgewendeten 9,2 Milliarden Euro stellt das einen deutlichen Rückgang dar. Dieser wird unter anderem damit begründet, dass die sogenannte Hauptarbeit
bei der Sanierung getan sei und es sich in den kommenden Jahren eher um Rest- und Abschlussarbeiten
handele.
Dieses Herangehen halte ich für nicht sachgerecht,
ja sogar für fahrlässig. Dabei geht es nicht nur um
überraschende und schwer kontrollierbare Rutschungen wie die in Nachterstedt oder andernorts - zum
Glück ohne tödliche Folgen wie in Nachterstedt;
Schlagzeilen hatte zu Recht zuletzt die sogenannte
Verockerung der Spree durch eisenhydroxidbelastetes
Wasser gemacht. Dieses gravierende Problem spielte,
als das fünfte Verwaltungsabkommen ausgehandelt
wurde, in der Öffentlichkeit noch keine Rolle. Dazu
trug bei, dass Behörden und Sanierungsunternehmen
wenig bereit waren, Anfragen zu beantworten und substanzielle Informationen über Ursachen und Folgen
der Verockerung an die betroffenen Bürgerinnen und
Bürger zu geben. Auch die Landesregierung Brandenburg machte die Verockerung erst viel zu spät zur sogenannten Chefsache. Nun will man dem Problem mit
Sanierungsplänen beikommen, für die - so für
Schlammausbaggerungen - mehrere Millionen Euro
in den Haushalt der zuständigen Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, LMBV,
eingestellt worden sind. Welche Kosten aber langfristig entstehen, ist noch gar nicht abzusehen. Nicht wenige Experten rechnen damit, dass noch auf Jahrzehnte hinaus Eisenhydroxid aus dem Untergrund
gewaschen wird. Der Imageschaden, der zum Beispiel
dem Tourismus im Spreewald droht, ist dabei finanziell
nur schlecht zu veranschlagen.
Im Antrag hatte die Linke verlangt, dass der Bund
künftig einen größeren Anteil - 75 Prozent - der Sanierungskosten übernimmt, die sich aus der Störung des
Wasserhaushaltes ergeben. Diese Forderung ist unter
dem Blickwinkel der akuten Gefährdung der Oberflächengewässer weiterhin mehr als berechtigt. Auch der
von uns geforderte Rechtsanspruch für Betroffene, deren Häuser wegen des Wiederanstiegs des Grundwassers gefährdet sind, ist noch nicht umgesetzt. Der Bund
muss mehr Verantwortung für die Sanierung übernehmen und darf diese nicht auf die Länder abschieben.
Feststellen lässt sich jetzt schon, dass die Braunkohlensanierung 2017 keineswegs beendet sein wird.
Warum die Verhandlungen zu einem sechsten Abkommen erst 2016 beginnen sollen, ist nicht einzusehen. Es
wäre, im Gegenteil, notwendig, schon das fünfte Abkommen zeitnah zu evaluieren. Sie können sicher sein,
dass die Linke dies in der nächsten Legislaturperiode
einfordern wird.
Unzureichend erscheint mir auch die internationale
Nutzung der bei der Sanierung gewonnenen ErfahrunZu Protokoll gegebene Reden
gen. So gibt es zum Beispiel in der Mongolei ein starkes Interesse an den Sanierungserfahrungen der
LMBV. Der „Export“ des entsprechenden Know-how
findet aber zu wenig Unterstützung. Die Bundesregierung konzentriert sich ganz im traditionellen Sinne auf
„Rohstoffpartnerschaften“ mit Ländern, die über
reichhaltige Bodenschätze verfügen. Was nach der Gewinnung geschieht, ist dabei kaum von Interesse.
Auch hier könnte die Bundesrepublik zu einem Vorreiter werden. Zu einer wirklichen Energiewende im
Sinne einer nachhaltigen Politik gehören bekanntlich
nicht nur der Atomausstieg, sondern mittelfristig auch
der Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle.
Dieser ist, wie sich zeigt, nicht nur eine Frage der Sozial-, Klima- und Energiepolitik, sondern hängt auch
eng mit dem Erhalt und Schutz unserer Kultur- und
Naturlandschaften zusammen. Der auch zu DDR-Zeiten geförderte Glaube, nach dem Auskohlen der Tagebaue könne man die Landschaft einfach rekultivieren,
wurde gerade in den letzten Jahren gründlich widerlegt. Die Braunkohlenförderung schlägt eine Wunde in
die Landschaft, die nur schwer heilt.
In dem vorliegenden Antrag fordern die Linken,
dass die im Jahre 1993 begonnenen Sanierungsmaßnahmen für ehemalige Braunkohletagebaue in Ostdeutschland mit einer ausreichenden finanziellen Ausstattung auch über das Jahr 2012 hinaus fortgesetzt
und als öffentliche Aufgabe wahrgenommen werden
sollen. Zu diesem Punkt muss festgehalten werden,
dass die Zeit seit der Einbringung des Antrags fortgeschritten ist und durch die Verabschiedung des 5. Verwaltungsabkommens im Oktober 2012 die weitere
Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen bis 2017 sichergestellt ist. Das ist gut so und wurde von uns auch
immer unterstützt. Eine Fortführung dieser Sanierungsmaßnahmen ist nämlich alternativlos: Das Unglück von Nachterstedt am 18. Juli 2009 hat uns auf
tragische Weise vor Augen geführt, wie gefährlich die
Altlasten ehemaliger Abbaugebiete sind.
Man sollte an dieser Stelle festhalten, dass seit Beginn der Sanierungsarbeiten an vielen Stellen sehr
gute Arbeit geleistet worden ist. Es sind identitätsstiftende Naherholungsgebiete entstanden, die gerade den
strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland zusätzliche Wertschöpfungsketten generieren. Das ist positiv zu bewerten, wenn auch bei der Sanierung und
Renaturierung allzu oft nach Schema F vorgegangen
wurde. Aspekte der Biodiversität, des Natur- und Artenschutzes haben dabei leider nur in sehr wenigen
ehemaligen Tagebaubereichen eine Berücksichtigung
gefunden.
Dennoch stimmen wir heute gegen den Antrag der
Linken, und dies vor allem aus zwei Gründen. Erstens
fehlt uns in dem Antrag die Forderung nach einer umfassenden Evaluierung der bisherigen Maßnahmen. Es
wurden bereits über 9 Milliarden Euro ausgegeben.
Angesichts dieser hohen Summe erscheint es uns dringend geboten, dass eine externe Gutachterkommission
die bisherigen Maßnahmen kritisch überprüft.
Zweitens fehlt uns in dem Antrag der Linken eine
kritische Auseinandersetzung mit der Frage, welche
Lehren aus den auftretenden Folgeschäden des Braunkohlebergbaus zu ziehen sind. Sowohl in Ostdeutschland als auch im Rheinland wird nämlich an vielen
Stellen immer deutlicher, dass der Braunkohlebergbau
nicht nur während des Abbaus durch Umsiedlungen,
Grundwasserabsenkungen, großflächige Naturzerstörungen, Bergschäden, Feinstaubbelastungen und vieles
mehr erhebliche Schäden mit sich bringt, die oft nicht
oder nur unzureichend kompensiert werden. Es wird
auch immer deutlicher, dass der Braunkohlebergbau
auch Alt- und Ewigkeitslasten produziert, also Schäden mit erheblichen Reparaturkosten, nachdem der
Abbau längst beendet ist. Und es ist keineswegs sicher,
dass die Bergbaukonzerne dann noch in der Lage oder
willens sein werden, für die Schäden aufzukommen, wo
dies ja heute zum Teil schon nicht geschieht. So zeigt
zum Beispiel ein von der grünen Regionalratsfraktion
in Köln als Folge der Katastrophe in Nachterstedt in
Auftrag gegebenes Gutachten, dass die Stabilität der
Böschungen an den riesigen im Rheinland geplanten
Braunkohlerestseen keineswegs erwiesen ist. Wir müssen uns darüber hinaus sowohl in Ostdeutschland als
auch im Rheinland mit dem Problem der Eisenoxidation und Versauerung von Gewässern auseinandersetzen. Dies zeigt sich zurzeit sehr deutlich am Beispiel
der Spree: Dort hat der Fluss aufgrund der hohen Eisenbelastung mittlerweile eine rot-braune Färbung
angenommen, die auch als „Verockerung“ bezeichnet
wird. Für den gerade entstehenden naturnahen Tourismus in der Region ist das ein schwerer Schlag. Weiter
wird nach Einstellung der Sümpfungen rund um die
Tagebaue das wiederansteigende Grundwasser nicht
nur für nasse Keller, sondern auch für das Risiko von
Überflutungen und weitere Bergschäden sorgen, sodass am Ende nicht auszuschließen ist, dass wir wie
schon beim Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet dauerhaft mit großem Kostenaufwand das Grundwasser abpumpen müssen. Nun ist die Vermeidung von Alt- und
Ewigkeitslasten im Falle der ehemaligen DDR-Tagebaue, um die es hier heute primär geht, nicht mehr
möglich, aber genau das zeigt ja, dass die Bewältigung
der Folgeschäden des Bergbaus häufig an den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern hängen bleiben. Und
das müssen wir für die Zukunft vermeiden! Aber dazu
finde ich im Antrag der Linken nichts.
Aus diesen Erkenntnissen muss man nach unserer
Auffassung den Schluss ziehen: Braunkohletagebaue
sind ein am Ende nicht technisch beherrschbarer Eingriff in Natur und Landschaft und gehören daher so
schnell wie möglich in Deutschland gestoppt! Tausende Menschen verlieren durch den Tagebau ihre
Heimat, weil ganze Dörfer weggebaggert werden.
Wälder werden abgeholzt, die der natürliche Lebensraum für viele Tierarten sind. Die Belastungen durch
({0})Staub, Lärm sowie Bodenhebungen und -absenkungen sind nicht nur für Anwohner enorm, sie fühZu Protokoll gegebene Reden
ren generell zu einem Verlust der Lebensqualität für
Mensch, Fauna und Flora. Und wozu wird dies alles
letztendlich gemacht? Um den klimaschädlichsten
Energieträger - das ist nämlich die Braunkohle - in
uralten Kraftwerken zu verbrennen und das Klima damit dauerhaft und massiv zu schädigen. Das ist nichts
anderes als blanker Irrsinn, der da an vielen Stellen
immer noch betrieben wird. Ich als Rheinländer weiß,
wovon ich rede, denn im rheinischen Braunkohlenrevier gibt es mit dem Tagebau in Hambach nicht nur das
tiefste menschengemachte offene Loch der Welt, nein,
es wird auch nirgendwo auf der Welt auf so engem
Raum so viel CO2 emittiert wie im rheinischen Braunkohlenrevier.
Wir finden es zu wenig, einfach nur, wie die Linken
es tun, Geld für die Reparatur der Hinterlassenschaften der DDR-Energiewirtschaft zu fordern, ohne sich
kritisch mit den Folgen der laufenden und in Brandenburg unter linker Regierungsbeteiligung sogar noch
geplanten neuen Tagebaue auseinanderzusetzen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/5964, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/3046 abzulehnen. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung? - Dagegen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei
Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Linke und SPD-Fraktion waren dagegen.
Tagesordnungspunkt 30:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung der Professorenbesoldung
und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher
Vorschriften ({0})
- Drucksachen 17/12455, 17/12662 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 17/13134 Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster ({2})
Dr. Stefan Ruppert
Dr. Konstantin von Notz
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Die Reden sind zu Protokoll genommen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung regeln wir die Besoldung der Professoren des
Bundes neu. Dies ist notwendig geworden, nachdem
das Bundesverfassungsgericht im Februar 2012 wesentliche Teile der bisher geltenden Besoldung für unwirksam erklärt hatte. Die Neuregelung beinhaltet
nun, dass die Grundgehälter der Besoldungsgruppen
W 2 und W 3 steigen. Zugleich werden für diese Gruppen Erfahrungsstufen eingeführt. Leistungsbezogene
Besoldungsbestandteile - und damit die Grundlagen
des Leistungsprinzips - bleiben dennoch erhalten.
Dafür haben wir uns in der parlamentarischen Diskussion eingesetzt. Funktionsleistungsbezüge werden
nicht angerechnet, ebenso wenig besondere Leistungsbezüge. Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge sollten
entsprechend dem Ursprungsentwurf voll auf das
neue, erhöhte Grundgehalt angerechnet werden. Mit
unserem Änderungsantrag sorgen wir als bürgerlichliberale Koalition dafür, dass bei diesen Zuschlägen
30 Prozent anrechnungsfrei bleiben. Besondere Leistungen sollen auch weiterhin angemessen honoriert
werden. Im Vergleich zu den Länderregelungen erhält
sich der Bund damit eine wettbewerbsfähige Position
um die besten Köpfe.
In diesem Gesetz sind noch einige weitere dienstrechtliche Fragen neu geregelt worden, die sich aufgrund von praktischen Erfordernissen oder aus der
Rechtsprechung ergeben haben. So mussten wir die
Arbeitszeiten für die Feuerwehrleute der Bundeswehr
anheben. Eine Änderung der Arbeitszeitverordnung ist
aus rechtlichen Gründen zwingend geboten. Regelmäßige Mehrarbeit ist im mittleren feuerwehrtechnischen
Dienst bei der Bundeswehr die Regel und ein Freizeitausgleich normalerweise dienstrechtlich nicht möglich. Die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden
wurden bislang durch Mehrarbeitsvergütung abgeglichen.
Der Bundesrechnungshof hat mehrfach diese bisherige Arbeitszeitregelung und die Vergütungspraxis als
rechtswidrig beanstandet. Er hat angemahnt, dass
Mehrarbeitsvergütung nur in Ausnahmefällen gewährt
werden darf. Eine dauerhafte Zahlung von Mehrarbeitsvergütung ist rechtlich nicht zulässig.
Der Bundesrechnungshof hat auch die Festlegung
der Arbeitszeit im Einsatzdienst der Bundeswehrfeuerwehren als rechtswidrig beanstandet. Die Bundesarbeitszeitverordnung sieht vor, dass bei einem nicht
unerheblichen Anteil an Bereitschaftsdienst und Vorliegen von dienstlichen Bedürfnissen die Arbeitszeit
auf bis zu 48 Stunden pro Woche angehoben werden
kann. Da es sich um eine sogenannte gebundene Ermessensentscheidung handelt, muss der Dienstherr im
vorliegenden Fall die Arbeitszeit anheben. Die bisherige Arbeitszeitregelung und die damit verbundene
Mehrarbeitsvergütungspraxis ist nicht länger aufrechtzuerhalten.
Angesichts des hohen Anteils des Bereitschaftsdienstes ist die Anhebung der Wochenarbeitszeit auf
48 Stunden nachvollziehbar. Die neue Regelung unterscheidet sich im Übrigen nicht von den Festlegungen
der Länder und Kommunen. Dort sind im Feuerwehr29366
Armin Schuster ({0})
dienst ebenfalls 48 Stunden Wochenarbeitszeit die Regel.
Um die im Rahmen der sogenannten Opt-out-Regelung freiwillig geleistete, über 48 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit attraktiv zu halten, hatte der
Gesetzentwurf ursprünglich einen neuen Besoldungsbestandteil vorgesehen. Der dadurch erreichte Ausgleich war höher als der auf der Grundlage der
zutreffenden Mehrarbeitsberechnung zustehende Anspruch. Er war allerdings etwas niedriger als bei einer
Mehrarbeitsberechnung, die sich - wie vom Bundesrechnungshof zu Recht beanstandet - an einer Arbeitszeit von 41 Wochenstunden orientiert.
Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben
wir auch aufgrund zahlreicher Schreiben von Betroffenen darüber debattiert, wie man die rechtmäßige
Neuregelung sozialverträglich umsetzen kann und so
dem Anliegen der Betroffenen möglichst weitgehend
Rechnung tragen kann. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern haben die Koalitionsfraktionen
von CDU/CSU und FDP nun eine Lösung gefunden,
die den Interessen der Betroffenen erheblich entgegenkommt und zugleich dem Umstand Rechnung trägt,
dass die bisherige Praxis rechtlich nicht aufrechtzuerhalten war. Die gefundene Lösung ist im Wesentlichen
eine zeitlich bis ins Jahr 2017 gestaffelte, mit Anreizen
versehene Übergangsregelung, mit der die finanziellen
Nachteile sozialverträglich aufgefangen werden.
Ich bin froh, dass wir diese Übergangsregelung in
dem nun vorgelegten Änderungsantrag verankern
konnten. Damit tragen wir auch unserer sozialen Verantwortung gegenüber den Feuerwehrbeamten der
Bundeswehr Rechnung.
Betroffen von Änderungen sind auch die Systemoperatoren Wärmebild bei der Bundespolizei. Die Zulagen
für diese Berufsgruppe werden neu geordnet. Sie
werden künftig nicht mehr die Fliegerstellenzulage erhalten, sondern eine besondere Erschwerniszulage,
die im Regierungsentwurf von 60 auf ursprünglich
140 Euro erhöht werden sollte. Wir haben in unserem
Änderungsantrag nun vorgesehen, diese Zulage auf
180 Euro zu erhöhen, um die finanziellen Einbußen für
die Systemoperatoren zu mildern. Der Grund für diese
Änderung ist eine genauere Differenzierung zwischen
nichtständigen und ständigen Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen sowie fliegendem Personal.
Ich bitte Sie, diesem Gesetz mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen zuzustimmen. Damit tragen
Sie dazu bei, dass der Bund auch weiterhin ein fairer
und leistungsorientierter Arbeitgeber bleibt.
So komplex wie der Name des heute zu diskutierenden Gesetzentwurfs ist, so komplex ist auch dessen
Reglungsmaterie.
Denn hinter der Professorenbesoldung versteckt
sich eine Vielzahl weiterer beamtenrechtlicher Gesetzesvorhaben. In einer Anhörung des Innenausschusses
des Deutschen Bundestages haben wir ausführlich die
einzelnen Details der Regelung mit den Sachverständigen diskutiert.
Ich möchte hier einige dieser Vorhaben aufgreifen
und näher beleuchten.
Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält Änderungen
zur Praxis der Dienstpostenbündelung. Diese soll nun
nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2011 geändert werden. Dass eine
rechtssichere Regelung gefunden werden soll, ist
durchaus zu begrüßen. Grundsätzlich steht die SPD einer flexibleren Regelung der Dienstpostenbündelung
auch positiv gegenüber. Kritisch finden wir die Regelung bei den Postnachfolgeunternehmen; denn dort
soll eine laufbahnübergreifende Bündelung von bis zu
fünf Dienstposten möglich sein. Da der Einsatz in den
Postnachfolgeunternehmen jedoch nicht status-, sondern aufgabenbezogen erfolgt, besteht somit die Möglichkeit, dass ein Beamter des gehobenen Dienstes im
einfachen Dienst eingesetzt wird. Hier hätte sich die
SPD-Bundestagsfraktion noch Nachbesserungen gewünscht.
Weitere Regelungen betreffen spezielle Berufsgruppen, hier zum einen die Bundeswehrfeuerwehren.
Diese müssen nach der heute zu diskutierenden Gesetzvorlage zukünftig 48 statt 41 Stunden arbeiten. Der
finanzielle Ausgleich soll durch eine zeitlich begrenzte
Zulage erfolgen, die allerdings bis zum Jahr 2017 abschmelzen soll. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der
Meinung, dass die Mehrarbeit heute genauso wie in
fünf Jahren bezahlt werden muss, und hat einen entsprechenden Änderungsantrag im Innenausschuss des
Deutschen Bundestages eingereicht. Dieser Antrag
wurde jedoch mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt.
Ein anderer Teil des Gesetzesvorhabens betrifft die
Stellenzulage für ständige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige. Die Neuregelung schließt an dieser Stelle sogenannte Wärmebildsystemoperatoren bei Hubschrauberbesatzungen der Bundespolizei explizit aus,
in dem sie sich nur noch auf die Bundeswehr bezieht.
Bisher erkannte die Bundespolizei die Zulage nach der
bisher geltenden Fassung nicht an, aber einige Angehörige der Bundespolizei klagten dagegen erfolgreich
und erhielten die Zulage.
Durch die Stellenzulage sollen die hohen Anforderungen, die besonderen physischen und psychischen
Belastungen sowie die erhöhten Gefahren abgegolten
werden, denen Soldatinnen und Soldaten und Beamtinnen und Beamte bei der Verrichtung ihres Dienstes
ausgesetzt sind. Warum hier eine Unterscheidung zwischen Bundeswehr und Bundespolizei stattfindet, ist
nicht nachvollziehbar. Gleiche Arbeit sollte auch
gleich entlohnt werden. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion auch zu dieser Problematik im Innenausschuss einen Änderungsantrag gestellt, in dem gefordert wird, dass diese Differenzierung aufgehoben
werden soll und die ursprüngliche Fassung wieder zur
Zu Protokoll gegebene Reden
Geltung gelangt. Leider konnte sich die SPD-Bundestagsfraktion mit diesem Antrag nicht durchsetzen, da
die Koalition aus CDU/CSU und FDP dagegen
stimmte.
Dennoch begrüße ich es, dass die Regierung an dieser Stelle immerhin so einsichtig war, aus der Anhörung die Anregung mitzunehmen, die Erschwerniszulage, welche den Wärmebildsystemoperatoren gemäß
§ 22 a Erschwerniszulagenverordnung zusteht, auf
180 Euro zu erhöhen. Hier schien die Höhe der Zulage, die ursprünglich auf 140 Euro festgelegt war,
willkürlich.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 die Besoldung der Professoren in Hessen als verfassungswidrig beurteilt. Reformbedarf ergab sich daraus wegen
vergleichbarer Regelungen auch auf Bundesebene.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sorgt die Koalition für eine bessere Vergütung der etwa 850 Professoren an Hochschulen des Bundes und an Forschungseinrichtungen mit Beteiligung des Bundes. Die Reform
umfasst eine Anhebung des Grundgehalts für die Besoldungsgruppen W 2 und W 3 und die Einführung von
Erfahrungsstufen.
Zunächst war im Gesetzentwurf des Weiteren vorgesehen, die sogenannten Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge voll mit der Anhebung des Grundgehalts
zu verrechnen. Diese Bezüge dienen als Instrumente,
um Professoren für eine Hochschule zu gewinnen oder
wechselwillige Professoren zum Bleiben zu bewegen.
Sie sind ein Zeichen dafür, dass Professoren aufgrund
ihres Könnens für eine Hochschule sehr attraktiv sind
oder nicht entbehrt werden können.
Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest, dass die
Verrechnung dieser Bezüge mit dem Leistungsprinzip
im öffentlichen Dienst nicht vereinbar ist. Damit würden aus unserer Sicht Professoren ohne solche Bezüge
gegenüber denjenigen bevorzugt, die sie wegen besonders guter Leistungen erhalten haben. Wir haben uns
deshalb in den parlamentarischen Beratungen des
Gesetzentwurfs dafür eingesetzt, dass das Leistungsprinzip nicht geschwächt wird. Im Kompromiss mit
unserem Koalitionspartner CDU/CSU haben wir durchgesetzt, dass 30 Prozent der Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge bei der Anhebung des Grundgehalts
erhalten bleiben. Ein höherer Prozentsatz war leider
nicht kompromissfähig.
Neben der Professorenbesoldung regelt der vorliegende Gesetzentwurf noch weitere dienstrechtliche Änderungen. Besonders kontrovers diskutiert wurde im
Vorfeld die geplante Neuregelung der Vergütung der
Beamten im Einsatzdienst der Bundeswehrfeuerwehren. Notwendig wurde diese Neuregelung, weil der
Bundesrechnungshof die bisherige Regelung als unzulässig kritisiert hat.
Die Bundeswehr ist noch bis Ende 2017 darauf angewiesen, dass die Feuerwehrbeamten bezüglich ihrer
Wochenarbeitszeit eine Opt-uut-Regelung eingehen
und freiwillig bis zu 54 Wochenstunden Dienst leisten.
Die geplante Neuregelung der künftigen Vergütung der
Mehrarbeit hätte nach sich gezogen, dass die Beamten
mit einer Wochenarbeitszeit zwischen 41 und 48 Wochenstunden keine zusätzliche Vergütung mehr erhalten hätten. Die Koalition hat sich nun darauf geeinigt,
den Übergang von 41 auf 48 Wochenstunden schrittweise zu gestalten. Die neue Vergütung wird in zwei
Teilen gewährt werden. Der erste Teil besteht aus einem Sockelbetrag, der allen Feuerwehrbeamten mit
einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden
gezahlt wird. Der Sockel ist degressiv ausgestaltet und
vermindert sich jährlich etwas, bis er Ende 2017 komplett ausläuft. Opt-out-Beamte erhalten weiterhin eine
variable Vergütung der 24-Stunden-Schichten, die von
30 Euro im Jahr 2013 in 4-Euro-Schritten auf 46 Euro
im Jahr 2017 progressiv ansteigt. Aus unserer Sicht ist
damit eine tragbare und gute Lösung gefunden worden.
Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass für Wärmebild-Systemoperatoren der Bundespolizei ein Anspruch auf Stellenzulage, wie sie Piloten und Flugtechnikern gewährt wird, nicht mehr vorgesehen ist. Diese
Unterscheidung wird zum einen aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an Ausbildung und Qualifikation von Piloten und Flugtechnikern im Vergleich
zu Systemoperatoren gemacht. Zum anderen trägt sie
dem Umstand Rechnung, dass Piloten und Flugtechniker im Gegensatz zu Systemoperatoren für sämtliche
Entscheidungen im Betrieb des Luftfahrzeugs verantwortlich sind und somit fliegerische Verantwortung
tragen, die Systemoperatoren nicht tragen müssen.
Auch unterscheidet sich der Flugbetrieb bei der Bundespolizei von dem bei der Bundeswehr.
Selbstverständlich sind auch die Systemoperatoren
der Bundespolizei erhöhten beruflichen Belastungen
durch den Flugbetrieb ausgesetzt. Sie nehmen ihre
Aufgaben unter den gleichen äußeren Bedingungen
wie Lärm und Vibration wahr wie Piloten und Flugtechniker der Bundespolizei, auch wenn die Anforderungsprofile unterschiedlich sind. Im Gesetzentwurf
war vorgesehen, die Erschwerniszulage von derzeit
60 Euro auf 140 Euro zu erhöhen. Der Koalition war
es ein Anliegen, ein stärkeres Zeichen der Anerkennung für die Belastungssituation des mitfliegenden
Personals und insbesondere der Systemoperatoren zu
setzen. Deshalb erhöhen wir die Erschwerniszulage
nun auf 180 Euro.
Neben dem Gesetzentwurf zur Professorenbesoldung setzen wir heute zwei weitere Reformen im
Dienstrecht um. Mit der Einführung der Portabilität
setzen wir eine langjährige FDP-Forderung für mehr
Flexibilität und Wissensaustausch zwischen Wirtschaft
und öffentlichem Dienst um. Die Familienpflegezeitregelung stärkt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
sowie die Flexibilität des Ruhestandseintritts. Die
FDP blickt auf vier gute Jahre für das BerufsbeamtenZu Protokoll gegebene Reden
tum in Deutschland. Mit dem heutigen Tag führen wir
diese positive Bilanz fort.
Die Regierungskoalition hat nach der Anhörung im
Innenausschuss zu den drei Gesetzentwürfen zum Beamtenrecht, mit einem Änderungsantrag auf die teils
heftige Kritik aus den Gewerkschaften und von Betroffenen reagiert. Im Änderungsantrag der Regierungskoalition zur Neuregelung der Professorenbesoldung
wird die Kritik zumindest teilweise aufgegriffen. Bei
der Anrechenbarkeit verschiedener Bezüge der Professoren, unzureichenden Überstundenvergütungen der
Bundesfeuerwehrleute und den Zulagen der Systemoperatoren des mitfliegenden Personals wurden
leichte Verbesserungen vorgenommen:
Der Änderungsantrag zielt bei den Professoren darauf ab, dass nun auch Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge teilweise angerechnet werden. Bei Leistungsbezügen geringer oder mittlerer Höhe wird damit
einer Nivellierung entgegengewirkt. Fälle mit Stufenaufstieg und Fälle mit einer sofortigen Zuordnung zu
einer höheren Stufe sollen gleichbehandelt werden.
Diese Änderungen sind zu begrüßen.
Für die Bundeswehrfeuerwehrbeamten, die freiwillig mehr als 48 Stunden in der Woche Dienst leisten,
soll nach dem Gesetzentwurf die erhaltene Mehrarbeitsvergütung kein dauerhafter Bezügebestandteil
mehr sein kann. Damit würde auch der Anspruch auf
Mehrarbeitsvergütung für Beamtinnen und Beamte
entfallen, die bisher höchstens 48 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Der Änderungsantrag sieht nun
die Einführung eines degressiv ausgestalteten Festbetrages vor, der den Übergang zu einer 48-Stunden-Woche abfedert.
Ebenso wie der dbb beamtenbund und tarifunion
bewerten wir den Gesetzentwurf kritisch, weil bei einer freiwilligen Vereinbarung zur Leistung einer Wochenarbeitszeit von 54 Stunden die unterschiedlichen
Schichten und die weit auseinanderliegenden Schwellenwerte von mehr als 10 bzw. 24 Stunden Dienst zu
erheblichen finanziellen Nachteilen sowohl im Verhältnis zur aktuellen Regelung - Vergütung nach Bundesmehrarbeitsvergütungsverordnung - als auch innerhalb der Neuregelung führen. Die Mehrbelastung
durch die erhöhte Arbeitszeit wird nicht ausreichend
gewürdigt. Die regelmäßige Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten beträgt grundsätzlich 41 Stunden.
Bundeswehrfeuerwehrbeamtinnen und -beamte würden durch die Neuregelung regelmäßig 48 Stunden arbeiten. Die Freiwilligkeit ist hier infrage gestellt, da
eine zusätzliche Vergütung nur erlangt werden kann,
wenn eine Arbeitszeitvereinbarung geschlossen wird.
Andernfalls wird ohne Vergütung die Arbeitszeit erhöht. Dies kann eine Drucksituation erzeugen.
Der Gesetzentwurf begründet den Regelungsvorschlag damit, dass im mittleren feuerwehr-technischen
Dienst der Bundeswehr seit Jahren ein erheblicher
Personalmangel herrsche und nur durch die freiwillige
Erhöhung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, die Aufrechterhaltung eines arbeitszeitkonformen Dienstbetriebes in den Bundeswehrfeuerwehren und damit die Sicherstellung des militärischen
Auftrages mit dem vorhandenen Personal zu gewährleisten sei. Es ist nicht akzeptabel, wenn Regelungen
zulasten von Beamtinnen und Beamten eingeführt werden, weil die Verantwortlichen der Bundeswehr und
letztlich die Bundesregierung nicht in der Lage sind,
das Problem an sich - die Behebung des Personalmangels - zu lösen, um einen geordneten Dienstbetrieb zu
gewährleisten. Schon aus diesem Grund lehne ich eine
solche Regelung ab. Solange aber diese Ausnahmesituation herrscht, darf man die Bereitschaft und das
Engagement der Beamtinnen und Beamten der Bundeswehrfeuerwehren nicht durch eine Verschlechterung ihrer Situation bestrafen. Der Änderungsantrag
mildert das Problem ab, löst es aber nicht.
Auch die Zulagen für Systemoperatoren der Bundespolizei werden neu geregelt. Nach dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichtes können Systemoperatoren für Wärmebildgeräte in Luftfahrzeugen der Bundespolizei unter dem Begriff der sonstigen ständigen
Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen geführt werden.
Soweit die Voraussetzungen dafür vorliegen, können
sie nach dem Urteil eine Stellenzulage in der Höhe
erhalten, wie sie Flugtechnikern der Bundespolizei
gewährt wird. Dies sei jedoch - so der Regierungsentwurf - angesichts des unterschiedlichen Qualifikations- und Anforderungsprofils beider Gruppen
nicht sachgerecht. Deshalb ordnet der Regierungsentwurf die Zulagen neu und stellt klar, dass für diese
Systemoperatoren kein Anspruch auf eine Stellenzulage besteht. Die mit der Teilnahme am Flugbetrieb
bestehenden Belastungen sollten durch eine erhöhte
Erschwerniszulage ausgeglichen werden. Der Änderungsantrag hält an der Abschaffung des Anspruchs
auf die Stellenzulage fest, erhöht aber den monatlichen
Zulagenbetrag von 140 auf 180 Euro.
Wenn Angehörigen der Bundeswehr, die als Wärmebildsystemoperatoren tätig sind, auch weiterhin die
Zulage gewährt wird, während man diese den Bundespolizisten verweigern will, dann ist das eine nicht zu
rechtfertigende Ungleichbehandlung. Die Fliegerzulage stellt für mich eine Risikozulage im Gegensatz zur
Erschwerniszulage dar, die allein den besonderen Belastungen bei der Berufsausübung Rechnung trägt.
Alle Angehörigen einer Luftfahrzeugbesatzung sitzen
gewissermaßen in einem Boot und sind gleichermaßen
dem Flugrisiko ausgesetzt. Und wie der tragische Unfall von Hubschraubern der Bundespolizei bei einem
Übungseinsatz in Berlin zeigt, sind bei einem Absturz
auch alle betroffen. Ich lehne deshalb eine Streichung
der Fliegerzulage für Wärmebildsystemoperatoren ab.
Zum Abschluss möchte ich aus meiner heutigen
Rede zum Altersgeld zitieren. Alle drei am heutigen
Tag zur Abstimmung stehenden Gesetze zu Fragen des
öffentlichen Dienstrechtes, zum Altersgeld, zur Familienpflegezeit und zur Professorenbesoldung kranken
Zu Protokoll gegebene Reden
an dem gleichen Problem: Die Gesetzentwürfe ändern
das Recht des öffentlichen Dienstes in vielen Details,
aber sie folgen keinem durchdachten Konzept, das für
eine Reform zur Modernisierung des Dienstrechts
- nicht zuletzt angesichts des demografischen
Wandels - notwendig wäre. Ihnen fehlt eine Vision,
und Ihnen fehlt der Mut, über Ihre selbstgesetzte
Grenze der Kosten- und Planstellenneutralität hinwegzuschreiten. Mit Stückwerk kann man sich über die Zeit
retten, aber die Probleme holen Sie über kurz oder
lang unweigerlich ein.
Die Zeit der schwarz-gelben Koalition neigt sich ihrem Ende zu. Ihre Bilanz im Bereich des öffentlichen
Dienstrechts ist - das kann man ohne Übertreibung
sagen - mangelhaft.
Das konservativ-liberale Wunschprojekt war entweder nicht willens oder hat es in vier Jahren eben nicht
zuwege gebracht, Impulse zu setzen, mit denen die zentralen Strukturfragen des öffentlichen Dienstes aufgegriffen und auf den Weg einer Lösung gebracht werden. Zunächst meinte die Merkel-Koalition, sie könne
mit einer klammheimlichen absprachewidrigen Aktion
das Weihnachtsgeld kürzen.
In der Folge war sie über Monate im Trommelfeuer
des Deutschen Beamtenbundes als auch aller anderen
Verbände gebunden. Im Übrigen verlegte man sich
beim Thema Fachkräftegewinnung auf monetäre Anreize, kümmerte sich bei dieser Gelegenheit um die
Versorgung der eigenen politischen Spitzenbeamten
und nahm dabei auch gezielt politischen Einfluss auf
Gremien wie den Sachverständigenrat für Umweltfragen.
In Ermangelung eines erkennbaren konzeptionellen
Ansatzes haben wir es also bei den drei jetzt vorgestellten Gesetzesvorhaben mit dem dienstrechtlichen Finale
Grande der schwarz-gelben Chaoskoalition zu tun.
Und hier wird recht gut sichtbar, wie diese Koalition
arbeitet, wie diese Koalition gearbeitet hat. Potemkin
lässt grüßen! Fassaden und wenig Substanzielles dahinter. Einige zentrale Schlagwörter der Debatte werden okkupiert. Man gibt jetzt vor, ja man beansprucht,
das Altersgeld und die Familienpflegezeit eingeführt
zu haben. Zur Aufhübschung der mageren Bilanz beim
Zukunftsthema demografischer Wandel versucht man
zugleich, diese Themen als demografiepolitische Maßnahmen zu verkaufen. Doch wer nur ansatzweise hinter das Marketing dieser Politik schaut, wird enttäuscht. Wer es mit diesen Instrumenten ernst meint,
hätte viel mehr und anderes liefern müssen.
Die Familienpflegezeit wird ausschließlich in die
Verantwortung der Betroffenen gelegt. Zwar werden
Beamtinnen und Beamte zukünftig einen Antrag auf
Pflege stellen können, aber dann kommen die Hürden:
nur für engste Angehörige, kein Rechtsanspruch, zunächst nur zwei Jahre.
Beim Altersgeld ist es ähnlich: Zwar wird eine Mitnahmemöglichkeit erworbener Versorgungsansprüche
geschaffen. Peinlich genau aber wird der Vergleich mit
echten Versorgungsansprüchen gemieden, alles sui generis. Und entgegen bisheriger Konsense muss man
sieben Jahre im öffentlichen Dienst gewesen sein und
muss Abschläge von bis zu 30 Prozent hinnehmen. Das
ist keine Flexibilisierung des Wechsels in den öffentlichen Dienst oder aus ihm hinaus, das ist ein WechselAbschreckungsprogramm. Die vielen fachlichen Detailfragen, von der GdP verdienstvollerweise höchst
akribisch aufgelistet, die sich angesichts des Regierungsentwurfs anschließen, habe ich da noch gar nicht
erwähnt.
Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund den Gesetzesvorschlag zur Professorenbesoldung untersuchen.
Deutlich wird, dass der Anlass für dieses umfangreichere Artikelgesetz zu besoldungsrechtlichen Fragen
reaktiver Natur ist: Das Bundesverfassungsgericht
hatte die bisherige Regelung zur Professorenbesoldung für verfassungswidrig erklärt. Und wieder geht
es - lassen Sie es mich einmal etwas salopper ausdrücken - allein um die Kohle: Der vom Karlsruher
Gericht monierte Verstoß der W-2- und W-3-Besoldung gegen das Alimentationsprinzip machte Handeln
in diesem Bereich unumgänglich. Wieder legt die Bundesregierung eine Minimalantwort vor: Das Grundeinkommen wird wieder angehoben; boshaft wird gesagt, wir sind wieder da, wo wir bei der C-Besoldung
waren. Gleichzeitig sollen die Leistungselemente erhalten bleiben, auch wenn diese zur finanziellen Kompensation herangezogen werden. Schließlich sollen
mit der Einführung der an die Altersstufen erinnernden Erfahrungsstufen allgemein berufliche Entwicklungen honoriert werden.
Ob diese Reform verfassungskonform ist, wird bereits wieder bestritten, gerade unter Verweis auf die
Kürzungen bei den Leistungselementen und die Wiedereinführung der Regelstufen. Ob die kurzfristig vorgelegten Änderungen der Koalition an dieser Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz und auch
einiger Rechtswissenschaftler etwas ändern, vermag
ich in der Kürze nicht zu sagen. Klar erkennbar aber
bleibt: Der Wille dieser Koalition reicht maximal bis
zum Minimalkompromiss. Dort ist diese Koalition zu
Hause; das ist ihr Revier. Die Folgen für die Hochschulen sind Stillstand und ungelöste Fragen. Weiterhin steht der akademische Nachwuchs vor der Alternative Ochsentour jahrelanger Stellvertretung mit der
ungewissen Aussicht auf eine eigene Professur oder
Hartz IV. Dazwischen gibt es wenig bis nichts. Der
Mittelbau leidet, die Grundfinanzierung der Hochschulen bleibt chronisch zu niedrig, auch wenn der aktuell aufgestockte Hochschulpakt anderes suggerieren
mag.
Bei der Leistungsbesoldung bleibt eine ungelöste
Frage, was genau als besondere Leistung oder Funktionsleistung anerkannt werden soll, eine Frage, die
wir uns bei der sogenannten Bleibeleistung etablierter
Zu Protokoll gegebene Reden
ordentlicher Professoren gar nicht erst stellen. Sieht
die Realität nicht viel zu oft so aus, dass Hochschulprofessoren unter dem Label der besonderen Leistung
allein nach ihrer Bereitschaft und ihrer Fähigkeit zur
Einwerbung von Drittmitteln beurteilt werden? Und ist
damit dem Erkenntnisbetrieb Hochschule wirklich gedient, oder findet hier eine Vereindimensionalisierung
der Hochschullandschaft statt? Wie können also Kriterien gerechterer und auch gemeinwohlorientierter
Leistungsbesoldung ermittelt werden?
Es ist zutreffend, dass die vom Bundesverfassungsgericht angegriffene Gesetzesregelung zur W-Besoldung unter Rot-Grün geschaffen wurde. Und es stellt
sich im Nachhinein als ein Fehler heraus, dass man
meinte, man könne durch eine Absenkung der Grundgehälter zusätzliche Haushaltseinsparungen durchführen in der Hoffnung, die dynamischen leistungsbezogenen Elemente könnten dies kompensieren. Die
Vorarbeiten für das Instrument der teilweisen Leistungsbesoldung aber reichen weit in die Kohl-Zeit zurück und entsprachen einem weitgehenden Konsens
der damals im Bundestag vertretenen Fraktionen.
Lassen Sie mich zu den weiteren Vorschlägen des
heute vorgelegten Entwurfs, auch im Licht der Anhörung des Innenausschusses, noch einige Punkte nennen:
Gleichstellungspolitisch bleibt diese Regierung auf
Kollisionskurs mit dem auch für diese Regierung geltenden Grundgesetz; das dokumentiert auch dieser
Gesetzentwurf. Leider mangelt es hier auch an der im
Geschäftsverkehr zu erwartenden Lernfähigkeit. Denn
dies ist bereits der dritte Versuch der Koalition, eine
tragfähige Regelung vorzulegen, und sie wird erneut
scheitern.
Die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften im Beamtenrecht wurde 2009
vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig
eingestuft. Die daraufhin von der Koalition verabschiedete Umsetzung wurde vom Gericht schon 2011
erneut beanstandet, weil Schwarz-Gelb nicht auch
rückwirkend die Ungerechtigkeit beseitigen wollte.
Beim nunmehr dritten Versuch „vergisst“ die Koalition unter anderem mal eben, die Hinterbliebenenversorgung mitzuregeln. Zudem will sie alle bereits abgeschlossenen Verfahren als erledigt erklären und nur
noch offene Klageverfahren regeln. Das ist europarechtswidrig. Es kann nicht sein, dass das Recht nur
für diejenigen gelten soll, die juristisch bewandert genug sind, auf Verdacht gegen Entscheide zu klagen.
Die auf August 2001 beschränkte rückwirkende
Gleichstellung von Lebenspartnerschaften müsste zutreffenderweise rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Begründung der Lebenspartnerschaft erbracht werden.
Und zwar nicht nur beim Familienzuschlag, sondern,
wie das BVerfG festgestellt hat, auch für die Hinterbliebenenversorgung, Beihilfe sowie sonstige Leistungen. Wir fordern die Koalition deshalb ausdrücklich
auf, unserem heute zur Abstimmung vorgelegten Änderungsantrag zuzustimmen und sich die Mühen weiterer
Zurückweisungen wegen verfassungswidriger Vorlagen zu ersparen.
Auch die Beschränkungen allein auf zeitnah geltend
gemachte Leistungen und abschließend entschiedene
Ansprüche ist unzulässig. Wir haben deshalb hierzu einen Änderungsantrag vorgelegt und hoffen, dass die
Koalition sich noch eines Besseren besinnt.
Die Topfwirtschaft wirft immer wieder schwierige
Rechtsfragen auf und hat deshalb einige Rechtsprechung ausgelöst. Das Bundesverwaltungsgericht hatte
dazu erkannt, dass Funktionen nicht ohne sachlichen
Grund gebündelt und damit mehreren Statusämtern einer Laufbahngruppe zugeordnet werden dürfen. Es
gibt also beispielsweise eine berechtigte Erwartung
der Beamten, nicht völlig unterhalb oder oberhalb ihrer Qualifikation und Ausbildung eingesetzt zu werden. Die vom Gesetzentwurf vorgesehene Festlegung
der Bündelung auf bis zu drei verschiedene Ämter können wir mittragen; denn die Realität zum Beispiel
kurzfristig notwendiger Neubesetzungen verlangt eine
gewisse Flexibilisierung. Die für den Bereich der Postnachfolgeunternehmen zugelassene Bündelung auf bis
zu fünf Ämter halten wir jedoch für zu weitgehend. Wir
teilen insoweit die Einschätzung von Verdi, dass auch
die betriebswirtschaftliche Neuausrichtung von Nachfolgeunternehmen es nicht rechtfertigt, sogar laufbahnübergreifende Bündelungen vorzunehmen.
Die Bundeswehrreform hat ein insgesamt verheerendes Echo und große Enttäuschung sowohl bei den
Soldaten als auch bei den Zivilangestellten nach sich
gezogen. Wie ein Nachtreten dürfte es für die circa
500 Bediensteten der Bundeswehr-Feuerwehr aussehen, dass diese auch nach dem nun vorliegenden Änderungsantrag eine kompensationslose Heraufsetzung
der Regelarbeitszeit auf 48 Stunden hinnehmen müssen. Ob diese Regelung überhaupt rechtlich durchträgt, dürfte fraglich sein und wird wohl vor dem Verwaltungsgericht landen.
Ähnlich hereingelegt wurden die Wärmebildoperatoren - mitfliegendes Personal auf den Hubschraubern
der Bundespolizei -, die erst gerichtlich aufwendig
eine Erschwerniszulage in Höhe von circa 300 Euro
erstreiten mussten, nur um dann zu erfahren, dass die
Koalition sie mit diesem Gesetzentwurf gänzlich aus
dem Anwendungsbereich des BBesO herausgekickt hat
und sie mit einer Kompensation von maximal 180 Euro
abspeisen will. Das ist weder sachgerecht, weil diese
mitfliegenden Polizisten denselben Gefahren ausgesetzt sind wie das eigentlich fliegende Personal, noch
ist es in dieser Vorgehensweise von hinreichendem
Respekt getragen.
Zusammenfassend wird auch an diesen Details
deutlich, in welchem von wenig sozialem Gerechtigkeitsempfinden getragenen Klein-Klein sich der Bundesinnenminister beim öffentlichen Dienstrecht bewegt. Dieses Klein-Klein entspricht spiegelbildlich der
offenkundig fehlenden Bereitschaft zur übergreifenden, strukturelle Fragen aufgreifenden VorgehensZu Protokoll gegebene Reden
weise beim Dienstrecht. Den Preis dieser Untätigkeit
zahlen am Ende die Beamtinnen und Beamten und damit wir alle, weil wir auf die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ganz wesentlich angewiesen sind.
Die Anträge der Bundesregierung müssen wir angesichts dieser Mängel im Ergebnis ablehnen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13134, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 17/12455 und 17/12662 in der Ausschussfassung anzunehmen. Der Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen liegt auf Drucksache 17/13145 vor. Darüber stimmen wir zuerst ab. Wer
ist für den Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Oppositionsfraktionen. Die Regierungsfraktionen waren dagegen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Die
Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben
sich Linke und SPD. Die Koalitionsfraktionen haben dafür gestimmt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Sie mögen sich sehr gern erheben, wenn Sie dafür sind. - Die Gegenstimmen? - Die
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie vorher.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner,
Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoi-
den schützen
- Drucksachen 17/12695, 17/13068 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Rief
Gustav Herzog
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Harald Ebner
Die Reden sind zu Protokoll genommen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13068, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 17/12695 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken
und Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens
- Drucksache 17/12727 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1})
- Drucksache 17/13115 Berichterstattung:
Abgeordnete Doris Barnett
Die Reden sind zu Protokoll genommen.
Ob Tanksäule, Geschwindigkeits-, Wärme-, Gas-,
Wasser- oder Elektrizitätsmessungen: Eichpflichtige
Messgeräte sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzu-
denken und beeinflussen unser tägliches Leben allge-
genwärtig. Auch für den Endverbraucher abgepackte
Waren beispielsweise basieren auf dem Mess- und
Eichgesetz als gesetzlicher Grundlage. Sage und
schreibe 4 bis 6 Prozent des Bruttonationaleinkom-
mens werden in den Industrienationen durch entspre-
chende Messungen abgerechnet, in Deutschland im-
merhin ein Betrag zwischen 104 und 157 Milliarden
Euro jährlich. Somit kommt einem verlässlichen,
transparenten und nachvollziehbaren Messwesen ins-
besondere unter wirtschaftlichen Aspekten große Be-
deutung zu.
Das deutsche Eich- und Messgesetz gestaltet sich
infolge nachträglicher Anpassungen an europäische
Entwicklungen teils unübersichtlich und kompliziert.
Aus diesem Grund ist eine partielle Neugestaltung der
rechtlichen Grundlage erforderlich. Einerseits wollen
wir mit unserem Gesetzentwurf eine neue durchgän-
gige Systematik für das gesetzliche Messwesen schaf-
fen und gleichzeitig europäische Richtlinien und
Rechtsverordnungen in nationales Recht umsetzen.
Wir tragen damit einer Rechtsvereinheitlichung im
Sinne eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes
Rechnung. Darüber hinaus beabsichtigen wir mit un-
serem Gesetzentwurf, sowohl neuen Marktentwicklun-
gen als auch technologischem Fortschritt durch die
notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen gerecht
zu werden.
Oberstes Ziel ist die Schaffung eines ausgewogenen
Systems, das sinnvolle Vereinfachungen und Liberali-
sierungen mit effektiven Regelungen der Überwa-
chung kombiniert, angepasst an europäische Entwick-
lungen und Vorgaben. Wir wollen uns in unserem
Gesetzentwurf auf die regelungsbedürftigen Aspekte 1) Anlage 20
Nadine Schön ({0})
konzentrieren und auf das erforderliche Maß beschränken.
Das Mess- und Eichgesetz erfasst lediglich Messgeräte zur Verwendung im geschäftlichen oder amtlichen
Verkehr sowie für Messungen im öffentlichen Interesse. Andere Geräte, die meist privaten Zwecken dienen, unterliegen dem Regelungsgegenstand dieses Gesetzes nicht. Auch berücksichtigen wir, dass es nicht
für alle Arten von Messgeräten bzw. alle Verwendungen dieser des gesetzlichen Schutzes bedarf. Daher
sollen die schutzbedürftigen Messgerätearten durch
eine Rechtsverordnung näher bestimmt werden.
Ein zentraler Aspekt unseres Gesetzentwurfs ist die
Beseitigung bestehender verwirrender Parallelregelungen auf europäischer und nationaler Ebene. Statt
unterschiedlicher Vorschriften für das Inverkehrbringen von Messgeräten soll zukünftig ausschließlich das
europäische Modell der Konformitätsbewertung einheitlich für alle Gerätearten Anwendung finden. Eine
derartige Vereinheitlichung erfüllt nicht nur den Anspruch der Transparenz und Vereinfachung, sondern
entlastet unsere Wirtschaft Schätzungen zufolge finanziell in Höhe von 5,4 Millionen Euro jährlich.
Dieses Modell sieht vor, dass Produkte vor einer Zulassung oder Ersteichung nicht mehr seitens einer
staatlichen Behörde, sondern durch eine unabhängige
Konformitätsbewertungsstelle im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen geprüft werden. Dies betrifft
circa 240 000 Geräte jährlich. Verbindliche Voraussetzung für eine zuverlässige und praktikable Anwendung
dieses Modells ist, die Kompetenz besagter Stellen mittels eines europaweiten Akkreditierungsverfahrens sicherzustellen. Die gesetzliche Grundlage dazu stellt
ein deutsches Akkreditierungsstellengesetz dar, das
auch Sanktionierungen wie den Entzug einer Lizenz,
Konformitätsbewertungen vorzunehmen, vorsieht. Somit tragen wir Sorge dafür, dass die Kompetenz und Integrität der Konformitätsbewertungsstellen durch ein
umfassendes Sicherungssystem fortlaufend gewährleistet wird. Der Wegfall der Ersteichung führt nicht
nur zu Kostenentlastungen bei den zuständigen Behörden, sondern gleichzeitig auch zu einer stärkeren und
effizienteren Überwachung.
Unser Gesetzentwurf sieht darüber hinaus eine Verbesserung der bestehenden Vorschriften über die
Nacheichung vor, um auch hier einerseits zusätzliche
Rechtssicherheit und andererseits Kosteneffizienz zu
erreichen. Grundsätzlich bleibt die Zuständigkeit der
Eichbehörden der Länder und der staatlich anerkannten Prüfstellen in bisherigem Umfang unberührt. Die
bestehenden Regelungen der behördlichen Überprüfung von Geräten werden jedoch um wichtige Vorschriften ergänzt, insbesondere im Hinblick auf mehr
Rechtssicherheit im Interesse der Betroffenen. Darüber hinaus wird eine verbesserte Zusammenarbeit
der Landeseichbehörden zur Kostenoptimierung beitragen.
Wie bereits erwähnt, besteht ein zentrales Ziel unseres Gesetzentwurfs darin, die bestehenden Regelungen
zügig an technische Veränderungen anzupassen und
betroffene Gruppen einzubinden. In Anlehnung an das
seit Jahren bewährte System der „harmonisierten Normen“ und „normativen Dokumente“ für europäisch
geregelte Messgeräte wollen wir dieses Prinzip auch
für national geregelte Messgeräte einführen. Voraussetzung ist demzufolge, dass diese von dem im Gesetz
vorgesehenen Regelermittlungsausschuss als geeignet
ermittelt und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt veröffentlicht werden. Diese Einführung des
Regelermittlungsausschusses ermöglicht somit nicht
nur eine rasche Anpassung an technische Entwicklungen, sondern hat gleichzeitig eine Entbürokratisierung
zur Folge, indem nicht sämtliche technische Detailfragen gesetzlich geregelt werden. Letztlich wird dieser
sowohl dynamische als auch demokratische Prozess
der Detailausgestaltung durch einen Regelermittlungsausschuss, der gesetzlich ausdrücklich den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen geöffnet wird,
dazu führen, dass schneller, gezielter und flexibler auf
Veränderungen reagiert werden kann.
Schließlich werden wir die behördliche Überwachung durch weitergehende Befugnisse stärken. Im
Gegenzug sind die zuständigen Behörden gehalten,
Konzepte zur angemessenen Überwachung zu erstellen und zu veröffentlichen, wobei nicht nur die Überwachung auf neue Geräte, sondern auch auf die europäischem Recht unterliegende Überwachung
ausgeweitet wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit
diesem fachlich ambitionierten Rechtsrahmen Anreize
zur Entwicklung und Bereitstellung hochwertiger
Messgeräte in Deutschland setzen, was die starke
Position deutscher Hersteller von Messgeräten auf den
internationalen Märkten stützt. Darüber hinaus setzen
wir europäische Richtlinien in nationales Recht um
und tragen damit dem europäischen Binnenmarktpaket
der europaweiten Regelung für Produkte Rechnung,
wobei die Eichung ein nationaler hoheitlicher Akt in
Händen der Länder bleibt. Neben der Entlastung der
Wirtschaft um circa 5,4 Millionen Euro ist insbesondere die Berücksichtigung der technologischen Entwicklung im Marktgeschehen zu beachten, ohne dass
es zu unangemessen hohen Mehrbelastungen für die
Bundeländer kommt. Nach Berechnungen werden die
geschätzten einmaligen Investitionskosten der Länder
in Höhe von circa 400 000 Euro durch Mehreinnahmen infolge einer erstmals kostenpflichtigen Marktüberwachung weitgehend gedeckt.
Somit verabschieden wir heute ein wichtiges Gesetz
für unsere deutsche Wirtschaft.
Das bisher gültige Eichgesetz stammt aus dem Jahr
1992. Seither haben sich doch etliche Änderungen und
Anpassungen an europäische Entwicklungen bzw. ReZu Protokoll gegebene Reden
gelungen, New Approach, ergeben, die die Anwendung
des Gesetzes erheblich erschwert haben.
Aber auch durch weiter gehende Erfahrungen aus
der täglichen Eichpraxis sowie durch technischen
Fortschritt ist die Novellierung des Eichrechts seit längerem überfällig. Im Zuge der Gesetzesnovellierung
werden nachfolgend auch die auf dem Eichrecht basierenden Verordnungen, hier insbesondere die Eichordnung sowie die Eichkostenverordnung, angepasst.
Damit soll eine neue durchgängige Systematik für
das gesetzliche Messwesen geschaffen werden, nachdem Eichordnung und Eichgesetz durch nachträgliche
Anpassungen an europäische Entwicklungen unübersichtlich geworden waren.
Als wesentliche Änderungen sind die nunmehr vollständig liberalisierte sogenannte Ersteichung, das Inverkehrbringen und umfangreichere Marktüberwachungstätigkeiten zu nennen. In nachvollziehbarem
Umfang wurden auch Informationspflichten erweitert.
Bußgelder können künftig in deutlich gesteigerten
Größenordnungen erhoben werden. Erstmalig wurde
infolge der liberalisierten Ersteichung die Anzeige der
erstmaligen Verwendung eines Messgerätes festgeschrieben.
Betroffen von dem Gesetzentwurf sind Hersteller,
Verwender, Zulassungsstellen und die für die Eichung
zuständigen staatlichen Stellen, also sämtliche Akteure, die mit Messgeräten umgehen. Signifikante Beund Entlastungen werden von dem Gesetzentwurf für
die Beteiligten nicht erwartet.
Am 16. Januar dieses Jahres hat das Bundeskabinett den Entwurf eines neuen Mess- und Eichgesetzes
verabschiedet. Am 1. März hat der Bundesrat zu dem
Gesetzentwurf ausführlich Stellung genommen. Am
12. April haben die Fraktionen der CDU/CSU und
FDP einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem sie
weitgehend den Stellungnahmen des Bundesrates entsprochen haben. Dazu gehören unter anderem auch
die sogenannten Ausschankmaße einschließlich der
Festlegung einzuhaltender Maßvolumina.
Insgesamt ist es ein Ergebnis, mit dem alle dem
Grunde nach zufrieden sein können. Dennoch möchte
ich auf einige wesentliche Änderungen eingehen.
Die nunmehr vollständige Liberalisierung der sogenannten Ersteichung hat offensichtlich auch bei diesem Entwurf zu Irritationen geführt. Dabei sind die
wesentlichen Teile der Ersteichung seit langem privatisiert. Basis hierfür ist im Wesentlichen die zum 1. Januar 2007 in nationales Recht umgesetzte europäische
Messgeräterichtlinie, MID. Doch wie von den Ländern
schon damals vorhergesagt, haben seitdem die noch
bestehenden Eichbehörden die Untätigkeit der Privatwirtschaft kompensieren müssen. Die Privatwirtschaft
hat nur in geringem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Ersteichung vorzunehmen. Es
scheint also nur bedingt lukrativ zu sein. Für mich ist
damit auch die Mär widerlegt, die Privaten könnten es
besser und preiswerter.
Doch selbst für den Fall, dass die vollständige Liberalisierung der Ersteichung dazu führen würde, dass
die damit verbundenen Aufgabenstellungen tatsächlich von privaten Dritten durchgeführt würden, steht
dem ein deutliches Plus an hoheitlichen Überwachungstätigkeiten gegenüber. Die notwendige Anzeige
des erstmaligen Inverkehrbringens ist somit ausdrücklich zu begrüßen, weil nur so die Eichbehörden Kenntnis über den Einsatzort neuer Geräte erhalten und ihren Marktüberwachungsaufgaben nachkommen
können.
Die Eichung von Messgeräten, zum Beispiel für die
Ermittlung des Verbrauchs von Elektrizität, Gas, Wasser oder Wärme, bleibt als hoheitlicher Akt in dem als
„Nacheichung“ bezeichneten Bereich erhalten. Mit
der Beibehaltung der staatlichen Eichung bleibt ein
wichtiger Beitrag zur Aufrechterhaltung des bislang
hohen Schutzniveaus im gesetzlichen Messwesen erhalten.
Die Erhöhung des Bußgeldrahmens ist ebenfalls
sinnvoll, da die Hemmschwelle für nicht rechtskonforme Handlungen, hier insbesondere bei den Verwendern, im geltenden Recht sehr niedrig lag.
Wenngleich der im Entwurf angestrebte Termin für
das Inkrafttreten des Gesetzes - vorgesehen war der
31. Dezember 2013 - auf Ende 2014 geändert wurde,
ist man den Forderungen der Industrie, aufgrund umfangreicher Umstellungen gegenüber den bisherigen
Eich- und Zulassungsverfahren eine Frist bis Ende
2016 zu gewähren, nicht nachgekommen. Es wäre vernünftig gewesen, eine längere Umstellungsfrist zu gewähren, weil die Industrie zu Recht auf entstehende
Engpässe und damit verbunden auf Produktionsprobleme hingewiesen hat.
Vorbehalte gibt es auch vonseiten der IT-Branche
als Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnik und als Partner der Energiewirtschaft in den
Bereichen von Smart Meter Gateway und Messeinrichtungen der neuen intelligenten Messsysteme. Bezogen
auf diese Bereiche ist die Abgrenzung zwischen Hersteller und Einführer bzw. deren Pflichten nicht zweifelsfrei möglich. Die IT-Branche hält eine Klarstellung
für unbedingt geboten.
Gerade in diesem für die Energiewende so wichtigen Bereich ist man ohne Not im Mess- und Eichgesetz
eine Klarstellung schuldig geblieben. Es wäre aus unserer Sicht geboten gewesen, das Gesetz hier zu ergänzen. Deshalb können wir dem Gesetz auch nicht zustimmen, sondern werden uns enthalten.
Die heute zur Abstimmung stehende Neuregelung
des gesetzlichen Messwesens ist richtig und notwendig. Denn durch zahlreiche Anpassungen an die europäische Entwicklung sind vor allem das Eichgesetz
und die Eichordnung nur noch schwer überschaubar
Zu Protokoll gegebene Reden
geworden. Dem soll der vorliegende Gesetzentwurf
Abhilfe schaffen. Das in Art. 1 enthaltene Mess- und
Eichgesetz dient genau diesem Ziel und soll das derzeit
geltende Eichgesetz ersetzen. Es stellt zudem sicher,
dass das hohe Schutzniveau des Messwesens in
Deutschland erhalten bleibt. Gleichzeitig dient der
Entwurf der Rechtsvereinheitlichung. Das begrüßt die
FDP-Fraktion. Positiv ist ebenfalls, dass Unterschiede
bei den Regelungsansätzen im deutschen und europäischen Recht mit der Umsetzung des Gesetzentwurfs
vereinheitlicht und mit dem europäischen Recht in Einklang gebracht werden.
Eine Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ist
außerdem deshalb geboten, weil das geltende Recht
den aktuellen Marktentwicklungen und dem technischen Fortschritt nur unvollständig Rechnung trägt.
Vor allem neue Messmethoden und die ständig zunehmende Vernetzung von Messgeräten machen dies notwendig.
Der Gesetzentwurf hat darauf geachtet, dass die
deutsche Wirtschaft nicht zusätzlich belastet wird. Im
Gegenteil: Durch die Neuregelung wird sie jährlich
um rund 5,4 Millionen Euro entlastet. Daran ändern
auch die neuen Informationspflichten, die auf europäisches Recht zurückgehen, nichts.
Die Erfüllungskosten für die Verwaltung des Bundes
sind verglichen mit den zu erwartenden Effizienzvorteilen gering. Auch der Mehraufwand für die Länder
ist niedrig. Es ist damit zu rechnen, dass die erstmals
kostenpflichtige Marktüberwachung bei nichtkonformen Messgeräten hier zudem für eine Kompensation
der Kosten sorgt. Bedenken der Länder gegenüber ursprünglich vorgesehenen Einzelregelungen im Gesetzentwurf wird in der nun vorliegenden Fassung in erheblichem Umfang Rechnung getragen; Absprachen
zwischen Bund und Ländern zu untergesetzlich regelbaren Tatbeständen, insbesondere bei Ausschankmaßen und bei Gebühren, sind in Bearbeitung.
Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu.
Meine Fraktion lehnt den vorliegenden Entwurf des
Gesetzes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ab.
Bereits seit etwa 1990 wendet die Europäische
Union für das Inverkehrbringen von Produkten ein
New Approach an. Richtlinien nach dem Neuen Konzept haben einen Systemwechsel im gesetzlichen Messwesen zur Folge. Dieser Systemwechsel ist dadurch
charakterisiert, dass das erstmalige Inverkehrbringen
von Messgeräten durch den Hersteller selbst über eine
privatwirtschaftlich organisierte Konformitätsbewertung, also die Feststellung der Übereinstimmung mit
den Richtlinien unter Mitwirkung „Benannter Stellen“
erfolgt. Die bisherige staatliche Zulassung eines Messgerätes und seine erstmalige Prüfung entfallen. Der
Staat beschränkt sich auf die Überwachung der
Benannten Stellen und auf die Marktüberwachung, die
in der Überwachung der Konformität der in Verkehr
gebrachten Produkte mit den Richtlinien besteht. Dieser Ansatz wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
fast vollständig umgesetzt.
Der neue Ansatz bringt erhebliche Gefahren für den
Verbraucherschutz mit sich, insbesondere weil hier die
Prüfung der Geräte Stellen überlassen wird, welche
sich für diese Dienstleistung seitens der Auftraggeber
bezahlen lassen. Interessenkonflikte können hier nicht
ausgeschlossen werden.
Durch die Ausweitung des Neuen Konzepts auf nationale Regelungsbereiche wird auch hier das hohe
deutsche Verbraucherschutzniveau nicht aufrechterhalten werden können. Das klassische deutsche Eichwesen mit seinem präventiven Ansatz, also staatliche
Bauartzulassung, Ersteichung, Nacheichung und
Nachschau, wird fast vollständig ersetzt.
Bei Messdaten handelt es sich um Vertrauensgüter,
die die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nachprüfen können. Insbesondere die Vermutung der Richtigkeit bei Einhaltung der Vorschriften führt dazu, dass
Verbraucherinnen und Verbraucher Täuschungen
schwer nachweisen können. Das betrifft jeden Haushalt in Deutschland bei Strom, Gas und Wasserzählern. Beim Mess- und Eichwesen handelt es sich für
uns ganz klar um ein grundlegendes Element der
Daseinsvorsorge. Die teilweise Privatisierung des
Mess- und Eichwesens lehnen wir deshalb ab.
Wir zweifeln an einer effektiven Marktkontrolle, insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus dem Pferdefleischskandal und sonstigen Lebensmittelskandalen.
Bereits im Mess- und Eichwesen gesammelte Erfahrungen zeigen, dass sich die Sparzwänge vieler Länder
und der damit verbundene Personalabbau bei den
Landeseichbehörden zu negativ auf die ordnungsgemäße Überwachung der Verwendung von Messgeräten
ausgewirkt haben. Den Ländern gehen durch die
Zulassungsgebühren Einnahmen verloren. Gleichzeitig müssen sie die kostenlose Marktüberwachung
gewährleisten und Fachpersonal „vorrätig“ halten
und schulen. Problematisch ist die Marktüberwachung
insbesondere vor dem Hintergrund des Imports zahlreicher Messgeräte aus Drittstaaten.
Die CE-Kennzeichnung, welche trotzdem ausgegeben wird, gaukelt Sicherheit und Vertrauen vor, welches nicht durch eine unabhängige Stelle geprüft
wurde. Durch das Neue Konzept werden die Zuständigkeit und Handlungsmacht des Staates auf ein Mindestmaß beschränkt. Dem Hersteller hingegen wird
ein großer Handlungsspielraum eröffnet. Gerade die
nur stichprobenhafte Kontrolle eröffnet der Täuschung
und dem Betrug Tor und Türen. Schwierig zu kontrollieren sind die Geräte auch, da sie keiner Meldepflicht
unterliegen.
Auf einen speziellen Punkt möchte ich noch eingehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch
die Füllmenge von Verpackungen, zum Beispiel eines
Zu Protokoll gegebene Reden
Joghurtbechers, geregelt. Wir sprechen uns gegen
das Mittelwertprinzip aus und präferieren das
Mindestmengenprinzip. Danach müssten in jedem
200-Gramm-Becher Joghurt mindestens 200 Gramm
sein, in keinem einzigen weniger. Das Abfüllen von
Lebensmitteln ist heute in der Regel ein vollautomatischer Prozess. Verbraucherinnen und Verbraucher
können durch das Mittelwertprinzip überhaupt nicht
kontrollieren, ob sie getäuscht wurden.
Wir erkennen an, dass es sich bei dem vorliegenden
Gesetz um die Umsetzung bzw. Anpassung an entsprechende EU-Verordnungen handelt und die von uns
kritisierten Sachverhalte in den zugrunde liegenden
EU-Verordnungen zu verorten sind. Trotzdem können
wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen.
Selten gab es im Bundestag, aber auch im Bundesrat, so viel Einigkeit wie zum Gesetzentwurf zum Messwesen. So begrüßt auch meine Fraktion die Novellierung des Mess- und Eichgesetzes ausdrücklich.
Ziel des Gesetzes ist es, die Zuverlässigkeit von
Messungen auch in Zukunft auf einem hohen Niveau zu
gewährleisten. Insbesondere neue Technologien sind
auf verlässliche und neue Messverfahren angewiesen.
Die Weiterentwicklung und Verbesserung neuer Messverfahren sichert nicht nur die Grundlage für neue
Technologien, sondern dient auch dem fairen Handel
und der Sicherheit und Umweltverträglichkeit.
Mit dem Gesetz wird aber auch versucht, die Regelungen flexibler auszugestalten, um Kosten für die
Wirtschaft zu reduzieren und die Verfahren wirtschaftlicher zu gestalten. Wir gehen davon aus, dass durch
den Wegfall der staatlichen Ersteichung insgesamt mit
einer Kostenentlastung für die Wirtschaft zu rechnen
ist. Durch die Privatisierung der Ersteichung und die
damit verbundene Intensivierung der Marktüberwachung wird allerdings von einem personellen Mehraufwand in den Ländern gerechnet; das heißt, die
Bürokratiekosten werden durch die neuen Informationspflichten erhöht.
Insbesondere neue Messverfahren bezüglich der
Nanotechnologie erfordern beispielsweise völlig neue
Mess- und Bewertungsverfahren, etwa um die Umweltund Gesundheitsverträglichkeit neuer Nanoprodukte
zu gewährleisten.
Ich komme zum Schluss: Der Entwurf des neuen
Mess- und Eichgesetzes des Bundeswirtschaftsministeriums wird von unserer Fraktion begrüßt. Das bestehende Eichgesetz und die Eichordnung sind durch notwendige nachträgliche Anpassungen an europäische
Entwicklungen sehr unübersichtlich geworden. Durch
den Erhalt der staatlichen Nacheichung wurde der
größte Kritikpunkt der Länder und Verbraucherschützer aus dem Weg geräumt. Es besteht nun ein weitestgehender Konsens zwischen Bund und Ländern.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13115, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12727 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Die Enthaltungen? - Dafür haben gestimmt die
Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen die Fraktion Die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich
enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stehen auf, wenn wir dafür
sind. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 31:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Einführung von Volksabstimmungen bei Neufassung
oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union
- Drucksache 17/11371 Die Reden sind ebenfalls zu Protokoll genommen.
Nachdem die Fraktion Die Linke mit ihrem Gesetzentwurf die Idee von Volksabstimmungen bei Neufassung oder Änderungen des europäischen Primärrechts
aufgewärmt hat, befassen wir uns heute mit der Frage,
ob mehr plebiszitär-partizipatorische Elemente tatsächlich das Allheilmittel für mehr Demokratie auf europäischer Ebene sind. Eng damit verbunden ist die
Frage nach den Folgen der geplanten Grundgesetzänderung für das politische System der Bundesrepublik Deutschland.
Die Fraktion Die Linke möchte das Grundgesetz
ändern, um künftig über, ich zitiere aus dem Gesetzentwurf, „alle Neufassungen und Änderungen der vertraglichen Grundlagen und gleichgearteten völkerrechtlichen Regelungen“ der EU abstimmen zu lassen.
Dabei verkennen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen der Linksfraktion, dass nicht zuletzt aufgrund
der seit 2008 grassierenden Finanz- und Wirtschaftskrise globalisierte Probleme häufig zu komplex geworden sind, um sie auf ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ zu
reduzieren.
Sie erklären weiter, dass nur über Volksabstimmungen die EU hinreichend demokratisch legitimiert werden könne. Doch wer so argumentiert, der muss sich
fragen lassen, ob Volksabstimmungen, bei denen gemäß Gesetzentwurf lediglich ein Viertel der zum Europäischen Parlament Wahlberechtigten teilnehmen
muss, bei denen demnach drei Viertel der Wahlberechtigten der Urne fernbleiben können, die EU hinreichend demokratisch legitimieren. Ein Blick in unser
Nachbarland Schweiz lehrt, dass ausschließlich die in
der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Themen
hohe Beteiligungsraten erreichen. Ich bin der Meinung, dass eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene, eine an den Problemen
der Menschen ausgerichtete europäische Politik und
nicht zuletzt starke nationalstaatliche Parlamente die
Legitimation der EU fördern. Gerade Letzterem aber
widerspricht der vorliegende Gesetzentwurf, da der
Volksentscheid eine rechtlich verbindliche Wirkung für
den Deutschen Bundestag und den Bundesrat haben
soll. Mit Ihrem Gesetzentwurf schüren Sie das Misstrauen gegenüber dem parlamentarischen Repräsentativsystem.
Auch sehe ich die mit der Einführung plebiszitärer
Elemente einhergehende Zuspitzung europäischer
Politik kritisch. Vor dem Hintergrund der historischen
Erfahrungen der Weimarer Republik, die starke plebiszitäre Elemente kannte, haben die Mütter und Väter
des Grundgesetzes plebiszitäre Elemente weggelassen
und das Instrument der Volksabstimmung nur eng begrenzt bei Entscheidungen zur Neugliederung des
Bundesgebietes nach Art. 29 GG sowie bei Inkrafttreten einer neuen Verfassung nach Art. 146 GG vorgesehen.
Der eingebrachte Gesetzentwurf ähnelt doch sehr
dem Ende 2007 von der Fraktion Die Linke vorgelegten Gesetzentwurf auf Drucksache 16/7375, mit dem
Sie damals eine Möglichkeit gesucht haben, die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zu verhindern.
Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ihren Gesetzentwurf ab. Nicht zuletzt die
starke Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland garantiert eine fortlaufende Prüfung, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit
Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist.
Schon bei früheren Debatten anlässlich der Ratifizierung des Verfassungsvertrags und des Vertrags von
Lissabon haben wir hier im Bundestag darüber gestritten, wie wir in Deutschland und Europa mehr Demokratie wagen können. Die Forderung, die plebiszitären
Elemente in unserem Grundgesetz auszuweiten und die
Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen europapolitischen Weichenstellungen direkt entscheiden zu lassen,
ist somit keineswegs neu.
Die SPD befürwortet eine stärkere Mitsprache der
Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen politischen
Entscheidungen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werben bereits seit vielen Jahren dafür,
die repräsentative Demokratie in Deutschland durch
neue Formen der direkten Demokratie zu ergänzen.
Damit haben wir in vielen Bundesländern und auf
kommunaler Ebene gute Erfahrungen gemacht. Am
vergangenen Wochenende haben wir die Forderung
nach der Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene in unserem
Regierungsprogramm für die Bundestagswahl am
22. September 2013 bekräftigt.
Die Fraktion Die Linke spricht sich in ihrem
Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung aus, die
künftig bei jeder Neufassung bzw. Änderung der europäischen Gemeinschaftsverträge eine Volksabstimmung vorschreiben würde. Bislang sieht das Grundgesetz für die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge
ein parlamentarisches Verfahren vor. Dieses Ratifizierungsverfahren in Bundestag und Bundesrat - wie
zuletzt praktiziert beim Vertrag von Lissabon, dem
ESM-Vertrag oder dem Fiskalpakt - gehört seit
Jahrzehnten zu unserer Staatspraxis und Verfassungswirklichkeit.
Über das Für und Wider von direktdemokratischen
Elementen im Grundgesetz lässt sich trefflich streiten.
Schließlich sollten auch wir als Abgeordnete uns nicht
den Schneid abkaufen lassen. Das Votum der Bürgerinnern und Bürger in einer Volksabstimmung garantiert nicht zwangsläufig ein besseres Ergebnis oder
eine höhere demokratische Legitimation als die
Entscheidung von gewählten Volksvertretern. Vielmehr
müssen wir zweigleisig fahren, wenn wir mehr Demokratie wagen wollen: Neben der Stärkung der repräsentativen Demokratie - und damit unseres Bundestages - gilt es auch, den Mut zu mehr direkter
Demokratie aufzubringen.
Fakt ist: Bislang sieht unser Grundgesetz bundesweite Referenden mit Ausnahme von Länderneugliederungen ({0}) und dem Inkrafttreten einer neuen
Verfassung ({1}) nicht vor. Der Weg zu mehr
direkter Demokratie in Deutschland kann daher nur
über eine Änderung des Grundgesetzes führen. Doch
die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit ist auf absehbare Zeit weder im Bundestag noch im Bundesrat
in Sicht. Ich bedauere sehr, dass die schwarz-gelbe
Koalition, maßgeblich die CDU, hier weiterhin ihrem
Blockadekurs treu bleibt.
Trotz unserer Unterstützung für die Einführung von
Volksabstimmungen auf Bundesebene lehnt meine
Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke ab. Aus unserer Sicht gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Öffnung des Grundgesetzes für Referenden ausschließlich auf europapolitische Fragen beschränkt bleiben soll. Vielmehr
sollten Volksabstimmungen auch bei wichtigen innenpolitischen Sachfragen möglich sein.
Da liegt vielmehr ein ganz anderer Verdacht nahe:
Wenn die Verfasser dieses Gesetzentwurfes ehrlich wären, müssten sie zugeben, dass es ihnen nicht in erster
Linie um mehr Bürgerbeteiligung geht. Hinter Ihrer
fadenscheinigen Initiative steht letztlich der Versuch,
künftigen Integrationsschritten - sei es die Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU oder die
Aufnahme neuer Mitgliedstaaten - von vorneherein
Zu Protokoll gegebene Reden
Michael Roth ({2})
einen Riegel vorzuschieben. In Wahrheit wollen Sie
doch gar nicht mehr Demokratie! Sie wollen weniger
Europa! Hierfür kämpfen Sie seit Jahren mit zum Teil
bedenklichen Mitteln und inakzeptablen Argumenten.
Es ist aus meiner Sicht unverantwortlich, die Öffentlichkeit zunächst mit Falschaussagen und Verschwörungstheorien zu verunsichern, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, es
fortwährend tun, und die Bürgerinnen und Bürger
dann in diesem Klima über europapolitische Fragen
abstimmen lassen zu wollen. Wer so vorgeht, der
erweist dem Ziel eines demokratischen, bürgernahen
Europas einen Bärendienst.
Dennoch bin ich zuversichtlich: Überzeugte Europäer müssen die Stimme des Volkes nicht fürchten. Im
Gegenteil! Volksabstimmungen bedeuten zwar keinen
Automatismus für mehr Europa. Doch sie würden die
Politik dazu zwingen, den Menschen das europäische
Projekt endlich noch besser zu erklären. Ein Referendum wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit, umfassend
für das europäische Projekt zu werben und eine breite
gesellschaftliche Debatte über Europa anzustoßen. Am
Ende werden wir die Bevölkerung in Deutschland
davon überzeugen können, dass wir ein gemeinsames
Europa brauchen.
Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke sieht vor,
das Grundgesetz zu ändern, um Volksabstimmungen
bei Neufassungen oder Änderungen der vertraglichen
Grundlagen der Europäischen Union einzuführen. Damit soll das Volk auf anderem Wege beteiligt und die
EU hinreichender demokratisch legitimiert werden.
Das mag in der Theorie gut klingen, aber in der Praxis
gibt es da noch einige Details zu berücksichtigen, die
im Antrag außer Acht gelassen werden.
Volksabstimmungen sind gut und tragen zu mehr
Demokratie bei. Aber über jede geringfügige Änderung in den vertraglichen Grundlagen der EU das Volk
abstimmen zu lassen, ist weder ökonomisch sinnvoll
noch der Sache an sich dienlich. Das Volk sollte befragt werden, wenn Entscheidungen die Natur der EU
grundlegend verändern. Das sind Fragen, bei denen
das Volk unmittelbar beteiligt werden muss. Aber für
Detailfragen und geringfügige Anpassungen haben
wir ein starkes demokratisch gewähltes Parlament,
und dem sollten wir auch zutrauen, diese Entscheidungen treffen zu können.
Grundsätzlich sollen und müssen die Bürger in den
politischen Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Wir müssen sie gerade, was Europa angeht, auch
mitnehmen. Denn die aktuelle Krise ist nicht nur finanzpolitischer Natur, sie ist auch eine Vertrauenskrise. Mehr direkte Beteiligung der Bürger ist daher wichtig.
Volksentscheide können hierbei sinnvolle Instrumente sein, die zudem die gesellschaftliche und mediale Diskussion anregen. Bei bestimmten Vorhaben
kann ein Volksentscheid zudem eine wichtige Legitimation und Grundlage für eine spätere Umsetzung sein.
In der Schweiz sehen wir immer wieder, wie Plebiszite
funktionieren können. Dies ist für die FDP vorbildlich.
Da gerade die Legitimation der Europäischen
Union immer wieder in die Kritik gerät, muss man hier
besonders genau hinschauen. Bei genauer Betrachtung sieht man dann auch, dass die demokratische Legitimation und die Partizipation von Bürgern durch
den Vertrag von Lissabon 2009 entscheidend verbessert wurden.
Durch die Stärkung der nationalen Parlamente und
des Europäischen Parlaments wurden hier wichtige
Schritte gemacht. Insbesondere Deutschland verfügt
über hohe Parlamentsbeteiligungsrechte, die der Bundestag immer wieder verteidigt und die auch durch das
Bundesverfassungsgericht wiederholt gestärkt wurden. Zudem bedeutet die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments, das direkt vom Volk
gewählt wird und somit auch über eine entsprechende
Legitimation verfügt, eine weitere deutliche demokratische Stärkung.
Ein wichtiges neues Instrument ist die Europäische
Bürgerinitiative. Schon ein Zusammenschluss von einer Million Bürgern kann hier die Kommission auffordern, neue politische Vorschläge einzubringen. Mit
Fraternité 2020 konnte 2012 so auch bereits die erste
Europäische Bürgerinitiative verkündet werden, die
sich für Verbesserungen zum Beispiel beim ErasmusProgramm einsetzt.
Ich halte all diese Verbesserungen, die durch den
Lissabon-Vertrag eingeführt wurden, für deutliche
Fortschritte auf dem Weg hin zu mehr Bürgerbeteiligung und mehr Demokratie in Europa.
Langfristig sollte sich die EU hin zu einem europäischen Bundesstaat entwickeln. Dann sollten Volksabstimmungen zu grundlegenden Vertragsänderungen
auch gar nicht auf Deutschland begrenzt sein, sondern
vielmehr auf europäischer Ebene stattfinden. Denn
schließlich betreffen diese Fragen nicht ein Volk alleine, sondern alle europäischen Bürger in ihrer Gesamtheit.
Solange wir dort noch nicht angekommen sind,
halte ich die Idee von Volksentscheiden für Fragen,
die die Natur der EU grundlegend verändern, für
durchaus diskussionswürdig. Aber das Grundgesetz
zu ändern, um jegliche Änderungen oder Neufassung
der vertraglichen Grundlagen der EU zur Volksabstimmung zu stellen, wäre meiner Meinung nach der
falsche Weg. Hier muss im Detail ausgearbeitet werden, wann eine Volksbefragung sinnvoll ist. Ansonsten
läuft man Gefahr, dass Abstimmungen benutzt werden,
um über völlig andere, teils auch innenpolitische, Themen zu entscheiden und eben nicht über die gestellte
Frage. Das wäre dann eher schädlich als sinnvoll.
Wir haben es ja gesehen in Frankreich oder in den
Niederlanden. In Frankreich beispielsweise wurde
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht nur über den Verfassungsvertrag abgestimmt,
dort ging es um die Ängste über die Vorschläge für die
EU-weite Liberalisierung der Dienstleistungen und
über innenpolitische Fragen, auch wenn diese Vorschläge mit dem Verfassungsvertrag gar nichts zu tun
hatten. Hier ist es oft schwer, Grenzen zu ziehen. Themen werden vermischt, und oft geht es auch darum,
dass die Bevölkerung einfach ihrem Unmut gegenüber
der aktuellen Regierung Ausdruck verleihen will. Das
kann und sollte nicht Sinn von Volksabstimmungen
sein.
Ein weiterer Punkt ist, dass es gerade im Bereich
der Vertragsänderungen häufig Themen gibt, die sich
nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Hier geht es oft um differenzierte Abwägungen
und komplexe Sachverhalte.
Es kann daher nicht so einfach, wie von der Linken
beschrieben, zwingend eine Volksabstimmung im
Grundgesetz verankert werden, sondern es müssten
Möglichkeiten geschaffen werden, bei grundsätzlichen, die Natur der Europäischen Union verändernden Entscheidungen die Bürger abstimmen zu lassen.
Dazu müsste im Detail geklärt werden, wann ein solcher Fall eintritt.
Plebiszite sind in vielen Bereichen sinnvoll, und ich
bin jederzeit gerne bereit, über die Möglichkeiten diesbezüglich zu diskutieren. Aber es kann nicht bei jeder
Änderung zu Volksabstimmungen kommen. Der Gesetzentwurf der Linken ist hier eindeutig zu kurz gedacht für so ein komplexes Thema. Daher können wir
ihm auch nicht zustimmen.
Die Bekenntnisse zu mehr direkter Demokratie
durch die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene sind durchaus zahlreich, und entsprechend
befürwortende Kommentare waren von Vertretern
aller Fraktionen zu vernehmen. Allein - geschehen ist
bisher nichts. Dabei hat meine Fraktion sowohl in der
vergangenen, als auch in dieser Legislaturperiode
mehrfach den Vorstoß gewagt und entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht, die jedoch
ausnahmslos von den anderen Fraktionen abgelehnt
wurden. Das lässt den unschönen Eindruck aufkommen, dass die Bekenntnisse der Kolleginnen und Kollegen entweder Äußerungen privater Natur oder schlicht
Lippenbekenntnisse sind.
Dabei legt das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 nahe,
dass das Volk seine Staatsgewalt nicht nur durch Wahlen und besondere Organe der Gesetzgebung ausübt,
sondern auch durch Abstimmungen. Volksabstimmungen über Europaangelegenheiten erscheinen besonders naheliegend, weil hier hoheitliche Befugnisse
vom Nationalstaat auf einen regionalen Staatenverbund übertragen werden. Ich möchte aber gar nicht
weiter auf formaljuristische Aspekte in dieser Frage
eingehen.
Heute nun haben wir erneut einen Gesetzentwurf
zur Einführung von Volksabstimmungen eingebracht,
der fordert, dass bei Neufassung oder Änderungen der
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union
die Bürgerinnen und Bürger über solch tiefgreifende
Entscheidungen abstimmen können müssen. Dann
wären Entscheidungen, die im Zuge der Bewältigung
der Finanz- und Wirtschaftskrise als gefühlte Nachtund-Nebel-Aktionen der Staats- und Regierungschefs
aus Brüssel über die Bürgerinnen und Bürger gekommen sind, direktdemokratisch legitimiert.
Neben der Legalität dieser Verfassungsänderung
bewirkte die Aufnahme von Volksentscheiden in das
Grundgesetz etwas viel Weitreichenderes, wie mir
scheint. Wir erleben seit Jahren einen schleichenden
Prozess des Vertrauensverlusts der Bevölkerung in die
politische Klasse. Das bedeutet - ich erinnere an die
sinkende Wahlbeteiligung - Verlust von Legitimation,
ja weckt sogar Zweifel an der Praxistauglichkeit
repräsentativ-demokratisch verfasster Gemeinwesen.
Indem die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit
eingeräumt bekämen, über solche Fragen, die zutiefst
in ihre Lebenswelt eingreifen, abstimmen zu können,
würde die EU zuallererst von einem Eliten- zu einem
Bürgerinnen- und Bürgerprojekt, was sie heute bestenfalls vermittelt ist. Darüber hinaus erhöhte dies Kenntnis und Akzeptanz über die EU, denn wir - die Politik wären verpflichtet, mehr und besser zu erklären, welche Maßnahmen wir aus welchen Gründen für geboten
halten. Des Weiteren würde das strukturelle Demokratiedefizit der EU ein Stück weit abgemildert. Aber vor
allem wirkte dies Entfremdungs- und Entkernungstendenzen unseres demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegen.
Wir Bündnisgrüne sind eine Partei, die sich seit ihrer Gründung konsequent für die Stärkung und die Erweiterung der direkten Demokratie in Deutschland
einsetzt. Zuletzt haben wir zu Zeiten der rot-grünen
Regierungsmehrheit im Bundestag einen Antrag auf
Änderung des Grundgesetzes eingebracht, der Volksentscheide in Deutschland ermöglichen wollte. Dieser
scheiterte an der Verweigerung der CDU/CSU und
FDP, die Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen.
Gleichzeitig sind wir Grüne auch die entschiedenste
proeuropäische Partei im Bundestag. Wir sind stolz
darauf, dass unser Grundgesetz die Verankerung
Deutschlands in die immer tiefere Integration Europas
substanziell festschreibt und wollen die Europäische
Union auf beiden Achsen der Dualität der demokratischen Legitimation ihrer Entscheidungen stärken.
Eine der größten und wichtigsten Errungenschaften, die kein Proeuropäer infrage stellen wird, ist der
grundsätzliche - nur durch die Entscheidungsgeschichte des Bundesverfassungsgerichts eingeschränkte - Vorrang des Europarechts und dessen
weitgehende unmittelbare Anwendbarkeit. Ebenso
wichtig sind die in den Vertragsreformen der letzten
Zu Protokoll gegebene Reden
20 Jahre vorgenommenen Kompetenzübertragungen
an die Europäischen Institutionen und die Ausweitung
der Mehrheitsentscheidungen und der Rechte des Europäischen Parlaments im Entscheidungsverfahren bei
EU-Rechtsetzung. Diese Errungenschaften dürfen auf
keinen Fall infrage gestellt oder geschwächt werden,
sondern sie müssen gestärkt und ausgebaut werden,
wenn wir die Europäische Union - was notwendig ist weiter demokratisieren wollen. Hierbei ergibt sich ein
möglicher Interessenkonflikt grundlegender Werte und
Ziele einer proeuropäischen Politik mit einer falschen
Umsetzung des richtigen Ziels der Verbreiterung der
Legitimation europäischer Rechtsetzung durch die Integration von Elementen direkter Demokratie. Im Wesentlichen lässt sich dieser Konflikt nur im Sinne beider Ziele auflösen, wenn wir konsequent die
europäischen Verfahren demokratisieren, nicht nur
durch national beschränkte Regelungen, die keinen
Zugriff auf das eigentliche Entscheidungsverfahren in
den EU-Institutionen haben. Eine Volksabstimmung
über Europa, die letztlich einen Volksgesetzgeber in
die Situation reinen Nachvollzugs versetzen, würde
dieses laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Bundestag verhindern. Ebenso
kann es nicht im Interesse des Grundgesetzes sein, den
Volksgesetzgeber in die Situation zu bringen, mit jeder
Sachentscheidung letztlich die Europafreundlichkeit
des Grundgesetzes faktisch konterkarieren zu müssen.
Das Mitwirkungs- und Stellungnahmerecht von
Bundestag und Bundesrat ist mit der Einführung des
Vertrags von Maastricht in Art. 23 GG aufgenommen
worden, um beide an der künftigen Ausgestaltung der
Rechtsetzung der Europäischen Union zu beteiligen.
Mit der Steigerung der Unmittelbarkeit der Kompetenzen und Befugnisse der EU-Institutionen und der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat sollte im
Gegenzug die Rolle der nationalen Parlamente über
das alte Prinzip der reinen Letztentscheidung hinaus
gestärkt und auf die Mitwirkung an der Positionierung
Deutschlands im Rat ausgeweitet werden. Diese
Grundgesetzänderung hat eine beachtliche Rechtsgeschichte hervorgebracht, die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die Klage der Fraktion der
Grünen und der Novelle des EUZBBG, die heute im
Plenum verabschiedet wurde, eine ganz neue Stufe an
demokratischer Legitimation des Handelns im Rat
schaffen kann.
Die Ausformulierung des Art. 23 GG ist dabei - das
hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Auslegung
immer wieder bekräftigt - ein Parlamentsrecht. Gerade das Urteil vom Juni 2012 führt detailliert aus, wie
wichtig die tagtägliche Beschäftigung, die Herausbildung von Expertise und die Nutzung des Grundsatzes
der parlamentarischen Öffentlichkeit für die praktische Umsetzung der Demokratieidee des Art. 23 GG
ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den Art. 23 GG
dabei eng mit den Art. 20 und 38 GG und damit auch
der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG verknüpft.
Daraus ergibt sich logisch: Der Art. 23 GG, die Mitwirkung, ist sozusagen analog zum Haushaltsrecht ein
neues Königsrecht des Parlaments. Ein Zugriff durch
Volksinitiativen oder Volksabstimmungen auf die Stellungnahmekompetenz des Art. 23 GG ergibt sich nicht
aus der Logik des Art. 23 GG. Ein Volksgesetzgeber
kann nicht der Anforderung der informierten Mitwirkung, wie sie beispielsweise an den deutschen Bundestag gestellt, wird genügen oder gar angemessen und
frühzeitig auf die Verhandlungsführung der Bundesregierung im Rat einwirken und diese weiter fortlaufend
kontrollieren. Zudem ist die Kompetenz des Art. 23 GG
im Spannungsverhältnis zum Loyalitätsprinzip aus
Art. 4 Abs. 3 AEUV für den Bundestag und Bundesrat
in den Europäischen Verträgen mit ihren Art. 2, 11 und
12 EUV verankert, ein Zugriff auf die Rechtsetzung der
Europäischen Institutionen in der Logik der EU-Verträge, aber nur über ein europäisiertes Instrument
sinnvoll.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Maastricht- und Lissabon-Entscheidung durch die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle die Kompetenz der
letztendlichen Überprüfung europäischer Rechtsetzung vor dem Maßstab des Identitätskerns des Grundgesetzes festgeschrieben. Die verfassungsgerichtliche
Kontrolle hatte schon in der Solange-Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts dazu geführt, dass die
Beklagbarkeit der Umsetzungsgesetze der Weg ist, um
eine Entscheidungsgelegenheit des Bundesverfassungsgerichts sicherzustellen. Dennoch gilt und sollte
für jeden an der Stärkung des demokratischen Europas
Interessierten gelten: Der Maßstab der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, der laut LissabonUrteil des Bundesverfassungsgerichts für alle Verfassungsorgane der BRD gilt, macht es unmöglich, einen
Zugriff von Volksabstimmungen auf die Umsetzungsgesetze bereits beschlossener und demokratisch legitimierter Entscheidungen der Europäischen Union einzuführen; denn dieser würde keineswegs einen Zugriff
direktdemokratischer Entscheidungen auf die Geltung
europäischer Rechtsetzung bedeuten, sondern im
schlechtesten Fall letztlich nur zu Verurteilungen der
BRD vor dem EUGH führen oder ein Ende der einheitlichen Geltung des EU-Rechtsstands in der Union bzw.
in Deutschland bedeuten.
In den Fällen, wo aufgrund von Kompetenzübertragungen an die EU ein Letztentscheidungsrecht des
Deutschen Bundestags vorgesehen ist, wollen wir
gleichsam den Fortschritt der europäischen Integration nur dann einer nationalen Volksabstimmung in
Deutschland unterziehen, wenn diese nach dem Maßstab des Art. 146 GG unumgänglich und inhaltlich so
ausgestaltet ist, dass diese den vom Bundesverfassungsgericht für die dann zu bestätigende europäische
demokratische Ordnung der EU gesetzten Maßstäben
genügt. Für andere wesentliche Kompetenzübertragungen über die Befugnisse der jetzigen Vertragslage
hinaus wollen wir das betroffene Volk abstimmen lassen: Uns Grüne leitet die Idee eines europäischen Demos, der die verschiedenen „Staatsvölker“ der Europäischen Union vereinigt hinter der gemeinsamen Idee
einer demokratischen Europäischen Union.
Zu Protokoll gegebene Reden
Das Letztentscheidungsrecht in den anderen Fällen
dem Bundestag aus der Hand zu nehmen, hätte aber
auch weitere schwerwiegende Folgen für den Grundrechtsschutz und Schutz der Verfassungsidentität des
Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seinem - von der Linkspartei immer wieder politisch
gelobten - Urteil zum Vertrag von Lissabon den Verfassungsorganen die Aufgabe der Integrationsverantwortung auferlegt, die nicht allein durch die Entscheidung einer einfachen Mehrheit oder einer einfachen
Volksabstimmung, sondern wenn, dann nur durch die
Anwendung des Art. 146 GG umgehbar ist. Wird das
Letztentscheidungsrecht den Verfassungsorganen im
Form einer einfachen Volksabstimmung, die nicht den
Anforderungen des Art. 146 GG genügt, enthoben,
wird damit gleichsam die Integrationsverantwortung
der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat konterkariert, deren Verantwortung es ist, durch ihr Handeln Angriffe auf den Identitätskern des Grundgesetzes
zu verhindern.
Dass sich die EU-Bürgerinnen und -Bürger mit der
Europäischen Bürgerinitiative, EBI, seit April 2012 direkt in die Politik der EU einmischen können - und
dies auch tun, was nicht zuletzt die erfolgreiche EBI
zur sogenannten EU-Wasserrichtlinie eindrucksvoll
gezeigt hat -, war uns von Anfang an wichtig. So haben wir gemeinsam mit der Zivilgesellschaft erreicht,
dass die EBI in Deutschland für die Initiatoren gebührenfrei ist. Wir wollen die EBI stärken und in Richtung
eines echten Instruments direkter Demokratie weiterentwickeln.
Deswegen ist der Weg der Linkspartei der falsche
Weg. Richtig ist ein europäischer Weg, der das Prinzip
der EU-Bürgerschaft ins Zentrum stellt.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/11371 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34:
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 17/1468 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Übertragung von Aufgaben im Bereich der
freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare
- Drucksache 17/1469 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 17/13136 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christoph Strässer
Jens Petermann
Die Reden sind im Protokoll zu finden.
Wir schließen heute ein Gesetzgebungsvorhaben
des Bundesrates ab, das bekanntermaßen eine lange
Vorgeschichte hat. Ich werde darauf nicht mehr im
Einzelnen eingehen. Wir hatten ja bereits in der ersten
Lesung die jahrelangen Diskussionen in Fachkreisen
und in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Frage der
Aufgabenverlagerung auf Notare miteinander erörtert.
Nach ausführlichen und intensiven Beratungen sowie einer auch umfassenden Anhörung des Rechtsausschusses zu den Gesetzentwürfen legen wir heute ein
Ergebnis vor, dass sich an der - in der Fachdiskussion
unter dem Stichwort bekannten - „kleinen Lösung“
orientiert.
Dabei haben wir uns in der christlich-liberalen Koalition in den Beratungen von dem Grundgedanken
leiten lassen: Was kann einerseits zur Entlastung der
Justiz beitragen, aber gleichermaßen zu mehr Bürgernähe der Justiz führen sowie auch und - das ist mir
wichtig - den Servicegedanken der Justiz befördern?
Mit mehr als 7 500 Notaren in Deutschland sind die
Amtsstellen der Notare flächendeckend im gesamten
Bundesgebiet vorhanden. Die Anzahl von Amtsgerichten in Deutschland beläuft sich - wie wir in der Anhörung gehört haben - auf 700 bis 800. Oftmals ist daher
für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung der
Weg zum nächsten Notar deutlich kürzer als der zum
jeweiligen Amtsgericht. Eine Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf die Notare leistet daher auch einen
tatsächlichen Beitrag zu mehr Bürgernähe.
Notare sind justiznahe Amtsträger, sie sind, wie es
mal so treffend formuliert wurde, der „verlängerte
Arm der Justiz“, fachlich insbesondere auch im Bereich des Nachlasswesens und des Erbrechts bestens
qualifiziert und durch die Beurkundungstätigkeit auch
mit dem Grundbuchwesen bestens vertraut.
Mit dem heutigen Änderungsantrag der christlichliberalen Koalition zu den Gesetzentwürfen des Bundesrates greifen wir daher das Grundanliegen des
Bundesrates auf, eine Entlastung der Justiz durch
Übertragung verschiedener, bislang den Gerichten zugewiesener Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen
Gerichtsbarkeit auf Notare zu ermöglichen.
Dabei reduzieren wir den Katalog des vom Bundesrat vorgeschlagenen Umfangs der zu übertragenden
Aufgaben auf Teilbereiche, die nach unserer Einschätzung nicht den Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes
tangieren und daher ohne Grundgesetzänderung umsetzbar sind.
Wir übertragen Teilbereiche unter anderem aus dem
Nachlasswesen in die alleinige Zuständigkeit der Notare. Es wird aber keine vollständige Übertragung des
Nachlassverfahrens 1. Instanz auf die Notare geben.
Eine dazu erforderliche Mehrheit zur Änderung des
Grundgesetzes ist politisch nicht erkennbar, und meines Erachtens gibt es auch sachlich gute Gründe, eine
so weit gehende Übertragung nicht vorzunehmen.
Wir werden auch die im Katalog des Bundesrates
enthaltene Übertragung der Wechsel- und Scheckproteste auf die Notare nicht vornehmen. Die rechtliche Doppelzuständigkeit von Gerichtsvollziehern und
Notaren sollte, im Gegensatz zum Erbscheinsantragsverfahren, beibehalten werden. Hier geht es ja im
Wesentlichen darum, dass der Protest fristgerecht erhoben wird. Sollte der Gerichtsvollzieher nicht erreichbar sein, kann der Notar fristgerecht tätig werden
und umgekehrt. Beratungsleistungen oder der Grundsatz des Vier-Augen-Prinzips stehen hier - anders bei
dem Erbscheinsantrag - nicht zur Diskussion.
Was verbleibt? Das ist zum einen die von uns vorgeschlagene bundeseinheitliche Übertragung der
Vermittlung von Nachlass- und Gesamtgutsauseinandersetzung sowie die amtliche Aufnahme des Nachlassinventars auf die Notare. Es handelt sich teilweise
um Tätigkeiten, die die Notare durch landesspezifische
Regelungen in einigen Bundesländern bereits jetzt vornehmen.
Ja, es ist zutreffend, diese Aufgabenübertragungen
auf Notare betreffen nur Teilbereiche der justiziellen
Tätigkeit im Nachlasswesen und Grundbuchrecht.
Dennoch sollten die positiven Effekte nicht unterschätzt werden. Auch wenn diese Tätigkeiten nicht so
häufig vorkommen, die Nachlassgerichte müssen
Kapazitäten dafür vorhalten. Notare sind neben dem
Beurkundungswesen besonders auch im Bereich des
Erbrechts tätig und daher für die Aufgabe qualifiziert.
Mit der Einführung der notariellen Vollmachtsbescheinigung im Grundbuch- und Registerwesen
werden die Grundbuchämter durchaus von aufwändigen Prüfnotwendigkeiten, wie zum Beispiel bei Prüfung von Vollmachtsketten, entlastet.
Auch mit der Übertragung der Zuständigkeit zur
Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen
werden Gerichte von aufwändigen Recherchen entlastet.
Von deutlich größerer Bedeutung ist jedoch das
Erbscheinsantragsverfahren. Wir führen hier eine Öffnungsklausel ein, mit der es den Ländern ermöglicht
wird, das Erbscheinsantragsverfahren künftig in die
alleinige Zuständigkeit der Notare zu übertragen. Bisher können die Bürger wählen, ob sie den Erbscheinsantrag beim zuständigen Gericht oder bei einem Notar
stellen.
Nun kann man darüber diskutieren, ob diese Wahlmöglichkeit nicht bürgerfreundlicher ist und der
Entlastungseffekt, der für die Justiz eintritt, wenn der
Antrag künftig nur beim Notar zu stellen ist, nicht zulasten der Bürger geht. Auch wird der finanzielle
Mehraufwand für den Bürger durch die Mehrwertsteuer als ablehnender Grund ins Feld geführt.
Ich teile diese Bedenken nicht, sondern sehe gerade
im Interesse der Bürger mehr als gute Gründe für eine
alleinige Zuständigkeit der Notare beim Erbscheinsantrag.
Zum einen wird mit der ausschließlichen Übertragung des Antragsverfahrens auf die Notare das „VierAugen-Prinzip“ und damit die erhöhte Richtigkeitsgewähr für das Antragsverfahren gestärkt.
Mit der ausschließlichen Übertragung des Antragsverfahrens auf die Notare wird daher auch die systematische Trennung zwischen Antrag und Entscheidung
konsequent umgesetzt und die Aufgaben des Nachlassgerichts funktionsgerecht allein auf die Entscheidungsfindung beschränkt.
Zum anderen besteht gerade im Bereich des Erbrechts erheblicher Beratungsbedarf und je nach Komplexität des Erbfalls werden ja oftmals in der Praxis
die Erbscheinsantragsberechtigten vom Gericht an
den Notar und umgekehrt verwiesen.
Mit der Öffnungsklausel für die Länder, hier eine
eindeutige Zuweisung an die Notare zu ermöglichen,
schaffen wir daher Klarheit in der Zuständigkeit und
durch das „Vier-Augen-Prinzip“ mehr Richtigkeitsgewähr für den Bürger.
Wie wir auch aus der Anhörung erfahren haben,
können die Notare zudem bei komplizierten Erbrechtskonstellationen - für den Bürger gebührenfrei - auf
das Deutsche Notarinstitut zugreifen, die schnell und
unbürokratisch qualifizierte Gutachten erstellen.
Kosten, die den Nachlassgerichten entstehen, falls
diese ebenfalls eine gutachterliche Klärung einholen
müssen, gehen jedoch zulasten der Antragsteller.
Ich sehe daher für den Bürger eine Vielzahl von Vorteilen, die eine solche Aufgabenübertragung rechtfertigen, ja sogar empfehlen.
Mit der Öffnungsklausel reagieren wir auf die unterschiedliche Notariatsstrukturen in den Ländern. Sie
sollen aufgrund der jeweiligen landesspezifischen Besonderheiten entscheiden können, ob und wann eine
Übertragung sinnvoll und geboten ist.
Schließlich führen wir eine bundeseinheitliche Regelung zur sogenannten isolierten Grundbucheinsicht
bei den Notaren ein. Damit schaffen wir eine serviceorientierte Möglichkeit für die Bürger, neben dem
Grundbuchamt auch beim Notar Auskunft aus dem
Grundbuch zu bekommen, ohne das ein Beurkundungsauftrag vorliegen muss. Dies ist sehr zu begrüßen, da auch hier der Justizservicegedanke voll zum
Ausdruck kommt.
Für Länder, die hier wieder aus landesspezifischen
Gründen Umsetzungsprobleme haben, schaffen wir die
Zu Protokoll gegebene Reden
Möglichkeit, ein solches Zusatzangebot für den Bürger
dann nicht anbieten zu müssen.
Mit den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen zu den Entwürfen des Bundesrates setzen wir
das Anliegen der Länder teilweise um. Insgesamt wird
mit der Übertragung dieser Aufgaben für die Justiz
durchaus auch zeitintensiver Publikumsverkehr verringert. Längere und flexible Öffnungszeiten in Notariaten ermöglichen zudem einen noch bürgerfreundlicheren Service.
Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und vor allem
in die Rechtspflege ist hoch und auch international
mehr als anerkannt. Unsere Justiz mit ihren Richtern
und Rechtspflegern leistet dazu einen entscheidenden
und nicht hoch genug anzuerkennenden Beitrag. Wir
wollen, dass dies so bleibt.
Mit unseren Vorschlägen zur Aufgabenverlagerung
wollen wir einen wirkungsvollen Beitrag zur Entlastung der Justiz und einen weiteren Beitrag für eine serviceorientierte Justiz leisten.
Ich werbe um Ihre Zustimmung.
Der Bundesrat wollte mit seinen inzwischen über
drei Jahre alten Gesetzentwürfen erreichen, dass die
Länder Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit
- insbesondere die Aufgaben der Nachlassgerichte in
erster Instanz - vollständig auf die Notare verlagern
dürfen. Auch die Koalition hatte sich dies in ihrem
Koalitionsvertrag vorgenommen. Zu diesem Zweck
sollten zunächst das Grundgesetz, darauf aufbauend
dann das Gerichtsverfassungsgesetz, das Gesetz über
das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und weitere
Gesetze geändert werden. Es hat sich aber sowohl in
der ersten Lesung als auch in der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses und im Berichterstattergespräch gezeigt: Für eine solche Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Zu Recht gibt es
dafür keine Mehrheit. Denn das Nachlassgericht muss
zum Beispiel für die Erteilung von Erbscheinen, aber
auch in Verfahren, die die Testamentsvollstreckung
oder die Nachlassverwaltung betreffen, teilweise streitige Verfahren durchführen. Die Übertragung solcher
streitiger Verfahren auf freiberufliche Notare ist systematisch verfehlt und entspricht nicht den berechtigten
Erwartungen des Rechtsverkehrs. Notare haben kein
entsprechendes Verfahrensrecht; sie verhandeln nichtöffentlich und entscheiden nicht transparent. Eine
Grundgesetzänderung lehnen wir deshalb ab.
Wir hatten aber für die SPD-Fraktion schon in der
ersten Lesung signalisiert, dass wir uns durchaus vorstellen können, den Notaren verstärkt präventive,
streitvermeidende Verfahrensabschnitte zu übertragen
oder aber dies den Ländern freizustellen.
Wir freuen uns, dass wir uns mit der Koalition auf
eine solche vernünftige Linie verständigen konnten.
Auf die wichtigsten Änderungen will ich kurz eingehen:
Mit dem neuen Art. 239 des Einführungsgesetzes
zum Bürgerlichen Gesetzbuch schaffen wir eine Länderöffnungsklausel. Die Länder können danach den Notaren die alleinige Zuständigkeit für die Aufnahme von
Erbscheinsanträgen übertragen. Falls die Länder diesen Weg wählen, müssen diejenigen, die einen Erbschein beantragen wollen, zunächst zum Notar gehen,
der einen notariell beurkundeten Erbscheinsantrag für
das Nachlassgericht vorbereitet. Das ist ein gangbarer
Weg. Damit kann das Erbscheinserteilungsverfahren
sachkundig und möglicherweise streitvermeidend vorbereitet werden. Falls es aber vor Gericht zu einem
streitigen Verfahren kommt, ist der Sachverhalt hierfür
schon vorgeklärt.
Sinnvoll ist auch, dass für bestimmte Teilungssachen künftig die Notare anstelle der Amtsgerichte
zuständig sind. Die Neuregelung betrifft den Fall, dass
Eheleute statt der gesetzlichen Zugewinngemeinschaft
den Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbaren.
Stirbt ein Ehepartner, muss das Gesamtgut für die Erben aufgeteilt werden. Bei mehreren Erben hatte bisher das Gericht auf Antrag die Auseinandersetzung
des Nachlasses zwischen den Beteiligten zu vermitteln;
künftig ist hierfür der Notar zuständig. Er soll einen
Auseinandersetzungsplan fertigen, auf den sich möglichst alle Beteiligten verständigen können und der
deshalb bestätigt werden kann. Falls dies nicht gelingt, müssen diejenigen, die mehr wollen, die andere
Seite auf Zustimmung zu einem anderen Auseinandersetzungsplan verklagen. Wir halten dies für eine
günstige Aufteilung der Zuständigkeiten. Der Notar
übernimmt den Versuch, zu einer Verständigung zu gelangen. Gelingt dies nicht, entscheidet das Gericht.
Das Gericht kann dann auf der Grundlage eines aufbereiteten Sachverhalts ohne Vorbefassung unvoreingenommen entscheiden.
Insgesamt geben wir den Ländern mit dem vorliegenden Gesetz die Möglichkeit, ihre Justiz im Erbscheinantragsverfahren zu entlasten, und nutzen auch
im Übrigen die Fachkunde, das Ansehen und das Vermittlungspotenzial der Notare. Die streitige Entscheidung bleibt aber bei den Gerichten.
Mit dem Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im
Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare,
das wir heute verabschieden, setzen wir ein zentrales
Anliegen der Justizpolitik aus dem Koalitionsvertrag
um. Die Übertragung von Aufgaben im Bereich der
freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare ist für die
christlich-liberale Koalition ein wichtiges Instrument,
um die Justiz effizienter und bürgernäher zu gestalten.
Das deutsche Justizsystem arbeitet effizient und
kostengünstig. Dies liegt nicht zuletzt an der guten
Aufgabenverteilung innerhalb der Justiz. Die Arbeitsteilung von Gerichten und Notaren in Deutschland
trägt einiges dazu bei.
Zu Protokoll gegebene Reden
Bereits in der ersten Lesung zu den Gesetzentwürfen
habe ich deutlich gemacht, dass die Vorstellungen des
Bundesrates zur Übertragung sämtlicher Tätigkeiten
des Nachlassgerichts erster Instanz auf die Notare, die
mit einer Änderung des Grundgesetzes verbunden waren, für meine Fraktion kein gangbarer Weg sind. Wir
haben aber die Ideen aus dem Gesetzentwurf aufgenommen und sind nach der Anhörung und den ausführlichen Beratungen zu einem - wie ich meine - sehr
guten Ergebnis gekommen. Lassen Sie mich zwei der
zu beschließenden Änderungen exemplarisch herausgreifen.
Die Bundesländer haben künftig die Möglichkeit,
das Erbscheinsantragsverfahren vollständig auf die
Notare zu übertragen. Diese Möglichkeit kann in der
Praxis viele Erleichterungen bringen. So stellt der örtlich ansässige Notar einen bürgernahen und unbürokratischen Ansprechpartner für die Bevölkerung dar.
Das macht insbesondere in ländlichen Regionen weite
Anfahrtswege zum nächsten zuständigen Amtsgericht
in Erbscheinsantragssachen überflüssig. Auch kann
der Notar aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit
bei Fragen des Erbscheinsantrags auf mögliche Probleme und Besonderheiten im Einzelfall hinweisen. Er
ist ein kompetenter und vertrauenswürdiger Ansprechpartner. Die Amtsgerichte, die von den Sparzwängen
der Länder nicht verschont bleiben, werden durch die
Entlastung effizienter und schneller die verbleibenden
Aufgaben wahrnehmen können.
Natürlich haben wir auch diskutiert, ob für dieses
Verfahren eine einheitliche bundesrechtliche Lösung
wünschenswert wäre. Die jetzt im Gesetz vorgesehene
Länderöffnungsklausel soll den länderspezifischen
Besonderheiten Rechnung tragen; die Bundesländer
erhalten die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, ob und
wann sie diese Aufgabenübertragung einführen wollen. Ich wünsche mir, dass viele Bundesländer diese
Möglichkeit nutzen.
Mit der neuen Regelung des § 133 a Grundbuchordnung wird eine heute schon geübte Praxis auf eine
rechtlich sichere Grundlage gestellt. §133 a Grundbuchordnung regelt nunmehr einheitlich die Erteilung
von Grundbuchabdrucken durch Notare. Sie dürfen
demjenigen, der ein berechtigtes Interesse im Sinne
des § 12 GBO nachweist, Mitteilung aus dem Grundbuch machen und auch einen Grundbuchabdruck erteilen. Damit ist klargestellt, dass auch eine isolierte
Grundbuchmitteilung und ein isolierter Grundbuchabdruck erteilt werden können. Dies wurde zwar in der
Vergangenheit bereits vielfach so gehandhabt, was
zeigt, dass es ein Bedürfnis für diese bürgerfreundliche
Alternative gibt, war jedoch nicht ausdrücklich geregelt.
Da Notare Träger eines öffentlichen Amtes und Teil
der vorsorgenden Rechtspflege sind, ist es folgerichtig,
ihnen weitere staatliche Aufgaben zu übertragen. Sie
wirken als unabhängige und unparteiische Betreuer
der von ihnen beauftragten Parteien bei deren Willensbildung mit. Hierzu sind sie aufgrund ihrer juristischen Ausbildung, der erlangten Befähigung zum
Richteramt und ihrer Erfahrung qualifiziert. Die strengen Auswahlkriterien, denen Notare unterworfen sind,
stellen eine fachgerechte Arbeitsweise sicher.
Die Erweiterung der notariellen Aufgaben in
Deutschland bedeutet auch eine Stärkung der institutionellen Bedeutung der Notare. Damit stellen wir klar,
dass wir nicht den europarechtlichen Tendenzen
folgen, die den Notar - wie teilweise in anderen europäischen Mitgliedstaaten üblich - auf die Rolle eines
reinen Beurkunders beschränken wollen. Diese
Tendenz sorgt bei den deutschen Notaren verständlicherweise für Verunsicherung. Mit der Übertragung
weiterer staatlichen Aufgaben aus dem Bereich der
freiwilligen Gerichtsbarkeit stärken wir die hoheitliche Tätigkeit der Notare in Deutschland.
Die Aufgabenübertragung auf Notare bringt durch
kürzere Wege und mehr ortsnahe Ansprechpartner
Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger, entlastet die
Gerichte und stärkt die Stellung der Notare. Diese
Chance sollten wir nutzen, um den hohen Qualitätsstandard der deutschen Justiz zu erhalten.
Wir haben uns nach der ersten Befassung mit diesem Gesetzentwurf lange und intensiv mit den Forderungen auseinandergesetzt. Es fand eine öffentliche
Anhörung statt. Die zuständigen Berichterstatter und
Berichterstatterinnen haben mehrfach zusammengesessen. Da der ursprüngliche Gesetzentwurf des Bundesrates durch die mittlerweile stattgefundene Einführung des zentralen Testamentsregisters in Teilen
überholt war, unterbreitete das Bundesjustizministerium einen Änderungsvorschlag. Der Rechtsausschuss
lehnt die vom Bundesrat vorgesehene Grundgesetzänderung ab, stimmt aber den einfachgesetzlichen Änderungen nach Modifikation durch die Regierungskoalition zu. Die Koalition hat nun offensichtlich
erkannt, dass es so nicht geht. Sie versucht, mit ihrem
Änderungsvorschlag zu retten, was nicht zu retten ist.
Damit stellt sich Schwarz-Gelb ein Armutszeugnis aus.
Nach meiner Ansicht ist die gesamte Initiative entbehrlich. Die Beweggründe sind nicht unterstützenswert.
Es geht nicht darum, die Justiz bürgerfreundlicher und
effektiver zu machen. Im Gegenteil: Einige Bundesländer wollen mit diesem Gesetzentwurf auf dem Rücken
der Bürgerinnen und Bürger ihre Justizverwaltung
verschlanken. Eine Reihe von Aufgaben, die bisher von
den Gerichten erfüllt werden, soll zukünftig ohne Not
auf die Notare verlagert werden. Die Länder wollen
auf diese Weise Sach- und Personalkosten einsparen.
Das lehnen wir ab.
Leider ist das nicht die einzige Initiative in diese
Richtung. Im Laufe der Legislatur sind regierungsseitig mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt worden, die
nur ein Ziel hatten: Kosteneinsparung in der Justiz
und Absenkung von Standards; ganz aktuell sind Kürzungen bei Beratungs- und Prozesskostenhilfe geplant.
Dabei muss doch langsam die Einsicht wachsen, dass
Zu Protokoll gegebene Reden
die Justiz nicht die Sparbüchse des Finanzministers ist
und die Kosten nicht weiter dem rechtsuchenden Bürger aufgedrückt werden können. Wir haben derzeit
eine an sich funktionierende Rechtspflege, die aber
sachlich und personell bereits am Limit arbeitet und
auszubluten droht. Weitere Einsparungen sind da nicht
drin. Vielmehr benötigt die Justiz eine bessere Ausstattung, um den Standard weiter halten zu können.
Das ganze Vorhaben hat nebenbei auch Züge eines
Schildbürgerstreichs: Die Kostendeckung der Nachlassgerichte, deren Aufgaben nach dem Willen des
Bundesrates auf die Notare übergehen sollen, liegt bei
weit über 100 Prozent. Damit wäre der Einnahmeverlust für die Justiz bei der Aufgabenübertragung höher
als eine denkbare Einsparung im Personal- und Sachkostenbereich. Welche Ideologie steckt hinter diesem
Plan? Wollen die Bundesländer ernsthaft eine der wenigen Einnahmequellen der Justiz privatisieren?
Offensichtlich ja; denn sie versprechen sich höhere
Steuereinnahmen durch höhere Gewinne bei den Notaren. Das wäre ein Geschäft zulasten Dritter, nämlich
der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger, die am
Ende die Zeche zahlen sollen. Das ist mit der Linksfraktion nicht zu machen.
Durch Aufgabenreduzierung könnten sich zudem
neue Argumente für die Diskussion um die Schließung
von Gerichtsstandorten ergeben. Da müssten eigentlich die Justizminister - also die in der Exekutive verankerten Sachwalter der dritten Gewalt - dagegenhalten.
Glücklicherweise ist wenigstens die Gesamtforderung des Bundesrates vom Tisch. Die Regierungskoalition hat sich für eine „Kleine Lösung“ entschieden:
Dass die einzelnen Landesregierungen ermächtigt
werden sollen, durch Rechtsverordnungen zu bestimmen,
ob entweder die Notare oder die Gerichte Abdrucke
von Grundbuchblättern herausgeben dürfen, wird
zwangsläufig zu einem strukturellen Flickenteppich
und Unsicherheiten bei den Bürgerinnen und Bürgern
führen. Da zeigt sich der Föderalismus von seiner negativen Seite. Zudem fallen beim Notar für den Bürger
neben den anderen Kosten zusätzlich 19 Prozent
Mehrwertsteuer an. Es wird also wieder einmal teurer
für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist nach Meinung
der CDU/CSU-Fraktion nicht so sehr relevant, da ja
die Vorteile für den Bürger wie Qualitätserhöhung
durch „Vieraugenprinzip“, Entlastung der Justiz oder
aber auch die bessere Erreichbarkeit der Notare gegenüber den Gerichten gerade in ländlichen Regionen
überwiegen.
Nehmen wir doch einfach den kleinen Amtsgerichten sukzessive die Aufgaben weg, dann haben wir später bessere Argumente für Schließungen und Zusammenlegungen. Das ist meines Erachtens nicht der
richtige Weg zu einer modernen und bürgerfreundlichen Justiz. Darüber hinaus soll das nicht kostendeckende Beschwerdeverfahren sowie das kostenfreie
Erinnerungsverfahren bei den Amtsgerichten belassen
werden, während die lukrativen Teile des Nachlassverfahrens auf die Notare übertragen werden sollen. Ein
Schildbürgerstreich!
Die Bürgerinnen und Bürger haben einen in der
Verfassung verankerten Justizgewährungsanspruch.
Eine weitere Aushöhlung, ob durch Privatisierungen
oder Zugangserschwerungen, werden wir nicht akzeptieren. Die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Justiz
darf durch derartige Maßnahmen nicht gefährdet werden. Leider müssen wir feststellen, dass sich die zahlreichen Gespräche, die öffentliche Anhörung und auch
die Änderungsvorschläge aus dem Bundesjustizministerium als untaugliche Versuche erwiesen haben, den
Gesetzesvorschlag wenigstens halbwegs in die richtige
Bahn zu lenken. Deshalb wird die Linke den Entwurf
ablehnen. Ich fordere Sie auf, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, dies auch zu tun!
Heute haben wir hier im Bundestag wieder einmal
ein Thema auf der Tagesordnung, mit dem die Koalition ihre Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag
durchbricht. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag:
„Als Beitrag zur Effizienzsteigerung und Entlastung
der Justiz werden wir eine Übertragung der Aufgaben
der Nachlassgerichte erster Instanz auf die Notare
durch die Länder ermöglichen.“
Die Koalition scheint im Verlaufe des Verfahrens
eingesehen zu haben, dass dies keine gute Idee war
und der Justiz mehr schaden als nützen würde. So ist
ein Riesenprojekt auf ein Zwergenprojekt zusammengeschrumpft. Und das ist gut so.
Wir Grünen begrüßen, dass die Koalition die Vorschläge des Bundrates mit ihrem Änderungsantrag
eingeschränkt hat. Dennoch können wir auch diese
Version der Aufgabenübertragung auf Notare nicht unterstützen. Vor fast einem Jahr haben wir hier im Bundestag die Gesetzentwürfe des Bundesrates zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen
Gerichtsbarkeit auf Notare zum ersten Mal debattiert.
Es geht bei den Vorschlägen des Bundesrats um weitreichende Änderungen, die sogar eine Grundgesetzänderung erfordert hätten. Der Bundesrat wollte sämtliche Nachlasssachen, die sich in der ersten Instanz
befinden, auf Notare übertragen. Das heißt, für alle
rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit Testament, Vermächtnis oder Erbe sollten nur noch Notare
zuständig sein, nicht mehr die Gerichte.
Notarinnen und Notare erfüllen bereits jetzt einzelne öffentliche Aufgaben und sind eine unverzichtbare Unterstützung für die Justiz. Justiz ist aber eine
hoheitliche Aufgabe. Im Grundgesetz ist der sogenannte Funktionsvorbehalt statuiert: Die Ausübung
hoheitsrechtlicher Befugnisse ist in der Regel nur Angehörigen des öffentlichen Dienstes, also Beamten, erlaubt. Hier sollten wir nicht weiter eingreifen. Je mehr
hoheitliche Aufgaben wir auf die privat tätige Notarschaft übertragen, desto mehr befeuern wir BestrebunZu Protokoll gegebene Reden
gen, Justiz immer weiter zu privatisieren. Justiz aber
ist Staatsaufgabe.
Im Laufe des Verfahrens im Bundestag haben wir
stichhaltige Argumente gegen eine Übertragung aller
Nachlasssachen auf Notare diskutiert. Diese haben
glücklicherweise auch bei der Regierungskoalition
Gehör gefunden. Wir haben heute umfangreiche Änderungsanträge zum Gesetzentwurf auf dem Tisch.
Aber was will die Koalition mit ihren Änderungsvorschlägen erreichen? Einige wenige Aufgaben sollen nun auf Notarinnen und Notare übertragen werden. Es handelt sich zum Beispiel um die Erstellung
von notariellen Vollmachtsbescheinigungen als Eintragungsgrundlage im Grundbuch oder die Entscheidung über die Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen notarieller Urkunden. In Kurzform: Es
werden große Worte geschwungen. Diese sind aber
weder von besonderer praktischer Relevanz noch bringen sie Einsparungen für die Justiz. Bezüglich der Erteilung von Abdrucken aus dem Grundbuch hat die
Bundesregierung sogar selbst noch in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates angeführt,
dass sie kein Erfordernis sieht, diese Aufgabe auf die
Notare zu übertragen. Dieses Gesetz, über das wir
heute abstimmen, bietet keinerlei Mehrwert - weder
für die Bürgerinnen und Bürger noch für die Justiz.
Ein richtiges Problem sehen wir Grüne aber vor allem in der Neuregelung, dass von nun an ausschließlich die Notarinnen und Notare für die Aufnahme von
Erbscheinsanträgen zuständig sein sollen. Bisher kann
ein Erbe oder eine Erbin den Erbschein entweder beim
Nachlassgericht oder beim Notar beantragen. An den
Notar wenden sich zurzeit aber nur etwa 10 bis 20 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Wer sich an das
Nachlassgericht wendet, hat den Vorteil, dass er oder
sie keine Mehrwertsteuer zahlen muss. Der Antrag ist
also um 19 Prozent günstiger als beim Notar. Außerdem kann das Verfahren beim Amtsgericht deutlich
schneller sein: Ich muss beim Nachlassgericht keinen
Termin vereinbaren wie beim Notariat, und ich muss
keine Postübermittlung abwarten.
Die Bundesregierung erklärt, der Vorteil dieser Regelung für die Justiz bestehe darin, dass die Nachlassgerichte von der Aufgabe der Zurverfügungstellung
von Formblättern entlastet werden. Ich überlasse es
Ihnen, die Überzeugungskraft dieses Argumentes zu
beurteilen.
Darüber hinaus ist die Neuregelung als Länderöffnungsklausel formuliert. Das heißt, jedes einzelne
Bundesland kann selbst darüber entscheiden, ob die
Notare allein für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen zuständig sein sollen oder ob es bei der gegenwärtigen Rechtslage bleiben will. Das sorgt für Rechtszersplitterung und unter Umständen für Verwirrungen bei
Erbinnen und Erben. Das macht folgendes Beispiel
deutlich: Ich wohne in Berlin. Mein Onkel in Brandenburg stirbt. Hat das Land Berlin von der Öffnungsklausel keinen Gebrauch gemacht, könnte ich mich in
Berlin weiterhin an das Nachlassgericht wenden, um
meinen Erbschein zu beantragen. Da mein Onkel aber
in Brandenburg seinen letzten Wohnsitz hatte, muss ich
jetzt wissen, ob auch Brandenburg keinen Gebrauch
von der Öffnungsklausel gemacht hat oder ob ich dort
jetzt vielleicht ausschließlich notariell beurkundete
Erbscheinsanträge einreichen kann.
Das ist eine Verkomplizierung des Rechtssystems.
Bürgerfreundliche Rechtspolitik, so wie wir Grünen
sie verstehen, sieht anders aus. Sie erschwert nicht den
Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht, sondern erleichtert ihn.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13136, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 17/1468 abzulehnen. Wer
möchte dem Gesetzentwurf zustimmen und das mit einem Handzeichen dokumentieren? - Wer stimmt dagegen? - Wer will sich enthalten? - Der Gesetzentwurf
wurde in zweiter Beratung einstimmig abgelehnt.
Damit entfällt nach der Geschäftsordnung eine weitere Beratung.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13136, den
Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1469
in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf
wurde angenommen bei Zustimmung durch SPD und
Koalitionsfraktionen. Linke und Grüne waren dagegen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich freue mich, wenn Sie aufstehen, wenn Sie dafür sind. - Die Gegenstimmen? - Die
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie vorher.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 10:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck
({1}), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Konsequente Umsetzung des Public Corporate
Governance Kodex
- Drucksachen 17/9984, 17/12740 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Matthias Heider
Die Reden wurden zu Protokoll genommen.1)
1) Anlage 21
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12740, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9984 abzulehnen. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen.
Die Oppositionsfraktionen waren alle dagegen.
Tagesordnungspunkt 35:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern
- Drucksache 17/13022 Die Reden wurden zu Protokoll genommen.
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der beiden EU-Richtlinien bezüglich der Rechtsstellung von international Schutzbedürftigen und der
sogenannten Rahmenrichtlinie zur Einführung eines
kombinierten Aufenthaltstitels für Arbeitserlaubnisse
zum Zweck der Erwerbstätigkeit und zur verfahrensrechtlichen Bündelung von Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen.
Die Umsetzung bedeutet, dass den Rechten subsidiär Schutzberechtigter im Sinne der EU-Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen werden muss und Änderungen im Aufenthaltsgesetz vorgenommen werden
müssen. Mit jener Umsetzung können die betroffenen
Flüchtlinge künftig nach fünfjährigem und rechtmäßigem Aufenthalt ebenso wie andere Drittstaatenangehörige eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt in der EU
erhalten.
Dabei handelt es sich um einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Dieser ist vergleichbar mit der deutschen
Niederlassungserlaubnis, geht jedoch darüber hinaus.
Er berechtigt nämlich seine Inhaber des Weiteren, in
einen anderen Mitgliedstaat weiterzuwandern und sich
dort auch niederzulassen. Dies stellt eine deutliche
Verbesserung der Rechte und Möglichkeiten von subsidiär Schutzberechtigen dar, die bislang von diesem
Daueraufenthaltsrecht ausgeschlossen waren.
Die ebenfalls umzusetzende europäische Rahmenrichtlinie für Arbeitnehmerrechte sieht erstens die Einführung eines kombinierten Arbeitstitels für Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit vor,
der sogenannten kombinierten Erlaubnis. Zweitens
fordert sie die verfahrensrechtliche Zusammenlegung
der Bestimmungen der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, also im Sinne des „one stop governments“.
Sie regelt auf diesem Wege im Übrigen bestimmte
Gleichbehandlungsrechte, insbesondere im Rentenund Sozialrecht.
Zudem beinhaltet die Richtlinienumsetzung den
Punkt, dass die Inanspruchnahme von Leistungen für
Bildung und Teilhabe im Sinne des Bildungspakets
keine für die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung schädliche Inanspruchnahme
öffentlicher Mittel darstellt. Es wird ferner klargestellt, dass die Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an
einem Schüleraustausch nicht nur in Ausnahmefällen
gewährt werden kann.
Umsetzungsbedarf auf deutscher Seite besteht vor
allem im Rentenrecht, da die Anforderungen des kombinierten Arbeitstitels und der verfahrensrechtlichen
Bündelung in Deutschland bereits 2005 eingeführt
wurden.
Das Gesetzgebungsverfahren soll ferner dazu genutzt werden, einige weitere Anpassungen im Aufenthaltsrecht vorzunehmen, die nicht im Zusammenhang
mit der Richtlinienumsetzung stehen.
So sollen im Vorgriff auf die geplante Änderung der
Beschäftigungsverordnung und der Beschäftigungsverfahrensverordnung die Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs für ausländische Familienangehörige aufgehoben werden. Nach geltendem Recht ist der
Arbeitsmarktzugang beim Familiennachzug zu Ausländern innerhalb der ersten beiden Jahre grundsätzlich
akzessorisch zum Arbeitsmarktzugang des Stammberechtigten. Das bedeutet, dass auch der Familienangehörige einer Vorrangprüfung unterliegt, wenn dies bereits für den Stammberechtigten gilt. Aufgrund
zahlreicher Ausnahmeregelungen gilt diese Maßnahme jedoch praktisch nur noch für Familienangehörige von Fachkräften ohne Hochschulabschluss. Gerade bei dieser Personengruppe hängt der Entschluss,
nach Deutschland zu kommen, häufig jedoch davon
ab, dass auch der Ehepartner in Deutschland leben
und arbeiten darf. Die Aufhebung dieser Beschränkungen kann somit also einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser Land für ausländische qualifizierte Fachkräfte attraktiver zu machen.
Die vorgeschlagenen Änderungen vom Bundesrat
betreffen nicht die Richtlinienumsetzung, sondern viel
eher einige technische und klarstellende Anpassungen
im Aufenthaltsrecht. Diesen Änderungen ist überwiegend zuzustimmen. Dies gilt beispielsweise für die vorgeschlagene Erweiterung der Regelung zur Erteilung
eines Visums zur Arbeitsplatzsuche. Künftig sollen
auch qualifizierte Fachkräfte, die sich bereits in
Deutschland aufhalten, einen gültigen Arbeitstitel zur
Arbeitsplatzsuche einen bis sechs Monate lang aufrechterhalten können, wenn ihr ursprüngliches Beschäftigungsverhältnis endet und sie nicht sofort eine
Anschlussbeschäftigung finden.
Die steigenden Haushaltsausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung belaufen sich auf jährlich
7 Millionen Euro und sind damit absolut im Rahmen
des Möglichen. Hinzu kommen hinsichtlich des Erfüllungsaufwands einmalig weitere 400 000 Euro für die
Neuaufstellung der Bestandsrenten. Die Mehrkosten
des Erfüllungsaufwands bei den entsprechenden Ausländerbehörden und beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge halten sich mit etwa 22 Euro pro Fall
ebenfalls in Grenzen. Letztendlich bleiben noch einmalig 140 000 Euro Mehrkosten für die hinzuzufügenden
Speichersachverhalte im Ausländerzentralregister.
Um die Richtlinienvorgaben fristgerecht umzusetzen, muss der Gesetzentwurf noch vor der diesjährigen
Sommerpause verabschiedet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Verbesserungen enthält. Die Situation der in diesem Land lebenden Schutzberechtigten wird nachhaltig
und deutlich verbessert, und wir steigern die Attraktivität für qualifizierte Arbeitskräfte, die so dringend für
die wirtschaftliche Entwicklung gebraucht werden.
Daher ist dem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.
Heute beraten wir in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte
von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Mit diesem Gesetzentwurf sollen zwei EU-Richtlinien umgesetzt werden:
Einmal beschäftigen wir uns mit der Umsetzung von
sinnvollen Ergänzungen der Daueraufenthaltsrichtlinie. Bislang regelt die Daueraufenthaltsrichtlinie den
Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die sich mehr
als fünf Jahre rechtmäßig in einem europäischen Mitgliedstaat aufhalten. Nunmehr soll ihr Anwendungsbereich auf Personen ausgeweitet werden, die internationalen Schutz genießen, also auf Flüchtlinge und
subsidiär Schutzberechtigte. Auch sie sollen nun nach
fünf Jahren legalem Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat ein europäisches Daueraufenthaltsrecht erhalten. Das ist gut und begrüßenswert.
Der zweite Aspekt betrifft eine Rahmenrichtlinie für
ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die das Wie in vielen wichtigen Verfahrensdetails behandelt. Mit der Richtlinie wird ein kombinierter Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit, „single
permit“, und eine verfahrensrechtliche Bündelung der
Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis,
„one stop government“, vorgelegt. Betroffene sollen
zukünftig also nur einen Ansprechpartner für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Hier gilt unser besonderes Augenmerk der Frage der Gleichbehandlung, insbesondere im Renten- und Sozialrecht.
Mir ist besonders daran gelegen, dass wir Klarheit
schaffen bei den Leistungen, die wir nicht zu den Sozialleistungen im Sinne des neuen § 2 Aufenthaltsgesetz zählen. Denn in § 2 definieren wir, der Bezug
welcher öffentlichen Leistungen der Erteilung eines
Aufenthaltstitels entgegensteht. Hier sollten nach unserer Ansicht keine öffentlichen Bezüge enthalten sein,
die nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes im engeren Sinne dienen. Ansonsten stünden sie der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen. Daher begrüße
ich die Klarstellung im Gesetzentwurf, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgenommen sind. Es ist vernünftig, dass bestimmte
Leistungen kein Hindernis beim Aufenthaltserwerb
darstellen. Dazu zählen beispielsweise das Kindergeld, der Kinderzuschlag, das Erziehungs- und Elterngeld sowie Leistungen nach der Ausbildungsförderung.
Auch der Bezug von Wohngeld darf dem Erwerb eines Aufenthaltstitels nicht im Wege stehen. Zu Recht
weisen schon jetzt die Diakonie, die Caritas und der
Paritätische Wohlfahrtsverband in ihren Stellungnahmen für die anstehende Anhörung darauf hin,
Wohngeld mit in den neuen § 2 Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Denn das Wohngeldgesetz dient nicht der
Sicherung des Lebensunterhaltes. Vielmehr definiert
§ 1 des Wohngeldgesetzes den Zweck wie folgt: „Das
Wohngeld dient der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens.“ Es wendet
sich damit an einkommensschwache Familien, ohne
dass ein Bezug von Sozialleistungen vorliegen muss.
Aus der Praxis wissen wir, dass gerade der Kinderzuschlag bei geringem Familieneinkommen häufig mit
Wohngeldleistungen kombiniert wird.
Daher werden wir, neben anderen Aspekten, der
Liste des neuen § 2 Aufenthaltsgesetz besondere Aufmerksamkeit bei der Anhörung der Sachverständigen
schenken.
Die laufende Wahlperiode mit der christlich-liberalen Koalition sind vier gute Jahre für die Ausländerund Integrationspolitik.
Wir verfolgen bei der Ausländerpolitik das Prinzip
Fördern und Fordern. Daran haben wir bereits die Änderungen der letzten Jahre gemessen: Wir haben dafür
gesorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen
Platz im Ausländerrecht erhält.
Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir erschließen
die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser
und stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern
gehört zusammen.
Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und
Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer
Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit
steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf
dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer
Gesellschaft weiterzuentwickeln. Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Perspektiven für Menschen,
die in unser Land gekommen sind.
Multikultiromantik oder Desintegration durch Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus
FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen
bestehende Defizite der Integrationspolitik an. Es gilt,
die Möglichkeiten der Zuwanderung für unser Land
besser zu nutzen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({0})
Mit unseren bisherigen Gesetzesinitiativen wurden
in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung
der Integration und zur humanitären Besserstellung
von Ausländern, die in Deutschland Hilfe und Schutz
suchen, ergriffen. Wir haben erstmals für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein
vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne
Koalition hatte das nicht zustande gebracht.
Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungssteuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als die SPD
in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbeteiligung:
Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch den Opfern
von Zwangsverheiratungen eine Perspektive mit einem
eigenständigen Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich zu befreien.
Dem dient auch die Verlängerung der Antragsfrist für
die Aufhebung der Ehe.
Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen,
ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können
die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Integrationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chancen für Menschen, die nach Deutschland kommen, in
Deutschland auch wirklich anzukommen und sich eine
Existenz aufzubauen.
Der Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, reiht
sich nahtlos in die verantwortungsvolle Politik der
schwarz-gelben Koalition ein. Durch den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte von international
Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern
werden wichtige Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Aber auch Änderungen außerhalb der Richtlinienumsetzung werden getroffen.
Angesichts unseres Konzepts der Fachkräftezuwanderung und entsprechend unserem liberalen Selbstverständnis begrüßen wir insbesondere die Änderung,
wonach die nachziehenden Familienangehörigen einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Es
ist wichtig für jeden Einzelnen, dass er oder sie die
Möglichkeit hat, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen und nicht künstlich vom Arbeitsmarkt ferngehalten
zu werden.
Daher stehen wir Liberale nach wie vor zu unserer
Forderung, dass Asylbewerber so schnell als möglich
arbeiten können sollen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in § 28 Aufenthaltsgesetz die Sprachanforderungen für die Erlangung der Niederlassungserlaubnis angehoben werden.
Bisher reicht es für einen ausländischen Ehegatten von
Deutschen, wenn er sich auf einfache Art in deutscher
Sprache verständigen kann. In Zukunft muss er über
ausreichend Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Besonders diese Regelung wird sehr heftig von
Kirchen und NGOs kritisiert: Sie sei diskriminierend.
Das Sprachniveau müsse eher abgesenkt als angehoben werden. Durch ein Daueraufenthaltsrecht würde
die Integration gefördert. Die Opposition wird sicherlich diese Bedenken aufgreifen und Alarm schlagen.
Ich meine, dass Abrüstung bei der Aufregung um
diese Neuregelung geboten ist. Für die FDP ist die
Kenntnis der deutschen Sprache zentrales Element der
Integration. Die Opposition tut immer so, als wäre es
vollkommen irrelevant, ob jemand Deutsch kann und
damit, wenn er oder sie hier lebt, ein selbstbestimmtes
Leben führen kann.
Wir sehen das anders: Es ist gerade Schutzpflicht
des Staates, dass jedes Individuum in die Lage versetzt
wird, ein eigenständiges Leben zu führen. Sprachkenntnisse sind dafür unerlässlich. Die Abhängigkeit
vom Ehegatten kann und darf nicht das Ziel von Integrationspolitik sein.
Problematisch könnte der Aspekt sein, dass im Endeffekt Deutsche im Verhältnis zu Deutschen diskriminiert werden: Wenn ein Deutscher von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, fällt sein
Ehegatte nicht mehr unter die Regelung. Wenn ein
Deutscher immer in Deutschland war, schon. Das ist
schwer erklärbar.
Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Inländerdiskriminierung ist in einem von Europarecht geprägten Alltag
normal. Es ist eine politische Abwägung, wie man damit umgeht. Das Thema wird auch sicherlich noch einmal in der Anhörung thematisiert werden.
Durch den Gesetzentwurf wird der Kindernachzug
erleichtert. Bisher war der Kindernachzug zu nur einem Elternteil ausschließlich bei alleinigem Sorgerecht möglich. Durch die Änderung wird der Nachzug
auch ermöglicht, wenn die Eltern ein gemeinsames
Sorgerecht haben in den Fällen, in denen der andere
Elternteil zustimmt. Das ist eine wesentliche Verbesserung.
Ausländerrecht ist eine Materie, die immer in enger
Abstimmung zwischen Bund und Ländern geregelt
werden muss. Deshalb möchte ich noch kurz auf die
Vorschläge der Länder eingehen:
Zunächst ein Hinweis an die rot-rot-grüne Empörungs-Community: Die Bundesländer haben nicht den
Vorschlag gemacht, § 28 Aufenthaltsgesetz so zu belassen, wie er war. Auch bei den rot-grünen Ländern
wird also die Notwendigkeit der Sprachkenntnisse für
die Integration gesehen.
Den Änderungsvorschlag in § 18 c Aufenthaltsgesetz halten wir für sinnvoll und erforderlich. Die
schwarz-gelbe Koalition hat die Fachkräftezuwanderung erleichtert: Mittlerweile kann jemand für sechs
Monate nach Deutschland kommen ohne konkretes Arbeitsplatzangebot, um eine Stelle zu suchen. Es wäre
widersinnig, wenn beispielsweise ein ausländischer
Forscher, der in Deutschland gearbeitet hat, erst ausreisen müsste, um dann wieder ein sechsmonatiges Visum zur Arbeitsplatzsuche zu erlangen. So verprellt
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({1})
man die klugen Köpfe - wir aber wollen sie in
Deutschland halten.
Der zweite Punkt, der aus meiner Sicht näher betrachtet werden muss, ist die Änderung in § 4 der Integrationskursverordnung: Der Bundesrat will, dass
durch die Anhebung auf B 1 den Ausländerbehörden
ermöglicht wird, Ausländer auch dann wegen besonderer Integrationsbedürftigkeit zur Teilnahme an einem Integrationskurz zu verpflichten, wenn zwar A 1,
aber nicht B 1 erreicht ist. Aus Sicht des Bundesrates
könnten die Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien so verbessert werden. Diesen Vorschlag sollten wir näher prüfen.
Auch können wir nicht umhin, zu sehen, dass sich
der Bundesrat auf einen Vorschlag zum Bleiberecht geeinigt hat. Wir Liberale begrüßen dies grundsätzlich.
So können endlich Gespräche auf einer Basis geführt
werden. Bisher wurde der Schwarze Peter in dieser
Frage oft hin und her geschoben. In den Einzelheiten
müsste man noch verhandeln; daher bin ich nicht sicher, ob es in dieser Wahlperiode noch gelingen kann.
Aber die Notwendigkeit für ein stichtagsunabhängiges
Bleiberecht sehen wir.
Der Gesetzentwurf bringt Verbesserungen für die
Betroffenen. Eventuell kann er noch weiter verbessert
werden; wir werden daher auch die Sachverständigenanhörung sorgfältig auswerten.
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert
tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in
Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven.
Wir fördern und fordern! So kommt Deutschland
- und alle, die hier leben wollen - voran. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Wir stellen die Weichen dafür!
Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf Änderungen an der sogenannten Daueraufenthaltsrichtlinie der EU umsetzen - Zeit wird es;
denn die Frist läuft in einem Monat ab. Wie in den einschlägigen EU-Richtlinien werden künftig Asylberechtigte, Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär Schutzberechtigte unter dem
Begriff „international Schutzberechtigte“ zusammengefasst. Diese international Schutzberechtigten sollen
entsprechend der geänderten Daueraufenthaltsrichtlinie künftig nicht mehr von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, nach fünf Jahren Aufenthalt den
Status einer „Erlaubnis Daueraufenthalt-EU“ erwerben zu können. Sperrig ist nicht nur der Titel, sperrig
sind auch die weiteren Voraussetzungen, die hierfür
erfüllt sein müssen, unter anderem in Bezug auf die
Lebensunterhaltssicherung. Immerhin, Flüchtlinge
werden hierbei nicht weiter diskriminiert, und das ist
grundsätzlich zu begrüßen. Dieser Aufenthaltstitel
ermöglicht es prinzipiell, in ein anderes EU-Land umzuziehen, wiederum nur unter weiteren Bedingungen.
Diese Möglichkeit ist zu begrüßen. Doch besser wäre
es natürlich, die Betroffenen könnten direkt nach einer
Anerkennung unter einfachen Bedingungen in ein EULand ihrer Wahl ziehen; aber die grundlegenden
Mängel des EU-Asylsystems, auch nach Beendigung
der sogenannten zweiten Phase, sollen hier nicht weiter ausgeführt werden.
Völlig unverständlich ist, weshalb die Bundesregierung die ebenfalls bis Ende des Jahres umzusetzenden
Änderungen der EU-Qualifikationsrichtlinie nicht
ebenfalls in diesem Gesetzentwurf vornimmt, sondern
dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es
wäre für die Behandlung hier im Plenum und im Ausschuss weitaus einfacher gewesen, die Umsetzung beider Richtlinien in einem Gesetz vorzunehmen.
Der Gesetzentwurf nimmt daneben noch Änderungen vor, die nichts mit der Richtlinienumsetzung zu tun
haben. Einzelne Änderungen sind zu begrüßen, etwa
beim unbeschränkten Arbeitsmarktzugang für nachgezogene Familienangehörige und Erleichterungen
beim Nachzug von Kindern, für die eine gemeinsame
Sorge mit dem im Herkunftsland verbleibenden Elternteil besteht. Gleichzeitig wird die Gelegenheit einer
EU-Richtlinienumsetzung aber wieder einmal genutzt,
um überflüssige und integrationsfeindliche Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz vorzunehmen.
Ich will hier drei Punkte besonders herausgreifen.
Erstens. Derzeit ist Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, in manchen Fällen auch
einer Aufenthaltserlaubnis, dass keine öffentlichen
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen werden. Das Aufenthaltsgesetz sieht
wiederum Ausnahmen vor - unter anderem Kindergeld, Elterngeld, BAföG -, die nun auf die Leistungen
nach dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgeweitet
werden sollen. Notwendig ist dagegen unserer Ansicht
nach, auf dieses soziale Selektionskriterium endlich
ganz zu verzichten. Zahlreiche Menschen, die mit einer
Kettenduldung viele Jahre in Deutschland leben, konnten wegen dieser Ausschlussklausel keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das Erfordernis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung verhindert in vielen
Fällen den Nachzug von Ehegatten und anderen Familienmitgliedern.
Der zweite Punkt betrifft eine geplante Verschlechterung beim Ehegattennachzug zu Deutschen. So
sollen die nachziehenden Ehegatten erst dann eine
Niederlassungserlaubnis erhalten, wenn sie über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. Bislang waren
einfache Sprachkenntnisse ausreichend. Schon mit der
letzten Änderung des Aufenthaltsgesetzes an dieser
Stelle wurde die Verpflichtung geschaffen, einen Integrationskurs erfolgreich abzuschließen; andernfalls
wird die Aufenthaltserlaubnis nur noch für jeweils ein
Jahr erteilt. Die nun geplante Änderung ist in dieser
Hinsicht also nicht nur entbehrlich, sie setzt die Verletzung des grundgesetzlich geschützten Rechts auf
Familienleben in verschärfter Form fort. Wir fordern,
die unsäglichen Hürden beim Familiennachzug endlich komplett wieder abzuschaffen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der dritte Punkt betrifft die neuen Befugnisse für
die Grenzbehörden, eine Einreise zu verweigern, wenn
ein Aufenthaltstitel durch Drohung oder Bestechung
erwirkt wurde oder durch unrichtige Angaben im
Visumverfahren erschlichen wurde. Es ist nicht ersichtlich, wie die Grenzbehörden die entsprechend
komplexen Sachverhalte, außer in ganz offensichtlichen Fallkonstellationen, angemessen prüfen können
sollen. Außerdem ist nach der vorgesehenen Fassung
theoretisch auch noch nach jahrelangem Aufenthalt
eine Abschiebung möglich, ohne dass Rechtsschutz erlangt werden kann. Die Konsequenzen für die Praxis
sind gar nicht abschätzbar. Eine Notwendigkeit für
diese neue Befugnis für die Grenzbehörden ist auch
aus der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich.
An diesen Punkten sehen wir also noch erheblichen
Änderungsbedarf im weiteren Gesetzgebungsverfahren. Auch die Anhörung des Innenausschusses am
kommenden Montag wird sicherlich weiteren Änderungsbedarf aufzeigen.
Die Bundesregierung hat uns einen Gesetzentwurf
zur Umsetzung zweier EU-Richtlinien vorgelegt. Mit
der einen Richtlinie sollen subsidiär geschützte Personen das Recht auf ein EU-Daueraufenthaltsrecht erhalten, von dem sie bislang ausgeschlossen waren. Die
andere Richtlinie, die weitestgehend schon in das deutsche Recht umgesetzt wurde, betrifft im Wesentlichen
die verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Verbesserungen für subsidiär geschützte Personen und andere
Drittstaatsangehörige. Diese wurden lange durch die
Bundesregierung bekämpft. Die meisten dieser Verbesserungen sind nunmehr europarechtlich zwingend. Die
Bundesregierung hat aber auch zahlreiche Verschlechterungen vorgenommen, die nichts mit den Richtlinien
zu tun haben, bzw. unterlässt es, sinnvolle Änderungsvorschläge des Bundesrates in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Diese neuen Restriktionen zeigen wieder
einmal, wie schwer sich die Bundesregierung damit
tut, die Rechte von ausländischen Bürgerinnen und
Bürgern zu erweitern. Auf einige dieser Punkte möchte
ich mich heute konzentrieren.
Den Vorschlag der Regierung, den Erwerb der Niederlassungserlaubnis für Ehegatten von Deutschen zu
erschweren, lehnen wir ab. Bisher müssen diese Ehegatten sich „auf einfache Art in deutscher Sprache
verständigen“ können. Dieses Erfordernis soll nun auf
„ausreichende Deutschkenntnisse“ angehoben werden. Natürlich ist es sinnvoll, wenn jemand gut deutsch
spricht. Aber die Begründung der Regierung trägt
nicht. Sie meint, mit der Änderung würde lediglich eine
Angleichung an andere Vorschriften im Aufenthaltsgesetz erfolgen. Aber ich frage Sie: eine Angleichung woran? Eine allgemeine Praxis existiert nicht. So wird
beispielsweise auch die Niederlassungserlaubnis für
Hochqualifizierte, Forscher und Personen mit einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz ohne ausreichende Deutschkenntnisse erteilt.
Darüber hinaus würde durch diese Regelung die sogenannte Inländerdiskriminierung gegenüber
Unionsbürgern noch vertieft; denn von deren Ehegatten werden keinerlei Deutschkenntnisse verlangt. Ohnehin wäre die Neuregelung wegen des assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbots nicht auf
türkische Ehegatten anwendbar.
Die Neuregelung zum Kindernachzug hat Licht und
Schatten. Zwar wird der Nachzug für Kinder von Elternteilen, die das Sorgerecht gemeinsam ausüben,
grundsätzlich erleichtert, auch wenn die Bundesregierung es hier bei einer „Sollvorschrift“ belässt. Im Gegenzug verschärft der Gesetzentwurf aber die Rechtslage ausgerechnet für anerkannte Flüchtlinge. Diese
müssen nunmehr entweder das alleinige Sorgerecht für
ihre nachziehenden Kinder oder die Zustimmung des
anderen Elternteils zum Nachzug nachweisen. Bisher
werden nur der Besitz der Aufenthaltserlaubnis sowie
ein Abstammungsnachweis verlangt. Es ist für viele
Flüchtlinge bereits heute schwierig, die geforderten
Abstammungsdokumente vorzulegen. Eine Erweiterung auf Unterlagen zur Personensorge bzw. das Einverständnis des anderen Elternteils würde in der Praxis zu unüberwindbaren Hürden führen. Diese
Verschlechterung erscheint auch im Hinblick auf
Art. 74 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen problematisch. Danach haben alle Signatarstaaten die Familienzusammenführung von kriegsbedingt getrennten Familien zu erleichtern. Wir schlagen
den entgegengesetzten Weg vor. In unserem Antrag
„Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten“,
Bundestagsdrucksache 17/12395, schlagen wir Verbesserungen für Kinder und ihre Familien vor.
Der Bundesrat hat eine Reihe von guten Empfehlungen beschlossen, die wir unterstützen, die aber von
der Bunderegierung abgelehnt werden. So will
der Bundesrat die Praxis eindämmen, dass die Familienzusammenführung von den Behörden mithilfe
übersteigerter Anforderungen bei der Lebensunterhaltssicherung verwehrt wird. Daher sollte auch das
Wohngeld in den Katalog der unschädlichen Leistungen für den Erwerb oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels aufgenommen werden. Denn das Wohngeld dient nicht der Lebensunterhaltssicherung,
sondern dem angemessenen und familiengerechten
Wohnen. Insoweit hat auch der Bundesrat eine Ergänzung empfohlen.
Aufgegriffen hat der Bundesrat auch eine notwendige Verbesserung für türkische Staatsangehörige.
Nach der vorgeschlagenen Regelung soll die deklaratorische Aufenthaltserlaubnis für assoziationsrechtsberechtigte Familienangehörige mindestens fünf Jahre
gültig sein und den Hinweis auf das Daueraufenthaltsrecht enthalten. Damit setzt der Bundesrat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um und
folgt unserem Gesetzentwurf zur Klarstellung des assoziationsrechtlichen Rechtsstatus „StaatsangehöriZu Protokoll gegebene Reden
ger der Türkei“ im Aufenthalts-, Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht; Bundestagsdrucksache
17/12193.
Diese Punkte werden wir in den Ausschüssen noch
eingehend diskutieren müssen.
Am Schluss möchte ich doch noch eine gelungene
Verbesserung erwähnen. In Zukunft sollen alle ausländischen Familienangehörigen einen unbeschränkten
Arbeitsmarktzugang erhalten. Das erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt und führt zur besseren Übersichtlichkeit des ansonsten undurchsichtigen Rechts.
Das begrüßen wir.
Zwischen den Fraktionen ist die Überweisung des
Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/13022 an die Ausschüsse vorgesehen, die in der Tagesordnung stehen. Damit sind Sie einverstanden? - Das ist also so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 33:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für technische Produkte
- Drucksache 17/13096 Die Reden wurden zu Protokoll genommen.
Wir diskutieren heute einen Antrag der Fraktion Die
Linke mit der Überschrift „Ressourcenschutz durch
langlebige Produkte mit geregelter Mindestnutzungsdauer“.
Dass unsere Ressourcen geschützt und so effizient
wie möglich genutzt werden sollen, stellt in diesem
Haus niemand infrage. Dass die Linke etwas staatlich
„regeln“ will, ist auch nicht neu. Doch worum geht
es?
Wir alle wissen: Die zunehmende Rohstoffgewinnung bei unzureichenden Umweltstandards kann weitreichende negative Umweltauswirkungen nach sich
ziehen und Ökosysteme schädigen. Daraus können soziale und wirtschaftliche Spannungen resultieren.
Fragen des Ressourcenschutzes sind deshalb eine
Frage der ökologischen und sozialen Verantwortung
gegenüber künftigen Generationen.
Die gesteigerte Nachfrage nach Rohstoffen wird
durch die wachsende Weltbevölkerung verstärkt. Eine
sichere und ausreichende Versorgung mit Rohstoffen
ist unabdingbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg unserer Unternehmen. In zahlreichen
Branchen wurden die Produktions- und Verbundprozesse bereits erheblich optimiert, wenngleich es in einigen Branchen weiter Effizienzpotenziale gibt. Wir
sind bei den Effizienztechnologien in vielen Bereichen
Weltmarktführer.
Fragen des Ressourcenschutzes und der Ressourceneffizienz sind daher vor allem eine Frage der Zukunftsfähigkeit des Industriestandorts Deutschlands. Diesen
wollen wir erhalten!
Die Bundesregierung hat im Jahr 2011 im Rahmen
der Rohstoffstrategie das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ({0}) verabschiedet. Die Maßnahmen des Programms sollen eine nachhaltige und
effiziente Nutzung von nichtenergetischen Rohstoffen
in Deutschland forcieren. Ziel ist es, die Effizienz der
Wirtschafts- und Produktionsweisen in Deutschland
weiter zu erhöhen und den Verbrauch von Ressourcen
weiter zu optimieren. Wir setzen als Regierungskoalition auf marktwirtschaftliche Mechanismen. Diese liegen im Anreiz von technologischen Innovationen, in
Ausbildung und Beratung, einer verbesserten Normung oder verstärktem Recycling. Hier setzen wir an!
All dies sind Maßnahmen von ProgRess.
Fragen des Ressourcenschutzes und der Ressourceneffizienz sind gleichzeitig Fragen, bei denen der gesamte Produktlebenszyklus betrachtet werden muss.
Wir wollen, dass Ressourcenpolitik als Bewertungsmaßstab den gesamten Produktlebenszyklus, von der
Rohstoffgewinnung über die weitere Verwendung und
Nutzung bis hin zu der Verwertung, in den Blick nimmt.
Nur dann kann eine Gesamtbewertung des ökologischen und ökonomischen Nutzens eines Produkts
vorgenommen werden und können Ökologie und Ökonomie miteinander in Einklang gebracht werden.
Ein Beispiel: Die PET-Mehrwegflasche kann im
Vergleich zu anderen Flaschen sowohl unter ökonomischen wie auch unter ökologischen Gesichtspunkten
eine sinnvolle Lösung sein. Obwohl sie in der Herstellung teurer ist, erweist sie sich über ihre gesamte Lebensdauer, einschließlich der Wiederverwendung und
Entsorgung - auch in ökologischer Hinsicht -, als
günstigste Alternative.
Die Berücksichtigung der Produktlebenszyklen für
mehr Ressourceneffizienz und die Betrachtung der gesamten Lebensdauer sind deshalb ein Gebot der
Stunde.
Was nun in letzter Zeit in den Fokus einiger kritischer Beiträge gerückt ist, ist die sogenannte geplante
Obsoleszenz. Danach würden die Lebenszyklen von
Produkten oder Teilen von Produkten absichtlich verkürzt, und Geräte und Produkte gingen direkt nach Ablauf der Garantie kaputt. Als Beispiele werden Drucker angeführt, die nach zwei Jahren vermeintlich den
Geist aufgeben, obwohl sie noch voll funktionsfähig
sind. Auch bei Glühbirnen wurde berichtet, dass deren
Lebenszeit durch einen schwächeren Draht auf 1 000
Stunden verkürzt worden sei, um die Nachfrage zu steigern. Reißverschlüsse, Jalousien, Autoteile, es gibt an
dieser Stelle mehrere Beispiele.
Dass ein solches Vorgehen nicht nur unter Ressourcenschutzgesichtspunkten, sondern auch unter verbraucherschutzpolitischen Gründen zu beanstanden
ist, leuchtet ein. Eine kürzere Lebensdauer bedeutet
mitunter mehr Ressourceneinsatz. Jedoch liegen
- auch der Stiftung Warentest - keine belastbaren Daten über ein solches Vorgehen von Herstellerseite aus
vor. Es geht hier also zunächst um mehr Transparenz.
Es gibt in Deutschland außerdem gesetzliche Garantiefristen, die von den Unternehmen eingehalten
werden müssen.
Doch was will die Linke? Sie fordert, den Herstellern gesetzlich vorzugeben, wie lange ein Produkt mindestens funktionieren muss. Die Linke will der Wirtschaft gesetzliche Regelungen über die „Feststellung
und Ausweisung einer Mindestnutzungsdauer ihrer
Produkte“ auferlegen. Sie will eine umfängliche Liste
mit Gebrauchsgütern und deren zugewiesener Mindestnutzungsdauer. Sie möchte technisch nicht begründbare Sollbruchstellen „verbieten“.
Abgesehen davon, dass mir schleierhaft ist, wie dies
in der Praxis funktionieren soll, ist der Vorschlag der
Linken staatlicher Dirigismus! Diese Vorschläge hemmen die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das wollen wir nicht.
Erstens. Wir setzen auf Wettbewerb. Auf der Angebotsseite haben wir bereits die richtigen Instrumente,
wenngleich wir diese weiter optimieren müssen. Auf
europäischer Ebene ist das die Ökodesign-Richtlinie
im Energiebereich. Deren Anwendung sollte auch auf
nichtenergetische Rohstoffe ausgeweitet werden. In
der Kommission laufen hier bereits Arbeiten, wie man
Ressourceneffizienzgesichtspunkte, worunter auch die
Langlebigkeit von Produkten fällt, im Ökodesignbereich stärker berücksichtigen könnte. Das ist der richtige Ansatz. Die beste Lösung soll sich durchsetzen.
Wie die Unternehmen dahin kommen, bleibt jedoch ihnen überlassen.
Zweitens. Die Verbraucherinnen und Verbraucher
können auf der Nachfrageseite dazu beitragen, dass
solche Fälle minimiert werden. Voraussetzung dafür
sind selbstverständlich verlässliche Informationen.
Drittens. Im Rahmen der Vorarbeiten zu ProgRess
wurde untersucht, wie man etwa das Profil des Blauen
Engels im Bereich der Ressourceneffizienz stärken
kann. Um dieses Label zu bekommen, müssen sich die
Produkte der Hersteller durch besondere Anforderungen - beispielsweise auch im Bereich der Langlebigkeit - auszeichnen. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, bekommt das Label nicht.
All dies sind Maßnahmen, die wir auch künftig weiter mit Leben füllen werden. Aus den aufgeführten
Gründen lehnen wir den Antrag der Linken daher ab.
Ressourcenschutz, Ressourceneffizienz ist, insbesondere für das rohstoffarme Deutschland, angesichts
steigender Rohstoffpreise für unsere Zukunftschancen
und die unserer Wirtschaft ein äußerst wichtiges
Thema.
Selbst die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben die Bedeutung von Ressourcenschutz und
-effizienz für die deutsche Wirtschaft erkannt. Letztes
Jahr wurde vonseiten der Bundesregierung ein Programm - ProgRess - verabschiedet. Leider werden,
wie in fast allen Bereichen, nur Ziele verkündet, aber
keine Maßnahmen ergriffen, wie diese Ziele erreicht
werden können. Schlimmer noch: Viele konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Ressourcenschutzes
werden von CDU/CSU, FDP und Bundesumwelt- bzw.
Bundeswirtschaftsministerium abgelehnt.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 26. Februar
dieses Jahres ein umfangreiches Positionspapier mit
vielen konkreten Forderungen für eine nachhaltige
Rohstoffsicherung vorgelegt. Gerade im Bereich der
Abfallwirtschaft sind viele Maßnahmen möglich, um
den Ressourcenschutz und die Ressourceneffizienz zu
verbessern. Nicht umsonst steht seit über 20 Jahren die
Abfallvermeidung sowohl im europäischen wie im
deutschen Abfallrecht an erster Stelle der Hierarchie.
Wie die Linken in ihrem heute vorliegenden Antrag zu
Recht bemerken, ist im Bereich Recycling viel erreicht
worden, bei der Abfallvermeidung jedoch wenig. Dies
wird von vielen kritisiert, zum Beispiel von Umweltverbänden, Parteien und beteiligten Wirtschaftskreisen.
Vorschläge, wie die Abfallvermeidung im Einzelnen
verbessert werden kann, gibt es eine ganze Reihe. Sobald es jedoch konkret wird, lehnt die schwarz-gelbe
Koalition alles ab.
Die Fraktion Die Linke hat den Antrag „Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für
technische Produkte“ vorgelegt, mit dem sie ein Problem aufgreift, das seit längerem die Gemüter bewegt
und öffentlich diskutiert wird: geplante Obsolenz. Gemeint ist damit, dass vonseiten der Hersteller Geräte
bewusst so produziert werden, dass sie nach bestimmter Zeit defekt sind. Häufig ist es dann auch so, dass
sich die Reparatur aus Kostengründen nicht lohnt oder
nicht mehr möglich ist. Ein weiteres Ärgernis in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Batterien, Akkumulatoren oder Ersatzteile so fest verbaut
werden, dass ein einfacher Austausch für die Verbraucher nicht möglich ist.
Mir ist bewusst, dass ein solches Vorgehen von Produzenten nur schwer nachweisbar ist. Ebenso ist mir
bewusst, dass bei Billigprodukten keine hohe Qualität
oder Langlebigkeit zu erwarten ist.
Trotzdem, es gibt dieses Problem; viele Bürger kennen es aus eigener Erfahrung. Computerdrucker, bei
denen der Neukauf billiger ist als der Austausch von
Druckerpatronen, Waschmaschinen, bei denen minderwertige Heizstäbe eingebaut werden, elektrische
Zahnbürsten, bei denen die Batterien nicht austauschbar sind. Dies sind nur einige Beispiele.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wie bereits erwähnt, ist dem einzelnen Hersteller
schwer nachzuweisen, dass bewusst bei der Produktion Sollbruchstellen eingebaut werden. Diesen äußerst schwierigen wissenschaftlichen Nachweis nimmt
die Bundesregierung zum Anlass, das Phänomen geplanter Obsolenz zu leugnen und für die Verbesserung
der Langlebigkeit und Wiederverwendung von Produkten nichts zu tun.
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Langlebigkeit von Produkten und damit auch den Ressourcenschutz, die Abfallvermeidung und den Verbraucherschutz zu verbessern.
In dem heute vorgelegten Antrag der Linken werden
einige Punkte aufgezählt, denen wir Sozialdemokraten
zustimmen können. Den leichten Austausch von Verschleiß- oder Verbrauchsteilen sowie die leichte Reparatur und Wartung möglichst durch die Nutzerin bzw.
den Nutzer sicherzustellen, gehört auch zu unseren
Forderungen. Darüber hinaus fordern wir seit längerem, das Gewährleistungsrecht zu verbessern.
Das geltende Gewährleistungsrecht bietet derzeit
keinen Anreiz, langlebige Produkte herzustellen, weil
bereits nach Ablauf der halbjährigen Beweislastumkehr durch den Verbraucher in der Regel kein Mangel
mehr nachgewiesen werden kann. Daher sollte - gegebenenfalls auf EU-Ebene - eine Reform der Beweislastumkehr und eine Verlängerung auf die gesamte Gewährleistungsfrist von zwei Jahren geprüft werden.
Darüber hinaus sollte die Gewährleistung zumindest
für bestimmte Produktgruppen wie Waschmaschinen,
Kühlschränke und Fernseher verlängert werden.
Maßnahmen zur Verbesserung der Verfügbarkeit
von Ersatzteilen sollten geprüft werden. Für den Fall,
dass Hersteller selbst keine Ersatzteile mehr anbieten,
sollte im Hinblick auf die Marktreife von sogenannten
3-D-Druckern auch über eine Pflicht zur Veröffentlichung von Bauplänen und Konstruktionszeichnungen
- gegebenenfalls gegen ein Entgelt - nachgedacht
werden, um die Nutzungsdauer von Geräten zu erhöhen.
Ebenso sollten Hersteller und Handel verpflichtet
werden, durch Produktangaben und Kennzeichnungen
den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen ressourceneffizienten Umgang zu ermöglichen.
Alle diese von uns geforderten Maßnahmen sind
umzusetzen. Die Koalitionsfraktionen, obwohl sie sich
angeblich so für den Ressourcenschutz einsetzen, lehnen jegliche Maßnahmen ab. Ich fordere Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP,
auf: Nehmen Sie die von verschiedensten Seiten vorgestellten Lösungsmöglichkeiten zum Anlass, konkret etwas für die Langlebigkeit von Produkten zu unternehmen! Wir sind gerne zu Gesprächen darüber bereit.
Allerdings bin ich bei dem Antrag der Fraktion der
Linken in einem Punkt sehr skeptisch. Ich glaube, dass
eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestnutzugsdauer
von Geräten weder sinnvoll noch umsetzbar ist. Die
Erstellung einer Liste mit einer einzelnen Produkten
konkret zugeordneten Mindestnutzungsdauer ist nicht
möglich.
Ich bin der Überzeugung, dass eine Verbesserung
des Gewährleistungsrechtes der bessere Weg ist.
Dass Elektronikgeräte nicht uneingeschränkt haltbar sein können, liegt in der Natur der Sache. Dass sie
aber schneller kaputtgehen, als es die Technik erfordert, freut niemanden.
Jeder kennt das Problem: Man kauft sich ein neues
Handy, ein Tablet, eine elektrische Zahnbürste, und
just nachdem die Garantie der Hersteller abgelaufen
ist, verringert sich die Laufzeit des Akkus drastisch
und macht einen Austausch erforderlich. Dieser ist
meist nicht nur sehr kostenintensiv, sondern aufgrund
der Art des Einbaus oft schlicht nicht möglich. Oder
Bauteile der technischen Geräte zeigen verfrühte Ermüdungserscheinungen, die sich nicht einfach beheben lassen und einen Neukauf zur wirtschaftlicheren
Alternative machen.
Einige Unternehmen verweisen darauf, dass sie
Produkte mit kürzeren Lebenszyklen kostensparender
herstellen können und damit weniger Rohstoffe verbrauchen. Dass es aber auch Hersteller gibt, die einen
problemlosen Austausch der verschleißträchtigsten
Bestandteile ermöglichen, zeigt, dass geringere Nutzungszeiten durch festeingebaute Akkumulatoren und
Sollbruchstellen eine bewusste wirtschaftliche Entscheidung sind.
In ihrem Antrag versucht die Linke eine Antwort auf
dieses Problem zu geben - leider, wie ich meine, nicht
durchdacht und wenig zielführend.
Sie fordern gesetzliche Vorgaben über die Mindestnutzungsdauer von Produkten. Produkte sollen möglichst langlebig gestaltet werden, um eine nachhaltige
Nutzung zu gewährleisten und damit dem Ressourcenverbrauch entgegenzuwirken. Dabei übersehen Sie
aber einige wesentliche Punkte:
Sehr langlebige Produkte sind in der Produktion
meist teurer und benötigen einen größeren Rohstoffeinsatz. Das heißt, je langlebiger die Produkte, desto höher wird auch ihr Preis sein. Vor allem Elektrogeräte
für den Haushalt, Unterhaltungselektronik oder auch
Autos sind schon heute nicht für jedermann bezahlbar.
Verteuert sich ihr Preis, verkleinert sich der Kreis der
Käufer. Ihr Vorschlag ist in dieser Hinsicht durch und
durch unsozial.
Nimmt man beispielsweise Mobiltelefone, zeigt sich,
dass nicht jede Generation das gleiche Bedürfnis hat:
Für die ältere Generation können eine einfache Bedienung sowie eine lange Haltbarkeit ausschlaggebend
sein. Die Jüngeren folgen lieber dem aktuellen Trend:
Ihr Handy soll den neuesten technischen Anforderungen entsprechen und ein modernes Design haben. Für
sie wäre ein Handy wie vor zehn Jahren, von der
Zu Protokoll gegebene Reden
Größe eines Haustelefons und mit einer Antenne, nicht
interessant.
Ein sehr langer Lebenszyklus von Produkten führt
außerdem zu einer gewissen Marktsättigung. Die Konsumenten fragen das Produkt weniger nach, da sie zu
Hause noch ein altes stehen haben, das läuft und läuft.
Neue und effizientere Herstellungs- und Funktionsweisen bleiben auf der Strecke. Vor allem im Bereich
Energieeffizienz wäre das eine Fehlentwicklung. Ein
15 Jahre alter Kühlschrank mit Eisfach verbraucht
etwa 600 kWh jährlich, ein moderner Kühlschrank der
Energieeffizienzklasse A+++ dagegen circa 157 kWh.
Das ist ein beträchtlicher Unterschied, der die Anschaffung eines neuen Kombigerätes zu einer kostensparenden Alternative werden lässt und ökologisch sogar wünschenswert sein könnte.
In einem Punkt teile ich die Meinung der Linken:
Wenn es um die leichtere Entnehmbarkeit von Akkumulatoren und Batterien geht, sehe auch ich Handlungsbedarf. Aus ökologischer Sicht sprechen wir uns dezidiert für eine Entnehmbarkeit von Akkumulatoren und
Batterien nicht nur bei der Demontage von Elektrogeräten, sondern auch während ihrer Nutzungsphase
aus.
Eine solche Regelung ist allerdings nur international, mindestens aber auf europäischer Ebene sinnvoll,
da sie Anforderungen an das Produktdesign, also das
Ökodesign, stellt. Hierfür steht seit 2005 die EG-Ökodesign-Richtlinie zur Verfügung. Die ÖkodesignRichtlinie schafft die Grundlagen für EU-weit verbindliche Durchführungsmaßnahmen zur Gestaltung
energieverbrauchsrelevanter Produkte. Da es bei
Elektrogeräten regelmäßig um Geräte geht, die auf
dem gesamten europäischen Binnenmarkt gekauft und
verkauft werden, ist eine europaweit einheitliche Regelung wichtig. Damit können wir auch den Druck auf
die Gerätehersteller erhöhen, bei denen es sich oftmals
um international agierende Großkonzerne handelt.
Außerdem wäre hier ein nationaler Alleingang nur die
Ultima Ratio. Dass der Status quo allerdings nicht zufriedenstellend ist, muss aber auch gesagt werden.
Schon im letzten Sommer haben wir zu dieser Frage
Kontakt mit dem Umweltbundesamt aufgenommen. Im
Rahmen der Konsultationen zum neuen Arbeitsprogramm der Ökodesign-Richtlinie hat sich das UBA dafür ausgesprochen, dass die Entnehmbarkeit von Akkus als horizontale Durchführungsmaßnahme in der
Ökodesign-Richtlinie verankert wird. Wir werden uns
in den entsprechenden Verhandlungen dafür einsetzen,
dass ein solcher Passus in die Richtlinie aufgenommen
wird. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, sollten
wir eine nationale Einzelfallregelung im Rahmen des
Elektrogerätegesetzes prüfen.
Wer kennt das Folgende nicht: Zwei Jahre, drei
Monate, zwölf Tage funktionierte das neue Laptop
einwandfrei, dann lud er sich nicht mehr auf. Beim
Händler wird einem dann mitgeteilt: Erstens ist die
Gewährleistung abgelaufen, zweitens haben Sie bestimmt mal richtig stark am Kabel gezogen, sind
darüber gestolpert, dadurch ist die Stromanschlussbuchse kaputt - das wäre sowieso keine Gewährleistung -, und drittens ist die Buchse fest auf dem Mainboard aufmontiert, das müssten wir für Sie komplett
wechseln lassen, aber ob es das noch gibt? Außerdem
wäre das sehr teuer; das lohnt sich nicht. Kaufen Sie
sich lieber einen neuen Rechner.
Auf Nachfrage erfährt man dann: Wir können das
Gerät nicht reparieren; das senden wir an den Hersteller. Das kostet mindestens 200 Euro und dauert zwischen vier und sechs Wochen, aber manchmal auch
länger.
Da steht man dann als Kunde da und ist bedient.
Mir fiel dann mein damaliger Kollege ein, Elektromechaniker und Hobbybastler. Nachdem er einen passenden Spezialschraubenzieher aufgetrieben hatte,
öffnete er das Laptop, inspizierte das Bord und murmelte: Kaltlötstelle, eindeutiger Herstellerfehler, aber
das habe ich gleich. - Fünf Minuten später war die
Lötstelle repariert, und der Rechner funktionierte weitere vier Jahre.
Solche und ähnliche Erfahrungen hat wohl jeder
schon gemacht. Obsoleszenz nennt man inzwischen die
Verkürzung der Nutzbarkeit von Produkten, von eigentlich langlebigen Gebrauchsgütern. Die Studie zur
geplanten Obsoleszenz, die die Grünen in Auftrag
gaben, belegt eindrucksvoll, wie stark Firmen solche
Strategien bereits nutzen.
Von 2002 bis 2009 arbeitete ich als Technologe in
der Entwicklung von optischen Baugruppen für Fernseher, Beamer, Handys und andere elektronische Geräte. Die Produktzyklen verkürzten sich in diesem
Zeitraum von vier Jahren auf zwei Jahre und weniger. Gleichzeitig forderten unsere Kunden, namhafte
Elektronikkonzerne, je Quartal Preissenkungen von
10 und mehr Prozent. Erhielten wir im Jahr 2002 für
ein Beamerobjektiv 250 Euro, so waren es bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit des Objektivs im
Jahr 2007 noch 50 Dollar. Wer diese Reduzierung
nicht schafft, verliert die Aufträge. Entschuldigung,
aber jeder Lieferant, der diesem Druck ausgesetzt ist,
ergreift jede Gelegenheit, Kosten zu senken. Sparen bei
Personal reichte da längst nicht mehr. Weniger und
billigeres Material wird eingesetzt, Erhitzen bei Prozessen wie Löten erfolgt so knapp wie möglich; jedes
Grad zu viel kostet unnötig Strom und damit Geld. Reparierbarkeit kostet Geld; montiert man alles auf eine
Platine, spart dies ein paar Cent. Verklebt man das Gehäuse, spart man Schrauben und Dichtungen - und
wieder ein paar Cent; will man das Gehäuse öffnen Pech gehabt.
Aber es gibt Barrieren für den Sparwahn - Vorschriften und Gesetze, die auch kontrolliert und durchgesetzt werden. Und natürlich Kunden, die sich Qualität leisten können und gezielt haltbare Produkte
kaufen, zum Beispiel von Miele oder Vorwerk.
Zu Protokoll gegebene Reden
Angetrieben wird der Prozess zur Verkürzung von
Lebenszyklen durch die kurzfristige Rendite und Umsatzjagd internationaler Konzerne. Wie viele Handys
braucht ein Mensch? Eins sollte reichen. Funktionierten die Handys vier Jahre, wäre der deutsche Markt
mit etwa 20 Millionen Stück pro Jahr gesättigt. Wie
will man dann noch Umsätze und Gewinne steigern?
Hält ein Handy nur noch zwei Jahre, steigt deren
Anzahl auf dem deutschen Markt auf 40 Millionen pro
Jahr - 100 Prozent Steigerungspotenzial. Dass dadurch mehr Umwelt zerstört wird und Verbraucherinnen und Verbraucher unnötig draufzahlen, interessiert
die Konzernstrategen nicht. In vielen Branchen verkürzen Konzerne bewusst Stück für Stück die Haltbarkeit der Produkte oder nehmen das, wie von mir beschrieben, mit Blick auf Kostensenkungen billigend in
Kauf. Da alle Wettbewerber mitmachen, haben Verbraucherinnen und Verbraucher keine Chance auf Alternativen.
Die Linke will diese Profitsteigerung zulasten der
Umwelt und der Kundinnen und Kunden verhindern
oder wenigstens erschweren.
Heute endet mit zwei Jahren die Gewährleistung.
Waren die zwei Jahre nicht ganz abgelaufen und der
Händler ist stur, dann muss nach geltendem Gesetz der
Kunde nachweisen, dass ein Herstellfehler vorliegt.
Mein Kollege hätte das beim Computer gekonnt - ich
nicht. Und Sie? Verschleiß wegen falscher oder nicht
ausreichend haltbarer Konstruktion bekommt man
nach geltendem Recht über Gewährleistung nicht ersetzt.
Deshalb fordert die Linke gesetzliche Mindestnutzungszeiten für Produkte. Wie ist das beim Handy?
Nach unserem Antrag muss es drei Jahre funktionieren. Wenn Tasten nach zwei Jahren nicht mehr reagieren, bekommt die Käuferin oder der Käufer Ersatz,
egal ob ein Herstellfehler oder vorzeitiger Verschleiß
die Ursache war. Der Hersteller muss beweisen, dass
er alles richtig machte, und nur falls er nachweist,
dass eine unsachgemäße Behandlung zum Ausfall
führte, braucht er sein Gerät nicht zu ersetzen.
Das Ermöglichen von Reparaturen, die einfache Ersetzbarkeit von Verschleißteilen wie Batterien will die
Linke vorschreiben, damit eine Sauerei wie bei iPods
mit eingelöteten Batterien zukünftig bestraft wird und
Kunden nicht von der Gnade des Herstellers abhängen.
Das Einbringen von Bauteilen, Zählern und technisch nicht begründbaren Sollbruchstellen in Geräte,
nur damit diese eher unbrauchbar werden, ist ein Verbrechen an der Umwelt und ein Raubzug im Geldbeutel der Kundinnen und Kunden. Dieses Vorgehen will
die Linke verbieten - zum Schutze der Umwelt, der
Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch zur Unterstützung der Firmen, die solide und ohne hinterhältige Nutzungszeitverkürzung arbeiten.
Machen Sie sich nicht zum Steigbügelhalter der
Renditejäger! Die Abfallhierarchie der EU ist aus meiner Sicht die Grundlage für das Recht von EU-Staaten,
Mindestnutzungszeiten festzulegen. Unterstützen Sie
unseren Antrag oder bringen Sie einen eigenen ein die Linke wird Sie nicht aufs Urheberrecht verklagen.
Die Linke kämpft für die Sache, Sie hoffentlich auch.
„Gekauft, gebraucht, kaputt - vom viel zu kurzen
Leben vieler Produkte“ - so lautete der Titel einer
Veranstaltung, die wir Grüne Ende März zum Thema
„Geplanter Verschleiß“ durchgeführt haben.
Klar ist: Geplanter Verschleiß von Produkten verursacht nicht nur Ärger, sondern produziert auch riesige
Müllberge. Wir verbrauchen immer mehr Rohstoffe,
auch weil Geräte immer schneller kaputtgehen und ersetzt werden müssen. Das ist eine Verschwendung und belastet unsere Umwelt.
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wollen,
dass man defekte Geräte wieder reparieren kann. Wir
wollen nicht zur Wegwerfgesellschaft gezwungen werden. Niemand will zum Neukauf gezwungen sein, weil
ein Produkt zu schnell kaputtgeht und nicht mehr zu reparieren ist.
Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
zum Thema „Geplanter Verschleiß“ im März eine
Studie vorgestellt. Diese zeigt an vielen plastischen
Beispielen, wie schon während des Herstellungsprozesses Schwachstellen in Produkte eingebaut werden,
indem zum Beispiel für Einzelteile Material minderer
Qualität verwendet wird, die Konstruktion Reparaturen nicht zulässt oder nur zu einem unverhältnismäßig
hohen Preis. Die Folge sind schnell verschleißende
Produkte und eine völlig unnötige Ressourcenverschwendung.
Unsere Studie illustriert, wie überlegt einige Hersteller heute auf frühen Verschleiß ihrer Produkte
setzen. Das geht bis hin zu konkreten Managemententscheidungen. Die Autoren nennen auch Handlungsmöglichkeiten, wie Politik und Produzenten Strategien
für einen geplanten Verschleiß ausbremsen können.
Dies ist auch aus unserer Sicht zwingend erforderlich.
Geplanter Verschleiß ist ein Thema an der Schnittstelle zwischen Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und
Verbraucherpolitik; bisher ist es bei allen drei Bereichen oft unter den Tisch gefallen. Ziel sind die Langlebigkeit von Produkten, bessere Voraussetzungen für
Reparaturen und qualitativ hochwertiges Recycling,
wenn etwas endgültig nicht mehr reparierbar ist.
Garantiezeiten verpflichtend machen und gesetzliche Gewährleistungsfristen verlängern - diese Maßnahmen zählen selbstverständlich dazu. Wir haben die
Verlängerung der Gewährleistungsfristen auch bereits
in unserem Antrag „Sammlung und Recycling von
Elektronikschrott“ gefordert, der heute unverständlicherweise von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt wurde. Möchte diese Koalition VerbraucherinZu Protokoll gegebene Reden
nen und Verbraucher also gar nicht wirksam schützen
vor schnell verschleißenden Produkten, die häufig
teuer bezahlt wurden?
Selbstverständlich muss die Reparaturfähigkeit von
Produkten verbessert werden, zum Beispiel, indem
Produzenten dazu veranlasst werden, Ersatzteile über
längere Zeiträume bereitzuhalten. Einige Hersteller
geben Ersatzteile gar nicht heraus, sondern empfehlen
den Neukauf. Das können wir nicht hinnehmen. Problematisch ist auch, dass heute immer weniger Geräte
überhaupt repariert werden können. Viele Laptops
werden alleine durch das Öffnen des Geräts bereits
zerstört. Das ist das exakte Gegenteil von Nachhaltigkeit und eine Verhöhnung von Kundinnen und Kunden.
Wir müssen auch Anforderungen formulieren, was
auf EU-Ebene geschehen muss. Zum Beispiel sollte die
EU-Ökodesign-Richtlinie um die Aspekte Qualität und
Langlebigkeit von Produkten erweitert werden. Derzeit spielt hier nur die Energieeffizienz eine Rolle, aber
nicht die Ressourceneffizienz. Das halten wir angesichts der Ressourcenknappheit für zu kurz gedacht.
Ebenso ist es notwendig, für die Politik Normungsprozesse unter die Lupe zu nehmen, die Qualitätskriterien für viele Produkte setzen. Hier liegt ein wirklicher
Hebel, die Haltbarkeit wirksam zu verlängern.
Wir begrüßen den Antrag der Linken, weisen aber
darauf hin, dass die konkreten Lösungen erst noch
weiter erarbeitet werden müssen. So reicht der Antrag
noch nicht aus, das Problem tatsächlich in den Griff zu
bekommen. Wir arbeiten weiter daran, konkrete
Lösungen und Maßnahmen zu entwickeln, um die Nutzerinnen und Nutzer vor geplanten Schwachstellen zu
schützen. Wir bemühen uns auch, die umweltbewussten
Hersteller an diesem Prozess zu beteiligen.
Vorgeschlagen wird die Überweisung der Drucksache 17/13096 an die Ausschüsse, die in der Tagesordnung stehen. - Damit sind Sie wiederum einverstanden.
Dann ist auch das so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. April 2013, 9 Uhr,
ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.