Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf und Verordnung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf
dem Gebiet des Umweltrechts.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Frau Ursula Heinen-Esser. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute den Gesetzentwurf und die Verordnung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf
dem Gebiet des Umweltrechts beschlossen. Im Klartext
geht es dabei um die Arbeit von Sachverständigen im
Umweltrecht. Es werden verschiedene Rechtsänderungen eingeführt: die Möglichkeit optionaler Abwicklungen von Verfahren über einheitliche Ansprechpartner,
die Möglichkeit einer elektronischen Verfahrensabwicklung und die Regelung über die bundesweite Geltung
von Bekanntgaben bzw. Anerkennung ausländischer Dokumente von Sachverständigen.
Lassen Sie mich zwei wesentliche Punkte ansprechen.
Erstens. Im Umweltrecht werden - das ist auch auf anderen Rechtsgebieten üblich - Sachverständige eingesetzt,
die zum Beispiel für Behörden Überprüfungen in Unternehmen vornehmen. Besonders wichtig sind etwa Emissionsmessungen in Industrieanlagen, aber auch die Überprüfung und Kontrolle von Solarien. Die auf Grundlage
dieser Überprüfungen gesammelten Erkenntnisse werden
von den Unternehmen an die Behörden weitergegeben.
In Deutschland sind insgesamt rund 2 000 Sachverständige im Bereich des Umweltrechts tätig. Wir sind
davon überzeugt, dass wir mit dieser Dienstleistungsrichtlinie - es geht nicht nur darum, dass in Zukunft EUAusländer als Sachverständige in Deutschland arbeiten
können, sondern auch darum, dass die deutschen Sachverständigen für Umweltrecht im EU-Ausland arbeiten
können - ein großes wirtschaftliches Potenzial für unsere Sachverständigen erschließen.
Vergleichbares haben wir mittels spezieller europäischer Regelungen im Bereich der Umweltgutachter im
Jahr 1995 erreicht. Unsere Umweltgutachter sind im
europäischen Ausland sehr gefragt. Wir gehen davon
aus, dass es bei den Sachverständigen für Umweltrecht
ähnlich sein wird. Selbstverständlich muss gelten: Wenn
unsere Sachverständigen im europäischen Ausland tätig
sind, dann müssen wir EU-ausländische Sachverständige
bei uns zulassen.
Bei der Erstellung der Richtlinie ist vielfach darüber
diskutiert worden, ob das zu einer Absenkung von Umweltstandards führen kann. Nein, das ist nicht der Fall;
denn wir haben besondere Regelungen in die Richtlinie
aufgenommen. Sachverständige, egal ob Inländer oder
Ausländer, müssen über entsprechende Qualifikationen
verfügen und die Nachweise erbringen, dass sie ihre Tätigkeit ausüben können. Ansonsten werden sie weder in
Deutschland noch in anderen Ländern bekannt gegeben.
Das hat etwas damit zu tun, dass der Sachverständige
stellvertretend für den Staat die Letztverantwortung für
den Schutz der Umwelt trägt.
Zweitens. Mit der Einsetzung dieser Richtlinie gibt es
eine Vereinfachung im deutschen Recht, weil eine Bekanntgabe der Sachverständigen künftig bundesweit
möglich ist. Zurzeit ist es so, dass Sachverständige ihre
Zulassung bei einer Landesbehörde eines Bundeslandes
beantragen können. Wenn sie Glück haben, gilt die Zulassung auch in einem anderen Bundesland. In der Regel
ist das aber nicht der Fall. Mit der Umsetzung der
Dienstleistungsrichtlinie im Bereich des Umweltrechts
erreichen wir, dass die Sachverständigen zukünftig bundesweit eine Zulassung erhalten können. Das bedeutet
eine erhebliche Vereinfachung für die Sachverständigen.
Um es salopp auszudrücken: Wir haben zwei Fliegen
mit einer Klappe geschlagen. Wir haben zwei Ziele
Redetext
erreicht, nämlich erstens die gegenseitige Anerkennung
der Sachverständigen in Deutschland und im europäischen Ausland sowie zweitens die Vereinfachung der
Verfahren bei uns in Deutschland.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Zur ersten Frage hat
der Kollege Gebhart das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben diesen Punkt zwar
schon gestreift, aber ich habe dennoch eine Frage dazu:
Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Gefahr einer
Abschwächung deutscher Umweltschutzstandards aufgrund der Dienstleistungsrichtlinie, die jetzt umzusetzen
ist?
Kollege Gebhart, wie ich eingangs schon gesagt habe,
müssen die Sachverständigen, die bei uns zugelassen
werden wollen, ihre Qualifikationen nachweisen. Das
muss nachprüfbar sein. Im Einzelfall kann das sogar so
weit gehen, dass man die Vorlage beglaubigter Übersetzungen der Dokumente verlangt. Allerdings muss auch
klar sein, dass die Bekanntgabe bzw. Zulassung von
Sachverständigen nicht zu Diskriminierungen führen
darf. Das müssen wir im Auge behalten.
Wir haben dafür gesorgt - auch das ist ein Erfolg der
deutschen Verhandlungsstrategie -, dass wegen der besonderen Verantwortung der Umweltrechtssachverständigen für den Schutz der Umwelt - ich nenne noch einmal
das Stichwort „Emissionsmessungen in Industrieanlagen“ - besondere Regelungen in der Dienstleistungsrichtlinie enthalten sind. Es wird nicht einfach genehmigt oder
zugelassen. Die entsprechenden Anforderungen müssen
erfüllt werden.
Zu einer nächsten Frage hat der Kollege Sensburg das
Wort.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Frage, die sich
um den Anwendungsbereich der Richtlinie dreht. Es gibt
im Gemeinschaftsrecht spezielle Rechtsakte, die möglicherweise vorgehen. Meine Frage ist: Fallen bestimmte
Bereiche des Umweltrechts aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie heraus?
Die Frage lässt sich sehr eindeutig beantworten. Es
handelt sich um die Tätigkeiten, die in speziellen Gemeinschaftsrechtsakten geregelt sind. Darauf haben Sie
schon in Ihrer Frage hingewiesen. Ich habe in meiner
Einführung auf die Umweltgutachter hingewiesen, deren
Tätigkeit im Jahr 1995 auf europäischer Ebene gesondert eingeführt worden ist. Das gilt aber auch allgemein
für die Anerkennung von Berufsqualifikationen, beispielsweise wenn die Berufsanerkennungsrichtlinie Anwendung findet. Aber es sind auch nicht spezifisch
dienstleistungsbezogene Anforderungen ausgenommen.
Das gilt zum Beispiel, wenn es sich um anlagenbezogene Genehmigungsregelungen handelt, etwa um Abwasserbehandlungsanlagen oder Ähnliches. Auch dies
ist nicht Teil der Richtlinie.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Kudla.
Frau Staatssekretärin, können deutsche Unternehmen,
denen Dienstleistungen hier angeboten werden, sicher
sein, dass ausländische Sachverständige dieselbe Qualifikation haben wie ihre Kollegen im Inland?
Ja, da können sie sicher sein, sofern es sich um offiziell bekannt gegebene, zugelassene Sachverständige
handelt. Ich habe eben schon ausgeführt, dass es entscheidend ist, dass die Qualifikationen nachgewiesen
und der zuständigen Landesbehörde angezeigt werden,
die die Erfüllung der Anforderungen überprüft. Wenn
dies alles erfolgt ist, der Sachverständige also offiziell
bekannt gegeben ist, dann können deutsche Unternehmen sicher sein, dass diese Sachverständigen aus dem
EU-Ausland die erforderlichen Qualifikationen besitzen.
Der Kollege Liebing hat das Wort für eine weitere
Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wir haben jetzt darüber gesprochen, dass ausländische Sachverständige in Deutschland tätig werden können. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass natürlich auch
deutsche Sachverständige im EU-Ausland tätig werden
können. Gibt es dafür besondere Anforderungen? Wie
kann ein Sachverständiger diesen sich entwickelnden
Markt aktiv nutzen? Muss er warten, bis ihn andere Unternehmen von sich aus anfordern?
Um Ihre letzte Frage zuerst zu beantworten, Kollege
Liebing: Nein, ein deutscher Sachverständiger muss
nicht darauf warten, dass er angefordert wird. Es gibt
eine Plattform über die Europäische Union, bei der er
sich informieren kann. Er kann somit selber aktiv werden, um in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union zu arbeiten.
Wir haben innerhalb der Europäischen Union das Verfahren der einheitlichen Ansprechpartner gewählt. Das
heißt, in jedem Mitgliedstaat muss es diesen sogenannten einheitlichen Ansprechpartner geben. An diesen
wendet sich der Sachverständige. Dieser wird ihn an die
zuständigen Behörden des jeweiligen Landes weitervermitteln. Dort kann er zugelassen werden und dann entsprechend tätig werden.
Ich denke, das wird für unsere wirklich guten Sachverständigen im Umweltrecht, die über eine ganze
Menge Erfahrungen und Know-how verfügen, eine
Möglichkeit sein, zusätzlich im Ausland tätig zu werden,
wie das auch bei den Umweltgutachtern der Fall ist.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Bericht liegen mir
nicht vor. Danke, Frau Staatssekretärin.
Die Kollegin Dr. Enkelmann hat eine Frage zu weiteren Themen der heutigen Kabinettssitzung. Bitte.
Genau. Zumindest will ich nachfragen, ob sich das
Kabinett mit der folgenden Angelegenheit befasst hat.
Wie jetzt bekannt wurde, hat der Außenminister vor einiger Zeit einen bezahlten Vortrag bei einer Liechtensteiner Bank gehalten, die inzwischen im Zusammenhang
mit Schwarzgeldkonten deutscher Steuerhinterzieher bekannt geworden ist. Hat sich das Kabinett mit dieser
Frage beschäftigt?
Das Wort hat der Staatsminister von Klaeden.
Nein.
Kann ich noch eine Nachfrage stellen?
Sie dürfen.
Bei den veröffentlichungspflichtigen Angaben aus der
letzten Wahlperiode tauchen bei dem Außenminister
mehrere Funktionen in Unternehmen auf, etwa Versicherungen, Deutsche Vermögensberatung, Hamburg-Mannheimer, Consulting-Firmen usw. Hat sich das Kabinett
damit befasst, ob diese Funktionen möglicherweise immer noch ausgeübt werden? Sanktioniert das Kabinett
diese Funktionen?
Nein, das Kabinett hat sich damit nicht befasst. Frau
Kollegin Enkelmann, ich halte das für eine unzulässige
Frage, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Kollege
Westerwelle der Bundesregierung nicht angehört. Sie
versuchen, hier eine Auskunft der Bundesregierung über
die Nebentätigkeiten von Herrn Westerwelle aus seiner
Zeit als Abgeordneter in der letzten Legislaturperiode zu
erlangen. Das ist eine klassische Dreiecksfrage. Ich verweise Sie daher auf die entsprechenden Entscheidungen
zu unserer Geschäftsordnung.
({0})
Wenn Sie eine weitere Nachfrage haben, Kollegin
Enkelmann, dann stellen Sie sie jetzt bitte.
Danke. - Schließen Sie aus, dass es diese Funktionen
heute noch gibt?
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe Ihre Frage erschöpfend beantwortet.
({0})
Zu einer weiteren Frage hat die Kollegin Dr. Bunge
das Wort.
Ich habe eine Frage bezüglich der Kommission zur
künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens, die sich
nach meiner Kenntnis heute konstituiert hat. Ich weiß
jetzt nicht, ob die Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz
oder Sie, Herr Staatsminister, die Frage beantworten
wollen. Ich stelle erst einmal die Frage.
Das ist eine gute Idee.
Der Kommission, auf deren Einsetzung sich die Regierung heute verständigt hat, gehören bekanntlich acht
Ministerinnen bzw. Minister an. Auf Nachfrage, auch im
Ausschuss, wissen wir, dass Expertinnen und Experten
eingeladen werden können. Mich interessiert, nach welchen Kriterien die Experten und Wissenschaftler ausgewählt werden und wie die Transparenz dieser Kommission gewährleistet wird. Schließlich geht es hier um ein
Anliegen, das für breite Kreise der Bevölkerung von
großem Interesse ist.
Die Auswahl der Experten richtet sich nach ihrem
Sachverstand. - Die weiteren Fragen kann meine Kollegin Staatssekretärin Widmann-Mauz beantworten.
Frau Abgeordnete Bunge, wie wir bereits heute Vormittag im Ausschuss besprochen haben und wie die
Bundesregierung Auskunft erteilt hat, wird die Auswahl
der Experten, die berufen werden, von der Regierungskommission in eigener Zuständigkeit getroffen. Da sich
die Regierungskommission noch nicht zu ihrer ersten
Sitzung zusammengefunden hat, können zum jetzigen
Zeitpunkt darüber noch keine Aussagen getroffen werden.
Die Transparenz der Beratungen und vor allen Dingen
der Entscheidungen der Regierungskommission wird dadurch gewährleistet, dass die Bundesregierung, wenn
entsprechende Beschlüsse gefasst werden, das Parlament
umfassend darüber informieren wird. Denn aus den Ergebnissen der Regierungskommission sollen ja voraussichtlich gesetzgeberische Maßnahmen resultieren.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Ist darunter zu verstehen, dass der Bericht, der im Sommer oder wann auch
immer vorgelegt wird, das Charakteristikum der Transparenz erfüllen wird?
Über die Ergebnisse, die die Regierungskommission
zeitigen wird, wird im parlamentarischen und im politischen Raum intensiv diskutiert werden. Es steht dem
Parlament selbstverständlich frei, die entsprechenden
Befassungen dazu hier im Plenum und in den Ausschüssen zu beantragen.
Gibt es weitere Fragen zur heutigen Kabinettssitzung
oder darüber hinaus? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Fragestunde um 13.30 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/756, 17/771 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 17/771 auf. Die ersten
beiden Fragen beziehen sich auf den Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut
Koschyk zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Christian
Lange auf:
Gab es aufgrund des Rechtsgutachtens, das das Justizministerium Baden-Württemberg in Auftrag gegeben hat, nach
dem sich Beamte, die illegal gewonnene Steuersünderdaten
zur Strafverfolgung nutzen, selbst strafbar machen würden,
Gespräche zwischen der Bundesregierung und der badenwürttembergischen Landesregierung, insbesondere hinsichtlich der Anwendung einer einheitlichen Rechtsauffassung,
und hat die Bundesregierung das Land Baden-Württemberg
dazu ermuntert, die angebotenen CDs zu kaufen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Lange, ich darf Ihnen sagen, dass es
zwischen der Bundesregierung und der baden-württembergischen Landesregierung keine Gespräche hinsichtlich des von Ihnen angesprochenen Rechtsgutachtens
gegeben hat. Unabhängig hiervon hat aber das Bundesministerium der Finanzen dem Finanzministerium des
Landes Baden-Württemberg bereits mitgeteilt, dass es
den Datenankauf in dem vorgetragenen Fall für rechtlich
zulässig hält. Die Entscheidung über den Datenankauf
liegt aber letztendlich beim Land Baden-Württemberg.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Darf ich nachfragen, ob die Bundesregierung die Auffassung des badenwürttembergischen Landesjustizministers Goll teilt, dass
sich Beamte, die illegal erworbene Daten zur Strafverfolgung nutzen - damit meint er die Daten auf entsprechenden Steuer-CDs -, selbst strafbar machen?
Hierzu möchte ich nur zur Illustration aus einer aktuellen Meldung der Stuttgarter Nachrichten zitieren:
Sollte das Land die Daten kaufen, würden sich die
bearbeitenden Beamten, die dann auf die Suche
nach den Steuerflüchtigen gehen, strafbar machen.
„Schon der Ankauf der Daten wäre strafbar“, sagt
dazu ein erfahrener Jurist.
So eine Expertise des baden-württembergischen Justizministeriums. Darüber hinaus vertritt der Jurist die
Auffassung, es könne zu der Situation kommen,
… dass baden-württembergische Staatsanwälte gegen baden-württembergische Finanzbeamte ermitteln müssen. „Wir würden die Staatsanwaltschaften
nicht daran hindern“, heißt es dazu aus Justizkreisen.
Um Sie bei dieser Frage auf den aktuellen Stand zu
bringen, weise ich darauf hin, dass angeblich auch der
Präsident des Staatsgerichtshofs von Baden-Württemberg von einem Ankauf abrät.
Kurzum - ich wiederhole es -: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Landesjustizministers, dass sich
die Beamten bei einer Verwendung der Daten strafbar
machen würden?
Herr Kollege Lange, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass im Rahmen des rechtlich Zulässigen alles
Mögliche getan werden muss, um Steuerhinterziehern
das Handwerk zu legen, um die Gleichmäßigkeit der
Besteuerung und die Steuergerechtigkeit auch bei Auslandssachverhalten herzustellen. Dies sind wir vor allem
den ehrlichen Steuerzahlern in unserem Land schuldig.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger
Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt, dass der
gleichmäßigen Durchsetzung der Steuerpflicht gegenüber allen Bürgern nach dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes ein herausragender Wert zukommt.
Bei Sachverhalten im Ausland stoßen die deutschen
Finanzbehörden hinsichtlich ihrer Ermittlungsmöglichkeiten aber an ihre Grenzen. Wenn kein automatischer
Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden
der beiden Staaten erfolgt und die ausländischen Finanzbehörden der deutschen Finanzverwaltung auch anderweitig keine Auskünfte über steuererhebliche Sachverhalte erteilen, können unvollständige oder falsche
Angaben des deutschen Kapitalanlegers regelmäßig
nicht aufgedeckt werden. Der Ankauf von Daten ist in
diesen Fällen die Ultima Ratio, um Steuerhinterziehung
durch Kapitalanlagen in nicht auskunftsbereiten Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, aufdecken zu können.
Ich weise noch einmal darauf hin, dass das Bundesministerium der Finanzen dem zuständigen Finanzministerium von Baden-Württemberg mitgeteilt hat, dass es den
Datenankauf im vorgetragenen Fall für rechtlich zulässig
hält.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte darauf hinweisen,
dass das nicht meine Frage war. Meine Frage war, ob Sie
die Auffassung teilen, dass sich - das ist die Position, die
das Landesjustizministerium von Baden-Württemberg
einnimmt - die Beamten, insbesondere die Finanzbeamten, strafbar machen würden, wenn sie auf der Grundlage dieser Daten ermitteln, und dass das in der Tat die
Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns gefährden
würde.
Herr Kollege Lange, ich möchte an einen vorgelagerten Fall erinnern, und zwar an den LGT-Komplex,
Liechtenstein, wo es bereits einmal zum Ankauf solcher
Daten gekommen ist. Bislang sind in keiner Weise
Rechtsfolgen eingetreten, die der Bundesregierung Anlass geben würden, davon auszugehen, dass sich in den
Fall LGT, Liechtenstein, involvierte Beamte in irgendeiner Weise strafbar gemacht hätten. Deshalb gehen wir
davon aus, dass das, was sich aus der Entscheidung im
Fall LGT, Liechtenstein, an Rechtsfolgen ergeben hat,
auch für gegenwärtig entschiedene oder in der Diskussion befindliche Fälle gilt.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Dr. Lötzsch das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
es ist nicht das erste Mal, dass wir im Deutschen Bundestag darüber sprechen, dass die Steuerbehörden der
einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich handeln.
Zum Beispiel sind unter der Verantwortung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch - in Klammern:
CDU - sehr erfolgreiche, sehr engagierte Steuerfahnder
ins Aus gedrängt worden. Sollte die Bundesregierung
daher diese Vorfälle nicht zum Anlass nehmen, endlich
dafür zu sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland
eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung bekommt?
Verehrte Frau Kollegin Lötzsch, der Föderalismus ist
ein hohes Gut. Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, dass bewährte Grundsätze des Föderalismus in
Deutschland aufgrund aktueller politischer Ereignisse
infrage gestellt werden sollten.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Mast
das Wort.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre bisherigen
Ausführungen.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mit den
rechtlichen Beurteilungen, die Sie als Staatssekretär im
Bundesfinanzministerium vornehmen, für die gesamte
Regierung und damit auch für das Bundesjustizministerium sprechen?
Frau Kollegin, im Falle der Anfrage aus BadenWürttemberg, aber auch in dem vorangegangenen Fall
- Nordrhein-Westfalen - und bei früheren Fällen ist der
Ablauf so, dass sich das betreffende Land an das Bundesfinanzministerium wendet. Das Bundesfinanzministerium prüft dann und teilt dem Land gegebenenfalls
sein Einverständnis mit. Insofern handelt es sich um eine
Prüfung des Bundesfinanzministeriums.
Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege
Dr. Wiefelspütz.
Herr Staatssekretär, ich teile Ihre Auffassung, dass der
Ankauf oder der Erwerb dieser Steuer-CD rechtlich unbedenklich ist.
Ich will aber noch einmal nachhaken: Haben wir Sie
richtig verstanden, dass die Bundesregierung der Auffassung ist, dass das Verhalten der handelnden Beamten in
Baden-Württemberg dienstrechtlich rechtmäßig ist und
sie bei ihrer Tätigkeit keinerlei strafrechtliches Risiko
eingehen?
Herr Kollege Wiefelspütz, diese Prüfung und Entscheidung muss das Land Baden-Württemberg vornehmen. Wir als Bundesregierung prüfen, wenn uns ein
Land mit einem solchen Auslandssachverhalt konfrontiert, in jedem Einzelfall konkret, ob aus unserer Sicht
rechtliche Bedenken bestehen. Im Fall der Anfrage des
Finanzministeriums Baden-Württemberg haben wir mitgeteilt, dass solche Bedenken aus unserer Sicht nicht bestehen. Die Entscheidung über den Ankauf und rechtliche Implikationen trifft letztendlich aber das zuständige
Bundesland.
Mir liegen zur dringlichen Frage 1 noch zwei Wortmeldungen vor. Diese beiden Wortmeldungen lasse ich
noch zu. Danach kommen wir zur dringlichen Frage 2.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Höll.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie
haben in Ihrer ersten Antwort ja auf den fehlenden automatischen Informationsaustausch hingewiesen.
Erstens würde mich interessieren: Mit wie vielen
Staaten fehlt dieser automatische Informationsaustausch
noch?
Zweitens. Ist sichergestellt, dass der automatische Informationsaustausch - wenn es ihn gibt - nicht ins Leere
läuft? Denn um ihn verwirklichen zu können, sind ja jeweils innerstaatliche Voraussetzungen notwendig, unter
anderem eine Registrierung der entsprechenden Banken
und Institutionen. Das ist ein wesentlicher Fakt, der
durch das OECD-Musterabkommen bisher auch nicht
gedeckt ist.
Frau Kollegin Höll, die Bundesregierung sieht in
Doppelbesteuerungsabkommen oder in bilateralen Abkommen über den Datenaustausch in der Tat den richtigen Weg, um nicht auf den Ankauf von Daten angewiesen zu sein, wie das jetzt im Fall Baden-Württembergs
oder im nach unseren Prüfungen abgeschlossenen Fall
Nordrhein-Westfalens der Fall war.
Wir streben ein solches Doppelbesteuerungsabkommen mit automatisiertem Informationsaustausch mit der
Schweiz an. Die Verhandlungen laufen. Mit Liechtenstein haben wir bereits ein Abkommen über den Austausch von Daten abgeschlossen - nicht in Form eines
Doppelbesteuerungsabkommens, sondern in Form eines
Abkommens, bei dem es um den Daten- und Informationsaustausch geht. Das muss noch ratifiziert werden.
Ich reiche Ihnen gerne nach, mit welchen Ländern wir
uns in entsprechenden Verhandlungen befinden und wie
der jeweilige Verhandlungsstand ist.
Die letzte Nachfrage zur dringlichen Frage 1 stellt die
Kollegin Zypries.
Herr Staatssekretär, ich habe verstanden, dass Sie sagen: Der Ankauf dieser Steuer-CD ist rechtmäßig und
aufseiten des Landes - ({0})
- Ja, okay, in diesem Fall. - Ich habe Sie aber so verstanden, dass das BMF im Fall Baden-Württembergs sagt:
„Ja, der Ankauf ist rechtmäßig“,
({1})
während das zuständige Ministerium in Baden-Württemberg sagt: „Es gibt hier doch erhebliche Bedenken“, um
nicht zu sagen: „Wir machen das nicht, weil wir das für
rechtswidrig halten.“
Ich frage mich jetzt, welche Überlegungen es im Bundesministerium der Finanzen dahin gehend gibt, die Einheitlichkeit der Verwaltung sowie der Verfolgung von
Straftätern in Deutschland generell durchzusetzen. Erwägen Sie, hierzu einmal Gespräche zu führen, beispielsweise auf dem Wege von Amtscheftreffen? Gibt es
irgendeinen Versuch, klarzumachen, dass das, was in
diesem Lande Recht ist, und die Verfolgung von Straftätern nicht dem Gutdünken eines einzelnen Landesministeriums ausgesetzt werden können?
Frau Kollegin, gemäß der föderalen Ordnung ist vorgesehen, dass das betroffene Land am Schluss selber
entscheidet. Sie wissen, dass die Rechtmäßigkeit dieser
Entscheidung in bestimmten früheren Fällen - ich nenne
noch einmal LGT, Liechtenstein, oder auch die Anfrage
des Landes Nordrhein-Westfalen, hinsichtlich der die
Bundesregierung ebenfalls positiv entschieden hat nicht bezweifelt und auch gerichtlich nicht angezweifelt
worden ist.
Man muss allerdings auch sagen: Hierzu liegt noch
keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Im Rahmen des Falles LGT, Liechtenstein, stellt sich jetzt die
Frage, ob das Bundesverfassungsgericht eine bestimmte
Beschwerde annehmen wird. Das alles ist noch offen.
Es gibt sicher die entsprechende Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen, die auch von einzelnen
Ländern - zum Beispiel vom Land Nordrhein-Westfalen; siehe den Fall Liechtenstein und auch den jüngsten
Fall - geteilt wird. Selbstverständlich wird die Bundesregierung bemüht sein - auch durch entsprechende Gespräche -, dieses Thema zum Beispiel im Rahmen von
Finanzministerkonferenzen aufzugreifen. Ich glaube
zum Beispiel, dass auch die Finanzminister in Deutschland selbst ein Interesse daran haben, dass es bei solchen
Auslandssachverhalten zu einer einheitlichen Praxis in
Deutschland kommt.
Wir kommen jetzt zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Lange:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch das
zögerliche Verhalten der Landesregierung Baden-Württemberg
und durch eine eventuelle Uneinheitlichkeit des Verwaltungshandelns hinsichtlich des Ankaufs sogenannter SteuersünderCDs der Anspruch auf Durchsetzung von Steuergerechtigkeit
erheblich beschädigt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Lange, es muss im Rahmen des rechtlich Zulässigen alles getan werden, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen und die Gleichmäßigkeit der
Besteuerung und die Steuergerechtigkeit auch bei Auslandssachverhalten herzustellen. Das Bundesministerium der Finanzen steht deshalb in der Frage eines Ankaufs sogenannter Steuersünder-CDs in engem Kontakt
mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass jeder Fall aufgrund seiner
individuellen Umstände eingehend zu prüfen ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Wiederholung dieser Aussage. Deshalb frage ich nach: Wie würde
sich das Bundesfinanzministerium verhalten, falls das
Land Baden-Württemberg negativ entscheiden, also die
CD nicht ankaufen würde? Würden Sie dann intervenieren? Falls ja, in welcher Form? Können Sie uns das darstellen? Oder würden Sie gar selbst ankaufen?
Zum einen ist es, wie ich bereits gesagt habe, auch
nach unserer föderalen Ordnung Sache des jeweiligen
Bundeslandes, ob es sich für einen Ankauf entscheidet.
Das ist eine souveräne Entscheidung des Landes, die wir
zur Kenntnis zu nehmen haben. Zum anderen habe ich
schon ausgeführt, dass sich die Frage des einheitlichen
Vorgehens der Länderfinanzverwaltungen auch aus Sicht
der Bundesregierung stellt und dass wir deshalb auch in
diesen Fragen in ständigem Kontakt mit den Finanzbehörden der Länder stehen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie kein Druckmittel gegenüber den Landesverwaltungen haben oder einsetzen wollen, falls sie zu einem anderen Ergebnis kommen. Das heißt, Sie würden billigend in Kauf nehmen,
dass es eine unterschiedliche Verwaltungspraxis gibt und
im konkreten Fall in Baden-Württemberg im Gegensatz
zum Beispiel zu Nordrhein-Westfalen Steuersünder nicht
verfolgt würden.
Herr Lange, dass die Hoheitsrechte der Länder in
Deutschland unterschiedlich angewendet werden, hängt
auch mit dem Föderalismus zusammen. Ich sage noch
einmal: Die Entscheidung trifft jedes Land selbst. Es ist
eine souveräne Entscheidung, die jedes Land zu treffen
hat.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Friedrich das Wort.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie Berichte, dass
die CD, die in Baden-Württemberg in Rede steht, wohl
schon seit über einem Jahr dem Finanzministerium zur
Prüfung vorlag, und entsteht nicht allein durch diese
Zeiträume, von denen man ausgehen muss, eine Ungleichbehandlung in der Frage, wie schnell derartige
Prüfungen vorangetrieben werden?
Ich bitte Sie um Verständnis, dass die Bundesregierung zu Medienberichten, die sie nicht bestätigen kann,
keine Stellung nimmt.
Der Kollege Dr. Wiefelspütz stellt die nächste Nachfrage.
Lieber Herr Staatssekretär, bei allem Respekt vor dem
Föderalismus: Von Flensburg bis zum Bodensee haben
wir eine einheitliche Rechtsordnung. Wie man mit Steuersündern bzw. Steuerverbrechern umgeht, ist keine
Frage des Föderalismus, sondern des geltenden Rechts
in Deutschland.
Es ist einzuräumen und anzuerkennen, dass die Bundesregierung in der Kontinuität eine, wie ich finde, überzeugende Rechtsauffassung hat, was den Erwerb einer
solchen Informations-CD angeht. Es kann aber nicht angehen, dass es in Deutschland unterschiedliche Praktiken gibt. Das ist ein elementares Problem für die Frage
des Rechtsfriedens in Deutschland und kann nicht mit
Verweis auf den Föderalismus wegdiskutiert werden,
Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung muss dazu eine Auffassung haben und hat, wie ich finde, an dieser Stelle auch die
Pflicht, für die einheitliche Anwendung von geltendem
Recht einzutreten. Was tun Sie vor diesem Hintergrund?
Bringen Sie bitteschön keine Ausreden mit Verweis auf
den Föderalismus vor. Das ist nicht das Problem. Föderalismus heißt schließlich nicht, dass wir in Deutschland
mehrere Arten von Strafrecht und Steuerstrafrecht haben.
Herr Kollege Wiefelspütz, die Entscheidung, ob derartige Daten angekauft werden, muss jedes Bundesland
in jedem Einzelfall für sich treffen. Darauf hat die Bundesregierung keinen Einfluss.
Bevor ich für die nächste Nachfrage das Wort erteile,
weise ich darauf hin, dass ich es begrüße, wenn der Auskunftsbedarf befriedigt wird. Das heißt aber, dass wir
uns in unseren Fragen zu konzentrieren versuchen, um
nachfolgenden Fragestellern auch die Möglichkeit zu geben, zu Wort zu kommen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Höll.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben geantwortet, dass
es sich um souveräne Entscheidungen der einzelnen
Bundesländer handelt, die das Bundesfinanzministerium zur Kenntnis zu nehmen hat. Wie viele CDs insgesamt wurden in den letzten zwei Jahren den einzelnen
Bundesländern angeboten? Ich gehe davon aus, dass,
wie Sie es erläutert haben, jeweils eine Anfrage an das
Finanzministerium gerichtet wurde. Wie viele von den
angebotenen CDs wurden bisher gekauft? Wie viele
Fälle von Steuerhinterziehung betrifft das? Kann man
sagen - ich weiß, die Bearbeitung der Fälle dauert eine
Weile -, welches Finanzvolumen den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zurücküberwiesen wird?
Verehrte Frau Kollegin, Sie werden verstehen, dass
ich diese umfassenden Fragen nicht in der Fragestunde
beantworten kann. Ich darf auf Folgendes hinweisen:
Die Bundesregierung erlangt erst dann Kenntnis von solchen auslandsbezogenen Steuersachverhalten, wenn ein
Bundesland auf das Bundesfinanzministerium zukommt
und den Fall dem Bundesfinanzministerium zur Prüfung
vorlegt. Ich erinnere an den Fall LGT, Liechtenstein, ich
erinnere an den Fall in Nordrhein-Westfalen, den die
Bundesregierung vor kurzem positiv beantwortet hat,
und ich erinnere an den Fall, über den wir jetzt gerade
diskutieren. Über weitere Fälle kann ich hier keine Auskunft geben, weil mir weitere Fälle nicht bekannt sind.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Schäfer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Staatssekretär Koschyk, hat die Bundesregierung eine zumindest grobe Vorstellung davon, um welche Gesamtsumme
an Steuerhinterziehung es sich bei der angebotenen Steuersünder-CD handelt?
Auch hierzu kann ich Ihnen keine Auskunft geben,
weil wir nicht die Gesamtauswertung der möglichen relevanten Daten von den Ländern bekommen; vielmehr
fragen uns die Länder, ob aus unserer Sicht das Vorgehen rechtlich in Ordnung ist. Um wie viele Auslandssachverhalte es sich jeweils handelt, wird von den
Ländern erhoben. Diese Erhebungen sind uns nicht zugänglich.
Die vorletzte Nachfrage zur dringlichen Frage 2 stellt
die Kollegin Mast.
Herr Staatssekretär, ich würde gerne auf meine Frage
von vorhin zurückkommen, um herauszufinden, ob die
Position, die Sie heute darstellen, auch die Position des
Bundesjustizministeriums - Ihr Kollege sitzt neben Ihnen - ist. Ich möchte gerne wissen, ob beide Ministerien
die Position teilen, dass es sich um einen legalen Ankauf
der CD in Baden-Württemberg handelt und deshalb einem Kauf formaljuristisch nichts im Wege steht.
Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass das
Bundesfinanzministerium in eigener Zuständigkeit im
Benehmen mit dem jeweiligen Landesfinanzministerium
für sich prüft, ob in dem jeweiligen Einzelfall aus Sicht
der Bundesregierung rechtliche Bedenken bestehen oder
nicht. In dem betreffenden Fall von Baden-Württemberg
ist das Bundesfinanzministerium zur Auffassung gekommen, dass es keine rechtlichen Bedenken gibt.
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Reichenbach.
Wäre das Bundesfinanzministerium, da es selbst davon ausgeht, dass ein Ankauf rechtmäßig ist, denn im
Falle einer negativen Entscheidung des Landes BadenWürttemberg seinerseits bereit, die CD zu kaufen, um
eine Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns herzustellen, zumal nicht von vornherein davon auszugehen ist,
dass sich alle auf der CD befindlichen Daten nur auf
Steuerstraftaten von Einwohnern des Landes BadenWürttemberg beziehen?
Gemäß unserer föderalen Ordnung ist es nicht möglich, dass der Bund in diesem Fall losgelöst von einer
Landesfinanzverwaltung tätig wird. Das ist nur möglich,
wenn eine Landesfinanzverwaltung tätig wird, auf den
Bund zugeht und mit dem Bund Einvernehmen über die
rechtliche Beurteilung erzielt. Eine unmittelbare Bundeszuständigkeit und operative Möglichkeiten des Bundes sehe ich nicht.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die dritte dringliche Frage betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen
Dr. Dieter Wiefelspütz auf:
Welche Eignungsfeststellungen haben dazu geführt, dass
die Leitung der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge, Europäische Harmonisierung“ im Bundesministerium
des Innern nach einem Bericht der Berliner Zeitung vom
22. Februar 2010 einer bisherigen Landesbeamtin übertragen
werden soll, die offenbar fast ausschließlich in der Zivil- und
Strafjustiz sowie der Justizverwaltung tätig war?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Wiefelspütz, ihre Qualifikation und Befähigung
hat Frau Hauser in langjähriger Verwaltungspraxis, zuletzt in ihrer Tätigkeit als Staatssekretärin im sächsischen Justizministerium, unter Beweis gestellt. Bundesminister de Maizière ist von ihrer Eignung, Befähigung
und fachlichen Leistungsfähigkeit in hohem Maße überzeugt.
Lassen Sie mich etwas Persönliches hinzufügen: Ich
habe Ihren Lebenslauf vor mir liegen. Er ist dem Lebenslauf der neuen Abteilungsleiterin ähnlich. Sie sind
ehemaliger Richter. Auch die neue Abteilungsleiterin
war Richterin. Insofern gehe ich davon aus, dass Ihre
Qualifikation und auch die Qualifikation von Frau
Hauser über jeglichen Zweifel erhaben sind.
({0})
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bin beeindruckt von dieser Parallelität, Herr
Staatssekretär. Ich sehe nicht den geringsten Sachzusammenhang. Gleichwohl herzlichen Dank für die Beantwortung.
Es handelt sich ja um eine politische Beamtin kraft ihrer Einstufung als Abteilungsleiterin. Da auch für solche
Beamte der Grundsatz der Bestenauslese gilt und die
Stelle offensichtlich nicht ausgeschrieben wurde, frage
ich Sie, welcher Personenkreis in die Bestenauslese einbezogen wurde. Ich gehe aber davon aus, dass ich nicht
zu denjenigen gehöre, die da einbezogen worden sind.
Also, Wiefelspütz können Sie gerne außen vor lassen.
Der Fachminister hat im Rahmen seiner Ressorthoheit auch die Personalhoheit und ist deshalb berechtigt, über eine solche Personalie, gerade bei politischen
Beamten, zu entscheiden.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Daran zweifelt ja niemand. Das war auch nicht meine
Frage, Herr Staatssekretär.
Finden Sie es nicht eigenartig, dass ausgerechnet eine
Person ohne migrationspolitische Fachkenntnisse besser
geeignet sein soll als die zahlreichen sehr befähigten
Fachleute für Migration und Integration im Bundesministerium des Innern, wenn es um die Auswahl für
eine solch wichtige Stelle geht?
Es handelt sich hier um eine Führungsaufgabe. Es ist
absolut üblich, dass Führungskräfte in unterschiedlichen
Bereichen eingesetzt werden. Es muss Führungskräften
zugebilligt werden, sich in andere Fachbereiche einzuarbeiten. Auch uns im Parlament ist es möglich, in anderen
Ausschüssen tätig zu sein als in den Ausschüssen, in denen man vorher tätig gewesen ist. Gerade für eine ehemalige Richterin, die an unterschiedlichen Gerichten tätig war, ist es eine Selbstverständlichkeit, fachlich dazu
in der Lage zu sein. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, Herr Wiefelspütz, dass Sie, der Sie die gleiche
Qualifizierung haben, infrage stellen, dass jemand, der
eine solche Befähigung hat, in der Lage ist, eine solche
Position auszufüllen.
Eine Nachfrage stellt nun der Kollege Reichenbach.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben auf die Führungsfähigkeit als Qualifizierungsmerkmal und als Auswahlmerkmal abgehoben. Finden Sie es nicht eigenartig,
dass diese Person in ihrer vormaligen Dienststelle in
Sachsen wegen ihres autoritären Führungsstils und der
vielfältigen Konflikte, die sie in ihrem Führungsbereich
hervorgerufen hat, infrage gestellt und heftig kritisiert
worden ist?
Lieber Herr Reichenbach, es ist hier nicht der richtige
Ort, um sich darüber auseinanderzusetzen, ob Vorwürfe,
die in der Presse bezüglich einer Beamtin geäußert wurden, wahr sind oder nicht. Die Öffentlichkeit, das Plenum ist hierfür mit Sicherheit nicht der richtige Ort. Da
müssten wir die Person der Fairness halber schon selbst
befragen. Ich glaube, dass Sie da sozialdemokratische
Fairness walten lassen sollten. Sie sollten nicht über eine
Person urteilen, die Sie persönlich nicht kennen. Auch
kennen wir die Sachverhalte nicht. Natürlich ist es üblich, dass eine Führungsperson aneckt, dass es Kritik an
ihr gibt. Das ist alles eine Selbstverständlichkeit. Bisher
war es üblich, dass solche Personalien nicht hier im Plenum diskutiert werden. Eine solche Diskussion ist nicht
sinnvoll, wenn wir der Person einigermaßen gerecht
werden wollen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hofmann.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich möchte es auf
einen einfachen Nenner bringen: Der Bundesinnenminister, der früher in Sachsen Minister war, hilft jetzt
der sächsischen Landesregierung, indem er in seinem
Haus eine ehemalige sächsische Staatssekretärin beschäftigt, die bisher dem sächsischen Haushalt auf der
Tasche lag. Diese Frau bekommt im Bundesinnenministerium sozusagen einen Ausbildungsplatz, da sie etwas
völlig Fachfremdes macht.
({0})
Ist es nicht einfach so?
Diese Spekulation weise ich zurück. Das kann wirklich nicht ernst gemeint sein. Es handelt sich um eine
wichtige Position innerhalb des Ministeriums. Sie ist mit
einer qualifizierten Person besetzt worden. Es ist absolut
üblich, dass Personen aus dem Landesdienst in den Bundesdienst wechseln.
({0})
Das Wort für eine weitere Nachfrage hat der Kollege
Hartmann.
Herr Staatssekretär, wir bleiben beim selben Sachverhalt.
({0})
Ich stelle meine Frage bewusst abstrakt: Halten Sie es
grundsätzlich für richtig, eine Person zur Abteilungsleiterin im Innenministerium zu machen, die erheblichen
Vorwürfen ausgesetzt ist, in anderer Funktion, als Staatssekretärin, Einfluss auf Verfahren ausgeübt zu haben?
Lieber Kollege Hartmann, Sie erwecken hier den Eindruck, dass die Person, die jetzt Abteilungsleiterin geworden ist, etwas Unrechtes getan hat. Was Sie hier machen - solche Spekulationen hier im Plenum zu äußern -,
ist absolut unfair. Auch die Beamten haben ein Recht darauf, fair behandelt zu werden. Ich bitte Sie, das zu berücksichtigen.
Noch einmal: Diese Person ist absolut qualifiziert.
Das ist für jeden, mit bloßem Blick auf ihren Lebenslauf,
erkennbar. Wir sollten hier wirklich Fairness wahren und
keine Spekulationen gegenüber einer Person äußern, die
sich dagegen nicht wehren kann.
Zur letzten Nachfrage zu dieser Frage hat der Kollege
Beck das Wort.
({0})
Herr Staatssekretär, ich habe einem Zwischenruf der
SPD entnommen - das ist auch aus der Fragestellung ersichtlich -, dass es sich um eine bisherige Landesbeamtin handelt. Ist diese Person noch im Landesdienst?
Wenn sie nicht mehr im Landesdienst tätig gewesen ist,
bevor das Bundesinnenministerium sie bestellt hat, stellt
sich die Frage, aus welchen Gründen sie nicht mehr im
Landesdienst tätig war.
Lieber Herr Kollege Beck, noch einmal: Ich bin nicht
bereit, hier eine Personaldebatte über eine Beamtin zu
führen.
({0})
Diese Ernennung fällt in den Kompetenzbereich des
Bundesinnenministers. Es obliegt allein dem Innenminister, diese Position zu besetzen.
({1})
Es ist nicht Sache des Plenums, über eine Person zu spekulieren, die sich gegen diese Spekulationen nicht wehren kann.
({2})
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 17/756 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht uns weiterhin der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder zur
Verfügung.
Die Frage 1 des Kollegen Martin Burkert wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Halina Wawzyniak
auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob und, wenn ja, welche
Einheiten der Bundes- oder Landespolizeien bei den Blockaden am 13. Februar 2010 in Dresden sogenannte PepperballWaffen mit sich führten und einsetzten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es geht bei dieser Frage ganz konkret darum, welche
Einheiten der Bundes- oder Landespolizei solche „Waffen“ - ich setze das Wort in Anführungsstriche, denn es
handelt sich hierbei nicht um Waffen, es sind Hilfsmittel
der körperlichen Gewalt - mitgeführt haben.
Die Bundesregierung nimmt zu polizeilichen Einsätzen im Verantwortungsbereich eines Landes keine Stellung. Ebenso erteilt die Bundesregierung auch keine
Auskünfte über Ausstattungen der Länderpolizeien, die
von den Ländern beschafft werden. Ich kann Ihnen aber
mitteilen, dass die Bereitschaftspolizeien der Länder seitens des Bundesministeriums des Innern nicht mit der in
Rede stehenden Technik ausgestattet wurden. Die Bundespolizei verfügt nicht über eine derartige Ausrüstung.
Keine Nachfragen?
({0})
Dann kommen wir zur Frage 3 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele. Die Beantwortung dieser Frage
wurde vom Bundesministerium des Innern an das Auswärtige Amt übertragen. Deshalb kommen wir später darauf zurück.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Axel Schäfer auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP verankerten Kriterien für
das SWIFT-Abkommen durchzusetzen, insbesondere den dort
festgeschriebenen Ratifizierungsvorbehalt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Falls es zu neuerlichen Verhandlungen zwischen der
EU und den USA kommt, wird sich die Bundesregierung
für die im Koalitionsvertrag aufgeführten Ziele einsetzen. Ein solches Abkommen würde wie das bereits
gescheiterte Interimsabkommen einen zweiphasigen
Vertragsschluss vorsehen, nach dem nicht bereits Unterzeichnung zum Abkommensschluss führt. Bei der Unterzeichnung bliebe die bindende Annahme, also die Ratifizierung, durch eine nachfolgende Erklärung vorbehalten.
Für diese Ratifizierung wären die internen Verfahren
durchzuführen. Insbesondere wäre wiederum die Zustimmung des Europäischen Parlaments einzuholen. Ob
auch eine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich sein wird, hängt von der konkreten inhaltlichen
Ausgestaltung des auszuhandelnden Abkommens ab.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Lieber Kollege Schröder, Herr Staatssekretär, wird
die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erneut
Einfluss auf Mitglieder des Europäischen Parlamentes
nehmen, damit man zu einer entsprechenden Entscheidung kommt?
Zunächst einmal haben die Mitglieder des Europäischen Parlaments absolut autark abgestimmt. Wie Sie
wissen, hat das Europäische Parlament ja gegen dieses
Abkommen gestimmt. Insofern kann hier nicht von einer
Einflussnahme der Bundesregierung ausgegangen werden.
({0})
Vielmehr haben sie absolut autark abgestimmt. Insofern
weise ich diese Spekulation zurück.
Ihre zweite Nachfrage, bitte. - Sie verzichten. Dann
hat der Kollege Montag das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
habe den Beginn Ihrer Antwort auf die schriftliche Frage
so verstanden, dass Sie sie unter den Vorbehalt gestellt
haben: falls es zu neuen Verhandlungen über ein neues
Abkommen zwischen der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten von Amerika über die SWIFT-Daten
komme. Ist das so zu verstehen, dass diese Verhandlungen noch gar nicht begonnen haben bzw. noch nicht in
Aussicht gestellt wurden, dass die Bundesregierung von
neuen Verhandlungen noch gar nichts weiß? Nach unserem Kenntnisstand war von vornherein beabsichtigt, den
jetzigen Zustand vorbehaltlich der Parlamentsabstimmung, die dann anders ausgegangen ist, sowieso nur vorläufig zu händeln und unmittelbar und sofort mit den
Verhandlungen für das nächste Abkommen zu beginnen.
Noch einmal konkret meine Frage: Weiß die Bundesregierung nichts von solchen neuen Verhandlungen?
Sind sie noch nicht begonnen worden? Welche Position
vertreten Sie dazu?
Die Präsidentschaft und die Kommission sind ja davon ausgegangen, dass das Interimsabkommen in Kraft
tritt, dass das Interimsabkommen nach sechs Monaten
evaluiert wird und dass dann auf Grundlage dieser Evaluation ein endgültiges Abkommen abgeschlossen wird,
das heißt, dass während der Laufzeit des Interimsabkommens über ein endgültiges Abkommen verhandelt wird.
Jetzt ist das Interimsabkommen gescheitert. Dem Bun1970
desministerium des Innern war es extrem wichtig, dass
das Europäische Parlament selbst darüber entscheidet
und auch die Möglichkeit bekommt,
({0})
dieses Interimsabkommen zu stoppen. Der Bundesinnenminister war derjenige, der in der Ratssitzung explizit darauf aufmerksam gemacht hat, dass schon bei
diesem Abkommen sozusagen in Vorwirkung der Vertrag von Lissabon Anwendung findet. Das heißt, dass
der Vorwurf, der hier immer im Raum stand, dass der
Rat das Abkommen so abgeschlossen habe, dass das Europäische Parlament gerade nicht mehr zustimmen muss,
absolut haltlos ist. Denn der Rat hat, auf Drängen des
Bundesinnenministers, letztendlich dafür gesorgt, dass
das Europäische Parlament die Möglichkeit hat, dieses
Interimsabkommen zu stoppen.
({1})
Nun haben wir, wie gesagt, eine völlig neue Situation.
Die Europäische Kommission muss jetzt ein neues Verhandlungsmandat präsentieren. Dieses war ursprünglich
für heute vorgesehen; es ist aber nicht erfolgt. Morgen
steht das SWIFT-Abkommen in Brüssel im Rat auf der
Tagesordnung. Dort geht es zunächst einmal darum, dass
sich der Rat eine Meinung bildet. Es kann also noch
nicht die Rede davon sein, dass es schon zu einem neuen
Verhandlungsmandat kommt. Nach dem Rat wird sich
auch die Kommission eine Meinung bilden. Dann kann
ein Verhandlungsmandat erteilt werden.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege
Reichenbach.
Ich nehme Bezug auf Ihre Antwort auf die Frage des
Kollegen Montag. Bei der Debatte im Deutschen Bundestag zu SWIFT haben sowohl die FDP-Fraktion, offensichtlich auch für ihre Justizministerin, als auch der
Minister selbst erklärt, dass man umgehend in Verhandlungen treten werde, um die in dem jetzigen Abkommen
nicht vorhandenen Datenschutzstandards bei der Verlängerung des Abkommens, die in einem halben Jahr ansteht, implementieren zu können. Entnehme ich Ihrer
Aussage richtig, dass dies zwar erklärt wurde, dass aber
anschließend nichts geschehen ist?
({0})
Das Interimsabkommen ist nicht in Kraft getreten.
Seitdem das Europäische Parlament dieses Abkommen
abgelehnt hat, gab es keinen offiziellen Rat mehr. Der
Europäische Rat der Innen- und Justizminister tritt morgen das erste Mal wieder zusammen und wird über das
Thema beraten und sich eine Meinung bilden. Insofern
kann von einem Zeitverzug, wie Sie ihn hier behaupten,
überhaupt nicht die Rede sein.
Die vorletzte Nachfrage stellt der Kollege Sarrazin.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Staatssekretär, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit. Ich
habe dazu heute Morgen auf der Titelseite der Bunten ein
wunderschönes Bild gesehen. Das freut uns natürlich
alle.
Man sollte jedoch - um im Bild zu bleiben - die Art
von Ehrlichkeit, die man vor dem Standesbeamten hat,
auch hier walten lassen. Wir wissen schließlich alle, dass
der Rat seinen Beschluss vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gefasst hat und erst, nachdem der
Zeitplan längst klar war, deutlich wurde, dass jetzt doch
das EP zustimmen muss. Wollen Sie diesen Ablauf infrage stellen - so haben Sie es hier dargestellt -, oder
würden Sie mir bezüglich dieser Tatsachen zustimmen?
Meine zweite Frage ist - ({0})
Kollege Sarrazin, Sie dürfen nur eine Frage stellen.
Okay. Dann frage ich jetzt noch ganz kurz: Sie haben
dargestellt, dass die Bundesregierung bisher keine Meinung habe. Herr Schäfer hat zu Recht gesagt, dass die
Europaabgeordneten von der Bundesregierung in Einzelgesprächen beeinflusst worden seien. In welche Richtung wurden sie denn beeinflusst: Ging das in Richtung
Enthaltung, Ablehnung oder Zustimmung? Vielleicht
können wir daraus schließen, was Sie morgen vorhaben.
Lieber Herr Kollege, ich muss Ihre Behauptung, dass
das Bundesinnenministerium das Europäische Parlament
von der Mitbestimmung ausschließen wollte, noch einmal zurückweisen. Das Gegenteil war der Fall. Ich war
beim Rat der Justiz- und Innenminister in Brüssel anwesend, und da war es der Bundesminister des Innern, der
explizit darauf gedrungen hat, dass das Europäische Parlament nach dem neuen Vertrag von Lissabon die Möglichkeit erhalten muss, über das Interimsabkommen abzustimmen. Der Justizdienst der Kommission hat dazu
Stellung genommen und deutlich gemacht, dass das Europäische Parlament auch nach Meinung des Rates die
Möglichkeit der Mitbestimmung haben muss. Insofern
ist Ihre Behauptung schlichtweg falsch, dass wir als Regierung das Europäische Parlament in irgendeiner Art
und Weise ausschließen wollen.
Zu Ihrer nächsten Frage, die auch in eine Behauptung
gekleidet war, wir wüssten nicht, in welche Richtung wir
überhaupt verhandeln: Wir haben immer darauf gedrungen, dass der Datenschutzstandard möglichst hoch ist.
Letztendlich haben wir uns beim SWIFT-Abkommen
enthalten, weil wir gesagt haben: Der Datenschutzstandard entspricht nicht dem Standard, den wir auf bundesdeutscher Ebene gewohnt sind; wir wollen einen höheren Standard. Wir haben uns in Abwägung, dass wir,
falls das SWIFT-Abkommen gar nicht in Kraft tritt, bei
der Abfrage von Daten in den Vereinigten Staaten überhaupt keinen Datenschutz haben, dazu entschieden. Wir
halten den Zustand ohne SWIFT-Abkommen für
schlechter als den Zustand mit SWIFT-Abkommen und
sind der Meinung, dass dieses Abkommen einen höheren
Datenschutz für europäische Daten in den Vereinigten
Staaten sicherstellt.
Die letzte Nachfrage zur Frage 4 stellt der Kollege
Dr. Wiefelspütz.
Wir hatten es mit einem bemerkenswerten Vorgang zu
tun, Herr Staatssekretär: Die Justizministerin war gegen
SWIFT,
({0})
der Bundesinnenminister hat sich im Ministerrat kraftvoll enthalten, und jetzt ist kraft der parlamentarischen
Entscheidung in Brüssel SWIFT zunächst einmal gescheitert. Nun darf man vermuten, dass es bald erneute
Verhandlungen geben wird. Was ist denn jetzt die Position der Bundesregierung? Gibt es eine Präzisierung der
datenschutzrechtlichen Position der Bundesregierung in
Sachen SWIFT? Gibt es eine zwischen Ihrem Haus und
dem Hause Leutheusser-Schnarrenberger abgestimmte
Haltung? Wird es wieder Chaos geben? Wie ist die datenschutzrechtliche Position der Bundesregierung in Sachen SWIFT, wenn es in Brüssel zur Sache geht?
Lieber Herr Kollege, zunächst einmal stelle ich fest,
dass von SPD-Finanzminister Steinbrück eine einseitige
Zusicherung der Vereinigten Staaten von Amerika, dass
die SWIFT-Daten in Amerika sicher seien und es zu keinen datenschutzrechtlichen Problemen komme, begrüßt
und diese einseitige Zusicherung als großer datenschutzrechtlicher Erfolg angesehen wurde. Eine einseitige Erklärung der Vereinigten Staaten von Amerika hat dem
SPD-Finanzminister ausgereicht.
Die neue Bundesregierung, insbesondere mit der
kraftvollen Unterstützung der Justizministerin, hat in
den wenigen Wochen, die uns noch zur Verfügung standen, weil sich die Regierung erst vor sehr kurzer Zeit
überhaupt etabliert hatte und verhandeln konnte, enorm
viel herausverhandelt, insbesondere, dass die SEPA-Daten herausgenommen wurden und noch einmal die Regelungen zum Rechtsschutz verbessert wurden.
Natürlich werden wir bei den neuen Verhandlungen,
wenn es denn zu solchen Verhandlungen kommt - wir
wissen überhaupt nicht, ob die Amerikaner jetzt an
neuen Verhandlungen interessiert sind -, die Interessen,
die wir als Regierung schon bei den ersten Verhandlungen verfolgt haben, wiederum verfolgen. Dies ist ein
möglichst umfassender Datenschutz für die Bürgerinnen
und Bürger. Das bedeutet, dass wir nach Möglichkeit individuellen Rechtsschutz brauchen. Es bedeutet beispielsweise, dass die Möglichkeit, die Daten an Dritte
weiterzuleiten, eingeschränkt werden muss, und es bedeutet natürlich auch, dass die Auswahl, wann denn Daten aus Europa vom SWIFT-Server nach Amerika weitergeleitet werden, nach möglichst engen Kriterien
getroffen wird.
Diese Ziele haben wir immer verfolgt, und sie werden
wir natürlich auch bei weiteren Verhandlungen verfolgen. Das Problem ist nur, dass die Bundesregierung die
Verhandlungen nicht führt. Vielmehr werden diese Verhandlungen von der Kommission zusammen mit der
Ratspräsidentschaft geführt, und wir sind auch nicht allein, sondern wir sind 27 Mitgliedstaaten. Deshalb ist die
Auffassung der Bundesregierung nicht allein maßgeblich. Nichtsdestotrotz werden wir selbstverständlich
auch bei den Vorbereitungen zu diesen Verhandlungen
das Ziel, ein möglichst hohes datenschutzrechtliches Niveau zu erreichen, weiterverfolgen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass sich die nachfolgenden Fragen 5 bis 11 ebenfalls mit dem SWIFT-Abkommen beschäftigen, also eventuell bestehender Nachfragebedarf sicherlich auch entsprechend aufgelöst
werden kann.
Ich rufe nun die Frage 5 des Kollegen Axel Schäfer
auf:
Inwiefern wird die Bundesregierung darauf hinwirken,
dass die Ablehnung des SWIFT-Abkommens im Europäischen Parlament nicht durch bilaterale Abkommen umgangen
wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments ist
für die Willensbildung der Europäischen Union von Bedeutung. Das Europäische Parlament wirkt nicht an der
mitgliedstaatlichen Willensbildung mit. Falls ein Mitgliedstaat im Bereich geteilter Zuständigkeit zu einem
vom Europäischen Parlament abweichenden Ergebnis
gelangt und seine nationalen Kompetenzen ausübt, liegt
keine Umgehung der Kompetenzen des Europäischen
Parlaments vor. Auch dem Deutschen Bundestag bliebe
es frei, ein Gesetz zu einer Materie zu erlassen, zu der
ein Rechtsakt der EU mangels Zustimmung des Europäischen Parlaments nicht zustande gekommen ist. Dies gilt
ebenso für die Vertragskompetenz der hier betroffenen
Mitgliedstaaten Belgien und die Niederlande.
Der Bundesregierung liegen allerdings keine Hinweise vor, dass Belgien oder die Niederlande bilaterale
SWIFT-Abkommen mit den USA planen. Dabei würde
es sich um souveräne Entscheidungen dieser Staaten
handeln, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss
hat. Die Bundesregierung geht allerdings davon aus,
dass Belgien und die Niederlande ihrerseits vorrangig an
einer europäischen Lösung interessiert sind.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Herr Kollege Schröder, Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, dass Sie in Ihrer ersten Antwort ausgeführt haben, dass die Bundesregierung keinen Einfluss auf die
Meinungsbildung des Europäischen Parlaments genommen hat? Mir haben Kollegen aus dem Europäischen
Parlament, MdEPs der CDU/CSU-Gruppe, gesagt - natürlich vertraulich, deshalb werde ich das auch nicht
wiederholen, sonst kann man nicht mehr vertraulich miteinander reden -, dass es eine Reihe von persönlichen
Gesprächen seitens der Bundesregierung gegeben hat,
um sicherzustellen, dass es im Europäischen Parlament
- am vorletzten Donnerstag - nicht zu einer ablehnenden
Haltung kommt.
Natürlich kommt es zu Gesprächen zwischen Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und Mitgliedern der
Bundesregierung. Das ist bei einem so wichtigen Thema
selbstverständlich, schon allein, um sich fachlich auszutauschen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Bedenken Sie, dass das Europäische Parlament dem SWIFTAbkommen nicht zugestimmt hat.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Um das zu präzisieren, Herr Kollege Schröder, Herr
Staatssekretär: Hat sich die Bundesregierung erfolglos
dahin gehend bemüht, zumindest die mir bekannten Kollegen der CDU/CSU-Gruppe in der EVP-Fraktion des
Europäischen Parlaments dazu zu bewegen, dass sie im
Europäischen Parlament dem Abkommen zustimmen
und es nicht, wie dann geschehen, ablehnen?
({0})
Diese Frage kann ich mit Nein beantworten. Es wäre
interessant, zu wissen, welche Personen Sie überhaupt
meinen.
({0})
Ihre Äußerungen sind reine Spekulation. Natürlich
kommt es zu Gesprächen, das ist doch selbstverständlich. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments wenden sich im Übrigen auch an das Bundesministerium des
Innern, um fachliche Expertisen zu erhalten, die wir
selbstverständlich auch herausgeben.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Ihre Antworten auf die Fragen ergeben meines Erachtens kein schlüssiges Bild. Deshalb möchte ich nach der
Verhandlungsstrategie der Bundesregierung im Falle
neuerlicher Verhandlungen fragen. Sie haben deutlich
gemacht, dass Sie einerseits höhere datenschutzrechtliche Standards durchsetzen wollen, andererseits haben
Sie sich in Brüssel anders verhalten. Durch Ihre Enthaltung haben Sie signalisiert, dass es nicht so schlimm ist,
wenn die Standards nicht eingehalten werden.
Mit welcher Strategie wollen Sie deutlich machen,
dass für Sie als Bundesregierung die Forderungen eine
Voraussetzung dafür sind, dass Sie neuerlich zustimmen? Gibt es klare Kriterien, die die Bundesregierung
für die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und den Vereinigten Staaten von Amerika mit
auf den Weg gibt? Unter welchen Bedingungen ist die
Bundesregierung bereit, im Ministerrat zuzustimmen?
Unter welchen Bedingungen kann sie ihre Zustimmung
nicht in Aussicht stellen? Nachdem Sie sich schon einmal enthalten haben, ist es völlig unglaubwürdig, wenn
Sie jetzt, ohne das klar zu formulieren, sagen, dass Sie
das ernsthaft voranbringen wollen. Dann ist das nur
weiße Salbe, damit Ihnen Max Stadler, der neben Ihnen
sitzt, nicht vom Stuhl springt.
({0})
Lieber Herr Kollege Beck, Sie machen den Fehler,
dass Sie davon ausgehen, dass das Rechtsschutzniveau
hinsichtlich des Datenschutzes höher ist, wenn das
SWIFT-Abkommen nicht zustande kommt. Wir sind anderer Auffassung. Das SWIFT-Abkommen ist nicht die
Rechtsgrundlage für die Übermittlung der Daten, sondern das Rechtshilfeabkommen. Das SWIFT-Abkommen hebt das datenschutzrechtliche Niveau in den Vereinigten Staaten von Amerika und verbessert den
bisherigen Rechtszustand, der nur eine einseitige Erklärung der Amerikaner, dass die Daten sicher sind, zur
Grundlage hat.
Sie gehen von einer falschen Prämisse aus. Ihrer Meinung nach ist es ohne SWIFT-Abkommen besser als mit
SWIFT-Abkommen. Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass es mit SWIFT-Abkommen ein höheres datenschutzrechtliches Niveau gibt, auch wenn das datenschutzrechtliche Niveau letztendlich hätte höher sein
müssen. Das Problem ist aber, dass wir in den Vereinigten Staaten von Amerika eine völlig andere Rechtsordnung und ein anderes Rechtssystem bezüglich des
Datenschutzes haben. Für die amerikanische Rechtsordnung stellt es keinen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, wenn ein Datum elektronisch weitergeleitet oder elektronisch abgespeichert
wird. Das ist anders als in unserer Rechtsordnung. Die
amerikanische Rechtsordnung kennt einen ausgeprägten
individuellen Rechtsschutz, wie wir ihn kennen, eben
nicht. Deshalb gehen wir von völlig unterschiedlichen
datenschutzrechtlichen Niveaus aus. Wenn wir mit den
Amerikanern zusammenarbeiten wollen, müssen wir natürlich verhandeln und uns in der Mitte treffen.
Die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung ist
klar: Wir sprechen uns dafür aus, dass es zu einem bereichsspezifischen Datenschutz kommt. Darüber sind
wir uns mit dem Bundesministerium der Justiz völlig einig. In diese Richtung zielen wir auch, wenn wir versuchen, unseren Einfluss auf europäischer Ebene geltend
zu machen. Wir setzen uns dafür ein, dass der Rat bzw.
die Präsidentschaft des Rates und die Kommission entsprechend verhandeln.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Dr. Eva Högl auf:
Wann ist mit der Vorlage eines Entwurfes für das nun neu
zu verhandelnde sogenannte SWIFT-Abkommen zu rechnen,
und bis wann soll dieses abgeschlossen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Frage bezieht sich auf das, was wir eben schon
besprochen haben. Die Antwort lautet: Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. Wie ich bereits gesagt habe, geht es nicht um einen Entwurf - in
dieser Phase sind wir noch lange nicht -, sondern es geht
zunächst einmal um ein Verhandlungsmandat. Darüber
wird in den nächsten Wochen auf europäischer Ebene
diskutiert werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Es geht natürlich um genau dieses Verhandlungsmandat. Sie haben
eben gesagt, dass Sie darüber zunächst im Rat beraten.
Nach unserer Information entwirft die Kommission ein
solches Verhandlungsmandat und legt es dann dem Rat
vor. Deshalb meine Nachfrage: Wer legt vor? Beraten
Sie zunächst im Rat, oder legt die Kommission vor? Ich
kombiniere das mit der Frage: Wird sich das neue Mandat, der neue Entwurf der Kommission inhaltlich wesentlich von dem unterscheiden, was bisher in dem Abkommen stand?
Die Kommission legt einen Vorschlag für ein solches
Mandat vor. Der Rat kann das natürlich auch tun. Wir
sind jetzt in der Phase der Meinungsbildung. Insofern ist
es reine Spekulation, wenn man darüber spricht, was für
ein Mandat am Ende dabei herauskommt. An solchen
Spekulationen kann ich mich wirklich nicht beteiligen.
Ich möchte die Verhandlungen morgen abwarten.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich glaube, das ist alles andere als
Spekulation. Sie haben eben vorgetragen, welche Positionen die Bundesregierung verankert sehen möchte.
Das kann man auch dem Koalitionsvertrag entnehmen.
Wenn ich jetzt frage: „Was erwarten Sie, was in diesem
Mandat stehen wird?“, dann frage ich natürlich auch danach, wie Sie gewährleisten wollen, dass sich Ihre Position, die Sie hier vorgetragen haben - besseren Datenschutz verankern -, in einem neuen Mandatsentwurf
widerspiegelt. Ich darf daran erinnern, dass sich diese
Position der Bundesregierung bei der Beratung des Rates
vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages gerade nicht im
Mandat und im Entwurf für ein Abkommen wiedergefunden hat. Deswegen wollen wir jetzt - ich knüpfe an
die Fragen meiner Kolleginnen und Kollegen an - wissen, wie Sie das sicherstellen.
Wie wir das sicherstellen, ist klar, nämlich indem wir
gut verhandeln. Das Mandat ist das eine, aber das Verhandlungsergebnis ist viel wichtiger. Das Mandat muss
natürlich auch mit dem Europäischen Parlament abgestimmt werden. Danach kommt es zu Verhandlungen.
Ob die Amerikaner neu verhandeln wollen, ist völlig offen. Wir sind wirklich in einer frühen Phase. Jetzt schon
zu wissen, was am Ende herauskommt, ist schlichtweg
nicht möglich.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Volker
Beck das Wort.
Ich frage die Bundesregierung, ob auch das Bundesjustizministerium der Auffassung ist, dass jedes SWIFTAbkommen eine Verbesserung des Datenschutzes darstellt und deshalb von der Bundesregierung in Aussicht
gestellt wird, faktisch jedem Entwurf für ein SWIFT-Abkommen zuzustimmen, da dies ja einen Fortschritt für
den Datenschutz darstellen würde. Oder hat das Bundesjustizministerium hierzu eine andere Auffassung als die,
die uns der Staatssekretär des Innenministeriums eben
deutlich gemacht hat? Ich wäre auch einverstanden,
wenn der Staatssekretär des Justizministeriums darauf
antwortet.
Lieber Herr Kollege Beck, selbstverständlich werden
wir nicht jedem SWIFT-Abkommen zustimmen. Das
SWIFT-Abkommen, das ausverhandelt war und vom Europäischen Parlament abgelehnt wurde, hätte die Rechtssicherheit erhöht. Deshalb wäre dadurch auch der Datenschutz verbessert worden. Aber nicht jedes Abkommen
erhöht automatisch den Datenschutz. Entscheidend ist,
dass man sich das Verhandlungsergebnis am Ende genau
ansieht.
({0})
Die Bundesregierung entscheidet - Kollege Beck, Sie
sind doch ein erfahrener Parlamentarier -, wer auf die
Fragen antwortet.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Dr. Eva Högl auf:
Wann und wie plant die Bundesregierung das Europäische
Parlament und den Deutschen Bundestag in ihre Positionierung zur Neuverhandlung einzubeziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort hierzu lautet: Der Deutsche Bundestag
wird gemäß dem Gesetz über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union beteiligt, sobald die
EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Verhandlungsmandat vorgelegt hat. Der Rat hat diesen Vorschlag von
der Kommission noch für Februar erbeten. Das Europäische Parlament wird nicht durch die Bundesregierung,
sondern auf EU-Ebene, also durch den Rat, beteiligt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank. - Ich stelle zunächst eine Nachfrage zur Beteiligung des Deutschen
Bundestags. Sie sagten, die Sitzung des Rates in Brüssel
stehe unmittelbar bevor. Da es dort einen ersten Meinungsaustausch geben wird, möchte ich darauf hinweisen: Es hätte bereits Gelegenheit gegeben, den Bundestag frühzeitig zu beteiligen. Ich möchte daher gerne ein
paar mehr Informationen darüber haben, wie Sie sich das
Ganze von der Zeitschiene her vorstellen, und möchte
keine unverbindliche Auskunft mit Verweis auf das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und
Bundestag, das mir selbstverständlich sehr gut bekannt
ist.
Ich habe bereits heute Morgen im Innenausschuss erklärt, dass die Kommission ein neues Vertragsmandat
vorgelegt hat. Ich habe im Zusammenhang mit dem Vorbericht für die Sitzung des Rates, die morgen stattfindet,
erläutert, dass die Verhandlungen über das SWIFT-Abkommen auf der Tagesordnung stehen. Insofern haben
wir alles dafür getan, dass der Bundestag möglichst frühzeitig informiert ist.
Ansonsten verhält es sich eben genauso, wie es in
§§ 6 und 7 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Bundestag vorgesehen ist, dass
nämlich der Bundestag entsprechend informiert wird,
wenn die Dokumente bei der Bundesregierung ankommen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich stelle noch eine Frage zum Europäischen Parlament, die nicht ganz unwesentlich ist. Der Rat hat den
Beschluss zum SWIFT-Abkommen einen Tag vor dem
Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages gefasst - dieser
Umstand ist bekannt - und damit verhindert - das widerspricht Ihrer Darstellung -, dass das Europäische Parlament im Vorfeld der Verhandlungen zu diesem Abkommen umfassend einbezogen werden konnte. Das führte
dazu, dass das Parlament nur noch Ja oder Nein sagen
konnte. Insofern weicht Ihre Darstellung von dem tatsächlichen Sachverhalt etwas ab.
Deswegen stelle ich jetzt noch einmal die Frage: Wie
sorgen Sie als Bundesregierung dafür - darauf haben Sie
im Rat ganz maßgeblich Einfluss; das haben wir Ende
November 2009 gesehen -, dass das Europäische Parlament frühzeitig und umfassend in die Beratungen einbezogen wird? Denn das Parlament hat ja klar Position bezogen: Es hat das Abkommen nicht nur abgelehnt,
sondern auch gesagt, was es sich inhaltlich wünscht, was
in einem neuen Abkommen stehen soll.
Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, das Europäische Parlament zu informieren. Die Bundesregierung
informiert den Bundestag, und die europäischen Gremien informieren sich untereinander. Natürlich können
wir darauf hinweisen - das ist eine Selbstverständlichkeit -, dass der Rat und die Kommission das Europäische Parlament mit einbeziehen. Es gab vorher keine
Möglichkeit, das Europäische Parlament entsprechend
mit einzubeziehen, weil der Vertrag von Lissabon noch
nicht in Kraft war. Wir haben bereits alles dafür getan,
dass das Europäische Parlament überhaupt darüber abstimmen konnte. Das war nicht selbstverständlich, weil,
wie gesagt, der Ratsbeschluss einen Tag vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon erging.
Insofern sage ich noch einmal: Es ist dem Nachdruck
des Bundesministeriums des Innern zu verdanken, dass
das Europäische Parlament darüber abstimmen konnte.
Natürlich wird ein Parlament nicht unmittelbar an den
Verhandlungen beteiligt, sondern an der Formulierung
des Verhandlungsmandats. Es wird verhandelt, und dann
wird auf nationaler bzw. auf europäischer Ebene entsprechend umgesetzt.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Manuel
Sarrazin.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Schröder, jetzt habe
ich gerade über den Ticker die Meldung gelesen, dass
die Kommission tatsächlich einen Entwurf vorgelegt hat.
Sie haben ja gerade gesagt, dass, sobald die Kommission
einen Entwurf vorgelegt hat, der Bundestag unterrichtet
wird. Wenn Sie sich jetzt noch nicht imstande sehen, hier
mit uns einzelne Details dessen zu besprechen, worauf
die Bundesregierung Einfluss nehmen möchte - das
fände ich gut, weil Sie gesagt haben, dass Sie inhaltlich
durchaus Einfluss nehmen wollen -: Können Sie vielleicht zumindest schon etwas zum Verfahren sagen, wie
wir jetzt unterrichtet werden, wann wir als Parlament die
Position der Bundesregierung erfahren, um daraufhin
gegebenenfalls als Parlament eine Stellungnahme vorzubereiten?
Unmittelbar, das heißt in der Regel einen Tag nachdem der Rat ein EU-Dokument in der ZEUS-Datenbank
veröffentlicht hat, übersendet das Bundesministerium für
Wirtschaft das Dokument elektronisch im Rahmen der
förmlichen Zuleitung mit einem formalisierten Zuleitungsschreiben an den Deutschen Bundestag. Das Zuleitungsschreiben enthält, wie Sie wissen, unter anderem
Angaben zum wesentlichen Inhalt des Dokuments, zur
Rechtsgrundlage, zum Erscheinungsdatum in deutscher
Sprache sowie zum zuständigen Ressort. Gleichzeitig,
das heißt am selben Tag, wird das zuständige Ressort
vom BMWi aufgefordert, gemäß § 7 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen
Union binnen zwei Wochen nach förmlicher Zuleitung
einen Bericht an das BMWi zu senden.
Nach Vorlage des Berichts erfolgt von dort unverzüglich die Weiterleitung an das Europa-Büro des Bundestages. Der Berichtsbogen enthält Angaben zur Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung, zur Zielsetzung,
zu inhaltlichen Schwerpunkten, zur politischen Bedeutung, zu deutschen Interessen und, sofern bekannt, zu
den Positionen des Bundestages, des Bundesrates, des
Europäischen Parlaments, zum Meinungs- und Verfahrensstand im Rat sowie zu den finanziellen Auswirkungen.
Handelt es sich bei dem Ratsdokument um einen Vorschlag für einen Rechtsgebungsakt der EU, hat die Bundesregierung dem Bundestag in der Regel nach Überweisung an die Ausschüsse eine umfassende Bewertung zu
übermitteln. Die Aufforderung an die Ressorts ergeht
wieder durch das BMWi, nachdem der Bundestag mitgeteilt hat, dass das betreffende Dokument als beratungsrelevant eingestuft worden ist. Auch hier gilt eine Zweiwochenfrist. Die umfassende Bewertung enthält Angaben
zur Prüfung der Zuständigkeit der EU, zur Subsidiaritätsund Verhältnismäßigkeitsprüfung und eine umfassende
Folgenabschätzung, insbesondere in rechtlicher, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht. Das ist das Verfahren, das dann zur Anwendung kommt. Habe ich Ihre
Frage damit ausreichend beantwortet?
({0})
Diesen Austausch müssen Sie dann an anderer Stelle
fortführen. Allerdings habe ich schon darauf aufmerksam gemacht, dass wir bis zur Frage 11 immer wieder
auf dieses Thema zurückkommen. Auch der Kollege
Sarrazin hat dann die Möglichkeit, gegebenenfalls noch
einmal nachzufragen.
Wir kommen jetzt zur Frage 8 des Kollegen Gerold
Reichenbach:
In welcher Form und auf welcher Grundlage gibt es gegebenenfalls seit dem 11. Februar 2010 eine Übermittlung von
Finanzdaten an die USA?
Bitte, Herr Staatssekretär.
In der Frage 8 des Kollegen Reichenbach ist das Datum genannt, zu dem das Europäische Parlament das
SWIFT-Abkommen abgelehnt hat und somit auch das
Interimsabkommen außer Kraft getreten ist. Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von
Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der
Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die
Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus, das sogenannte SWIFT-Abkommen, vom 30. November 2009 wurde vom Europäischen
Parlament am 11. Februar 2010 abgelehnt. Seine vorläufige Anwendbarkeit ist daher zu beenden.
Dies betrifft die Grundlage der völkerrechtlichen Zusammenarbeit, speziell die Übermittlungspflichten von
Belgien, Sitzstaat von SWIFT, und den Niederlanden,
Sitz eines SWIFT-Servers.
Die innerstaatlichen Befugnisgrundlagen zur Übermittlung personenbezogener Daten bleiben davon unberührt.
Der Bundesregierung liegen keine näheren Informationen
über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bezüglich der Übermittlung von Finanzdaten aus Belgien
und den Niederlanden an die USA vor.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Warum hat sich die Bundesregierung bei den betroffenen Staaten nicht erkundigt, ob, unabhängig von der Ablehnung des Europäischen Parlaments, Daten auf nationaler Rechtsgrundlage übertragen werden?
Wir haben das natürlich diskutiert. Den Niederländern
und den Belgiern war es aber besonders wichtig, dass es
zu einem europäischen Abkommen kommt und die
Europäische Union darüber entscheiden kann, weil es
sich um Daten aus ganz Europa handelt.
Inwieweit das Rechtshilfeabkommen zwischen den
Vereinigten Staaten und der EU in der nationalen Umsetzung dazu genutzt wird, bilateral Daten zwischen den
Niederlanden und den Vereinigten Staaten oder Belgien
und den Vereinigten Staaten zu übermitteln, bleibt natürlich abzuwarten. Das bedeutet, dass wir uns derzeit in einem Zustand der Rechtsunsicherheit befinden. Inwieweit es jetzt bilateral zu solchen Datenübermittlungen
kommt, wissen wir nicht.
Genau diese Problematik haben wir immer gesehen.
Wir wollten, dass es zu einer EU-weiten Regelung
kommt, weil es sich auch um EU-weite Daten handelt.
Inwieweit bilateral solche Datenübermittlungen erfolgen werden, bleibt abzuwarten. Das ist jetzt alleine Sache der Amerikaner, der Belgier und der Niederländer.
Ich versuche meine Nachfrage noch einmal zu präzisieren. Es geht hier ja nicht um die Übermittlung von
Daten im Rahmen eines Rechtshilfeabkommens, also in
Fällen, in denen ein konkreter Tatverdacht oder ein konkreter Anhaltspunkt vorliegt und spezielle Daten abgefragt werden. Nach meiner Einschätzung geht das auch
bei der Frage des Datenschutzes bei Ihnen immer etwas
durcheinander. Vielmehr geht es um folgende Frage:
Findet seit dem 11. Februar 2010 eine Regelübermittlung, so wie sie im SWIFT-Abkommen vorgesehen war,
unter den genannten Bedingungen statt und, wenn dies
der Fall ist, auf welcher Rechtsgrundlage?
Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung wäre
auch mit dem SWIFT-Abkommen das Rechtshilfeabkommen gewesen, weil das SWIFT-Abkommen auf das
Rechtshilfeabkommen Bezug nimmt. Das SWIFT-Abkommen hat keine eigenständige Rechtsgrundlage, sondern die Daten werden nur in Zusammenhang mit dem
Rechtshilfeabkommen übermittelt. Inwieweit es jetzt zu
bilateralen Datenübermittlungen kommt, liegt außerhalb
unserer Sphäre. Darauf haben wir keinen Einfluss. Das
ist auch genau die Problematik, die wir immer gesehen
haben.
Ich mache nur vorsorglich darauf aufmerksam: Zu
diesem gesamten Komplex wird - entgegen meinen bisherigen Ankündigungen - jetzt nur noch die Frage 9 des
Kollegen Gerold Reichenbach aufgerufen. Das heißt,
eventuelle Nachfragen von Kolleginnen und Kollegen
aus den Fraktionen müssten während des Disputes
zwischen dem Staatssekretär und dem Kollegen
Reichenbach angemeldet werden, da die Fragen 10
und 11 schriftlich beantwortet werden.
Jetzt rufe ich die Frage 9 des Kollegen Gerold
Reichenbach auf:
Welches sind für die Bundesregierung die Mindeststandards im Daten- und Rechtsschutz, deren Einhaltung im Rahmen der Neuverhandlung des sogenannten SWIFT-Abkommens nach Äußerung von der Bundesministerin der Justiz,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, gewährleistet werden
muss?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Verhandlungsziel der Bundesregierung ist nicht ein
Abkommen, das lediglich Mindeststandards genügt, sondern ein Abkommen mit einem hohen Datenschutzniveau und einem effektiven Rechtsschutz; die Koalitionsvereinbarung enthält hierzu bereits Vorgaben. Diesem
Ziel würde nicht gedient, wenn die Bundesregierung ihre
Mindestposition öffentlich bekannt gäbe. Die Bundesregierung wird nach Abschluss der Verhandlungen würdigen, ob sie dem erzielten Ergebnis zustimmt.
Bitte, Ihre erste Nachfrage.
Dann hake ich bei der Frage des Rechtsschutzes einmal nach. Ist die Frage des Rechtsschutzes für europäische Betroffene innerhalb der USA für die Bundesregierung verhandelbar oder nicht verhandelbar?
Rechtsschutz ist auf unterschiedliche Art und Weise
möglich. Wir kennen es auf europäischer Ebene so, dass
im Bereich des Datenschutzes jeder Bürger individuellen
Rechtsschutz hat. Das heißt, jeder Bürger hat ein Auskunftsrecht, und jeder hat, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, auch ein Löschungsrecht. Das sieht das amerikanische Rechtssystem so nicht vor. Dort gibt es diese
Form des individuellen Rechtsschutzes nicht. Deshalb
haben wir hier völlig unterschiedliche datenschutzrechtliche Niveaus.
Unser Ziel ist natürlich, dass wir nach Möglichkeit einen individuellen Datenschutz für die europäischen Bürger sicherstellen. Das würde aber bedeuten, dass die
Amerikaner ihr Rechtssystem ändern müssten. Eine andere Möglichkeit, die dem Ziel nahekommt, ist, dass
deutsche Behörden für die europäischen Bürger einen
solchen Rechtsschutz sicherstellen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass man Gremien schafft, die diesen
Rechtsschutz sicherstellen.
Wir sind für ein möglichst hohes Niveau beim
Rechtsschutz, das dem individuellen Rechtsschutz der
Bürger, den sie in Europa genießen, möglichst nahekommt. Ob das am Ende gelingt, das ist eine Frage der
Verhandlungen, und ob uns das ausreicht, das ist eine
Frage, die am Ende der Verhandlungen beantwortet werden muss.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Gibt es dazu schon eine abgestimmte Position zwischen dem Justiz- und dem Innenministerium?
Die Position gibt es. Es ist in der Protokollerklärung
zum Ratsbeschluss zur Unterzeichnung des Interimsabkommens nachzulesen, dass wir auch hinsichtlich des
bisherigen SWIFT-Abkommens beklagt haben, dass es
nicht zu einem individuellen Rechtsschutz auf unserem
Niveau gekommen ist.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Michael
Hartmann sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 12 des Kollegen
Andrej Hunko auf:
Seit wann liegt der Bundesregierung der Entwurf der
„Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“ vor, und
wann wird dieser dem Bundestag zugeleitet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spanien hat das Projekt, während seiner EU-Ratspräsidentschaft eine Sicherheitsstrategie zu entwerfen,
schon frühzeitig angekündigt, nämlich am Rande des
G-6-Treffens am 15. März 2009; hierzu fand ein Briefwechsel der Minister statt. Es gab aber erst am
3. Dezember 2009 einen tatsächlich belastbaren Entwurf
der „Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“
im Sinne eines Non-Papers.
Dieser Entwurf wurde der Bundesregierung am
3. Dezember 2009 als Non-Paper zur Vorbereitung des
informellen Ministertreffens in Toledo vom 20. bis
22. Januar 2010 zugeleitet. Der Bundestag ist am
20. Januar 2010 im Rahmen des Vorberichts zum informellen Ministertreffen in Toledo über den spanischen
Entwurf zur Sicherheitsstrategie unterrichtet worden.
Das nunmehr vorliegende offizielle Ratsdokument
zur „Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“
vom 2. Februar 2010 ist in den Dokumentenserver
ZEUS eingestellt und unterliegt damit dem allgemeinen
Zuleitungsverfahren über das BMWi nach § 6 Abs. 2 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schröder, Sie haben vorhin auf die Nachfrage des Kollegen Sarrazin erläutert, wie das übliche Prozedere ist. Bei der „Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“ handelt es sich
um ein sehr relevantes Dokument. Deswegen frage ich:
Warum liegt die „Europäische Strategie für die innere
Sicherheit“ bis jetzt nur in Englisch, Französisch und
Spanisch vor? Wie soll unter diesen Umständen und angesichts der kurzen Zeitspanne - vor der morgigen Beschlussfassung im Ministerrat - eine ernsthafte parlamentarische Befassung möglich sein?
Die fehlende Übersetzung ins Deutsche - da stimme
ich Ihnen vollkommen zu - ist ein Ärgernis. Wir müssen
auf europäischer Ebene immer wieder daran arbeiten,
dass die Übersetzung rechtzeitig zur Verfügung gestellt
wird. Ich kann Ihnen aber berichten, dass wir heute Vormittag im Innenausschuss über diese Sicherheitsstrategie
der spanischen Ratspräsidentschaft gesprochen haben.
Insofern wurde in diesem Rahmen eine Beteiligung sichergestellt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
In der „Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“ wird festgehalten, dass ihre Weiterentwicklung
eine der wichtigsten Aufgaben des Ständigen Ausschusses werden muss. Wer kann von deutscher Seite in diesen Ständigen Ausschuss entsandt werden? Wie soll die
parlamentarische Kontrolle der Weiterentwicklung der
Strategie sowie der deutschen Vertretung im Ständigen
Ausschuss sichergestellt werden?
In dieser spanischen Sicherheitsstrategie steht nichts
Neues. Es geht hier lediglich um die Umsetzung des
Stockholmer Programms, über das bereits hier im Bundestag diskutiert wurde. Es wird jetzt, auch morgen im
Rat, darüber diskutiert, wie dieser neue Ausschuss
- COSI - ausgestaltet wird. Uns ist wichtig, dass es nicht
zu Doppelstrukturen kommt, dass dieser neue Ausschuss
nicht ein strategischer Ausschuss wird, der politische
Entscheidungen vorbereitet, sondern ein Ausschuss der
Koordinierung. Insofern ist wichtig, dass hier vor allen
Dingen Personen aus der Fachebene vertreten sind.
Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Andrej
Hunko:
Wann soll die „Europäische Strategie für die innere
Sicherheit“ voraussichtlich verabschiedet werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der spanische Vorsitz beabsichtigt, den JI-Rat am
25. und 26. Februar, also ab morgen, mit der Strategie zu
befassen. Die formelle Annahme der Ratsschlussfolge1978
rung erfolgt dann beim Europäischen Rat am 25. und
26. März 2010.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Sie haben eben das Stockholmer Programm erwähnt. Halten Sie die in der „Europäischen
Strategie für die innere Sicherheit“ dargelegten Vorhaben und Ziele für weitergehender als das Stockholmer
Programm? Handelt es sich also um eine Weiterentwicklung des Stockholmer Programms?
Wie bereits eben von mir gesagt, handelt es sich bei
der Sicherheitsstrategie um keine Weiterentwicklung,
um nichts Neues. Die Strategie sieht lediglich eine Konkretisierung und Umsetzung des Stockholmer Programms vor.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich komme zu meiner letzten Frage. Der Ständige
Ausschuss, der sich ja jetzt damit befassen wird, wurde
mit dem Vertrag von Lissabon in Art. 71 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen Union primärrechtlich verankert. Auf welcher sekundärrechtlichen
Grundlage wird der Ständige Ausschuss beruhen, wenn
er sich schon am 11. März zum ersten Mal trifft?
Die Antwort auf diese sehr juristische Frage würde
ich, wenn Ihnen das recht ist, gerne schriftlich nachliefern. Es ist eine Frage, die sich auf spezielles Europarecht bezieht und die ich Ihnen hier nicht aus der Lamäng beantworten kann.
Der Staatssekretär hat die schriftliche Beantwortung
zugesichert.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Dr. Konstantin
von Notz werden entsprechend unserer Festlegungen unter Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde
schriftlich beantwortet. Das heißt, wir befassen uns an
anderer Stelle noch einmal mit dem Thema der Erschwerung des Zugangs zu Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten.
Herr Staatssekretär Dr. Schröder, herzlichen Dank für
die Beantwortung der Fragen zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Steffen-Claudio
Lemme auf:
In welchem Zeithorizont plant die Bundesregierung den
bestehenden Fonds für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt auf der Grundlage ihrer strittigen Extremismusauffassung umzugestalten, und wird es in diesem Zusammenhang
zu Budgetkürzungen speziell zulasten der Rechtsextremismusbekämpfung kommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Lemme, es ist allgemein von einem
Fonds für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt die
Rede. Präzise gesagt handelt es sich dabei um einen
Haushaltstitel, der im Jahr 2000 angesichts des Anstiegs
der Zahl rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und
antisemitischer Straftaten eingerichtet worden ist; erstmals wurde er im Bundeshaushalt 2001 ausgewiesen.
Damit besteht die Möglichkeit, Opfern rechtsextremistischer Gewalt unbürokratisch Härtefallleistungen
zukommen zu lassen. Damit wird das System der allgemeinen Opferentschädigung ergänzt. Eine vergleichbare
humanitäre Hilfe ist im Bundeshaushalt auch für die Opfer terroristischer Gewalt vorgesehen. Die Möglichkeiten, einmal den Opfern rechtsextremistischer und zum
anderen denen terroristischer Gewalt Härtefallleistungen
zukommen zu lassen, haben sich in der Vergangenheit
sehr bewährt. Deswegen wird der Haushaltstitel für den
sogenannten Fonds nunmehr nicht etwa umgestaltet,
sondern in der Weise ergänzt, dass eine Erweiterung dieses Titels um Härtefallleistungen für Opfer jeglicher extremistischer Übergriffe vorgesehen wird.
Zur näheren Ausgestaltung - Ihre Frage bezog sich ja
auf den Zeitrahmen - ist bereits am 18. Dezember 2009
eine Richtlinie zur Zahlung von Härtefallleistungen aus
dem Bundeshaushalt an die Opfer extremistischer Übergriffe erlassen worden. Diese Richtlinie wird zeitgleich
mit dem Haushaltsgesetz 2010 in Kraft treten, nach derzeitiger Planung Mitte April 2010.
Sie haben darüber hinaus gefragt, ob befürchtet werden müsse, dass es zu Kürzungen zulasten der Opfer
rechtsextremistischer Gewalt kommt. Diese Befürchtung
ist nicht begründet; denn der bisherige Haushaltsansatz
für Opfer rechtsextremistischer Gewalt in Höhe von
300 000 Euro wird mit dem Bundeshaushalt 2010 erheblich aufgestockt, nämlich auf insgesamt 1 Million Euro.
Demgemäß ist eine Budgetkürzung, soweit es um Leistungen an Opfer rechtsextremistischer Gewalt geht,
nicht zu befürchten.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Zunächst einmal vielen Dank, Herr Staatssekretär. Meine Frage bezieht sich auf Fallzahlen. Ist Ihnen bekannt, wie viele Opfer rechtsextremistischer Gewalt es
in unserem Lande gibt? Wie viele Opfer terroristischer
Gewalt gibt es im Vergleich dazu?
Herr Abgeordneter, diese Zahlen können natürlich
nachgeliefert werden.
Aus Ihrer Frage spricht, glaube ich, die Besorgnis,
dass aus dem neuen Haushaltstitel so viele andere Fälle
zu bedienen sind, dass den Opfern rechtsextremistischer
Gewalt die bisherigen Härtefallleistungen nicht mehr
oder nicht mehr in voller Höhe gewährt werden können.
Diese Befürchtung halte ich für ungerechtfertigt. In den
Richtlinien, die am 18. Dezember 2009 erlassen worden
sind und Mitte April dieses Jahres in Kraft treten werden, sind keine anderen Voraussetzungen für Zahlungen
vorgesehen, sodass aufgrund dieser Richtlinien Kürzungen im Einzelfall nicht zu befürchten sind.
Die zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, befürchten Sie nicht auch, dass es
zu einer inhaltlich nicht vertretbaren Vermischung
kommt, wenn sich eine Richtlinie auf Opfer unterschiedlicher ideologisch geprägter Gewalt bezieht, und dass
man im Nachgang kein differenziertes Bild mehr von der
politisch-ideologisch geprägten Landschaft erhält?
Herr Abgeordneter, eine Relativierung der rechtsextremistischen Übergriffe ist damit in keiner Weise verbunden.
Die Bundesregierung betrachtet das Problem gewissermaßen aus der Opferperspektive. Es ist unsere Auffassung in der Koalition, dass die Opfer jeglicher extremistischer Gewalt in gleicher Weise einen Anspruch auf
unbürokratische humanitäre Hilfe haben. Mit „Anspruch“ meine ich keinen einklagbaren Rechtsanspruch,
vielmehr meine ich, dass Geldleistungen vorgesehen
werden sollen.
Den Opfern rechtsextremistischer Gewalt wird damit
in keiner Weise irgendein Unrecht angetan, und ihre Situation wird nicht etwa relativiert. Denn noch einmal:
Die Haushaltsmittel werden sogar erheblich aufgestockt.
Die Befürchtung, dass es durch zusätzliche Aufgaben zu
Kürzungen bei diesem Haushaltstitel kommt, wäre allenfalls gerechtfertigt, wenn der Titel in der alten Höhe bestehen bliebe. Er wird aber von 300 000 Euro auf
1 Million Euro aufgestockt, sodass gerade für die Opfer
rechtsextremistischer Gewalt auch in der Zukunft hinreichend Mittel zur Verfügung stehen. Irgendeine Relativierung sehe ich darin nicht.
Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Volker
Beck.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt: Es geht
um Opfer jeglicher extremistischer Gewalt. Könnten Sie
diesen Begriff für das Parlament bitte näher erläutern?
Das ist sicher auch für die Öffentlichkeit interessant.
Geht es um jegliche Form extremistischer politischer
Gewalt, geht es auch um jede Form religiös motivierter
extremistischer Gewalt, und welche anderen denkbaren
Konstellationen oder Konnotationen sind bei Ihrem
Haushaltsansatz noch angedacht?
Herr Kollege Beck, mit Ihrer Frage geben Sie mir Gelegenheit, dies zu präzisieren und Ihnen vorzutragen, wie
dies - in Ausführung des Koalitionsvertrages - in der
Präambel der Richtlinie formuliert ist. Hier heißt es - ich
darf daraus zitieren; sie wird in Bälde in Kraft treten -:
Es ist ein Grundwert der pluralen Gesellschaft und eine
zentrale Aufgabe des Staates, die Freiheit jedes Einzelnen vor Extremismen jeder Art - seien es Links- oder
Rechtextremismus, Antisemitismus oder Islamismus zu schützen und zu verteidigen. - Das ist die Umschreibung der Aufgabe, die mit dem sogenannten Fonds bzw.
Haushaltstitel zu erfüllen ist.
({0})
- Da Sie das Mikrofon nicht benutzt haben, konnte ich
Sie nicht verstehen.
({1})
- Ich habe aus der Richtlinie vorgetragen. Nach dieser
Richtlinie, die sich am Koalitionsvertrag orientiert, werden diese humanitären Mittel künftig nach Prüfung jedes
Einzelfalls ausgereicht werden.
({2})
Die Frage 17 des Kollegen Christian Lange wurde zurückgezogen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär Dr. Stadler, ich danke Ihnen für die
Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hartmut
Koschyk zur Verfügung.
Die Frage 18 des Kollegen Christian Lange wurde
ebenfalls zurückgezogen.
Damit rufe ich die Frage 19 der Kollegin Dr. Barbara
Höll auf:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Warum ergreift die Bundesregierung keine wie die von
Frankreich unter Beachtung der grauen Liste der OECD unternommene Initiative, um Steuerparadiese zu ächten, und
welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der
französischen Initiative?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Frau Präsidentin! Verehrte Frau Kollegin Höll! Mit den
angekündigten Maßnahmen verfolgt der französische Gesetzgeber das gleiche Ziel wie die deutsche Seite mit ihren
Maßnahmen, die mit dem Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz vom 29. Juli 2009 und der Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung vom 18. September 2009
bereits vollzogen worden sind. Beide Initiativen, die
französische und die deutsche, sind darauf gerichtet,
Steuerpflichtigen mit Geschäftsbeziehungen zu Staaten
und Gebieten, die den OECD-Standard zur Transparenz
und zum effektiven Informationsaustausch nicht implementieren, zusätzliche Pflichten aufzuerlegen bzw. Steuervorteile zu entziehen. Dies entspricht den Empfehlungen der OECD und der G 20, zu deren Unterstützung
Frankreich und Deutschland im Rahmen einer Initiative
2008 und 2009 gemeinsam internationale Konferenzen
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug in Paris und Berlin ausgerichtet hatten. Die Bundesregierung wird die Durchsetzung und Umsetzung des
OECD-Standards gemeinsam mit Frankreich weiter vorantreiben.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Die Zielstellung ist dieselbe, die Mittel sind allerdings verschieden. Ich weise
darauf hin, dass Frankreich jetzt gewillt ist, die Quellensteuer von 15 auf 50 Prozent zu erhöhen. Das ist ein
maßgebliches, ganz konkretes Instrument. Wie steht die
Bundesregierung zu einer Besteuerung, die etwas empfindlicher wirksam würde?
Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keinen Anlass, von den Regelungen, die erst im letzten Jahr gesetzgeberisch und verordnungsmäßig auf den Weg gebracht
wurden, abzugehen.
Weil Sie die Unterschiedlichkeit der beiden Maßnahmen hervorgehoben haben, Frau Kollegin, ist darauf hinzuweisen, dass Frankreich, vor allem was die betroffenen Staaten anbelangt, einen etwas anderen Ansatz
verfolgt. Frankreich hat in dem Zusammenhang den Begriff der nichtkooperativen Jurisdiktionen geprägt. Das
heißt, Frankreich geht es um einen Staat, der nicht der
EU angehört und Gegenstand des OECD-Monitorings
von Transparenz und Auskunftsaustausch ist, der nicht
bis 2010 die OECD-Grundsätze zu Transparenz und
Auskunftsaustausch im Verhältnis zu zwölf Staaten umgesetzt und kein Steuerinformationsabkommen mit
Frankreich geschlossen hat.
Wir verfolgen einen etwas anders gerichteten Ansatz.
Nach dem deutschen Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz können Staaten und Gebiete nur dann als unkooperativ bezeichnet werden, wenn sie es ablehnen, mit
Deutschland etwa durch entsprechende bilaterale Vereinbarungen die Grundlage für einen Auskunftsaustausch
nach dem Standard der OECD zu schaffen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage dazu?
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für den Hinweis,
dass es einen Unterschied in der Einschätzung der Kooperation von Staaten gibt, die als Steuerparadiese betrachtet werden. Fakt ist, dass aus französischer Sicht
eine Reihe von Staaten durchaus als Steuerparadiese
fungieren, bei denen deshalb harte Maßnahmen ergriffen
werden müssen, während sich aus deutscher Sicht kein
Staat auf der schwarzen Liste befindet, also scheinbar
alle Staaten kooperativ sind. Das heißt, Sie schätzen
Staaten, die unsere Nachbarn als Steuerparadiese einschätzen, nicht als Steuerparadiese ein. Das finde ich
aufklärungsbedürftig.
Frau Kollegin, das Interessante in dem Zusammenhang ist nicht die schwarze Liste, sondern der graue Teil
der OECD-Liste und die sogenannte weiße OECD-Liste.
Die französischen Maßnahmen - ich glaube, dabei sind
wir auf deutscher Seite besser aufgestellt - finden nämlich nur Anwendung auf die Staaten des grauen Teiles
der OECD-Liste, das heißt auf diejenigen Staaten, die
den OECD-Standard in weniger als zwölf Abkommen
implementiert und kein Steuerinformationsabkommen
mit Frankreich geschlossen haben.
Demgegenüber können unsere deutschen Maßnahmen grundsätzlich auch auf Staaten und Gebiete der weißen OECD-Liste Anwendung finden, sofern diese die
weiteren Voraussetzungen des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes erfüllen, das heißt gegenüber
Deutschland nicht zur Kooperation bereit sind. Sie sind
daher unabhängig von der OECD-Einstufung und haben
einen potenziell weiteren geografischen Anwendungsbereich.
Wir kommen damit zur Frage 20 der Kollegin
Dr. Höll:
Mit welchen der von Frankreich gelisteten Steuerparadiese
hat die Bundesregierung Abkommen zur Erteilung von Auskunft über Besteuerungszwecke nach OECD-Standard geschlossen, und welche diesbezüglichen Informationen oder
Daten können diese zur Verfügung stellen?
Frau Kollegin Dr. Höll, Deutschland steht mit mehreren Staaten und Gebieten, die in der von der französischen Presse veröffentlichten Liste genannt sind, in
Kontakt. Mit der Unterzeichnung mehrerer Abkommen
zur Ermöglichung von Informationsaustausch in Steuersachen nach dem OECD-Standard ist demnächst zu
rechnen. Andere Staaten sind zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen aufgefordert worden bzw. werden aufgefordert, sofern ein Bedürfnis besteht. Mit den
Philippinen beispielsweise besteht ein Doppelbesteuerungsabkommen, wonach steuerrelevante Informationen ausgetauscht werden können. Darüber hinaus haben
die Philippinen den OECD-Standard formal anerkannt.
Gegenstand des OECD-Standards ist der Informationsaustausch auf Ersuchen. Das heißt, auf Ersuchen einer Finanzbehörde haben die Finanzbehörden des ersuchten Staates oder Gebietes alle für die Besteuerung
relevanten Informationen einzuholen und zur Verfügung
zu stellen.
Ihre Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wir haben das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz im vergangenen Jahr hier im
Bundestag verabschiedet. Wie ist jetzt der Stand? Sie
verweisen auf Verhandlungen. Die Verhandlungen ziehen sich schon über Monate hin. Letztendlich reichte es
aus, dass Staaten erklärt haben, dass sie zu Verhandlungen bereit sind. Ich frage die Bundesregierung, wie lange
sie diesen Prozess noch ausdehnen möchte, bis tatsächlich entweder ein Informationsaustausch stattfinden
kann oder das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz
greift.
Ich kann Ihnen, Frau Kollegin, versichern, dass die
Bundesregierung die Verhandlungen mit den in Rede
stehenden Staaten mit allem Nachdruck betreibt.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja. - Herr Staatssekretär, ich fragte Sie bereits, ob Sie
der Meinung sind, dass das OECD-Musterabkommen
ausreichend ist, Steuerhinterziehung tatsächlich zu
bekämpfen. Ist es nicht so, dass der im Rahmen des
Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes eingefügte
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f des Einkommensteuergesetzes faktisch ins Leere laufen muss, da eine verstärkte
Besteuerung natürlich nicht von einer reinen Absichtserklärung und von der Verpflichtung des automatischen Informationsaustauschs abhängt, sondern davon, ob in den
entsprechenden anderen Staaten diese Auskünfte tatsächlich erteilt werden können, das heißt, dass eine Erfassung dort auch stattfindet?
Der OECD-Standard ist nun einmal vorgegeben, und
wir müssen auf der Grundlage des OECD-Standards solche Verhandlungen führen. Wir haben natürlich auch die
Möglichkeit, in Doppelbesteuerungsabkommen oder in
Austauschabkommen individuell über den OECD-Standard hinauszugehen. Das richtet sich aber nach dem jeweiligen Verhandlungsstand.
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Dr. Carsten
Sieling werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Thilo Hoppe auf:
Wie wird das Bundesministerium der Finanzen gewährleisten, dass Deutschland die internationale Zusage einhält,
bis 2015 die Mittel, die für die Entwicklungszusammenarbeit
und die humanitäre Hilfe - ODA - verwendet werden, auf
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens anwachsen zu lassen, und wie soll dies finanziert werden?
Herr Kollege Hoppe, die Bundesregierung steht zu
dem vereinbarten Ziel einer ODA-Quote von 0,7 Prozent
des Bruttonationaleinkommens in 2015 und hat mit der
deutlichen Erhöhung der ODA-Haushaltsmittel in den
letzten zwei Jahren um rund 1,55 Milliarden Euro unter
Beweis gestellt, dass sie entsprechend handelt. Darauf
aufbauend beabsichtigt die Bundesregierung, natürlich
vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments, 2010
weitere Steigerungen zu erreichen, auch um Bedarfe für
Klimawandel, Ernährungssicherung und den Wiederaufbau von Afghanistan zu decken. Darüber hinaus hat
Deutschland bei der Zusage eine Protokollerklärung abgegeben, wonach zur Erreichung der ODA-Ziele neben
allgemeinen Haushaltsmitteln und Schuldenerlassen
auch innovative Finanzierungsinstrumente einen Beitrag
leisten müssen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär Koschyk, vielen
Dank für die Antwort. Sie haben schon die innovativen
Finanzierungsinstrumente angesprochen. Nun gibt es
eine Diskussion in der Bundesregierung zwischen Vertretern der Union und der FDP bezüglich der Finanztransaktionsteuer. Ist da die Positionierung schon weiter
vorangeschritten? An welche innovativen Finanzierungsinstrumente denken Sie?
Herr Kollege Hoppe, innovative Finanzierungsmöglichkeiten können, wie zum Beispiel von Deutschland
praktiziert, Einnahmen aus dem Emissionshandel sein.
Daneben existiert als ein weiteres innovatives Finanzierungsinstrument die Schuldenumwandlung im Rahmen
der Debt-to-Health-Initiative. Bei diesem Instrument
verpflichtet sich das Partnerland, einen Teil der erlassenen Schulden dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von
HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zur Verfügung zu
stellen, der damit Gesundheitsmaßnahmen im Schuldnerland durchführt.
Was Ihre Frage zur Diskussion über eine internationale Finanztransaktionsteuer anbelangt, so geht die Diskussion innerhalb der Bundesregierung, international
eng abgestimmt, eher in die Richtung, wie der Finanzsektor international, aber auch in Deutschland an den
Kosten zur Bewältigung der vom Finanzsektor ausgehenden Finanzmarktkrise beteiligt werden soll.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, gerne. - Im Zusammenhang mit dem 0,7-ProzentZiel gab es bereits die Zusage der Bundesregierung im
Rahmen der Europäischen Union, bis zu diesem Jahr,
also bis 2010, als Zwischenziel eine ODA-Quote von
0,51 Prozent zu erreichen. Jetzt hat die OECD ermittelt,
dass im Haushalt 2010, über den zurzeit diskutiert wird,
dieses Zwischenziel auf keinen Fall erreicht wird. Wie
geht die Bundesregierung mit der Kritik seitens der
OECD um?
Die Bundesregierung wird ihre Zusagen erfüllen; ich
habe das bereits in meiner ersten Antwort auf Ihre Frage
gesagt. In diesem Zusammenhang wird immer wieder
über nationale Stufenpläne zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels diskutiert. Wenn Sie gestatten, dann greife ich
bereits die Frage 24, Ihre Folgefrage, auf.
Dann rufe ich die Frage 24 des Kollegen Thilo Hoppe
auf:
Bis wann wird die Bundesregierung einen nationalen Stufenplan zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels vorlegen, und
wie begründet sie es, falls ein solcher Stufenplan nicht vorgesehen ist?
Die Einführung bindender Zeitpläne ist aus Sicht der
Bundesregierung nicht zielführend, da sie dem Budgetrecht des Parlaments vorgreifen würden.
Zu einer Zusatzfrage hat nun die Kollegin Koczy das
Wort.
Herr Staatssekretär Koschyk, sind Sie mit mir der
Auffassung, dass bei der Erreichung des Zwischenziels
von 0,51 Prozent im Rahmen der ODA-Quote im Jahr
2010 eine Lücke von 2,2 Milliarden Euro besteht und die
Bundesregierung noch keinen Plan hat, wie diese Lücke
im Jahre 2010 gefüllt werden soll?
Die Bundesregierung arbeitet energisch an dem Ziel,
ihre Verpflichtungen aus internationalen Vorgaben zu erfüllen.
({0})
Der Kollege Hoppe hat noch die Möglichkeit, zwei
Nachfragen zur Frage 24 zu stellen.
Herr Staatssekretär Koschyk, die Kollegin hat darauf
hingewiesen, dass die Diskrepanz zwischen dem, was
zugesagt worden war, und dem, was tatsächlich eingestellt worden ist, 2,2 Milliarden Euro beträgt. Das kann
man errechnen; das ist unstrittig. Wenn man das 0,7-Prozent-Ziel 2015 erreichen will, dann müsste einerseits
diese Lücke rückwirkend geschlossen werden, und andererseits müsste jedes Jahr eine weitere Milliarde hinzukommen. Werden in der mittelfristigen Finanzplanung
der Bundesregierung diese Aufwüchse mitberücksichtigt? Anderenfalls wäre es sehr schwierig, glaubhaft zu
versichern, dass man 2015 das 0,7-Prozent-Ziel tatsächlich erreicht.
Herr Kollege Hoppe, ich darf darauf hinweisen: Im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wird
das Ziel der ODA-Quote von 0,7 Prozent ohne Angabe
einer Jahreszahl genannt. Allerdings hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung im November
2009 einen zeitlichen Bezug zu 2015 hergestellt.
Frau Kollegin Koczy.
Herr Staatssekretär, ich denke, es wird Sie nicht wundern, dass man daran, dass das 0,51-Prozent-Ziel jetzt
nicht erreicht werden kann, erkennen kann, dass die
Bundesregierung nicht vorhat, das Versprechen von
Kanzlerin Merkel in Heiligendamm, dafür zu sorgen,
dass wir das 0,7-Prozent-Ziel erreichen, zu erfüllen, und
dass die Enttäuschung über die Bundesregierung dazu
führt, dass das Vertrauen in die Bundesregierung unter
Merkel schweren Schaden nimmt.
Verehrte Frau Kollegin, ich erlaube mir den Hinweis
darauf, dass Deutschland im internationalen Vergleich,
zuletzt 2008, in absoluten Zahlen gemessen, mit rund
13,98 Milliarden US-Dollar nach den USA der zweitgrößte Geber in diesem Bereich gewesen ist. Wer sich so
im internationalen Bereich auszeichnet, dem bringt man
auch das Vertrauen entgegen, dass er seinen internationalen Verpflichtungen nachkommt.
({0})
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Manuel Sarrazin
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 27
und 28 der Kollegin Nicole Maisch. Der Kollege
Dr. Gerhard Schick, der die Frage 29 gestellt hat, ist
nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 30 des Kollegen Dr. Ilja
Seifert wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen. Herr Staatssekretär,
ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Frage 31 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet.
Die Kollegin Bärbel Höhn, die die Frage 32 gestellt
hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der
Geschäftsordnung vorgesehen.
Bei den Fragen 33 und 34 der Kollegin Brigitte
Zypries wird um schriftliche Beantwortung gebeten.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung.
Die Frage 35 des Kollegen Volker Beck wird gemäß
Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich Frage 36 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Festlegung, dass
die Kosten für Nachhilfeunterricht nur dann als Hartz-IV-Härtefall anerkannt werden sollen, wenn es zum Beispiel eine
langfristige Erkrankung oder einen Todesfall in der Familie
gegeben hat, und sieht die Bundesregierung mit dieser Vorgabe die Chancengleichheit von Kindern, die in Familien mit
Arbeitslosengeldbezug - ALG - leben, bei der Bildung gewahrt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Enkelmann, Ihre
Frage darf ich wie folgt beantworten: Urteile des Bundesverfassungsgerichtes werden stets vollständig und in
allen Belangen umzusetzen sein. Deswegen hat die Bundesregierung das Urteil sehr genau analysiert. Ich
möchte aus diesem Urteil einige Passagen zitieren, die
zur Beantwortung Ihrer Frage wichtig sind. Dort heißt
es, „einmalige oder kurzfristige Spitzen im Bedarf“ können „durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II ausgeglichen werden“. Dieser Fall dürfte hier weniger eine
Rolle spielen.
Ein zweiter Punkt ist sehr wichtig: Der Härtefallanspruch
entsteht erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass
die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen
Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet.
Das ist immer noch keine Wertung. Ich gehe deswegen
so gründlich vor, weil dies in sehr vielen Fragen, die in
diesem Zusammenhang gestellt werden, eine Rolle
spielt.
Weiter heißt es:
Dieser zusätzliche Anspruch dürfte angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen
nur in seltenen Fällen entstehen.
So viel zu diesem Zitat.
In diesem Lichte ist die Geschäftsanweisung 08/2010
entwickelt worden. Daher ist nur in ganz besonderen
Situationen die Übernahme der Kosten für Nachhilfe gerechtfertigt. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Länder in ihren Schulen vielfach Förderkurse zum Ausgleich von Defiziten anbieten. Insoweit ist Chancengleichheit gewahrt. Auch sind die Erfahrungen mit der
abweichenden Bedarfsbemessung im SGB XII berücksichtigt worden. Dies hat zu dieser Geschäftsanweisung
geführt.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Der Chef des Stuttgarter Jobcenters sagt voraus, dass
es in Zukunft einen hohen Beratungsbedarf geben wird,
wenn die Frage beantwortet werden muss, warum in
dem einen Fall der Finanzierung von Nachhilfe zugestimmt wird, während sie in dem anderen abgelehnt
wird. Er sagt wortwörtlich: „Hier wird ein neues Feld für
die Sozialgerichte eröffnet.“ Das heißt, er sagt voraus,
dass weitere Klagen auf die Sozialgerichte zukommen.
Ist es - gerade mit Blick auf das Wohl der Kinder - nicht
wichtiger, für eine eindeutige Regelung zu sorgen? Das
würde in diesem Fall heißen, Nachhilfe grundsätzlich zu
finanzieren, wenn Bedarf besteht.
Es ist dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immanent, dass es in einer Reihe von Fragen aufgrund der stärkeren Ausrichtung auf den Einzelfall zu
mehr Beratungen kommen wird. Das ist hier nicht aus1984
zuschließen. Diese Beratungen müssen dann auch entsprechend stattfinden.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja. - Die Beratungen bedürfen aber einer konkreten
und, wie ich glaube, sehr eindeutigen Grundlage, die
hier nicht gegeben ist. Das war jetzt aber keine Frage,
sondern nur eine Wertung.
Das Bundessozialgericht hat vor kurzem darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Sonderbedarf auch rückwirkend geltend gemacht werden kann. Das ist, wie ich
finde, eine wichtige Information, die man an dieser
Stelle einmal loswerden kann. Vor allem hat das Bundessozialgericht aber gefordert, dass die derzeitige Aufstellung, die von der Bundesagentur vorgelegt worden ist,
nicht als abschließend anzusehen ist. Wie bewertet die
Bundesregierung diesen deutlichen Hinweis des Bundessozialgerichts?
Auch das Verfassungsgericht hat erklärt, dass man
Einzelfälle immer wieder neu prüfen muss. Genau dieser
Gesichtspunkt wurde auch in der Geschäftsanweisung,
die in Abstimmung zwischen dem Bundesministerium
für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur ergangen
ist, aufgegriffen. Es wurde deutlich gemacht, dass die
Aufzählung mit den konkret genannten Punkten wie
Nachhilfeunterricht nicht als abschließend anzusehen ist
und es Einzelfälle geben kann, die im Lichte der Entscheidung des Verfassungsgerichts zu Ansprüchen führen können.
({0})
Sie haben nur zwei Zusatzfragen, Frau Kollegin. Sie
kennen die Geschäftsordnung.
Die Frage 37 der Kollegin Dr. Enkelmann wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Frage 38 der Kollegin Katja Dörner wird ebenfalls schriftlich beantwortet,
genauso wie die Frage 39 des Kollegen Dr. Ilja Seifert
und die Fragen 40 und 41 der Kollegin Sabine
Zimmermann.
Damit kommen wir zur Frage 42 der Kollegin Silvia
Schmidt:
Wird die Bundesagentur für Arbeit aufgrund der nunmehr
durch ein neues Verfahren möglichen Identifizierung bisher
nicht zur Schwerbehindertenausgleichsabgabe zahlungsverpflichteter Arbeitgeber bei bisher nicht erfassten Arbeitgebern
die Schwerbehindertenausgleichsabgabe nacherheben, und für
wie viele Jahre wird die Nacherhebung festgesetzt?
Die Frage darf ich wie folgt beantworten: Arbeitgeber
mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, auf
wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Wer seiner Beschäftigungspflicht nicht nachkommt, hat pro unbesetztem
Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten.
Wie Ihnen die Bundesregierung bereits auf Ihre schriftliche Frage 53 auf Bundestagsdrucksache 17/639 mitgeteilt hat, schreibt die Bundesagentur für Arbeit jährlich
die Arbeitgeber an, bei denen eine Beschäftigungspflicht
vorliegen könnte. Auch die Integrationsämter der Länder
können dabei potenziell beschäftigungspflichtige Arbeitgeber benennen, die nach der Datenlage der Bundesagentur für Arbeit nicht als solche identifiziert wurden.
Auch diese werden dann von der Bundesagentur angeschrieben. Zurzeit läuft das Anzeigeverfahren für das
Jahr 2009. Die Verfahren für die früheren Jahre sind abgeschlossen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Sehr verehrter Kollege, Herr Staatssekretär, das ist
mir bekannt. Ich hatte darüber hinaus gefragt, wie damit
in Zukunft umgegangen wird.
Es gibt einen Antrag des Landes Baden-Württemberg,
der auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, also
auf der ASMK, im November einstimmig angenommen
wurde, in dem das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales aufgefordert wird, unverzüglich festzustellen,
wie viele Arbeitgeber in den vergangenen drei Jahren ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen sind und um
welche Beträge es sich handelt, die im Rahmen der Ausgleichsabgabe noch nachgefordert werden können. Dazu
ist noch einmal darzulegen, auf welcher rechtlichen
Grundlage eine nachträgliche Beschäftigungsanzeige
bzw. eine Nachforderung wegen der fälligen Ausgleichsabgabe erfolgen kann und ob darauf verzichtet werden
kann. Außerdem ist mitzuteilen, welche Maßnahmen unternommen werden, damit die Arbeitgeber künftig fristgerecht und entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ihrer Anzeige- und Zahlungspflicht nachkommen.
Als Termin für die Stellungnahme der BA wurde der
31. Dezember 2009 genannt. Ist das geschehen und,
wenn ja, in welcher Art?
Eine Pflicht des Arbeitgebers, der Bundesagentur für
Arbeit die im Zusammenhang mit Beschäftigungspflicht
und Ausgleichsabgabe erforderlichen Daten anzuzeigen, besteht nach geltender Gesetzeslage - § 80 Abs. 2
Satz 1 SGB IX - jeweils jährlich zum 31. März nur für
das vorangegangene Kalenderjahr. So ist die momentane
Rechtslage. Ziel ist, möglichst alle beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber zu erfassen, nicht zuletzt aus Gerechtigkeitserwägungen. Das ist sicher richtig. Die Ausgleichsabgabe dient aber nicht der Erzielung von
Einnahmen, sondern hat im Kern die Funktion, Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
zu bewegen. Diesem Hauptziel wird entgegengewirkt,
wenn neu als beschäftigungspflichtig ermittelte Arbeitgeber gleich mit Nachzahlungen konfrontiert würden;
denn dies würde ihre Bereitschaft, in Zukunft schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen, eher mindern als heben.
Eventuelle Mehreinnahmen dürften sich in Grenzen
halten, weil es sich häufig um Kleinbetriebe knapp über
der Grenze von 20 Beschäftigten handeln dürfte. Diese
zahlen ohnehin nur sehr geringe Abgaben. Teilweise
werden sie auch einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, sodass gar keine Abgabe anfällt. Auch die
Möglichkeit, Aufträge an Werkstätten für behinderte
Menschen auf die Abgabeschuld anzurechnen, wird
eventuelle Mehreinnahmen mindern. Auch ist nicht jeder neu ermittelte Arbeitgeber wirklich neu. Grund für
die erneute Ermittlung bereits in der Vergangenheit erfasster Arbeitgeber sind häufig Ausgliederung, Namensänderung oder Sitzverlegung. Schließlich wird man
nicht davon ausgehen können, dass ausschließlich Fälle
von Böswilligkeit oder Verschweigen vorliegen. In
vielen Fällen ist es so, dass die Grenze von 20 Beschäftigten überschritten wurde. Das ist zwar keine Entschuldigung für den Arbeitgeber, sollte aber nicht unberücksichtigt bleiben, wenn man eine positive Einstellung der
Arbeitgeber zur Beschäftigung behinderter Menschen
anstrebt.
Deshalb hält es die Bundesregierung für wesentlich
effektiver, wenn die Integrationsämter der Länder auf
neue beschäftigungspflichtige Arbeitgeber zugehen, sie
mit den Fördermöglichkeiten vertraut machen und es ihnen dadurch erleichtern, ihre Beschäftigungspflicht zu
erfüllen. Von einer solchen Vorgehensweise würden vor
allem schwerbehinderte Menschen profitieren, die einen
Arbeitsplatz suchen.
So viel zur grundsätzlichen Einstellung des Ministeriums zu diesem Fragenkomplex.
Die konkrete Frage, was aufgrund der Beschlüsse, die
Sie hier zitiert haben, geschehen ist, muss ich Ihnen
schriftlich beantworten; denn dazu liegen mir gegenwärtig keine eigenen Erkenntnisse vor.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Er kann meine Frage ja nicht beantworten. Deshalb
würde ich mich freuen, eine schriftliche Antwort vom
Staatssekretär zu bekommen.
Wir kommen damit zur Frage 43 der Kollegin Silvia
Schmidt:
In wessen Verantwortung wird die Rehabilitation schwerbehinderter Menschen im Rahmen der geplanten getrennten
Aufgabenwahrnehmung im SGB II künftig stehen, und wie
werden die Verantwortungsbereiche des Rehaverfahrens künftig unter den Trägern der Grundsicherung und der Bundesagentur aufgeteilt?
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Für die gesetzliche Regelung der Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat die Bundesministerin für
Arbeit und Soziales in Form der Arbeitsentwürfe eines
Gesetzes zur Einführung der eigenverantwortlichen und
kooperativen Aufgabenwahrnehmung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und eines Gesetzes zur
Verstetigung der Option einen Vorschlag unterbreitet,
der eine Gestaltung im Rahmen der bestehenden staatlichen Ordnung, also ohne Änderung des Grundgesetzes
und ohne Verschiebungen der Finanzierungslasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen, vorsah. Derzeit
werden, wie das Haus weiß, Gespräche geführt, die zum
Ziel haben, eine Grundgesetzänderung als Basis für die
Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende
vorzuschlagen. Je nach Erfolg dieser Gespräche werden
die vorgelegten Arbeitsentwürfe nicht weiterverfolgt.
Ich weise darauf hin, dass die Zuständigkeit für die
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für schwerbehinderte erwerbsfähige Hilfebedürftige von der Frage
der Rehazuständigkeit nach dem SGB IX zu trennen ist.
Die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben ist alleinige Aufgabe der zuständigen Leistungsträger nach dem SGB II,
sofern es sich um erwerbsfähige Hilfebedürftige handelt.
Erst wenn eine Behinderung nach dem SGB IX festgestellt wurde, stellt sich die Frage nach dem verantwortlichen Rehabilitationsträger. Zuständig zur Erbringung
von Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen sind
die zuständigen Leistungsträger nach dem SGB IX. Inwieweit aufgrund der Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende Anpassungen notwendig sind,
ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu entscheiden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Bis jetzt war es immer
so gewesen: Wenn jemand im Rechtskreis SGB II war
und Behinderter bzw. Rehabilitand war, wurde gemäß
SGB III das Arbeitsamt beauftragt, hierzu einige Feststellungen zu treffen, wie stark die Behinderung und wie
groß der Rehabedarf ist und wie man die Eingliederung
mit dem jeweiligen Betroffenen vorantreibt. Die BA hat
dann die Aufgabe der jeweiligen Optionskommune oder
des Eigenbetriebes mit übernommen; der Eigenbetrieb
hat das höchstens kontrolliert und es auch finanziert.
Wie soll das jetzt in Zukunft aussehen? Das konnte ich
jetzt nicht nachvollziehen; die schwerbehinderten Menschen haben selbstverständlich einen Anspruch darauf,
auch in Zukunft zu wissen, an wen sie sich zu wenden
haben, egal in welchem Rechtskreis.
Ich habe mit meinem letzten Satz der Antwort auf die
Frage zu erklären versucht, dass dies wohl von der Ge1986
setzesgestaltung und davon abhängt, wie sie für die Zukunft ausgeformt wird. Wie wir wissen, ist diese Sache
voll in Verhandlungen. Diesen Verhandlungen kann man
mit Sicherheit an dieser Stelle hier am heutigen Tag
nicht vorgreifen.
Ich weise aber darauf hin: Nach den Erkenntnissen
der Bundesregierung läuft das Verfahren bislang weitgehend reibungslos. Die Bundesagentur für Arbeit unterrichtet die zuständige Arbeitsgemeinschaft oder den
zugelassenen kommunalen Träger und den Hilfebedürftigen zunächst einmal schriftlich über den festgestellten
Rehabilitationsbedarf und die demgemäß ergehenden
Eingliederungsvorschläge. Der Grundsicherungsträger
entscheidet über den Eingliederungsvorschlag im Rahmen seiner Leistungsverantwortung innerhalb von drei
Wochen. Die durch die Schnittstellen im Rahmen dieses
Verfahrens gegebenen Schwierigkeiten, insbesondere
bei der Identifizierung des Rehabilitationsbedarfs, konnten in den letzten Jahren deutlich verringert werden. So
ist die Situation.
Sicherlich ist es das Ziel jeder weiteren Gesetzgebung, dass dieser Zustand so erhalten bleibt und dass
diese Gesetzesformulierungen so gefasst werden, dass
sie den entsprechenden Zwecken Rechnung tragen.
Wollen Sie noch einmal nachfragen? - Ich weise aber
darauf hin, dass wir am Ende der Zeit für die Fragestunde sind.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Wir sind am
Ende der Fragestunde. Die noch offenen Fragen werden
schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Schweigen der Bundeskanzlerin zur Sozialpolitik der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin erteile
ich das Wort der Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Aktuelle Stunde ist notwendig, weil die Bundeskanzlerin
schweigt
({0})
und damit die Bundesregierung schweigt: Was ist eigentlich die Linie bei der sozialen Gerechtigkeit?
Ich meine, dass der Bundestag, dass die Öffentlichkeit
das Recht hat, hier und jetzt zu erfahren, wohin die Reise
eigentlich gehen soll. Frau Merkel lässt manchmal ganz
gnädig über ihren Pressesprecher mitteilen, dass der
Duktus des wahlkämpfenden Vizekanzlers nicht ihrer
sei. Das hätten wir auch gar nicht gedacht.
Aber es geht gar nicht um die sprachliche Note. Wir
sind ja hier nicht in Vancouver, bei der A- und B-Note,
bei der Frage, ob sozusagen die Art der künstlerischen
Vorführung ein besonders guter Duktus gewesen sei.
Nein, es geht an dieser Stelle um die Frage: Wohin soll
die Reise gehen? Wie sieht im 21. Jahrhundert in
Deutschland soziale Gerechtigkeit aus?
({1})
Dazu kann ich nur sagen: Schauen Sie auf die Bänke der
Regierung! Das ist der Hinweis auf Führungslosigkeit.
({2})
Frau Merkel lässt die Dinge treiben, statt von ihrer
Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Schauen
Sie auf die beiden Stühle von Kanzlerin und Vizekanzler! Sie haben es nicht nötig, zu kommen, und das in einer Zeit, in der in diesem Land 5 Millionen Menschen
Arbeit suchen und sich Millionen Menschen fragen, wie
die Zukunft ihrer Kinder aussieht, in der 1,8 Millionen
Kinder Leistungen nach Hartz IV beziehen, in der die
Zeitungen mit diesem Klamauk, mit dieser Riesenwelle
von einem Westerwelle gefüllt sind. Herr Westerwelle
sagt: Führen wir doch eine Generaldebatte im Deutschen
Bundestag! Aber der Mann hat es nicht nötig, sich hier
hinzusetzen, geschweige denn, eine Generaldebatte zu
initiieren.
({3})
Wahrscheinlich kann Herr Westerwelle nicht hier sein,
weil der Vizekanzler auf einer Riesenwelle aus wildem
Populismus irgendwie versucht, den 9. Mai in Nordrhein-Westfalen zu erreichen.
An dieser Stelle räume ich einen Fehler der Grünen
ein.
({4})
- Gut, dass gerade die FDP klatscht. - Wissen Sie, was
der Fehler war? Der Fehler war: Wir haben immer gedacht, mit Herrn Kinkel sei der außenpolitische Tiefstand in der Tradition einer Genscher-FDP erreicht.
({5})
Wir haben uns geirrt. Das gestehe ich ein. Es geht noch
tiefer.
({6})
Vielleicht könnte sich Herr Westerwelle mit Friedenstiften und anderen Aufgaben beschäftigen, statt den inneren Frieden zu gefährden.
Das Bundesverfassungsgericht hat ein weitreichendes
Urteil gefällt. Wenn Karlsruhe ein solches Urteil fällt,
wäre es angemessen, zu sagen, wohin die Reise gehen
soll.
({7})
Stattdessen lässt es die Bundeskanzlerin zu, dass der
Vizekanzler in niederträchtigster Art und Weise die Armen gegen die Ärmsten ausspielt.
({8})
Herr Westerwelle spaltet. Er hat keinen einzigen neuen
Job geschaffen.
({9})
Er hat in dieser Regierung durch keine einzige Maßnahme für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Dann sagt er
auch noch: Wir können auch anders. Herr Westerwelle,
ich frage mich nicht, ob Sie anders können, sondern ich
frage mich, ob Sie überhaupt können, und ich habe Millionen Deutsche hinter mir.
({10})
Soziale Gerechtigkeit: Wie wäre es mit dem beherzten Kauf von Steuer-CDs, wenn Sie sich schon soziale
Gerechtigkeit auf die Fahne schreiben?
({11})
Stattdessen werden von FDP und CDU/CSU als Allererstes die Hoteliers bedient. Die finanzstarke Wirtschaft
darf sich für nur 6 000 Euro - ein echtes Schnäppchen ein Gespräch mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Herrn Rüttgers kaufen.
({12})
Es gibt viele andere Dinge, für die man noch mehr Geld
ausgibt. Ist das Gerechtigkeit oder vielleicht eher spätrömische Dekadenz, um bei diesem Begriff zu bleiben?
({13})
Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, Sie haben
ein Problem mit der politischen Hygiene, und dieses
Land hat zurzeit das Problem, dass es ohne Kanzlerin
und ohne Vizekanzler ist.
({14})
Die zentrale Frage lautet: Was ist Gerechtigkeit, und
wie stellen wir Gerechtigkeit her? Gerechtigkeit hängt
eng mit Freiheit zusammen. Das gehört zueinander.
({15})
- Das braucht man Ihnen nicht sagen. Trotzdem tun Sie
das Gegenteil. Guten Morgen, FDP! - Gerechtigkeit
heißt Freiheit für alle. Dafür muss man die sozialen Blockaden in der Gesellschaft aufheben. Dafür muss man
für Teilhabe an Bildung, Arbeit und Gesundheit und für
die entsprechenden Einkommen sorgen. Dafür muss man
nicht im Sinne des Freiheitsbegriffs die Steuern für die
Reichen senken, sondern man muss allen Menschen in
dieser Gesellschaft durch gute, finanzstarke Kommunen
die Möglichkeit geben, teilzuhaben und sich zu entwickeln. Man muss funktionierende Jobcenter aufbauen.
Das tun Sie nicht.
({16})
Man muss die Alleinerziehenden in dieser Gesellschaft unterstützen. Man muss nicht sagen, Gerechtigkeit wird durch Schneeschippen gewährleistet, um damit
andere Geringverdiener rauszukicken. Vielmehr muss
man erstens für ein soziokulturelles Existenzminimum
sorgen und zweitens eine gute Infrastruktur aufbauen,
von der auch die Mitte dieser Gesellschaft profitieren
würde. Ich sage Ihnen in Abwandlung eines Satzes von
Ihnen ganz klar: Gerechtigkeit heißt gute Löhne, damit
sich Arbeit wieder lohnt.
({17})
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
Mein letzter Satz. - Gerechtigkeit heißt Lohnnebenkosten von Geringverdienern übernehmen, einen Bildungssoli für den Aufbau einer besseren Bildung, den
Einstieg in die Kindergrundsicherung und die systematische Qualifikation Erwerbsloser.
({0})
Ich hätte es für richtiger befunden, wenn wir hier über
diese Konzepte diskutiert hätten, statt auf Ihre Eckpunkte zu warten.
({1})
Ich sage Ihnen eines: Dass es nur um Wahlkampfklamauk geht, sieht man an der Abwesenheit der Kanzlerin
und des Vizekanzlers. Die Antwort darauf wird es am
9. Mai geben.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carsten
Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deutschland befindet sich mitten in einer strukturellen Wirtschaftskrise, das Ausland schaut, ausgestattet mit viel
Neid, auf unser Sozialsystem, darauf, dass wir das Sozialsystem in der Krise nachhaltig auf hohem Niveau
halten, und Sie haben nichts anderes im Kopf, als eine
Aktuelle Stunde über eine angeblich schweigende Kanzlerin einzuberufen. Nichts anderes haben Sie im Kopf.
({0})
Ich will es auf den Punkt bringen: Wir brauchen in der
Krise nicht Menschen, die alles besser wissen, sondern
die es besser machen.
({1})
Wir brauchen in der Krise keine Flut von Wortmeldungen, sondern wir brauchen eine Flut von klaren Entscheidungen.
({2})
Dafür steht die Kanzlerin, und dafür steht die Regierung.
Wir haben die Verlängerung der Kurzarbeitergeldregelung auf den Weg gebracht, und wir nehmen jetzt Geld
in die Hand, um das Sozialsystem in Deutschland nachhaltig zu stärken. So sieht es aus und nicht anders.
({3})
Sie sollten sich einfach einmal über die Dimension
der Krise bewusst werden, wenn Sie hier so leichtfertig
reden.
({4})
Wir reden über eine Schrumpfung in Höhe von 5 Prozent
des Sozialprodukts im letzten Jahr. Das hat es in der Geschichte dieser Republik noch nie gegeben, selbst in den
letzten fünf, sechs Krisen nicht.
({5})
Herr Kolb hat das heute im Ausschuss angesprochen.
({6})
Das gab es 1965 nicht, nach den Wirtschaftswunderjahren. Das gab es 1975 und 1982 nicht, nach den Erdölkrisen. Das gab es 1993 nicht, nach dem Wiedervereinigungsboom. Selbst 2003, nach dem Zusammenbruch des
neuen Marktes und den Terroranschlägen von New
York,
({7})
hat es eine solche Krise mit minus 5 Prozent nicht gegeben. Von all dem, worüber Sie jetzt sprechen und womit
Sie Ihren Wahlkampf titulieren - soziale Kälte, sozialer
Kahlschlag - fehlt in diesen Tagen, in diesen Wochen
und in diesen Monaten jede Spur.
({8})
Da Sie in diesen Tagen und Wochen die Entscheidung
aus Karlsruhe ansprechen, sagen wir ganz offen: Wir begrüßen das Urteil. Wir freuen uns über die Klarheit. Wir
werden Transparenz und Stringenz schaffen. Wir werden
die Dinge auf den Weg bringen. Da Sie diese Debatte
nutzen - das konnte man in den letzten Tagen in den Zeitungen lesen -, um das System des SGB II infrage zu
stellen und zu sagen: „Das ist von gestern“,
({9})
empfehle ich Ihnen einfach einmal einen Vergleich zwischen dem jetzigen und dem alten System.
({10})
Dabei werden Sie feststellen, dass jetzt erstens 1 Million
erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger im System sind und
an den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten dieses Landes partizipieren können, was vorher nicht ging.
({11})
Zweitens werden Sie feststellen, dass es jetzt Hinzuverdienstmöglichkeiten gibt, die es damals nicht gab. Drittens werden Sie feststellen, dass wir jetzt signifikant
mehr Geld für die Förderung und Unterstützung von
Langzeitarbeitslosen in Deutschland in die Hand nehmen. Das ist Fakt.
({12})
Natürlich ist das SGB II ein lernendes System. Das ist
doch klar. Wir werden es auch weiterentwickeln.
({13})
In dieser Weiterentwicklungsdebatte darf aber nicht
ein Überbietungswettbewerb bei den Regelsätzen im
Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, wie wir die Menschen in Beschäftigung bekommen. Dafür steht die
CDU/CSU-Fraktion, und dafür steht die Kanzlerin.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Nun hat das Wort der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leistung soll sich wirklich lohnen. Dieser Satz ist in
Hubertus Heil ({0})
Deutschland unstrittig. Also lassen Sie uns in dieser Debatte heute einmal über die Leistungsträger in diesem
Land sprechen. Ich meine die tatsächlichen Leistungsträger und nicht diejenigen, die sich eine Partei wie die
FDP leisten, um ihre Klientelinteressen auf Kosten der
Gemeinschaft rücksichtslos durchzusetzen.
({1})
- Hören Sie gut zu! - Ich rede vielmehr von der Verkäuferin, von der Krankenschwester, dem Erzieher, dem
Facharbeiter und dem Handwerksgesellen, also von den
Menschen in Deutschland, die täglich hart arbeiten, die
Steuern und Abgaben zahlen und die sich an Recht und
Gesetz halten.
({2})
Aber was tut die schwarz-gelbe Koalition für diese wirklichen Leistungsträger dieser Gesellschaft? Sie macht
aus vielen Leistungsträgern in diesem Land Leistungsempfänger und - so will ich es sagen - Leistungsbedürftige. Das will ich Ihnen an einigen Beispielen deutlich
machen.
Ein Beispiel ist die Gesundheitspolitik. Sie wollen die
unsoziale Kopfpauschale einführen, die sich viele Menschen nicht leisten können. Sie zwingen die Menschen
geradezu dazu, sich anschließend vom Staat Steuergeld
abholen zu müssen. Das nenne ich leistungsfeindlich
und entwürdigend. Das ist Ihre Politik.
({3})
Ein anderes Beispiel ist die Arbeitsmarktpolitik. Sie
verweigern den Menschen in diesem Land, die hart und
in Vollzeit arbeiten, den Mindestlohn.
({4})
Auch hier machen Sie Leistungsträger letztendlich zu
Leistungsbedürftigen. Schließlich verdienen heute
1,3 Millionen Menschen durch ihre Arbeit so wenig,
dass sie sich ergänzendes Arbeitslosengeld II abholen
müssen.
({5})
Sie sind die Leistungsfeinde, meine Damen und Herren
von Schwarz-Gelb.
({6})
Es sind also nicht die Menschen in unserem Land, die
leistungsfeindlich sind. Es ist die Politik dieser schwarzgelben Bundesregierung, die leistungsfeindlich ist und
die Leistung bestraft.
Auch die Menschen, die derzeit arbeitslos sind, wollen in ihrer überwiegenden Mehrzahl arbeiten und von
ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Wie muss es in den
Ohren dieser Menschen klingen, wenn sie sich die wilden Reden von Guido Westerwelle anhören? Es muss in
den Ohren von arbeitslosen Menschen, die etwas leisten
wollen, wie Hohn und Spott klingen, wenn sie sich solche Sprüche anhören müssen.
({7})
Ich hätte das Herrn Westerwelle gerne direkt gesagt,
aber da er nicht da ist, bitte ich darum, ihm das zu übermitteln. Ich sage es deutlich: Ich finde diese Art der Debatte zu führen feige und zynisch.
({8})
Es ist feige, angesichts der sinkenden Umfragewerte der
FDP Menschen ohne Arbeit gegen Menschen mit Armutslöhnen auszuspielen. Es ist zynisch, dass im Zusammenhang mit arbeitslosen Menschen in diesem Land von
„spätrömischer Dekadenz“ gesprochen wird.
({9})
Ich frage Sie ganz ernsthaft, ob es nicht eher ein Zeichen von politischer Dekadenz ist, wenn der Vorsitzende
Ihrer Partei, der FDP, sich von Hotelketten und Liechtensteiner Banken Vorträge fürstlich honorieren lässt,
({10})
um sich in diesen Reden über den demokratischen
Rechtsstaat zu mokieren, der Steuerehrlichkeit verlangt.
Ich kann nur sagen: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
({11})
Herr Kolb, ich habe noch eine Frage, die Sie mir vielleicht beantworten können. Ist es nicht auch ein Zeichen
von politischer Dekadenz, wenn sich ein FDP-Vorsitzender kurz vor der letzten Bundestagswahl mit einem vorbestraften Steuerhinterzieher in einem Kasseler Restaurant in der Erwartung einer großen Spende für die FDP
trifft? Das ist politische Dekadenz, nicht das Verhalten
langzeitarbeitsloser Menschen in diesem Land.
({12})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal in dieser Debatte ist aber das dröhnende Schweigen von Angela Merkel. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, dieses Land zu spalten. Aber
es ist zumindest Aufgabe einer Bundeskanzlerin, einem
Kabinettsmitglied, das diese Gesellschaft spaltet, Einhalt
zu gebieten. Hier schweigt Frau Merkel.
({13})
Frau Merkel hat gesagt, sie wolle die Kanzlerin aller
Deutschen sein. Das ist für eine Bundeskanzlerin eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber es musste noch einmal gesagt werden. Wenn sie diesen Anspruch erfüllen
Hubertus Heil ({14})
will, dann muss sie auch die Kanzlerin der arbeitenden
Menschen sein, die zu wenig verdienen, und auch der arbeitslosen Menschen in diesem Lande. Ihre Stimme
fehlt. Auch das ist feige und zynisch.
({15})
Es ist Frau Merkel, die schweigt, wenn es um Dumpinglöhne geht. Es ist Frau Merkel, die in der Debatte
um die Kopfpauschale schweigt. Es ist Frau Merkel, die
schweigt, wenn es um tatsächliche Beschäftigungschancen für langzeitarbeitslose Menschen geht. Wo ist sie
denn heute? Wo ist denn Herr Westerwelle?
({16})
Ich kann Ihnen sagen: Leistung muss sich wirklich
lohnen! Aber es sind gerade die Leistungsträger in diesem Land, die sich die Politik der schwarz-grünen - Entschuldigung -, der schwarz-gelben Regierung nicht leisten können.
({17})
- Sorry, ihr wart nicht gemeint. Renate, dann musst du
aber klar sagen, dass es mit denen nicht geht.
Wenn Frau Merkel weiter schweigt, handelt sie
ebenso feige und zynisch wie ihr Vizekanzler. Ich bin
mir sicher, das werden sich die Menschen in diesem
Land nicht länger gefallen lassen. Ich finde es abscheulich, in dieser Situation in Deutschland, in der arbeitslose
Menschen etwas leisten wollen, in der viele Menschen
nur geringe Verdienstmöglichkeiten haben,
({18})
von „spätrömischer Dekadenz“ zu schwafeln. Das ist übrigens auch unhistorisch. Es waren nicht die Plebejer, die
im alten Rom dekadent waren. Das war diejenigen, die
sich in einer Parallelgesellschaft über dem Rest der Menschen gesehen haben. Das sind Leute, die eher Sie kennen, meine Damen und Herren von der FDP.
({19})
Kümmern Sie sich einmal darum, damit sich Leistung
für die Mehrheit in diesem Land lohnt, für die solidarische Mehrheit, für die Menschen, die hart arbeiten und
sich an die Regeln halten. Die vertreten Sie nicht. Das
werden Sie zu spüren bekommen, spätestens am 9. Mai.
Herzlichen Dank.
({20})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Heinrich Kolb.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Lächeln der Mona Lisa bewegt die Menschen seit
mehr als fünf Jahrhunderten, denn das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci ist voller Geheimnisse, die
der einfache Betrachter ebenso wie die Kunstexperten zu
entschlüsseln versuchen.
({0})
Das Schweigen der Angela Merkel beschäftigt die Grünen seit vorgestern und, wie wir eben gehört haben,
Herrn Heil seit heute. Es gibt keine Geheimnisse auf;
denn es ist vollkommen normal, Herr Heil, dass eine Regierungschefin, die die Sozialpolitik ihrer Regierung
trägt und prägt, natürlich mit guten Gründen dazu
schweigen darf und nicht ständig betonen muss, dass sie
diese ihre Politik selbst wirklich gut findet.
({1})
Qui tacet, consentire videtur, sagen die Lateiner: Wer
schweigt, scheint zuzustimmen. Für eine solche Zustimmung gibt es gute Gründe.
({2})
Denn die Politik der christlich-liberalen Regierung ist
sozial, sie ist im Interesse der Menschen. Um es auf den
Punkt zu bringen: Die letzte Bundesregierung, Herr Heil,
Ihre Regierung, hat nach der Wahl die Steuern erhöht.
Wir haben nach der Wahl das Kindergeld erhöht. Das ist
der Unterschied. Das ist gerecht. Das ist eine gute Sozialpolitik. Wir haben allen Grund, stolz darauf zu sein.
({3})
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen und Herr Heil, gar nicht die Sozialpolitik der
Bundesregierung im Allgemeinen gemeint haben sollten, sondern die Äußerungen von Guido Westerwelle aus
Anlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zu
den Hartz-IV-Regelsätzen im Besonderen, dann muss
ich Ihnen sagen: Die Kanzlerin hat doch gar nicht geschwiegen. Sie hat dem Vizekanzler in der Sache recht
gegeben. Das hängt damit zusammen, dass er damit im
Grunde genommen gar nichts anderes als die Umsetzung
des Koalitionsvertrages angekündigt hat.
({4})
Sie hat mitteilen lassen, das sei nicht ihr Sprachstil. Das
mag so sein.
Wenn aber die Bild-Zeitung heute schreibt, die Bundeskanzlerin habe sich darüber hinaus enttäuscht gezeigt, dass sich der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende als
Reformmotor der Koalition darstelle, dann muss ich Ihnen sagen: Mit dieser Enttäuschung kann ich gut leben.
({5})
Für die FDP-Fraktion ist es jedenfalls alles andere als
ehrenrührig, wenn Guido Westerwelle, der Vizekanzler,
diese Regierung auf Reformen drängt. Denn viele Menschen in Deutschland haben bei der letzten Bundestagswahl die FDP gewählt, weil sie Veränderungen wollten.
Wir treten nun nach der Wahl dafür ein, dass es genau
diese Veränderungen gibt.
({6})
Denn, Herr Heil, Frau Künast, wenn wir nichts ändern,
wird nichts so bleiben, wie es ist.
({7})
- Sie lachen. Das zeigt, dass Sie den Ernst der Situation
überhaupt nicht verstanden haben.
({8})
Das gilt zumal für den Bereich der Sozialpolitik, wo
wir natürlich die Balance halten müssen zwischen den
Leistungen für diejenigen, die unverschuldet in Not geraten sind und Hartz IV beziehen, und denen, die arbeiten und mit ihren Steuern und Sozialbeiträgen genau
diese Leistungen für Bedürftige finanzieren müssen.
({9})
Diese Balance dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wir dürfen die, die arbeiten gehen und für unser Gemeinwesen auch finanziell einstehen, nicht vergessen.
Sie sind die Mitte unserer Gesellschaft.
({10})
Wir müssen auch darauf achten - ich komme noch
einmal auf dieses Wort von Guido Westerwelle mit der
spätrömischen Dekadenz zurück -, dass unser Staat, unsere Gesellschaft, unser Sozialsystem auch Widerstandskraft hat, widerständig bleibt. Denn das alte Rom ist
daran zugrunde gegangen, dass die Tugenden verloren
gegangen sind,
({11})
dass die Balance aus den Fugen geraten ist. Das dürfen
wir nicht zulassen. Wir alle sind aufgefordert, da hinzusehen, wo es Missbrauch gibt, denjenigen, die bedürftig
sind, die Leistungen zu gewähren, die sie brauchen, aber
denjenigen, die die Leistungen des Sozialstaates in Anspruch nehmen wollen, obwohl sie sie nicht brauchen,
ein ganz klares Stoppschild vorzuhalten. Dieser Auftrag
geht aus dieser Diskussion hervor.
({12})
Meine Damen und Herren, jetzt gibt es diejenigen
- das war auch der Hintergrund der Äußerungen von
Herrn Westerwelle -, die sofort nach dem Urteil aus
Karlsruhe genau wussten, wie die Regelsätze denn nun
aussehen müssen. Die Linken haben heute Morgen im
Ausschuss einen Betrag von 500 Euro genannt.
({13})
Das ist jetzt das Maß der Dinge.
({14})
Liebe Kollegen von den Linken, damit tun Sie genau
das, was das Bundesverfassungsgericht kritisiert hat.
Wir dürfen nämlich nicht ins Blaue hinein schätzen, sondern müssen den Bedarf von arbeitslosen Menschen in
unserem Lande begründet darlegen. Wir müssen Wertungsentscheidungen treffen. Das hat uns das Karlsruher
Gericht aufgegeben - und nicht, ins Blaue hinein Zahlen
zu nennen, wie es einer politischen Klientel möglicherweise gefallen mag.
({15})
Das wäre falsch. Das wäre verkehrt. Das sollten wir auf
keinen Fall tun.
({16})
Zum Schluss: Ich wundere mich, Frau Künast. Ich
wundere mich aber auch bei Ihnen, Herr Heil, ein Stück
weit darüber - das muss ich sagen -, wie weit der politische Gedächtnisverlust schon fortgeschritten ist.
({17})
Bei der Regelung, die in der vorletzten Woche in Karlsruhe gescheitert ist, handelt es sich um die Normen Ihrer
rot-grünen Bundesregierung. Es sind Ihre Ableitungen
eines Bedarfs gewesen, die Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt hat.
({18})
Und Sie stellen sich heute hierhin und wollen uns weismachen, wir seien diejenigen, die schuld seien. Das trifft
nicht zu.
Wir werden diese Herausforderung aber annehmen.
Parallel zur Optimierung der Jobcenter werden wir auch
die Regelsätze für bedürftige Langzeitarbeitslose in
Deutschland neu definieren - unter hohem Zeitdruck,
der auch darauf zurückzuführen ist, Herr Scholz, dass
andere zu lange nichts zustande gebracht haben. Wir
werden das tun. Ich bin sicher, dass wir auch ein gutes
Ergebnis erreichen werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Maurer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
an einem einzigen Punkt derselben Meinung wie der
Kollege Kolb. Die Frau Bundeskanzlerin hat nicht geschwiegen, sondern sie hat den Duktus des Herrn Vizekanzlers gegeißelt. Das heißt im Klartext: Sie hat sich
wie eine Richterin verhalten, die den Kollegen
Westerwelle nicht wegen seiner Tat, sondern wegen
mangelnder Eleganz bei der Tatausführung verurteilt.
({0})
Das kann man schon so deuten, wie es der Kollege Kolb
unter dem betretenen Schweigen der CDU/CSU-Fraktion gerade getan hat, nämlich als Zustimmung in der
Sache.
Bei Ihnen geht es wirr durcheinander. Ich will Ihnen
einmal sagen, was uns - und mit uns Millionen von
Menschen - an dieser ganzen Debatte zutiefst empört:
Was Sie und Herr Westerwelle hier versuchen, ist, mitten
in der schwersten Nachkriegskrise Deutschlands den berechtigten Zorn der Menschen, die hart arbeiten und dafür zu wenig Geld bekommen, auf die Arbeitslosen zu
lenken, um von denen abzulenken, die ihnen die Krise
eingebrockt haben. Dieser Versuch wird hier unternommen.
({1})
Es passiert ja nicht zum ersten Mal in der deutschen
Geschichte, dass man auf diese Art und Weise Krisen
verarbeitet. Ich höre auch schon die Stimmen derjenigen,
die sagen, es seien besonders viele Migrantinnen und
Migranten unter den Leistungsverweigerern. Das ist
dann der nächste Zug ins Rassistische.
({2})
- Das können Sie alles nachlesen.
({3})
- Lesen Sie keine Zeitung? Das können Sie in den Zeitungen alles nachlesen.
({4})
Das sind dann die unabhängigen Institute und weiß der
Teufel wer.
Wir kennen das alles. Ich sage Ihnen: Damit betreiben
Sie ein gefährliches Spiel. Wer in einer schweren Wirtschaftskrise versucht, die Menschen, die am härtesten
betroffen sind, gegeneinander aufzubringen und Hass
gegen Minderheiten, gegen angebliche Faulenzer etc.
um des gesunden Volksempfindens willen zu erzeugen,
der hat aus der deutschen Geschichte nichts gelernt - gar
nichts.
({5})
Wer das deswegen macht, weil er sich davon verspricht,
dass seine Umfragewerte steigen, womit er offensichtlich keinen allzu großen Erfolg hat, dessen Handeln
kann man nur noch als schäbig bezeichnen. Das ist schäbig, um es in aller Deutlichkeit zu sagen. Das war eine
strategische Entscheidung, die wir Ihnen aber nicht
durchgehen lassen.
Wir sind Ihnen an einem Punkt sogar dankbar für
diese Leistungsdebatte. Erinnern Sie sich bitte an Folgendes: Das alte Rom ist an der Käuflichkeit und Korruption der Politik zugrunde gegangen. Pontius Pilatus
ist wegen Steuerhinterziehung nach Judäa strafversetzt
worden.
({6})
Wer sich für Politik bezahlen lässt, der bewegt sich in
der Tat auf den Pfaden der spätrömischen Dekadenz.
({7})
Wo ist in der Krise der Beitrag derer, die diese Krise
verursacht haben? Wo ist der Beitrag der Investmentbanker? Wo ist der Beitrag der Boniempfänger? Wo ist deren Beitrag? Anstatt darüber zu reden, reden Sie über
Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Das ist schäbig,
lieber Kollege Kolb.
({8})
Frau Kollegin Künast, es gab während Ihrer Rede einen Moment, in dem ich dachte: Jetzt kommt etwas
wirklich Wichtiges. Sie wollten nämlich einen Fehler der
Grünen eingestehen. Das kam dann aber nicht.
({9})
Das Problem in Deutschland ist, dass die Löhne gedrückt wurden, dass ein System von Niedriglöhnen und
ein System von Sklavenarbeit, das sich Leiharbeit nennt,
eingeführt wurden. Die davon betroffenen Menschen haben einen Anspruch, vertreten zu werden. Wer, wie die
FDP, über Arbeitslose redet, aber Mindestlöhne verweigert, der steht in dieser politischen Debatte auf der falschen Seite. Wenn man allerdings, wie Sie, Frau Künast,
diese Situation anprangert, ohne wenigstens auch zu erwähnen, dass Sie selbst einen guten Anteil daran hatten,
dass dieses System der Niedriglöhne, der 1-Euro-Jobs,
der Aufstockerei und der Leiharbeit eingeführt wurde,
ist das kein guter Einstieg in diese Debatte.
({10})
Wir sagen: Wir werden uns für alleinerziehende Mütter einsetzen. Wir werden uns für die Kinder, die in diesem Hartz-System menschenunwürdig behandelt werden, einsetzen.
({11})
Wir werden uns allerdings mit dem gleichen Nachdruck
auch für die Menschen einsetzen, die hart arbeiten, aber
nicht einmal das Existenzminimum verdienen
({12})
und die nicht etwa für 7 000 Euro plus immer denselben
Vortrag halten. Denen sollten Sie sich zuwenden, nicht
denen, die an Ihre Partei spenden.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Aufgeregtheit, die in der heutigen Aktuellen Stunde
zur Sozialpolitik der Bundesregierung wieder einmal
zum Ausdruck gebracht wird, ist in keiner Weise begründet. Die Opposition hat dargelegt, dass sie eigentlich
überhaupt nichts zu kritisieren hat, sondern hier nur Polemik betreiben möchte.
({0})
Das muss man allen drei bisherigen Rednern der Opposition bescheinigen.
Gerade Frau Kollegin Künast, die diese Aktuelle
Stunde als Fraktionsvorsitzende mit beantragt hat, hat eigentlich überhaupt nicht über das Thema gesprochen,
({1})
sondern hat versucht, eine etwas missglückte Wahlkampfrede zu halten und Schuldzuweisungen an die
FDP und die CDU/CSU zu erheben. Davon haben die
Bürgerinnen und Bürger nichts, liebe Frau Künast. Die
Bürger sind darauf angewiesen, dass hier gute Entscheidungen gefällt werden.
({2})
Die Koalition von CDU, CSU und FDP, die bürgerliche christlich-liberale Koalition, steht an der Seite derer,
die unseren Sozialstaat letztendlich begründen und ihn
tagtäglich erarbeiten. Gleichzeitig steht sie aber auch an
der Seite der Menschen, die auf soziale Leistungen angewiesen sind, und sorgt dafür, dass diese Menschen die
nötige Unterstützung erhalten. Dafür stehen wir.
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies haben wir in
der Vergangenheit bewiesen. Die Union war der Reformanschieber, und zwar nach christlich-sozialem und
christlich-demokratischem Verständnis. Ich glaube, dass
wir dies gerade in der vergangenen Legislaturperiode
unter Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in der Sozialgesetzgebung deutlich gemacht haben. Auch in der
jetzigen Bundesregierung sind wir in diesem Bereich der
Reformmotor.
({4})
Auch für die Öffentlichkeit ist es wichtig, darzulegen,
welche sozialen Leistungen wir für die Menschen erbringen. Diese sozialen Leistungen werden tagtäglich hart
erarbeitet, und zwar von Menschen, die morgens früh
aufstehen und den ganzen Tag lang arbeiten. Damit leisten sie einen Beitrag zum Bruttosozialprodukt und tragen dazu bei, dass die soziale Sicherung aller Bürger gewährleistet werden kann.
Ein Ausdruck dessen ist der Bundeshaushalt 2010,
den wir in der übernächsten Sitzungswoche verabschieden werden. Über 54 Prozent des Bundeshaushaltes fließen in die soziale Sicherung der Menschen in unserem
Land. Das ist ein beredtes Beispiel für unseren Beistand
für die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft.
({5})
Natürlich ist es richtig: Der beste soziale Schutz für
die Menschen ist, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden. Herr Kollege Maurer - das gilt auch für den Kollegen Heil -, deshalb haben wir zum 1. Januar dieses Jahres kräftige Entlastungen für die Menschen durchgesetzt,
die tagtäglich zur Arbeit gehen, nämlich für die Facharbeiterinnen und Facharbeiter; diese wollen Sie aber zusätzlich belasten.
({6})
Jetzt ist ein neuer Antrag für den SPD-Bundesparteitag in Vorbereitung: Es soll versprochen werden, den
Bezug von Arbeitslosengeld I zukünftig auf zwei Jahre
zu verlängern. Vielleicht wird später, weil bei der SPD
offensichtlich ein Überbietungswettbewerb ausgebrochen ist, eine Verlängerung auf drei Jahre beschlossen.
Sie wollen also alles zurückschrauben, was Sie im Rahmen der Agenda 2010 beschlossen haben.
({7})
- Natürlich ist das so. - Wer bezahlt dann diese Maßnahmen? Das bezahlt letztendlich der Facharbeiter mit seinen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Wir stehen
für eine Entlastung der Facharbeiter, der Bürgerinnen
und Bürger; Sie von der versammelten Opposition stehen für die Belastung unserer Bürgerinnen und Bürger.
({8})
Frau Kollegin Künast hat gesagt, Gerechtigkeit werde
nicht durch Schneeschippen gewährleistet.
({9})
Ich möchte aber schon darlegen, dass unter der rot-grünen Bundesregierung, natürlich mit dem Zutun von
CDU und CSU im Bundesrat, das Prinzip „Fordern und
Fördern“ durchgesetzt worden ist. Ich glaube, es muss
ein entscheidendes Merkmal des Sozialstaates sein, dass
der, der arbeiten kann, auch tatsächlich arbeitet. Es war
unmöglich, was in den vergangenen Wochen in dieser
schönen Stadt Berlin passiert ist: Die alten Leute waren
letztendlich richtiggehend kaserniert, weil sie nicht auf
die Gehwege hinausgehen konnten,
({10})
weil der Berliner Senat, der Bürgermeister und die rotrote Stadtregierung nicht imstande waren, den Schnee
von den Gehwegen zu räumen.
({11})
Hier hätten die Arbeitslosen in dieser Stadt aufgefordert
werden können, und zwar sehr frühzeitig, einen Beitrag
zu leisten.
({12})
Wenn sie soziale Unterstützung erhalten, dann ist es
richtig, einen Beitrag für die Allgemeinheit und für die
alten Leute in unserem Land zu leisten. Frau Kollegin
Künast, deshalb wäre es gut gewesen, wenn sie richtig
Schnee geschippt hätten.
({13})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Straubinger, wenn man Sie so hört, dann könnte
man wirklich meinen, die tollen Tage würden fortgesetzt. Allerdings wäre das wirklich eine Beleidigung für
jeden Karnevalisten.
({0})
Das, was Sie hier machen, ist genauso purer und blanker
Populismus wie das, was der FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister gemacht hat. Das ist allerdings kein
Wunder; denn Herr Westerwelle hat hier von einer „geistig-politischen Wende“ gesprochen. Wir hatten schon
einmal so etwas Ähnliches: Damals hieß es „geistig-moralische Wende“. Am Ende der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl hatten wir eine Bimbesrepublik
mit schwarzen Koffern, mit Vermächtnissen usw.
({1})
Wir sind zu Beginn dieser Regierung, der erneuten Auflage von Schwarz-Gelb, genau da, wo es 1998 aufgehört
hat. Das heißt jetzt eben nur „geistig-politische Wende“.
Das, was Sie tun, ist nichts anderes als schwarz-gelbe
Klientelpolitik.
({2})
Man erkennt das auch daran, dass sich die Großspenden von Hotelketten und Pharmaindustrie sofort ausgezahlt haben: Die Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen wurde gesenkt. Sicherlich hat es überhaupt nichts
damit zu tun, dass Herr Westerwelle auch noch für im
Schnitt 7 000 Euro Vorträge hält.
({3})
Auch wenn das in Zeiten war, als er noch Vorsitzender
einer Oppositionsfraktion war, muss man sich fragen:
Welche Geisteshaltung steckt dahinter, wenn man von
der Tochtergesellschaft einer Bank, die für deutsche
Steuerzahler bzw. -nichtzahler Beihilfe zur Steuerhinterziehung leistet, Geld annimmt und für sie Vorträge hält?
({4})
Das ist dekadent, Herr Kolb.
({5})
Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf
Menschen, die am Existenzminimum leben, ein gutes,
sehr mutiges Urteil gesprochen, mit dem es den Sozialstaat klar gestärkt hat. Wie kann man die Verfassungsrichter dafür schelten?
({6})
Man muss stattdessen darüber diskutieren, wie das
Existenzminimum gesichert werden kann. Dieser DeElke Ferner
batte verweigern Sie sich. Herr Westerwelle hat letzte
Woche gefordert, dass im Deutschen Bundestag eine
große Debatte geführt wird. „Wo ist er denn?“, kann man
nur fragen.
({7})
Offenbar kneift er, weil er vor dieser Debatte Angst hat.
Sie werden in dieser Debatte nämlich nicht bestehen.
({8})
Sie verweigern der Öffentlichkeit die Information darüber, was auf sie zukommt. Nach dem 9. Mai wird es in
bewährter Manier weitergehen: Man verteilt um, von unten nach oben. Sie widersprechen sich auch: Ihr Generalsekretär, der den Staat als „teuren Schwächling“ bezeichnet hat, obwohl er, wie ich dem Amtlichen
Handbuch des Deutschen Bundestages entnehme, bisher
fast ausschließlich vom Staat alimentiert worden ist,
({9})
sagt: Man darf die Menschen nicht dauerhaft auf Transferleistungen verweisen. Damit hat er recht; ich frage
mich dann nur, warum Sie durch die Einführung einer
Kopfpauschale in der Krankenversicherung eine wachsende Zahl von Menschen von Sozialtransfers abhängig
machen wollen. Was Sie da machen, ist absurd, und es
hilft nicht weiter.
({10})
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte. Von
Frau Merkel ist bisher, außer dass sie zugibt, dass die
Wortwahl vielleicht nicht besonders gut war, nichts zu
hören. Frau Merkel sitzt wie die Prinzessin auf der Erbse
und wartet darauf, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst. Damit wird diese Koalition von Schwarz-Gelb aber
nicht durchkommen.
({11})
In Nordrhein-Westfalen geht alles nach dem Motto:
Rent a Ministerpräsident! Ich bin gespannt, was in den
nächsten Wochen noch alles herauskommen wird. Das
hat mit Dekadenz mit Sicherheit mehr zu tun, als wenn
sich jemand mit der Frage beschäftigt, wie man denen,
die unverschuldet arbeitslos sind und in der überwiegenden Mehrzahl arbeiten wollen, zu einer Arbeit verhelfen
kann, die existenzsichernd ist.
Was die FDP und ihr Vorsitzender mit plumpem Populismus propagieren, bedeutet doch nichts anderes, als
zu sagen: Der niedrigste Hungerlohn ist der Maßstab für
das Existenzminimum. Das Bundesverfassungsgericht
hat jetzt deutlich gemacht: Das Existenzminimum steht
nicht zur Disposition.
({12})
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir brauchen ein
Lohnanstandsgebot, ein Gebot, existenzsichernde Löhne
zu zahlen, damit diejenigen, die jeden Morgen aufstehen, am Monatsende so viel Geld in der Lohntüte haben,
dass sie von ihrer Hände und ihres Kopfes Arbeit leben
können.
({13})
Eine Ausweitung von Kombilöhnen und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors sind das Letzte, was wir
brauchen. Diese Auffassung unterscheidet uns von Ihnen. Am 9. Mai werden die Menschen in NordrheinWestfalen auch darüber zu entscheiden haben, ob sie Sozialabbau und -kahlschlag haben wollen oder ob es in
dieser Republik wieder gerecht zugehen soll.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ferner, man kann Vorwürfe erheben, und
man kann versuchen, Zusammenhänge zu suggerieren.
Wussten Sie, Frau Ferner, dass Sigmar Gabriel privat im
Jahr 2004 vom VW-Konzern 130 000 Euro bekommen
hat,
({0})
und das als einer, der doch zu den überzeugteren Vertretern des VW-Gesetzes zählt?
({1})
Lieber Herr Heil, das „dröhnende Schweigen“ der
Kanzlerin hören Sie wahrscheinlich besonders intensiv,
wenn Sie um gerade Kurven fahren. Liebe Kollegen,
Nachdenken hilft nicht nur beim Finden von Begriffen,
Nachdenken hilft auch bei der Lösung der Probleme dieser Gesellschaft.
({2})
Deshalb möchte ich Sie hiermit einladen, ein Stück auf
dem Weg des gemeinsamen Nachdenkens mit uns zu gehen, auf dem Weg, den jedenfalls die FDP beschreitet
und der nichts anderes als vernünftig, angemessen und
verantwortungsvoll ist.
({3})
Worum geht es überhaupt? Der Kern unserer Debatte
ist zunächst das angemessene Verhältnis von Bedarfsgerechtigkeit auf der einen Seite sowie Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit auf der anderen Seite. Niemand in
der FDP - schon gar nicht Guido Westerwelle - leugnet,
({4})
dass es Lebenssituationen gibt, in denen Menschen auf
die Unterstützung der anderen, der Solidargemeinschaft,
angewiesen sind. Niemand leugnet, dass diese
Menschen, wie jeder andere Mensch auch, Bedürfnisse
haben - zum Beispiel muss das Bedürfnis eines würdigen Auskommens befriedigt werden, und nach Maßgabe
des Möglichen wird es in diesem Land auch befriedigt.
({5})
Wahr ist aber eben auch, dass diese Mittel, die diejenigen, die arbeiten, mit ihren Leistungen erwirtschaften,
zielgerichtet, effizient und sparsam eingesetzt werden
müssen - im Sinne der Leistungsgerechtigkeit und der
Verteilungsgerechtigkeit, aber auch im Sinne der Funktionstüchtigkeit des Sozial- und Wirtschaftssystems.
Ganz bestimmt muss dies auch im Sinne derjenigen geschehen, die sich überhaupt nicht selbst zu helfen wissen, das nicht können und die wohl auch dauerhaft auf
Unterstützung und Betreuung angewiesen sind. Es ist
deshalb auch gerecht, dass wir erwarten, dass jeder in
dieser Gesellschaft nach seinen Kräften das für sich
Mögliche beiträgt; denn das bedeutet eine aktive Unterstützung für die Schwächsten in dieser Gesellschaft.
Wir von der FDP verstehen Bedarfsgerechtigkeit
nicht nur im Sinne notwendiger Alimentation. Jeder
Mensch in dieser Gesellschaft hat das Recht auf Teilhabe. Deshalb ist die Bedarfsgerechtigkeit nach unserem
Menschen- und Gesellschaftsbild gleichbedeutend mit
Chancengerechtigkeit.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als FDP kämpfen dafür und lassen uns darin auch nicht durch oppositionelles reflexhaftes Skandalisieren beirren, dass der
Sozialstaat als Erstes Chancen der Teilhabe vermitteln
muss. Genau darin ist der Sozialstaat bisheriger Prägung
in unverantwortlicher Weise gescheitert. Viel zu lange
haben wir uns damit begnügt, die Menschen zu alimentieren und den Sozialstaat als ein Auffangnetz statt als
ein Sprungbrett zu begreifen, mit dem den betroffenen
Menschen der Sprung oder das Sich-wieder-Aufrichten
in die Selbstständigkeit und die aktive Teilhabe ermöglicht wird.
({7})
Der Sozialstaat bisheriger Prägung ist noch an einer
anderen Stelle gescheitert. Es wurde viel zu lange versäumt, die soziale Verantwortung auch im Lichte der Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen zu begreifen.
({8})
Viel zu lange ist diese Gesellschaft dem Konflikt zwischen Bedarfsgerechtigkeit auf der einen Seite sowie
Leistungsgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit auf
der anderen Seite ausgewichen, indem sie ihn mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft, einer gigantischen
Staatsverschuldung, zugedeckt hat.
({9})
Wir werden nun zügig die Grundlagen für eine neue
Berechnung der Hartz-IV-Bezüge auf den Weg bringen.
Ob dabei ein höherer oder niedrigerer Satz herauskommt, kann ich jetzt noch nicht sagen.
({10})
Aussagen in jede der beiden Richtungen sind daher verfrüht.
Wir werden das Ausgeschlossensein von Menschen
beenden und für eine bessere Möglichkeit ihrer gesellschaftlichen Teilhabe sorgen, indem wir die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern,
({11})
und wir werden insbesondere unsere Aufmerksamkeit
auf das Wohl der Kinder legen. Dass eine Gesellschaft
ihren Kindern nicht alle Chancen eröffnet, sie aber auch
- das sage ich mit Blick auf die Staatsverschuldung nicht offenhält, ist unerträglich.
({12})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn man sich einmal mit einer gewissen
Ruhe anschaut, was in der Causa Westerwelle eigentlich
los ist, dann stellt man fest: Der Kollege hat elf Jahre
lang politisch davon gelebt, dass er erzählt hat, die FDP
werde die Steuern senken.
({0})
Um diesen Satz hat er elf Jahre lang seine Reden aufgebaut. Er kam in die Regierung und
({1})
man stellt fest: Wegen der Staatsverschuldung und verschiedener anderer Faktoren geht es nicht mit den FDPModellen, mit denen Sie in den Wahlkampf gezogen
sind.
Nun kam ein Urteil aus Karlsruhe, das besagt: Die Arbeitslosengeld-II-Bezüge, die Transferleistungen, müssen auf eine andere Art berechnet werden, und vor allem
muss die Existenz der Menschen durch diese Leistungen
würdeorientiert gesichert werden.
({2})
- Beruhigen Sie sich, Herr Kolb. Für Ihr Problem gibt es
in der Apotheke Beruhigungsmittel.
Die FDP spürt natürlich, dass mit Steuersenkungen in
der nächsten Zeit noch weniger los sein wird. Dann
schaut sie sich die Umfragewerte an: freier Fall nach unten; , physikalisch gesprochen.
({3})
Auf welche Idee kommen Sie also bei Ihrem Strategietreffen am vergangenen Wochenende? Sie kommen auf
die Idee, einen Angriff auf die Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu starten, und zwar mit der Pauschalität, mit der
Westerwelle dies getan hat.
({4})
Ich nenne für meine Fraktion das Verfahren, zur Optimierung der eigenen Umfragewerte insgesamt 6,4 Millionen Menschen, die in Deutschland Arbeitslosengeld II
beziehen, pauschal zu diskriminieren, schäbig, unanständig und der deutschen Politik nicht würdig.
({5})
g
--- t2
Damit müssen Sie sich auseinandersetzen. Nach dem
Urteil in Karlsruhe und der Diskussion über die Frage,
ob sich Arbeit lohnt, können Sie das angehen. Dabei gilt
übrigens: In allen Fällen, in denen Kinder da sind und
Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld hinzugerechnet werden, sind die Einkünfte höher, wenn man arbeitet, als wenn man nicht erwerbstätig ist. Auch da wird
mit falschen Zahlen operiert.
({6})
- Ja, es ist wichtig, darzulegen, wie die Verhältnisse
wirklich sind.
Wer aber glaubt, es lohne sich, zu wenig zu arbeiten,
der hat verschiedene Möglichkeiten. Die FDP wählt die
Möglichkeit, dass das Arbeitslosengeld II gesenkt wird.
({7})
Wir sagen: Wir brauchen Mindestlöhne, damit sich Arbeit im Niedriglohnbereich wieder lohnt,
({8})
und wir müssen die Lohnnebenkosten nach unserem
Progressivmodell so gestalten, dass sie im Niedriglohnbereich sinken, sodass mehr Netto vom Brutto bleibt.
Denn die Steuersenkungen kommen vielen zugute, nur
nicht den Geringstverdienenden. Das müsste die FDP
meines Erachtens endlich kapieren.
({9})
Ich finde das richtig unverschämt von der FDP und von
Herrn Westerwelle.
({10})
Der ehemalige Bundeskanzler Schmidt hat übrigens in
einer Fernsehsendung diese Woche zu Recht gesagt, er
sei ein Wichtigtuer, kein Wichtiger. Ich war selten bei
Helmut Schmidt, aber an dieser Stelle hat er absolut
recht.
({11})
Wir hatten in Deutschland im Hartz-System 2009 eine
Missbrauchsquote von 1,9 Prozent. Das betrifft etwa
129 000 Menschen.
({12})
Wer wegen dieser Missbrauchsquote in der Lage ist,
6,4 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu diskriminieren, der handelt schäbig und muss in diesem Haus
politisch gestellt werden.
({13})
Das ist der Punkt, um den es uns in dieser Debatte
geht, die wir beantragt haben - das richte ich jetzt an die
CDU/CSU -: Wir können nicht verstehen, dass die Bundeskanzlerin und Vorsitzende einer christlichen Partei
für dieses Manöver von Herrn Westerwelle nichts anderes übrig hat als Stilkritik. Ich fordere Sie von der CDU/
CSU auf: Distanzieren Sie sich von diesen widerlichen
Sozialspaltern, mit denen Sie in der Koalition sind!
({14})
Kehren Sie zu dem Grundprinzip christlicher Politik zurück, dass denen, die arm und schlecht dran sind, geholfen werden muss, sowohl materiell als auch durch verbesserte Zugangschancen!
Lassen Sie uns deshalb diskutieren, wie man die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern kann, aber in der
Weise, dass nicht auf breiter Front ein Kombilohn entsteht, bei dem die Unternehmer darauf spekulieren können, dass der Staat schon aushilft, wenn sie geringe
Löhne zahlen.
({15})
Deswegen müssen Zuverdienst und Mindestlohn gemeinsam kommen; sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ich hoffe an dieser Stelle auf die CDU/
CSU.
({16})
- Meine Hoffnung liegt im Rahmen des parteipolitisch
Möglichen.
({17})
Aber ich meine es sehr ernst: Wenn die CDU/CSU diesem widerlichen Politikstil und diesen widerlichen Inhalten jenseits von Stilkritik nicht Einhalt gebietet,
({18})
dann haben Sie den Anspruch verloren, in diesem Hause
für christliche Politik zu stehen.
Danke.
({19})
Nun hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Wir finden uns mit Arbeitslosigkeit nicht ab. Wir
wollen und glauben auch, dass es möglich ist, im
nächsten Jahrzehnt Vollbeschäftigung zu erreichen.
Wir wollen jedem eine Chance geben, weil sich die
freiheitliche Entfaltung des Menschen durch selbstverdientes Geld viel besser vollziehen kann. Das
wollen wir erreichen.
So Angela Merkel vor wenigen Wochen, am 20. Januar
2010, von dieser Stelle aus in der Haushaltsdebatte des
Deutschen Bundestages. Das ist ein klares arbeitsmarktund sozialpolitisches Programm einer Kanzlerin, die
sich zu Recht christliche Kanzlerin nennen kann.
({0})
Weil einige unbedingt wissen wollen, was unsere Bundeskanzlerin zu Arbeitslosengeld II oder, wie viele sagen, Hartz IV meint, auch dazu die notwendigen Zitate
aus der Rede vom 20. Januar. Angela Merkel erklärte:
Ich glaube, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, was den Zwang, die Aufgabe oder die Notwendigkeit der Arbeitsaufnahme anbelangt, eindeutig
ausreichend sind.
({1})
Wer eine zumutbare Arbeit nicht annimmt, hat
heute Sanktionen zu befürchten. … Die Frage, ob
die Umsetzung unserer rechtlichen Regelungen
überall ausreichend erfolgt, muss man sich immer
wieder anschauen.
Sie hat zu Recht gesagt, dass uns das vor allem deswegen schwerfällt, weil das Prinzip, dass wir jedem, der
Arbeit sucht, wirklich eine Arbeit anbieten können, bislang nur unzureichend erreicht ist.
Ich finde, was unsere Bundeskanzlerin zum Thema
Arbeitslosengeld II am 20. Januar in der Haushaltsdebatte vorgetragen hat, ist klar und eindeutig und beantwortet alle Fragen, die die Opposition heute gestellt hat.
({2})
Deswegen erlaube ich mir noch eine Anmerkung. Zu
wirklich guter Politik gehört auch, gut zuhören zu können.
({3})
Wenn die Opposition dies beherzigen und nicht schon
unter Gedächtnisschwund leiden würde, dann hätte sie
die heutige Aktuelle Stunde gar nicht zu beantragen
brauchen.
({4})
Entscheidend ist übrigens nicht, ob die Bundeskanzlerin
jeden Tag etwas sagt,
({5})
sondern entscheidend ist,
({6})
Peter Weiß ({7})
ob die Regierungschefin handelt. Das ist die entscheidende Frage.
({8})
Nachdem ich für diesen Satz den gesammelten Beifall
der verehrten Opposition erhalten habe, möchte ich
gerne ihrem Gedächtnisschwund etwas aufhelfen:
({9})
Jetzt, da wir die Auswirkungen der schwersten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland seit dem
Zweiten Weltkrieg erleben, handelt diese Regierung mit
ihrer Kanzlerin entschlossen, um unsere Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren - das haben wir schon mit
Olaf Scholz begonnen, der nach mir reden wird -, um
den Arbeitsmarkt zum Beispiel durch die Verlängerung
der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu stabilisieren
und um die Auswirkung auf die Unternehmen und die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzumildern.
Der Staat wendet mit dem Bundeshaushalt 2010, den
diese Kanzlerin zu verantworten hat, mehr als es je in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland möglich war, Steuergelder auf, um den Sozialstaat zu stabilisieren.
({10})
Ich zähle die Einzelsummen auf: 80,7 Milliarden Euro
für die Rente, 23,9 Milliarden Euro für die Bundesagentur für Arbeit, zum Beispiel um das Kurzarbeitergeld
mitzufinanzieren, 38,7 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II, 15 Milliarden Euro für die gesetzliche
Krankenversicherung.
Diese große solidarische Leistung des Staates zur Krisenbewältigung findet Gott sei Dank ihre Entsprechung
im Handeln der Tarifvertragsparteien. Der neue Metalltarifvertrag gibt der Beschäftigungssicherung den eindeutigen Vorrang vor der Lohnpolitik. Ich finde, damit
erleben wir gerade jetzt in der Krise ein großartiges Beispiel dafür, dass das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft funktioniert. Darauf sollten wir stolz sein, und das
sollten wir auch nicht kaputtreden.
({11})
Es ist im Übrigen der Mindestlohn angesprochen
worden. Gestern hat die Koalition den Weg dafür frei gemacht, dass für Gebäudereiniger und Dachdecker die
neue Regelung zum Mindestlohn in Kraft treten kann.
Dies zeigt: Wir setzen das Instrumentarium, das wir in
der Großen Koalition im Rahmen des ArbeitnehmerEntsendegesetzes beschlossen haben, um. Da, wo es die
Tarifpartner vorschlagen und beschließen, haben in
Deutschland branchenbezogene Mindestlöhne eine
Chance, auch und gerade mit Angela Merkel.
({12})
Wir, die neue Koalition aus CDU/CSU und FDP mit
Angela Merkel an der Spitze, haben ein klares Ziel: Wir
wollen
({13})
bis zum Ende dieses Jahrzehnts die wichtigste sozialpolitische Leistung und Notwendigkeit, nämlich Vollbeschäftigung in Deutschland, wieder erreichen. Klare
politische Ziele, zielgerichtetes und entschiedenes Handeln und nicht Geschwätzigkeit führen zum Erfolg. Für
diesen Erfolg steht Angela Merkel.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat nun der Kollege Olaf Scholz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
({0})
Der FDP-Vorsitzende hat sich geäußert; viele haben
dazu etwas gesagt. Ich will dem vielen nichts hinzufügen; denn alle wissen, wie man das verstehen kann.
({1})
Es war unanständig, es war nicht in Ordnung, und alle
sind sehr aufgeregt.
({2})
Ich verstehe sehr genau - gestatten Sie mir diesen
ernsten Ton -, warum er das gemacht hat; ich finde, das
muss hier erörtert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil mehr zu den Regelsätzen gesagt als nur, wie die Regelsätze bemessen werden sollen.
Es hat - daran kann es gar keinen politischen Zweifel geben - eine Kernvorstellung der arbeitsmarktpolitischen
Strategien, die die FDP und mancher in der Union haben, für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Das ist
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die Regelsätze müssen sich ausschließlich nach dem Bedarf richten. Es ist verboten - wie die FDP oder Herr Koch von
der CDU immer wieder mal gefordert haben -, die Regelsätze zu senken mit der Idee: Dann gehen die Leute
schon arbeiten. - Das ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
({4})
- Herr Kolb, wenn Sie zuhören würden, dann wäre das
für Sie eine Weiterbildung:
Deshalb noch einmal: Es geht darum, wie die Regelsätze dauerhaft bemessen werden. Es geht nicht um
Sanktionen. Das bedeutet: Ihre Vorstellung, man müsse
die Sätze senken, damit die Integration in den Arbeitsmarkt klappt, ist mit der Verfassung nicht vereinbar.
({5})
Wenn man das Urteil genau liest - das tun nicht alle;
denn viele haben schon eine Meinung, bevor sie es sich
angeschaut haben -, dann kommt man zu dem Ergebnis,
dass es nur so auszulegen ist, dass es zu einer Erhöhung
der Regelsätze kommen wird. All das, was in den letzten
Tagen gesagt worden ist, ist mit dem, was im Urteil zu
lesen ist, nicht vereinbar. Das heißt, die Klärung der
Frage, was wir angesichts so vieler Millionen Arbeitsloser tun, um sicherzustellen, dass möglichst viele auf dem
Arbeitsmarkt eine Chance haben, wird immer dringlicher. Was bleibt, sind - so sage ich das einmal - sozialdemokratische Arbeitsmarktstrategien. Man kann Mindestlöhne schaffen und sie erhöhen. Das kann dazu
beitragen, dass sich Arbeit lohnt.
({6})
Man kann etwas dafür tun, dass genügend Arbeitsvermittler vorhanden sind
({7})
und dass diejenigen, die ohne Arbeit sind, bei der Arbeitssuche und mit Qualifizierungsmaßnahmen unterstützt werden.
({8})
Aber genau diese Dinge lehnen Sie ab. Im Liberalen
Sparbuch steht, dass man Arbeitsvermittler einsparen
soll, weil das angeblich zu Bürokratie führt, und dass
man die Fördermaßnahmen für die Arbeitslosen beenden
soll. All das ist falsch. Sie sind gegen das, was man richtigerweise tun könnte, um die Arbeitslosigkeit in diesem
Lande zu bekämpfen.
({9})
Ich habe im letzten Jahr gegen Ihren hysterischen Widerstand mit der freundlichen Unterstützung der CDU/
CSU die Zahl der Stellen für die Arbeitsvermittler um
viele Tausend ausgeweitet. Dieser Weg muss weitergegangen werden und nicht zurück.
({10})
Die Antworten von Herrn Westerwelle sind aber nicht
nur deswegen so aufgeregt, weil seine Politik für nicht
mit der Verfassung vereinbar erklärt worden ist,
({11})
sondern auch deshalb, weil er jetzt sieht, dass seine politischen Vorstellungen nicht realisierbar sind. Er liefert
etwas, was einem Liberalen den Magen umdrehen muss.
„Ressentiments statt ordentlicher Löhne“, das ist die Losung von Herrn Westerwelle.
({12})
Ich will Ihnen auch sagen, dass es dafür Vorbilder in
der politischen Landschaft Europas gibt, Vorbilder, die
man sich nicht nehmen sollte.
({13})
Ich verweise auf die Lega Nord in Italien. Was Sie machen, ist Politik à la Lega FDP.
({14})
Sie sagen nicht „Nord gegen Süd“, sondern „geringverdienende Arbeitnehmer gegen Arbeitslose“. Das ist nicht
in Ordnung, und das ist zynisch.
({15})
Natürlich gibt es ein Problem mit den Findigen, von
denen Herr Westerwelle gesprochen hat. Über sie hat er
gesagt: Sie dürfen nicht besser wegkommen als diejenigen, die arbeiten. Ja, die Findigen gibt es. Das sind zum
Beispiel die Menschen, die Konten in der Schweiz haben, die die anderen Steuerzahler betrügen und ihre
Steuern nicht abführen.
({16})
Findig sind aber nicht nur diejenigen, die Konten in
der Schweiz haben und FDP wählen. Findig sind auch
bestimmte Hartz-IV-Empfänger, zum Beispiel Arbeitslose, die bei der Arbeitssuche nicht so engagiert sind.
Die könnten die FDP wählen; denn wenn die FDP-Kürzungspläne hinsichtlich Arbeitsvermittlung und engagierter Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt werden, dann
können sich all die Leute, die in den RTL-Shows auftreten und sich damit rühmen, seit 30 Jahren ohne Arbeit zu
sein, freuen. Die FDP ist ihr Freund, und das muss verhindert werden.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Frank
Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Kennen Sie das Spiel „Stille Post“? Am Anfang flüstert
jemand einem anderen etwas ins Ohr; dann wird es weitergegeben, und am Schluss kommt etwas heraus, was
ganz anders ist als das, was zu Beginn erzählt worden
ist.
Rufen wir uns doch einmal kurz ins Gedächtnis, was
am Anfang dieser Kette von wem geflüstert wurde. Da
sind nicht in erster Linie die Namen Merkel und
Westerwelle im Spiel; vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht vor zwei Wochen zwei wichtige Feststellungen zu Hartz IV getroffen,
({0})
und es hat uns mit der Bewältigung der damit verbundenen Schwierigkeiten beauftragt.
({1})
Ich halte dieses Urteil für ein richtiges und wichtiges
Signal - ich habe sehr viel mit Kindern am Rande der
Gesellschaft zu tun -, weil gerade Kinder und Jugendliche bei der Neuberechnung ganz besonders in den Blick
zu nehmen sind.
({2})
Es gilt jetzt, bedürftige Kinder zielgerichtet zu unterstützen, und zwar insbesondere im Bereich Bildung. Für alle
in unserem Land lebenden Kinder sollen gleiche Bildungschancen geschaffen werden.
({3})
Das ist uns sehr wichtig. Wir haben das im Koalitionsvertrag niedergeschrieben.
({4})
Die Kanzlerin hat in ihrem Kabinett mit Ursula von
der Leyen eine hochkompetente Arbeits- und Sozialministerin, der sie vertraut und der sie den Rücken stärkt.
({5})
Dazu hat sie guten Grund. Die Regierungskoalition wird
diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zügig entsprechen. Trotzdem bedingt dieser Auftrag aus Karlsruhe ein wenig Geduld; ich erinnere an die Zahlen, die
wir zur Berechnung der neuen Hartz-IV-Sätze brauchen.
Der Bundeskanzlerin geht es in der Öffentlichkeit, also
nach außen - offensichtlich geht es heute genau darum -,
eben nicht um „husch, husch!“ und „schnell, schnell!“,
genauso wie es ihr nach innen nicht um „basta!“ geht.
({6})
Karlsruhe hat Mängel aufgedeckt - das wissen wir
alle -; aber das ist kein Grund zur Panik. Es geht hier
nicht um Todesgefahr. Auch wenn es viele vorausgesagt
haben, wurde Hartz IV nicht in Bausch und Bogen verdammt. Es geht darum, etwas besser zu machen, was vor
einigen Jahren schlampig und überhastet begonnen worden ist und deshalb am Ziel vorbeiging.
({7})
Halten wir uns das Bild der Biathleten von Vancouver
vor Augen: Wie oft wurde uns in den Reportagen erklärt,
dass der Puls eines Athleten erst deutlich sinken muss
und dass es ihm nichts hilft, überhastet draufloszuschießen! Jetzt kommt es darauf an, eben keine Schnellschüsse abzufeuern, sondern zügig sein Programm
durchzuziehen, also das umzusetzen, was man immer
wieder trainiert hat. Natürlich gilt es dann auch, zu
schießen und nicht stecken zu bleiben, aber erst, wenn
der Puls stimmt und die Bedingungen ebenfalls. Genau
das mahne ich auch in diesem Hohen Hause an; wie
wichtig das ist, wurde ja an der heutigen Debatte deutlich.
Dass Sie von der Opposition uns jetzt so wie die
Biathleten ihre Gegner im Schießstand kirre machen
wollen, ist parteipolitisch absolut selbstverständlich,
({8})
aber es ist nicht der Sache dienlich, für die wir hier an
den Start gehen.
({9})
Bei diesem Thema geht es uns nämlich nicht in erster Linie - darin müssten wir uns einig sein - um macht- und
parteipolitische Interessen, sondern vielmehr um das
Wohl von vielen Millionen deutschen Mitbürgern.
({10})
Wir sind angetreten, ich bin angetreten, um das Beste
für die Menschen herauszuholen. Das Ziel dabei ist,
möglichst vielen Menschen einen Übergang in geregelte
Beschäftigung zu ermöglichen und den Kindern in unserem Lande sowohl hinsichtlich Bildung als auch hinsichtlich Versorgung gerecht zu werden. Genau deshalb
werden wir nicht den gleichen Fehler begehen, der den
Machern von Hartz IV vor zwei Wochen attestiert worden ist, nämlich zu hastig gearbeitet zu haben.
({11})
Das Problem soll - hier zitiere ich die Kanzlerin von
gestern ({12})
von Grund auf gelöst werden. Um eine Lösung dieser
Größenordnung zu schmieden, die zugleich auch den
Menschen in unserem Land gerecht wird, braucht man
Zeit und Augenmaß.
In unserem Koalitionsvertrag steht:
Alle Menschen in unserem Land sollen die Chance
auf wirtschaftlichen Erfolg, sozialen Zusammenhalt
und ein Leben in Freiheit und Sicherheit haben.
({13})
Deswegen steht der Mensch im Mittelpunkt unserer
Politik.
({14})
Dazu brauchen wir in Deutschland zum einen eine
Steuer-, Wachstums- und Beschäftigungspolitik, die den
Menschen Anreize bietet, Leistung zu erbringen. Darin
war und ist sich die Koalition einig. Dazu braucht es
zum anderen eine Sozialpolitik, die die schwächsten
Glieder unserer Gesellschaft nicht stigmatisiert, sondern
es ihnen ermöglicht, ihre Rechte, die im Grundgesetz
verankert sind, auch wahrzunehmen.
Im Zusammenhang mit dem Schweigen der Kanzlerin
- das ist ja das Thema der Debatte; ich habe mich wirklich gewundert, wie viele heute das im Raum stehende
Thema verfehlt haben; „Ungenügend“ muss man dazu
sagen ({15})
möchte ich noch einmal auf Vancouver zurückkommen.
Auch Sie, Frau Künast, haben ja ganz am Anfang auf die
Olympischen Spiele Bezug genommen. Wie lautet doch
der schöne olympische Gedanke? Dabei sein ist alles.
({16})
Im Sinne unserer Bürger reicht mir und uns das aber
eben nicht aus. Die Medaillen vor Augen, handeln wir
lieber nach dem Motto:
({17})
Reden ist Silber, Schweigen und Handeln ist Gold.
Ich danke Ihnen.
({18})
Nun ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. Februar 2010,
9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.